ANDREAS RENTZ / BONGARTS ANDREAS Ex-Weltmeister Michalczewski (l.)*: „Aufhören, Dariusz!“

BOXEN Der Preis für das Finale Je mehr Dariusz Michalczewski zuletzt im Ring ins Taumeln geriet, desto größer war die Anteilnahme des Publikums. Jetzt weigert sich der gebürtige Pole, die Ratschläge seiner Wegbegleiter anzunehmen und die Karriere zu beenden. Das gesundheitliche Risiko ist immens.

ie Werte stimmen noch. Achtmal Zu alt. Er. Der Tiger. Michalczewski rankt. „Aufhören, Dariusz!“, appellierte wiederholt Dariusz Michalczewski winkt verächtlich ab. Neben ihm sitzt sei- das „Hamburger Abendblatt“ unmittelbar Ddiesen Satz. Er ist der einzige Halt ne Freundin Patricia. Sie wollen gemein- nach der Niederlage gegen González, der in einer Welt, die er nicht mehr versteht. sam nach Polen fliegen. Nach der Nieder- mit seinen Schlägen das Gesicht von Mi- Der Profi-Boxer aus wirkt et- lage ihres Partners gegen den Mexikaner chalczewski in eine Ruine verwandelt hat- was zerknirscht und sitzt in der Business- Julio César González hatte Patricia einen te. Dass der Geschlagene dennoch weiter- Lounge des Hamburger Flughafens. Es ist Weinkrampf erlitten. In einem Interview macht, nährt den Verdacht, dass der Dienstag, vor gut vier Wochen hat Mi- bekannte sie kürzlich, sie sei jetzt dage- Deutsch-Pole seine Lage kaum noch kor- chalczewski den Weltmeister-Titel im gen, dass Dariusz weiterboxe. Doch jetzt ist rekt einschätzen kann. Halbschwergewicht verloren. Am Montag sie ganz still. Michalczewski, 35, steht vor einer Klip- vergangener Woche erklärte er auf einer Ihr Freund schimpft über die Leute, die pe. Boxen ist gefährlich, und auch für die Pressekonferenz, er werde trotzdem wei- ihn zu „einem kranken Mann“ stempeln großen Champions gilt: Wer nicht zur rech- terboxen. Es sollte ein Grund zum Feiern wollen. Er sagt: „Um den Champion ten Zeit mit dem Job aufhört, muss damit sein. Doch dann gab es doch nur seltsam braucht sich niemand Sorgen zu machen.“ rechnen, einen hohen Preis zu zahlen. unangenehme Fragen. Es hieß: „Dariusz, Er habe alles checken lassen. Das Gehirn, Das Schicksal, den berühmten Schlag bist du dafür nicht zu alt?“ Oder: „Ist das die Leber, die Lunge. Und dann kommt zu viel eingesteckt zu haben, traf schon nicht schon der berühmte Kampf zu viel?“ zum neunten Mal der Satz, mit dem er sich weit talentiertere Boxer. Sugar Ray Ro- verteidigt: „Die Werte stimmen noch.“ binson, einer der Besten, stieg erst nach * Nach seiner Niederlage gegen den Mexikaner Julio Es ist eine bittere Debatte, die sich der- 201 Kämpfen aus dem Ring. Gezeichnet César González (r.) am 18. Oktober in Hamburg. zeit um den Boxer Dariusz Michalczewski von der Alzheimer-Krankheit verstarb er

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Doch genau das ist das Pro- Fritz Sdunek empfahl seinem Schützling blem. Wann soll ein Profi zwischenzeitlich, über ein Karriereende Schluss machen? Mit 35 Jah- nachzudenken. ren? Mit 40? Nach dem drit- Aber warum hört er nicht? ten schweren Niederschlag? Dariusz Michalczewski plagen keine Wenn er anfängt zu stottern? Geldprobleme. Er hat nie großspurig ge- Schließlich ist es nicht ein- lebt. Auch die Karriere nach der Karriere fach für Boxer, vom riskan- ist längst geplant. Er hat eine Stiftung für ten Gewerbe die Finger zu las- sozial benachteiligte Jugendliche gegrün- sen. Der Drang nach Geld, det. In Polen wird er demnächst eine Talk- Ruhm und Ehre zog schon show moderieren, mit einem deutschen Anfang der sechziger Jahre Sender steht er in Verhandlungen für eine Archie Moore immer wieder Fitness-Sendung. Michalczewski muss auch in den Ring zurück. Zwi- niemandem mehr etwas beweisen. Er ist schen seinem 40. und 50. Le- schon jetzt einer der großen Champions bensjahr absolvierte Moore im Halbschwergewicht. noch über 50 Kämpfe. George Und doch gibt es da jemanden, für den Foreman, ehemals Weltmeis- Michalczewski mindestens noch einmal ter im Schwergewicht, kün- kämpfen muss: Michalczewski selbst. digte jüngst seine Rückkehr in Große Boxer oder die, die sich dafür den Ring an. Er ist 54. halten, prägt der Anspruch, nach der Lauf- An keinem Ort finden sich bahn nicht nur als Fußnote in Statis- Boxer besser zurecht als im tikbüchern zu erscheinen. Sie wollen Spu- Seilgeviert. Die Verhältnisse ren hinterlassen. „Sie wollen nach ihrer dort sind klar umrissen. Es Karriere für etwas stehen“, sagt Tobias geht um Sieg oder Niederlage, Drews, der als TV-Kommentator seit Jah- nichts weiter. ren die Profi-Boxszene beobachtet. Sie Wie schwer es vielen Faust- wollen, dass man sie nicht vergisst. kämpfern fällt, im normalen Es ist schwer zu sagen, für was der Bo- Leben klarzukommen, zeigt xer Michalczewski steht. Den großen das Beispiel des Schwer- Kampf gegen Roy Jones, der ihm zu Welt- gewichtlers Riddick Bowe. Im ruhm hätte verhelfen können, hat er nie be-

FREDERICK M. BROWN / GETTY IMAGES April 1997 begab sich der kommen. Selbst in Deutschland gab es im- Star Holyfield*: Schläge mit verheerenden Folgen? Amerikaner ins Retiro, weil er mer andere, die heller strahlten. merkte, dass seine Reflexe Mal war es der smarte Henry Maske, 1989 im Alter von knapp 69 Jahren. Wie- nicht mehr stimmten. Doch mit dem neu- dem die Herzen des Publikums zuflogen, derholte Kopftreffer, über Jahre kassiert, en Dasein kam er nicht zurecht. Seine mal war der Rüpel führen nach einschlägigen Studien selbst Frau, die ihm davongelaufen war, versuch- der Held der Massen. Selbst Axel Schulz, dann zu irreparablen Gehirnschäden, te er mittels Pfefferspray, Handschellen und der eigentlich nie etwas gewonnen hat, wenn die Stoßkraft nicht Schwindel erre- Klebeband zu entführen – und landete im drängte Michalczewski ins Abseits. gend hoch ist. Gefängnis. Dort wartet er nun auf seine Dabei unternahm der vermeintlich Ver- Floyd Patterson, ehemals Weltmeister Entlassung – und darauf, endlich wieder kannte alles, um seinen Platz zu finden. Er im Schwergewicht, leidet unter schwerem boxen zu können. Dass er damit seine Ge- legte sich im Ring die Deutschlandflagge Gedächtnisverlust und kann sich manch- sundheit aufs Spiel setzt, ficht Bowe nicht über die Schultern, um die angebliche Lie- mal nicht einmal an den Namen seiner an: „Ich kann nun mal nichts anderes.“ be zu seiner Wahlheimat zu dokumentie- Frau erinnern. Als lebendes Mahnmal für Für ehemalige Champions ist es in der ren. Er ließ sich mal von dem ehemaligen die Risiken des Boxens gilt Muhammad Regel nicht schwierig, in den Ring zurück- „Bild“-Chef Hans-Hermann Tiedje bera- Ali, der noch mit 39 Jahren kämpfte. Seit zukehren. Vor allem in Amerika fast 20 Jahren leidet er an der Parkinson- finden sich leicht Box-Promo- Krankheit. Ali ist für den in ge- ter, die angesichts der zu erzie- borenen amerikanischen Mediziner Fried- lenden Gewinne gelegentlich rich Unterharnscheidt „das beste Beispiel“ aufkommende Gewissensbisse für die These, dass viele Schläge auf den verdrängen. Kopf nicht ohne verheerende Folgen Opfer dieser Mentalität droht bleiben. derzeit der Ex-Schwergewichts- Walter Wagner, Professor für Unfall- weltmeister Evander Holyfield chirurgie am Klinikum Bayreuth, ist Ver- zu werden. Seit Monaten kur- bandsarzt beim Bund Deutscher Berufs- sieren Gerüchte, dass Holyfield boxer. Das Gremium kann einem Profi die unter Gleichgewichts- und Lizenz verweigern, wenn sich bei einer der Sprachstörungen leide. Den- regelmäßigen Untersuchungen erweist, noch wird er als einer der mög- dass der Kämpfer nicht völlig gesund ist. Es lichen Gegner Bowes gehandelt. gibt nur wenige Länder, in denen Profis so Im Fall Michalczewski gab es gründlich gecheckt werden wie in Deutsch- niemanden, der den entthron- land. Wagner sagt aber auch, dass ein ten Champ zum Comeback Boxer letztendlich selbst wissen müsse, drängte. Im Gegenteil: Sein Pro- wann es für ihn Zeit sei aufzuhören. moter Klaus-Peter Kohl hielt

sich auffallend dezent mit Rat- GETTY IMAGES * Mit den Sängerinnen der US-Band Exhale. schlägen zurück. Sein Trainer Schwergewichtler Foreman (l.): Rückkehr mit 54

der spiegel 48/2003 165 Sport ten, mal von Alain Midzic, dem Manager der Medienattraktion Verona Feldbusch. Doch auf die Couch bei „Wetten, dass …?“ kamen immer andere. Die Klitschkos, sei- ne Stallgefährten aus dem Boxcamp Uni- versum. Und zuletzt sogar der eher blasse . Zwischenzeitlich hatte Michalczewski aufgegeben. Er bekannte sich lieber zu sei- ner Heimat Polen, als weiter auf die Zu- neigung der Deutschen zu warten. Sein heutiger Berater Christoph Wesche, ein Werbefachmann, hatte ihn mit einer griffi- gen Formel dazu verleitet: „Besser beliebt bei 40 Millionen Polen, als nicht beachtet von 80 Millionen Deutschen.“ Doch nun haben sich die Vorzeichen noch einmal verändert, ohne dass Michal- czewski etwas dazu getan hätte. Dreimal taumelte er zuletzt schwer gezeichnet aus dem Ring. Und je mehr Blut floss, desto größer war die Anteilnahme des Publi- kums. Gerade mal 4,14 Millionen TV-Zuschau- er verfolgten Michalczewskis Kampf vorigen Sommer gegen , der ihm eine klaffende Platzwunde zufügte. Beim zwei- ten „Blutkampf“ („Bild“) gegen Derrick Harmon schalteten bereits 6,87 Millionen ein. Als González Michalczewski im Okto- ber verprügelte, guckten 7,61 Millionen zu. Nun ist Michalczewski eine Attraktion. Für das Comeback im nächsten Jahr er- warten Insider eine Quote von über 10 Mil- lionen. Auch das Umfeld stimmt. Der Ver- trag zwischen Kohl und den Klitschkos läuft im nächsten Jahr aus. Sehr wahr- scheinlich gehen die ukrainischen Brüder nach Amerika. Ottke ist nur noch ein Kö- nig in der Provinz. Und Rocchigiani hat dieses Frühjahr, im Alter von 39 Jahren, seinen letzten Kampf absolviert. Michalczewski ist somit allein auf weiter Flur. Die Bühne ist endlich bereitet. Er kann jetzt doch noch in Deutschland an- kommen. Er will sich die Chance nicht ent- gehen lassen. „Die Werte stimmen noch.“ Aber warum hat er dann überhaupt sei- nen letzten Kampf verloren? Michalczewski holt tief Luft. In 20 Mi- nuten geht die Maschine nach Polen. Er erzählt eine lange Geschichte. Von Partys und fehlender Disziplin. Er sei nicht mit dem nötigen Ernst bei der Sache gewesen. Es war ein Ausrutscher, ein Malheur. Dass er nun erstmals in seiner Profi-Kar- riere als Verlierer in den Ring steigt, sei aber kein Problem. „Im Gegenteil“, sagt Michalczewski. „Die Zeiten in Deutsch- land sind schlecht. Firmen gehen Pleite, Menschen verlieren ihren Job. In solchen Tagen brauchen die Leute keine strahlen- den Helden.“ Aber der Held Michalczewski braucht sein Strahlen. Er schaut müde aus. Gerhard Pfeil

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