BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks

Sendung vom 05.08.2002

Mady Rahl Schauspielerin im Gespräch mit Dr. Wolfgang Habermeyer

Habermeyer: Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, ich begrüße Sie herzlich zu Alpha- Forum. Wir haben heute als Gast die Schauspielerin . Ihr genaues Alter werden wir nicht verraten, aber ich kann Ihnen versprechen, wir werden eine Reise durch mehrere Jahrzehnte deutscher Film- und Theatergeschichte machen und dabei auch das Fernsehen nicht ganz vergessen. Ich begrüße Sie sehr herzlich bei uns im Studio, Frau Rahl. Rahl: Danke schön. Habermeyer: Sie haben 1936 Ihren ersten Film gedreht. Rahl: Das war "Truxa". Habermeyer: Dazu gibt es die Geschichte, Sie hätten – ich habe das zumindest bei der Recherche so gelesen – den Regisseur Hans Zerlett getroffen und mehr oder weniger zu ihm gesagt, Sie wären genau die Schauspielerin, die er braucht. Rahl: Das stimmt. Habermeyer: Das stimmt tatsächlich? Rahl: Ja, das stimmt. Ich habe ihn mal außerhalb von zufällig getroffen. Er stand da und ich war damals ja sehr hemmungslos: Ich war frei und sprach mit jedem. Wenn er der Staatsintendant gewesen wäre, dann hätte ich ihn auch angesprochen. Er stand also da, ich hatte einen Film von ihm gesehen und fand diesen Film toll. Ich sprach ihn an und sagte zu ihm: "Herr Zerlett, ich muss Ihnen etwas sagen. Sie sind der Regisseur dieses Films soundso, ich gratuliere Ihnen zu diesem Film. Der ist fabelhaft. Aber Sie brauchen mich. Ich schlage also vor, beim nächsten Film muss ich dabei sein!" Und dann habe ich bei ihm wirklich meinen ersten Film gedreht. Habermeyer: Das hat tatsächlich funktioniert? Rahl: Ja, das hat funktioniert. Aber er war nicht einfach. Ich war ja eine Anfängerin und da hätte er schon ein bisschen mehr Rücksicht nehmen können. Aber ich war gut: Die Leute fanden mich gut und die Kritiken waren so gut, wie sie heute nie sind. Das war jedenfalls das Wichtigste für mich. Habermeyer: Sie waren zu diesem Zeitpunkt allerdings bereits Bühnenschauspielerin. Rahl: Ich kann Ihnen sagen, dass ich ursprünglich auf diesen Beruf eigentlich gar nicht aus war. Es fing freilich schon an, dass ich bereits in der Schule Theater gespielt habe. Ich habe in der Hasenheide z. B. in "Peterchens Mondfahrt" das "Peterchen" gespielt. Ich habe dabei von jemandem aus dem Publikum eine Uhr geschenkt bekommen. Ich weiß gar nicht, wie viele Leute da drinnen saßen: Es müssen mindestens 1000 gewesen sein. Ich habe in der Kirche das arme Waisenkind gespielt und mich dabei gewundert, dass die Leute alle weinen bei meinem Spiel. Auch in der Schulklasse war es so: In Deutsch und in allen anderen Fächern, die mit dem Mündlichen zu tun hatten, hatte ich eine Eins. Aber dass ich jemals zum Theater komme, daran dachte ich im Traum nicht. Ich habe z. B. noch die Angela Salloker gesehen - jetzt fällt mir sogar gerade wieder ihr Vorname ein. Ich habe sie im "Kätchen von Heilbronn" gesehen: Diese Stimme werde ich nie vergessen! Aber ich wäre doch nie auf die Idee gekommen, dass ich ebenfalls auch mal auf so einer Bühne stehen würde. Aber Sie haben durchaus Recht, ich habe immer schon Theater gespielt. Habermeyer: Sind in Berlin aufgewachsen. Rahl: Was bin ich? Habermeyer: In Berlin aufgewachsen. Rahl: Oh, ich habe "abgeworfen" verstanden. Ja, ich bin in Berlin aufgewachsen. In dem Zusammenhang gibt es auch eine ganz schöne Geschichte. Ich denke, wir haben ja ein bisschen Zeit heute, und deswegen kann ich sie wohl erzählen. Ich bin in Berlin-Neukölln geboren: genauso wie Pfitzmann und Buchholz, zwei großartige Schauspieler. Für mich war das aber eine Katastrophe: Ich habe nie gesagt, dass ich aus Neukölln komme. Es war früher wirklich eine Katastrophe, ein armes Kind zu sein. Gut, meine Mutter war keine Putzfrau und mein Vater hatte sogar ein Geschäft. Heute erzählen die Schauspieler ja alle, ihre Mutter wäre früher zum Putzen gegangen. Nun, so etwas gab es bei uns zu Hause nicht. Aber wir waren nicht reich, sondern arm. Meine Eltern haben für ihre Wohnung einen Ort gesucht, der an einem großen Park liegt. Sie haben dann in Neukölln am Weichselplatz eine solche Wohnung gefunden. Sie haben sie freilich nicht sofort bekommen. Das heißt, sie mussten ungefähr ein halbes Jahr warten, bis diese Wohnung frei geworden ist. Sie sind dann eingezogen und haben vom Balkon aus nach unten sehen können, was ihre Kinder im Park machten. Dieser Park erschien mir als Kind irrsinnig groß. Als ich ihn dann später wieder gesehen habe, war er leider nicht mehr so groß. Man durfte früher jedenfalls nicht sagen, dass man aus armen Verhältnissen stammt. Man musste stattdessen immer irgendwelche Geschichten erfinden. Wenn ich vom Regisseur oder meinetwegen vom Produktionsleiter nach Hause gebracht worden bin, dann habe ich mich immer nach Charlottenburg bringen lassen. Von dort aus habe ich mir dann ein Taxi nach Neukölln genommen. Sie durften einfach nicht sagen, dass ihr Vater arm ist. Und dies, obwohl mein Vater ein sensationeller Pianist und Geigenvirtuose gewesen ist: Damit hätte er viel mehr Geld verdienen können. Aber er war eben Mechaniker- und Gürtlermeister: Mit diesen zwei Berufen würde er heute vermutlich Millionen verdienen, denn gute Handwerker sind ja sehr gefragt. Man durfte so etwas also nicht sagen: Stattdessen musste man eben aus einem Beamtenhaushalt kommen. Habermeyer: Haben Sie denn als Kind sprachlich auch richtiggehend berlinert? Rahl: Das hat meine Mutter nicht gemocht und das finde ich ganz wunderbar. Ich kann berlinern, sicher, aber den einzigen Berliner Dialekt, den ich von Schauspielern liebe, ist der Dialekt von Harald Juhnke. Das ist ein Berliner Dialekt, den ich toll finde. Aber ansonsten finde ich dieses "icke, dette, kicke mal usw." furchtbar billig. Das hat es bei uns nicht gegeben. So “gut” war unsere Familie schon, dass sie das nicht wollte. Habermeyer: Ich habe gelesen, dass Sie, um Ihre Ausbildung finanzieren zu können, Fremdsprachensekretärin waren. Rahl: Nein. Habermeyer: Dann ist das wieder einmal eine dieser berühmten Zeitungsenten: Da hat einer mal etwas Falsches geschrieben, und alle anderen schreiben das später einfach ungeprüft ab. Es hieß da immer, Sie hätten die Wirtschaftsschule besucht und hätten nebenbei gearbeitet, um sich damit Ihre Schauspielausbildung finanzieren zu können. Rahl: Das ist ja fabelhaft. Das freut mich direkt, dass man so etwas Gutes von mir schreibt. Nein, ich bin, wie ich sagen muss, sehr sprachunbegabt. Ich bin in Englisch ganz gut, aber Französisch war bei uns auf der Schule leider nur freiwillig. Und wer macht schon freiwillig irgendetwas im Unterricht? Das habe ich also nicht gemacht. Was habe ich denn dann gemacht? Mein ganzer Traum als junges Mädchen, als ich noch in Neukölln wohnte, bestand darin, einmal am Kurfürstendamm im "Café Bristol" Kaffee zu trinken. Das war für mich der Himmel und das habe ich dann auch geschafft. Dort sprach mich dann auch tatsächlich ein Mann an. Und was habe ich gemacht - ich habe synchronisiert. Aber nicht etwa Sätze, sondern nur "huh, hah" usw. Damit habe ich mein Geld verdient. Ich bekam fünf Mark für die Stunde dabei. Ich hatte also schon auch Schauspielunterricht: Aber ohne dabei den Gedanken zu haben, Schauspielerin zu werden. Habermeyer: Sie haben das also nur so aus Interesse heraus gemacht? Rahl: Ja, nur um von zu Hause wegzukommen. Wir mussten ja ansonsten jeden Abend um sechs, halb sieben Uhr zu Hause sein. Ich war daher im Bibelbund: Die Bibel kann ich leider nicht so gut, wie ich sie eigentlich können müsste. Ich habe Akrobatik und Steppunterricht gemacht. Ich habe das alles nur gemacht, um ein bisschen von zu Hause wegzukommen. Habermeyer: Aha. Rahl: Meine Schauspiellehrerin hieß Frau Stern und ihr Lebensgefährte hieß Rogge. Als ich dann später beim Film war, hat man mich natürlich auch hin und wieder interviewt und dabei habe ich mal gesagt, ich hätte beim Bruder des berühmten Klein-Rogge Schauspielunterricht gehabt. Der Schauspieler Klein-Rogge schrieb mir dann aber einen Brief: "Liebes Fräulein Rahl, ich finde es zauberhaft, dass Sie bei meinem Bruder Unterricht hatten. Nur - ich habe gar keinen Bruder!" Habermeyer: Wie kam es denn dann, dass es in beim Vorsprechen am Theater zu diesem berühmten Satz gekommen ist? Sie kamen nämlich nach Leipzig und dort gab es einen gewissen Regisseur mit dem Namen Detlev Sierck. Rahl: Ja, das war Detlev Sierck, der berühmteste Regisseur überhaupt, der dann als in den USA seine große Karriere gemacht hat. Er hat u. a. davor schon die entdeckt usw. Das kam so: Ich saß immer nachmittags um Fünf mit jungen Studenten aus sehr reichen Familien in einer Querstraße vom Kurfürstendamm zum Cocktail zusammen. Diese jungen Studenten haben mich dazu immer eingeladen: aber nicht etwa, um mit mir zu flirten, denn ich war ja viel zu jung dazu, sondern um mir ihre neuen Freundinnen vorzustellen. Wenn mir diese neuen Freundinnen nicht gefallen haben, dann habe ich das gesagt – und schon waren sie weg vom Fenster. Diese jungen Herren haben eines Tages zu mir gesagt: "Weißt du was, Mady, wir geben dir einen weißen Chrysler mit Chauffeur, schicken dich zur Ufa raus und du kommst garantiert mit einem Vertrag zurück!" So lief es dann auch. Früher durfte man ja bei der Ufa überhaupt nicht hineinfahren: Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, aber damals konnte man dieses Gelände eigentlich nur betreten, wenn man irgendwelche Unterlagen hatte, dass man dort zu arbeiten hat usw. Ich kam dort jedenfalls mit dem weißen Chrysler an: Mein Pullover hatte vielleicht 30 und mein Rock 20 Mark gekostet, waren also überhaupt nicht teuer gewesen. Und was passierte? Der Pförtner stand da und grüßte! Wir fuhren also durch. Ich stand dann dort auf dem Parkplatz und fragte mich, was ich jetzt machen sollte. Mein Begleiter sagte zu mir: "So, jetzt gehst du in die Kantine!" Und dort kam die erste Enttäuschung. Ich ging also in die Kantine und dort gab es einen riesigen Raum, in dem die ganzen Beleuchter, Handwerker, Kameraleute usw. saßen. Daneben gab es noch einen kleinen Raum für die Schauspieler: Dort ging ich hinein! Ich habe mich hingesetzt und es befanden sich außer mir nur noch zwei andere Personen dort drinnen. Das waren Lillian Harvey und . Sie kannten mich damals natürlich noch nicht. Ich saß dort eine Weile und dann kam ein Herr Dr. Brauer herein, setzte sich akkurat zu mir an den Tisch, obwohl doch ansonsten auch alles frei war. Er fragte mich, ob ich denn etwas mit diesem Beruf zu tun hätte. Ich sagte nur: "Noch nicht!" Er meinte dann, er hätte etwas für mich und nahm mich mit hinüber zu Detlev Sierck, den ich zu dem Zeitpunkt natürlich ebenfalls noch nicht kannte. Sierck meinte dann: "Ja, ja, die ist genau richtig!" So spielte ich dann in einem Kurzfilm eine Hauptrolle. Er meinte dann, dass er mich gleich umstandslos ans "Alte Theater" in Leipzig mitnimmt. Ich lasse jetzt ein bisschen was von der Geschichte aus, weil es sonst zu lang wird. Es war jedenfalls so, dass er mir da in Leipzig Rollenbücher zum Lernen schickte. Er bestellte mich dann ein zum Vorsprechen am Theater. Für mich war das fast schon enttäuschend, weil ich doch dachte: "Was? Ich bin doch schon beim Film!" Ich kam also in dieses Theater - und was soll ich sagen? Dieses Theater stank, für mich stank dieses Theater. Das "Alte Theater" in Leipzig war aber doch das Theater überhaupt, zu dem fast alle Uraufführungen geschickt wurden. Und Detlev Sierck arbeitete dort! Wenn der einem die Hand gegeben hat, dann wagte man doch gar nicht, diese Hand je wieder zu waschen. Denn er war wirklich ein toller Regisseur. Nun gut, ich fand den Geruch dieses Theaters jedenfalls nicht sehr wunderbar und machte dort dennoch meine Schauspielprüfung. Ich bestand sie jedoch nicht, denn unten saßen ein paar ältere Damen und Herren, die mit mir gar nicht einverstanden waren. Aber dann kam Detlev Sierck und sagte eben diesen für mich so wichtigen Satz: "Du bist durchgefallen, aber bei mir bist du engagiert!" Habermeyer: So haben Sie in Leipzig angefangen. Rahl: Ja, dort habe ich dann wirklich etwas gelernt. Man kann nämlich nur an der Bühne etwas lernen. Habermeyer: Wie lange waren Sie dann dort an der Bühne? Rahl: Oh, fragen Sie mich nicht danach! Das war ja alles viel zu traurig. Detlev Sierck war ja mit einer Jüdin verheiratet, mit einer bildschönen, blonden Frau. Wenn ich nur daran denke, was damals deswegen alles passiert ist, werde ich schon sauer, denn das war wirklich eine schlimme Zeit. Sierck bekam jedenfalls von Goebbels einen Brief, dass er geschützt wird. Sierck hat der ganzen Sache aber mit Recht nicht getraut und ging nach Amerika. Da hatten wir natürlich alle keine Lust mehr dort. Kurt Meisel war an diesem Theater, Lina Carstens ebenfalls usw. Ich habe dann ein Angebot für einen Film nach Berlin bekommen. Es hat früher immer solche Agenturen gegeben, die herumgefahren sind und sich neue Schauspieler angesehen haben. Diese Agentur hat mich entdeckt und zu mir gesagt, ich sollte nach Berlin kommen, um dort Probeaufnahmen zu machen. Ich kürze jetzt wieder ein wenig ab: Ich fuhr nach Berlin und es wurden Probeaufnahmen gemacht, die darin bestanden, dass ich mal nach rechts, mal nach links, mal geradeaus schauen und mal lachen sollte. Sie fragten mich dann, ob ich schon mal gesungen hätte. Ich meinte, ich hätte auf der Bühne in Leipzig selbstverständlich schon gesungen. Ich sollte also auch noch vorsingen, obwohl überhaupt kein Pianist da war. Nun, ich habe dann a cappella "Bitte, bitte lass mich" gesungen. Und so kam es, dass ich für eine Filmrolle engagiert war. Dann kam aber das Schlimme: Wir feierten nämlich am Schluss meinen Vertrag und vergaßen dabei völlig, dass ich ja am Abend in Leipzig auf der Bühne stehen musste! Habermeyer: Oh Gott! Rahl: Ich sah den Zug also nur noch von hinten! Als ich letztlich doch dort ankam, hatte ich auch noch einen Schwips. Denn in dieser ganzen Aufregung hatte man mir ein Glas Sekt gegeben. Ich kam also dort in Leipzig an und machte, angeheitert, wie ich war, nur noch "Huhu, hallo". Dr. Schüler, der oberste Chef von allen Theatern in Leipzig, baute sich dann vor mir auf – und ich war entlassen! Ich durfte das Theater dann nicht einmal mehr betreten. Habermeyer: Oh ja. Rahl: Da war ich wirklich sehr traurig, obwohl ich doch jetzt beim Film war und einen Film nach dem anderen drehte. Aber an sich war das schon schlimm gewesen. Habermeyer: Waren Sie dann bei der Ufa fest engagiert mit Jahresverträgen und allem Brimborium? Rahl: Ja, ich hatte dann einen festen Vertrag bei der Ufa. Auch das war reiner Zufall gewesen, dass ich den bekommen hatte. Letztlich ist all so etwas reine Glückssache. Gut, man muss natürlich schon auch etwas können, sollte seine Schauspielschule besucht haben und sollte auch ans Theater gehen, weil letztlich nichts mehr Freude macht, als am Theater zu spielen, aber so eine Sache wie dieser Ufa-Vertrag war letztlich doch eine Glückssache gewesen. Da kamen dann diese drei Rökk-Filme, diese Filme mit Marika Rökk, in denen ich mitgespielt habe. Habermeyer: Darauf wollte ich soeben zu sprechen kommen. Sie kamen dann also in Kontakt mit den wirklichen Topstars dieser Zeit. In der Besetzungsliste eines Films von 1937 von Douglas Sirk habe ich sogar einen jungen Schauspieler namens Curd Jürgens gefunden. Rahl: Der war zu der Zeit nicht da. Habermeyer: So, er war zu der Zeit nicht da? Er steht aber auf der Besetzungsliste. Rahl: Ja, schon, ich kannte ihn ja gut. Ich habe später ja mit ihm auch gedreht. Eine Schauspielerin kann sich als Partner nur jemanden wie Curd Jürgens wünschen! Sie können sich gar nicht vorstellen, wie phantastisch der war. Wenn der einen umarmt hat, dann dachte man, die Welt ginge unter und man möchte sofort ein Verhältnis mit ihm anfangen. Habermeyer: Hoho. Rahl: Ja, sofort. Aber das tut man natürlich nicht! Er war jedenfalls der beste Freund meines ersten Mannes. Wir haben dann, wenn ich mich nicht täusche, auch "Gefangene der Liebe" mit der Düringer zusammen gedreht. Es war jedenfalls ein tolles Arbeiten mit ihm. Ich muss Ihnen sagen, dass ich wohl in Wahrheit gar keine Schauspielerin bin: Ich würde z. B. solche Rollen ablehnen, die der Curd Jürgens manchmal gespielt hat. Er hatte z. B. mal die Rolle eines absoluten Frauenmörders! Nein, solche Sachen könnte ich nicht spielen. Man hat mir vor drei Jahren auch mal angeboten eine Nazifrau im Zirkus zu spielen. Da habe ich dann aber schon gesagt: "Sie können auf der ganzen Welt suchen, unter den Zirkusleuten gibt es keine einzige Nazifrau oder Verräterin!" Insofern war diese Rolle also eh dumm und deshalb habe ich sie abgelehnt. Ich bin nämlich davon überzeugt, dass diese Leute beim Zirkus die besten und fleißigsten Menschen der Welt sind, denn die müssen wirklich arbeiten. Habermeyer: Hat das noch mit Ihrer Liebe zur Artistik und Akrobatik zu tun? Rahl: Was für'n Ding? Habermeyer: Sie haben als Jugendliche doch ein wenig Artistik gelernt, oder? Rahl: Was heißt Artistik? Akrobatik und Steppen usw. Ich habe alles gemacht: Ich war schwimmen, ich habe Tennis gespielt. Aber ich war überall nur dreiviertel gut und nicht sehr gut. Wenn ich heute noch einmal jung wäre und mich entschließen müsste, was ich werden soll, dann würde ich Sportlerin werden. Denn Schauspieler gibt es ja am laufenden Band: Da sind ja auch welche dabei, die gar keine sind. Vor den Sportlern habe ich jedenfalls die größte Achtung. Habermeyer: Kommen wir noch einmal zurück zu den Filmen, die Sie mit Marika Rökk gedreht haben. Wie war denn das Drehen mit einem solchen Superstar wie Marika Rökk? Rahl: Phantastisch. Sie war mit allen meinen Kollegen phantastisch. Was dann nachher immer so über sie erzählt worden ist, stimmt einfach nicht. Marika war die beste Kollegin überhaupt: Sie war ein absoluter Freund. Sie brachte Gulasch mit auf den Dreh usw. Wir haben gerne zusammengearbeitet. Das Ganze lag vielleicht auch daran: Wenn man sich mit jemandem verstehen will, dann kann man sich auch verstehen. Ich wusste eben, was meine Aufgabe ist: Eine Rökk hätte ich nie spielen können. Ich konnte keinesfalls so gut tanzen wie sie usw. Ich wusste also immer, dass ich die zweite Rolle habe und nicht die erste. Sie hatte aber im Laufe der Zeit natürlich auch immer wieder Kolleginnen, die selbst die Erste sein wollten, die sie an die Wand spielen wollten. Ich hatte wirklich eine große Freundschaft mit ihr. Sie ist nur ein einziges Mal wirklich ausgerastet. Ich an ihrer Stelle wäre einfach nach Haus gegangen und nicht wiedergekommen. Sie sollte da von oben von einer Treppe herunter tanzen, wobei das Licht voll von vorn auf sie fiel. Das war natürlich der schiere Wahnsinn. Sie haben das x-mal geprobt und dann ist sie eben gegangen und hat gesagt: "Jetzt sollen sich erst mal die Kameraleute einig werden, was sie überhaupt wollen!" Habermeyer: Wie haben Sie denn die Zeit damals politisch empfunden? Ich habe in der Liste Ihrer Filme z. B. einen Film noch aus dem Jahr 1937 gesehen, in dem Sie mitgespielt haben, der mit tschechischer Koproduktion gemacht worden ist. Rahl: Wie hieß der? Habermeyer: Oh, da müsste ich jetzt nachsehen. Ich weiß es nicht mehr so ganz genau. Rahl: Einen Nazifilm habe ich bestimmt nicht gemacht. Habermeyer: Nein, nein, keinen Nazifilm. Das war ein Spielfilm im Jahr 1937 mit tschechischen Schauspielern und einer tschechischen Produktionsfirma. Rahl: Ach so, ja. Wie hieß dieser Film gleich noch mal? Das war doch dieser Film mit . Habermeyer: Ja, genau, mit Hans Moser. Rahl: "Gässchen zum Paradies" hieß er. Habermeyer: Er lief auch unter dem Titel "Der Hundefänger von Wien". Rahl: Ja, das war eine Traumarbeit. Der Moser hat dabei sehr viel von dem Hugo Haas aus Prag gelernt. Hugo Haas war Jude und ging dann Gott sei Dank auch nach Amerika. Hugo Haas hat die tschechische Hauptrolle gespielt. Der Moser hat dann für die deutsche Hauptrolle sehr viel von ihm übernommen. Das war eine wunderbare Arbeit. Ich habe kein Wort Tschechisch verstanden, aber ich bin trotzdem in das Theater gegangen, in dem Hugo Haas zu der Zeit gespielt hat: Ich habe geweint und war begeistert. Ich habe überhaupt Prag und die Tschechen sehr geliebt. Das waren alles tolle Kollegen. Habermeyer: Wie war denn bei Ihnen im Team unter den Schauspielern die Stimmung damals? Sie haben ja mitbekommen, dass z. B. jemand wie Douglas Sirk gegangen ist, weil er mit einer Jüdin verheiratet war. Es sind ja viele, viele Schauspieler damals aus Deutschland weggegangen. Viele andere hatten Probleme, noch Rollen zu bekommen usw. Theo Lingens Frau hat damals z. B. Bertolt Brecht den Schmuck nach Dänemark nachgebracht, damit er dort überleben konnte. Rahl: Ja, fabelhaft. Habermeyer: Zum Geburtstag von Heinz Rühmann hat man ebenfalls seine ganze Biographie noch einmal aufgerollt. Rahl: Mosers Frau hat damals z. B. in Prag gelebt. Habermeyer: Wie haben Sie das damals erlebt? Haben Sie den politischen Druck als solchen empfunden? Haben Sie das gemerkt? Rahl: Ich kann dankbar dafür sein, dass mein Vater Sozialdemokrat war. – Ich will hier gar nicht davon sprechen, was ich bin. – Mein Vater hat jedenfalls diese Nazis gehasst. Er hätte sie am liebsten erschossen, diese Parteibonzen, denn sie haben sich ja gerne im offenen Wagen durch die Gegend chauffieren lassen. Mein Vater hat zu mir gesagt: "Im Abendkleid darfst du überall hin, aber sonst nicht!" Er hat auch wirklich jede Einladung an mich zerrissen. Im Abendkleid war ich jedoch sehr wohl dort. Ich saß also mal neben dem Führer, ich kannte den Goebbels, den Bormann usw. Den Göring kannte ich jedoch nicht. Bis auf ihn habe ich jedenfalls alle diese Bonzen kennen gelernt. Mich hat man freilich nicht ernst genommen. Gut, ich habe nicht dagegen geredet und ich habe natürlich auch nicht gesagt, dass die Nazis das Letzte seien. Aber ich habe schon meine Meinung gesagt. Ich war also in ideologischer Hinsicht geschützt durch meinen Vater. Dem bin ich dafür unendlich dankbar. Einen Satz von ihm habe ich z. B. bis heute nicht vergessen: "Glaubst du, die bauen die Waffen, damit sie vermodern? Es gibt Krieg!" Das hat mein Vater wirklich vorher schon gewusst. Ich habe auch wirklich auf meinen Vater gehört. Gut, ich wollte natürlich schon auch im Abendkleid auf die Empfänge gehen: Natürlich wollte ich diese Leute alle begrüßen, natürlich wollte ich da im Rampenlicht sitzen. Wenn ich heute z. B. all diese Rechtsradikalen sehe: Die würden doch dort niemals sitzen! Hitler und Goebbels haben sich doch nur mit schönen Leuten umgeben! Die Adjutanten von denen waren immer bildschöne Männer, die auch nicht alle solche schlimmen Nazis waren, wie man das vielleicht annehmen könnte. Ich war jedenfalls auf keinen Fall eine Nazifrau. Habermeyer: Gab es denn unter den Schauspielern und Schauspielerinnen auch manchmal Gerede über Kollegen, die sich dann doch eher 'rangeworfen haben an die Nazis? Rahl: Nein, die konnten sich doch nicht 'ranwerfen. Es war wirklich so, wie ich das jetzt sage: Wenn ein kleiner Schauspieler, der kein festes Engagement hatte, ins Produktionsbüro gegangen ist und lauthals "Heil Hitler" gebrüllt hat, dann hat man ihn engagiert. Aber nur für eine kleine Rolle! Und genau das hat sich dann auch herumgesprochen über ihn. Vom Rühmann hat man ja auch gerne erzählt, er wäre ein Nazi gewesen. Gut, ihn kannte ich nicht so gut, aber ich hätte das nie von ihm behauptet, denn ich kann mir das von ihm einfach nicht denken. Ich kenne keinen Kollegen, der wirklich ein Nazi gewesen ist. René Deltgen hat in der Zeit der deutschen Besatzung von Frankreich, wenn wir dort gedreht haben, den französischen Kollegen und Komparsen immer heimlich Zigaretten mitgebracht. Sie haben dann immer gesagt: "Merci beaucoup, Monsieur Deltgän!" Wir haben wirklich zusammengehalten. So einen Zusammenhalt gibt es heute leider nicht mehr. Habermeyer: Die Produktionsbedingungen wurden dann aber gegen Mitte der vierziger Jahre immer schwieriger, wie ich annehme. War denn da ein normaler Filmbetrieb überhaupt noch aufrecht zu erhalten? Rahl: Schwer. Ich war damals in Prag und wollte auch in Prag bleiben. Man wollte mir dort ein kleines Appartement einrichten, weil die Situation in Berlin ja so schlimm war. Ich habe dann aber ein Telegramm bekommen: Wenn ich nicht komme, dann werde ich gestrichen. Das war ein Telegramm von Goebbels, leider habe ich es nicht aufgehoben. Gut, das ist ja auch nicht so wichtig. Ich bin ja auch weder angezeigt worden noch habe ich sonst irgendwelche Schwierigkeiten gehabt. Im Gegenteil, mir ging es gut. Ich habe auch wirklich versucht, alles zu tun, was möglich ist. Ich war in der Nazizeit mit einem “Halbjuden” verlobt: Das wusste kein Mensch. Er war ein Pole. Seiner Mutter Jutta habe ich meine Wohnung gegeben und mir selbst eine andere Wohnung genommen. Ich hätte sicherlich noch viel mehr tun können, das ist klar. Wenn aber jemand gekommen ist, dann habe ich auch geholfen. Habermeyer: Sie haben noch 1945 einen Film gedreht mit dem Titel "Shiva und die Galgenblume": Angeblich war das der letzte Film, der damals gedreht worden ist. Können Sie sich daran noch erinnern? Rahl: Ne. Habermeyer: Wie sieht denn Ihre Erinnerung an den letzten Film aus, den Sie in dieser Zeit gedreht haben, denn es kam dann ja auch, wie ich annehme, hinterher eine Pause? Rahl: Ich weiß das nicht mehr. Ich weiß nur, dass ich damals zu diesem Film nach Berlin kommen musste. Das war ein Film von Paul Verhoeven, dem Vater von Michael Verhoeven: ein toller Regisseur, einmalig. Ich habe zu ihm mal gesagt: "Zieh mein Kleid an und spiele selbst!" Er war einmalig, das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Insgesamt war die Situation natürlich sehr schlimm, als ich da nach Berlin zurück musste. Man wusste ja nicht, wer zum Dreh alles kommen kann. Ist der Kollege oder die Kollegin irgendwo im Keller verschüttet? Sind sie umgekommen? Es war furchtbar. Ich habe damals in Berlin meinen ersten Luftangriff erlebt. Das war ebenso wie heute eine kleine Wohnung, die ich allerdings sehr gerne gemocht habe. Ich bin bei diesem Bombenangriff, ohne dass unserem Haus selbst etwas passiert wäre, durch den Luftdruck von einer Ecke in die andere geschleudert worden. Ich wollte beten in dem Moment: Das ist mir aber nicht gelungen. So ging es mir die ganze Zeit: Ich saß bei meiner Mutter in Grünau auf der Toilette und konnte nicht mehr runter, weil gerade ein Bombenangriff war. Ich wollte beten und ich konnte es nicht. Wenn diese Rechtsradikalen von heute nur einmal so etwas erleben müssten, nur einmal, dann würde ihnen alles vergehen, um nach Hitler zu schreien. Wenn Sie wirklich auf einen wie Hitler treffen würden, dann kann ich denen nur sagen: Er hätte sie geliebt, bis er dran ist, aber dann hätte er sie alle weggeschoben. Hitler war ein ganz mieser Charakter. Er war auch absolut hässlich, obwohl ja immer noch einige behaupten, er wäre ein schöner Mann gewesen: Er hatte weder Augen noch eine Nase, die irgendwie schön gewesen wären. Ich habe ihn zum ersten Mal in Berlin kennen gelernt, aber dabei noch nicht gewusst, dass er auf junge Mädchen fliegt: Er flog auf mich! – Das stand ja später auch groß in der Zeitung. – Es kam an diesem Abend jedenfalls ein Adjutant von ihm zu mir und sagte, ich solle zu Adolf Hitler an den Tisch zum Essen kommen. Ich sagte nur, ich hätte bereits gegessen. Es kam dann der nächste und sagte, ich sollte kommen. Zu dem habe ich gesagt: "Nein, ich rauche doch!" Denn dort an diesem Tisch durfte man doch nicht rauchen. Es kam dann Goebbels und sagte: "Du kommst jetzt!" Ich bin dann tatsächlich an den Tisch von Hitler gegangen. Dort gab es Suppe: Er schlürfte die Suppe! Da habe ich dann zum Goebbels gesagt: "Wo hat der denn seine Bildung her?" Ich konnte mir wirklich alles erlauben. Heute frage ich mich natürlich, wie das möglich war. Ich bin also dankbar dafür, dass ich noch da bin und das alles überstanden habe. Heute wird mir das keiner glauben, das weiß ich schon. Es können aber alle kontrollieren, dass ich mit einem Halbjuden verlobt war und ihn auch geheiratet hätte. Das ging dann aber leider nicht, weil ich eben beim Film war. Habermeyer: Wie und wo haben Sie denn den endgültigen Zusammenbruch erlebt? Wo waren Sie im Mai 1945? Rahl: Da muss ich direkt überlegen, wo ich den erlebt habe. In Berchtesgaden! Nein, ich kam ja erst nach dem Krieg nach Berchtesgaden. Ich habe dann nämlich in Berchtesgaden bei meinen Freunden im Hotel gelebt. Das war zunächst ein kleines Sporthotel, aus dem dann später das "Hotel Alpina" geworden ist. Den ersten Amerikaner, den ich in Berlin gesehen habe, habe ich jedenfalls sofort darauf angesprochen, ob er mich nach Berchtesgaden mitnimmt. Denn in Berlin waren die Lebensumstände ja eine Katastrophe. Habermeyer: Wie ging es denn nach 1945 beruflich weiter? Kam da zuerst der Film wieder oder das Theater? Rahl: Ich habe überhaupt nie daran gedacht, dass das mal ein Ende nehmen könnte. Ich war ja so naiv, dass man das fast schon Dummheit nennen kann. Ich dachte, es geht hinterher gleich weiter. und ich waren dann irgendwann gemeinsam am Tegernsee. Dort haben wir so eine Truppe aufgebaut: Margot die ihre und ich meine. Von dort aus sind wir dann überall hingefahren und haben Vorstellungen gegeben, also gesungen. Franz Grothe hat uns damals begleitet. Habermeyer: Gegen Bezahlung oder gegen Naturalien? Rahl: Vielleicht haben wir fünf Mark bekommen, aber wir wurden eher mit Tomaten und solchen Dingen bezahlt. Diese Sache war jedenfalls ganz wichtig für uns. Ich habe in der Zeit zum Franz Grothe auch mal gesagt: "Fränzchen, ich glaube, ich habe falsch gesungen!" Er sagte nur: "Du kannst singen, wie du willst, ich kommen schon mit!" So eine Begleitung wie Franz Grothe hatte ich später natürlich nie wieder. Diese Zeit haben wir damit also irgendwie überstanden. Danach kamen dann wieder die ersten Theater- und Tourneeangebote. Und auch der Film kam langsam wieder. Ich habe dann eine ganze Menge gemacht, aber auswendig weiß ich das natürlich nicht mehr. Habermeyer: Ich habe 91 Filme gefunden, in denen Sie mitgespielt haben. Rahl: Das ist unglaublich. Ich selbst habe nur 72 festgestellt. Habermeyer: Das sind in der Tat einige. Mit 91 Filmen sind Sie wirklich in der Topliga. Rahl: Meine Mutter hat ja die Verträge für mich gemacht: Da gab es manchmal vier Filme auf einmal im Jahr! Habermeyer: Sie haben dann zu Beginn der fünfziger Jahre in München im Theater eine ganz außerordentliche Rolle gespielt. Rahl: Das ist gut, dass Sie das erwähnen. Habermeyer: Das war das Stück von Jean-Paul Sartre "Die ehrbare Dirne". Rahl: Das war mein Erfolgsstück und es ist wunderbar, dass Sie das erwähnen. Denn wenn ich in meinem Leben irgendwie einer Sache etwas zu verdanken habe, dann dieser Rolle. Das war damals im "Zimmertheater" hier in München und Beate von Molo hat die Regie geführt. Das kann man sich heute alles gar nicht mehr vorstellen. Ich habe es bei diesem Stück zum ersten Mal erlebt, dass es am Ende keinen Applaus gegeben hat. Habermeyer: Aber nicht aus Ablehnung, sondern aus Bewunderung. Rahl: Die Leute waren wie erstickt. Sie rührten sich einfach nicht mehr. Ich ging dann zur Beate und sagte zu ihr: "Du, das ist der größte Misserfolg, den wir je erlebt haben!" Sie sagte nur: "Du weißt nicht, was ein Erfolg ist!" Am nächsten Tag waren die Zeitungen voll mit phantastischen Kritiken. Das war mein größter Erfolg und meine schönste Rolle. Diese Rolle war allerdings auch schlimm für mich, weil ich dabei in jeder Vorstellung geweint habe und sogar eine Augenentzündung davon bekommen habe. Ich habe jedenfalls dieses Stück von Sartre so irrsinnig geliebt, dass ich darin vollkommen aufgegangen bin. Wir mussten dann aufhören in diesem "Zimmertheater", weil sonst die Bühne zusammengebrochen wäre bei diesem Andrang. Es kam dann danach der Metzner von der "Kleinen Komödie" im Bayerischen Hof und bot mir an, den "Blauen Engel", also den "Professor Unrat" zu machen. Damit hatte ich meinen zweiten Erfolg. Die Boulevardsachen, die ich in meinem Leben gespielt habe, kann ich dagegen alle vergessen: Sie waren alle gut, aber kein so großer Erfolg für mich. Danach spielte ich dann die Hauptrolle in "Zeugin der Anklage". Habermeyer: Erneut eine Rolle, die gespielt hatte. Rahl: Ja, ebenfalls im Bayerischen Hof und erneut mit einem Riesenerfolg. Ein Kritiker schrieb damals: "Als wir hineingingen, dachten wir an Marlene Dietrich, als wir herauskamen, hatten wir sie vergessen!" Das fand ich eine ganz tolle Kritik. Marlene selbst lernte ich dann durch Max Colpet kennen. Sie war hier im Hotel "Continental": eine unvorstellbar tolle Frau! Sie war dann aber ganz empört – ich wäre das an ihrer Stelle auch gewesen –, als man zu ihr sagte: "Marlene, die Mady hat gerade deine Rolle in 'Zeugin der Anklage' auf der Bühne gespielt." So etwas macht man nicht. Ich mag so etwas auch nicht gerne. Sie hat daraufhin nur "So!" gesagt. Ich hatte ihr Max und Moritz in Bronze mitgebracht: Sie nahm das Geschenk an, als hätte ich ihr einen nassen Waschlappen gegeben. Ich nahm ihr das aber überhaupt nicht übel. Sie war so schön und so toll und eine solche Persönlichkeit, wie es sie nie wieder gegeben hat. Habermeyer: In "Zeugin der Anklage" spielen Sie ja eine Doppelrolle. Rahl: Ja, genau. Habermeyer: Sie müssen sich da ja quasi in zwei verschiedene Rollen hineinbegeben bzw. sich extrem verstellen. Hatten Sie davor den Film mit Marlene Dietrich bereits gekannt? Rahl: Ja, ja, natürlich habe ich diesen Film bereits gekannt. Die Produktion hat natürlich schon auch Wert darauf gelegt, da ein paar Anklänge herzustellen. Ich hatte ein blaues Kostüm an und auch einen Hut auf. Aber ansonsten hatte ich natürlich keine Ähnlichkeit mit Marlene. Auf der Bühne muss man das ja auch ein bisschen anders spielen als im Film. Jedenfalls war das eine ganz tolle Rolle. Es waren also insgesamt nur drei Rollen, an die ich mich heute noch erinnere, an die ich heute noch gerne denke. Habermeyer: Wie sind Sie denn damals eigentlich an dieses Stück von Sartre gekommen? Kam da jemand auf Sie zu und sagte, er hätte da ein Stück von Sartre an der Hand für das "Zimmertheater" und ob Sie nicht die Hauptrolle darin spielen möchten? Rahl: Nun, das war unglaublich. Ich wollte das ursprünglich gar nicht spielen, weil man da so Sachen sagen muss in dieser Rolle. Ich musste z. B. sagen: "Das Bett riecht nach Sünde!" Heute ist das natürlich völliger Kinderkram, denn heute sprechen sie ja auf der Bühne, dass einem manchmal schlecht werden kann. Ich fand damals jedoch, dass ich so etwas eigentlich nicht sagen kann. Habermeyer: Ich habe nachgelesen, dass Sie damals tatsächlich gesagt haben, Sie hätten eine Weile gebraucht, bis Sie diese “schlimmen Wörter” sagen konnten. Rahl: Ja, das fiel mir damals irrsinnig schwer, obwohl diese Wörter im Vergleich zu heute natürlich völlig harmlos waren. Die Beate hat immer zu mir gesagt: "Menschenskind, stell dich nicht so an!" Das Schwerste war ja, für dieses Stück einen Partner für mich zu bekommen. Sie bekamen dann den Wolf Ackva, einen tollen Schauspieler, der in der Zwischenzeit leider auch schon verstorben ist. Die Zusammenarbeit bei den Proben mit ihm war sensationell. Ich habe mich aber immer noch nicht getraut, mit dem Stück herauszukommen. Ich hatte einfach Angst davor: Dieses Stück hat mich wirklich aufgezehrt. Die Beate meinte dann aber: "Wir müssen jetzt 'rauskommen damit, Herrgott noch mal!" Sie war schon eine tolle Regisseurin. Und dann waren wir draußen damit und es wurde so ein Riesenerfolg. Tja, wie kam ich überhaupt an diese Rolle? Sie hatte mich irgendwo gesehen und mich dann angesprochen. Ich war ja froh zunächst, am "Zimmertheater" spielen zu können: Ich wohnte in der Agnesstraße und schon in der nächsten Querstraße war das "Zimmertheater". Ich brauchte also Abends nur geschminkt über die Straße zu gehen und stand schon auf der Bühne. Dass das so ein toller Erfolg wurde, hatte natürlich nicht nur mit mir zu tun: Da waren alle Beteiligten toll. Habermeyer: Das Publikum war damals ja auch ausgehungert nach solchen Stücken. Rahl: Ja, unglaublich. Habermeyer: Das war ein ganz anderes Feed-back, das man da bekommen hat. Rahl: Wenn man dieses Stück damals so richtig unter die Haut bekommen hat, dann litt man auch richtiggehend mit. Habermeyer: In den fünfziger Jahren ging es dann bei Ihnen aber auch mit dem Film wieder weiter. Rahl: Ja, das ging bei mir immer weiter. Ich konnte mir nie vorstellen, dass das überhaupt mal aufhört. Ich habe vor zweieinhalb Jahren zwei Rollen abgelehnt: Das hätte ich nie machen dürfen! Ich habe nie daran gedacht, dass da dann nichts anderes mehr kommt hinterher. Habermeyer: Ja, ist das so? Rahl: Ja, in meinem Alter wünscht man sich eine Grauhaarige, die dick und fett ist. Das bin ich aber nicht. Ansonsten gibt es keine Großmütterrollen mehr. Die jungen Regisseure wissen auch gar nicht, wer ich bin. Habermeyer: Das sollte sich nach dieser Sendung vielleicht wieder ein bisschen ändern. Rahl: Ach nee, das will ich gar nicht mehr. Wissen Sie, ich weine dem nicht mehr hinterher. Als man mich in einem Interview mal gefragt hat – Gott sei Dank hatte ich da mal einen klaren Gedanken –, was ich denn zum Nachwuchs sagen würde, wollte man natürlich etwas Bestimmtes hören von mir. Ich habe nur gemeint: "Was soll ich Ihnen sagen? Ich war ja auch mal Nachwuchs!" Ich bin sehr dankbar dafür, dass mir diese Antwort eingefallen ist, denn normalerweise könnte man natürlich schon ein bisschen meckern. Habermeyer: Gehe ich richtig in der Annahme, dass Sie in den fünfziger Jahren eine bestimmte Sorte Filme gemacht haben, die auch heute noch bekannt sind, weil sie bis heute im Fernsehen laufen: Ich meine diese Edgar-Wallace- Filme. Rahl: Ja, schon, aber ich habe keine große Rolle darin gespielt. Da hat meine beste Freundin immer die großen Rollen gespielt: Sie war damals mit Doktor Reinl verheiratet. Karin Dor und ich mögen uns sehr, aber meine Rollen in diesen Filmen waren nicht gut. Ich habe das nur aus finanziellen Gründen angenommen: Ich brauchte einfach das Geld. Gut, mein Ehrgeiz kam auch noch hinzu und ich bin dort ja auch nicht schlecht behandelt worden. Ich spielte dort aber keine Hauptrolle. Habermeyer: Sie spielten allerdings mehrmals in Filmen von Jürgen Roland. Rahl: Ja, das war ganz toll, bei Jürgen Roland. Habermeyer: Beim Nestor des deutschen Kriminalfilms. Rahl: Ja, er hat wirklich die besten Krimis, der Roland. Habermeyer: Das fing damals alles mit "Stahlnetz" an. Rahl: Ja, bei "Stahlnetz" waren damals die Straßen leer gefegt. Habermeyer: Welcher Film aus den fünfziger Jahren, an dem Sie beteiligt waren, ist Ihnen denn heute noch in stärkster Erinnerung geblieben? Rahl: Wenn ich doch nur wüsste, was ich in den fünfziger Jahren alles gedreht habe! Soll ich Ihnen sagen, was für mich in Erinnerung geblieben ist? Habermeyer: Ja, bitte. Rahl: Das war das "Herz von St. Pauli" mit Albers und Gert Fröbe. Gert Fröbe als mein Partner: ein toller Schauspieler. Er musste mich da in diesem Film in einer Szene mal zusammenschlagen, weil ich so eifersüchtig bin. Habermeyer: War Gert Fröbe schon etwas beleibter zu diesem Zeitpunkt oder war er da noch so dürr wie am Anfang seiner Karriere in "Otto Normalverbraucher"? Rahl: Nein, da war er schon richtig gut beleibt. Wir probten und probten diese Szene immer wieder: Er musste mich so ins Gesicht schlagen, dass ich umfiel. Plötzlich rief der Regieassistent: "Kinder, hört auf zu probieren, die Rahl liebt Schläge!" Habermeyer: Na! Rahl: Ich habe nämlich überhaupt nicht gemerkt, dass der Gert zugeschlagen hat: Er hat unglaublich weiche Hände. Und dann erst der ! Mein Gott, was waren das für Schauspieler! Man kann sich das heute alles gar nicht mehr vorstellen. Habermeyer: Sie haben dann aber auch in internationalen Produktionen mitgespielt: Sie haben z. B. auch in einem Film mitgemacht, in dem ein gewisser Robert Redford aufgetreten ist. Rahl: Ja, und vor allem auch Alec Guinness! Ich dachte mir natürlich schon, dass ich mit diesem Film in Amerika landen könnte. Die Rolle war auch sehr schön und die Arbeit mit Alec Guinness war toll. Ich will nur eine Szene daraus erzählen: Wir tanzten in einer Szene einen leichten Rock 'n' Roll und jedes Mal, wenn wir zusammenkamen, verbeugte er sich vor mir. Er hatte lauter so süße Einfälle. Das war unglaublich. Und Redford machte da seinen ersten Film: Ich wusste natürlich nicht, dass der später so berühmt werden würde. Ich bin daher überhaupt nicht auf die Idee gekommen, mir von ihm ein Autogramm geben zu lassen. Auch von Sir Alec Guinness habe ich mir keines geben lassen. Habermeyer: War er damals schon ein Sir? Rahl: Ja, war er bereits. Und Gottfried Reinhardt führte Regie bei diesem Film. Habermeyer: War das eine deutsche Produktion? Rahl: Nein, das glaube ich nicht. Das war alles amerikanisches Geld. Wir deutschen Mädchen wurden dafür nur eingekauft. Habermeyer: Wo wurde dieser Film gedreht? Rahl: Hier in Deutschland, in München. Habermeyer: Später kam dann das Fernsehen. Rahl: Ja, das stimmt, und hier muss ich zumindest einmal ihren Namen erwähnen: Da habe ich z. B. mit Lilli Palmer zusammengearbeitet. Wo gibt es heute noch Lili Palmer? Man erwähnt sie nicht einmal mehr. Brigitte Horney! Und so weiter und so fort. Wir waren alle befreundet miteinander, wie Menschen nur befreundet sein können. Das gibt es heute alles nicht mehr. Meine Freundinnen sind alle leider jünger als ich gestorben. Winnie Marcus ist nun auch leider schon verstorben. Wir waren wirklich sehr gut befreundet. Ich war immer auf allen ihren Einladungen und umgekehrt war es genauso der Fall. Die Freundschaft zu Winnie Marcus war wirklich sehr, sehr schön. Sie sind aber nun alle nicht mehr da und die heutigen, die neuen, die kennen sie nicht einmal mehr. Als damals 1989 die Mauer fiel, sagte z. B. eine Schauspielerin aus dem Osten zu mir: "Ja, wir haben doch im Osten viel mehr gelernt, wir haben doch viel mehr gearbeitet!" Ich frage sie dann nach Brigitte Horney. Sie meinte nur: "Wer? Wer ist das?" Wenn die jungen Schauspieler die alten Schauspieler schon nicht mehr kennen, dann ist es vorbei. Ich selbst weiß ja auch noch bis heute, wer für mich die alten Schauspieler waren, die ich selbst aber nie kennen gelernt habe. Das ist doch die Geschichte meines Berufs, die muss ich doch kennen! Habermeyer: Sie haben Mitte der siebziger Jahre in einem Film von Hans-Jürgen Syberberg mitgespielt und zwar in dem Film über Karl May. Rahl: Ja, das war schade. Ich habe nie wieder so gut ausgesehen wie in diesem Film. Es ist toll, dass Sie ihn erwähnen. Wie hieß dieser Film? Habermeyer: Der Film hieß einfach "Karl May". Rahl: Wir waren ja finanziell an diesem Film beteiligt und der Mann von der Maria Schell saß bei der Premiere neben mir und meinte zu mir: "Da kannst du von Glück reden, wenn du auch nur einen einzigen Pfennig wieder herausbekommst!" Dieser Film kam tatsächlich nicht an, obwohl doch so tolle Schauspieler wie z. B. Käthe Gold oder Lil Dagover mitgespielt haben. Ich habe jetzt sehr spät ein Interview von Syberberg mit der Romy Schneider gesehen; das war spät nachts, weil ich ja immer erst so spät einschlafe. Ich kann Ihnen sagen: Nie war die Romy so gut wie da. Er war bei diesem Interview auch unglaublich zurückhaltend. Schade, dass er nichts mehr macht, denn dieser Mann kann etwas. Habermeyer: Sie haben ja auch mal mit dem Mann von Romy Schneider gedreht, wenn ich mich nicht irre, mit Harry Meyen. Oder? Rahl: Ja, ja, für das Fernsehen, aber den kann man vergessen. Ich muss ehrlich sagen, dass mir da die Romy schon Leid getan hat, als sie den geheiratet hat. Denn der ist ja so etwas von...Ich war ja auch kurz mit ihm befreundet. Es war damals z. B. so, dass ich ins Atelier kam und braun gebrannt war: Wir haben damals erneut "Die ehrbare Dirne" gemacht. Ich stand also dort und er sagte zu mir: "Sind Sie schon in Maske?" Das war die Begrüßung mir gegenüber. Da habe ich mir gleich gedacht: "Oh Gott, dieser Mann ist ja arrogant bis dort hinaus!" Aber ein guter Schauspieler! Ich weiß gar nicht, was aus ihm geworden ist. Ich glaube, er hat sich umgebracht. Habermeyer: Ich weiß es nicht. Sie haben jedenfalls die Romy Schneider auch selbst gut gekannt. Rahl: Ja, sehr gut. Ich kannte sie schon, als sie noch klein war. Ich habe damals doch in Berchtesgaden gewohnt und da habe ich Romy mit ihrer Mutter oft getroffen. Was da heute alles in der Presse steht über das Verhältnis von Romy zu ihrer Mutter: Das darf doch nicht wahr sein! Mutter und Tochter waren nämlich immer ein Herz und eine Seele. Wir saßen da meinetwegen am Swimmingpool bei der Magda Schneider in Salzburg: wir drei Weiber, also Ruth Stoll, die auch leider schon gestorben ist, Magda Schneider und ich. Auf der anderen Seite saßen Wölfchen und die Romy und die drei Kinder von meiner Freundin. Ich kenne die Romy in- und auswendig. Sie hat wirklich nur ihren Beruf an erster Stelle geliebt. Wenn da ein Mann dazwischen kam, dann war das wunderbar, aber er blieb an zweiter Stelle. Ich habe nicht so viel erreicht wie sie und werde es auch nicht erreichen. Ich bin auch nicht so gut wie sie, aber ich habe das gleiche Schicksal. Ich habe nur meinen Beruf geliebt. Ich hatte daher nicht die Vernunft, eine Ehe zu führen und glücklich zu sein. Das war mir nicht vergönnt. Wenn mich ein Mann betrogen hat, dann weiß ich heute, warum das passiert ist. Damals hat man sich noch den Kopf darüber zerbrochen und sich gesagt: "Ich bin doch einmalig, warum betrügt mich dieser Mann?" Heute ist mir das alles ganz klar: Wenn ich drei Monate auf Tournee bin, dann kann ich doch nicht verlangen, dass der alleine bleibt. Die Frauen warten doch nur darauf, dass ich weg bin. Heute sehe ich das ein. Ich wäre aber trotzdem nicht mit so einem Mann zusammengeblieben: Bei mir ist das unmöglich, denn ein Mann, der mich betrügt, taugt nichts. Habermeyer: Haben Sie denn mitbekommen, wie es Romy Schneider in den letzten Jahren gegangen ist? Rahl: Nein, ich ärgere mich ja heute noch, dass ich damals nicht zu ihr nach Paris gefahren bin. Denn es ist ja unglaublich, dass man sich so gut kennt und dann von so etwas nichts mitbekommt. Wir haben uns z. B. damals bei ihrem ersten Film in Salzburg gesehen. Ich werde das nie vergessen. Sie war da gerade oben auf einer Rampe und rief zu mir herunter: "Tante Mady, Tante Mady!" Ich rief zurück: "Es hat sich ausgetantet, Romy, ab jetzt bist du Kollegin." Wir waren wirklich ein Herz und eine Seele und es ist mehr als traurig, was dann mit ihr passiert ist. Sobald ich einen Film von ihr sehe, fange ich an zu weinen. Habermeyer: Sie haben neben Ihrer Arbeit als Filmschauspielerin, als Synchronsprecherin und als Theaterschauspielerin auch angefangen zu malen. Wann fing das an? Haben Sie immer schon gemalt? Rahl: Gezeichnet habe ich schon in der Schule wunderbar: Ich war da immer die Beste und es wurden von mir sogar Bilder ausgestellt. Ich glaube nicht, dass das bereits wirklich gute Bilder waren. Die Lehrerin hat halt gefragt, was das Bild bedeuten soll, und ich habe gesagt: "Weltuntergang!" Ich hatte halt einfach so etwas aufs Blatt gekritzelt. Aber die Lehrer fanden das damals toll. Ich habe also sehr gut gezeichnet, aber mein Vater hat besser gezeichnet als ich: Alles, was er besser konnte, konnte man dann eben selbst nicht mehr erlernen. Ich habe dann aber später Arrigo Wittler und seine Frau kennen gelernt. Ich habe damals zu Hause gezeichnet: Er hat sich die Bilder angesehen und mir dann eine Staffelei, meine erste Leinwand und Farbe geschenkt. Habermeyer: Wann war das? Rahl: 1972. Ich fing also an zu malen. Er gab mir ein Bild, das ich nachmalen sollte: Das konnte ich aber nicht. So allmählich ging es dann aber und ich dachte schon, ich wäre die größte Malerin der Welt. Meine ersten Bilder waren so teuer, dass sie gar nicht verkauft worden sind. Aber ich glaube schon, dass ich, wenn ich an die Staffelei gehe, auch wirklich malen kann. Vor allen Dingen ist das Malen eine irrsinnige Befriedigung. Selbst wenn man gerade den größten Kummer erlebt hat, vergisst man ihn beim Malen. Habermeyer: Das Malen war also nicht nur eine Freizeitbeschäftigung für Sie, denn das bedeutet Ihnen bis heute schon ein wenig mehr. Rahl: Ja, es hat auch Ausstellungen gegeben, wo ich tatsächlich ein paar Bilder verkaufen konnte. Ich habe z. B. auch mal ein Bild gespendet für eine Spendenaktion zugunsten rumänischer Kinder. Ich war ganz glücklich, dass in dem Zusammenhang damals diese Hellseherin Frau Elisabeth Tessier ein Bild von mir gekauft hat. Das Geld für dieses Bild ging an die rumänischen Waisenkinder. Ich war wirklich glücklich, dass gerade sie dieses Bild gekauft hat, denn auf dem Bild sieht man zwei Menschen wie Adam und Eva in Schwarz und nur durch das Licht angeleuchtet in einer Blumenwiese. Jeder von den beiden hat eine Rose in der Hand. Ich fand das Bild toll, aber niemand hatte dafür Verständnis, weil man dafür eben doch ein bisschen Phantasie braucht. Sie hat es jedenfalls gekauft und da war ich besonders glücklich: Das ist wirklich eine tolle Frau. Habermeyer: Nachdem wir uns nun eine Zeit lang unterhalten haben, kann ich es sehr gut nachvollziehen, dass es in jedem Artikel über Sie, den ich gelesen habe, heißt, Sie seien die Frau mit der prägnanten Stimme. Es hieß aber auch immer, Sie seien eine Frau mit einer verruchten Stimme: Sie seien der Vamp mit der verruchten Stimme. Wie sind Sie denn mit solchen Attributen umgegangen, denn in den fünfziger Jahren war vermutlich der Ausdruck "verruchter Vamp" nicht immer ein Kompliment? Rahl: Damals habe ich doch noch eine ganz hohe Stimme gehabt! In "Truxa" hatte ich eine ganz hohe Stimme. Diese tiefe Stimme ist erst mit der Zeit durch das Rauchen so gekommen. Getrunken habe ich früher auch, aber nicht im Übermaß, denn ich hasse Frauen, die trinken. Heute trinke ich gar nichts mehr. Das mit der Stimme kam eben so. Diese Stimme hat mich z. B. auch mal gerettet. Mich haben mal in München mitten in der Nacht drei betrunkene junge Männer aufgehalten. Da wird ja normalerweise jede Frau ein wenig leise in der Stimme, ich habe sie jedoch ganz laut angeschrieen: "Was wollt Ihr denn?" - "Mensch, hast du eine Stimme. Wo kommt die denn her?", haben sie mir darauf geantwortet. "Vom Saufen!" Das ist natürlich gar nicht wahr, aber sie waren so begeistert von mir, dass sie mir nichts getan haben. Es ist jedenfalls so, dass ich Stimmen sehr, sehr gerne mag. Ich weiß nicht, ob ich meine Stimme mag, aber ich mag Stimmen! Ein Schauspieler, der keine tolle Stimme hat, ist keiner. Ich erkenne auch jeden Schauspieler, der einen Namen hat, sofort an seiner Stimme. Ein Wussow, Albers oder wer auch immer, braucht nur mit dem Rücken zur Kamera stehen und etwas sagen: Ich kenne sie alle sofort an ihrer Stimme. So prägnant kann die Stimme eines Schauspielers sein. Und was ist heute? Von den heutigen Schauspielern kenne ich niemanden mehr. Habermeyer: Was würden Sie denn einer jungen Kollegin raten? Wenn Sie eine junge Kollegin auf dem Set kennen lernen würden, was würden Sie ihr dann aufgrund Ihrer eigenen Erfahrung raten? Was soll sie hauptsächlich berücksichtigen? Rahl: Ach, sie haben es heute ja so schwer. Sie werden entdeckt und herausgestellt und hochgehoben usw. Sie haben es wirklich schwer, denn es wird aus ihnen ein Star gemacht, obwohl sie doch noch gar keiner sind. Da fehlt eben ein Sierck oder ein ähnlicher Regisseur, der zu so jemandem sagt: "So, jetzt komm mal wieder herunter vom hohen Ross!" Es genügt ja z. B. nur ein Wort, eine Betonung, um den Unterschied auszumachen. Ich habe vor kurzem in "Eine glückliche Familie" – das wird jetzt wiederholt - eine Szene mit mir erneut gesehen. In dieser Szene sage ich: "Ich habe immer 'nein' zur Ehe gesagt und jetzt will ich einmal 'ja' sagen." Wenn mir da nur der Regisseur gesagt hätte, ich sollte Folgendes sagen: "Ich habe immer 'nein' gesagt, aber jetzt will ich einmal 'ja' sagen!" Wenn ich das so gesagt hätte, dann hätte die ganze Rolle gestimmt. Diese Betonung auf dem "einmal" darf eben nicht verschwinden. Ich wäre bestimmte eine tolle Regisseurin geworden, aber das ist natürlich viel zu ermüdend. Habermeyer: Wir sind nun leider am Ende unseres Gesprächs angekommen. Rahl: Wir sind ja gar nicht auf die Filme zu sprechen gekommen und auf Hansjörg Felmy sind wir auch noch nicht zu sprechen gekommen. Habermeyer: Na, wir haben schon einiges über Ihre Filme gesprochen. Rahl: "Haie und kleine Fische", das war der größte Film mit ihm. Habermeyer: Wir haben schon ein bisschen über Filme gesprochen. Rahl: Aber nicht über "Haie und kleine Fische" mit Hansjörg Felmy und Horst Frank. Habermeyer: Das bleibt uns vielleicht für das nächste Gespräch. Ich bedanke mich ganz herzlich bei Ihnen für dieses Gespräch. Rahl: Herr Dr. Habermeyer – habe ich den Namen jetzt richtig ausgesprochen? – ,ich bedanke mich auch, es war lustig mit Ihnen. Habermeyer: Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, das war unser heutiges Alpha- Forum mit der Schauspielerin Mady Rahl. Ich hoffe, es hat Ihnen gefallen, bis zum nächsten Mal, auf Wiedersehen.

© Bayerischer Rundfunk