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Essays Nonfiction

1926-07-11

Helen Wills' Persönlichkeit und Spiel

Suzanne Lenglen

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BYU ScholarsArchive Citation Lenglen, Suzanne, "' Persönlichkeit und Spiel" (1926). Essays. 618. https://scholarsarchive.byu.edu/sophnf_essay/618

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Von Suzanne Lenglen.

Paris, Ende Juni.

Durch sieben Jahre habe ich den Titel der Tennismeisterin der Damen verteidigt. Ich hatte dabei Gelegenheit, Gegnerinnen aus allen Weltteilen zu begegnen und sie genau zu studieren, denn zaubert, ähnlich wie Poker, Eigenschaften hervor, die sonst nicht deutlich sichtbar sind, und Mängel, die meist wohl verborgen werden.

Die ganze Zeit hindurch bin ich niemals einer Spielerin begegnet, deren Anlagen und Eigentümlichkeiten so außergewöhnliche gewesen sind wie die von Miß Helen Wills, der olympischen Siegerin und amerikanischen Meisterin.

Vor allem machte ihre Schönheit auf mich Eindruck. Unter erstklassigen Spielerinnen gehören so „saubere“ wie Helen Wills zur Seltenheit. Sie mag für einen phantasievollen Schilderer oder für amerikanische Tennisenthusiasten, die sich in farbenreichen Kosenamen gefallen, eine „kleine, unbewegliche Pokerphysiognomie“ haben, mir hingegen verriet die stille Ruhe ihrer hübschen Gesichtszüge nicht Unerforschlichkeit, sondern natürliche Vornehmheit, mädchenhafte Bescheidenheit und wohlerzogene Einfachheit. Ihr Aussehen wird durch ihre Manieren nicht Lügen gestraft.

Sie begrüßt einen mit lebhaftem, festem Handschlag, der weder zu dreist noch zu schüchtern ist, und mit einem lieblichen Lächeln, das sehr einschmeichelnd wirkt. Es schwebt eine „Laß-uns-Freunde- sein“ –Haltung in ihrem Wesen, die mich sofort für sie erwärmte – sie ist mit einem Wort, wie wir Franzosen es nennen, sympathisch.

Sie kam an die Riviera, um sich mit mir zu messen und mir einen Titel zu entreißen, der vielleicht der gewichtigste der ganzen Welt des Frauensportes ist, doch lag in ihrem Betragen mir gegenüber weder Unfreundlichkeit noch Feindseligkeit, kein Zeichen von Gegnerschaft, ja nicht einmal ein Merkmal der Unterdrückung eines derartigen Empfindens.

Wenn irgendein Zwang auf dieser entzückenden Kalifornierin lastet, so ist es der der Würde. Es gibt nichts Hypermodernes im neuen Sinne dieses Wortes an ihr. Ich habe typische amerikanische Girls gesehen und könnte nicht behaupten, daß sie meine unverholene [sic] unverhohlene Bewunderung errungen hätten. Ich glaube nicht, daß Bubikopf, Jazz und das ultramoderne Mädel ebenso seine Typen sind wie der gelassene und sittsame Tennischampion von Amerika. Habe ich recht mit der Vermutung, daß dieser flotte Typus tatsächlich in der Minderheit bleibt und daß Helen Wills ein vortreffliches Beispiel des echten amerikanischen Mädchens ist?

Eine andere bewundernswerte Eigenschaft dieses lieben Mädchens bildet seine vornehme sportliche Gesinnung. Jüngst sah ich Miß Wills bei einem Turnier im gemischten Doppelspiel unter der Leitung eines Mannes spielen, der zweifellos eher infolge seiner Stimmkraft als wegen der Schärfe seines Auges gewählt worden war. Es waren nicht nur seine Entscheidungen falsch, sondern er verwechselte auch das score in einer Weise, die alle Spieler abschrecken mußte. Miß Wills war die einzige der vier Spieler, die nicht murrte oder finstere Blicke in die Richtung des Schiedsrichters warf. Ich weiß, daß sie sich ärgerte, bewunderte sie jedoch, weil sie es nicht merken ließ. Es ist für mich eine schwierige und delikate Angelegenheit, mich über Miß Wills‘ Spiel zu äußern. Ich nehme mir die Freiheit der älteren und weit erfahreneren Spielerin, um zu analysieren, was mir ihre guten und schlechten Seiten zu sein scheinen. Ihr Service ist so gut wie das irgendeiner Spielerin der Welt. Es hat genügend Schärfe, um die weiblichen Durchschnittsspieler zu plagen, und ich habe oft gesehen, wie sie Spieler durch keine andere Fähigkeit als diese besiegte. Sie verfügt über einen schnellen, genauen Forehanddrive und spielt am besten an der Grundlinie. Ihr [sic.] Ihre und die Schläge über Kopfeshöhe haben sich, seitdem ich sie zum erstenmal in Wimbledon spielen sah, sehr verbessert, aber beide, besonders die letzteren, lassen noch viel zu wünschen übrig. Zweifellos bannt sie ihr schwaches Spiel hoher Bälle an die Grundlinie und hindert sie, ihr Netzspiel zu vervollkommnen, solange man nicht über einen soliden und verläßlichen hohen Schlag verfügt, weil man ohne ihn stets in der Gefahr eines lob schwebt. Miß Wills ist besser auf den Füßen als es den Eindruck macht. Sie ist auch ohne Zweifel ein kräftiges Mädchen, und ich, die ich nie allzu gesund war, begreife, was für einen Vorteil das bedeutet.

Handelt es sich um das Temperament, dann halte ich es für unmöglich, in allen Tennisreichen einen größeren Gegensatz zu finden, als er zwischen Miß Wills und mir besteht. Sie spielt ruhig und gesetzt, wogegen ich ein Nervenbündel bin. Einmal auf dem Spielplatz, kann ich nicht ruhig bleiben; ich bin fortwährend in Bewegung, jeder Nerv fiebert in mir, den Alarm erwartend, auf das Geknatter des Balles lauernd, der mich in Aktion bringen soll.

Ich gönne meinen Nerven auch zwischen den umstrittenen Punkten keine Rast, sie befinden sich vielmehr während des ganzen Spieles in dem gleichen Grad der Aufregung. Miß Wills schenkt ihren Nerven Ruhe; ihr langsamer, gemessener Gang zur servierenden oder empfangenden Stellung verrät vollkommene Beherrschung ihrer selbst und ihres Nervensystems. Wir führen beide das Spiel natürlich so, wie es zu unserem Temperament am besten paßt, und es wäre tollkühn, wollten wir versuchen, es zu ändern.

Es wäre mir ein Vergnügen, Miß Wills in der Zukunft noch oft zu begegnen. Sie ist eine mutige Gegnerin, und ich bin überzeugt, daß unser Match immer einen interessanten Verlauf nehmen wird. Das ist, abgesehen vom Sieg, das wichtigste.