ISSN 0947-6016

Rostocker Beiträge zur Regional- und Strukturforschung, Heft 17

Innovationen für Mecklenburg-Vorpommern - Strategien für einen Wachstumspfad

Marion Eich-Born (Hrsg.)

Universität

Rostocker Beiträge zur Regional- und Strukturforschung, Heft 17

Innovationen für Mecklenburg-Vorpommern - Strategien für einen Wachstumspfad

Marion Eich-Born (Hrsg.)

Universität Rostock

Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät

HERAUSGEBER – ISSN-REIHE: Prof. Dr. Gerald Braun Lehrstuhl für Wirtschaftspädagogik International Baltic Entrepreneurship Center

REDAKTION: Anke Reichert

LEKTORAT: Anke Reichert

HERSTELLUNG DER DRUCKVORLAGE: Anke Reichert

ZITAT KURZTITEL: Innovationen für Mecklenburg-Vorpommern. Strategien für einen Wachstumspfad / Marion Eich-Born (Hrsg.) – Rostock: Univ., Wirtschafts- u. Sozialwiss. Fakultät, 2004. – 289 S. – (Rostocker Beiträge zur Regional- und Strukturforschung; 17)

ISSN 0947-6016

ã Universität Rostock, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät, 18051 Rostock. Jede Form der Weitergabe Vervielfältigung bedarf der Genehmigung des Herausgebers.

BEZUGSMÖGLICHKEITEN: Universität Rostock Universitätsbibliothek, Schriftentausch, 18051 Rostock

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DRUCK: printmix24, Bad Doberan INHALT

Schiffbauindustrie in Mecklenburg-Vorpommern: innovativer Wachstums- motor oder regionale Entwicklungsbremse ...... 7 Marion Eich-Born

Wüsten oder Oasen: Konzepte einer Regionalpolitik für Mecklenburg-Vor- pommern...... 49 Gerald Braun

Wissen, Information und Innovation in der Landes- und Regionalentwicklung – Das Beispiel Mecklenburg-Vorpommern...... 81 Hans Pohle

Wissen und Wachstum in räumlicher Sicht – Theorie und Empirie...... 127 Thomas Döring

Das Innovationskonzept zum beantragten regionalen Wachstumskern Confirmatec...... 169 Wolf-Dieter Jülich

MANO – Ein nordostdeutsches Netzwerk zur Förderung der Aus- und Weiterbildung in der Microsystemtechnik...... 191 Friedhelm Eicker und Claudia Kalisch

Hochschulen als Bausteine eines regionalen Innovationssupportsystems für Mecklenburg-Vorpommern ...... 209 Marion Eich-Born

Licht am Ende des Tunnels? Ostdeutschlands weiter Weg in die Dienstleistungsgesellschaft...... 253 Gerald Braun

Autorenverzeichnis ...... 289

III

Marion Eich-Born

Schiffbauindustrie in Mecklenburg-Vorpommern: innovativer Wachstumsmotor oder regionale Entwicklungsbremse?

INHALT

1 Die wirtschaftspolitische Ausgangssituation ...... 9

2 Theoretische Fundierung ...... 11

3 Daten und Methoden ...... 18

4 Entwicklungspfade der globalen Schiffbauindustrie: politische Institutionalisierung von Kapazitätsausbau und geographischer Nachfragekonzentration...... 19

5 Institutionalisierung der ostdeutschen Werfttransformation ...... 22

6 Dimensionen geographischer Distanz und Nähe...... 31

7 Zusammenfassung und Fazit...... 37

Literaturverzeichnis...... 44

Abbildungsverzeichnis ...... 48

Tabellenverzeichnis ...... 48

7

8 1 Die wirtschaftspolitische Ausgangssituation

Die weitgehend neoliberal ausgerichtete Wirtschaftspolitik der Bundesregierung un- mittelbar nach der Wiedervereinigung, die lediglich temporäre Anschubhilfen vorsah und auf exogene Wachstumsimpulse setzte, erwies sich eineinhalb Jahre nach Ein- führung der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion als unzureichend. Das Ausmaß innovativer Neuansiedlungen blieb bescheiden. Umgekehrt hatten bestehende Be- triebe mit ihren verschlissenen Kapitalstöcken, technologisch veralteten Produkten, ineffizienter Organisation der Fertigung und intensivem Einsatz von Produktionsfak- toren weder auf dem Weltmarkt eine Chance, wettbewerbsfähig zu agieren, noch fanden sich Investoren, die bereit gewesen wären, diese Unternehmen zu erwerben und sie in die Marktwirtschaft überzuleiten. Massive Produktions- und Beschäfti- gungseinbrüche waren die Folge. Vor dem Hintergrund eklatanter De- Industrialisierung bei ausbleibender Neo-Industrialisierung kam der Sanierung von Kombinatsbetrieben eine besondere wirtschaftspolitische Bedeutung zu.

In Mecklenburg-Vorpommern (M-V) stellte sich die Situation besonders brisant dar. Im verarbeitenden Gewerbe waren ohnehin nur 23% aller Beschäftigten konzentriert (DDR: 47,7%) (BRAUN, OBENAUS 1992), dessen gesamtes Rückgrat aufgrund der Monostruktur (Schiffbau und Nahrungsmittelgewerbe) und einseitiger Ausrichtung auf den Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) weg zu brechen drohte. Die beiden eng miteinander verflochtenen Branchen Maschinen- und Schiffbau trugen 1989 knapp 34% zur industriellen Warenproduktion und 20% zur Beschäftigung im verar- beitenden Gewerbe bei (StaLa MV 1996). In den Hafenstädten war die schiffbauori- entierte Beschäftigung mit 52-60% besonders stark konzentriert (EICH-BORN 2003). Die regionalökonomischen Perspektiven stellten sich mit Blick auf die gesamtwirt- schaftlich ohnehin schrumpfende Branche wenig positiv dar. Umgekehrt hätte eine Schließung der Werften sozialen Notstand ausgelöst mit entsprechend intensiver Ost-West-Migration in der Folge.

9 Abbildung 1: Das Standortsystem des Schiffbaukombinates 1989

Quelle: Eich-Born 2003

Die Bundesregierung setzte zwar weiterhin auf exogene Wachstumspolitik, die Inve- stitionen von außen durch Sonderabschreibungen und gezielte Investitionszuschüs- se unterstützte, ergänzte diese jedoch durch eine endogene Erhaltungspolitik. Sie trug damit der Pfadabhängigkeit der ostdeutschen Regionen Rechnung. Frau Breuel, die damalige Präsidentin der Treuhandanstalt (THA), umschrieb die Ziele dieser „neuen“ Politik wie folgt:

„„Industrieller Kern“ ist die Metapher für den Versuch, die zukunftsträchtigen (innova- tiven: Ergänzung durch die Autorin) Potentiale in den Unternehmen herauszufinden, ihnen eine faire Entwicklungschance zu geben und letztendlich aus diesem Kern heraus wieder Wachstum und Regeneration zu ermöglichen.“ (BREUEL 1993)

10 Die politische Erwartungshaltung, Wachstums- und Regenerationsziele für M-V mit der Schiffbaubranche über Innovierung von Produkt- und Prozesstechnologie sowie der Unternehmensorganisation erzielen zu wollen, wurde von den „Wirtschaftswei- sen“ (Sachverständigenrat 1992) heftig kritisiert. Drei Argumente wurden im Zusam- menhang mit dieser Diskussion immer wieder angeführt:

· Das strukturpolitische Argument: In Europas Werftindustrie waren seit der Erdöl- krise 70% der ursprünglichen Kapazitäten sukzessive still gelegt worden.

· Das finanzpolitische Argument: Der Erhalt von industriellen Branchen, die in Eu- ropa ohnehin keine Wettbewerbsvorteile ausbauen können, führt zu einer restrik- tiven Bindung der Region an die Branche und damit zu einer Dauersubventionie- rung, wenn es nicht gelingt neue Strukturen in den betroffenen Regionen aufzu- bauen.

· Das wettbewerbspolitische Argument: Die einseitige Subventionierung der ost- deutschen Werften stellt gegenüber ihren Konkurrenten in Westeuropa eine Wett- bewerbsverzerrung dar.

Befürworter dieser Politik argumentierten, dass „Erhalt“ der Werftindustrie Mecklen- burg-Vorpommerns nicht mit einer Daueralimentierung (NOLTE, ZIEGLER 1994) gleich zu setzen sei. Vielmehr werde das Ziel verfolgt, mit einmaligen Subventions- leistungen für innovative Anpassungsmaßnahmen bezüglich Produkt- und Prozess- technologie sowie der Unternehmensorganisation den Anschluss an den allgemeinen technologischen Stand der westlichen Konkurrenz zu ermöglichen.

Ziel eines Forschungsprojektes, das vom Geographischen Institut der Ernst-Moritz- Arndt-Universität durchgeführt wurde, war es, die Validität der beiden Ar- gumentationslinien durch eine systematische theoretische wie empirische Aufarbei- tung des Transformationsprozesses zu überprüfen.

2 Theoretische Fundierung

Ziel einer theoretischen Fundierung ist die Ableitung von Arbeitshypothesen sowie quantitativer und qualitativer Indikatoren, anhand derer sich der Erfolg bzw. Misser- folg des Transformationsprozesses ablesen lässt. Die Theorie selbst dient dazu, den Umbau von der Zentralverwaltungswirtschaft zur sozialen Marktwirtschaft mit all sei-

11 nen Mechanismen und wirkenden Akteuren auf verschiedenen Raumebenen trans- parent zu machen.

Faktisch basiert die Politik vom Erhalt industrieller Kerne auf dem Wachstumspol- konzept, allerdings reicht dieser Ansatz bei weitem nicht aus, alle Dimensionen des Transformationsprozesses analytisch zu beleuchten. Bis heute existiert jedoch keine in sich geschlossene Transformationstheorie (FASSMANN 2000, S. 17), an der sich ein derartiges Forschungsprojekt orientieren könnte. Transformationsprozesse sind offensichtlich zu komplex (EICH-BORN 2003, EICH-BORN und HASSINK 2003), als dass sie unter einer einzigen Theorie subsumiert werden könnten. Das liegt

· Erstens an den unterschiedlichen Ausgangsbedingungen, die die einzelnen Staa- ten in den Transformationsprozess eingebracht haben (Pfadabhängigkeit).

· Zweitens haben die Transformationsländer unterschiedliche Strategien entwickelt, den Systemwechsel zu vollziehen.

· Drittens ist Transformation nicht nur als institutioneller Umbau eines Staates oder Bundeslandes von der Zentralverwaltungswirtschaft zur sozialen Marktwirtschaft zu verstehen, sondern auch als Einbettung in eine sich zunehmend globalisieren- de Wirtschaftswelt.

· Viertens sind alle Branchen in den jeweiligen Ländern von Transformationspro- zessen betroffen unabhängig davon, wie sich die spezifischen Wettbewerbsbe- dingungen der entsprechenden Branchen auf dem Weltmarkt darstellen.

Eine Transformationstheorie müsste im oben genannten Sinne offen sein für unter- schiedliche Pfadabhängigkeiten bzw. wirtschaftspolitische Strategien oder gar unter- schiedliche geographische Maßstabsebenen bzw. Branchenspezifika. Alle Versuche, Transformation hegemonial unter dem Blickwinkel einer einzigen theoretischen Tra- dition analysieren zu wollen, müssen zwangsläufig scheitern, da die derzeitigen Kon- zepte immer nur einzelne Aspekte der realen Welt in den Vordergrund stellen. Um der Komplexität des Prozesses gerecht werden zu können, wurde im Rahmen dieses Forschungsprojektes eine eklektische Vorgehensweise im Sinne Dickens gewählt: „In these days of theoretical plurality, it is doubtful if we should be concerned with a single conceptual core. Indeed, one of the most stimulating features of today`s eco-

12 nomic geography is this plurality of approaches and the healthy interchange of ideas that such diversity stimulates.” (DICKEN 1994) Theoretische Interdisziplinarität eröff- net Chancen für notwendige „cross-fertilisation“ (GJERDING 1992, S. 95).

Koordinationshypothese

Transformation ist in erster Linie zu begreifen als institutioneller Umbau politisch- gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Institutionen. Institutionen sind Spielregeln, die sich beim Systemwechsel zwangsläufig einer Innovation unterziehen müssen. Trans- formation in diesem Sinne verstanden kann sich zweier Paradigmata bedienen, die Institutionen eine herausragende Erklärungskraft (RICHTER, FURUBOTN 1996, S. 7) zuschreiben: der Neuen Institutionenökonomie (NIÖ) und der embeddedness- These. Die NIÖ bietet mit ihren drei Bausteinen des Wirtschaftsgeschehens – Staat, Unternehmen und ihre Wettbewerber, Nachfragebedingungen – den erforderlichen Analyserahmen an, unter dessen Dach die zu ergänzenden theoretischen Ansätze zu einer Synthese zusammengeführt werden sollen (Abb. 2).

Übersetzt auf die spezifische Transformationssituation müssen beim Übergang von der Zentralverwaltungswirtschaft zur sozialen Marktwirtschaft alte durch neue Spiel- regeln substituiert und neu zwischen Staat, zu transformierenden Unternehmen und Nachfrage koordiniert werden. Zu unterscheiden sind in diesem Zusammenhang formale von informellen Institutionen. Erstere sind Regeln, die in Form von Gesetzen und Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Sie sind Gegenstand der NIÖ. Letztere sind als Gewohnheiten, Routinen und Moral zu verstehen und spielen im Rahmen der embeddedness-These (GRANOVETTER 1985) eine große Rolle.

Institutioneller Umbau vollzieht sich evolutionär bezogen auf die beiden Dimensionen Raum und Zeit. Transformation ist demnach nicht nur ein horizontales (Staat, Unter- nehmen, Nachfrage) sondern auch ein vertikales Koordinationsproblem (Raum und Zeit). Unternehmen sind lokal verankert und nicht nur lokal, regional und national sondern im Zeitalter der Globalisierung weltweit über Vorleistungs- und Absatzbezie- hungen vernetzt. Auch Unternehmensstandorte sind zunehmend in globale Stand- ortnetzwerke (transnationale Unternehmen) eingebettet. Auch die staatliche Ebene muss aus verschiedenen geographischen Blickwinkeln betrachtet werden.

13 Abbildung 2: Institutionelle Einbettung des Transformationsprozesses

Unternehmen, Wettbewerber

international

Politik, national Nachfrage- Gesellschaft bedingungen

regional

lokal

Quelle: Eich-Born 2003

Transnationale Organisationen (WTO, OECD, IWF, EU) gewinnen zunehmend an Bedeutung und höhlen die Wirksamkeit nationalstaatlicher Regeln (SCHAMP 1996, 2000) aus. Parallel zur Bedeutungsverschiebung von der nationalen auf die transna- tionale Ebene ist eine Bedeutungsverschiebung von der nationalen auf die regionale Ebene feststellbar. Beide Prozesse zusammengenommen werden in der Literatur als „glocalization“ (COX 1996, OSSENBRÜGGE 2001) bezeichnet. Je nachdem welche institutionelle Koordination (horizontal und vertikal) im Zuge des Transformationspro- zesses zum Tragen kommt, finden die zu transformierenden Unternehmen ihre Posi- tion innerhalb des Spektrums zwischen internationaler Wettbewerbsfähigkeit bzw. Marktaustritt. Aus dem Blickwinkel der Region, in der die fraglichen Unternehmen verstandortet sind, kann es je nach institutioneller Koordination zur Herausbildung optimaler regionalökonomischer Effekte bis hin zu zerrissenen Netzwerken am ande- ren Ende des möglichen Entwicklungsspektrums kommen.

14 Opportunismusthese

In der Anfangsphase der Transformation lenkt die politisch-gesellschaftliche Ebene (Bundes- und Landesregierung) die Überleitung der Staatsunternehmen in private Hände. Sie muss dafür Sorge tragen, dass mit der Privatisierung eine effiziente Allo- kation der Eigentumsrechte erfolgt. Sie sucht diejenigen ökonomischen Organisatio- nen bzw. Akteure, die die produktivste Verwendung für die zu transformierenden Un- ternehmen haben. Wenn sich die Branche, in denen die Unternehmen agieren, durch hohe Faktorspezifität von Sach- und Humankapital auszeichnet, sind die Anforde- rungen an die ökonomische Kompetenz und Vermögensausstattung des Käufers entsprechend hoch (BRÜCKER 1995). Ferner hat die Marktsituation (Angebot der Unternehmen und ihrer Wettbewerber sowie Nachfragebedingungen) in der spezifi- schen Branche Einfluss auf die Privatisierungschancen. Wird eine niedrige Rendite erwartet, weichen mögliche Interessenten auf andere Kapitalanlagen aus. Vor allen Dingen ökonomisch kompetente Bieter stoßen auf stark umkämpften Märkten an die Restriktion nicht ausreichender Vermögensausstattung, dies insbesondere vor dem Hintergrund der Ausgangssituation der zu transformierenden Unternehmen mit per- soneller Überbesetzung, verschlissenem Kapitalstock, Altschulden usw. Eine Privati- sierung unter solchen Konditionen bedarf des politisch-gesellschaftlichen Anreizes mit entsprechender Subventionierung durch Bund und Land, wenn ein Bieterwettbe- werb zustande kommen soll.

Der Staat (Bund: THA und Landesregierung) wird versuchen sein eingebrachtes fak- torspezifisches Kapital zu schützen durch Privatisierung an vertikal integrierte, global agierende Konzerne. Daraus können Negativeffekte für die Region resultieren, denn regionsextern gesteuerte Unternehmen suchen interne Größenersparnisse in der Produktion durch vertikale Integration von Zulieferleistungen in der Unternehmens- hierarchie bzw. durch Nutzung bereits bestehender extraregionaler Zulieferverflech- tungen mit unabhängigen Unternehmen auf dem Markt. Das Ergebnis wären „verlän- gerte Werkbänke“. Insbesondere die für Innovation zuständige Forschungs- und Entwicklungsabteilung befindet sich i.d.R. im Headquarter und nicht an den privati- sierten Standorten (vgl. POHLE 2004).

15

Hypothese der Ost-West-Wettbewerbsverzerrung

Eine einseitige Subventionierung der ostdeutschen Werften stellt zwangsläufig eine Wettbewerbsverzerrung auf zwei räumlichen Ebenen dar: intra-national zwischen Ost- und West-Deutschland sowie transnational (vor allen Dingen auf EU-Ebene). Es liegt in der Verantwortung der Politik auf nationaler wie internationaler Ebene unfaire Wettbewerbsbedingungen über entsprechende Institutionalisierungen zu verhindern.

Produktzyklushypothese und Lock-in-These

Die unternehmerische Transformation ist von Marktbedingungen abhängig. Sie wer- den im Wesentlichen von Konkurrenten, Nachfrage, ihrem geographischen Schwer- punkt sowie Kontrollspannen über technologisches Wissen bestimmt. Eine starke nationale Nachfrage ist nach Porter zwar von Vorteil, aber regionales Wirtschafts- wachstum wird insbesondere durch externe Nachfrage begünstigt. Wenn sich der Nachfrageschwerpunkt in einer Branche nach außen verlagert aber gleichzeitig die Kontrollspanne über das technologische Wissen nur noch gering ist, kann die Förde- rung einer solchen Branche zur endogenen Blockierung der fraglichen Region führen bzw. zu dem in der Literatur viel zitierten lock-in-Effekt (GRABHER 1993a, 1993b, 1996, HASSINK 2004, EICH-BORN und HASSINK 2003).

Hypothese unvollkommener, ungleich verteilter Rationalität

Institutionen werden von Akteuren erstellt. Somit sind Handlungen nicht nur in Spiel- regeln eingebettet, sondern auch in soziale Beziehungssysteme. Da die Rationalität der beteiligten Akteure in einer komplexen Welt unvollkommen und ungleich verteilt ist, kann von differierenden Transformationspfaden in den einzelnen Unternehmens- standorten ausgegangen werden.

Spezialisierungs- versus flexibler Spezialisierungsthese

Grundsätzlich werden derzeit zwei prozesstechnologische Paradigmata unterschie- den: Massenproduktion und flexible Spezialisierung. Erstere geht von stabilen Nach- fragebedingungen aus und hat sich die Herstellung des gleichen Produkttyps bzw. gleicher Produktvarianten in großen Mengen zwecks Erlangung von Skaleneffekten (economies of scale) zum Ziel gesetzt. Flexible Spezialisierung trägt der Volatilität

16 von Märkten Rechnung, indem sie ohne große Zeit- und Arbeitsverluste immer wie- der die Umstellung der Produktion auf unterschiedliche Produkttypen/-varianten ver- folgt (economies of scope).

Geographische Clusterhypothese: homo sociologicus versus homo oeconomi- cus

Die personelle Überbesetzung der ehemaligen DDR-Betriebe lässt unabhängig vom jeweils eingeschlagenen Produktionspfad den Abbau von Arbeitskräften bzw. von Betriebsteilen erwarten, wobei flexible Spezialisierung mit ihrer Konzentration auf Kernkompetenzen sehr viel mehr „windows of locational opportunity“ für vertikale Desintegration und somit für regional konzentrierte Unternehmensgründungen (spin offs) erschließt. Transformation unterliegt nicht nur opportunistischen Neigungen von Akteuren sondern wird auch durch historische Entwicklungspfade der Akteure be- stimmt. Im Trennungsfall von Eigentum und Kontrolle kommt es auf das im Manager verankerte Menschenbild an. Ein durch die Zentralverwaltungswirtschaft geprägter Manager wird eher zu sozialem Opportunismus (homo sociologicus) neigen und par- allel zum erforderlichen Personalabbau Unternehmensneugründungen im Umfeld der Werftindustrie unterstützen. Umgekehrt wird ein Manager aus der sozialen Marktwirt- schaft zu ökonomischem Opportunismus (homo oeconomicus) neigen. Demnach vollzieht er vertikale Desintegration ohne gleichzeitig zum Aufbau neuer regionaler KMU-Strukturen beizutragen. Das Ergebnis sind die von der Politik nicht intendierten zerrissenen Zuliefernetze.

Hypothese der technologischen Innovationsdiffusion

Parallel zu entsprechenden spin-off-Trends können technologische spill-over-Effekte von den Werften auf KMU erwartet werden. Insbesondere in stark dem Wettbewerb ausgesetzten Branchen ist ein Überleben der Unternehmen nur durch Technologie- führerschaft möglich. Das setzt Innovationen in Kern- sowie in Vorleistungsunter- nehmen voraus. Für beide ergeben sich aufgrund anfallender Kommunikations- und Transportkosten bei regional polarisierter Allokation Effizienzen. Der notwendige Austausch von tacit knowledge (DÖRING 2004) ist ohnehin nur über engen persönli- chen Kontakt in geographischer Nähe möglich. Eine auf diesem Wissen basierende

17 Unternehmenskonzentration entlang der Wertschöpfungskette eröffnet Chancen zur Herausbildung eines regionalen Kompetenzzentrums.

3 Daten und Methoden

Der ostdeutsche, seegehende Schiffbau ist aufgrund seiner standörtlichen Voraus- setzungen (Ostsee) in M-V konzentriert, so dass sich die vorliegende Transformati- onsanalyse der Branche auf dieses neue Bundesland beschränkt. Zwecks Datenge- winnung wurde ein mehrstufiges exploratives Verfahren durchgeführt. Sondierende offene Interviews in den Kernunternehmen (Werften und Zulieferer des ehemaligen Kombinates) dienten der Erstellung einer vollständigen Unternehmensdatenbank. Sie ergab insgesamt 5 Werften, 10 große Zulieferer als Folgeunternehmen der Kombi- natszulieferer und 146 Neugründungen. Dem folgten quantitative und qualitative Er- hebungen in den Unternehmen mit Hilfe von standardisierten Fragebögen und leitfa- dengestützten Interviews differenziert nach Werften einerseits und Zulieferern (ehe- malige Kombinatsbetriebe und Neugründungen) andererseits. Fragebögen und Inter- views in den Werften und Nachfolgeunternehmen der ehemaligen Kombinatszuliefe- rer konzentrierten sich auf die Transformation von Produktionsprogrammen, Produk- tionsprozessen und Investitionen, Beschäftigtenentwicklung, Forschung und Entwick- lung, Wandel der Zuliefer- und Absatzbeziehungen sowie Einschätzung der Wettbe- werbssituation und Standortbedingungen. Standardisierte Fragebögen sowie leitfa- dengestützte Interviews für Neugründungen konzentrierten sich zusätzlich auf das Gründungsgeschehen. Daten zum Produktionsprozess konnten dort wie auch in den ehemaligen Kombinatszulieferunternehmen aufgrund der differenzierten Profile nur eingeschränkt erhoben werden. An der Befragung haben alle Werften und ehemali- gen Kombinatszulieferer teilgenommen, bei Neugründungen ergab sich eine Rück- laufquote von 96%.

18

4 Entwicklungspfade der globalen Schiffbauindustrie: politische Institutionalisierung von Kapazitätsausbau und geographi- scher Nachfragekonzentration.

Die Chancen einer ostdeutschen Schiffbauindustrie müssen vor dem Hintergrund eines sehr komplexen Institutionengefüges zwischen Staat, Unternehmen und Nach- frage unter Berücksichtigung einer Vielzahl von Mechanismen auf der Raum-Zeit- Schiene abgewogen werden. Die einseitige Betrachtung eines Aspektes kann zu er- heblichen Fehleinschätzungen führen. Das Zusammentreffen der Wiedervereinigung mit einem Anstieg der globalen Schiffbaunachfrage nach fünfzehnjähriger Flaute (Erdölkrise 1973) begünstigte zwar die Integration der ostdeutschen Schiffbauindu- strie in den Weltschiffbau (Abb. 3), aber ein Blick auf die Entwicklung der Marktantei- le nach Schiffbauregionen (Abb. 4) relativiert den positiven Ausblick. Seit den 50er Jahren findet eine sukzessive geographische Schwerpunktverlagerung des Schiff- baus von Europa über Japan nach Süd-Korea statt. Seit den 90er Jahren bahnt sich eine weitere Schwerpunktverlagerung mit dem Markteintritt der Volksrepublik China an, die Deutschland von Weltrangposition 3 auf 4 verwies. Die Folge ist zunehmen- des Auseinanderklaffen der Angebot-Nachfrage-Schere. 2005 sollen die Neubauka- pazitäten bei 27 Mio. cgt1 liegen, wohingegen nach einer OECD-Schätzung die Pro- duktion 2003 mit etwa 23 Mio. cgt ihren vorläufigen Höhepunkt erzielt haben dürfte (VSM 2002, 2003). Bis einschließlich 2015 soll die Nachfrage diesen Wert nicht mehr erreichen mit entsprechender Wirkung auf die Preisentwicklung.

1 Cgt steht für compensated gross ton. Darunter ist die Bruttoraumzahl (BRZ), die Ausdruck über das Ladungsvolumen/-gewicht gibt, multipliziert mit einem Wert (z. B. 1,8) zu verstehen, der Ausdruck des Arbeitsaufwandes im Zuge des Schiffbaus ist. Passagierschiffe sind zum Beispiel arbeitsauf- wändiger als Containerschiffe.

19 Abbildung 3: Weltschiffbauproduktion 1952-2002 in gt (gross tons)

40,0 Mio. gt 35,0

30,0

25,0

20,0

15,0

10,0

5,0

0,0 1952 1956 1960 1964 1968 1972 1976 1980 1984 1988 1992 1996 2000

Quelle: Lloyd’s Register of Shipping

Abbildung 4: Marktanteile im Weltschiffbau nach Schiffbauregionen 1950-2002 in % von gt

Quelle: Lloyds’s Register of Shipping, eigene Berechnungen

20 Die geographische Schwerpunktverlagerung bestätigt die Produktzyklushypothese, wonach mit zunehmendem Reifegrad der Branche der Technologiegeber nur noch eine geringe Kontrollspanne über das technologische Wissen besitzt (SCHÄTZL 2001, TICHY 1991). Ursächlich für diese Entwicklung sind politische Institutionalisie- rungen in allen drei asiatischen Ländern, die zeitversetzt (Japan 50er, Süd-Korea 70er und 80er, China 90er Jahre) den Schiffbau zur strategischen Branche erklärten mit dem Ziel, Industrialisierungsprozesse über diese Schlüsselindustrie voran zu trei- ben. Der Ausbau von Kapazitäten erfolgte direkt mit staatlichen Mitteln oder indirekt über Steuererleichterungen bei Investitionen, Baukostenzuschüssen für Modernisie- rung und Rationalisierung sowie „soft loans“ (Darlehen mit unter dem marktüblichen Niveau liegenden Zinsbedingungen) (VSM 1984). Des Weiteren sicherte politische Institutionalisierung die Abschottung des Marktes von außen über nationale Schiff- bauprogramme. Reeder, die solch vorteilhafte Darlehen und öffentliche Zuschüsse in Anspruch nahmen, wurden mit der Vergabe von Schiffbauaufträgen an einheimische Werften beauflagt. Umgekehrt wurde die Nachfrage von außen über günstige Ex- portkredite in die asiatischen Schiffbaunationen gelenkt.

Die Abwertung von Yen bzw. Won war beim Ausbau der Weltmarktanteile ebenfalls behilflich (ALBERT 1998).

Der Ausbau von Wettbewerbsvorteilen erfolgte über systematische Clusterbildung (Japan), indem günstige Grundfaktoren der Pionierzeit, wie etwa niedrige Löhne, durch fortschrittliche, spezielle Faktoren (Porter 1990) ergänzt wurden. Nach Berger (1993) spielt die gezielte Vernetzung aller relevanten Akteure aus Forschungseinrich- tungen, Universitäten, Banken und Staat mit der Industrie eine entscheidende Rolle. In Japan trugen staatlich geförderte FuE-Projekte, die von der Privatwirtschaft nicht allein getragen werden konnten, zu technologischen Vorsprüngen bei. Ferner ist die Branche in allen asiatischen Ländern in Mischkonzerne eingebettet, unter deren Dä- chern eine breite Palette entlang der Wertschöpfungskette Schiff erstellt wird.

Auch in Krisenzeiten griff die Politik in Japan und Korea institutionell in die Unter- nehmen ein z.B. durch die Forderung nach Unternehmenszusammenschlüssen, um noch stärker von Skalenerträgen profitieren zu können. Werften in Süd-Korea haben z.T. die zehnfache Kapazität von deutschen Werften. Die jüngste in China geplante

21 Kapazitätsausweitung der Hudong Werft (zur Zeit 1 Mio. gt) in Shanghai auf 4,5 Mio. gt lässt die ostdeutschen Werften zu Zwergen mutieren. Bei dieser Kapazitätserwei- terung handelt es sich um eine „green field site“ auf einer Shanghai vorgelagerten Insel im Ostchinesischen Meer, die im Gegensatz zu ihren europäischen Konkurren- ten nicht auf gegebenen, oft die Entwicklung einschränkenden Vorgaben aufbaut (Interviews mit Werftmanagern in Shanghai im Mai 2004).

Mit der Jahrtausendwende ist es koreanischen Schiffbauern gelungen, Japan von Rang 1 abzulösen. Die Übernahme der Spitzenposition war politisch intendiert und wurde über einen beispiellosen Preiskrieg seit den 80er Jahren angestrebt. Diese Strategie bescherte den koreanischen Unternehmen zwar Verluste und brachte eini- ge von ihnen sogar an den Rand des Konkurses. Anders als in Europa und Japan erfolgte die Krisenbewältigung Ende der 80er Jahre jedoch nicht über Kapazitätsab- bau, sondern über staatlich finanzierte Produktivitätssteigerungen und Beschäfti- gungsabbau (VSM 1987 und 1988). Spätestens 1990 konnten koreanische Werften wieder profitabel wirtschaften, was die Politik zu weiterer Förderung des Kapazitäts- ausbaus ermutigte und die Unternehmen nochmals einer prekären Finanzsituation aussetzte. Die Lage spitzte sich zum Zeitpunkt der Asienkrise zu und erschütterte das Vertrauen europäischer Reeder in den asiatischen Schiffbau, so dass es zumin- dest kurzfristig zu einer Umlenkung der Nachfrage nach Europa kam (EICH-BORN 2003). An der Führungsposition Süd-Koreas hinsichtlich der Marktanteile änderte sich jedoch nichts; ebenso wenig konnte der Negativtrend für europäische Marktan- teile am Schiffbau umgekehrt werden. Vor diesem Hintergrund muss die Transforma- tion der Schiffbauindustrie Ostdeutschlands gesehen werden.

5 Institutionalisierung der ostdeutschen Werfttransformation

Schlüsselrollen fielen dem Nationalstaat und der EU bei der Aushandlung von Trans- formationsspielregeln zu. Der Nationalstaat regulierte die Privatisierung mit der ei- gens zu diesem Zweck gegründeten Treuhandanstalt (THA), die Kombinate rechtlich in Aktiengesellschaften überleitete und in TH-Besitz überführte. Im Schiffbau war das die Deutsche Maschinen- und Schiffbauaktiengesellschaft. Die DMS AG fungierte als Holding in Form einer Aktiengesellschaft von Werft- und Zulieferbetrieben. Die ein- zelnen Betriebe waren privatrechtlich als Gesellschaften mit beschränkter Haftung

22 organisiert. Ihr Kapital hielt die DMS AG. Auf die Schwierigkeiten, die die einzelnen Betriebe nach der Institutionalisierung der Währungsunion ab Juli desselben Jahres zu bewältigen hatten, kann hier im Einzelnen nicht eingegangen werden (vgl. hierzu EICH-BORN 2003). Die hohen Verluste, die aus dem Wegbruch des bisherigen Ostmarktes resultierten2, stellten jedenfalls eine Restriktion für die Privatisierung dar. Die THA musste zwangsläufig Anreize bieten, indem sie Faktorkosten für Kapital subventionierte, um die Opportunitätskosten für Sanierungsinvestitionen auf der Sei- te der neuen Eigner zu reduzieren. Der Bieterwettbewerb blieb dennoch einge- schränkt. Als Gegenleistung forderte die THA aus wohlfahrtökonomischen Gründen Investitions- und Beschäftigungszusagen von den neuen Eignern ein.

Der Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland war gleichzeitig mit einem Beitritt in das Hoheitsgebiet der EU verbunden. Beihilfen stellen Wettbewerbsverzerrungen dar und unterliegen nach EU-Gemeinschaftsrecht der Genehmigung durch die EU. Um Wett- bewerbsverzerrung innerhalb des Gemeinschaftsgebietes ausschließen zu können, knüpfte die Kommission ihre Zustimmung zur Ausreichung von staatlichen bzw. Lan- dessubventionen an eine Kapazitätsreduzierung von 40% für die Dauer von 10 Jah- ren (1996-2005). Damit reduzierten sich die Kapazitäten faktisch von ursprünglich 545.000 auf 327.000 cgt3, die auf die einzelnen Standorte umgelegt wurden. Die cgt- Begrenzung stellt wiederum eine Restriktion für unternehmerisches Handeln dar. Das Ergebnis des Verhandlungspokers ist in Abbildung 5 dargestellt.4

2 Immerhin gingen nahezu 80% der Schiffsexporte zwischen 1980 und 1989 in den RGW. 3 cgt steht für compensated gross tons. Compensated ist eine Gewichtung der Bruttoraumzahl (gt) mit einer Kennziffer, die den Arbeitsaufwand, der mit dem jeweiligen Schiffstyp verbunden ist, zum Aus- druck bringt. So ist ein Containerschiff arbeitsaufwendiger als ein Massengutfrachter, ein Passagier- schiff wiederum arbeitsaufwendiger als ein Containerschiff. 4 Der Elbewerft waren ursprünglich 35.000 cgt zugesprochen worden, nach ihrer Insolvenz 1998 wur- den ihre cgt auf die verbliebenen Werften aufgesplittet.

23 Abbildung 5: cgt-Zuweisung pro Jahr je Werftstandort (1996-2005)

Tausend cgt 120

106

100 91 91

80

60

39 40

20

0 Werft Werft Rostock Werft Werft

Quelle: EU-Kommission

Unter den Bedingungen eingeschränkten Bieterwettbewerbs konnte der Bremer Vul- kan (BVV AG) eine kleine Verbundlösung5 für sich realisieren (vgl. Tab. 1), die je- weils eine Werft in Wismar und Stralsund sowie zwei große Zulieferer (Dieselmoto- renwerk und Neptunindustrie6 in Rostock) beinhaltete. Die Rostocker Warnowwerft wurde Kvaerner zugesprochen, die Peenewerft bzw. die Elbewerft gingen jeweils an mittelständische Unternehmen (Hegemann bzw. Petram).

5 Die Leitung der ostdeutschen Bremer Vulkan Betriebe erfolgte zunächst zentral durch die Hanse Holding in Rostock. Diese organisatorische Trennung von Ost- und Westbetrieben war das Ergebnis politischer Initiative auf Landes- und Bundesebene, da mit einer direkten Einbettung in den West- konzern verlängerte Werkbänke befürchtet wurden. Allerdings fiel diese zweigleisige Führung sehr bald einer Neustrukturierung der BVV AG zum Opfer, die Ost- und Westwerften unter der Bremer Vulkan Verbund GmbH im Sinne einer Großwerft zusammenfasste. Damit verbunden war die Ein- führung von cash management mit cash concentration. Für Ostwerften bestimmte Modernisierungs- subventionen konnten auf diese Art und Weise in Westwerften zum Einsatz gebracht werden. Der Rückfluss dieser Gelder blieb unter sich verschärfenden Wettbewerbsbedingungen (Preisverfall durch koreanische Dumpingpreise und mangelnde Wettbewerbsfähigkeit an den Weststandorten) aus. Alle Versuche, die BVV AG zu retten, scheiterten. 6 Die ehemalige Neptunwerft fiel den Kapazitätssenkungen zum Opfer. Aufgrund diverser Standort- nachteile wurde sie als Schiffbauunternehmen geschlossen, sollte aber als Industriestandort mit schiffbauorientierten Zulieferleistungen und einer breiten Diversifizierungspalette erhalten bleiben.

24 Tabelle 1: Privatisierungsergebnisse der Schiffbauindustrie Mecklenburg- Vorpommerns

Betriebs- MTW Warnow Neptun Volkswerft - Elbe- Diesel- name Werft werft werft Stralsund werft werft motoren- Wismar Rostock- Rostock werk Warnemünde Rostock

Industrie-

1. Priva- standort BVV AG BVV AG Petram BVV AG tisierung Rostock: Kvaerner BVV AG heute Hegemann Aker Aker Industrie- Kvaerner standort 2. Priva- Heute AP Insolvenz Insolvenz Rostock: tisierung Aker Moeller Kvaerner Meyer

Quelle: Eich-Born 2003

Der Preisverfall auf dem Schiffbaumarkt, der Wechsel in ein neues Marktsegment (Passagierschiffbau) am Bremer Standort und die Abwertung der italienischen Lira nach dem Ausstieg Italiens aus dem europäischen Währungsverbund, der eine Ab- wertung der Vertragssummen mit einem italienischen Reeder zur Folge hatte, brach- te den Bremer Vulkan in enorme Liquiditätsprobleme. Sie mündeten 1996 in seinen Konkurs. Die ostdeutschen Betriebe wurden aus dem Verbund herausgelöst und zum zweiten Mal privatisiert. Die neue internationale bzw. europäische Lösung bein- haltete den Vorteil der Risikoverteilung auf viele Akteure: Aker (Norwegen) für die Wismarer Werft, AP Möller (Dänemark) für die Stralsunder Werft, Meyer (Deutsch- land) für die Neptunindustrie. Für die neuen Eigner ergab sich der Vorzug, dass Mo- dernisierungsprozesse an den einzelnen Standorten schon weit fortgeschritten wa- ren, und sie die Werften zu relativ niedrigen Kaufpreissummen (z.B. 85 Mio. DM in Wismar) erwerben konnten bei hohem Gegenwert (780 Mio. DM).

Die beiden Insolvenzen (Dieselmotorenwerk und Elbewerft) sind u.a. Zeugnis des harten Wettbewerbs mit asiatischen Konkurrenten. Die Elbewerft konnte mit ihren ungünstigen Standortbedingungen (Binnenlage an der Boize, Nebenfluss der Elbe,

25 Untiefen, Durchfahrthöhen der Elbbrücken, Niedrigwasserpegelstand) nicht Stand halten. Ursächlich für das Scheitern des Dieselmotorenwerks trotz des mittlerweile durchgesetzten Produktivitätserfolgs war nach Aussage des damaligen Manage- ments der koreanische Preiskrieg mit einer marktunüblichen Institutionalisierung zwi- schen Werften, Motorenhersteller und Lizenzgeber bezogen auf geographische Ho- heitsgebiete. Sowohl koreanische als auch deutsche Motorenhersteller produzierten auf der Basis von Lizenzen des Schweizer Unternehmens Sulzer. Üblicherweise tre- ten Motorenhersteller selbst als Verkäufer auf, mit der Lizenzübernahme erwerben sie lediglich das Anrecht, die Motoren des Lizenzgebers für Unternehmen innerhalb ihres Wirtschaftsraumes zu erstellen. Ein europäischer Hersteller kann dementspre- chend nur in Europa absetzen, ein asiatischer nur im asiatischen Raum. Der Lizenz- geber kann aber auch selbst am Markt als Verkäufer auftreten, wie in diesem Fall geschehen, und Aufträge für europäische Werften an koreanische Hersteller verge- ben. Ein Motor, der 1998 vom europäischen Lizenznehmer mit 18 Mio. DM angebo- ten wurde, kostete beim asiatischen Lizenznehmer 13,8 Mio. DM. Die Preisgestal- tung dort ist u.a. das Ergebnis von economies of scale sowie einer deutlich günstige- ren Lohnsituation.

Mit dem Abschluss der Privatisierung zog sich die Politik (Bund und Land) weitge- hend aus dem Transformationsprozess zurück. Die Nachfolgeorganisation der THA kontrollierte nur den Modernisierungsfortschritt und die Auskehrung der Subventio- nen nach Bauabschnitten. Die neuen Eigner verfolgten mit dem Umbau relativ ein- heitliche prozesstechnologische Transformationspfade. Die Vollwerften wurden zu Kompaktwerften umgebaut. Schiffssektionen werden heute nicht mehr auf der Hel- ling unter freiem Himmel, sondern in die jeweiligen Städte weit überragenden Schiff- bauhallen zusammengebaut. Die Produktion selbst ist auf die Kernkompetenzen, den Stahlbau, konzentriert. Ausrüstungsleistungen wurden zwischenzeitlich vertikal de- sintegriert. Waren vor der Wende noch 70% an der Wertschöpfung eines Schiffes in den Werften selbst hergestellt worden, so sind es heute nur noch 30%. Diese Maß- nahmen reduzierten den Flächenanspruch auf ein Drittel des ehemaligen Betriebsge- ländes. Daraus resultierende kurze Wege und Zeiten sowie die witterungsunabhän- gige Bauweise schlagen sich als Kostenvorteile nieder. Die Digitalisierung des Pro- duktionsprozesses sichert nicht nur simultane Produktion und Qualitätskontrolle,

26 sondern auch simultanen Stahlschiffbau und Ausrüstung, die zuvor im wesentlichen sequentiell erfolgten. Auch die Kommunikation mit den „Zulieferern“ (z.B. bei Ingeni- eurdienstleistungen) ist je nach Anforderung digitalisiert. Das setzt ein kompatibles CAD-System beim Zulieferer voraus. Das Kernunternehmen sichert sich auf diese Art und Weise Kontrolle über das Entwicklungswissen (SCHAMP 2003).

Wie beim Automobilbau folgt die Ausrüstung dem Modularisierungsprinzip, wobei dieses aufgrund der spezifischen Eigenschaften des Produktes Schiff (Größe, Aus- breitungsspanne der Ausrüstung z.B. im Rohrleitungssystem oder beim Kabelbau) anders aussieht. Sogenannte turn-key-Projekte umfassen den schlüsselfertigen Aus- bau z.B. des Maschinenraums. Die Werft vergibt den Auftrag an einen Generalunter- nehmer, der im Sinne eines Systemlieferanten sein eigenes Zuliefersystem verti- kal/horizontal organisiert (single sourcing). Der Ausbau des Maschinenraums findet dann im Team zwischen Werftmitarbeitern und den Mitarbeitern des System- sowie Unterlieferanten statt.

Der Wechsel von sequentieller zu simultaner Produktion stellt neue Anforderungen an die unternehmensinterne Organisation. Beschleunigte Kommunikation von Wis- sen ist eine wesentliche Voraussetzung, die nur über wenige Hierarchiestufen mög- lich ist. An allen Standorten wurden daher die Ebenen vom Fertigungslöhner bis zur Geschäftsführung von ursprünglich 8 auf 3 bis 4 Ebenen reduziert.

Wettbewerbsfähigkeit setzt massive Produktivitätssteigerungen voraus. Zum Zeit- punkt der Wende schätzte die Kreditanstalt für Wiederaufbau die Produktivitätsrück- stände gegenüber westdeutschen Unternehmen auf 40 bis 50% (KfW 1990). Seit- dem wurden enorme Steigerungsraten (70%) erreicht (EICH-BORN 2003). Für ein Containerschiff des Jahres 1990 veranschlagten die Unternehmen damals 62,5 Stunden, 2002 waren es noch 15. Damit haben die Werften das durchschnittliche Westniveau erreicht, in dem ein oder anderen einzelnen Vergleichsfall mag sogar eine Überschreitung zutreffen. Die Frage, ob eine Wettbewerbsverzerrung Ost-West vorliegt, kann sich nur über ökonomische Vergleichsdaten erschließen lassen. Abbil- dung 6 stellt die Entwicklung von Umsatz je Beschäftigte getrennt nach alten und neuen Bundesländern dar.

27 Abbildung 6: Umsatz/Beschäftigte (kub. Spline-Interpolation) und Lohnent- wicklung im Schiffbau: Alte und Neue Bundesländer im Ver- gleich 1991-2001

Quelle: Statistisches Bundesamt, eigene Berechnungen

Da sich zwischen den Jahren erhebliche Schwankungen des Umsatzes ergeben können7, wurden Dreijahresmittelwerte zur Grundlage gemacht. Danach hat sich zwar der ökonomische Produktivitätsrückstand der ostdeutschen gegenüber den westdeutschen Schiffbauländern nahezu ausgeglichen. Ein „Überholen“ muss jedoch ausgeschlossen werden, auch wenn sich durch die nach wie vor niedrigeren Löhne ein Standortvorteil gegenüber westdeutschen Werften ergibt. Offensichtlich erfüllt die cgt-Begrenzung ihre Funktion aber mit einem entscheidenden Nebeneffekt: Die Effi- zienz der faktorspezifischen Investitionen kann nicht über die Häufigkeit bzw. Ausla- stung verfolgt werden mit entsprechenden Konsequenzen für die Personalentwick- lung.

Ein Blick auf die Beschäftigtenentwicklung nach Werftstandorten und zwar bezogen auf das Ausgangsjahr 1989, die Beschäftigungsvereinbarung laut Privatisierungsver-

7 durch die Ablieferung eines Schiffes am Jahresanfang, das aber zu erheblichen Teilen im Vorjahr erzeugt worden ist.

28 trag sowie im Jahr 2002 ernüchtert und lässt an der Argumentationslinie der Befür- worter des Erhalts industrieller Schiffbaukerne zu Recht Zweifel aufkommen (Abb. 7).

Abbildung 7: Beschäftigte in den Werften 1989, laut Privatisierungsvertrag vereinbart und 2002

9000 8226 8000

7000 6518 6123 6000

5000

4000 3767 3097 3000 2510 2150 2175 2000 1431 1233 1340 1000 700 782 400 0 0 Wismar Rostock Stralsund Wolgast Boizenburg

1989 Privatisierungsvertrag 2002

Quelle: Eich-Born 2003

Im Sinne Struktur erhaltender Industriepolitik konnte zwar über einen gewissen Zeit- raum (bis 1995 bzw. 1997) hinweg verzögerter Arbeitsplatzabbau umgesetzt werden, allerdings ließ sich die Notwendigkeit einer zusätzlichen Reduzierung nicht abwen- den. Die heutige Beschäftigung liegt noch einmal 40% unter den Vereinbarungen im Privatisierungsvertrag. Lediglich die Peenewerft in Wolgast konnte zwischenzeitlich ihr Arbeitskräftepotential leicht aufstocken, wozu das zweite Standbein, die Marine- technologie, beigetragen haben dürfte. An allen anderen Standorten wird nur ziviler Seeschiffbau betrieben, der mit asiatischen Werften in direkter Konkurrenz steht. Dem enormen Kostendruck aus Asien können die Betriebe nur mit Produktivitätsstei- gerung entgegnen, die in Verbindung mit der „Deckelung von oben“ zwangsläufig in weiterem Arbeitsplatzabbau münden muss.

29 Insbesondere unter den Bedingungen der Volatilität des Schiffbaumarktes müssen Werften in der Lage sein, flexibel auf Veränderungen reagieren zu können. Die Insti- tutionalisierung der cgt-Begrenzung steht dem entgegen, denn in einem Jahr nicht verbaute cgt des Vorjahres durften bislang nicht auf das nachfolgende Jahr übertra- gen werden. Genauso wenig wie sich ein Verkauf nicht genutzter cgt an eine Nach- barwerft realisieren ließ. Auch eine vor zwei Jahren in langen Auseinandersetzungen mit der EU erstrittene, ausgründungsbedingte Lockerung der cgt-Begrenzung nach oben (8,9%), kann das grundsätzliche Problem der Werften, flexibel auf Marktbedin- gungen reagieren zu können, nicht lösen. Während die westdeutschen Werften un- eingeschränkt am Schiffbauboom (z.B. nach der Asienkrise) teilhaben konnten, blieb dies ostdeutschen Werften verwehrt.

Obwohl sich die ostdeutschen Werften auf dem Markt mit sehr breiten Produktpalet- ten präsentieren, die auf flexible Spezialisierungsmaßnahmen schließen lassen, sprechen die Ablieferungen der letzten zehn Jahre für „Massenproduktion“: Mehr als 84% der produzierten Wasserfahrzeuge sind Containerschiffe. Reeder neigen auf- grund der Kostensituation dazu, Schiffbaupakete zu vergeben (z.B. fünf Schiffe glei- chen Typs), um die daraus resultierenden Skaleneffekte für beide Seiten: Käufer und Verkäufer nutzbar zu machen. Allerdings lässt die cgt-Begrenzung nur Kleinserien- fertigung zu. Im Gegensatz dazu können asiatische Werften die Vorteile der Mas- senproduktion nahezu uneingeschränkt für sich instrumentalisieren. Dort werden parallel mehrere Schiffe gleichen Typs gebaut bzw. in einem dicht aufeinander abge- stimmten Taktkonzept. Lernkurveneffekte und die Bündelung von Beschaffungsvor- teilen ergeben so enorme Kostenvorteile.

Die betriebswirtschaftliche Situation aller europäischen Werften muss vor diesem Hintergrund nach wie vor kritisch gesehen werden. Die Asienkrise lenkte zwar kurz- fristig das Interesse europäischer Reeder auf ihre heimischen Werften zurück. Je- doch kehrten die Koreaner nur ein Jahr später mit Dumpingpreisen den Handels- strom wieder von Europa nach Asien um, so dass sich der geographische Schwer- punkt von Auftragsplatzierungen europäischer Reeder wieder auf Asien konzentrier- te. Experten machen eine unzureichende Institutionalisierung von Spielregeln zwi- schen transnationalen politischen Organisationen, Koreas Regierung und Banken sowie den dortigen Werften für diese Entwicklung verantwortlich (VSM 2002 und

30 2003). So gewährte der IWF Korea Finanzhilfen in Höhe von 57 Mrd. US-Dollar zur Sanierung des Bankensystems. Diese Gelder sollen indirekt den hoch verschuldeten Schiffbauunternehmen zugute gekommen sein, indem Umschuldungen von Schiff- bauunternehmen entgegen marktüblichen Praktiken vorgenommen wurden. Anders als in Europa können so insolvente Schiffbauunternehmen ihre Geschäfte fortführen, während der europäische Bremer Vulkan mit einem viel geringeren Schuldenberg seine Tore für immer schließen musste (Fairplay Solutions vom Juli 2002). Die Gläu- biger von Daedong Shipbuilding installierten z.B. mit dem Dieselmaschinenhersteller STX einen neuen Eigner (Seaborne Commerce Asia 1999, H. 20). Schulden in Höhe von 204 Mio. US-Dollar wurden in langfristige Verbindlichkeiten (14 Jahre) umge- wandelt und gleichzeitig längerer Gläubigerschutz erwirkt. Der Darlehenszinssatz liegt bei 7%, die Tilgung begann erst im Jahr 2003. Gleichzeitig gehen diese Werften mit niedrigsten Preisofferten auf den Markt, die kaum die Materialkosten decken können. Derartige Maßnahmen sind mit marktorientierten Praktiken unvereinbar. Ferner wurden Finanzhilfen nicht, wie im ostdeutschen Beispiel, an Auflagen, wie etwa Kapazitätsreduzierungen, geknüpft. Um derart unlautere Wettbewerbspraktiken zukünftig ausschließen zu können, hat die EU einen Antrag auf Schlichtung vor der WTO gestellt und eine entsprechende Institutionalisierung auf transnationaler politi- scher Ebene gefordert.

6 Dimensionen geographischer Distanz und Nähe

Die unternehmensexternen Anpassungsstrategien der Werften sind auf die geogra- phische Distribution von Zuliefer- und Absatzbeziehungen gerichtet. Für regionales Wachstum ist die Einbettung des Absatzes in ein globales Beziehungsgeflecht gün- stig, wohingegen für die Zulieferverflechtungen räumliche Nähe von Vorteil ist.

Die Absatzbeziehungen ostdeutscher Werften spiegeln die geschilderte Wettbe- werbssituation wider. Grundsätzlich ist die Etablierung auf dem westlichen Markt ge- lungen. Lediglich 5,8% der Schiffsablieferungen (BRZ) gingen von 1991 bis 2001 nach Russland. Die übrigen Nachfolgestaaten der ehemaligen UdSSR spielen so gut wie keine Rolle. Allerdings konnte eine Flexibilisierung im Sinne geographischer Di- versifizierung nicht realisiert werden. Nahezu 60% der Ablieferungen verblieben in Deutschland, weitere knapp über 30% im sonstigen Europa (EICH-BORN 2003), so

31 dass kaum von internationaler Wettbewerbsfähigkeit gesprochen werden kann. Asia- tische Schiffsbestellungen bleiben aufgrund bereits erwähnter Institutionalisierungen in Asien.

Auch wenn Exporte der ostdeutschen Werften in diesem Zeitraum nur bei 40% liegen (westdeutsche Werften rund 60%) (VSM 2003), ist die Wirtschaft Mecklenburg- Vorpommerns stark von Schiffbauexporten abhängig. Der exportorientierte Lokalisa- tionsquotient macht dies deutlich. Er erreicht sogar in Jahren mit niedriger Export- quote (Anfang der 90er) Werte über 1, was die Abhängigkeit des Landes von der Schiffbaubranche nur unterstreicht (Abb. 8).

Abbildung 8: Exportorientierter Lokalisationsquotient der ostdeutschen Schiffbauindustrie 1991-2001

Quelle: Statistisches Landesamt M-V, eigene Berechnungen

Die erhofften Rückwärtskopplungseffekte wurden von Kritikern der Politik des Erhalts industrieller Kerne im Fall einer Privatisierung an regionsextern kontrollierte, global agierende Konzerne stark angezweifelt. Tatsächlich hat sich diese Befürchtung ein- geschränkt bestätigt. Von einem Vorleistungsvolumen in Höhe von 937,7 Mio. DM im Jahr 2000 verblieb ein Drittel in M-V. Zum Vergleich: in der Schiffbauregion Gyeon- gnam in Süd-Korea, in der nahezu die gesamte nationale Schiffbauindustrie konzen- triert ist, werden rund 80% der Vorleistungen aus der Region bezogen (EICH-BORN, HASSINK 2003). Die Angaben der Werften zum regionalen Umsatz mit Vorleistern decken sich nahezu mit den Angaben von Neugründungen und ehemaligen Kombi-

32 natszulieferern im Umfeld der Werften. Um die Bedeutung fokaler Unternehmensan- siedlungen für eine Region deutlich zu machen, kann an dieser Stelle auf die Mittel verwiesen werden, die über die Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regio- nalen Wirtschaftsstruktur in die Region fließen. Laut Stand vom September 2002 sind im Zeitraum von 1990 bis 2005 pro Jahr 757,97 Mio. DM bewilligt worden.

Abbildung 9: Regionale Bezugsbasis der Werft-Vorleistungen 2000 ( 937,7 Mio. DM)

400

343,8 350 309 300 284,9

250

200

150

100

50

0 Mecklenburg- sonstiges Deutschland Ausland Vorpommern

Quelle: Eich-Born 2003

Das entspricht pro Jahr (1990-2002) einer Summe von 58 Mio. DM. Dem stand zu- mindest für das Jahr 2000 die fünffache Summe (309 Mio. DM) durch die regionale Verflechtung der Werften gegenüber.

Ein Drittel der Vorleistungssumme (343,8 Mio. DM) entfällt auf das sonstige Deutsch- land, so dass die Globalisierungstendenzen in der Beschaffung 2000 offensichtlich noch nicht stark ausgeprägt sind. Allerdings nehmen die global-sourcing Aktivitäten nach Auskunft der Einkaufsleiter zu, vor allen Dingen im technologisch anspruchsvol- len Marktsegment Maschinenbau. Entgegen der ursprünglichen Annahme ist die Be- schaffung der Kernunternehmen kaum in Konzernhierarchien eingebettet, wohl aber in angestammte Marktbeziehungen der Konzerne. In der Regel handelt es sich dabei um komplexe Systemlieferungen mit entsprechend hoher Technologieintensität.

33 Nach Aussage der Einkaufsleiter in den Werften werden die größten regionalen Chancen in Zukunft den marktbestimmten Dienstleistungen eingeräumt. Dazu zählen wissensintensive Ingenieurs- und Konstruktionszuarbeiten aber auch einfachere Lei- stungen wie Korrosionsschutz, Isolierung, Verblendung und Innenausbau. Für sie ist der Standortfaktor „räumliche Nähe“ aus unterschiedlichen Gründen von Bedeutung. Ingenieurbüros kommunizieren über eine gemeinsame Informations- und Kommuni- kationstechnologie, die Wissen im gleichen Code transportiert, insofern spielt räumli- che Nähe auf den ersten Blick keine Rolle. Allerdings haben Verlagerungsversuche dieser intelligenten Dienste in kostengünstigere Regionen (z.B. Kroatien) in der jün- geren Vergangenheit zu Abstimmungsproblemen und entsprechenden Reisekosten geführt, so dass neben der virtuellen die geographische Nähe notwendig bleibt. Auch geographische Nähe von Ausrüstungsdienstleistern für den Innenausbau wird von allen Einkaufsleitungen als vorteilhaft bewertet, da in der Endphase des Schiffbaus zeitliche Engpässe bei räumlicher Nähe leichter zu überwinden sind.

Die geographische Distribution der Vorleistungsbeziehungen lässt auf die Evolution eines KMU-Bestandes im Umfeld der Werften schließen. Tatsächlich hat es zwi- schen 1990 und 2001 insgesamt 146 Unternehmensgründungen im Umfeld der Werften gegeben, deren Überlebensrate mit nahezu 77% im Vergleich mit anderen Studien als ausgesprochen hoch anzusetzen ist. Knapp über 50% dieser Unterneh- men sind als Ausgründungen aus den Werften anzusehen. Sie schließen eine Per- sonalübernahme aus den Kernunternehmen ein, wobei der Geschäftsführer entwe- der auch aus dem alten Kernunternehmen stammt oder aus einem werftaffinen Um- feld in Ostdeutschland. Diese Ausgründungen hatten den Vorteil, dass ihre Akteure mit den alten Organisationsstrukturen und Geschäftsabläufen der jeweiligen Werft vertraut waren und parallel das neue Produktionskonzept über Verflechtungen mit dem Kernunternehmen erlernten.

34

Abbildung 10: Ausgründungen und Ausgründungen je 1000 ehemaliger Kombi- natsbeschäftigter 1990-2001

Ausgründungen Ausgründungen je 1000 ehem. Kombinatsbesch. 60 6 5,7 52 Ausgründungen 50 5 Ausgründungen je 1000 ehem. 40 37 Kombinatsbeschäftigter 4

30 2,8 2,9 3 3 23 2,3 20 2,3 16 2 11 10 7 1

0 0

Wismar Rostock Wolgast Stralsund Boizenburg sonstiges MV

Quelle: Eich-Born 2003

Das Ausmaß der Reagglomeration differiert jedoch stark von Standort zu Standort. Wie zu erwarten rangiert die Hochburg des ehemaligen Kombinates und größte Stadt des Landes, Rostock, mit 52 Neugründungen weit vor Wismar (37) und Stralsund (23) oder gar Wolgast (11) und Boizenburg (7). Werden die Neugründungen in Be- ziehung zu den Beschäftigten in ehemaligen Kombinatsbetrieben gesetzt, löst Wis- mar die größte Stadt des Landes von der Spitzenposition ab. Ursächlich für diese Entwicklung ist das kreative Milieu, das von den Managern des Kernunternehmens geschaffen worden ist. Sie wurden von den neuen Eignern in ihren Positionen aus DDR-Zeiten belassen und trugen die Verantwortung für Umbau und Einbettung in den globalen Markt. Sie agierten in der Tat als homo sociologici, indem sie die Be- schränkung des Kernunternehmens auf Kernkompetenzen mit gründungsfördernden Maßnahmen begleiteten. Sie forderten gezielt Mitarbeiter mit gründungsspezifischen Fähigkeiten zur Neugründung eines Betriebes mit dem alten Geschäftsfeld auf. Der Ausgründungsintensität ist dort mit 5,7 Unternehmensausgründungen je 1.000 ehe- maliger Kombinatsbeschäftigter am höchsten, ebenso die Überlebensrate mit 87%

35 (EICH-BORN 2003). Der Mangel an Sicherungs- und Haftungsfunktion durch Eigen- kapital konnte durch Vertrauen zwischen Geschäftsführung im Kernunternehmen und Unternehmensgründer in langfristig angelegten Vertragsbeziehungen, günstiger Übernahme von Maschinen und Anlagen bzw. guten Mietkonditionen für Räumlich- keiten überwunden werden. Die Ausgründungsintensität an allen anderen Standor- ten, in denen die alte Werftleitung durch westliche Manager ersetzt wurde, bleibt weit hinter der Wismars zurück. Eine nachhaltige Gründungsdynamik konnte aber an kei- nem der Standorte initiiert werden. 60% aller Neugründungen im Umfeld der Werftin- dustrie kamen in den ersten drei Nachwendejahren zustande. Mit dem Ende der Werftmodernisierungen (1998) haben sich die Gründungspotentiale erschöpft. Auch eine nachhaltige Wachstumsdynamik hinsichtlich Beschäftigung und Umsatz hat sich in den bestehenden Betrieben nicht eingestellt. Die Beschäftigungsentwicklung ent- spricht mit 1,4% Zunahme pro Jahr seit 1998 einem Viertel der Dynamik, die Techno- logie- und Gründerzentren Ostdeutschlands aufweisen (TAMASY 1996).

Der Unternehmensbesatz nach Umsatzgrößenklassen wirft ein erstes Licht auf die Zukunftsfähigkeit dieses neuen KMU-Bestandes. 88% der Neugründungen zählen zu Kleinst- und Kleinunternehmen (max. 14 Mio. DM Umsatz). Betriebe dieser Größen- ordnung sollen in der BRD besonders innovativ sein. Knapp 40% der Neugründun- gen gaben an, FuE zu betreiben, in der Regel handelt es ich dabei jedoch mehr um Entwicklung als um Forschung. Ausdruck dessen ist die Tatsache, dass die breite Mehrheit dieser Unternehmen standardisierte, technologisch weniger komplexe Pro- dukte vertreibt (EICH-BORN 2003). Das sind schlechte Voraussetzungen für die zu- künftigen Anforderungen der Schiffbauindustrie an innovativen, komplexen System- lösungen.

Ebenso ungünstig ist die extreme Abhängigkeit vom ehemaligen Kernunternehmen bzw. der Werft in unmittelbarer Standortnähe zur Neugründung. In Stralsund sind z.B. 84% der Unternehmen nahezu vollständig von der Werft abhängig, bleiben also starr an diesen Auftraggeber gekoppelt. Es kann daher auch nicht verwundern, dass das Investitionsniveau dieser Betriebe weit unter dem üblichen Durchschnitt im ver- arbeitenden Gewerbe liegt. Dementsprechend bewerten 58% der Unternehmen die betriebswirtschaftliche Situation für die nächsten zwei Jahre eher schlecht bis sehr

36 schlecht. Nur 10% schätzen ihre wirtschaftlichen Aussichten eher gut bis sehr gut ein. Letztere sind fast ausnahmslos wissensintensiven Dienstleistungen zuzuordnen.

7 Zusammenfassung und Fazit

Der Transformationsprozess der ostdeutschen Werften bewegt sich zwischen Licht und Schatten. Die eingeschlagene Wettbewerbsstrategie, sich über enorme Produk- tivitätsgewinne auf dem Markt behaupten zu wollen, droht an einem Wechselspiel politischer Institutionalisierungen auf supranationaler Ebene (cgt-Begrenzung) mit der gegenwärtigen Marktsituation – dem geographisch konzentrierten Wachstum in Südostasien, Überkapazitäten durch aggressiven Werftausbau in diesen Wach- stumsregionen und zu erwartenden sinkenden Schiffbaupreisen – in einem circulus vitiosus zu scheitern: der Kostendruck forciert weitere Produktivitätsgewinne, die zwangsläufig in weiterem Personalabbau münden. Der Entwicklung von Löhnen und Gehältern sind unter diesen Bedingungen enge Grenzen gesetzt.

Auch die Aufhebung der cgt-Begrenzung 2006 wird kaum zu Terraingewinnen bei- tragen, da der Kostendruck aufgrund der Überkapazitäten und damit die Notwendig- keit der Subventionierung über Betriebsbeihilfen (6% des Schiffspreises) bestehen bleibt. Davon trägt das Land zwei Drittel, der Bund den Rest. In Anbetracht der an- gespannten Haushaltslage, der z.Zt. vollen Auftragsbücher und dementsprechend höherer Nachfrage nach Beihilfen und der Tatsache, dass diese Finanzmittel den- noch nur eine strukturerhaltende aber keine strukturgestaltende wirtschaftspolitische Maßnahme (Aufbau neuer Branchen, Schaffung neuer Arbeitsplätze) darstellen, ist dies bedenklich. Die Entwicklung des Lokalisationsquotienten zur Beschäftigung in Abbildungen 11 und 12 macht die restriktive Bindung der Region an die Branche deutlich. Die Beschäftigung in der Branche nimmt seit 1990 extrem ab. Da sich aber die Beschäftigung in anderen industriellen Branchen offensichtlich noch stärker redu- ziert, nimmt die beschäftigungspolitische Abhängigkeit vom Schiffbau an den Stand- orten zu.

Dass die Schiffbauindustrie aus makroökonomischer Sicht langfristig eine Entwick- lungssackgasse darstellt, wird auch am Beispiel der Verflechtungsbeziehungen er- sichtlich. Auf einen Werftarbeitsplatz entfällt im Durchschnitt des Landes nur ein Ar- beitsplatz in der Zulieferindustrie (BRD: 1:3). Eine Reterritorialisierung von regionalen

37 Netzwerken ist nur im Westen im Sinne von Glokalisierung8 geglückt. Sie basiert auf heterarchischen governance-Initiativen der Werftmanager (Ostmanager in Wismar),

Abbildung 11: Lokalisationsquotient der Schiffbauindustrie 1990 (Beschäftigte im Schiffbau bezogen auf die Beschäftigten im Verarbeitenden Gewerbe)

Flensburg

Husum N Kiel Rostock Rendsburg Stralsund

Cuxhaven Lübeck Wolgast Wewelsfleth Wismar Wilhelmshaven

Emden Hamburg Boizenburg Berne Elsfleth Lauenburg Lehmwerder Oldenburg Papenburg Bremen (mit Bremerhaven) Beschäftigte Lokalisationsquotient im Schiffbau (für Norddeutschland =1) (Kreisgröße) 101 - 500 0 bis unter 1 501 - 1000 1 bis unter 2 1001 - 2000 2 bis unter 5 5 bis unter 15 Lokalisationsquotienten 2001 - 5000 nach Ländern (Norddeutschland=1) keine Angabe Mecklenburg-Vorpommern (3,9) 5001 und mehr Werte für Wolgast und Boizenburg Bremen (2,2) bezogen auf Landkreise Ostvor- Hamburg (1,0) pommern bzw. Ludwigslust Schleswig-Holstein (0,9) 50 0 50 Kilometer Niedersachsen (0,2)

Abbildung 12: Lokalisationsquotient der Schiffbauindustrie 2000 (Beschäftigte)

Flensburg

Husum N Kiel Rostock Rendsburg Stralsund

Wolgast Cuxhaven Lübeck Wewelsfleth Wismar Wilhelmshaven Emden Hamburg Berne Elsfleth Lehmwerder Lauenburg

Papenburg Bremen (mit Bremerhafen) Beschäftigte Lokalisationsquotient im Schiffbau (für Norddeutschland =1) (Kreisgröße) 1 - 100 0 bis unter 1 101 - 500 1 bis unter 2 501 - 1000 2 bis unter 5 5 bis unter 15 Lokalisationsquotienten 1001 - 2000 nach Ländern (Norddeutschland=1) 15 und höher Mecklenburg-Vorpommern (4,5) 2001 - 5000 keine Angabe Schleswig-Holstein (1,9) Werte für Wolgast und Boizenburg Bremen (1,4) bezogen auf Landkreise Ostvor- pommern bzw. Ludwigslust Hamburg (1,2) 50 0 50 Kilometer Niedersachsen (0,4)

Quellen (Abbildung 11 und Abbildung 12): Stat. LA Norddeutschlands, eigene Berechnungen die die Herausbildung interregionaler Netzwerke im Sinne von homini sociologici be- fördert und sie mit politischen Beziehungen unterstützt haben (EICH-BORN 2003),

8 Unter Glokalisierung ist ein ausgewogener Mix von globalen und regionalen/lokalen Zulieferverflech- tungen durch ein Kernunternehmen zu verstehen.

38 wobei diese (Wismar und Rostock) nur eingeschränkt als wissensintensive Kompe- tenzzentren bezeichnet werden können mit über dem Landesdurchschnitt liegenden FuE-Ausgaben und Patentanmeldungen (EICH-BORN 2003). Aber auch dort wird die betriebswirtschaftliche Situation der Branche für die nachfolgenden zwei Jahre kri- tisch eingeschätzt.

Wenn der Schiffbau in M-V langfristig zumindest als Rumpfindustrie eine Zukunft mit stabilen regionalen Zulieferverflechtungen haben soll, dann müssen im Sinne einer konzertierten Aktion folgende Maßnahmen eingeleitet bzw. beschleunigt werden:

· EU, Bund und Land haben in der Vergangenheit im wesentlichen immer nur auf Marktverzerrungen mit spezifischen Anpassungsmechanismen wie etwa Be- triebsbeihilfen reagiert. Neben Reaktion ist aber auch Aktion gefordert. Die Rah- menbedingungen wirtschaftlichen Handelns müssen so gestaltet werden, dass sich der Schiffbau ungehindert nach marktwirtschaftlichen Bedingungen und auf ökonomisch effiziente Weise entfalten kann (vgl. hierzu KLODT 2003, S. 155). Im Zeitalter der Globalisierung stellt diese Aufgabe eine besondere Herausforderung dar. Die Lösung des Branchenproblems liegt in einer supranationalen Institutiona- lisierung fairer Wettbewerbsbedingungen durch die OECD (Schiffbauabkommen), das den Ausschluss aller marktverzerrenden Faktoren sicherstellt. Dies schließt eine Regulation von staatlichen Subventionen für Werfterweiterungen ebenso ein wie eine marktgerechte Preisbildung für das Produkt Schiff. Nur auf diese Art und Weise kann die Herausbildung von marktbeherrschenden Unternehmen über marktunübliche Strategien verhindert werden.

· Parallel dazu bedarf es einer supranationalen Wettbewerbskontrolle, die sich durch Schnelligkeit des Eingriffs auszeichnet. Die Klageerhebung der EU vor der Welthandelsorganisation gegen wettbewerbsverzerrende Preisbildung der Süd- Koreaner hat Jahre in Anspruch genommen und dem beschuldigten Konkurrenten temporäre Vorteile verschafft, die ihn den Markt bis heute dominieren lassen. Grundlegende globale Wettbewerbsregeln müssen dem Faktor Zeit Rechnung tragen.

· Auf der Ebene der supranationalen Organisationen (z.B. IWF, WTO, OECD, EU) bedarf es vermehrter internationaler Kooperation, denn Regelwerke der einen Or-

39 ganisation können Institutionalisierungen anderer Organisationen konterkarieren wie am Beispiel des IWF-Kredits an Süd-Korea gezeigt. Grundsätzlich sollten fi- nanzielle Hilfen an Bedingungen geknüpft werden (Kapazitätsbegrenzungen). Zwischen den Organisationen empfiehlt sich daher im Sinne einer politischen Clusterbildung die Einrichtung von Arbeitsgruppen, die die Wechselwirkungen von Maßnahmen auf alle anderen Felder analysiert bzw. zu antizipieren sucht (vgl. hierzu auch Eich-Born in diesem Heft).

· Gemäß des Coase-Theorems besteht grundsätzlich im Fall von Marktversagen die Möglichkeit, über Verhandlungen mit den Beteiligten zu einer effizienten Lö- sung zu finden (KLODT 2003), die eine globalwirtschaftlich optimale Allokation in der Schiffbauindustrie sicher stellen müsste. Auch im Fall der bevorstehenden Kapazitätsausweitungen der chinesischen Werften sollte in diesem Sinne nichts unversucht bleiben.

· Aus der Entwicklung von altindustriell geprägten Wirtschaftsregionen (Drittes Ita- lien, Baden-Württemberg, Jütland), in denen der Strukturwandel einer alten Bran- che erfolgreich bewältigt worden ist, hat sich die regionale Vernetzung von Kern- und Zulieferunternehmen über Wissensinteraktionen und Neuorganisation der Ar- beitsteilung als Schritt in die richtige Richtung erwiesen. (Piore, Sabel 1985, Beccantini 1990 und 1992, Schamp 2000). Sowohl auf der Meso- wie auf der Ma- kroebene haben sich Initiativen herausgebildet, die dieser Erkenntnis Folge lei- sten. Seit 1997 existiert die IMAWIS GmbH, die innovative maritime Wirtschafts- und Schiffbauforschung, die sich dem Aufbau maritimer strategischer Allianzen zwischen Werft, Zulieferern und Dienstleistern aus der Region verschrieben hat. Sie hat ihre Mitglieder jedoch lediglich aus Wismar und eingeschränkt aus Ro- stock einwerben können. Auf der Makroebene wurde von der Bundesregierung 1999 das Wettbewerbsprogramm Inno-Regio aufgelegt, an dem Akteure aus Mecklenburg-Vorpommern mit insgesamt 12 Verbundprojekten beteiligt wurden. Die Inno-Regio-Initiative hat die gleiche Zielsetzung wie die IMAWIS GmbH, die Schaffung von maritimen strategischen Allianzen in der Region zur Generierung von integrierten Problemlösungen mit der Fraunhofer Gesellschaft Rostock als wichtiger Moderator. Beide Initiativen, IMAWIS und Inno-Regio, sind Schritte in die richtige Richtung, jedoch greifen sie zu kurz. Der maritime KMU-Bestand

40 Mecklenburg-Vorpommerns ist zu stark zersplittert. Die Mehrheit dieser Unter- nehmen befasst sich mit der Herstellung standardisierter Produkte und ist auf ein- zelne, kleine „Schiffbausteine“ konzentriert. Die schrumpfende Gewinnmarge in der Branche hat sie bislang keine Eigenkapitaldecke aufbauen lassen, so dass die wesentlichen Grundlagen fehlen. So kann die zu Innovationen führende Di- mension dieser Netzwerkprozesse – Erforschen und Lernen – von den KMU nicht alleine in Angriff genommen werden (Schamp 2000). Hierzu bedürfen sie einer besonderen „Innovationsarchitektur“ (Gordon 1996), die den spezifischen Bedin- gungen der Branche Rechnung trägt. Das setzt ein vernetztes und rückgekoppel- tes System voraus, das geographisch und organisatorisch breiter angelegt ist. Dem kleinen Anteil der innovativen Unternehmen im Land muss die Möglichkeit eröffnet werden, integrierte Problemlösungen mit innovativen Kooperationspart- nern auf europäischer Ebene zu verwirklichen. Schließlich geht es um den Erhalt der europäischen Schiffbauindustrie. Um den Dialog in diese Richtung zu beför- dern, bedarf es einer europäischen Internetplattform, auf der sich Schiffbauunter- nehmen mit ihren Produkten vorstellen sowie maritimer Konferenzen, die zur Zeit nur auf nationaler Ebene stattfinden.

· Ein weiterer wichtiger Baustein der Innovationsarchitektur sind öffentliche Wis- senschaftseinrichtungen. Auch deren Beteiligung darf nicht nur auf die regionale Ebene beschränkt bleiben. Fallstudien haben ohnehin gezeigt, dass räumliche Nähe von wissensgenerierenden Forschungseinrichtungen einerseits und von sowohl an der Generierung beteiligten als auch Wissen umsetzenden Unterneh- men andererseits eine geringe Wirksamkeit besitzen (Fromhold-Eisebith und Nuhn 1997, Schamp 2000). Die Beziehungen sind eher auf nationenweite Bezie- hungen ausgerichtet. Das gilt sowohl für Universitäten als auch für Großfor- schungseinrichtungen. Denkbar wäre eine Moderation von national anzustoßen- den integrierten Problemlösungsinitiativen in Forschungskooperationen mit dem Centrum für Maritime Technik e.V. Hamburg unter Beteiligung aller maritimer Fachrichtungen an Universitäten und Fachhochschulen. Zwingend erforderlich ist aber auch eine Forschungsinitiative auf europäischer Ebene, die nationalstaatli- che maritime Forschungseinrichtungen miteinander vernetzt.

41 · Die derzeitige Weltmarktsituation in der Branche macht im Fall einer ausbleiben- den Schiffbaurichtlinie weitere Schiffbaubeihilfen erforderlich, will die Politik in Eu- ropa nicht den kompletten Verlust einer strategisch wichtigen Industrie riskieren. Um ein local-content-Bewusstsein bei den maritimen Kernunternehmen bzw. de- ren Management zu verankern, empfiehlt sich die Durchführung regelmäßiger Monitorings zur geographischen Distribution von Werftzulieferverflechtungen.

· Die Region Emsland, einst das Armenhaus Deutschlands, gehört heute zu den dynamischsten Wirtschaftsregionen der Bundesrepublik. Der Schiffbau ist ein we- sentlicher Baustein dieses Erfolgs, der nicht nur auf seinen innovativen Produkten und der Einbettung in ein europäisches Zuliefer- und Forschungssystem basiert. Die Meyer-Werft ist in der Region ebenso wie die Transrapid-Teststrecke ein Tou- rismusmagnet. 2003 wurden 250.000 Touristen durch die kompakte Werftanlage geführt, bei einem unterstellten pro-Kopf-Eintritt von 5 Euro, ergibt das eine Ein- nahme von 1,25 Mio. Euro. Das entspricht einem Zehntel des Umsatzes, den der gesamte Fahrzeugbau in Mecklenburg-Vopommern im selben Jahr erwirtschafte- te. Für den Tourismus, ein wesentliches wirtschaftliches Standbein des Landes, wäre eine solche Vernetzung eine Bereicherung, zumal für die Schlechtwetter- phasen noch ein ausreichend diversifiziertes Hinterlandprogramm fehlt.

Abschließend muss festgehalten werden, dass M-V 14 Jahre nach der Wiederverei- nigung immer noch über eine überkommene Regionalstruktur verfügt. Die Wahr- scheinlichkeit einer schnellen Transformation rückt in größere Ferne, erst recht wenn weiterhin an einer reaktiven anstelle einer proaktiven Wirtschaftspolitik festgehalten wird.

Die Notwendigkeit, über Ansiedlung von externen fokalen Unternehmen exogene Kräfte in das Land zu holen, die über greenfield investments neue Schneisen in die Branchenstruktur schlagen, besteht nach wie vor. Gleichzeitig gilt es, das endogene Potential zu nutzen und auszubauen. Dies dürfte zur Zeit weniger bei den vorhande- nen Unternehmen zu finden sein – von einigen Ausnahmen abgesehen – als viel- mehr bei den Universitäten und Fachhochschulen. „In einer New Economy, wo ande- re Faktoren wie die Qualifikation der Menschen, der Zugang zu Wissen und know how sowie die Flexibilität der Wirtschafts- und Arbeitsorganisation kritisch für den

42 Erfolg sind und nicht die Verfügbarkeit von Sachkapital, muss überlegt werden, wie die Wirtschaftsförderung stärker an andere Kriterien geknüpft werden kann“ (Ger- stenberger 2001). Nicht nur mit Worten sondern auch mit finanzpolitischen Taten muss das Image eines hochqualifizierten Ausbildungs- und Forschungsstandortes ins Leben gerufen werden. Hierzu finden sich in diesem Heft weitere aufschlussrei- che Beiträge.

43

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47 Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Das Standortsystem des Schiffbaukombinates 1989...... 10

Abbildung 2: Institutionelle Einbettung des Transformationsprozesses ...... 14

Abbildung 3: Weltschiffbauproduktion 1952-2002 in gt (gross tons)...... 20

Abbildung 4: Marktanteile im Weltschiffbau nach Schiffbauregionen...... 1950-2002 in % von gt ...... 20

Abbildung 5: cgt-Zuweisung pro Jahr je Werftstandort (1996-2005)...... 24

Abbildung 6: Umsatz/Beschäftigte (kub. Spline-Interpolation) und Lohnentwicklung im Schiffbau: Alte und Neue Bundesländer im Vergleich 1991-2001 28

Abbildung 7: Beschäftigte in den Werften 1989, laut Privatisierungs-...... vertrag vereinbart und 2002...... 29

Abbildung 8: Exportorientierter Lokalisationsquotient der ostdeutschen Schiffbau- industrie 1991-2001 ...... 32

Abbildung 9: Regionale Bezugsbasis der Werft-Vorleistungen 2000...... (937,7 Mio. DM) ...... 33

Abbildung 10: Ausgründungen und Ausgründungen je 1000 ehemaliger Kombinatsbeschäftigter 1990-2001 ...... 35

Abbildung 11: Lokalisiationsquotient der Schiffbauindustrie 1990 (Beschäftigte im Schiffbau bezogen auf die Beschäftigten im Verarbeitenden Gewerbe) ...... 38

Abbildung 12: Lokalisationsquotient der Schiffbauindustrie 2000 (Beschäftigte)..... 38

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Privatisierungsergebnisse der Schiffbauindustrie ...... Mecklenburg-Vorpommerns...... 25

48 Gerald Braun

Wüsten oder Oasen: Konzepte einer Regionalpolitik für Mecklen- burg-Vorpommern

INHALT

1 Aufholprozess am Ende...... 51

2 In der Wirklichkeit ankommen: Zwei deutsche Standorte ...... 52

3 Mecklenburg-Vorpommern: Rückstand auf Dauer?...... 57

4 Eine Innovationsstrategie für Mecklenburg-Vorpommern ...... 64

5 Wüsten – oder Oasen-Strategie?...... 68

6 Regionalpolitik zwischen Subvention und Innovation...... 74

Literaturverzeichnis...... 77

Abbildungsverzeichnis ...... 80

49 50 1 Aufholprozess am Ende

Gut ein Jahrzehnt nach der deutschen Einigung ist der Optimismus der frühen Jahre („blühende Landschaften“) verflogen. Der Aufholprozess der ostdeutschen Wirtschaft wird wesentlich länger dauern - und wesentlich teurer werden - als selbst Pessimi- sten seinerzeit befürchteten. Mittlerweile ist sogar umstritten, ob es den Neuen Bun- desländern, von wenigen Wachstumsinseln abgesehen, je gelingen wird, Anschluss an die westdeutsche Entwicklung zu finden ( SINN 2003, S. 215 ff.).

Mit Integration in die Wirtschafts- und Währungsunion wurde die „marode“(WEGNER 1996, S. 14) DDR-Planwirtschaft schockartig und schutzlos dem Konkurrenzdruck des Weltmarktes ausgesetzt, abgefedert allerdings durch historisch präzedenzlose Transfers von West nach Ost mit einer Gesamtsumme von 1.250 Mrd. Euro im Zeit- raum 1991 bis 2003. Trotz massiver Alimentierung ist ein selbsttragender Auf- schwung in Ostdeutschland nicht in Sicht. Im Gegenteil: Seit 1997 ist das Wachstum in den Neuen Bundesländern – absolut wie relativ – Jahr für Jahr kleiner als im We- sten (West: 11% [(1995 – 2002)]; Ost: 9%)1. „Von einem sich selbst tragenden Auf- schwung, einer Konvergenz zwischen Ost und West, einem Zusammenwachsen dessen, was da zusammenwachsen soll, keine Spur. Im Gegenteil: Der Abstand in der Leistungskraft von Ost- und Westdeutschland wird prozentual größer und grö- ßer.“(SINN 2003, S. 220f.). Knapp 15 Jahre innerdeutscher Transfers haben bislang nicht vermocht, strukturelle Standortnachteile der Ex-DDR auszugleichen. Mehr noch: Die Neuen Bundesländer zählen – von wenigen Innovationszentren abgese- hen – zu den international unattraktiven Standorten.

Wenn nicht alles täuscht, steht Ostdeutschland als ‚late modernizer’ vor der harten Wahl, eine konsequente Innovationspolitik einzuleiten – oder sich als „subventionier- tes Sondergebiet“(THIERSE 2001, S. 87) auf Dauer einzurichten.

1 Die folgenden Zahlenangaben sind – wenn nicht anders erwähnt – entnommen: Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit: Wirtschafts-Daten Neue Länder, April 2004.

51

2 In der Wirklichkeit ankommen: Zwei deutsche Standorte

Die anhaltende Diskussion über den Abstieg des Standortes Deutschland (vom Spit- zenreiter zum Schlusslicht in Europa) übersieht, dass es den Standort Deutschland nicht gibt. Tatsächlich ko-existieren auf einem Territorium zwei Standorte: Der Standort West und der Standort Ost, die sich in nahezu allen Indikatoren signifikant voneinander unterscheiden.

Bruttoinlandsprodukt und Arbeitslosigkeit

So lag das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf im Jahre 2003 in Ostdeutschland im Durchschnitt bei nur 63% des westdeutschen Niveaus. Dabei rangierte der Spitzen- reiter Ost, Sachsen, mit 17.774 Euro um über 5.000 Euro hinter dem Schlusslicht West, Rheinland-Pfalz, mit 22.861 Euro (siehe Abbildung 1).

Ist das BIP in Ostdeutschland signifikant niedriger als im Westen, so ist umgekehrt die Arbeitslosigkeit am Standort Ost signifikant höher: Im Durchschnitt liegt die Ar- beitslosenquote in den Neuen Bundesländern bei 18,5% (2003), in den alten Län- dern hingegen bei 8,4%; d.h. die Arbeitslosenquote in Ostdeutschland ist mehr als doppelt so hoch wie im Westen. Allerdings geben derartige Zahlen die Realität nur geschönt wieder. Ich-AGs, Mini-Jobs und arbeitslose Umschüler fallen – neuerdings – aus der Arbeitslosenstatistik heraus.

„Während die Beschäftigung in der DDR bei 9,7 Mio. Personen gelegen hatte, zählte man im Jahr 2002 nur noch 6,2 Mio. Beschäftigte in den neuen Ländern. Etwa 340.000 Erwerbstätige sind seit dem Fall der Mauer ausgewandert, 480.000 wurden Westpendler und etwa 1 Mio. wurde auf dem Weg der Frühverrentung und anderer arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen ausgesteuert.“(SINN 2003, S. 223).

52 Abbildung 1: Bruttoinlandsprodukt pro Kopf 2003 nach Bundesländern

Hamburg 44.508

Bremen 35.257

Hessen 31.807

Bayern 29.946

Baden-Württemberg 29.432

Alte Länder 27.671

Deutschland 25.893

Nordrhein-Westfalen 25.832

Saarland 24.260

Schleswig-Holsein 23.398

Niedersachsen 22.919

Rheinland-Pfalz 22.861

Berlin 22.786

Sachsen 17.774

Thüringen 17.554

Neue Länder 17.528

Brandenburg 17.476

Sachsen-Anhalt 17.438

Mecklenburg-Vorpommern 17.087

(in Euro)

Quelle nach: Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit: Wirtschafts-Daten Neue Länder, Berlin, April 2004, S. 2.

53 Besonders problematisch ist die hohe Jugendarbeitslosigkeit in strukturschwachen Regionen Ostdeutschlands, die bis zu 25% erreicht sowie die Zementierung von Langzeitarbeitslosigkeit. Im April 2004 waren 40,8% aller Arbeitslosen Langzeitar- beitslose(BMWA 2004, S. 14) mit inzwischen typischen Sozialhilfe- und Armutskar- rieren.

Jedoch sind Prozessindikatoren wie Bruttoinlandsprodukt und Arbeitslosenquote „measurement without theory“. Sie geben keine Auskunft über die Ursachen des ost- deutschen Entwicklungsrückstands – und vor allem versetzen sie uns nicht in die Lage, den Gang der Dinge zu beeinflussen. Wesentlich aussagekräftiger sind hier (1) das Investitionsniveau sowie (2) der Humankapitalbestand.

• Lohnniveau und Investitionstätigkeit

Mit Einführung der DM und der 1:1 Währungsumstellung wurde die ehemalige DDR zum Hartwährungs- und Hochlohnland. Mit der harten Weltmarkt-Devise „DM“ bra- chen die Ausfuhren der Neuen Bundesländer in die traditionellen Exportmärkte Mit- tel- und Osteuropas nahezu flächendeckend zusammen. Die Nachfrage der ehema- ligen sozialistischen RGW-Länder wanderte zu Westprodukten ab (wie auch die Nachfrage ostdeutscher Konsumenten).

Und die 1:1 Währungs- und Lohnumstellung hob die ostdeutschen Lohnkosten er- heblich über das Produktivitätsniveau – jeweils in Relation zum Konkurrenzstandort West. So betrugen etwa 1992 die Löhne Ost im Durchschnitt 60,7% des Westni- veaus, die Arbeitsproduktivität hingegen erreichte lediglich 43,1% (DIW/IHW 1997, S. 29). Die Folge: Die Lohnstückkosten am Standort Ost lagen 40% über denen des Standortes West. Dazu seinerzeit die Weltbank: „Lohnsprünge katapultierten die ost- deutschen Lohnstückkosten auf das höchste Niveau in der Welt. Das Resultat war Massenarbeitslosigkeit. Diese war politisch tragbar durch Sozialtransfers, die sicher- stellten, dass der Lebensstandard der Arbeitslosen höher war als derjenigen der Be- schäftigten vor der Vereinigung.“(WELTBANK 1996, S. 12).

Unter Wettbewerbsgesichtspunkten bedenklicher noch: Die gesamtwirtschaftlichen Lohnstückkosten lagen selbst 2003 immer noch 7% über denen der alten Bundes- länder(AgdwF 2004, S. 174). Bei weitgehender Produkthomogenität und hohem Konkurrenzdruck – wie sie für die Angebotspalette ostdeutscher Unternehmen ty-

54 pisch sind – werden überdurchschnittlich hohe Lohnstückkosten zum entscheiden- den Standortnachteil. „Investoren, die sich im Osten engagieren, müssen ... mit ei- nem zentralen Problem fertig werden: Gemessen an der Leistungskraft vieler Unter- nehmen sind dort die Lohnkosten viel zu hoch ... Wären die Lohnkosten weniger stark gestiegen, fielen die hohen Standortkosten in Ostdeutschland weniger ins Ge- wicht.“(DIW/IWH 1997, S. 29) Rückblickend formuliert: „Es kann kein Zweifel beste- hen, dass die dramatische Erhöhung der Lohnkosten, die zudem in solch kurzer Zeit stattfand, die zentrale Ursache der ostdeutschen Probleme ist.“(SINN 2003, S. 237).

Hieraus erklärt sich auch – wenngleich nicht ausschließlich – das niedrige Investiti- onsniveau in den Neuen Ländern. Da besondere Standortqualitäten – verglichen et- wa mit Irland, Polen oder Tschechien –, die die hohen Lohnstückkosten rechtfertigen könnten, nicht in Sicht sind, machen die meisten Investoren „einen großen Bogen“ (H.-W. Sinn) um Ostdeutschland. Um gegenüber Westdeutschland aufzuholen, müssten die Investitionen pro Kopf in den Neuen Bundesländern substantiell und dauerhaft über den Investitionen im Westen liegen. Leider kann davon keine Rede sein. Lag das Investitionsniveau in den Neuen Ländern 1996 noch bei vielverspre- chenden 144% des Westniveaus, so ist dieser Wert bis zum Jahr 2000 auf 90% ge- schrumpft und erreichte bei Ausrüstungsinvestitionen gerade einmal 76% (SINN 2003, S. 222). „Das sind keine Werte, die irgendwelche Hoffnungen auf einen Auf- holprozess zulassen.“(SINN 2003, S. 222)

‚ Humankapitalabbau und ‚brain drain’2

Die ‚eigentliche’ Ursache des wirtschaftlichen Rückstands der Neuen Bundesländer ist jedoch ihr langfristiger demografischer Niedergang – oder bildungsökonomisch formuliert – ihr Humankapitalverlust. Tatsächlich sprechen empirische wie theoreti- sche Argumente3 dafür, dass wirtschaftliches Wachstum zumindest mittel- bis langfri-

2 Vgl. zum Folgenden auch: Institut der deutschen Wirtschaft Köln (Hrsg.): Perspektive 2050. Ökono- mik des demografischen Wandels, Köln 2004. 3 Im neoklassischen Wachstumsmodell ist das Wachstum des BIP unter anderem von Veränderungen des Produktionsfaktors Arbeit abhängig. Eine nur mengenmäßige Zunahme des Arbeitsangebots kann allerdings die Wachstumsrate der pro Kopf-Produktion langfristig nicht erhöhen. Die Neue Wachstumstheorie hebt dagegen hervor, dass das pro Kopf-Wachstum in einer Volkswirtschaft durch eine qualitative Verbesserung des Faktors Arbeit gesteigert werden kann. Investitionen in das Humankapital, das heißt bessere Bildung und Qualifizierung der Arbeitnehmer, können die pro Kopf- Wachstumsrate von Produktion und Einkommen steigern. Volkswirtschaften und Regionen, die Vor-

55 stig positiv mit Bevölkerungswachstum korreliert ist. Auch 15 Jahre nach dem Mauer- fall unterscheiden sich die Neuen und die Alten Bundesländer bei nahezu allen de- mografischen Kennziffern.4 Während in Westdeutschland lediglich das Bevölke- rungswachstum rückläufig ist, „setzt sich in Ostdeutschland der substantielle Bevöl- kerungsschwund fort, der bereits vor einem halben Jahrhundert begonnen hat“(MIEGEL 2002, S. 56).

Die Stationen der Bevölkerungsschrumpfung Ostdeutschlands sehen etwa so aus: Gründung der DDR 1949: 19 Mio. Einwohner (= 30% der deutschen Bevölkerung); Mauerbau 1961: 17 Mio. (= 27%); Mauerfall 1989: 16,5 Mio. (= 23%); 10 Jahre nach Wiedervereinigung 2000: 15,0 Mio. (= 21%).(Kröhnert et al. 2004, S. 12ff.).

Ein nahezu dramatischer Rückgang der Geburtenrate und die anhaltende Ost-West- Migration5 sind Indikatoren eines demografischen Niedergangs des Standortes Ost. Nach Prognosen der EU werden 1995 bis 2025 von den 10 europäischen Regionen mit dem stärksten Bevölkerungsrückgang 6 in den Neuen Bundesländern liegen (MIEGEL 2002, 60) Neben dem anhaltenden ‚brain drain’ („Auswanderung der Ge- hirne“) bedeutet dies gleichzeitig, dass der Osten wesentlich schneller altern wird. Abwanderung, Geburtenarmut und Alterung6 – bisweilen auch als „demografische Katastrophe“ (Th. Fronius) bezeichnet – verringern das Wissens- und Innovationska- pital des Standortes Ost nachhaltig. Dies hat, bildungsökonomisch formuliert, neben der Verringerung auch eine Verschlechterung des Humankapitals zur Folge, denn es wandern vor allem jüngere, besser qualifizierte und dynamischere Bevölkerungs- gruppen aus dem Osten ab: Potentielle Träger eines Aufschwungs – Existenzgrün- der, Informatiker, Ingenieure, Ärzte, Wissenschaftler, die im Osten ausfallen und mit die Basis des Aufschwungs West bilden.

teile bei der Bildung von Humankapital haben, wachsen dann schneller. Vgl. etwa: Becker, G.; Mur- phy, K.; Tamura, R.: Human Capital, Fertility and Economic Growth, in: Journal of Political Economy, Vol. 98, 1990, S. 1ff. 4 Vgl. zum folgenden: Kröhnert, St.; van Olst, N.; Klingholtz, R.: Deutschland 2020. Die demografische Zukunft der Nation, Berlin 2004, S. 12ff. 5 Von der Maueröffnung 1989 bis 2003 haben 1,3 Mio. Menschen der ehemaligen DDR den Rücken gekehrt. Vgl. Röhl, K.-H.: Räumliche Entwicklung, in: Institut der deutschen Wirtschaft Köln (Hrsg.): Perspektive 2050 ... a.a.O., S. 324. 6 Zum Zusammenhang zwischen Alterung, Innovationsfähigkeit und lebenslangem Lernen vgl. die lakonische Feststellung der Zuwanderungskommission des Deutschen Bundestages: „Die Fähigkeit der Menschen, sich neues Wissen anzueignen, nimmt mit zunehmendem Alter ab.“ zitiert bei: Opa- schowski, H. W.: Der Generationenpakt, Darmstadt 2004, S. 108.

56 Der skizzierte Verlust an Human- und Wissenskapital konnte – trotz erheblicher staatlicher Anstrengungen – weder durch Finanztransfers noch durch einen adäqua- ten Kompetenzaufbau am Standort Ost ausgeglichen werden.

Ostdeutschland ist von einem selbsttragenden Aufschwung – von wenigen Wach- stumsinseln abgesehen – weiter entfernt denn je. Der Abstand in der wirtschaftlichen Leistungskraft zwischen Ost- und Westdeutsch- land wächst – statt abzunehmen. Die signifikanten Unterschiede bei nahezu sämtlichen Wirtschaftsindikatoren zwi- schen West- und Ostdeutschland rechtfertigen es, auf unabsehbare Zeit von zwei deutschen Standorten zu sprechen, die auf einem Territorium liegen.

„Die wirtschaftliche Vereinigung der beiden Landesteile [kann] als gescheitert ange- sehen werden.“(SINN 2003, S. 121).

3 Mecklenburg-Vorpommern: Rückstand auf Dauer?

Bildet Ostdeutschland – von wenigen regionalen Wachstumsinseln abgesehen – die Peripherie der deutschen Volkswirtschaft, so ist Mecklenburg-Vorpommern (M-V) gewissermaßen die ‚Peripherie der Peripherie’. Historisch gesehen war M-V stets das Armenhaus Deutschlands: ... „über das Land senkte sich wie Nebel eine Stim- mung von Stagnation und Lethargie. Mecklenburg war als Armenhaus aus dem Dreißigjährigen Krieg hervorgegangen, und dabei sollte es bleiben.“ (SCHNEIDER 1993, S. 139f.).

57

„Mecklenburg-Vorpommern ist wirtschaftspolitisch und wirtschaftsgeografisch tradi- tionell im Rückstand. Dies hat tiefliegende geschichtliche Gründe, die bis in die Zeit des sog. 30jährigen Krieges von 1618 - 1648 zurückreichen (weitgehende Entvölke- rung usw.) und auch mit der territorialen Entwicklung mit aus heutiger Sicht wenig effizienten kleinstaatlichen Strukturen zusammenhängen. Zudem hatte der Landes- herr im mecklenburgischen Landesteil (nicht im preußischen Vorpommern) die politi- sche Macht bis 1918 mit den Ständen zu teilen (d.h. mit der Ritterschaft, den Städten und der Kirche). Dies schmälerte die Zentralgewalt des Staates, stärkte die Gutswirt- schaft und förderte die Entvölkerung des Landes. Die relative Stagnation der Bevöl- kerungsentwicklung wurde zu einem der hauptsächlichsten Hemmnisse für die wirt- schaftliche Entwicklung. Durch die Abwanderung im 19. Jahrhundert ging dem Land ein erheblicher Anteil der aktiveren und besser ausgebildeten Bevölkerung verloren. Die damaligen politischen Rahmenbedingungen verhinderten zudem die Entstehung eines qualitativ akzeptablen Volksschulwesens. Das Wachsen eines Potentials für entsprechend qualifizierte Arbeitskräfte für Industrie und Handwerk wurde dadurch zusätzlich gehemmt. Die Wirtschaftsentwicklung kam insgesamt nicht voran, da in Folge dieser Rahmenbedingungen die wichtigsten Handelswege im Westen und Os- ten an den Territorien von Mecklenburg und Vorpommern vorbeiführten.“

IHK Schwerin: Positionen zur regionalen Wirtschaftsentwicklung, Schwerin, Mai 1999, S. 25.

Auch zu DDR-Zeiten war M-V ein dünnbesiedeltes, stark landwirtschaftlich geprägtes und industriell schwächer entwickeltes Gebiet (dessen ländliche Gemeinden bereits fortgesetzt unter Abwanderung litten). Die DDR-Territorialplanung versuchte zwar durch Aufbau industrieller Kerne, Ausbau der Werft- und Hafenwirtschaft, Kontrolle der internen Bevölkerungsbewegungen gegen ein „nahezu naturwüchsiges Zurück- bleiben“ (GURGSDIES 1995, S. 68) der Region planvoll anzugehen.

Ostberlin scheiterte jedoch an den chaotisierenden Folgen der eigenen Planung. „Obwohl in der Strukturpolitik ursprünglich das Ziel verfolgt wurde, eine Industrialisie- rung des Nordens zu erreichen, blieb die Schwerpunktsetzung bei der Landwirtschaft und der Lebensmittelindustrie. Sowohl der Ausbau der verschiedenen Standorte der Werftindustrie und der Hafenwirtschaft, von Fischfang und -weiterverarbeitung im Bezirk Rostock und Metallbearbeitung im als auch die Neu- ansiedlung von Chemiebetrieben in den Bezirken Rostock und Schwerin, des Ma- schinenbaus im Bezirk Neubrandenburg und der Kernenergie im Bezirk Rostock

58 führten zu keiner durchgreifenden Veränderung der Wirtschaftsstruktur. Obwohl auch in den Nordbezirken die industrielle Erzeugung von 1969 bis 1989 erheblich wuchs, erhöhte sich ihr Anteil am DDR-Ergebnis nur geringfügig: von 6,5 auf 7,6%.“(WATZKE 1997, S. 10).

Geografische Randlage und historisch überkommene Rückständigkeit M-Vs konnten trotz energischer Bemühungen bis in die Gegenwart nicht überwunden werden.

Das Land an der Küste konkurriert mit Sachsen-Anhalt (S-A) um die rote Laterne un- ter allen Bundesländern bei hoher Arbeitslosenquote (M-V 20,1% in 2003; S-A 20,5%), bei niedrigem BIP je Einwohner (M-V 17.087 Euro, S-A 17.438 Euro) und anhaltender Wachstumsschwäche (M-V: 5,5% (1995 – 2003); S-A: 9,9%) (BMWA 2004, S. 2).

Verglichen mit den anderen Bundesländern ist M-V unverändert wesentlich stärker landwirtschaftlich geprägt, hat einen erheblich niedrigeren Industrialisierungsgrad (primär maritime Wirtschaft/Ernährungsindustrie) und einen wesentlich größeren Dienstleistungssektor (vgl. Abbildung 2). Dabei ist jedoch der tertiäre Service-Sektor in Mecklenburg-Vorpommern nicht „fortgeschrittener“ (im Sinne Fourastiés), sondern „aufgeblähter“ – mit vergleichsweise niedrigem Wachstums- und Innovationspotenzi- al. Folglich bestehen berechtigte Zweifel, ob der Dienstleistungssektor in M-V als „lead-sector“ eine wirtschaftliche Führungsrolle wird übernehmen können.

Hierfür sprechen quantitative wie qualitative Argumente:

· Der hohe Dienstleistungsanteil am BIP ist statistischer Reflex des extrem niedri- gen Industriebesatzes; mit anderen Worten: weil der Industriesektor so klein ist, ist der tertiäre Sektor so groß. · Dabei ist der Anteil der öffentlichen Verwaltung in M-V mit 10,1% (NBL: 8,2%, ABL: 5,4%) (STATISTISCHES LANDESAMT MV 2004, S. 43) größer als in jedem anderen Bundesland. · Umgekehrt sind insbesondere hochwertige Unternehmensdienste, Wissenschaft und Forschung – Sektoren mit hohem Innovations- und Wachstumspotenzial – unterrepräsentiert (was wiederum Reflex des vergleichsweise schwachen Indu- striesektors ist).

59 Abbildung 2: Anteil der Wirtschaftsbereiche an der Bruttowertschöpfung 2003 (in Preisen von 1995)

Land- und Forstwirtschaft, Fischerei 4,4 2,4 1,1 1,2 produzierendes Gewerbe, 18,8 27 27,7 27,6

· verarbeitendes Gewerbe 9,2 7 · Baugewerbe 16,1 21,4 20,8

7,3 4,1 4,5

Dienstleistungsbereiche, 76,8

70,6 71,2 71,1

davon

· Handel, Gastgewerbe 21,5 und Verkehr 19,5 19,4 19,4

· Finanzierung, Vermietung und 26,3 Unternehmensdienstleister 25,1 31,9 31,2

· Öffentliche und private Dienstleister 29 26 19,9 20,5

M-V NBL ABL D

M-V = Mecklenburg-Vorpommern; NBL = Neue Bundesländer; ABL = Alte Bundesländer; D = BRD

Quelle nach: Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit: Wirtschafts-Daten Neue Länder, Berlin April 2004, S. 2ff.

Wesentlich weiter entwickelt als in allen anderen Bundesländern ist hingegen der Tourismus, die „weiße Industrie“ des 21. Jahrhunderts7; eine Wachstumsbranche mit allerdings begrenztem Innovationspotenzial und vergleichsweise niedrig qualifizier- tem Humankapital. Gegenwärtig werden etwa 10 bis 15% des BIP (je nach Definition und statistischer Abgrenzung) Mecklenburg-Vorpommerns vom Fremdenverkehr er- wirtschaftet; d.h. 85 bis 90% müssen in anderen Sektoren erzeugt werden.

7 Gemessen an der Fremdenverkehrsintensität (= Übernachtungen pro 1.000 Einwohner): In 2002 M- V: 11,9%; S-H: 7,3%; Bayern: 5,7%. Vgl. Statistisches Bundesamt: Übernachtungen und Einwoh- nerzahl nach Bundesländern, unter www.destatis.de Stand 06/05/2003.

60 Wirtschaftliches Wachstum und Innovationen sind in Wissensgesellschaften primär abhängig vom Humankapitalbestand und der Existenz einer dynamischen Unter- nehmerklasse. Tatsächlich ist die ‚eigentliche’ Ursache der Strukturschwäche M-Vs, das geringe und weiter schrumpfende Humankapital des Landes.

Prognosen zu Folge wird das Land in den nächsten Jahrzehnten einen deutlichen Bevölkerungsrückgang erleben. 8 Im Zeitraum 2001 bis 2020 wird ein Rückgang der Bevölkerung von 1,76 Mio. auf 1,51 Mio. erwartet, also um etwa 14%. Die anhalten- de Abwanderung – insbesondere in die alten Bundesländer – ist dabei zu 30% am Bevölkerungsschwund beteiligt. Bereits im Zeitraum 1990 bis 2002 verlor das Land 507.775 Menschen – ohne dass ein Ende des Exodus abzusehen wäre (STATISTISCHES LANDESAMT M-V 2003). Strukturell gesehen wird es zu einem signifikanten Anstieg der älteren Bevölkerung kommen (Aging). Er ist das Resultat niedriger Geburtenzahlen, selektiver Abwanderung und steigender Lebenserwartung. Dies bedeutet umgekehrt eine Verringerung des Erwerbsfähigenpotenzials (Alters- gruppe 20- bis 59jährige) von 56 (2001) auf 49% (2020) (FRANZ 2004, S. 22). Paral- lel zur Verringerung sinkt c.p. auch die Qualität des Humankapitals; es wandern vor allem jüngere, besser qualifizierte und dynamischere Bevölkerungsgruppen ab. Die „demografische Zeitbombe“ (wegen des sogenannten Echo-Effekts) führt – bildungs- ökonomisch formuliert – zu einer erheblichen Erosion des Humankapitalstocks, zu Verlusten an Risikobereitschaft, Unternehmerpotenzial und Kaufkraft in den betroffe- nen Regionen. Damit droht eine sich selbst verstärkende Abwärtsspirale oder eine „Entwicklung der Unterentwicklung“ (A. G. Frank).

Die beobachtbare Koexistenz von Wachstum und Schrumpfung hat erhebliche räum- liche Konsequenzen – auch in Mecklenburg-Vorpommern. Generell wird man fest- stellen können, dass die Ungleichheit zwischen (aber auch innerhalb) von Wach- stums-, Stagnations- und Abstiegsregionen steigt, gemessen an Indikatoren wie BIP pro Kopf, Arbeitslosen- und Sozialhilfequote, Steueraufkommen, Humankapitalbe-

8 Vgl. zum Folgenden: Franz, U.-F.: Herausforderungen für das Regionalmanagement in Mecklen- burg-Vorpommern, in: Institut für Umweltgeschichte und Regionalentwicklung (Hrsg.): Perspektiven der Regionalentwicklung in Mecklenburg-Vorpommern, Berlin 2004, S. 21ff.

61 stand, Abwanderungsraten etc.9 Grob vereinfachend sind folgende wirtschaftliche und soziale Disparitäten festzustellen, die sich überlappen und wechselseitig verstär- ken (HOLLENBACH et al. 2003, S. 84ff.):

1. West- Ost-Gefälle

Generell besteht ein wirtschaftliches Gefälle zwischen den Landesteilen Mecklenburg und Vorpommern. „Innerhalb des Landes gibt es ein starkes West-Ost-Gefälle, das auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der einzelnen Landkreise abbildet. Die östlichen Landesteile [= Vorpommern] werden erheblich stärker schrumpfen, wäh- rend die westlichen Teile von ihrer Nähe zu den alten Ländern profitieren können. Dort wird der Arbeitsmarkt durch die hohe Zahl von Berufspendlern nach Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen entlastet.“(FRANZ 2004, S. 21f).

2. Stadt-Land-Gefälle

Überlagert werden die skizzierten West-Ost-Disparitäten durch markante Unter- schiede zwischen den städtischen Großräumen um Wismar, Schwerin, Rostock, Stralsund, Greifswald und Neubrandenburg auf der einen und den „ländlichsten Räumen“ (WEIß 2003, 69). Vorpommerns und Ostmecklenburgs auf der anderen Seite. Verglichen mit den städtischen Wachstums- und Stagnationsräumen sind die ländlichen Abstiegsregionen durch sehr hohe Arbeitslosen- und Sozialhilfequoten, niedrig qualifizierte Arbeitskräfte, Überalterung und extrem dünne Bevölkerungsdich- te gekennzeichnet; eine Entwicklung, die die gesellschaftliche Tragfähigkeit (‚carrying capacity’) marginaler Räume zu unterschreiten droht und die keineswegs neu ist. „Viele Gemeinden ... wurden schon 1987 [d.h. zu DDR-Zeiten] als ‚demografische Krisengemeinden’ ausgewiesen, d.h., sie waren schon damals überaltert und ‚funk- tional’ als gesellschaftlicher Organismus existenzgefährdet.“(WEIß 2003, S. 68)

9 Zu den regionalen Indikatoren vgl. im Einzelnen: Bandelin, J.; Braun, G.; Heinrichs, B. et al. (Hrsg.): Regionalentwicklung benachteiligter Räume in Mecklenburg-Vorpommern, Rostocker Beiträge zur Regional- und Strukturforschung, Heft 16, Rostock 2001, S. 23ff.

62

Abbildung 3: Nordostdeutschland: Raumstruktur

Quelle: Statistisches Landesamt

3. Küsten-Binnenland-Gefälle

Weniger ausgeprägt, aber statistisch nachweisbar, ist ein Nord-Süd-Gefälle in M-V; bedingt durch die strukturstärkeren Hansestädte an der Küste, mit ihrer Konzentrati- on von Innovations- und Wachstumspotenzialen um die Hochschulen des Landes, die – ausgenommen der FHS Neubrandenburg – sämtlich an der Ostseeküste lie- gen. Mit ihrem Quasi-Monopol auf hochqualifiziertes Humankapital bilden die Hoch- schulen und ihre Forschungs- und Technologie-Satelliten regionale Wachstumspole. Da vergleichbare Innovations-Cluster im Binnenland fehlen (Ausnahmen Schwerin

63 und Neubrandenburg) entwickelt sich innerhalb M-Vs eine interne Peripherie („länd- lichste Räume“), die Merkmale - absoluter und relativer - Rückständigkeit aufweist:

· extrem niedrige Bevölkerungsdichte, hohe Abwanderung jüngerer, besser qualifi- zierter Arbeitskräfte, Alterung;

· fehlende Bildungs- und Wissensmilieus, unterdurchschnittlich qualifiziertes Ar- beitskräftepotenzial;

· Konzentration der Produktion auf homogene – agrarische wie gewerbliche – (Ein- fach-) Erzeugnisse;

· ein anhaltender Rückzug privater (= Arzt- und Rechtsanwaltspraxen, Einzelhan- delsgeschäfte, Gaststätten, Tankstellen etc.) wie staatlicher Dienste (Bahn, Bus, Post, Schulen, Krankenstationen, Kommunalverwaltung) aus der Fläche;

· ein quantitativ wie qualitativ unzulängliches Bildungs-, Kultur- und Freizeitange- bot.

· niedrige Gründungsintensität, fehlende Produktionscluster und Service-Netze.

Die niedrige Innovations- und Wachstumsdynamik der ‚ländlichsten’ Räume scheint so einen circulus vitiosus der Unterentwicklung in Gang zu setzen: Niedrige Ein- kommens- und Arbeitsplatzchancen führen zu einer anhaltenden Abwanderung jün- gerer, dynamischer Bevölkerungsgruppen – entweder in die Stadt-Regionen M-Vs (= Binnenmigration) oder in andere Bundesländer (= Außenmigration). Der Ausfall grö- ßerer Bevölkerungsgruppen im reproduktionsfähigen Alter bedeutet zu stark sinken- de Geburtenraten in strukturschwachen Regionen, die dann – nach dem ökonomi- schen – auch einen demografischen Niedergang erleben; Verfallsprozesse, wie sie etwa in benachteiligten Räumen Spaniens, Frankreichs und Polens zu beobachten sind.

4 Eine Innovationsstrategie für Mecklenburg-Vorpommern

Regionale Entwicklungsrückstände sind – wie der Aufstieg ehemals strukturschwa- cher Räume in Bayern, Sachsen, dem Piemont und Irland demonstriert - nicht schicksalhaft. Sie können durch unternehmerische Initiative und kluge Politik wett- gemacht werden. Der Übergang des strukturschwachen M-V zu einem selbsttragen-

64 den Wachstumsprozess wird wesentlich davon abhängen, ob es gelingt, einen effi- zienten ‚mix’ aus unternehmerischem Wagemut, Humankapitalentwicklung und re- gionaler Innovationspolitik durchzusetzen.

Dabei muss jede Wirtschaftspolitik von einigen einfachen Wahrheiten ausgehen:

· Der Aufstieg von Regionen ist primär abhängig von der Organisation und Durch- setzung von Neuerungen. Anders formuliert: Ein Wirtschaftsstandort ohne Innova- tionsaktivitäten ist ein stationärer oder sich nicht entwickelnder Standort. Man kann noch soviel Kapital, Infrastruktur und Fördergelder in einen solchen Standort pumpen, ohne Neuerungsaktivitäten wird sich keine wirtschaftliche Entwicklung – und auch keine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit M-Vs einstellen. Damit wird die konventionelle Wachstums- und Modernisierungstheorie vom Kopf auf die Füße gestellt: Quelle wirtschaftlicher Entwicklung ist die Durchsetzung neuer Kombinationen oder Neuerungsaktivitäten. Und Faktoren, welche die herkömmliche Theorie als Ursachen von Entwicklungsprozessen anbietet: Kapitalakkumulation, Infrastruk- turausbau und technischer Fortschritt sind ihre Folgen.

Kurz: „Der schöpferische Geist mobilisiert Kapital, Arbeit, Rohstoffe – und nicht um- gekehrt.“(RÖPKE 1982, S. 36).

· Die Fähigkeit zur Innovation, „zum Erkennen und Durchsetzen neuer Möglichkei- ten“ (J. Schumpeter) wird zur zentralen Variable im Entwicklungsprozess, von der sich alle anderen Knappheiten in Bezug auf Kapital, Rohstoffe und Arbeitskräfte ableiten. „We have identified the ability to make [development] decisions as the scarce resource, which conditions all other scarcities and difficulties“ (HIRSCHMANN 1958, S. 27). · Die Organisation und Durchsetzung von Neuerungen gilt als historische Leistung des dynamischen bürgerlichen Unternehmers, der den Prozess ‚schöpferischer Zerstörung’ einleitet und damit die Entwicklungsdynamik des Kapitalismus be- gründet. Der Aufstieg auch Mecklenburg-Vorpommerns hängt damit primär von der Existenz einer wagemutigen Unternehmerklasse, einer Kultur der Selbstän- digkeit (‚entrepreneurial spirit’) und von hoch qualifizierten und motivierten Men- schen ab, dem Humankapital.

65 · In Marktwirtschaften entscheidet der „Wettbewerb als Entdeckungsverfahren“ (F. A. von Hayek) über Richtung und Tempo des Innovationsprozesses, nicht die noch so wohlmeinende Weisheit der Förderbeamten (falls diese bissige Bemer- kung erlaubt ist).10 Hieraus folgt zugleich, dass eine selektive Förderpolitik, die glaubt ex cathedra zwischen „innovativen“ und „nicht-innovativen“ Sektoren, Branchen und Produkten unterscheiden zu können, weder möglich noch wün- schenswert ist. · Eine regionale Innovationspolitik ist zunächst Ordnungs-, nicht Interventionspoli- tik, das bedeutet Verzicht des Staates auf kurzatmige und fallweise Wirtschafts- förderung, deren Ergebnisse – vorsichtig ausgedrückt – suboptimal zu sein schei- nen (von DOHNANYI 2004). Stattdessen Rückzug des Staates auf die Gestaltung „konstituierender und regulierender Prinzipien“(EUCKEN 1955, S. 291). Natürlich bedeutet dies eine Revision all dessen, was die Sozialingenieure unbeirrt glau- ben. Für eine innovationsorientierte Entwicklungsstrategie bedeutet dies zunächst: Unter- nehmertalente und kreative Köpfe (= hochqualifiziertes Humankapital) sind in M-V zu halten und nach M-V zu holen nach dem Motto: „Arbeiten Sie dort, wo Sie leben wol- len.“ Das heißt konkret: Die Attraktivität des Standortes M-V ist · durch ein weiches Standortangebot aus Bildung und Wissenschaft, Gesundheit, ökologischem Wohnumfeld, Freizeitaktivitäten sowie Einkaufs- und Erlebniswelten zu erhöhen sowie · durch Schaffung innovationsfreundlicher Rahmenbedingungen via Deregulierung und Flexibilisierung von Märkten und Verwaltungen.11 Das – durchaus begrenzte – Entwicklungspotenzial M-Vs besteht aus seinen mittel- ständischen Unternehmern, seinem Humankapital, seinen ansatzweisen For-

10 Die staatliche Förderung sog. „innovativer Branchen“ ist gepflastert mit – teilweise flächendecken- den – Unternehmenszusammenbrüchen, siehe Neuer Markt, Internet-Ökonomie, Medienbranche (Kirch-Gruppe), Luft- und Raumfahrtindustrie (Dornier) und Bio-Technologie. Nach teilweise kome- tenhaftem Aufstieg heißen die neuen Vokabeln nunmehr: Shakeout (Kehraus), Exits (Pleiten) und Downsizing (Abspecken). Zum Aufstieg und Niedergang des sog. Innovations- clusters München-Martinsried sehr anschaulich: Molitor, A.: Bio-Tech: Erst Top, dann Flop, in: GEO- Special, München Nr. 2, 2003, S. 124ff. 11 Eine Fülle von Vorschlägen finden sich in: Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit; Bertels- mann-Stiftung: Innovationsregionen für Wirtschaftswachstum und Beschäftigung durch Deregulie- rung und Entbürokratisierung, Berlin, April 2004.

66 schungsclustern um die Hochschulen und – vor allem – aus seinem einzigartigen naturräumlichen Potenzial (vgl. Abbildung 4).

Abbildung 4: Potenzialfelder für Mecklenburg-Vorpommern

Bildung und Humankapital- potential

Forschung, Unternehmen und Entwicklung und Unternehmenskultur Netzwerk Technologie

Tourismus Kunst und Kultur

Quelle: Bandelin, J.; Braun, G.; Heinrichs, B. et al.: Regionalentwicklung benachteiligter Räume in M- V unter besonderer Berücksichtigung von Vorpommern und Ostmecklenburg, n: Rostocker Beiträge zur Regional- und Strukturforschung, H. 16, Rostock 2001, S. 35

Da der Aufstieg von Regionen wesentlich von der Aktualisierung endogenen Wis- sens (‚open and tacit knowledge“) abhängt, dürften Entwicklungsperspektiven des Landes insbesondere liegen:

· im hochwertigen Spezialtourismus (Golf, Wellness, Events, Kultur),

· in der Gesundheitswirtschaft,

· in der ‚grünen’ Biotechnologie,

· in der Medizin- und Umwelttechnik.

Nach dem Motto „Die Stärken stärken“ müsste die regionale Wirtschaftspolitik den Rahmen für unternehmerische Selbstorganisation erweitern und die Vernetzung der Potenzialfelder anregen.

Aber auch dann sind die Wachstumsspielräume M-Vs angesichts stagnierender Kaufkraft, zunehmender Soziallasten und wachsenden Konkurrenzdrucks begrenzt.

67 5 Wüsten – oder Oasen-Strategie?

Für eine ‚konventionelle’ Regionalpolitik, die ex-ante Raumstrukturen und –prozesse glaubt planen zu können, bleibt in globalisierten Marktwirtschaften wenig Spielraum.12 Angesichts des insgesamt begrenzten, aber durchaus differenziert einzuschätzenden Entwicklungspotenzials M-Vs steht die Regionalpolitik des Landes vor der harten Wahl eine (zugespitzt formuliert) ‚Wüsten’- oder eine ‚Oasen’-Strategie zu verfol- gen.13 (Der naheliegende Kompromiss, beide Strategien parallel zu verfolgen, hätte chaotisierende Wirkungen und scheitert schon an der Knappheit der Finanz- und Humanressourcen.)

Abbildung 5: Idealtypische Konzepte einer regionalen Entwicklungspolitik

„Wüsten“-Strategie „Oasen“-Strategie

Kommunalisierung der Regionalpolitik Globalisierung der Regionalpolitik Sozialorientierte Regionalpolitik innovationsorientierte Regionalpolitik landzentrierte Regionalpolitik stadtzentrierte Regionalpolitik realkapitalorientierte Regionalpolitik humankapitalorientierte Regionalpolitik projekt-/programmorientierte Regionalpolitik netzwerk-/clusterorientierte Regionalpolitik

Quelle: Braun, G.; Pohle, H.: Konzepte einer dienstleistungsorientierten regionalen Entwicklungspolitik für strukturschwache Räume in: Braun G.; Ellger, Chr. (Hrsg.): Der Dienstleistungssektor im Nordost- deutschland ... a.a.O., S. 215.

‚Wüsten’-Strategie:

Vereinfacht ausgedrückt betreibt die ‚Wüsten’-Strategie soziale Ausgleichspolitik vor allem in strukturschwachen ländlichen Kleinräumen – etwa in den küstenfernen, pe- ripheren Landkreisen Vorpommerns.

12 Diese Erkenntnis hat zur Entwicklung neuer ‚weicher’ Instrumente geführt: „Neue Instrumente der Raumordnung sind im wesentlichen nicht-förmliche, informelle Instrumente zur Raumentwicklung. Sie basieren auf Kooperation, Konsensfindung und freiwilliger Selbstbindung der beteiligten Part- ner.“ Schmidt, C.: Möglichkeiten und Grenzen der Steuerung von Tertiärisierungsprozessen durch die Raumordnung, Beispiele aus Mecklenburg-Vorpommern, in: Braun, G.; Ellger, Chr. (Hrsg.): Der Dienstleistungssektor im Nordostdeutschland ... a.a.O., S. 209. 13 Vgl. zum Folgenden auch Braun, G.; Pohle, H.: Konzepte einer dienstleistungsorientierten regiona- len Entwicklungspolitik für strukturschwache Räume in: Braun G.; Ellger, Chr. (Hrsg.): Der Dienstlei- stungssektor im Nordostdeutschland ... a.a.O., S. 209.

68 Dabei werden dem Ausbau der materiellen Infrastruktur und Sozialprogrammen Vor- rang eingeräumt, wobei (Einzel-)Projekte der wirtschaftsnahen Infrastruktur – Stra- ßen- und Wegebau, Gewerbegebiete, Klär- und Abwasseranlagen – und der gewerb- lichen Wirtschaft dominieren. Vorteil dieser Politik (falls erfolgreich) ist die Herstel- lung annähernd gleicher Lebensbedingungen zwischen Stadt und Land, zwischen strukturstärkeren und strukturschwächeren Räumen.

Nachteil ist eine Politik nach dem Gießkannenprinzip, die – da stark kommunal orien- tiert – ‚Bürgermeisterkonkurrenzen’ auslöst, erhebliche Fehlleitungen knapper Res- sourcen mit sich bringt und dazu führt, dass die breit definierten Fördergebiete „zu- viel Mittel erhalten um zu sterben – und zu wenig, um zu leben“.

Damit läuft die Wüsten-Strategie Gefahr, eine Dauersubventionierung14 struktur- schwacher Räume zu begründen, ohne nachhaltige Wachstumsimpulse auszulösen.

Unabhängig von dieser generellen Einschätzung der ‚Wüsten’-Strategie wirft sie ge- genwärtig mehr Fragen auf, als sie beantworten kann:

1. Die zweckgebundenen Mittel des Solidarpaktes II für Investitionen und Infrastruk- turvorhaben werden gegenwärtig – nach Ländern unterschiedlich – bis zu 75% zweckentfremdet für Sozialkonsum ausgegeben (von DOHNANYI 2004, S. 12).

2. Von einer generellen Infrastrukturlücke Ostdeutschlands kann nach 14 Jahren Förderung nicht mehr die Rede sein. Im Gegenteil: In manchen Sektoren – z. B. Telekommunikation, soziale Infrastruktur – hat der Osten den Westen inzwischen überholt.

3. Festzuhalten bleibt daher, dass „auf Teilgebieten durchaus noch Infrastrukturlük- ken in Ostdeutschland (bestehen), von einem entsprechenden Nachholbedarf

14 Bemerkenswert ist etwa die parteiübergreifende Koalition der ostdeutschen Ministerpräsidenten, unterstützt durch ostdeutsche Industrie- und Handelskammern und Gewerkschaften, die sich einig sind (a) in der Abwehr von Mittelkürzungen, die neuerdings unter Verweis auf das sonst entstehen- de „Fördergefälle“ zu den MOE-Beitrittstaaten begründet werden sowie (b) im Plädoyer nach fortge- setzter Verlängerung des Förderzeitraumes.

69 aber nicht pauschal, sondern nur nach genauer Analyse des Einzelfalls gespro- chen werden kann.“15

4. Empirische Studien – etwa des Fraunhofer-Instituts – zeigen, dass bei der Stand- ortwahl die Kosten der Produktionsfaktoren (Löhne, Kapitalkosten) zu 65%, die In- frastruktur nur zu 9% die Entscheidung bestimmen.16 Bestätigt wird dies durch die zunehmende Standortwahl in Transformations- und Entwicklungsländern (Polen, Tschechien, VR China, Indien), wo mangelhafte Infrastruktur offenbar kein Pro- blem darstellt.

5. Schließlich ist an die durchgängig negativen Erfahrungen im Westen der Republik zu erinnern, wo Infrastrukturpolitik, etwa im Saarland und im Bayerischen Wald, keine wirtschaftlichen Durchbrüche erzielte – trotz jahrzehntelanger Förderung.17

Nach aller Erfahrung sind die Folgen einer ‚Wüsten’-Strategie – trotz energischer An- strengungen – eine weitere Entleerung strukturschwacher Räume (‚Passivsanie- rung’) via Abwanderung und wirtschaftlichem Verfall.

Plakativ ausgerückt: Die Fortführung der ‚Wüsten’-Strategie bedeutet eine Verlänge- rung der Sackgasse, in der sich die Förderpolitik seit Jahren befindet.

‚Oasen’-Strategie

Die ‚Oasen’-Strategie ist – idealtypisch gesehen – in etwa genau das Gegenteil der ‚Wüsten’-Strategie. Sie verfolgt explizit eine innovationsorientierte Politik in städti- schen Wachstumspolen. Dabei versucht sie – nach dem Motto ‚Globalisierung der Regionalpolitik’ – das strukturschwache Mecklenburg-Vorpommern an extraregiona- le/globale Wissen- und Wachstumsräume – etwa Kopenhagen/Malmö/Hamburg/ Ber- lin/ – ‚anzudocken’ und damit ein neuartiges System interregionaler Arbeitstei- lung zu begründen. Ausgangspunkt ist die Erkenntnis, dass die endogenen Ent- wicklungspotenziale Mecklenburg-Vorpommerns nicht (mehr) ausreichen, um einen

15 So das Institut für Weltwirtschaft, Kiel, in seinem Arbeitspapier zur Frage der Infrastrukturlücke Ost- deutschlands, November 2003, zit. in: v. Dohnanyi, K.; Most, E. et al.: Für eine Kurskorrektur Ost ... a.a.O., S. 22. 16 zit. in: Handelsblatt vom 24.01.2004. 17 Zu den Schwierigkeiten einer Kosten-Nutzen-Bewertung der Regionalförderung vgl. Lammers, K.; Niebuhr, A.: Erfolgskontrolle in der deutschen Regionalpolitik: Überblick und Bewertung, HWWA- Report 214, Hamburg 2002, S. 53ff.

70 eigenständigen Wachstumsprozess einzuleiten. Sektoral kann ‚Andockung’ etwa be- deuten: Direktvermarktung ökologischer Agrarprodukte auf den Großmärkten Ham- burg und Berlins, Orientierung des Tourismusangebots an den Naherholungswün- schen der Metropolen (Wellness-, Gesundheits-, Kultur- und Eventtourismus), Senio- ren-‚Aussiedlungen’ aus den städtischen Agglomerationen in umweltfreundliche Räume M-Vs sowie die Attrahierung ‚kreativer Köpfe’. Nicht zuletzt kann eine spezia- lisierte Forschungs- und Wissenschaftskooperation zwischen den Hochschulen der Region ein Wissensmilieu kreieren, das den Bildungsstandort M-V aufwertet.

Nach dem zypriotischen Sprichwort „Wenn die Städte sterben, dann sterben die Dör- fer“ konzentriert die ‚Oasen’-Strategie ihre knappen Ressourcen auf die Entwicklung städtischer Wachstums- und Wissenscluster – Wismar, Schwerin, Rostock, Stral- sund, Greifswald, Neubrandenburg. Diese Mittel- und Oberzentren sind nicht nur spezialisierte Wachstumspole, sondern auch erste Auffangnetze für Pendler aus strukturschwachen Umlandregionen.

Anders ausgedrückt: Die vermutlich effizienteste Stabilisierung der „ländlichsten“ Räume ist die Stabilisierung der Städte und Städtenetze.

Als kleinere Agglomerations- und Innovationsräume verfügen sie über spezifische Standortvorteile (Hochschulen, Gesundheits-, Bildungs- und Freizeiteinrichtungen, Einkaufs- und Erlebnisparks) und bilden damit die Operationsbasis von wissensba- sierten Dienstleistern, Logistikzentren sowie der staatlichen Arbeits-, Sozial- und Kommunalverwaltung. Dabei dürften die Standortvorteile der Städte M-Vs in dem Maße wachsen, in dem die Ballungsnachteile (hohe Baulandpreise, hohe Mieten und Pachten, Kriminalitätsraten, Umwelt- und Verkehrsbelastungen, Flächenverbrauch) in den hoch verdichteten Metropolregionen Hamburgs und Berlins zunehmen.

Ergänzt wird die ‚Oasen’-Strategie durch eine selektive Stabilisierung jener struktur- schwächeren Räume, die über – wenngleich begrenzte – Entwicklungspotenziale verfügen. Periphere Regionen sind nicht a priori so strukturschwach, dass sie nicht entwicklungsfähig wären. In manchen Fällen bieten sie Potenziale für – saisonale oder ganzjährige – touristische Nutzungen, für Kurkliniken, Kongresse, Festivals, Wellness-Angebote und Seniorensiedlungen, so etwa die Ostseeküste, die Inseln und die Mecklenburgische Seenplatte.

71 In verbleibenden Teilräumen Vorpommerns („ländlichste Räume“) erscheinen ange- sichts der Schrumpfungstrends bei Bevölkerung, Beschäftigung und Wertschöpfung neuartige Organisationsformen kultureller und materieller Daseinsvorsorge notwen- dig. Hierzu zählt zum einen der Übergang von stationären zu mobilen Dienstleistern (Gesundheits-, Bildungs- und Verwaltungsdienste, Landhandel, Essendienste). Zum anderen haben sich in dünnbesiedelten Räumen Skandinaviens, Kanadas und Au- straliens Modelle bewährt, die auf die Selbstorganisation der Bürger setzen. Der „drit- te Sektor“ (ETZIONI 1998), die Zivilgesellschaft, kann durch kommunale Foren Ge- meinschaftsaktionen zur ‚Rückholung’ existentieller Dienstleistungen in ausgedünnte und schlecht erreichbare Räume initiieren, ergänzt durch entsprechende regionale Governance-Strukturen (GORSLER 2002). Als experimentelle Organisationsformen bieten sich etwa multifunktionale Bürgerläden, internetbasierte Kulturhäuser, Bürger- busse, Landkooperativen an.

Ins Zentrum der ‚Oasen’-Strategie rückt die Schaffung innovationsfreundlicher Stadt- räume, die die Selbstorganisation ideenreicher und wagemutiger Unternehmer in kommunalen Netzwerken erleichtern. Derartige Netzwerke18, Cluster oder Districts19 variieren erheblich nach Größe, Funktion und Erfolg. Über Genese, Wachstum und Sterben von Netzwerken bestehen mehr vage Vermutungen als gesicherte Erkennt- nisse.

Gemeinsam scheint ihnen jedoch zu sein:

· gemeinsame Werte wie Leistungsorientierung, Vertrauen und Berechenbarkeit sind Voraussetzungen einer erfolgreichen Netzwerkökonomie, da die ‚New Com- petition’ im Netzwerk auf der Koexistenz von Konkurrenz und Kooperation beruht. · geografische Nähe erleichtert Kommunikation und führt zu vergleichbaren Pro- blem- und Lebenslagen. Nicht zuletzt speist sich der Erfolg von Netzwerken durch die Aktualisierung impliziten regional gebundenen Wissens ”... high-value know-

18 Das Konzept ‚sozialer Netzwerke’ geht auf britische Sozialanthropologen zurück, die in Zentralafrika arbeiteten. Vgl. Radcliffe-Brown, A.R.: On social structure, in: Journal of the Royal Anthropological Society of Great Britain and Ireland, Vol. 70, 1940, S. 1ff. 19 Dogmengeschichtlich interessant ist, dass Alfred Marshall bereits 1920 den Begriff der industrial districts prägte, in denen ‚Wissen-Spillovers’ zwischen regionalen Unternehmen zu positiven exter- nen Effekten und steigenden Skalenerträgen führen. Vgl. Marshall, A.: Principles of Economics, 8th ed. London 1920.

72 ledge has a tacit dimension and this kind of knowledge capital tends to be geo- graphically immobile even through the people who embody it may be anything but.” (COOKE 2002, S. 158) · Nicht nur “geography, but history matters as well.” (SCHWINGES etal. 2001, S. 14). Tatsächlich weisen wirtschaftliche Netze bzw. Districts über die Zeit eine erstaunliche Stabilität auf – und überdauern selbst tiefe historische Einschnitte wie etwa Weltkriege, Revolutionen und Systemwechsel. „Zerrissene Netze“ (H. Albach) werden wieder geknüpft, tradierte Kooperationsstrukturen wiederbe- lebt.20 „What holds together the firms which make up the … industrial district is a complex and tangled web ... of historical and cultural vestiges … which is rea- sonably stable over time.” (BECATTINI 1989, S. 132). · Schließlich zeichnen sich erfolgreiche Wachstumscluster durch eine regionalspe- zifische Vernetzung aus (a) Gründer- und Unternehmergeist (‚entrepreneurial spi- rit’), (b) Wissensproduzenten aus Forschungs-Universitäten, (c) Venture Capital und (d) Kundennähe aus.21

Vorteil der ‚Oasen’-Strategie ist – falls erfolgreich – die Stärkung städtischer Lebens- und Innovationsmilieus. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Sie begründen in M-V eine kleinere, aber dynamische Netzwerkökonomie, deren ‚entrepreneurial spirit’ Ausstrahleffekte auf strukturschwache Umlandregionen zeitigt, Arbeitsplätze für Pendler schafft – und damit auch die „ländlichsten Räume“ stabilisiert.

Möglicher Nachteil der ‚Oasen’-Strategie ist, dass eine exklusive Stärkung städti- scher Wachstumspole die „ländlichsten Räume“ vernachlässigt und dort soziale Pro- bleme bei benachteiligten Gruppen zu verschärfen droht. Insofern muss die ‚Oasen’-

20 In M-V gilt dies etwa für: (a) die Re-Orientierung Westmecklenburgs nach Hamburg, (b) die Re- Orientierung Vorpommerns nach Stettin (der natürlichen Hauptstadt Pommerns), (c) Renaissance der Hanse-Idee, (d) die ökonomische und kulturelle Wiederbelebung der historischen Gutswirtschaft. 21 Siehe dazu den Deutschlandchef von General Electric (GE), der die Entscheidung für das europäi- sche Forschungszentrum von GE in Garching bei München so begründet: „Ein Grund war, dass die Forschung nah am Kunden sein muss. Wir haben in Deutschland ja große Kunden, gerade in der Medizintechnik oder in der Autoindustrie. Der zweite war die Qualität der Forschung: General Elec- tric untersucht Standorte nach drei Schlüsselkriterien: Ideen und Menschen, Innovation und Techno- logie sowie Ressourcen.“ SZ-Interview mit Thomas Limburger, in: SZ vom 26./27. Juni 2004.

73 Strategie durch eine ländliche Sozialpolitik neuen Typs (Mindeststandards, Bürger- versicherung, Zusatzrenten) abgefedert werden.

6 Regionalpolitik zwischen Subvention und Innovation

Der Aufstieg von Regionen ist ein langfristiger historischer Prozess, der – von Außen – wenn überhaupt – nur begrenzt beeinflusst werden kann.

In der weltweiten Hierarchie der Regionen sind die ostdeutschen Flächenländer (von wenigen urbanen Innovationsräumen abgesehen) ‚late modernizer’, die strukturell als agrarisch und altindustriell geprägte Stagnations- und Abstiegsregionen zu kategori- sieren sind. Die anhaltenden Strukturdefizite Ostdeutschlands sind Erbe u.a. des „Arbeiter- und Bauernstaates DDR“ und Folge einer verfehlten Förderpolitik nach der Wende.

Derartige Stagnationsräume weisen anhaltende Abwanderung und Schrumpfung bei Bevölkerung, Beschäftigung und Einkommen auf. Raumstrukturell findet ein Rückzug von industrieller Produktion und anspruchsvolleren Dienstleistungen (Banken, Versi- cherungen, Bildung, Gesundheit und Kultur) aus der Fläche statt. Damit entsteht bzw. verfestigt sich innerhalb der Peripherie eine interne Peripherie (= „ländlichste Räume“), die Grenzwerte wirtschaftlicher Tragfähigkeit und sozialer Organisation zu unterschreiten droht. Schleichende Passivsanierung oder soziale Subventionierung auf Dauer scheinen in den „ländlichsten Räumen“ die einzigen Alternativen (oder beides).

‚Brain drain’ und ‚Flucht aus der Fläche’ ist die eine Seite der Medaille, eine säkulare Verschlechterung der regionalen Terms of Trade ist die andere Seite. Zusammenge- nommen ergibt sich ein erheblicher ‚sucking out’-Effekt an Menschen und Kapital, unglücklicherweise aus den strukturschwachen Räumen in wachstums- und innova- tionsstarke Stadtregionen; eine „Entwicklung der Unterentwicklung“ (A. G. Frank), die man durch interne Entwicklungs- und Sozialhilfe von West nach Ost auszugleichen sucht.

Mecklenburg-Vorpommern (Studentenjargon: „MeckPomm“) weist innerhalb Ost- deutschlands spezifische Strukturdefizite auf, geprägt durch Randlage, besondere historische Erfahrungen und ein spezifisches „kulturelles Kapital“ (P. Bourdieu) sei-

74 ner Bevölkerung: bedächtig, berechenbar und wenig neuerungsaktiv (MECHTHOLD- JIN 2001).

Unter den skizzierten Rahmenbedingungen erscheinen weiterreichende Erwartungen an einen Aufschwung M-Vs – oder gar an den Übergang zu selbsttragendem Wach- stum – unangebracht. Die geringe – und weiter schrumpfende – Bevölkerungsdichte, anhaltende De-Industrialisierung und eine stagnierende Binnennachfrage dürften c.p. den wirtschaftlichen Rückstand M-Vs verfestigen.

Wo Schatten ist, da ist auch Licht:

· Der Eindruck, der wirtschaftliche Aufbau in den Neuen Bundesländern – und da- mit auch in Mecklenburg-Vorpommern – sei auf der ganzen Linie gescheitert, ist falsch. Typisch ist gerade die zeitliche und räumliche Koexistenz von wirtschaftli- chem Fortschritt und Unterentwicklung.

· Entwicklungschancen bieten – durchaus in traditionell zentralörtlich gedachter Stufung (a) die überregionalen Wachstumspole Hamburg/Berlin/Stettin/Kopen- hagen/Malmö, (b) die städtischen Verdichtungsräume um die Großstädte Rostock, Schwerin sowie (c) die mittelstädtisch geprägten Regionen um Wismar, Greifswald, Stralsund und Neubrandenburg. Dies gilt insbesondere, wenn der Aufbau eines dichten Städtenetzes gelingen sollte.

· Zudem liegen für Mecklenburg-Vorpommern Chancen in seiner intakten Umwelt, seinem relativ hohen Wohn- und Freizeitwert sowie dem geringen Agglomerati- ons- und Flächendruck. Die – verglichen mit westdeutschen Wachstumsräumen – niedrigeren Produktions- und Reproduktionskosten bieten gerade für wissensba- sierte High-Tech-Unternehmen und Dienstleistungsbranchen günstige Operati- onsbedingungen, vorausgesetzt, es gelingt entsprechend vernetzte Wissensclu- ster zu entwickeln.

· Allerdings sind die hieraus resultierenden spezifischen Entwicklungspotenziale wiederum nach unterschiedlichen Raumtypen zu differenzieren (von den städti- schen Verdichtungsräumen um Rostock und Schwerin bis hin zu den dünn besie- delten und strukturschwachen Gebieten Vorpommerns).

75 In diesem Sinne spricht alles dafür, den schmerzhaften, aber notwendigen Politik- wechsel von der überkommenen ‚Wüsten’- zur ‚Oasen’-Strategie zu vollziehen. Da- gegen spricht, dass Politikwechsel immer etablierte Interessen gefährden und einge- fahrene (Subventions-)Mentalitäten aufbrechen. Die Kosten eines derartigen Politik- wechsels liegen in der Gegenwart und sind kalkulierbar, die Erträge liegen in der Zu- kunft und sind unsicher. Entwicklungsblockaden sind daher die Regel, nicht die Aus- nahme.

Ob ein ‚Oasen’-Konzept wesentlich zur Bewältigung der Strukturprobleme M-Vs bei- tragen kann, muss gegenwärtig offen bleiben. Die Frage ist nur, ob es dazu eine ver- nünftige Alternative gibt.

76

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79 Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Bruttoinlandsprodukt pro Kopf 2003 nach Bundesländern...... 53

Abbildung 2: Anteil der Wirtschaftsbereiche an der Bruttowertschöpfung 2003 (in Preisen von 1995)...... 60

Abbildung 3: Nordostdeutschland: Raumstruktur...... 63

Abbildung 4: Potenzialfelder für Mecklenburg-Vorpommern...... 67

Abbildung 5: Idealtypische Konzepte einer regionalen Entwicklungspolitik ...... 68

80 Hans Pohle

Wissen, Information und Innovation in der Landes- und Regional- entwicklung – Das Beispiel Mecklenburg-Vorpommern

INHALT

1 Einführung ...... 83

2 Theoretischer Hintergrund ...... 85

2.1 Definitionen und Abgrenzungen ...... 85

2.2 Technischer Fortschritt und die Qualität des Humankapitals in der (regionalen) Wirtschaftstheorie...... 86

2.3 Information, Wissen und Innovation als dynamischer Prozess...... 90

3 Strategische Ansatzpunkte für eine wissensbasierte, innovationsorientierte Landesentwicklungspolitik in Mecklenburg-Vorpommern ...... 96

3.1 Die Wirtschafts- und Raumstruktur in Mecklenburg-Vorpommern...... 96

3.1.1 Die Wirtschaftsstruktur ...... 96

3.2 Instrumente einer wissensbasierten Landes- und Regionalentwicklung... 102

4 Konsequenzen und Empfehlungen für die Landesentwicklungspolitik in Mecklenburg-Vorpommern ...... 116

Literaturverzeichnis...... 119

Abbildungsverzeichnis ...... 125

81 82 1 Einführung

Der Aufbau Ost ist ins Stocken geraten. Die Wachstumsraten der ostdeutschen Bun- desländer sind nach einem zwischenzeitlichen Vorsprung gegenüber denen der westdeutschen Bundesländer wieder deutlich zurückgefallen. Die versprochenen „blühenden Landschaften“ haben sich nicht eingestellt; im Gegenteil dazu ist es nach der Wende zu einem flächenhaften Zusammenbruch der im wesentlichen in Kombi- natsstrukturen zusammengefassten, nicht wettbewerbsfähigen „DDR-Wirtschaft“ ge- kommen. Der ökonomische Aufholprozess findet zudem unter Rahmenbedingungen statt, die eine schnelle Konvergenz als unwahrscheinlich, bzw. fast unmöglich er- scheinen lassen (BRAUN 1997, S. 136). Dazu zählen vor allem:

· Globalisierung der Wirtschaft und die damit verbundene Zunahme der internatio- nalen Standortkonkurrenz um Investitionen und auch um hochqualifiziertes Hu- mankapital.

· Die Erweiterung der EU und die damit verbundene Umlenkung von Fördermitteln in die MOE-Staaten

· Das anhaltend schwache gesamtwirtschaftliche Wachstum in Deutschland, von dem wenig Impulse für die Wirtschaft in den Ländern und Regionen der Bundes- republik ausgehen.

· Die Reformunfähigkeit und die Krise des Föderalismus in Deutschland, die sich u. A. auch in einer strukturellen Krise der öffentlichen Haushalte niederschlägt.

· Der demographische Wandel, der sich mit seinem Rückgang der Bevölkerungs- zahl und der zunehmenden Alterung der Bevölkerung besonders in Ostdeutsch- land und seiner Wirtschaft niederschlägt.

So gesehen wird sich Ostdeutschland und auch besonders Mecklenburg- Vorpommern (M-V) nicht nur auf externe Hilfe z. B. der EU oder der deutschen Poli- tik, zur Stützung und Entwicklung der Wirtschaft verlassen können, sondern muss vor allem versuchen, auch aus eigener Kraft und unter Ausnutzung der besonderen Eigenheiten und Potenziale des Landes einen selbsttragenden Wachstumsprozess einzuleiten. Eine solche Politik hat zum Ziel, für die ansässigen und potentiell neuen Unternehmen, für Standorte und Regionen Bedingungen zu schaffen, die es ihnen

83 erlaubt, mobile Produktionsfaktoren zu attrahieren, um damit ihre Position im weltweiten Wettbewerb zu sichern und langfristig zu verbessern.

Zu diesen Rahmenbedingungen kommt der weltweite Strukturwandel, der für eine solche Strategie zusätzliche Probleme, aber vor allem auch besondere Entwick- lungschancen bietet. So sind bei allen entwickelten Gesellschaften die folgenden Megatrends, die mit ihren technologischen und soziologischen Veränderungen auch tiefgreifende ökonomische Veränderungen bewirken, zu beobachten:

· die Entwicklung von Wissens- und Kommunikationsgesellschaften

· der Wechsel von der Arbeitsgesellschaft hin zur Freizeitgesellschaft

· die Digitalisierung wichtiger Wirtschafts- und gesellschaftlicher Prozesse

· der Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft

Gemeinsam ist diesen Prozessen, dass Informationen und technologische Entwick- lungen eine zentrale Rolle spielen, wenn nicht gar treibende Kraft dieser Megatrends sind. Die Akkumulierung von Wissen und damit die Quantität, Qualität sowie die sektorale und regionale Verteilung des vorhandenen Humankapitals bilden dafür die

Basis und Träger der Entwicklung (BRAUN 2000, S. 21ff.).

Auch die neueren Entwicklungen der ökonomischen Theorie, insbesondere der neu- en Wachstumstheorie und der neuen ökonomischen Geographie, arbeiten die zen- trale Rolle von neuem Wissen und von Innovationen im Wachstumsprozess von Volkswirtschaften und ihren regionalen Strukturen heraus. Da diese Faktoren ganz eng an das Humankapital gebunden sind, wird mit dieser Sichtweise gleichzeitig ein Paradigmenwechsel der Wirtschaftstheorie vollzogen. Der Produktionsfaktor Kapital wird nicht mehr als ausschließlicher Träger und Ursache von neuen Entwicklungs- prozessen gesehen, sondern der Faktor Arbeit, das Humankapital, rückt in den Mit- telpunkt theoretischer und damit auch wirtschaftspolitischer Betrachtung. Schulische und berufliche Ausbildung, Forschung und akademische Lehre sowie technologische Netzwerke und Cluster werden damit zum Handlungsparameter aktiver Landesent- wicklungspolitik.

In diesem Beitrag soll dargestellt werden, ob und inwieweit diese neuen Erkenntnisse auch für eine Landes- und Regionalentwicklungspolitik des Landes M-V genutzt wer-

84 den können, die langfristig eine Chance zum Erreichen eines selbsttragenden Wach- stumsprozesses eröffnet. Dazu wird ausgehend von den neuen theoretischen Er- kenntnissen zunächst geprüft, welche strategischen Ansatzpunkte zur Nutzung von neuem Wissen und Informationen, von Innovationen und neuer Technologie für eine solche neue wirtschaftspolitische Ausrichtung der Landes- und Regionalentwicklung geeignet sind (POHLE 2003, S. 1 ff.). Anhand der Potenziale und Defizite der Wirt- schaftsstruktur und der vorhandenen Bildungs- und Forschungsinfrastruktur des Landes M-V werden dann mögliche Ansatzpunkte und Instrumente vorgestellt, die eine neue wissensbasierte, innovationsorientierte Strategie für die Landes- und Re- gionalentwicklung in M-V kennzeichnen.

2 Theoretischer Hintergrund

2.1 Definitionen und Abgrenzungen

Vielfach werden die Begriffe Wissen, Information, Idee, Invention und Innovation pauschal als synonyme, übergreifende Bezeichnungen zur Beschreibung neuer im- materieller Sachverhalte benutzt. Mit dieser begrifflichen Unschärfe gehen aber auch wesentliche Inhalte, Eigenschaften und damit verbundene Funktionen verloren. Bei einer Analyse der Rolle und des Gewichts dieser Begriffe in der Diskussion über re- gionale Entwicklungspfade und -möglichkeiten kann dies zu erheblichen Fehlein- schätzungen führen. Daher soll hier zunächst versucht werden, die in diesem Beitrag verwendeten Begriffe zu definieren und von anderen abzugrenzen:

· Als Informationen werden im Folgenden abrufbare/weitergabefähige Beschrei- bungen einer Sache, eines Vorgangs oder eines Zusammenhangs, d. h. materiel- ler oder immaterieller Sachverhalte, bezeichnet. Mit der Eigenschaft der Abrufbar- keit/Weitergabefähigkeit ist die Einstufung als Gut verbunden; wirtschaftliche bzw. handelbare Güter sind sie dann, wenn sie nicht räumlich und zeitlich ubiquitär vor- liegen, also knapp sind und ihr Erwerb bzw. ihre Verwendung Kosten verursacht.

· Als Wissen werden im Folgenden an Personen (embodied) oder Institutionen/ Organisationseinheiten (embedded) gebundene, spezifische, (zweckgerichtet ge- sammelte) Informationen bezeichnet. Dem individuellen Aneignen von Wissen geht immer ein individueller bzw. kollektiver Lernprozess voraus.

85 · Auf der Grundlage dieses Wissens können durch kreatives Denken neue Informa- tionen generiert (Ideen) und für die Anwendung in der Praxis weiterentwickelt werden (Inventionen).

· Eine Innovation ist dann zum einen die Nutzung bzw. Umsetzung neuer Informa- tionen in die Praxis oder zum anderen die neue Nutzung vorhandener Informatio- nen in der Praxis (EWERS, WETTMANN 1978, S. 482, Fn. 32). Der Anwen- dungsaspekt ist dabei konstituierend. In ökonomischer, betriebswirtschaftlicher Hinsicht ist weiter zu unterscheiden nach Produktinnovationen und Verfahrensin-

novationen einschließlich der Betriebsorganisation (STÖRMER 2001, S. 72 f.).

2.2 Technischer Fortschritt und die Qualität des Humankapitals in der (re- gionalen) Wirtschaftstheorie

Information und Wissen wurden in der traditionellen Wirtschaftswissenschaft als technischer Fortschritt lange Zeit eher nachrangig, d. h. als „c.p. gegeben“ behandelt (SÖLLNER 1999, S. 245 f.), inzwischen hat jedoch seit einigen Jahren ein Paradig- menwechsel stattgefunden, der die Rolle von Wissen, und damit auch die von tech- nischem Fortschritt sowie von Bildung und Ausbildung, im Rahmen von ökonomi- schen Wachstumsprozessen neu definiert und herausgehoben hat.

In der traditionellen neoklassischen Wirtschaftstheorie fielen neues Wissen und In- novationen quasi wie „Manna vom Himmel“ und wurden, im Gegensatz zu klassi- schen Theorien wie bei v.Thünen und Friedrich List, daher kaum betrachtet. Daher wurde der technische Fortschritt in den ökonomischen Modellen, insbesondere in denen der Wachstumstheorie, als eine exogene Variable behandelt, die mit einer in der Regel empirisch begründeten, konstanten Entwicklungsrate, wie z. B. im Har- rod/Domar-Wachstums-Modell, vorgegeben war. Dementsprechend spielten Innova- tionen und Neuerungen kaum eine Rolle in der Wachstumspolitik, sie wurden als ar- beits- oder kapitalsparende Randbedingungen definiert. Für die Regionalpolitik ergab sich daraus die strenge Orientierung an der Kapitalseite, da aus dieser Sicht das Ka- pital als mobiler Produktionsfaktor das entwicklungsfähige Potenzial darstellte.

In der Weiterentwicklung der neoklassischen Theorie koppelte man diese Rate des technischen Fortschritts zunächst an die Qualität des Faktors Arbeit und an die Auf- wendungen für Bildung und Ausbildung. Ausgaben in diesen Bereichen wurden z. B.

86 bei Gary S. BECKER als individuell und gesamtwirtschaftlich sinnvolle Investitionen in das sog. „Humankapital“ erkannt. Da diese auch an das Niveau des gesamtwirt- schaftlichen Einkommens (Bildungsinfrastruktur als staatliche Aufgabe) gekoppelt sind, wurde so ein erster Schritt zur Endogenisierung dieser Zusammenhänge getan. Damit wurde Bildung und in der Folge auch technischer Fortschritt zur strategischen Größe der Wirtschaftspolitik (Stichwort Bildungsoffensive/-reform in den 70er und 80er Jahren). In der Regionalpolitik führte dieser Ansatz zu den Modellen der bil- dungsorientierten Regionalpolitik (BFLR 1978; ARL 1993; ECKEY/HARNEY 1982). Gleichzeitig wurde auch der technische Fortschritt über Investitionen in den Kapital- stock als wesentlicher Träger der Innovation (Neuerung und Rationalisierung) und damit von neuen Wachstumspotenzialen erkannt und so zur Grundlage einer neuen Wachstumspolitik. Für die raumbezogene Förderung schlug sich dieses im Konzept der innovationsorientierten Regionalpolitik (BFLR 1978; EWERS/WETTMANN 1978; MEYER-KRAMER 1986, S. 5 ff.; ECKEY 1988, S. 67 ff.) nieder, in welchem die Aus- gaben für Forschung und Entwicklung zur wichtigsten strategischen Variable erklärt wurden.

In den Modellen der neuen Wachstums- und Außenhandelstheorie und der regiona- len Geographie (KRUGMAN 1991a; ROMER 1990; GROSSMAN/HELPMAN 1991) wird noch ein Schritt weiter gegangen, indem die kumulativen Wirkungen von Bildung und Ausbildung und die Rate von Innovationen vollständig endogen und damit pfad- abhängig (HELLMER et al. 1999, S. 16) erklärt werden. Je höher das Niveau einer Volkswirtschaft, umso effizienter sind z. B. Investitionen in Bildung und Ausbildung der Bevölkerung oder in neue technische Ausstattungen von Betrieben. Nacheilende Volkswirtschaften können daher die Vorauseilenden nicht, bzw. nur durch relativ ho- hen Mitteleinsatz, einholen. Dies kann neben anderen Faktoren auch die empirisch beobachteten Konvergenz- und Divergenzprozesse von nationalen Volkswirtschaften (SÖLLNER 1999, S. 252), aber auch von regionalen Ökonomien erklären (KRUGMANN 1991b) und liefert somit eine neue Begründung für notwendiges regio- nalpolitisches Handeln (JOHANSSON, et al. 2000; ROLLE 2000, S. 70ff.). Mit diesen neuen Theorien konnte auch der bereits 1911 von SCHUMPETER entwickelte An- satz mit den traditionellen Modellen verknüpft werden. SCHUMPETER stellte im Ge- gensatz zur herrschenden Theorie gerade die Neuerung in der Produktion von Gü-

87 tern und den Produktionsverfahren, d. h. eine Abfolge von ökonomischer Destruktion und Neuaufbau, von alten und neuem Denken, in den Mittelpunkt seiner dynami- schen Betrachtung der Evolution wirtschaftlicher Systeme (Volkswirtschaften) (SCHUMPETER 1952). Die Entwicklungsmodelle der langen Wellen (z. B. Kondra- tieff-Zyklen) und der Produktlebenszyklen bauten später auf diesen Überlegungen auf, konnten sich allerdings in der Regionalpolitik als Konzept nicht durchsetzen.

Vorrangig für die wirtschaftliche Entwicklung und die Wettbewerbsfähigkeit von Re- gionen und Standorten sind zunächst die gesamtwirtschaftlich gestalteten Rahmen- bedingungen für die Standortentwicklung. Dennoch gibt es darüber hinaus weitere in der Region gestaltbare Faktoren, die für die Aufnahmefähigkeit und Effizienz der Verwendung von neuen Informationen und Wissen „vor Ort“ besonders wichtig sind: Innovationsfreundliches Verwaltungshandeln, hoher Bildungs- und Ausbildungsstand der Erwerbsbevölkerung, leistungsfähige Wissenschafts- und Forschungsinfrastruk- tur, die Bereitstellung von technischer Infrastruktur, insbesondere der zum Transport und zur Nutzung von Information und Wissen, sowie innovationsrelevante Dienstlei- stungsangebote bestimmen die „regionale Resonanz“ von neuem Wissen und damit die Effizienz ihrer Nutzung. Die räumliche Bündelung solcher Rahmenbedingungen begünstigt so das Entstehen von technologischer und damit auch wirtschaftlicher

Leistungsfähigkeit (economies of scale) von Standorten und Regionen (GEHRKE 2001, S. 31). Wissen und Information sind dabei sowohl notwendiger „Produktions- faktor“ als auch gekoppeltes „Produktionsergebnis“ (DÖRING 2004, S. 4). Damit werden Information und Wissen auch zu strategisch nutzbaren Variablen im Wettbe- werb von Unternehmen, Standorten und Regionen. Daher liegt es nahe, dass sie als Zielgrößen in neuen entwicklungspolitischen Ansätzen der Landes- und Regional- entwicklung eine zentrale Rolle spielen müssen.

In der Milieuforschung wird die reflexive Beziehung zwischen Inputfaktor und Output- größe besonders herausgearbeitet, indem die Bedeutung von räumlicher Nähe und informationeller Verbundenheit in Netzen und Clustern thematisiert wurde (AUDRETSCH/FELDMANN 1996, S. 253ff.). Neben den intraregionalen Handelsver- flechtungen und von diesen Milieus/Cluster/Netzen gemeinsam genutzten und ge- pflegten Beschaffungs- und Absatzmärkten spielt der Austausch von Wissen und Information eine wesentliche, sogar konstituierende Rolle (MAILLAT/KEBIR 2000, S.

88 255ff.). Durch diesen internen Transfer kann ein solcher Cluster erhebliche Wettbe- werbsvorteile gegenüber anderen Standorten und Regionen erzielen, weil anwen- dungsfähige Innovationen schneller diffundieren, kollektiv verarbeitet und ohne weite- re eigene Erprobungen nachgeahmt werden können (NORD LB 2002).

In der wirtschaftspolitischen und auch in der regionalwissenschaftlichen Debatte nimmt der Strukturwandel von der sog. „old economy“ hin zur „new economy“ einen breiten Raum ein (LAASER/SOLTWEDEL 2001, S. 174f.). Stichworte dieser Debatte sind u. A. „white collar production“, „e-commerce“, „Informationsindustrie“ oder auch der „Neue Markt“. Allen diesen wirtschaftlichen Aktivitäten ist gemeinsam, dass Wis- sens- und Informationserzeugung und ihre Vermittlung die zentrale Rolle im Wert- schöpfungsprozess dieses Sektors spielen, sei es als wesentlicher Produktionsfaktor oder auch als Zwischen- und Endprodukt. Dieser Strukturwandel hat Auswirkungen auch auf das raumwirtschaftliche Gefüge, insbesondere für die räumlich-funktionale Arbeitsteilung zwischen Verdichtungsräumen und den eher peripheren, ländlich ge- prägten Räumen (dies, S.182ff.). Die neueren theoretischen Ansätze lassen auf Grund der o.a. Zusammenhänge und der dadurch möglichen „economies of scale“ eine Bevorzugung der großen Metropolen und Verdichtungsräume erwarten (SCHÖNERT 2000, S. 40 f.). Eine eindeutige Antwort über die zu erwartenden Ent- wicklungsrichtungen ist allerdings aus den bisherigen empirischen Untersuchungen noch nicht zu erkennen (ders. S. 84f. und 146f.; KEILBACH 2002, S. 61ff.; JANSEN 2004, S. 23ff.).

Diese theoretischen Erkenntnisse zeigen, dass Wissen und Information heute in der (regionalen) Wirtschaftstheorie als wichtige, zentrale Entwicklungsfaktoren gesehen werden, welche gerade in einer globalisierten Welt für die einzelne Region von aus- schlaggebender Bedeutung im Wettbewerb der Regionen sind.

89 2.3 Information, Wissen und Innovation als dynamischer Prozess

Gemeinhin wird in der wissenschaftlichen Literatur eine statische Betrachtung der

Rolle von Wissen und Informationen vorgenommen (stellv. DÖRING in diesem Band mit der dort zitierten Literatur). Es wird i.d.R. unterschieden zwischen implizitem Wis- sen („tacit knowledge“) und explizitem Wissen („explicit knowledge“) (FISCHER 2000, S. 7; SCHREYÖGG 2001, S. 7f.; JANSEN 2004, S. 5). Dabei bezeichnet tacit know- ledge das an eine Person oder Organisation gebundene, für die Verarbeitung von neuen Informationen bewusst oder unbewusst genutzte Wissen („embodied“ oder Basiswissen). Es ist daher nur schwer interpersonell zu transferieren. Explizites Wis- sen kann demgegenüber leicht artikuliert, transferiert und gespeichert werden. Mit dieser Unterscheidung allein werden andere wichtige Aspekte, vor allem der dynami- sche, prozesshafte Charakter der Rolle von Information, Wissen und Innovation in der ökonomischen Entwicklung von Betrieben, Standorten und Regionen, ausge- blendet. Der Prozesscharakter wird allenfalls bei der Analyse der zeitlichen und räumlichen Diffusion von Information und Wissen (Wissens-Spillover) berücksichtigt (grundlegend HÄGERSTRAND 1967; aktuell CANIËLS 2000; DURTH 2001, S. 424ff.). Für die zielgerichtete Nutzung dieser (neuen) strategischen Variablen für die Regionalentwicklung und Regionalpolitik ist dies allerdings zu eng. Zum einen muss der Aspekt der Diffusion selbst in seinen prozessualen Abläufen genauer betrachtet werden. Zum anderen sind darüber hinaus auch die vor- und nachgelagerten Stufen bzw. Stadien des Wissens-/Informationsprozesses mit dem aktiven Vorgang der

Produktion von und der Suche nach Informationen einzubeziehen (ähnlich GEHRKE 2001, S. 31f.; BMWiT 2002, S. 4f.): a. Produktion / Erzeugung / Entstehung b. Transfer / Transport c. Erwerb / Aneignung d. Speicherung e. Selektion, Auswahl und Bewertung f. Verwertung / Umsetzung

90 Jede dieser Stufen des informationellen Prozesses, die teilweise „uno actu“ oder auch in rückgekoppelten Schleifen ablaufen, weist eigene Ansatzpunkte für die In- strumentierung und Nutzung in der Regionalpolitik auf, die im Folgenden thematisiert werden. Sie sind notwendige und ergänzende Instrumente einer wissensbasierten Landesentwicklungspolitik und in verschiedenen Politikbereichen angesiedelt. Im Rahmen einer konsistenten räumlichen Entwicklungspolitik kommt es daher auf die spezifische Koordination und Bündelung dieser Instrumente vor Ort an, um nachhal- tige Erfolge zu erzielen. Damit wird über den engen, isolierten Einsatz z. B. von Bil- dung und Ausbildung für die regionale Entwicklung (vgl. z. B. ECKEY/HARNEY 1982, S. 89ff.; oder ARL 1993): d. h. den Lernprozess von Personen / Unternehmen / Regionen als Politikansatz, hinausgegangen und ein umfassenderes, integratives Konzept einer wissensbasierten Landes- und Regionalentwicklung als aktiver Strate- gie skizziert. zu Stufe a) Produktion, Entstehung und Weitergabegabe, d. h. wie entsteht neues Wissen/Information?

Grundsätzlich gibt es zwei Wege, neues Wissen zu generieren:

1. Die kreative Eingebung, die neue Idee als Gedankenblitz oder wie man auch im- mer diese individuelle kreative Leistung bezeichnet. Sie baut auf implizit vorhan- denem Wissen auf und ist in der Regel nicht zielgerichtet, häufig sogar „zufällig“,

nicht reproduzierbar (DÖRING 2004: 6) und unterliegt eher „chaotischen“ Regeln. Ein solcher Prozess ist nur in Grenzen durch das Schaffen eines geeigneten Um- feldes zu fördern. Diese Eigenschaft des „Zufälligen“, des „Unplanbaren“ ist für die auf finale Instrumente setzende Landes- und Regionalentwicklungspolitik ein nur schwer fassbares Element (SIEBEL/IBERT/MAYER 2001, S. 528f.), welchem nur durch entsprechende offene Politikgestaltung entsprochen werden kann.

2. Die Assoziation, d. h. die sukzessive Weiterentwicklung, das Weiterdenken bzw. die analoge Übertragung vorhandener Erkenntnisse (implizites und explizites

Wissen) auf andere, neue Fragestellungen (DÖRING 2002, S. 6). Diese Prozesse bauen auf einem geeignetem, innovativen Umfeld auf und sind daher eher der ex- ternen Gestaltung und entwicklungspolitischen Steuerung zugänglich.

91 Neues Wissen entsteht sowohl individuell als auch in sozialen Kontexten, in Teams, Netzwerken und Verbünden (JANSEN 2004, S. 9ff.). Für beide ist ein entsprechend kreatives Umfeld von innovativen Personen und Einrichtungen d. h. öffentlichen For- schungseinrichtungen und auch forschungsintensiven Betrieben Voraussetzung. zu Stufe b) Transport und Übermittlung, d. h. wie und welche Transportmittel und -kanäle kann man nutzen?

Im Zeichen des Internet und der globalen medialen Vernetzung sind gerade Informa- tionen häufig ein ubiquitäres Produkt. Zeitlich und räumlich rücken Informationsquelle und Informationsnutzer zunehmend zusammen. Bis auf patentrechtlich geschützte Inventionen und die Möglichkeiten der Verwendung von Verschlüsselungstechniken bei elektronisch gespeicherten Informationen gibt es kaum noch geschützte Bereiche im globalisierten Wettbewerb um Informationen und Wissen. Der funktionale „Wis- sensraum“ ist daher kaum mehr geografisch abgrenzbar.

Dennoch bestehen wegen der Unterschiede der Kommunikationswege zwischen im- plizitem und explizitem Wissen erhebliche Differenzen in ihrer zeitlichen und räumli- chen Diffusion. Der hauptsächliche Kommunikationsweg für implizites Wissen ist der persönliche Kontakt, was zu einer erheblichen Beschränkung der Diffusion führen kann (CANIËLS 2000, S. 8). Wird jedoch individuelles, implizites Wissen in explizites Wissen (speicherfähig) transformiert, dann sind zusätzlich die modernen Kommuni- kationsmittel und -netze, also institutionalisierte Wege nutzbar.

Entscheidend für die Übermittlung neuer Ideen (embodied knowledge) ist zunächst die Bereitschaft des Ideenproduzenten, sein neues Wissen abrufbar zur Verfügung zu stellen bzw. weiterzugeben (CANIËLS 2000, S. 23f.). Dies ist nach Art der Person bzw. Institution durchaus unterschiedlich. Mitglieder öffentlicher Forschungseinrich- tungen sind i.d.R. sehr um Öffentlichkeit bemüht, stellen neue Erkenntnisse schnell und für alle zugreifbar zur Verfügung, während private Institutionen wie Betriebe und privat finanzierte Forschungseinrichtungen zunächst ein Interesse an der ausschließ- lichen Erstverwertung, also kaum Interesse an der unmittelbaren Verbreitung haben (ders.: ebd.). Als Ziel einer landes- und regionsspezifischen Förderung sind jedoch beide Institutionen geeignet. Beide können helfen, Vorteile im weltweiten Standort- wettbewerb zu erzielen oder zu halten (ROSENFELD 2003, S. 34ff).

92 zu Stufe c) Erwerb und Aneignung, d. h. wie erwirbt man neue Informationen und Wissen?

Der eigentliche Erwerb von neuen Informationen ist heute neben der zentralen indi- viduellen Bereitschaft und Fähigkeit zur Aufnahme neuen Wissens, d. h. zum Lernen, auch eine Frage der vorhandenen technischen Infrastruktur und ihres Zugangs, we- niger eine Kostenfrage. Wichtiger sind daher die Voraussetzungen und die Rahmen- bedingungen zum Erwerb von Wissen:

· Individuell gehören dazu sowohl die Kenntnis über die Bedienung des Transport- und Empfangs- und Sendeinstrumentariums, z. B. des PC und seiner Software, der modernen Kommunikationsmittel, aber auch die Beherrschung von Fremd- sprachen, insb. Englisch als weltweiter Fachsprache des Internet. Dazu gehört ebenso instrumentelles Wissen über Transferwege, über geeignete Verfahren und sekundäre Quellen zur Suche von spezifischen Informationen (z. B. Handling von Suchmaschinen im Internet) oder die Möglichkeit der Nutzung von beratenden

Dienstleistern und externen „Infobrokern“ (BMWIT 2002, S. 6), die, wie z. B. Re-

gional- und Citymanager (MEYER-KRAMER/LAY 2001, S. 398; ALMUS et al. 2001, S. 48; POHLE 2003, S. 26f), als neuer Zweig öffentlicher Dienstleistung für die Betriebe vor Ort immer wichtiger werden.

· Aneignung von Systemwissen, d. h. von Informationen und Wissen, die in einem

Netzwerk eingebunden sind (STÖRMER 2001, S. 132ff.): Vom kleinen Team im Betrieb über regionale Netzwerke bis zu internationalen Kooperationsverbünden existieren auf unterschiedlichen Ebenen verschiedene, sich vielfach überlagern- de, interpersonelle Netze, die zur Informations- und Wissensgewinnung „ange- zapft“ werden können. Solche Netze nehmen dezentral Informationen (ohne Hier- archie) auf, bereiten sie dezentral auf und generieren daraus weiterführende, neue Informationen. Kennzeichnend ist „Eingabe“ individueller Informationen und „Ausgabe“ systemar verarbeiteter Informationen. Darüber hinaus lernt es sich im Netzwerk leichter. Dabei kann der Regionsbezug im räumlichen Kompetenznetz-

werk eine tragende Rolle spielen (FAULSTICH 2001, S. 137; FISCHER 2000, S. 16).

93 zu Stufe d) Speicherung d. h. wie werden neue Information und neues Wissen wieder abrufbar gespeichert?

Erworbene Information kann zwar sofort in eine bestimmte Handlung einmünden, allerdings ist ihre „Speicherung“ häufig sinnvoll und notwendig, um sie zu akkumulie- ren, weiter verarbeiten oder mehrfach nutzen zu können. Dabei muss nach der indi- viduellen, der rein technischen und der „virtuellen“ Speicherung in Organisationen und Netzwerken unterschieden werden:

· Bei der individuellen Speicherung von Informationen erfolgt eine Transformation von Information in personengebundenes Wissen, d. h. eine Einbettung von Infor- mationen in dazu bereits vorhandenes individuelles Wissen (Basiswissen), wie z. B. in politische, ökonomische, soziale, kulturelle, technische Kontexte. Dies setzt einen individuellen Lernprozess voraus, mit dem vorliegende Informationen in diese Zusammenhänge eingebunden werden (embedding). Da immer mehr und neue Informationen in der Wissensgesellschaft auf Grund von neuen Mög- lichkeiten der Übermittlung verfügbar werden, bleibt für die Individuen die Aufgabe

des lebenslangen Lernens (BALTES 2000, S. 176ff.)

· Die technische Speicherung von Informationen erfolgt im Rahmen von optischen und elektronischen Datenverarbeitungssystemen und mittels geeigneter Daten- verarbeitungssoftware. Hier sind ebenso wie für den Erwerb entsprechende Kenntnisse über den Umgang und die technischen Möglichkeiten von Hard- und Software nötig.

· Die Speicherung in einem System, sei es ein Unternehmen, ein Team, eine Be- hörde oder auch ein Netzwerk von Institutionen, setzt ebenfalls sowohl eine tech- nische Vernetzung als auch eine interpersonelle Verknüpfung in „Netzwerkkno- ten“ voraus, in denen Informationen empfangen, gespeichert, weiterverarbeitet und auch weitergeleitet werden. Entweder sind diese Funktionen durch klare Richtlinien wie in Behörden oder größeren Unternehmen geregelt (knowledge- management) oder organisieren sich (wie z. B. in weiten Teilen des Internet) eher dezentral und eigenständig in offenen Strukturen. In beiden Fällen ist jedoch in diesen Knoten und bei den Nutzern die Entscheidung zu treffen, ob nach dem Empfang der Information auch eine Aneignung und Speicherung (technisch oder

94 individuell) in den Knoten und eine Weiterleitung an andere Knoten erfolgen soll. Von dieser Durchlässigkeit und Diffusion von Informationen im Netzwerk hängt auch im Wesentlichen der „informationelle Mehrwert“, die Effizienz der Adaption, der Nutzung und der Schaffung neuen Wissens durch das Netzwerk, ab (BMWiT 2002). zu Stufe e) Bewertung und Selektion, d. h. welches ist die für die Umsetzung wichtige, zweckmäßige Information?

Die Masse an übermittelten und damit vorliegenden, gespeicherten Informationen macht einen Selektionsprozess notwendig, d. h. eine auf ein gegebenes Ziel hin be- wertende Auswahl, wobei als Bewertungsmaßstab z. B. der prospektive Nutzen der Information für eine spezifische Umsetzung verwendet werden kann. Dazu rechnet nicht nur der direkte Nutzen im Produktionsprozess (Steigerung der Produktivität), sondern auch die Vermeidung von Risikokosten, d. h. die Verringerung von Unsi- cherheiten im Entscheidungsprozess durch Verbreiterung der Informationsbasis.

Auch diese Selektionsverfahren müssen zunächst als individuelles Basiswissen er- lernt werden, damit der Nutzer nicht in der „Informationsflut“ untergeht. Dazu können vorhandenes Planungswissen und vorhandene Planungstechnik (JACOBY, KISTENMACHER 2000, S. 146ff.) genutzt werden. Hinzu kommen technische Mög- lichkeiten wie z. B. Suchmaschinen im Internet.

Sinnvoll ist auch, vorhandene Netzwerke zu nutzen (WZB 2001: 12). Voraussetzung sind entsprechend vorhandene Kooperationskompetenz, Teamfähigkeit und „Stan- ding“ im Netzwerk. Dabei erfolgt der Austausch von (Erfahrungs-)Wissen nicht nur im direkten Transfer, sondern auch indirekt über Lernprozesse im Netzwerkhandeln. zu Stufe f) Umsetzung, d. h. wie kann Wissen produktiv verwertet und genutzt werden?

Die Anwendung und Nutzung von neuem Wissen und Informationen (Innovationen) führt für den privaten und den öffentlichen Sektor zu unterschiedlichen Ansatzpunk- ten:

· Im Produktionsprozess einer privaten Unternehmung führt die Umsetzung neuen Wissens letztlich zur Innovation in einem neuen Produkt oder einem neuen Ver-

95 fahren, d. h. zu einer Verbesserung der Wettbewerbssituation der Unternehmung. Das ist jedoch zunächst ein betriebswirtschaftlicher Vorgang, d. h. der öffentlichen Förderung kaum zugänglich. Als Instrumente der Förderung dienen der Unter- nehmung z. B. Qualitätszirkel, Innovationsprämien, Innovationsmanagement (REINHARD 2001b, S. 34ff.) usw. Allerdings eröffnet sich nach der Umsetzungs- entscheidung im Betrieb auch die Möglichkeit der Förderung über die klassische Regionalpolitik, d. h. die Unterstützung von neuen Investitionen in das Produkti- onskapital, um Innovationen schneller und nachhaltiger wirksam werden zu las-

sen (SCHÄDLICH 2003, S. 54ff).

· Im öffentlichen Sektor sind erhebliche Potenziale zur besseren Nutzung vorhan- denen Wissens und von Informationen zu konstatieren. Neben internen organisa- torischen Innovationen (Beteiligungs- und Abstimmungsverfahren über Intranet, elektronische Aktenführung usw.) verspricht insbesondere die informationelle Öff- nung der Verwaltung eine Optimierung der Schnittstellen zum Bürger (Online- Verwaltung, Internetauftritt, regionale Informationssysteme und „virtuelle“ Kataster

(TANDEL 2003, S. 123ff.). Damit kann eine schnellere und effizientere Dienstlei- stung für Private und für die regionale Wirtschaft erreicht werden.

3 Strategische Ansatzpunkte für eine wissensbasierte, innovati- onsorientierte Landesentwicklungspolitik in Mecklenburg- Vorpommern

3.1 Die Wirtschafts- und Raumstruktur in Mecklenburg-Vorpommern

Zunächst ist zu prüfen, welche Potenziale in M-V zu finden sind, auf die sich eine wissensbasierte und innovationsorientierte Landes- und Regionalentwicklungspolitik stützen sollte, aber auch welche Engpässe, Defizite und Grenzen gegeben sind. Ne- ben der Wirtschaftsstruktur ist es auch die Raum- und Siedlungsstruktur, die die Wir- kung und die Effizienz des Einsatzes entsprechender wirtschaftspolitischer Impulse bestimmt.

3.1.1 Die Wirtschaftsstruktur

Die Wirtschaftsstruktur eines Landes ist gleichzeitig Ergebnis und als „Resonanzba- sis“ (ECKEY 1988, S. 74f) Rahmenbedingung für eine Wirtschaftspolitik, die ver-

96 sucht, neues Wissen und Innovationen in ein spürbares Wachstum des Volksein- kommens und der Beschäftigung umzusetzen. Zu diesen Strukturen zählen vor allem

(GRÄBER et al.1987):

· die Sektorverteilung,

· die Betriebsgrößenverteilung,

· die Altersstruktur der Betriebe und

· die regionale Verteilung von betrieblichen Funktionen

Im Rahmen dieses Aufsatzes kann keine umfassende empirische Analyse der Wirt- schaftsstruktur des Landes M-V erfolgen (vgl. dazu BRAUN 1997a), sondern es wer- den einige wichtige Kennziffern und Zusammenhänge dargestellt, die eine generelle Einschätzung der strukturellen Ausgangslage des Landes erlauben.

Zur Sektorstruktur:

Die Wirtschaft Mecklenburg-Vorpommerns ist geprägt von der fehlenden industriellen Basis, eines hypertrophen Bausektors, einer vergleichsweise hohen Bedeutung so- wohl des primären und tertiären Sektors, wie ein Vergleich mit dem bundesdeut- schen Durchschnitt als auch mit den ostdeutschen Bundesländern zeigt (vgl. Tab. 1). Dabei ist die positive Entwicklung der Dienstleistungssektoren eher eine Folge der De-Industrialisierung des Landes („Rumpftertiärisierung“) und einer Überdimensio- nierung des öffentlichen Sektors (ELLGER 2003, S. 46ff.). Allein die positive Entwick- lung des Tourismus ist auf eigenständiges Wachstum zurückzuführen.

97

Tabelle 1: Erwerbstätige insgesamt und nach Wirtschaftsunterbereichen 1995-1999

BRD NBL MV

1995 1997 1998 1999 1995 1997 1998 1999 1995 1997 1998 1999

in. 1.000 36.048 35.805 35.860 36.402 6.804 6.605 6.544 6.673 820 777 758 768 in % Land- Forstw.- 3,2 2,9 2,9 2,8 3,9 3,8 3,6 3,9 6,6 6,4 6,1 5,9 Fischerei Bergbau, ver- 25,5 24,2 24,1 23,9 17,3 15,2 15,6 15,3 11,3 10,3 9,5 9,2 arb. Gewerbe Energie, Wasserver- 1,0 0,9 0,8 0,9 1,4 1,2 1,0 1,0 1,1 1,0 0,8 0,9 sorgung Baugew. 9,4 9,1 8,9 8,6 17,3 16,9 15,8 15,1 17,1 18,1 18,3 16,5 Handel- 17,2 17,4 17,5 17,6 15,7 16,5 16,5 16,5 17,2 17,2 18,6 19,4 Gastgewerbe Verkehr, Nachrichten- 5,6 5,4 5,4 5,4 6,5 5,8 5,7 5,7 6,8 5,8 5,4 5,5 übermittlung Kredit-, Ver- sicherungs- 3,6 3,5 3,5 3,5 2,1 2,2 2,2 2,2 2,1 2,1 2,1 1,6 gew. Vermietung, Dienstl. für 6,0 6,9 7,2 7,5 5,4 6,1 6,6 6,8 5,2 5,5 5,8 5,7 Unternehmen öffentl. Ver- 9,4 9,3 9,0 8,8 10,9 11,4 10,7 11,0 11,7 13,6 12,1 13,3 waltung öffentl.+ priv. Dienstlei- 19,1 20,2 20,7 21,0 19,7 20,7 22,3 22,5 20,9 19,8 21,4 22,1 stungen Quelle: ELLGER 2003, S. 49

Geht man davon aus, dass besonders industrielle Betriebe und die unternehmens- nahen Dienstleistungen eine besondere Affinität zu wissensbasierter Produktion und zur Umsetzung von Innovationen aufweisen, hat die Wirtschaftsstruktur in M-V keine besonders guten Voraussetzungen, um neues Wissen und innovative Produkte in Wachstum von Einkommen und Arbeitsplätzen umzusetzen. Dennoch zeigt diese Ausgangslage sicher auch Stärken und damit Möglichkeiten einer innovativen Eigen- entwicklung des Landes, z. B. in den Bereichen der Life-science-Produkte, der Medi-

98 zintechnik, der Biotechnologie und der Agrartechnik. Die seit dem Jahr 2000 stärkere Orientierung der Regionalpolitik des Landes auf die Bereiche Technologie, Innovati- on, I+T, Wissenschaft und Forschung und die seitdem erfolgte Konzentration der Fördermittel (der EU) ist daher positiv zu sehen.

Zur Betriebsgrößenstruktur

Infolge des abrupten Strukturwandels nach der deutschen Einheit hat M-V einerseits ein gewisses Defizit an eigenständigen, großen Industriebetrieben, die Kern eines innovativen Clusters bilden könnten, wie es z. B. die DASA in Hamburg, die Fa. Sie- mens in München oder Daimler-Crysler im Raum Stuttgart bilden. Einzig die Werftin- dustrie in Rostock bildet eine solche Keimzelle für ein Netzwerk maritim ausgerichte- ter Gewerbebetriebe. Andererseits findet sich dadurch auch eine Vielzahl junger Kleinbetriebe und „start-ups“, die in der Lage sind schnell und flexibel neues Wissen und Innovationen in neue Produkte und Verfahren umzusetzen. In diesen KMU sind häufig noch Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten zu finden, die in den Zweigbe- trieben von Großunternehmen regionsextern in der Firmenzentrale angesiedelt sind. Um diese Entwicklung von KMU weiter zu unterstützen, ist dazu ein Umfeld erforder- lich, zu dem risikofreudige und aktive Unternehmerpersönlichkeiten, ein wirtschafts- und innovationsfreundliches Klima und intensive Kontakte und Verflechtungen zu den in der Region vorhandenen Forschungseinrichtungen gehören. Hier kann das Land und seine Wirtschaftsförderinstitutionen weiter und mit mehr Unterstützung tätig sein. Insbesondere fehlt diesen kleinen Unternehmen häufig eine gute Eigenkapital- ausstattung, die erforderlich ist, um auftretende Liquiditätsengpässe der start-up- Phase zu überstehen. Hier könnte das Land versuchen, über eine Stiftungslösung privates Risikokapital bereitzustellen. Dies setzt jedoch ein Image des Landes und seiner Regionen voraus, das nicht nur seine landschaftlichen Potenziale und kulturel- le Vielfalt in den Vordergrund stellt, sondern sich als moderner, innovativer Standort im Wettbewerb der Regionen anbietet. Hier ist ein entsprechender Paradigmen- wechsel des Standtortmarketings für M-V nötig.

Zur Betriebsaltersstruktur

Junge Betriebe stellen ein besonderes Potential für die Adaption neuen Wissens dar. Sie sind flexibel und können neues Wissen schnell aufnehmen, da sowohl der Unter-

99 nehmensgründer und auch die Beschäftigten noch nahe an der Forschungsszene arbeiten, aus der ihre Innovation entstanden ist. Dies gilt auch für M-V.

Nach der Einheit Deutschlands und der damit einhergehenden neuen Rahmenbedin- gungen für die Wirtschaft sind viele der alten Kombinate und Großbetriebe auch in M-V dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt worden. Nur wenige von ihnen konnten, verkleinert und auf spezifische Nischenproduktion ausgerichtet, in neue, eigenständige Unternehmensstrukturen überführt werden. Viele neue gewerbliche Untenehmen sind entstanden, teils als „spin-off“ der alten Strukturen, teils als Ver- wirklichung einer neuen Geschäftsidee. Als Folge dieser Entwicklung ist das durch- schnittliche Betriebsalter auch in M-V relativ niedrig, allerdings auch durch eine ver- gleichsweise kurze Lebensdauer gekennzeichnet. Auf die Gründung folgt häufig auch die Insolvenz, v.a. wegen der o.a. fehlenden Eigenkapitalausstattung. Gründer- zentren wie die in M-V existierenden 12 Technologiezentren können hier die ersten Jahre solcher Neugründungen absichern helfen. Diese Hilfe z. B. durch die Gesell- schaft für Wirtschaftsförderung sollte noch weiter ausgebaut und verstärkt werden, um die Zahl der Neugründungen zu vergrößern. Auch die Vermittlung von Erfah- rungswissen aus der Gründungsphase erfolgreich am Markt agierender Unterneh- men an „newcomer“ verspricht, Gründungsprobleme bei neuen Betrieben zu vermei- den.

Eine Ausnahme von diesen Tendenzen stellt der Agrarsektor in M-V dar. Dort war es gelungen, die ehemaligen großbetrieblichen Strukturen der Getreide- und Tierpro- duktion in privatwirtschaftliche oder genossenschaftliche Betriebe zu überführen. Diese Struktur ist gerade für Nordostdeutschland typisch und steht im Gegensatz zu den eher kleinen Familienbetrieben in Westdeutschland (PFEIFFER 2004). Mit die- ser großbetrieblichen Struktur wurde auch die Technisierung der Betriebe weit vo- rangetrieben, so dass sich diese heute als besonders wirtschaftlich und effizient ar- beitend am Markt gut behaupten können. Technische Innovationen finden hier schnell einen fruchtbaren Boden. Daher bietet sich hier an, Wissenschaft und For- schung in den Agrarwissenschaften an Universitäten und anderen Forschungsein- richtungen weiter auszubauen, und den Transfer der Ergebnisse in die betriebliche Praxis zu fördern.

100 Zu betrieblichen Funktionen und funktionalen Abhängigkeiten

Mit der Abwicklung der Kombinate und der großen volkseigenen Betriebe sind in ganz Ostdeutschland bis auf wenige Ausnahmen auch die Headquarter-Funktionen, und damit auch die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen, abgewickelt worden. Die verbliebenen Betriebe bilden als Zweigbetriebe größerer Konzerne nur noch ver- längerte Werkbänke zur Abfederung von konjunkturellen und strukturellen Absatz- problemen. Dementsprechend fehlen in diesen Betrieben häufig eigenständige For- schungs- und Entwicklungsabteilungen und mit ihnen das entsprechend gut ausge- bildete Personal (GRÄBER et al. 1987; EICH-BORN 2003). So verbleiben als Innova- tionen häufig nur solche Neuerungen, die in der Zentrale erarbeitet werden und für deren Implementation entsprechend geschulte Mitarbeiter aus der Zentrale verant- wortlich sind. „Spin-offs“ und „Management-buy-outs“ sind aus solchen Strukturen selten. Dies gilt, wie für ganz Ostdeutschland, auch für M-V.

Eine Chance, dieses Defizit zu beheben, bilden die o.a. jungen und kleinen Betriebe, in denen Leitung, Entwicklung und Produktion in einer Hand liegen und die noch en- ge Kontakte zu Wissenschaftseinrichtungen pflegen. Diese sollten, wie bereits her- vorgehoben, eine besondere Unterstützung erhalten.

3.1.2 Die räumlichen Strukturen

Das Land M-V ist als kleines Flächenland von einer weitmaschigen Siedlungsstruktur geprägt. Große Agglomerationen und Verdichtungsräume fehlen, es dominieren Klein- und Mittelstädte. Bis auf die Hansestadt Rostock gibt es keine großstädtischen Strukturen, in denen innovative Milieus entstehen könnten. Zudem befindet sich das Land in Randlage zu den großen Absatzmärkten in Deutschland. Allerdings ver- spricht die EU-Osterweiterung mit der Öffnung zu Polen eine Perspektive für die Wirtschaft des Landes.

Mit den beiden europäischen Metropolen Berlin und Hamburg sind weitere zwei gro- ße Agglomerationen noch in erreichbarer Nachbarschaft. Diese Nähe gilt es zu nut- zen, um den Trend der Abwanderung gerade der jungen, aktiven und gut ausgebilde- ten Bevölkerung abzuschwächen und die Bevölkerungsentwicklung langfristig zu stabilisieren. Aber nicht nur in den großen Agglomerationen sind Potenziale zur Nut- zung von Innovationen und der Umsetzung neuen Wissens in die Betriebspaxis. Die

101 neuen I+K-Techniken bieten auch für Klein- und Mittelstädte Chancen, die vor kur- zem nur in der Agglomeration denkbar waren (STANGL 2003, S. 63ff.; LÜDIGK/SCHÖNFELD 2003. S. 80ff). Dazu zählt vor allem auch die Informations-, Kommunikations- und Medienwirtschaft selbst, die in kleinen Clustern auch in größe- rer Entfernung zu den Agglomerationen entstehen können. Voraussetzung dafür ist jedoch eine schnelle räumliche Diffusion neuer Technologien, d. h. die entsprechen- de Ausstattung dieser Räume mit neuer I+K-Infrastruktur sowie die spezifische Aus- bildung der Arbeitnehmer im Umgang mit den neuen Technologien.

Mit dem Ostseehafen Rostock-Warnemünde, den anderen erneuerten Häfen und den nach der Wende umstrukturierten Werften sollten für das Land M-V besonders gute Voraussetzungen für die Herausbildung eines Zentrums maritimer Technologie geschaffen werden. Die „high tech-Kompakt-Werften“ gelten an allen Küsten der Welt als Vorbild komplexer „low cost“-Produktionsmethoden maritimer Industrie. Ge- legen zwischen den größten Städten Mitteleuropas – Hamburg, Berlin, Kopenhagen und auch Stettin – ist es zudem der ideale Verkehrs- und Logistikstandort. Dies ist nach außen offensiv zu vermitteln, wenn der Standort im weltweiten Wettbewerb als innovativer Cluster für maritime Technologie wahrgenommen werden soll (vgl. hierzu

Eich-Born in diesem Heft).

3.2 Instrumente einer wissensbasierten Landes- und Regionalentwicklung

Ein im globalen Wettbewerb erfolgreiches Land kann durch staatliche Förderung al- lein nicht „produziert“ werden. Die tatsächliche Wettbewerbsposition stellt sich erst ex post als Ergebnis von dynamischen Marktprozessen heraus. Dennoch kann durch staatliches Handeln der eigene Weg zum Finden der eigenen Wettbewerbsstärken (und ggf. bei Misserfolgen auch der Wettbewerbsschwächen) wesentlich unterstützt werden. Dabei haben Maßnahmen zur Nutzung von Wissen und Information eine besondere Bedeutung, da sie nicht nur über die Anpassung an die weltweite Konkur- renzsituation Aufschluss geben und Erkenntnisse aus anderen Bereichen übertragen helfen, sondern vor allem auch die landesspezifischen („endogenen“) Ent- wicklungspotenziale und Innovationschancen aufdecken. Neben dieser instrumentel- len Nutzung informationeller Verflechtungen könnte auch im Informationssektor (Quartärer Sektor) selbst eine Entwicklungschance zur wirtschaftlichen Schwer-

102 punktsetzung zu sehen sein. In beiden Fällen ist jedoch eine auf die Stärkung von Informations- und Wissensproduktion und -nutzung ausgerichtete Politik (wissensba- sierte Landesentwicklung) sinnvoll. Dabei ist zu prüfen, ob und wie diese Förderung an den Schnittstellen ansetzen könnte, die sich aus der o.a. theoretischen Analyse des informationellen Prozesses (vgl. Kap. 2.3.) ergeben haben: zu Stufe a) Produktion / Erzeugung / Entstehung

Strategische Ansätze auch in M-V zur Förderung der Entstehung neuen Wissens sind:

· Gründung und Förderung von unabhängigen Forschungseinrichtungen in der Re- gion (von der Universität bis hin zu anderen öffentlichen Forschungseinrichtun- gen),

· Förderung privatwirtschaftlicher und betrieblicher Forschung und Entwicklung, Ausschreibung von Erfinderwettbewerben und Innovationspreise,

· Bündelung von Forschungseinrichtungen in räumlichen Schwerpunkten wie z. B. in der Wissenschafts- und Medienstadt Berlin-Adlershof. Dabei scheinen aller- dings bestimmte Mindestgrößen und Mindestdichten von Agglomerationen not- wendig, so dass eher die großen Städte die Hauptträger von Innovationen sein werden (GEHRKE 2001, S. 36),

· Förderung und Unterstützung der Kooperation und Vernetzung von fachlich ver- wandten Wissenschaftseinrichtungen in regionalen Kompetenzzentren – wie z. B. das für Umwelt Augsburg-Schwaben e.V. (SPRENGER 2001, S. 30) oder die für Raumforschung in Dresden und in Hannover –, und

· Erzeugung eines wissenschaftsfreundlichen Klimas im Land und in den Regionen

(BANDELIN 2001,S. 44ff.), d. h. neben der direkten Förderung auch eine gezielte Marketingstrategie zur Herausbildung eines Images als Wissenschaftsregion, um entsprechend „innovative Köpfe“ für die öffentlichen und privaten Forschungsein- richtungen in der Region zu attrahieren.

Der öffentliche Wissenschaftssektor in M-V wird von den beiden Universitäten Ro- stock und Greifswald, der Fachhochschulen in Neubrandenburg, Stralsund und Wis- mar, den 10 außeruniversitären Forschungseinrichtungen (davon 5 Leibniz-Institute,

103 2 Max-Planck-Institute, 2 Fraunhofer-Institute, 1 Helmholtzzentrum), 5 bundesunmit- telbaren Forschungsinstituten sowie 2 Forschungseinrichtungen des Landes getra- gen. Die Palette der Forschungsfelder der Universitäten selbst ist durch ein weitge- hendes Fehlen technisch ausgerichteter Fakultäten und Institute gekennzeichnet. Geistes- und Naturwissenschaften dominieren. Nur die Fachhochschulen haben eine vorwiegend technische Ausrichtung. In so weit scheint es, dass im Land Forschungs- felder weiter zu entwickeln sind, die sich z. B. mit maritimer und verwandter Techno- logie und daran angebunden auch umweltbezogener Systemtechnik befassen könn- ten. Der Auf- und Ausbau dieser Fachbereiche an der Universität Rostock böte lang- fristig Innovationspotenziale für die entsprechende Wirtschaft in der Region.

Tabelle 2: Ausgaben für F & E nach Ländern in 2001

Hochschulen F&E gesamt*

Länder Mill. EUR Anteil am BIP (%) Mill. EUR Anteil am BIP

Berlin 637 0,84 2.995 3,95 Baden-Württemberg 1.256 0,42 11.873 3,92 Bayern 1.304 0,36 10.326 2,89 Hessen 591 0,32 4.876 2,63 Sachsen 470 0,63 1.843 2,48 Niedersachsen 620 0,35 4.206 2,34 Rheinland-Pfalz 311 0,34 2.113 2,30 Bremen 121 0,54 494 2,21 Hamburg 277 0,38 1.363 1,85 Nordrhein-Westfalen 1.749 0,38 8.452 1,84 Thüringen 211 0,53 721 1,81 126 0,30 670 1,58 Sachsen-Anhalt 230 0,54 590 1,40 Mecklenburg- 152 0,52 331 1,14 Vorpommern Schleswig-Holstein 204 0,32 704 1,12 Saarland 105 0,43 252 1,03 Deutschland 8.442 0,41 51.938 2,52 Staat, private Institutionen ohne Erwerbszweck, Hochschulen und Wirtschaft

Quelle: www.destatis.de; eigene Berechnungen

Dies findet faktisch jedoch seine Begrenzung an der bleibenden Enge des Landes- haushalts, der weitgehend noch durch Zuweisungen aus dem Länderfinanzausgleich

104 gestützt wird. Im Vergleich der Ausgaben für Forschung und Entwicklung der ande- ren Bundesländer liegt M-V daher mit nur 1,14% F&E-Ausgaben am BIP nur auf dem drittletzten Platz der deutschen Bundesländer (vgl. Tab. 2), d. h. deutlich unter Bun- desdurchschnitt. Zudem liegt es auch weit unter der Forderung des Europäischen Rats in Barcelona 2002, wo 3% des BIP als Mindestgrenze gefordert wird, um lang- fristig die Position einer Region im weltweiten Wettbewerb zu sichern (Europäischer Rat 2002, S. 3).

Splittet man diese Ausgaben noch nach privaten und öffentlichem Sektor auf, so wird ein besonders hohes Defizit an privatwirtschaftlicher Forschung im Vergleich zu an- deren Ländern deutlich (vgl. Tab. 3). Dies ist neben einer traditionellen, historischen Schwäche sicher auch eine Folge des Transformationsschocks nach der Wende, bei dem industrielle Großkombinate und damit ihre Forschungsaktivitäten auch in M-V abgewickelt wurden.

105

Tabelle 3: Forschungsintensität1 nach Ländern 2001 (in %)

Forschungsintensität Anteil an den FuE- Ausgaben2

Region Wirtschaft Öffentlicher Wirtschaft Öffentlicher Sektor Sektor

Baden-Württemberg 3,1 0,8 79,0 21,0 Bayern 2,4 0,6 80,2 19,8 Berlin 2,3 1,9 54,6 45,4 Brandenburg 0,6 1,0 36,7 63,3 Bremen 1,1 1,1 49,0 51,0 Hamburg 0,8 0,7 51,6 48,4 Hessen 2,0 0,5 81,0 19,0 Mecklenburg- Vorpommern 0,2 1,0 15,1 84,9

Niedersachsen 1,8 0,7 73,0 27,0 Nordrhein-Westfalen 1,1 0,7 62,4 37,6 Rheinland-Pfalz 1,5 0,5 75,4 24,6 Saarland 0,4 0,7 37,2 62,8 Sachsen 1,3 1,3 50,1 49,9 Sachsen-Anhalt 0,3 0,9 26,5 73,5 Schleswig-Holstein 0,5 0,6 45,9 54,1 Thüringen 1,1 1,0 53,7 46,3 Ostdeutschland 1,2 1,3 47,9 52,1 Deutschland 1,8 0,8 70,0 30,0

1 Anteil der F&E-Ausgaben am BIP; 2 ohne F&E-ausgaben deutscher Einrichtungen mit Sitz im Aus- land

Quelle: KELLER, D. et al.: Die Position Norddeutschlands im internationalen Innovationswettbewerb. HWWA Report 239, Hamburg 2004

Dagegen ist die Unterstützung des Landes für seine Hochschulen vergleichsweise überdurchschnittlich (vgl. Tab. 2). Dementsprechend ist auch die Ausstattung der Hochschulen mit Personal als positiv zu bewerten. Mit 8 Studierenden pro Kopf des Hochschulpersonals ist diese weit über dem Bundesdurchschnitt (vgl. Tab. 4). Dies sollte in der Außendarstellung offensiv genutzt werden, um Studierende aus anderen Bundesländern und auch aus dem Ausland zu attrahieren. Daher ist es als kontra-

106 produktiv zu werten, wenn das Land diesen Vorteil dadurch verspielt, dass im Zuge der Einsparbemühungen im Landeshaushalt der Wissenschafts- und insbesondere der Hochschulhaushalt gekürzt wird (vgl. Tab. 5) und dabei freiwerdende Stellen beim Lehrpersonal ohne langfristiges und zielgerichtetes Konzept der Fokussierung auf besondere Forschungsschwerpunkte und Kernkompetenzen schlicht nicht wieder besetzt werden.

Tabelle 4: Studierende je Personal (alle Hochschulen) nach Bundesländern (1999)

Land

Sachsen-Anhalt (ST) 7 Baden-Württemberg (BW) 8 Mecklenburg-Vorpommern (MV) 8 Thüringen (TH) 8 Bayern (BY) 9 Sachsen (SN) 9 Saarland (SL) 10 Schleswig-Holstein (SH) 10 Berlin (BE) 11 Brandenburg (BB) 12 Hamburg (HH) 12 Niedersachsen (NI) 12 Bremen (HB) 13 Hessen (HE) 13 Rheinland-Pfalz (RP) 13 Nordrhein-Westfalen (NW) 16 Deutschland 11

Quelle: www.destatis.de; eigene Berechnungen

Die Vernetzung von öffentlichen und privaten Wissenschaftseinrichtungen ist durch- aus vorhanden und wird vom Land in Grenzen gefördert. Dazu zählt das Förderpro- gramm für innovative Maßnahmen (RIS) ebenso wie die im Lande existierenden 12 Technologie- und Gründerzentren. Die durch die 4 am Wettbewerb „InnoRegio“ teilnehmenden Regionen gelungene Netzwerkbildung von wissenschaftlichen Ein- richtungen und gewerblichen Betrieben sollte auch nach Auslaufen dieses Wettbe- werbs von Landesseite noch weiter gefördert werden. Zusätzlich könnten über das

107 Landesförderinstitut M-V in Schwerin und die Gesellschaft für Wirtschaftsförderung M-V noch stärker als bisher Initiativen zur Vernetzung von Unternehmen, seien es am Markt etablierte KMU oder auch „start-ups“, untereinander und mit den Wissen- schaftseinrichtungen unterstützt bzw. angeregt werden.

Tabelle 5: Laufende Grundmittel je Studierenden in 1.000 EURO

Länder 1997 1998 2000 2001

Sachsen-Anhalt 11,68 11,47 9,90 9,80 Mecklenburg-Vorpommern 10,44 9,48 8,70 8,60 Baden-Württemberg 8,01 8,82 8,70 8,50 Bayern 7,20 7,41 8,60 8,50 Thüringen 10,42 9,47 8,80 8,30 Saarland 7,39 7,73 8,20 8,20 Niedersachsen 6,16 6,35 7,80 8,10 Sachsen 9,58 9,20 8,70 8,10 Berlin 9,05 8,03 8,10 7,60 Schleswig-Holstein 6,80 8,16 7,80 7,40 Hamburg 7,48 7,79 7,40 7,00 Brandenburg 7,80 7,19 6,60 6,20 Rheinland-Pfalz 5,41 5,94 6,20 6,20 Hessen 6,18 6,69 6,50 6,20 Nordrhein-Westfalen 5,25 5,25 5,60 5,70 Bremen 5,53 5,33 5,80 5,40 Deutschland 6,88 6,99 7,30 7,20 Quelle: www.destatis.de; eigene Berechnungen

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass gerade im Hochschulbereich durchaus gute Potenziale vorhanden sind, eine offensive wissensbasierte Landes- entwicklungspolitik zu betreiben, im privatwirtschaftlichen Sektor jedoch erhebliche Defizite zu konstatieren sind. Der letzte Platz in der Patentintensität 2002 bei den

Bundesländern (KELLER et al: 2003, S. 10) ist dafür ein deutliches Signal. Zur Ver- besserung des Innovationsklimas ist daher zu empfehlen (dies. ebd.: 31):

· Erhöhung der F&E-Ausgaben des Landes auf den Standard der Barcelona- Erklärung des Europäischen Rats 2002 auf 3% des BIP

108 · Ausbau öffentlicher Forschungsinfrastruktur in bestimmten Kernbereichen, insb. den in technischen Bereichen

· Verbesserungen der Qualität innerhalb bestehender Forschungseinrichtungen

· Förderung von Vernetzungen und Kooperationen zur Erhöhung des Nutzungspo- tentials der öffentlichen Forschungseinrichtungen

· Ausschreibung von Innovationswettbewerben und Erfinderpreisen

Dies macht deutlich, dass das Land seine Prioritäten in der Unterstützung von Inno- vation sieht und damit für innovative Wissenschaftler und junge „entrepreneurs“ wie- der attraktiv ist. zu Stufe b) Transfer / Transport

Strategischer Ansatz für die Landesentwicklung ist vor allem die Infrastrukturpolitik im Bereich der I- und K-Techniken:

· als defensive Strategien z. B. die Schließung von Lücken im Kommunikations- netz, z. B. in ländlichen Räumen, sowie die Sicherung des Zugangs zu dieser In- frastruktur in den Regionen (z. B. mittels Telehäuser, „hot spots“, usw.);

· als offensive Strategie heißt es, mit neuen Entwicklungen voranzugehen, z. B. mit regionalen Modellvorhaben, best-practices oder mit der Teilnahme an überregio- nalen Wettbewerben wie „InnoRegio“.

Ein Beispiel für innovatives Vorgehen ist die Praxis der Mecklenburg- Vorpommerschen Landes- und Regionalplanung, die Antennenanlagen unterschied- licher Betreiber von Mobilfunknetzen auf gemeinsam genutzte Standorte zu bündeln und dafür schnellere und kostengünstigere Genehmigungsverfahren anzubieten (win-win-Situation). Förderungsmöglichkeiten insb. für die klassische kapitalorientier- te Regionalförderung bieten sich bei kommunalen und privatwirtschaftlichen I+K- Einrichtungen, wie Telehäusern, Call Center oder auch für sog. Internetcafes, die auch in kommunaler Trägerschaft betrieben werden könnten. Hier bietet sich zudem eine Chance, gerade die benachteiligten peripheren Landesteile Mecklenburg- Vorpommerns besonders zu unterstützen.

109

zu Stufe c) Erwerb / Aneignung

Strategische Ansätze für die Aneignung neuen Wissens bietet vor allem die Bil- dungspolitik. Sie hat zum einen das zentrale Ziel der breiten allgemeinen Bildung, d. h. bei Schülern und Auszubildenden neben der Vermittlung von spezifischen Kenntnissen auch die Fähigkeit zu fördern, neue Anforderungen selbstständig zu bewältigen. Auf diese Erzeugung von individueller Lernfähigkeit sollte daher bei der Aufstellung von Lehrplänen und Curricula besonders geachtet werden.

Dies gilt auch für den Umgang mit den modernen Informationstechnologien, z. B. durch Einrichtung von entsprechenden Lehrangeboten in den Schulen und Fach- hochschulen/Universitäten sowie durch öffentliche Fortbildungsangebote für Private

(NUISSL 2000, S. 468ff.). Diese Ausbildung zur Beherrschung der neuen Informati- onstechnologien sollten daher zum Curriculum aller allgemeinbildenden Schulen als auch der beruflichen Ausbildungsgänge gehören, und nicht nur fakultativ angeboten werden. Dazu sollten die Schulen/Hochschulen stets mit dem neuesten Stand der Technik ausgestattet sein.

Zudem muss die Kooperations- und Teamfähigkeit des Einzelnen ausgebildet wer- den und Möglichkeiten zur Netzwerkbildung und zur Kooperation geschaffen werden, wie z. B. die Förderung von regionalen Unternehmerstammtischen, von Messen und anderen Gelegenheiten der Begegnung (z. B. Regionalkonferenzen und -foren), aus denen sich innovative Milieus und regionale Informationscluster bilden können. „Ler- nende Organisation /Betrieb/Region“ ist das Stichwort für diese Ansätze (WZB 2001,

S. 11f.; NUISSL 2000, S. 472ff.). Dies zu fördern, wäre auch Aufgabe eines an der Schnittstelle zwischen öffentlichen Dienststellen und privaten Unternehmen agieren- den Regionalmanagements, das solche Potenziale initiiert und aktiviert (POHLE 2003. S. 26f.).

Diese hohe Bedeutung der hohen Qualität des Humankapitals für die Innovationsfä- higkeit eines Standortes sowie die neuen I+K-Technologien und ihrer Anwendung verbundenen Fertigkeiten stellen hohe, zusätzliche Anforderungen an das Bildungs- system des Landes, und zwar sowohl für das allgemeinbildende als auch für das be- rufsbildende Schulsystem. Dabei ist nicht nur auf die quantitative Ausstattung der

110 Bildungseinrichtungen, z. B. die Klassengrößen, die Schülerzahl pro Lehrer und die Ausstattungen mit I+K-Technik zu achten, sondern es ist auch ihre Qualität, z. B. der Ausbildungsstand des Lehrpersonals, zu bedenken. Eine komplexe Analyse des Bil- dungssystems in M-V ist an dieser Stelle nicht möglich (vgl. dazu die PISA-Studie:

MPI für Bildungsforschung 2002), so dass nur eine relativ grobe, an wenigen Kenn- zahlen orientierte Darstellung und Bewertung gegeben werden kann.

Vor dem Hintergrund der weiter sinkenden Bevölkerungszahl in M-V werden auch die Schülerzahlen in den nächsten Jahren weiterhin sinken (vgl. Abb. 1).

Trotz der damit verbundenen Probleme, z. B. beim Schülertransport und vermeintli- cher Unterauslastung von Bildungseinrichtungen, ist diese Entwicklung durchaus auch als Chance zu begreifen, die Qualität der Ausbildung sowohl im allgemein bil- denden Bereich als auch im berufsbildenden Sektor noch zu steigern. Hier bietet sich auch die Möglichkeit der Förderung von Angeboten des e-learning, sowohl im schuli- schen und auch im akademischen Bereich. Ein erster Schritt ist seine Kombination mit und die Einbindung in die klassischen Lehrmethoden (KRAUSE 2002, S. 10f.)

Bereits heute sind die Klassenstärken in den allgemein bildenden Schulen deutlich niedriger als im Bundesdurchschnitt (vgl. Abb. 2). Dieser Vorteil sollte erhalten blei- ben und nicht der Enge der öffentlichen Haushalte geopfert werden.

Die bereits laufende Reduktion der Ausstattung des Landes mit schulischen Einrich- tungen (vgl. Tab. 6) sollte trotz aller Enge der fiskalischen Mittel von Ländern und Gemeinden und der damit einhergehenden räumlichen Konzentration der Schul- standorte nicht so weit gehen, dass dieser Vorteil aufgegeben wird, sondern im Ge- genteil benutzt werden, diesen eher auszubauen.

111 Abbildung 1: Entwicklung der Schülerzahlen in MV

Quelle: www.statistik-mv.de

112 Abbildung 2: Klassenstärken in Mecklenburg-Vorpommern und im Bundes- durchschnitt

Quelle: www.statistik-mv.de

Tabelle 6: Zahl der Bildungsstätten und Schüler in Mecklenburg- Vorpommern 1991-2002

1991 1995 2002

Allgemein bildende Schulen 971 960 755 Schüler an allgemein bildenden Schulen 287.696 294.340 197.347 Berufsbildende Schulen 58 62 76 Schüler an berufsbildenden Schulen 47 988 65 068 68 756

Quelle: www.statistik-mv.de

Auch die Ausstattung der Bildungseinrichtungen in M-V mit I+K-Technik kann als Standortvorteil des Landes gesehen werden. Vor diesem Hintergrund ist es daher positiv zu bewerten, dass das Landesförderinstitut M-V ab 2002 die I+K- Medienausstattung in öffentlichen Einrichtungen mit über 11 Mio. Euro und damit

113 auch insbesondere an den Schulen gefördert hat (Landesförderinstitut M-V 2003). Diese Förderung hat wesentlich dazu beigetragen, dass die I+K-Ausstattung der öf- fentlichen Bildungseinrichtungen in M-V als gut zu bezeichnen ist.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das Bildungssystem in M-V im Bundesvergleich durchaus zukunftsfähig ist. Der untere Mittelplatz des Landes bei der PISA-Studie macht aber auch deutlich, dass allein durch quantitative Maßnah- men eine überdurchschnittliche Qualität der Bildungsergebnisse nicht gewährleistet ist. Dennoch sollte dieser Standortvorteil des Landes nicht nur erhalten, sondern er muss ausgebaut und als solcher nach außen stärker vermittelt werden. Er stellt nicht nur eine gute Basis für eine wissens- und innovationsgestützte Wirtschaftsentwick- lung dar, sondern bietet auch jungen Familien einen Anreiz, im Lande zu bleiben, um diese guten Ausbildungsmöglichkeiten für ihre Kinder zu nutzen. Dies könnte dann auch ein kleiner Baustein sein, die Bevölkerung in M-V zu stabilisieren. zu Stufe d) Speicherung

Den strategischen, entwicklungspolitischen Ansatz, individuell und institutionell Wis- sen und Informationen zu kumulieren, bildet die Bildung und Ausbildung des vorhan- denen Erwerbspersonenpotenzials wie auch bereits der Schüler und der Auszubil- denden.

Für die individuelle Ausbildung sind wie bei Stufe c) ähnliche Instrumente denkbar. Für die notwendige Aufgabe lebenslangen Lernens sind entsprechende Angebote des Trainings von Lernvorgängen (lernen zu lernen), d. h. übergeordnete und allge- mein ausgerichtete Bildungsarbeit, sowie spezifische Angebote für ältere Arbeitneh- mer und Senioren sinnvoll. Hier gibt es in M-V bereits viele Angebote, z. B. durch die Programme „Lebenslanges Lernen“ und „Lernende Region – Förderung von Netz- werken“ des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes M-V.

Für den Bereich der systemaren Speicherung von Informationen kann auch auf die o.a. Vorschläge verwiesen werden. Zudem öffnet sich zum einen ein breites Feld der materiellen Förderung im Rahmen der Technologie- und Innovationspolitik und zum anderen der Förderung eines institutionalisierten Netzwerkgedankens im Land. Hier sind die Einrichtung und Förderung von Gründer- und Technologiezentren, Techno- logiezirkeln, ständigen Infobörsen und Messen eine Möglichkeit, Netzwerke zu initiie-

114 ren, in denen systemares Wissen gespeichert und dann weiterverarbeitet werden kann. Auch hier bietet das Land mit seinen Gründer- und Technologiezentren eine gute Basis. zu Stufe e) Selektion, Auswahl und Bewertung

Strategischer Ansatz für die Landesentwicklungspolitik ist neben der Unterstützung individueller Schulungsmaßnahmen (s.o.) vor allem, über Transferstellen bessere Möglichkeiten der Anbindung von Klein- und Mittelbetrieben an die Forschung an Universitäten und Fachhochschulen zu schaffen. Dort können solche Erfahrungshin- tergründe vermittelt (z. B. in den Planungswissenschaften der FH Neubrandenburg) oder adaptiert werden (learning by doing/ learning by interacting) (STÖRMER 2001, S. 85f). zu Stufe f) Verwertung / Umsetzung

Strategische Ansätze zur Unterstützung der Umsetzung von neuen Informationen in die Praxis finden sich sowohl im privaten als auch v.a. im öffentlichen Bereich:

· Im Unternehmensbereich ist neben der direkten Förderung von Erweiterungs- und Rationalisierungsinvestitionen auf Grund von Innovationen sowie der kapital- orientierten Hilfe für Existenzgründer, d. h. der klassischen Förderpolitik, auch die dem vorgelagerte Ausbildung und Förderung von Unternehmerhumankapital

(BANDELIN et al. 2001, S. 49; BRAUN 1997b), z. B. an Fachhochschulen und Universitäten von Bedeutung.

· Im öffentlichen Bereich sind das „virtuelle Rathaus“ (Nds. Städte- und Gemeinde- bund 2000), die Verschlankung und Vereinfachung der Verwaltung, die Lei- stungsorientierung, ein öffentliches Controlling und die „Bürgerkommune“

(SINNING 2001, S. 181ff.) die entsprechenden Stichworte für die Umsetzung von informationellen Innovationen im Bereich der Verwaltungsorganisation.

Ein darüber hinaus für die aktive wissensbasierte Regionalentwicklung wichtiges In- strument ist der Regions-/ Regionalmanager, der die Funktion eines regionalen Info- brokers (z. B. Kenntnis über die möglichen Fördertöpfe, über Planungsgrundlagen, über Verwaltungsabläufe und -verfahren, über mögliche regionale Hindernisse und Synergien, über wichtige Akteure in der Region, usw.) ausübt und als Anlauf- und

115 Clearingstelle für die Privaten auftritt (Bürgerbüro, Geschäftsstelle für Regionalent- wicklung usw.). Er könnte die Kommunikation zwischen Privaten und öffentlichen Behörden befördern und wäre damit zugleich als Anlaufstelle für private und öffentli- che Investoren attraktiv (SINZ 2002, S. 61). Mit der Einrichtung der 4 Regionalmana- gementstellen bei den Regionalen Planungsverbänden in M-V ist der erste Schritt bereits getan. Ein zweiter Schritt wäre die Stärkung dieser Einrichtungen sowohl in personeller als auch in funktioneller Hinsicht, damit sie die o.a. zusätzlichen Funktio- nen sachgerecht und effizient ausüben können.

Als weitere Handlungsmöglichkeit für die aktive Nutzung von regionalen Informatio- nen bietet sich unmittelbar die Einführung von Regional- und Stadtmarketing an, das u. A. die Aufgabe hat, Kommune und Region über die eigenen Grenzen hinaus be- kannt zu machen und das als Teil der Landesentwicklung bei der Aquisition von In- vestoren besonders hilfreich sein kann.

4 Konsequenzen und Empfehlungen für die Landesentwick- lungspolitik in Mecklenburg-Vorpommern

Zusammengefasst ergibt sich die folgende Liste von Handlungsmöglichkeiten einer wissensbasierten, innovationsorientierten Landes- und Regionalentwicklung:

Die „klassische“ kapitalorientierte (anlagenbezogene) Regionalförderung (der GA) für betriebliche und öffentliche Investitionen in Informationstechnik,

· kapitalseitige Innovations- und Technologieförderung in Betrieben und öffentli- chen Einrichtungen, Gründer- und Technologiezentren, die Bereitstellung von Ri- sikokapital,

· Bildungspolitik zur Qualifizierung des Humankapitals (NUISSL 2000, S. 469f.), dabei Ausrichtung auf „lebenslanges Lernen“ (BALTES 2000. S. 176 ff), d. h. z. B. Informatik in Schulen, Berufsschulen, Hochschulen, weiteren Fortbildungseinrich- tungen verstärken, „Gründungs“schulung/-kurse an Universitäten und Fachhoch- schulen,

· Infrastrukturpolitik, soweit erforderlich Ausbau der Netzinfrastruktur im Kommu- nikations- und Informationssektor, insb. Lückenschlüsse (Flächendeckung),

116 · Forschungsförderung, insb. öffentliche und private Forschungseinrichtungen im Bestand und bei Neugründungen, Unterstützung der betrieblichen Forschung und Entwicklung, Sponsoring/Fundraising,

· Initiierung und Förderung von Netzwerken, Clustern und Kooperationen zur Verbesserung des Informationsflusses zwischen Wissenschaft und Praxis (Inno- vationsbörsen), durch offene Veranstaltungen und Foren zur Landes- und Regio- nalentwicklung, durch Unternehmensstammtische,

· Förderung und Finanzierung von Einrichtungen für Regionalmanagement mit dem Ausbau ihrer Aufgaben hin zur Tätigkeit als Informationsvermittler für regio- nale Akteure, für die Informationsbereitstellung zur aktiven Teilnahme an überre- gionalen Wettbewerben (z. B. InnoRegio) und für Maßnahmen zur Verbesserung der überregionalen Bekanntheit (Imagepflege) und der regionalen Identifikation der Bevölkerung,

· weitere Rahmenbedingungen, wie die Verbesserung des regionalen Investitions- klimas durch öffentliche und private Marketingmaßnahmen, eine offene, dienst- leistungsorientierte Verwaltung (Geoinformationssysteme, virtuelle Rathäuser, In- ternetauftritt) u. A. m.

Dieser Katalog von Handlungsfeldern ist optional, die Auswahl und die Kombination richten sich neben den rechtlichen Beschränkungen bei der Einwerbung von öffentli- chen Fördermitteln vor allem nach der spezifischen Situation, nach den Begabungen und Begrenzungen des Landes und seiner Regionen. Jedes Land und auch jede Region muss die eigene Strategie finden und im Wettbewerb ausprobieren, so auch M-V und seine Regionen. Zentral und gemeinsam bei diesen Handlungsfeldern ist jedoch die Ausrichtung auf die Bereiche der Bildung, der Forschung und der innova- tiven Netzwerke. Eine innovationsorientierte Landes- und Regionalentwicklungspoli- tik ist daher zugleich Bildungs-, Wissenschafts- und Forschungspolitik (BRAUN 2003, S. 22). Nur diese Strategie verspricht auf lange Frist überhaupt Aussicht auf relative Konvergenz zu den westdeutschen Räumen. Daher ist auch nicht zu erwarten, dass damit zeitlich unmittelbare Wirkungen erzielt werden, die sich im nächsten Haus- haltsjahr messbar in Arbeitsplatz- und BIP-Wachstum niederschlagen. Eine solche

117 Strategie ist nachhaltig, d. h. mittel- bis langfristig, ausgerichtet und in ihren Erfolgen auch noch Generationen übergreifend.

Die direkte Förderung von spezifischen (technischen) Innovationen in Unternehmen durch die Landes- und Regionalentwicklungspolitik als kurzfristig ausgestaltete Stra- tegie zählt im engen Sinne nicht zu einer wissensbasierten Entwicklungspolitik. Sie birgt zudem die Gefahr der „Anmaßung von Wissen“ (v. HAYEK 1952), weil sie bestimmen will und muss, welche Innovationen zukunftsfähig sind. Dieser Erfolg stellt sich in einem marktwirtschaftlichen System allerdings erst ex post über Wett- bewerbsprozesse heraus, kann nicht „vorhergesagt“ werden (SIEBEL, IBERT, MAYER 2001, S. 530). In diesem Sinn ist Wettbewerb als Chance zum Herausfinden spezifischer Vorteile zu interpretieren, dient also als ein wichtiges Entdeckungsver- fahren (v. HAYEK 1968). Daher sollten staatliche Interventionen hier eher zurückhal- tend erfolgen (RÜTHER 1987, S 315); private Initiative, wie z. B. die Bereitstellung von privatem Risikokapital (Beispiel: Steinbeis-Stiftung in Baden-Würtemberg), muss jedoch positiv gesehen werden, da sie das Risiko der Fehlentscheidung nicht der Allgemeinheit aufbürdet, sondern im privaten Sektor belässt.

Fazit: Eine wissensbasierte Politikstrategie zur Entwicklung des Landes erfordert heute eine Neuausrichtung, ihre Erträge werden aber erst morgen und übermorgen sichtbar. Insoweit ist sie keine Politik der „ruhigen Hand“, sondern eher eine des „langen Atems“. Dieser Weg des Landes M-V zu einer „Wissensregion im Nordosten Deutschlands“ oder einem „Innovationscluster Nordost“ ist also noch weit, aber die vorhandenen Potenziale gilt es heute zu nutzen, um für morgen gerüstet zu sein

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Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1 Entwicklung der Schülerzahlen in MV ...... 112

Abbildung 2: Klassenstärken in Mecklenburg-Vorpommern und im Bundesdurchschnitt...... 113

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Erwerbstätige insgesamt und nach Wirtschaftsunterbereichen 1995- 1999...... 98

Tabelle 2: Ausgaben für F & E nach Ländern in 2001...... 104

Tabelle 3: Forschungsintensität1 nach Ländern 2001 (in %)...... 106

Tabelle 4: Studierende je Personal (alle Hochschulen) nach Bundesländern ...... (1999)...... 107

Tabelle 5: Laufende Grundmittel je Studierenden in 1.000 EURO...... 108

Tabelle 6: Zahl der Bildungsstätten und Schüler in Mecklenburg-Vorpommern 1991-2002...... 113

125 126 Thomas Döring

Wissen und Wachstum in räumlicher Sicht – Theorie und Empirie*

INHALT

1 Einführung in die Problemstellung ...... 129

2 Wissensproduktion und räumliche Diffusion von Wissen...... 130

2.1 Wissensbegriff und unterschiedliche Arten von Wissen ...... 130

2.2 Räumliche Reichweite von Wissensexternalitäten ...... 133

2.3 Mechanismen und Bedingungen der räumlichen Diffusion von Wissen . 137

2.4 Wissens-Spillovers, regionales Wirtschaftswachstum und Ballungsräume ...... 140

3 Ergebnisse empirischer Untersuchungen – ein Überblick ...... 143

3.1 Bedeutung der räumlichen Nähe für den Wissenstransfer...... 144

3.2 Branchenbezug und Unternehmensgröße ...... 147

3.3 Zur Relevanz unterschiedlicher Typen von Wissens-Spillovers...... 149

3.4 Ausbreitungsgeschwindigkeit und Transferkanäle von Wissen...... 150

4 Schlussfolgerungen für den zukünftigen Forschungsbedarf ...... 154

Literaturverzeichnis...... 157

* Der vorliegende Beitrag ist eine gekürzte und aktualisierte Fassung des Aufsatzes „Wissens Spillo- vers und regionales Wirtschaftswachstum – Stand der Forschung und wirtschaftspolitische Implika- tionen“ (erschienen in: Schmollers Jahrbuch, Jg. 124 (2004), S. 95-138).

127 128

1 Einführung in die Problemstellung

Dem Produktionsfaktor „Wissen“ wird in modernen Industriegesellschaften eine her- ausragende und noch weiter ansteigende Bedeutung als Wettbewerbs- und Wach- stumsfaktor zugesprochen (KROGH/VENZIN 1995, S. 417f)1 Dies steht durchaus im Einklang mit der neoklassischen Wachstumstheorie, aus deren Sicht wirtschaftliches Wachstum langfristig nur durch technischen Fortschritt, der eng mit einer Zunahme des Wissens verbunden ist, gesteigert werden kann. Ausgehend von dieser Erkennt- nis kann das Hauptanliegen neuerer wachstumstheoretischer Ansätze darin gesehen werden, über die Spezifizierung der Determinanten des technischen Fortschritts langfristiges Wachstum modellendogen zu erklären.2 Trotz der Heterogenität der in diesem Rahmen entwickelten Ansätze können zusammenfassend Learning-by- Doing-Effekte, die Akkumulation von Humankapital, die Bereitstellung von öffentli- chen Gütern (u. A. in Form staatlich finanzierter Grundlagenforschung) sowie damit einhergehende positive Externalitäten, die eine Abnahme der Grenzproduktivität der eingesetzten Produktionsfaktoren verhindern (sollen), als Quelle eines dauerhaften, auf Innovationen fußenden Wachstums angesehen werden. Bezogen auf die positi- ven Externalitäten nehmen hierbei wiederum Wissens-Spillovers und dadurch her- vorgerufene Skalenerträge auf der Ebene der gesamtwirtschaftlichen Produktions-

1 Zur Bedeutung des Wissens für Unternehmen sowie für das wirtschaftliche Wachstum insgesamt siehe auch Metcalfe, J.S.: Knowledge of growth and the growth of knowledge, in: Journal of Evolu- tionary Economics, Vol. 12 (2002), S. 3f.; Matusik, Sh.F. und Ch.W.L. Hill: The Utilization of Contin- gent Work, Knowledge Creation, and Competitive Advantage, in: Academy of Management Review, Nr. 4 (1998), S. 682f.; Carlino, G.A.: Do Education and Training Lead to Faster Growth in Cities?, in: Federal Reserve Bank of Philadelphia Business Review, January/February 1995, S. 15; Rosenberg, N.: Technological Change in the Machine Tool Industry, 1840-1910, in: The Journal of Economic History, Vol. 23 (1963), S. 414f.; Arrow, K.J. (1985): Economic Welfare and the Allocation of Res- sources for Invention, in: Production and Capital: Collected Papers of Kenneth J. Arrow, Cambridge (MA) und London 1985, S. 104. 2 Die neue Wachstumstheorie geht zurück auf die Arbeiten von Lucas, R.E.: On the Mechanics of Economic Development, in: Journal of Monetary Economics, Vol. 26 (1988), S. 3ff. und Romer, P.M.: Increasing Returns and Long-Run Growth, in: Journal of Political Economy, Vol. 94 (1986), S. 1002ff. Für einen Überblick siehe Fagerberg, J.: Convergence or Divergence? The Impact of Tech- nology on „why Growth Rates Differ“, in: Dopfer, K. (Hrsg.): The Global Dimension of Economic Evo- lution: Knowledge Variety and Diffusion in Economic Growth and Development, Heidelberg 1996, S. 89ff.

129 funktion eine zentrale Rolle ein.3 Neben einer Erklärung des gesamtwirtschaftlichen Wachstums kommt darüber hinaus aber auch der Art und Weise, wie sich Wissen räumlich ausbreitet, eine hohe Erklärungskraft zu, wenn es darum geht, die Ursa- chen von in der Realität beobachtbaren Wachstums- und Einkommensunterschieden zwischen Regionen zu benennen. Vor diesem Hintergrund soll im vorliegenden Auf- satz ein Überblick über theoretische wie empirische Studien gegeben werden, die den Beitrag von Wissen und dessen räumlicher Diffusion für das regionale Wach- stum näher untersuchen.

2 Wissensproduktion und räumliche Diffusion von Wissen

2.1 Wissensbegriff und unterschiedliche Arten von Wissen

Trotz der herausgehobenen Bedeutung, der dem Faktor „Wissen“ in den Ansätzen der neuen Wachstumstheorie eingeräumt wird, besteht nach wie vor keine einheitli- che Vorstellung darüber, was unter dem Wissensbegriff zu verstehen ist. In einer re- lativ weiten Fassung, die den nachfolgenden Ausführungen zugrunde gelegt wird, umfasst Wissen „sämtliche Kenntnisse und Fähigkeiten, die Individuen zur Lösung von Aufgaben einsetzen und welche Handlung sowie Interpretation u. A. von Infor- mationen ermöglichen“(KROGH/KÖHNE 1998, S. 236). In dieser Definition sind „Wissen“ und „Information“ verschiedene Kategorien: Wissen bildet die Vorausset- zung, um Informationen verstehen und zielgerichtet nutzen zu können. Der jeweilige Bestand an Wissen einer Gesellschaft gilt dabei als zusammengesetzt aus dem un- vollständigen und mitunter widersprüchlichen Wissen der jeweiligen Gesellschafts- mitglieder, d. h. das Wissen liegt nicht konzentriert vor, sondern es verfügt vielmehr über eine räumliche Dimension. Unter der Annahme, dass sich Wissen in einem Pro- zess der ständigen Suche nach geeigneten Problemlösungen in einer dynamischen

3 Vgl. zur Bedeutung von Wissens-Spillovers in der neuen Wachstumstheorie Keilbach, M.: Spatial Knowledge Spillovers and the Dynamics of Agglomeration and Regional Growth, Heidelberg und New York 2000, S. 8ff.); Smolny, W.: Endogenous Innovations and Knowledge Spillovers, Heidel- berg und New York 2000, S. 2f.); Fritsch, M. und G. Franke: Innovation, Regional Knowledge Spill- overs and R&D Cooperation, Universität Freiberg, Working Paper, Freiberg 2000, S. 1; Grossman, G.M. und E. Helpman: Innovation and Growth in the Global Economy, Cambridge (MA) 1991, S. 85 oder auch Barro, R.J.: Economic Growth in a Cross-Section of Countries, in: The Quarterly Journal of Economics, Vol. 106 (1991), S. 408f.). Als weitere Voraussetzung endogenen Wachstums wird darüber hinaus auf die Existenz von Marktunvollkommenheiten verwiesen, die es Pionier- Unternehmen erlauben, zeitweise Monopolrenten abzuschöpfen.

130 Umwelt laufend weiterentwickelt, stellt die Kontext- und Zeitabhängigkeit ein weiteres wichtiges Merkmal dar.4

Aus ökonomischer Sicht dient Wissen zum einen als Input-Faktor für die Produktion, zum anderen ist es jedoch auch – gewissermaßen als Nebenprodukt – Ergebnis von Produktionsprozessen. Mit Blick auf die Erklärung wirtschaftlichen Wachstums wird als Quellen neuen Wissens in erster Linie auf industrielle F&E-Tätigkeit, die Akkumu- lation von Humankapital – generiert durch Bildung und Learning-by-Doing – sowie ein durch Universitäten und andere Forschungseinrichtungen erzeugtes Grundla- genwissen verwiesen. Der Wissensbildungsprozess erfolgt dabei meist dergestalt, dass (individuell) neues Wissen auf einer vorhandenen Wissensbasis aufbaut.5 Die- ser kumulative Charakter führt zum einen dazu, dass die Entstehung von Pfadab- hängigkeiten in der Akkumulation von Wissen begünstigt wird. Zum anderen hat dies zur Konsequenz, dass vorhandenes Wissen häufig nur dann sinnvoll genutzt werden kann, wenn man über das entsprechende, bereits zuvor angeeignete Komplemen- tärwissen verfügt.

Ein weiteres Merkmal von Wissen ergibt sich aus dem Tatbestand, dass es sich hierbei um keine homogene Größe handelt, sondern vielmehr ganz unterschiedliche Arten von Wissen existieren. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sei hier nur auf die für die weitere Analyse relevante Unterscheidung zwischen impliziten („tacit know- ledge“) und expliziten Wissen („explicit knowledge“) verwiesen. Als zentrale Eigen- schaft impliziten Wissens gilt dabei, dass zahlreiche Aspekte dieses Wissens nicht unmittelbar erfasst und in räumlicher Hinsicht nicht über beliebige Distanzen ausge- tauscht werden können. Es liegt dem Handeln vielmehr nicht selten unbewusst

4 Hierzu schon früh Hayek, F.A.v.: The Use of Knowledge in Society, in: The American Economic Re- view, Vol. 35 (1945), S. 519ff. Vgl. auch Dohse, D.: Knowledge Creation, Knowledge Diffusion and Regional Growth, in: Bröcker, J. und H. Herrmann (Hrsg.), Spatial Change and Interregional Flows in the Integrating Europe, Heidelberg und New York 2001, S. 50. 5 Vgl. auch Audretsch, D.B. und M.P. Feldman: R&D Spillovers and the Geography of Innovation and Production, in: The American Economic Review, Vol. 86 (1996), S. 638; Dosi, G.: Sources, Proce- dures, and Microeconomic Effects of Innovation, in: Journal of Economic Literature, Vol. 26 (1998), S. 1126ff.; Nelson, R.R.: The Role of Knowledge in R&D Efficiency, in: The Quarterly Journal of Economics, Vol. 97 (1982), S. 464. Es ist darauf hinzuweisen, daß der Prozess der Entstehung von Wissen niemals vollständig determiniert verläuft, sondern immer auch stochastische Elemente ent- hält, so dass Wissen nicht nur durch Planung, sondern auch durch Zufallsprozesse entsteht. Für ei- ne detaillierte Betrachtung der Entstehung von Wissen siehe etwa Jones, Ch. I.: Introduction to Economic Growth, 2nd edition, New York und London 2002.

131 zugrunde und ist insofern an eine Person gebunden. Diese Art von Wissen wird da- her häufig auch als „embodied knowledge“ bezeichnet und ein Austausch erfolgt oft nur über den engen persönlichen Kontakt. Explizites Wissen kann demgegenüber leicht artikuliert, transferiert und gespeichert werden, ist somit also nicht personen- gebunden („disembodied knowledge“). Es verfügt über Eigenschaften (z. B. als Er- gebnis wissenschaftlicher Grundlagenforschung), die mit denen öffentlicher Güter vergleichbar sind, d. h. es ist nicht rivalisierend und nicht exkludierbar. Implizites Wissen ist demgegenüber zwar ebenfalls nicht rivalisierend, jedoch teilweise exklu- dierbar, wie dies etwa für das Wissen im Bereich der anwendungsbezogenen Industrieforschung gilt.6

Mit Hilfe dieser Klassifizierungen können auch die Begriffe „Wissen“ und „Humanka- pital“ unterschieden werden. Danach umfasst Humankapital lediglich die in Individu- en inkorporierten Kenntnisse und Fähigkeiten, während Wissen darüber hinaus auch jene ungebundenen Kenntnisse bezeichnet, wie sie beispielsweise als Forschungs- ergebnisse in Büchern oder Bauplänen vorliegen und damit kollektiv zugänglich sind. In dieser Sicht ist nur Wissen, nicht aber Humankapital dauerhaft (d. h. über Genera- tionen hinweg) akkumulierbar. Zugleich ist Humankapital lediglich ein Teilsegment des umfassender angelegten Wissensbegriffs (FRENKEL 1999, S. 239f). Diese le- diglich grobe Unterscheidung verschiedener Wissensarten sollte jedoch nicht dar- über hinwegtäuschen, dass es sich beim Wissensbegriff um eine schwer greifbare und quantifizierbare Größe handelt. Darüber hinaus fallen je nachdem, welche Art von Wissen betrachtet wird, die Mechanismen und Bedingungen des räumlichen Transfers von Wissen unterschiedlich aus.

6 Siehe Polanyi, M.: Implizites Wissen, Frankfurt am Main 1985 oder auch Romer, P.M.: Are Noncon- vexities Important for Understanding Growth?, in: American Economic Review. Papers and Proceed- ings, Vol. 80 (1990), S. 97f.. Siehe zu den verschiedenen Wissensarten auch Schreyögg, G.: Wis- sen, Wissenschaftstheorie und Wissensmanagement, in: Ders. (Hrsg.), Wissen in Unternehmen, Berlin 2001, S. 7f., oder Bea, F.X.: Wissensmanagement, in: Wirtschaftswissenschaftliches Studium, Jg. 29 (2000), S. 362f.

132 2.2 Räumliche Reichweite von Wissensexternalitäten

Aus Sicht der neueren wachstumstheoretischen Ansätze zählt es zu den wichtigsten Eigenschaften des Wissens, dass seine Produktion positive externe Effekte erzeugt (CARLINO 1995, S. 15).7 Unter einem positiven externen Effekt versteht man be- kanntermaßen eine Situation, in der die Aktivitäten eines Wirtschaftssubjektes sich positiv auf die Nutzenfunktion eines oder mehrerer anderer Akteure auswirken. So- weit diese Beziehung nicht oder nur unvollständig durch den Marktmechanismus er- fasst ist, handelt es sich um sogenannte technologische Externalitäten, die den aus wirtschaftspolitischer Sicht zentralen Fall der Analyse externer Effekte darstellen. Positive externe Effekte können bei der Produktion von Wissen insofern auftreten, wie die Schaffung von Wissen – etwa durch Forschung und Entwicklung – in der Re- gel mit nicht unerheblichen Kosten verbunden ist, die allein vom forschenden Wirt- schaftssubjekt getragen werden müssen, der Nutzen aus den Forschungsergebnis- sen in Form von möglichen Produktivitätssteigerungen aber – im Extrem – allen un- entgeltlich zur Verfügung steht. In dem Maße, wie dabei die gegenwärtige Produktivi- tät umso stärker beeinflusst wird, je mehr Wissen in der Vergangenheit akkumuliert wurde, handelt es sich um dynamische positive Externalitäten (AUDRETSCH 1998, S. 20).8 Je nachdem, wie weit solche Wissens-Spillovers von einer Innovationsquelle „ausstrahlen“, fließen die produktivitätssteigernden Vorteile entweder räumlich nahe- liegenden oder auch weiter entfernt liegenden Wirtschaftssubjekten zu. Die regional- ökonomische Bedeutung solcher Spillover-Effekte scheint dementsprechend nahe- liegend zu sein.

Trotz dieser offensichtlichen Relevanz der räumlichen Diffusion von Wissen für die Produktivität wirtschaftlicher Tätigkeit ist dieser Aspekt in der ökonomischen For- schung lange Zeit eher vernachlässigt worden. Wo dennoch dieser räumliche Aspekt der Wissensdiffusion angesprochen wird, bestehen zum Teil sehr unterschiedliche Annahmen bezüglich der Ausbreitung von Wissens-Spillovers. So wird einerseits et-

7 sowie Harhoff, D. und H. König: Neuere Ansätze der Industrieökonomik, in: Meyer-Krahmer, F. (Hrsg.): Innovationsökonomie und Technologiepolitik: Forschungsansätze und politische Konse- quenzen, Heidelberg 1993, S. 55. 8 sowie Henderson, V.: Externalities and Industrial Development, in: Journal of Urban Economics, Vol. 24 (1997), S. 450; Henderson, V., Kuncoro, A. und M. Turner: Industrial Development in Cities, in: Journal of Political Economy, Vol. 103 (1995), S. 1068.

133 wa in den älteren Ansätzen der neoklassischen Wachstumstheorie unterstellt, dass Wissen ohne Schwierigkeiten erfasst werden kann (disembodied knowledge) und der räumliche Zugriff darauf von beliebigen Orten aus möglich ist. Es wird dabei unter- stellt, dass die Wissensdiffusion ohne jede zeitliche Verzögerung sofort und kosten- los über den gesamten Raum erfolgt. Aus dieser Perspektive kommt Wissen der Charakter eines – im Extrem – globalen öffentlichen Gutes zu (globale Wissens- Spillovers). Regionale Wissens- und Technologieunterschiede als eine mögliche Ur- sache für räumliche Wachstums- und Einkommensdivergenzen können somit nicht entstehen. Das in einer Region neu geschaffene Wissen ist sofort in anderen Regio- nen verfügbar mit der Folge, dass – bei bestehenden Entwicklungsunterschieden – unmittelbar ein Prozess des „catching-up“ in Gang gesetzt wird, an dessen Ende sich eine Konvergenz der regionalen Pro-Kopf-Einkommen einstellt. Auf der anderen Sei- te wird in einem weiteren Extremfall in Gestalt von sogenannten „cumulative- causation-Modellen“9 von der Annahme ausgegangen, dass technologisches Wissen völlig immobil ist. D. h. Wissens-Spillovers finden nicht statt und die mit einem vor- handenen Wissen sich verbindenden wirtschaftlichen Vorteile verbleiben bei einem räumlich sehr eingeschränkten Nutzerkreis. Wissen gewinnt unter dieser Annahme – anders als in den älteren Ansätzen der neoklassischen Wachstumstheorie – tenden- ziell den Charakter eines privaten Gutes. Diese räumlich konzentrierten Wissens- und die daraus resultierenden Produktivitätsvorteile – so die weitere Argumentation – kumulieren darüber hinaus über die Zeit, was im Ergebnis für bleibende, dauerhaft wirksame Unterschiede in den Wachstumschancen von Regionen sorgt sowie zu einer zunehmenden Divergenz im regionalen Pro-Kopf-Einkommen führt.

Mit den in beiden Modellvarianten gemachten Annahmen – keine bzw. perfekte Dif- fusion – dürften jedoch lediglich die Enden eines (theoretischen) Kontinuums be- nannt sein, wobei mit Blick auf die in der Realität ablaufenden Diffusionsprozesse davon auszugehen ist, dass diese zwischen den beiden genannten Extrempositionen anzusiedeln sind. D. h. Wissen diffundiert, allerdings nur mit einer mehr oder weniger

9 Diese Modelle sind besonders mit den Namen Nicholas Kaldor und Gunnar Myrdal verbunden. Siehe Kaldor, N.: The Case for Regional Policies, in: Scottish Journal of Political Economy, Vol. 17 (1970), S. 340ff.; Myrdal, G.: Economic theory and under-developed regions, reprint, London 1964, S.9ff. Siehe auch Malecki, E. J. und P. Varaiya: Innovation and Changes in Regional Structure, in: Handbook of Regional and Urban Economics, Bd. I, Amsterdam 1986, S. 631ff.

134 großen zeitlichen Verzögerung und in Abhängigkeit von der räumlichen Entfernung. Wissen besitzt in räumlicher Hinsicht somit häufig den Charakter eines lokalen oder regionalen öffentlichen Gutes. Grundsätzlich lassen sich hierbei zwei Typen der Wis- sensdiffusion unterscheiden (CANIËLS 2000, S. 21ff)10, wobei als eine Möglichkeit die Ausbreitung des (neuen) Wissens von der Quelle aus über jeweils räumlich be- nachbarte Regionen in Betracht kommt. Bei diesem Fall handelt es sich um eine Art epidemische Wissensausbreitung, wie er häufig für Länder und Regionen mit gerin- gem wirtschaftlichem Entwicklungsstand unterstellt wird.

Dagegen geht man beim Fall der sogenannten hierarchischen Wissensausbreitung, der für entwickelte Länder und Regionen als repräsentativ gilt, davon aus, dass Inno- vationen und damit verbundene neue Wissensbestände vom Ursprungsort aus zu- nächst auf die großen Wirtschaftszentren und Ballungsräume übergreifen und erst von dort aus – wenn überhaupt – über einen mehr oder weniger langen zeitlichen Anpassungsprozess ihren Weg in wirtschaftlich weniger bedeutsame bzw. periphere Räume finden. Als Ursache hierfür wird vor allem darauf verwiesen, dass die Wahr- scheinlichkeit einer Adoption von neuem Wissen in Ballungsräumen aufgrund der dort überproportional vorhandenen Ausstattung mit hochqualifizierten Arbeitskräften sowie einer günstigeren Wirtschafts- und Forschungsstruktur höher ist als in ländli- chen Gebieten. Zudem befinden sich die Entscheidungszentren der großen Unter- nehmen meist in Ballungszentren und -regionen. Zwar lässt sich auch mit Blick auf die Realität nicht streng zwischen diesen beiden grundlegenden Typen der Wissens- ausbreitung trennen, vielmehr treten sie häufig in Kombination auf. Für beide Varian- ten gilt jedoch, dass sie von Regionen mit divergenten (Anfangs-) Ausstattungen an Wissen ausgehen, wobei dieses regionale Wissensgefälle über einen längeren Zeit- raum Bestand haben kann.

Einen Sonderfall, der jedoch für die Erklärung regionaler Auf- und Überholprozesse von besonderer Relevanz ist, stellt mit Blick auf die Ausbreitung und Verteilung von Wissen im Raum das sogenannte „Leapfrogging-Modell“ dar, welches Elemente der neuen Wachstumstheorie mit Elementen der „New Economic Geography“ vereinigt, wobei das Wachstum von Ballungsräumen bzw. -regionen unter Verweis auf lokale

10 Vgl. auch Richardson, H.W.: Regional Growth Theory, London et al. 1973, S. 126ff.

135 Lerneffekte begründet wird.11 Das Modell basiert auf der Grundüberlegung, dass es zwei Arten technischen Fortschritts gibt: So wird einerseits von einem inkrementalen Wissenszuwachs ausgegangen, der aus „Learning-by-Doing“ resultiert und der in Regionen mit reichlicher technischer Erfahrung am raschesten voranschreitet. Ande- rerseits kommt es zu gelegentlichen technologischen Durchbrüchen, die das bisher vorhandene Wissen radikal verändern oder zu großen Teilen entwerten. Darüber hinaus wird unterstellt, dass das neue Wissen zwar nach einer längeren Einfüh- rungszeit produktiver als das bisherige Wissen genutzt wird, dies aber nicht von An- fang an der Fall ist. Für eine in der wirtschaftlichen Nutzung des bestehenden Wis- sens besonders erfahrene Region lohnt daher die Umstellung auf eine Produktion unter Ausnutzung des neu geschaffenen Wissens zu einem frühen Zeitpunkt nicht, wohl aber für eine mit Blick auf die bisherigen Wissensbestände wenig erfahrene (geringe Lerneffekte) und daher unter Wachstums- und Einkommensaspekten ver- gleichsweise schwächer entwickelte Region. In diesem Zusammenhang ist auch vom „natural life cycle of urban rise and decline“ die Rede (BEZIS/KRUGMAN 1993, S. 1) In dem Maße, wie das neu geschaffene Wissen durch lokale Lerneffekte verfeinert wird, ergeben sich Wettbewerbsvorsprünge der dieses Wissen anwendenden Regi- on, was dazu führen soll, dass die vormals weniger entwickelte Region die bislang wirtschaftlich führende Region überholt. Auch in diesem Modell wird somit von regio- nal divergenten Wissensbeständen ausgegangen, wobei sich allerdings der wirt- schaftliche Vorteil, der aus diesen Wissensdivergenzen resultiert, über die Zeit räum- lich verlagern kann.

11 Vgl. zur Darstellung des Modells Brezis, E.S., Krugman, P. und D. Tsiddon: Leapfrogging in Interna- tional Competition: A Theory of Cycles in National Technological Leadership, in: American Economic Review, Vol. 83 (1993), S. 1211ff.. Siehe zur „New Economic Geographie“ Krugman, P.: What’s New About New Economic Geography?, in: Oxford Review of Economic Policy, Vol. 14 (1998), S. 7ff.; Krugman, P.: Space: The Final Frontier, in: Journal of Economic Perspectives, Vol. 12 (1998), S. 161ff.; Schmutzler, A.: The New Economic Geography, in: Journal of Economic Surveys, Vol. 13 (1999), S. 355ff.; Fujita, M., Krugman, P. und A.J. Venables: The Spatial Economy, Cam- bridge (MA) und London 2000; Ottaviano, G. und J.-F. Thisse: Agglomeration and Economic Geog- raphy. CEPR Discussion Paper No. 3838, London 2003; Baldwin, R.E. und Ph. Martin: Agglomera- tion an Regional Growth. CEPR Discussion Paper No. 3960, London (2003).

136 2.3 Mechanismen und Bedingungen der räumlichen Diffusion von Wissen

Wenn räumliche Wissens-Spillovers grundsätzlich möglich sind, dann ist von Interes- se, wie und unter welchen Bedingungen sich die räumliche Ausbreitung von Wissen vollzieht. Bezogen auf die Transfermechanismen kann Wissen zum einen in Form eines Personal- oder Gütertransfers ausgetauscht werden, wobei letzteres auf die Auswertung des in den Gütern enthaltenen (Produktions-)Wissens abstellt. Es han- delt sich hierbei um indirekte räumliche Spillover-Effekte, die an die inter- oder intra- regionale Mobilität von Personen und Gütern gebunden sind. Zum anderen besteht die Möglichkeit von Technologie- und Forschungstransfers, etwa in Form gemeinsa- mer Projekte, der Nutzung von Patenten oder aber durch die Gründung von Hoch- schul-spin-offs. Schließlich kann Wissen sich durch den allgemeinen Informations- transfer ausbreiten, indem Forschungsergebnisse z. B. in Datenbanken, oder Veröf- fentlichungen publik gemacht werden. Die beiden letztgenannten Fälle kennzeichnen direkte räumliche Spillover-Effekte, die aufgrund einer gemeinsamen Nutzung von (Wissens-)Gütern zu einer entsprechenden räumlichen Nutzenstreuung führen.

Neben dem Transfermechanismus variiert die räumliche Reichweite von Wissens- Spillovers aber auch in Abhängigkeit von bestimmten, für den Wissenstransfer rele- vanten Bedingungen. Dies lässt sich unter Rückgriff auf ein Sender-Empfänger- Modell sowie den Verweis auf die spezifischen Eigenschaften von Wissen erklären:

· Je nachdem, ob es sich bei der Quelle neuen Wissens (Sender) um öffentliche Institutionen (z. B. Hochschulen oder staatliche Forschungsinstitute) oder um pri- vate Organisationen (z. B. Unternehmen) handelt, kann eine unterschiedliche Dif- fusionsneigung festgestellt werden. Während erstgenannte in der Regel an einer schnellen Verbreitung neuen Wissens interessiert sind, wird letztgenannten Insti- tutionen aus Wettbewerbsgründen daran gelegen sein, neues Wissen nur sehr restriktiv offen zu legen (CANIËLS 2000, S. 21ff.).

· Auf der Gegenseite muss der Empfänger fähig und willens sein, neues Wissen aufzunehmen. In beiden Dimensionen können Barrieren der Wissensaufnahme bestehen, die sich mit dem Begriff der „absorptiven Kapazität“ umschreiben las- sen. Er steht für die (individuellen) Möglichkeiten, neues Wissen bewerten, auf- nehmen und ökonomisch zweckmäßig nutzen zu können (COHEN/LEVINTHAN

137 1989, S. 569ff).12 Auch dürfte bedeutsam sein, wie unzufrieden der (potenzielle) Empfänger mit der Nutzung seines bisherigen Wissens ist. Bezogen auf die ab- sorptive Kapazität kann es zu räumlichen Bindungen kommen, etwa wenn neues Wissen überwiegend nur von einer bestimmten Wirtschaftsbranche genutzt wer- den kann, die ihrerseits eine räumliche Konzentration aufweist.

· Schließlich kommt der Kommunikationsbeziehung zwischen Sender und Empfän- ger eine entscheidende Bedeutung zu. Während explizites Wissen meist relativ leicht mittels der modernen Informations- und Kommunikationstechnik über große Entfernung übermittelt werden kann, ist man bei der Verbreitung des an eine Per- son gebundenen impliziten Wissens auf direkte Kommunikation angewiesen. Dies gilt dann umso mehr, wenn der Wissenstransfer durch eine hohe Spezifität der Austauschbeziehungen gekennzeichnet ist. Aufgrund von Transaktionskosten- überlegungen gewinnen in diesem Zusammenhang Wissenstransfers auf der Ba- sis von persönlichen Beziehungen oder Netzwerkbeziehungen eine besondere Relevanz (DURTH 2001, S. 305ff)13 Dabei liegt es auf der Hand, dass insbeson- dere für den Fall informeller Kommunikationsbeziehungen die räumliche Distanz zwischen Sender und Empfänger entscheidend für die Ausbreitung von Wissens- Spillovers ist.14

Die im zuletzt genannten Punkt angesprochene Relevanz lokal begrenzter sozialer Netzwerke für die räumliche Ausbreitung von Wissen, insbesondere wenn es sich dabei um implizites Wissen (tacit knowledge) handelt, wird auch von jenem Ansatz

12 Siehe auch Cohen, W.M. und D.A. Levinthal: Absorptive Capacity: A New Perspective on Learning and Innovation, in: Administrative Science Quarterley, Vol. 35 (1990), S. 128; Hippel, E.v.: „Sticky Information“ and the Locus of Problem Solving: Implications for Innovation, in: Management Sci- ence, Vol. 40 (1994), S. 431f. 13 Vgl. auch Audretsch, D.B. und P.E. Stephan: Company-Scientist Locational Links: The Case of Biotechnology, in: American Economic Review, Vol. 86 (1996), S. 650f. 14 Zur Notwendigkeit direkter Kommunikation bei der Übermittlung impliziten Wissens vgl. Cappellin, R.: Urban Agglomeration and Regional Development Policies in an Enlarged Europe, in: Bröcker, J. und H. Herrmann (Hrsg.), Spatial Change and Interregional Flows in the Integrating Europe, Heidel- berg und New York 2001, S. 121; Dohse, D.: The Transmission of Knowledge Spillovers and its Im- pact on Regional Economic Growth, Kiel Working Paper No. 774, Kiel 1996, S. 3f.; Antonelli, Ch.: Collective Knowledge Communication and Innovation: The Evidence of Technological Districts, in: Regional Studies, Vol. 34 (2000), S. 536ff.; Audretsch, D.B. und C. Weigand: Innovation, Raum- struktur und Internationalisierungsstrategien, in: Mayer, O.G. und H.-E. Scharrer (Hrsg.), Internatio- nale Unternehmensstrategien und nationale Standortpolitik, Baden-Baden 1999, S. 134; Feldman, M.P. und D.B. Audretsch: Location, Location, Location: The Geography of Innovation and Knowled- ge Spillovers, WZB Discussion Paper FS IV 96-28, Berlin 1996, S. 4.

138 betont, der auf die Bedeutung sogenannter „innovativer Milieus“ für die wirtschaftli- che Entwicklung von Regionen verweist. Auch wenn es sich hierbei um einen theore- tisch nicht eindeutig definierten Gegenstandsbereich handelt, dessen räumlicher Be- zug nicht immer hinreichend klar und der zudem nur schwer empirisch zu verifizieren ist, besteht in der Literatur doch weitgehend Einigkeit darüber, dass solche innovati- ven Milieus, verstanden als langfristige und kontinuierliche Interaktionsbeziehung zwischen regionalen Akteuren jedweder Art (Unternehmen, Kreditinstitute, Wirt- schaftsförderungsgesellschaften, Industrie- und Handelskammern, Hochschulen und Forschungseinrichtungen, öffentliche Verwaltung), einen Einfluss auf das Innovati- onsverhalten von Unternehmen einer Region nehmen. Rein formale Unternehmens- kooperationen ebenso wie informelle Fördernetzwerke gelten hierbei als wichtige Elemente solcher innovativen Milieustrukturen, die zu innovationsrelevanten Synergieeffekten führen können (STERNBERG 1995, S. 52f).15

Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von solchen synergieerzeugenden Verflech- tungsstrukturen ist – so die Argumentation der Vertreter dieses Ansatzes – durch eine Vielzahl an Faktoren determiniert, wobei neben gemeinsamen Denk-, Anschau- ungs- und Verhaltensmustern sowie den daraus resultierenden Intensitäten des Be- ziehungsgeflechts vor allem auf die gemeinsame Nutzung sowohl des regional ver-

15 Vgl. auch Wilkinson, F. und B. Moore: Concluding Reflections: Some Policy Implications, in: Keeble, D. und F. Wilkinson (Hrsg.), High-Technology Clusters, Networking, and Collective Learning in Europe, Hampshire 2000, S. 230ff. Folgt man Camagni, R.: Innovations Networks: Spatial Perspec- tives, London und New York 1991, S. 3, kann man kreative Milieus definieren als „the set, or the complex network of mainly informal social relationships on a limited geographical area, often deter- mining a specific external ‚image‘ and a specific internal ‚representation‘ and sense of belonging, which enhance the local innovative capability through synergetic and collective learning processes“. Siehe für den Bezug des Milieu-Ansatzes zum Konzept der „Lernenden Region“ Butzin, B.: Netz- werke, Kreative Milieus und Lernende Regionen: Perspektiven für die regionale Entwicklungspla- nung?, in: Zeitschrift für Wirtschaftsgeographie, Jg. 44 (2000), S. 149ff., und Bathelt, H. und J. Glückler: Netzwerke, Lernen und evolutionäre Regionalentwicklung, in: Zeitschrift für Wirtschafts- geographie, Jg. 44 (2000), S. 167ff. Siehe auch Bröcker, J., Dohse, D. und R. Soltwedel (Hrsg.): In- novation Clusters and Interregional Competition, Heidelberg 2003, in welchem verschiedene Auto- ren die Bedeutung von Netzwerken und Clustern für regionales Innovationsverhalten, Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit diskutieren. Siehe zudem für den Zusammenhang zwischen Netzwerk- dichte und F&E Spillovers Meagher, K. und M. Rogers: Network Density and R&D Spillovers, in: Journal of Economic Behavior and Organization, Vol. 53 (2004), S. 237ff. Aufbauend auf Ansätzen der Organisationstheorie zeigen die Autoren anhand eines Modells, wie Struktur und Funktion von Netzwerken die (marginale) Innovationsfähigkeit von Unternehmen unter der Bedingung beeinflus- sen kann, dass die betrachteten Unternehmen unterschiedlichen Branchen angehören. Damit wird zugleich die Bedeutung so genannter Jacobs-Spillovers betont, auf die im nachfolgenden Kapitel näher eingegangen wird.

139 fügbaren technologischen Wissens als auch des sogenannten Prozesswissens ver- wiesen wird. Letzteres kann als eine Variante impliziten bzw. personengebundenen Wissens angesehen werden und kennzeichnet die individuellen Fähigkeiten, Innova- tionsideen systematisch zu generieren und zu selektieren, Informationen über neue Technologien systematisch zu erfassen, Innovationsprojekte zu steuern sowie in Ko- operationsbeziehungen erfolgreich zu agieren. Die mit dem individuellen Austausch solcher Wissensbestände verbundenen positiven externen Effekte gelten dabei als ein verbindendes Element von Netzwerkbeziehungen, da sie wechselseitige Vorteile generieren, die nicht pekuniär entgolten werden müssen. Vor diesem Hintergrund kann der Verweis auf die Existenz kreativer Milieus auch als eine Art regionalökono- mischer Fundierung der in den Ansätzen der neuen Wachstumstheorie betonten Be- deutung von positiven Wissensexternalitäten angesehen werden, wobei die als wachstumsfördernd eingestuften Milieu- und Netzwerkstrukturen als ein wissensbe- zogenes Diffusionsmedium interpretiert werden können.

2.4 Wissens-Spillovers, regionales Wirtschaftswachstum und Ballungsräume

Es zählt zu den in der ökonomischen Forschung schon seit längerem bekannten Ein- sichten, dass die Produktivität eines Unternehmens nicht nur von dessen Größe und Struktur abhängig ist, sondern auch durch sogenannte Ballungsfaktoren mitbestimmt wird (agglomeration economies). In der Literatur werden dabei die Bezeichnungen Agglomeration, Verdichtungsraum, Ballungsgebiet und städtischer Agglomerations- raum häufig synonym verwendet (GAEBE 1987, S. 17) Geht man davon aus, dass Wissens-Spillovers ein Motor wirtschaftlichen Wachstums sind, räumliche Distanz aber gleichzeitig eine wichtige Rolle bei deren Ausbreitung spielt, liegt es nahe, sol- chen dynamischen Externalitäten eine besondere Bedeutung für die Erklärung von Agglomerationen und deren wirtschaftlichen Leistungspotenzial einzuräumen. Dies wird durch die Beobachtung gestützt, dass sich Unternehmen oder Unternehmenstei- le mit vergleichsweise einfachen und standardisierten Produktionsabläufen aus dem Kernbereich von Agglomerationen zurückziehen und in den „äußeren“ Ringen von Agglomerationen bzw. im ländlicheren Umland neu ansiedeln, um das Feld für

140 Dienstleistungsbetriebe und Unternehmen mit innovativen, wissens- und kontaktin- tensiven Tätigkeiten zu räumen (KAHNERT 1998, S. 509f).16

Die Wachstumsstärke von Agglomerationen wird darauf zurückgeführt, dass es ge- rade diese wissensintensiv produzierenden Unternehmen sind, die mittels innovativer Technologien neue Märkte schaffen sowie neue Wertschöpfungsketten und Beschäf- tigungsmöglichkeiten generieren. Dabei spielt häufig das Vorhandensein von höher qualifizierten Beschäftigten eine entscheidende Rolle. Es kann daher nicht überra- schen, dass die wirtschaftliche Entwicklungsdynamik gerade solcher Agglomeratio- nen als besonders hoch eingestuft wird, die zu den klassischen Technologiestandor- ten mit Hochschulen und außeruniversitären Forschungsinstituten gerechnet werden und die über einen hohen Bestand an Beschäftigten in technischen Berufen mit Uni- versitäts- und Fachhochschulabschlüssen verfügen. Ein unterschiedlicher Grad an Wissens- und Innovationsintensität der räumlich konzentrierten Produktion gilt dabei nicht nur als ein Erklärungsfaktor für unterschiedliche Wachstumsraten zwischen Ag- glomerationen und peripheren Räumen, sondern zugleich auch als die entscheiden- de Ursache dafür, dass in dieser Hinsicht unterschiedlich strukturierte Agglomerati- onsräume divergente Wachstumsraten aufweisen können. Während die mit jeder Agglomeration verbundenen statischen Vorteile – so etwa in Gestalt großer Absatz- und Beschaffungsmärkte – zwar zu einer (einmaligen) Steigerung der Produktivität der dort angesiedelten Unternehmen, aber nicht zu einem anhaltenden Wachstum beitragen, zählen demgegenüber Wissens-Spillovers und damit verbundene (indivi- duelle) Lerneffekte zu den dynamischen Agglomerationsvorteilen, deren Grenzertrag im Unterschied zu statischen Agglomerationsvorteilen nicht abnimmt und die daher als entscheidende Grundlage eines anhaltenden regionalen Wachstums gelten (FUJITA/THISSE 2000, S. 3ff.).

Während aus wachstumstheoretischer Sicht der Zusammenhang zwischen Wissens- Spillovers und dem Wachstum von Ballungsräumen als plausibel gilt, ist jedoch die

16 Es sei der Vollständigkeit halber erwähnt, dass jenseits von dynamischen Externalitäten noch ande- re Faktoren (natürliche Standortvorteile, lokale Absatz- oder Beschaffungsmärkte etc.) existieren, die zur Agglomerationsbildung führen. Siehe dazu ausführlich Harhoff, D.: Agglomerationen und re- gionale Spillovereffekte, in: Gahlen, B. (Hrsg.), Standort und Region: Neue Ansätze zur Regional- ökonomik, Tübingen 1995, S. 91ff.; Glaeser, E.L., Kallal, H.D. et al.: Growth in Cities, in: Journal of Political Economy, Vol. 100 (1992), S. 1148ff. oder auch Krugman, P.: Increasing Returns and Eco- nomic Geography, in: Journal of Political Economy, Vol. 99 (1991), S. 483f.

141 Frage umstritten, welchem Typus von Wissens-Spillover hierbei die größere Erklä- rungskraft zugebilligt werden kann. Bei dynamischen externen Effekten kann grund- sätzlich zwischen Lokalisierungs- und Urbanisierungsexternalitäten unterschieden werden (BODE 1998, S. 54ff.).17 Zum erstgenannten Typ, der die Effekte der räumli- chen Ballung von Unternehmen und Forschern eines Industriezweiges zum Gegen- stand hat, zählen die sogenannten MAR-Spillovers. Die Namengebung dieser Spillo- vers geht auf Arbeiten von Alfred Marshall, Kenneth Arrow sowie Paul Romer zu- rück.18 Als typisches Beispiel für die Wirkungsweise von MAR-Spillovers wird häufig die Konzentration der US-Halbleiterindustrie im Silicon-Valley angeführt. Das Kern- argument ist hierbei, dass die Konzentration von Firmen einer Branche den Wissens- fluss zwischen Unternehmen und Forschern fördert und wechselseitige Lernprozesse induziert. Es handelt sich somit um intra-industrielle Wissens-Spillovers, die von ihrer Wirkung her der Realisierung von regionalen economies of scale entsprechen. Mit Blick auf die Bedingungen für einen erfolgreichen Wissenstransfer erscheint diese Argumentation plausibel, da die räumliche Nähe hier die Entstehung von persönli- chen (oft informellen) Kontakten sowie von Wissensnetzwerken begünstigt. Zudem weist die räumliche Konzentration von Firmen eines Industriezweiges sehr ähnliche Sender-Empfänger-Bedingungen auf, was die Erfolgsaussichten eines Wissenstrans- fers erhöht.19 Bezogen auf das Entwicklungspotenzial einer Region müssten danach solche Regionen am schnellsten wachsen, die eine hohe räumliche Konzentration einer einzigen Industrie aufweisen und damit weitgehend industriell spezialisiert sind.

Urbanisierungsexternalitäten zielen demgegenüber auf die Wirkung von großen und – bezogen auf die Industriestruktur – heterogen zusammengesetzten Ballungsgebie-

17 Vgl. auch Klatt, S.: Agglomeration, in: Vahlens Großes Wirtschaftslexikon, Bd. 1, 2. Auflage, München 1994, S. 34f.; Carlino, G.A.: Productivity in Cities: Does City Size Matter?, in: Federal Re- serve Bank of Phildadelphia Business Review, November/December 1987, S. 4f. Vgl. darüber hinaus Partridge, M.D. und D.S. Rickman: Static and Dynamic Externalities, Industry Composition, and State Labour Productivity: A Panel Study of States, in: Southern Economic Journal, Vol. 65 (1999), S. 319f. 18 Siehe Marshall, A.: Principles of Economics, London et al. 1966; Arrow, K.J.: The Economic Implica- tions of Learning by Doing, in: Review of Economic Studies, Vol. 29 (1962), S. 155ff.; Romer, P.M.: Increasing Returns and Long-Run Growth, in: Journal of Political Economy, Vol. 94 (1986), S. 1002ff. 19 Mit Griliches, Z.: Issues in Assessing the Contribution of Research and Development to Productivity Growth, in: Bell Journal of Economics, Vol. 10 (1979), S. 92ff., ließe sich hier von einer geringen „technologischen Distanz“ zwischen Wissen abgebendem und Wissen aufnehmendem Unterneh- men sprechen.

142 ten. Hierunter fallen auch die sogenannten „Jacobs-Spillovers“, die dadurch gekenn- zeichnet sind, dass der für regionales Wachstum wichtige Wissenstransfer nicht zwi- schen branchengleichen Unternehmen stattfindet, sondern vielmehr zwischen Fir- men und Forschern unterschiedlicher Industriezweige. Die Namengebung geht auf Jane Jacobs zurück (JACOBS 1970).20 Es werden somit solche Externalitäten als besonders positiv bewertet, die als inter-industrielle Wissens-Spillovers auftreten und zur Realisierung von regionalen economies of scope beitragen. Die Relevanz hete- rogen zusammengesetzter Ballungsräume ergibt sich hierbei aus dem Tatbestand, dass dort eine Vielzahl unterschiedlicher Ansichten und Kenntnisse gebündelt sind, die sich aufgrund der räumlichen Nähe gegenseitig befruchten und zu Innovationen führen. Danach müssten also jene Regionen am schnellsten wachsen, die eine hohe Diversität von Unternehmen unterschiedlicher Industriezweige besitzen.

3 Ergebnisse empirischer Untersuchungen – ein Überblick

Welche Bedeutung Wissens-Spillovers für das regionale Wachstum beizumessen ist, kann letztlich nur empirisch geklärt werden. Die von den Ansätzen der neuen Wach- stumstheorie betonte Relevanz von Wissens-Spillovers hat in der Vergangenheit zu einer Reihe empirischer Untersuchungen zum Zusammenhang von Spillover- Effekten und der wirtschaftlichen Entwicklung von Regionen bzw. dem Innovations- verhalten von Unternehmen in einzelnen Regionen geführt.21 Hierbei lassen sich un- terschiedliche Vorgehensweisen feststellen, die man grob in mikro- und makroöko- nomische Untersuchungsansätze unterteilen kann. Bei den erstgenannten Ansätzen wird versucht, die Pfade der Wissensdiffusion direkt abzubilden, indem etwa der Wissensfluss anhand von Patentzitationen aufgedeckt werden soll. Dabei lässt die geographische Entfernung zwischen den Patentanmeldern und den zitierten Paten- ten Rückschlüsse auf die räumliche Ausbreitung von Wissens-Spillovers zu.

20 Siehe auch Jacobs, J.: Cities and the Wealth of Nations, Harmondsworth 1986. 21 Siehe zu vorliegenden empirischen Studien auch Franke, G.: Regionale Wissens-Spillover und In- novationserfolge industrieller Unternehmen, Frankfurt am Main et al. 2002, S. 34ff. Siehe auch Bo- de, E., a.a.O., S. 25ff., ebenso wie Griliches, Z., a.a.O., S. 39ff. Zur methodischen Diskussion der Messung von Wissens-Spillovers siehe stellvertretend auch Kaiser, U.: Measering Knowledge Spil- lovers in Manufacturing and Services: An Empirical Assessment of Alternative Approaches, in: Re- search Policy, Vol. 31 (2002), S. 125ff.

143 Eine weitere Möglichkeit stellt die direkte Befragung von Unternehmen bezüglich der (räumlichen) Quellen des von ihnen genutzten Wissens dar. Bei der zweiten Gruppe von Ansätzen wird demgegenüber versucht, durch die Messung der regionalen Kon- zentration von Unternehmensinnovationen, die sich durch unterschiedliche Indikato- ren (F&E-Aufwand, F&E-Beschäftigte, Zahl der Patentanmeldungen etc.) operatio- nalsieren lassen, Wissens-Spillovers zu erfassen. Dabei wird unter anderem mittels Verfahren der räumlichen Autokorrelation auf Basis regionaler Querschnittsanalysen die Reichweite und Intensität von Wissensexternalitäten bestimmt.22

3.1 Bedeutung der räumlichen Nähe für den Wissenstransfer

Sieht man einmal von den methodischen Problemen ab, die sich mit beiden Arten der Messung von Wissens-Spillovers verbinden, so sind die auf dieser Grundlage gewonnenen Untersuchungsergebnisse sehr heterogen und können in ihrer gesam- ten Differenziertheit hier nicht dargestellt werden. Die überwiegende Zahl der Unter- suchungen bestätigt allerdings die Existenz räumlich begrenzter Wissens-Spillovers23 Unklar ist jedoch, wie weit die räumliche Ausbreitung dieser Spillover-Effekte letztlich reicht, da die meisten der vorliegenden empirischen Studien diesbezüglich keine quantifizierenden Angaben machen. Nur wenige Studien ermitteln konkrete Entfer- nungsangaben von Wissens-Spillovers.

So kommt eine Untersuchung für die USA zum Einfluss des Wissenstransfers von universitärer Forschung sowie privaten F&E-Aktivitäten auf das regionale Innovati- onsverhalten im Bereich von High-Tech-Unternehmen zum Ergebnis, dass zumin-

22 Siehe zum methodischen Vorgehen etwa Anselin, L. und A.K. Bera: Spatial Dependence in Linear Regression Models with an Introduction to Spatial Econometrics. University of Illinois, Working Pa- per No. 96-0128 (1996); Anselin, L.: Spatial Econometrics: Methods and Models, Dordrecht 1998; Fingleton, B.: Equilibrium and Economic Growth: Spatial Econometric Models and Simulations, in: Journal of Regional Science, Vol. 41 (2001), S. 117ff.; Fingelton, B.: Spatial Econometrics, Eco- nomic Geography, Dynamics and Equilibrium: A ‘Third Way’?, in: Environment and Planning, Vol. 32 (2000), S. 1481ff.; Kosfeld, R. und J. Lauridsen: Dynamic Spatial Modelling of Regional Conver- gence Processes, HWWA Discussion Papers, No. 261, Hamburg 2004. 23 Siehe stellvertretend Paci, R. und F. Pigliaru: Technological Diffusion, Spatial Spillovers, And Re- gional Convergence in Europe, University of Cagliari and CRENoS, Nota di lavoro 36.2001, Cagliari 2001; Fritsch, M. und R. Lukas: Innovation, Cooperation, and the Region, Universität Freiberg, Working Papers, Freiberg 1998; Keilbach, M.: Marshallian Externalities and the Dynamics of Ag- glomeration and Regional Growth, Technische Universität Berlin, Diskussionspapier 1998/19, Berlin 1998; Jaffe, A.B., Trajtenberg, M. und R. Henderson: Geographic Localization of Knowledge Spill- overs as Evidenced by Patent Citations, in: The Quarterly Journal of Economics, Vol. 108 (1993), S. 577ff.

144 dest für die universitär induzierten Wissens-Spillovers ein signifikant positiver Effekt in einem 50 Meilen Radius innerhalb der sogenannten Metropolitan Statistical Areas (MSA) festgestellt werden kann (ANSELIN u. A. 1997, S. 422ff.). Dies gilt allerdings nicht für die privaten F&E-Aktivitäten, bei denen sich bezogen auf beide räumliche Distanzen keine signifikanten Ergebnisse zeigten. Letzteres steht in Einklang mit der im sogenannten Sender-Empfänger-Modell gemachten Annahme, dass nicht zuletzt aus Wettbewerbsgründen (private) Unternehmen nur sehr bedingt bereit sind, neu geschaffenes Wissen offen zu legen. In einer weitgehend ähnlich angelegten Untersuchung konnte gezeigt werden, dass zusätzlich zu Wissens-Spillovers innerhalb einer jeweiligen MSA auch der Wissenstransfer aus räumlich benachbarten MSAs bis zu einem Entfernungsradius von 75 Meilen einen signifikant positiven Einfluss auf die Generierung neuen Wissens ausübt (VARGA 1998). In einer aktuellen Studie zur Auswirkung von Wissensexternalitäten auf das Innovationsverhalten in europäischen Regionen für den Zeitraum von 1977-1995 gelangen die Autoren unter Verwendung von Daten zu F&E-Ausgaben und Patentanmeldungen zu dem Ergebnis, dass entsprechende Spillovers innerhalb einer Distanz von 300 km nachgewiesen werden können und damit als lokal be- grenzt einzustufen sind (BOTTAZZI/PERI 2003, S. 687ff).24

Das Fehlen konkreter Entfernungsangaben in der überwiegenden Zahl der empiri- schen Studien zu Wissens-Spillovers liegt wesentlich darin begründet, dass deren regionale Reichweite häufig bereits durch die räumliche Abgrenzung der Untersu- chungseinheiten vorgegeben wird.25 Allerdings kann auch ohne spezifische Entfer- nungsangaben der geographisch begrenzte Charakter von Wissens-Spillovers nach-

24 Allerdings wird die Wirkung solcher interregionalen Wissens-Spillovers von den Autoren als eher gering bewertet. So soll eine Verdopplung der F&E-Ausgaben lediglich zu einer Steigerung des In- novationsverhaltens in benachbarten Regionen in der Größenordnung von 2-3% führen, während innerhalb einer Region demgegenüber mit einer Steigerung von 80-90% gerechnet werden kann. 25 Ein solches Vorgehen findet sich etwa bei Feldman, M.P.: The Geography of Innovation, Dordrecht 1994, oder Jaffe, A. B.: Real Effects of Acadamic Research, in: American Economic Review, Vol. 79 (1989), S. 984ff. In beiden Studien wird die räumliche Reichweite von Wissens-Spillovers durch das der Untersuchung zugrunde liegende Regionenraster in Form der US-Bundesstaaten vorgegeben. Ein ähnliches Vorgehen findet sich auch bei Peri, G.: Knowledge Flows, R&D Spillovers and Innova- tion, ZEW Discussion Paper 03-40, Mannheim 2003, der unter Auswertung von 1,5 Mio. Patenten sowie 4,5 Mio. Patentzitationen den Einflusses von Wissensdiffusion auf das Innovationsverhalten von Unternehmen innerhalb von 147 europäischen und nordamerikanischen Regionen im Zeitraum von 1975-1996 untersucht. Er kommt zu dem Ergebnis, dass lediglich 15% des Wissens außerhalb der Herkunftsregion und nur 9% außerhalb des Herkunftslandes angeeignet werden.

145 gewiesen werden, wie eine Studie zeigt, die Patentaktivitäten in 59 amerikanischen Großstädten untersuchte (AUDRETSCH/MAHMOOD 1994). Um die Relevanz der räumlichen Nähe für den Wissenstransfer aufzuzeigen, wurden neben den universi- tären und industriellen F&E-Ausgaben zwei weitere Indikatoren berücksichtigt, von denen der eine die Anzahl der Forschungsinstitute in der jeweiligen Stadt und der andere weitere Forschungsinstitute im entsprechenden Bundesstaat erfasste. Wäh- rend der erstgenannte Indikator einen signifikant positiven Einfluss auf die Anzahl der Patente innerhalb einer Stadt zeigte, wies der zweite Indikator keinen signifikanten Effekt auf, was die Autoren dazu veranlasste, Wissens-Spillovers als ein lokales Phänomen einzustufen.

Mit Blick auf Deutschland und unter Nutzung von Daten für 75 westdeutsche Raum- ordnungsregionen gelangten Untersuchungen für den Zeitraum von 1976-1996 zu dem Ergebnis, dass signifikante Wissens-Spillovers v.a. zwischen räumlich benach- barten Gebieten festzustellen sind (NIEBUHR 2000).26 Die geographische Halbwert- distanz technologischer Spillover-Effekte als Maßeinheit für die Entfernung, nach der sich die interregionale Wirkung dieser Effekte auf die Hälfte reduziert hat, wird dabei mit Werten von 23 km bzw. 30 km angegeben. Zusätzlich konnte nachgewiesen wer- den, dass sich innovative Aktivitäten zur Schaffung neuen Wissens vor allem auf die Agglomerationsräume konzentrieren. Folgt man den Autoren, bleiben die von Wissens-Spillovers ausgehenden positiven Impulse für das Produktivitätswachstum weitgehend auf die Regionen in der unmittelbaren Nachbarschaft von wachstums- trächtigen Agglomerationen beschränkt.27 Mit diesem Ergebnis sind auch die Unter- suchungen vom Fraunhofer Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung so- wie eine regionalökonomische Auswertung deutscher Patentstatistiken vereinbar. Zwar dienen diese Studien nicht unmittelbar der Analyse von Wissens-Spillovers, da sie auf die räumliche Konzentration von Wissen abstellen. Unter Anwendung ver-

26 Siehe auch Funke, M. und A. Niebuhr: Spatial R&D Spillovers and Economic Growth – Evidence from West , HWWA Discussion Paper Nr. 98, Hamburg 2000. 27 Zu ähnlichen Ergebnissen gelangen auch Badinger, H. und G. Tondl: Trade, Human Capital and Innovation: The Engines of European Regional Growth in the 1990s, in: Fingleton, B. (Hrsg.), Euro- pean Regional Growth, Heidelberg 2003, in einer aktuellen Untersuchung zu den Bestimmungsfak- toren des wirtschaftlichen Wachstums in 159 Regionen der EU. Danach sind neben der Ausstattung mit „physischem“ Kapital die Akkumulation von Wissen in Form von Humankapital sowie der regio- nale Wissenstransfer entscheidend für das regionale Wachstum. Dabei fällt letzteres umso höher aus, je wachstumsstärker benachbarte Regionen sind.

146 schiedener Indikatoren zur Messung der räumlichen Verteilung neu geschaffenen Wissens (F&E-Beschäftigte, Besatz an F&E-Beschäftigten, Patentanmeldungen etc.) wurden für Deutschland jedoch starke regionale Konzentrationseffekte festgestellt, was unter der Annahme einer räumlichen Bindung der Aufnahme und Verarbeitung neuen Wissens auf eine regionale Beschränkung von Wissens-Spillovers hindeutet (FRAUENHOFER-INSTITUT 2000).28

3.2 Branchenbezug und Unternehmensgröße

Aus einer stärker disaggregierten Perspektive lassen sich des weiteren Wissens- Spillovers besonders in „jungen“ Industriezweigen und in Branchen, in denen neues Wissen eine besondere Rolle spielt, sowie bei kleinen und mittleren Unternehmen empirisch nachweisen.29 Während in den beiden erstgenannten Fällen die Relevanz von Wissens-Spillovers kein besonders überraschendes Ergebnis darstellt, bedarf deren Bedeutung für kleine und mittlere Unternehmen einer gesonderten Erklärung. Die mit Wissens-Spillovers einhergehende Nutzung externen Wissens scheint hierbei gerade für diese Unternehmensgruppe wichtig, da sie als Ausgleich für – im Ver- gleich zu großen Unternehmen – fehlende eigene F&E-Kapazitäten dienen kann.

Dabei wird insbesondere der regionale Einfluss universitärer Forschungseinrichtun- gen auf das Innovationsverhalten von kleinen und mittleren Unternehmen betont. So kommt eine empirische Untersuchung von 158 Unternehmen, die in universitäre Ko- operationsprogramme eingebunden waren, zu dem Ergebnis, dass der Wissens- transfer das Innovationsverhalten kleiner Unternehmen merklich beeinflusst (LINK/REES 1990, S. 25ff).30 Zwar stieg der Anteil der Unternehmen, die an solchen Programmen teilnahmen, mit zunehmender Unternehmensgröße, die kleineren Un- ternehmen wiesen jedoch eine höhere Innovationseffizienz (Anteil der F&E-

28 auch Greif, S.: Patentatlas Deutschland, München 1998. 29 Zur empirischen Bedeutung des Branchenlebenszyklus siehe Audretsch, D.B. und C. Weigand, a.a.O., S. 129ff.; Feldman, M.P, und D.B. Audretsch, a.a.O., S. 3ff.; Glaeser, E.L., Kallal, H.D. et al., a.a.O., S: 1126ff. Zur Relevanz von Spillovers in wissensintensiv produzierenden Industriezweigen siehe Audretsch, D.B. und M.P. Feldman, a.a.O., S. 630ff. 30 Siehe zum Einfluss von Wissens-Spillovers auf die Kosten der Innovationstätigkeit auch die Unter- suchungen von Bernstein, J.I. und M.I. Nadiri (1989): Research and Development and Intra-industry Spillovers: An Empirical Application of Dynamic Duality, in: Review of Economic Studies, Vol. 56 (1989), S. 249ff.; Levin, R.C. und P.C. Reiss: Cost-reducing and Demand-creating R&D with Spillo- vers, in: Rand Journal of Economics, Vol. 19 (1988), S. 538ff.

147 Ausgaben am Umsatz) auf. Dieses Ergebnis wird damit erklärt, dass vor allem bei kleinen Unternehmen die anfallenden Kosten der Innovationstätigkeit durch die Nut- zung externen Wissens merklich gesenkt werden können. Zu einem ähnlichen Er- gebnis gelangte eine Untersuchung des Einflusses der technologischen Infrastruktur (industrielle und universitäre F&E-Tätigkeit, vor- und nachgelagerte Industriezweige, unternehmensbezogene Dienstleister) auf das unternehmerische Innovationsverhal- ten (FELDMAN 1994).31 Danach nutzten vor allem kleine Unternehmen extern ver- fügbare Ressourcen (insbesondere universitäre Forschungsergebnisse sowie Lei- stungen unternehmensbezogener Dienstleister) als zusätzliche Inputfaktoren, um Nachteile in der Ressourcenausstattung gegenüber großen Unternehmen auszuglei- chen.

Neuere empirische Befunde scheinen dieses Ergebnis zu bestätigen. So wird auch in einer aktuellen Studie zum Einfluss von regionalen Wissens-Spillovers auf den Inno- vationserfolg von Industrieunternehmen in drei deutschen Regionen (Baden, Hanno- ver, Sachsen) festgestellt, dass „große Betriebe wesentlich weniger intensiv den re- gionalen Wissenstransfer nutzen als kleine Betriebe“ (FRANKE 2002, S. 111). Auf Basis einer Befragung von mehr als 1800 Unternehmen des verarbeitenden Gewer- bes konnte dabei nachgewiesen werden, dass – neben eigenen F&E-Aufwendungen – sich regionale Wissens-Spillovers in Form intra-industrieller wie inter-industrieller Wissenstransfers signifikant positiv auf die Patenttätigkeit von kleinen und mittleren Unternehmen auswirken. Zum gleichen Ergebnis gelangt die Studie mit Blick auf die Nutzung des Wissens von öffentlichen Forschungseinrichtungen und unternehmens- nahen Dienstleistern durch Unternehmen der entsprechenden Größenklasse. Alle fünf genannten Einflussfaktoren werden daher auch als die wesentlichen Elemente eines „regionalen Innovationssystems“ bezeichnet, die den Innovationsoutput von Unternehmen einer Region maßgeblich beeinflussen (FRANKE 2002, S. 19ff.).

31 Siehe für weitere empirische Studien zum Zusammenhang von Unternehmensgröße und Wissens- Spillovers Acs, Z.J und D.B. Audretsch: Innovation in Large and Small Firms: An Empirical Analysis, in: The American Economic Review, Vol. 78 (1988), S. 678ff., oder auch Audretsch, D.B. und Z.J. Acs: Innovation and Size at the Firm Level, in: Southern Economic Journal, Vol. 57 (1991), S. 739ff., die dieses Ergebnis weitgehend bestätigen.

148

3.3 Zur Relevanz unterschiedlicher Typen von Wissens-Spillovers

Empirisch nicht eindeutig beantworten lässt sich die Frage, ob bezogen auf die un- terschiedlichen Typen von Wissens-Spillovers eher MAR- oder Jacobs-Spillovers eine größere Relevanz beizumessen ist. Für beide Typen von Spillover-Effekten fin- den sich Untersuchungen, die für sich in Anspruch nehmen, den jeweiligen Typ em- pirisch nachgewiesen zu haben.32 Es bleibt dabei allerdings in aller Regel offen, wel- cher Typ von Wissens-Spillover als dominant angesehen werden kann.

An dieser Einschätzung ändern auch solche Untersuchungen nichts, die explizit bei- de Arten von Spillover-Effekten näher analysieren. Stellvertretend sei hier auf eine Studie verwiesen, die den Einfluss des inter-industriellen ebenso wie des intra- industriellen Wissenstransfers auf die Zahl der Patentanmeldungen in den US- Bundesstaaten untersucht (KELLY/HAGEMAN 1996). So kann im Rahmen dieser Untersuchung zwar gezeigt werden, dass in 11 von 12 untersuchten Branchen der lokale Wissenstransfer einen signifikant positiven Einfluss auf die Patenttätigkeit der Unternehmen ausübt. Der intra-industrielle Wissenstransfer war dabei jedoch nur in zwei Branchen von Bedeutung. Dieses Ergebnis spricht tendenziell gegen eine be- sondere Relevanz von MAR-Spillovers, wonach der Wissenstransfer vor allem zwi- schen Unternehmen derselben Branche ablaufen müsste.

Gegen eine daraus abzuleitende Dominanz der Jacobs-Spillovers spricht allerdings eine Untersuchung, die für die USA in der Zeitperiode von 1958-1981 den Wissens- transfer zwischen den Unternehmen unterschiedlicher Industriezweige untersuchte (BERNSTEIN/NADIRI 1988, S. 429ff.). Dabei zeigte sich, dass sehr starke Unter- schiede sowohl bei der Abgabe eigenen Wissens als auch bei der Aufnahme extern generierten Wissens zwischen den einzelnen Unternehmen der verschiedenen Indu- striezweige bestanden. In der Summe gaben zwar Unternehmen aus vier der fünf

32 Siehe etwa Forni, M. und S. Paba: Knowledge Spillovers and the Growth of Local Industries, CEPR Discussion Papers No. 58, London 2001; Partridge, M.D. und D.S. Rickman: Static and Dynamic Ex- ternalities, Industry Composition, and State Labour Productivity: A Panel Study of States, in: South- ern Economic Journal, Vol. 65 (1999), S. 319ff.

149 untersuchten Industriezweige Wissen ab, umgekehrt nahmen jedoch nur Unterneh- men in zwei Industriezweigen auch externes Wissen auf.

Die geringe Eindeutigkeit der Ergebnisse legt die Interpretation nahe, dass in Abhän- gigkeit von jeweiliger Branche und einzelnen Unternehmen letztlich beide Typen von Spillover-Effekten für die wirtschaftliche Entwicklung einer Region relevant sind (PORTER 1990, S. 131ff). So dürften etwa Unternehmen, die eher inkrementelle Folgeinnovationen betreiben, stärker auf intra-industrielle Externalitäten angewiesen sein, während Unternehmen, die Basisinnovationen hervorbringen, wohl stärker von inter-industriellen Externalitäten profitieren.

3.4 Ausbreitungsgeschwindigkeit und Transferkanäle von Wissen

Wiederum eindeutige Tendenzaussagen enthalten demgegenüber jene Untersu- chungen, die auf die Frage nach der Ausbreitungsgeschwindigkeit von Wissens- Spillovers konzentriert sind.33 So wurde festgestellt, dass sich Wissen schneller in- nerhalb von Regionen verbreitet, die ohnehin schon über einen Produktivitätsvor- sprung und damit ein entsprechendes Know-how verfügen. Dies scheint die These zu bestätigen, dass die Adaption und Bildung von Wissen kumulativ erfolgt, d. h. neues Wissen oft nur dann sinnvoll genutzt werden kann, wenn zuvor notwendiges Komplementärwissen akkumuliert wurde. Hinsichtlich der Geschwindigkeit der Wis- sensdiffusion zwischen Regionen scheinen wiederum solche Regionen begünstigt zu sein, die bezogen auf die Wirtschaftsstruktur durch einen gleichen sektoralen Schwerpunkt gekennzeichnet sind. Man kann dieses Ergebnis zugleich als eine Be- stätigung für die Relevanz der im weiter oben dargestellten Sender-Empfänger- Modell formulierten Bedingungen für einen erfolgreichen Wissenstransfer interpretie- ren.

Ohne dass dies in den entsprechenden Untersuchungen angesprochen wird, könnte man dieses Ergebnis darüber hinaus auch dahingehend deuten, dass – zumindest in

33 Siehe etwa Maurseth, P.B. und B. Verspagen: Knowledge-Spillovers in Europe, Maastricht 1999; Verspagen, P. und W. Schoenmakers: The Spatial Dimension of Knowledge Spillovers in Europe, Paper presented on the AEA Conference on IP Econometrics, 2000; Mariani, M.: Networks of Inven- tors in the Chemical Industry, Urbino 2000. Eine zusammenfassende Darstellung von Untersu- chungsergebnissen bezüglich der Ausbreitungsgeschwindigkeit von Wissen findet sich bei Durth, R., a.a.O.

150 der interregionalen Dimension – MAR-Spillovers sich im Vergleich zu Jacobs- Spillovers schneller ausbreiten. Mit Blick auf die relevanten Kanäle der räumlichen Wissensverbreitung scheint neues Wissen wiederum am schnellsten innerhalb von multinational tätigen Unternehmen zu diffundieren.34 Es handelt sich dabei allerdings um einen empirischen Befund, der angesichts der unternehmensintern verfügbaren Kommunikationsinfrastruktur multinational tätiger Unternehmen kaum überraschen kann.

Neben der Sonderform des internen Wissenstransfers von regionenübergreifend täti- gen Unternehmen sind für die Wissensübertragung vor allem die Austauschbezie- hungen zwischen Unternehmen, aber auch zwischen Unternehmen und öffentlichen Forschungseinrichtungen von Bedeutung. Diese können zum einen die Form des persönlichen Kontaktes und individuellen Wissenstransfers annehmen. So kommt eine Untersuchung zu dem Ergebnis, dass ein Austausch von Wissen zwischen (technischen) Mitarbeitern verschiedener Unternehmen sich positiv auf das Innovati- onsverhalten dieser Unternehmen auswirkt (SCHRADER 1991, S. 153ff.).35 Die Be- reitschaft zum individuellen Austausch von Wissen war allerdings entscheidend von der Erwartung bestimmt, ob es sich bezogen auf Quantität wie Qualität des Wissens- transfers um eine reziprok gestaltete Interaktionsbeziehung handelt. Konnte eine sol- che Reziprozität nicht erwartet werden, wurde das vorhandene Wissen nicht preis- gegeben. Dies kann – vorsichtig interpretiert – auch als indirekte Bestätigung für die Relevanz individuellen Vertrauens und der Zuverlässigkeit sozialer Interaktionsbe- ziehungen als Voraussetzung von Wissens-Spillovers angesehen werden, wie dies im Milieu- bzw. Netzwerkansatz betont wird.

Ein direkter Nachweis der Bedeutung von sozialen Netzwerken für den Innovations- erfolg von Unternehmen findet sich demgegenüber in einer Studie, die den wir t schaf t lichen Erfolg von Industrieclustern („Industrial Districts“) im Zentrum sowie

34 Folgt man den Untersuchungen von Xu, B.: Multinational Enterprises, Technology Diffusion, And Host Country Productivity Growth, in: Journal of Development Economics, Vol. 62 (2000), S. 477ff., und Tybout, J.: Manufactoring Firms in Developing Countries: How Well Do They Do, And Why?, in: Journal of Economic Literature, Vol. 38 (2000), S. 11ff., so scheint die Wissenstransferfunktion mul- tinationaler Unternehmen jedoch auf die beschleunigte Ausbreitung von Wissen zwischen Hochein- kommens- bzw. Industrieländern beschränkt zu sein. 35 Siehe für einen Überblick zu Untersuchungen zum Wissenstransfer auf der Grundlage individueller Interaktionsbeziehungen Feldman, M.P.: The New Economics of Innovation, Spillovers and Agglo- meration: A Review of Empirical Studies, in: Economics of Innovation and New Technology, Vol. 8 (1999), S. 5ff.

151 schaftlichen Erfolg von Industrieclustern („Industrial Districts“) im Zentrum sowie im Nordosten Italiens (das sogenannte Dritte Italien) untersucht.36 Der zentrale Erklä- rungsbeitrag lokaler Unternehmensnetzwerke wurde dabei mit der auf die Vernet- zung zurückzuführenden positiven Innovationswirkung sowie einer damit ebenso verbundenen Senkung von Transaktionskosten zu begründen versucht. Die in der Folgezeit in großer Zahl durchgeführten Studien zu den italienischen Industriedistrik- ten haben dieses Ergebnis bestätigt (LAZERSON 1993, S. 203ff).37 Auch wenn in diesen Untersuchungen eine Vielzahl institutioneller wie organisatorischer Aspekte von industriellen Clustern untersucht wurde, gilt unisono die Einflußgröße „lokale und regionale Vernetzung“ als ein essentieller Erfolgsfaktor, der sämtliche betrachteten Industriedistrikte auszeichnet. Zum gleichen Ergebnis gelangten auch regionale Fall- studien zu wachstumsstarken Industrieclustern in anderen Ländern.38 Bei allen struk- turellen Unterschieden zwischen den einzelnen Regionen legen die verschiedenen Untersuchungen die Schlußfolgerung nahe, dass es sich bei Wachstumsregionen in der Regel um „Netzwerkregionen“ handelt.

Eine Variante kooperativen Wissenstransfers ist Gegenstand einer Studie, die den Einfluss der Zusammenarbeit von Biotechnologie-Unternehmen mit renommierten Wissenschaftlern auf Produktinnovationen und Beschäftigungsentwicklung dieser

36 Es sei hier verwiesen auf die als „Pionierstudie“ zu bezeichnende Untersuchung von Piore, M. und C.F. Sabel: The Second Industrial Divide: Possibilities für Prosperity, New York 1984. 37 Siehe auch Lazerson, M.: A new phoenix? – Modern putting-out in the Modena knitwear industry, in: Administrative Science Quarterly, Vol. 40 (1995), S. 34ff.; Gottardi, G.: Technology Strategies, Inno- vation Without R&D and the Creation of Knowledge Within Industrial Districts, in: Journal of Industry Studies, Vol. 3 (1996), S. 119ff. 38 Siehe mit Blick auf Silicon Valley und Boston Route 128 in den USA etwa Saxenian, A.L.: Regional Advantage, Culture and Competition in Silicon Valley and Route 128, Cambridge (MA) und London 1994. Bezogen auf Cambridge in Großbritannien siehe Garnsey, E.W. und A. Cannon-Brookes: The ‚Cambridge Phenomenon‘ Revisited: Aggregate Change Among Cambridge-High-Technology Com- panies Since 1985, in: Entrepreneurship & Regional Development, Vol. 5 (1993), S. 179ff., oder auch Maskell, P.: Learning in the Village Economy of : The Role of Institutions and Policy in Sustaining Competitivness, in: Braczyk, H.-J., Cooke, P. und M. Heidenreich (Hrsg.), Regional Inno- vation Systems: The Role of Governance in a Globalized World, London 1992, S. 190ff. Siehe auch Kristensen, P.H.: Industrial Districts in West Jutland, in: Pyke, F. und W. Sengenberger (Hrsg.), In- dustrial Districts and Local Economic Regeneration, Geneva 1992, S. 122ff., Saglio, J.: Localized Industrial Systems in France: A Particular Type of Industrial System, in: Storper, M. und A.J. Scott (Hrsg.), Pathways to Industrialization and Regional Development, London 1992, S. 230ff. sowie Ganne, B.: Industrial Development and Local Industrial Systems in Postwar France, in: Storper, M. und A.J. Scott (Hrsg.), Pathways to Industrialization and Regional Development, London 1992, S. 216ff. mit ihren Analysen von industriellen Distrikten in Dänemark und Frankreich.

152 Unternehmen untersucht (ZUCKER et al 1998, S. 65ff).39 Dabei stellte sich nicht nur heraus, dass Unternehmen mit entsprechenden Kooperationsbeziehungen – gemes- sen an den genannten Indikatoren – erfolgreicher waren als solche ohne, sondern dass das vom Wissenschaftler ins Unternehmen eingebrachte Wissen nur exklusiv von diesen genutzt wurde. Letzteres – so die Autoren – ist damit zu begründen, dass das transferierte Wissen als an die Person gebundenes Wissen (embodied knowled- ge) in die kooperierenden Unternehmen einging und damit – im Unterschied zu un- gebundenem Wissen – nicht frei für andere Unternehmen verfügbar war. Zusätzlich zur Form des personengebundenen individuellen Wissenstransfers belegen die vor- liegenden Studien auch die Bedeutung der Dekomposition und Rückwärtsentwick- lung von neuen Produkten der unmittelbaren Konkurrenten („Reverse engineering“) als Quelle der Wissensdiffusion. Dies gilt etwa für eine Studie, in der Industriebetrie- be in den USA zu den aus ihrer Sicht bedeutendsten Formen der Aufnahme externen Wissens befragt wurden (LEVIN et al. 1987, S. 783ff.). Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt eine Befragung von 358 Schweizer Unternehmen nach ihrer Strategie zur Aufnahme neuen (technologischen) Wissens (HARABI 1997, S. 627ff.).40 Neben der „Rückwärtsentwicklung“ von Produkten wurden in beiden Studien Lizenznahmen, Literaturdurchsichten sowie Gespräche mit Beschäftigten von Konkurrenzunterneh- men als weitere Strategien der Absorption von Wissen genannt. Demgegenüber gal- ten die Anwerbung von Mitarbeitern innovativer Unternehmen sowie die Analyse von Datenbanken (z. B. des Patentamtes) als nachrangig bei der Aufnahme neuen Wis- sens.

Eine Reihe von Untersuchungen bezieht sich schließlich auf die Frage nach der Be- deutung von öffentlichen Forschungseinrichtungen als Mechanismus des regionalen Wissenstransfers. So wird in einer Studie für einen Zeitraum von acht Jahren der

39 Siehe auch die Studie von Zellner, Ch.: The Economic Effects of Basis Research: Evidence for Em- bodied Knowledge Transfer via Scientists’ Migration, in: Research Policy, Vol. 32 (2003), S. 1881ff., die empirische Evidenz für die Diffusion impliziten Wissens durch die Abwanderung von Wissen- schaftlern in den Unternehmenssektor aufzeigt. Ein empirischer Nachweis für die Diffusion impliziten Wissens findet sich auch in der Untersuchung von Park, J.: International Student Flows and R&D Spillovers, in: Economic Letters, Vol. 82 (2004), S. 315ff., in der auf der Basis von Daten für 21 OECD-Staaten sowie Israel für den Zeitraum von 1971-1990 die räumliche Mobilität von Studieren- den als Quelle von Wissens-Spillovers analysiert wird. 40 Zu ähnlichen Ergebnissen gelangt auch die Studie von Napolitano, G.: Industrial Research and Sources of Innovation, in: Research Policy, Vol. 20 (1991), S. 171ff., bei der die Wissensaneignung von Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes in Italien untersucht wurde.

153 Einfluss des räumlichen Wissenstransfers auf das unternehmerische Innovationsver- halten in 29 US-Bundesstaaten untersucht (JAFFE 1989, S. 984ff.). Die Erfassung von Wissens-Spillovers erfolgte mittels eines sogenannten „Geographic Coincidence Index“, der das räumliche Zusammentreffen von universitären und industriellen F&E- Ausgaben erfassen sollte. Dabei konnte ein signifikant positiver Zusammenhang zwi- schen der universitären Forschung und dem Innovationsverhalten von Unternehmen festgestellt werden. In der Folgezeit durchgeführte empirische Studien bestätigten dieses Ergebnis für die USA.41 Dies gilt in gleicher Weise für auf Deutschland ausge- richtete Untersuchungen (EDLER/SCHMOCH 2001, S. 18ff.).42 Auch in diesen Studi- en wird ein positiver Zusammenhang zwischen der Ausstattung einer Region mit uni- versitären bzw. öffentlichen Forschungseinrichtungen und der Innovationstätigkeit von Unternehmen bzw. der regionalen Neugründung von Unternehmen in wissensin- tensiv produzierenden Branchen nachgewiesen.

4 Schlussfolgerungen für den zukünftigen Forschungsbedarf

Aus Sicht neuerer wachstumstheoretischer Ansätze stellen die Verfügbarkeit neuen Wissens (F&E-Anstrengungen, Humankapital, Grundlagenforschung) sowie die Reichweite der Wissensdiffusion entscheidende Bestimmungsgrößen eines endoge- nen Wachstums dar. Räumliche Implikationen ergeben sich dabei aus der – empi- risch fundierten – Annahme, dass die mit der Erzeugung neuen Wissens verbunde- nen und für Wachstumsprozesse zentralen positiven Externalitäten (Wissens- Spillovers) regional begrenzt sind. Dies gilt vor allem für komplexes, unstrukturiertes, häufig nur im engen persönlichen Kontakt transferierbares Wissen („tacit knowled- ge“), was zum einen dazu führt, dass Wissens-Spillovers besonders innerhalb von Agglomerationsräumen wirken. Zum anderen sorgt der kumulative Charakter der Generierung neuen Wissens dafür, dass Regionen, die einmal über Wissens- und

41 Siehe hierzu stellvertretend die Untersuchungen von Acs, Z.J., FitzRoy, F.R. und I. Smith: High Technology Employment, Wages and University R&D Spillovers: Evidence from US Cities, in: Eco- nomics of Innovation and New Technology, Vol. 8 (1999), S. 57ff. 42 Siehe auch Fritsch, M. und Ch. Schwirten: Öffentliche Forschungseinrichtungen im regionalen Inno- vationssystem: Ergebnisse einer Untersuchung in drei deutschen Regionen, in: Raumforschung und Raumordnung, Jg. 56 (1998), S. 253ff., Sternberg, R.: Innovierende Industrieunternehmen und ihre Einbindung in intraregionale versus interregionale Netzwerke, in: Raumforschung und Raumord- nung, Jg. 56 (1998), S. 288ff. oder auch Nerlinger, E.: Firm Formation in High-Tech Industries. Em- pirical Results for Germany, Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), Discussion Pa- per No. 96-07, Mannheim 1996.

154 damit Wachtumsvorsprünge verfügen, in aller Regel auch in Zukunft schneller wach- sen.

Trotz der Vielzahl vorliegender theoretischer wie empirischer Untersuchungen be- steht allerdings nach wie vor ein Forschungsbedarf u. A. bezüglich der folgenden Fragestellungen:

· Zum einen ist bislang unbeantwortet geblieben, welches der theoretischen Model- le zur räumlichen Wissensdiffusion (epidemische versus hierarchische Wissens- ausbreitung) als empirisch relevant eingestuft werden kann. Die Entfernungsan- gaben zur Reichweite von Wissens-Spillovers legen hier zwar den Schluss nahe, dass zumindest einer „ölfleckartigen“ Ausbreitung neuen Wissens räumlich enge Grenzen gesetzt sind. Inwieweit dies umgekehrt bereits als Hinweis für einen weitgehend auf wirtschaftliche Ballungsräume begrenzten interregionalen Wis- senstransfer interpretiert werden kann, muss angesichts der bislang vorliegenden Untersuchungsergebnisse offen bleiben. Hier besteht ein Bedarf für weitere empi- rische Forschung.

· Ebenfalls Bedarf für weitere Untersuchungen kann zum anderen mit Blick auf die verschiedenen Mechanismen und Quellen des räumlichen Wissenstransfers dia- gnostiziert werden. Zwar liegen diesbezüglich schon eine größere Zahl theoreti- scher wie empirischer Studien vor, die beispielsweise auf die Relevanz der Rück- wärtsentwicklung von neuen Produkten, Lizenznahmen oder auch Literaturdurch- sichten als Quellen der Wissensdiffusion verweisen. Das gleiche gilt für die Unter- suchung der Bedeutung von Kooperationsnetzwerken im Rahmen industrieller Cluster. Offen ist allerdings nach wie vor, welche Rolle die je spezifische Ausge- staltung der institutionellen Rahmenbedingungen (z. B. regional unterschiedlicher Zugang zu den Güter- und Faktormärkten, staatliche Wirtschaftsförderung und Technologiepolitik etc.) für die Entstehung von Wissens-Spillovers und regionales Wirtschaftswachstum spielen. Hier liegen bislang lediglich erste Ansätze zur Ent- wicklung eines entsprechenden Forschungsprogramms für die Analyse einzelner

155 Elemente des institutionellen Settings vor. Dies gilt in gleicher Weise für die Ablei- tung wirtschaftspolitischer Handlungsempfehlungen (DÖRING 2004, S. 118ff.).43

· Eng mit dem letztgenannten Punkt verknüpft ist schließlich auch die Frage, in- wieweit die vorhandenen theoretischen und empirischen Befunde wirtschaftspoli- tische Interventionen rechtfertigen und – soweit sich hierfür Gründe anführen las- sen – welche konkreten Gestaltungsempfehlungen sich etwa angesichts der Be- deutung von regionalen Innovationsnetzwerken und räumlich begrenzten innova- tiven Milieus einerseits sowie aufgrund von dynamischen Agglomerationseffekten und damit verbundenen regionalen Wachstums- und Einkommensdivergenzen andererseits ableiten lassen. Der immer häufiger seitens des Staates artikulierten Nachfrage nach politischen Handlungskonzepten, die Auskunft darüber geben sollen, wie die wachstumstheoretisch als bedeutsam eingestuften Wissensexter- nalitäten positiv beeinflusst werden können, steht seitens der Ökonomie nach wie vor eine große Zurückhaltung gegenüber, wie diese Erkenntnis politisch instru- mentalisiert werden könnte. Ein bloßes Vertrauen auf die (räumliche) Marktalloka- tion allein scheint hier zumindest nicht immer zu ökonomisch befriedigenden Er- gebnissen zu führen (MATSUYAMA/TAKAHASHI 1993).

Die Bearbeitung aufgeworfenen Fragestellungen dürfte mit dazu beitragen, dass der Zusammenhang von räumlichen Wissens-Spillovers und regionalem Wachstum auch weiterhin ein interessantes Feld für zukünftige ökonomische Untersuchungen dar- stellt.

43 Siehe auch Döring, T.: Räumliche Externalitäten von Wissen und ihre Konsequenzen für die Ausge- staltung des Finanzausgleichssystems, Philipps-Universität Marburg, FB Wirtschaftswissenschaften, Volkswirtschaftliche Beiträge 21-2002, Marburg 2002.

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168 Wolf-Dieter Jülich

Das Innovationskonzept zum beantragten regionalen Wachstums- kern Confirmatec

1 Einleitung...... 171

2 Startkapital: Kernkompetenzen regionaler Partner ...... 171

3 Dringender Bedarf: Qualitätssicherung bei Nahrungsergänzungsmitteln und functional food ...... 172

4 Naturprodukte mit hohem Qualitätsstandard: Einsatz im Gesundheitstourismus ...... 173

5 Perspektive durch methodische Fortschritte: Metabolomics...... 174

6 Regionale Kompetenzen zur Weiterentwicklung der Metabolomics: Technologieplattform Confirmatec ...... 174

7 Internationale Kooperation: Weiterentwicklung der Metabolomics...... 177

8 Geschäftsidee: Reduktion von Kosten und Zeit durch parallele Geräte- und Wirkstoffentwicklung ...... 177

9 Der regionale Wachstumskern: Motor für die Wirtschaftsentwicklung in M-V . 177

10 Fließender Übergang: Gesundheitspflegemittel – Arzneimittel...... 178

11 Chance: Reduzierung des Entwicklungsrisikos bei Arzneimitteln ...... 179

12 Herausforderung für den Wachstumskern: Der Wettbewerb ...... 180

13 Nutzung der Plattform: Produktvielfalt eröffnet Marktchancen...... 181

14 Verbesserung der Marktchancen: Unterstützung durch das Confirmatec- Gerätesystem...... 183

15 Potenzial: SWOT-Analyse ...... 184

16 Auswirkungen auf die Region: Erfolgsplanung ...... 186

17 Ausblick: Unternehmensgründungen...... 187

18 Fazit ...... 188

169 Abbildungsverzeichnis ...... 190

Tabellenverzeichnis ...... 190

170

1 Einleitung

Für das Technologiepotential des Landes ist die Biotechnologie-Region Greifswald- Rostock prägend, die vor allem durch die Aktivitäten der Biocon-Valley GmbH auch international bekannt wurde. Die Region verfügt über Spitzenforschung vor Ort, die die Basis für am Markt erfolgreiche Innovationen schafft. Um daraus wirtschaftlich erfolgreiche, international wettbewerbsfähige Cluster der Wirkstoffentwicklung zu bil- den, braucht die Region anerkannte leistungsstarke Wachstumskerne, die sich in ihrer Entwicklung an zukünftigen Hochtechnologiemärkten orientieren. Eine entspre- chende Förderung als regionaler Wachstumskern wurde deshalb beim BMBF bean- tragt. An dieser Stelle sollen die Grundgedanken des Innovationskonzeptes des Wachstumskerns zur Diskussion gestellt werden.

2 Startkapital: Kernkompetenzen regionaler Partner

Die regionalen Firmen und Institute bringen gemeinsam folgende Kernkompetenzen in den Wachstumskern ein.

· Das Biotechnologie-Potenzial der BioRegion Greifswald-Rostock

· Plasmatechnologische Kompetenz eines Leibnitz-Instituts

· Kombinatorische Biotransformation

· Mustererkennung auf Basis neuronaler Netze.

Die Attraktivität des Lösungsansatzes besteht darin, Fortschritte in der Biotechnolo- gie und neue technologische Lösungen, die durch die Verbundpartner bereits er- reicht wurden, in einer Technologie-Plattform zu bündeln. Durch Nutzung dieser Technologie-Plattform ist es den Produktentwicklern möglich, zu Produkten mit ver- besserter Qualität bzw. zu völlig neuen biotechnologisch herstellbaren Produkten zu kommen.

171

3 Dringender Bedarf: Qualitätssicherung bei Nahrungsergän- zungsmitteln und functional food

Die richtige Balance zwischen antioxidativen Vitaminen, Coenzymen, Mineralstoffen und sekundären Pflanzenstoffen im Rahmen einer abwechslungsreichen Ernährung ist für die Prävention vieler Volkskrankheiten von großer Bedeutung.

Biologische Rohstoffe sind eine primäre Wertschöpfungsquelle. Nahrungser- gänzungsmittel (NEM) und functional food dienen der Protektion und Prävention der Gesundheit. In der Regel wurden sie auf Grund langer Erfahrungen in der Volksme- dizin zusammengestellt. Da eine experimentelle Objektivierung der Wirkung schwie- rig ist, ist es selbst für den Fachmann schwierig, sinnvolle Produkte von unsinnigen oder gar gesundheitlich bedenklichen zu unterscheiden.

· Zum Beispiel lässt der Reinheitsgrad häufig eingesetzter mineralischer Kompo- nenten z. T. erheblich zu wünschen übrig.

· Beim Einsatz von in der traditionellen asiatischen Medizin schon lange genutzten Heilpilze existieren bis jetzt keine Vorschriften, Monographien o. Ä., die Grundla- ge für die Sicherung der pharmazeutischen Qualität sein könnten.

· Durch den Landesforschungsschwerpunkt „Neue Wirkstoffe - Screeningverfahren und Produkt-Entwicklung“ ist es auch in MV möglich, Wirkstoffe aus dem Meer für diesen Bereich zur Verfügung zu stellen. Auch hier sind besondere Anforderun- gen hinsichtlich Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit zu erfüllen.

In Rahmen des Konzeptes des Wachstumskerns werden zur Lösung dieses Pro- blems folgende Beiträge geleistet.

· Suche nach neuen Naturstoffen, die als Nahrungsergänzungsmittel geeignet sind, z. B. nach Wirkstoffen aus dem Meer oder auf Grund von ethnomedizinischen Er- fahrungen.

· Ergänzung der Nahrung mit natürlichen Heilfaktoren, die in einem zellulären Sy- stem auf ihre Wirksamkeit getestet werden

172 · „Gläserne Produktion“ von als NEM geeigneten Heilpilzen an touristisch attrakti- ven Standorten

Forschungsziel ist die innovative Nutzung der zellularen und molekularen Eigen- schaften von Organismen, insbesondere von funktionellen Biomolekülen sowie die Verfeinerung der dazu notwendigen Verfahren im Sinne einer nachhaltigen Nutzung der metabolischen und genetischen Vielfalt als Quelle für neue wertvolle Produkte. Gegebenenfalls können durch Nutzung der Kristallstruktur und der Mikromorphologie ausgewählter hochreiner Mineralstoffe weitere synergistische Effekte erzielt werden.

Wesentliches Anliegen des Wachstumskerns ist die Qualitätssicherung komplexer Naturstoffe als Voraussetzung für Premium-Produkte. Das im Entwicklungsverbund entwickelte Know-how bei der Auswahl und Aufbereitung solcher NEM lässt erwar- ten, dass die in MV zu entwickelnden Produkte bzgl. Wirksamkeit, Reinheit, und Bio- verfügbarkeit deutlich bisher am Markt gängigen Produkten überlegen sind.

4 Naturprodukte mit hohem Qualitätsstandard: Einsatz im Ge- sundheitstourismus

Die Biotechnologie führt zu neuen Produkten, die im Gesundheitstourismus einge- setzt werden können. Der Gesundheitstourismus ist eine wichtige saisonverlängern- de Maßnahme. Ergänzend zu den touristischen Highlights tragen auch Markenpro- dukte mit hohem Qualitätsstandard, die exklusiv in den führenden Zentren angeboten werden, zur Attraktivität des Landes bei. Die Qualitätssicherung für Naturstoffe, die der Förderung und Festigung der Naturstoffe, ist auch deshalb eine ideale Ergän- zung für eine durch Tourismus geprägte Infrastruktur. Der Nachweis einer stimulie- renden Wirkung auf Zellen oder der Nachweis bestimmter Effekte bei der Prüfung im Labor sagt allein noch nichts über die mögliche Stärkung der Gesundheit durch das Nahrungsergänzungsmittel aus. Es ist deshalb von großem Vorteil, dass innerhalb des regionalen Wachstumskerns die vitalisierende Wirkung bei einer Anwendung im Rahmen ärztlich überwachter Kuren kontrolliert werden kann.

173

5 Perspektive durch methodische Fortschritte: Metabolomics

Die enormen Fortschritte in der Biotechnologie haben völlig neue Perspektiven für den industriellen Einsatz nachhaltiger biotechnologischer Produktionsverfahren er- öffnet. Insbesondere die Ergebnisse der Proteom- und Metabolomforschung sowie ein besseres Verständnis des zellulären Metabolismus erlauben es, Stoffwechselwe- ge so zu modellieren, dass Produkte mit standardisierter Qualität hergestellt werden können. Da zunehmend neue Produkte auf den Markt kommen werden, deren Her- stellung erst durch die moderne Biotechnologie möglich ist, wird sich die Verfügbar- keit biotechnologischen Wissens in absehbarer Zukunft zu einer Schlüsselkompetenz für regionale Unternehmen im nationalen und internationalen Wettbewerb entwickeln. Dabei wird insbesondere die Weiterentwicklung der Metabolom-Analyse eine bedeu- tende Rolle spielen. Bei Einwirkung eines Wirkstoffes ändert sich der Zellstoffwech- sel. Eine genaue Analyse dieser Veränderungen (Metabolomics) lässt Chancen und Risiken einer Produktentwicklung früher erkennen. Um allen Interessenten des Wachstumkerns den Zugang zu den Metabolomics zu verschaffen, ist der Aufbau einer zentralen Technologieplattform notwendig.

6 Regionale Kompetenzen zur Weiterentwicklung der Metabo- lomics: Technologieplattform Confirmatec

Um die Metabolom-Analyse kostengünstig durchführen zu können, sind eine Reihe von Innovationen notwendig, die auf dem Know how der regionalen Partner aufbau- en und in dem beantragten Wachstumskern zu einer Technologieplattform Confirma- tec zusammengeführt werden (Abb. 1).

174

Abbildung 1: Zusammenarbeit im Wachstumskern bei der Weiterentwicklung und Nutzung der Metabolomics

Steuerung durch biosensor

Nicht invasive Automatisierung Messung cells on durch Mikrofluidik chip

Meta bolomics

Stoffwechselsimu- Plasmagestützte lation durch Erzeugung freier Expertensysteme Radikale

Quelle: eigene Darstellung

Alleinstellungsmerkmale

· Nicht invasive Analyse zellulärer Systeme einschließlich der Auswertung durch Expertensysteme

· Frühzeitige Berücksichtigung des Einflusses freier Radikale und deren plasmage- stützte Erzeugung

· Die dafür erforderliche Kombination hocheffektiver Gerätesysteme mittels Mikro- fluidik

An technischen Innovationen und der darauf aufbauenden Technologieplattform sind folgende regionale Partner beteiligt, die unterschiedliche Kompetenzen in die Platt- form einbringen

Technologieorientierte Unternehmen:

1. Bionas GmbH, Rostock / Kernkompetenz: Cells-on-chip-Technologie

2. KNN Systemtechnik GmbH, Neubrandenburg / Kernkompetenz: Umsetzung und Vertrieb plasmatechnologischer Lösungen

175 3. Silican Technologies GmbH, Rostock / Kernkompetenz: Neuronale Netzwerk Technologie, Musterkennung

4. Kooperierender Partner: Institut für Zell- und Organsimulation GmbH, Rostock / Kernkompetenz: Expertensysteme für die Auswertung von Stoffwechseldaten

Außeruniversitäre Forschungsinstitute:

1. Forschungszentrum Sensorik Greifswald e.V., Greifswald / Kernkompetenz: Bio- sensoren zur Stoffwechselüberwachung

2. Institut f. Niedertemperatur-Plasmaphysik e.V., Greifswald / Kernkompetenz: An- wendung von Niedertemperaturplasmen in der Biotechnologie

3. Institut für Marine Biotechnologie e.V. Greifswald (IMaB) / Kernkompetenz: Nut- zung mariner Organismen als Lieferanten für innovative Wirkstoffe, Umwandlung der Biomassen in Nanopartikel

Universitäre Arbeitsgruppen:

Universität Rostock

1. Institut für Gerätesystem- und Schaltungstechnik, Rostock, (Prof. Dr. Pagel) / Kernkompetenz: Mikrofluidsysteme in PCB-Technologie

Math.-nat. und Medizinische Fakultät, Universität Greifswald

2. Institut für Mikrobiologie (Prof. Dr. F. Schauer) / Kernkompetenz: Kombinatorische Biotransformation

3. Lehrstuhl für Pharmazeutische Biologie (Prof. Dr. U. Lindequist) / Kernkompetenz: Entwicklung neuer Wirkstoffe aus neuen Habitaten oder auf ethnomedizinischer Grundlage

4. Institut der Chemie und Biochemie(Prof. Dr. P. Langer) / Kernkompetenz: Struk- turaufklärung

5. Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin (Prof. Dr. Lehmann) / Kernkompetenz: Intravitalmikroskopie

176 7 Internationale Kooperation: Weiterentwicklung der Metabolo- mics

Die regionale Entwicklung kann nicht abgekoppelt von der internationalen Entwick- lung erfolgen. Der technologische Weltstand auf dem Gebiet „Metabolomics“ wird durch zwei Firmen bestimmt, die mit ihren Gerätesystemen die Entwicklung auf die- sem Gebiet beherrschen.

· Bruker Biospin GmbH, Karlsruhe / Kernkompetenz: NMR-Anwendungen

· Applied Biosystems, Darmstadt: / Kernkompetenz: Massenspektrometrie

Es werden innerhalb des Wachstumskerns gemeinsame Projekte mit diesen Firmen bearbeitet.

8 Geschäftsidee: Reduktion von Kosten und Zeit durch parallele Geräte- und Wirkstoffentwicklung

Defizite bestehen in der Weiterentwicklung von einer auf dem technologischen Fort- schritt basierenden Produktidee bis zu einem marktfähigen Produkt. Im bundeswei- ten Durchschnitt vergehen im Durchschnitt mehr als 10 Jahre bis zur Umsetzung ei- nes Verfahrens in die Praxis. Das Ziel, den Zeitfaktor und damit die Kosten erheblich zu reduzieren, soll dadurch erreicht werden, dass die notwendigen Aufgaben bei der Geräte- und Produktentwicklung nicht sequenziell, sondern vielmehr parallel und in- teraktiv bearbeitet werden. Fortschritte der Geräteentwicklung (technology push) werden zeitnah genutzt, um Kundenbedürfnisse bei Produktentwicklungen zu befrie- digen (market pull).

9 Der regionale Wachstumskern: Motor für die Wirtschaftsent- wicklung in M-V

Im Wachstumskern arbeiten Forschungseinrichtungen und Industrieunternehmen eng zusammen. Das Spezifikum ist die Zusammenarbeit der Technologie- und der produktorientierten Unternehmen und Einrichtungen.

177

Abbildung 2: Das Standortsystem

x x x

Mögliche Ausgründungen Produktentwickelnde Unternehmen x Außeruniversitäte Forschungsgruppen Technologie orientierte Unternehmen Universitäre Arbeitsgruppen

Quelle: eigene Darstellung

Auf Grund des hohen Synergiepotenzials sind bereits jetzt Ausgründungen abseh- bar.

10 Fließender Übergang: Gesundheitspflegemittel – Arzneimittel

Wenn im Zuge der Metabolom-Analyse eines Naturproduktes eine spezifische Wir- kung erkannt wird, kann auf dieser Grundlage ein Arzneimittel entwickelt bzw. wei- terentwickelt werden. Das ist sowohl auf der Basis komplexer Naturstoffe (im Wach- stumskern: Immunstimulantien und Vaccinen) als auch definierter Wirkstoffe (im Wachstumskern: Antibiotika) möglich.

Im Wachstumskern sind deshalb sowohl Hersteller von Medizinprodukten als auch von Arzneimitteln vertreten.

1. Riemser Arzneimittel AG, Greifswald / Kernkompetenz: Produktentwicklung von der Hit-Findung bis zum Markt

2. IPSS GmbH, Biomedical Campus Berlin / Kernkompetenz: International koordi- nierte Produktentwicklung bis zur Zulassung als Arzneimittel

178 3. Ganomycin GmbH, Greifswald / Kernkompetenz: Entwicklung einer Leitstruktur mittels Biotransformation

4. Durtec GmbH, Neubrandenburg / Kernkompetenz: Entwicklung mineralischer Funktionsträger

5. GAMU GmbH, Krefeld / Kernkompetenz: Nutzung und Vermarktung von Heilpil- zen, in Planung Ausgründung zur „Gläsernen Produktion“ im Landhotel & Ge- sundheitsforum Schloss Daskow.

11 Chance: Reduzierung des Entwicklungsrisikos bei Arzneimit- teln

Aufgrund der geringen Trefferquote (derzeit weniger als 3%) bei der konventionellen seriellen Arzneimittelentwicklung entstehen hohe Kosten. Es besteht daher ein Be- darf an einem Verfahren, durch das bereits in der Frühphase der Arzneimittelentwick- lung eine Prognose erstellt und eine Vorauswahl aus mehreren Wirkstoffkandidaten getroffen werden kann.

Abbildung 3: Möglichkeiten des Wachstumskerns zur Reduzierung des Ent- wicklungsrisikos

Kombinatorische Biotransformation

Erfassung bisher nicht beachteter Nebenwirkungen Frühzeitige Selektion

Derivatisierung

Metabolomics einer Leitstruktur

Stoffwechselsimu- Plasmagestützte lation durch Erzeugung freier Expertensysteme Radikale

Quelle: eigene Darstellung

Die Erfassung von Wirkungen auf den Zellstoffwechsel (Metabolomics), die frühzeiti- ge Erfassung von seltenen und bisher nicht beachteten Nebenwirkungen sowie zu- sätzlich angebotene Derivatisierungsmöglichkeiten senken die Risiken einer Arznei-

179 mittelentwicklung (Abb. 3). Der Einfluss freier Radikaler ist für viele Stoffwechselvor- gänge von Bedeutung. Bei zahlreichen Krankheitsbildern ist die Konzentration freier Radikale in der Zelle erhöht. Bisher kann der Einfluss freier Radikale nur unter La- borbedingungen untersucht werden. Die plasmagestützte steuerbare Erzeugung frei- er Radikaler und Fortschritte der Metabolomics ermöglichen die Untersuchung eines Wirkstoffes auf den Zellstoffwechsel unter dem gesteuerten Einfluss freier Radikaler. Damit können Risiken, die möglicherweise zu einem Abbruch in einer späten Phase der klinischen Prüfung führen, bereits in einer frühen Phase erfasst werden.

Eine spezielle in der Technologieplattform vorgesehene Prozessinnovation soll in der Lead Candidate-Evaluation potenzieller Arzneimittel eingesetzt werden, um die Aus- fallquote bei der präklinischen und insbesondere bei der klinischen Prüfung zu ver- mindern.

Mit einem in Greifswald entwickelten speziellen Verfahren der Biotransformation wird eine Vielzahl neuer, auf chemischem Wege schwer zugänglicher, patentfähiger, bio- aktiver Verbindungen auf schonende Art und Weise herstellbar.

Die breite Anwendbarkeit dieser biologischen Derivatisierung erlaubt ein Konzept, bei dem nach Abschluss der chemischen Derivatisierung eine weitere parallele Entwick- lung möglich wird. Die biologische Derivatisierung eines Hits, einer neuen oder einer bewährten Leitstruktur ist deutlich kostengünstiger als die Suche nach neuen Leit- strukturen.

Diese zusätzlichen Derivatisierungsmöglichkeiten können im Zusammenwirken mit der frühzeitigen Selektion der aussichtsreichsten Verbindungen durch Labor- Simulation seltener Ereignisse und Berücksichtigung bisher nicht beachteter Neben- wirkungen das Entwicklungsrisiko deutlich verringern.

12 Herausforderung für den Wachstumskern: Der Wettbewerb

Der Bedarf an neuen Naturstoffen für die verschiedensten Anwendungsgebiete ist hoch. Er wird zunehmend durch biotechnologische Verfahren gedeckt. Auf allen Ge- bieten der Biotechnologie ist daher mit einem starken Wettbewerb zu rechnen. Die Wirkstoffforschung läuft auf Hochtouren, um die komplexen Mechanismen der Zelle mit unseren modernen Methoden immer besser verstehen und gezielt eingreifen zu

180 können. Die Anforderungen an Wirkstoffe ändern sich schnell. Zunehmend werden auch die Lebenszyklen der Fertigprodukte kürzer. Das Marketing und die Produkt- entwicklungen müssen Trends und neueste Wirkstoffkonzepte in immer kürzeren Intervallen untersuchen, definieren und in Rekordzeit umsetzen. Im Kampf um Pro- duktvorteile und Marktanteile kommt einer Qualitätssicherung große Bedeutung zu. Mit dem Wachstumskern wird eine Vielzahl von Innovationen verwirklicht, die in dem Ziel der Qualitätssicherung und der frühzeitigen Erkennung von Risiken zusammen- wirken.

Um sich von den Wettbewerbern abzugrenzen, wird im Bündnis eine enge Verflech- tung verschiedener Technologien verwirklicht. Diese Verflechtung der Technologien ermöglicht die Charakterisierung von Stoffwechselzuständen, so dass diese für die Bewertung verschiedener Produkte und Wirkstoffe und zum frühen Ausschluss toxi- kologischer Risiken herangezogen werden können. Diese spezielle Vernetzung von biotechnologischem Know-how und verschiedener Hochtechnologien ist weltweit einmalig und verschafft als wichtiges Alleinstellungsmerkmal Vorteile gegenüber den Wettbewerbern. Bei der Entwicklung neuer Produkte verfügen wir über kleine, dyna- mische und hochinnovative betriebliche Einheiten, deren Effizienz entscheidende Kostenvorteile verschafft.

13 Nutzung der Plattform: Produktvielfalt eröffnet Marktchancen

Im Wachstumskern wird eine gemeinsame Technologieplattform genutzt, um eine Vielzahl von Produkten zu entwickeln.

181 Tabelle 1: Nutzungsmöglichkeiten der gemeinsamen Technologieplattform „Confirmatec“

Produkt Nutzung Nutzer

Markenprodukt mit naturwis- Nahrungsergänzungsmittel/ functional food senschaftlich gesichertem und Medizinprodukt der Klasse 2a durch Dur- Qualitätsstandard tec, GAMU Biotechnologisch hergestell- Geplante Ausgründung aus der GAMU in M-V te Qualitätsprodukte aus Heilpilzen Komplexe Naturstoffe Gesundheitspflegemittel Ärztlich kontrollierte Anwendung Naturheilpra- xen zur Qualifizierung des Gesundheitstouris- mus in M-V Spezialprodukte für die Kos- IMaB in Kooperation mit mittelständischem metik Firmenkonsortium Arzneimittel Riemser Arzneimittel AG Kandidaten für eine neue Ersatz von Antibiotika, gegen die sich eine Klasse von Antibiotika breite Resistenz entwickelt hat Derivatisierung bewährter a) Entwicklung bis zur L2C-Phase durch Ga- Definierte Leitstrukturen Antibiotika nomycin GmbH; b) Weiterentwicklung bis zur Stufe 2 der klin. Prüfung in Kooperation mit der Riemser Arzneimittel AG bei Finanzierung durch VC-Kapital; c) Auslizenzierung an Phar- ma-Unternehmen Umweltfreundliches/kosten- Ganomycin GmbH günstiges Herstellungsver- Kombinatorische Bio- fahren für verschiedene transformation Wirkstoffe Lernendes System für die Silican Technologies Wirkstoffderivatisierung Geräte zur nicht invasi- Verkauf des Gesamtsystems Herstellung der Geräte durch Bionas, KNN ven Untersuchung des oder seiner Teilkomponen- Systemtechnik, FSG in M.-V., der Softwarelö- Zell-Stoffwechsels und ten sungen durch Ifcos und Silcan Technologies periphere Systeme zur Weltweiter Vertrieb durch die Bruker Biospin Unterstützung der Me- GmbH als Peripherie zur LC-MS-NMR- tabolom-Analyse Verbundtechnologie a) Hochspezialisiertes Dienst- leistungsangebot; b) für die Qualitätssicherung von Pro- dukten; c) für die Erfassung früher Risiken bei der Arz- Technologieplattform neimittelentwicklung (early Betreiber der Plattform Confirmatec toxicity); d) Erfassung bisher nicht beachteter Nebenwir- kungen (Mikrozirkulation); e) Derivatisierungen mittels kombinatorischer Biotrans- formation

182

14 Verbesserung der Marktchancen: Unterstützung durch das Confirmatec-Gerätesystem

Durch die Confirmatec-Plattform versprechen sich die Produkthersteller, ihren Markt- anteil deutlich zu erhöhen (Tab. 2). Die dabei verfolgten Strategien sind im Folgen- den aufgeführt.

Tabelle 2: Marktchancen der mit Hilfe der Confirmatec-Plattform optimier- ten Produkte

Produkt Marktpoten- Derzeitiger Marketing/ Beitrag des Angestrebter zial Mio. € Marktanteil Herstellungs- Confirmatec- Marktanteil Maßnahme Gerätesystem

NEM/ FUNCTIONAL 5 20% Marken-Qualität 50% FOOD auf Heilpilzbasis

Ausgründung zur Mykothera- biotechnologi- 20 - chemische und 10% peutika schen Gewin- biologische Cha- nung rakterisierung Marken-Qualität der Inhaltsstoffe NEM/ Gemeinsame FUNCTIONAL 100 5 – 10% Vertriebsorgani- 30% FOOD auf sation mit füh- Mineralbasis renden Herstel- gezielte Indikati- lern onsempfehlung Markenquali- Rezeptur- Mineralien zur Präparat in tät/Entwicklung Blutstillung 500 der Entwick- einer weltweit 50% (Präparat „f- lung neuen Produkt- speed“) gruppe Optimierung Optimierung Qualitätssiche- Immunstimu- eines auf dem rung 469 lans Markt befindli- chen Produktes

Präparat zur Herstellung/ Ver- Rezepturopti- 100% (Patent- Markt- Verhütung trieb über mittelst. mierung schutz) 20 einführung nosokomialer Firma, evtl. Aus- 2005 Infektionen gründung

Verringerung 100% (Patent- Antimykoti- 200 - Weltneuheit des Entwick- schutz) sche Vakzinen lungsrisikos

183 15 Potenzial: SWOT-Analyse

Stärken

· Biotechnologie wird vom Land und vom Bund seit Jahren als strukturbestimmen- der Wirtschaftsfaktor ausgebaut. Im Ergebnis ist mit der Biotechnologie Region Greifswald-Rostock eine leistungsfähige biotechnologische Forschungs- und Fir- menlandschaft entstanden.

· Biotechnologie erfordert eine ausgeprägte interdisziplinäre Zusammenarbeit, die durch die Zusammenarbeit im Landesforschungsschwerpunkt M-V gewachsen ist und auf die der Wachstumskern aufbauen kann.

· Einbindung in die internationale Entwicklung über die BioCon Valley GmbH, z.B. in das Scan-Balt-Programm.

· Ein wachstumsstarkes mittelständisches Pharmaunternehmen, die Riemser Arz- neimittel AG, ist am Wachstumskern beteiligt, entwickelt selbst eigene Produkte mit Hilfe der Confirmatec-Plattform und stellt sein voll ausgebautes Vertriebsnetz auf vertraglicher Grundlage den start-up-Firmen für ihre Produkte zur Verfügung. Als Konsistorialführer des Wachstumskerns strebt die Riemser Arzneimittel AG die Marktführerschaft bei Dermatika an.

Schwächen:

· Lage im strukturschwachen Wirtschaftsgebiet

· immer noch unbefriedigende Verkehrsanbindung

Risiken:

· Technische Risiken

o Bei der Confirmatec-Plattform ist die Zusammenführung mehrerer Geräte zu ei- nem automatisierbaren System vorgesehen. Die prinzipielle Eignung der Mikro- fluid-Technik für diese Aufgabe wurde nachgewiesen. Die vorgesehene Verbin- dung der Geräte zu einem automatisierbaren System kann sich dennoch als schwieriger erweisen als erwartet.

184 o Die plasmagestützte Erzeugung freier Radikaler und deren Einsatz bei der Un- tersuchung des Zellstoffwechsels führt nicht zu dem erhofften Informationsge- winn.

o Die Derivatisierungen mittels kombinatorischer Biotransformation führen nicht zu den erhofften Zielprodukten

o Musterkennungsprogramme auf der Basis neuronaler Netze sind für die Vor- hersage nicht geeignet.

· Biologische Risiken

o Beeinflussungen des Zellstoffwechsels durch die innovativen Produkte lassen sich nicht standardisieren bzw. durch Expertensysteme auswerten.

o Eine Qualitätsverbesserung durch die neuentwickelten Produkte lässt sich nicht nachweisen.

o Ein Wirkstoff scheitert bei der präklinischen/klinischen Prüfung.

· Wirtschaftliche Risiken

o Das Marktpotenzial kann nicht im erhofften Umfang erschlossen werden.

o Die Finanzierung für notwendige Weiterentwicklungen kann nicht im notwendi- gen Umfang gesichert werden.

Chancen:

· Das gesamte Spektrum der Entwicklung von der Wirkstoffsuche bis zur klinischen Prüfung potentieller Arzneimittel kann in M-V bearbeitet werden. Durch die Riem- ser Arzneimittel AG wurden dafür erfolgreich die Voraussetzungen geschaffen. Wertschöpfungsketten können so im eigenen Land fortgesetzt werden. Werden diese Möglichkeiten bei Verwirklichung des Wachstumskerns genutzt, kann das Land von der exponentiellen Wertentwicklung profitieren.

· Aufbau von Wertschöpfungsketten von der Grundlagenforschung, insbesondere den universitären Spitzenforschungsprojekten Celica und Funktionelle Genomik, bis zu marktreifen Produkten im regionalen Verbund.

185 · Nutzung einer gemeinsamen Technologie-Plattform für landeseigene Produktent- wicklungen.

· Stärkung des Gesundheitstourismus durch Verbindung von Jahrhunderte alten Erfahrungen bei der Anwendung von Naturstoffen und der Qualitätssicherung mit modernsten naturwissenschaftlichen Methoden.

Abbildung 4: Wertentwicklung eines neuen Wirkstoffes

200 Riemser 180 Arzneimittel AG 160 )

€ Infrastruktur 140

120 dringend benötigte 100 Struktur Landes- in Planung 80 Inst. f. Marine forschungs Biotechnologie schwerpunkt Ganomycin GmbH 60 potentieller Wert (Mill.

40

20

0

klinik hrung ä Stufe 1 Stufe 2 Stufe 3 ü Sreening Pr here Wahl ä Zulassung N Optimierung Derivatisierung Markteinf Hit im Tierversuch

Quelle: eigene Darstellung

16 Auswirkungen auf die Region: Erfolgsplanung

Folgende Auswirkungen auf die Region sind zu erwarten:

· Stärkung des biotechnologischen Potentials durch Clusterbildung pharmazeuti- scher und Medizinprodukte herstellender Betriebe.

· Ausbau der BioRegion Greifswald-Rostock zu einem international beachteten Bio- technologie-Standort.

186 · Internationale Ausrichtung (Medicon Valley, ScanBalt-Programm)

· Kooperation mit international führenden Firmen stärkt das Technologiepotenzial des Landes und führt zu einem Know how Zuwachs.

· Erweiterung der in M-V hergestellten Produktpalette für hochwertigen Gesund- heitstourismus.

· Qualitätssicherung im Gesundheitstourismus stimuliert einen für M-V entschei- denden Wirtschaftszweig

· Technologische Spitzenleistungen, die den Weltstand bestimmen, werden als Mo- tor für die Wirtschaftsentwicklung genutzt.

· Schaffung von Arbeitsplätzen: Es wird mit 60 – 90 zusätzlich geschaffenen Ar- beitsplätzen gerechnet.

17 Ausblick: Unternehmensgründungen

Bereits zum jetzigen Zeitpunkt sind drei Ausgründungen vorgesehen, davon zwei in M-V und eine in Niedersachsen als mittelständisches Firmenkonsortium, das die im Wachstumskern entwickelten Produkte vermarktet.

· Bestehendes Defizit: Eine wesentliche Ursache für die Strukturschwäche in M-V liegt in der geringen Ausbildung einer dynamischen Unternehmerschicht. Die Selbständigenquote ist signifikant geringer als im Bundesdurchschnitt. Zu den 15- 20.000 jungen qualifizierten Kräften, die jährlich das Bundesland verlassen, gehö- ren auch viele Hochschulabsolventen. Hochqualifiziertes und spezialisiertes Hu- mankapital, das für hochwertige Unternehmensgründungen dringend benötigt wird, geht so dem Land verloren.

· Gründungsqualifizierende Lehre zum Abbau dieses Defizits

o In Absprache mit dem international führenden Gründungspädagogen Prof. Braukmann (Wuppertal) wird ein modernes Ausbildungskonzept für die Bedin- gungen im Wachstumskern modifiziert und auf folgende Zielgruppen ange- wandt:

187 o Für alle Diplomanden und Doktoranden, die im Wachstumskern mitarbeiten, wird eine optionsorientierte Ausbildung angeboten, die die Erkennung ökonomi- scher Chancen weckt und die Motivation für eine Ausbildung fördert (Ziel: Gründungssensibilisierung).

o Für bedingt- und manifest entschiedene Ausgründungswillige wird eine auf die persönlichen Ziele zugeschnittene Ausbildung Entrepreneurship angeboten, bei der u.a. verschiedene Geschäftsmodelle vergleichend bewertet werden (Ziel: Erreichung der Gründungsmündigkeit).

o Erfahrungsgemäß entscheiden sich viele potentielle Gründer erst nach einigen Jahren Praxiserfahrung für eine Ausgründung. Deshalb wird für manifest Ent- schiedene sowie für Alumni eine Weiterbildung angeboten, die u. A. aufzeigen soll, wie die günstigen Rahmenbedingungen in einem Wachstumskern für eine Unternehmensgründung genutzt werden können (Ziel: Erreichung der Grün- dungskompetenz).

Vorteil

o Während der Qualifizierungsarbeiten entsteht hochwertiges auf den Wach- stumskern bezogenes Wissen, das nur im Lande gehalten werden kann, wenn die bestehenden Betriebe aufgrund erfolgreicher Produktentwicklungen in die Lage versetzt werden, zusätzliche Arbeitskräfte einzustellen und/oder die Be- reitschaft zu eventuellen Ausgründungen geweckt und systematisch gefördert wird. Mit dem Angebot, die Ausbildung auch für Alumni in Form von speziellen Weiterbildungskursen fortzuführen, können im Erfolgsfall auch neue Ideen im Wachstumskern integriert werden.

18 Fazit

Die Region verfügt über Spitzenforschung vor Ort, die die Basis für am Markt erfolg- reiche Innovationen schafft. Ergebnisse der Spitzentechnologie können effektiv zur Stärkung der Wirtschaftskraft und zur Schaffung von Arbeitskräften eingesetzt wer- den, wenn sich ein Cluster pharmazeutischer Betriebe entwickelt, der als Wach- stumskern in der Lage ist, Forschungsergebnisse möglichst frühzeitig in neue markt-

188 fähige Produkte umzusetzen. Die Region braucht anerkannte leistungsstarke Wach- stumskerne, um die bestehende Strukturschwäche zu überwinden.

Glossar:

Proteom: Gesamtheit aller Proteine, die unter bestimmten Bedingungen gebildet werden

Metabolom: Gesamtheit aller Stoffwechselprodukte

Begriffe aus der Wertschöpfungskette eines Arzneimittels:

– Leitstruktur: Biologisch-aktive Struktur mit der Potenz zum Arzneimittel

– Derivatisierung: Die Leitstruktur wird chemisch variiert, um die Wirkung und/oder Verträglichkeit zu verbessern

– kombinatorische Biotransformation: Neuentwickeltes Verfahren, um auf biologi- schem Wege weitere Derivate eines potentiellen Wirkstoffes herzustellen.

– Hit-Finding: Ziel ist es, aus einer Vielzahl von Derivaten eine Substanz auswählen zu können, die am besten einen Krankheitsverlauf positiv beeinflusst.

– functional food: Nahrungsergänzung, die bestimmte Körperfunktionen fördert, den Gesundheitszustand stabilisiert und Erkrankungen vorbeugt.

189 Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Zusammenarbeit im Wachstumskern bei der Weiterentwicklung und Nutzung der Metabolomics ...... 175

Abbildung 2: Das Standortsystem...... 178

Abbildung 3: Möglichkeiten des Wachstumskerns zur Reduzierung des Entwicklungsrisikos...... 179

Abbildung 4: Wertentwicklung eines neuen Wirkstoffes ...... 186

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Nutzungsmöglichkeiten der gemeinsamen Technologieplattform „Confirmatec“...... 182

Tabelle 2: Marktchancen der mit Hilfe der Confirmatec-Plattform optimierten Produkte ...... 183

190 Friedhelm Eicker und Claudia Kalisch

MANO – Ein nordostdeutsches Netzwerk zur Förderung der Aus- und Weiterbildung in der Mikrosystemtechnik

INHALT

1 Mikrosystemtechnik – eine kurze Einführung...... 193

2 Mikrosystemtechnik in Mecklenburg-Vorpommern?! ...... 194

3 Das MANO-Netzwerk – ein allgemeiner Überblick...... 195

4 Zu den Herausforderungen und zur Notwendigkeit eines regionalen MANO- (Berufs-) Bildungsnetzwerkes ...... 198

5 Vernetztes Lehren, Lernen und Arbeiten in dem regionalen MANO- (Berufs-) Bildungsnetzwerk – Versuch einer ersten Bilanz und ein erster Ausblick ...... 202

Literaturverzeichnis...... 207

Abbildungsverzeichnis ...... 208

191

192 1 Mikrosystemtechnik – eine kurze Einführung

Der Mikrosystemtechnik (MST) wird weltweit eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung innovativer und wettbewerbsfähiger Produkte zugeschrieben. Genutzt werden mi- kromechanische, mikroelektronische, mikrooptische, mikrochemische, mikroakusti- sche, mikrobiologische, mikrofluidische u. A. Wirkprinzipien, um Produkte zu miniatu- risieren, um zusätzliche Funktionen in Geräte zu implementieren oder um neue, komplexe Systeme aufzubauen. Die Anwendungsfelder der MST sind vielfältig, eini- ge Produkte kaum mehr aus dem Alltag wegzudenken: CD-Laufwerke, Scanner, Farbdrucker, Mobiltelefone, Computer, Airbags, ABS-Bremssysteme, Geräte für die minimalinvasive Therapie und Chirurgie etc. Mit Hilfe der MST ist es möglich, derzeit noch unhandliche, teure und relativ schwierig zu bedienende Geräte in leichte, mobi- le, zuverlässige, preiswerte und einfacher zu handhabende Produkte umzuwandeln. Vor allem der Umwelttechnik, Medizintechnik, Biotechnologie und der chemischen Industrie wird für die nächsten Jahre aufgrund der Entwicklungen in der Mikrosystemtechnik ein enormes Wachstum vorausgesagt (NEXUS 2002, S. 11f.).

Die wirtschaftliche Bedeutung der Mikrosystemtechnik in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, ist der Anlass für die Aus- und Weiterbildungsinitiative MANO (Mikrosystemtechnik-Ausbildung in Nord-Ostdeutschland). Im folgenden wer- den die Intentionen, die mit MANO verbunden sind, beschrieben. Mit der Ausbil- dungsinitiative MANO sollen die regionalen Institutionen und Personen, die mit der Mikrosystemtechnik befasst sind, nicht nur zu einer verstärkten Kooperation, sondern vielmehr zu einem vernetzten Zusammenwirken geführt werden. Das Netzwerk MANO wird mit besonderem Blick auf Mecklenburg-Vorpommern vorgestellt, erste Erfahrungen und Ergebnisse werden geschildert.

193

Abbildung 1: Beispiel für ein Mikrosystem: Mikropumpe für medizinische An- wendungen (z. B. Dosierung von Insulingaben)

Quelle: Fraunhofer Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration, Dr. Richter

Die Anzahl von FuE-Vorhaben in der Mikrosystemtechnik konnte seit Mitte der 1990er Jahre unter anderem durch Auflage von Förderprogrammen kontinuierlich gesteigert werden. Die Umsetzung der Forschungsergebnisse in marktfähige Pro- dukte erweist sich jedoch als schwierig. Zurückgeführt wird dies neben anderen sich negativ auswirkenden Gründen auf einen Mangel an qualifizierten Fachkräften in den Unternehmen. Durch das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) aufgelegte Förderprogramm „MST 2000+“ werden daher bundesweit sechs Initiativen1 unterstützt, die auf den regional unterschiedlichen MST-Aus- und Weiter- bildungsbedarf reagieren und geeignete Bildungsangebote entwickeln und evaluie- ren.

2 Mikrosystemtechnik in Mecklenburg-Vorpommern?!

Die Mikrosystemtechnik-Landschaft in Mecklenburg-Vorpommern (M-V) stellt sich dergestalt dar, dass sich erste Unternehmen erfolgreich auf dem Markt positioniert haben. Von den überwiegend Klein- und Kleinstunternehmen werden „MST-Nischen“ besetzt und einzelne Produkte und Dienstleistungen vor allem überregional angebo- ten.

1 Die sechs Initiativen sind: MST-Ausbildung in Niedersachsen, Learn-mst in Essen, pro-MST in Kai- serslautern und Zweibrücken, FasiMiT in Thüringen, Munich Micronet in München sowie MANO in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Weitere Informationen zu den Netzwerken so- wie zum Projektträger, dem VDI/VDE/IT in Teltow unter www.mst-ausbildung.de.

194 An den Universitäten und Fachhochschulen wird der wachsenden Bedeutung der Mikrosystemtechnik in Forschung und Lehre bereits Rechnung getragen. Im Rahmen der Bachelor-, Master- und Diplomstudiengänge der Elektrotechnik setzen sich die Studierenden u. A. mit neuen Fertigungsverfahren, Werkstoffen, Materialien, Skalie- rungseigenschaften auseinander und eignen sich Kenntnisse zum Entwurf und zur Simulation mikrotechnischer Komponenten an. Jedoch wird das an den Hochschulen vorhandene wissenschaftliche und auch technische Potenzial im Bereich der Grund- lagen- und angewandten Forschung für eine Umsetzung in marktfähige Produkte noch nicht in dem gewünschten Maße genutzt. Die Entwicklungs- und Fertigungska- pazitäten sind im Vergleich zu anderen Bundesländern bislang nur schwach entwik- kelt. Dies liegt u. A. daran, dass die Bedeutung der MST als Schlüssel- und Integrati- onstechnik (BOTTHOF 1998, S. 5ff.) für andere Branchen wie z. B. der Bio- und Me- dizintechnik noch nicht voll erkannt wurde und Basistechnologien, wie die Halbleiter- technologie, im Land nicht vertreten sind.

Nicht verwunderlich ist es daher, dass der Beruf der/des „Mikrotechnolo- gin/Mikrotechnologen“ in der Erstausbildung bislang nicht ausgebildet wird. Das Be- rufsbild ist nicht nur bei Unternehmen, sondern auch bei Mitarbeitern in Kammern, Arbeitsämtern und Berufsinformationszentren sowie bei Jugendlichen weitgehend unbekannt.

3 Das MANO-Netzwerk – ein allgemeiner Überblick

MANO ist eine der sechs regionalen Aus- und Weiterbildungsinitiativen2. MANO steht für Mikrosystemtechnik-Ausbildung in Nord-Ostdeutschland. Ende des vorletzten Jahres haben sich elf Institutionen3 aus Berlin, Brandenburg und Mecklenburg- Vorpommern, zusammengeschlossen, um gemeinsam Aus- und Weiterbildungskon- zepte für die Region Nord-Ostdeutschland bzw. für die einzelnen Regionen zu ent- wickeln und umzusetzen. Ziel ist – ganz grob – der Auf- bzw. Ausbau eines regiona-

2 siehe Fußnote 1 3 Diese sind in alphabetischer Reihenfolge: Fachhochschule Brandenburg, Fachhochschule für Tech- nik und Wirtschaft Berlin, Forschungsverbund Berlin, Fraunhofer Institut für Zuverlässigkeit und Mi- krointegration, Kompetenzzentrum Mikroelektronik Frankfurt/ Oder, Lise-Meitner-Schule Berlin, Sie- mens Professional Education Berlin, Staatliche Technikerschule Berlin, TU Berlin, Universität Ro- stock, Zentrum für Mikrosystemtechnik Berlin

195 len MST-Aus- und Weiterbildungsnetzwerkes. Es wird davon ausgegangen, dass die verschiedenen Institutionen zusammen mehr und „Besseres“ erreichen können, als dies jede Institution für sich allein könnte. Dabei wird erwartet, dass alle MANO- Partner bereit sind, ihre Lehr-, Lern- bzw. Arbeitsweisen und -strukturen infrage zu stellen und sinnvolle neue, gemeinsame Lehr-, Lern- und Arbeitsgegebenheiten zu schaffen4.

Die Tätigkeitsfelder und -schwerpunkte der MANO-Partner betreffen mehr oder we- niger das gesamte Spektrum beruflicher Bildung: Neben Aktivitäten im Bereich der vorberuflichen Bildung werden die schon bestehenden regionalen MST- Ausbildungsverbünde und -kooperationen evaluiert, intensiviert bzw. ausgebaut. In der Ingenieurausbildung wird ein kontinuierlicher und auch überregionaler Dialog der Lehrenden und Studierenden der verschiedenen Hochschulen, die gegenseitige An- erkennung von Studienleistungen sowie die gemeinsame Nutzung von Laborkapazi- täten angestrebt. Aufgebaut wird auch ein hochschulübergreifender Aufbaustudien- gang Mikrosystemtechnik. Im Bereich der Weiterbildung werden verschiedene Wege beschritten: Zum einen wird eine Fortbildung zum „Staatlich geprüften Techniker Mi- krosystemtechnik“ ermöglicht, zum anderen wird die Übertragbarkeit des arbeitspro- zessorientierten IT-Weiterbildungsmodells5 in Kooperation mit Unternehmen geprüft. Des Weiteren werden von MANO-Partnern Lehrerfortbildungen und spezifische Schulungen angeboten. Für die berufliche Erstausbildung werden Unterrichts- materialien entwickelt, Unterrichtseinheiten konzipiert und erprobt sowie ein Ausbil- dungslabor aufgebaut, u. v. A.6.

Es entsteht ein regionales (Berufs-)Bildungsnetzwerk, in dem die Partner kontinuier- lich zusammenwirken, den jeweils aktuellen regionalen (Bildungs-)Bedarf erkunden und entsprechende Lehr-, Lern- und Arbeitskonzepte7 entwickeln und umsetzen. Wesentlich hierbei ist, dass die MANO-Partner gemeinsam – und nicht jeder für sich

4 Beispiele dazu, wie dies aussehen kann, werden weiter unten benannt. 5 Zum arbeitsprozessorientierten IT-Weiterbildungsmodell (APO-IT) siehe BMBF 2002. 6 Unveröffentlichte MANO-Arbeitspapiere 2003/ 2004. Zu weiteren Schwerpunkten der Netzwerkarbeit siehe www.m-a-n-o.net. 7 Im Mittelpunkt der MANO-Netzwerkarbeit steht die Entwicklung und Erprobung von Aus- und Wei- terbildungskonzepten. Dies kann nicht ohne die Berücksichtigung von Lehr-Lern-Konzepten und der Betrachtung von Arbeitszusammenhängen erfolgen. Zur Verdeutlichung wird hier daher von Lehr-, Lern- und Arbeitskonzepten gesprochen.

196 – das in Nord-Ostdeutschland bzw. in den Regionen gegebene MST-Lehr-/Lern- und Arbeitspotenzial erschließen und Impulse für die weitere Entwicklung der MST- Landschaft geben. Um dies zu ermöglichen, ist der fortwährende Dialog aller direkt und indirekt Beteiligten ebenso erforderlich wie die Identifizierung und Bearbeitung gemeinsamer Aufgabenstellungen.

Da der Raum ‚Nord-Ost’ relativ groß ist und in Bezug auf die Unternehmens-, For- schungs- und Ausbildungslandschaft z. T. sehr unterschiedliche Gegebenheiten an- zutreffen sind, werden in den einzelnen Regionen, in Berlin, Brandenburg und M-V, teilweise unterschiedliche Prioritäten gesetzt und verschiedene Vorgehensweisen verfolgt. Durch gemeinsame Projekte, regelmäßige bundeslandübergreifende Ar- beitsgruppentreffen sowie eine zentrale Geschäftsstelle wird sichergestellt, dass eine insgesamt sinnvolle, auf die nordostdeutschen Bedarfe insgesamt abstellende Ent- wicklung vorangetrieben wird.

Ein Anliegen von MANO ist es, in das Netzwerk systematisch – über die „Grün- dungsmitglieder“ hinaus – weitere MST-Partner einzubinden. Und zwar prinzipiell alle Institutionen und Personen, die auf die eine oder andere Weise mit der MST-Aus- und Weiterbildung zu tun haben. Dies ist in etlichen Fällen bereits gelungen. Invol- viert sind inzwischen neben Forschungseinrichtungen, Fachhochschulen, Universitä- ten, Berufsschulen und Unternehmen auch Kammern, Verbände, Ämter und Ministe- rien. Insbesondere in Mecklenburg-Vorpommern wurde das Netzwerk, in dem ur- sprünglich nur die „Technische Bildung“ der Universität Rostock vertreten war, stark ausgebaut (siehe Abb. 2).

197 Abbildung 2: Partner des MANO-Netzwerkes8

Quelle: MANO 2004 4 Zu den Herausforderungen und zur Notwendigkeit eines re- gionalen MANO-(Berufs-) Bildungsnetzwerkes

Die Förderung von wissenschaftlicher Forschung und Entwicklung reicht allein nicht aus, um den Technologie- und Wirtschaftsstandort Deutschland bzw. seine Regionen und die Position deutscher Unternehmen im internationalen Wettbewerb zu stärken. Neben „harten“ Faktoren kommt den „weichen“ Faktoren, wie der Aus- und Weiter-

8 AA Arbeitsamt, BBW Berufsbildungswerk, bfw Berufsfortbildungswerk, BIZ Berufsinformationszen- trum, BS Berufsschule, BSEE Berufsschule Elektrotechnik/Elektronik, BTU Brandenburgische TU, FFO Frankfurt Oder, FhG Fraunhofer Gesellschaft, FHS Fachhochschule, FHTW Fachhochschule für Technik und Wirtschaft, GEBIFO Gesellschaft für Bildungsforschung, IHK Industrie- und Han- delskammer, ISST Institut für Software und Systemtechnik, ITF Innovations-Transformations- Forschungsinstitut für berufliche Aus- und Weiterbildung, IZM Institut für Zuverlässigkeit und Mikro- integration, KMU Kleine und mittlere Unternehmen, Kultus Kultusministerium Mecklenburg- Vorpommern, LISA Landesamt für Schule und Ausbildung, MAuB Ministerium für Arbeit, Umwelt und Bau, SPE Siemens Professional Education, TFH Technische Fachhochschule, TU Technische Universität, U Universität, VDI/VDE-IT: Verein deutscher Ingenieure (Elektrotechnik, Informations- technologie), WiMi Wirtschaftsministerium Mecklenburg-Vorpommern, ZEMT Zentrum für Mikrosy- stemtechnik

198 bildung von Fachkräften, eine entscheidende Rolle zu. Diese Einsicht ist nicht neu, trotzdem müssen die gegebenen Bildungssysteme auf ihre Leistungsfähigkeit hin überprüft und modifiziert werden. Es hat sich u. A. gezeigt, dass das duale System, das Hochschulsystem etc. ohne besondere Anregungen nicht schnell genug bzw. nicht in dem gewünschten Umfang auf die Bedürfnisse des Marktes/der Nachfrager reagieren und entsprechende Bildungsangebote entwickeln kann.

Anregungen zur Erhöhung der Leistungsfähigkeit zu geben, ist unter anderem des- halb schwer, weil die Hochtechnologie-Landschaft (und damit auch die MST- Landschaft) keineswegs homogen ist. Zum Teil bestehen erhebliche regionale Un- terschiede9. Ein MST-Entwicklungskonzept, das Erfolg verspricht, muss die Unter- schiede in den Blick nehmen. Auch im Hinblick auf Bildungsgänge und Curricula gilt es, regionale Unterschiede mehr als bisher zu berücksichtigen.

In dem Projekt MANO wird davon ausgegangen, dass der Aufbau regionaler Netz- werke10 einen Weg darstellen kann, der MST-Nachfrage „optimal“ zu entsprechen. Das bedeutet u. A., die Bildungsnachfrager und -anbieter in einen Dialog zu bringen, der letztlich zu sinnvollen und nachgefragten MST-(Bildungs-)Produkten und Dienst- leistungen führt. Dies bedeutet aber auch, dass regionale Besonderheiten (unter- schiedliche Schwerpunkte in Forschung und Produktion usw.) berücksichtigt und Er- folg versprechende Lehr-/Lernkonzepte entwickelt und umgesetzt werden.

Das angestrebte Zusammenbringen ist nicht neu. Kooperationsbemühungen und auch Vernetzungsgedanken, zwischen denen in MANO unterschieden wird, sind im- mer wieder geäußert worden (BENZENBERG 1999, S. 65)11. Die „Lernenden Regio- nen“ beispielweise sowie einige Aus- und Weiterbildungsverbünde verfolgen unter anderem das Ziel, einzelne, regional aktive Akteure zusammenzubringen, um die Palette regionaler Bildungsangebote besser aufeinander abzustimmen, zu verbes- sern oder zu erweitern - mit mehr oder weniger großem Erfolg. Dabei werden vor

9 Während beispielsweise im Dresdner und Münchener Raum vor allem die Halbleiterwerke die Indu- strielandschaft prägen, so sind es in Thüringen die Unternehmen der Optischen Technologien und in Berlin u. A. die Forschungszentren der Medizintechnik. 10 Unter einem Netzwerk wird im Allgemeinen der meist dauerhafte, freiwillige Zusammenschluss mehrerer, (teil-)autonomer Institutionen (und auch Personen) zur Verfolgung gemeinsamer Interes- sen und Aufgaben verstanden. 11 Vgl. auch Dobischat/Benzenberg 2002

199 allem „homogene“ Partner beteiligt, wie bspw. bei einem Zusammenschluss ver- schiedener (privater) Weiterbildungsträger.

MANO konstituiert ein regionales (Berufs-)Bildungsnetzwerk, das über die üblichen Kooperationsbeziehungen hinausgehen soll. Es haben sich Institutionen (genau ge- nommen natürlich die Personen, die in den Institutionen arbeiten) zusammenge- schlossen, die auf verschiedenen Ebenen des Bildungssystems (primärer, sekundä- rer und tertiärer Sektor) arbeiten: (Berufliche) Schulen, Ausbildungsbetriebe, überbe- triebliche Ausbildungszentren, Fachhochschulen, Universitäten, Weiterbildungsein- richtungen etc. Darüber hinaus sind auch solche Institutionen einbezogen, die auf administrativer Ebene Einfluss nehmen – z. B. Ministerien, Kammern, Ämter etc. – sowie Akteure, die als aktive Partner in Bildungsprozesse einbezogen werden kön- nen (Unternehmen, Forschungseinrichtungen, Verbände usw.)12. Das Zusammen- wirken ist auf besondere Weise gekennzeichnet: Angestrebt wird nicht nur eine gute, verbesserte, gegenseitig nützliche Information und personelle Zusammenarbeit. Vielmehr werden neue, integrierte Organisations-, Lehr-, Lern- und Arbeitsweisen angestrebt, die dauerhaft nützlich sind. Auf diese Weise entsteht in der Schnittmenge der Organisationen etwas ‚Neues’, das zu einer Organisationsveränderung in den beteiligten Institutionen und zu neuen, gemeinsamen Organisations-, Lehr- und Lernstrukturen führt.

Abbildung 3: Von der Kooperation zur Vernetzung

Kooperation Vernetzung

Quelle: eigene Darstellung

12 Die alleinige Vernetzung von Bildungseinrichtungen greift insofern zu kurz, als das Bildung nicht losgelöst von anderen Gesellschaftsbereichen wie Wirtschaft, Arbeits- und Beschäftigungsmarkt, Kultur, Forschung usw. betrachtet werden kann.

200 Durch Vernetzung sollen nicht nur Beziehungen auf- und ausgebaut werden, nicht nur Berührungspunkte, Schnittstellen und Aktionsräume geschaffen werden. Viel- mehr sollen sich die Institutionen „öffnen“, ihr jeweiliges Bildungs- und Innovationspo- tenzial in den Blick nehmen und vor diesem Hintergrund sinnvolle Aufgaben identifi- zieren und angehen, die vielleicht nur gemeinsam lösbar sind. Dieses kann erforder- lich machen, dass die einzelnen Organisationen ihre Souveränität (ein Stück weit) aufgeben und ihre eigenen Interessen hinter die des Netzwerkes zurückstellen müs- sen. Dieses ist ungewohnt und deshalb nicht leicht. Das zeigen auch die ersten MANO-Erfahrungen. Aus konkurrierenden oder kooperierenden Partnern müssen vernetzte Partner werden, die eigene Interessen zurückstellen und sich am gemein- samen Anliegen orientieren. Die Partner müssen erkennen, dass das Tätigwerden im Netzwerk, das Nutzen der Kompetenzen der anderen, das Verfolgen der umfängli- chen Aufgaben, die allein nicht immer bewältigt werden können, auch Vorteile bieten kann. Verteilte Ressourcen und Kompetenzen werden im Netzwerk gebündelt.

Natürlich stellt dieses Zusammenwirken vielfältige neue Anforderungen an alle Betei- ligten. Die Akteure im Netzwerk müssen sich auf das gemeinsame Identifizieren und Lösen der Aufgaben einstellen. Das Zusammenwirken muss seine organisatorische Entsprechung finden, ebenso wie die (weitergreifenden, neuen) Produkte und Dienst- leistungen entwickelt und vermarktet werden müssen. Dabei können die Anforderun- gen nicht – allenfalls, wie hier geschehen, analytisch – voneinander getrennt begrif- fen werden. Die Vernetzung lässt eine integrierte Personal-, Organisations- und Pro- dukt-/(MST-)Technikentwicklung erwarten.

Abbildung 4: Beispiele der Organisations-, Personal- und Produkt- /Technologieveränderung

Veränderungen Beispiele

Organisationsentwicklung Neue, gemeinsame bzw. auf das Netzwerk abge- stimmte Strukturen, Abläufe, Zuständigkeiten usw. Personalentwicklung Erwerb von „Netzwerkkompetenz“ Produkt-/Technologieentwicklung Neue Produkte bzw. Dienstleistungen, deren Ent- wicklung/Produktion/ Vertrieb usw. nur durch das gemeinsame Zusammenwirken möglich wurde Quelle: eigene Darstellung

201 Der Nutzen des Netzwerkes wird u. A. darin gesehen, dass komplexe, umfängliche vielschichtige Aufgabenstellungen bewältigt werden können, da verschiedenste Ak- teure und Interessengruppen „an einem Strang ziehen“ (TSCHEULIN u. A. 2002, S. 77)13. In dem Netzwerk ist ein großes Potenzial zur Zusammenarbeit gegeben (das über das Potenzial der einzelnen Partner hinausgeht und auch nicht einfach der Summe der einzelnen Potenziale entspricht). Ob und zu welchem Zeitpunkt das Po- tenzial genutzt wird, liegt in der gemeinsamen Entscheidung der Netzwerkpartner. Das Netzwerk schafft quasi den Raum für gemeinsames Lehren, Lernen und Arbei- ten. Bi- und multilaterales Zusammenwirken, auch Kooperationen im traditionellen Sinne (etwa bei der Bearbeitung von Teilprojekten), sind in der Netzwerkarbeit mög- lich.

5 Vernetztes Lehren, Lernen und Arbeiten in dem regionalen MANO- (Berufs-) Bildungsnetzwerk – Versuch einer ersten Bi- lanz und ein erster Ausblick

Es wird davon ausgegangen, dass der Aufbau des regionalen MANO-Netzwerkes zu wesentlichen Veränderungen der Bildungslandschaft und der Bildungsprozesse füh- ren wird: u. A. zu einem (hoffentlich) qualitativ besseren, transparenteren Bildungs- angebot, zu neuen Bildungsprodukten14 sowie zu „vernetzten Curricula“. Darüber hinaus werden andere Lernprozesse ermöglicht, nämlich ein „vernetztes Lernen“15.

13 siehe auch Erpenbeck 2002, S. 202. 14 Und letzten Endes auch Arbeitsprodukten. 15 In diesem Zusammenhang unterscheiden Elsholz/Meyer-Menk zwischen dem Netzwerk als „Orga- nisationsform“, in deren Ergebnis Bildungsangebote für Dritte transparenter, leichter zugänglich etc. gemacht werden können, und dem Netzwerk als „Lernform“. Hier stehen die Lernprozesse der Netzwerkakteure im Mittelpunkt. Vgl. Elsholz/Meyer-Menk 2002, S. 44.

202

Abbildung 5: Veränderungen durch die Bildung von Berufsbildungsnetzwer- ken

Veränderungen der Veränderung der Bildungslandschaft Lernprozesse Vernetzung der Institutionen: Vernetzung der Lernenden · Permanenter Dialog zwischen den Akteuren · Lernprozesse der Partner, die sich in dem · Öffnung der Institutionen gegenüber ihrer Umwelt Netzwerk zusammen geschlossen haben · Bereitschaft zu Austausch und Kooperation · Lernprozesse ‚Dritter’, die von dem Aufbau des Netzwerkes profitieren ® Reduktion der vielfältigen „Teilungen“ des Bildungssys-tems: Schaffen von Übergängen zwischen Aus- und Weiterbildung sowie ® vernetztes Lernen (Lehren, Arbeiten) zwischen einzelnen Bildungsgängen (Erstausbildung – Studium; ® integrative Lehr-, Lern- und Arbeitsprozesse Angebote für Studienabbrecher etc.) ® Aufbau und Zugriff auf einen Netzwerk-Know-How-Pool als eine ® Gemeinsame Nutzung vorhandener (räumlicher, technischer, Art interorganisationaler Wissensbasis personeller) Ressourcen ® Transport und Nutzung von Tacit Knowledge ® Entwicklung von regional-, kunden- und nachfrageorientierten ® Lernen an pluralen Lernorten Bildungsangeboten ® Institutionenübergreifendes Lernen ® Entwicklung von neuen, gemeinsamen Bildungsangeboten und - ® Bildungsgangübergreifendes Lernen gängen ® Modulares Lernen ® Bewirken, das Angebote verschiedener Institutionen besser ® Vielfalt der Lernformen aufeinander abgestimmt werden ® Selbstorganisiertes Lernen ® Gegenseitige Anerkennung von Prüfungsleistungen und Abschlüssen ® vernetzte Curricula/Inhalte

Netzwerke als Lern- und Gestaltungsraum (beruflicher) Bildung

Quelle: eigene Darstellung

Lernen wird hier im Sinne von lebenslangem, lebensbegleitendem Lernen verstan- den. Angesprochen werden das Lernen in der (allgemein bildenden) Schule, das Lernen in Rahmen der dualen Berufsausbildung, Lernen im Studium, das Lernen in der Fort- und Weiterbildung sowie die verschiedenen Formen des informellen Ler- nens. Vernetztes Lernen begünstigt dieses Lernen. Als berufliches Lernen wird be- sonders auf die Anforderungen abgestellt, die sich den Lernenden in der Arbeitswelt, die sie erfahren, stellen. Es besteht die Chance, den Lernenden die im Netzwerk vorhandenen vielfältigen und umfänglichen Lernerfahrungen zu ermöglichen. Den Lehrenden kommt die Aufgabe zu, das Netzwerk „optimal“ mitzugestalten und den Lernenden die Lernerfahrungen zugänglich zu machen.

Hinter dem Begriff des „vernetzten Lernens“ verbergen sich verschiedene Lernkon- zepte, so z. B. das Lernen, vernetzt zu denken (SIEBERT 2003, S. 40ff.), das Lernen

203 in virtuellen Netzwerken und Expertennetzwerken („Communities“) (KALISCH 2004)16 oder aber das Lernen in Bildungsnetzwerken (Wilbers 2002). Vernetztes Lernen (bzw. vernetztes Lernen, Lehren und Arbeiten17), wie hier angesprochen, ist dadurch gekennzeichnet, dass …

(a) an verschiedensten/verschiedenartigen Orten gelernt wird: z. B. in den Ausbil- dungsräumen/Laboren von Beruflichen Schulen, an Hochschulen, in Unterneh- men, Forschungseinrichtungen usw.

(b) modular, selbstorganisiert, institutionsübergreifend gelernt wird: Der Lernende bzw. eine Institution (z. B. Berufliche Schule) kann – aufgrund eines transparen- ten Bildungsangebotes – zwischen verschiedenen Angeboten und Lernorten an- derer Institutionen wählen und diese nutzen. Die jeweils erbrachten Lernleistun- gen werden dokumentiert und anerkannt.

(c) bildungsgangübergreifend gelernt wird: Die Ressourcen der einzelnen Institutio- nen können grundsätzlich von allen Teilnehmern der verschiedenen Bildungs- maßnahmen genutzt werden, unabhängig davon, ob es sich um Schüler allge- mein bildender oder Beruflicher Schulen, Auszubildende, Studenten oder um Mit- arbeiter von Unternehmen und Forschungseinrichtungen handelt. Möglich werden auch gemeinsame Projekte zwischen Teilnehmern unterschiedlicher Bildungs- maßnahmen (zwischen Auszubildenden und Studenten, zwischen Ausbildern und Lehrern an Beruflichen Schulen usw.).

(d) eine Vielfalt von Lernformen möglich ist: Ermöglicht werden z. B. kollektives Ler- nen und die Verknüpfung von formalen und informellen Lernprozessen.

(e) vielfältige Lern- und Arbeitserfahrungen gesammelt werden können.

(f) regionale Aspekte besondere Berücksichtung erfahren: So können beispielsweise im Lernprozess regional sinnvolle Lernaufgaben identifiziert und bearbeitet, regio- nal nützliche Produkte angestrebt und Lernprodukte in das regionale Umfeld „zu- rückgegeben“ werden.

(g) u. v. A.

16 u. A. auch Zimmer 2002. 17 Lehren, Lernen und Arbeiten wird nachfolgend mit LLA abgekürzt.

204 Mit dem zielgerichteten Auf- und Ausbau des MANO-Netzwerkes konnte bereits Fol- gendes erreicht werden18:

· Es wurden zwischen den regionalen Akteuren, die in der MST in Forschung, Bil- dung oder Produktion tätig sind, Verbindungen aufgebaut. Das heißt, es wurden Beziehungen zwischen Fachhochschulen, Universitäten, Beruflichen Schulen, Aus- und Weiterbildungseinrichtungen und Unternehmen bzw. Forschungseinrichtungen geknüpft, die vorher nicht bestanden haben und die die Grundlage für eine zukünftige Zusammenarbeit darstellen.19 Erfahrungen, Un- terrichts-/Lehr-/Lernmaterialien wurden ausgetauscht und werden gemeinsam weiterentwickelt. · Im Zuge der Verfolgung der selbstgestellten Projektaufgaben haben sich neue Lern-, Lehr- und Arbeitsweisen und Organisationsstrukturen entwickelt: instituti- onsübergreifende Arbeitsgruppen, ein übergeordnetes Lenkungsgremium, eine gemeinsame Arbeits- und Kommunikationsplattform u.v.m.. Die Netzwerkarbeit wirkt auf die einzelnen Partnerorganisationen zurück; die Institutionen greifen die aus dem Netzwerk kommenden Impulse – insoweit sie als sinnvoll erachtet wer- den – auf, setzen sie um und verändern dadurch ihre eigenen Arbeits- und Orga- nisationsweisen.

· Akteure, die bislang isoliert voneinander („jeder für sich“) Bildungsangebote ent- wickelt haben, entwickeln jetzt gemeinsam Lehr- und Lernangebote, wobei sie verstärkt regionale Besonderheiten und Bedürfnisse berücksichtigen (z. B. ist ein Master-Studiengang im Zusammenwirken zweier Fachhochschulen in Vorberei- tung; auch haben sich die Professoren der Hochschulen Mecklenburg- Vorpommerns inzwischen mehrfach getroffen, um gemeinsam über die Gestal- tung von Forschungs- und Lehrschwerpunkten sowie über den Aufbau eines Zen- trums für Mikrosystemtechnik zu beraten).

· Das regionale Bildungsangebot ist transparenter geworden: Entstanden ist bei- spielsweise ein „Studienführer Mikrosystemtechnik“, der erstmals einen Überblick

18 Die nachfolgende Aufzählung gibt nur einen groben Überblick über die bisherige Netzwerkarbeit. Weitere, detaillierte Informationen sind über die „Technische Bildung“ der Universität Rostock bzw. über die MANO-Geschäftsstelle in Berlin erhältlich. 19 Unter anderem durch die Ermöglichung persönlicher Kontakte wurde der Grundstein für eine lang- fristige Vertrauensbasis gelegt.

205 über Studiengänge und -schwerpunkte in der MST, für die gesamte Region Nord- Ost (Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern), gibt.

· Die verfügbaren räumlichen, technischen und personellen Ressourcen werden (zunehmend stärker) gemeinsam genutzt. Neue Partnerschaften sind entstanden – so absolvieren bspw. Auszubildende und Umschüler der „Siemens Professional Education Berlin“ Teile ihrer Ausbildung an der FHTW Berlin bzw. an der FH Brandenburg.

Dies alles kann sicher nur ein Anfang sein. Die wirklichen Herausforderungen stehen noch bevor: So z. B. die gegenseitige Anerkennung von (Aus-)Bildungsleistungen, die Entwicklung eines MST-Bildungskonzeptes bzw. eines curricularen Rahmens, der die vorberufliche Bildung, die Facharbeiter- und akademische Ausbildung bis hin zur Fort- und Weiterbildung umfasst, die Entwicklung und Umsetzung alternativer Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten, wobei eine stärkere Verzahnung von Aus- und Weiterbildung erreicht werden soll.

Alle ersten Erfolge dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, auch das hat sich schon bestätigt, dass Netzwerkarbeit einen „langen Atem“ erfordert. Ein (Berufs-) Bildungs- netzwerk, das die oben beschriebenen Veränderungen bewirken soll, lässt sich nicht von heute auf morgen verwirklichen. Die Alternative – alles bleibt wie es ist; jede In- stitution kämpft weiterhin für sich – ist aber keine Alternative. Die ersten Erfolge er- muntern weiter in die Richtung des angestrebten MST-Netzes zu gehen. Es bleibt die Feststellung, dass die heutigen (Bildungs-)Probleme, auch diese Feststellung wird durch den bisherigen MANO-Verlauf erhärtet, zu einem großen Teil auf das immer noch übliche „getrennte“ Lernen, Lehren und Arbeiten, zurückzuführen sind. Dieses ermuntert, vernetztes Lehren, Lernen und Arbeiten weiter zu befördern. Mit MANO wird dem entsprochen. Damit wird auch der Weg weiter verfolgt, der M-V in eine zu- kunftsträchtige Wissensgesellschaft führt.

206 Literaturverzeichnis

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Siebert, H. Vernetztes Lernen: Systemischkonstruktivi- stische Methoden der Bildungsarbeit. Mün- chen 2003.

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Zimmer, G. (Hrsg.) E-Learning: High Tech or High-teach? Lernen in Netzen zwischen Aktualität und Potenziali- tät. Bielefeld 2002.

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Beispiel für ein Mikrosystem: Mikropumpe für medizinische Anwendungen (z. B. Dosierung von Insulingaben) ...... 194

Abbildung 2: Partner des MANO-Netzwerkes...... 198

Abbildung 3: Von der Kooperation zur Vernetzung...... 200

Abbildung 4: Beispiele der Organisations-, Personal- und Produkt- /Technologieveränderung ...... 201

Abbildung 5: Veränderungen durch die Bildung von Berufsbildungsnetzwerken 203

208 Marion Eich-Born

Hochschulen als Bausteine eines regionalen Innovationssupport- systems für Mecklenburg-Vorpommern

INHALT

1 Einleitung...... 211

2 Netzwerk: Baustein einer regionalen Wachstumsarchitektur...... 212

3 Wissen und Lernen...... 215

4 Wissen, Akteure und Akteursnetzwerke ...... 218

5 Der Prototyp eines wissenschaftsgeleiteten innovativen Milieus: Silicon Valley - ein Vorbild für Mecklenburg-Vorpommern? ...... 220

6 Die deutsche FuE-Governance: Investitionen...... 223

7 Patente: ein wichtiger Output-Indikator...... 227

8 Wissen und Netzwerk: zentrale Bausteine des jüngeren nationalen Innovationsnetzwerks ...... 229

8.1 Patentverwertungsagenturen und die Aufhebung des Hochschul- lehrerprinzips...... 229

8.2 Ausgründungsoffensive aus Hochschulen...... 230

8.3 Unternehmen Region ...... 232

9 Hochschulen als strategisches regionalpolitisches Entwicklungsinstrument für Mecklenburg-Vorpommern? ...... 234

10 Fazit ...... 245

Literaturverzeichnis...... 247

Abbildungsverzeichnis ...... 251

209 210 1 Einleitung

14 Jahre nach der Wiedervereinigung rangiert Mecklenburg-Vorpommern im Reigen der Bundesländer immer noch in einer ökonomischen Schlusslichtposition. Historisch angelegte Strukturen zeichnen sich durch Persistenz aus. Das agrarisch geprägte Land hat nach dem zweiten Weltkrieg neben der Nahrungsmittelverarbeitung ledig- lich ein zweites industrielles Standbein aufbauen können, den Schiffbau. Dies ironi- scherweise unter der Aegide der Zentralverwaltungswirtschaft, wohingegen seit Ein- führung der sozialen Marktwirtschaft keine statistisch relevante wirtschaftsstrukturelle Diversifizierung erfolgt ist.

Der Transformationsprozess integrierte die maritime Branche in eine globale Wirt- schaft, in der reife Industrien auf abnehmende Grenzproduktivität des Kapitals sto- ßen. Daran konnte auch eine strukturerhaltende Modernisierungspolitik nichts än- dern. Dementsprechend persistent sind die Einkommensunterschiede gegenüber der alten Bundesrepublik (vgl. BRAUN in diesem Band zu Wüsten und Oasen). In der Folge bewegen sich Unternehmen wie Region in einem ökonomischen und beschäf- tigungspolitischen Krisenkreislauf (REHFELD 1999, S. 34, EICH-BORN 2003, S. 323 ff.; EICH-BORN zur Schiffbauindustrie in diesem Band).

Mangels Beschäftigungsalternativen wandert insbesondere die junge und gut ausge- bildete Bevölkerung in die prosperierenden Regionen ab, was nicht nur in einer Ü- beralterung Mecklenburg-Vorpommerns resultiert, sondern gleichzeitig den Entzug der entscheidenden Impulsgeber zur Bewältigung des Strukturwandels über Neu- gründungen, Kreation neuer Branchen und neuer Märkte bedeutet. Die Funktions- und Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft setzt jedoch einen ausreichenden Zuwachs an kreativen und innovativen Unternehmen voraus. Statt dessen zeichnet sich in M-V eine Gründerlücke ab. Diese Entwicklung lässt vor dem Hintergrund der EU-Osterweiterung kumulative Schrumpfungsprozesse erwarten, die zu einer Ver- schärfung von Wachstumsdisparitäten führen dürften. Der Nationalstaat wird im Zuge des verschärften Wettbewerbs versuchen aus volkswirtschaftlicher Perspektive einer räumlich auf Metropolen konzentrierten Technologiepolitik Vorschub zu leisten.

211 Damit verhalten sich die Zielsetzungen nationalstaatlicher Technologiepolitik dys- funktional zur innovationsorientierten, auf Verringerung von ökonomischen und tech- nologischen Disparitäten ausgerichteten Regionalpolitik (STERNBERG 1995, S. 15 ff.). Zu bedenken ist jedoch, dass die Funktionsfähigkeit der deutschen Volkswirt- schaft bei rückläufiger Kaufkraft in und Nachfrage aus den neuen Bundesländern sowie durch hohe Transferzahlungen ebenfalls geschwächt wird. Die Politik bleibt gefordert, alternative politische Handlungsschneisen zu schlagen über Implementati- on einer innovationsorientierten Regionalentwicklung. Nur so lässt sich der notwen- dige Strukturwandel in den neuen Bundesländern vorantreiben, um langfristig sich selbst tragende Entwicklungen zu ermöglichen.

In Anbetracht der schwierigen öffentlichen Finanzlage kommt dabei der „Hilfe zur Selbsthilfe“ (GATZWEILER/MARETZKE 2000, S. 85) sowie der Einbindung vorhan- dener endogener Potenziale in den volkswirtschaftlichen Regenerationsprozess be- sondere Bedeutung zu. Regionale Wachstumsbeispiele belegen, dass Netzwerkbil- dungen zwischen verschiedensten Akteuren aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft einerseits sowie Innovationen, Wissen und Lernen wesentliche De- terminanten sind. Hochschulen als Produzenten von Innovationen, Wissen und Hu- mankapital stellen zweifelsohne wichtige Anker für die Regionalentwicklungspolitik dar. Im Zentrum dieses Aufsatzes steht daher die Frage, wie Hochschulen in Netz- werke eingebettet und der Technologietransfer von der Wissenschaft in die Wirt- schaft beschleunigt werden kann.

2 Netzwerk: Baustein einer regionalen Wachstumsarchitektur

Die jüngere theoretische Debatte zu Erfolgsregionen hat im Rahmen der „New Eco- nomic Geography“ eine Vielzahl von Denkansätzen zur Erklärung regionalen Wach- stums generiert wie etwa die Konzepte des innovativen, kreativen Milieus, des Indu- striedistrikts, lernender Regionen und regionaler Innovationssysteme. Trotz der Viel- falt der theoretischen Ansätze ist eine erstaunliche Übereinstimmung hinsichtlich der analysierten Wachstumsdeterminanten auszumachen. Sie alle erklären die Wach- stumsdisparitäten

212

· modellendogen (vgl. DÖRING in diesem Band) · durch technischen Fortschritt bzw. Innovation · auf der Basis von Wissen. · Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang nicht-kodifiziertem Wis- sen zu, das an Personen gebunden ist und eine dementsprechende Trägheit bei der Überwindung geographischer Distanzen aufweist. In diesem Sinne wirken sich die externen Effekte des Wissens in einem engen geographischen Umkreis seines Ursprungsortes aus. · Entscheidend ist nicht das Wissen einzelner Personen für sich allein, sondern Wissen, das innerhalb von Akteursnetzwerken vermittelt und umgesetzt wird. Im Netzwerk erweitert sich zwangsläufig die Kontrolle über die Ressource Wissen. · In wirtschaftlichen Erfolgsregionen sind Austauschbeziehungen zwischen Akteu- ren von markt- wie auch nicht-marktmäßigem Charakter. Sie sind reziprok (von gegenseitigem Geben und Nehmen geprägt), interdependent und lose gekoppelt. Letzteres steht für die Notwendigkeit von Kooperation und Konkurrenz im Netz- werk. Der Austausch von Akteurspartnern muss realisiert werden, wenn die Funk- tionsfähigkeit des Netzwerkes bedroht ist (SYDOW 1992, S. 82). · Ferner ist die geographische und organisatorische Offenheit regional konzentrier- ter Akteursbeziehungen notwendig. Sie sorgt dafür, dass überregionales Wissen in die Region eingebracht wird, mit regionalem Wissen neu kombiniert zu Lern- prozessen beiträgt. · Regionales Wachstum ist somit das Ergebnis erfolgreichen Netzwerkmanage- ments, das auf einer kollektiven Strategie von Akteuren aus der Wirtschaft und in- termediären Organisationen resultiert (IHKn, Technologietransferstellen, wissen- schaftlichen Einrichtungen, Gewerkschaften, politischen Einrichtungen etc.).

Basierend auf den Erkenntnissen dieser jüngeren theoretischen wie empirischen De- batten zu Erfolgsregionen lässt sich im Sinne des einzuschlagenden alternativen po- litischen Handlungskorridors für M-V an ein zu installierendes Innovationssupportsy- stem im Umfeld der Hochschulen denken. Sie bringen wesentliche Voraussetzungen in Innovationsprozesse ein. Ziel muss es sein, über Gründungsoffensiven aus Hoch-

213 schulen unternehmerische Lernprozesse in der Region in Gang zu setzen, die lang- fristig zu einer gesunden Zusammensetzung des Unternehmensbestandes unter den Aspekten Branche, Region und Unternehmensgröße beitragen (HUNSDIECK 1987, S. 1).

Abbildung 1: Hochschulen als Kernkompetenz

Wissen und Lernen Raum

global

Wissenschaft Politik supranational Gründungsof- Gesellschaft Wirtschaft fensive national

regional

Lernende Innovatives lokal Region Milieu

Zeit

Quelle: eigene Darstellung

Mögliche Zutrittsbarrieren zu potenziellen Märkten müssen frühzeitig diagnostiziert, bestehende Unsicherheiten bei Gründung eines Unternehmens über zu schaffende Instrumente zur Unterstützung des Planungsprozesses soweit als möglich reduziert werden.

Breit angelegte empirische Analysen verweisen theoriegeleiteten, netzwerkorientier- ten Wachstumsoptimismus, über lernende Regionen langfristig kreative, innovative Milieus implementieren zu können, jedoch in seine Schranken. Die Formierung von Netzwerken mündet nicht zwangläufig in regionalen Erfolgsgeschichten. Netzwerk- kooperationen unterliegen den Bedingungen des methodologischen Individualismus entlang den Dimensionen von Raum und Zeit. Anders ausgedrückt, sie sind abhän-

214 gig vom zeitlich-räumlichen Aufeinandertreffen von Persönlichkeiten mit spezifischen Fähigkeiten bezogen auf alle Wissens- und Lernbausteine, die sich innerhalb eines Netzwerkes erfolgreich organisieren können müssen, wenn sie Innovationen generie- ren sollen.

3 Wissen und Lernen

Unbestritten stellt Wissen in unserer modernen Gesellschaft eine entscheidende Ressource für regionales Wachstum dar (BLUME/FROMM 2000, S. 2; METCALFE 2002, S. 3f.; DÖRING 2003, S. 1). Es ist die Grundlage für Innovationen, die in Form von neuen Produkten, Produktions- oder Organisationsverfahren auf den Markt dif- fundieren und dort die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen stärken. Da der ein- zelne Akteur das erforderliche Wissen für Innovationen nicht allein kontrollieren kann, muss er sich zum Informationsaustausch in sozialen, intersektoral und interdisziplinär ausgerichteten Netzwerken organisieren. In diesem Sinne besteht ein enger funktio- naler Zusammenhang zwischen Innovation, Wissen/Information und Lernen. Im Mit- telpunkt steht der Prozess, wie Innovation und Wissen geschaffen, und lernend ver- breitet werden (SCHAMP 2000, S. 118). Dabei wird die „hardware“ Wissen durch die „software“ des Netzwerkes von lernenden Akteuren und Organisationen ergänzt (MALECKI 2000).

Während FREEMAN und PEREZ mit ihrer Taxonomie der Innovationen den Innova- tionsbegriff präzisiert haben, sind die Wissens- und Lernbegriffe in der wissenschaft- lichen Literatur nach wie vor diffus (BRAUN 2000, S. 12) und bedürfen weiterer Thematisierung. Insbesondere der Zusammenhang zwischen Innovation, Wissen und Lernen bedarf kritischer Reflexion. Abbildung 1 ordnet der Taxonomie der Inno- vationen von Perez und Freeman eine Taxonomie des Wissens und Lernens zu, wo- bei den jeweiligen innovativen Grundkategorien nicht nur eine Wissens- bzw. Lernka- tegorie zugeordnet werden kann. In der Regel sind Bündel von Wissens- und Lernka- tegorien erforderlich, um zu einer Innovation beizutragen.

215

Abbildung 2: Innovation, Wissen und Lernen

Innovation Wissen

kodifiziertes Wissen (explizites Wissen) inkrementelle Innova- tion Lernen (Weiterentwicklungen) nicht-kodifiziertes Wissen learning-by-educating (implizites Wissen oder

tacit-knowledge) Basisinnovation

(radikale Innovation) learning-by-doing

skills (Sonderformen des nicht-kodifizierten Wissens) Änderung des techno- learning-by-using logischen Systems

kommunikative Kompetenz learning-by-interacting

neues technologi-

schen Paradigmas Wissen über:

– Gründungsmanagement – Finanzierungsmöglich- keiten – Patentierung/Verwertung – Beschäftigung

Quelle: eigene Darstellung

Als einfachste Form von Innovationen diagnostizieren Freeman und Perez inkremen- telle Innovationen. Sie sind als Verbesserungsneuerungen zu verstehen, die lediglich Veränderungen an bereits auf dem Markt gehandelten Produkten erzielen (Qualität, Eigenschaften etc.), oder aber an bestehenden Produktionsprozessen und ihrer Or- ganisation. Sie können wesentlich zur Verlängerung der Reifephase eines Produktes beitragen. Von den genannten Wissensdimensionen ist das kodifizierte Wissen, das in der Literatur nachgelesen werden kann und somit zum freien Gut avanciert, von Bedeutung. Es wird im Wesentlichen durch learning-by-educating erzeugt. Auch eine

216 Sonderform des personengebundenen unkodifizierten Wissens spielt im Zusammen- hang mit inkrementellen Innovationen eine Rolle: die sogenannten skills. Sie resultie- ren aus learning-by-doing, sofern es sich um Verbesserungen in der Produktions- technologie handelt. Kommt es jedoch zu inkrementellen Verbesserungen an einem Produkt, steht learning-by-using im Mittelpunkt des Lernprozesses, der sich in der Regel durch enge Kontakte zwischen Hersteller und Nutzer vollzieht.

Im Gegensatz zu inkrementellen Innovationen durchbrechen radikale oder Basisin- novationen alte Wirtschaftsstrukturen. Sie sind die Träger des wirtschaftlichen Struk- turwandels, der insbesondere in den neuen Bundesländern erforderlich ist. Basisin- novationen sind das Ergebnis von Grundlagenforschung wie auch angewandter For- schung. Sie schaffen völlig neue Produkte, Produktionsprozesse und/oder Prozess- organisationen und tragen im Sinne Schumpeters zur kreativen Zerstörung alter In- dustrien einerseits und zur Entwicklung neuer Branchen andererseits bei. Neue Märkte, steigende Nachfrage und Unternehmensgewinne sind die Folge. Wesentli- che Grundlage von Basisinnovationen ist informelles, unkodifiziertes Wissen in sei- ner anspruchsvollsten Form, also nicht nur im Sinne der bereits erwähnten auf die Anwendung ausgerichteten skills. Auf diese Form des Wissens ist der in der Literatur weit verbreitete Begriff der tacit knowledge anwendbar. Es entsteht über Experimen- te in der Grundlagenforschung (learning-by-doing). In der Regel sind Basisinnovatio- nen das Ergebnis einer komplexen Kombination von Wissen und Lernen zwischen mehreren Akteuren, bei der sich informelles Wissen u. A. auch mit formellem, kodifi- ziertem Wissen vollkommen neu arrangiert. Basisinnovationen sind das Ergebnis von Kooperationen mehrerer Akteure. Im strengen Sinne muss daher nicht nur von Hu- mankapital sondern auch von Sozialkapital (DÖRING 2004) gesprochen werden, das über eine weitere Wissensform verfügen muss: die kommunikative Kompetenz. Die dazugehörigen Lernprozesse werden als learning-by-interacting bezeichnet.

Soll eine Basisinnovation in der Ursprungsregion zu wirtschaftlichem Wachstum bei- tragen, muss der Technologietransfer von der Produktion des wissenschaftlichen Ergebnisses zur Produktherstellung vor Ort in neu zu gründenden Unternehmen er- folgen. Das setzt wiederum eine vollkommen andere Qualität von Wissen in der Re- gion voraus: Wissen über Gründungsmanagement. Dazu zählt theoretisches wie

217 praktisches Wissen zur Unternehmensführung im weitesten Sinne (z. B. über Finan- zierung, Fördermöglichkeiten, Patentierung, Verwertung, Beschäftigung).

Änderungen des technologischen Systems stellen Kombinationen aus Basis- und inkrementellen Innovationen dar. Sie vermögen eine starke Breitenwirkung in Volks- wirtschaften durchzusetzen. FREEMAN und PEREZ (1988) führen als Beispiel Inno- vationen der 20er bis 50er Jahre in der Kunststoff-Chemie, Petro-Chemie und im Maschinenbau an. Damals hielten Kunststoffe als Querschnittstechnologie in ver- schiedene Branchen Einzug. Derartige Kombinationen erfordern das gesamte Spek- trum von Wissen und Lernen. Gleiches gilt für die Innovationsform, die gemäß der Taxonomie von Freeman/Perez den stärksten Einfluss auf den Strukturwandel einer Volkswirtschaft nimmt: das neue techno-ökonomische Paradigma. Ein solcher Para- digmenwechsel beruht auf einem Bündel von Basisinnovationen, die einen neuen „common sense for best productivity“ (FREEMAN und PEREZ 1988, S. 49) zur Ent- faltung kommen lassen wie etwa der Übergang von der fordistischen zur postfordisti- schen Produktionsweise.

Regionale Entwicklungsschübe sind demnach nicht allein das Ergebnis von Wissen. Erst die Kombination aus Wissen, Information und Lernen in kollektiven Prozessen legt die Basis für regionales Wachstum über Innovationen. Das rückt Akteure und Netzwerke in den Mittelpunkt einer regionalen Entwicklungsstrategie.

4 Wissen, Akteure und Akteursnetzwerke

Zentraler Akteur im Wirtschaftsgeschehen ist immer der Unternehmer. Sein strategi- sches Verhalten zielt einerseits auf preisliche Wettbewerbsfähigkeit durch inkremen- telle Prozess- und Organisationsinnovationen sowie Produktionsverlagerungen in etablierten Branchen. Andererseits verfolgt der Unternehmer Basisinnovationen im Produktsegment, um neue, differenzierte Märkte zu erschließen. Sie sichern die Wis- sensvorsprünge, die eine langfristige komfortablere Wettbewerbsfähigkeit von Unter- nehmen und Regionen sicherstellen können. Volatile Märkte verlangen von ihm dy- namische Anpassungsfähigkeit in allen Innovationsfeldern. Die Herausbildung von wirtschaftlichen Erfolgsregionen vollzieht sich jedoch nicht einseitig nur durch die In-

218 itiative des Unternehmers (industry-led) (SCHÄTZL 2001, S. 236), sondern ist auch science- und/oder policy-led.

Regionale Wachstumsbeispiele, bei denen Hochschulen eine herausragende Bedeu- tung im Netzwerk von Akteuren und Organisationen gespielt haben, lassen sich so- wohl für Kern- (Stanford University im Silicon Valley, Massachuesetts Institute of Technology und die Route 128 in Boston, Cambridge University in Cambridgeshire) als auch für Peripherregionen (University of Limerick in der Shannon Region/Irland, University of Twente in den Niederlanden, University of Joennsu in Nord- Karelien/Finnland) ausmachen. Erstere erlebten ein enormes volkswirtschaftliches Wachstum durch Dominoeffekte im Gründungsgeschehen: permanente Zellteilungen von Universitätsausgründungen, die sich sehr schnell zu „global players“ entwickel- ten. Aber auch Peripherregionen können auf beachtliche Erfolge verweisen, die sie zumindest zu „regional players “ avancieren ließen (BOUCHER/CONWAY/VAN DER MEER 2003). „Universities in this category are large players in the region in terms of knowledge production and their economic impact. However, they are not necessarily large universities in their national context. Their relative size gives them the potential to play important enabling roles in regional policy making (Hervorhebung durch Ver- fasserin). This means that universities in these regions are better positioned to shape the institutional environment to their own ends, which gives them the capacity to en- gage proactively and to seek to determine the regional agenda” (BOUCHER/CONWAY/VAN DER MEER 2003, S. 891).

Ein Blick auf die Entwicklungsgeschichte Silicon Valleys, das mit seinen Eingangs- voraussetzungen gegenüber Mecklenburg-Vorpommern durchaus auf Übereinstim- mungen verweisen kann, vermag Einsichten in die Architektur eines Innovationssup- portsystems zu geben und kann unter gewissen Einschränkungen Hinweise für eine erfolgreiche Netzwerkinstitutionalisierung geben.

219 5 Der Prototyp eines wissenschaftsgeleiteten innovativen Milie- us: Silicon Valley - ein Vorbild für Mecklenburg-Vorpommern?

Silicon Valley dient spätestens seit den 70er Jahren für Regionalplaner als Prototyp für regionales Wachstum auf der Basis von Innovation, Wissen und Lernen. Ein Blick auf die Entwicklungsgenese legt ein Netzwerk zwischen Akteuren und Organisatio- nen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik offen, das durch ein Ineinandergreifen von nationalen und regionalen Governance-Strukturen geprägt ist. Zentraler Baustein war eine private Universität mit wirtschafts- und ingenieurwissenschaftlicher Orientie- rung: Stanford University in einem überwiegend ländlich geprägten Umfeld ohne nennenswerte Industrie aber mit geographischer Nähe zur Metropole San Francisco.

Die wesentlichen Impulse für regionales Wachstum gehen auf Schlüsselpersönlich- keiten aus der Universität zurück, die mit spezifisch fachlichem und betriebswirt- schaftlichem Wissen, Führungsqualitäten sowie kommunikativer Kompetenz ausge- stattet waren. Ihre Präsenz vor Ort ist eine Frage des Zufalls und hilft erklären, war- um aus Sicht von Theoretikern wie Empirikern, Vernetzungsinitiativen allein nicht zwangsläufig zum Erfolg führen (FROMHOLD-EISEBITH 1995).

Der damalige Rektor der Universität, Frederick E. Terman, förderte in ganz entschei- dender Weise Forschung und Lehre in Kombination mit regionalem Unternehmertum durch Gründung des Stanford Research Institutes und Ansiedlung eines Stanford Industrial Parks, in denen das an der Universität ausgebildete Humankapital über universitäre spin-offs in der Region verankert und weiterer brain drain verhindert werden sollte. Gleichzeitig suchte die Universität unter Leitung Termans engen Kon- takt zu regional bereits existenten Unternehmen, um einerseits Praktikumsplätze für Studenten zu sichern, andererseits den dortigen Mitarbeitern Weiterbildung in der Universität anzubieten (Lebenslanges Lernen). So war die Universität anwendungs- orientiert, industrienah kontinuierlich an unternehmerischen Problemlösungsprozes- sen beteiligt.

Dank seiner kommunikativen Kompetenz sowie seines herausragenden Rufs konn- ten renommierte Persönlichkeiten für Lehrstühle gewonnen werden. Das brachte exogenes Wissen in die Region. Ausschlaggebend für den Zuzug externer Wissen- schaftler waren günstige Forschungsbedingungen und weiche Standortfaktoren (Kli-

220 ma, Freizeitwert). Einer der so eingeworbenen Wissenschaftler gab den entschei- denden Impetus für Universitätsausgründungen: William Shockley, der Erfinder der Basisinnovation Transistor, gründete das Shockley Transistor Laboratory als spin off aus der Universität und übernahm Hochschulabsolventen als Mitarbeiter, die sich dann wiederum als Ausgründer betätigten. In einem solchen Unternehmen, Fairchild Semiconductor, wurde der Grundstein für die Basisinnovation der Halbleiterindustrie gelegt: der integrierte Schaltkreis. Einige Jahre später erfolgte eine entscheidende Zellteilung von Fairchild Semiconductor, mit der Gründung von Intel. Das Unterneh- men erschloss sich mit seiner Basisinnovation Mikroprozessor einen neuen Markt. Integrierter Schaltkreis und Mikroprozessor lösten einen exorbitanten regionalen Wirtschaftsboom aus. Heute sind in dem ehemals ländlich geprägten Raum mehr als 150 Unternehmen in der High-Tech-Branche tätig. Ende der 90er Jahre erzielten die- se einen Umsatz von 299 Mrd. Euro (EDCU 2000). Zu den bekanntesten zählen Hewlett Packard, Intel, Cisco Systems, Sun Microsystems und Oracle.1

Der Wissensaustausch erfolgte auf informellen (Akteure) und formellen Wegen (Or- ganisationen und Akteure). Den informellen Kontakten wird insbesondere im Zu- sammenhang mit der Entwicklungsgeschichte von Silicon Valley besondere Bedeu- tung beigemessen, da sie nicht an Unternehmensgrenzen halt machten. In regiona- len, wissenschaftlichen Clubs kam es zu den erforderlichen face-to-face-Kontakten. Im Rahmen dieser Austauschprozesse über die Unternehmensgrenzen hinweg ent- stand zwischen den Akteuren ein regionales Identifikationsgefühl, das Vertrauen und Reziprozität verstärkte und das regionale Image verbesserte. Dies sind zwingende Notwendigkeiten, wenn tacit knowledge geteilt werden soll. Die Unternehmen agier- ten relativ schnell global – dank ihres Wettbewerbsvorsprungs –, sicherten damit die Offenheit des Systems nach außen und die Einbringung von innovativen Außenim- pulsen, die sich schließlich lernprozessual über regionale Vernetzung mit vor- und nachgelagerten KMUs weiter vermittelten. Eine solche lose Kopplung der Kontakte untereinander schützte vor Strukturkonservierungen (lock-ins). Nach Auffassung von

1 Auch das Ausgründungsnetzwerk um MIT ist volkswirtschaftlich gesehen heute ausgesprochen wichtig. Inzwischen haben die Absolventen des Bostoner MIT 4000 spin offs gegründet, die 1 Million Menschen Arbeit geben und einen Umsatz von 230 Mrd. Dollar erzeugen (Welt am Sonntag vom 29. August 2004: Konzerne streiten um Patent-Eigentum

221 STERNBERG (1998, S. 106) wurde der Gründungsboom durch nationalstaatliche Rahmenbedingungen begünstigt. Dazu zählte eine vorteilhafte Banken- und Steuer- gesetzgebung, die die Basis für einen großen Venture Kapitalstock schuf. Allerdings ist Risikokapital nicht ausschlaggebend für die genannten Basisinnovationen gewe- sen. Sehr viel entscheidender für den Wachstumsboom waren dagegen die Vergabe militärischer Forschungsaufträge und die sich anschließende, durch staatliche Orga- nisationen (Militäreinrichtungen) gesicherte Nachfrage nach den neuen Produkten. Auch dieser Netzwerkbaustein ist wiederum an die Persönlichkeit Termans gebun- den. Er hatte in seiner Zeit an der Harvard University selbst einem staatlichen For- schungsprojekt vorgestanden. Diese Erfahrung und seine Kontakte platzierten ihn in den mainstream der staatlichen Elektronikforschung. Die staatlich garantierte Ab- nahme der neuen Produkte sicherte einen Käufermarkt, den sich innovative Unter- nehmen auf den zivilen Branchenfeldern über längere Zeiträume mühsam erschlie- ßen müssen. Der Transfer von der militärischen zur zivilen Produktion wurde in Sili- con Valley durch eine Innovation im us-amerikanischen Patentrecht erleichtert. Seit 1980 kann jeder Universitätsprofessor, der in einem staatlich geförderten For- schungsprogramm Forschungsergebnisse durch seine Leistung vorweisen kann, diese patentieren lassen. Die Universitäten sind dazu verpflichtet, Tantiemen mit den Forschern zu teilen. Diese Institutionalisierung stellte eine Initialzündung für wissen- schaftliche Unternehmensgründungen im Umfeld der Universität dar. SAXENIAN (1985) und STERNBERG (1998) kommen unabhängig voneinander zu dem Schluss, dass der Wachstumsboom in Silicon Valley zwar durch Gesetze und militärisch ausgerichtete Forschungsprogamme begünstigt wurde, dass die politische Initiative aber nur implizit regionalwirksam war. Mit anderen Worten die räumliche Wirkung war nicht politisch intendiert, sondern ist das Ergebnis von Zufällen, die sich im Bereich von intra- und interregionalem Netzwerkmanagement ebenso ergaben wie auf der Akteursebene selbst mit Persönlichkeiten, die über spezifische Fähigkei- ten und Kontakte verfügten. Nicht dem Zufall überlassen sind Forschungsgelder, die nachweislich eine entscheidende Determinante für den Wachstumspfad darstellten. Sie sind Thema des nachfolgenden Kapitels.

222 6 Die deutsche FuE-Governance: Investitionen

Die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und Regionen hängt im 21. Jahrhundert ganz entscheidend davon ab, wie schnell neues Wissen geschaffen und in neue Produkte umgesetzt werden kann. FuE-Aufwendungen sind auf der Inputseite ein wichtiges strategisches Instrument zur Schaffung von Wissen, deren Höhe in interna- tionalen (Nationen) wie intraregionalen (Bundesländer) Vergleichen gerne zur Positi- onsbestimmung im Wettbewerb herangezogen wird. Die OECD-Statistik bzw. die Statistik des Bundeswirtschaftsministeriums gibt Aufschluss über alle erbrachten FuE-Aufwendungen differenziert nach jeweiligen Nationalstaaten bzw. Bundeslän- dern.

Im interregionalen Vergleich der OECD-Länder konnte sich Deutschland 2001 nur noch auf Rang 8 hinter Schweden, Finnland, Island, Japan, Süd-Korea, USA und der Schweiz behaupten vor Dänemark, Frankreich und Belgien. 2000 war die BRD noch auf Rang 6 platziert.

Wird der Blickwinkel auf die intraregionale Ebene Deutschlands konzentriert, so er- gibt sich ein differenziertes Bild, das ein klares West-Ost als auch Süd-Nord-Gefälle offenbart. 2001 wurden in der BRD 51,9 Mrd. Euro für FuE aufgewandt. Das waren 4% mehr als noch im Jahr 2000. Mit Blick auf die einzelnen Bundesländer (Abb. 3) können Baden-Württemberg, Berlin, Bayern, Hessen und Bremen auf über dem bun- desdeutschen Durchschnitt (630 Euro je Einwohner) liegende FuE-Aufwendungen insgesamt verweisen. Alle neuen Bundesländer sind weit abgeschlagen erheblich unter dem Durchschnitt positioniert. Mecklenburg-Vorpommern bildet das Schluss- licht mit 206 Euro je Einwohner gefolgt vom Saarland (225), Sachsen-Anhalt (227), Brandenburg (255) und Schleswig-Holstein (271).

Aufgespalten nach Akteurs- bzw. Organisationsgruppen, die im deutschen Innovati- onssystem FuE-Aufwendungen erbringen - Unternehmen, Bund und Länder - lässt sich die wesentliche Schwäche im FuE-Geschehen der neuen Bundesländer er- schließen. Von den zusammengefassten FuE-Aufwendungen kamen 70% (2000: 66%) aus der Wirtschaft. Damit bleiben die Unternehmen die zentralen Akteure auf der Inputebene. Im selben Jahr trugen der Bund und die jeweiligen Länder jeweils nur 15% zum FuE-Aufkommen bei.

223 Abbildung 3: Regionale Aufteilung aller FuE-Ausgaben nach Ländern (Wirtschaft, Bund und Länder in Euro je Einwohner)

1200 1088

1000 892 917 759 775 800 669 BRD Durchschnitt 630 Euro je 558 600 443 441 459 380 400 255 271 206 225 227 200

0

Berlin Bayern Bremen Hessen Hamburg SaarlandSachsen Brandenburg Niedersachsen Rheinland-Pfalz Sachsen-Anhalt Schleswig-Holstein Nordrhein-Westfalen

Mecklenburg-Vorpommern

Quelle: Bundesministerium für Forschung und Bildung

Abbildung 4: Regionale Aufteilung der FuE Ausgaben der Unternehmen auf Sitzländer der Forschungsstätten (in Euro je Einwohner)

1000 882 900 800 700 700 615 600 519 BRD Durchschnitt 441 Euro je Einw. 500 406 400 343 343 330 279 300 217 195 200 93 122 87 58 100 31 0

Berlin Bayern Bremen Hessen Hamburg SaarlandSachsen Thüringen Brandenburg Niedersachsen Rheinland-Pfalz Sachsen-Anhalt Schleswig-Holstein Baden-Württemberg Nordrhein-Westfalen

Mecklenburg-Vorpommern

Quelle: Bundesministerium für Forschung und Entwicklung, Statistisches Bundesamt, eigene Berech- nungen

224 Baden-Württemberg, Bayern und Hessen sind Spitzenreiter bei den unternehmeri- schen FuE-Investitionen2. Dabei handelt es sich um Länder, die über eine gesunde Branchen- wie Größenstruktur der Unternehmen verfügen. Für die neuen Bundes- länder offenbart sich das eigentliche Problem: ihnen fehlt die unternehmerische Ba- sis. Im Zuge der Transformation konnten nur wenige Großbetriebe aus den alten Kombinaten herausgelöst, privatisiert und modernisiert werden. Faktisch handelt es sich um verlängerte Werkbänke, deren FuE-Abteilungen exterritorial in den westli- chen Headquartern untergebracht sind. In der Konsequenz verschiebt sich der Anteil der FuE-Aktivitäten auf KMU. Sie tragen in den neuen Ländern 58% zum Gesamt- aufkommen der Forschungsausgaben bei, KMUs in den alten Ländern dagegen nur 8% (BMBT 2002, S. xvi). Dies ist nicht Ausdruck besonderer Stärke von KMUs in den neuen Ländern, sondern lediglich statistisches Echo der ungünstigen Branchenstruk- tur.

Abbildungen 5 und 6 stellen schließlich die regionale Aufteilung von FuE- Aufwendungen durch den Bund sowie durch die Landesregierungen auf Ebene der Bundesländer dar. Bei den Bundesmitteln ragen die Stadtstaaten Bremen, Berlin und Hamburg mit ihren weit überdurchschnittlichen Werten heraus, die durch die hohe Konzentration von staatlichen Forschungseinrichtungen verursacht wird. Baden- Württemberg, Bayern, Brandenburg und Sachsen liegen mit den bundesdeutschen FuE-Investitionen leicht über dem Durchschnitt bzw. im Durchschnitt. Alle anderen Länder liegen darunter. Mecklenburg-Vorpommern (81 Euro je Einwohner) nimmt im Vergleich zum Saarland (41) und Rheinland-Pfalz (42) sogar noch eine etwas gün- stigere Position ein.

Bei den Landesmitteln für Forschungszwecke ragen wiederum Berlin, Bremen und Hamburg unter den alten Bundesländern sowie Sachsen und Thüringen unter den neuen Bundesländern als überdurchschnittlich heraus. Mecklenburg-Vorpommern liegt mit 94 Euro je Einwohner genau im Durchschnitt des FuE-Länderaufkommens gleichauf mit Baden-Württemberg. Jedoch machen die FuE-Landesmittel Mecklen- burg-Vorpommerns 46% aller FuE-Aufwendungen von 2001 aus, wohingegen die Landesmittel in Baden-Württemberg mit nur 9% zu Buche schlagen.

2 Die FuE-Aufwendungen lagen herunter gebrochen bis auf die Landesebenen nur für 1999 vor.

225 Abbildung 5: Regionale Aufteilung der FuE-Bundesmittel nach Bundesländern 2001 (in Euro je Einwohner)

350

300 287

250 234 199 200 BRD Durschnitt 95 Euro je Einw. 150 113 93 97 96 100 75 81 75 83 68 82 65 42 41 50

0

Berlin Bayern Bremen Hessen Hamburg Saarland Sachsen Brandenburg Niedersachsen Rheinland-Pfalz Sachsen-Anhalt Schleswig-Holstein Nordrhein-Westfalen

Mecklenburg-Vorpommern

Quelle: BMBF, Statistisches Bundesamt, eigene Berechnungen

Abbildung 6: Regionale Aufteilung der Landes-FuE-Mittel (in Euro je Einwohner)

164 180 160 146 140 129 127 BRD Durchschnitt 94 Euro je 120 120 101 94 98 94 96 100 85 81 76 80 65 69 67 60 40 20 0

Berlin Bayern Bremen Hessen Hamburg Saarland Sachsen Brandenburg Niedersachsen Rheinland-Pfalz Sachsen-Anhalt Schleswig-Holstein Nordrhein-Westfalen

Mecklenburg-Vorpommern

Quelle: BMBF, Statistisches Bundesamt, eigene Berechnungen

226 Das Defizit an unternehmerischen und nationalstaatlichen FuE-Aufwendungen in den neuen Bundesländern kann kaum durch Forschungsförderung der jeweiligen Lan- desregierungen allein ausgeglichen werden. Selbst der Forschungsbericht des BMBF wirft die Frage auf, ob nicht bezogen auf die neuen Bundesländer erheblicher Korrekturbedarf an der bisherigen Förderpraxis besteht. Die jüngeren Erfahrungen am Standort Bremen sprechen für eine komplementäre FuE-Lösung durch Bund und Land (WILLMS 2000). Ein Blick auf den Outputindikator Patente unterstreicht die Notwendigkeit für einen Kurswechsel.

7 Patente: ein wichtiger Output-Indikator

Innerhalb der OECD konnte sich Deutschland bei den Patentanmeldungen pro Milli- on Einwohner nur noch auf Rang 5 positionieren hinter der Schweiz, Schweden Ja- pan und Finnland aber noch vor den Niederlanden, Israel und Japan (OECD 2004). Gegenüber 1991 fiel Deutschland damit von Rang 3 zurück.

Die Vergleiche legen eine enge Korrelation von Patentanmeldungen mit FuE- Ausgaben offen. Die FuE-starken Bundesländer Baden-Württemberg und Bayern führen die Rangfolge an mit 130 bzw. 115 Patenten je 100.000 Einwohner. Mecklen- burg-Vorpommern, als FuE-schwächstes Bundesland, bildet auch bei den Patent- meldungen das Schlusslicht (13). Von den neuen Bundesländern ist es nur Thürin- gen dank seines Technologiedreiecks Jena – Ilmenau – Schmalkalden gelungen, alte Bundesländer wie Schleswig-Holstein, Bremen und das Saarland sowie Berlin zu überholen.

227 Abbildung 7: Patenterteilungen 2003 nach Bundesländern je 100.000 Einwohner

Mecklenburg-Vorpommern 13

Brandenburg 15

Sachsen-Anhalt 18

Sachsen 19

Schleswig-Holstein 23

Bremen 25

Saarland 31

Berlin 32

Thüringen 35

Niedersachsen 37

Nordrhein-Westfalen 49

Hamburg 58

Rheinland-Pfalz 62

Hessen 65

Bayern 115

Baden-Württemberg 130

0 20 40 60 80 100 120 140

Quelle: Patentinformationszentrum Rostock

Die EU-Osterweiterung hat den Wettbewerb zwischen Ost und West vor allen Dingen in den traditionellen, arbeitsintensiveren Branchen besonders verschärft. Zu kom- merzialisierende Patente und Neuerfindungen stellen unter diesen Rahmenbedin- gungen eine wichtige Voraussetzung für die Erarbeitung von Wettbewerbsvorteilen dar. Nur so können neue Produkte, neue Märkte und größere Gewinnmargen er- schlossen werden. Bei mangelnder Unternehmensbasis bilden Universitäten, Fach- hochschulen und sonstige öffentliche Forschungseinrichtungen eine entscheidende Plattform in einem sich verschärfenden Innovationswettbewerb. Dem Rechnung tra- gend hat die Bundesregierung nationale Governance-Instrumente geschaffen, die insbesondere Hochschulen zu Motoren der regionalen Entwicklung machen sollen. Dazu zählen die Auflösung des Hochschullehrerprivilegs in Kombination mit dem Aufbau einer breiten Patent- und Verwertungsinfrastruktur 2002, die „Exist-Initiative“

228 zur Schaffung von Ausgründungsnetzwerken aus Hochschulen sowie das Konzept „Unternehmen Region“.

8 Wissen und Netzwerk: zentrale Bausteine des jüngeren natio- nalen Innovationsnetzwerks

8.1 Patentverwertungsagenturen und die Aufhebung des Hochschullehrer- prinzips Auch wenn sich deutsche Hochschulen mit bislang etwa 1.500 Patentmeldungen pro Jahr durchaus sehen lassen konnten, trugen sie nur 4% (PVA 2004, S. 8) zum Pa- tentaufkommen Deutschlands bei. Generell wurde beklagt, dass viele Erfindungen von Professoren nicht patentiert, Patentrechte vorzeitig abgetreten, Patente nur un- zureichend weiter verfolgt, Lizenzvereinbarungen eher eine Ausnahme als die Regel darstellten. Damit ging wichtiges Innovationspotenzial verloren. Als Ursache wurde das bis 2001 geltende Hochschullehrerprivileg diagnostiziert, wonach das alleinige Recht auf Patentierung und wirtschaftliche Verwertung bei den Erfindern lag. Als lo- gische Folge kamen Verwertungserlöse den Hochschulen nicht zugute, so dass Reinvestitionen aus den Forschungsergebnissen in die Forschungsinfrastruktur un- befriedigend waren.

Die Reform des Arbeitnehmererfindungsgesetzes (§ 42) erteilt heute den Hochschu- len das Recht, alle Erfindungen ihrer Mitarbeiter an sich zu ziehen und sie zum Pa- tent anzumelden. Um eine bessere Hochschul-Patentierungsrate sicher zu stellen, wurde eine Patent- und Verwertungsinfrastruktur aufgebaut. Insgesamt verfügt Deutschland heute über 22 Patent- und Verwertungsagenturen (PVA), die mehrere Hochschulen als auch außeruniversitäre Forschungseinrichtungen einer Region pro- fessionell betreuen (BMBF und BMWT 2001 S.3f) bzw. Erfinder von bürokratischen und finanziellem Aufwand befreien.

Zu den Aufgaben der PVAs zählen ferner

· kostenlose Erfinderberatung, · Bewertung von Erfindungen im Sinne von Neuerfindungen (patentierbar) und Alterfindungen

229 · Entscheidungen über die wirtschaftliche Nutzbarkeit über Lizenzen, Industrieko- operationen, Drittmittelverträge oder aber im Sinne von Ausgründungen aus den Hochschulen. · Reinvestition von Erlösen aus der wirtschaftlichen Verwertung in die Hochschulin- frastruktur.

8.2 Ausgründungsoffensive aus Hochschulen Die Ausgründungsintensität deutscher Hochschulen im Vergleich mit anderen Län- dern, insbesondere den USA, hatte sich bis zum Ende der 90er Jahre ausgespro- chen unbefriedigend entwickelt. Eine Studie des Zentrums für Wirtschaftsforschung (ZEW 2001) in Mannheim führt für den Zeitraum von 1996-2000 nur einen Anteil von 1% an allen deutschen Neugründungen auf Hochschulen und öffentliche For- schungsreinrichtungen zurück.3 Dabei zeigten sich die Ingenieur-, Agrar-, Natur- und Wirtschaftswissenschaften ausgründungsfreudiger als andere Fachrichtungen.

Um eine Gründungskultur innerhalb von Hochschulen zu installieren, schrieb das BMBF 1997 einen Exist-Wettbewerb zur Förderung von Existenzgründungen aus Hochschulen aus, der mit 109 Wettbewerbsbeiträgen auf ein breites Echo stieß. Von 80 den Ausschreibungsanforderungen entsprechenden Anträgen wurden fünf prä- miert. Bis 2002 wurden auf der Basis dieser Förderung 450 Ausgründungen initiiert, ein respektables Ergebnis. Die Erfolge führten zu einer Neuauflage des Programms unter der Bezeichnung Exist-Transfer. In der zweiten Runde wurden zehn Wettbe- werber akzeptiert, wovon drei aus den neuen Bundesländern stammen (TUCnet in Chemnitz/Zwickau/Mittweida, Begin in Potsdam/Brandenburg und Gründerflair in M- V). In den meisten Programmen sind mehrere Universitäten und Fachhochschulen zusammengefasst. In M-V die Universitäten Rostock und Greifswald sowie die drei Fachhochschulen in Wismar, Stralsund und Neubrandenburg.

3 Bundesrepublikweit konnten insgesamt 250.000 Firmengründungen recherchiert werden. Davon konnten 64.000 dem forschungs- und wissensintensiven High-Tech-Sektor zugeordnet werden. Nur 37.000 dieser Neugründungen gehen auf Akademiker zurück, jedoch entsprachen nur 6.800 der De- finition Ausgründung aus staatlichen Forschungseinrichtungen. Am ausgründungsintensivsten wa- ren Fachhochschulen mit 2,1 Ausgründungen je 100 Professoren, gefolgt von Technischen Universi- täten (1,8), Universitäten (1,6) und Fraunhofer Gesellschaft (1,4)

230 Abbildung 8: Standorte des Exist-Programms

231 8.3 Unternehmen Region Die Initiative „Unternehmen Region“ basiert auf Erfahrungen mit dem etwas älteren Inno-Regio Konzept und ist auf die spezifischen Bedürfnisse in den neuen Bundes- ländern ausgerichtet. Unter dem Dach „Unternehmen Region“ sind 3 neue Program- me mit Inno Regio zusammengefasst mit dem Ziel, in Regionen

· die Herausbildung wettbewerbsfähiger Profile für die Wirtschaft und Wissenschaft herauszuarbeiten,

· erfolgreiche Gründungen in innovativen Marktsegmenten auf den Weg zu brin- gen,

· die Abwanderung zu stoppen,

· durch Angebot attraktiver Entwicklungschancen an den talentierten wissenschaft- lichen Nachwuchs.

· Die drei Teilprogramme bauen aufeinander auf und sollen die Entwicklungsgene- se von der zunehmend lernenden Region zum innovativen Milieu orchestrieren:

· das Programm Interregionale Allianzen hilft in der Startphase über Innovationsfo- ren den eventuellen Akteuren ein thematisches Profil zu finden, Kooperationen mit Blick auf eine spätere Netzwerkbildung einzuleiten.

· Das Programm Innovative regionale Wachstumskerne begleitet den nächsten Schritt: die Erarbeitung eines Innovationskonzeptes, das sich an der Erstellung eines Business-Plans orientiert. In dieser Phase können die regionalen Akteure eine professionelle Beratungsleistungen zurückgreifen.

· Das Programm Zentren für Innovationskompetenz zielt auf die Herausbildung in- ternational leistungsstarker Forschungszentren in den neuen Bundesländern.

Das DIW bestätigt dem BMBF eine gute Wirksamkeit der Innovationsförderung durch Inno Regio (DIW 2004) in dem Ziel, lernende Regionen zu erzeugen. Abbildung 8 zeigt die Standorte dieser Initiative.

232 Abbildung 9: Standorte von „Unternehmen Region“

233 9 Hochschulen als strategisches regionalpolitisches Entwick- lungsinstrument für Mecklenburg-Vorpommern?

„Universities are at the heart of our productive capacity and are powerful drivers of technological change. They are central to local and regional economic development and produce people with knowledge and skills. They are at the hub of business net- works and industrial clusters of the knowledge economy.” (Lord Sainsbury, Minister of Science in Großbritannien, nach Lauton Smith 2003, S. 903)

Eine mehr als 10 Jahre währende Subventionierung von Privatinvestitionen und der Aufbau einer wirtschaftsnahen Infrastruktur haben Mecklenburg-Vorpommern kaum Wachstumseffekte bescheren können. Die mit hohen Investitionskosten errichteten Technologie- und Gründerzentren (TGZ) sind mit Unternehmensgründungen, Be- schäftigten- und Umsatzentwicklung weit hinter den Erwartungen geblieben. Es ist dringend an der Zeit, ein alternatives regionales Entwicklungskonzept zu konzipieren, wenn sich die ökonomische Schere zwischen Ost-West nicht noch weiter auseinan- der entwickeln soll. Für eine moderne Regionalentwicklungspolitik stellen dabei die periphere Lage, mangelnde unternehmerische Basis bei Groß-, Mittel- und Kleinbe- trieben verbunden mit altindustrieller Monostruktur, mangelnder Unternehmenskultur, fehlender kritischer Masse von Betrieben aus innovationsorientierten Wachstums- branchen sowie daraus resultierendem brain drain echte Herausforderungen dar. Die Umkehr dieser Strukturschwächen erfordert ein langfristig angelegtes Konzept, das vor allen Dingen nicht den zweiten Schritt vor dem ersten vollzieht. Unverzichtbare Voraussetzung für die zielgerichtete Auslastung (technologieorientierte Unterneh- mensgründungen) von TGZ ist die Durchsetzung eines Gründungsklimas.

Diese neue Politik muss einer weiteren Herausforderung Rechnung tragen, der EU- Osterweiterung. Die Liberalisierung der Handelsbeziehungen unter den Bedingungen enormer Lohnkostenunterschiede wird in Marktsegmenten wie standardisierten Pro- dukten des verarbeitenden Gewerbes, konsum- und einfachen unternehmensorien- tierten Dienstleistungen besondere Probleme bereiten, da ihre Produktion via Preis- wettbewerb durch Produktionsstandorte im Osten substituiert werden kann. Erste wirtschaftswissenschaftliche Stimmen fordern Lohnsenkungen als Anpassungsmaß- nahmen in den besonders betroffenen, grenznahen Gebieten. Folgerichtig lassen

234 sich Wettbewerbsvorteile gegenüber den neuen Mitgliedstaaten nur über Innovati- onswettbewerb sichern.

Wenn wissensintensive, regional konzentrierte Netzwerke eine notwendige Voraus- setzung für die Generierung von Innovationen sind, die unternehmerische Basis da- für jedoch fehlt, sind zwangsläufig Hochschulen und öffentliche Forschungseinrich- tungen ins Zentrum des politischen Interesses zu rücken. Dabei ist es Aufgabe der Politik die Rahmenbedingungen entsprechend zu setzen, Aufgabe der Hochschule die Verantwortung als Standortbildner für die Region wahrzunehmen und umzuset- zen über Investitionen in die Hochschulen, Modernisierung der Lehrpläne gemäß den sich wandelnden Anforderungen an die neuen Berufsprofile, Einwerbung renommier- ter Forscher und Lehrer.

Angesichts der angespannten Haushaltslage setzt eine solche Politik die Schaffung von Bedingungen voraus, die Synergien erzeugen. Dies kann im Rahmen einer inte- grierten Entwicklungspolitik erfolgen, die den gegenwärtigen Trends von Globalisie- rung und Regionalisierung Rechnung trägt (KOSCHATZKY 2001). Das beinhaltet die Implementation von

· Wissensplattformen,

· Kommunikationsplattformen (Foren),

· sowie Schaffung von Anreizen zur regionalen Netzwerkbildung, in denen sich Lernprozesse zielgerichteter koordinieren lassen,

· und Unterstützung bei der Herstellung regionsexterner Verbindungen.

Ob sich dann aus den politisch initiierten Rahmenbedingungen tatsächlich mittelfri- stig eine lernende Region bzw. langfristig ein innovatives Milieu entwickelt, ist, wie nicht nur die Genese des Silicon Valley zeigt4, von Zufällen wie etwa involvierten Persönlichkeiten und ihren spezifischen Fähigkeiten entlang der Raum-Zeit-Schiene abhängig. Mit Glück kommt es zu „geplanten Zufällen“5.

4 vgl. hierzu auch Grotz, R. und Schätzl, L. (Hrsg.): Regionale Innovationsnetzwerke im internationalen Vergleich. Münster, Hamburg, Berlin, London 2001 5 Ossenbrügge, J.: Evolution und Steuerung geographischer Formen der wissensbasierten Wirtschaft, in: Schwinges, R.C. u. A. (Hrsg.): Innovationsräume, Bern 2001, S. 99

235 Der Begriff der Integration bezieht sich einerseits auf ein kongeniales Ineinandergrei- fen von Europa-, Bundes- und Landespolitik, nicht nur was die Allokation von Res- sourcen anbelangt. Integration bedeutet auch die Zusammenführung von Ressortpo- litiken auf die oben genannten Ziele. Im Rampenlicht stehen die Ressorts Bildung und Forschung, Wirtschaft, Finanzen und Arbeit. Abbildung 9 stellt die integrierte Regionalentwicklungspolitik nur für die Landesebene dar.

Zurzeit steht die Finanzpolitik des Landes dem Ziel, Hochschulen und öffentliche Forschungsreinrichtungen zum Standortbildner für die Region zu nutzen, diametral entgegen. Das Argument aus der Finanzpolitik greift zu kurz, wonach ein struktur- schwaches Land mit der Hochschulfinanzierung reichere Regionen alimentiere, in- dem die exzellent Ausgebildeten dem Land durch brain drain verloren gingen, den reicheren Regionen jedoch einen brain gain beschere. Nachweislich bleiben Alumni in der Region, wenn sie mit ihren Produktideen für sich eine ökonomische Zukunft erkennen können (KULICKE 2002, S. 42).

Die desolate Haushaltslage macht zweifelsohne das Aufspüren weiterer Einsparpo- tenziale nötig, jedoch muss die Weichenstellung klar sein: Neben dem Abbau kon- sumtiver Ausgaben – hier wäre an den nach wie vor hohen Personalbestand in der öffentlichen Verwaltung zu denken – sollten die verbleibenden knappen öffentlichen Mittel dort zum Einsatz kommen, wo sie den höchsten wirtschaftlichen Nutzen erzie- len. Das setzt Konzentration der wenigen Mittel auf die Regionen und Objekte inner- halb der neuen Länder voraus, in denen bereits eine kritische Masse an Wach- stumspotenzial besteht und langfristig ein verhältnismäßig hoher Impuls für die wirt- schaftliche Entwicklung erwartet werden kann (IWH 2002, S. 463).

236 Abbildung 10: Forschungslandschaft Mecklenburg-Vorpommern 2004

Darß Rügen Ostsee

Stralsund

Warnemünde Insel Rostock Ziese Groß Lüsewitz Greifswald

Peenestrom Dummers-

dorf Trebel Dassower See Peene

Tollense Wismar Nebel Stepenitz Peene

Augraben

Gr. Land Nebel Radegast Teterow Augraben gr aben graben Zarow Ostpeene Land Westpeene Kl. Schwerin

Datze

Warnow

Störkanal Neubrandenburg

Randow Elde Elde ÜckerPasewalk Sude Elde

Schaale Parchim Müritz Havel

Havel-Müritz-

Kanal Havel ELBE

Rögnitz

Neue Elde

Alte Elde 50 km

interdisziplinäre Technologiezentren in der Planung als Universität: Fraunhofer Institute: Kompetenzzentren: Technologieparks Universität Rostock 2 Institute in Rostock Lasertechnologie und Transferzentrum (Rostock) Universität Greifswald (Graphische Datenverarbeitung und Kompetenzzentren: Brandlabor (Rostock) Produktionstechnik) Wasserstoffkompetenzzentrum (Schwerin/Wismar) Biotechnikum (Greifswald) Kompetenzzentrum biogene Ressourcen Fachhochschulen: Forschungsinstitute: Zentrum für Lebensmitteltechnologie (Groß Lüsewitz) (Neubrandenburg) Biomedizinisches Forschungszentrum (Rostock) Wismar, Stralsund, Biologie landwirtschaftlicher Nutztiere Forschungszentrum Biosystematik und Kompetenzzentrum Flugzeugentwicklung und Neubrandenburg (Dummersdorf) Biomaterialien (Teterow) Flugzeugbau () Institut für Niedertemperatur und Plasmaphysik Biomedizinisches Technikum (Teterow) Max-Planck-Institute: (Greifswald) Multimediakompetenzzentrum (Rostock) Ostseeforschung (Warnemünde) Demographie Rostock Atmosphärenphysik (Rostock) Plasmaphysik Greifswald Viruskrankheiten der Tiere (Insel Riems) IfOK (Rostock)

Quelle: eigene Darstellung

Dank des föderalen Systems verfügt Mecklenburg-Vorpommern über eine diversifi- zierte und geographisch auf die größeren Zentren konzentrierte höhere Bildungs- und Forschungsinfrastruktur (Abb. 10). Sie stellt vor dem Hintergrund einer zu ent- wickelnden diversifizierten Unternehmenslandschaft als Erzeuger von innovativem technologischen Wissen, Patenten und Humankapital, das potenzielle Gründungsak- teure umfasst, wertvolles endogenes Potenzial dar, dem im Zuge der gegenwärtigen Sparmaßnahmen enormer Schaden zugefügt wird. Die geplanten Stellenstreichun- gen beruhen weniger auf Erfolgs- bzw. Misserfolgskriterien (Höhe der aus der Wirt- schaft eingeworbenen Mittel, Patent- und Ausgründungsleistungen, Anzahl der Stu-

237 denten) als vielmehr auf der Basis personalrechtlicher Erwägungen (Streichung von Stellen, die noch nicht wiederbesetzt wurden oder die aufgrund bevorstehender Emeritierung der bisherigen Inhaber bald frei werden). Es steht außer Frage, dass diese Entscheidungen in den einzelnen universitären Gremien zudem von den herr- schenden Machtverhältnissen getragen werden. Sie stellen nicht nur die Systemfä- higkeit einzelner Fachrichtungen sondern auch der einzelnen Hochschulen im Hin- blick auf die zu erschließenden Gründungspotenziale (diese sind bekanntlich bei den ingenieur-, agrar-, natur- und wirtschaftswissenschaftlichen Fachbereichen am größ- ten) in Frage, sondern es geschieht auch nicht in Abgleichung mit den von der Lan- despolitik deklarierten Forschungsschwerpunkten.

Dass die Hochschulen des Landes berechtigte Hoffnungsträger für regionale Wach- stumsimpulse sind, macht die Dynamik des Hochschulsektors seit den geänderten Rahmenbedingungen zum Hochschullehrerprivileg und der Verwertung von For- schungsergebnissen deutlich. Von 2000 auf 2003 betrug der Zuwachs der Patent- anmeldungen 150% (Welt am Sonntag vom 29.8.2004: Innovationsstandort Deutsch- land, S. 27). Ein statistischer Vergleich aller PVAs der Bundesrepublik Deutschland bescheinigt Mecklenburg-Vorpommerns Hochschulen einen hohen Innovationsgrad. Sowohl bei Erfindungen und Patenten erreicht das Land Platz 8.

238 Abbildung 11: Statistischer Vergleich aller PVAs (1. VJ 2002 – 1. VJ 2003)

Neuerfindungen Patente

350 329

300

244 250

200 182 157 150 117

100 71 70 54 52 58 56 58 58 55 48 44 42 50 34 34 31 31 24 29 22 26 17 21 17 19 18 13 21 17 17 15 10 10 8 7 9 5 2 3 5 0

BE-ipal BY-FhGBW-TLB PVA-SH PVA-MV RP-IMG ST-ESA SL-KWT SN-SPVA F15-FhG HE-GiNo IZKF-FhG HB-innoWiTH-PATON NW-rubitec BW-PVA-TU NI-Inov-Gesell HE-TransMIT BB-Brainshell NW-PROvendis HH-TUHH-Tech HE-INNOVECTIS

Quelle: PVA MV 2004

Werden die Erfindungsmeldungen kumuliert für den Zeitraum 2002 bis einschließlich des ersten Vierteljahres 2004 betrachtet, dann sind von 165 Meldungen allein 30% als Patente eingestuft worden (49). Die verbleibenden Erfindungen (116) stellen zu 51% Neuerfindungen dar. Differenziert nach Einrichtungen erweist sich die in der Peripherregion Vorpommern gelegene Universität Greifswald sogar als Spitzenreiter. Von dort stammen 47% aller Erfindungs- und 47%. Die Universität Rostock, die in der einzigen Großstadt Mecklenburg-Vorpommerns zu Hause ist, folgt mit weitem Abstand (22% bzw. 29%). Auch wenn Fachhochschulen eine stärkere Praxisorientie- rung nachgesagt wird, schlägt sich das für M-V nicht in einer höheren Erfindungsin- tensität nieder. Die Fachhochschulen Stralsund, Neubrandenburg und Wismar sind hinsichtlich Erfindungs- und Patentanmeldungen mit jeweils weniger als 5% am In- novationsoutput beteiligt. Von den weiteren öffentlichen Forschungseinrichtungen ragt lediglich die Fraunhofer IGD mit Anteilen von 13% bei Erfindungs- und 6% bei Patentanmeldungen heraus. Der Wettbewerb zwischen den jeweiligen Landesein-

239 richtungen sollte durch entsprechende Anreize herausgefordert werden. Die von der PVA MV durchgeführten Ideenwettbewerbe sind ein Schritt in die richtige Richtung.

Abbildung 12: Erfindungsmeldungen und Patentanmeldungen nach Einrichtungen nach PVA MV (1. VJ 2002-1. VJ 2004)

Erfindungsmeldungen Patentanmeldungen

60 54

50

40

30 23 25

20 14 15

10 6 5 4 2 4 3 3 2 2 1 1 1 0 0

IfOK

Uni Rostock FH Wismar FH Stralsund Uni Greifswald Fraunhofer IGD INP Greifswald FBN Dummersdorf FH Neubrandenburg

Quelle: PVA MV 2004

Die Wahrnehmung der regionalen Verantwortung durch Hochschulen und öffentliche Forschungseinrichtungen kann sich unter den gegenwärtigen internen Management- strukturen nur schwer realisieren. Das Führungspersonal sieht sich als Fachpromotor und ist zu sehr auf sich selbst bezogen, weniger mit der Region befasst. Insbesonde- re in Peripherregionen sollte die Leitung von Hochschulen durch ein professionelles regional orientiertes Management erfolgen, das den Fachpromotoren die notwendige Zeit und Kopffreiheit für ihre Forschungsarbeiten ermöglicht und sie von Verwal- tungsaufgaben entlastet. Solche Regionspromotoren sollten über eine entsprechen- de Reputation verfügen hinsichtlich Macht und Einfluss, denn nur über die Einbin- dung derartiger Persönlichkeiten in leitenden Funktionen lassen sich regionsorientier- te Entscheidungen durchsetzen. Eine der zentralen Aufgaben des Managements

240 wäre es, die Hochschulakteure (Professoren, wissenschaftliche Mitarbeiter, Studen- ten) für Gründungsthemen zu sensibilisieren. Das kann über Alumniarbeit in Verbin- dung mit Gründerberichten erfolgen, indem ehemalige Absolventen, die sich selb- ständig gemacht haben, von ihren Erfahrungen in Sonderveranstaltungen berichten. Von Bedeutung sind ferner Imagekampagnen, die die Hochschulstandorte in Meck- lenburg-Vorpommern, die Rahmenbedingungen vorausgesetzt, als optimale For- schungs- bzw. Studiumsstandorte sowie als ideales forschungsorientiertes Umfeld für Unternehmensgründer vermarkten. Für den Studienstandort spricht die Professo- ren-Studenten-Relation (POHLE 2004) und die Tatsache, dass ein Studium in den neuen Bundesländern weniger Zeit und Geld kostet.

241 Abbildung 13: Innovationssupportsytem für Mecklenburg-Vorpommern

Integrierte Regionalentwicklungspolitik

One-Stop- Gründungsservice

Hochschulen

Professionelles Management

Sensibilisierung Fachliche Quali- Betriebs- Aktive für Gründungs- fizierung wirtschaftliche Gründungs- themen Qualifizierung unterstützung

Alumniarbeit, Vermittlung Entrepreneur- Preisgünstige fachlichen Wis- ship Lehrstühle: Bereitstellung Unternehmens- sens in Centers von Räumen, pflege („Gründer Vermittlung of Excellence Geräten; berichten“), theoretischen Vorrang für betriebswirtschaf Freistellung/ Werbekampag- tlichen Wissens nen intra- und Natur-, Ingeni- Teilzeit in Grün- extraregional eur- und Wirt- Lebenslanges dungsphase; schafts- Lernen (Öffnung FuE-Koop.; wissenschaften für Externe) Informelle Kon- takte bei techni- schen Fragen,; Diplomarbeiten; Uni als Kunde

Quelle: eigene Darstellung

242 Gemeinsam sollten Landespolitik und Hochschulen das Curriculum auf die Fachbe- reiche ausrichten, die aller Wahrscheinlichkeit nach die größten regionalen Ent- wicklungspotenziale entfalten können. Dazu gehören Ingenieur-, Agrar-, Natur- und Wirtschaftswissenschaften. Sie bieten sich mit ihren nachweislichen Ausgrün- dungspotenzialen für eine Center-of-Excellence Strategie an. Zu bedenken ist in die- sem Zusammenhang, ob nicht die bestehenden Forschungsschwerpunkte des Lan- des zu erweitern sind. Bislang hat das Kultusministerium MV vier Forschungs- schwerpunkte deklariert:

· Biosystemtechnik · Neue Wirkstoffe und Biomaterialien · Funktionelle Genomforschung · Informations- und Kommunikationsforschung. Die Mittelvergabe aus dem Haushalt des Landes an die Hochschulen erfordert eine Abgleichung mit den landespolitisch festgelegten Forschungsschwerpunkten unge- achtet der Hochschulautonomie.

Wesentlicher Baustein des Hochschulsupportsystems für regionale Entwicklung muss die betriebswirtschaftliche Qualifizierung werden, die parallel zum Studium der Fachwissenschaften angeboten werden sollte. Dies ist mit der Einführung von Entre- preneurship-Lehrstühlen möglich, deren Lehrveranstaltungen in die Curricula der jeweiligen Fachdisziplinen aufzunehmen ist. In einer Umfrage des Fraunhofer Insti- tuts für Systemtechnik und Innovationsforschung (2002) schätzte ein erheblicher Teil der Befragten die unternehmerische Zusatzausbildung während der Fachqualifizie- rung im Studium als geeignetsten Zeitraum ein. Sie sollte neben der Vermittlung breit gefächerter theoretischer Kenntnisse über Management, Finanzierung, Förderung, Beschäftigung und Marketing auch die Erfahrungen von Praktikern in die Lehre ein- binden.

Da in den Transformationsgebieten der Bundesrepublik die von der älteren Generati- on erlernten alten Strukturen die Herausbildung neuer Strukturen behindern, sollte der universitäre Baustein betriebliche Qualifizierung auch im LUNDVALLschen Sinne zum Einsatz kommen: „to ‚unlearn’ the institutional structures“ (1994). Das würde Öffnung der Hochschule für Seniorstudenten bedeuten, die sich nachholend die er-

243 forderlichen Kenntnisse erwerben könnten. Da sich im Berufsleben stehende Persön- lichkeiten kaum in den Stundenplan einer Universität einreihen können, ist auch an Fernstudium (virtuelle Universität) oder summer school zu denken.

Schließlich verbleibt in der vierten Säule des Hochschulmanagements, die aktive Gründungsunterstützung. Das kann über die Bereitstellung von preisgünstigen Räu- men in Gründungslaboren, Geräten, Teilzeitbeschäftigungslösungen oder gar Frei- stellung in der Unternehmensgründungsphase realisiert werden. Ferner sind vertrag- lich geregelte FuE-Kooperationen mit Unternehmen aus der Region, informelle Kon- takte bei technischen Problemen, die Vermittlung von Diplomarbeiten und Personal- austausch denkbar. Es versteht sich von selbst, dass die Hochschulen auch als Kunden bei Neugründern einen wichtigen Beitrag für die Gründungskultur leisten können.

Neben der Hochschule und der integrierten Regionalentwicklungspolitik ist ein weite- rer Akteur zu installieren, ein sogenannter one-stop-Gründungsservice. Derzeit se- hen sich Gründungswillige einer Vielzahl von Beratungseinrichtungen gegenüber: Gründerflair, Technologie- und Gründerzentren, Technologie- und Transferstellen, Innovationsagentur sowie einer Flut von Förderprogrammen. Mit der Einrichtung von Patentverwertungsagenturen hat die Bundespolitik einen zentralen Ansprechpartner für alle Patentfragen geschaffen. Ein erweitertes Aufgabenspektrum könnte ein grün- dungsbegleitendes, auf die spezifische Situation des Unternehmens angepasstes Coaching sein, mit dem hohe Überlebensraten der Unternehmen leichter sicher zu stellen sind. Die hierfür erforderlichen Mittel sollten nicht wie bisher auf viele Akteure und geographische Standorte verteilt werden: Qualität vor Quantität. Um nur ein Bei- spiel zu nennen, bislang werden die ohnehin geringen EXIST-Mittel für Gründerflair auf alle fünf Hochschulstandorte verteilt. Ein zentraler Ansprechpartner sollte den Unternehmensgründer auf seinem Weg durchgängig begleiten und zumindest von seiner Seite aus den Durchblick durch den unübersichtlichen Förderprogramm- dschungel im Sinne seines Klienten haben. Seine professionelle Kenntnis sichert die passende Auswahl des richtigen Förderprogramms bzw. die Kombination der För- derprogramme.

244 Auch die Zuständigkeit von Behörden für die Förderprogramme sollte in einer Hand liegen und nicht wie jetzt auf das Arbeitsministerium (Fachhochschulen) und das Wirtschaftsministerium (Universitäten) aufgesplittet sein. In der Zuständigkeit einer one-stop-Organisation muss auch die Durchführung von Gründerforen, die Ausge- staltung von Messen, Weiterbildungsseminaren (Erstellen eines Business Plans), Infotagen. Mit entsprechendem Sozialkapital lassen sich wichtige externe Kontakte aufbauen. So ist es für große Unternehmen von außerhalb oftmals finanziell günsti- ger, FuE-Leistungen über outsourcing zu organisieren.6 Das trifft insbesondere auf Gründer aus Leibnitz Instituten zu, die generell als fortschrittlichste, industrienahe Institute eingeschätzt werden. Über diese Schnittstelle wäre auch ein Schritt in um- gekehrter Richtung denkbar, der als Patent-Patenschaft bezeichnet werden kann. Viele Forschungsergebnisse in Unternehmen werden nicht als Patente angemeldet, weil sie nicht in das Unternehmensportfolio passen. Statt des Transfers in den Markt erleben sie den Transfer in das Unternehmensarchiv. Die PVA MV könnte in Koope- ration mit dem Leibnitz Institut als einer industrienahen Forschungsreinrichtung als knowledge broker tätig werden.

10 Fazit

Unter den derzeitigen Entwicklungsbedingungen zunehmender Globalisierung, EU- Osterweiterung, Transformation in eine Wissensgesellschaft stehen vor allen Dingen die Regionen der neuen Bundesländer unter einem enormen Anpassungsdruck. An- gesichts dieser Entwicklungen haben diese Regionen in einem sich intensivierenden Wettbewerb nur eine Chance, wenn sie einen innovationsorientierten Strukturwandel durchsetzen. Dazu bedarf es eines Innovationssupportsystems, das mit Hochschulen als zentralen Bausteinen in Kooperation mit einer integrierten Regionalpolitik die the- oretischen wie empirischen Erkenntnisse in die Tat umsetzt. Voraussetzung für ein Gelingen ist ein auf die Region ausgerichteter top down und bottom up Ansatz für die Generierung wissensorientierter Technologien.

6 Prof. Beller, Ostseezeitung vom 6.2. 2004

245 Abbildung 14: Integrierte Regionalentwicklungspolitik (IREP)

IREP- intraregional supraregional Ressorts

Finanz- - Sparpolitik im konsumtiven Bereich - eine Steuerpolitik (Bund), die die Bil- politik - Vorrang den Hochschulen und öffentli- dung von Risikokapital begünstigt chen Forschungseinrichtungen als Inkuba- - Bildung einer Technologiebeteili- toren für Gründungen gungsgesellschaft (als Tochter der Nord - Mecklenburg-Vorpommern Kapital (Ven- LB), die Risikokapital für technologieori- ture Kapital Fonds des Landes) entierte Unternehmen zur Verfügung stellt und ein „Matching“ von regionalem mit überregionalem Risikokapital ermög- licht Bildungs- - unternehmerische Planspiele in den Schu- - Anwerbung regionsexterner Studenten politik/ len des Landes Kulturpo- - Entrepreneurchip-Lehrstühle an den litik Hochschulen - überregionale Vermarktung von regio- - Ausbau weicher Standortfaktoren (Kultur- nalen Kultur- und Freizeitevents einrichtungen, Freizeiteinrichtungen) in den Forschungs-/Bildungszentren For- - Forschungsschwerpunkte - Anwerbung von exzellenten, regions- schungs- - Ausrichtung der Hochschulen auf For- externen Professoren für die Hochschu- politik schungsschwerpunkte sowie weitere grün- len im Land dungsintensive Fachrichtungen der Natur-, (Forschung wie Lehre) Agrar-, Ingenieur- und Wirtschaftswissen- - Gezielte Kommerzialisierung von regi- schaften onsexternen Forschungsergebnissen im - Professionelles Hochschulmanagement Umfeld der Hochschulen durch know- zur optimalen Ausgestaltung der Inkubator- ledge broker (z.B. durch Leibnitz Institu- funktion te) Wirt- - Beseitigung des Förderprogrammdschun- - Einwerbung von regionsexternen po- schafts- gels durch Förderprogrammexperten in tenziellen Gründern: „Leben und arbei- politik - One-Stop-Service-Agenturen, die der ten, wo andere Urlaub machen“ Beratung von potenziellen Gründern dienen (Hilfe bei Erstellung des Business Plans, - Internationale Repräsentanzen im Ver- Business-Plan-Wettbewerbe, Beratung bei bund mit den anderen Bundesländern der Beantragung der passenden Fördermit- telprogramme, Info-Stammtische) - Internationale Messebeteiligungshilfen - Coaching durch Experten aus der One- Stop-Service-Agentur in den ersten 2 Jah- ren nach der Gründung - Vernetzung des clusterorientierten Re- - Zur Qualitätssicherung der One-Stop- gionalen Innovationssystems mit überre- Service-Agentur Bündelung der Experten gionalen Systemen (z.B. maritime Indu- an einem Standort des Landes strie in Europa, Biotechnologie im Ost- - Erstellung eines clusterorientierten Regio- seeraum) nalen Innovationssystems (Internetportale, die regionale Unternehmen des Landes vorstellen)

Quelle: eigene Darstellung

246

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250 Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Hochschulen als Kernkompetenz ...... 214

Abbildung 2: Innovation, Wissen und Lernen ...... 216

Abbildung 3: Regionale Aufteilung aller FuE-Ausgaben nach Ländern (Wirtschaft, .... Bund und Länder in Euro je Einwohner) ...... 224

Abbildung 4: Regionale Aufteilung der FuE Ausgaben der Unternehmen auf ...... Sitzländer der Forschungsstätten (in Euro je Einwohner)...... 224

Abbildung 5: Regionale Aufteilung der FuE-Bundesmittel nach Bundesländern ...... 2001 (in Euro je Einwohner) ...... 226

Abbildung 6: Regionale Aufteilung der Landes-FuE-Mittel (in Euro je Einwohner) 226

Abbildung 7: Patenterteilungen 2003 nach Bundesländern je 100.000 Einwohner 228

Abbildung 8: Standorte des Exist-Programms...... 231

Abbildung 9: Standorte von „Unternehmen Region“ ...... 233

Abbildung 10: Forschungslandschaft Mecklenburg-Vorpommern 2004 ...... 237

Abbildung 11: Statistischer Vergleich aller PVAs (1. VJ 2002 – 1. VJ 2003).... 239

Abbildung 12: Erfindungsmeldungen und Patentanmeldungen nach ...... Einrichtungen nach PVA MV (1. VJ 2002-1. VJ 2004) ...... 240

Abbildung 13: Innovationssupportsytem für Mecklenburg-Vorpommern ...... 242

Abbildung 14: Integrierte Regionalentwicklungspolitik (IREP)...... 246

251 252 Gerald Braun

Licht am Ende des Tunnels? Ostdeutschlands weiter Weg in die Dienstleistungsgesellschaft.

INHALT

1 Regionale Polarisierung im globalen Standortwettbewerb...... 255

2 Zum Konzept der Tertiarisierung...... 256

3 Theorien der Dienstleistungsgesellschaft ...... 260

4 Tertiarisierung im Ost-West-Vergleich ...... 264

5 Tertiarisierung und Raumstruktur im Nordosten Deutschlands...... 269

5.1 Formen und raumstrukturelle Wirkungen des Tertiarisierungs- prozesses...... 269

5.2 Hierarchisierung der Regionen und Innovationsräume ...... 271

5.3 Ostdeutsche Städte zwischen Auslagerung und Ansiedlung von Wissensmilieus ...... 276

6 Räumliche Diffusionseffekte des Tertiarisierungsprozesses...... 277

7 Die Zukunft der Dienstleistungsgesellschaft ...... 279

8 Eine Innovationspolitik für strukturschwache Räume...... 281

Literatur...... 285

Abbildungsverzeichnis ...... 288

Übersichtsverzeichnis ...... 288

253

254 1 Regionale Polarisierung im globalen Standortwettbewerb

Am Anfang des 21. Jahrhunderts steht auch der Nordosten Deutschlands – grob vereinfacht – vor drei Herausforderungen:

• Dem Entstehen globaler Produkt-, Kapital- und Arbeitsmärkte, die das über- kommene System der internationalen Arbeitsteilung nachhaltig transformieren (Globalisierung),

‚ der Revolutionierung der Informations- und Kommunikationstechnologien mit bislang ungeahnter Beschleunigung und Verdichtung weltweiter Informations- ströme (Digitalisierung),

ƒ dem Übergang fortgeschrittener Industrie- zu Dienstleistungsgesellschaften, in denen wissensintensive Dienste zum Motor gesellschaftlicher Entwicklung zu werden scheinen (Tertiarisierung).

Die drei skizzierten Prozesse lassen sich analytisch voneinander trennen, sind aber faktisch untrennbar miteinander verbunden – und beeinflussen unmittelbar die Ent- wicklung innerhalb und zwischen konkurrierenden Regionen, bedeuten sie doch:

· wachsenden Wettbewerbsdruck auf Standorte, Wirtschaftsräume und regionale Netzwerke;

· anhaltenden Strukturwandel, in dessen Verlauf agrarisch und (alt-)industriell do- minierte Räume irreversibel an gesamtwirtschaftlicher Bedeutung verlieren;

· komparative Wettbewerbsvorsprünge für Innovationsräume mit humankapitalin- tensiven High-Tech- und High-Service-Clustern;

· die ständige Aufwertung regionaler Wissensmilieus als Wachstumsressource, da die Produktion, Akkumulation und Anwendung von Wissen langfristig den Wett- bewerb der Regionen entscheidet.

Weltweit steigende Konkurrenzintensität bedeutet – zusammengefasst – zunehmen- de Polarisierung zwischen wettbewerbsstarken und wettbewerbsschwachen Regio- nen. „Nationen und Regionen, die in die Wissensbasis ihrer Bevölkerung investieren, sind diejenigen, die in diesem Wettbewerb eine größere Chance haben, auf der Ge- winnerseite zu stehen. Die, die es nicht tun, oder deren Bevölkerung nicht bereit ist, zu lernen und ständig neu zu lernen, dürften eher zu den Verlierern zählen. Investi- tionen in das sogenannte Humankapital sind damit ein Schlüsselfaktor im, gegenüber 255 den letzten Jahrzehnten intensiveren, weil global ausgerichteten Wettbewerb.“ (DEUTSCHER BUNDESTAG 2002, S. 203).

Über die spezifischen raumstrukturellen Konsequenzen dieser Entwicklung für die ‚late modernizers‘ im Nordosten Deutschlands, für Berlin, Brandenburg und Mecklen- burg-Vorpommern, existieren mehr vage Vermutungen als gesicherte Erkenntnisse:

· Die wirtschaftswissenschaftliche Diskussion zu Ostdeutschland hat sich bislang verständlicherweise auf Fragen der Systemtransformation konzentriert.

· Empirische Untersuchungen über Transformations- und Stagnationsregionen lie- gen – wenn überhaupt – nur für Teilsektoren und –räume vor.

· Unverändert besteht ein Mangel an geeigneten, d. h. empirisch verifizierten Theo- rien des räumlichen Strukturwandels für Transformationsökonomien an der Schwelle zur nachindustriellen Gesellschaft.

Die Folge dieses theoretischen wie empirischen Defizits ist u. A., dass die praktische Wirtschafts- und Regionalpolitik in den Neuen Bundesländern weitgehend allein ge- lassen eine Strategie des „muddling through“ verfolgen muss.

Im vorliegenden Fall ist es weder möglich noch sinnvoll, die skizzierten Defizite auch nur annäherungsweise aufzufüllen. Statt dessen sollen – wesentlich bescheidener – einige theoretische Argumentationslinien nachgezeichnet und verschiedene Argu- mente ‚sortiert‘ werden, die sich mit den räumlichen Folgen des Tertiarisierungspro- zesses, definiert als Übergang in die Dienstleistungsgesellschaft, beschäftigen.

2 Zum Konzept der Tertiarisierung

Unter Tertiarisierung wird aus makroökonomischer Perspektive die langfristige Zu- nahme des Dienstleistungsanteils an der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung und/oder Beschäftigung verstanden. Dieser Prozess ist gemeinhin durch drei Merk- male gekennzeichnet: Er ist säkular, von Notzeiten abgesehen irreversibel und er ist universell, d. h. in Entwicklungs-, Industrie- und postindustriellen Gesellschaften nachweisbar, weist jedoch nach Tempo und Inhalt unterschiedliche Entwicklungsver- läufe auf.

Die empirische Strukturforschung basiert in der Regel auf einer 3-Sektoren-Einteilung von Primärsektor (Agrarproduktion und Rohstoffgewinnung), Sekundärsektor (In- dustrie, gewerbliche Wirtschaft) und Tertiärsektor (Dienstleistungen im weitesten

256 Sinne). Dabei wird nur die Produktion der Unternehmen erfasst, die dem Dienstlei- stungssektor zugeordnet sind. Diese konventionelle Sektorabgrenzung übersieht, dass Dienstleistungen auch innerhalb des industriellen und des agrarischen Sektors getätigt und dort erfasst werden. Werden diese Dienstleistungsfunktionen ausgeglie- dert (‚Outsourcing‘), dann wächst statistisch der Sektor ‚Dienstleistungen‘ ohne dass die gesamtwirtschaftliche Wertschöpfung wächst. Die Dienstleistungs- oder Tertiari- sie-rungsintensität einer Volkswirtschaft ist daher nicht sektoral, sondern nur funktio- nal, d. h. tätigkeitsbezogen zu erfassen, stößt aber auf erhebliche statistische Ermitt- lungsprobleme.

Dabei ist der Dienstleistungsbegriff vieldeutig, theoretisch wie empirisch umstritten. Traditioneller Weise werden dem Dienstleistungssektor Tätigkeiten zugeschrieben, die nicht der materiellen Gütererzeugung dienen. Und der besondere Charakter von Dienstleistungsarbeit sei ihr uno-actu-Prinzip: Produktion und Verbrauch fänden bei Dienstleistungen orts- und zeitgleich in der selben Handlung statt. Im Gegensatz zu materiellen Gütern können Dienstleistungen nicht transportiert werden und sie sind auch nicht lagerfähig – können also nicht auf Vorrat gehalten oder per Versand ab- gesetzt werden. Da es sich bei Dienstleistungen um „Dienste am Menschen“ handelt, sind nach der ursprünglichen 3-Sektoren-Theorie die Möglichkeiten ihrer Technisie- rung und Rationalisierung äußerst begrenzt.

Derart allgemeine Beschreibungen erweisen sich jedoch analytisch als wenig nützlich und sind zum Teil empirisch widerlegt (HICKEL 1999, S. 155f.):

Die Ursachen der Ausweitung des tertiären Sektors auf der Basis eines bislang do- minanten Industriebesatzes (und dessen künftiger Entwicklung) lassen sich nur durch funktionale Auffächerung dieses Wertschöpfungs- und Beschäftigungsbereichs er- fassen: (1) Konsumorientierte Dienstleistungen, die den privaten Haushalten zuflie- ßen versus unternehmensorientierte Dienste einerseits, und (2) öffentlich finanzierte, sozialstaatlich alimentierte versus privatwirtschaftlich, gewinnorientierte Dienstlei- stungen andererseits, entwickeln sich nach unterschiedlichen Bedingungen und wei- sen unterschiedliche räumliche Differenzierungsprozesse auf. Wichtige öffentliche Dienstleistungsfelder können wegen ihrer Gemeinwohlorientierung durch das privat- wirtschaftliche Kalkül der Märkte nicht erschlossen werden und unterliegen – mögli- cherweise – einer spezifischen regionalen Entwicklungsdynamik.

257 Mittlerweile scheint sich die Erkenntnis durchzusetzen, dass eine optimal ausge- schöpfte Dienstleistungsproduktion auf einen zwar verkleinerten, aber hoch effizien- ten und innovativen Industriesektor angewiesen ist (KALMBACH et al. 2003). Diverse Input-Output-Modelle analysieren zwar produktionsseitige Lieferverflechtungen zwi- schen den Sektoren, setzen aber die Endnachfrage (der Haushalte, Investoren, des Staates oder des Auslands) als exogen gegeben voraus. Die Frage also, welche quantitative und qualitative Bedeutung der Industriesektor für die Expansion des Dienstleistungssektors hat, bleibt letztlich unbeantwortet.

Die eingangs skizzierten Entwicklungen von Ökonomie und Informationstechnologie haben zentrale Annahmen der Dienstleistungsforschung ins Wanken gebracht und große Teile des Wissens entwertet (BAETHGE 2001, S. 9ff.).

· Die traditionelle These von einer begrenzten Rationalisierbarkeit bzw. einer ho- hen Rationalisierungsresistenz von Dienstleistungen, (die am Typus der perso- nengebundenen Dienstleistungen orientiert war), kann als empirisch widerlegt gelten. Tatsächlich gibt es kaum einen Dienstleistungsbereich, der nicht techni- scher oder organisatorischer Rationalisierung zugänglich wäre - wie etwa der Banken- und Versicherungssektor zeigt, der inzwischen auf Grund seiner mas- siven Rationalisierungsfortschritte als Kohle- und Stahlindustrie des 21. Jahr- hunderts bezeichnet wird. „Offen bleibt lediglich, bis zu welchem Ausmaß wel- che Arten von Dienstleistungen in sozial sinnvoller Weise rationalisiert werden sollten.“(BAETHGE 2001, S. 11).

· Durch Einsatz neuer Informations- und Kommunikationstechnologien werden die postulierte Standortgebundenheit und das uno-acto-Prinzip aufgehoben. Dies setzt bislang ungeahnte Bedingungen für die räumliche und institutionelle Verteilung vieler Dienstleistungen und für eine globale Konkurrenz der Angebo- te.

· Damit wächst auch jener Teil der Dienstleistungen, der international handelbar ist. Die Internationalisierung von Diensten beschränkt sich nicht nur auf die klassische Form des Handels. Internationale Direktinvestitionen in Dienstlei- stungen nehmen zu, d. h. auch die Banken-, Versicherungs- und Medienstand- orte entwickeln sich im wachsenden Maße grenzüberschreitend.

· Der Tertiarisierungsprozess vollzog sich bislang – zumindest in Europa – im Rahmen eines fordistisch-wohlfahrtsstaatlichen Produktions- und Verteilungs- 258 systems. „Hohe Produktivitätsgewinne im sekundären Sektor ermöglichten eine – durch staatliche Umverteilungsmaßnahme unterstützte - Erhöhung der Kauf- kraft und damit den Massenkonsum privater Haushalte bzw. die Massenversor- gung mit Dienstleistungen, angefangen bei marktvermittelten Freizeit- und Kul- turdiensten bis hin zu staatlich organisierten Bildungs-, Gesundheits- und sozia- len Sicherungsleistungen.“(BAETHGE 2001, S.11)

Übersicht 1: Traditionelle Erklärungsmuster und aktuelle Trends der Tertiarisierung

Traditionelle Erklärung Aktueller Trend

· Rationalisierungsresistenz · Informatisierung und Globalisierung besei- tigen für das Gros erwerbswirtschaftlich organisierter Dienstleistungstätigkeit die Rationalisierungsresistenz

· Präferenz für höherwertige Dienst- · stagnierende Realeinkommen bei abhän- leistungen bei steigendem Ein- gig Beschäftigten, negativer Außenhan- kommen (Engelsches Gesetz) delssaldo bei Tourismus und Unterhaltung

· Ausweitung der Staatsaufgaben · Finanzierungskrise des Steuerstaates

· autonome Definitionsmacht von · Reformen erzwingen eine Einschränkung Dienstleistungsanbietern und von Leistungen, etwa im Gesundheits- und exogene Faktoren (z. B. Überalte- Sozialwesen und beschneiden autonome rung der Bevölkerung) Definitionsmacht von Anbietern

· Standortgebundenheit · Internationalisierung

Quelle: nach Baethge, M. et al.: PEM 13, Dienstleistungen als Chance: Entwicklungspfade für die Beschäftigung. Im Rahmen der BMBF-Initiative „Dienstleistungen für das 21. Jahrhundert“, Ab- schlussbericht, Göttingen 1999, S. 100.

Wenn nicht alles täuscht, stößt das fordistisch-wohlfahrtsstaatliche Modell an seine Grenzen, nicht zuletzt, weil es einer historisch überholten Industrie- und Ingenieurge- sellschaft entstammt. Damit ist auch eine andere Richtung und Dynamik für die Dienstleistungsentwicklung zu erwarten. Bei konsumorientierten Diensten, die bis- lang durch eine Verschiebung von häuslichen zu kommerziell erbrachten höherwerti-

259 gen Leistungen charakterisiert waren, werden kommerzielle Dienstleistungstätigkei- ten substituiert durch eine Kombination aus Eigenarbeit und Industrieproduktion – was auf eine Re-Industrialisierung postindustrieller Gesellschaften hinaus liefe. So entsteht keine Dienstleistungsgesellschaft, sondern eine Selbstbedienungsgesell- schaft. Unternehmensorientierte Dienste werden unter Markt- und Profitbedingungen internationalisiert und ausgelagert und damit zu ‚footloose services‘ rund um den Erdball. Die Krise des Wohlfahrtsstaates schließlich führt dazu, dass öffentliche Dienstleistungen bislang ‚kostenlos‘ und gemeinwohlorientiert, privatisiert und der Logik betriebswirtschaftlichen Rentabilitätskalküls unterworfen werden.

Es braucht nicht besonders betont zu werden, dass über die spezifischen raumstruk- turellen Konsequenzen dieser Entwicklung der Dienstleistungsproduktion und -beschäftigung keine gesicherten Erkenntnisse existieren.

3 Theorien der Dienstleistungsgesellschaft

Empirisch beobachtbare Bedeutungsgewinne der Dienstleistungsproduktion auf Ba- sis hochentwickelter Industrialisierung haben eine Vielzahl konkurrierender theoreti- scher Konzepte angeregt. Die hierzu vorgelegten Analysen firmieren im wesentlichen unter dem Stichwort „3-Sektoren-Theorie“. Trotz unterschiedlicher Axiomatik und Ar- gumentation im Detail ist ihnen gemein:

1. Die 3-Sektoren-Theorien1 beschreiben die Entstehung und Ausbreitung kapitali- stischer Wirtschaftssysteme in drei Stadien: In der ersten Entwicklungsstufe dominiert die Wertschöpfung in der Landwirtschaft die gesamtwirtschaftliche Produktion. In der zweiten Entwicklungsphase übernimmt die industrielle Pro- duktion, der sekundäre Sektor, die gesamtwirtschaftliche ‚Lead‘-Funktion. Die dritte und letzte Phase der (tertiären) Zivilisation schließlich ist durch die Domi- nanz der Dienstleistungsproduktion bei – absolut wie relativ – sinkender Bedeu- tung der industriellen Erzeugung charakterisiert, d. h. durch Deindustrialisie- rung. Danach werde die postindustrielle Gesellschaft zwischen 2000 und 2020 in ein Gleichgewicht mit etwa 80 Prozent der Beschäftigten im tertiären Sektor münden.

1 Hierzu zählen etwa die Arbeiten von Colin Clark, Allan G.B. Fisher, Jean Fourastié, Daniel Bell, Alan Gartner, Frank Riessman, William J. Baumol, Jonathan Gershuny, L. L. Pasinetti, R.R. Nelson und S.G. Winter.

260 2. Wahlweise werden als Determinanten des Tertiarisierungsprozesses genannt

· auf der Angebotsseite unterschiedliche sektorale Produktivitätssteigerun- gen: ‚hoch bis mittel‘ im Agrar- und Industriesektor, ‚niedrig‘ im Dienstlei- stungssektor, der sich, da arbeitsintensiv, als weitgehend resistent gegen den technischen Fortschritt erweist. Damit wird der technische Fortschritt zum Schlüsselbegriff der Angebotstheorien der Dienstleistungsgesell- schaft;

· auf der Nachfrageseite die systematische Verschiebung der Bedürfnis- struktur bei wachsendem Wohlstand: schnelle Sättigung bei lebensnot- wendigen Agrarprodukten, langsame Sättigung bei Industriegütern und kaum Sättigung bei der Nachfrage nach Dienstleistungen („Hunger nach Tertiärem“, J. Fourastié); eine Gesetzmäßigkeit, die bereits im Engel- Schwabschen Gesetz bzw. in der Maslowschen Bedürfnishierarchie be- schrieben wurde.

Die prognostizierte Entwicklung muss keineswegs eine gewünschte Entwicklung sein. Tatsächlich scheiden sich hier die Geister: Die optimistische Variante bezeich- nete die tertiäre Zivilisation als „große Hoffnung des 20. Jahrhunderts“ (FOURASTIÉ 1954), so der Vater der Debatte, Jean Fourastié. Die Hoffnung liegt in einer Höher- entwicklung der menschlichen Lebensweise zugunsten besserer Arbeitsbedingun- gen, mehr Freizeit und Wohlstand und – raumstrukturell betrachtet – urbanisierter Lebensumstände. Die industriellen Agglomerationen werden sich auflösen zur „tradi- tionellen Vereinzelung ..., doch diesmal mit dem gesamten Komfort, den die moderne Technik bietet“ (FOURASTIÉ 1954, S. 247). Und die tertiären Vorstädte werden den Gartenstadtideen nachkommen, „wenig Steine, viel Himmel, Erde, Bäume und Was- ser“ (FOURASTIÉ 1954, S. 247). Humane Urbanisierung ist die räumliche Vision der Optimisten. „Das neue Thema ist nicht mehr Ausweitung, Expansion, sondern Besse- rung. Was ich Melioration nennen werde, qualitative anstatt quantitative Entwick- lung.“ (DAHRENDORF 1974, S. 33). Das Fazit der Optimisten lautet: Postmaterielle Orientierungen wie Verbesserung der Lebensqualität und der Umweltbedingungen, Abbau von Hierarchien, persönliche Freiheit und individuelle Selbstbestimmung rük- ken in den Mittelpunkt (GARTNER/RIESSMANN 1978, S. 52), wobei theoretisches Wissen zum „axialen Prinzip“ (BELL 1979, S. 35) der postindustriellen Gesellschaft wird. Es ist die Quelle technischer, politischer und sozialer Innovationen.

261 Die pessimistische Variante der 3-Sektoren-Theorien richtet sich gegen die Annahme einer prinzipiell grenzenlosen Ausweitung des Konsums kommerzieller Dienstleistun- gen, die durch formelle Erwerbstätigkeit produziert werden. Damit wird die zentrale These der optimistischen Theorieansätze, nämlich die unbegrenzte Expansion von Dienstleistungsarbeit, in Frage gestellt. Der Angriff bewegt sich auf zwei Ebenen, einer theoretischen und einer empirischen: Ausgangspunkt sind – wie bei den Opti- misten – unterschiedliche Produktivitätszuwächse in der Güterproduktion und bei Dienstleistungen. Während die Löhne in der Güterproduktion entsprechend der Pro- duktivitätssteigerung erhöht werden (und insofern einer realen Leistungssteigerung entsprechen), steigen sie parallel im tertiären, nichtprogressiven Sektor ohne ent- sprechende Erhöhung der Produktivität. Die ökonomischen Konsequenzen liegen auf der Hand: Dienstleistungsprodukte verschwinden langsam vom Markt, weil sie schlicht zu teuer sind - oder mögliche staatliche Subventionen der kulturellen und sozialen Infrastruktur führen langfristig zum Kollaps der Staatsfinanzen. Daher ist das Wachstum konsumorientierter Dienste begrenzt: Sie müssen entweder an ihrer „Ko- stenkrankheit“ (BAUMOL 1967, S. 416) sterben oder künstlich durch den Staat ali- mentiert werden, was aber an unübersteigbare finanzielle Schranken stößt. Im übri- gen sei das vermeintliche Wachstum des tertiären Sektors weitgehend auf ‚Outsour- cing‘ von Dienstleistungsfunktionen in selbständige Unternehmen zurückzuführen. Die Externalisierung von Dienstleistungsbeschäftigung in selbständige Firmen ist da- her lediglich eine Verschiebung zwischen statistischen Kategorien (HÄUßER- MANN/SIEBEL 1995, S. 20).

Das effektive Wachstum des Dienstleistungssektors ist demnach keineswegs drama- tisch, zumal kommerzielle konsumorientierte Dienstleistungsarbeit durch eine Kom- bination aus Eigenarbeit und Industrieproduktion substituiert wird (GERSHUNY 1981). Die rationalisierbaren und profitablen Bestandteile der Dienstleistung werden in Gestalt von Waschmaschinen, Küchengeräten, Bankautomaten verstofflicht und den privaten Haushalten verkauft, die in informeller Eigenarbeit saubere Wäsche, Mittagessen und Bankleistungen herstellen. In dieser postmodernen Arbeitsteilung werden die rationalisierbaren und damit profitablen Bestandteile der Dienstleistungs- produktion industrialisiert, der Rest wird der informellen Arbeit in den privaten Haus- halten überlassen.

262 Das Fazit der Pessimisten lautet: Der Weg in die Dienstleistungsgesellschaft ist öko- nomisch nicht gangbar. Es gibt keinen Grund, an den Grundzügen der Industriege- sellschaft zu zweifeln.

Gemeinsam ist den skizzierten Sektor-Theorien der Tertiarisierung im wesentlichen:

· Erkenntnisobjekt sämtlicher Theorien sind (spät-)kapitalistische Industrienatio- nen, nicht hingegen postsozialistische Transformationsgesellschaften.

· Sämtliche Theorien sind insofern überholt, als sie in der Tradition klassischer Stadientheorien die skizzierten Paradigmen des 21. Jahrhunderts, Globalisie- rung, Digitalisierung, Individualisierung, nicht thematisieren.2

· Sämtliche Konzepte prognostizieren auf Grund vermuteter Nicht-Rationalisier- barkeit von Dienstleistungen im Endstadium Stagnation, was für die optimisti- sche Theorievariante eine Hoffnung, für die pessimistische Variante eine Ge- fahr darstellt.

· Die zeitliche und räumliche Koexistenz von Wachstums- und Schrumpfungspro- zessen innerhalb des tertiären Sektors bleibt jenseits des Fragehorizonts dieser Theorien.

· Der Unterschied zwischen unternehmens- und konsumorientierten Dienstlei- stungen wird zwar gesehen, aber es werden daraus keine analytischen und po- litischen Konsequenzen gezogen. Nicht-marktförmige, staatliche Dienstleistun- gen – etwa im Bereich Bildung, Gesundheit, Transport und Verkehr – werden systematisch ausgeklammert, ökologische Dienste bleiben unerwähnt (und werden erst in den neunziger Jahren unter der Überlegung ‚mieten/reparieren’ statt ‚kaufen und wegwerfen’ thematisiert).

· Die Argumentation steht und fällt mit der Gültigkeit und Wirksamkeit des uno- actu-Prinzips. Wenn dieses Prinzip, etwa wegen Rationalisierbarkeit, Auslage- rung und Internationalisierung von Dienstleistungen nur eingeschränkt gilt, er- geben sich gänzlich andere Konsequenzen für Wachstum, Beschäftigung und Innovation.

2 Weiterführende Ansätze finden sich etwa bei N. Stehr und M. Castells. Vgl. Stehr, W.: Wissen und Wirtschaften, Frankfurt a. Main 2001; Castells, M.: The information age. Economy, society and cul- ture, Vol. I – III, Oxford 1996 – 1998.

263 · Analyseeinheit ist die Nation, nicht die Region. Die räumlichen Konsequenzen des Tertiarisierungsprozesses werden daher nur vage angedeutet. Die tertiäre Zivilisation ist, kurz gefasst, eine urbane Zivilisation konzentriert in den Städten der Postmoderne. „Das Drama der Übergangsperiode ist der Übergang aus ei- nem Dorf des Südens, wo die Lebensweise seit dem Altertum unverändert ge- blieben war in eine der ungeordneten Vorstädte der Großstadt des Nor- dens.“(FOURASTIÉ 1954, S. 126).

4 Tertiarisierung im Ost-West-Vergleich

Wie in den – immerhin 50 bis 60 Jahre alten - 3-Sektoren-Theorien überraschend exakt prognostiziert, gewinnt der Dienstleistungssektor auch in Deutschland ein im- mer größeres Gewicht. 2000 waren bereits 65 Prozent der Erwerbstätigen im Dienst- leistungssektor tätig. In der Landwirtschaft arbeiten mittlerweile weniger als 4 Pro- zent, in der Güterproduktion nur noch ein Drittel der Erwerbstätigen.

Abbildung 1: Entwicklung und Prognose des Tertiarisierungsprozesses in Deutschland 1900 – 2010*

* Entwicklung der sektoralen Beschäftigungsanteile in Prozent

Quelle: Prognos AG: Prognos World Report ‘97, Industrial Countries 1995 – 2000 – 2005, Basel 1996.

Nach zeitnahen quantitativen Prognosen wird die Strukturentwicklung in ein neues – endzeitlich zu deutendes – Gleichgewicht mit 80 Prozent der Beschäftigten im tertiä- 264 ren Sektor und weniger als 20 Prozent in der industriellen Produktion münden (vgl. Abb. 1). Der Beschäftigtenanteil in der Land- und Forstwirtschaft ist so klein (unter 2 Prozent), dass er bei der grafischen Darstellung vernachlässigt werden kann.

Der Schwerpunkt des Tertiarisierungsprozesses liegt dabei weniger bei der Verdrän- gung industrieller Erzeugnisse durch Dienstleistungsprodukte oder beim Outsourcing von Diensten, die bis dato im produzierenden Gewerbe erbracht wurden (Externali- sierungshypothese). Es handelt sich vielmehr um einen zunehmend innovationsgelei- teten Prozess, in dessen Verlauf eine zunehmend differenzierte Nachfrage, Techno- logiesprünge und die Globalisierung von Geschäftsbeziehungen dazu zwingen, ver- mehrt Dienstleistungen als intelligente Vorprodukte in Anspruch zu nehmen (Innova- tionshypothese). Dabei steht die eigentliche Expansionsphase der Dienstleistungen der deutschen Volkswirtschaft erst noch bevor. Der tertiäre Sektor wird in den kom- menden Jahren voraussichtlich in einem präzedenzlosen Umfang und Tempo wach- sen – mit ungewissen Folgen. Gemeinsam ist diesem Prozess in Ost- und West- deutschland:

· Der tertiäre Sektor erweist sich als extrem heterogen – gemessen an der gesamt- und regionalwirtschaftlichen Bedeutung (Wertschöpfung, Einkommen, Humanka- pitalintensität, Entwicklungs- und Innovationsdynamik) seiner Sub-Sektoren

· Innerhalb des Sektors besteht eine hohe Dynamik mit parallelen Expansions- und Kontraktionsprozessen. Diese Dynamik manifestiert sich räumlich in Diffusions- vor allem aber in Agglomerationsprozessen.

· Die mikroelektronische Revolution birgt für bestimmte Dienstleistungen beträchtli- che Produktivitäts- und Wachstumspotentiale.

· Der tertiäre Sektor weist erhebliche Polarisierungstendenzen in den Arbeitsver- hältnissen (‚good jobs‘ vs. ‚bad jobs‘) und auch in den Einkommens- und Lebens- bedingungen der Beschäftigten auf (‚working poor‘ vs. ‚super rich‘).

· Weite Teile des Dienstleistungssektors sind durch eine spezifische Kultur, Sozial- struktur und Qualifikationsniveaus charakterisiert. Es handelt sich, grob verein- facht, um einen Angestelltensektor aus ‚white collar‘-Berufen mit - neuerdings - großer Gründungsdynamik und überdurchschnittlicher Qualifikationsstruktur vor allem in Führungsfunktionen; im scharfen Kontrast dazu hingegen auch um instabile Einfach-Jobs im Reinigungs-, Verkaufs- und Restaurantbereich; ein Prozess, der zutreffend mit der ‚McDonaldisierung’ der 265 der zutreffend mit der ‚McDonaldisierung’ der Dienstleistungsgesellschaft um- schrieben wird.

Eine grobe Übersicht über die Aufteilung der Wertschöpfung auf die drei Wirtschafts- sektoren zeigt zunächst keine gravierenden Unterschiede zwischen West- und Ost- deutschland (ELLGER 2003, S. 46ff.).

Abbildung 2: Anteile der Bruttowertschöpfung verschiedener Wirtschaftsbe- reiche im Ost-West-Vergleich im Jahr 2003 (in jeweiligen Preisen)

100 % 100 %

Öffentliche und private 20,5 Dienstleister 28,3

31 Finanzierung, Vermierung, Unternehmensdienstleiste 25,5

Handel, Gastgewerbe, 18,1 Verkehr 17,7

3,9 Baugewerbe 6,5

produzierendes 25,4 20

Landwirtschaft, Fischerei 2,1 1,1 Ost West

Quelle: nach Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit: Wirtschaftsdaten Neue Länder, Berlin, April 2004, S. 5.

Der Primärsektor hat in Ostdeutschland einen größeren, der Sekundärsektor einen geringeren Anteil an der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung. Der Anteil des tertiä- ren Sektors ist in etwa gleich: „Statistisch scheint dabei in Ostdeutschland der Tertia-

266 risierungsprozess sogar etwas stärker fortgeschritten als in Westdeutschland“ (ELL- GER 2003, S. 47) (Ost: 71,5 Prozent; West: 69,6 Prozent).

Die gleichen statistischen Phänomene haben jedoch strukturell ungleiche Ursachen in West und Ost.

In Westdeutschland ist die Tertiarisierung primär das innovationsgeleitete Ergebnis eines – industriellen – Expansionsprozesses, der Übergang in eine hochmoderne Wirtschaftsstruktur; in Ostdeutschland hingegen ist die Tertiarisierung eine Not- oder „Rumpftertiarisierung“ (KLÜTER 2003, S. 33). Sie resultiert aus dem Zusammen- bruch der industriellen Kombinatsökonomie der DDR nach der Wende, ein Prozess, der auch mit dem Begriff der Deindustrialisierung umschrieben wird. Mit anderen Worten: Der tertiäre Sektor ist in Ostdeutschland so stark, weil der Industriesektor so schwach ist.

Erhebliche Unterschiede zwischen West und Ost bestehen daher in der Struktur des tertiären Sektors, u. A. wesentlich bedingt durch historisch überkommene System- und Entwicklungsunterschiede.

Westdeutschland: Fasst man die tertiären Tätigkeiten über alle Sektoren hinweg zu- sammen, so ist der Anteil der Beschäftigen in tertiären Berufen an allen Beschäftig- ten mit 70 Prozent etwa so hoch wie in den USA (RECHMANN 1998, S. 7). Dies wi- derlegt die sogenannte Kompressions- oder Lückenthese für Deutschland. Ein über- durchschnittliches Wachstum (5,9 Prozent p.a.) hochproduktiver unternehmensorien- tierter Dienstleistungen - Nachrichtenübermittlung, Kreditinstitute, Versicherungen – resultiert zum einen aus der überdurchschnittlichen Zunahme tertiärer Vorleistungen für die industrielle Produktion. Zum anderen wurde ‚Information‘ als Gut infolge des Fortschritts in der Kommunikationstechnologie billiger und leichter verfügbar. Mittler- weile fällt der Anteil der hochproduktiven unternehmensbezogenen Dienstleistungen in Westdeutschland höher aus als in den USA. Dies sollte aber nicht als besondere Stärke der westdeutschen Wirtschaft in diesem Sektor interpretiert werden, sondern eher als Defizit im Bereich konsumorientierter Dienstleistungen.

Ostdeutschland: In der DDR-Planwirtschaft galten – in Anlehnung an die marxisti- sche Wirtschaftslehre – Dienstleistungen als „unproduktiv“, als nicht werteschaffend, so dass in diesem Sektor erhebliche Entwicklungsrückstände gegenüber marktwirt- schaftlichen Systemen existierten. Die DDR war insofern wirklich ein „Arbeiter- und 267 Bauernstaat“, als bedeutend mehr Menschen in der Güterproduktion (50 Prozent) und in der Landwirtschaft (10 Prozent) arbeiteten als in modernen Marktwirtschaften. Tatsächlich entsprach die Wirtschaftsstruktur der späten DDR in etwa der Struktur Westdeutschlands in den sechziger Jahren, d. h. es bestand eine zeitliche Dienstlei- stungslücke von ca. 25 Jahren (HRADIL 2002, S. 236). Allerdings wurden innerhalb der LPGs und VEBs zahlreiche Dienstleistungen angeboten, etwa Kinderhorte, Wä- schereien, Betriebsheime.

Bereits Ende der neunziger Jahre arbeiteten in Ostdeutschland jedoch anteilig ge- nauso viele Beschäftigte in Dienstleistungsunternehmen wie im Westen, die Dienst- leistungslücke war– quantitativ betrachtet – knapp 10 Jahre nach der Wende ge- schlossen.

Dieser Befund ist allerdings zu qualifizieren:

· Bei konsumnahen Diensten – Hotels, Erziehung, Unterhaltung – ist generell ein vergleichbares Beschäftigungsniveau erreicht wie im Westen Deutschlands.

· Bei produktionsorientierten Dienstleistungen ist der Beschäftigtenanteil jedoch deutlich geringer (Ost 10,7 Prozent; West 13,3 Prozent). Außerdem dominieren in Ostdeutschland einfache, weniger produktive Tätigkeiten, bei denen der Marktzu- gang leicht und die Einkommenschancen vergleichsweise gering sind, etwa Schutz-, Wach- und Reinigungsdienste mit niedrigem Qualifikationsniveau.

· Hochproduktive, humankapitalintensive Unternehmensdienste wie Rechts- und Wirtschaftsberatung, Werbung, Finanzdienstleistungen hingegen, haben im Osten ein deutlich geringeres Gewicht, was auf Export- und Innovationsschwächen des industriellen Sektors zurückzuführen ist. (Ost 25,5 Prozent, West 31,0 Prozent) Ein kurzfristiger Abbau dieses quantitativen, vor allem aber qualitativen Defizits ist auf Grund der Deindustrialisierung in Ostdeutschland nicht zu erwarten.

· Umgekehrt hat die öffentliche Verwaltung in Ostdeutschland ein größeres Ge- wicht als im Westen. Der staatliche Sektor ist im Osten Deutschlands – nach Zahl der Beschäftigten und Wertschöpfung – vergleichsweise überdimensioniert.

268 Generell ist zum Dienstleistungssektor in Ostdeutschland festzuhalten:

• Verglichen mit den alten Bundesländern besteht ein erheblicher Produktivitäts- rückstand. Im Jahre 2002 erreichte die Arbeitsproduktivität im tertiären Sektor – je nach Branche – zwischen 73 und 75 Prozent des westdeutschen Niveaus. Da das Lohnniveau jedoch bereits 80 bis 82 Prozent erreicht hatte (mit dem öf- fentlichen Sektor als treibender Kraft) liegt das Niveau der Lohnstückkosten in den neuen Bundesländern um durchschnittlich 10 Prozent über dem der alten Länder und verschlechtert die Wettbewerbsposition Ostdeutschlands (BMWA 2004, S. 8). Mit anderen Worten: Gemessen an den Lohnstückkosten ist Ost- deutschland im internationalen Vergleich ein Hochlohnstandort.

‚ Für das niedrigere Produktivitätsniveau gibt es eine Reihe von Gründen:

· Der Anteil der hochproduktiven unternehmensbezogenen Dienstleistungen ist in Ostdeutschland wesentlich niedriger. Insbesondere Ostniederlassun- gen westdeutscher Mutterfirmen erfüllen oft nur nachgeordnete und ausfüh- rende Unternehmensfunktionen und selten hochproduktive Aufgaben wie etwa Marketing, Controlling, Forschung und Entwicklung („Filialökonomie“).

· Das Preisniveau Ost liegt – trotz Preisanhebungen – immer noch unterhalb des westlichen Vergleichswertes (etwa 90 Prozent des Westniveaus). Die- ser Preisunterschied fließt in die Produktivitätsberechnung mit ein, so dass ein Teil des Rückstands durch Niedrigpreise erklärt wird.

· Schließlich hat die Auflösung unproduktiver Groß-Kombinate nach der Wen- de zum Aufbau eher kleinteiliger Unternehmensstrukturen geführt, in denen die Ausnutzung von Lernkostenvorteilen und von economies of scale nur begrenzt möglich ist.

5 Tertiarisierung und Raumstruktur im Nordosten Deutschlands

5.1 Formen und raumstrukturelle Wirkungen des Tertiarisierungsprozesses

Über die raumstrukturellen Konsequenzen der nachholenden Tertiarisierung für die neuen Bundesländer existieren mehr vage Vermutungen als gesicherte Erkenntnis- se. Dies hat gute Gründe: Zum einen sind die neuen Länder immer noch ‚For- schungsneuland‘, zum anderen sind postsozialistische Transformationsökonomien mit dem theoretischen Repertoire hochentwickelter kapitalistischer Dienstleistungs- gesellschaften kaum erfassbar. Die grundlegenden Teilprozesse der Tertiarisierung 269 im Nordosten Deutschlands und ihre raumstrukturellen Folgen sind in Übersicht 2 zusammengefasst.

Übersicht 2: Räumliche Wirkungen der Tertiarisierungsprozesse im Nord- osten Deutschlands

Form der Tertiarisierung Performance Räumliche Wirkung

Globalisierungs- und vermö- Wissen und Humankapital Stärkung der großen Agglome- gensbedingte Tertiarisierung als entscheidende Produkti- rationsräume Berlin, Hamburg onsfaktoren ...

Transformationsbedingte Ter- Übernahme westdeutscher Tertiarisierung entsprechend tiarisierung Strukturen, Aufteilung der der Industrie- und Einwohner- Großkombinate, Deindustria- dichte lisierung

Durch Wettbewerbsdruck im Tertiarisierung in der Land- Ständig von ‚Wüstungen’ be- primären und sekundären wirtschaft und der Industrie, drohte ‚Rumpftertiarisierung’ in Sektor induzierte Tertiarisie- Outsourcing, internationale der Fläche rung Betriebsverlagerungen

Durch technologischen Wan- Digitalisierung, Rationalisie- Rückzug aus der ‚Fläche’, z. T. del induzierte Tertiarisierung rung, Technisierung neue Chancen für den peri- pheren Raum

Vom demographischen Wan- Qualitative Schrumpfung Tendenz zur Konzentration der del ausgelöste ‚negative’ Ter- durch interkommunale Ko- Angebote in Schwerpunktorte tiarisierung operation und PPP

Durch Veränderung in der ‚Zukunftsbranchen’ Gesund- Entwicklungschancen für den Endnachfrage induzierte Ter- heit, Wellness, Tourismus ... peripheren ländlichen Raum tiarisierung

Von der öffentlichen Hand Öffentliche Dienstleistungen, Dezentrale Konzentration mit gesteuerte Tertiarisierung Raumordnung und Regio- der Chance zum regionalen nalentwicklung Ausgleich

Quelle: Blume, L.: Vortrag beim Workshop „Der Dienstleistungssektor als Motor der Regionalentwick- lung im Nordosten Deutschlands“, 2003 (Änderungen durch Verfasser).

270 Eine differenzierte Annäherung erlaubt eine doppelte Kategorisierung:

1. Wertschöpfungs-, Beschäftigungs- und Innovationsräume etwa nach den Katego- rien „metropolitane Räume“, „mittlere Stadträume“ und „periphere Räume“3 sowie

2. unternehmens- und konsumorientierte private Dienstleistungen sowie öffentliche, gemeinwohlorientierte Leistungen in sektoraler (nicht funktionaler) Abgrenzung, da trotz der Inkongruenz von sektoraler und funktionaler Betrachtungsweise „auffällige Parallelen“ (BADE 1987, S. 146) in den großräumigen Entwicklungsmustern existie- ren.

Ausgangspunkt ist die empirisch gesicherte Erkenntnis einer Koexistenz von räum- lich-funktionaler Konzentration von Dienstleistungen und paralleler räumlicher Diffu- sion zwischen aber auch innerhalb der skizzierten Raumtypen. Je nach Entwick- lungsniveau und –dynamik, Art der spezifischen Dienste und dem Grad ihrer Informa- tisierung/Internationalisierung überwiegen dabei per Saldo die Konzentrations- bzw. die Diffusionseffekte im jeweiligen Raum, gemessen etwa an der regionalen Wert- schöpfung, an Beschäftigung, Humankapital- und Innovationsintensität.

5.2 Hierarchisierung der Regionen und Innovationsräume

Im Zuge der Globalisierung findet eine dezentrale Konzentration humankapitalexten- siver industrieller Produktionsstandorte in rentable periphere Räume statt, in Mitteleu- ropa etwa in postsozialistische Reformländer. Parallel dazu ist eine zentrale Konzen- tration wissensbasierter Fertigungen, vor allem aber tertiärer Kapital-, Macht- und Kontrollfunktionen in metropolitane Großräume zu verzeichnen; Funktionen, die u. A. humankapitalintensive unternehmensorientierte Finanz- und Beratungsdienste erfor- dern. Parallel, aber unterproportional entwickeln sich hochwertige konsumorientierte Dienste – angetrieben durch die Konzentration kaufkräftiger Einkommensbezieher in den globalisierten Zentren der Metropolen.

Innerhalb der postindustriellen Gesellschaften entsteht eine ausgeprägte Hierarchie von Regionen, an deren Spitze die Wissens- und Eventräume der ‚global cities‘ oder

3 Diese – sehr grobe – Kategorisierung entspricht nur teilweise den vier Raumtypen „Verdichtungszen- tren“, „Verdichtungsumland“, „gering verdichtete Gebiete“ und „periphere Gebiete“, da sie für die anders geartete Situation Westdeutschlands entwickelt wurden. Vgl. Bade, F.-J.: Regionale Be- schäftigungsprognose 2000, Dortmund 1994, S. 56.

271 ‚world cities‘ (SMITH 2003, S. 561) wie etwa New York, Tokio, London und Paris ste- hen – und am unteren Ende periphere, strukturschwache Agrarräume und (alt-) in- dustrielle Abstiegsregionen; eine Entwicklung der ‚Gleichzeitigkeit des Ungleichen’, die etwa mit dem Zentrum-Peripherie-Modell J. Galtungs (GALTUN 1972, S. 29ff.) hinreichend erklärt werden kann.

Der Nordosten Deutschlands ist dabei durch zwei parallele Prozesse gekennzeich- net: Polarisierung und Transformation.

Polarisierungstendenzen bestehen primär zwischen den metropolitanen Wissens- und Wachstumsräumen Hamburg, Berlin, Kopenhagen/Malmö und auf der einen und strukturschwachen Agrar- und Altindustrieregionen in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern auf der anderen Seite (STIENS 2004, S. 77ff). Parallel dazu „unterläuft“ der Tertiarisierungsprozess nicht nur die agrarischen Randräume, sondern auch die ehemals industriellen Monostrukturen des nordostdeutschen DDR- Städtenetzes4, indem es für die „einstmals blühenden Klein- und Mittelstädte ... zu- meist nur hintere Plätze in der politisch-ökonomischen Prioritätensetzung der DDR“ (RIETDORF 1996, S. 306) gab.

Die metropolitanen Großräume stehen – wenn diese Verallgemeinerung zulässig ist – auf der Gewinnerseite des Tertiarisierungsprozesses, allerdings mit erheblichen Disparitäten zwischen und innerhalb dieser Räume. Sie verdichten sich zu komple- xen Innovationsräumen und Knowledge Cities, die als Vorsprungs- oder Führungs- räume den Wissensproduzenten erlauben, ihre Ideen in verwertbare Neuerungen und marktreife Produkte umzusetzen.

4 Zu den industriellen Schwerpunktstädten der DDR mit „strukturbestimmenden“ Produktionszweigen zählten etwa Rostock (Stadt der Schifffahrt und Hafenwirtschaft), Magdeburg (Stadt des Schwerma- schinenbaus), Leipzig (Messe- und Universitätsstadt), Halle (Stadt der Chemiearbeiter), Jena (Stadt der Optik), Erfurt (Stadt der Mikroelektronik).

272

Innovationsräume

Innovationen entstehen in bestimmten geografischen Räumen und sie sind bemerkenswert raum- und zeitstabil. Innovationsräumen ist Dauerhaftigkeit zu eigen – was Zufälligkeiten oder gezielte Politik nicht von vorn herein ausschließt. So zu formulieren, bedeutet zu vermu- ten, dass es Räume gibt, in denen Innovationen gleich welcher Art, Produkt- und Prozessin- novationen, inkrementelle und fundamentale Innovationen, früher, besser und häufiger statt- finden, rascher und dauerhafter rezipiert und umgesetzt werden als anderswo. Ausgehend von zwei Paradigmen der Innovationsforschung – ‚history matters‘ und ‚geography matters‘ – sind jene Räume zu identifizieren, in denen Entstehen und Diffusion von Neuerungen auf Grund spezifischer Bedingungskonstellationen besonders häufig und wahrscheinlich sind.

Als wichtigste und dauerhafteste Bedingungen haben sich – von der älteren Vormoderne (!) bis zur Gegenwart erwiesen:

Wo immer

- Wissensproduzenten aus Universitäten, Hochschulen und privaten Forschungsinstitutionen arbeiten,

- eine leistungsfähige Verwaltung mit politischen Anreizstrukturen existiert,

- gewerblich-industrielle Verwertungskapazitäten bestehen,

- die Verkehrslage und kommunikative Verbindungen günstig sind und wo

- räumlich gebundenes ‚tacit knowledge‘, Vertrauen, Reziprozität und unkodifiziertes Wissen existieren, dort liegen – im Schnittpunkt solcher Bedingungen – empirisch erfahrbar, führende erfolgrei- che Räume, die Neuerungen hervorbringen und Neues verbreiten.

„Sie liegen freilich nur deswegen dort, weil Menschen in jedem der Indikationsbereiche tätig sind und mit ihrer Personengeschichte, d. h. auch ihrem vernetzten Wirken, Bildungsland- schaften, Verwaltungslandschaften, Gewerbe- und Kommunikationslandschaften kreieren und sichtbar machen, Wissen und Raum also im historischen Prozess verknüpfen können.“

Quelle: Schwinges, R.C. et al. (Hrsg.): Innovationsräume, Zürich 2001, S. 14.

Metropolitane Großräume produzieren ein hochwertiges Spektrum an unternehmens- und konsumorientierten Dienstleistungen – und kreieren eine Kultur- und Erlebnis- welt, die die „kreativen Köpfe“ der Postmoderne geradezu magisch anzieht.5 Alles in

5 Stiens spricht in diesem Zusammenhang von einer ‚Disneyfizierung’ der zentralen Metropolbereiche: „Glas und Neon, Luxus und Extravaganz bestimmen ihr Bild. Die ‚Disneyfizierung’, die seit Jahr- zehnten ihre städtebauliche Entwicklung prägt, hat ihr Endstadium erreicht ... Entertainment ist alles 273 allem entsteht in den globalisierten Teilräumen der Metropolen ein kreatives Milieu aus Kunst, Kultur, Kommunikation, High-Tech und High-Service-Produzenten; eine Konzentration von hochqualifiziertem Humankapital, Unternehmergeist und Wissen in großstädtischen Regionen, die durch permanente Zuwanderung aus struktur- schwächeren Stagnationsräumen weiter genährt wird. Vor allem jüngere, mobilere und besser qualifizierte Arbeitskräfte wandern aus der Peripherie in die urbanen Wachstumszentren ab. Gestützt und alimentiert wird dieser Prozess durch die räum- liche Konzentration auch hochwertiger staatlicher Dienste – etwa von Universitäten und Forschungseinrichtungen, Krankenhäusern und Kliniken in den städtischen Bal- lungszentren.

Der Führungsrolle von Metropolen steht parallel dazu ihre „soziale Auffangpflicht“ (HEINZE 2003, S. 181) beträchtlicher Fluchtbewegungen gegenüber, die in ihren inner- wie außerdeutschen Herkunftsräumen zumindest produktionsseitig „überflüs- sig“ werden. „Damit werden Metropolen wegen ihrer materiellen, sozialen und institu- tionellen Infrastruktur zu Sozialbewältigungsmaschinen.“(HEINZE 2003, S. 181). Nicht zu unterschätzen ist dabei die psychologische Bedeutung eines Zentrums. Zei- chen und Symbole wie Mittelpunkt, Nähe, Netzwerke auf der einen, Peripherie, Ferne und zerrissene Netze auf der anderen Seite beschreiben nicht nur Räume, sondern gleichfalls Lebenswelten, Milieus und soziale Strukturen.

Auf der Verliererseite des Tertiarisierungsprozesses hingegen stehen periphere und semiperiphere Regionen, die entweder zu bevölkerungsschwachen, agrarischen Großräumen (Land- und Forstwirtschaft, Fischerei) oder zu bevölkerungsreichen alt- industriellen Abstiegsregionen (Kohle, Stahl, Werften, Textil, Möbel, Lederwaren, Nahrungsmittel) zählen – oder zu beiden, wie etwa Mecklenburg-Vorpommern.

Ihnen ist – bei allen selbstverständlichen Unterschieden etwa zwischen den Agrar- räumen Vorpommerns und den Altindustrieregionen und Berlins – gemeinsam:

· fehlendes Wissensmilieu, unterdurchschnittlich qualifiziertes Humankapital, nied- rige Bildungs- und Forschungsausgaben (absolut wie auch relativ);

· niedrige Gründungsintensität, wenige Produktionscluster und Servicenetze;

– wie beim inzwischen historischen Vorbild Las Vegas.“ Stiens, G.: Aktuelle deutsche Raumentwick- lungsszenarien im Vergleich mit Szenarien aus benachbarten Staaten ... a.a.O., S. 84.

274 · Konzentration der Produktion auf homogene (Einfach-)Erzeugnisse mit geringer Innovations- und Entwicklungsdynamik bei unterdurchschnittlichen Absatzchan- cen;

· unzulängliche Infrastruktur und Kommunikationsverbindungen;

· ein ‚schlichtes‘ konsumorientiertes Dienstleistungsangebot bei Dominanz staatli- cher (Einfach-)Dienste – ohne weiterführende Bildungs- und Gesundheitseinrich- tungen;

· ein weitgehendes Fehlen hochproduktiver unternehmensorientierter Dienstlei- stungen;

· ein – quantitativ wie qualitativ – unzulängliches Bildungs-, Kultur- und Freizeitangebot, das keine attraktiven Erlebniswelten schafft.

Kurz: Periphere Räume haben – aus welchen Gründen auch immer – den Übergang zur Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft nicht geschafft. Die Produktion konzen- triert sich auf agro-industrielle Erzeugnisse, die auf homogenen Märkten mit stagnie- render Nachfrage zu kämpfen haben oder auf altindustrielle Produkte, die im schar- fen Preiswettbewerb mit Niedriglohnanbietern stehen.

Die geringe Innovations- und Wachstumsdynamik peripherer Räume scheint einen circulus vitiosus der Entwicklung der Unterentwicklung in Gang zu setzen: Niedrige Einkommens- und Entwicklungschancen führen zu anhaltender Abwanderung „krea- tiver Köpfe“, von hochqualifizierten Wissensarbeitern und Unternehmensgründern in dynamische Metropolregionen (und nähren dort weiter den Aufschwung). Der Ausfall größerer Bevölkerungsgruppen im reproduktionsfähigen Alter bewirkt mittel- bis lang- fristig sinkende Geburtenziffern in strukturschwachen Räumen, die dann – nach dem ökonomischen – auch einen demografischen Niedergang erleben. Tatsächlich spre- chen theoretische wie empirische Argumente sprechen dafür, dass wirtschaftliches Wachstum langfristig mit positiver Bevölkerungsentwicklung korreliert ist.

Parallel dazu findet ein Rückzug hochproduktiver unternehmens-, teilweise auch konsumorientierter Dienstleistungen aus der Fläche statt. Banken, Versicherungen, Beratungsdienste, Marketing-, Werbe- und Medienagenturen, Kultur- und Kunstan- bieter konzentrieren sich in urbanen Großräumen und schaffen innerhalb der Metro- polen eine globalisierte Dienstleistungshierarchie.

275 Flucht aus der Fläche und brain-drain ist die eine Seite der Medaille, eine säkulare Verschlechterung der regionalen terms of trade ist die andere Seite. Zusammenge- nommen ergibt sich ein erheblicher ‚sucking out’-Effekt an Real- und Humankapital, paradoxerweise aus den rückständigen Peripherien in die fortgeschrittenen Zentren.

5.3 Ostdeutsche Städte zwischen Auslagerung und Ansiedlung von Wis- sensmilieus

Nicht eindeutig ist bislang, welche Konsequenzen die nachholende ‚Rumpf’- Tertiarisierungsprozess auf die ostdeutschen Mittel- und Oberzentren langfristig ha- ben wird. Die funktionale Konzentration des Dienstleistungssektors führt hier einer- seits zum - zumindest partiellen - Verlust wissensintensiver privater und staatlicher Dienstleistungsanbieter (falls es sie je gegeben hat) in Richtung Metropolen, etwa des Banken- und Versicherungssektors, von Beratungsdiensten und Medienprodu- zenten; andererseits dienen manche Mittel- und Oberzentren bislang als Auffang- becken für Dienstleister, die den peripheren Raum verlassen– etwa Arzt- und Rechtsanwaltspraxen, Krankenhäuser, (Berufs-)Schulen, Arbeits- und Sozialämter etc. Zudem können sie im Zuge funktionaler Dekonzentration bestimmte Logistik-, Fremdenverkehrs-, Messe- und Eventangebote auf sich ziehen.

Je nach Governancestrukturen bilden sich innerhalb des ostdeutschen Städtesy- stems deutliche regionale Disparitäten heraus. Viele ehemalige Industrie- und Garni- sonsstädte haben den nachholenden Strukturwandel der Deindustrialisierung und Demilitarisierung bis heute nicht bewältigt (mit den bekannten Schrumpfungssym- ptomen wie Abwanderung, Leerstand, Innenstadtbrachen). Andere Städte hingegen, u. A. die Städtereihe Erfurt, Weimar, Jena, zählen zu den Gewinnern des postindus- triellen Strukturwandels (FICHTNER 2002, S.7f). Jena etwa begreift sich als Techno- logie- und Wissenschaftsregion (mit ca. 150jähriger Tradition!), der die Revitalisie- rung eines innovativen Wissensmilieus gelang. Intelligente Standortentscheidungen sichern eine stadträumliche Nähe von Forschungs-, Wissenschafts- und Hochschul- einrichtungen, Wirtschaftsunternehmen und städtischen Funktionsbereichen in zen- tralen urbanen Lagen (im Gegensatz zu verbreiteten Campus-Wüsten). Ein eindeuti- ges, handlungsleitendes Leitbild als Wissensstandort und selbstorganisierte Netz- werke sind weitere Indikatoren eines erfolgreichen Stadtumbaus zu einem Wissen- schafts- und Innovationszentrum mit technologisch diversifizierter Struktur; im Nord- osten könnte sich ein vergleichbares Städtenetzwerk der Hansestädte Lübeck, Wis- mar, Rostock, Stralsund, Greifswald, Stettin, Danzig entwickeln. 276 6 Räumliche Diffusionseffekte des Tertiarisierungsprozesses

Die skizzierten raumstrukturellen Auswirkungen der Tertiarisierung sind durchaus holzschnittartig beschrieben und in mehrfacher Hinsicht zu relativieren:

· Standorttendenzen öffentlicher Dienstleistungsanbieter

Bislang ausgespart blieb der – insbesondere in den neuen Bundesländern – wichtige Sektor öffentlicher Dienstleistungen, von der öffentlichen Verwaltung über Transport- und Infrastrukturdienste bis hin zum staatlichen Bildungs- und Gesundheitswesen. ‚An sich‘ kann der öffentliche, gemeinwohlorientierte Sektor dem Rückzug der Dienst- leistungsanbieter aus der Fläche für seinen Hoheitsbereich entgegen wirken, sozial- orientierte und nicht marktförmige Dienstleistungen auch in peripheren Räumen an- bieten.

In Wahrheit führen – tatsächliche oder vermeintliche – Konsolidierungszwänge der öffentlichen Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden, zu einer marktförmigen Doppelstrategie aus Privatisierung und räumlicher Zentralisierung in den (Groß-) Städten. In beiden Fällen kommt es zu einer funktionalen Konzentration des Ange- bots in urbanen Großräumen und zu einem Rückzug auch staatlicher Dienstleister aus strukturschwachen, ländlichen Regionen. Die Privatisierung öffentlicher Leistun- gen im Transport- und Verkehrsektor und damit der neoliberale Imperativ betriebs- wirtschaftlichen Gewinnkalküls hat automatisch eine Orientierung des Angebots an kaufkräftiger (Massen-)Nachfrage zur Folge. Und diese ist in der Regel in bevölke- rungsreichen, städtischen Großräumen vorhanden, nicht hingegen auf dem „platten Land“, wo folgerichtig der öffentliche Nahverkehr reduziert oder sogar eingestellt wird (obwohl es dazu erfolgversprechende Alternativen gibt (HEINZE 2003, S. 174,ff)).

Ähnlich gelagert sind betriebswirtschaftliche Ökonomisierungsstrategien im öffentli- chen Bildungs- und Gesundheitssektor, wo sinkende Schüler- und Patientenzahlen die Schließung von Kindergärten, Schulen, Kultur- und Sportstätten, Krankenhäu- sern, öffentlichen Verwaltungseinrichtungen erzwingen, weil sie sich nicht mehr „rechnen“. ‚Economies of scale‘ können nicht mehr genutzt werden, sinkende Kapazi- tätsauslastung erhöht sogar die Stückkosten. In jedem Falle führt dies zu einem Rückzug des Staates aus der Fläche – und zur Konzentration insbesondere differen- zierter und hochwertiger Dienstleistungen in städtischen Großräumen, neuerdings verstärkt durch Standortschließungen der Bundeswehr sowie Streckenstilllegungen der Bundesbahn. 277 Andererseits sind bewusste Verlagerungen öffentlicher Einrichtungen, etwa der Ar- beits-, Sozial- und Kommunalverwaltung in periphere Räume zu verzeichnen, die eine gewisse Revitalisierung strukturschwächerer Mittel- und Oberzentren einleiten könnten.

· Auslagerungen privater Dienstleistungen

Parallel zur räumlich-funktionalen Konzentration des kommerziellen Angebots in Stadtregionen als betriebswirtschaftliche Reaktion auf Bevölkerungs-, Beschäfti- gungs- und Einkommensschrumpfungen sind in peripheren Teilräumen funktionale Dekonzentrationen nachweisbar. In Reaktion auf die postindustrielle Freizeit- und Erlebnisgesellschaft werden Tourismusangebote, Groß-Events, Kur- und Gesund- heitsdienste in geeignete Natur- und Eventräume ausgelagert und stabilisieren– zu- mindest saisonal – Einkommen und Beschäftigung (analoges gilt für staatliche Sozi- altransfers in periphere Regionen). Allerdings verfügt nur eine Minderzahl ländlicher Regionen über das notwendige naturräumliche Potential, in M-V etwa die Ostseekü- ste, die Inseln und die Seenplatte. Trends im Tourismus gehen in Richtung ‚sponta- ner’, ‚kürzer’, ‚häufiger’, ‚näher’, ‚günstiger’ und ‚intensiver’. Die Verbindung ‚neuer Nähe’ mit einer etablierten Wachstumsbranche kann dort Grundlage eines Gründer- booms sein, schafft allerdings keine nachhaltigen Innovations- und Wissensmilieus, es sei denn, sie wird durch eine erfolgreiche Attrahierung ‚kreativer Köpfe‘ begleitet.

Ob auch unternehmensnahe Dienstleistungen in strukturschwache Räume – etwa via Telearbeit, Internetzugänge etc. – profitabel ausgelagert werden können, muss ge- genwärtig offen bleiben. Bei Diensten, die geringere Qualifikationen benötigen (etwa Call Centern) ist dies zumindest in Mittel- und Oberzentren möglich; analoges gilt für Handels- und Logistikzentren. Hochproduktive unternehmensorientierte Dienste hin- gegen erfordern häufig face to face-Kommunikation und hochqualifiziertes Personal, das auf Grund der räumlichen Konzentration der industriellen Nachfrage und weicher Standortvorteile in dynamischen städtischen Großräumen verbleibt.

· Räumliche Expansion neuer Informations- und Kommunikationssysteme

Die neuen IuK-Technologien – vom Internet bis zum Mobiltelefon – gelten gemeinhin als Basisinnovation. Sie vereinfachen das Überbrücken von Entfernungen, reduzie- ren die Transaktionskosten und erleichtern die Kontakte zwischen Unternehmen und Kunden. Begünstigt durch die weltweite Deregulierung der Telekommunikationsmärk-

278 te wurde so der Produktionsfaktor Information – zumindest theoretisch – zur nahezu universell und ubiquitär verfügbaren Ressource.

Ob die neuen Kommunikationssysteme als ‚equalizer‘ für periphere Standorte die- nen, ist zumindest umstritten: empirische Studien über die räumliche Verbreitung und Adaption von IuK-Technologien deuten darauf hin, dass die neuen Systeme über- wiegend von jüngeren, kaufkräftigeren und besser qualifizierten Konsumenten und Unternehmern genutzt werden (PREUSSAG 2001, S. 25). Folglich konzentrieren sich die virtuellen Kommunikationsnetze auf metropolitane Großräume, nicht auf struktur- schwache und einkommensarme Regionen. Zudem wird peripheren Räumen zwar via Medien der Zugang zu globalen Informationen erleichtert; implizites Wissen (‚tacit knowledge‘) ist aber nur im lokalen Milieu verankert und schwer zu transferieren: „It has become apparent that telecommunication provides access to knowledge but does not facilitate its understanding and implementation“(MALECKI 2000, S. 339).

7 Die Zukunft der Dienstleistungsgesellschaft

Vermutlich wird der Tertiarisierungsprozess in den nächsten Jahrzehnten weiter vo- ranschreiten; allerdings nach Art, Umfang und räumlicher Verteilung der Dienste sehr unterschiedlich – und keineswegs immer expansiv im Sinne zunehmender Wert- schöpfung und Beschäftigung.

Folgende Trends zeichnen sich ab:

1. Die Tendenz zunehmender Dienstleistungsorientierung postindustrieller Gesell- schaften hält an. Dies betrifft aber nahezu ausschließlich sekundäre Dienstlei- stungen wie forschen, entwickeln, ausbilden, beraten und informieren. Dem ge- genüber stagnieren die primären Dienstleistungen (handeln, verkaufen, Bürotä- tigkeiten) und die Produktionstätigkeiten (gewinnen, herstellen, steuern und repa- rieren) werden weiter deutlich schrumpfen.

2. In weiten Teilen des Dienstleistungssektors existieren noch erhebliche Rationali- sierungspotenziale via neue (Kommunikations-)Technologien; so etwa im Ban- ken-, Handels- und Versicherungssektor. Entlassungen, flexible Unter- Beschäftigung, fragmentierte Teildienste und Substitution von Arbeit durch Auto- maten vor allem in peripheren, einkommensarmen Räumen werden diesen Sek- tor kennzeichnen.

279 3. Das steigende Internationalisierungspotential des Sektors wird zu grenzüberschreitenden Standortverlagerungen, etwa im Multi-Media-Sektor, bei Logistik- und Handelszentren, Finanz- und Versicherungsdiensten, Internetanbietern etc. führen, wobei Richtung und Ausmaß noch nicht eindeutig erkennbar sind, da dies im einzelnen von der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des betreffenden deutschen Dienstleistungssektors abhängt, etwa auch gegenüber den EU-Beitrittsländern.

4. Die funktional-räumliche Konzentration auch des öffentlichen Sektors wird ange- sichts der Finanzkrise des Versorgungsstaates, der Dominanz betriebswirtschaft- lichen Rentabilitätsdenkens vor sozialorientierten, nicht marktförmigen Gemein- wohnüberlegungen anhalten. Ob die staatliche Präsenz in peripheren Räumen durch technische Problemlösungen und/oder mobile Dienstleistungsangebote er- setzt werden kann, ist gegenwärtig offen.

5. Auf der Basis einer ausreichenden Versorgung mit materiellen Gütern wird der Bedarf nach postmateriellen Produkten (Unterhaltung, Freizeit, Betreuung, Sozi- al- und Gesundheitsdienste) wachsen. Dies eröffnet geeigneten strukturschwä- cheren Räumen Wertschöpfungs- und Beschäftigungschancen.

6. Weiteres Outsourcing unternehmensorientierter Dienstleistungen und dichtere Netzwerke zwischen Industrie und Dienstleistern werden den Wettbewerb zwi- schen Regionen intensivieren. Mehr noch: Langfristig wird die Hierarchie der Re- gionen durch eine Hierarchie raumbezogener, aber auch ubiquitärer, virtueller In- novationsnetzwerke und Wissensmilieus abgelöst werden.

7. Die Expansion von Informations- und Kommunikationsdiensten wird den Wandel des Dienstleistungssektors weiterhin nachhaltig prägen (Tele-Netze, Daten- Highways, Internet). In diesem Bereich weisen strukturschwache Räume Deutschlands noch deutliche Defizite auf.

8. Wissensbasierte Dienstleistungen werden Struktur und Dynamik des tertiären Sektors wesentlich beeinflussen: Wissensmilieus aus Bildung, Forschung und Entwicklung, Hochschulen und Einrichtungen des lebenslangen Lernens. Die Ent- wicklung und Implementierung humankapitalintensiver ‚intelligenter‘ Produkte und komplexer Systemlösungen werden im Zentrum ökonomischer Innovationsstrate- gie stehen.

280 9. Die Bedeutung ökologischer Dienste – etwa im Bereich Wasser-, Luft- und Bo- denmelioration, Entsorgung, Recycling – wird weiter zunehmen und eine Voraus- setzung für die weitere Expansion von Tourismus, Kultur- und Gesundheitsdien- sten auch in periphere Räume werden. Und weitergehend: Die Ökologisierung wissensbasierter Volkswirtschaften bedeutet zugleich ihre „Verdienstleistung“ (ELLGER 2003, S. 56).

10. Von wenigen Knowledge Cities und Tourismus-‚Paradiesen’ abgesehen, werden die neuen Bundesländer - wegen ihres Bevölkerungsrückgangs und der De- Industrialisierung – im Wettbewerb der Wissensräume wahrscheinlich nicht mit- halten können.

11. Die anhaltende Diskussion über eine „optimale“ Aufteilung der Dienstleistungs- produktion zwischen staatlichen, privaten und gemischtem Sektor wird anhalten, da die ideologische Kontroverse über die Rolle von Markt und Staat im Wirtschaftsleben nicht eindeutig und abschließend geklärt werden kann.

8 Eine Innovationspolitik für strukturschwache Räume

Als ‚late comer‘ im globalen Wettbewerb zählen weite Teile der neuen Bundesländer tendenziell zu Stagnations- bzw. Abstiegsregionen. Ihr Übergang zu einem selbsttra- genden Entwicklungspfad wird wesentlich davon abhängen, ob es gelingt, eine inno- vationsorientierte Regionalpolitik zu konzipieren und durchzusetzen. Jede raumbe- zogene Innovationspolitik, die mehr sein will als kurzfristiges Subventions- und Kri- senmanagement, hat von einigen einfachen Wahrheiten auszugehen:

· In Marktwirtschaften entscheidet letztlich der „Wettbewerb als Entdek- kungsverfahren“ (F. A. Hayek, 1968) über Richtung und Tempo des Inno- vationsprozesses, nicht die noch so wohlmeinende Weisheit der Förderbe- amten, Politikern oder Professoren (falls diese bissige Bemerkung erlaubt ist).

· Der Aufstieg von Regionen ist primär abhängig von den Produkt- und Ver- fahrensinnovationen der Unternehmer vor Ort, vom ‚spirit of competition‘ und von der Existenz einer breiten und wagemutigen Unternehmerklasse.

· Die ‚eigentliche‘ Ursache des ostdeutschen Rückstands ist die weitgehen- de Abwesenheit eines innovativen Milieus, einer freiheitlichen Unterneh- merkultur und dynamischer Unternehmerpersönlichkeiten; allesamt Ent- 281 wicklungsblockaden im Humankapital, die durch anhaltende Abwanderung, Alterung und Bevölkerungsrückschrumpfung verstärkt werden.

Hieraus folgt für eine innovationsorientierte Regionalpolitik:

• Der Verzicht des Staates auf einen kurzatmigen, fallweisen Interventionismus und sein Rückzug auf die Gestaltung „konstituierender und regulierender Prinzipien“(EUCKEN 1995, S. 291ff.) der Wirtschaftsordnung, wären ein not- wendiger Paradigmenwechsel. Hieraus folgt zugleich, dass eine staatliche Förderpolitik, die ex cathedra zwischen „innovativen“ und „nicht-innovativen“ Produkten, Technologien und Dienstleistungen unterscheidet, weder möglich noch wünschenswert ist. Kurz gesagt: Eine Wirtschaftspolitik, die allen Unter- nehmen und Beschäftigten dient, ist die beste.

‚ Staatliche Modernisierungspolitik kann in Marktwirtschaften langfristig nicht mehr sein als ‚Hilfe zur Selbsthilfe‘. Sie muss versuchen, ein Innovations- und Wissensmilieu zu schaffen, das den regionalen Unternehmern die reibungslo- se Durchsetzung von Neuerungen erleichtert und den Standort für (Aus- lands)Investoren attraktiv macht.

ƒ Das Innovationspotential einer Region besteht in der Entwicklung lernfähiger Netzwerke aus Unternehmen, Bildungs- und Forschungseinrichtungen, Fi- nanz- und Beratungsdienstleistern, die nach innen Spielregeln schaffen und nach außen offen bleiben. Selbstorganisation und Netzwerkpolitik schaffen Raum für nachhaltige Neuerungen.

„ Am ehesten kann dieser Prozess durch eine Kombination aus innovationsori- entierter Ordnungspolitik und wissensbasierter Innovationspolitik begleitet werden. Die ordnungspolitischen Postulate zielen auf Öffnung der Märkte, Steigerung der Wettbewerbsintensität, auf De-Regulierung der Märkte, Abbau bürokratischer Hemmnisse, flexible Arbeitsmarktbedingungen und eine ‚schlanke‘ staatliche Leistungsverwaltung. In ihr Zentrum rückt die Pflege wei- cher Standortfaktoren, von Kultur, Kommunikation, Erlebniswelten, die im Zu- ge des Tertiarisierungsprozesses die komparativen Wettbewerbsvorteile einer Region konstituieren. Die innovationspolitischen Postulate zielen auf die Schaffung eines regionalen Wissensmilieus, auf die Produktion und Diffusion von Wissen und die Attrahierung kreativer Köpfe aus den Metropolen in struk- turschwächere Räume. Mit anderen Worten: Eine innovationsorientierte Re- 282 gionalpolitik ist primär raumbezogene Bildungs-, Forschungs- und Wissen- schaftspolitik. Die Kombination der skizzierten Politikbereiche soll Raum für Innovationen schaffen, weil sie aber territorial formuliert sein muss, definiert und profiliert sie zugleich Innovationsräume.

… Für eine ‚konventionelle‘ Regionalpolitik bleibt im Rahmen wissensbasierter Netzwerkpolitik wenig Spielraum. Angesichts knapper Ressourcen bieten sich zur möglichen Stabilisierung strukturschwächerer Regionen drei Ansätze an:

· Verlagerung öffentlicher Dienstleistungen – etwa der Arbeits-, Sozial- und Kommunalverwaltung, dezentralisierter Bildungs- und Gesundheitseinrichtun- gen – in peripherere Räume,

· Konzentration auf städtische ‚Mittel‘-Räume und Städtenetze, die erste Auf- fangbecken der Entleerung peripherer Räume sind und deren Stabilisierung zur Konsolidierung auch peripherer Räume beiträgt. Pointierter formuliert: „Wenn die Städte sterben, sterben auch die Dörfer“ (zypriotisches Sprichwort).

· Übergang zu einer ‚weichen‘ Standortpolitik aus überregionalen Innovations- netzen und Wissensmilieus, wobei nach der Lage der Dinge lediglich eine se- lektive ‚Andockung‘ strukturschwächerer Räume an metropolitane Wach- stumspole – auch über moderne Informationssysteme – verfolgt werden kann, da mittlerweile die endogenen Entwicklungspotentiale in rückständigen Regio- nen kritische Schwellenwerte für einen selbsttragenden Wachstumsprozess unterschritten haben.

† Schließlich wird eine Regionalpolitik, die ihre systemimmanenten Grenzen erkennt, auch die Entleerung von Räumen (euphemistisch als ‚Passivsanie- rung’ bezeichnet), wenn irgend möglich sozial abgefedert, hinnehmen müs- sen. ‚Abwarten’ können, das Auslassen vermeidlicher Wachstumschancen für zwei oder drei Generationen ist eine Alternative die dem verbreiteten ‚Entlee- rungspessimismus’ entgegenzustellen wäre. Natürlich bedeutet dies eine Re- vision all dessen, was die Sozialingenieure in West und Ost geglaubt haben.

Fazit:

Im Zeitalter von Globalisierung und Tertiarisierung definiert sich die neue internatio- nale Arbeitsteilung zunehmend über „die Fähigkeit der Akteure eines Wirtschafts-

283 raumes zur Netzwerkbildung und kollektiven Lernfähigkeit und kaum mehr über die herkömmliche Ausstattung mit Produktionsfaktoren.“ (SCHWINGES 2001, S. 28).

Beispiele für eine innovationsorientierte Regionalpolitik liegen sozusagen vor der Haustüre, wie etwa die Öresund-Region und Teilräume in Thüringen und Sachsen zeigen. Aber selbst deren Erfolge sind nur relativ.

284

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Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Entwicklung und Prognose des Tertiarisierungsprozesses in Deutschland 1900 – 2010*...... 264

Abbildung 2: Anteile der Bruttowertschöpfung verschiedener Wirtschaftsberei- che im Ost-West-Vergleich im Jahr 2003 (in jeweiligen Preisen)... 266

Übersichtsverzeichnis

Übersicht 1: Traditionelle Erklärungsmuster und aktuelle Trends der Tertiarisierung...... 259

Übersicht 2: Räumliche Wirkungen der Tertiarisierungsprozesse im Nordosten Deutschlands ...... 270

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Hinweise zu den Autoren:

Prof. Dr. Gerald Braun, Lehrstuhl für Wirtschaftspädagogik an der Universität Ro- stock. Geschäftsführender Direktor des International Baltic Entrepreneurship Centers (IBEC)

PD Dr. Thomas Döring, 41, ist Privatdozent am Fachbereich Wirtschaftswissenschaf- ten der Philipps-Universität Marburg und zugleich Referent für Entwicklungsplanung von Forschung und Lehre an der Universität Kassel. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen der Finanzwissenschaft (insbesondere Finanzausgleich und Kommunalfinanzen), der Umweltökonomie, der Regionalökonomie und der europäi- schen Integration sowie methodisch in den Bereichen der Neuen Institutionenöko- nomik und Neuen Politischen Ökonomie.

PD Dr. rer. nat. Marion Eich-Born vertritt seit SS 1997 mit einer kurzen Unterbre- chung die Professur für Raumordnung und Landeskunde (Geograpisches Institut) an der Ernst-Moritz-Arndt Universität Greifswald.

Prof. Dr. Friedhelm Eicker, Oberstudiendirektor, Professor für Didaktik der Technik – berufliche Aus- und Weiterbildung, Universität Rostock, Technische Bildung.

PD Dr. rer.nat. habil. Wolf-Dieter Jülich; Institut für Pharmazie der Ernst-Moritz-Arndt- Universität Greifswald, Lehrstuhl für Pharmazeutische Biologie, Jahnstr. 17, 17489 Greifswald

Dipl.-Berufspädagogin Claudia Kalisch, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Universität Rostock, Technische Bildung. Projektkoordination für MANO in M-V.

Dr. rer. pol. Dipl.-Volkswirt Hans Pohle

Wissenschaftlicher Referent und Referatsleiter „Wirtschaft und Verkehr“ im Sekreta- riat der Akademie für Raumforschung und Landesplanung -ARL, Hannover

289 Rostocker Beiträge zur Regional- und Strukturforschung

Heft 1: Braun, Gerald / Gerlach, Dirk: Probleme der Regional- und Strukturpolitik in Mecklenburg- Vorpommern (1994) Heft 2: Preisendörfer, Peter (Hrsg.): Prozesse der Neugründung von Unternehmen in Ostdeutschland (1996) Heft 3: Bandelin, Jost / Braun, Gerald / Rüland, Jürgen: Wirtschaftspartner Asien. Mecklenburg- Vorpommerns Unternehmer auf der Suche nach neuen Märkten (1996) Heft 4: Slawinski, Ursula (Hrsg.): Arbeitsmarkt in ländlichen Räumen Mecklenburg-Vorpommerns (1996) Heft 5: Bandelin, Jost (Hrsg.): Berlin als Zukunftsmarkt für Mecklenburg-Vorpommern (1996) Heft 6: Howitz, Claus (Hrsg.): Die ländlichen Räume in Deutschland und deren Besonderheiten in Mecklenburg-Vorpommern (1997) Heft 7: Gerdes, Johann u. a.: Das Verschwinden der Arbeitsplätze - wo bleiben die Arbeitskräfte? (1997) Heft 8: Topan, Angelina: Das Leitbild der europäischen Kohäsionspolitik im Wandel (1997) Heft 9: Apel, Hans (Hrsg.): Der gemeinsame Binnenmarkt als Herausforderung für die mittelständi- sche Wirtschaft Mecklenburg-Vorpommerns (1997) Heft 10: Köhn, Jörg; Gowdy, John (Eds.): Implikationen der ökologischen Ökonomie für die Regional- ökonomie - Implications of Ecological Economics to Regional Economics (1997) Heft 11: Braun, Gerald (Hrsg.): Mecklenburg-Vorpommern im internationalen Wettbewerb (1997) Heft 12: Bandelin, Jost / Dudziñski, Jerzy (Hrsg.): Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Außenhandel Deutschlands und Polens (1998) Heft 13: Bandelin, Jost / Braun, Gerald / Hosa, Elise et al.: Der Beitrag der Universitäten und Fach- hochschulen zur regionalen Wirtschaftsentwicklung in Mecklenburg-Vorpommern (1999) Heft 14: Slawinski, Ursula (Hrsg.): Nachhaltiger Tourismus – Probleme und Perspektiven (1999) Heft 15: Braun, Gerald / Voigt, Eva (Hrsg.): Regionale Innovationspotenziale von Universitäten (2000) Heft 16:Bandelin, Jost / Braun, Gerald / Heinrichs, Bettina et al.: Regionalentwicklung benachteiligter Räume in Mecklenburg-Vorpommern unter besonderer Berücksichtigung von Vorpommern und Ostmecklenburg (2001) Heft 17: Eich-Born, Marion (Hrsg.): Innovationen für Mecklenburg-Vorpommern – Strategien für einen Wachstumspfad (2004)

290 Rostocker Arbeitspapiere zu Wirtschaftsentwicklung und Human Resource Development

Nr. 1: Braun, Gerald: Deutsch-Polnische Wirtschaftsbeziehungen zwischen Transformation, Stagnation und Perspektive (1995) Nr. 2: Bandelin, Jost: Mecklenburg-Vorpommern als Standort für Medizintechnik (1995) Nr. 3: Wetstein, Daniel: Konzepte, Methoden und Perspektiven des polnischen Privatisierungsprozesses (1996) Nr. 4: Braun, Gerald: NAFTA und EU: Konflikt oder Kooperation? (1996) Nr. 5: Staudt, Erich: Kompetenz zur Innovation. Defizite der Forschungs-, Bildungs-, Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik (1996) Nr. 6: Hamann, Rudolf: Entfremdung im Beruf. Überlegungen zur Fort- und Weiterbildung von Sozialkundelehrern in Mecklenburg-Vorpommern (1996) Nr. 7 Diensberg, Christoph (Hrsg.): Steuerungsprobleme betrieblicher Bildungsarbeit. Ergebnisse des Symposiums vom 4. Juli 1996 an der Universität Rostock (1997) Nr. 8: Braun, Gerald: Von der Idee zum Erfolg. Partizipative Trainingskonzepte für Existenzgründer (1997) Nr. 9: Ahnsehl, Andreas / Kandziora, Anke: Die Visegrádstaaten in der Weltwirtschaft. Analyse außenwirtschaftlicher Probleme und Strategien (1997) Nr. 10: Topan, Angelina: Brain drain in Mecklenburg-Vorpommern. Ein vorübergehendes Phänomen im Zuge der sozioökonomischen Aufholjagd? (1998) Nr. 11: Slawinski, Ursula: Qualitätstourismus und Bildungsanforderungen in Mecklenburg- Vorpommern (1998) Nr. 12: Braun, Gerald / Diensberg, Christoph (Hrsg.): Unternehmertum - Eine Herausforderung für die Zukunft (1999) Nr. 13: Dorenkamp, Ludger / Lauks, Kathrin (Hrsg.): Schulentwicklung durch Bildungsinnovationen. Ergebnisse eines internationalen Symposiums zum Modellversuch DOPKAU (1999) Nr. 14: Deutsche Gesellschaft für Evaluation e.V. – Arbeitskreis Evaluation in der betrieblichen Bildung (Hrsg.): Evaluationsbedarf in der betrieblichen Bildung – Tagung in Köln am 30.04.1999 Nr. 15: Braun, Gerald / Diensberg, Christoph / Siebert, Julia: High Tech meets Culture in a Natural Environment. Entwicklungskonzept AURORA für die Region Mecklenburgische Ostseeküste im Dreieck Wismar – Rostock – Güstrow (2000) Nr. 16: Hummelsheim, Stefan: Governmental promotion of company and individual vocational training in Germany (2001) Nr. 17: Mechthold-Jin, Michael: Unternehmertum und Unternehmerkultur in Mecklenburg- Vorpommern - Ergebnisse einer empirischen Befragung (2001) Nr. 18: Pundt, Sylke: Erlebnispädagogik und Entrepreneurship education – neue Wege im Exisenzgründertraining (2001) Nr. 19: Braun, Gerald: Entrepreneurship in Mecklenburg-Vorpommern: Auf der Suche nach Selbständigkeit (2002) Nr. 20: Zacher, Dirk: Humankapital in der theoretischen und empirischen Analyse bei Gary S. Becker – Darstellung und Kritik (2003) Nr. 21: Awad, Dagmar; Braun, Gerald (Hrsg.): The Basic Education System of the Republic of Yemen: Challenges and Responses (2003) Nr. 22: Reichert, Anke: Netzwerkbildung am Beispiel des EU-Leonardo-Projekts „Trainerqualifizierung im Call Center-Bereich“ (2004) Nr. 23: Reichert, Anke / Wilde, Kerstin (Hrsg.): „Entrepreneurship Education – konzeptionelle und didaktische Herausforderungen“ (2004)

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