Bahan Ajar untuk Presentasi Mahasiswa

Drittes Kabinett

Die Wahl zum 11. Deutschen am 25. Januar 1987

Die CDU kommt auf 34,5% (1983: 38,2%) der gültigen Stimmen, die CSU auf 9,8% (10,6%). Der Koalitionspartner FDP kann seinen Stimmenanteil auf 9,1% (7,0%) steigern. Die SPD (Spitzenkandidat ) erleidet Stimmenverluste (37,0%, 1983: 38,2%). Die Grünen können die höchsten Stimmengewinne aller Bundestagsparteien verzeichnen und kommen auf 8,3% (5,6%).

Bundeskanzler Helmut Kohl wird am 11. März vom Deutschen Bundestag mit nur 4 Stimmen über der erforderlichen Mehrheit für weitere vier Jahre im Amt bestätigt. Einen Tag später wird das neue Kabinett vereidigt.

Helmut Kohl (* 1930), Kanzler der Bundesrepublik Deutschland von 1982 bis 1998

Aufnahme im Jahre 1994

Mit besonderer Genehmigung des Bildautors Josef Albert Slominski (slomifoto). Link: www.slomifoto.de

Kabinettsliste: Bundeskanzler: Helmut Kohl (CDU), Auswärtiges und Stellvertreter des Bundeskanzlers: Hans-Dietrich Genscher (FDP); Inneres: (CSU), ab 21.4.1989 Wolfgang Schäuble (CDU); Justiz: Hans A. Engelhard (FDP), Finanzen: (CDU), ab 21.4.1989 Theodor Waigel (CDU); Wirtschaft: , ab 9.12.1988 (FDP); Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: (CSU); Arbeit und Sozialordnung: Norbert Blüm (CDU); Verteidigung: Manfred Wörner (CDU), ab 18.5. (CDU), ab 21.4.1989 Gerhard Stoltenberg (CDU); Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit: Rita Süssmuth (CDU), ab 9.12.1988 (CDU), Verkehr: Jürgen Warnke (CSU), ab 21.4.1989 Friedrich Zimmermann (CSU), Post- und Fernmeldewesen: Christian Schwarz-Schilling (CDU); Raumordnung, Bauwesen und Städtebau: Oscar Schneider (CSU), ab 21.4.1989 Gerda Hasselfeld (CSU); Innerdeutsche Beziehungen: (CDU); Forschung und Technologie: (CDU); Bildung und Wissenschaft: Jürgen W. Möllemann (FDP); Wirtschaftliche Zusammenarbeit: Jürgen Warnke (CSU); Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: (CDU), ab 7.5.1987 Klaus Töpfer (CDU).

In seiner Regierungserklärung vom 18. März 1987 (Motto: "Die Schöpfung bewahren - Die Zukunft gewinnen") setzt sich Helmut Kohl für fünf "zentrale Ziele" ein: 1. das Wertebewusstsein zu schärfen 2. die soziale Marktwirtschaft zu entfalten; 3. Die Umwelt zu schützen 4. Einheit und Freiheit für alle Deutschen zu erstreben; 5. dem Frieden, der Sicherheit und der Freiheit zu dienen und eine „realistische Entspannungspolitik“ zu betreiben.

Außenpolitik

Die Durchsetzung der Stationierung von Mittelstreckenraketen in der Bundesrepublik im Herbst 1983 gegen erbitterte innere Widerstände war ein politischer Kraftakt der Regierung Kohl gewesen. Er wurde als Nachweis der Bündnistreue zur westlichen Gemeinschaft

1 unternommen. Trotz erheblicher Interessenunterschiede wahrte Helmut Kohl stets Loyalität gegenüber den USA. Verlässlichkeit und Berechenbarkeit wurden zum Charakteristikum der Außenpolitik.

Alles in allem folgte Helmut Kohl der amerikanischen Führung. In seiner bis zur Wende siebenjährigen Kanzlerschaft baute er in Washington und Paris ein Vertrauenskapital auf, das 1989 und 1990 Zinsen trug.

Die US-Regierung unter Ronald Reagan betrieb ihre Außenpolitik, auch die zu ihren Bündnispartnern, als einseitige Interessenpolitik. Dies galt sowohl für die Genfer Abrüstungsverhandlungen als auch für die antikommunistische Konfrontationspolitik gegenüber der Sowjetunion und das Projekt des Raketenabwehrsystems SDI.

Die Verhandlungen über den Abbau der 'Intermediate Nuclear Forces' (INF) begannen am 30. November 1981 in Genf. Bei diesen 'Genfer Verhandlungen' schlug die NATO eine 'Null-Lösung' im Sinne des 'NATO-Doppelbeschlusses' vom 12. Dezember 1979 vor, d.h. den Verzicht auf die Nachrüstung (Modernisierung) von US-amerikanischen bodengestützten Raketensystemen in Europa, wenn die Sowjetunion ihre Mittelstreckenraketen abgebaut hat.

Der "doppelte Beschluss" besteht einerseits aus der Entscheidung zur Nachrüstung, andererseits in der Bereitschaft, mit der Sowjetunion über den Abbau der Raketensysteme zu verhandeln. Eine "Null-Lösung" bezieht sich auf den vollständigen Abbau von Atomwaffen einer bestimmten Kategorie bei beiden Verhandlungspartnern.

Da die Genfer Verhandlungen, auch 'INF-Verhandlungen genannt, bis Ende 1983 keine Einigung brachten, begann die NATO in mehreren westeuropäischen Ländern, darunter in der Bundesrepublik mit der Aufstellung von atomaren Waffensystemen.

Indem das SDI eine absolute Sicherheit für die USA versprach, unterminierte es die gesamte Logik der atomaren Abschreckung. Außerdem wurde die Gefahr einer Abkopplung der dann unverwundbaren USA von Europa heraufbeschworen.

Der Kehrtwende der Vereinigten Staaten hin zu einer Wiederannäherung der Supermächte in der zweiten Amtszeit von Präsident Reagan geschah ohne Konsultation der Bundesregierung. Am 12. März 1985 wurden in Genf die am 23. November 1983 unterbrochenen Abrüstungsgespräche fortgesetzt.

Ohne Mitsprache der Bundesrepublik gewannen die Abrüstungsbemühungen innerhalb kurzer Zeit neue Dynamik und neue Perspektiven. Nachdem Verhandlungen auf dem sowjetisch- amerikanischen Gipfel in Reykjavik im Oktober 1986 noch gescheitert waren, schlossen die USA und die Sowjetunion am 8. Dezember 1987 in Washington ein Abkommen zum vollständigen Abbau der beiderseitigen landgestützten Mittelstreckenraketen größerer Reichweite - also zwischen 1000 und 5500 Kilometern -, innerhalb von drei Jahren. Die Mittelstreckenraketen kürzerer Reichweite - also zwischen 500 und 1000 Kilometern - sollten innerhalb von eineinhalb Jahren nach Inkrafttreten des INF-Vertrags beseitigt sein (Doppel-Null- Lösung). Der gegenseitigen Überwachung dienen Inspektionen von Raketenbasen, -lagern und - fabriken vor Ort. Der Vertrag tritt am 1. Juni 1988 in Kraft.

Die Außen- und Sicherheitspolitik der Sowjetunion war ursprünglich kein Bestandteil des Reformprozesses. Allerdings sollte sie einige Voraussetzungen für die Umsetzung der

2 Perestroika schaffen. Die spürbare Verlangsamung des Rüstungswettlaufs, auf die Gorbatschows Abrüstungsvorschläge hinausliefen, sollte zu einer Reduzierung der Militärausgaben und diese wiederum zur Erholung der sowjetischen Wirtschaft beitragen.

Michail Gorbatschow, * 2.3.1931, von März 1985 bis August 1991 Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, von 1990 bis Dezember 1991 Präsident der Sowjetunion.

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Die Vorschläge und Initiativen Gorbatschows fanden bei dem amerikanischen Präsidenten Resonanz. In erster Linie war es jedoch der Druck des Repräsentantenhauses mit seiner demokratischen Mehrheit, der Ronald Reagan dazu zwang, sich auf den Dialog mit Gorbatschow einzulassen.

Ausgerechnet mit dem INF-Vertrag begann in den Dämmerstunden des Kalten Krieges eine weitere Runde deutsch-amerikanischer Irritationen. Die Sowjetunion bestand auf die Einbeziehung der formal in deutschem Besitz befindlichen Pershing 1A - Raketen in das Gesamtpaket des Vertrags. Erst am 24. August 1987 erklärte sich die Bundesregierung bereit, auch die 72 deutschen Pershing 1A abzubauen. Offiziell handelte es sich um eine autonome Entscheidung. Da sich die Atomsprengköpfe in US-Gewahrsam befanden, gab es in der Sache letztlich nichts zu entscheiden. Mit dem 'Stationierungsländer-Übereinkommen' vom 11. Dezember 1987 (Gesetz vom 29. April 1988) schafft die BRD die vertragliche Voraussetzung für sowjetische Inspektionen von amerikanischen Raketenbasen im Bundesgebiet.

Hinter der Skepsis der Regierung Kohl gegenüber der doppelten Null-Lösung steckte ein grundsätzliches Problem. Durch die Vernichtung von Mittelstreckenraketen änderte sich nichts an der sowjetischen Überlegenheit. Die Verschrottungsaktion betraf weder die konventionellen Waffen noch die atomaren Kurzstreckenraketen (Short Range Nuclear Forces - SNF) mit einer Reichweite von weniger als 500 km. Dies bedeutete eine besondere Bedrohung für beide deutsche Staaten. Andererseits hätte ein Abzug auch der atomaren Kurzstreckenwaffen den Verlust des gesamten nuklearen Schutzes bedeutet. Die Befürchtung einer "Abkopplung" der selbst nicht mehr bedrohten USA von Westeuropa kam wieder auf.

Ende 1987 verfügte die NATO über 88 veraltete Kurzstreckenraketen vom Type Lance; in den Arsenalen des Warschauer Paktes hingegen lagerten ca. 1400 zum Teil hochmoderne Systeme.

Die NATO stand vor der Alternative, entweder auf dem Gebiet der atomaren Kurzstreckenwaffen ihrerseits nachzurüsten oder einen vollständigen Abbau auch dieser Systeme herbeizuführen. Anfangs sprach sich die Bundesregierung gegen eine solche 'dritte Nulllösung' aus. Dies änderte sich 1988/89. Während die USA und Großbritannien auf eine Modernisierung der Lance-Raketen bestanden, wollte die Regierung Kohl jetzt mit der Sowjetunion über eine Reduzierung oder den vollständigen Abbau der sowjetischen Raketen verhandeln. Bündnisintern sollte nicht vor 1992 über die Einführung eines Nachfolgesystems entschieden werden.

3 Innerhalb der Bundesregierung trat Verteidigungsminister Wörner aus bündnis- und sicherheitspolitischen Gesichtspunkten ebenfalls für eine Modernisierung dieser Waffen ein. Außenminister Genscher setzte sich jedoch mit seinem Verlangen nach Abbau der atomaren Kurzstreckenwaffen bei gleichzeitigem Aufbau von Sicherheitsstrukturen mit der Sowjetunion und den Staaten Osteuropas durch. Zur Begründung des Kabinettsbeschlusses erklärte Bundeskanzler Kohl am 27. April vor dem Bundestag, dass die Bundesrepublik angesichts der Reichweite der Kurzstreckensysteme von der Problematik stärker berührt sei als die anderen NATO-Staaten.

Manfred Wörner (* 1934, † 1994), 1982 - 1988 Bundesminister der Verteidigung, 1988 - 1994 NATO-Generalsekretär.

dpa

Bei seinem Besuch vom 17. - 19. Januar 1988 in macht der sowjetische Außenminister Schewardnadse der Bundesregierung weitgehende Angebote in der zukünftigen Ausgestaltung der gegenseitigen Beziehungen, so zur Einbeziehung West-Berlins und zur Auslegung des Vier- Mächte-Abkommens.

Vom 24, - 27. Oktober 1988 besuchen Bundeskanzler Kohl und Außenminister Genscher die Sowjetunion. Kohl und Gorbatschow erklären ihre Bereitschaft, die "Zeit des Eises" durch ein freundlicheres Klima in den zwischenstaatlichen Beziehungen abzulösen. Hauptziele sind ein verbesserter Dialog und eine gute Nachbarschaft. Unterzeichnet werden Abkommen zum Umwelt- und Strahlenschutz, über die Raumfahrt, die Kernenergie und die Landwirtschaft. Auch die Teilung Deutschlands wird von Kohl angesprochen.

Im Frühjahr 1989 wurde die Kritik vor allem der amerikanischen und britischen Presse an der Bündnispolitik der Bonner Regierung immer stärker. Zweifel der Verbündeten an der Zuverlässigkeit der Bundesrepublik wurden laut. Wortschöpfungen wie "Genscherismus" entstanden.

Bei der Kritik an der Politik der Bundesregierung kamen alte Sorgen und Ängste der Verbündeten zum Vorschein. Immer wieder wurde die Vermutung geäußert, dass die Bundesrepublik, ohnehin die "dominierende Wirtschaftsmacht in West-Europa" nach neuer "Macht im Osten" strebe. Vor allem befürchtete man eine eigenständige Politik gegenüber der Sowjetunion.

Neben der Bundesregierung zögerten auch die Regierungen Belgiens, Dänemarks, Griechenlands, Spaniens und Italiens in der Frage der Modernisierung der Kurzstreckensysteme. Da Amerikaner und Briten auf der Modernisierung bestanden, kam es zu schweren Differenzen innerhalb der NATO. Ende Mai 1989 kam es zu einem Kompromiss: Die NATO vertagte ihre Entscheidung bis 1992. Da aber es gab es den Warschauer Pakt nicht mehr - auch nicht die Sowjetunion und die DDR.

Beim Staatsbesuch des sowjetischen Staats- und Parteichefs Michail Gorbatschow in der Bundesrepublik (12. - 15. Juni 1989) werden elf Abkommen und eine 'Gemeinsame Erklärung'

4 unterzeichnet, in der sich die UdSSR erstmals in einem bilateralen Dokument in allgemeiner Form zum Selbstbestimmungsrecht der Völker und zum Schutz von Minderheiten bekennt.

Multilaterale Rüstungskontrollvereinbarungen

Am 1. August 1975 war die 'Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa' (KSZE) durch die Unterzeichnung der 'Schlussakte von Helsinki' beendet worden. 35 Staats- und Regierungschefs aus Europa, den USA und Kanada hatten sich in Form einer Absichtserklärung auf gemeinsame politische Richtlinien und Grundsätze zur Erhaltung des internationalen Friedens geeinigt.

Die KSZE institutionalisierte ein Forum der Ost-West-Kommunikation, konnte jedoch einen erneuten Tiefpunkt in den Beziehungen zwischen Ost und West am Ende der siebziger Jahre nicht verhindern. Am 17. Januar 1984 wurde in Stockholm die 'Konferenz über Vertrauens- und Sicherheitsbildende Maßnahmen und Abrüstung in Europa' (KVAE) eröffnet, an der 33 Staaten Europas sowie die USA und Kanada teilnahmen. Ihr Ziele war es, vom Atlantik bis zum Ural Konflikte zu verhindern, soweit sie durch Missverständnisse und Fehleinschätzungen entstehen konnten. Die Schwerpunkte des abschließenden KVAE-Dokuments, das am 1. Januar 1987 in Kraft trat, lagen auf dem Gebiet der Ankündigung und Beobachtung von Manövern.

Ende März 1987 konnten erstmals zwei Bundeswehroffiziere in Uniform ein Manöver von sowjetischen Soldaten und Angehörigen der Nationalen Volksarmee auf dem Gebiet der DDR beobachten. Dies war eine Sensation und zugleich Ausdruck einer aufziehenden neuen Epoche!

Die Beziehungen zu Frankreich

Am 29. Dezember 1984 hatten François Mitterand und Helmut Kohl gemeinsam zwei Soldatenfriedhöfe auf dem Schlachtfeld von Verdun besucht. Was der damalige Händedruck der beiden Staatsmänner symbolisch zum Ausdruck brachte, wurde in die praktische Politik umgesetzt.

Ende Februar 1986 erklärte sich der französische Präsident bereit, den Bundeskanzler über den etwaigen Einsatz jener Atomwaffen zu konsultieren, deren Reichweite nicht über deutsches Gebiet hinausging. Hinzu kamen 1987 gemeinsame Manöver, die Anfänge einer koordinierten Offiziersausbildung, Planungen über einen gemeinsamen Panzerabwehrhubschrauber sowie die Aufstellung einer deutsch-französischen Brigade.

In der Zeit vom 19. bis 22. Oktober 1987 stattet der französische Staatspräsident Mitterand der Bundesrepublik seinen ersten offiziellen Staatsbesuch ab.

Als Deutsche und Franzosen am 22. Januar 1988 das 25jährige Jubiläum des Elysée- Vertrages begingen, wird ein gemeinsamer 'Verteidigungs- und Sicherheitsrat' eingerichtet. Damit soll die Abstimmung in den Bereichen Sicherheitspolitik, militärische Forschung und Rüstung sowie beim Einsatz gemischter Verbände erleichtert werden. Daneben wird die Einrichtung eines 'Wirtschafts- und Finanzrats' vereinbart.

Mit dem am 22. Januar 1963 von Bundeskanzler Adenauer und dem französischen Präsidenten de Gaulle unterzeichneten Elysée-Vertrag wurde die "Erbfeindschaft" zwischen beiden Völkern beendet und das Fundament für eine gemeinsame Politik in Europa gelegt.

5 12./13. November 1988: Auf dem 50. deutsch-französischen Jubiläumsgipfel im Karlsruher Schloss vereinbaren beide Staaten, ihre Sicherheitsgemeinschaft zu intensivieren, in Rüstungs- und Rüstungskontrollfragen verstärkt zusammenzuarbeiten und eine gemeinsame Brigade als Heeresgroßverband zu planen.

Europapolitik

Noch zu Beginn der ersten Regierung Kohl im Jahr 1982 stand die Europapolitik noch ganz unter dem Diktat der unmittelbaren Gefahrenabwehr (der Agrar- und Budgetkrise der Europäischen Gemeinschaft sowie der allgemeinen wirtschaftlichen Krise). Insbesondere durch den Amtsantritt von Jaques Delors als Kommissionspräsident der Europäischen Gemeinschaft gewannen die politischen Einigungsbestrebungen auf europäischer Ebene neuen Schwung. Die bisher primär ökonomisch ausgerichtete Europapolitik wurde politisiert.

Jacques Delors (* 1925), französischer Wirtschafts- und Finanzminister 1981 - 1984, Präsident der EG-Kommission 1985 - 1995.

Bild: dpa

Am 1. Juli 1987 tritt die 'Einheitliche Europäische Akte' (EEA) in Kraft, auf die sich der 'Europäische Rat' Ende 1985 in Luxemburg geeinigt hatte.

Von einer gemeinsamen Europäischen Außenpolitik konnte bis zu diesem Zeitpunkt kaum die Rede sein. Die Akte brachte die erste Reform der Römischen Verträge von 1957 und stellte eine Übergangslösung auf dem Weg zur vorerst nicht erreichbaren Politischen Union dar. Die seit Oktober praktizierte 'Europäische Politische Zusammenarbeit' (EPZ) wird erstmals europäischem Recht unterstellt. Forschung, Technologie und Umweltschutz werden in den Vertrag aufgenommen und damit Bestandteil des Gemeinschaftsrechts.

In die Akte aufgenommen wurde auch das Ziel, bis zum 31.Dezember 1992 schrittweise den EG-Binnenmarkt zu errichten. Der Europäische Rat verzichtet bei Beschlüssen vor Vollendung des freien Personen-, Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs auf Einstimmigkeit. In den meisten Bereichen genügt eine qualifizierte Mehrheitsentscheidung. Als Endziel wird die Errichtung einer 'Europäischen Union' festgelegt.

Das 'Europäische Parlament' erhält das Recht, an den Entscheidungen des 'Europäischen Rats' mitzuwirken. Allerdings bleibt dem Rat das letzte Wort vorbehalten. Hinsichtlich des Beitritts neuer Mitglieder zur Europäischen Gemeinschaft und dem Abschluss künftiger Assoziierungsverträge bekam das Parlament ein Mitentscheidungsrecht.

Am 11./12. Februar 1988 einigt sich der Europäische Rat in Brüssel auf eine Reform der Finanzierungs-, Agrar- und Strukturpolitik im Sinne des Delors-Pakets. Damit war eine wichtige Voraussetzung für die Errichtung eines EG-Binnenmarkts gegeben.

Das Delors-Paket enthielt die 1987 von der Europäischen Kommission vorgelegten Vorschläge

6 zur Reform des EG-Finanzsystems, zur Begrenzung der Agrarausgaben sowie zur Aufstockung der Strukturfonds.

Am Vorabend des weltpolitischen Umbruchs von 1989/90 fassten die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft den grundsätzlichen Beschluss, die erste Stufe einer europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, den Abbau aller Beschränkungen im Devisen- und Handelsverkehr, zum 1. Juli 1990 zu verwirklichen. Die beiden weiteren Stufen - die Angleichung der Finanz- und Währungspolitik, ein System fester Wechselkurse sowie eine gemeinsame Währung unter dem Dach einer europäischen Zentralbank - waren als Ziele ins Auge gefasst, jedoch noch nicht beschlossen.

Trotz unterschiedlicher Interessenlage und unterschiedlicher Gefahreneinschätzungen waren Frankreich und Deutschland in den 80er Jahren an einem Punkt angekommen, an dem sich die Einstellung der beiden Staaten gegenüber einer europäischen Währung zu decken begann. Frankreich wollte die "wirtschaftliche Atombombe" D-Mark des ökonomisch starken Nachbarn europäisieren, der deutsche Kanzler Helmut Kohl wollte die Bundesrepublik angesichts des instabiler werdenden Osten weiter in den Westen einbinden. François Mitterand nutzte die benötigte französische Zustimmung zur Wiedervereinigung Deutschlands als Faustpfand für die Währungsunion - den wohl bedeutendsten Teil des Vertrags von Maastricht (Februar 1992).

Innenpolitik

Innenpolitische Ereignisse

Am 23. Mai 1989 wird Bundespräsident Richard von Weizsäcker für eine zweite Amtszeit von fünf Jahren wieder gewählt. Er erzielt mit 86,2 % der Stimmen das zweitbeste Ergebnis seit der Wiederwahl von 1954 mit 88,2%.

Richard von Weizsäcker, *1920

1981 - 1984 Regierender Bürgermeister von Berlin, 1984 - 1994 Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland

Foto: bpa

Die Barschel-Affäre

Die Affäre um den Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein, Uwe Barschel (CDU), verursacht in der Bundesrepublik ein politisches Erdbeben. Ein Tag vor der Landtagswahl am 13. September 1987 erschien im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" ein Artikel, der sich auf Aussagen des ehemaligen Referenten von

7 Barschel, Reiner Pfeiffer, stützte. Danach hat der Ministerpräsident den SPD- Spitzenkandidaten Björn Engholm bespitzeln lassen, dessen Steuererklärung überprüft und Pfeiffer eine anonyme Anzeige gegen Engholm diktiert. Mit seinem "Ehrenwort" weist Barschel am 18. September alle Anschuldigungen zurück. Am 25. September übernimmt der Ministerpräsident die "politische Verantwortung" und tritt zurück. .

Anschließende staatsanwaltschaftliche Ermittlungen belasten Barschel schwer. Am 11. Oktober wird Uwe Barschel in der Badewanne eines Genfer Hotels tot aufgefunden. Die Umstände sind bis heute nicht geklärt. Die Barschel-Affäre verhilft der SPD bei den Neuwahlen zum Landtag von Schleswig-Holstein zu einem furiosen Sieg. Mit Björn Engholm übernimmt in diesem Bundesland erstmals ein Sozialdemokrat das Amt des Ministerpräsidenten. Dessen eigene Verwicklung in den Skandal war zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt.

Terrorismus

Am 13. Januar 1987 wird auf dem Frankfurter Flughafen der Libanese Muhammed Ali Hamadi festgenommen. Er hatte 9 Liter Flüssig-Sprengstoff im Gepäck. Da ihm vorgeworfen wurde, im Juli 1985 an der Entführung eines US-Verkehrsflugzeugs nach Beirut und an der Ermordung einer Geisel beteiligt gewesen zu sein, kommt er auf Antrag des US-Justizministeriums in vorläufige Auslieferungshaft. Die Entführungen des Geschäftsführers der Beiruter Niederlassung der Frankfurter Höchst-AG, Rudolf Cordes, am 17. Januar sowie des Siemens-Ingenieurs Alfred Schmidt in Beirut stehen im Zusammenhang mit dem Fall Hamadi. Hamadi wird am 17. Mai 1989 vom Landgericht zu lebenslanger Haft verurteilt.

Am 20. September 1988 verübt ein RAF-Kommando in Bonn einen Anschlag auf Hans Tietmeyer, Staatssekretär im Finanzministerium. Der Anschlag scheitert.

Am 30. November 1989 fällt der Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, in Bad Homburg einem Sprengstoffanschlag der RAF zum Opfer.

Alfred Herrhausen (*30.01.1930 - 30.11.1989), 1988 - 1989 alleiniger Sprecher des Vorstands der Deutschen Bank.

Foto: dpa

Parteien

Der SPD-Parteivorsitzende beruft am 17. März 1987 die parteilose Journalistin Margarita Mathiopoulos zur neuen SPD-Sprecherin. Nach scharfer innerparteilicher Kritik erklärt Frau Mathiopoulos ihren Verzicht auf das Amt. Am 23. März erklärt Brandt seinen Rücktritt als Parteivorsitzender. Auf einem Sonderparteitag der SPD wird der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Hans-

8 Jochen Vogel, zum Parteivorsitzenden gewählt. Brandt erhält den Ehrenvorsitz.

Auf dem Parteitag der SPD in Münster (30.8. - 2.9.1988) wird eine Quotenregelung für Frauen beschlossen, nach der spätestens ab 1998 40% der Parteiämter und Mandate für Frauen reserviert sind, darunter eine Position im Parteivorsitz.

Auf dem Bundesparteitag der FDP in Wiesbaden (7. - 9.10.1988) wird der rechtskräftig wegen Steuerhinterziehung verurteilte frühere Bundeswirtschaftsminister zum neuen Bundesvorsitzenden gewählt.

Die Bundesversammlung der Grünen wählt nach internen Auseinandersetzungen am 3. Dezember 1988 ihren mehrheitlich fundamentalistisch ausgerichteten Bundesvorstand ab. Am 4. März wird ein neuer Vorstand gewählt, in dem alle Parteiströmungen vertreten sind.

Eine Gedenkrede des Bundestagspräsidenten (CDU) im Bundestag am 10. November 1988. zum 50. Jahrestag des Novemberpogroms 1938 (Reichskristallnacht) endet mit einem Eklat. Rund 50 Abgeordnete verließen das Parlament, da bei Jenningers Rede, in der er die Entstehung der nationalsozialistischen Diktatur zu erklären versuchte, der Eindruck entstehen konnte, er wolle die Nazi-Verbrechen rechtfertigen. Jenninger tritt, gedrängt von seiner eigenen Partei, am 11. November zurück.

Am 5. Dezember 1988 wird ein bereits im Dezember 1987 aufgetretener Störfall im hessischen Atomkraftwerk Biblis A bekannt. Der Umstand, das der Kraftwerksbetreiber, die Rheinisch-Westfälische Elektrizitätsgesellschaft RWE, den Vorfall gegenüber der Aufsichtsbehörde verharmlost und die Landesregierung sowie die Öffentlichkeit nicht informiert hat, führt zu einer neuen Diskussion über die Sicherheit von Atomkraftwerken.

Innenpolitische Maßnahmen

Innere Sicherheit: Der Bundestag verabschiedet am 21. April 1989 Gesetze zur wirksameren Bekämpfung von Straf- und Gewalttaten (z.B. bei Menschenraub, Geiselnahme, Waffendiebstahl) sowie von Ausschreitungen bei Demonstrationen (Vermummung ist strafbar!). Eine bis Ende 1992 befristete Kronzeugenregelung für Terroristen wird verabschiedet.

Asylanten, Aussiedler, Zuwanderer

6. Januar 1987: Die Novellierung des 'Asylverfahrensgesetzes' soll den Missbrauch des Asylrechts weiter einschränken und das Anerkennungsverfahren beschleunigen. Fluggesellschaften dürfen Asylbewerber ohne gültiges Visum nicht mehr in die Bundesrepublik befördern.

Am 31. August 1988 beschließt die Bundesregierung ein Sonderprogramm zur Eingliederung der Aussiedler. Für 1989 werden 1,74 Mrd. DM bereitgestellt, darunter 750 Mio. DM für den Neu- und Umbau von Wohnungen.

Die Aufnahmelager registrierten für 1988 insgesamt 202.673 aus Osteuropa. Außerdem finden 39.832 (1987: 18.958) Deutsche aus der DDR als Zuwanderer Aufnahme in der Bundesrepublik.

9 Beschlüsse gegen Asylbewerber und "Wirtschaftsflüchtlinge": Das Kabinett beschließt am 8. März 1989 die Einführung einer Visumspflicht für Bürger aus 14 afrikanischen, asiatischen und südamerikanischen Staaten.

Umwelt

Der Bundestag beschließt am 3. Dezember 1987 eine gesetzliche Regelung, nach der es vom 1. Februar 1988 an kein verbleites Normalbenzin mehr geben wird.

Am 8. Dezember 1987 veröffentlicht Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) ein Maßnahmenpaket zum Schutz des Bodens und des Trinkwassers. Als Konsequenz aus einem Atommüllskandal (falsch deklarierte Atommüllfässer, hohe Schmiergeldzahlungen) beschließt das Bundeskabinett am 7. Dezember 1988 die Einrichtung eines Bundesamtes für Strahlenschutz. Aufgabe der dem Bundesumweltministerium unterstehenden Behörde ist es, die Umsetzung des Atomgesetzes wirksam zu kontrollieren.

Ladenschluss: Am 2. Juni 1989 verabschiedet der Bundestag das Gesetz zur Einführung des Dienstleistungsabends: Ab 1.Oktober können Geschäfte, Banken und andere öffentliche Dienstleistungsbetriebe donnerstags bis 20.30 Uhr geöffnet bleiben; zum Ausgleich werden am langen Samstag im Sommer die Öffnungszeiten von 18 auf 16 Uhr verkürzt.

Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik

Ziel der Finanzpolitik der Regierung Kohl war seit 1982 die Konsolidierung des Bundeshaushalts durch Senkung der Neuverschuldung. Konkret bedeutete dies Einsparungen bei Personalausgaben und Bauinvestitionen, die Heraufsetzung der Mehrwertsteuer von 13 auf 14% und verstärkte Rückführungen der Sozialausgaben. Von Steuervergünstigungen für die Unternehmen erwartete man ein Ansteigen der Investitionstätigkeit und, damit verbunden, die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen. Großen Wert legten Bundesregierung und Bundesbank auf die Stabilität des Binnen- und Außenwertes der D-Mark.

Im Winter 1982/83 setzte ein konjunktureller Aufschwung ein. Er verlief jedoch verhaltener, als dies die Bundesregierung von der Investitionstätigkeit steuerbegünstigter Unternehmen erwartet hatte. Die Unternehmergewinne stiegen zunächst stärker als die Investitionen. Als 1984 die Exporte vom hohen Dollarkurs profitierten, nahmen die Investitionen schubartig zu. Der Verfall des Dollars zwischen 1985 und 1987 bewirkte eine Stagnation des Exports. Da zugleich die Einfuhrpreise, insbesondere für Öl, sanken, nahmen jedoch die Außenhandelsüberschüsse seit 1985 zu. Zwischen 1986 und 1988 herrschte praktisch Preisstabilität.

Im Gegensatz zur Stabilitätspolitik von Bundesregierung und Bundesbank gab die amerikanische Politik den Steuererleichterungen eindeutige Priorität vor einem Ausgleich des Haushalts. Die Staatsausgaben im Sozialbereich wurden rigoros abgebaut. In Verbindung mit verstärkten Rüstungsausgaben häufte die Regierung Ronald Reagan hohe Haushaltsdefizite an.

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Ronald Reagan (* 1911, † 2004), Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika 1981 - 1989

Worldpress

Der Republikaner Ronald Reagan setzte nach seinem Sieg bei der US-Präsidentenwahl 1980 viele Energien in die Erneuerung des amerikanischen Selbstbewusstseins, das durch den Vietnamkrieg und die Watergate-Affäre stark gelitten hatte. Die Wiederherstellung der weltweiten Führungsposition der Vereinigten Staaten sollte vor allem in den Bereichen Militär und Wirtschaft erfolgen.

Nach dem Verfall des Dollars forderte die US-Regierung von der Bundesregierung eine expansive Geld- und Wachstumspolitik. Bedacht auf Stabilität des Geldwertes lehnten dies die Regierung Kohl und die Deutsche Bundesbank ab und verlangten ihrerseits von den Amerikanern eine Politik des Haushaltsausgleichs.

Am 22. Februar 1987 vereinbarten die Finanzminister und Notenbankchefs der führenden westlichen Industrienationen in Paris im so genannten 'Louvre- Abkommen' eine intensivere Abstimmung der Wirtschafts- und Währungspolitik, um die vorhandenen Ungleichgewichte (Defizit auf amerikanischer, Überschüsse auf deutscher und japanischer Seite) abzubauen und die Währungskurse auf dem zu diesem Zeitpunkt erreichten Niveau zu stabilisieren.

Da der Druck auf die amerikanische Währung trotz des Louvre-Abkommens nicht nachließ, entschloss sich die amerikanischen Notenbank zu einer Erhöhung der kurzfristigen Zinsen zur Stützung des Wechselkurses. Plötzlich überfiel Unsicherheit die Märkte und der amerikanische Dow-Jones-Index verlor zwischen August und Oktober 1987 bereits 475 Punkte.

Die deutsch-amerikanischen Spannungen verschärften sich im Herbst 1987. Am 17. Oktober kritisierte der amerikanische Finanzminister James Baker in einem Interview die geplante deutsche Quellensteuer und die kurz zuvor erfolgte leichte Anhebung des Zinssatzes für kurzfristige Wertpapieremissionsgeschäfte der Bundesbank. Durch die Leitzinsanhebung in Deutschland stieg der Kurs der D-Mark gegenüber dem Dollar weiter an. Als Gegenmaßnahme kündigte Baker eine überraschende Anhebung der amerikanischen Zinsen an. In der Folge kam es am 19. Oktober zu einem Börsenkrach. Wider Erwarten beruhigten sich die Turbulenzen.

Erstmals in der Geschichte hatten Computer einen großen Anteil an den fallenden Kursen. Der damals noch neue elektronische Handel eröffnete erstmals die Möglichkeit, Aktien in großen Mengen automatisch abzustoßen, sobald der Kurs unter eine bestimmte Kursmarke fiel. Der Überhang an Verkaufsaufträgen und die computergesteuerten Verkaufsprogramme zur Kursabsicherung führten so zu einem sich selbst verstärkenden Preisverfall.

11 Bereits seit 1985 nahm auch die Zahl der Erwerbstätigen deutlich zu, allein zwischen 1985 und 1987 um eine knappe halbe Million.

Ein substanzieller Rückgang der Arbeitslosigkeit war damit allerdings nicht verbunden. Ein Grund lag neben dem fortschreitenden wirtschaftlichen Strukturwandel in der erhöhten Nachfrage nach Erwerbsarbeit durch geburtenstarke Jahrgänge und insbesondere durch Frauen. Die 1983 im Jahresmittel über 2 Mio. gestiegene Zahl der Arbeitslosen verblieb bis 1989 über dieser Grenze, mit einem Spitzenwert von über 2,3 Mio. im jährlichen Mittel 1985.

Die von Steuersenkungen für Unternehmen begleitete Konsolidierung des Bundeshaushalts hatte in den ersten Jahren der Regierung Kohl zu einer Minderung des verfügbaren Einkommens der Verbraucher geführt. 1986 und besonders in der zweiten Regierungszeit Helmut Kohls wurden neue wirtschafts- und sozialpolitische Akzente gesetzt.

Die Einführung des Bundeserziehungsgelds und des Erziehungsurlaubs 1986 folgte dem Ziel der "Gleichrangigkeit von Erwerbs- und Familienarbeit". Dies galt auch für die Anrechnung von Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung, welche in die im November 1989 verabschiedete und 1992 in Kraft getretene Rentenreform einging.

Die zentrale wirtschafts- und finanzpolitische Maßnahme lag in der Steuerreform, die - nach erheblichen Differenzen vor allem zwischen dem Arbeitnehmer- und dem Wirtschaftsflügel in der CDU - 1986, 1988 und 1990 in drei Stufen umgesetzt wurde und die vor allem mit Steuerfreibeträgen operierte. Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen wurden vor allem durch eine dreimalige Anhebung des Grundfreibetrags und Familien durch die Anhebung von Kinder-, Ausbildungs- und sonstigen Freibeträgen sowie des Baukindergeldes entlastet.1990 schließlich wurden der Eingangssteuersatz von 22 auf 19% reduziert und der Spitzensteuersatz von 56 auf 53% gesenkt. Außerdem wurde ein linear-progressiver Tarif eingeführt.

Die Rentenreform versuchte dem Problem der demographischen Alterung der Gesellschaft mit ihrer Konsequenz eines steigenden Anteils von Rentnern durch verschiedene Kostenreduzierungen zu begegnen: Die Altersgrenze wurde von 60 auf 63 Jahre angehoben, die Rentenformel neu gestaltet und beitragsfreie bzw. beitragsgeminderte Zeiten neu bewertet. Außerdem wurden die Renten an die Netto- statt an die Bruttolohnentwicklung gebunden.

Das umstrittene Gesetz zur Reform des Gesundheitswesens wird am 25. November 1988 vom Bundestag mit den Stimmen der Koalitionsmehrheit verabschiedet; am 16. Dezember stimmt auch der Bundesrat zu.

Die Strukturreform im Gesundheitswesen soll durch Leistungskürzungen und höhere Selbstbeteiligung der Patienten die Ausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung eindämmen. So wird zum Beispiel der Kostenersatz beim Zahnersatz, bei Brillen und beim Sterbegeld eingeschränkt. Die Rentnerbeiträge zur Krankenversicherung steigen. Pflegebedürftige erhalten erstmals Leistungen: Wer sie betreut, kann sich jährlich vier Wochen lang von einer bezahlten Ersatzkraft vertreten lassen und monatlich Pflegegeld erhalten, soweit nicht Pflegestunden durch eine Fachkraft in Anspruch genommen werden.

Weitere Reformen / Maßnahmen

1. Juli 1987: Das Baugesetzbuch, das Städtebauförderungs- und Bundesbaugesetz vereint, tritt in Kraft Es stärkt die Planungshoheit der Gemeinden und verkürzt das Baugenehmigungsverfahren.

11. Dezember 1987: Die aus Vertretern der Bundesregierung, der Regierungen von

12 Nordrhein- Westfalen und des Saarlandes, der Bergbauindustrie sowie der IG Bergbau bestehende "Kohlerunde" vereinbart eine Verringerung der Förderkapazität der Steinkohle bis 1995 um 13 bis 15 Mio. t. Der damit verbundene Abbau von rund 30 000 Arbeitsplätzen soll "sozialverträglich" gestaltet werden und Massenentlassungen vermeiden.

24. Februar 1988: Sonderprogramm Montanunion: Vertreter von Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften beraten mit Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) über die Lösung der Strukturkrise im Ruhrgebiet. Die Bundesregierung stellt 400 Mio. DM für ein Sonderprogramm Montanregion in Nordrhein-Westfalen bereit. Weitere 500 Mio. DM sollen vom Land und 100 Mio. DM aus EG-Mitteln dazukommen. Außerdem sollen Bahn und Post sowie das Bau- und Forschungsministerium Investitionen in Milliardenhöhe in der Region zeitlich vorziehen.

21. Februar 1989: Landwirte können eine 'Produktionsaufgaberente' erhalten, wenn sie nach dem 58. Lebensjahr bestimmte Beitragszeiten in der Altershilfe nachweisen und ihren Betrieb stilllegen oder "strukturverbessernd" übergeben. Dieser Vorruhestand der Landwirte soll den Agrarmarkt entlasten, die Agrarstruktur modernisieren helfen und die landwirtschaftliche Überproduktion in der EG begrenzen.

1. Juli 1989: Poststrukturreform: Die betrieblichen Aufgaben der Deutschen Bundespost als bundeseigene Verwaltung werden vom Postdienst ("Gelbe Post"), von der Postbank und von der Telekom (Fernmeldedienste) wahrgenommen. Hoheitliche Aufgaben und Rechtsaufsicht obliegen dem Bundesministerium für Post und Telekommunikation. Fernmeldenetz und Telefondienst bleiben im Monopol, nicht jedoch die sonstigen Kommunikationsdienste, so z.B. der Endgerätemarkt.

Begünstigt durch Kostenminderungen ebenso wie durch eine hohe Inlandsnachfrage - nicht zuletzt von Seiten der durch die Steuerreform entlasteten Privathaushalte - ging der moderate Aufschwung mit Wachstumsraten um 2% dann in eine veritable Hochkonjunktur mit Wachstumsraten um 4% und 1990 gar über 5% bei relativ geringen Inflationsraten zwischen 1988 und 1990 über.

Deutsch-deutsche Beziehungen

Die Ost- und Deutschlandpolitik Helmut Kohls verlief bis 1989 auf zwei Ebenen, zum einen in der ständigen Betonung der Rechtsstandpunkte der Bundesrepublik und des Selbstbestimmungsrechts, zum anderen in der praktischen Zusammenarbeit mit der DDR. Die Betonung lag auf Freiheit und Selbstbestimmungsrecht anstelle der territorialen Einheit.

Zum Abschluss eines mehrtägigen Besuchs in der DDR schließt die Delegation des DGB mit dem Vorsitzenden Breit an der Spitze am 29. Mai 1987 "eine Vereinbarung zur Weiterführung der Beziehungen" mit dem FDGB. Darin ist erstmals vorgesehen, dass Mitglieder beider Gewerkschaftsbünde gegenseitig "zum Besuch der gewerkschaftlichen Freizeit- und Erholungseinrichtungen" eingeladen werden sollen.

In einem am 27. August 1987 in Bonn und Ost-Berlin veröffentlichten gemeinsamen Grundsatzpapier "Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit" plädieren SED und SPD für einen friedlichen Wettbewerb der Systeme und für einen "systemöffnenden" Dialog.

Auf Einladung von Bundeskanzler Kohl besucht der Staatsratsvorsitzende der DDR und Generalsekretär der SED vom 7. - 11. September 1987 die Bundesrepublik. Der

13 höchste DDR-Repräsentant wird bei seiner Staatsvisite mit allen protokollarischen Ehren - unter anderem mit DDR-Hymne und DDR-Flagge - empfangen. Allgemein wurde Honeckers Besuch als die politische Anerkennung der DDR durch die Bundesrepublik aufgefasst.

Die Gespräche der Bundesregierung ändern nichts an den prinzipiellen Meinungsverschiedenheiten zur nationalen Frage, doch wirken sich die unmittelbaren Kontakte positiv auf Reiseverkehr, Tourismus, Jugendaustausch, Einfuhrbestimmungen, Städtepartnerschaften u. a. aus.

Drei Abkommen werden unterzeichnet: 1. über den Informationsaustausch in den Bereichen Gewässerschutz, Luftreinhaltung, Natur- und Waldschutz, Abfallwirtschaft, 2. zur gegenseitigen Information über kerntechnische Anlagen sowie über erhöhte Werte der Radioaktivität, 3. über die Zusammenarbeit auf den Gebieten der Wissenschaft und Technik.

An dem "Staatsakt der DDR" anlässlich der 750-Jahr-Feier von Berlin in Ost-Berlin am 23. Oktober 1987 nehmen aus der Bundesrepublik der saarländische Ministerpräsident Lafontaine und die Bürgermeister von Hamburg, , und von Bremen, , teil.

Im Laufe des Jahres 1988 finden zahlreiche Gespräche von Politikern der CDU, FDP und SPD mit Politikern der DDR statt. Eine Einladung Erich Honeckers zum 'Internationalen Treffen für kernwaffenfreie Zonen' in Ostberlin wird sowohl von Bundeskanzler Kohl als auch vom bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß am 27. April abgelehnt. Am 9. Mai 1988 beendet Helmut Kohl eine dreitägige private Reise durch die DDR.

Am 14. September 1988 verabreden die beiden deutschen Staaten Verbesserungen im Transitverkehr zwischen West-Berlin und dem Bundesgebiet sowie eine Erhöhung der Transitpauschale ab 1990

In seinem Bericht zur Lage der Nation verweist Helmut Kohl am 1. Dezember 1988 auf Fortschritte im innerdeutschen Verhältnis vor allem hinsichtlich der Erleichterungen im Reiseverkehr. Er beklagt aber auch die andauernden Belastungen, da die DDR jegliche Reformbemühungen blockiere.

Am 19. Januar 1989 erklärt der DDR-Staatsratsvorsitzende Erich Honecker, der "antifaschistische Schutzwall" [die Mauer] bleibe so lange bestehen, "wie die Bedingungen nicht geändert werden, die zu seiner Entstehung geführt haben. Er wird in 50 oder auch in 100 Jahren noch bestehen bleiben."

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