Kultur

REGISSEURE Master of the Universe „Vergessene Welt“ ist der erste von drei neuen Filmen, mit denen seine Macht als König des großformatigen Hollywood-Entertainments beweist – vier neue Biographien, allesamt unautorisiert, beschreiben den Aufstieg des Kino-Wundermannes. Von Urs Jenny UNIVERSAL Rekordfilm „Vergessene Welt“: Dinosaurier ohne Seele

r macht Filme, weil er nichts anderes anteil an „“ auf 250 Millionen kann. Er macht Filme, um sich eige- Dollar, dazu kamen gut 100 Millionen Ene Wünsche zu erfüllen, aber eben- Dollar für all jene Zusatzgeschäfte, die man sosehr, weil ihm ihr Erfolg wie nichts sonst heute Merchandising nennt. das Gefühl gibt, geliebt zu werden. Viel- Nun hat Spielberg zu einem neuen leicht kann er es besser als alle anderen, je- Sprung angesetzt, er will mit der Fortset- denfalls hat niemand sonst soviel Erfolg zung „The Lost World“ („Vergessene damit gehabt. „Alle meine Filme haben Welt“) den Weltrekord von „Jurassic Park“ ihren Ursprung in meiner Kindheit.“ überbieten. „The Lost World“ hat es ge- Zu den Wünschen, die Steven Spielberg schafft, schneller als je zuvor irgendein weiterhin hegt, weil er sie sich noch nicht Film (nämlich innerhalb von sechs Tagen) erfüllen konnte, gehört der, ein großes Mu- 100 Millionen Dollar in die nordamerika- sical zu machen. Vor langer Zeit einmal nischen Kinokassen zu holen, dennoch hat er einem seiner Wohnungsnachbarn im wird sich erst auf dem internationalen New Yorker Trump Tower, Andrew Lloyd Markt (vom 7. August an in Deutschland) Webber, eine Zusammenarbeit vorge- entscheiden, ob es zu einer neuen Höchst- schlagen. „Sag mal, Steven“, fragte da der marke reicht. Komponist, „was verdienst du eigentlich „The Lost World“ mag eleganter erzählt mit deinen Filmen?“ „Na ja“, sagte Spiel- und technisch noch brillanter als „Jurassic berg, „die ,Unheimliche Begegnung‘ und Park“ sein, ist aber doch naturgemäß das- ,E.T.‘ haben mir jeweils gute 100 Millionen selbe noch mal, ohne die Originalität der Dollar eingebracht.“ Lloyd Webber rech- Erfindung, ohne den Kick des Noch-nie- nete sich die Summe in englische Pfund Gesehenen; und auch im zweiten Anlauf ist um und kam zum Fazit: „Das ist ja kaum es Kino-Gott Spielberg nicht gelungen, ei- der Mühe wert.“ nen Dinosaurier mit Seele zu erschaffen. Seither hat Steven Spielberg ein paar Natürlich macht er solche Filme längst Filme gemacht, die sich für ihn besser lohn- nicht mehr wegen des bloßen Profits, son- ten, etwa weitere Indiana-Jones-Abenteu- dern eher aus sportlichem Reiz, aus Re- er und vor allem jenen, mit dem er 1993 kordlust, doch gewiß wird sich diesmal seinen eigenen „E.T.“ als größten Kino- (auch nach Lloyd Webbers Kriterien) die Kassenschlager aller Zeiten übertraf: „Ju- Mühe lohnen: „The Lost World“ hat schon rassic Park“. Das Wirtschafts-Fachblatt einen sicheren Spitzenplatz auf der Liste forbes veranschlagte Spielbergs Gewinn- der größten Kino-Kassenschlager, einer Li- Regisseur Spielberg: Er hat als Kind begriffen,

154 der spiegel 31/1997 ste, die ja seit Jahren im wesentlichen brot, Erbsen, Milch und Parmesan gemixt lebenden Frosch sezieren sollte: Erst ver- von dem Freundestrio Steven Spielberg, und in Tüten gefüllt. Bei einer besonders suchte Steven, die Frösche in Freiheit zu George Lucas und Robert Zemeckis be- ekligen Filmszene begannen sie dann, setzen, dann lief er hinaus, weil er sich setzt gehalten wird. Kotz-Geräusche zu mimen und die Pampe übergeben mußte. „Ich war damit nicht al- Als 1960 ein Saurier-Gruselfilm mit über die Balkonbrüstung hinunterkleckern lein“, hat er später erzählt, „aber alle an- dem Titel „The Lost World“ in die US-Ki- zu lassen. Nur die Suggestivwirkung hatten dern waren Mädchen.“ nos kam, hatte ein 13jähriger Junge in sie nicht vorausgeahnt: Es mußten sich im Aus beiden Anekdoten hat Spielberg, Phoenix/Arizona, weil er mehr an Aliens Saal so viele Leute übergeben, daß die Vor- der Alles-Verwerter, etwas zu machen ge- als an Dinos interessiert war, einen Ein- stellung unterbrochen wurde. Die kleinen wußt: Der Streich im Horrorkino wird in fall, den er für witzig hielt: Bevor er mit ein Strolche entkamen über die Feuertreppe. dem Film „“ erzählt, den er paar Freunden ins Kino ging, wo sie sich Die andere Kotz-Geschichte aus Steven verfaßte und produzierte, und die Frosch- auf die vorderste Balkonreihe drängelten, Spielbergs Jugend handelt davon, wie ein- Geschichte hat er mit seinem Helden in hatten sie zu Hause einen Brei aus Weiß- mal im Biologieunterricht jedes Kind einen „E.T.“ nachinszeniert. Was seine mär- chenhaften Filme an Wirklichkeitsnähe ha- ben, verdanken sie dem erlebten Detail, der noch immer lebendigen, nachbeben- den Kinderangst. Steven muß ein Kind voller Ängste ge- wesen sein. Manche hat er durch Filmarbeit gebannt (etwa die Angst vor dem Meer durch den „Weißen Hai“), andere verfol- gen ihn nach wie vor: Noch immer traut er sich allein in keinen Fahrstuhl; noch immer kaut er an seinen Fingernägeln herum; noch immer muß er sich bei Entschei- dungsstreß übergeben, zum Beispiel am Beginn eines schwierigen Drehtags. Und während er sich den Wunsch eines einsamen Kindes nach einem Idealgefähr- ten mit „E.T.“ auf unvergleichliche, über- wältigende Weise erfüllte, war es ihm ein geradezu zwanghaftes Bedürfnis, zur sel- ben Zeit in dem Film „Poltergeist“ (den er entwarf, produzierte und zum Teil auch inszenierte) ein kleines Kind dem schlimm- sten Alptraum-Horror auszuliefern. Er sorgte sogar dafür, daß diese beiden kom- plementären Traumstücke, das höllische und das himmlische, gleichzeitig im Früh- jahr 1982 in die Kinos kamen. Offenbar hat Spielberg schon als Kind früh begriffen, daß man eines Angstgefühls am besten Herr wird, indem man sich selbst in einen Angstmacher verwandelt: Dann vermag man aus dieser „Identifika- tion mit dem Aggressor“ sogar Lust zu ge- winnen. Eine ganze Reihe von Anekdoten aus seiner Jugend handelt davon, mit welch erfinderischer Bösartigkeit er durch insze- nierte Gruselnummern seine drei kleineren Schwestern terrorisierte. Der Lustgewinn muß beträchtlich gewe- sen sein. Als bei der Arbeit am „Weißen Hai“ die Geduld der Produzenten er- schöpft war (weil sich die veranschlagte Drehzeit wie die veranschlagten Kosten mindestens verdreifacht hatten), drehte Spielberg auf eigene Kosten im Swim- mingpool der Filmcutterin einen letzten Horroreffekt, den er sich nicht verkneifen wollte. Und noch bei der Arbeit am zwei- ten Indiana-Jones-Film schwelgte er so lust- voll in Gruselmomenten, daß er das Kras- seste selber wieder wegschneiden mußte, um die Jugend-Freigabe des Films nicht zu gefährden. Es ist nicht unlauter, auch bei manchen

UNIVERSAL Schmerzmomenten von „Schindlers Liste“ daß man eines Angstgefühls Herr wird, indem man sich in einen Angstmacher verwandelt an Spielbergs Horrorlust zu denken; ohne

der spiegel 31/1997 155 Kultur Identifikation mit dem Aggressor wäre der haben könnte – und keiner hat eine plau- Lagerkommandant Göth keine so faszi- Der Rekord-Regisseur sible Antwort. nierend ambivalente Filmfigur geworden. Steven Spielbergs erfolgreichste Andererseits: Spielberg hat ja schon als Diese kindliche Fähigkeit, sich nicht nur Filmproduktionen Zwölfjähriger erklärt, er werde demnächst in ein verängstigtes Kinderherz hineinzu- als Regisseur nach Hollywood gehen und fühlen, sondern ebenso in die Inkarnation dort über kurz oder lang einen Oscar ge- des Bösen schlechthin, gibt einigen Spiel- winnen. Das mit dem Oscar allerdings hat berg-Filmen ihre dunkle Spannung: Mag dann so ungewöhnlich lange nicht klappen dieses Böse ein amokfahrender Tanklast- wollen, daß manches für die Vermutung wagen sein (wie in dem TV-Film „Duell“, spricht, er sei für sein Übermaß an Erfolg mit dem der 24jährige erstmals Aufsehen von den Regiekollegen, die über den Preis erregte), ein mörderischer Fisch (in „Der abstimmen, bestraft worden. Zu den Fa- weiße Hai“, seinem ersten Welterfolg von voriten gehörte er schon 1977 mit der DER WEISSE HAI 1975

1975) oder der Tyrannosaurus rex, der im UND SCHEIKOWSKI JAUCH „Unheimlichen Begegnung der dritten „Jurassic Park“ wütete und nun in „The Produktionskosten 8 Mio. Dollar Art“, 1982 mit „E.T.“ und 1985 mit „Die Lost World“ wie Godzilla durch eine kali- Zuschauer weltweit 115 Millionen Farbe Lila“, doch er bekam den Preis erst fornische Provinzstadt trampelt und wie Umsatz 458 Mio. Dollar als Mittvierziger für „Schindlers Liste“. King Kong durch ein Schlafzimmerfenster Steven Spielberg – die jüdischen Vor- hereinschaut – einem Kind, das aus dem fahren beider Eltern waren zu Beginn des Traum aufschreckt, mitten ins Herz. Jahrhunderts aus dem Zarenreich in die Steven Spielberg ist 50 Jahre alt. Bis vor USA eingewandert – wurde in Cincinna- kurzem jedoch galt nicht 1946, sondern ti geboren, wo es eine große und lebhafte 1947 als sein Geburtsjahr (der Tag ist der 18. jüdische Gemeinde gab. Die Mutter hatte Dezember), und er selbst scheint seit den für die Familie auf den Beruf als Pianistin Anfängen seiner professionellen Laufbahn verzichtet, der Vater war Ingenieur und diesen Irrtum durch diffuse oder wider- machte als arbeitsbesessener und erfin- E.T. 1982

sprüchliche Äußerungen gefördert zu ha- UND SCHEIKOWSKI JAUCH derischer Pionier des Computerbaus Kar- ben; sogar in seinem Führerschein stand Produktionskosten 10 Mio. Dollar riere. Seine Laufbahn führte die Spiel- früher das falsche Geburtsjahr. Zuschauer weltweit 175 Millionen bergs in Etappen südwärts bis nach Phoe- Wenigstens einmal hat er die Schwin- Umsatz 701 Mio. Dollar nix/Arizona, dann an die kalifornische Kü- delei auch aktenkundig gemacht: Er ließ ste, nach Saratoga am Rand des Silicon 1977 einen Regievertrag, den er 1968 un- Valley, das sich eben damals zum Zen- terschrieben hatte, mit der Begründung trum der Computerindustrie entwickelte. für unwirksam erklären, er sei damals Der gesellschaftliche Aufstieg bedeute- noch nicht 21 Jahre alt (und also noch te auch eine Entfernung vom jüdischen nicht geschäftsfähig) gewesen. Als der selt- Herkommen. Mutter Leah ließ sich nun same Fall 1995 erneut aufgerollt werden Lee nennen und brachte so unkoschere sollte, bekannte Spielberg sich endlich zu Leckerbissen wie Hummer auf den Tisch. seinem wahren Alter und ließ im übrigen INDIANA JONES – Dem heranwachsenden Steven war diese die Streitsache (eine Schadensersatzfor- DER LETZTE KREUZZUG 1989 LUCASFILM Abwendung von Traditionen nur zu recht: derung über 33 Millionen Dollar) offenbar Produktionskosten 30 Mio. Dollar Der schmächtige, unsportliche Junge ge- außergerichtlich erledigen – vermutlich Zuschauer weltweit 124 Millionen nierte sich seines Außenseitertums wie generös, denn der Vertragspartner war Umsatz 494 Mio. Dollar seiner ihm riesig erscheinenden Nase. In jemand, dem er viel verdankte: Der Mann seinem Bedürfnis nach Harmonie, Kon- finanzierte 1968 Spielbergs ersten quasi- formismus, Normalität sehnte er sich bis professionellen Kurzfilm „Amblin’“, der an den Rand der Selbstverleugnung da- so viel Eindruck machte, daß der Auto- nach, so gewöhnlich wie alle anderen Vor- didakt Spielberg bei der Firma Universal stadt-Jungen zu sein, und so ist in seinen einen Vertrag als TV-Regisseur bekam, Filmen Suburbia immer das eigentliche, gleich auf sieben Jahre. wahre und heile Amerika geblieben. Vier gewichtige neue Biographien bele- Später, in Interviews zu „Schindlers Li- gen Steven Spielbergs überragende Posi- ste“, hat Spielberg erzählt, in seinem letz- tion im Welt-Showbusiness*. Keine von ih- JURASSIC PARK 1993 ten High-School-Jahr in Saratoga habe er nen hat er durch Informationen gefördert Produktionskosten 60 Mio. Dollar ENGELMEIER KINOARCHIV sehr unter antisemitischen Anpöbelungen oder gar autorisiert, im Gegenteil, denn Zuschauer weltweit 229 Millionen und Prügeln von Mitschülern gelitten. sein öffentliches Bild möchte er allein un- Umsatz 916 Mio. Dollar Manche Schulfreunde von damals haben ter Kontrolle halten. Auch seine Freunde das bezweifelt; daß aber die Gesellschaft wissen, daß er es übelnimmt, wenn man in tendenziell rassistisch war und keine Interviews Persönliches über ihn ausplau- Nachbarn afrikanischer oder asiatischer dert. So spekuliert jeder der vier Biogra- Herkunft geduldet hätte, bestritt niemand. phen freihändig darüber, warum der junge In Spielbergs Filmen, durchaus konfor- Spund, der ohnehin noch lange wie ein mistisch, kamen – bis zu der wahrhaften College-Schüler aussah, sich ohne erkenn- Schicksalswende, die „Schindlers Liste“ baren Nutzen ein Jahr jünger gemacht bedeutete – keine Juden vor. Sogar an SCHINDLERS LISTE 1993 dem Schauspieler , den * John Baxter: „Steven Spielberg“. Harper Collins, er gelegentlich sein „alter ego“ nannte

Produktionskosten 22 Mio. Dollar DPA London. – Joseph McBride: „Steven Spielberg“. Simon und dem er immer wieder große Rollen & Schuster, New York. – Frank Sanello: „Spielberg“. Zuschauer weltweit 75 Millionen Taylor, Dallas. – Andrew Yule: „Steven Spielberg“. Umsatz 300 Mio. Dollar gab, interessierte ihn nicht das Jüdische, Lichtenberg Verlag, München. vielmehr sah er in ihm den Mr. Durch-

156 der spiegel 31/1997 schnitts-Amerika mit der leicht untersetz- chische Struktur eines altmodischen Stu- und wie zur Strafe dafür, daß ihm das so ten, stämmigen Männlichkeit seines Lieb- dios: Wer unter den Hausregisseuren der glänzend gelang, schallte ihm bei späteren lingsschauspielers Spencer Tracy. größte war, sah man in der Größe des per- ambitionierten Werken – „Die Farbe Lila“, Eine Studie über die Schulbildung der sönlichen Bürobungalows, über den jeder „Das Reich der Sonne“ – die Kritik entge- zwölf einflußreichsten Medienpersönlich- irgendwo auf dem Gelände verfügte. Bei gen, bei ihm würde letztlich alles ver- keiten der USA ergab vor ein paar Jahren, der Universal waren damals Alfred Hitch- harmlost, beschönigt, kurz: spielbergisiert. daß drei davon Legastheniker waren (als cock und Billy Wilder die größten. Wahr ist, auch unter Millionen möglichen prominentester Ted Turner) und daß die Dementsprechend wußte es Spielberg Holocaust-Geschichten hat er eine ver- Hälfte keinen Collegeabschluß geschafft zu schätzen, daß die Universal ihm 1984 filmt, die mit einem Happy-End ausging. hatte, darunter Steven Spielberg: als müß- (auf ihre Kosten, doch nach seinen Wün- „Der weiße Hai“ war sein erster Film, ten mit einer ausgeprägt audiovisuellen schen) für seine private Produktionsfirma mit dem er sich an die Spitze der Welt- Kreativität andere Defizite einhergehen. einen schmucken Kassenschlager-Liste katapultierte. Dann Auch Spielberg wird nachgesagt, daß er Bürokomplex im mexikanisch-indianischen lief ihm George Lucas mit „Star Wars“ den zum Zählen die Finger zu Hilfe nimmt, daß Adobe-Stil auf ihr Gelände stellte – ob- Rang ab, und fortan haben die beiden er nichts liest, was er nicht von Berufs we- wohl Spielberg sich seit seinem ersten Freunde Hand in Hand den US-Kinomarkt gen lesen muß, und nichts schreibt, sondern Fernsehvertrag nie wieder fest an die Uni- aufgemischt, verjüngt und für immer um- alles diktiert, weil seine Orthographie so versal gebunden hat: Etwa die Hälfte sei- gekrempelt: Alle Studios begannen, ihre miserabel ist. Doch seit er ein paar Ehren- ner Filme finanzierten und verliehen an- Aufmerksamkeit weg von der ganzen Pa- doktorhüte trägt, spielt das keine Rolle dere Studios. lette ihrer Produktionen auf einzelne Er- mehr. Da ihm das warnende Beispiel des Bank- eignis-Spektakel („Blockbuster“) zu kon- Seine prägenden Erlebnisse verdankt er rotteurs Francis Coppola vor Augen stand, zentrieren, alle umwarben mit frecherem nicht Büchern, sondern dem Fernsehen und dem Kino, seine erste Lebenswende kam, als er auf einem Familienausflug sei- nem Vater die 8-mm-Kamera aus der Hand nahm: Hinter der Kamera verwandelte sich der passive, immer unentschlossene Junge in einen energischen, unnachgiebigen, sei- ne Familie und Freunde bis zur Tyrannei ausbeutenden Regisseur. Seine Mutter to- lerierte viel Schulschwänzerei zugunsten der Arbeit am Schneidetisch, und eines Ta- ges brachte er sie sogar so weit, daß sie zu Filmzwecken einen mit Kirschkompott ge- füllten Dampfkochtopf explodieren ließ. Es muß ein Super-Horroreffekt gewesen sein – Mamas Küche, heißt es, habe sich davon nie ganz erholt. Spielbergs Filmographie beginnt mit ei- nem Drei-Minuten-Werk des Elfjährigen und verzeichnet als ersten Höhepunkt den gut zweistündigen Spielfilm „Firelight“ des 17jährigen, der im März 1964 in einem Kino in Phoenix zur Premiere kam. Es war Ste- vens erster Film, der von der Landung ei-

nes Raumschiffs aus dem All erzählt, und CLIFFORD / GAMMA STUDIO X natürlich erwiesen sich schon damals (ge- Ehrendoktor Spielberg (1996 in New York): Den Collegeabschluß nicht geschafft gen den herrschenden Science-fiction- Trend) die Aliens als total lieb und gut. hielt er sich an den Rat, den ihm John Ford Entertainment ein junges Publikum, und Später hat Spielberg gesagt, er sei, was bei ihrer ersten Begegnung gegeben hatte: alle entdeckten in Verbundwerbung und Ufos angeht, ein „Agnostiker“. „Stecke nie eigenes Geld in deine Filme!“ Souvenirhandel ein zunehmend lukratives Das erste Hollywood-Studio, das Spiel- Das verlangte niemand, und sein Prestige Nebengeschäft. berg zu sehen bekam, noch als Schüler auf war rasch groß genug, daß er auch die Erst- Auch auf diesem Terrain ist Spielberg einem Ausflug nach , war das lingsprojekte von Freunden mit der Ver- der Meisterstratege geblieben. Zur ange- Universal-Gelände, das genaugenommen sprechung durchsetzen konnte, er würde messenen Vorab-Präsentation von „Juras- nicht in Hollywood liegt, sondern „hinter im Krisenfall selber als Regisseur ein- sic Park“ inszenierte er im Dinosaurier- den Bergen“ im Stadtteil Burbank. Bei der springen. Unter denen, deren Karriere er Saal des New Yorker „Museum of Natural Universal hat er dann auch erste Laufbur- so anschob, wurde weitaus der erfolg- History“ eine Party für die Werbebranche. schenjobs bekommen und schließlich, als reichste Robert Zemeckis, von „Zurück in Sie sorgte dafür, daß Hunderte von Kon- 22jähriger, seinen ersten Regievertrag. die Zukunft“ bis „Forrest Gump“. sumprodukten vom Strampelhöschen bis Er trank und rauchte nicht, nicht einmal Spielbergs Ausnahmebegabung fand zu McDonald’s-Tüten für „Jurassic Park“ einen Joint, er war kein Hippie, vielmehr früh Beifall. Sein erstes Kinowerk „The warben. Erstmals in der Kinogeschichte ein ganz konservativer Kinofreak, dem die Sugarland Express“ begrüßte der new übertraf der Gewinn aus diesem Merchan- Subkultur des „New American Cinema“ yorker 1974 als „eines der phänomenal- dising (eine Milliarde Dollar) den des Films fremd blieb und der sich in den gepriese- sten Debüts in der ganzen Filmgeschichte“. selbst, und mit „The Lost World“ erlebt nen kalifornischen Hochschul-Filminstitu- Doch Spielberg hielt schon damals dage- dieses Business nun eine prächtige Repri- ten nur als Zaungast herumgetrieben hat- gen: „Ich will nicht Antonioni oder Fellini se. Nur der Graphiker Chip Kidd, der das te. Seiner zielstrebigen Arbeitsbesessen- sein!“ Er wollte die Popularität, das Sen- allgegenwärtige Logo mit dem skelettierten heit entsprach die überschaubare hierar- sationsentertainment, den Massenerfolg, Saurierschädel entwarf, ist (weil er Ange-

der spiegel 31/1997 157 Kultur stellter einer Agentur war) mit keinem Pro- ben zurück: Kate wurde abserviert, die alte sind zwei adoptierte dazugekommen; so mille an den Profiten beteiligt. Liebe begann von vorn, und an einem ist spät im Leben Spielberg tatsächlich zu Seinem Bedürfnis nach Ordnung, Kon- Spätherbsttag 1984 – in Claude Monets einem Familienmenschen geworden. trolle und Konstanz gemäß neigte Spiel- berühmtem Garten im französischen Gi- Als Regisseur hat er nach dem fulminan- berg schon früh zu dauerhaften Bindungen verny – gestand Amy Steven, daß sie ten Doppelschlag von 1993, als er rasch und betrachtete sich trotz seiner Egomanie schwanger sei. Er kaufte sich zur Erinne- nacheinander „Jurassic Park“ und „Schind- als Familientyp. Doch dem lief ein Unter- rung an diesen Tag einen Monet. lers Liste“ herausbrachte, eine große Be- strom von Abwehr und zerstörerischen Die Geburt des Sohnes Max wurde im sinnungspause eingelegt. Er hat mit star- Selbstzweifeln entgegen. Als eine Lebens- Sommer 1985 wie die eines Kronprinzen kem persönlichem Einsatz die „Survivors gefährtin ihn nach drei gemeinsamen Jah- gefeiert, Michael Jackson schickte als of the Shoah Visual History Foundation“ ren verließ (diese Schilderung stammt von Glückwunsch eine Kassette mit drei eigens aufgebaut, deren computerisiertes Archiv ihm selbst), brach er in Tränen aus, griff komponierten Lullabys, wenig später hei- inzwischen über gut 50000 umfängliche Vi- aber sogleich zu einer Kamera und lief vor rateten die Eltern und bezogen ein palast- deo-Interviews mit Holocaust-Überleben- einen Spiegel, um sich wei- ähnliches Anwesen in Pacific den verfügt, und er hat zusammen mit den nend selbst zu fotografieren – Palisades mit Blick über Mali- Produzenten Jeffrey Katzenberg und Da- als könnte er sich erst durch „Sie wollte bu aufs Meer. Es hatte nach- vid Geffen die Firma „Dreamworks SKG“ das Tränen-Bild seines Gefühls einander Douglas Fairbanks, gegründet, die mit einem Startkapital von vergewissern. eine Familie, David Selznick und Cary weit über einer Milliarde Dollar ein Groß- In den späten siebziger Jah- eine Karriere Grant gehört und ist noch heu- studio für Film, Fernsehen,Videospiele und ren lebte Spielberg mit der und mein te Spielbergs Hauptwohnsitz. anderes elektronisches Entertainment wer- glamourösen jungen Schau- Scheckbuch Die Ehe hielt nicht, Amy ent- den will. Auch nach drei Jahren ohne neu- spielerin Amy Irving zusam- schwand mit einer Abfindung en Film steht Spielberg auf der „Power men, und das Branchenblatt dazu“ von 100 Millionen Dollar, und List“ der mächtigsten Männer Hollywoods variety hörte schon die Hoch- ein zweites Mal tauchte Kate im Fachblatt premiere auf Platz 6, als er- zeitsglocken läuten. Doch die Capshaw an Spielbergs Seite ster Regisseur hinter lauter Geldmenschen. Beziehung zerbrach plötzlich, und Amy auf. Sie wurde abermals abserviert. „Sie Doch er gilt ja inzwischen, nebenbei, auch Irving ließ auch die weibliche Hauptrolle wollte eine Familie, eine Karriere und mein als Milliardär. im ersten Indiana-Jones-Film sausen, die Scheckbuch dazu“, erklärte er harsch. Nun versucht er mit „The Lost World“ ihr zugedacht war. Ihre ehrgeizigen Träu- Diesmal war die Trösterin die Schau- einen Hattrick, wie er noch keinen ge- me richtete sie fortan auf eine Bühnen- spielerin Holly Hunter, und mit ihr hat schafft hat: Der Historienfilm „Amistad“, karriere. Spielberg, das einzige Mal in seiner Kar- der von einer Revolte auf einem Sklaven- Als es 1983 um den zweiten Indiana- riere, einen Film aus Liebe gemacht: Das schiff um 1830 handelt, ist bereits abge- Jones-Film ging, bewarb sich um die weib- Melodram „Always“ jedoch (mit Richard dreht, und bis zum Jahresende soll auch liche Hauptrolle einer kessen Tingeltangel- Dreyfuss in der männlichen Hauptrolle, die der Tom-Hanks-Film „Saving Private Sängerin neben vielen anderen auch Kate in einer ersten Kinoversion Spencer Tracy Ryan“ fertig werden, der im Zweiten Welt- Capshaw, die als Lehrerin für behinderte gespielt hatte) erwies sich 1989 als fataler krieg spielt. Kinder gearbeitet hatte, bevor sie eine Mißgriff in die Sphäre des Edelkitschs und Was eigentlich wäre jetzt noch der Mühe Laufbahn als Model und Schauspielerin auch kommerziell als ein Fiasko, das die wert? Kassenrekorde werden nun nicht einschlug. Sie bekam sowohl die Rolle als Liebe nicht überlebte. mehr so wichtig sein, vielleicht nicht ein- auch den Regisseur und flog zum Beginn In diesem bittersten Augenblick der Nie- mal mehr die Oscars. Wenn man in man- der Dreharbeiten mit ihm nach Sri Lanka. derlage trat zum drittenmal chem Sinne alles erreicht hat, geht es viel- Doch drei Wochen später, bei einem in sein Leben, und diesmal zum rechten leicht allein darum, ob man sich jenseits Zwischenhalt zwecks Drehortsuche in In- Augenblick: Im Herbst 1991 haben sie ge- der 50 noch einmal selbst übertreffen kann. dien, kehrte Amy Irving, die dort zufällig heiratet. Jeder hat ein Kind in die Ehe mit- Und ein paar Kino-Wünsche wird er sich gerade einen Film drehte, in Spielbergs Le- gebracht, und zu den drei gemeinsamen noch erfüllen wollen. INTER-TOPICS SMEAL / GALELLA LTD. SMEAL / GALELLA LTD. Spielberg mit Lebensgefährtinnen Irving, Hunter, Capshaw (l.): Trotz Egomanie ein Familientyp

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