Norddeutsche Seenplatte – beeindruckendes Naturschauspiel der Über- schwemmungen von , Wümme, Wörpe und Oste im Winter 2011/2012

Die Hammeniederung stellt sich in diesem Deichbrüchen und der riskanten Nutzung Winter nach ergiebigen Regenfällen und von Überschwemmungsgebieten. In der Rückstau des abfließenden Oberwassers Hammeniederung sind auch bei noch an- durch die Hochwasser führende bei steigenden Pegeln keine Katastrophen zu einem Pegel von etwa 130 cm +NN auf befürchten. Die Wasserfläche hat noch einer Fläche von 3.650 ha als großflächig lange nicht die Grenzen des Über- zusammenhängender See dar. Damit schwemmungsgebietes erreicht, die weit übertrifft die derzeit überschwemmte Wie- über 4.500 ha hinausgehen. senfläche die Ausmaße des Steinhuder Meeres (2.910 ha), dem größten nieder- Die Überschwemmungsgebiete in der Teu- sächsischen Binnensee. Innerhalb der felsmoor-Wümme-Niederung sind auf- -Wümme-Niederung sind grund ihrer Naturnähe zugleich großflächi- auch Wümme, Wörpe und Oste großflä- ge Naturschutzgebiete von internationa- chig in ihr Hochwasserbett übergetreten. lem Rang, die im Bereich der Kernflächen Zusammengenommen stellt sich hier die im Rahmen von Naturschutzprojekten auf- größte Überschwemmungslandschaft gekauft wurden und vorrangig nach Natur- Norddeutschlands dar. Man könnte vo- schutzzielen gemanagt werden. Dabei rübergehend von einer Norddeutschen sind hohe Wasserstände und auch perio- Seenplatte sprechen, die dementspre- dische Überschwemmungen prägend und chend zum attraktiven Naherholungsobjekt wertgebend für eine spezialisierte Tier- wird. und Pflanzenwelt. Im Kern der Hammen- iederung werden deshalb in sogenannten Diese Überschwemmungen sind nicht Retentionsräumen auf einer Fläche von „gewollt“ wie in der Ausgabe des OK vom ca. 1.000 ha Überschwemmungen durch 11. November geschrieben stand, sondern Verzögerung des Abflusses länger gehal- im Wesentlichen eine Folge der über- ten. Zugleich stellen diese Flächen ein durchschnittlichen Niederschlagsmenge großes Speichervolumen dar, das die Vor- im Dezember von 220 mm. Die Regen- flut im gesamten Hammebereich entlastet menge liegt damit z.B. um 100 mm höher und somit zu schnellerem Abfluss des als im benachbarten und erreicht Hochwassers außerhalb der Retentions- die dreifache Menge des vieljährigen Mo- räume beiträgt. Ein sehr erfolgreiches Ko- natsmittels. Auch im Januar hat es in den operationsprojekt von Naturschutz und ersten 10 Tagen bereits wieder fast 100 Wasserwirtschaft, das schließlich auch der mm Niederschlag gegeben. Angesichts Landwirtschaft in diesem Raum zu Gute vordergründiger Katastrophenberichter- kommt. stattung gerät schnell in Vergessenheit, dass Überschwemmungen ein natürliches „Die Wildtiere haben es schwer“, war in Phänomen und Regulativ des Gewässer- einer Bildunterschrift zur überschwemmten systems sind, die nur dann zu Katastro- Wiesenlandschaft des OK zu lesen. So phenereignissen werden, wenn der pauschal ist diese Annahme eindeutig Mensch diese Gebiete bebaut hat, und die falsch. Wasservögel finden hier paradiesi- Auen zur intensiven landwirtschaftlichen sche Zustände vor. So halten sich derzeit Nutzung durch Deiche einengt. Mögliche bis zu 15.000 Wasservögel in der Ham- Katastrophen sind dann die Folgen von meniederung auf. Gänse, Enten und Schwäne aus nordischen und sibirischen

Vollersode

Hüttenbusch

Osterholz -Scharmbeck

Worpswede

Ritterhude

Abbildung: Ausdehnung der zusammenhängenden Überschwemmungsfläche (ca. 3.650 ha) in der Hammeniederung von bis im Januar 2012. Datenlage nach Gelände- beobachtungen während der Wasser- und Watvogelzählung der Biologischen Station am 6.1.2012 (Beekpegel 128-132 cm; Bearbeitung K. Schröder, T. Schikore, BIOS). Brutgebieten, die hier eine Rast einlegen werden. Die hiesigen „Feldrehe“, die das oder sogar überwintern. Allein die von der ganze Jahr über im Offenland leben, ken- BIOS am 17. Dezember ermittelte Maxi- nen ihren Lebensraum und gehen gelas- malzahl von 8.500 Blässgänsen konnte sen mit Hochwasserereignissen um. seit mehr als 50 Jahren nicht mehr nach- Selbst wenn einzelne vom steigenden gewiesen werden. Wasser eingeschlossen werden, gehen sie ohne Panik durch das flache Wasser Rehe müssen zwar den Überschwem- auf höhere und damit geschützte Flächen. mungen ausweichen, haben aber im Randbereich ausreichend trockene Nur Feldmaus, Maulwurf und andere Äsungs- und Ruheflächen. Bei einer Zäh- Kleinsäuger erleben jetzt Notzeiten und lung während des Pegelmaximums konn- kommen in großer Zahl durch die Über- ten im unmittelbaren Randbereich der schwemmung um. Aber auch das gehört „Seefläche“ von der BIOS insgesamt etwa zur Natur von Überschwemmungsland- 150 Rehe in Gruppen von bis zu 20 Tieren schaften, die eben nicht dauerhaft und in meistens gelassen ruhend beobachtet großer Dichte von allgemein verbreiteten

Landtieren besiedelt werden können. Da- mit werden Nischen für andere seltene und bedrohte Arten geschaffen. Hier über- lebt nur, wer an das Leben in Feuchtge- bieten angepasst ist. Fische, amphibische Tierarten und Wasserpflanzen profitieren sogar von Überschwemmungen und nut- zen diese Zeit zur Ausbreitung oder Fort- pflanzung. Auch Säugetiere wie Fischot- ter, Scher- und Wasserspitzmaus sind von der gigantischen Ausweitung ihres Le- bensraumes begeistert, wohlwissend, dass dieser Zustand leider zeitlich be- grenzt ist.