Magazin der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien Sept/Okt 2005

Flaggschiff auf hohen Wogen

Das NHK Symphony Orchestra

Das NHK Symphony Orchestra ist nicht nur Japans ältestes Symphonieorchester, sondern derzeit wohl auch das wichtigste des Landes. Unter Vladimir Ashkenazy, seinem Chefdirigenten, gastieren die Spitzenmusiker aus Tokio mit zwei Konzerten im Musikverein.

Die Geschichte des NHK Symphony Orchestras begann 1926 mit der Gründung als „Neues Symphonieorchester“, seinerzeit Japans erstes professionelles Symphonieorchester. 1951 wurde daraus das „NHK Symphony Orchestra“ mit voller finanzieller Unterstützung der staatlichen Sendeanstalt NHK (Japan Broadcasting Corporation). Seither gilt es als das für Japan repräsentative Orchester, das nicht nur Maßstäbe im japanischen Musikleben setzt, sondern als Flaggschiff auf einer von Ambition und Hoffnung getragenen musikalischen Reise, das seine Zuhörer durch die stürmischen Wogen der Zeiten gleiten läßt und auf unaufhaltsamer Fahrt neue Routen erschließt. Die in strengen Probespielen ausgewählten Mitglieder bilden die „Schatzkammer“ des Orchesters. Japan kann sich eines Klangkörpers aus hervorragenden Instrumentalisten rühmen, die über alle technischen Mittel zur Umsetzung der komplexen emotionellen Gehalte der Musik verfügen.

Stets auf Sendung Das Orchester blickt heute auf mehr als 1550 reguläre Konzerte zurück. Das gesamte anspruchsvolle Aufführungsprogramm, einschließlich der Opernauftritte und Auslandskonzerte, wird von NHK über Fernsehen und UKW in ganz Japan übertragen. Entsprechend besteht beim NHK Symphony Orchestra auch das nachhaltige Bewußtsein, in allererster Linie zum Rundfunkorchester berufen zu sein.

Im Bereich moderner Musik hat der 1952 vom NHK Symphony Orchestra ins Leben gerufene Odaka-Preis, mit dem herausragende japanische Werke für Orchester ausgezeichnet werden, neue Zukunftsperspektiven für die Welt japanischer Komponisten eröffnet, die, angefangen mit Toru Takemitsu und Toshiro Mayuzumi auch im Ausland einen anhaltend starken Einfluß ausüben. Weiterhin bestand in den letzten Jahren eine Kollaboration mit führenden Vertretern der neuen Generation ausländischer Komponisten, darunter James MacMillan, Tan Dun und Einojuhani Rautavaara. Hier deutet sich an, in welche Richtung die Musik sich künftig weiter entwickeln wird.

Vom Inselreich

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in die Welt hinaus Seit Anfang der 1950er Jahre formte die Zusammenarbeit mit überragenden Dirigenten wie , Jean Martinon und Ernest Ansermet das Orchester und gab ihm das gut verankerte Selbstvertrauen, über den Rang eines Spitzenorchesters in Japan hinauszugreifen und sich auf ein mit international berühmten Orchestern vergleichbares Niveau auszurichten. Nach 1967 entdeckten dann so namhafte Künstler wie , Lovro von Mata¢i¢, Wolfgang Sawallisch, Otmar Suitner, Horst Stein und ihre Liebe zu diesem Orchester und legten ein breites, solides Fundament besonders im Bereich deutscher und österreichischer Musik.

Seither gilt das NHK Symphony Orchestra als eines der Orchester, die bei Dirigenten und Solisten aus aller Welt auf der Wunschliste für gemeinsame Auftritte obenan stehen. Charles Dutoit, der 1998 der erste Musikdirektor des NHK Symphony Orchestra wurde, gelang es, mit einem verstärkten Augenmerk auf Komponisten wie Berlioz, Ravel, Messiaen, Prokofjew und Strawinsky die Sensibilität des Orchesters für Klangfarben und rhythmische Valeurs zu schärfen – zweifellos ein weiterer Markstein in der Geschichte des NHK Symphony Orchestra. Mit Vladimir Ashkenazy als einem der Dirigenten, die derzeit besonders starke Beachtung finden, bietet es heute, wie es einem der weltweiten Spitzenorchester gebührt, ein stets außergewöhnliches und innovatives Programm.

Dialog mit der Musik Ashkenazy, der sich selbst als „Weltbürger“ bezeichnet, emigrierte unter den Repressalien des damaligen Sowjetregimes in den Westen. Doch vermeidet er es konsequent, das Orchester die Einsamkeit und Traurigkeit jener schweren Zeiten spüren zu lassen, die er durchzustehen hatte. Obwohl vom Wesen her freundlich und vertrauensvoll, gibt er sich wortkarg. Seine Haltung, sich allein über die Musik zum Ausdruck zu bringen, macht ihn für die Orchestermitglieder weniger zu einem Musikdirektor und Lehrer, sondern vor allem zum verehrungswürdigen Musiker. Richtigerweise wäre er wohl als der Kapitän zu bezeichnen, der den gemeinsam einzuschlagenden Kurs bestimmt. Dies spürt man insbesondere, wenn man ihn nach einer strapazierenden und auch seelisch erschöpfenden Orchesterprobe noch allein am Klavier seinen Dialog mit der Musik führen sieht.

Seinen tief geliebten NHK-Symphony-Orchestra-Sound von Tokio in die ganze Welt zu tragen ist für den in Klängen gewandten Redner und „Weltbürger“ Ashkenazy eines der größten Vergnügen. Man darf sich auch in Wien auf aufregende Konzerte freuen.

Ichiro Saito Ichiro Saito war Dirigierassistent des NHK Symphony Orchestra und lebt als Musiker und Musikpublizist in Tokio.

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