Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 KommunikationimFokus – Arbeiten zur Angewandten Linguistik

Band 8

Herausgegeben von Rudolf de Cillia und Helmut Gruber

Reihe mitbegründet von Florian Menz (†)

Wissenschaftlicher Beirat: GerdAntos, Christiane Dalton-Puffer,Ursula Doleschal, ReinhardFiehler,Elisabeth Gülich, HeikoHausendorf, Manfred Kienpointner,Eva Vetter und Ruth Wodak

Die Bände dieser Reihe sind peer-reviewed.

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Larissa Semiramis Schedel

Sprache, politische Ökonomie und Legitimität

Vermarktung,Management und Inszenierung von Zweisprachigkeit in der Tourismusindustrieander deutsch-französischen Sprachgrenzeinder Schweiz

Mit 23 Abbildungen

V&Runipress

Vienna UniversityPress

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek 24 25 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen 26 Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 27 28 ISSN 2198-1582 29 ISBN 978-3-7370-0885-3

30 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de 31 32 Veröffentlichungen der Vienna University Press erscheinen im Verlag V&R unipress GmbH. 33 34 Publiziert mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der 35 wissenschaftlichen Forschung. 36 2018, V&R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Göttingen / www.v-r.de 37 Dieses Werk ist als Open-Access-Publikation im Sinne der Creative-Commons-Lizenz BY 38 International 4.0 (»Namensnennung«) unter dem DOI 10.14220/9783737008853 abzurufen. 39 Um eine Kopie dieser Lizenz zu sehen, besuchen Sie https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/. Jede Verwertung in anderen als den durch diese Lizenz zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen 40 schriftlichen Einwilligung des Verlages. 41 Titelbild: »Bahnhofsbeschilderung /Morat«, 14.03.2018, Larissa S. Schedel

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Fürmeine Eltern, Isabelle und Ekarat –inLiebeund Dankbarkeit.

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Inhalt

Danksagung ...... 13

Abbildungsverzeichnis...... 15

Tabellenverzeichnis ...... 17

Abkürzungsverzeichnis ...... 19

Transkriptionskonventionen ...... 21

I. Einleitung ...... 23

II. Theoretischer Rahmen ...... 29 1. Stand der Forschung ...... 29 1.1 Globalisierung und Mehrsprachigkeit ...... 29 1.2 Sprache und Arbeit –inder Neuen Wirtschaft...... 33 1.3 SprachlicheKategorisierungs-, Differenzierungs- und Grenzziehungsprozesse ...... 36 2. Forschungszugang:Soziolinguistische Phänomene durch die Brille des Tourismus...... 40 2.1 DiskursiveProduktion und Organisation vontouristischen Destinationen ...... 41 2.2 Die Tourismusindustrieals sprachbasierter Dienstleistungssektor ...... 44 2.3 Sprache als touristisches Erlebnis ...... 45 3. Forschungsfragen ...... 47 4. Relevanz und Grenzen der Forschungsarbeit ...... 48 5. EpistemologischePositionierung,ontologische Annahmen und theoretische Rahmenkonzepte ...... 49 5.1 Politische Ökonomie vonSprache ...... 51

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5.2 SprachlicheLegitimität...... 52 5.3 Sprachideologien ...... 55

III. Forschungsterrain und Methodologie ...... 59 1. Forschungsterrain:Die zweisprachige Destination Murten an der deutsch-französischen Sprachgrenze ...... 59 1.1 Die Geschichte der Stadt Murten und ihrer Zweisprachigkeit (6.–20. Jhd.) ...... 61 1.2 Murtens Entwicklung zur Feriendestination (1900 –heute) . 66 1.3 Murtens Einbettung in die heutigen regionalen und nationalen Tourismusstrukturen ...... 70 2. Methodologie:Ethnographische Forschung ...... 76 2.1 Interaktionsdaten durch teilnehmende Beobachtung ..... 77 2.2 Interviews ...... 78 2.3 Einbezug vonDokumenten ...... 79 2.4 Soziale Netzwerkanalyse...... 80 2.5 Linguistic Landscape ...... 81 3. Datengenerierung ...... 82 3.1 Feldforschung ...... 82 3.1.1 Definition des Felds und Zugang ...... 83 3.1.2 Informations- und Einwilligungsprozedere ...... 84 3.1.3 Dokumentationstechnik ...... 85 3.1.4 Sammlung vonDokumenten ...... 86 3.2 Daten(auswahl) ...... 87 3.2.1 Dokumentation und Aufnahmen vonSprachpraktiken beider Arbeit ...... 88 3.2.2 Interviews ...... 89 3.2.3 Dokumentensammlung ...... 89 3.2.4 Fotodokumentation ...... 90 3.3 Datenaufbereitung ...... 90 3.3.1 Multimodale, mehrsprachige Transkriptionen ..... 90 3.3.2 Anonymisierung ...... 93 3.3.3 Strukturierung der Textdateien ...... 93 3.4 Deontologische Fragestellungen ...... 94 3.4.1 Reflexion der eigenen epistemologischen Positionierung und der Forschungsmotivation ..... 94 3.4.2 Pflichten gegenüberForschungsteilnehmerInnen und Beziehungen im Feld ...... 96 3.4.3 Kommunikation der Forschungsergebnisse ...... 98 4. Analytisches Vorgehen ...... 99 4.1 Der Diskurs als analytisches Konzept ...... 99

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4.2 Diskursanalyse...... 100 4.3 Analytische Hindernisse und Einschränkungen ...... 104 4.4 Analyseachsen ...... 106 Analyseachse 1: Branding –Fabrikation von Urlaubs(t)räumen ...... 106 Analyseachse 2: Personalmanagement–Regulierung der Spracharbeitsressourcen ...... 106 Analyseachse 3: Produktentwicklung:Inszenierung und Konsumierbarmachung der lokalen Zweisprachigkeit .... 107

Analytischer Teil IV.Branding –Fabrikation vonUrlaubs(t)räumen ...... 111 1. Place branding im zweisprachigen Raum ...... 111 2. Das Markenzeichen der Destination:Die Sprachenfrage im Logo ...... 112 2.1 Zweisprachige Identitätals Selbstverständlichkeit ...... 114 2.2 Identitätspolitik und/oder Marktfähigkeit ...... 116 2.3 Abgrenzung und/oder Vereinheitlichung ...... 125 2.4 Eine Ressourcenfrage ...... 134 2.5 Fazit:Logo-Kreation als Beobachtungskontext, Prozess und Produkt vonSpannungen ...... 136 3. Marketing: Zweisprachigkeit adressatengerechtformulieren ... 140 3.1 (K)ein Unterschied?!? Fliessende (Sprach-)Grenzen ..... 141 3.1.1 Murten als schweizerdeutschsprachig ...... 143 3.1.2 Zweisprachigkeit als lokale Besonderheit ...... 147 3.1.3 Murten im Herzen der französischsprachigen Schweiz . 149 3.1.4 Zwischenfazit:Balanceakt–Mehrsprachigkeit zelebrieren oder sprachliche Einheit vorgeben ..... 153 3.2 Sprachenvielfalt:Authentisch, exotisch und kosmopolitisch . 154 3.2.1 Vielfalt, aber in Grenzen:Begrenzte Sprachgebiete mit mehrsprachiger Bevölkerung ...... 155 3.2.2 Eine Prise Otherness: Minderheit heisst auch Besonderheit ...... 162 3.2.3 Typisch französisch:Von welschem Charme, Wein und anderen Stereotypen ...... 167 3.2.4 Zwischenfazit:Sprachfetischisierung –Die Verknüpfung vonSprache mit Lifestylediskursen ... 170 3.3 Fazit:Marktorientierte Regulierung der sprachlichen Vielfalt ...... 171

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4. Variable Konstruktionen vonstarrenSprachen, Sprecher(gruppe)n und Sprachräumen ...... 172

V. Personalmanagement–Regulierung der Spracharbeitsressourcen . 177 1. Sprachkompetenzen und -grenzen in einer globalisierten Arbeitswelt ...... 177 2. Die AuskunftfürTouristInnen ...... 178 2.1 Forschungsfokus:Das Tourismusinformationsbüro ..... 179 2.2 Zweisprachig, aber nur einer Sprachgemeinschaftzugehörig 181 2.3 MehrsprachigeMuttersprachlerin ...... 184 2.4 Die Relevanz vonSprachkenntnissen:Verhandelbar..... 192 2.4.1 Das Prinzip der sprachlichen Repräsentativität. .... 198 2.4.2 Die Sprache der GeschäftspartnerInnen ...... 203 2.5 Fazit:Wenn das imaginäre Wunschprofil aufdie Realitäten des Arbeitsmarktes trifft...... 210 2.5.1 Managementund Anpassung sprachlicherRessourcen . 210 2.5.2 SprachlicheGrenzziehung,-überbrückung und -dekonstruktion ...... 211 3. In Begleitungdurch Murten ...... 213 3.1 Forschungsfokus:Stadtführungen ...... 214 3.2 Sprachlicher Hürdenlauf aufdem Ausbildungsweg zur/m StadtführerIn ...... 215 3.3 Authentizitäts- und Legitimitätsfragen im Führungsalltag .. 223 3.3.1 Englisch:Muttersprachlerin und lokalstämmig ..... 223 3.3.2 (Schweizer-)Deutsch:Bühnensprache und nähesprachliches Erzählen ...... 232 3.4 Fazit:Führung ans (Sprach-)Limit ...... 236 4. Variabilitätals Ausdruck ideologischer Spannungen ...... 239

VI. Produktentwicklung:Inszenierung und Konsumierbarmachung der lokalen Zweisprachigkeit ...... 243 1. We lovetoentertain you–with language ...... 243 2. Zweisprachige Stadtführungen ...... 245 2.1 Tourbusiness mit Tradition ...... 245 2.2 Zweisprachigkeit als Delikatesse:Der kulinarische Rundgang en bilingue ...... 248 2.2.1 Zweisprachiger Termin als flexible Alternative..... 250 2.2.2 À la carte oder die Qual der (Sprach-)Wahl ...... 254 2.2.3 Achtung,Kamera läuft: Bitte rechtzweisprachig!... 268 2.2.4 Zwischenfazit:Stegreif-Zweisprachigkeit ...... 272

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2.3 Bilinguales Amüsement: Der theatralische Rundgang moitiØ-moitiØ ...... 274 2.3.1 Fürund Wider die Zweisprachigkeit ...... 275 2.3.2 Die Zweisprachigkeit konsumfertigverpacken ..... 278 2.3.3 Zweisprachige Performance als Teamplay...... 285 2.3.4 Erfolgreiches Nischenprodukt ...... 298 2.3.5 Zwischenfazit:Zweisprachigkeit nach Plan ...... 301 3. AlternativeEntwürfevon Zweisprachigkeit und ihreGrenzen .. 303

VII. Schluss:Die Variabilitätverstehen...... 307 1. Die Dynamik der lokalen Politökonomie vonSprache ...... 307 2. Konsequenzen des variablen Marktwerts der Zweisprachigkeit . 311 2.1 Überbrückt der Tourismus den Röstigraben?...... 311 2.2 Mehr Markt, mehr Chancen?...... 313 2.3 MehrsprachigeKompetenzengleich bessererStellung auf dem Arbeitsmarkt? ...... 314

VIII. Literaturverzeichnis ...... 319 Internetquellen ...... 344 Zeitungsartikel...... 345 Gesetze ...... 346

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Diese Publikation wäre ohnedie Unterstützungzahlreicher Personen und In- stitutionen nichtzustande gekommen:Ganz besonders danken möchte ich meinem Doktorvater Alexandre DuchÞne fürdie herausragende Betreuung und Unterstützung.Meine Arbeit ebenfalls vonAnfang an begleitet hat auch Liliane Meyer Pitton, die mir in den letzten Jahren weit mehr war als nureine Kollegin. Ein weiteres Dankeschönmöchte ich an Iwar Werlen richten, der unsereFeld- forschung mit seinem schier unerschöpflichen Wissen überdie lokalen Ge- gebenheiten stark bereicherthat. Lucia Aellen, Philippe Humbert, Corinne Hunziker,Emile Jenny, DominiqueKnuchel,Catherine Rime und Beatrice Za- noni dankeich fürihreTranskriptionsunterstützung. Zu Dank verpflichtet bin ich auch dem Schweizerischen Nationalfonds zur Förderungder wissenschaft- lichen Forschung SNF.Dieser hat das Projekt (Nr.143184) »Formulierung,In- szenierung,Instrumentalisierung der deutsch-französischen Sprachgrenze im touristischen Kontext«, im Rahmen dessen meine Dissertation entstand, wie auch ihre Publikation in Form dieses Buches finanziert. Mein Dank gilt auch dem Institut fürMehrsprachigkeit der Universität/PH Freiburg, an dem ich während der Projektlaufzeit als Doktorandin angestellt war.MonikaDannerer dankeich fürdie Übernahme des Zweitgutachtens und fürdie inspirierende Beurteilung. Danken möchte ich ebenfalls Rudolf de Cillia und Helmut Gruber fürdie Möglichkeit, meine Dissertation in ihrer Reihe »Kommunikation im Fokus –Arbeiten zur Angewandten Linguistik« zu publizieren. Ein herzliches Dankeschönmöchte ich ausserdem an SariPietikäinen, Helen Kelly-Holmes, Saskia Witteborn, Alfonso Del Percio,EmanuelDaSilva, Sara Brennan sowiean die Mitglieder des Doktorandenworkshops des Instituts fürMehrsprachigkeit richten:Renata Coray, Barbla Etter,Mi-Cha Flubacher,Maria Rosa Garrido Sarda, Daniel Hofstetter,Emilienne Kobelt,Beatriz Lorente, Simone Marty Crettenand, Stefanie Meier,Sebastian Muth,Francesco Screti, Zorana Soko- lovska, Mariana Steiner, Martina Zimmermann,ArthurZinn-Pojet. Sie alle haben mich an entscheidenden Wendepunkten in meiner Arbeit durch hilfrei- che Kommentare und Diskussionen weitergebracht. Danken möchte ich ferner

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Gisela Fehrmann,die mir neben meiner Anstellung an der Rheinischen Fried- rich-Wilhelms-UniversitätBonn genügend Freiraum zum Schreiben gewährt hat. Meinem VaterKlaus Schedel dankeich vonHerzen fürseine Ausdauer und kritische Genauigkeit beim Korrekturlesen. Ebenfalls dankeich FranziskaBaar und Tobias Guggemos fürihren spontanen Lektoreneinsatz. Meinen Eltern Gertraudund Klaus Schedel, meiner Schwester Isabelle Schedel und meinem Partner EkaratThongsanga bin ich fürihre moralische Unterstützung überaus dankbar.Abschliessendmöchte ich auch allen Forschungsteilnehmenden noch einmal herzlich fürihreZeit, ihr Vertrauen und die Einblickedanken, die sie mir in ihr Arbeitslebengewährthaben.

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Abb. 1: Karte »Verbreitung der vier Landesspracheninder Schweiz (2000)«, Marco Zanoli (2006) 59 Abb. 2: Karte »Die 14 Tourismusregionender Schweiz«, BFS, ThemaKart, Neuchâtel 2015 /kc-b-00.55 71 Abb. 3: Karte »Einteilung der Tourismusregion Fribourg in 9Polregionen«, darunter auch die Murtensee Region 73 Abb. 4: Vertikale Vernetzungder Tourismusinstitutionen auflokaler, (pol)regionalerund (inter)nationaler Ebene 75 Abb. 5: Titelseite einerBroschüre ausdem Jahr 1942 115 Abb. 6: Logo vonFTV bis 1985 115 Abb. 7: Logo vonFTV von1985–1992 116 Abb. 8: Neues Logovon FTV von1993–1999 117 Abb. 9: Neues Logovon TIB von1997–2017 118 Abb. 10:Logo vonFTV von1999–2008 120 Abb. 11:Logo vonRMV seit 2005 120 Abb. 12:Logovorschlag fürdie Polregion Murtensee Region 122 Abb. 13:Hybrides Logo vonFTV mit »Region« ohne Akzent125 Abb. 14:Altes und aktuelles Logo der Stadt Freiburg 132 Abb. 15:Abgelehnter Logovorschlag2013 132 Abb. 16:Logo vonTPF von2001–2014 133 Abb. 17:Logo vonTPF seit 2015 134 Abb. 18:Neue, zweisprachige Bahnhofsbeschilderung in Murten 135 Abb. 19:Orte, die mit der Lage an der Sprachgrenze und/oder ihrer Zweisprachigkeit werben 141 Abb. 20:Sprachenverhältnis beiTIB zum Zeitpunkt der Stellenausschreibung 193 Abb. 21:Momente der sprachlichen Grenzziehung beim Rekrutierungsprozess und im Arbeitsalltag212 Abb. 22:Momente der sprachlichen Grenzziehung 237 Abb. 23:Statistik der gebuchten Stadtrundgänge 2006–2009 (TIB-Jahresbericht2009:9) 248

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Tab. 1: Bevölkerungsentwicklung vonMurten 1900–2016 65 Tab. 2: Text der Stellenausschreibung füreine(n) MitarbeiterIn Kommunikation Multimedia 194 Tab. 3: Text der Stellenausschreibung füreine(n) LeiterIndes Tourismusbüros in Vully-les-Lacs 195 Tab. 4: Text aufdem Flyerzur Führung »Amüseum« (2013;eigene Hervorhebung) 285

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TDVTouristischer Dachverband, der aufnationaler Ebene fungiert TMS Marketingagentur,die die DestinationsmarkeSchweiz im In- und Ausland präsentiert KRTKonferenz der regionalen Tourismusdirektorender Schweiz JDS Tourismusverband der Tourismusregion Jura Dreiseenland FTV Tourismusverband der Tourismusregion Fribourg Region TPF Tourismusverband der Polregion Stadt Freiburg und Region RMV Tourismusverband der Polregion Murtensee Region TIB Tourismusinformationsbüro in Murten

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[] Überlappungen, Simultansprechen = Schneller,unmittelbarer Anschluss (latching) & Weiterführen eines Sprecherbeitrags übermehrere Zeilen (.) Kurze Pause (bis zu 0.3 Sek. bzw.jenach Länge (..), (…)) (1.5) Pause vonmehr als 1Sek. Dauer (gemessen) –Wortabbruch bzw.-verkürzung :Dehnung,Längung (je nach Dauer::,::, :::) /Steigende Intonation .Fallende, abschliessendeIntonation ,Gleichbleibende, haltende Intonation OUI (Grossbuchstaben) laute Stimme bzw.Nachdruck 8oui8 Leise Stimme >vite< Schneller werdend Langsamer werdend (oui)Vermuteter Wortlaut (xxx)Unverständliche Passage (ein xpro Silbe) @[email protected]ächelnde Stimme ts, mts Zungenschnalzen %m% »Creaky voice«(Knarrstimme) .h Hörbares Einatmen(je nach Dauer der Atmung:.h, .hh, .hhh) hHörbares Ausatmen +Betroffene Passage ((Kommentar))+

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Im Jahr 2013 veranstaltete eine Schweizer Stiftung,die sich der Förderung der nationalen deutsch-französischen Zweisprachigkeit verpflichtet hat, verschie- dene zweisprachige Veranstaltungen, beidenen der Wert der Zweisprachigkeit und/oder der Sprachgrenze fürdie Schweizer Wirtschaftdiskutiertwurden. Eine dieser Veranstaltungen fand im AprilinZusammenarbeit mit den Han- delskammern dreier an der intranationalen deutsch-französischen Sprach- grenze gelegenen Kantonemit dem Titel »Mehr Markt, mehr Chancen:Erfolg- reiche Marktbearbeitung überdie Sprachgrenze hinaus« statt. Das Eventsollte den Teilnehmenden eine Plattform bieten, um sich überdas besagte Thema auszutauschen und potentielle GeschäftspartnerInnen ausder angrenzenden Sprachregion kennenzulernen. Einige Vorträge in Form vonpositiven und ne- gativenErfahrungsberichten vonUnternehmerInnen, die den Sprung überdie Sprachgrenze gewagthatten, sowiedie Diskussionen anlässlich einer Table Ronde stellten einerseits die Mehrsprachigkeit als Wirtschaftsgutheraus, spra- chen andererseits aber auch die Problematik an, »wirklich bilinguales« Perso- nal mit ausreichenden Kompetenzen in beiden Sprachen zu finden. Letzteres wurde selbst ausder offiziell zweisprachigen Region Biel-Bienne berichtet, die sich die lokale Zweisprachigkeit in ihrem Standortmarketingzum Aushänge- schild gemachthat (Flubacher und DuchÞne 2012).Diese beiden Erkenntnisse stehen sinnbildlich füreinen aktuell zirkulierenden Diskurs, der Zwei-/Mehr- sprachigkeit1 als wirtschaftlicheRessource und als Bedingung fürdie Teilhabe am Arbeitsmarktbeschreibt (Canut und DuchÞne 2011;DuchÞne 2012).Das Argumentder Mehrsprachigkeit als Kapital kommtinder Schweiz in diesem Zusammenhang auch in bildungspolitischen Diskussionen zum Tragen, bei- spielsweisewenneszubestimmen gilt,abwann in der Schule am besten wie viele und welche Fremdsprachen in welcher Reihenfolge gelernt werden sollen.

1ImFolgenden werde ich die beiden Begriffe Zwei- und Mehrsprachigkeit synonym verwen- den. Meiner Arbeit liegtein konstruktivistisches Verständnis vonSprache zugrunde, d.h. ich verstehe Sprachen wieauch Zwei-/Mehrsprachigkeit als soziale Konstrukte (Becker 2018:28).

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Ebenso finden sich diese Argumente in Bezug aufdie angestrebte Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit durch die Internationalisierung der Schweizer Hoch- schullandschaft. Mehrsprachigkeit lässt sich als neue Ideologie beobachten (Urciuoli 2015, 2016), in die es sich zu investieren lohnt, und im Fall der Schweiz sogar ganz im Sinne des Nationalstaats (DelPercio 2015). So nutzt die Marke Schweiz ihreMehrsprachigkeit in unterschiedlichen Kontexten als Verkaufsar- gument(Del Percio 2014;DuchÞne und Del Percio 2013;DuchÞne und Piller 2011;Piller 2010).Gleichzeitig wird aber auch die Frage aufgeworfen, was man unter Zwei-/Mehrsprachigkeit überhaupt verstehtund ab wann eine Person als »wirklichbilingual« bzw.als ausreichend zweisprachig fürbestimmte wirt- schaftliche Unternehmungen eingestuft werden kann. Eine weitere vonder o.g. Stiftung organisierte Veranstaltung fand im Oktober desselben Jahres mit dem Titel »Überbrückt der Tourismus den Röstigraben2 ?« statt und richtete sich an TouristikerInnen des Berner Oberlandes.ImFlyer,mit dem fürdie Veranstaltung geworben wurde, fand sich folgendeFragestellung:

»In der Region Biel wird die Sprachgrenze als vorteilhaftwahrgenommen, wiestehtes aber im Berner Oberland, zum Beispiel im Saanenland, das übereinen engenBezug zum Waadtlandverfügt?[…] Wienimmt die Berner Tourismusregion ihreRolle an der Sprachgrenze wahr und schöpftsie auch das sprachliche Potenzial aus, das sich ihr auf Grund der Nähe zur Westschweiz bietet?« (Flyer »Programmbeschreibung« 2013) Auch dieses Zitat stehtsinnbildlich fürden oben erläuterten aktuellen Diskurs: Es wird vorausgesetzt, dass sprachliche Vielfalt ein wirtschaftlich auszuschöp- fendes Potenzial birgt, wobei sich die Frage stellt, wieaus der Sprachgrenze bzw.der lokalen sprachlichen Vielfalt Profit geschlagen werden kann. Im Laufe der Veranstaltung wurden aktuelle Sprachpraktiken der Tourismusindustrieim Berner Oberland diskutiert. Dabei wurde vonden Anwesenden immer wieder bemängelt, dass das Englische in der Tourismuskommunikation die Vorherr- schaftgeniesse und die französischeSprache, trotz der Nähe zum französisch- sprachigen Markt, völlig untergehe. Diese anhand zweier Beispiele dargestellten, in der Schweiz derzeit zirku- lierenden Diskurse3 legen den Grundstein fürmeine Arbeit, welche die Nutzung

2Der Begriff ›Röstigraben‹, der hier im Titel als Metapher fürdie deutsch-französische Sprachgrenze fungiert,wirdinder Schweiz häufig genutzt, um humorvoll eine aufunter- schiedliches Abstimmverhalten zurückgeführte Trennlinie zwischen den beiden imaginären Sprachgruppen zu bezeichnen. Der Röstigraben bzw.die Sprachgrenze und die damit an- scheinend einhergehenden kulturell-mentalen Unterschiede zwischen den SprecherInnen des Deutschen und des Französischen sind in der mehrsprachigen Schweiz ein häufiges Dis- kussions- und Karikaturenthema,ihr topographischer Verlauf wohlbekanntund kartogra- phisch festgehalten (Büchi 2000). 3Esist anzumerken, dass es sich hierbei um Fragestellungen handelt,die auch schonvor 20 Jahren gestellt wurden. Die gleichen Diskurse, die die Sprachgrenze bzw.die Zweispra-

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Einleitung 25 vonZweisprachigkeit als Wirtschaftsgut am Beispiel der Tourismusindustrie untersucht. Die Fragen, welche im obigen Zitat aufgeworfen wurden, stellten mir auch meine ForschungsteilnehmerInnen, die verschiedene Positionen in der Tourismusindustrieder zweisprachigen Stadt Murten-Morat an der Sprach- grenze bekleideten: Ist die Zweisprachigkeit nun ein Vor- oder ein Nachteil für die Tourismusindustrie? Undwie sollen wirmit der Zweisprachigkeit umge- hen?Meine Arbeit wird fürdie in der Tourismusindustriebeschäftigten Per- sonen keine beratende oder zufriedenstellendeAntwortauf diese Fragen geben. Obwohl ich auch aufzeigen werde, unter welchen Umständen die lokale Zwei- sprachigkeit erfolgreich wirtschaftlich genutzt wird, hat meine Arbeit vielmehr den Anspruch, die Problematik und Komplexitätder Situation an der Sprach- grenze aufzeigen, zu diskutieren und dafürzusensibilisieren.Vor allem aber möchte ich die damit einhergehenden Kategorisierungs-, Differenzierungs-und Grenzziehungsprozesse beleuchten und herausarbeiten, wer aussolch sprach- lich vielfältigen Situationen als Gewinner oder als Verlierer herausgeht(bzw.sich irgendwo dazwischen befindet) und wiedadurch soziale Ungleichheiten ent- stehen oder reproduziertwerden. Indem ich die Rolle der Zweisprachigkeit in verschiedenen Etappen der Arbeitskette in der Tourismusindustrie beleuchte, angefangen vonder Destinationsmarkenbildung und deren Kommunikation im Marketing, überdie Rekrutierung und Ausbildung neuer Arbeitskräfte, bis hin zur Gästebetreuung vorOrt und zur Durchführung vontouristischen Aktivi- täten, werdeich nichtnur die wirtschaftlicheNutzung der Zweisprachigkeit, sondern auch damit einhergehende sprachideologische Spannungenund deren Konsequenzen fürdie involvierten SprecherInnen aufzeigen. Die vorliegende Publikation basiert sich aufmeine Dissertation, welcheim Kontext des SNF-Projekts (Nr.143184) »Formulierung,Inszenierung,Instru- mentalisierung der deutsch-französischen Sprachgrenze im touristischen Kontext« entstand (Laufzeit:2013–2016). Das Kooperationsprojekt der Uni- versitäten Bern und Freiburguntersuchte in ethnographischerHerangehens- weise die Rolle der Sprachgrenze bzw.der lokalen Zwei-/Mehrsprachigkeit im touristischen Kontext in zwei verschiedenen Regionen, welche sich einerseits durch ihreLage an der Sprachgrenze auszeichnen und in denen zudem die Tourismusindustrieeinen wirtschaftlich relevanten Sektor darstellt. Beiden beiden Forschungsterrains handelte es sich um die Regionen Murten im Kanton Freiburg und Siders-Salgesch im Kanton Wallis. Während der dreijährigen Projektarbeit war ich fürdie ebenso lange andauernde ethnographische Feld-

chigkeit einmal als Hindernis und andererseits als Chance fürdie Regionalentwicklung präsentieren,finden sich auch in einer Untersuchung des geographischen Instituts der Uni- versitätFreiburg ausdem Jahr 1997, überwelche aufeiner Konferenz in Romberichtet wurde (Gigon 1997).

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 26 Einleitung forschung in der Region Murten verantwortlich4,welche ich auspraktischen Gründen auch als Terrain fürmeine Dissertationsforschung auswählte. Das Projekt ging der Frage nach, wiedie Sprachgrenze5 bzw.die Zweisprachigkeit im touristischen Kontext formuliert, inszeniertund instrumentalisiertwird und welche Konsequenzen dies fürdie Wahrnehmungder Sprachgrenze hat.In meiner Dissertation und in diesem Buch gehe ich ebenfalls diesen Fragen nach, interessieremich aber vor allem fürdie Bedeutung der lokalen Zweisprachigkeit im Arbeitsalltag verschiedener AkteurInnen der Tourismusindustrieund un- tersuche, wer überhaupt Zugang zu diesem spezifischen touristischen Arbeits- markt an der Sprachgrenze hat, wer letztendlich vonder Zweisprachigkeit im wirtschaftlichen und/oder symbolischen Sinn profitiertund wer dadurch eher benachteiligtwird. Anhand des lokalen Beispiels der Tourismusindustrieder zweisprachigen Stadt Murten an der deutsch-französischen Sprachgrenze un- tersuche ich die wirtschaftliche Nutzung vonMehrsprachigkeit und die damit einhergehenden sprachlichen Grenzziehungsprozesse und stelle sie in Zusam- menhang mit übergeordneten, (trans)nationalen Diskursen. Dieses Buch ist wiefolgtgegliedert: Das dieser Einleitung folgende zweite Kapitel ist dem theoretischen Rahmender Arbeit gewidmet. Zunächst wird der Stand der gegenwärtigen kritischen soziolinguistischen und linguistisch- anthropologischen Forschung zur Rolle der Sprache in globalisierten, sprach- basierten und mehrsprachigen Arbeitskontexten diskutiert. Anschliessend wird die Wahl der Tourismusindustrieals Forschungszugang zur Untersuchung der aufgezeigten Diskurse begründet, um im Anschluss das Ziel und die Relevanz der Dissertationsstudie, die ihr zugrunde liegenden Forschungsfragen und theoretischen Rahmenkonzepte zu definieren. Im dritten Kapitel wird das Forschungsterrain –die Tourismusindustrieinder zweisprachigen Stadt Mur- ten-Morat– vorgestellt, die Entwicklung der Stadt zur Tourismusdestination und ihre touristischen Strukturen auseiner historischen Perspektiveerläutert. Schliesslichwird die adoptierte Methode des viel-örtigen und viel-perspektivi- schen ethnographischen Ansatzes begründet. Der Verlauf der Feldforschung,die dabei generierten Daten und die diskursanalytische Vorgehensweise werden dargelegt. Das vierte Kapitel fasstdas Branding der Tourismusdestination Murten ins Auge und gehtder Frage nach, welche Rolle die lokale Zweispra- chigkeit bzw.die Lage an der Sprachgrenze fürdie historische Destinations- markenbildung Murtens sowiefürderen Vermarktung spielt(e). Im fünften Kapitel wird danach gefragt,wie die Spracharbeiterressourcen in der Touris- musindustrieander Sprachgrenze reguliertund gemanagtwerden, wer als

4Meine Kollegin Liliane Meyer Pitton führte die ethnographische Feldforschung im Kanton Wallis durch. 5Die Sprachgrenze betrachteten wirals soziales, ideologisches Konstrukt (siehe Kapitel II.1.3).

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Einleitung 27 zweisprachige(r) SprecherIn gilt und wer Zugang zu diesem spezifischenAr- beitsmarkthat.Indiesem Kapitel werden besonders die Konstruktion der Konzepte der Authentizitätund der Legitimitätsowie ihre Aushandlung im Kontext des mehrsprachigen Arbeitsumfeldsuntersucht. Das sechste Kapitel beleuchtet die Nutzung der lokalen Zweisprachigkeit fürtouristische Aktivitä- ten. Anhand des Beispiels zweier zweisprachiger Stadtführungen wird unter- sucht, wiedie lokale Zweisprachigkeit in touristischen Aktivitäten konzipiert und inszeniertwird,umvon den Gästen konsumiertwerden zu können. Kapitel sieben fasst die Ergebnisse der drei analytischen Kapitel noch einmal zusam- men, ziehteine themenübergreifende Schlussfolgerung hinsichtlich der zu- vor aufgezeigten Variabilitätder Bedeutung und Nutzung der Zweisprachigkeit in der Tourismusindustrieund antwortet noch einmal explizit aufdie For- schungsfragen dieser Arbeit.

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 II. TheoretischerRahmen

1. Stand der Forschung

Die vorliegende Dissertation fügt sich mit ihrer Thematikineine Reihe von soziolinguistischen und linguistisch-anthropologischen Untersuchungen, die die Konsequenzen der Globalisierung und Neoliberalisierung fürBeschäftige in sprachbasierten Berufsfeldernbeleuchten (Boutet 2012;Cameron2000b; Lorente 2012;Piller und Cho2013;Urciuoli und LaDousa 2013). Ziel dieses Forschungsfokusses ist es, ein besseres Verständnis der Zusammenhänge zwi- schen ökonomischen Interessen, Sprachideologien und Sprachpraxis zu gene- rieren (DuchÞne 2009:27). In diesem Zusammenhang werden speziell die wirtschaftlicheNutzung vonSprache bis hin zu ihrer Kommodifizierung (Heller 2010b), der sich verändernde Stellenwertvon Mehrsprachigkeit und die zu- nehmendeBedeutung vonFremdsprachenkenntnissen (Angouri 2014) sowie deren Konsequenzen fürRessourcenverteilungs-, Selektions-und Rekrutie- rungsfragen untersucht(Cameron 2000b;Cavanaughund Shankar 2014;Heller 2003b;Heller und Boutet 2006;Lønsmann2014;McAll 2003;Roberts 2010). In denfolgenden Unterkapitelnwerde ichzunächst denaktuellenFor- schungsstand zumThema Globalisierung undMehrsprachigkeitdarlegen, an- schliessendden Forschungsstandzur Rolleder SpracheimArbeitskontextauf- zeigen,umzuletzt aufeinen grundlegendensoziolinguistischen alsauchlingu- istisch-anthropologischenUntersuchungsgegenstand zu sprechen zu kommen, nämlichauf sprachlicheKategorisierungs-und Grenzziehungsprozesse im Hin- blickauf sprachlicheAuthentizitätund Legitimität.

1.1 Globalisierungund Mehrsprachigkeit

Mit dem Begriff der Globalisierung wird aufgesellschaftliche Transformati- onsprozesseineinem bestimmten historischen Zeitraum hingewiesen. So wird das Zeitalter der Globalisierung in den (Finanz-)Kapitalismus ab Ende des

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 30 Theoretischer Rahmen

19. Jahrhunderts bzw.inden Spätkapitalismusnach dem 2. Weltkrieg verortet, auch wenn die mit der Globalisierung einhergehenden Phänomene keines- wegs neu sind, sondern in diesem Zeitraum nurintensiver und weitreichender beobachtbar werden (Blommaert 2010b:1). Globalisierung äussertsich in Form vonkomplexen »Konnektivitäten« (Tomlinson 1999), also dichten Be- ziehungsnetzen, die als Folge der politischen Liberalisierung und Deregulierung nationaler Wirtschafts- und Finanzmärkte sowieals Folgedes technischen Fortschritts in Form vonmodernen Transport- und mediatisierten Kommuni- kationsmitteln zu verstehen sind. Diese verstärkte Mobilitätund Vernetzung führtzum Herausbilden neuartiger »räumliche[r] Organisationsformensozialer Beziehungen« (Berking 2008:119). In diesem Zusammenhang sind drei Begriffe zu nennen, die häufig in Theorien zur Globalisierung fallen, nämlich die Prozesse der Internationali- sierung,der Supranationalisierung und der Transnationalisierung.Während Internationalisierung nationalstaatliche Grenzen übergreifendes Handeln zwi- schen Staaten bzw.staatlichen AkteurInnen bezeichnet (Pries 2013),umfasst die Supranationalisierung die »Entstehung überstaatlicher Organisationen und Regulierungsmechanismen« (Schiederig 2013:41). Der Begriff der Trans- nationalisierung verweist hingegen aufgrenzüberschreitende Aktivitäten nichtstaatlicher Akteurinnen und Akteure (z. B. Grenzgängertum und Arbeits- migration oder transnationaleUnternehmensaktivitäten, wieOutsourcing). Allen drei Begriffen ist gemein, dass als Bezugsgrösse der Nationalstaatdient und dessen Grenzen überschreitende Interaktionen vonverschiedenen Akteu- rInnen beschrieben werden. Sie beziehen sich jedoch keinesfalls aufAktivitäten, die sich aufglobaler Ebene erstrecken. Solche Bewegungen globalen Ausmasses werden vielmehrvon Arjun Appadurai beschrieben. Er unterscheidet ver- schiedene Globalisierungsprozesse anhand vonfünf Dimensionen, sogenannten »scapes«, welche globale Ströme vonMenschen (z.B. im Rahmen vonMigra- tion, Fluchtoder Tourismus), Ideen, Kapital sowiedie mediale und technische Vernetzung umfassen (ebd. 1996a). Die Konsequenz dieser Globalisierungs- prozesse ist, dass überlange Zeit fest etablierte (geopolitische) Grenzen über- schritten werden, an Bedeutung verlieren und Distanzen näher zusammenrü- cken (Harvey 1990). Durch die erhöhteVernetzung und daraus resultierenden Interdependenzen können lokal eingebettete Geschehnisse vonglobaler Trag- weite sein und selbst wiederum vonGeschehnissen beeinflusst werden, die ir- gendwo anders aufder Welt stattfinden (Giddens1990:64). Es findet also ein Herauslösen lokalspezifischer Elemente (disembedding)und ihreNeu-Veror- tung und Interpretation in andere(n) lokale(n) Kontexte(n) (re-embedding)statt (Giddens1994;Appadurai 1996a). In diesem Zusammenhang wird auch von Prozessen der »Glokalisierung«gesprochen (Robertson 1992). Der Linguist SalikokoMufwene weist diesbezüglich aufeinen semantischen

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Unterschied der im Französischen gebrauchten Begriffe »globalisation«und »mondialisation«hin:Demnach beschreibt »globalisation«die Interkonnekti- vitätbestimmter lokaler Phänomene aufglobaler Ebene, während »mondiali- sation«auf die Universalisierung bestimmter (kultureller) Phänomeneauf glo- baler Ebene verweist (Mufwene 2008). Diese in Globalisierungsdiskursen häufig heraufbeschworene (kulturelle) Homogenisierungstendenz, die zugespitzt auch als »McDonaldisierung«6 (Ritzer 2006) bezeichnet wird, provoziertjedoch lo- kalen Widerstand (Trinczek 2002),der sich in einer ArtGegenbewegung und dem Erstarken des Lokalen äussert(Giddens 1990). Dies ist u.a. beobachtbar in neuen Formen des Nationalismus, der Ethnisierungund Indigenisierung,in Form einer Rückbesinnung aufbzw.Neuerfindung vonlokale(n) Bräuche(n) und Traditionen sowiedem Aufkommen neuer Gebrauchsfunktionen vonlo- kalen Besonderheiten. Globalisierung ist alsoeng verflochten mit Prozessen und Praktiken der Deterritorialisierung einerseits und der Lokalisierung anderer- seits (Appadurai 1996b;Robertson 1992).LautAppadurai ist Lokalität(locality) ein soziales Konstrukt, welches weniger räumlicher Naturist, sondernviel- mehr als (Zugehörigkeits-)Gefühlsstruktur und relationale Bezugsgrösse (»as a structure of feeling,aporperty of social life and an ideology of situated com- munity«(Appadurai 1996b:213)) zu verstehen ist. Als Lokalisierungspraktiken führteru.a.diskursiveRaumkonstruktionen durch die Benennung,Beschrei- bung,sprachliche Ausgestaltung und kartografische Repräsentation vonOrten an (sogenanntes place-making,place-naming). Zu den semiotischen Praktiken, die Lokalität(re)produzieren, aushandeln, materialisieren und dadurch einen x- beliebigen Raum (space)ineinen begrenzten, erfahrbaren, wiedererkennbaren und relationalen Ort(place)verwandeln (Lefebvre 1991), gehören auch Diskurse zu lokaler Geschichte, Kultur, Tradition und Identität(sogenannte place nar- ratives)(Appadurai 1996b) und die Performanz lokaler sprachlicher Varietäten (Burdick 2012;Johnstone 2010b,2013;Pennycook2010). In diesen Lokalisie- rungsdiskursen werden jedoch auch transnationale bzw.globale Elemente an- geeignet, lokal eingebettet und (neu) interpretiert,was zur simultanen Pro-

6Der Begriff »McDonaldisierung« wurde vom US-amerikanischen Soziologen George Ritzer ursprünglich verwendet,umdie kapitalistische Konsumgesellschaft zu beschreiben und zu kritisieren. Er bezeichnete mit »McDonaldisierung« eine Rationalisierungsstrategie, welche in der taylorisierten Arbeitsmanier der gleichnamigenFastfoodkette eine effizientere, billi- gere und schnellere Produktion anvisiert. Später wurde der Begriff immer wieder aufge- griffen, u.a. auch vonihm selbst, um die mit der Globalisierung angeblich einhergehende kulturelle Vereinheitlichung zu umschreiben. In diesem Zusammenhang finden sich auch die Synonyme »Amerikanisierung« oder »Westernisierung«, womitder starkepolitische, wirt- schaftliche, aber auch kulturelle und sprachliche Einfluss Amerikas bzw.des Westens aufden Rest der Welt gemeintist und womit auch Vorwürfe einer neuen Imperialisierung bzw.Ko- lonialisierungeinhergehen.

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 32 Theoretischer Rahmen duktion des Lokalen und des Translokalenführt(Appadurai 1996b;Knecht 2010). Wiewirken sich aber nundie Globalisierung und ihre verschiedenen Teil- prozesse auf(lokale) Sprachpraktiken aus? Die fortwährend beschleunigende, weltweite Zirkulationvon Menschen respektiveSprecherInnen,von Gütern, Ideen und Kapital umfasst auch semiotische Ressourcen, wiez.B.Sprache (Klein 2002;Wang u.a. 2014). Verstärkte Mobilitätund Migration arbeiten gegen die im modernen Nationalstaatproklamierte Einsprachigkeit (Kelly-Holmes und Milani 2013)und komplexifizieren diegesellschaftliche,kulturelleund sprachli- cheDiversität(Blommaert und Rampton 2012). Um diese Diversitätinden Forschungsfokus zu rücken, wurde in der Soziologie vonStevenVertovec (2007) der Begriffder »Superdiversität« (superdiversity)eingeführt. Dieser umschreibt die angebliche Zunahme,Komplexifizierung und Diversifizierung migrations- bedingter und u.a. auch sprachlicher Vielfalt. Demnach unterscheidet sich die heutige Vielfalt der Migrationsbevölkerung vonderjenigen, wiesie v. a. nach dem 2. Weltkrieg im Rahmen des Gastarbeitertums zu beobachten war:Diese Arbeitsmigrationsbevölkerung setzte sich damals in West- und Mitteleuropa hauptsächlich ausMigrantInnen auseiner bestimmten sozialen Schichtund aus spezifischen Herkunftsländernzusammen, die nach und nach gut organisierte und etablierte Gemeinschaften herausbildeten. Während die Vertragsarbeits- kräftebeispielsweiseinDeutschland und der Schweiz hauptsächlich aus Süd(ost)europa stammten, warben Frankreich und Grossbritannien zusätzlich auch Arbeitskräfteaus den ehemaligen Kolonien und den Commonwealth- Staaten an. Heute sinddie Menschen mobiler und MigrantInnen stammen nicht nuraus allen möglichen Ländernund Gesellschaftsschichten, sondernmigrie- renauch ausden unterschiedlichsten Gründen. Um die komplexeNatur bzw. Diversitätder gegenwärtigen Migration umfassender angehen zu können, führte Vertovec die Terminologie der »Superdiversität« ein (ebd.). Dieser Ansatz wurde zwar auch vonder Soziolinguistik und der linguistischen Anthropologie auf- gegriffen (Blommaertund Rampton2012;Blommaertund Varis2013), vielfach aber auch dahingehendkritisiert, dass die terminologische Innovation einer- seits eurozentristisch geprägt und zudem ausder überholten Vorstellung einer stabilen, begrenzten,homogenen und einsprachigen Gesellschafthervorgeht (Flores und Lewis2016;Pavlenkoi.E.). Globalisierung stehtabernichtnur durch Migrationsbewegungen in Zu- sammenhang mit der Mobilitätund dem Kontakt vonSprecherInnen und Sprache bzw.mit dem Phänomen der Mehrsprachigkeit. Die durch technische Neuerungen ermöglichte, erhöhteMobilität, doch auch die modernen, media- tisierten Kommunikationsmöglichkeiten führen zu neuen Austauschformen, Arbeitspraktiken, Sprachkontakten und gleichzeitig auch Sprachbedürfnissen (DuchÞne und Piller 2011:137). Hateinerseits das Englische angeblich den Sta-

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Stand der Forschung 33 tus der »Weltsprache« erlangt(Cameron2012;Park und Wee2012;Pennycook 2007), erfahren andererseits lokale Varietäten, Regional- und Minderheiten- sprachen im Rahmen des Versuchs der Kapitalisierung vonlokalen Besonder- heiten (z.B. im Tourismus, in der Werbungusw.) eine Aufwertung und neue Gebrauchsfunktionen (Jaffe 2007;Pietikäinen und Kelly-Holmes 2013), und werden darüberhinaus auch Schutz- und Wiederbelebungsversuchen unterzo- gen. Auch Diasporasprachen werden lokalangeeignet und erfahren eine neue soziale, aber auch wirtschaftliche Bedeutung (Dirim und Auer 2012;DuchÞne und Del Percio 2013;Rampton1995). DieTourismusindustrieist dieweltgrösste Dienstleistungsindustrieund nur einBeispiel, anhand dessen dieAuswirkungen derGlobalisierungund derMo- bilitätvon SprecherInnenauf arbeitsrelevanteSprachpraktiken und-bedürfnisse sichtbar werden.Auf demglobalenMarkt müssen (touristische)Dienstleis- tungsanbieterInnen ihre KundInneninihrerSprache erreichen (Heller2005; Kelly-Holmes 2010a) undSprachgrenzen überwinden, um mitanderssprachigen GeschäftspartnerInnen zusammenzuarbeiten(Angouri2014; Angouri und Miglbauer 2014;Appadurai 1996a).Vor diesem Hintergrund nehmen mehr- sprachigeKompetenzen an Bedeutung zu undwerdenals Wirtschaftskapital bzw. Ressourcegehandelt(DuchÞne undPiller2011).Welche(sich verändernde)Rolle Mehrsprachigkeit fürdie Arbeitineiner globalisiertenWeltkonkret spielt,soll im folgenden Kapiteleingehender beleuchtetwerden.

1.2 Sprache und Arbeit –inder Neuen Wirtschaft

Die Wirtschaftsordnung der heutigen, postindustriellen und vorwiegend west- lichen, wissensbasierten Dienstleistungsgesellschaft, die gekennzeichnet ist vonden oben beschriebenen mediatisierten Kommunikationspraktiken und der Zirkulation vonMenschen und Güternauf globalen, deregulierten Märkten, wird mit dem Begriff der Neuen Wirtschaft(NewEconomy)bezeichnet (Du- chÞne und Heller 2012b). Der Begriff wird in Abgrenzung zum Begriff der Alten Wirtschaft(Old Economy)verständlicher,welcher eine hauptsächlich aufna- tionale Märkte beschränkte, industriell basierte Wirtschaftsformbeschreibt, in der primäre Ressourcen zu Waren verarbeitet wurden. In der Industriegesell- schaftder ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts war Kommunikation unter FabrikarbeiterInnen zum einen aufgrund des Lautstärkepegels in den fordisti- schen Produktionssystemen kaum möglich, und zum anderen auch nichter- wünscht, da sie als Ablenkung und als unnötigfürdie Aufgabenbewältigung angesehen wurde. Sprachdominierte Aufgaben waren zu dieser Zeit meistens dem Managementkader überlassen (Heller 2005).Dagegen ist »Spracharbeit« oder ein »sprachlicher Bestandteil« der Arbeit typisch fürdie heutige, post-

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 34 Theoretischer Rahmen moderne Dienstleistungsgesellschaft(Boutet 2001;Heller und Boutet 2006). Die soziolinguistische Forschung konzentrierte sich beider Untersuchung des sprachlichenAnteils vonArbeit bisher hauptsächlich aufsprachbasierte Ar- beitsdomänen wieCall Center (Cameron2000b,2000a;Cowie 2007;Dubois, LeBlanc und Beaudin 2006;Poster 2007;Rahman 2009), Übersetzungs- und Dolmetscherdienste (Cho 2015;Davidson 2000;Moyer 2013), Sprachenunter- richt(Blackledge und Creese 2012;Yarymowich 2003), die Werbebranche (Del Percio 2014;Flubacher und DuchÞne 2012;Kelly-Holmes 2000, 2010b,Piller 2003, 2007),die Tourismusindustrie(Bunten 2008;Coupland und Coupland 2014;Heller,Pujolar und DuchÞne2014;Jaffe 2015;Moïse u.a. 2006;Pietikäinen und Kelly-Holmes 2011a;Pujolar 2006;Salazar 2005), aber auch aufandere dienstleistungsorientierte Berufe mit hohem Kommunikationsanteil, wiez.B. (medizinische) Pflegeberufe (Jansson 2014;Muth 2017, 2018). Vereinzelt rückten jedoch auch die Rolle der Sprache in nichtvordergründig sprachba- sierten Berufen in den Forschungsfokus (DuchÞne 2011;Lønsmann 2014; Lønsmann und Kraft2018;Piller und Lising 2014;Strömmer 2015). Die Rolle der Sprache in sprachbasierten Arbeitsdomänen wird als (Ar- beits-)Prozess und Produkt gleichermassen beschrieben (DuchÞneund Heller 2012b). Ersterer entsprechen kommunikationsbasierte oder Informationen produzierende Arbeitstechniken, die komplexeLese- und Schreibfähigkeiten und das Hin- und Herwechseln zwischen verschiedenen Kommunikationska- nälen erfordert(z.B. im direkten persönlichen Kontakt mit KundInnen,am Telefon oder überandereelektronische Kanäle) (Heller 2005). In diesem Fall hat Sprache die Funktioneines Arbeits- oder Kommunikationsinstruments inne, wobei Wert aufeinen bestimmten Sprachstil gelegt wird, der,falls not- wendig,durch bestimmte Massnahmen, wieSprachtraining,Skripte oder be- stimmte Vorschriften zum Sprachgebrauch standardisiertwird (Cameron 2000a, b; Lorente 2010;Roy 2003). Gleichzeitig ist Sprache aber auch ein Pro- dukt solcher Arbeitsprozesse (z. B. in Form vonInformationen, einer Überset- zung usw.) (Heller 2005). In der Funktion des Arbeitsprozesses und Produkts werden Sprachen und Sprachpraktiken im Kontext der neoliberalen Weltwirtschaftsordnung zuneh- mend wieGüter gehandelt (DuchÞne und Piller 2011). In gegenwärtigen sozio- linguistischen Studien zur wirtschaftlichen Aneignung und zum Konsum von Sprache/Mehrsprachigkeit, werden Sprache bzw.Sprachpraktiken als soge- nannte Commodities beschrieben (Cameron 2012;Heller 2010b;Muth und Del Percio 2018;Rahman 2009;Rubdy und Tan2008). Die AutorInnen vertreten eine anthropologische Sichtweise, welche vonBourdieu inspiriertwurde (Appadurai 1986;Bourdieu 1982), und definieren Sprache als commodity, wenn1)Sprache einen Mehrwertzueinem konsumierbaren Produkt bzw.einer Dienstleistung hinzufügt,fürwelche(s)bereits eine spezifischerGebrauchswertbesteht, d.h.

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Stand der Forschung 35 dass das Produkt konsumiertbzw.die Dienstleistung in Anspruch genommen wird,und 2) ein Tauschwert besteht, d.h. ein messbarer und vergleichbarer Wert,der dem Produkt bzw.der Dienstleistung aufeinem spezifischenMarkt zugeschrieben wird (DuchÞneund Heller 2012b;Heller und DuchÞne 2016). Die Verwendung des Konzepts der »Kommodifizierung« wird jedoch häufig dahingehend kritisiert, dass es mittlerweile übergeneralisierend und undiffe- renziertgebrauchtwird,umProzesse der wirtschaftlichen Nutzungvon Sprache oder Versuche der Kommodifzierung vonSprache zu beschreiben, welche je- doch längst nichtalle als Kommodifizierung zu werten sind (Block i.E.;McGill 2013). Diese wirtschaftliche Perspektiveauf Sprachpraktiken und ihreBewertung bzw.ihren Status als Teil einer politischen Ökonomie ist nichtneu in der So- ziolinguistik und der linguistischen Anthropologie (Bourdieu 1977a, 1982; Bourdieu und Thompson 1991;Bucholtz 2006;Friedrich 1989;Gal 1989;Irvine 1989;McElhinny2015). Aufgrund der semiotischen Komplexitätvon Sprache und den unterschiedlichen materiellen und symbolischen Dimensionen der Produktionsergebnisse sprachlicher Arbeit, gibt es vielfältigeMöglichkeiten, wieSprache wirtschaftlich angeeignet werden und einen Marktwerterlangen kann (Irvine 1989;Park und Wee2012;Urciuoli und LaDousa 2013). Sprache wird nichtnur als Kommunikationsinstrument, sondern auch symbolisch als Authentizitätsmarker und positives Distinktionsmerkmal genutzt (z.B. in der Werbebranche) (Kelly-Holmes 2000). Die Rolle, die Sprache beiund fürdie Arbeit einnimmt, ist durch die komplexen, häufig widersprüchlichen, doch miteinander verwobenen Funktionen vonSprache gekennzeichnet, welche zu Spannungen führen, die vor allem die involvierten SprecherInnenzuspüren bekommen (DuchÞne und Heller 2012a).Vor dem Hintergrund des Bedeu- tungswandels vonMehrsprachigkeit und Sprachperformanz fürdie Arbeit verändernsich auch die sprachlichen Anforderungen an die Beschäftigten in der Dienstleistungsindustrie und an die gesuchten Profile dieser »Spracharbeite- rInnen« (Boutet 2012). Ausdieser wirtschaftlichen Perspektivewird Sprache und Mehrsprachigkeit als unentbehrlicheRessource bzw.mehrsprachige Ar- beitskräfteals notwendiges »humancapital«betrachtet (Dubois, LeBlanc und Beaudin 2006;Urciuoli 2015). Diese Entwicklung führtzuneuen Formen von Sprecherhierarchien und einer neuen Gewichtung der sprachlichen Zugangs- kriterien zum Arbeitsmarkt(DuchÞne und Piller 2011). So können z.B. Spra- chen vonsonst niedrigem Prestige plötzlichgefragtsein, um Nischenmärkte zu erreichen oder ein Produkt möglichst »authentisch« zu verkaufen (Heller 2005:201, 2010b;Kelly-Holmes 2000).FürandereTätigkeitsbereiche sind wie- derum mehrsprachige Kompetenzen erforderlich,welche gemäss einer neoli- beralen Wertehaltung den Logiken der Kosteneffizienz, der Flexibilitätund der Produktivitätfolgen (Dor 2004;Heller 2008c;DuchÞne und Heller 2012b). Ist

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 36 Theoretischer Rahmen eine Arbeitskraftkompetentmehrsprachig,kann sie flexibler,produktiver und kosteneffizienter fürverschiedene Aufgaben eingesetzt werden, als wenn statt- dessen mehrereeinsprachige Arbeitskräftebeschäftigtwerden müssen. Diese beiden Beispiele weisen bereits aufzwei unterschiedliche Auffassungen von der Naturdes Sprachenrepertoires eines/r SprecherIn hin:Dementsprechend werden Sprachkompetenzen entweder als messbareund einstufbare Fertigkei- ten konzeptualisiertoder als natürliche Eigenschaftund Talentaufgefasst (Heller 2005;Park 2010;Urciuoli 2008;Urciuoli und LaDousa 2013). Letztere Auffas- sung gehteinher mit der Kategorisierung als »authentische(r), muttersprach- liche(r)« SprecherIn und Angehörige(r) einer Sprachgemeinschaft, welche wiederum im Kontrast mit ersterer Kategorisierung als mehrsprachige und sprachlich flexible Arbeitskraftsteht. Die unterschiedlichen Kategorisierungen der SprecherInnen führen häufig zu Spannungsmomenten und sprachlichen Legitimitätsfragen (Coupland 2003a, 2010;Lacoste, Leimgruberund Breyer 2014), welche im folgendenKapitel genauer erläutertwerden.

1.3 Sprachliche Kategorisierungs-, Differenzierungs- und Grenzziehungsprozesse

Soziale Kategorisierungs- und GrenzziehungsprozesseimZusammenhang mit Sprache sowiedamit verbundene Differenzierungen und Wertungen der je- weiligen SprecherInnenliegen seit jeher im Interessensfokus der Soziolinguis- tik(Gal und Irvine 1995;Heller 2013;Hudson 1996;Hymes 1974;Irvine und Gal 2000;Philips 2005). Schon in ihren frühen Anfängen interessierte sich die (historische) Sprachwissenschaftund insbesondere die Dialektologiedafür, Sprachen bzw.Varietäten und ihreSprecherInnen zu kategorisieren, zu klassi- fizieren und (territorial) voneinander abzugrenzen (Bauman und Briggs 2003):

»Manhat sogleichversucht, in diese verwirrende Fülle vonFormenund Strukturen Ordnung zu bringen und einige Grundmuster herauszufinden, um sie danach einteilen zu können.« (Wandruszka 1979:77) Wörterbücher,Sprachfamilienstammbäumeund Sprachatlanten sind dieZeug- nissesolcherUnternehmungen, wobei dieseArt vonForschung vielfach fürdie Zweckeder Nationalstaatenbildung und in Deutschland sogar fürdie Zwecke des Nationalsozialismus instrumentalisiertwurde (Auer 2004;Johnstone 2010b). Die Suche nach der/dem authentischen SprecherIn war zunächst jedoch noch voneiner romantischen Vorstellung vonAuthentizitätgeprägt.Während die Dialektologie im 19. Jahrhundertihre Aufmerksamkeit dem sogenannten NORM-Sprecher (non-mobile older rural males), also der nicht-mobilen, ru- ralen und männlichen Bevölkerung,als authentische Quelle vonSprache, Tra-

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Stand der Forschung 37 ditionund Kulturwidmete (Auer 2013), nahmsichdie Kulturanthropologie im späten 19. Jahrhundertder Untersuchung vorwiegend nicht-westlicher,wenn möglich stark isolierter und sogenannter »primitiver« Kulturen an. Die Grün- derväter der linguistischen Anthropologie rückten hingegen die Sprachen der Native Americans in den Untersuchungsfokus der US-amerikanischen Reser- vatspolitik (Holzer 2005).Der Interessensfokus aufperipher lebende Menschen mit (scheinbar) klar definierbaren Charakteristika ist durch die Annahme des Essentialismus dieser vermeintlichen Entitäten zu erklären. Der essentialisti- schen Ansichtliegen moderne Sprachideologien und ein räumlich-territoriales Verständnis vonSprache zugrunde (Bauman und Briggs 2003;Bucholtz 2003; Löw2001). Dieser Vorstellung nach ist Sprache im Raum verankertund ein spezifischerSprachraum durch stabile, territoriale Sprachgrenzen definiert, innerhalb derer eine monolinguale, homogene Sprechergemeinschaft(speech community)7 lebt (Auer 2013). Die Vorstellung der Authentizitäteiner Spre- cherin bzw.eines Sprechers stehtzudem in engem Zusammenhang mit der Idealvorstellung der/des »muttersprachlichen« Sprecherin bzw.Sprechers (na- tive speaker), vonder/demangenommen wird, dass sie/er in allen Kommuni- kationsbereichen perfekte, ja geradezu angeborene Kompetenzen aufweist und eben solch einer einheitlichen, meist vonnationalen Grenzen definierten Sprachgemeinschaftangehört (Doerr2009a;Piller 2001b). Die territoriale Ko- existenz verschiedener Idiome oder mehrsprachigeSprecherInnen standen damals jedoch (noch) nichtimUntersuchungsfokus. Erst mit den Arbeiten von z.B. Einar Hauge, Uriel Weinreich, William Labov, Dell Hymes und John Gumperz wendete sich die Linguistik und die Anthropologie der Untersuchung vonSprachkontaktphänomenen sowieder Perzeption und Bewertung vonVa- rietäten zu. Die Vorstellung des Zusammenhangs vonSprache und Raum er- fuhr dann jedoch vor allem mit dem »spatial turn«einen Paradigmenwechsel (Busch 2013;Johnstone 2010a). Raum wurde nichtmehr als natürlich gegebener und klar begrenzbarer Behälter (container)verstanden, in dem Sprachen, Sprachgemeinschaften und Kulturen geographisch verteilt sind, sondern als soziales, imaginäresund relationales Konstrukt betrachtet (Appadurai 1996b; Barth 1969;Jones 2009;Lefebvre 1991;Simmel 1983). Das Thema der Raum-

7Das Konzept der »speech community«gehtauf Bloomfield zurück, welchereine Sprecherge- meinschaft als »agroup of people who use the same set of speech signal«definierte und damit die soziale Organisation und Zugehörigkeit vonSprecherInnen beschreibenwollte (Bloom- field 1933:29). Das Konzept veränderte in Folge des Öfteren seine Bedeutung, so z.B. mit Gumperz (1997) und Hymes (1964). Sie verstehen die Sprechergemeinschaft als soziales Konstrukt, welches durch Sprache als soziale und kulturelle Praxis konstituiertwird. Somit verschob sich der Untersuchungsfokus vonden Grenzen eines homogenen, abgegrenzten Sprachsystems, aufdie Untersuchung sozialer Strukturen, welche durch Sprache/Sprach- praxis konstituiertwerden. Füreine Diskussiondes sich wandelnden Konzepts siehe z.B.: (Coupland2010;Milroy2002;Morgan 2005;Muehlmann 2014;Rampton 2000,2009).

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 38 Theoretischer Rahmen konstruktionund Wahrnehmung wurde zum Untersuchungsgegenstand. Somit rückten auch Grenzen und Grenzziehungsprozesse in den Interessensfokus der kritischen soziolinguistischen und der ethnodialektalen Forschung,welche sprachliche Grenzen als diskursiveund (sprach)ideologische Konstrukte be- trachten, die in Diskurs und Praxis (re)produziert, aber auch umgeformtoder dekonstruiertwerden (Auer 2013;Anders und Spiekermann 2008;Barth 1969; Barth 2002;Gal und Irvine 1995;Irvine und Gal 2000;Urciuoli 1995).Doerr schlägt im Sinne dieses neuen Paradigmas vor,auch das starre Konzept der authentischen Sprache des native speaker zu dekonstruieren, indem sich die Forschung der Untersuchung der Diversitätzwischen sogenannten native speaker und der Aushandlung der Grenzen zwischen native und non-native speaker annehmen soll (2009a). In der (Sozio-)Linguistik und linguistischen Anthropologie fand in der Zwischenzeit hinsichtlich der Vorstellung vona) Sprache, b) Sprachgemeinschaften und ihren SprecherInnen, und c) der Natur vonKommunikationspraktiken auch tatsächlich dieser Paradigmenwechsel statt (Blommaertund Rampton 2012). Der sogenannte »practice turn«läutete einen neuen Fokus der Sprachforschung aufdie soziale Bedingtheit vonSprachpraxis sowieinder Wechselwirkung auch aufihresozialen Auswirkungen ein. Damit rückten die SprecherInnen in den Vordergrund und wurden durch ihren Dis- kurs und ihre Sprachpraxis als fürdie (Sprach-)Raum- bzw.Grenzkonstruktion (place-making)verantwortlich betrachtet. Sprachen bzw.Sprachräume wurden in der Folge auch nichtmehr als territorial verankerte und klar abgegrenzte Entitäten begriffen, ihreGrenzen verschwammendurch die Anerkennung der Mobilitätder SprecherInnen,der Sprach-/Sprecherkontakte und der Mehr- sprachigkeit, die nichtmehr negiertwerden konnte. Räumlich-territoriale Sprachgrenzen als auch die Abgrenzung zwischen verschiedenen Idiomen und ihren Sprechergruppen wurden vonnun an als soziale,politische und ideolo- gische Konstrukte verstanden (Barth 2002;1969;Billig1995b;Busch und Kelly- Holmes 2004;Gal und Irvine 1995;Gal und Woolard 2001;Irvine und Gal 2000). In diesem Zusammenhang wurde das Konzept der Sprachgemeinschaft(speech community)vom Konzept der »community of practice«8 abgelöst (Blommaert und Rampton2012;Pietikäinen und Kelly-Holmes 2013), welches den Fokus auf die Komplexitätund Multiplizitätvon Identitätund sozialen Zugehörigkeits- praktiken richtet (Rampton 2000).9 Auch die essentialistische Sichtauf Au-

8Das Konzept der »community of practice«wurdejedochzwischenzeitlich dahingehend kri- tisiert, eher aufdie Beschreibung vonGemeinsamkeiten innerhalb einer Gemeinschaft aus- gelegt zu sein, ohne dabeidie Definition,die Bedingung vonund den Zugang zur Zugehö- rigkeit und Teilhabeander Gemeinschaft sowiedamit verbundene Machtfragen kritisch zu analysieren (Irvine und Gal 2000;McElhinny2012). 9Weitere, ähnliche analytische Konzepte, die im Rahmen dieser Fokusverschiebung aufkamen, sind z.B. »discourse community«imKontext der schriftlichen Kommunikation und Text-

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Stand der Forschung 39 thentizitätmusste der Auffassung vonAuthentizitätals ideologischkonstruiert und abhängig sowohl vonden SprecherInnen als auch vonden RezipientInnen weichen (Cole 2007).10 In der heutigen kritischen soziolinguistischen Perspek- tive wird Authentizitätdeshalb nichtmehr als stabile Eigenschaftaufgefasst, sondern als ein ständiger dynamischer Prozess des An- und Ausfechtens, also der Authentifizierung,verstanden (Blommaertund Varis2013;Bucholtz 2003). Die Idee vonder bzw.dem authentischen, idealen, muttersprachlichen Spre- cherIn ist somit überholt. Zumindest in der soziolinguistischen Forschung.In der Gesellschaftist diese Idee noch stark verankert(u.a. auch im Arbeitskon- text). Coupland (2003a) kritisiert, dass die Soziolinguistik dem Konzept der Authentizität(sowohl in Bezug aufdie Realisierbarkeit als auch aufdie Er- wünschbarkeit) nunhäufig bereits grundlegend mit grosser Skepsis begegnet, die er aufdie Annahme der sozialen Konstruiertheit vonRealitätund ihrer Legalität(Berger und Luckmann 1967) zurückführt. Er warnt jedoch davor,das Konzept der Authentizitätaufgrund der folgenden Argumente zu frühaufzu- geben:

»Authenticity matters. It remains aquality of experience thatweactively seek out, in most domains of life, material and social. The conditionsoflate-modernity, where these apply,certainlymake this quest morecomplex, andperhaps ultimately impossible, but we havenot stopped monitoring our lives against criteria of ›truthfulness‹,›reality‹, ›consistency‹, ›coherence‹ andsoon, where Itake›authenticity‹ to be asuperordinate concept. We value authenticity and we tend to be critical of pseudo-authenticity.« (Coupland2003a:417)

Doch nichtnur aufgrund einer gewissen Erwartungshaltung und einer damit verbundenen Vorstellung ist das Konzept der Authentizität(ebenso wiedas Konzept des Muttersprachlers/der Muttersprachlerin) nichtzuunterschät- zen. Es beinhaltet auch Machtfragen (Appadurai 1986;Cole 2007;Taylor 2001). Es gehtalso weniger darum, zu untersuchen, ob jemand oder etwas »wirklich« authentisch ist, sonderneher danach zu fragen, werdie Autoritätund Macht innehat, jemandenoder etwas für(in)authentisch zu erklären, und was dies fürKonsequenzen fürdie als (in)authentisch kategorisierten SprecherInnen hat (Bruner 2005;Bucholtz 2003).Denn die Authentifizierung eines bestimmten Sprachstils oder einer Sprecherin bzw.eines Sprechers ist immer auch gleich- zeitig mit der Abgrenzung vonund der Inauthentifizierung eines anderen

produktion(Borg 2003;Nystrand 1981;Swales 1990), »imagined community«imKontext der Nationalstaatenbildung (Anderson2006), »virtual community«imKontext der virtu- ellen Welt des Social Webs (Cherny 1999;Rheingold 2000) sowie»transnational community« im Kontext vonMigration und Diaspora (Delanty 2003). 10 Hinsichtlich der sich wandelndenHerangehensweisen an das Konzept der Authentizität, gibt Cole (2007) einen Überblick vonherkömmlichen Auffassungen bis zum heutigen sozio- linguistischen Ansatz.

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Sprachstils oder einer/eines anderen Sprecherin/Sprechers verbunden. Die dichotomische Kategorisierung als (in)authentische(r) oder (nicht-)mutter- sprachliche(r) SprecherIn gehtzudem meist mit der Frage einher,obein(e) SprecherIn als (il)legitim angesehen werden kann, als (in)kompetente(r) und (nicht-)repräsentative(r) SprecherIn einer Sprache zu gelten (Gill 2007).11 Dies ist besonders im Arbeitskontext relevant, wenn ein(e) »authentische(r)« oder »muttersprachliche(r)« SprecherIn füreine bestimmte Aufgabegefordertwird. Die Kategorisierung einer Sprecherin bzw.eines Sprechers ist entscheidend für deren bzw.dessen Zugang zu Ressourcen, zum Arbeitsmarkt, zu einer höheren Position und MachtamArbeitsplatz sowiefüreine gewisse (symbolische oder finanzielle) Valorisierung ihrer bzw.seiner Sprachkenntnisse (DuchÞne 2011; Lønsmann 2014).Vor allem in der Tourismusbranche spielt die Authentizität, entgegen postmodernen Kritiken, weiterhin eine wichtige Rolle. Auch wenn in der interdisziplinärenTourismusforschung Forderungen laut wurden, das überholte Konzept der Authentizitätaufzugeben, ist eine gewisse Erwartungs- haltung bzw.der Anspruch aufAuthentizitätdochnochstark in den Köpfen sowohl vonGästen als auch vonBeschäftigten in der Tourismusindustrie ver- ankert(Belhassen und Caton2006;Hamonund Dano 2005).

2. Forschungszugang:Soziolinguistische Phänomene durch die Brille des Tourismus

Der Tourismus als Freizeitindustrie, die vonMobilitätgeprägt ist und Perso- nen mit unterschiedlichem kulturellen und sprachlichen Hintergrund aufein- ander prallen lässt (Thurlowund Jaworski2011),stehtschon lange im Interes- sensfokus der Soziolinguistik und der linguistischen Anthropologie (Hall-Lew und Lew2014). Dabei haben sich zwei Herangehensweisen entwickelt:Die eine untersuchtTourismus bzw.die Sprache des Tourismus als eigenständiges Phä- nomen (Dann 1996;Jaworski und Pritchard 2005),mit dem Anspruch, ein eigenes Forschungsfeld im Sinne einer »Tourismussoziolinguistik« (sociolin- guistics of tourism)(Dann 1996, 2012) bzw.einer »Tourismusanthropologie« (anthropologyoftourism)(Burns2004;Chambers 2000;Smith 1977) zu eta- blieren. Der andereAnsatz betrachtet den Tourismusals ein mögliches Terrain bzw.einen Forschungszugang zur Untersuchung der Rolle vonSprache in ge- sellschaftlichen Wandelprozessen (Coupland2003b;DuchÞne 2009;Heller,Ja- worski und Thurlow2014;Jaworskiund Thurlow2010;Pietikäinen und Kelly-

11 Als authentische(r) SprecherIn wahrgenommenzuwerden, bedeutet jedochnichtimmer,im selben Kontext auch gleichzeitig als legitime(r) SprecherIn angesehenzuwerden(Creese, Blackledge und Takhi 2014;Muth 2018).

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Holmes 2013). Die vorliegende Arbeit orientiertsich an letzterer Perspektive und begreift die Tourismusbranche als Beobachtungskontext, im Rahmen des- sen Prozesse der »Glokalisierung«und deren Auswirkungauf Legitimitätsvor- stellungen in Bezug aufSprache, Sprachpraktiken und deren SprecherInnen beobachtbar werden (Salazar 2005).Die Tourismusindustrieals mehrsprachige Dienstleistungsindustrie präsentiertsich als idealer Forschungszugang fürdie Untersuchung,wie sprachlicheDiversitätals semiotische Ressource zur Dis- tinktion oder Authentifizierung wirtschaftlich genutzt, gemanagtund reguliert wird,und welche Konsequenzen sich daraus fürdie involvierten Arbeitskräfte ergeben (Heller,Jaworskiund Thurlow2014).Indiesem Sinne verschreibt sich die vorliegende Arbeit eher einer »Soziolinguistik der Globalisierung«, welche damit im Zusammenhang stehende gesellschaftliche Wandelprozesse unter- sucht, die sich aufdie Wert-und Funktionszuschreibungen vonbestimmten Sprachen und ihren SprecherInnen auswirken (Blommaert2010b;Coupland 2012;Pietikäinen und Kelly-Holmes 2013). In den folgenden Unterkapiteln soll der Forschungsstand zu soziolinguisti- schen Phänomenen durch die Brille des Tourismusaufgezeigtwerden. Da De- stinationen einmalals Markeund einmal als Dienstleistungsanbieter analy- siertwerden können (DuchÞne und Piller 2011), und meine Dissertation beide Analysefoki aufgreift, wird die folgende Literaturreview beide Bereiche be- leuchten. Zunächst wird aufdie Rolle der Sprache fürdas Destinationsbran- ding eingegangen, anschliessend werden die Funktionen vonSprache fürdie Arbeit in der dienstleistungsorientierten Tourismusindustriediskutiert. Zuletzt wird darüberhinaus aufgezeigt, wieSprache selbst zum touristischen Highlight werden kann.

2.1 Diskursive Produktion und Organisation von touristischen Destinationen

Die Tourismusindustrieerweist sich als geeignetes Terrain, um place-making, oder besser gesagtTransformationsprozesse vonRäumen (space)zubegrenzten, erfahrbaren, wiedererkennbaren und sowohl fürGäste als auch fürdie Lokal- bevölkerung relationalen Orten (places), zu untersuchen (Lew 2017;Thurlow und Jaworski 2014). Touristische Destinationen müssen sich eine einzigartige Identitätschaffen, um sich im globalen Wettbewerb zu positionieren und sich vonanderen Reisezielen abzuheben. Hierfürwird die Profilierung einer starken und möglichst einheitlichen Destinationsmarke(brand)angestrebt.Unter De- stinationsbranding verstehtman ebendiese Markenbildung, während Destina- tionsmarketing deren Bewerbung beschreibt (Vasudevan 2008). Der Begriff des Destinationsmanagements umfasst hingegen die Aktivitäten einer sogenannten

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Destinationsmanagement-Organisation, welche die Führung der Destinations- markeinForm der Koordination des touristischen Angebots innerhalb einer Destination sowiederen Kommunikation und Vermarktung nach aussen be- inhaltet. Das Destinationsbranding muss als ideologischer Prozess in einem vorherrschenden sozio-ökonomischen und politischen Kontext betrachtet werden (Pritchard und Morgan 2001). Sprache nimmt beim Destinationsbran- ding unterschiedliche Funktionen ein. Zunächst muss Tourismusals diskursives Phänomen betrachtet werden, da touristische Räume bzw.Destinationen(Busse und Warnke 2014;Lefebvre 1991;Shawund Williams 2004;Wöhler 2011) und touristische Erlebnisse durch Sprache diskursiv überhaupt erst geschaffen und strukturiertwerden (Frochot und Batat2013;Jaworski und Pritchard 2005; Mader 2004;Morgan und Pritchard 1998;Pritchard und Morgan2001;Thurlow und Jaworski 2010). Dies geschiehtz.B.intouristischem Informations- und Marketingmaterial (z. B. in Broschüren, Reiseführern, Werbevideos) (Boyneund Hall 2004;Cohen-Hattab und Kerber 2004;Fürsich und Robins 2004;Scarles und Lester 2013;Thurlowund Jaworski 2010), beim Gästekontakt vor Ort(z. B. mit TouristenführerInnen, ReisebegleiterInnen oder der Lokalbevölkerung) (Salazar 2005, 2006, 2009) als auch in journalistischen Beiträgen überdie De- stination (Hanusch und Fürsich 2014) oder in Erfahrungsberichten vonTou- ristInnen (z.B. Reiseblogs, Onlinebuchungs- und Bewertungsportale, Postkar- ten usw.) (Browning,Sound Sparks 2013;Thurlowund Jaworski 2014;Vµsquez 2014). Die Vermarktung einer Destination erfolgtdabei als komplexeZu- sammenarbeit zwischen Destinationsmarketing-ManagerInnen,lokalen Stake- holderInnen und BesucherInnen (Morgan und Pritchard 2010;Palmer und Bejou 1995;Palmer 2002).Die so produzierten, global zirkulierenden Bilder und Vorstellungen vonder Destination (Appadurai 1996a) lassen beider Empfängerin bzw.beim Empfänger und potenziellen späteren BesucherIn ge- wisse Erwartungen an die Destination und die lokalen Gegebenheiten entstehen und sollen den Wunsch (desire)erwecken, die Destination zu besuchen und kennenzulernen (Cameronund Kulick 2003;Hennion, MØadel und Bowker 1989;Kulick 2003;Piller und Takahashi 2006).Die Selbstdarstellung der Tou- rismusdestinationerfolgtimMarketing einerseits sowohl gemäss den kon- struierten Bedürfnissen des jeweiligen, ebenfalls konstruierten Zielmarktes (segmentation)(Kelly-Holmes 2010a;Heller,Jaworski und Thurlow2014) wie auch entsprechend der Identitätskonstruktion der lokalen Institutionen sowie der Bevölkerung (Pujolar 2006;Vasudevan2008).Dabei können durchaus Spannungen zwischen der Fremdwahrnehmung/-darstellung und der Selbst- wahrnehmung/-darstellungentstehen (Baider,Burger,und Goutsos 2005;Bru- ner 2001;Pritchard und Morgan 2001;Salazar 2008, 2009, 2012). Hinsichtlich der Sprachwahl und des Sprachgebrauchs im Destinationsmar- keting kommen Fragen der Authentizitätund gleichzeitig auch der Mobilität

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Forschungszugang:Soziolinguistische Phänomene durch die Brille des Tourismus 43 der Destinationsmarke zum Tragen (Pietikäinen und Kelly-Holmes 2011a), denn der touristische Werbetext sollte nichtnur ein möglichst »authentisches« Bild vermitteln, zum Beispiel mit Hilfe der Verwendung vonlokalen Aus- drucksweisen, sondernauch fürein breites und unter Umständen internatio- nales Publikum verständlich sein. Auch beim Souvenir-Labelling wird Sprache einerseits fürinformativeZwecke, andererseits jedoch auch als Authentizi- tätsmarker eingesetzt, um die lokale Herkunftdes Produkts zu kennzeichnen (Cavanaughund Shankar 2014;Dlaske2015;Johnstone 2014;Pietikäinen und Kelly-Holmes 2011a, 2011b). Hier können Spannungen entstehen zwischen der Verwendung von(lokaler) Sprache zur Authentizitätskonstruktion und Sprache als Kommunikationsmittel zum Informationstransfer und zur Mobilmachung der konstruierten »Authentizität« (Kelly-Holmes und Pietikäinen 2015). Zudem muss das Marketing nichtnur übermehrereKanäle (face-to-face im Kunden- kontakt z.B. aufMessen, in Form vonPrintmaterial wiez.B.Plakate, Broschüren, Flyer oder Reiseliteratur,als Onlinematerialauf Webseiten oder auch in Form vonWerbefilmen usw.), sondernauch in mehreren Sprachen fürdas jeweilige Zielpublikum aufbereitet werden. Die Sprachwahl ist beider Kommunikation mit spezifischen Märkten vongrosser Bedeutung (DuchÞne und Heller 2012b; Kelly-Holmes 2013). Sprache begegnet dem Gast darüberhinaus auch vor Ort aufBeschilderungen, welche die Destination oder einzelne touristische Stätten als semiotischen Raum gestalten, organisieren sowiedie Gäste vor Ortinfor- mieren und orientieren sollen (DuchÞne und Piller 2008;Jaworski und Thurlow 2011;Kelly-Holmes und Pietikäinen 2015;Moriarty 2015;Piller 2007;Pritchard und Morgan 2001). Sprache(n) sind jedoch nichtnur Kommunikationsmittel, um die Werbe- botschaftanpotentielle BesucherInnenzuübermitteln. Cohen und Cooper (1986:543) weisen darauf hin, dass potentielle Sprachbarrieren TouristInnen abschrecken und in ihrer Wahl des Urlaubsziels stark beeinflussen können. Diese Sprachbarrieren gilt es mit einer gezielten Sprachwahl bzw.der Erwäh- nung passender Sprachkenntnisse der lokalen Bevölkerung im Marketingdis- kurs abzubauen. In diesem Zusammenhang werden gewisse Sprachkenntnisse oder die Mehrsprachigkeit der Bevölkerung erwähnt, um diesem Eindruck der Sprachbarriere entgegenzuwirken. Andererseits werden lokale Sprache(n) und Varietäten aber auch als (manchmal exotisches) Distinktionsmerkmal zur Un- terscheidung vonanderen Destinationen eingesetzt (differenciation)(Kelly- Holmes 2010a), zum Beispiel als Teil des touristischen Erlebnisses, als imma- terielles Kulturerbeoder als Authentizitätsmaker und Ausdruck der lokalen Identität(Hall-Lew und Lew2014;Pietikäinen und Kelly-Holmes 2011b;Ur- ciuoli und LaDousa 2013).

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2.2 Die Tourismusindustrie als sprachbasierter Dienstleistungssektor

Die touristische Nutzung vonlokaler/n Sprache(n) beschränkt sichjedoch nichtauf deren kommerzialisierteInstrumentalisierung im Marketing zur Prägung des touristischen Images einer Destination. Das im Destinations- branding konstruierte Image, das potentiellen BesucherInnenvor ihrem Besuch überverschiedene Marketingkanäle vermittelt und versprochen wird, muss auch vorOrt beim Gästekontakt operationalisiertund eingehalten werden (»living the brand«) (Aronczyk 2008).Die Tourismusindustrieals Dienstleis- tungssektor par excellence nutzt hierfürdie Sprachkenntnisse und Praktiken ihrer MitarbeiterInnenals wirtschaftlicheRessource aufunterschiedliche Art und Weise (DuchÞne und Piller 2011). Ihre Sprachkompetenzen werden auf materiell-technischer Ebene als Arbeitswerkzeug eingesetzt, um Informationen bzw.Dienstleistungen in mehreren Sprachen anbieten und die Marketingkom- munikation mehrsprachig realisieren zu können (Leslie und Russell 2006). Gleichzeitig wird vonTourismusbeschäftigten u.a. auch erwartet, dass sie durch ihre Sprachpraktiken symbolisch eine authentische, lokale Identitätinszenieren bzw.verkörpern(embodiment). Bunten gehtsogar so weit, die Tourismusbe- schäftigten in speziellen kulturtouristischen Kontexten als »(self-)commodified persona«zubezeichnen (Bunten 2008). So wird vonden Tourismusbeschäftigten einerseits eine starkesprachliche Flexibilitätgefragt, da sie ihren Service in mehreren Sprachen anbieten sollen, andererseits aber auch die lokale Identität möglichst authentisch verkörpernmüssen, weil sie als RepräsentantInnen und VermittlerInnen vonlokalen Besonderheiten, insbesonderelokaler Sprache(n), angesehen werden (Cohen und Cooper 1986;Cole 2007;Edensor 2001;Salazar 2005;Smith 2001). Je nach Positionund Aufgabenbereich der Tourismusbe- schäftigten sowieder Artdes Gästekontakts sind unterschiedliche Sprachkom- petenzen und verschieden hohe sprachliche Flexibilitätgefragt. Hall-Lew und Lew(2014:342) argumentieren, dass TouristInnen –insbesondereGäste, die keine (grosse) sprachliche Distanz zur Lokalbevölkerung aufweisen –u.a.in- folge des in touristischen Promotionsdiskursen vermittelten Vorwissens ge- genüberder lokalen sprachlichen Situation eine gewisse Erwartungshaltung hinsichtlich eines lokal geprägten Sprachgebrauchs der Tourismusbeschäftigten mitbringen und überraschtbzw.enttäuschtreagieren können, wenndiese er- wartete sprachliche Performanznichtgeboten wird.Baum, Hearns und Devine (2008) thematisieren in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass Tourismus- beschäftigte (v.a.imHotellerie- und Gastronomiebereich) häufig einen Mi- grationshintergrund aufweisen und dadurch sowohl in sprachlicher wieauch ethnischerHinsichtnichtden durch Promotionsdiskurse erzeugten Erwar- tungshaltungen der Gäste gegenüberihren GastgeberInnen entsprechen, was wiederum eine Spannungsquelle fürAuthentizitätsansprüche darstellt. Gleich-

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2.3 Sprache als touristisches Erlebnis

In der Tourismusforschung wird im Hinblickauf Konsumentenverhalten und touristische Aktivitäten vom sogenannten »performanceturn« gesprochen (Larsen und Urry 2011). Einerseits ist mit diesem Paradigmenwechsel der neue Fokus der Forschung aufden performativen Anteil der Tourismusarbeit gemeint (Pine und Gilmore 1999), andererseits jedoch auch die verstärkte Hinwendung der Tourismusindustriezum zunehmend inszenierten Unterhaltungsvernügen (Weiler und Black 2015). Hinsichtlich dieses Trends in der Tourismusindustrie, den Gast mit gezielten Angeboten »entertainen« zu wollen, spielen lokale Sprachen bzw.Mehrsprachigkeit eine wichtige Rolle. So ist in den letzten Jahren ein vermehrtes Aufkommen mehrsprachiger touristischer Angebote in unter- schiedlichen Kontexten beobachtbar.Mancherorts werden lokale Sprachen in Form vontheatralischen Inszenierungen (Heller,Pujolar und DuchÞne 2014; Heller 2008c), in Literaturhäusernoder aufliterarischen Wanderwegen erfahr- bar (Pujolar und Jones 2011).Darüberhinaus werden Führungen mit beson- derem Erlebniswertinder lokalen Mundartangeboten (Weier 2005;Weiler und Black 2014, 2015). Doch nichtnur in diesen Angebotsformen kann lokale Sprache touristisch konsumiertund im Kontakt mit der Lokalbevölkerung bzw. lokalen Tourismusanbieternerlebtwerden. Im Fall vonSprachlernaufenthalten ist die lokale Sprache sogar Grund und Inhaltder Reise (Yarymowich 2003, 2004). Weitere touristische Attraktionen, wiez.B.lebendige Museen, Themen- parks oder historische Spektakel, sollen den BesucherInnen ein Bild der lokalen Identitätvermitteln, indem die Geschichte, die Lebensweise und eben auch die Sprache der lokalen Bevölkerung inszeniertwerden (Bruner 2005;Heller,Pu-

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Untersuchung speziell dieser Form der inszenierten Sprachperformanz in mehrsprachigen touristischen Aktivitäten kann Aufschluss überdie Funktion und den Status der einzelnen involvierten (lokalen) Sprachen und überihren (Markt-)Wert fürdie jeweilige Tourismusindustriegeben. Offiziell mehrspra- chige Formate touristischer Aktivitäten wurden jedoch bisher nur wenig er- forscht.12

3. Forschungsfragen

Diese Arbeit untersuchtaus kritischer soziolinguistischer Perspektive die tou- ristische Vermarktung und Inszenierung der Stadt Murten als zweisprachige Feriendestination und damit einhergehende sprachliche Herausforderungen und Spannungen. Ausgehend vonder Entwicklung, dass die wirtschaftliche Nutzung vonbestimmten Sprachen/Varietäten in der globalisierten touristi- schen Dienstleistungsindustrie diesen Sprachen/Varietäten einen gewissen Marktwertverleihtund sie in unterschiedlichen Kontexten als Ressource be- trachtet werden, soll in ethnographischerHerangehensweise genealogisch auf- gezeigtwerden, wiedie lokale Zweisprachigkeit fürdas touristische Branding der Stadt genutzt und im Rahmen vontouristischen Aktivitäten inszeniertwird, und welche sprachlichen An- bzw.Herausforderungen sich daraus fürdie in- volvierten Arbeitskräfteergeben. Besonders untersucht werden damit einher- gehende (ideologische) Spannungen und Legitimitätsfragen in Bezug aufdas gewünschte, sprachliche Profil, welches ein(e) Stellensuchende(r) aufweisen muss,umZugang zum touristischen Arbeitsmarktzuerhalten. Es gehtdarum, sprachliche Kategorisierungs- und Grenzziehungsprozesse als sprachideologi- sche Prozesse zu erfassen, die in ihrer Einbettung in einem bestimmten histo- rischen und politökonomischen Kontext analysiertwerden müssen. Anhand der folgenden Forschungsfragen soll geklärt werden, welche Rolle die lokale Zwei- sprachigkeit beider Prägung des touristischen Images und des touristischen Angebots der Destination Murten spielt(e), und welche (sprachlichen) Anfor- derungenund Konsequenzen sich daraus wiederum fürdie Beschäftigten in der Murtner Tourismusindustrieergeben: I. Wiewird die lokale Zwei-/Mehrsprachigkeit fürdie Profilierung der Desti- nationsmarkeMurten genutzt?(Branding)

12 MehrsprachigeFormen der inszenierten Performanz erfahrenderzeit v. a. im Medienbereich grosse Aufmerksamkeit, z.B. in Form verschiedenerpopulärkultureller Genresder Film- und Musikindustrie (Bell 2011;Bucholtz und Lopez 2011;Pietikäinen und Kelly-Holmes 2011a), aberauch in der Dienstleistungsindustrie,woz.B.die stilisierte Sprachperformanz vonCall Center-TelefonistInnen untersuchtwurde (Cameron2000b;Hall1995;DuchÞne 2009;Rahman 2009;Roy 2003).

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II. Welche Rollespielen dieSprachkompetenzen derArbeitskräfte fürden Zu- gang zumArbeitsmarktinder Tourismusindustrie unddie Arbeits(ver)tei- lung?(Regulierung) III. Wiewird die lokale Zwei-/Mehrsprachigkeit in touristischen Aktivitäten konzipiert, inszeniertund konsumiert? (Inszenierung)

4. Relevanz und Grenzen der Forschungsarbeit

Mit ihrer Thematik ist die vorliegende Arbeit in aktuelle gesellschaftsrelevante Diskussionen um den wirtschaftlichen (Mehr-)Wertvon Sprachkenntnissen und Mehrsprachigkeit eingebettet und offerierteinen kritischen Blick aufge- genwärtig die Mehrsprachigkeit zelebrierende Diskurse und herkömmliche Vorstellungen vonSprache. Angesichts des mit der Globalisierung einherge- henden sozio-ökonomischen Wandels sollen Erkenntnisse übersich verän- dernde Diskurse zu Sprache und Mehrsprachigkeit sowie überihre Rolle in der Reproduktion vonsozialen Ungleichheiten und der Hierarchisierung von SprecherInnen generiertwerden. Die Tourismusindustrieander Sprachgrenze, die eine Diglossie- und Minderheitensituation beinhaltet, eignet sich emble- matisch zur Untersuchung des (institutionellen)Umgangs mit sprachlicher Diversitätund der vielfältigen wirtschaftlichen Nutzung der (lokalen)Sprachen/ Varietäten bzw.der Mehrsprachigkeit sowieder Konsequenzen fürderen Spre- cherInnen. Die deutsch-französische Sprachgrenze in der Schweiz wurde vonder lin- guistischen Forschung bisher eher im Hinblickauf Sprachkontaktphäno- mene thematisiert(z.B. Brohy2017;Werlen 2010).Inöffentlichen Diskursen humorvoll »Röstigraben« genanntund in diesem Kontext hauptsächlich im Hinblick aufpolitische Fragestellungen polemisiert(Büchi 2000;Zierhofer 2005), wurde die Sprachgrenze in diesem Zusammenhang jedoch eher selten auch wissenschaftlich untersucht(z.B. Leimgruber1997;Zimmerli 1899), vor allem nichtimHinblick aufwirtschaftliche Fragen. Darüberhinaus konzen- trierte sich die bisherige Forschung vor allem aufdie durch die Sprachgrenze konstituierten »Entitäten« und verstärkte dieses Bild dadurch sogar noch, an- statt ihre Herstellung,Aushandlung,Umformulierung und Dekonstruktion in Diskurs und Praxis zu untersuchen.13 Meine Arbeit hat somit ebenfalls den

13 LetzteremFokus sind jedoch die einzelnen Beiträge des Themenhefts des Bulletin suisse de linguistiqueappliquØe 108 mit dem Titel »Sprachgrenzen in der Schweiz:neue Zugänge, kritische Perspektiven« gewidmet, welches meine Projektkollegin Liliane Meyer Pitton und ich gemeinsam herausgeben (Winter 2018). Dortgeben wirauch eine Übersicht überbis- herige wissenschaftliche Herangehensweisen an und Forschungsarbeiten zu Sprachgrenzen in der Schweiz.

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Epistemologische Positionierung, ontologische Annahmen und Rahmenkonzepte 49

Anspruch des ihr zugrunde liegenden SNF-Projekts, die Forschungslückezwi- schen der traditionellen Mehrsprachigkeitsforschung und der marktwirt- schaftlich ausgerichteten empirischen Tourismusforschung zu schliessen, und die Schweizer Sprachgrenze ausder bisher mangelhaftbearbeiteten, neuen und kritischen Perspektive aufGrenzen zu beleuchten. Doch trotz oder gerade wegen dieser kritischen Perspektivewerde ich, wie wahrscheinlich alle kritischen Border Studies,mit dem epistemologischen Di- lemma zu kämpfen haben, dass ich zwar sprachliche Grenzen als ideologische Konstrukte identifizieren und dekonstruieren will, sie aber durch meinen For- schungsfokus auch wieder –zumindest zu einem gewissen Grad –reproduziere (Thiele 2016:18f.). Denn um die soziale Konstruiertheit von(Sprach-)Gren- zen, Sprachen und Sprecherkategorien in Diskursen und Praktiken analysieren und aufzeigen zu können, muss ich die betreffendenDiskurse mitsamtihren kategorialen Benennungen (Appellationen) vonSprachenund ihren Spreche- rInnen erst einmal reproduzieren. Becker sprichtimZusammenhang mit die- sem Dilemma eine weitere Problematikan: »So ist durch die Naturalisierung des Diskurses das Wissen, dass wirvon verschie- denen Sprachen sprechen,sotief in unserem Wortschatz verwurzelt, dass die Be- schreibung vonsozialen Phänomenen jenseits des Diskursesmanchmal als fast un- möglich erscheint.« (2018:36) Das Ziel des kritischen Ansatzes bestehtdeshalb vor allem in der Sensibilisie- rung dafür, dass unser Sprachgebrauch Differenzen/Grenzen schafft, Un- gleichheiten konstituiertund reelle (materielle wiesoziale) Konsequenzen hat (Cavanaugh2005;Cavanaughund Shankar2017).

5. Epistemologische Positionierung, ontologische Annahmen und theoretische Rahmenkonzepte

Die vorliegende Forschung ist in der kritischen Soziolinguistik und der lingu- istischen Anthropologie verankert, die sich fürsprachliche Fragestellungen im Zusammenhang mit sozio-ökonomischen Veränderungsprozessen interessie- ren. Auch wenn beide Disziplinen eine unterschiedliche historische Entwick- lung aufweisen, stehen sie unbestritten in gegenseitiger Beziehung zueinander, stützen sich auf ähnliche theoretische Konzepte und methodologisch-analyti- sche Paradigma, und verfolgen nun, zumindest weitestgehend, eine gemeinsame Forschungsagenda (Blommaert2005:9).14 Da nichtnur Sprachgrenzen, sondern

14 Eine Diskussionder historischen Entwicklungbeider Disziplinen,der disziplinären Grenzen und Übereinstimmungen in der Forschungsagenda bieten u.a. die Beiträge vonBucholtz

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 50 Theoretischer Rahmen auch Grenzen zwischen wissenschaftlichen Disziplinen ideologischer Natur sind (Gal und Irvine 1995;Woolard 2008),giltesfürmich in der Rolle der Forschenden, meine eigene epistemologische Positionierung und disziplinäre Grenzziehung zu reflektieren und offenzulegen. Fürdie disziplinäre Einord- nung der vorliegenden Dissertation wieauch die meiner Person in der Rolle der Forschenden sehe ich voneiner klaren disziplinärenTrennung ab (Heller 2008b). Vielmehr möchte ich meine epistemologische Orientierung interdiszi- plinärander Schnittstelle der kritischen Soziolinguistik, der linguistischen Anthropologie und der Diskursforschung verankern, mit dem Anspruch, durch eine historio-ethnographische Analyse der Verhältnisse gesellschaftlicher Pro- zesse und sprachlicher Phänomene zur kritischen Sozialtheorie beitragen zu können (Heller 2002). Gemäss Dell Hymes, Vertreter der Soziolinguistik als auch der linguistischen Anthropologie, bestehtdas ursprüngliche Anliegen der So- ziolinguistik darin, ein komplexes Verständnis der (Re-)Produktionvon sozia- len Ungleichheiten unter SprecherInnenzugenerieren (Hymes 1974).Die (U.S- amerikanische) linguistische Anthropologie untersuchtdie Zusammenhänge zwischen Sprache und Kultursowie zwischen Sprache und gesellschaftlicher Wirklichkeit. Ihr Anliegen ist es, Sprache als kulturelle Praxis zu erfassen, »die unser Denken und unseren Zugang zur Welt bestimmt und damit auch die Art und Weise,wie wirdie Welt konstruieren« (Holzer 2005:2). Die linguistische Anthropologie untersuchtindiesem Zusammenhang die Vorstellungen (Ideo- logien), welche in der Gesellschaftvon einer Sprache/einem Sprachstil und ihrer SprecherInnen vorherrschen und sich in Diskurs und Praxis äussern (Hermanns 2012). Ziel beider Disziplinen ist es also,die Quellen und Konse- quenzenvon Ungleichheiten im Zusammenhang mit sprachlicherDiversitätzu identifizieren (Johnstone und Marcellino 2010). Sprache bzw.Sprachpraktiken verstehe ich dabei als soziale Praxis, welche »mit Machtprozessen, Prozessen der In- und Exklusionsowie Wirtschaftsprozessen verbunden«(DuchÞne und Piller 2011:139) ist. Diese Prozesse gehenmit Praktiken der Kategorisierung,der Differenzierung,der Grenzziehung,der (De-)Valorisierung und der Selektion einher,welche die Gesellschaftsordnung und soziale (Un)gleichheiten (re)pro- duzieren (Gal 1989;Gal und Irvine 1995;Heller 2001;Irvine 1989;Irvine und Gal 2000;Jones 2009). Um die Rolle vonSprache beider Formung sozialer Kategorien und Beziehungen zu untersuchen, müssen zugrunde liegende po- litökonomische Bedingungen und (Sprach-)Ideologien berücksichtigt werden (Gal 1989;Heller 2010b;Irvine 1989). Daher stütze ich mich beidieser Unter- suchung der wirtschaftlichen Nutzung der Zweisprachigkeit in der Touris- musindustrieinMurten und der damit einhergehenden sprachlichen Legiti-

und Hall, Gumperz und Cook-Gumperz, Heller und Woolard (2008) im Special Issue des Journal of Sociolinguistics 12/04.

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5.1 Politische Ökonomie von Sprache

Im Jahr 1989 publizierten Susan Gal mit »The Political Economy of Language« und Judith Irvine mit »When Talk isn’t Cheap:Language and Political Economy« zwei fürdie heutige soziolinguistische und linguistisch-anthropologische For- schungsagenda wegweisende Artikel. Ausgehend vonder Erkenntnis, dass Sprache verschiedeneFunktionen innehat und somit komplexe Verbindungen zur materiellen (Wirtschafts-)Welt15 aufweist, hinterfragen die beiden linguis- tischen Anthropologinnen die Bewertung unterschiedlicher sprachlicher Prak- tikeninnerhalb bestimmter wirtschaftlicher,politischer und kultureller Syste- me. Sie argumentieren, dass die Variation vonSprache bzw.Sprachpraktiken, ihre Funktion(en), ihre Bewertung sowiedamit verbundene Differenzierungen vonund Ungleichheiten zwischen SprecherInnen Teil bzw.Ergebnis einer vor- herrschenden politischen Ökonomie sind. In ihren Artikeln rufen sie dazu auf, die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Sprache und Gesellschaft sowiezwischen Sprache und Kultur auch in Verbindungmit der Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Sprache und Wirtschaftsowie Sprache und Politik zu setzen;imSinne der Untersuchung der politischen Ökonomie von Sprache (Gal 1989, Irvine 1989). Der Begriff der politischen Ökonomie (political economy) kann je nach Kontext oder Disziplin verschiedene Bedeutungenhaben, wobei sich Gal und Irvine am (neo)marxistischen Verständnis des Konzepts inspirierten. In Marx’ Verständnis dientdas Konzept der politischen Ökonomie dazu, die Produk- tion, die Verteilung und den Konsum materieller Ressourcen innerhalb eines bestimmten Marktsystems in einer bestimmten Gesellschaftzubeschreiben und zu erklären (1859). Diese Sichtweise aufdas Konzept der politischen Ökonomie wird vonder Soziolinguistik bzw.der linguistischen Anthropologie aufgegriffen, um die Verteilung vonsymbolischen Ressourcen wieMachtund Legitimitätin der Gesellschaft, aber auch vonfinanziellen Ressourcen im Zusammenhang mit Sprache zu beschreiben (Bucholtz 2006;Friedrich 1989;Irvine 1989;McElhinny 2016). Das theoretische Konzept der politischen Ökonomie erlaubt dement- sprechend, den politisch-wirtschaftlichen Kontext zu untersuchen, innerhalb dessen bestimmtenSprachen/Sprachpraktiken und ihren SprecherInnen ein bestimmter Wert zugeschrieben wird. Die Soziolinguistik bzw.die linguistische

15 Siehe auch Cavanaugh und Shankar (2017) zur Beziehung vonSprache und Materialität.

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Anthropologie interessiertsich also dafür, unter welchen politökonomischen Bedingungen Sprache zur Ressource werden kann und in anderematerielle bzw. symbolische Ressourcen getauschtbzw.umgewandeltwerden kann (Heller 2010a, 2010b;Heller und DuchÞne 2016). Insofernzielt die soziolinguistische bzw.linguistisch-anthropologische Untersuchung der politischen Ökonomie vonSprache aufein besseresVerständnis vonsozialen, politischen und wirt- schaftlichen Regulierungsmechanismen ab,die unterschiedlichen »Katego- rien« vonSprecherInnen den Zugangzumateriellen Ressourcen (beispielsweise durch die TeilhabeamArbeitsmarkt) und zu symbolischen Ressourcen (bei- spielsweiseinForm vonWertschätzung,Anerkennung,Macht) zu einem be- stimmten Zeitpunktaneinem bestimmten Orteröffnen oder verwehren (Del Percio,Flubacher und DuchÞne 2016). Anders formuliertist also die unter- schiedliche Bewertung vonverschiedenen Sprachen/Varietäten und ihren SprecherInnen und somit auch deren Wettbewerbsfähigkeit immer in einen bestimmten sozialen, kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Kontext eingebunden (embedded), welcher von(nicht)staatlichen AkteurInnen und Marktmechanismen kontrolliertund reguliertwird. Als politökonomische Be- dingungen können dabei alle Prozesse zusammengefasst werden, welche die Wertbestimmung sprachlicher Ressourcen als gleich ihre Produktion, ihre Zirkulation und ihren Konsum an einem gegebenen Ortzueinem spezifischen Zeitpunktregulieren (ebd.).

5.2 Sprachliche Legitimität

Einen wichtigen und häufig zitierten Beitrag zur Untersuchung der politischen Ökonomie vonSprache leistete der französischeSoziologe Pierre Bourdieu mit verschiedenen Theorien zur Reproduktion gesellschaftlicher Klassenver- hältnisse und sozialer Ungleichheiten –auch wenn er selbst den Begriff der politischen Ökonomie dabei nichtgebrauchte. Darunter u.a. seine Theorien zum sprachlichenKapital und zum sprachlichen Markt (Bourdieu 1975, 1977, 1982;Bourdieu und Boltanski 1975).Diese Theorien gründen 1) aufder An- nahme der sozialen Bedingtheit der Legitimitätbestimmter Sprachen bzw. Sprachpraktiken und 2) aufder Idee, dass Sprachen bzw.Sprachkompetenzen unter bestimmten Bedingungen aufeinem gegebenen Markt zur Ressource werden können. Bourdieu (1987) gehtdavon aus, dass jedes Individuum in Abhängigkeit seiner sozialen Herkunft, während der Sozialisierungsphase den sogenannten Habitus entwickelt. Unter Habitus verstehtBourdieu ein verinnerlichtes, ge- sellschaftsspezifisches Regelsystem an Denk-,Wahrnehmungs- und Hand- lungsschemata, welches dafürverantwortlich ist, wiedas Individuuminden

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Epistemologische Positionierung, ontologische Annahmen und Rahmenkonzepte 53 unterschiedlichstenSituationen reagiert. Der Habitus drückt sich durch den Lebensstil, den Geschmack einer Person, aber eben auch durch ihre Sprache (sprachlicher Habitus) aus(ebd. 1982). Die GesellschaftverstehtBourdieu als mehrdimensional und in verschiedene Bereiche, sogenannte Felder (z.B. die Politik, die Wirtschaft, die Kunst, die Wissenschaft), unterteilt, vondenen jedes Feldganz eigene Regeln beinhaltet. Jedes Individuumgehört mehreren sol- cher Felder an und strebt innerhalb dieser Felder nach Machtund Anerkennung. Der Machtkampf ist jedoch abhängig vonden Ressourcen (Kapital), die den Individuen jeweils zur Verfügung stehen. Bourdieu unterscheidet verschiedene Kapitalformen, nämlich ökonomisches (z.B. Besitztümer,Geld), kulturelles (z.B. Bildung), soziales (sozialeBeziehungen und Netzwerke) und symbolisches Kapital (Prestigeund Machtinder Gesellschaft), welches unter den Angehöri- gen der verschiedenen sozialen Klassen ungleich verteilt ist (1979,1980). Die verschiedenen Kapitalarten können akkumuliert, reproduziert, ineinander umgewandelt,aberletztendlich vor allem in symbolisches Kapital umgewandelt werden. Im gesellschaftlichen Machtkampf versuchendie Individuen ihr per- sönliches Kapital so einzusetzen, um sich möglichst gut in der Gesellschaftzu platzieren. Laut Bourdieu spielt Sprache in diesem Machtkampf eine ganz zen- trale Rolle. So gehtBourdieu vonder Gegebenheit eines sprachlichen Marktes aus, innerhalb dessen verschiedene Sprachen/Varietäten bzw.Sprachstile einen unterschiedlichensymbolischen und materiellen Wert innehaben und nur be- stimmte Idiome als legitime, autorisierte Sprachpraktiken gelten (1975,1977; Bourdieu und Boltanski 1975). Der sprachliche Markt ist in einem bestimmten historischen, sozialen und politökonomischen Kontext verankert, in dem spe- zifische Produktionsverhältnisse und eine bestimmte Ressourcenverteilung herrschen. Die Kompetenz, sich in der autorisierten, legitimen Sprachform auszudrücken, wird als sprachliches Kapitalbetrachtet. Das sprachliche Kapital stellt eine besondereFormdes kulturellen Kapitals dar (Bourdieu 1977:22). Nichtnur dassprachliche Kapital, sondern auch die Möglichkeit, es zu erwer- ben, ist unter den SprecherInnenauf einem gegebenen Markt ungleich verteilt, d.h. nichtjede(r) beherrschtdie anerkannte Sprache/Sprachform. Die Termi- nologie des sprachlichenKapitals beinhaltet also eine soziale Dynamik:Dem- nach gibt es Individuen, die die Kompetenz besitzen, sich in der legitimen Form auszudrücken und Individuen, die dies anerkennen. MartìnRojo (2013) spricht im Zusammenhang des Zugeständnisses der Legitimitäteiner Sprecherin/eines Sprechers bzw.einer Sprachpraktik durch eine Autoritätsinstanz vonKapitali- sierung,während sie die Aberkennung der Legitimitätals Dekapitalisierung bezeichnet. Ausschlaggebend fürdie (Re-)Produktion vongesellschaftlichen Machtverhältnissen und Ungleichheiten ist laut Bourdieu gerade diese Dialektik vonKenntnis und Anerkenntnis der legitimen Sprache bzw.von Kapitalisierung und Dekapitalisierung (Bourdieu 1977;Fürstenau2004). In dieser Hinsicht

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 54 Theoretischer Rahmen bemerkt Bucholtz, dass die wirtschaftlicheAnalogie vonBourdieus Theorie des sprachlichenMarktes nichtrein metaphorisch zu verstehenist:»power in the linguistic marketplace tendstoextend to power in the economic marketplace as well« (2006:493). Dies hängtu.a.damit zusammen, dass das Beherrschen der legitimen Sprache häufig überden Zugang zu und den Erfolg im Bildungswesen und aufdem Arbeitsmarkt, und somit auch überden Zugang zu materiellen und symbolischen Ressourcen bzw. überdie Umwandlungsmöglichkeiten des sprachlichenKapitals in andereKapitalarten entscheidet:

»Bourdieu’s theory suggests thatlinguistic practicesare aformofcapital –symbolic capital –thatisaconstitutivepart of political economy, convertible to economic and social capital […].The value of alinguistic variety,its standingina›linguistic market,‹ depends on its abilitytogiveaccess to desired positions in the labor market, which ability derives, in turn, largely from its legitimation by formal institutions such as aschool system supportedbythe state.« (Gal1989:353) Bourdieu führtaus, dass Machtauch die Macht überdie soziale Realitätskon- struktion bedeutet:»Symbolic power is apower of constructing reality […]« (1991:166). Die Frage der legitimen Sprecherin bzw.des legitimen Sprechers ist dementsprechend auch mit (ontologischen) Fragen der (symbolischen) Macht, der Realitätskonstruktion und Wissensproduktion verbunden. Bourdieu führt diesen Machtbegriff durch Sprache weiter ausund erklärt damit ungleichmäs- sige Ressourcenverteilung und die (Re)produktion sozialer Ungleichheiten. MehrereSoziolinguistInnen und linguistische AnthropologInnen kritisierten Bourdieus Theorie vom sprachlichen Markt dahingehend, dass sie nichtahis- torisch sei und sich nur aufeinen stabilen und einheitlichen Markt –ebenauf sein französisches Beispiel –beziehen würde, jedoch nichtfürdie Untersuchung der komplexen Situation des Spätkapitalismus oder des Postkolonialismus ge- eignet sei (DuchÞne undHeller 2012b,Haeri 1997;Stroud2002;Swigart2001; Woolard 1985).Sein Rahmenkonzeptlasse keinen Spielraum, falls sich die so- zialen, politischen und ökonomischen Bedingungen des sprachlichen Marktes widersprüchlich zueinander verhalten oder sich gar ein Machtwechsel und eine Veränderung der Anerkennung der legitimen Sprachformabzeichnen.Swigart, der eine alternative Form vonsprachlicher Legitimitätimmehrsprachigen Setting des postkolonialen Senegals analysierte, befindet Bourdieus Rahmenals:

»[…] arough and readyway of gauging the role of standard versus nonstandardor official versus unofficial languages in multilingual societies, but it does not allow for much subtlety or flexibility in its definition of language ›legitimacy‹.« (2001:91) Trotz der Kritik an Bourdieus theoretischem Rahmen, werden seine Konzepte jedoch selbst vonden sie kritisierendenAutorInnen zur Untersuchung von Legitimitätskonstruktionen hinzugezogen, allerdings zusammen mit einem weiteren Konzeptals Interpretationsbasis:dem Konzept der Sprachideologien.

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Epistemologische Positionierung, ontologische Annahmen und Rahmenkonzepte 55

Dies erklärenDuchÞne und Heller dadurch, dass Bourdieus Theorie vor allem als Einladung verstanden werden muss, soziale Wertesysteme zu hinterfragen, innerhalb derer bestimmte sprachliche Praktiken entweder fürlegitim und wertvoll oder fürillegitim und wertlos angesehen werden, die kapitalisiertoder dekapitalisiertwerden können (2012b:372).

5.3 Sprachideologien

Der Begriff der (Sprach-)Ideologie, der hier eingeführtwird,ist abzugrenzen vondem (im Deutschen) alltagssprachlich gebrauchten und negativ konno- tierten Begriff der Ideologie (Bendel Larcher 2015:216). Unter ›Ideologie‹ kann allgemeineine Weltanschauung,also »die Summe der Annahmen, mit deren Hilfe die Mitglieder eines Kollektivssoziale Wirklichkeit konstruieren« (Spitz- müller 2005:254) umschrieben werden. BeiSprachideologien handelt es sich hingegen um diskursiveKonstruktionen vonSprache(n)und ihren Spreche- rInnen, also Überzeugungen bezüglich Sprache(n), Sprachpraktiken und ihren SprecherInnen, die innerhalb einer sozialen Gruppe kollektiv geteiltwerden (Berger und Luckmann 1967). Silverstein verstehtdiese kollektiven Annahmen als »common sense«und definiertSprachideologien als »anysets of beliefs about language articulated by the users as arationalization or justification of perceived language structure and use«(1979:193). Sprachideologien sind insofern als sprachbezogene Wert-und Normvorstellungen zu verstehen, die das sprachliche Verhalten eines Individuums, aber auch einer Gesellschaftmassgeblich prägen. Sprachideologien beziehen sich nämlich nichtnur aufSprache. Sie verbinden Vorstellungen vonSprache(n) mit Vorstellungen vonder sozialen Identitätvon SprecherInnen oder Sprechergruppen (Woolard und Schieffelin 1994) und fungieren im Hinblick aufderen Sprachzugehörigkeit, Sprachkompetenz und Sprachgebrauch wertend, rationalisierend und legitimierend (Flubacher 2014; Kroskrity2000;Silverstein 1979). Demzufolge bestehtdas Ziel der Sprach- ideologieforschung darin,zuuntersuchen, »wie sprachliche Variabilitätge- deutet und mit sozialer Bedeutung versehen [wird],indem sie mit Menschen, sozialen Gruppen oder Aktivitäten in Verbindung gebracht« wird (Androutso- poulos 2007:122). Sprachideologien äussern sich entweder bewusst reflektiertinexpliziten Aussagen oderimplizitund unbewusst im Sprachgebrauch. Bei derAnalyse von Sprachideologien müssen somitnicht nurmetasprachliche Äusserungen, son- dern auch metapragmatischeSignale unddie ihnen zugrundeliegenden impli- zitenRegelnuntersuchtwerden (Dorostkar 2014:33).Demzufolgeist Sprachwahl, Code-Switchingund Mixing ideologischbegründet und»nieunbedeutend oder willkürlich« (DuchÞne undPiller2011:16). Irvine undGal (2000) identifizieren

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 56 Theoretischer Rahmen drei semiotische Prozesse,die alsanalytischerRahmenbei derUntersuchung von Sprachideologien insAugegefasst werden müssen:1)Ikonisierung (iconization), 2) fraktale Rekursivität(fractalrecursivity)und 3) Löschung (erasure). Durch die IkonisierungwerdenbestimmteSprechformen bzw. sprachlicheMerkmalemit einembestimmten sozialen Kontextverbunden,d.h.sie werden zu sprachlichen Markern(Ikonen)fürdie ZugehörigkeitihrerSprecherInnenzueinerspezifischen sozialen Gruppemit bestimmten Charakteristika. Durchden Prozessder frak- talenRekursivitätwirddanndiese Opposition, die alszwischenverschiedenen Sprechformenbestehend konstruiert wird,auf diesoziale Ebene zwischen zwei sozialeGruppen projiziert.16 In derdritten PhasewerdenschliesslichallePhä- nomene ausgeblendet bzw. heruntergespielt,welchenicht dieser Verbindung zwischen bestimmten Sprechformen und demsozialenKontext derSprecherIn- nenentsprechen.Diesführt zu einerverallgemeinerndenStereotypisierungder Sprachformen alsauchder sozialen Gruppenund lässtdiese alseinheitlicheEn- titätenerscheinen. Wieanhand der Erläuterung der einzelnen semiotischen Prozesse bereits deutlich geworden ist, liegtdem Konzept der Sprachideologien eine bestimmte epistemologische Sichtweise aufSprache zugrunde:Die Existenz und Abgren- zung vonSprachen wird als diskursiver Prozess und soziale Praxis anstatt als etablierte Entitätbegriffen (Woolard und Schieffelin 1994). Wenn die Auffassung vondem, was eine Sprache ist oder nichtist und wiedie Grenzen dieser Sprache zu verorten sind, ideologisch begründet und diskursiv ausgehandelt wird (Gal und Woolard 2001;Makoni u.a. 2007), gilt dies ebenfalls fürdie Auffassung von dem was als legitime Sprache bzw.wer als legitime(r) SprecherIn angesehen wird (Pietikäinen und Kelly-Holmes 2013:7–9). Die Grenze(n) zwischen Sprachen und Varietäten müssen in dieser Hinsichtals ideologische Konstrukte analysiert werden, die sich im Diskurs, in der Sprachwahl und im sprachlichen Verhalten manifestieren (Blommaert2016:4). Zuckermann postulierthinsichtlich der Entstehung und Funktion vonIdeologien folgendes:

»Ideologie liegt[…] ein Allgemeines zugrunde:sie ergibt sich auskomplexen Dis- kurspraktiken, die ihrerseits vonimWerden begriffenen oder bereits bestehenden Macht-, Herrschafts- und Gewaltstrukturen ökonomischer,politischer oder auch kultureller Natur herrühren.« (1999:23) Sprachliche Legitimitätist demnachein dynamisches,ideologisches Konstrukt, welche sich im Diskurs manifestiertund ausgehandelt wird.Das Konzept der Sprachideologien erlaubt es, zu verstehen, wiedie Annahme,Akzeptanz und Glaubwürdigkeit der Legitimitäteiner Sprache bzw.ihrer SprecherInnen und

16 Zur Veranschaulichung führtAndroutsopoulos (2007) hier als Beispiel die konstruierte Opposition zwischen der Standardsprache und Ethnolekten sowiederen Übertragung auf die soziale Ebene zwischen MuttersprachlerInnenund MigrantInnen an.

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Epistemologische Positionierung, ontologische Annahmen und Rahmenkonzepte 57 deren (Ab-)Wertung vonspeziellen ideologischen Vorstellungen vonSprache geleitet werden (Blommaert 2016). Während Bourdieus Theorie vomsprachli- chen Markt vondiversen WissenschaftlerInnen als unzureichend fürdie Er- klärung vonLegitimitätskonstruktionen unter bestimmten Bedingungen kriti- siertwurde und viele Forschende deshalb als Interpretationsbasis zusätzlich das Konzept der Sprachideologien hinzuziehen, argumentiertBlackledge wiederum, dass Bourdieus Konzepte der Schlüssel zum Verständnis vonSprachideologien seien: »[…]Bourdieu’s metaphor of the linguistic market is fundamental to the investigation of linguistic practices and ideologies, and is of particular value in understanding the ways in which access to resources is negotiated in multilingual settings.«(2011:130f.) Meines Erachtens sind beide Konzepte miteinanderverbunden, komplemen- tärund müssen beider Untersuchung vonLegitimitätskonstruktionen ge- meinsam herangezogen werden. Als Interpretationsbasis meiner Untersuchung der diskursiven Legitimitätskonstruktion durch die Brille des Tourismusdienen also folglich alle drei soeben präsentierten Konzepte, zusammen mit dem ana- lytischen Konzeptdes Diskurses, aufdas ich in Kapitel III.4.1 noch genauer eingehen werde.

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 III. Forschungsterrain und Methodologie

1. Forschungsterrain:Die zweisprachige Destination Murten an der deutsch-französischen Sprachgrenze

Der Untersuchungsfokus der vorliegenden Arbeit liegtauf der Tourismusin- dustrie in der zweisprachigen Schweizer Stadt Murten (auf Französisch ›Morat‹). BeiMurten handelt es sich um eine kleine, mittelalterlicheStadt, die sich am Ufer des Murtensees und aufder intranationalen (schweizer)deutsch-französischen Sprachgrenze im Seebezirk des zweisprachigen KantonsFreiburg (auf Franzö- sisch ›Fribourg‹) befindet (Abb.1).

Abb. 1: Karte»Verbreitung der vier Landessprachen in der Schweiz (2000)«, Marco Zanoli (2006)17

17 Diese durchaus übliche Artder Darstellung der Sprachgrenzen sowieder verschiedenen

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 60 Forschungsterrain und Methodologie

Die offiziellvielsprachige Schweiz erkenntvier Landes-und Amtssprachen an: Deutsch, Französisch,Italienisch und Rätoromanisch. Diese Vielsprachigkeit wird sprachenpolitisch überdas sogenannte Territorialitätsprinzip organisiert, gemäss welchem in den Sprachgebieten der jeweiligen Landessprache (siehe Abb. 1) jeweils auch nurdiese als (Amts-)Sprache fürden Umgang mit Behör- den, öffentlichen Dienstleistenden und dem Bildungswesen anerkanntist bzw. beanspruchtwerden kann. Bis aufwenige zweisprachige Gebiete, welche Aus- nahmen darstellen, ist das Schweizer Territorium aufdiese Weise durch relativ stabile Sprachgrenzen aufgeteilt. Murten befindet sichzwar in einem dieser zweisprachigen Gebiete,die Gemeinde ist jedoch offiziell deutschsprachig und verwendet deshalb als Amtssprache nur Deutsch. Viele Wirtschaftsunterneh- men und Kulturinstitutionen agieren dennoch zweisprachig. Ein weiteres Merkmal der lokalen sprachlichen Situation in Murten ist die fürdie Deutschschweiz charakteristische Diglossiesituation:Die lokale Varietät des Schweizerdeutschen18 wird hauptsächlich fürdie mündlicheKommunika- tion verwendet, während Hochdeutsch im schriftlichen Kontext oder in for- malen Situationen zum Einsatz kommt (u.a. auch als Unterrichtssprache in der Schule). Murtens Zweisprachigkeit bedeutet nicht, dass auch die Mehrheit der Bevölkerung alle drei Idiome(Französisch, Schweizerdeutsch und Hoch- deutsch) beherrschtbzw.auf dem gleichenNiveaubeherrscht. Die Situation kann vielmehrals eine Koexistenz vonSprecherInnendes Schweizerdeutschen und des Französischen beschrieben werden, die in den meisten Fällen unter- schiedlich gute Kompetenzen in den jeweils anderen Idiomen aufweisen. Dies ist u.a. auch durch das lokale Schulsystem zu erklären. In Murten gibt es eine deutschsprachige Schule und eine französischsprachige Schule, die –obwohl im selben Gebäude angesiedelt –getrenntfunktionieren19.Die SchülerInnen müs- sen sich zu Beginn ihrer Schullaufbahn füreine der beiden Schulsprachen ent- scheiden, in der dann der Unterrichtabgehalten wird.Sie erlernen zusätzlich die

Sprachgebiete aufder obenstehenden Karte ist selbstverständlich eine homogenisierte Form, die Grenzen jedochinWirklichkeit keine klare Trennlinien zwischen den Sprachge- bieten. Die Karte soll nureine ungefähre Vorstellung vonder Sprachensituation in der Schweiz und vonMurtens geographischer Lage ermöglichen.Die Artder Darstellung kann jedoch weder der Mehrsprachigkeit noch der Mobilitätder Bevölkerung Rechnung tragen. 18 Das in Murten gesprochene Schweizerdeutsch ist eine Varietätdes Berndeutschen und nicht des freiburgerischen Senslerdeutsch. 19 Die SchülerInnenkönnen in Murten nur die Primarschule und die Orientierungsschule besuchen, fürden Besuch einer weiterführenden Schule müssen sie aufdas Schulangebot im Umland zurückgreifen, welches ebenfalls entwederauf Deutsch oder aufFranzösisch ge- staltet ist. In der Primar-und Sekundarschule gibt es kein durchgehend zweisprachiges Bildungsangebot. Undselbst im tertiären Bildungsbereich kannman wählen, ob man das Studium (beispielsweiseander Pädagogischen Hochschule Freiburg, der UniversitätFrei- burg oder an der Westschweiz HES-SO) entweder aufFranzösisch bzw.auf Deutsch oder aberzweisprachig absolvieren möchte.

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Forschungsterrain:Die zweisprachige Destination Murten 61 jeweils andere Sprache (allerdings nurdie Standardvarietäten) und Englisch als Fremdsprache. Aufgrund der Tatsache, dass Frankophone in der Schule die hochdeutsche Varietäterlernen, haben sie häufig Schwierigkeiten, die Varietäten des Schweizerdeutschen zu verstehen. Laut den statistischen Angaben ist von den rund 8100 EinwohnerInnenMurtens eine Mehrheit von83% (schwei- zer)deutschsprachig und nureine Minderheit vonca. 15 %französischsprachig. Der restliche Anteil der lokal gesprochenen Sprachen setzt sichmehrheitlich aus Migrantensprachen zusammen,die jedoch –bis aufdas Italienische mit (2 %) – in offiziellen Statistiken nichtweiter spezifiziertsind.20 Murtens sprachliche Situation wird häufig als Minderheit (deutschspra- chig im mehrheitlich französischsprachigen Kanton Fribourg) in der Minder- heit (Französisch in der mehrheitlich deutschsprachigen Schweiz)beschrieben. Undtatsächlich bringtdie Sprachenfrage in Murten nichtselten (politische) Spannungen mit sich. Die Sprachgrenze ist jedoch nichtdie einzige Grenze, welche der Stadt als Besonderheit nachgesagtwird. So nimmt das Städtchen auch auskonfessioneller und politischer Perspektiveeinen Sonderstatus im Kanton bzw.dem Umland ein. Murtens Bevölkerung ist mehrheitlich protes- tantisch (44,5 %Reformierte im Vergleich zu 25 %Katholiken, 14,5 %mit an- deren Konfessionen und 16 %Konfessionslose)21,während der Kanton Freiburg mehrheitlich katholisch ist. Vonder politischen Gesinnung her sind in Murten und im umliegenden Seebezirk die Liberalen (FDP) als stärkste Partei zu nen- nen, während im Kanton Freiburg die christlich-demokratische Volkspartei (CVP) vorherrschend ist. Sprachlich,konfessionell wieauch politisch wird Murten deshalb häufig als zur Nachbar-und Hauptstadt Bern hingewandt be- schrieben, was u.a. auch historische Gründe hat, die im folgenden Kapitel zu Murtens Geschichte und ihrer Zweisprachigkeit genauer erläutertwerden.

1.1 Die Geschichte der Stadt Murten und ihrer Zweisprachigkeit (6.–20. Jhd.)

Befasst man sich mit der Geschichte22 Murtens, wird schnell klar,dass die Zweisprachigkeit der Stadt und der Region um Murten historisch begründet und

20 Stand 01.01.2016;Quelle:Stadtverwaltung Murten http://www.murten-morat.ch/de/por trait/zahlenundfakten/ zahlenfakten/ (Abrufdatum:08.04.2016). 21 Stand 01.01.2016;Quelle:Stadtverwaltung Murten http://www.murten-morat.ch/de/por trait/zahlenundfakten/ zahlenfakten/(Abrufdatum:08.04.2016). 22 Geschichte fasse ich als Konstrukt auf. Mein Anliegen, in diesem Kapitel die Geschichte Murtens nachzuerzählen,bedeutet also,sie gemäss der Literatur,die ich zur lokalen Ge- schichte gefunden habe,zurekonstruieren.Dadie Auswahl(oder Tabuisierung), Darstellung und Interpretation historischer Ereignisse je nach Perspektive, Zugehörigkeitsgefühl oder

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 62 Forschungsterrain und Methodologie verankertist. So kam die Bevölkerung des ursprünglich gallo-romanischen Sprachgebiets bereits im 6. Jahrhundertmit dem Eindringen der germanischen Stämme, den Alemannen,inKontakt mit der deutschen Sprache. Die Region beherbergte fortan, bedingtdurch ständigen Herrschaftswechsel, SprecherIn- nen der beiden Sprachen (Rubli und Stucki 2002:52f.). Burgundersiedlung: HistorischeDokumente belegen, dass vor der Gründung Murtens an ihrem heutigen Standortbereits eine Burgundersiedlung zu finden war,die jedoch um 1033 vonTruppen des deutschen Kaisers Konrad II. zerstört wurde (Blum und Grosjean 1965).Wie lange diese Siedlung dortbereits bestand ist unklar,daessichbei dem Dokument, das die Siedlung aufdas 5. Jahrhundert n.Chr.datiert, um eine Fälschung handelt (Rubli und Stucki 2002). Zähringerstadt: Die Stadt Murten wurde schliesslich in ihrer heutigen Form um 1170 vonder südbadischen,deutschsprachigen Herzogsfamilie der Zäh- ringer unter Berchtold IV.gegründet, welche sowohl die Gründer der Schweizer Städte Bern,Burgdorf, Freiburg im Üechtland (auf Französisch Fribourg)23, Rheinfelden und Thun als auch der deutschen Städte Bräunlingen, Freiburg im Breisgau, Neuenburg am Rhein, St. Peter im Schwarzwald, Villingen-Schwen- ningen und Weilheim an der Teck sind24.Typisch fürden topographischen Grundriss der Zähringerstädte sind zwei sich rechtwinklig kreuzende Strassen, welche die Innenstadt in vier Quartieremit starker Parzellierung teilen.Anstelle eines zentralen Platzes fungiertdie Marktgasse als Hauptachse (Divorne 1981, 1993). Mit der Zähringerherrschafterhielt Murten, nebst diesem charakteristi-

Abgrenzungsabsichtder/des Erzählendenvariieren kann, gilt es zu reflektieren, auswel- cher Perspektiveund vonwem die hier rekonstruierte Geschichte stammt. Der grösste Teil der Literatur zu Murtens Geschichte, aufdie ich mich stütze und aufwelche ich in Kapi- tel III.3.1.4 noch genauer eingehen werde,wurde vonlokalstämmigen, überwiegend männlichen und studierten (Autoritäts-)Personen (Historiker,Humangeographen, Stadt- archivare, Lehrer,Mediziner,Politiker oder Journalisten, häufig in Zusammenarbeit mit Fotografen) geschrieben. Die Texte sind aufDeutsch, Französisch, teilweiseauch in beiden Sprachen verfasst und spiegeln deutliche Positionierungen im Hinblick aufdie Zugehörig- keit bzw.Abgrenzungvon anderen Städten, Herrschaftenusw.wider.Doch nichtnur in der Literatur herrscht(e) die männliche Perspektivevor.Die Rolle der ersten Fremdenführer in Murten übernahmen ebenfalls die o.g. Personen. Erst in jüngererZeit führen auch Stadt- führerinnen durch den Ort, die sich jedoch ggf. auch an der männlich geprägten Literatur zur lokalen Geschichte orientieren. Neuerzählt nun abereine Stadtführung mit dem Titel »Donna Moratum«die Geschichte der Frauen in Murten und versuchtso, einen weiblichen Blick aufdie lokale Geschichte zu werfen. 23 Um Verwechslungen hinsichtlich des deutschen und des schweizerischen Freiburgs vorzu- beugen,werde ich in Textpassagen, in denen nichtklar ist, um welches Freiburg es sich handelt, die Zusätze i.Br.(im Breisgau)fürdas deutsche und i.Ü.(im Üechtland)fürdas schweizerische Freiburg hinzufügen. 24 Quelle:Zähringerstädte:http://www.zaehringerstaedte.eu/pb/,Lde/265938.html(Abrufda- tum 23.03.2016).

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Forschungsterrain:Die zweisprachige Destination Murten 63 schen Stadtbild, ein Stadtrechtund somit ein eigenes Gesetz- und Rechtssystem, welches das Zusammenleben der damaligen Bevölkerung regelte. Freie Reichsstadt unter Savoyer und Habsburger Herrschaft: Nach dem Aussterben des Zähringergeschlechts 1218 unterstanden Murten wieauch Bern und Freiburg i.Ü.unmittelbar dem deutschen Kaiser Friedrich II. und wur- den zu reichsfreien Städten erklärt.DaReichsstädteselbst fürihren Schutz aufkommen mussten, wurde Murten mit der heutenochgut erhaltenenRing- mauer befestigt. 1245 schlossMurten zudem mit der Nachbarstadt Freiburg einen Schutzpakt ab,mit dem sich die beiden Städte im Falle eines Angriffs gegenseitige Hilfe versprachen. Die damaligen Zeiten waren vonUnruhen und kriegerischen Auseinandersetzungen gekennzeichnet. 1250 starb schliesslich der Kaiser und eine kaiserlose Zeit (Interregnum) folgte. Diese Schwachstelle nutzte Graf Peter vonSavoyen, der 1255 die (Schutz-)Herrschaft überMurten übernahm und mit dem Baudes Murtner Schlosses begann. In Bern und Frei- burg herrschte zu dieser Zeit König Rudolf vonHabsburg.Murten gelangte 1283 ebenfalls kurz in Habsburger Hände, wurde aber kurze Zeit später vonden Savoyern zurückerobertund blieb bis zu Beginn des Burgunderkrieges in deren Besitz. Unter den Savoyern war die Amtssprache im Städtchen Frankoproven- zalisch, das Deutsche wurde jedoch nichtganz zurückgedrängt. Trotz der Sa- voyerSchirmherrschaftbegriff sich Murten stets weiterhin als freie Reichsstadt, konnte sich jedoch erst 1475 im Rahmenvon Streitigkeiten der Savoyer mit Bern und Freiburg endgültig vonderen Herrschaft befreien, da die beiden Städte den Savoyer Herrscher in Murten zur Kapitulation zwangen. Die Savoyische Herrschaft endete damit und Murten ging an die (Alte) Eidgenossenschaft über, die zu diesem Zeitpunkt ausden acht»alten Orten« Uri, Schwyz, Unterwalden, Luzern, Zürich, Zug,Bern, Glarus mit Solothurnund Biel als Verbündete be- stand (Rubli und Stucki 2002). Murtenschlachtund Reformation: Bereits in den Jahren zuvorhatten sich starkeKonfliktezwischen der Alten Eidgenossenschaft(unter dem Schutz des Habsburger Kaisers Friedrich III.) und dem Nachbarreich der Burgunder (in Allianz mit den HerzogtümernSavoyen und Mailand) aufgebraut. Die begin- nenden Burgunderkriege (1474–1477) führten schliesslich dazu, dass sich Murten bald vomburgundischen Heer belagertvorfand,welches unter der Führung vonKarl dem Kühnen, Herzog vonBurgund, gegen Bern in den Krieg zog.Zwölf Tage dauerte die Belagerung,die am 22. Juni 1476 mit der Murten- schlachtendete. Diese Schlacht, die sich damals vor den Stadttoren Murtens ereignete, stellte sich als ein fürdie Schweizer Geschichte überaus wichtiges Ereignis heraus, da sich hier die Unabhängigkeit der Eidgenossen entschied. Adrian vonBubenberg,der damalige Kommandant vonMurten, erhielt Unter- stützung vonden Eidgenossen, die zur Hilfe geeilt waren und konnte so mit einem Überraschungsangriff, entgegen aller Erwartungen, das eigentlich er-

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 64 Forschungsterrain und Methodologie folgsversprechende Unternehmen Karl des Kühnen zerschlagen. Der Murten- schlachtwird noch heute mit dem Murtenlauf (einem jährlich stattfindenden Halbmarathonvon Murten nach Freiburg) und dem Jugendfest ›Solennität‹ gedacht, und auch immer wieder in Ausstellungen, Kunstwerken, Stadtfüh- rungen oder Bühnenspektakeln thematisiert. Im Anschluss an die Murten- schlachtstand Murten fürmehr als dreihundertJahreunter der gemeinsamen Herrschaft der StädteBernund Freiburg.Indieser Zeit brachte Guillaume Farel vonBernher die Reformation nach Murten, die 1534 offiziellangenommen wurde und Murten damit auskonfessioneller Perspektivevon Freiburg ent- fernte. Zwar war Murten in militärischer Hinsichtweiterhin Freiburg zuzugs- pflichtig, die Kirche als auch die Schule unterstand jedoch nunder Leitung von Bern,was einen gewissen Rückgang des Französischen zugunsten des Deut- schen zur Folge hatte (ebd.). Helvetische Revolution: 1798 läutete der Einmarsch der Franzosen in das Eidgenössische Gebiet den Untergang der Alten Eidgenossenschaft(ancien rØ- gime)ein. Nach der französischen Revolutionsollte die alte Ordnung auch dort umgewandelt werden. Freiburg wurde hartbedrängt, Bern eilte zur Hilfe und wollte in Murten gegen die FranzosenWiderstand leisten, kapitulierte dann aber.Sogelangte Murten in die Hände der französischen Besatzung.Esfolgte die Umbildung der Schweiz zur vonFrankreich diktierten Helvetischen Repu- blik und die einstige Republik Freiburg wurde zum Kanton Freiburg.Inder folgenden Mediationszeit wurde Murten 1803, vermutlich aufRat des damaligen Murtner Landamanns Louis d’Affryhin, vom Konsul NapolØon Bonaparte dem Kanton Freiburg zugesprochen. Dies geschah gegen den Willen der Murtner Bevölkerung,die sich sprachlich und konfessionell, jedoch auch politisch eher Bern zugehörigfühlte. In der Folge lehnte sich Murten mehrmals vergeblich gegen seine Zugehörigkeit zu Freiburg auf(Flückiger 1971;Rubli und Stucki 2002). Industrialisierung im 19. Jahrhundert: Murtens Wirtschaftgründete sich im 19. Jahrhundertzunächst hauptsächlich aufLandwirtschaft(vorwiegend Ackerbau, Viehzucht, Fischerei, Weinkultur) und Handwerk. Die Stadt am See kämpfte zudem mit ihrer peripheren Stellung,dasie nicht, wieursprünglich diskutiert, mit einer Verbindungvon Genf überYverdon-Payerne-Murten- Laupen bis nach Konstanz an die neue Eisenbahnverbindung angegliedert wurde, sonderndiese vonBern überFreiburgnach Lausanne gelegtwurde (Bächler 2000:20). Die Entwicklung eines lokalen Eisenbahnnetzes (Broyetal- Eisenbahnlinie)bedeutete Abhilfe. In der Folge nahmdie Industrialisierung mit der Gründung einer Uhrenfabrik 1851 ihren Einzug.Ab1860 gab es ein regelmässig zwischen Neuenburg und Murten verkehrendes Dampfschiff. Die Juragewässerkorrektur von1868–1892 ermöglichte der Stadt schliesslich ihre Schifffahrtshandelsverbindungen aufdie drei Juraseen auszuweiten. Murten

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Forschungsterrain:Die zweisprachige Destination Murten 65 investiertedeshalb in einen neuen Hafen (Einweihung 1895). In diesen Zeitraum sind zudem erste touristische Entwicklungen zu datieren (Rubli 1992). Gleich- zeitig wurde durch die Juragewässerkorrektur auch die Landschaftumden See landwirtschaftlich nutzbar.Die fruchtbare Erdeder ehemaligen Sumpfland- schafterlaubte dem Seenland,sich zum heute bedeutendstenGemüseanbau- gebiet der Schweiz zu entwickeln. Wirtschaftsaufschwungim20. Jahrhundert: Nachdemdie wirtschaftliche EntwicklunginMurtenimVergleichzuanderen SchweizerStädten im 19.Jahr- hunderteher schleppend anlief und die Stadt am See bis zum 2. Weltkrieg nur eine regionalausgebaute Wirtschaftsstruktur aufweisen konnte, erfuhr sie in der Nachkriegszeit einen regelrechten Wirtschaftsaufschwung.Durch den Bauder Autobahnlinie A1 in den 1970er Jahren profitierte Murten endlich voneiner besserenAnbindung an die Nachbarstädte. Seitdem stiegen die Bevölkerungs- zahlen in Murten ständig an, wieaus der folgenden Tabelle (Tab.1)deutlich hervorgeht.25

JahrEinwohnerInnen 1900 2645 1910 2418 1930 2570 1950 3106 1960 3610 1970 4512 1980 4657 1990 4718 2000 5578 2016 8114 Tab. 1: Bevölkerungsentwicklung vonMurten 1900–201626 Doch nichtnur als Wohngebiet wurde Murten durch die bessere Erreichbarkeit attraktiver.Auch als Urlaubsortgewann die Stadt an Bedeutung.27 Dies ist auch der Grund, weshalb in Murten die Mehrheit der Erwerbstätigen (61 %, Stand 200128)imDienstleistungssektor tätigsind, wovon die Tourismusindustrieeinen

25 Quellen:Dossier fürdie Ausbildung der StadtbegleiterInnen aufDeutsch (2012:27) und Stadtverwaltung Murten http://www.murten-morat.ch/de/portrait/geschichte/ (Abruf- datum 05.02. 2017). 26 Quellen:Dossier fürdie Ausbildung der StadtbegleiterInnen aufDeutsch (2012:26) und Stadtverwaltung Murten:http://www.murten-morat.ch/de/portrait/zahlenundfakten/zah lenfakten/ (Abrufdatum:17.02.2017). 27 Quelle:Stadtverwaltung Murten http://www.murten-morat.ch/de/portrait/geschichte/ (Abrufdatum05.02.2017). 28 Quelle:Dossier fürdie Ausbildung der StadtbegleiterInnen aufDeutsch (2012:27).

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 66 Forschungsterrain und Methodologie wichtigen Bestandteil ausmacht. Die Entwicklung Murtens zur Feriendestina- tion und ihreEinbettung in die heutigen regionalen und nationalen touristi- schen Verwaltungs- und Vermarktungsstrukturen werden in den nächsten bei- den Kapiteln näher erläutert. MurtensZweisprachigkeitheute: Wieinder Einleitung desKapitelsIII.1. aufgezeigt wird,ist dasMit-oderNebeneinander derSprecherInnen des (Schweizer-)Deutschenund desFranzösischennicht immerkonfliktfrei. So for- dern französischsprachige MurtnerInnen undVerfechterInnender Zweispra- chigkeit diegleichenRechtefürbeide Sprachen:z.B.dassimPrinzip alle öf- fentlichen Dienste, Informationenund Beschilderungen in beidenSprachenan- geboten werden müssen.Diese Forderung scheitert häufig abernicht einmal (nur) am Gutwillen, sondern auch an begrenztenRessourcen.29 Andererseits spielen auch identitätspolitische BestrebungeneineRolle,dasichdie schweizerdeutsch- sprachigen MurtnerInnen alsMinderheitimKantonFreiburgbegreifenund in Murten aufeinegesonderteVormachtstellung desDeutschen beharren.Trotz dieser Spannungen wurdedie Zweisprachigkeitinden letztenJahrensowohlauf lokalerals auch aufkantonalerEbene durchzahlreicheEreignisseund Mass- nahmen anerkannt, gefördert, wertgeschätztund alswirtschaftlicheund kultu- relleRessource genutzt(mehr hierzu in KapitelIV. ,V.und VI.).

1.2 Murtens Entwicklung zur Feriendestination (1900 –heute)

Die Geschichte der Schweiz als Feriendestination beginntvor etwa 150–200 Jahren in der Epoche der Grand Tour (auch Kavalierstourgenannt), mit welcher die (Bildungs-)Reisen junger Aristokraten im 16.–18. Jahrhundertumschrieben werden. Reisebeschreibungen (u.a. vonbekannten Autoren wieJohann Wolf- gang vonGoethe) fungierten als frühes touristisches Marketing und machten die Schweiz und ihre Destinationen auch im Ausland bekannt(Gyr2010). Zuvor waren allenfalls Pilger aufdem Weginden Süden oder zu Wallfahrtsorten, wie z.B. Einsiedeln oder die Beatushöhlen, in das Gebiet der heutigen Schweiz ge- reist. Das Reisen damals war beschwerlich, schliesslich reiste man noch zu Fuss oder zu Pferde. Mit der Erschliessung der Alpen ab ca. 1800 und der Erstbesteigungzahl- reicher bis dahin unbezwungener Berggipfelwurde die Schweiz besonders für Besucher ausEngland interessant. Britische Bergsteiger frönten dem aufkom- menden Alpinismus, anlässlich dessen 1863 der Schweizer Alpen-Club ge- gründet wurde (Tissot 2011).Zur selben Zeit kamen erste Pauschalreiseange-

29 Quelle:Zeitungsartikel»Communes bilingues en mal de soutien«, erschienen am 30. Januar 2014 in La LibertØ.

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Forschungsterrain:Die zweisprachige Destination Murten 67 bote aufden Markt, wobei Thomas Cook beiden Anbieternals Vorreiter zu bezeichnenist. In der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich der »bür- gerliche« Tourismus in der Schweiz, der bis dahin nur einer kleinen wohlha- benden Elite vorbehalten war,langsam zu einer ganzen Industrie, was durch bestimmte Ereignisse begünstigtwurde. Zum einen waren frühe Anfänge des Medizintourismus zu verzeichnen, der v. a. Tuberkulosekrankeindie Luftkur- orte anzog.30 Eine wichtige infrastrukturelle Entwicklung war der Beginn des (Aus-)Baus vonEisenbahnstrecken ab ca. 1850, was nichtnur das Reisen in- nerhalb der Schweiz erleichterte, sondern sie auch besser an das europäische Ausland anband. Gleichzeitig fanden zudem der Ausbaudes Strassennetzes sowiedie verkehrstechnische Erschliessungder Bergpässe statt. In diesem Zu- sammenhang ist auch die Erfindung der Zahnradbahn zu nennen, welche den Bauder ersten Bergbahnen ab ca. 1875 ermöglichte. Aufden Seen und Flüssen kamen immer mehr Dampfschiffe als neue Transportmittel zum Einsatz. Hinzu kam ein ständig wachsendes Unterkunftsangebot an Hotels. Die touristische Vermarktung der einzelnen Destinationen wurde durch neue Mittel der Bild- reklameinForm vonPlakaten31 und Postkarten begünstigt, während die lite- rarischen Reiseberichte durch Reiseführer abgelöst wurden (Tissot 2000;2003). Auch in Murten begann sichEnde des 19. Jahrhunderts langsam eine tou- ristische Entwicklung abzuzeichnen. Dies begann mit der Feier des 400-jährigen Jubiläums der Murtenschlacht1876, was der Stadt viele BesucherInnen be- scherte und erstmals ihr Potenzial als Tourismusdestination erahnen liess. Erste touristische Förderungsmassnahmen fanden wenig später statt. In diesem Zu- sammenhang ist die Herausgabeeiner Broschüre aufDeutsch und Französisch 1886 zu nennen sowiedie Gründung des Verkehrs- und Verschönerungsverein 1895 als erste Freiburger Tourismusorganisation und einer der ersten Ver- kehrsvereine der Schweiz (Lehmann 1995;Rubli und Stucki 2002). Als erste Ziele hatte sich der Verein beiseiner Gründung u.a. die »Verschönerung der Quai- anlagen«, die »Hebung der Verkehrsanbindungen und das Heranziehung der Fremdenwelt« sowiedas »Studium der Frage der Einführung neuer Industrien« gesetzt (Murtenbieter vom25. Mai1895 zitiertinRubli 1983:42). Sich des Wertes des mittelalterlichen Stadtbildes bewusst, betrieb die Stadt Murten ab 1914 zudem aktiv Denkmalpflege, um die Ringmauer und andere historische Gebäude zu schützen und zu erhalten (Rubliund Stucki 2002:198). Eine Mass- nahme, vonder die Stadt heute noch profitiert. Anfang des 20. Jahrhunderts nahm die Gesamtschweizer Tourismusindustrie

30 Dieses Phänomen fand auch Eingang in die Literatur und wurdeinThomas MannsRoman »Der Zauberberg« (1924) thematisiert. 31 Murten begann jedoch erst 1937 gezielt mit Plakaten zu touristischen Zwecken zu werben (Lehmann 1995:31).

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 68 Forschungsterrain und Methodologie langsam feste Strukturen an. So wurden 1917 die Schweizerische Verkehrszen- trale als nationaleVereinigung zur Förderung des Reiseverkehrs und 1932 ein nationaler Tourismusverband (TMS) gegründet, welcher noch heute die Schweiz aufinternationaler Ebene als Tourismusdestination bewirbt. Nach und nach wurden auch in den einzelnen Kantonen touristische Standortmarketing-In- stitutionen geschaffen, so zum Beispiel 1923 im Kanton Freiburg die »Union des sociØtØsdedØveloppement«, welche u.a. auch die touristischen Stärken der Stadt fördern sollte. Dieser kantonale Tourismusverband war zunächst vonprivaten GeldgeberInnen, der Gemeinde und dem Staat finanziertworden (Python 2007:138). Zwischen 1937 und 1990 wurde im Kanton Freiburgdas touristische Marketing überdie kantonalen Lotterie-Einnahmenfinanziert. 1939 entstand in der touristischen Nachbarregion die »FØderation touristiques des Lacsju- rassien«als ein früher Vorläufer des heutigen kantonalen Tourismusverbandes »Jura Dreiseenland«(Gründung 2009). 1939 wurden darüberhinaus auch auf lokaler Ebene die touristischen Strukturen dichter.InMurtens Nachbarort wurde ebenfalls ein Verkehrsverein gegründet, welcher jedoch die Auflagen nichterfüllte, um vomkantonalen Tourismusverband anerkanntzu werden und deshalb 1940 als Untersektion vom Verkehrsverein Murtens auf- genommen wurde. 1949 wurde auch am gegenüberliegenden Seeufer,dem französischsprachigen Vully-les-Lacs, ein Verkehrsverein gegründet, der eben- falls nichtinden kantonalen Tourismusverband aufgenommenwurde, sich je- doch bis 1957 gegeneine Aufnahme als Untersektion in den Verkehrsverein Murten stellte. 1950 wurde die touristische Vermarktung im Kanton mit der Gründung des heute noch bestehenden kantonalen TourismusverbandesFrei- burgs (FTV)neuorganisiert. Die zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufstrebende Entwicklung der Schwei- zer Tourismusindustriewar bis 1950 jedoch vonverschiedenen Faktoren im Wachstum gehemmtworden: DiebeidenWeltkriege,die schlechteWirtschafts- lage,Benzinrationierungen und Grenzformalitäten waren nichtgerade förder- lich fürden Fremdenverkehr.Dies war auch in Murten zu spüren. Der sich dort gerade erst entwickelnde Tourismus ging während der beiden Weltkriege stark zurück. Nach dem 2. Weltkrieg erfuhr Murtens Wirtschaftjedoch einen Auf- schwung.Massgeblich trug der Bauder Autobahn dazu bei, der fortan Murten besserandie benachbarten StädteBernund Lausanne anband. Die verbesserte Verkehrsanbindung wirkte sich auch aufdie touristische Attraktivitätdes Städtchens aus. Der Tourismus spielte jedoch erst seit den 1960er Jahren eine entscheidende wirtschaftliche Rolle fürdas Städtchen am See. Das Reisen war nach und nachfürbeinahe jedermann erschwinglich geworden, konzentrierte sich zunächst noch aufden Binnentourismus und lockte aber auch vermehrt ausländische Gäste in die Schweiz. Murtens Bedeutung als Feriendestination erfuhr Anfang des 21. Jahrhunderts einen regelrechten Boom mit der Landes-

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Forschungsterrain:Die zweisprachige Destination Murten 69 ausstellung Expo.02, die neben Biel, Neuenburg,Yverdon-les-Bains auch in Murten eingerichtet war (Holzer 2002). Anlässlich der Teilnahme Murtens an der Landesausstellung wurden die lokal-regionalen Tourismusstrukturen noch einmal verfestigt. So wurde 1999 ein Tourismusverband fürdie Polregion Murtensee Region (RMV)gegründet, der fortan dastouristische und wirt- schaftliche Standortmarketing der Region übernahm. Somit wurde dasMurtner Informationsbüro und dessen Trägerverein, der ehemaligeMurtner Verkehrs- verein, beiWerbeaufgaben entlastet, jedoch nichtvollkommen davonentbun- den. Die touristische Vermarktung Murtens wurde vonnun an gemeinsam vom lokalen Informationsbüro und dem Tourismusverband der Polregion organi- siert, wodurch der Bekanntheitsgrad der Feriendestination (zumindest natio- nal) stark zunahm. Zur Polregion gehörten nebst Murten auch die Destinationen Kerzers, Vully und Vully-Les-Lacs. Heute ist die Tourismusindustrieeine der wichtigsten Exporteinnahmen der Schweiz.32 Die MarkeSchweiz hat sich mit dem Schlagwort»Swissness«auf dem internationalen Markt durchgesetzt (Del Percio 2014).Auch die heutige wirt- schaftliche Ausrichtung vonMurten ist stark vomtertiären Sektor geprägt (53 %, während der Primärsektor mit Gemüse- und Weinbau12%,und der Sekundärsektor mit lokal angesiedelten kleineren und mittleren Unternehmen 35 %der lokalen Wirtschaftausmachen)33.Der Tourismus repräsentiertmit und neben der (Para-)Hotellerie und Gastronomie einen grossen und zuneh- mend an Bedeutung gewinnenden Teil der WirtschaftinMurten. Die Stadt am See wird als Sommerdestination vonNaherholungsbesucherInnen ausden umliegenden Regionen und der ganzen Schweiz sowievon internationalen Gästen sehr geschätzt. Murten wirbt mit seinem geschichtsträchtigen, mittel- alterlichen Stadtbild und der Lage am See. Die Stadt ist zudem Austragungsort fürmehreregrössere Musik- und Sportevents. Der Tourismus in Murten weist eine starkesaisonale Ausprägung auf. Die Übernachtungen und touristischen Aktivitäten konzentrieren sich hauptsächlich aufdie Sommermonate vonMai bis Oktober. In der letzten Zeit sind jedoch verstärkt Versuche zu verzeichnen, den Wintertourismus im Städtchen zu beleben. Darauf deutet die gezielte Ent- wicklung vonWinteraktivitäten, wiedie Veranstaltung eines Weihnachtsmarkts, eines Licht-Festivals34,wintergeeigneter Stadtrundgänge, der Einrichtung einer

32 Panorama  Bundesamt fürStatistik, Februar 2016;online unter:https://www.bfs.admin. ch/bfsstatic/dam/assets/262659/master (Abrufdatum23.03.2016). 33 Quelle:Webseite des Tourismusverbands der Polregion Murtensee Region (RMV)(Abruf- datum 08.04.2016);Der Stand der Statistik ist nichtbekannt. 34 Laut einem Zeitungsartikelmit dem Titel »ZweitesLichtfestival fürMurten« (erschienen am 11.05.2016 in der Berner Zeitung) konnte das Lichtfestival beiseiner ersten Durchführung im Januar2016 über80.000 BesucherInnen nach Murten locken und auch im folgenden Jahr

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Eisbahn sowieAussagen vonMarketing-ExpertInnen hin. Die Dauer der Auf- enthalte ist mit durchschnittlich ein bis zwei Übernachtungen eher kurzund beinhaltet viele TagesausflüglerInnen. Dies ist auch dadurch zu erklären, dass die meisten BesucherInnen ausder Region bzw.aus der Schweiz stammen. Angesichts der hohen Besucherzahlen an AusflugstouristInnen, die ausder Region stammen,ist es schwierig zu definieren, wer bzw.abwelcher Her- kunftsdistanz zu Murten eine Person als einheimischoder als TouristIn ange- sehen wird. Die sprachlicheHerkunftder TouristInnen spiegelt das lokale Sprachenverhältnis wider.Sosind die BesucherInnen, die nach Murten kom- men, ebenfalls hauptsächlich schweizerdeutsch-, deutsch- und französisch- sprachig und stammen hauptsächlich ausder Schweiz, seltener auch aus Deutschland und ausFrankreich. Andere, internationale Gäste verständigen sich oft auch aufEnglisch. Dass der grösste Anteil der TouristInnen ausder Schweiz stammt, könnte u.a. an den hohen Preisen in der Schweiz im Vergleich zu den europäischen Nachbarländern, der Eurokrise und dem starkenFranken liegen.

1.3 Murtens Einbettung in die heutigen regionalen und nationalen Tourismusstrukturen

Die Schweizer Tourismusindustrieist voneiner verzweigten und komplexen Struktur der Zusammenarbeit vonTourismusbeschäftigten und -institutionen auflokaler, überregionaler und (inter)nationaler Ebene gekennzeichnet. Auf nationaler Ebene fungierteinerseits ein touristischer Dachverband (den ich TDVnenne),welcher die Interessen des Tourismussektors gegenüberPolitik, Behörden und der Öffentlichkeit aufnationaler Ebene vertritt, sowieein tou- ristisches Marketingunternehmen (das ich TMS nenne), das die Förderungund Profilierung der MarkeSchweiz als Ferien-, Reise- und Kongressland im In- und Ausland verfolgt.Die Schweiz unterteilt sich in 14 Tourismusregionen (Abb.2), die selbst wiederum in sogenannte Polregionen unterteilt sind. Die Grenzen der einzelnen Tourismusregionen stimmen nurinmanchen Fällen mit den kanto- nalen Grenzen überein. Obwohl die föderalistische Schweiz aufBundesebene kein Tourismusgesetz kennt, verfügen jedoch die meisten Kantone überein kantonspezifisches Tou- rismusgesetz, durch dasdie kantonalen bzw.regionalen und polregionalen Tourismusverbände anerkanntwerden.35 D. h. jede Tourismusregion besitzt

trotz eisiger Temperaturen70.000 BesucherInnen erzielen (laut dem Zeitungsartikel»We- niger Leute am Lichtfestival« erschienen am 22.01.2017 in der Berner Zeitung). 35 Im Kanton Freiburg wurde am 26. November1964 erstmals ein Gesetz überdie Förderung des Fremdenverkehrs erlassen,welches in Folge vonden Tourismusgesetzen vom 23. No-

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Abb. 2: Karte »Die 14 Tourismusregionen der Schweiz«, BFS, ThemaKart,Neuchâtel 2015 / kc-b-00.55 einen eigenenTourismusverband, der fürdie Verwaltung und Vermarktung der Region zuständig ist. Diese Tourismusverbände der Tourismusregionen sind zum einen selbst in spezifische Arbeitsgruppen unterteilt, zum anderen wer- den Teilkompetenzen an die polregionalen und lokalen Tourismusinstitutionen weitergegeben. Aufnationaler Ebene wirkt ausserdem die Konferenz der re- gionalen Tourismusdirektoren der Schweiz (KRT),inder auch der TDVund TMS Mitglied sind. Die Konferenz dientder Koordinierung der regionalen Aktivitäten und als OrtfürDiskussionen überzukünftige Kampagnen und tourismuspolitische Entscheidungen. Fürdie Vermarktung der Destinationen auf(inter)nationaler Ebene ist TMS zuständig.Das Marketingunternehmen wirbt u.a. aufder eigenen Webseite, mit Printmaterial wieBroschürenoder Plakaten, mit Messeauftritten und organisiertMedientrips, um in der Folge über die Beiträge der geladenen JournalistInnen in Zeitungen und (Reise-)Magazinen aufdie einzelnen Schweizer Tourismusdestinationen aufmerksam zu machen. In bestimmten Ländernist TMS zudem mit eigenen Bürosvertreten, vonwoaus die spezifischen Märkte direkt bearbeitet werden. Des Weiteren arbeitet TMS direkt mit internationalen Tour Operators und Reisebüros zusammen. Die einzelnen

vember 1973, vom 20. September 1990 (SGF 951.1) und schliesslich vom 13. Oktober 2005 (ASF 2005_106) abgelöst und vom Reglement über den Tourismus vom 21. Februar 2006 (SGF 951.11) ergänzt wurde.

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Tourismusregionen sind selbst fürdie Vermarktung ihrer Region zuständig, können jedoch nach eigenem Ermessen und beiBedarfvon den Werbekampa- gnen vonTMS profitieren, indem sie sich einen Beitrag in dessen Kampagnen oder Messeauftritten einkaufen. Innerhalb der Polregionen sind polregionale Tourismusinstanzen fürdas Marketing zuständig.Während sich die lokalen Tourismusvereine und Informationsbüroszwarzusammen mit den (pol)re- gionalen Instanzen an der Bewerbung beteiligen, sind sie jedoch in erster Linie fürdie Gästebetreuung sowiedie Entwicklung und Durchführung vontouris- tischen Angeboten und Aktivitäten verantwortlich. Die eben erläuterte Vernetzungsoll nunamBeispiel der Einbettung der TourismusindustrieMurtens in die touristische Verwaltungs- und Vermark- tungslandschaftdemonstriertund visualisiertwerden. Die Tourismusindustrie in Murten hat eine über100 JahrealteTradition. So wurde bereits im Jahr 1895 der sogenannte »Verkehrs- und Verschönerungsverein« gegründet, welcher sich u.a. »die Verschönerung der Stadt und Umgebung mit besonderer Berück- sichtigung der Erfordernisse füreinen lebhaften Fremdenverkehr« (Lehmann 1995:4) zum Ziel gesetzthatte. Während sicheinst hauptsächlich freiwillig En- gagierte dem Tourismusbusiness widmeten,ist in den letzten 20 Jahren eine zunehmende Professionalisierung aufdem Tourismusarbeitsmarkt in Murten zu verzeichnen. Diese zeichnetsich u.a. durch den zunehmenden Auf- und Ausbauvon touristischen Strukturen aus. So gehörendie Tourismusbranche von Murten und der Murtenseeregion verwaltungs- und marketingtechnisch zwar eigentlich nureiner Tourismusregion an, nämlich Fribourg Region (Touris- musregion 13 aufder Karte in Abb. 2), die Vermarktung geschiehtjedoch zu- sätzlich auch überdie ebenfalls zweisprachige Tourismusregion Jura Dreiseen- land (Tourismusregion 8auf der Karte in Abb. 2). Letztereentstand erst 2009 als Folge der Fusionder beiden Tourismusregionen Jura RØgion und Drei-Seen- Land. Die doppelte Vermarktung überzweiTourismusregionen kann zum einen ein Vorteil fürdie Destination sein, da sie somit werbetechnisch aufmehreren Marketingkanälen mit einem grösseren Einzugsbereich präsentist. Andererseits bedeutet die Vermarktung überzwei Tourismusregionen auch einen Mehrauf- wand an Arbeit (z. B. die Betreuung zweier Webseiten, Konzeptualisierung von Broschüren usw.). Die Tourismusregion Fribourg Region wird voneinem eigenen Tourismus- verband (FTV)verwaltet. BeiFTV handelt es sich um eine gemeinnützige pri- vatrechtliche Vereinigung, die sich übereinen Beitrag des Kantons Freiburg, der kantonalen Aufenthaltstaxeund überspezielleTourismusförderungs- und Marketingfonds finanziert. Im Aufgabenbereich des FTV liegtdie Aufstellung eines koordinierten Marketingprogramms im Einvernehmen mit den polre- gionalen und lokalen Tourismusinstanzen sowie–in Zusammenarbeit mit diesen –die Unterstützung vonWerbeprojekten mit Hilfe des »Kantonalen

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Fonds fürkoordiniertes Tourismusmarketing«. Beiden polregionalen Touris- musinstanzen handelt es sich um die einzelnen Tourismusverbände der 9Pol- regionen (Abb.3), in die Fribourg Region unterteilt ist.

Abb. 3:Karte »Einteilung der Tourismusregion Fribourg in 9Polregionen«, darunter auch die Murtensee Region36

Innerhalb der einzelnen Polregionen sind die erwähnten polregionalen Touris- musorganisationen fürdie touristische Vermarktung zuständig.ImFalle von Murten z.B. der Tourismusverband der Polregion Murtensee Region (RMV) (Nummer 5auf der Karte in Abb. 3). Dieser wurde 1999 gegründet und ist fürdas touristische und wirtschaftliche Standortmarketing im Seebezirk zuständig. Somit fälltdie touristische Vermarktung der Destination Murten ebenfalls in den Zuständigkeitsbereich des RMV.Mitglieder im RMV sind die folgenden lokalen Tourismusinformationsbüros: das Tourismusinformationsbüro Mur- ten, das Tourismusinformationsbüro Vully-les-Lacs und der Verkehrsverein Kerzers. Letzterer wurde 2014 aufgelöst und das Tourismusinformationsbüro Murten übernahm dessen Aufgaben. Lokal in Murten tätigist das Tourismusinformationsbüro (TIB). Dabei handelt es sich um einen gemeinnützen Verein, der vom Freiburger Touris- musgesetzanerkanntist, und somit das Rechthat, bei Übernachtungen über die lokalen Hotels eine Aufenthaltstaxezuerheben und sich diese auszahlen zu lassen. Diese Einnahmen müssen fürdie Betreuung der Gäste und die Ent- wicklung touristischer Produkte verwendet werden.Insgesamtfinanziertsich TIB zu je einem Viertel ausder Aufenthaltstaxe, ausMitgliederbeiträgen, über eigene Einnahmen austouristischen Produkten, wiez.B.Stadtführungen, sowie überZuschüsse der Gemeinde Murten und der umliegendenGemeinden

36 Eigenhändig erstellte Karte.

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Muntelier,Merlach, ,Courgevauxund Kerzers. Der Tätigkeitsbereich von TIB erstreckt sich aufdas Gebiet der Mitgliedergemeinden, kann aber im Rahmen vongemeinsamen Projekten mit anderen PartnerInnen auch aufein grösseres Gebiet hin erweitertwerden. Im Jahre1895 als Verkehrs- und Ver- schönerungsverein gegründet, weist TIB eine lange und traditionsreiche Ge- schichte aufund betreute lange Zeit als einzige Instanz die Vermarktung der Stadt und ihreUmgebung als touristische Destination. Obwohl TIBMitglied des RMV und des FTV ist, ist es in Entscheidungsfragen autonom.TIB besteht zum einen auseinem Unterstützungsverein mit einem Komitee (meist beste- hend ausrund 8Personen, welche VertreterInnender einzelnen Gemeinden oder der PartnerInnen sind), das überanzuwendende Strategien entscheidet, sowieaus dem Tourismusbüro,welches die Operationalisierung dieser Strate- gien übernimmt. Zu den Hauptaufgaben gehörenneben Empfangund Beratung der Gäste, entweder an der Rezeption im Tourismusbüro oder per Mail und Telefon, hauptsächlich die Zusammen- und Bereitstellung vonInformationen (z.B. in Form vonBroschürenoder Informationen aufder eigenen Homepage) sowiedie Entwicklung, Organisation und Koordination vontouristischen Pro- dukten. Als wichtigstes touristisches Eigenprodukt ist das Angebot der unter- schiedlichsten thematischen Stadtführungen in verschiedenen Sprachen zu nennen. Darüberhinaus beteiligtsich TIB stark an der Organisation und Be- werbung lokaler Events. Obwohl das Destinationsmarketing selbst in den Zu- ständigkeitsbereich vonRMV fällt, ist TIB laut Statuten dennoch dazu ange- halten, sich an touristischen Werbe- und Informationsaktivitäten aufregionaler Ebene zu beteiligen. So zeichnet sich die touristische Vermarktung der Desti- nation Murten/Murtenseeregionals eine komplexeZusammenarbeit der un- terschiedlichen Tourismusinstanzen auflokaler,(pol)regionaler und (inter)na- tionaler Ebene aus. Die Vermarktung der Stadt Murten und der Region erfolgt zum einen direkt durch das lokale Tourismusbüro TIB und dessen Zusam- menarbeit mit dem RMVund den Instanzen der jeweiligen Tourismusregion (im Fall vonMurten FTV und JDS). Zu erwähnen ist aber auch die Zusammenarbeit mit anderen lokalen Tourismusbüros, die jedoch nur teilweisederselben Tou- rismusregion angehören(z.B. mit den BürosinVully-les-Lacs, Vully,Estavayer- le-Lac, Avenches usw.) (Abb.4). Diese Sprach- und Kantonsgrenzen überschreitende Zusammenarbeit for- dertvon den Beschäftigten eine hohe sprachliche Flexibilitätund sichere Sprachkompetenzen im Französischen,Deutschen und Schweizerdeutschen. Die Tourismusindustrieist an sich eine mehrsprachige Industrie. Im Touris- mussektor in Murten ist diese Mehrsprachigkeit jedoch nichtnur aufdie (in- ter)nationalen Gäste zurückzuführen, sondernbereits durch die lokale mehr- sprachige Situation gegeben. Dabei haben die lokalen Sprachen unterschiedliche Funktionsbereiche, in denen sie unterschiedlich relevantsind. Während die

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Abb. 4: Vertikale Vernetzung der Tourismusinstitutionen auflokaler, (pol)regionaler und (inter)nationaler Ebene

Mehrheit der Bevölkerung überwiegend schweizerdeutschsprachig ist und auch die Gäste zu rund 80 %(schweizer)deutschsprachig sind, ist die Sprache der Zusammenarbeit mit PartnerInnen aufder Ebene der Tourismusregion zu rund 80 %Französisch. Die Lage an der Sprachgrenze ist insofern fürmeine For- schung vonBedeutung,dadortsprachliche Differenzierungs- und Grenzzie- hungsprozesse besonders deutlich zum Vorschein treten. Hier sind wün- schenswerte sprachliche Profile vonBeschäftigten nichtnur durch die Ziel- märkte, sondern auch durch (identitäts)politische Vorstellungen definiert. Mit Tourismusbeschäftigten sind dabei alle Beschäftigten des Tourismussektors gemeint, die im direkten oder indirekten Kontakt zu den Gästen stehen, diese anwerben(Marketingspezialistenvon Tourismusinstitutionen), während ihres Aufenthaltes betreuen, diesen planen, koordinieren und strukturieren, Infor- mationen zur Verfügung stellen und Auskünfte geben (Reise- und Tourismus- informationsbüroangestellte), touristische Aktivitäten anbieten und durchfüh- ren(TouranbieterInnen, EventmanagerInnen, Museums-/StadtführerInnen usw.), fürUnterkunftund Verpflegung sorgen (Hotellerie- und Gastronomie- mitarbeiterInnen) und als lokale touristische RepräsentantInnen bemüht sind, dem Gast ein möglichst »authentisch-lokales« Bild der Destination zu vermit- teln. Sprachliche Praktiken lassen sich in der Tourismusindustrie in multimo- dalen Dimensionen beobachten:Die Kommunikation findet zum einen direkt in der Interaktion zwischen den Tourismusbeschäftigten und den Gästen statt (vor Ortoder u.a. auch aufTourismusmessen), darüberhinaus jedoch auch über andere ganz unterschiedliche Marketing- und Informationskanäle (Web,Bro-

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2. Methodologie:Ethnographische Forschung

Die Untersuchung vonsprachlichen Legitimitätsvorstellungen sowieder zu- grunde liegenden politökonomischen Interessen und Sprachideologien, muss als komplexes Phänomen angegangen werden, welches in sozio-historische und kulturelle Prozesseeingebettet ist und unterschiedliche soziale Akteurinnen und Akteure einbezieht(DuchÞne 2008;DuchÞne und Piller 2011;Pietikäinen 2012). Dies verlangt eine bestimmte methodische Vorgehensweise. Del Percio, Flubacher und DuchÞne argumentieren füreine prozessuale und diskursive Untersuchung der Politökonomie vonSprache(n) als historisch situierter,dy- namischer und teilweise auch kontradiktorischer Prozess (2016:57). Die eth- nographische Herangehensweise erlaubt es, gesellschaftliche Phänomene mit prozessualer Sichtinihrer Komplexitätzuuntersuchen und dabei die vonSo- ziolinguistInnen kritisierte Mikro-Makro-Dichotomie zu überwinden (Cicourel 2014;Glaeser 2005;Heller 2001;Kelly-Holmes 2010c;Wei 2012). Der ethno- graphische Ansatz ist jedoch nichtnur als methodisches Vorgehen, sondern auch als paradigmatische Haltung zu verstehen (Blommaertund Dong 2010), die ontologische und epistemologische Fragestellungen beinhaltet. Sprache bzw. Sprechen wird ausethnographischer Perspektive als soziale Praxis aufgefasst. Separate Sprachen werden als soziale,sprachideologisch bedingte Konstrukte und nichtals kontextunabhängige, eigenständige Systeme angesehen (wie z.B. vonSaussure oder Chomsky). Ziel der ethnographischenHerangehensweiseist es, herauszufinden, wieSprache als soziale Praxis verwendet wird,was die SprecherInnen überSprache(n) denken und warum. Durch detaillierte Be- schreibung sollen Einblickeinkomplexe Beziehungen, Widersprüchlichkeiten und Konsequenzen gewährtwerden, die als in einem bestimmten zeitlichen und räumlichen Kontext eingebettetverstanden werden müssen (Blommaert2010b; Heller 2008a). Aufgrund dieser Kontextsituiertheit müssen Sprachpraktiken in ihrem alltäglichen Umfeld beobachtet werden (Blommaertund Dong 2010). Der Beginn der ethnographischen Feldforschung gehtzurück bis ins späte 19. bzw.frühe 20. Jahrhundertund wird oft mit den Arbeiten der Gründungs- väter der Anthropologie Franz Boas, BronislawMalinowski und Alfred Reginald Radcliff-Brown(Atkinson und Hammersley1994) und der Gründungsmütter Ruth Benedict, Margaret Mead und Elsie Clew Parsons assoziiert(Duranti 1997:98;Gacs u.a. 1988). Während die Anthropologie, damals noch in ihren Kinderschuhen steckend, mit ethnographischen Methoden versuchte, die Le-

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Methodologie:Ethnographische Forschung 77 bensweise und Weltanschauungen möglichst isolierter,nicht-westlicher Bevöl- kerungen zu beschreiben (Crang und Cook 2007), werden heute Ethnographien u.a. auch vonbestimmten Berufsgruppen, Institutionen, Aktivitäten, Ereignis- sen und sozialen Prozessen angefertigt (Duranti 1997:96). Es gehtalso nicht mehr darum, alles überdas Feld in Erfahrung zu bringen, sondern gezielt zu bestimmten Fragestellungen oder Themenzuforschen (Dellwing und Prus 2012). Vonden Forschenden wird auch nichtmehr gefordert, sich ein möglichst »exotisches«,peripheres, ihnen fremdes Feld zu suchen und eine ihnen unbe- kannte Sprache zu erlernen. Ihnen wird nun auch zugestanden im urbanen und in ihrem familiärenUmfeld zu forschen (Atkinsonund Hammersley 1994:250;Cole 1977). Undauch in einer weiteren Hinsichtist in der Ethno- graphie ein Paradigmenwechsel festzustellen, der versuchtden Konnektivitäten und der verstärkten MobilitätimZeitalter der Globalisierung gerechtzuwerden: Ethnographische Feldforschung in einer globalisierten Welt kann sich nicht mehr aufein geographisch lokalisier-und abgrenzbares Terrain und die An- nahme einer isolierten Sprechergemeinschaft(isolationistapproaches)be- schränken (Appadurai 1996a;Coupland 2003b;Milroy2002), sondernbedeutet, den Personen und Objekten im Raum zu folgen. Ein mobiler,viel-örtiger und viel-perspektivischer ethnographischer Ansatz (multisited and multiperspective ethnography)erlaubt der Mobilitätund der Interkonnektivitätverschiedener AkteurInnen und Terrains Rechnung zu tragen (Lauser 2005;Marcus 1995, 1998). Ethnographische Feldforschung beinhaltet verschiedene Arten der Daten- produktion. Dies kann vonImmersion im Feld in Form der (teilnehmenden) Beobachtung vonInteraktionen, überInterviews, bis hin zur Sammlung von Dokumenten, Gegenständen sowieder Fotodokumentation oder zeichnerischen Abbildung der örtlichen Gegebenheiten des Terrains reichen. In den folgenden Unterkapiteln werden die in dieser Arbeit angewendeten Methoden der Da- tenproduktion theoretisch eingeführt, bevorimnächsten Kapitel die eigentliche Datengenerierung dargelegtwird.

2.1 Interaktionsdaten durch teilnehmende Beobachtung

Ethnographische Feldforschung stützt sich in allererster Linie aufdie Beob- achtung vonInteraktionen und (Sprach-)Praktiken aufdem Feld. Die Interak- tion wird als Ortder Diskursproduktion betrachtet (Heller 2003a), »an dem sich die gesellschaftliche Ordnung reproduziert, verhandeltoder auch abgelehnt wird«(DuchÞne und Piller 2011:140). Beobachtet werden Szenerien des sozia- len Lebens (vonAlltagssituationen bis hin zu aussergewöhnlichen Gescheh- nissen oder Veranstaltungen). Die Aufmerksamkeit der Beobachterin bzw.des

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Beobachters richtet sich darauf, wiebestimmte Akteurinnen und Akteure in- teraktiv ihre Beziehungenzuanderen Personen gestalten und wiesie ihren Handlungen sprachlich Bedeutung verleihen (Arborio und Fournier 1999).Die Rolle der Ethnographin bzw.des Ethnographen während der Immersion im Feld kann unterschiedenwerden in BeobachterIn, teilnehmende(r) BeobachterIn sowieTeilnehmerIn oder In- und OutsiderIn einer zu untersuchenden Gruppe vonPersonen. Manchmal wird auch unterschiedenzwischen der Beobachtung vonPersonen, die überdie Forschung informiertworden sind und die sich bereit erklärt haben, daran teilzunehmen, und solchen, die zufällig mitbeobachtet werden (Atkinsonund Hammersley 1994). Die Rolle der/des Forschenden, deren/dessen Position und Perspektivesowie die Beziehung,die sie/er aufdem Feldzuden Forschungsteilnehmenden einnimmt,spielt beider Datengenerie- rung eine entscheidende Rolle und muss reflektiertwerden (siehe Kapi- tel III.3.4.1).Zunächst muss sie/er sich vergegenwärtigen, dass es keine neutrale Position gibt und ihre/seine Interessenund ihre/seine Motivation zum For- schungsgegenstand reflektieren. Diese können sich im Laufe der Forschung verändern, wiesichauch die Beziehung zu den Forschungsteilnehmenden ver- ändert, enger wird und unter Umständen eine gewisse Distanz oder Anteil- nahme nichtmehr eingehalten werden kann. Zum anderen beeinflusst die An- wesenheit der/desForschenden auch dasVerhalten der Forschungsteilneh- menden, wenn es sich nichtumeine anonymeBeobachtung handelt und die Forschungsteilnehmenden überderen/dessen Forschungsvorhaben und ihre/ seine Rolle informiertsind. Dies wird aber insofern nichtfürproblematisch erachtet, da der Feldforschungsprozess und insbesondereInteraktionen beider teilnehmendenBeobachtung als kollaborative Sinngenerierung durch die/den Forschenden und die/denBeobachtete(n) zu betrachten sind (Crang und Cook 2007). Die Dokumentation vonsolchen Interaktionsdaten kann in Form von Audio-/Videoaufnahmen oder dem Verschriftlichen der Beobachtung in Form vonsogenannten Feldnotizen in situ (fieldnotes)oder rückblickend (headnotes) stattfinden. Letzteres kann als Drei-Schritte-Vorgang vonder Wahrnehmung, des Memorisierens und des Verschriftlichens des Beobachteten beschrieben werden. Die Feldnotizen können beispielsweiseNotizen zu den Eindrücken und Erfahrungen der/desForschenden aufdem Feld, Beschreibungen vonVorgän- gen, Skizzen, Fotos oder auch aufdem Feldgesammeltes Material enthalten (Arborio und Fournier 1999;Weber und Beaud2010).

2.2 Interviews

Im Zuge der ethnographischen Herangehensweise werden häufig Interviews als Datenmaterial hinzugezogen. Dabei handeltessich in den meisten Fällen um

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2.3 Einbezug von Dokumenten

Beider ethnographischen Herangehensweise werden auch Artefakte (material culture)gesammelt,die u.a. Schriftsprache enthalten (Tilley 2001).Oftmals bestehtein grosser Anteil an ethnographischen Daten auseinem Dokumen- tenkorpus, der strukturiertjenach der Natur der Dokumente z.B. mit Hilfe von Onlinesuchfunktionen, speziellen Abonnements, Bibliotheks- oder Archivbe- suchen zusammengetragen wurde. Schriftdokumente werden als Materialisie- rung vonspeziellenSprachpraktiken und institutionellen Logiken, und insofern als Träger vonbestimmten Diskursenbetrachtet (Bendel Larcher 2015;DuchÞne

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2010). Dokumente, welche fürdie ethnographische Forschung vonBedeutung sind, liefernz.B.Informationen überdas Forschungsterrain und die involvier- ten Akteurinnen und Akteure, aber auch darüber, wiedas soziale Lebenund die Beziehungen der verschiedenen Akteurinnen und Akteurestrukturiertund genormt sind. Zudem sind beiEthnographien vonsprachbasierten Arbeits- prozessen Dokumente als Outcomes dieser Prozesse besonders interessant.

2.4 Soziale Netzwerkanalyse

Duranti beschreibt die Ethnographie als Beschreibung und Interpretation der sozialen Organisation und Aktivitäten sowieder symbolischen und materiel- len Ressourcen einer spezifischen Gruppe vonPersonen (1997:85). Beider ethnographischen Forschung gilt es also immer zuerst festzulegen, welche Personen die zu untersuchende Gruppe ausmachen. Beider vorliegenden Arbeit machen diejenigen Beschäftigten in der Tourismusindustrie, welche die Desti- nation Murten entweder überdiverse Marketingkanäle oder aber vor Ortver- marktenund repräsentieren, diese zu untersuchende Personengruppen aus. Sie arbeiten nichtunabhängig voneinander,sondernsind Teil einer touristischen Struktur und eines sozialen Netzwerkes. Zur Identifikation der potentiellen ForschungsteilnehmerInnen, ihrer Beziehungen untereinander sowieihrer Po- sition und Funktion innerhalb der touristischen Strukturen, wurde die Methode der sozialen Netzwerkanalyse herangezogen. Dabei handelt es sich um eine Methode, die ausden Sozialwissenschaften stammt, häufig aber auch fürdie ethnographische Forschung genutzt wird (Schnegg und Lang 2002). Wieder Name schon erahnen lässt, werden mit dieser Methode Gruppen vonPerso- nen »als Netzwerkstrukturen bzw.auf ihreEingebettetheit (›embeddedness‹) in Netzwerkehin analysiert« (Diaz-Bone 2006:1). Es wird davonausgegangen, dass ein Individuum Teil eines dynamischen Netzwerks vonsozialen Beziehungen und Interaktionen ist (Borgatti u.a. 2009). Diese Beziehungen, die sich überdie verschiedenen Dimensionen der Zeit, des Raums und der Machtstrukturen er- strecken, kontradiktorisch sein können und sich beständig verändern, haben wiederum Einfluss aufdas individuelle soziale Handeln, ebenso wieauf sprachliche Praktiken (Daming,Xiaomei und Wei2008). Fürdie empirische Ermittlung der konkreten Netzwerk- und Beziehungsstruktur bedientsich die Ethnographie der gesamten Bandbreite ihrer verschiedenen Datentypen, z.B. Beobachtungen, Interviews, Dokumente usw.Inanderen Disziplinenwerden u.a. auch Fragebögen zur Ermittlung vonNetzwerken eingesetzt (White und Johansen 2005). Um die ermittelten Netzwerkezuvisualisieren, gibt es unter- schiedliche visuelle Darstellungsformen, wiez.B.Matrizen, Graphiken, Block- modelle, Soziogramme usw.(Billiez und Lambert2005;Hogan, Carrasco und

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Wellman 2007).Die Netzwerkanalyse erlaubt WissenschaftlerInnen, ihre For- schungsteilnehmerInnen als sozial eingebettete Individuen zu verstehen, deren Handeln vonihren sozialen Beziehungen beeinflusst einer normativen Ordnung unterliegt. Gleichzeitig eröffnet das Verfolgen eines bestimmten Netzwerkes auch den Zugang zu weiteren ForschungsteilnehmerInnen (siehe Kapitel III.2.4) (Daming,Xiaomei und Wei2008).

2.5 LinguisticLandscape

In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich in der Soziolinguistik eine neue Un- tersuchungsformherausgebildet,die sogenannten Linguistic Landscape Studies. Das Linguistic Landscape (Sprachlandschaft) dokumentiertund untersucht den Gebrauch vongeschriebener Sprache im öffentlichen Raum, welche auf jeglicher Artvon Beschilderungen (z.B. Orts-, Strassen-, Verkehrs- oder Ge- schäftsschilder,Leuchtreklame)und in Form vonBeschriftungen (z.B. Graffiti, Aushänge, Plakate) sichtbar wird (Androutsopoulos 2008). Die Forschung in- teressiertsich fürdie Bedeutung,Botschaften, Ziele, Wahrnehmung und den Entstehungskontext der schriftlichen Sprachpraktiken im öffentlichen Raum (Shohamyund Gorter 2008). Diese Schriftpraktikenkönnen institutionell- amtlicherNatur oder aufdie Initiativeeinzelner Individuen der lokalen Bevöl- kerung hin entstanden sein. Sie können also Ausdruck einer gewissen top-down Sprach(en)politik37 oder aber einer bottom-up Grasswurzelbewegung sein (Ben- Rafael u.a. 2006;Blommaertund Maly 2014). Letzteres umfasst auch kom- merzielle Schilder.Die Organisation des Raums ist ein gesellschaftliches Pro- dukt (Ben-Rafael u.a. 2006;Lefebvre 1991), welches als Instrumentder Macht, Disziplin und Regulierung fungiert. Der öffentliche Raum ist in diesem Sinne als normativer Raum zu verstehen, in welchem schriftliche Sprachpraktiken einem gewissen Regime unterliegen (Blommaert und Maly 2014). Malinowski (2009) bemängelt, dass jedoch gerade der Autorenschaftdieser Schriftpraktiken im Linguistic Landscape zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird.Neben einer quantitativen Herangehensweise, die z.B. die mengenmässige Verwendung unterschiedlicher Sprachen und deren geographische Verteilung im öffentlichen

37 Im Deutschen wird vonmanchen AutorInnen eine semantische Unterscheidung der beiden Begriffe ›Sprachpolitik‹und ›Sprachenpolitik‹ vorgenommen. Während sich der Begriff der Sprachpolitik aufsprachplanerische Eingriffe in das System und die Verwendung einer Einzelsprache bezieht, betrifft der Begriff der Sprachenpolitik diejenigen politischen Massnahmen, welche die gesellschaftlichen Funktionenund den Status verschiedener Sprachen regeln (Janich 2005). Die Grenzenzwischen den beiden Begriffen können jedoch nichtimmer deutlich gezogen werden. Ausdiesem Grundsehe ich voneiner Unterscheidung ab und ziehe die gewählte Schreibweise als Kompromiss vor.

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Raum statistisch erhebt (Backhaus 2007),interessiertsich die qualitativeHer- angehensweise dagegeneher fürdie semiotische Beschaffenheit der einzelnen Zeichen (Moriarty 2015). Die Untersuchung des Gebrauchs verschiedener Sprachen fürunterschiedliche Textzweckeimöffentlichen Raum, lässt aufden jeweiligen Status der verwendeten Sprachen (z.B. in Form der Umsetzung einer spezifischen Sprach(en)politik, oder der Anerkennung vonMinderheitenspra- chen) und ihreFunktionen in unterschiedlichen Kontexten (privat,kommerzi- ell, amtlich) schliessen. Gleichzeitig sind Schriftzeichen und Text im öffentlichen Raum als semiotische Interaktionsdaten zu verstehen, welche aufdie Präsenz bestimmter Sprechergruppen vor Ortbzw.einen bestimmten Zielmarkt sch- liessen lassen, an den diese Artvon Kommunikation gerichtet ist (Androutso- poulos 2008;Stroudund Mpendukana 2009).

3. Datengenerierung

Diese Forschungsarbeit verschreibt sich einem interpretivistischen Ansatz und keinem positivistischen. Dementsprechend bezeichne ich die Gewinnung vonDaten im Rahmen meiner ethnographischen Feldforschung als Datenge- nerierung oder -produktion und nichtals Datensammlung oder -erhebung,und sehe das Wissen, das ich somit generiere, als sozial konstruiertan(Heller 2008a; Martinu.a.2006). Im folgenden Kapitel werdeich aufzeigen, wieich diese aktive Generierung von(Primär-)Daten, ihreAufbereitung,bis hin zur letztendlichen Datenauswahl und -analyse durchführte.

3.1 Feldforschung

Die Feldforschung fand im Zeitraum vonMärz 2013 bis Mai2016 statt, ver- stärkt jedoch jeweils in der Sommersaison vonApril bis September,sowohl unter der Woche als auch am Wochenende.Auf der Basis einer sozialen Netz- werkanalyse galt es zunächst, einzelne Schlüsselinstitutionen und -figuren zu bestimmen und die Einbettung der Destination in die komplexeVerflechtung der überregional und (inter)national operierenden Institutionen der Schweizer Tourismusindustrieherauszuarbeiten. Dabei war auch vonInteresse, in welchen Beziehungen die einzelnen Akteurinnen und Akteure zueinanderstanden, in- wiefernsie zusammenarbeiteten und welche Diskurse innerhalb dieses Terrains in Bezug aufdie Forschungsfragen zirkulierten (Scollon und Wong Scollon 2004). Nachdem ich einzelne Schlüsselinstitutionen identifizierthatte, begann ich Leitfaden-Interviews mit den Schlüsselfiguren des lokalen Tourismussektors zu führen und begleitete diese durch ihren Arbeitsalltag.Auf diese Artund Weise

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3.1.1 Definition des Felds und Zugang Die Kontaktherstellung zu den einzelnenForschungsteilnehmenden erfolgte in den meisten Fällen überein Telefonatoder eine Emailanfrage, beider das SNF-Projekt und dessen Ziele kurz erläutertwurden und eine mögliche Zu- sammenarbeit angefragtwurde. Zeigten sich die Personen interessiert, wurde ein Termin ausgemacht, an dem ein gegenseitiges Kennenlernen stattfand und die Art, Möglichkeiten und Grenzen einer Zusammenarbeit besprochen wur- den. Im Anschluss daran wurden die Methoden daran angepasst (Jaffe 2012). Häufig ergab sich beidiesen Treffen bereits ein erstes Interview.Andere Kon- takte wiederum wurden überbereits an der Forschung teilnehmende Personen vermittelt oder direkt aufdem Feld geknüpft. Die Tourismusindustrie stellte sich dabei als sehr offenes Terrain heraus. Meinen ForschungskollegInnen und mir wurden aufAnfrage meist problemlos die Türenzuden in der Tourismusindustrietätigen Institutionen geöffnet und Einblickeinden Arbeitsalltag, aber auch in das Privatleben vieler Personen gewährt. Dass sich der Zugang zum Feldnichtimmer so einfach darstellt, weiss ich ausvorangehender Forschung im schulischen Kontext. Umso wichtiger ist es jedoch in solch einem Feld, in dem die/der Forschendenichtals unerwünscht oder gar als akuteBedrohung angesehenwird, die Forschungsteilnehmenden für ethische Fragestellungen zu sensibilisieren (siehe Kapitel III.3.1.2 und 3.4.2). Letztendlich erklärten sich die folgenden Institutionen dazu bereit, an meiner Forschung teilzunehmen: –ein lokales Tourismusinformationsbüro (TIB) –zwei fürdie touristische Vermarktung der Polregion Murtensee und der TourismusregionFribourg verantwortliche Tourismusverbände (RMV und FTV) –ein Museum –ein Touranbieter –eine Eventmanagementagentur –ein Hotelbetrieb mit Restaurant

Während der Feldforschung stand ich mit rund 85 Personen in näherem Kon- takt, welche unterschiedliche Positionen und Funktionen in den oben genannten Institutionen bekleideten,führte Interviews mit ihnen oder begleitete sie bei ihrer Arbeit. Aufgrund der Adoption des viel-örtigen und viel-perspektivischen ethnographischen Ansatzes beschränkte sich die Feldforschung nichtnur auf

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3.1.2 Informations- und Einwilligungsprozedere Beim Erstkontakt mit potentiellenForschungsteilnehmerInnen stellte ich mich als Doktorandin der UniversitätFreiburg vor und erzählte kurz überdas Projekt an dem ich arbeitete. Wichtigwar dabei, in leichtverständlicherSprache die Ziele und Fragen des Projektes zu erläutern, und zu erklären, inwieferndie betreffende Person beider Datenproduktion behilflich sein könnte (z.B. mit einem Interview oder der Beobachtung der Arbeitspraxis).Wenn es sichumeine geplante Kontaktaufnahme handelte,wurden die potentiellenForschungsteil- nehmenden entweder vor oder während des Treffens mit einem Informations- blatt überdas Forschungsprojekt aufDeutsch, Französisch oder Englisch aus- gestattet, aufdem auch die Kontaktdaten der Forschenden zu finden waren. Auf dem Informationsblatt befanden sich zudem auch Informationen bezüglich der Anonymisierung der Daten. Die Forschungsteilnehmenden wurden darüber aufgeklärt,dass trotz der Verwendung vonPseudonymen anstelle ihrer richti- gen Namen in wissenschaftlichen Publikationen und Vorträgen dennoch auf- grund der doch relativ überschaubaren Grösse des Terrains nichtausgeschlos- sen werden könnte, dass Insider des Terrains Rückschlüsse aufdie an der For- schung beteiligten Personen ziehen könnten. Im Rahmen vonAudio-, Video- oder Fotoaufnahmen wurden die betroffenen Forschungsteilnehmenden immer zunächst um Erlaubnis gefragt. Gaben sie ihre Genehmigung nicht, wurde darauf verzichtet, Aufnahmen zu machen. Das Audio-/Videoaufnahmegerätwurde dementsprechend auch immer erst dann eingeschaltet, wenn die Erlaubnis erteilt wurde. Zudem wurden die Teilneh- menden nach der Aufnahmenocheinmalgefragt, ob diese in der vorliegenden Form verwendet werden dürfeoder ob es Stellen gäbe,bei denen sie es vorziehen würden, wennsie herausgeschnitten oder nichtverwendet werden würden. Des Weiteren wurden die Teilnehmenden darüberinformiert, dass ein Widerrufder Teilnahmezusage jederzeit möglich sei. Die teilnehmenden Personen gaben in den meisten Fällen nichtnur mündlich eine Einverständniserklärung,sondern unterzeichneten auch eine Einverständniserkläung,mit welcher sie ihreZu- stimmungzur Verwendung der Daten gaben. Das Forschungsteam wiederum sicherte den Forschungsteilnehmenden im Rahmen einer unterzeichneten Vertraulichkeitserklärung zu, die verfertigten Audio-/Videoaufnahmen und deren weitestgehend anonymisierte Verschriftung ausschliesslich fürwissen- schaftliche und didaktische Zweckezuverwenden. Beider Aufnahme vonInteraktionen zwischen TouristInnen und Gästebe-

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Datengenerierung 85 treuerInnen im lokalen Tourismusinformationsbüro positionierte ich zwei Aufnahmegeräte sichtbar aufden Rezeptionstresen. Daneben stellte ich eine Informationstafel, aufder die TouristInnen aufDeutsch, Französisch,Englisch, Italienisch und Spanisch darüberinformiertwurden, dass das Gespräch zu Forschungszweckenaufgezeichnet würde. Aufder Informationstafelwar eben- falls zu lesen, dass sämtliche Daten anonym und vertraulich behandelt werden würden und die Aufnahme aufWunsch auch gelöschtwerden könnte. Um si- cherzugehen,dass diese Information auch wirklich beiden TouristInnen an- gekommen war,sprach ich sie jeweils nach dem Gespräch mit den Gästebe- teuerInnenbeim Verlassen des Informationsbüros an, machte sie darauf auf- merksam, dass sie aufgenommen worden waren, erklärtenocheinmal wozu und fragte nachträglich um Erlaubnis. Wenn sich jemand nichtmit der Aufnahme einverstanden zeigte, wurde dies notiertund der spezifischeTeil der Aufnahme nichtverschriftlichtoder anderweitig verwendet.

3.1.3 Dokumentationstechnik Als technische Unterstützung wurden zur Datengenerierung digitale Audio- aufnahmegeräte, Videokameras und Fotoapparateverwendet. BeiInterviews wurden in den meisten Fällen zwei Audioaufnahmegeräte gleichzeitig verwendet, um dem Risikodes Datenverlusts vorzubeugen, falls ein Gerätausfallen sollte. Dabei wurden zwei Aufnahmegeräte unterschiedlicher Marken mit unterschiedlicher Soundqualitätverwendet, die unterschiedlich gut an die verschiedenen Aufnahmekontexte angepasst waren. Eines der beiden Geräte zeichnetesehr fein auf, was in stillen Räumen eine ausgezeichnete Auf- nahmequalitätgarantierte, während das »gröbere« Aufnahmen produzierende Geräthervorragend im Freien und beistarken Hintergrundgeräuschen funk- tionierte. Ebenso ging ich beider Aufnahme vonKundenkontakt am Schalter im Tourismusinformationsbüro vor.Diese Vorgehensweise erlaubte später die Auswahl der jeweils besseren Aufnahmefürdie Transkription und ermöglichte auch, die aufeiner Aufnahme unverständlichen Stellen aufder anderen nach- zuhören. Beider Dokumentation vonStadtführungen, stattete ich die Stadt- führerInnen mit einem Krawattenmikrofonaus, welches sie mit einem Clip an ihrer Kleidung gesichtsnah anbringen konnten. Das Mikrofonwar überein Kabel mit dem Aufnahmegerätverbunden, welchessie in einer Jacken- oder Hosentasche beisich trugen. Aufdiese Weise hatte ich die Hände frei und konnte die Führung zusätzlich mit einer Videokamera filmen. Die Videoaufnahmen sollten mir zum einen helfen, beider Transkription und Analyse der Daten die unterschiedlichen TeilnehmerInnen der Stadtführungen bzw.die unterschied- lichen SprecherInnenauf der Aufnahme leichter zu identifizieren und mich beim ständig wechselnden Standort gleichzeitig auch im Raum zu orientieren.

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Zum Filmen verwendete ich eine handliche Videokamera mit integriertem Mi- krofon. Um die Tonqualitätzuverbessernverwendete ich teilweise zusätzlich ein externes Mikrofon, welches sich an die Kamera anschrauben lies. Die Kamera trugich in der Hand und verzichtete aufden Gebrauch eines Stativs, um beider erforderlichen Mobilitätbeweglicher zu sein. Vier Interviews musste ich überSkype führen, da entweder die betreffenden Personen oder ich ausser Landes waren. Um die Interviews dennoch aufneh- men zu können, nutzte ich den MP3 Skype Recorder,eine spezielleSoftware, welche aufdas Aufzeichnen vonSkype-Gesprächen ausgelegtist. Beizwei In- terviews funktionierte die Software einwandfrei. Beieinem dritten Interview schlich sich jedoch nach einigen Minuten ausungeklärten Gründen ein Stör- geräusch ein, welches die Aufnahme letztendlich unbrauchbar machte. Beim vierten Skype-Gespräch stürzte unglücklicherweise sogar der ganze Computer ab,sodass das Gespräch überdas Smartphone –und ohne Aufnahmesoftware fortgeführtwurde. In letzteren beiden Fällen kammir zu Gute, dass ich während der Gespräche handschriftlich Notizen gemachthatte. Fürdas Linguistic Landscape der Destination Murten als auch fürdie Do- kumentation der Räumlichkeiten der einzelnen touristischen Institutionen wurde ein gewöhnlicher Fotoapparat, bisweilen auch die Kamera eines Smart- phones benutzt.

3.1.4 Sammlung von Dokumenten An Dokumente, die überdie Funktionsweise der lokalen Tourismusindustrie informierten (z.B. in Form vonInformations- und Promotionsmaterial), ge- langte ich aufunterschiedliche Weise. Zunächst einmalrecherchierte ich Literatur zur Geschichte Murtens (Blum und Grosjean 1965;Deuchler 1975;Engelhard 2008, 2010;Fleury, Gaillet und Hochuli 2002;Glauser,Amrein und Amrein 2014;Holzer 2002;Lehmann 1995; Robatel 1979;Rubli 1983;Rubli und Stucki 2002;Oswald 2004) und zur Ge- schichte der lokalen Tourismusindustrie(Lehmann 1995;Oswald 2004). Diese fand ich hauptsächlich in der kantonalen Universitätsbibliothek in Freiburg, aber auch im Museum in Murten sowieimMurtner Tourismusinformations- büro.Imweiteren Verlauf suchte ich institutionelle Dokumente, die mir mehr überdie Entstehungsgeschichte der an der Forschung teilnehmendenInstitu- tionen, überderen Funktionsweise, Unternehmensphilosophie und -politik sowie überdie Vernetzung und Zusammenarbeit mit anderen Institutionen verriet. Diese Dokumente fand ich hauptsächlich online, vereinzelt aber auch im Archiv des lokalen Tourismusinformationsbüros. Überdie Internetauftritte der einzelnen Institutionen hatte ich Zugriff auf öffentliche Dokumente, wiez.B. Jahresberichte, Sitzungsprotokolle, Marketingstrategiepläne.

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An Informations- und Promotionsmaterial sammelte ich zum einen die ak- tuellen Printversionen der Broschüren, Prospekte, Flyer und Karten, die in den Räumlichkeiten der einzelnen Institutionen, beiPartnerinstitutionen, aber auch an Ständen aufTourismusmessen auslagen. Hinzu kam das Onlinepro- motionsmaterial in Form vononline verfügbaren Broschürenoder ganzen Webseiteneinträgen, mit denen die Destination Murten vonauf verschiedenen Ebenen operierenden Tourismusmarketingagenturen beworben wurde. Wasan Dokumenten online verfügbar war,lud ich herunter,das Printmaterial scannte ich ein und speicherte alles im PDF-Format ab.Webseiten (entweder einzelne Seiten oder den gesamten Internetauftritt) lud ich mit Hilfe von AdobePro herunter und speicherte sie ebenfalls als PDF ab.Dieses Material ergänzte ich durch einen Besuch im Archiv des lokalen Tourismusinformationsbürosin Murten, wo ich zusätzliches Broschüren- und Flyermaterial fand, welches bis zurück ins Jahr 1942 datierte. Um überlokale touristische Veranstaltungen informiertzubleiben, abon- nierte ich die monatlichen Newsletterbei den jeweiligen Tourismusmarketing- institutionen (TIB, FTV,TMS). Des Weiteren verfolgte ich in den Medien, was überMurten und die dortige Tourismusindustrieberichtet wurde. Fürdie Presseberichte hatte ich die lokale, wöchentlich zweimal erscheinende Zeitung »Der Murtenbieter« abonniert. Regelmässig durchsuchte ich auch die regionale und nationale Presse nach relevanten Beiträgen. Zu den Medienbeiträgen zählen auch Radio- oder Fernsehbeiträge, die meist als Podcasts oder Videos überdie Webseiten der jeweiligen Medien zugänglich waren, und die ich ebenfalls her- unterlud. Um Zugang zu spezifischen Artikeln ausden Archiven der regionalen Zeitungen zu erhalten, erwarb ich mehrereMale Kurzzeitabonnements.

3.2 Daten(auswahl)

Beider ethnographischen Herangehensweise werden grundsätzlich immer mehr Daten generiert, als im Endeffekt fürAnalysezweckewirklich verwendet werden. Blommaertund Dong kommentieren dieses zunächst mehr oder we- niger strukturierte Anhäufen vonDatenmaterial in ihrem Handbuch humorvoll in einem Kapitel mit dem Titel »Collecting Rubbish«(2010:58f).Diese Daten- mengen sind jedoch eben gerade nichtals unnötiger »Datenmüll« zu werten, sondern als einzelne Puzzleteile eines Gesamtbildes zu betrachten, welche dazu dienen, einen möglichst detaillierten Einblick in das komplexeMilieu des For- schungsterrains zu erhalten. Beider Datenauswahl muss unterschieden werden, ob sie der/dem Forschenden nur dazu dienen, einen allgemeinen Eindruck vom Feldund den AkteurInnen zu erhalten, oder ob sie fürdie Rekonstruktion von Diskursen notwendig sind (Keller 2007:87). Es ist also nurlogisch, dass nichtder

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3.2.1 Dokumentation und Aufnahmen von Sprachpraktiken bei der Arbeit In Form vonteilnehmenden Beobachtungen, Feldnotizen und/oder Audio-/Vi- deoaufzeichnungendokumentierte ich folgende sprachbasierte Arbeitsprakti- ken: –touristische Aktivitäten und Interaktionen mit TouristInnen(u.a. 16 Stadt- und Museumsführungen mit unterschiedlichen Thematiken, durchgeführt vonverschiedenen FührerInnen aufDeutsch, Schweizerdeutsch, Französisch, Englisch und bilingual aufDeutsch/Schweizerdeutsch-Französisch (Dauer je zwischen 1:30–4 h), circa 5hAudioaufzeichnungen des Kundenkontakts im Tourismusbüro und Feldnotizen des Kundenkontakts an einer Hotelrezep- tion) –Marketingaktivitäten (z. B. die Dokumentation von3Auftritten vonTIB, RMV und/oder FTV aufTourismusmessen in der Schweiz, Deutschland und Frankreich;sowie 3Besuche voninternationalen Journalistengruppen in Murten) –Interaktionen zwischen den Tourismusbeschäftigen während der Arbeit (u.a. auch Audioaufzeichnungen von4Teamsitzungen und 2internen Weiterbil- dungen im Tourismusinformationsbüro) –Rekrutierungsprozesse (z.B. 4Vorstellungsgespräche füreine neu geschaf- fene Kommunikationsstelle im Tourismusbüro und deren anschliessende Besprechung seitens der rekrutierenden Direktion)

Die Analyse der Sprachpraktiken beider Arbeit zeigen sprachliche Anforde- rungen und Problematiken auf, die aufdie Definition/Konstruktion des idealen Sprachenprofils der ArbeitskräfteEinfluss nimmt. Die Interaktionsdaten vom Kontakt der Beschäftigten untereinander und mit TouristInnen zeigen Momente auf, in denen sprachliche Legitimitätangezweifelt wird und ausgehandelt wer- den muss. Die Analyse dieser Spannungsmomente wiederum gibt Aufschluss übermögliche Legitimationsstrategien derjenigen Arbeitskräfte, die ihre Au- thentizität, Legitimitätund Kompetenz dabei unter Beweis stellen müssen. Die Dokumentation vonRekrutierungsprozessen wiederum erlaubt mir,die Aus- handlung der Bedeutung vonSprachkenntnissen fürSelektions-, In- und Ex- klusionsprozessen in einer institutionellen Logik zu verstehen.

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3.2.2 Interviews Meine Interviewdaten bestehen aus30problemorientierten (Leitfaden-)Inter- views mit VertreterInnen verschiedener Tourismusinstitutionen und Anbiete- rInnen vontouristischen Aktivitäten (z.B. mit der Direktion und den Ange- stellten des lokalen Tourismusinformationsbürosund mehrerer auflokaler, regionaler und (inter)nationaler Ebene tätigen Tourismusmarketingagenturen, eines Museums, eines Hotels, mit Stadt- und MuseumsführerInnen, und mit dem Team eines Eventmanagementbüros),welche von(teilweise auch sponta- nen) Kurzinterviews mit ca. 10 Minuten Länge in Form vonkurzen Statements zu bestimmten Sachverhalten bis hin zu vertieften Interviews mit einer Länge vonbis zu 2Stunden reichen. Die Interviewserlauben mir,die Konstruktion der LegitimitätbestimmterSprachen und ihrer SprecherInnen in der Tourismus- industrie zu verstehen, und zwar sowohl ausinstitutioneller Perspektiveals auch ausder individuellen Sichtweise der einzelnen Personen. Wichtigist es auch, zu vergleichen, was übersprachlicheAnforderungen in den Interviews ausgesagt wurde und was in der Praxis geschieht. Die Interviews geben mir zudem Ein- blickeindas persönliche Empfinden der ArbeitskräfteinBezug aufHeraus- forderungen oder Spannungen, die mit sprachlichen Fragenzusammenhängen, und informieren mich darüber, wiesie mit diesen Problemenumgehen.

3.2.3 Dokumentensammlung Meine Daten umfassen zudem die folgenden Dokumente, die ich beiFeldbe- suchen (z.B. in den Empfangsräumlichkeiten der an meiner Forschung teil- nehmenden Institutionen oder im Rahmen vonVeranstaltungen), im Archivdes Tourismusinformationsbüros sowieonline sammelte. –historische undaktuelleinstitutionelleDokumente vonlokal wirkendenTou- rismusinstitutionen (lokal, (pol-)regional und national operierende Touris- musinformationsbüros und Marketingagenturen, einem Museum, einem Hotel, verschiedener Tour-und Stadtführungsanbieter sowieeinem Event- managementbüro); –historisches und aktuellesPromotions-und Informationsmaterial (z.B. über 300 Promotionstexte ausBroschürenund Prospekten übereinen Zeitraum von70Jahren, ausReiseführer-/Magazinartikeln, vonPlakaten sowievon den Webseiten der verschiedenen Institutionen); –ca. 300 Presseberichte zu den Aktivitäten der involvierten Institutionen bzw. touristischen Events in Murten.

Die institutionellen Dokumente sind als Materialisierung einer institutionel- len Logik zu verstehen und erlauben es, einen Einblick in das Sprachenmana-

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3.2.4 Fotodokumentation Um einen Eindruck des Linguistic Landscapesder Destination Murten zu er- halten, wurden die Innenstadt sowiedie Räumlichkeiten der einzelnen touris- tischen Institutionen fotografisch dokumentiert. Des Weiteren wurden auch die Messestände und Auslagen beiMesseauftritten im In- und Ausland abfo- tografiertDie Dokumentation der Sprachlandschaftgibt zum einen Auskunft überdie lokale Sprach(en)politik (z.B. ein/zwei/mehrsprachige Beschilderung als (Nicht-)Anerkennung vonlokalen Minderheitensprachen). Gleichzeitig ver- rätdie Sprachlandschaftals Mittel der visuellen Kommunikation durch die Sprachwahl der Beschilderung auch, welches Publikum(z.B. TouristInnen) angesprochen werden soll und welche Informationen ihm zugänglich gemacht werden sollen (Moriarty 2015).

3.3 Datenaufbereitung

Die Datengenerierung ist mit der Produktion der Primärdaten nichtabge- schlossen.Diese müssen vorder Analyse und Auswertung zunächst noch auf- bereitet werden:Die Audio- und Videodateien müssen verschriftlichtund an- onymisiert, die Textdatenklassifiziert, strukturiertund codiertwerden.

3.3.1 Multimodale, mehrsprachige Transkriptionen Die Interviews sowiedie Audio-/Videoaufzeichnungen vontouristischen Akti- vitäten und der Interaktion vonimTourismusbereich beschäftigen Arbeits- kräften und Gästen wurden mit Hilfe der Transkriptionssoftware Transana verschriftlichtund anonymisiert. Um diese Aufgabezubewältigen, mussten zunächst grundlegende Entscheidungen hinsichtlich der Transkriptionspolitik (politics of transcription)getroffen werden (Bucholtz 2000). Transkribieren ist sowohl als Repräsentations- als auch als Interpretationspraxis zu betrachten (ebd.;Mondada 2007), d.h. durch die Repräsentation der mündlichenSprache mit orthographischen Konventionen findet bereits eine erste Interpretation der Primärdaten statt (Bezemer und Mavers 2011;Turell und Moyer 2008). Dieser

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Prozess ist nichtneutral, sonderngeprägt vonden Sprachideologien der bzw. des Transkribierenden (Roberts 1997). Die bzw.der Transkribierende muss sich bewusst sein, dass sie bzw.erbeim Transkribieren im Begriff ist, die Grenzen der Autorenschaftzuverwischen, da die Transkriptioneine Mischung ausder ursprünglich aufgenommenen Aussage und der Handschriftder bzw. des Transkribierenden darstellt (Vigouroux 2007).Die Transkriptionspolitik muss sich zum einen an der Frage orientieren, was fürdie Analyse bzw.fürdie Beantwortung der Forschungsfragen zentral und notwendig ist, und zum an- deren, fürwelche LeserInnen die Transkriptionausgerichtet ist (Bezemer und Mavers 2011;Turell und Moyer2008). Zunächst gilt es also zu entscheiden, in welchem Umfang und mit welcher Genauigkeit transkribiertwerden muss: welche Daten, aber auch welche Ausschnitteund wiegrobbzw.fein diese jeweils transkribiertwerden müssen (phonetische Genauigkeit, Pausen, Intonation, Erklärungen zu parasprachlichen Vorgängen usw.). Sprache ist jedoch nicht das einzige Mittel, überwelches wirkommunizieren. Eine multimodale analy- tische Herangehensweise an Videomaterialversuchtdurch die Transkription der Gestik (Positionierung des Körpers im Raum, Körpersprache) und Mimik (Gesichtsausdruck, Blickrichtung usw.) der Vielschichtigkeit der Interaktions- ebenen gerechtzuwerden, aufdenen Menschen ihrem kommunikativen Han- deln Bedeutung verleihen (Jewitt 2009;Bezemer und Jewitt 2010). Da sichdie Daten meiner Dissertation mit den Daten des SNF-Projekts überschneiden, übernahm ich die dafüretablierten Transkriptionskonventio- nen38,umeine gewisse Kohärenz im Datenmaterial zu garantieren. Dies bot sich auch deshalb an, da dasProjekt dieselbemethodologische und analytische Herangehensweise verfolgte. Jedes Transkript wurde mit einem sogenannten »header«eingeleitet, einer ArtKopfleiste, die Informationen zu den Metadaten der Transkription, wiez.B. dem Titel der Quelldatei, Informationen zu den transkribierendenund kor- rekturlesenden Personen, dem letzten Bearbeitungsdatum und dem Feinheits- grad der Transkription enthielt (Selting u.a. 2009). Zudem wurden die Abkür- zungen der in der Aufnahme zu hörenden Personen aufgeschlüsselt sowieeine kurze Situationsbeschreibung zum Kontext der Aufnahme hinzugefügt.ImFalle einer schlechten Tonqualitätder Aufnahme bzw.besonderen Regelanpassungen der Transkriptionskonventionen, wurde dazu ebenfalls eine Bemerkung ge- macht. Zeitangaben wurden nichtnach bestimmten Zeitabständen, sondern bei jedem turn-taking in Form einer Zeitmarkevor das Kürzel der Sprecherin/des Sprechers gesetzt.

38 Dabei handelt es sich um eine adaptierte Versionder Convention ICOR (siehe: http://icar. univ-lyon2.fr/ecole_thematique/tranal_i/documents/Mosaic/ICAR_Conventions_ICOR. pdf, Abrufdatum 20.05.2018).

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Generell wurde beim Transkribieren die Standardschreibweiseder jeweili- gen Sprache verwendet, die im Falle der Abweichung vonder Standardsprache phonetisch jedoch relativgenauangepasst wurde, um der schriftlichen Dar- stellung der Mündlichkeit gerechtzuwerden. Zum einen bedeutet dies, dass Elemente der mündlichen Sprache z.B. im Französischen ouais anstelle von oui in ersterer Form verschriftlichtwurden. Schweizerdeutsch wurde in schwei- zerdeutscher Schreibweise verschriftlicht.3940 Auch dialektalgefärbte Ausspra- che des Deutschen (beispielsweiseeine süddeutsche Varietät) oder Akzente wurden transkribiert, teilweise jedoch abgeschwächtund darauf bedacht, sie nichtstereotypenhaft überzustilisieren, um eine mögliche diskriminierende Darstellung der Sprecherin bzw.des Sprechers zu vermeiden (Mondada 2002). Hingegen wurden auch Elemente wiez.B.Stottern, Zögerungsphänomene (z. B. »äh«), Pausen, Wortabbrüche und Neuformulierungen oder zustimmende/ver- neinende Geräusche (»mhm«/»mm«) verschriftlicht. Pausen wurden generell nurgeschätzt, jedoch nichtgemessen. Viele Interviews und Interaktionsdaten waren mehrsprachiger Natur. Wurde ein Gespräch mehrheitlich in einer Sprache geführtund tauchten nurstellenweise anderssprachige Äusserungen auf, wurde das Code-Switching als solches gekennzeichnet. Besonders beider Transkription der Videoaufnahmen vontheatralisch ge- prägten Stadtführungen spielte die vorher angesprochene Multimodalitäteine wichtige Rolle. Beider Transkription der unterschiedlichen Szenen wurde der Wahl der jeweiligen Örtlichkeiten, der schauspielerischen Inszenierung sowie den Kostümen und Accessoires der SchauspielerInnen bzw.StadtführerInnen ebenso viel Aufmerksamkeit geschenkt, wiederen sprachlichen Performanz, da die verschiedenen Ebenen alle zum »meaning making«der theatralischen Aufführung beitrugen. Beider Transkription der multimodalen und mehr- sprachigen Daten begegnete ich der Schwierigkeit, dass aufgrund der teilweise

39 Da es fürdie schweizerdeutschen Varietäten keine standardisierte Rechtschreibunggibt und die einzelnen Varietäten auch unterschiedlich starkeAusprägungen haben, wurdezur Ori- entierung füreine zumindest annähernde Kohärenz der Verschriftlichung der unter- schiedlichenschweizerdeutschen Varietäten Dieths »Schwyzertütschi Dialäktschrift. Leit- faden einer einheitlichen Schreibweise füralle Dialekte« (1986) herangezogen. 40 Obwohl ich schweizerdeutsche Varietäten rezeptiv (Hör- und Leseverständnis) problemlos verstehe, somit also auch die Interviews mit schweizerdeutschsprachigenPersonen führen konnte, habe ich keine produktiven Kompetenzen (wedermündlich noch schriftlich) und konnte deshalb die schweizerdeutschsprachigen Daten nichtselbst transkribieren. Dank der Unterstützung vonmehreren schweizerdeutschsprachigen wissenschaftlichen Hilfskräften konnte ich diese Schwierigkeit überbrücken. Ichwies sie persönlich ein, zeigte ihnen Bei- spieltranskriptionen, las ihreTranskriptionenhinsichtlich der Einhaltung der Transkripti- onskonventionen Korrektur und holtemir Unterstützung vonmeiner schweizerdeutsch- sprachigen Projektkollegin, wenn ich mir beipotentiellen TranskriptionsfehlerninForm vonphonetischen Abweichungen unsicher war.Teilweise lies ich sie auch untereinander gegenseitig ihreTranskriptionen Korrektur lesen oder verfeinern.

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3.3.2 Anonymisierung Wiebereits in Kapitel III.3.1.2 beschrieben, informierte ich die Forschungs- teilnehmendenvor jeder Audio-/Videoaufnahme überdas Ziel des Projekts, bat um die Erlaubnis der Aufnahme und erläuterte die Verwendung der Daten. In diesem Zusammenhang ging ich auch aufdie Anonymisierungspraxis ein. So erklärteich, dass die Ortsangabeder Destination Murten nichtanonymisiert würde, jedoch weder die echten Namen vonInstitutionen noch vonPersonen genanntwerden würden. Die projektinterne Anonymisierungspolitik, welche ich auch fürdie vorliegende Dissertation adoptierte, sah vor, dass Personen entweder mit der Bezeichnung ihrer institutionellen Funktion (z.B. PräsidentIn, DirektorIn) oder aber mit einem entsprechenden Pseudonymanonymisiert werden. Ebenso verhielt es sich mit den Bezeichnungen der Institutionen. In Bezug aufdie Anonymisierung war es wichtig, die Forschungsteilnehmenden für das Risikozusensibilisieren, dass InsiderInnen trotz der Anonymisierung Rückschlüsse aufPersonen und Institutionen ziehen könnten. Die For- schungsteilnehmenden wurden überdieses RisikoinKenntnis gesetzt und gaben ihr Einverständnis zur Verwendung der Daten mündlich und/oder schriftlich. Inwiefernsie sich möglicher Konsequenzender Veröffentlichung ihrer Aussagen jeweils bewusst waren, war jedoch nichtimmer sicher.Inbri- santen Grenzfällen musste der/die Transkribierende bzw.der/die VerfasserIn der Veröffentlichung vonForschungsergebnissen je nachErmessen u.U. stärkere Anonymisierungsmassnahmen treffen, als die allgemeingültigen (Von Unger 2014).

3.3.3 Strukturierungder Textdateien Fürdie Aufbereitung und qualitative Analyse vongrossen Textdatensätzen gibt es spezielle computergestützte Softwares (CAQDAS – Computer Assisted/Aided Qualitative Data Analysis Softwares). Diese Softwareskönnen beider Analyse vonTranskriptionen, aber auch beider Inhaltsanalyse oder zur Codierung von Textdateien und sogar zum Analysieren vonBilddateien verwendet werden. Die fürdie Transkription herangezogene Software Transana eignete sich nicht dafür, da sie ausschliesslich Dateien im rtf-Format bearbeiten kann und somit

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3.4 DeontologischeFragestellungen

Die vorliegende Dissertationsforschung beinhaltet mehreredeontologische Fragestellungen. Meyer Pitton unterscheidet drei forschungsethische Verant- wortlichkeiten gegenübera)der wissenschaftlichen Community,b)den For- schungsteilnehmenden und c) der Gesellschaft(2013:100f.). Diese Verant- wortlichkeiten sind in unterschiedlichen Phasen der Forschungsarbeit zu be- achten, die wiefolgterläutertwerden.

3.4.1 Reflexionder eigenen epistemologischen Positionierung und der Forschungsmotivation Ethische Fragestellungen sind direkt mit der ontologischen und epistemologi- schen Positionierungder/desForschendenverbunden (Murphyund Dingwall 2009). Ein ethnographischer,interpretativerAnsatz, der davonausgeht, dass jede gesellschaftliche Realitäteine soziale Konstruktion ist, verlangtdemnach auch eine kritische Selbstreflexionder Position der/des Forschenden, ihrer/ seiner Motive fürdie Forschung und ihrer/seiner Rolle beider Wissenspro- duktion (Bendel Larcher 2015;Heller 2002;Von Unger,Narimani, und M’Bayo 2014). Irvine und Gal warnen:»There is no ›view from nowhere‹, no gaze thatis not positioned.«(2000:36), und Bucholtz erinnert: »Allscholars areinfluenced by some formofideology. Our goal, then, should not be an unattainable ideology-free sociolinguistics, but areflexive sociolinguistic thatac- knowledges and monitors itsown interestedness[…].«(2003:404)

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Die ethnographische Perspektive erlaubt und fördertdas kritische Hinterfra- gen vonsowohl in der Gesellschaft als auch in der Wissenschaftetablierten Sichtweisen. Ausdiesem Grund sollte der/die Forschendeseine individuellen Vorstellungen vonherkömmlichenKonzepten –wie z.B. die fürdie vorliegende Forschungsarbeit relevanten Konzepte der Sprache, der Legitimitätoder der Authentizität(siehe Kapitel II.5.) –kritisch reflektieren (Heller2010b). Auch muss er/sie die Beziehung zu den Forschungsteilnehmenden (siehe Kapi- tel III.3.4.2) wieauch die Naturdes Wissens, das er/sie produziert(siehe Ka- pitel III.3.4.3), überdenken (Heller 1999). Im Folgenden werde ich mein Inter- esse an der Thematik der Arbeit reflektieren. Während der letzten Jahrelebte ich in verschiedenen Städten (u.a. Triest, Strassburg,Basel, Bozen, Breisach, Freiburg i.Ü.), die sichanintra-/interna- tionalen Sprachgrenzen befinden. Ichbegann mich fürdas Thema der sprach- lichen Grenzziehung zu interessieren und fürdie Konsequenzen, die damit fürdie in der jeweiligenGrenzregion lebenden Bevölkerung einhergehen. Die Arbeit am SNF-Projekt erlaubte mir,zuuntersuchen, in welcher Form sich Sprachgrenzen manifestieren, welche Diskurse dazu zirkulieren, vonwem sie (de)konstruiertund ob sie institutionalisiertaufrechterhalten werden. Nebst den geopolitischen Sprachgrenzkonstruktionen interessierten mich besonders die damit verbundenen sozialen sprachlichen Kategorisierungs-, Differenzie- rungs- und Grenzziehungsprozesse. Mit einer bestimmtensprachlichen Per- formanz werden meist bestimmte Assoziationen verbunden, aufgrund derer ein(e) SprecherIn eingeschätzt, beurteilt und »in eine Schubladegesteckt« wird. Diese Beurteilung wird vonzirkulierenden Diskursen zu und Vorstellungen von gewissen Sprache(n) und ihren Grenzen (Sprachideologien) beeinflusst. Meine Dissertation erlaubte mir,einen mir neuen und kritischen Blick aufdie bishe- rigen, mein Weltbild strukturierenden sozialen Kategorien und »Schubladen« zu werfen und sie zu hinterfragen. Damit möchte ich keinesfalls behaupten, dass ich mich vondiesen Kategorien hätte lossagen oder gar befreien können. Davon bin ich weit entfernt,nocherscheintesmir überhaupt möglich. Mein Anspruch mit dieser Arbeit ist es jedoch, aufdieses alltägliche »Schubladendenken« und aufdie sprachlichenKategorien vonPersonen, die wiraufgrund oder mit Hilfe vonSprache bilden, aufmerksam zu machen und die Grenzen, die wirdadurch zwischen uns und unsere Mitmenschen ziehen, kritisch zu hinterfragen. Indem ich verschiedene Arten sprachlicherKategorisierungs-, Differenzierungs- und Grenzziehungsprozesse sowiedie ihnen zugrunde liegenden und sie regene- rierenden Vorstellungen vonSprache analysiere, möchte ich fürdie damit ein- hergehenden Konsequenzen fürdie davonbetroffenen SprecherInnen sensibi- lisieren.

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3.4.2 Pflichtengegenüber ForschungsteilnehmerInnen und Beziehungen im Feld Wasdie Verantwortlichkeiten gegenüberForschungsteilnehmenden betrifft, so müssen gewisse ethische Prinzipien41 beachtet werden und der Schutz ihrer Anonymitätgewährleistet sein. Die TeilnehmerInnen dürfen durch die For- schung weder gefährdet werden noch in deren Folge eine Benachteiligung er- leiden (Cameron 2001;Garner,Raschka und Sercombe2008;Milroyund Gordon 2008;Murphyund Dingwall 2009). Die Sensibilisierung fürein mit der Teil- nahme an der Forschung verbundenes Risiko, wurde mit der mündlichenund/ oder schriftlichen Aufklärung der Forschungsteilnehmenden überdie Ziele und Fragestellungen des Forschungsprojektes, überdie Verwendung der Daten sowie überdie Grenzen der Anonymisierung erwirkt. Audio-/Videoaufnahmen wur- den nie ohneEinwilligung bzw.versteckt aufgezeichnet. Die TeilnehmerInnen wurden immer um ihr mündliches und/oder schriftliches Einverständnis hin- sichtlich der Verwendung der Audio-/Videoaufnahmengebeten, das jederzeit widerrufbar war (Weber und Beaud2010). Gleichzeitig verpflichtete sich mein Forschungsteam im Rahmen einer Vertraulichkeitserklärung,die betreffenden Daten nurfürdie angegebenen Zweckezunutzen und die Anonymitätder Forschungsteilnehmenden bestmöglich zu wahren. Auch innerhalb des For- schungsteams wurden im Rahmen einer Datennutzungsbestimmung die Nut- zungsrechte der Daten festgelegt. Manche Forschungsteilnehmende formulierten gewisse Bedingungen, unter welchen sie an der Forschung teilnahmen. Diese Bedingungen betrafen meist die Datennutzung (das z.B. ein Teil der erhobenen Daten nichtverwendet wird). Drei der an meiner Forschung teilnehmendenStadtführerInnen baten mich z.B. um Einsichtindie Audio-/Videodokumentation ihrer Arbeit, um ihre Perfor- manz zu verbessern. Dieser Bitte kamich nachund freute mich, den For- schungsteilnehmenden zumindest aufdiese Weise etwas zurückgeben zu kön- nen. Manch anderehingegen verlangten einen Berichtmit Ergebnissen zum Abschluss der Forschung oder zeigten sich interessiertanmeiner Dissertation. In diesem Zusammenhang kamen auch immer Fragen nach Best Practice-Tipps zum Tragen. Diese Fragen stehen im Zusammenhang mit der Frage, welche Art vonWissen die soziolinguistische Forschung produziert(Heller 1999). Die vorliegende Forschung hat keinen Anspruch, als »EmpowermentResearch«oder

41 In Form vonethischen Grundsätzen habenzahlreiche linguistische und sozialwissen- schaftliche Fachgesellschaften grundlegende Prinzipien der Forschungsethik zusammen- gefasst, denen sich Forschende ganzheitlich verpflichten oder welche sie zumindest als Orientierung zur Festlegung eigener Prinzipien heranziehen können. Diese Prinzipien va- riieren jedochjenach Disziplin/Land. Einen Überblick gebenz.B.Meyerhoff, Schleef und MacKenzie (2015).

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»Action Research«zugelten (Cameronu.a.1993;CharityHudley 2013).Den- jenigen Forschungsteilnehmenden, die sichnach Best Practice-Ratschlägen er- kundigten, wurde dementsprechend erläutert, dass dies nichtdas Ziel der vor- liegenden Forschung sei, hingegen aber ein besseres Verständnis der komplexen Nutzung vonMehrsprachigkeit bzw.der Sprachgrenze in der Tourismusindu- strieund ihrer Konsequenzen fürdie Konstruktion des idealen sprachlichen Profils der in dieser Industrie involvierten Arbeitskräfteangestrebt werde. Die Reflexion der Beziehung zu den ForschungsteilnehmerInnenbeschränkt sich aber nichtnur aufdie Pflichten, die die/der Forschende in ihrer/seiner Rolle ihnen gegenübereingeht. Als Forschende(r) kann man entweder bereits InsiderIn bzw.Mitglied einer zu untersuchenden Bevölkerung sein oder aber als fremde und aussenstehende Person im Rahmen der Forschung dazukommen, die aber im Laufe der Feldforschung die Akteurinnen und Akteure aufdem Feld besserkennen lernt,tiefe Einblickeinihren Alltag erhält und Beziehungen zu ihnen aufbaut. D. h. die Position und die Rolle, die der/dem Forschenden zu- geschrieben werden, verändernsich im Laufe der Forschung.Als ich mit der Feldforschung begann, kannte ich weder das Feld noch seine ProtagonistInnen. Mein Deutsch, welches mich eindeutig als deutschstämmige Person identifi- zierte, rief beiErstkontakten mit SprecherInnen des Schweizerdeutschen meist Sprachunsicherheiten hervorund initiierte in den meisten Fällen eine Abklä- rung der Sprachwahl (Hoch- oder Schweizerdeutsch) seitens der Interview- partnerInnen. Obwohl ich immer versicherte, Schweizerdeutsch gut zu verste- hen, es selbst aber nichtsprechen zu können, wechselten viele ins Hochdeutsche. Auch beiden SprecherInnen des Französischen,welche mein Französisch als Fremdspracheidentifizierten, passten sich manche sprachlich an mich an, wenn sie Deutsch ausreichend beherrschten. Hingegen passierte es mir einmal, dass eine eigentlich dominant deutschsprachige Person, ein gesamtes Interview mit mir aufFranzösisch führte, um mich zu testen.Indiesem Fall wurde meine Legitimitätzur Zweisprachigkeit zu forschen,inFrage gestellt. Im Laufe der dreijährigen Feldforschung wurde mir immer mehr die Rolle der »Insiderin« zugeschrieben. Dies reichte soweit, dass ich beieiner teilnehmenden Beobach- tung des Drehs einer indonesischen Kochshow, die auch einen Dokumentati- onsteil überdie Stadt Murten enthaltensollte, spontan als Stadtführerin re- krutiertwurde, um dem Koch und den FernsehzuschauerInnen die Stadt auf Englisch zu zeigen. Da ansonsten ich mit Mikrofonund Kamerabewaffnet meine Forschungsteilnehmenden um die Erlaubnis fürAufnahmen bat, konnte ich dies also schlechtablehnen. In die Rolle der Stadtführerin zu schlüpfen hatte insofern auch Erfahrungswert, da ich die Arbeitssituation meiner Forschungsteilneh- merInnen (ein Grossteilsind StadtführerInnen) am eigenenKörper erfahren und dabei auch bestimmte (sprachliche) Herausforderungen nachvollziehen konnte. Ein anderes Beispiel ist die Anfrage des lokalen Museums, ob ich im

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Rahmen der Vortragsreihe der damaligen Wechselausstellung zum Thema Grenzen nichtselbst aktiv werden und einen Vortrag gestalten könnte. Dieser Bitte ging ich mit meiner Projektkollegin Liliane MeyerPittonnach (siehe nächstes Kapitel).

3.4.3 Kommunikation der Forschungsergebnisse Forschungsergebnisse könneninvielfältiger Weiseeiner breiten(wissenschaftli- chen) Öffentlichkeit, aberauchden Forschungsteilnehmenden kommuniziert werden,wie z.B. in Form von öffentlichenVorträgen, Zeitungsartikeln, wissen- schaftlichen PublikationenoderKonferenzbeiträgen(White, Woodfield und Ritchie2003).Bezüglich derKommunikationvon Forschungsergebnissenauf derBasis vonDatenbeispielen spielt auch dieVerantwortlichkeit gegenüber den ForschungsteilnehmerInneneineentscheidendeRolle.SodürfenDaten nuran- onymisiert präsentiert werden.WenndennochRückschlüsseauf bestimmte Personen geschlossenwerden können,mussdie Sensibilitätder zu präsentie- renden Datenund dasdarausvermeintliche Risiko fürdie jeweiligen For- schungsteilnehmerInnen abgewogenund notfalls aufdie Verwendung bestimmter Datenverzichtetwerden(VonUnger 2014). Um dieTransparenz und Überprüf- barkeitder Ergebnisse zu garantieren, istdas Offenlegen dermethodologischen Vorgehensweisenotwendig. SelbstkritikinBezug aufproblematischeElemente dereigenen Forschungist angebracht. Im Sinne der ethnographischen Reziprozitätwar es meinem Forschungsteam und mir wichtig, unsere Forschungsergebnisse nichtnur Peers,sondernauch den ForschungsteilnehmerInnen zu kommunizieren (Cameronu.a.1993). Aus diesem Grund willigten meine Kollegin Liliane MeyerPittonund ich aufAnfrage des an der Forschung teilnehmenden Museums ein, einen Vortrag zur Rolle der Sprachgrenze fürtouristische Promotionszweckezuhalten. Dieser Vortrag war Teil einer Vortragsreihe im Rahmen einer Wechselausstellung zum Thema Grenzen, in der u.a. auch die lokale deutsch-französische Sprachgrenze the- matisiertwurde. Der Vortrag war öffentlich und einige Forschungsteilnehme- rInnen kamenals ZuhörerInnen. Dabei achtetenwir darauf, unseren wissen- schaftlichen Diskurs fürdie breite Öffentlichkeit durch die Anpassungunserer Sprachwahl und der Demonstration vonveranschaulichenden Beispielen zu- gänglich zu machen. Die DiskussionsrundeimAnschluss an den Vortrag offe- rierte den ForschungsteilnehmerInneneine Gelegenheit ihre Meinung zu un- serer soziolinguistischen Interpretation der Daten zu äussernund sichmit uns darüberauszutauschen. Am Ende des Projekts wurden diejenigenFor- schungsteilnehmerInnen, die sich an den Forschungsergebnissen interessiert gezeigthatten, zudem mit einem kurzen Forschungsbericht überausgewählte Ergebnisse informiert.

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4. Analytisches Vorgehen

Aufgrund der Annahme, dass Legitimitätdiskursiv konstruiertund ausgehan- delt wird und sich (Sprach-)Ideologien im Diskurs manifestieren, wählte ich fürdie Analyse der Daten eine diskursanalytische Herangehensweise. Die Dis- kursanalyse entwickelte sich seit den frühen 1970er Jahren als interdisziplinäres Forschungsfeld (Dunn und Mauer 2006;Keller 2007).Sie ist als analytische und interpretative Herangehensweise zur Untersuchung kommunikativer Praxis zu verstehen, die vonverschiedenen Disziplineneingesetzt wird und eine unter- schiedliche, teils widersprüchlicheAuffassung vonDiskurs(en) und dem ana- lytischen Vorgehen aufweist (Antaki u.a. 2003). Selbst Gründervater Michel Foucault war Zeit seines Schaffens nichtkonsistent, was die Theorie und Me- thodologie der Diskursanalyseanbelangt, und entwickelte verschiedene An- sätze, um den »Zusammenhang zwischen sprachlichem Verhalten, gesell- schaftlichen Institutionen und Normverhalten« (Ruffing 2010:22) zu untersu- chen. Vordem Hintergrund der interdisziplinärenund internationalen Heterogenitätder Definitionen und Ansätze erscheintesmir notwendig,in diesem Kapitel das Konzept des Diskurses und dasanalytische Vorgehen im Sinne der Diskursanalysegenauer zu beschreiben, welches ich adoptierte. An- schliessend werde ich die einzelnen Analyseachsenpräsentieren, welche dieser Forschungsarbeit zugrunde liegen und auch die Struktur der analytischen Ka- pitel bestimmen.

4.1 Der Diskurs als analytischesKonzept

In meinem konstruktivistisch geprägten Verständnis vonDiskursen lehne ich mich an Foucault an, der Diskurse bzw.diskursivePraktiken als »practices which systematically formthe objects of which they speak«definiert(1972:49). Die- sem Verständnis vonDiskursen als »Geflechtvon Aussagen« (Böke u.a. 2000:12) folgend, bilden Diskurse die soziale Welt nichtnur ab,sondernsind konstitu- tiverNatur,d.h.sie schaffen bzw.sie verändernsie auch (Angermuller 2014:18f.). Diskursestrukturieren also unser Realitätsverständnis und sind deshalb als soziale Praxis zu verstehen. Die Metapher des »Geflechts vonAus- sagen« deutet bereits darauf hin, dass es bestimmte Diskursezueiner be- stimmten Thematik gibt, gleichzeitig aber auch Gegendiskurse kursieren. Die Gesamtheit der zirkulierenden Diskurse fungiertals eine Artgesellschaftliche Ordnungsinstanz, die entscheidet, überwas und wieman darüberineiner bestimmten Gesellschaftzueinem bestimmten Zeitpunktsprechen kann bzw. darfoder eben auch nicht(Tabuthemen oder -redensarten) (Bendel Larcher 2015;Foucault1971). Innerhalb eines solchen diskursiven Geflechts, beziehen

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»Bei Foucault ist mit Diskurs kein direkt(Face-to-face) interaktives oder auch mündlichesSprecherereignis gemeint; sicherlich also nichtdas Gespräch. Wenn man seinen Diskursbegriff überhaupt als dialogisch bezeichnen kann, dann nur in dem viel allgemeineren Sinn Bachtins, in dem sich Texte oder Äusserungen verschiedener Menschen zu mehr oder weniger demselben Thema aufeinander beziehen.« (1999:234)

Dies bedeutet, dass einzelne Aussagen vonIndividuen keine »Zufallsprodukte« sind, sondern»der Ordnung des Diskurses« (Bendel Larcher 2015:21) oder in Foucaults Worten »l’ordre du discours«(Foucault 1971) gehorchen. Bestehende Diskurse, denen eine gewisse Autoritätzugeschrieben wird, werden dabei auf- gegriffen und reproduziert. In dieser Hinsichthaben Diskurse einen legitimie- renden Charakter,dadurch die Reproduktion autoritärerDiskursederen Au- toritätnochverstärkt wird.Die voneiner dominanten sozialenGruppe ge- führten Diskurse bestärken vorherrschende Machtverhältnisse (Hegemonie), indem sie die dominante soziale Gruppe somit gleichzeitig legitimieren und autorisieren.Die Analyse vonDiskursen erlaubt es also,Machtverhältnisse sowie ihre Transformation und/oder Reproduktion zu untersuchen.

4.2 Diskursanalyse

Im Allgemeinen lässt sich die linguistisch und die soziologisch geprägteDis- kursanalyse unterscheiden, wovon sich erstere fürKommunikationsstrukturen interessiertund letztere fürgesellschaftliche Diskurse,ihre dynamische Rolle in Machtbeziehungen und fürdie Produktionvon Wissen (Dunn und Mauer 2006).42 Ichvertrete letztere Ansichtund verstehe Diskurse als konstitutiv dafür, wiebestimmte Themeninder Gesellschaftwahrgenommen und beurteilt wer- den. Dieser (wissens-)soziologische Ansatz der Diskursanalyse hat zum Ziel, »die Prozesse der sozialen Konstruktion, Kommunikation und Legitimation von Deutungs- und Handlungsstrukturen aufder Ebene kollektiver sozialer Akteure ebenso zu rekonstruieren wieauf der Ebene vonInstitutionen und Organisa- tionen« (Dunn und Mauer 2006:199). Im Rahmen dieses diskursanalytischen

42 Diese allgemeine Einteilung in linguistisch und soziologisch geprägteDiskursanalyseansätze darfnichtinsofernmissverstanden werden, als dass sich die Ansätze einzig und allein auf linguistische und soziologische Paradigmen stützen. WieCameron in einer Diskussionder Interdisziplinaritätdiskursanalytischer Ansätze aufzeigt, inspirieren sich diese auch an Paradigmen der Anthropologie, der Ethnographie des Sprechens, der Philosophie, der kri- tischen Sozialtheorie sowieder Pragmatik (2001:47–49).

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Ansatzes wird durchaus auch die Form des Diskurses untersucht, in der ein(e) SprecherIn ihre/seine Ideen ausdrückt (z.B. indem sie/er bestimmte Worte oder eine bestimmte Sprache verwendet). Hierfürbedientsich der Ansatz der Methoden der linguistisch geprägten Diskursanalyse. Die wissenssoziologische Diskursanalyse gehtabernocheinen Schritt weiter und untersuchtauch die ideologische Signifikanz der Sprachperformanz und Sprachwahl. Der Diskurs wird alsoeinerseits in Form der Sprachpraxis (also des Sprachgebrauchs) kri- tisch analysiertund andererseits als soziale Praxis, welche die Objekte, von denen gesprochen oder überdie geschrieben wird, überhaupt erst erzeugt (Cameron2001;Cameronund Panovic 2014).Sprache wird dabei als diskursives Werkzeug zur Realitätskonstruktion betrachtet. Beider Analyse der Sprech- handlungen, mit denen Individuen ihre Welt kollaborativ im Diskurs sozial konstruieren, ist der Begriff der Interaktion ganz entscheidend. Spezifische Sprechhandlungen, also auch die Produktion vonDiskursen, entstehen immer in einem bestimmten situativen Kontext (Heller 2003a). Einer Sprecherin bzw. einem Sprecher ist es nichtinjeder Situation und mit jeder Interaktionspart- nerin bzw.jedem Interaktionspartner gestattet, alles zu sagen bzw.etwas in einer bestimmten Weise zu sagen. Auch sind bestimmte Äusserungen je nach Kontext nichtimmer gleichbedeutend.Nichtnur der Diskurs, sondern auch die Inter- aktion unterliegteiner bestimmten Ordnung (Foucault1971;Goffman 1959, 1994). Häufig hängen die Interpretation und das Verständnis einer Äusserung voneinem vonbeiden InteraktionspartnerInnen geteilten, gemeinsamen kul- turellen (Hintergrund-)Wissen ab.Und ausdiesem Grund darfsich die Dis- kursanalyse nichteinzig und allein aufden Diskurs selbst konzentrieren, son- dernmuss auch die Bedingungen der Diskursproduktion in der Interaktion berücksichtigen (Gumperz 1982;Gumperz 1999). Die vonJohn J. Gumperz begründete interaktionale Soziolinguistik berücksichtigt durch die Verortung der Sprechereignisse beider Analyse sprachlichen Handelns gerade diese kon- textuellen, die Interaktion rahmenden Faktoren (Gumperz 2003). Der in den folgenden Analysekapiteln angewendete diskursanalytische Ansatz ist als in- teraktionsorientierter,soziolinguistischer Ansatz zu verstehen. Mit Hilfedieses diskursanalytischen Ansatzes soll alsodas kollektiveWissen der Mitglieder einer Gesellschaftoder einer Gruppe, d.h. ihre Interpretation bestimmter Themen oder Ereignisse, ihre Überzeugungen und Werte, zu einem bestimmten Zeitpunkt rekonstruiertwerden (Bendel Larcher 2015:11).Dis- kurse sind dabei als historisch, ideologischund institutionell situiertzube- trachten. Ausdiesem Grund dürfen sie nie kontextfrei analysiertwerden. Selbst beider Untersuchung vonindividuellen Legitimitätsfragen sozialer Akteure/ Akteurinnen darfdementsprechend der institutionelle Anteil der diskursiven Legitimitätsaushandlungnichtausgeblendetoder vernachlässigtwerden. Bei der Untersuchung vonLegitimitätskonstruktionen ist es deshalb wichtig, die

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43 Die DatenanalysesoftwareMAXQDA, aber auch die vordergründig fürTranskriptionen ausgelegten Softwares ATLAS.tiund Transana verfügen überCodier-Funktionen, allerdings sind mit letzteren nur bestimmteDatenformatebearbeitbar.

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4.3 Analytische Hindernisse und Einschränkungen

Im Hinblick aufdie Analyse vonPromotionsmaterial, folge ich Heller und Pu- jolar (2010)inihrer Annahme, dass Texte im ethnographischen Sinne nicht als separateDatenentitäten mit einer gewissen Autonomie betrachtet werden sollten. Vielmehr sind sie als sprachliche Produkte zu verstehen, welche einem Produktionsprozess unter spezifischen wirtschaftlichen, politischen und so- zialen Konditionen unterliegen. Diese speziellen Konditionen sind mit dem Begriff der politischen Ökonomie gleichzusetzen, welche die Bedingungen des Produktions-, Zirkulations-, und Wertungsprozesses der Texte konstituieren. Heller und Pujolar folgern,dass Texte (hier in Form der Promotionstexte) nicht als Objekte, sondern als soziale Prozesse der Produktion und der Zirkulation begriffen werden müssen, die bestimmte Akteure/Akteurinnen sowieinstitu- tionelle Interessen und wirtschaftliche Logiken involvieren. Bendel Larcher bemerkt in dieser Hinsicht, dass Texte »als Träger des gesellschaftlichen Dis- kurses« und somit als »Fragmente eines grösseren Diskurses« zu analysieren sind (2015:49). Sie schlussfolgertdaraus, dass:

»[…] die Idee des ›Autors‹ und des ›rechtmäßigen Besitzers‹ einesTextes weitgehend eine abendländische Fiktionist. Jeder Text ist fürsich genommen Resultat eines viel- stimmigen diskursiven Gewimmels. Hinzu kommt, dass heutzutage die meisten Texte auch realiter vonmehreren Produzenten kollektiv hergestellt werden.« (ebd.)

Der Problematikder Autorenschaftbegegne ich auch beider Analyse meines Datenmaterials, welches in Form vonDokumenten daliegt. Ein grosser Teil meiner Daten bestehtaus Promotionsmaterial(Broschüren, Prospekte, Flyer, Webseitentexte), welches übereinen Zeitraum von1942 bis 2015 gesammelt wurde. In Bezug aufdieses Material ist es häufig schwierig,nachzuvollziehen, wer jeweils die/der AutorIn der einzelnen Promotionstexte ist, selbst wenn die publizierende Institution bekanntist. Hierfürfehlen meist die ethnographi- schen Daten, v. a. beiweit zurückliegenden Produktionen. Zwar ist z.B. voneiner bereits existierenden Broschüre bekannt, dass sie voneiner französischspra- chigen Praktikantindes lokalen Tourismusinformationsbüros überarbeitet und aktualisiertwurde und schliesslichvom Direktor des Tourismusinformations- büroskontrolliertund vonden Mitarbeiterinnen in der deutsch- und eng- lischsprachigen Version Korrektur gelesen wurde. Jedoch wurde keine Bro- schürenproduktion vomAuftrag,der Konzeptualisierung,dem Korrekturpro- zedere, bis zum Druck und der Verteilung schrittweise mitverfolgt, sodass auch

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Analytisches Vorgehen 105 nurwenig Aussagen überdie dahinterstehenden Überlegungen zu bestimmten Formulierungen getroffen werden können. Auffallend häufig werden zudem Textbausteine ausbereits existierendem Material übernommen. So kommtes vor,dass übereinen langen Zeitraum immer wieder dieselben Formulierungen anzutreffen sind, die jedoch nichtunbedingtvon der/dem AutorIn der betref- fenden Broschüre selbst stammen. Weiter ist meist nichtbekannt, ob es eine Kontrollinstanz gibt, wer diese einnimmt und ob es diese nur fürden Grundtext oder auch fürdie Übersetzungen gibt. Inwieferndie Auswahl einer bestimmten Formulierung immer bewusst getroffen wurde oder nichteinfach auseiner simplen Textreproduktion entstanden ist, ist deshalb schwer zu beurteilen. Auch in Bezug aufdie Verwendung vonzweisprachigen Ortsnamen ist nichtimmer klar,obdie Auswahl und Reihenfolge der jeweiligen Nameninstitutionell vor- gegeben wird und ob es diesbezüglich u.U. einen Leitfaden gibt, oder ob dies teilweise willkürlich je nachAutorIn, ÜbersetzerIn oder anvisiertem Zielmarkt geschieht. Wasdie Onlinepromotioneinzelner Destinationen aufden verschiedenen Webseiten der unterschiedlichen touristischen Marketingunternehmen anbe- langt, welche auflokaler, überregionaler und internationaler Ebene operieren, ist zu bemerken, dass eine bestimmte Maskezum Aufschalten vonInformations- und Promotionsmaterial verwendet wird. Mit Hilfe dieser Maskewird ein be- stimmtes Mass an Inhalten, welches voneiner Institution aufderen Internet- plattform hochgeladen wird,auch überdie Internetplattformder anderen In- stitutionen zugänglich (z.B. finden sich Einträge zu lokalen Veranstaltungen auch im Veranstaltungskalender der regional/national werbenden Agenturen wieder). Die Maskegibt bestimmte Vorgaben bezüglich der Länge und der Form der Inhalte vor. Während die regionaloperierenden Marketingagenturen den Inhalt der einzelnen lokal operierenden Agenturen in ihrem Wirkungsbereich übernimmt, lässt die international operierende Marketingagentur eben diese Inhalte voneiner Kontrollinstanz überprüfen und passt sie vordem Aufschalten an. Hinzu kommt, dass die internationale Marketingagentur die Informationen noch zusätzlich in anderen Sprachen anbietet, als die lokal- und regional ope- rierenden Agenturen. D. h. ein vonden lokaloder regional operierenden Agenturen produzierter Promotionstextwird angepasst und vonunterschied- lichen ÜbersetzerInnen in unterschiedliche Sprachen übertragen, was die Identifikation der Autorin bzw.des Autors und das Nachvollziehenspezieller Formulierungsentscheidungen kompliziertgestaltet. Auch wenn die ethnogra- phischen Daten der Entstehungsprozesse der einzelnenBroschürenfehlen, verfüge ich doch überandere ethnographische Daten hinsichtlich der Marke- tingaktivitäten der betreffendenInstitutionen, welche die Promotionspraktiken als Teil einer politischen Ökonomie begreifbar machen und die (Re-)Kon- struktion dieser sozialen, diskursiven Produktionsprozesse erlauben.

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 106 Forschungsterrain und Methodologie

4.4 Analyseachsen

Meine Analyse fokussiertauf drei spezifische Bereiche der Tourismusindustrie in Murten, die alle miteinander zusammenhängen, in denen Sprache jedoch unterschiedlich wirtschaftlich genutzt wird und ihreNutzung unterschiedliche Anforderungen bzw.Herausforderungen beinhalten kann. Diese drei Bereiche (Analyseachsen) folgen in ihrer logischen Unterteilung den drei Forschungs- fragen:

Analyseachse 1: Branding –Fabrikation von Urlaubs(t)räumen Das erste Kapitel analysiertdie historische Entwicklung der Tourismusindustrie in Murten und deren Positionierung als zweisprachige Destination. Anhand der Genealogieder Markenprofilierung soll aufgezeigtwerden, wieMarkenbil- dung im zweisprachigen Raum als Beobachtungskontext (Terrain), Prozess und Produkt sprachideologischer Spannungengleichermassen betrachtet wer- den kann. Dafürwird zunächst mit Hilfe vonhistorischen institutionellen Do- kumenten nachgezeichnet, welche Rolle die lokalen Sprachen bzw.die Zwei- sprachigkeit beider Profilierung der Destinationsmarkeeinnahmen. In diesem Zusammenhang werden besonders Debatten um die Verwendung des deut- schen und/oder französischen Ortsnamens der Stadt in Promotionstexten und Logos beleuchtet. Anschliessend wird die Kommunikation der MarkeinPro- motionsdiskursen untersucht.Die Analyse vonPromotionsmaterial(vorwie- gend Broschüren übereinen Zeitraum vonrund 70 Jahren sowiezeitgenössische Webseiten-Texte) und Marketingaktivitäten (z.B. Messeauftritte und Presse- veranstaltungen)zeigteine hohe Variabilitätinder Darstellung der lokalen sprachlichenSituation in Promotionsdiskursen. Interviewaussagen vontou- ristischen MarketingexpertInnen deuten darauf hin, dass diese Variabilitätauf eine komplexe, häufig spannungsgeladene Verflechtung vonidentitätspoliti- schen Ansprüchen und Marktlogikeninjeweils unterschiedlicher Gewichtung zurückzuführen ist.

Analyseachse 2: Personalmanagement –Regulierung der Spracharbeitsressourcen Das zweite Kapitel untersucht das Brand Managementaus einer arbeits- und organisationsorientierten Perspektive. In diesem Zusammenhang wird zu- nächst untersucht, welche Sprachkompetenzen (welches Repertoire mit welchen Kompetenzausprägungen und mit/ohne Dialekt/Akzentusw.) die Arbeitskräfte idealerweise aufweisen müssen, um die zweisprachige Destination Murten zu vermarkten und vorOrt zu repräsentieren. Abhängig vonpolitischen und fi- nanziellen Rahmenbedingungen und der Verfügbarkeit vonzwei-/mehrspra- chigen Arbeitskräften aufdem lokalen Arbeitsmarkt, gestaltet sichdie Rekru- tierung dieser idealen Arbeitskräftejedoch nichtimmer einfach, sodass ge-

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Analytisches Vorgehen 107 zwungenermassen manchmal auch Personen eingestellt werden müssen, die weniger gut ins gewünschte sprachliche Profil passen. Anhand der Analyse von Rekrutierungsprozessen fürunterschiedliche Stellen im Tourismusinformati- onsbüro (GästebetreuerIn, Marketingverwantwortliche(r),StadtführerIn usw.) soll herausgefunden werden, unter welchen Umständen sprachliche Kriterien geltend gemachtwerden bzw.wann Sprache zugunsten anderer Kriterien ver- nachlässigtwird. Auch hier zeigtsich in den Rekrutierungsentscheidungen eine hohe Variabilitäthinsichtlich der Bedeutung vonSprachkenntnissen. An- hand einer Feinanalyse der Aushandlung der Relevanz der Sprachkompetenzen während der Rekrutierungsprozesse wird aufgezeigt, dass erneut eine komplexe Überschneidung vonidentitätspolitischen Ansprüchen und arbeitsrelevanten Logiken fürdiese Variabiltätverantwortlich ist.

Analyseachse 3: Produktentwicklung:Inszenierung und Konsumierbarmachung der lokalen Zweisprachigkeit Das dritte Kapitel gehtder Frage nach, wiedie beworbene zweisprachige Mar- kenidentitätder Destination Murten vor Ortrealisiert,d.h.imRahmen von touristischen Aktivitäten inszeniertund konsumiertwird. Am Beispiel vonzwei unterschiedlichen zweisprachigen Stadtführungen, beidenen die zweisprachige Performanz ein zentraler Teil des touristischen Erlebnisses ist, wird aufgezeigt, welche Formen vonZweisprachigkeit fürkonsumierbar befunden und wiediese (interaktional) inszeniertwerden. Beider Analyse der touristischen Produkte wird jeweils der Frage nachgegangen, welche (alternativen) Formen vonZwei- sprachigkeit als authentisch/lokal und/oder als verkaufsgeeignet/konsumierbar betrachtet werden, und was es demnach heisst, in Murten zweisprachig zu sein. Es wird alsodanach gefragt, wer im Rahmen dieser Aktivitäten als legitim an- gesehen wird, die lokale Geschichte respektiveZweisprachigkeit zu inszenieren, in welcher sprachlichen Form und fürwelches Publikum.

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1. Place branding im zweisprachigen Raum

Aufder Webseitedes touristischen Dachverbandes der Schweiz (TDV)findet sich ein Artikelzuaktuellen Herausforderungen der Tourismusindustrie, wel- cher in folgendem Abschnitt überdie Auswirkungen der Globalisierung infor- miert:

»Die Angebote gleichen sich durch die Globalisierung immer mehr an und werden austauschbarer.Die Menschen reagieren darauf mit einem verstärkten Wunsch nach Authentizität: Echte Erlebnisse, Tradition, typische Produkte, eigenständiges Design, Natürlichkeit und Brauchtum werden neu interpretiertund zum grossen Gegen- trend.«44

Demnach muss die TourismusindustriefürTouristInnen, die nach Authentizi- tätmit Lokalkolorit suchen, Destinationen schaffen, welche einen möglichen Erfahrungsraum fürdie aufgezählten Charakteristika der jeweiligen Lokalität bieten. Das vorliegende Analysekapitel ist dieser Lokalitätsproduktiongewid- met. Anhand des touristischen place makings und place brandings der Ferien- destination Murten wird untersucht, wieein geographischer Raum zu einem kommodifizierbarenund erfahrbaren Urlaubsraum transformiertwird. Von besonderem Interesse ist, welche Funktionen die einzelnen lokalen Sprachen bzw.die Zweisprachigkeit und ihreSprecherInnen dabei einnehmen, wiesie positioniertwerden und welche Vor- und Darstellungen der lokalen sprachli- chen Situation beider Lokalitätsproduktion zum Tragen kommen. Die touris- tische Markenbildung und deren Vermarktung (Branding)werden dabei als Nexus vondiskursiven und semiotischen Praktiken analysiert, die aufdie Imageproduktion vonDestinationsräumen und vonden dortzufindenden Sprachen und ihren SprecherInnen abzielt (Lew 2017;Salazar 2012).Vor diesem

44 Quelle:Artikel »Der Tourismus ist gefordert!«auf der Webseite des TDV, online unter: http://www.swisstourfed.ch/index.cfm?parents_id=959 (Abrufdatum 20.03.2017).

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Hintergrund soll der ersten Forschungsfrage nachgegangen und aufgezeigt werden, welche Rolle die lokale Zweisprachigkeit in der (historischen) Image- konstruktionder Feriendestination und ihrer Markenpositionierung aufdem touristischen Markt spielt(e). Es wird also konkret danach gefragt, wiedie lokale Zwei-/Mehrsprachigkeit fürdie Profilierung der DestinationsmarkeMurten genutzt wurde/wird. Hierzu werden zunächst sprachliche Aspekte beider Markenbildung und ihrer Materialisierung in Logos beleuchtet (Kapitel IV.2). Anschliessend wird die Nutzung der lokalen Sprachen in Promotionsdiskursen näher betrachtet und untersucht,wie die lokale sprachliche Vielfalt eingesetzt wird,umpotentielle Gäste anzuziehen (Kapitel IV.3). Abschliessend wird aufdie im Destinationsbranding konstruierten Bilder der lokalen Sprachen, ihrer Sprachräume und ihrer SprecherInnen eingegangen (Kapitel IV.4).

2. Das Markenzeichen der Destination:Die Sprachenfrage im Logo

Soll ein Ortoder eine Region als Feriendestination vermarktet werden, müs- sen die Marketingverantwortlichen zunächst das zu bewerbende touristische Produkt (die Destination) und die anvisierten Zielmärkte bzw.Marktsegmente definieren. Hierfürmuss abgeklärt werden, vonwelchen Konkurrenzdestina- tionen sich die Destination gegebenenfalls mit Hilfe eines Alleinstellungs- merkmals abheben will und kann. Schliesslich müssen eine wiedererkennbare, distinktiveMarke45 geschaffen und die Destination überverschiedene Marke- tingkanäle an den jeweiligen Zielmarkt angepasstbeworben werden. Destina- tionsmarken werden vorallem diskursiv und durch die Mobilisierung ver- schiedener semiotischer Ressourcen (wie z.B. Texte, Bilder,Symbole, Farben, Ortsnamen, Embleme usw.) in verschiedenen Brandingpraktiken produziert, kommuniziertund in Form eines Logos repräsentiert(Aronczyk 2008;Manning 2010;Nakassis 2012;Pritchard und Morgan 2001).Imvorliegenden Kapitel wird anhand der Analyse vonzwölf verschiedenen Logos der Destination Murten sowieder umliegenden Destinationen46 untersucht, welche semiotischen Res-

45 Die Begriffe Markeund Brand werdenhier synonym verwendet. 46 Da sich Murten als Destination nichtalleine durch nureine touristische Institution, sondern als Teil einer Region und eines Netzwerkes verschiedener touristischer Institutionen ver- marktet, werde ich auch Bezug aufdas Banding verschiedener,umliegender Destinationen sowietouristischer (aber auch anderer) Institutionen im Kanton Freiburg nehmen müssen. D. h. ich konzentriere mich nichtnur aufdie Entwicklung der Logosder StadtMurten, des Tourismusinformationsbüros(ehemaliger Verkehrsverein)der Stadt Murten (TIB) und des Regionaldachverbands der Region Murtensee (RMV),sondernwerde auch die Logos an- derer zweisprachiger Orte, Regionen, Institutionen mit in die Analyse einbeziehen. Dabei

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Das Markenzeichen der Destination:Die Sprachenfrage im Logo 113 sourcen fürdie Prägung der einzelnen Markenidentitäten genutzt wurden und werden. Ein besonderes Augenmerk liegtdabei aufder Verwendung sprachli- cher Ressourcen und dem Umgang mit der lokalen zweisprachigenToponymie, die fürdie Markenprägung eine spezielle Herausforderung darstellt. Im Kanton Freiburg begannen die einzelnen Destinationen ihre Vermark- tung ab den 1980er Jahren durch Logos zu stützen. Die Markenentwicklung konkretisierte sich zunehmend in den 1990er Jahren und führte im neuen Jahrhundertmehrfach zu hitzigen Debatten überdie Gestaltung und Funktion der Logos sowie übereine mögliche Standardisierung bis hin zur kreativen Hybridisierung der Verwendung der zweisprachigen Ortsnamen. Ausdiesem Grund setze ich mit der semiotischen Analyse der Destinationsmarken in den 1980er Jahren ein und zeichne deren Entwicklung chronologisch bis heute nach. Dabei ist es jedoch nichtzuvermeiden, dass häufig zwischen den Logos ver- schiedener Orte und Institutionen hin- und hergewechseltwird,dasie sich in ihrer Entwicklung meist gegenseitig beeinflussen. Die Auswahl der spezifischen Orte und Institutionen, die zum Vergleich und der kontextuellen Einbettung der Daten zu Murten herangezogen werden, ist dadurch zu erklären, dass sich diese neben Murten ebenfalls als zweisprachig positionieren47 und es sichdabei zudem um die besucherstärkstenDestinationen in der Region Fribourg handelt, mit denen sich Murten im Wettbewerb befindet. Hinzu kommt, dass es sich hier um verschiedene touristische Institutionen handelt, die zwar häufig ein und denselben Ortbewerben, sich jedoch als Institution selbst wieder voneinander abgrenzen müssen, was zu Spannungen führen kann. Mit den Debatten um die Logokreationen im Fokus soll zudem auch aufdie Frage eingegangen werden, wer bzw.welche touristischen Institutionen fürlegitim befunden werden, welche (lokalen) Sprachen bzw.Sprachenkombinationen fürihr Destinationsbranding zu nutzen (Kelly-Holmes 2016). Die Daten, aufdie sich das vorliegende Kapitel stützt, bestehen in erster Linie ausden einzelnen Logos, die ich in Broschürenaus dem besagten Zeitraum und im Internet fand, sowieaus offiziellen Erläuterungen zur Gestaltung und aus Anwendungsanleitungen. Zusätzlich ziehe ich noch Interviews mit Marketing- verantwortlichen sowieZeitungsartikelzuöffentlichen Debatten im Hinblick aufdie sprachliche Gestaltung einzelner Logos hinzu. Fürdie semiotische Analyse der unterschiedlichen Logos orientiereich mich an dem vonThurlow und Aiello (2007) vorgeschlagenen Analyserahmen und werde jeweils zunächst

handelt es sich um die Logosder Stadt Freiburg, des Tourismusverbandes der Polregion Freiburg (TPF), des Tourismusverbandes der Region Freiburg(FTV) und der Region Grey- erzerland. 47 Ein Sonderfall stellt hier die Region Greyerzerlanddar,die sich nichtexplizit als zweispra- chig präsentiert, sondernals französischsprachig und nur den OrtJaunals deutschsprachig bezeichnet.

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1) die in den Logos verwendeten semiotischen Ressourcen identifizieren, 2) ihre Funktionen und ihreVerknüpfung mit spezifischen symbolischen Bedeutun- gen interpretieren und 3) die Einbettung der Entscheidungsprozesse der Mar- ketingverantwortlichen hinsichtlich der Auswahlund des Arrangements der semiotischen Ressourcen in die lokale Politökonomie kritisch hinterfragen. Hierfürwerdeich die Debatten um die Logoentwicklung sowiedie ihr zu- grunde liegenden Marktlogiken und identitätspolitischen Interessen auseiner sprach(en)politischen Perspektivenäher beleuchten.

2.1 Zweisprachige Identität als Selbstverständlichkeit

Bis in die 1980er Jahre besassen die meisten touristischen Instanzen noch kein eigenes Logo.Stattdessen wurde häufig das jeweiligeWappen der zu bewer- benden Stadt/Region oder des zu bewerbenden Kantons(teilweise in leicht abgewandelter Form)imPromotionsmaterial verwendet. Die Broschürenzur Tourismusdestination Murten, die damals vomVerkehrsverein Murten her- ausgegeben wurden, trugen beispielsweiseauf der Titelseite immer48 den zwei- sprachigen Titel »Murten Morat« und gegebenenfalls noch einen thematischen Untertitel. Grossflächig war ein Bild der Seenlandschaftzusehen oder die Ab- bildung eines charakteristischen Gebäudes der Stadt. Anstelle eines Logos zierte vereinzelt das Murtner Stadtwappen49 das Werbematerial. Dies ist bereits der Fall beider folgenden und ältesten mir vorliegenden Broschüre zu Murten ausdem Jahr 1942, welche vom Verkehrsverein Murten herausgegeben wurde (Abb.5). Auch aufder ältesten Broschüre,die mir vondem aufregional-kantonaler Ebene aktiven Freiburger Tourismusverband FTV ausdem Jahre 1982 vorliegt, wird als Logo des Tourismusverbandes, gleichzeitig aber auch der Tourismus- region, das Freiburger Kantonswappen gemeinsam mit einem symbolisierten kleinen schwarzenVogel in der unteren linken Hälfte des Wappens und dem zweisprachigen Schriftzug »Pays de Fribourg –Freiburgerland«als Logo ver- wendet (Abb.6).

48 Erst ab 1992 wurde zunächst vonFTV in touristischem Werbematerial zu Murten und später dann auch vonTIB in Broschüren, die jeweils zwar einsprachig, aber in mehreren Sprachen herausgegebenenwurden, entweder nur der deutsche oder nur der französische Ortsname aufder Titelseite und im Text verwendet. Zuvor waren immer beide Ortsnamen aufder Titelseite zu finden, wobeider deutscheName an erster Stelle stand und die Stadt somit als mehrheitlich deutschsprachig kennzeichnete. 49 Das Wappen der Stadt Murten, welches ausdem 12. Jahrhundertstammt, zeigteinen roten, gekrönten Löwen (Engelhard2008).

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Abb. 5: Titelseite einer Broschüre ausdem Jahr 194250

Abb. 6: Logo vonFTV bis 198551

Ab ca. 1985 verfügteFTV dann jedoch überein neues Logo,das aber immer noch dem schwarz-weissenWappen des Kantons Freiburg nachempfunden und mit dem zweisprachigen Marken- bzw.Destinationsnamen »Pays de Fribourg – Freiburgerland«versehen war,wobei der französischeName wieder an erster Stelle stand (Abb.7). Zusätzlich, mit ein wenig Abstand, war auch die Schwei- zer Flagge hinzugefügt,umdie Region »Freiburgerland«als Schweizer Desti-

50 Die Broschüre ist zweisprachigverfasst. Die Gestaltung des deutschen Ortsnamen aufder Titelseite, welche an (Ziegel-)Steine oder eine Mauer erinnert,könnte als Symbol fürdie Ringmauer fungieren. Die Ringmauer um die AltstadtMurtens gilt als eine der am besten erhaltenen Befestigungsanlagen der Schweiz und ist eine bekannte Sehenswürdigkeit der Stadt. 51 Beider Logoabbildunghandelt es sich um einen Snapshot des Logos,das sich aufeiner mittlerweile etwas vergilbten (und deshalb leichtgräulich,statt weiss erscheinenden) zweisprachigen Broschüre mit dem Titel »LePAYSDEFRIBOURGpas à pas –Wandernim FREIBURGERLAND« befindet, die im März 1985 vonFTV herausgegeben wurde, und die ich im Archiv vonTIB fand.

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Abb. 7: Logo vonFTV von1985–199252

Charakteristisch fürdie Logogestaltung in der frühen touristischen Geschichte ist also das Anknüpfen an bzw.das Nutzen vonbereits etablierten, historisch verankerten Emblemen in Form vongeographisch oder politisch geprägten Wappen und Fahnen. Diese Wappen und ganz besonders das nationale Symbol der Schweizer Fahne dienten einerseitsder geographischen Verortung und der nationalen Zuordnung der Destination (waved, banal nationalism)(Billig 1995a), gleichzeitig aber auch der Distinktion vonnamentlich ähnlichen De- stinationen in Deutschland. Zu dieser Zeit wurden die Ortsnamen in den zweisprachigen Regionen im Kanton Freiburg jeweils in beiden Sprachen ver- wendet, wobei diejenige Sprache an erster Stelle stand, welche in der jeweiligen Destination auch die Mehrheitssprache war (Murten –Morat, Fribourg –Frei- burg,PaysdeFribourg –Freiburgerland, Gruy›re –Greyerzerland usw.). Die Reihenfolgeder Anordnung der beiden Sprachen spiegelte also die lokale Sprachenhierarchie wider.Die Zweisprachigkeit wurde als Teil der lokalen Identitätverstanden, die es wieselbstverständlich auch in das Logo zu inte- grieren galt, wenn auch in entsprechendhierarchischer Reihenfolge. Diese identitätspolitische Selbstverständlichkeit der Repräsentation beider Sprachen wurde jedoch in den Folgejahren angezweifelt, nachdem verstärkt marktorien- tierte Logikenzum Tragen kamen.

2.2 Identitätspolitik und/oder Marktfähigkeit

In den 1990er Jahren wurde die touristische Vermarktung im Kanton zuneh- mend professionalisiert. So beauftragte beispielsweiseFTV im Jahr 1993 eine

52 Beim eigentlichen Logo handeltessich nur um den zweisprachigen Schriftzug aufschwarz- weissem Untergrundund der Schweizer Flagge. Beim hier präsentierten Ausschnitt handelt es sich um einen Snapshot vom Logo aufdem gelben Umschlag der dreisprachigen Bro- schüre »Hotel Guide–Hotelführer –Guidedes hôtels« vonFVT ausdem Jahr 1992.

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Freiburger Marketingagentur damit, ein neues touristisches Markenzeichen (Logo) zu kreieren, dasfortan vonallen Freiburger Tourismusinstitutionen und (Para-)Hotelleriebetrieben verwendet werden sollte. Beim neuen Logo (Abb.8) kam zum Schriftzug mit dem Namen der Ferienregion zusätzliches Bildmaterial hinzu, welches in einer Raute die Abbildung der Freiburger Alpen erkennen liess. Das neue Logo war,wie das vorherige, ebenfalls mit einem zweisprachigen Schriftzug und einer in das Bildmaterial integrierten Fahne mit dem Schweizer Nationalsymbol des weissen Kreuzes aufrotem Grund ausgestattet.

Abb. 8: Neues Logo vonFTV von1993–199953

In der Anwendungsanleitung zum neuen Logo findet sich folgendeBeschrei- bung und Begründung fürdie Farbwahl und bildliche Ausgestaltung: »In Gestaltungund Farben ist es dynamisch, aufRegionen ausgerichtet und zugleich typisch schweizerisch. Es stellt Feld und Wald, den Himmel und Seen,die Berge und die Flüssedar und spielt mit der diskreten Verwendungvon Schwarz und Weiss aufdie Kantonsfarben an.« (Manuel d’utilisation 1993:2) Ein weiterer Absatz gehtauf den Schriftzug mit dem Markennamen –der Be- zeichnung der Destination –ein: »Äusserstwichtig istder Ausdruck›PAYS DE FRIBOURG/FREIBURGERLAND‹,der Name deszuförderndenProdukts, derdas Signetstets begleitenmuss. DerAusdruck kann je nachdem, welche Sprachehervorgehobenwerden soll,inSchwarz umgekehrt odergerastert werden;die Zweisprachigkeitweist dieTouristen aufdie Möglichkeit hin, zwei verschiedene Kulturen kennenzulernen.« (ebd., Grossschreibungi.O.) In dem Textausschnitt wird aufdie Zweisprachigkeit als Identitätsmerkmal des Produkts und aufdessen zweisprachigen Namen verwiesen, wobei das neue Logo variabel –jenach Markt bzw.Bedarf–entweder den deutschen oder den französischen Namen an erste Stelle setzt. Diese Prioritätensetzung wird durch die farbliche Hervorhebung des jeweils ersten Namens in Schwarz unterlegt,

53 Beider Abbildung handeltesumeinen Snapshot des Logos, wieesauf der Anwendungs- leitung (Manuel d’utilisation)präsentiertwird.

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 118 Branding –Fabrikation von Urlaubs(t)räumen während der nachfolgende zweite Name mit einem Grauton in den Hintergrund rückt. Diese Flexibilitätbeim Einsatz der verschiedensprachigenVersionen des Markennamens ist neu54 und verschreibt sich dem Prinzipder sprachlichen Anpassung an den jeweiligen Markt, ohne dabei jedoch das Identitätsmerkmal der Zweisprachigkeit zu unterschlagen. Des Weiteren ist in dem Abschnitt aus der Anwendungsanleitung eine moderne Vorstellung vonSprache auffallend, die Sprache mit Kultur und Zweisprachigkeit als Indikator fürzwei Kulturen gleichgesetzt (Auer 2004;Bauman und Briggs 2003). Auch auflokaler Ebene wurden dietouristischenStrukturen undderen Ver- marktung in den1990erJahrenverbessert.1992liesder VerkehrsvereinMurten einenerstenMarketingkonzeptvorschlag fürMurtenund Umgebung ausarbeiten. Im Jahr 1996 wurdezudem einRegionalisierungskonzeptfürdie bisdahin mehr oderweniger aufsichalleingestelltarbeitenden lokalenVerkehrsvereine Murten, Vully-les-Lacsund Kerzersausgearbeitet, welchesdie polregionale Vermarktung derdreiOrte anstrebte. Teil desRegionalisierungskonzepts waru.a.ein Leitbild fürden Verkehrsverein Murtenzuschaffen, derdaraufhin im Jahr 1997 seinen Namenvon derehemals deutschsprachigenBezeichnung Verkehrsverein Murten in denheutigen zweisprachigen Namen(hier mitdem PseudonymTIB benannt) änderte understmalsein eigenesLogoerhielt (Abb.9):

Abb. 9: Neues Logovon TIB von1997–201755 Im Jahresberichtvon TIB ausdem Jahr 1998, findet sich unter der Rubrik »Rapport du dØpartement publicitØ«(Berichtdes Werberessorts)56 eine Erklä-

54 Die wenigenBroschüren, die mir vonFTV ausdem Zeitraum vor 1993 mit dem vorange- henden Logovorliegen, lassen vermuten, dass dieses im Gegenzug nurineiner Form vorlag, nämlich mit dem französischen Namen an erster Stelle. 55 Beider Abbildunghandelt es sich um den Snapshot einer Farbtabelle, die verschiedene Farbnuancen des Logos mit damaligenFarbdruckern aufzeigt (hier die Version »Grobauf- lösung nur fürFarbdrucker mit 3Tintenpatronen«). Die hier eher ins Lila gehende Reali- sierung des Logos erscheintauf moderneren Broschürenund im Internet mit einem viel satteren und strahlenderen Blau. 56 Um das damalige sechsköpfige weibliche Team vonMurten Tourismus zu unterstützen, hatte der damalige Vorstand des Unterstützungsvereins verschiedene Ressorts gebildet, welche sich den folgenden Aufgabenannahmen:Umsetzung Leitbild, Finanzierungsmodell, In-

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Das Markenzeichen der Destination:Die Sprachenfrage im Logo 119 rung zur graphischen Ausgestaltung des neuen Logos:»Parson ØcritureposØe, il reprØsente une ville de fortification bilingue, situØeauborddel’eau (les vagues bleus) et avec un coucher du soleil.«(Rapportd’activitØ 1998:9)57.Mit dem neuen Logo positioniertTIB Murten als zweisprachige Stadt am See. Der Hinweis auf die Lage am See, die sowohl Erholungssuchendeals auch Wassersportbegeisterte anziehen soll, verstehtsich als Produktbeschreibung.Beim neuen Logo findet sich erstmals kein Hinweis mehr,dass es sich beiMurten um eine Schweizer Destination handelt,denn weder dasSchweizer Kreuz noch eine Karte oder ein Schriftzug deuten darauf hin. Dafürwird durch die Verwendung des deutschen und des französischen Ortsnamens sowiedurch den zweisprachigen Slogan weiterhin aufdie lokale Kopräsenz des Französischen und Deutschen hinge- wiesen. Da man in europäisch-westlicher Manier vonlinks nach rechts und von oben nachunten liest, ist es jedoch schwierig,eine Reihenfolge in der Anord- nung der Ortsnamen zu identifizieren. Der französische Ortsname stehtan oberer und somit erster Stelle, allerdings stehtder deutsche Name aufgrund seiner Länge links ein wenig vor, wodurch nichtklar ist, welches Wort als erstes gelesen werden soll. Durch die gleiche Grösse und die spezifische räumliche Anordnung der Schriftzüge im Logo erhalten beide Sprachen einen ebenbürti- gen Platz. Allerdings existiertnur eine Form des Logos, d.h. die Anordnung der Schriftzüge ist nurindieser Reihenfolge zu finden, und mankannnichtbeliebig entweder den deutschen oder den französischen Schriftzug an die erste Stelle rücken, wiedies beim Logo vonFTV von1993–1999 möglich war. Kurz zuvor,imJahr 1995, hatte der touristische Marketing-Dachverband der Schweiz TMS seine mittlerweile international bestens etablierte Markeder Goldblume geschaffen. Seitdemkönnen Mitglieder vonTMS dieses Logo ge- meinsam mit ihrem eigenen nutzen bzw.esdarin integrieren, was sie einerseits als Schweizer Destination positioniert, lokalisiertund vonder Markenbe- kanntheit als Symbol fürQualitätprofitieren lässt (Del Percio 2016b), ande- rerseits aber auch der Dachmarkezumehr Sichtbarkeit verhilft. Seit dem Jahr 1999 integriertauch FTV die Goldblume in sein Schriftzug-Logo (Abb.10). Der Schriftzug,welcher ausdem zweisprachigen Namender Destination besteht, wurde hinsichtlich der Schriftund der Reihenfolge der Sprachen ausdem alten Logo übernommen. Auch die Farben des Kantonswappens findensich nun im schwarz-weissen (und nichtmehr schwarz-grauen) Schriftzug wieder.Die Goldblume vonTMS wurde links neben den Schriftzug gesetzt. Teilweise findet

formationsbüro,Werbung,Veranstaltungen, Regionalisierung, Planung der Landesausstel- lung Expo.01. Die Betreuung der Wanderwege wurde extern übernommen. 57 Übersetzung: »Der Schriftzug präsentierteine zweisprachige Stadt mit Festungsanlage am Wasser (blaue Wellen) und einen Sonnenuntergang.« (Jahresbericht1998:9). Der Jahres- berichtist, ausser dem betreffenden Berichteines wohl eher frankophonen Autors und Vertreters des Werberessorts, aufDeutsch verfasst.

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 120 Branding –Fabrikation von Urlaubs(t)räumen man aufBroschürenauch den dreisprachigen Zusatz »Suisse-Schweiz-Switzer- land«unter dem Logo.

Abb. 10:Logovon FTV von1999–200858 Im Jahr 2000 wurde in der Murtenseeregion erstmals seit seiner Gründung Ende 1999 der Tourismusverband der Polregion Murtensee Region RMV tätig. Zu Beginn verwendete er jedoch kein eigenes Logo fürdie Vermarktung der Region, sondern immer die drei Logosder Tourismusinformationsbürosvon Murten, Vully-les-Lacs und Kerzers, welche er als Marketingdachverband zusammen repräsentierte. Im Jahr 2005 schuf der RMV,der selbst als Institution ein eige- nes institutionelles Logo hat, ein Logo,welches die ganze Region repräsentieren sollte (Abb.11). Der See ist aufdiesem Logo dasalle drei Ortschaften verbin- dende Element, da sie sich zwar nichtalle an seinem Ufer,aberdochumihn herum verteilt in der Seeregion befinden:

Abb. 11:Logovon RMV seit 200559 Das Logo kann als hybride zweisprachige Kombination verstanden werden. So beinhaltet es zwar sowohl den deutschen Namen der Region (an erster Stelle) als auch den französischen Namen(an zweiter Stelle), jedoch nureinmal das Wort Region, welches den beiden Namen vorangestellt ist. REGION kann sowohl aufDeutsch (Region) als auch aufFranzösisch (rØgion)und selbst aufEnglisch (region)gelesen werden, da es in Grossbuchstaben geschrieben ist und im Französischen beider Grossschreibung die Akzente wegfallen. Insofernist die Grossschreibung eine Möglichkeit, die unterschiedlichen Sprachen bzw.Lese- weisen in das Logo zu integrieren, die Zahl der insgesamt verwendeten Worte aber zu verringern. Zusätzlich wurde dem Logo,welches neben dem Schriftzug

58 Der blaue Hintergrund erklärt sich dadurch, dass es sich hier um einen Snapshot des Logos aufdem blauen Hintergrund der Titelseite einer Broschüre mit dem Titel »Guide des hôtels – Hotelführer –Hotel Guide« handelt,die vonFVT im August 1999 herausgegeben wurde.Das Logo hat sonst keinen farbigen Hintergrund und bestehtnur ausden Schriftzügen und der Goldblume. 59 Beider Abbildunghandeltessich um einen Snapshotdes Logos aufder Titelseite einer Broschüre mit dem Titel »MurtenseeRegion –Lac de Morat«, die vonRMV 2011 heraus- gegeben wurde.

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Das Markenzeichen der Destination:Die Sprachenfrage im Logo 121 in Blauauch die Welle und die untergehende Sonne ausdem Logo vonTIB übernommen hat, noch eine Internetadresse (die der Gemeinde Murten) hin- zugefügt.Auch wenndie Webseitenadresse hier nurinihrer deutschen Version aufgeführtist, wird dortauch der französischsprachige Gast überdas Sprach- wahlmenü Informationen in seiner Sprache finden können. Das Logo erweitert somit seine Funktion als zweisprachiges, identitäresMarkensymbol um den Hinweis aufKontaktdaten, wo der potentielle Gast weitereInformationen über die Destination erhalten kann, und es integriertdadurch auch den Aspekt der Marktfähigkeit in eine kreative Artund Weise. In einem Interview (vom 30. 09.2013) äusserte sich die Geschäftsführerin des RMV zur Geschichte der Kreation des Markensymbols fürdie Region. Sie führte an, dass es eine grosse Herausforderung gewesen sei, das Logo zu ge- stalten, die sie mit drei grundlegenden Problematikenzusammenfasste. Einer- seits musste das Logo eine ganze Region repräsentieren, d.h. es musste ein Symbol gefundenwerden, mit dem sich alle einzelnen Ortschaften identifizieren konnten. Im Fall der Seenregion war dies tatsächlich der See. Eine weitere Problematikbestand in der Sprachwahl und der damit zusammenhängenden Länge des Produktnamens –der im Fall der Region ohnehin schon lang war, jedoch noch länger wurde, da sichder RMV und die Tourismusinformations- büroseinig waren, dass das Logo unbedingtden zweisprachigen Namen der Region beinhalten müsse. Dies konnte entgegen dem Abraten vonMarketing- expertInnen aufgrund einer gewissen Schwerfälligkeit des langen Schriftzugs im Logo auch durchgerungen werden. Eine weitere und dritte Problematik stellte sich mit der Frage, ob man das Logo »nur« zweisprachig gestalten sollte, oder auch das Englische als internationale Sprache des Tourismusintegrieren müsse. Damit aber hätten sich die einzelnen Institutionen nichtidentifizieren können und entschieden sich einvernehmlich dagegen. Doch dem gerade etablierten Logo sollte bald ein neuer Entwurffolgen. Im Rahmen derregionalen Marketingstrategie, welche 2008 im Kanton Frei- burg unterdem Stichwort»Enjoy«lanciertwurde,beauftragte FTVeineMarke- tingagentur ausGruy›re damit, fürjededer neun touristischenPolregionen im Kanton Freiburg einLogozuentwerfen.Der Auftrag bestand darin,inden Logos dieIdentitätjeder Destination so hervorzuheben,dasssichdie einzelnenDesti- nationen im Kanton voneinanderabheben würden,sichabergleichzeitigder überdachendenMarke desFTV zugehörig präsentierensollten.Daraufhin ent- wickelte dieMarketingagentur jeweils einLogound einendazugehörigen Slogan fürdie einzelnen Destinationen(Polregionen).Wie mander Webseite derMar- ketingagenturentnehmen kann,wurde jedesLogomitsamt Slogan in dendrei Sprachen Deutsch, Französischund Englischentworfen.Fürdie RegionMur- tensee warein Logo mitdem farbigen Schriftzug »RegionMurtensee«(dieFarben

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Abb. 12:Logovorschlag fürdie Polregion Murtensee Region61

Der Tourismusdirektor vonTIB äusserte sich in einem Interview (vom02.05. 2013) zur Idee hinsichtlich des Logovorschlags fürdie Region Murtensee, wiesie ihm vonder Marketingagentur erläutertworden war:

1 DIRECTEUR: euhm, l’idØec’Øtait coucher-=c’Øtait le côtØ romantique 2 vraimentdelarØgion. coucher de soleil, donc l’aspect 3 couleur avec aussil’aspectdedeladiversitØ de notre rØgion, 4 euh au niveauben au niveauque ce soit linguistique, 5 culturel, avec euh benenessayantben avec l’idØeaveccette 6 idØedes couleurs/ et le coeur c’est par rapportaux personnes 7 ou justement à l’idØed’identitØ locale qui est aussi je pense 8 perÅue comme une rØgion relativementouverte de par le fait 9 qu’on estsur sur des fronti›res.

Übersetzung

1 DIREKTOR: ähm die idee war der sonnen-=alsowirklich die 2 romantische seite der region.sonnenuntergang,also der 3 farbaspekt und auch der aspekt der vielfaltunserer region, 4 ähalso was das was das sprachliche, kulturelle betrifftund 5 gleichzeitig ähund das mit der idee mit den farben/ und das 6 herz das beziehtsich aufdie leuteoder einfach die idee der 7 lokalen identität. die region wird glaubich wirklich als 8 relativoffen wahrgenommen aufgrund der tatsache das sie 9 sich aufauf den grenzen befindet.

60 AufFranzösisch:»Les couleurs du coeur«. Die vonder Marketingagentur gewählteenglische Entsprechung ist mir nichtbekannt. 61 Beim hier aufgeführten Snapshot handelt es sich um den Ausschnitt einer Karteder Tou- rismusregion Fribourg, vor deren Hintergrund die verantwortliche Marketingfirma ihre verschiedenen Logovorschläge fürdie einzelnen Destinationen der Tourismusregionprä- sentierte. Die Kartebefindet sich aufihrer Homepage. Den Link gebeich ausAnonymisie- rungsgründen nichtan.

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Das Motivdes Herzens im Slogan setzt also aufEmotionen und soll sowohl die Gäste als auch die Lokalbevölkerung ansprechen. Doch gleich darauf erläuterte der Direktor,dass dieser Entwurfvon TIB und RMV nichtakzeptiertworden war und die Region immer noch aufder Suche nach einer gemeinsamen Thematik sei, durch die sie ihr touristisches Produkt auszeichnenund besser vermarkten könne. Schliesslich gehterweiter aufdie sprachlichenAspekte des vorgeschlagenen Slogans und des Logos ein, welche unter anderem die Gründe fürdessen Ablehnung waren:

1 DIRECTEUR :UNE question identitaire de la rØgion c’est le bilinguisme (.) 2 il faut un logo qui soit adaptabledans les deux langues. c’est 3 un crit›re de base. euh voilà.etilyapas eu cette sensibilitØ 4 là au niveaudedel’organe qui mettait en place le logo.un 5 slogan=bien l’idØec’Øtait aussi qu’elle crØeune esquisse de 6 logo qui soit adaptable plus un slogan, et sur le slogan il faut 7 vraiment Þtredelangue maternelle pourvraimentmaîtriser 8 le slogan. le sloganallemand Øtait mauvais/ euhm une 9 traduction=c’est toujours le probl›me des traductions/ 10 traductions d’un slogan c’est quasimentimpossible. euhm, 11 donc la question c’Øtait et qu’on fait un slogan bilingue dans 12 le sens oœ euh +die farben ((allemand))+ bien au%bien 13 c’Øtait au coeur des couleurs au coeur +des farbens 14 ((allemand))+ bien j-=un truc comme Åa. voilà.etqu’on 15 comprend l’anglais/ tout le monde Øtait catØgoriquement 16 euh dØcidØ pas une bonne idØe/ euh voilà.ontrouveune 17 solution entrelefranÅais et l’allemand mais Åa non euh% 18 notre identitØ c’est pas l’anglais, alors que Åa aurait ØtØ plus 19 simple.

Übersetzung

1 DIREKTOR:EIN identitäreraspekt der region ist die zweisprachigkeit (.) 2 es brauchtein logo das in beiden sprachen funktioniert. das 3 ist ein basiskriterium. ähm. genau. und seitens der agentur 4 die dieses logo vorgeschlagen hat fehlte die sensibilität 5 dafür. ein slogan=gut die idee war auch logoskizze plus 6 einen slogan, und was den slogan betrifftmuss man 7 wirklich muttersprachler sein um einen slogan zu 8 entwerfen. der deutsche slogan war schlecht/ ähm eine 9 übersetzung=das ist immer das problem mit den 10 übersetzungen/ einen slogan zu übersetzen ist fast

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11 unmöglich. ähm, also die frage war und dass man einen 12 zweisprachigen sloganhat der ähm +die farben 13 ((deutsch))+ oder im oder war das im herzen der farben die 14 farben im herzen +desfarbens ((deutsch))+ oder 15 i-=irgendwie sowas. genau. und dass man das englische 16 versteht/ alle waren kategorisch ähhaben entschieden dass 17 es keine gute idee ist/ ähja. wirfinden eine deutsch 18 französische lösung aber das nein ähunsere identitätist 19 nichtenglisch, auch wenn das einfacher gewesen wäre.

Im Interviewausschnitt spielt der Direktor darauf an, dass die Marketingagen- tur auseiner einsprachigen (französischsprachigen) Region stamme und die Verantwortlichen deswegen nichtdie notwendige Sensibilitätfürdie identitäre und auch politisch-symbolische Bedeutung der lokalen Zweisprachigkeit mit- brachten, die er später noch einmal unterstreicht. Der Vorwurfder fehlenden Sensibilitätkann auch als fehlendesLokalwissen aufgefasst werden. Appadurai verstehtdieses Lokalwissen auch als Wissen um die (Re)produktion von›loca- lity‹:

»Much thathas been consideredlocal knowledge is actually knowledgeofhow to pro- duce andreproducelocality […].Local knowledge is substantially about producing reliablylocal subjects as well as aboutproducingreliably local neighborhoodswithin which such subjects can be recognized andorganized.«(1996b:181) Die Marketingagentur,die nichtaus der Gegend vonMurten stammte, wird in der Rationalisierung des Tourismusdirektors aufgrund des fehlenden Lo- kalwissens nichtfürlegitim befunden, im Rahmen der Logokreation am Branding der Destination und somit auch an der Lokalitäts(re)produktion teilzuhaben. Die Marketingagentur hatte –wohl mit der Marktlogik, mit dem Logo ein verschiedensprachiges Publikum anzuvisieren –alle Logos und Slo- gans dreisprachig vorbereitet. Damit konnten sich die Murtner TouristikerInnen (in ihrer doppelten Rolle als Teil der Lokalbevölkerung aber auch als profes- sionelle RepräsentantInnen der Destination) nichtidentifizieren. Sie sahenim Logo und dem dazugehörigen Slogan nichtnur dasZiel der Kommunikation mit einem breiten, verschiedensprachigenPublikum, sondern auch (vielleichtso- gar vordergründig) die Repräsentation lokaler Identität(Aronczyk 2008).Sie wollten das Logo und somit auch das Image, dasvon ihrer Destination kon- struiertwurde, selbst bestimmen. Um dem identitärenAspekt gerechtzuwer- den, strebten sie eine zweisprachige deutsch-französischeLösung an. Diese Prämisse warfjedoch ebenfalls Problemeauf, da ein Slogan gefunden werden musste, der das Publikum in beiden Sprachen ansprechen und nichtals künstliche Übersetzung wirken sollte (Artetxe und Umaran 2013),wie dies beim

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Logovorschlagder Agentur der Fall war.Die mit der neuen Logokreation beiden Gästen anvisierten Emotionen blieben letztendlich aus. Hingegen kochten sie nach der Präsentation des Vorschlags vielmehr beiden lokalen TouristikerInnen hoch, was zur Ablehnung des Logos führte. Solch ein lokaler Widerstand ist bei Logokreationen allerdings keine Seltenheit, wieauch die nächste Logodebatte zeigen wird.

2.3 Abgrenzung und/oder Vereinheitlichung

Im Zuge der Logokreation fürdie touristischen Polregionen wurde auch das heutige Logo vonFTV geschaffen (Abb.13), das ebenfalls heisse Debatten auslöste. So berichtet ein Zeitungsartikelder La LibertØ vom15. Januar 2008 mit dem Titel »Fribourg est dØjà bilingue«(Fribourg ist bereits zweisprachig), dass der Entwurfeines neuen Logos fürFurore im touristischen Milieu gesorgt hätte. Demnach seiheftigdiskutiertworden, ob eine zweisprachige Version mit dem deutschen Name der Region verwendet werden solle oder eine rein fran- zösischsprachige. Gemäss Vertretern vonFTV sei das Risikozugross, dass die Region weiterhin mit der deutschen Stadt Freiburg im Breisgauverwechselt werde könnte, sodass ein Logo geschaffenwerden müsse, »qui marque notre diffØrence«(das unsere Andersartigkeit unterstreicht) und eine bessere Unter- scheidung erlaubt. Letztendlich habeman sich aber füreine hybride Lösung entschieden, nämlich für»Fribourg Region«ohne Akzentauf dem französischen ›rØgion‹,wie dies bereits beim Logo vonRMV praktiziertwurde.62 Auch hier wird wieder mit der Schreibung in Grossbuchstaben gespielt, wobei aufAkzente verzichtet wird.

Abb. 13:Hybrides Logo vonFTV mit »Region«ohne Akzent

Diese Lösung könne problemlos aufDeutsch, Französisch und sogar aufEng- lisch gelesenwerden, da es sich beim deutschen Wort ›Region‹, beider engli- schen Entsprechung ›region‹und beim französischen Äquivalent›rØgion‹um zumindest optisch das gleiche bzw.ein ähnliches Wort handle. Hinzu komme, dass die Stadt Freiburg eigentlich nur vonDeutschfreiburgernals Freiburg be- zeichnet würde, in der restlichen Deutschschweiz aber vonFribourg (deutsche

62 Quelle:Zeitungsartikel»Fribourgest dØjà bilingue«, erschienen am 15.01.2008 in La LibertØ.

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Aussprache mit gesprochenem [g] am Wortende)die Rede sei. Doch nichtnur in Form der hybriden Lösung kann das neue Logo als mehrsprachigeLösung verstanden werden. Der Produktname »Fribourg Region« ist zusätzlich noch mit einem dreisprachigenSchriftzug unterlegt,der die Tourismusregion als Schweizer Destination auszeichnet. Die hierfürgewählten Sprachen Franzö- sisch, Deutsch und Englisch entsprechen nicht(ganz) den Schweizer Landes- sprachen, sondern vielmehr den Sprachen der touristischen Märkte, die die Region hauptsächlich bedient, wobei das Englische in doppelter Funktion ein- gesetzt wird, nämlich nichtnur um den Markt ausGrossbritannien und den USA anzusprechen, sondern auch um generell internationale Gäste zu erreichen. Während die Stadt und die Region Freiburg mit dem Verwechslungspotenzial ihres deutschen Namens zu kämpfen haben und sich (zumindest die Institu- tion FTV)füreinen der beiden Namen in einer hybriden und international ausgerichteten Version entscheidet, kämpft Murten eher damit, dass je nach Zielpublikum ein anderer Name bekanntist, jedoch die wenigsten (potentiel- len) Gäste wissen, dass es sich beiden beiden Namen um ein und denselben Orthandelt. Nach Aussagen des Direktors vonTIB kenne man in Frankreich die Destination unter dem Namen Murten (französischeAussprache), in der Westschweiz jedoch unter dem französischen Namen Morat63.Dies stelle vor allem beider Bearbeitung des französischsprachigen Marktes als Ganzes, an- stelle der Bearbeitung nach nationalen Märkten, ein Problem dar.Schliesslich entscheide die Wahl der (einheitlichen) Verwendung des Ortsnamens überden Wiedererkennungswertder Destination als Marke. In einem Interview (vom 02.05. 2013) sprichtder Direktordiese Problematikder zweisprachigen Orts- namen an, die fürTIB v. a. im Zusammenhang mit den Reflexionen zum neuen Logo einmalmehr deutlich wurden:

1 DIRECTEUR: EST CE QUE nous on parle de +murten ((allemand))+ 2 morat est ce qu’on parle de morat, estceque le bilinguisme 3 fait partiedel’identitØ de notre rØgion, est ce qu’on l’utilise 4 comme instrumentdepromotion, NON. jusque là il 5 s’int›gredans tousces ØlØments là/sous certaines formes, 6 on ne l’oublie pas, Åa fait partiedel’identitØ de la rØgion, 7 mais c’est pasunØlØment euh prioritaire, ni un ØlØment 8 attirant. je pense mÞme si certaines personnesparfois 9 apprØcientparfois le côtØ un peu PARTICULIER du fait que 10 +murten ((allemand))+ morat tiens on est à +murten 11 ((allemand))+ mais, euh on cherchait morat mais c’est le

63 Auswelchem Grund dies so ist, ist mir allerdings nichtbekannt.

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12 mÞme endroit, euh voilà,pis ils trouventÅaintØressant 13 mais, promotionnellementc’est pasquelque chose qui a 14 autantd’importance que les autres mati›res.

Übersetzung

1 DIREKTOR:sagen wir +murten ((deutsch))++morat ((französisch))+ 2 sagen wirmorat, ist die zweisprachigkeit teil der identität 3 unserer region, nutzen wirsie als promotionsinstrument, 4 NEIN. bis jetzt integrieren wirall diese elemente, in 5 unterschiedlicher form. wirvergessen +sie ((die 6 zweisprachigkeit))+ nicht, sie ist teil der regionalen 7 identität. aber sie ist kein ähprioritäreselement,nochein 8 attraktives element. ich denkeselbst wenn bestimmte 9 personen diese BESONDERHEIT toll finden,die tatsache 10 dass +murten ((deutsch))++morat ((französisch))+,sieh 11 mal an wirsind in murten, dabei haben wir +morat 12 ((französisch))+ gesuchtaberesist der selbeort ähtja, 13 dann finden sie das interessantaber, was die vermarktung 14 betrifftist es kein element, dass so wichtigist wiedie 15 anderen charakteristika.

Fürdie Vermarktung der touristischen Destination Murten stellt sich eben ge- rade die Frage, ob die Zweisprachigkeit in Form der zweisprachigen Ortsnamen in der Promotion überhaupt verwendet werden soll:Die lokale Zweisprachigkeit wird einerseitsals Identitätsmerkmal wahrgenommen,stellt andererseits jedoch kein Verkaufsargumentdar,also keinen Grund, weshalb TouristInnen die Re- gion besuchen würden. Gleichzeitig sprichtsich der Direktorjedoch auch gegen eine einheitliche Regelung hinsichtlich der Verwendung der Ortsnamen aus:

1 DIRECTEUR: les discussions ont Ø-ont aussi ØtØ menØes au sein du canton 2 de fribourg et il yaune volontØ que je trouvemalsaine de 3 vouloir classifier les choses/donc de vouloir direde:benen 4 gros on nous ademandØ aussi: de nos euh de donner une 5 euh::% notre bien notre b-ben de de dire de quelle mani›re 6 nous on veut que notre heu MARQUE soit prØsentØe. est ce 7 qu’en allemand c’est +murten ((allemand))+ morat, est ce 8 que c’est morat, est ce que c’est euh uniquementmurten 9 toutletemps, et à nous (nous) de prononcer là dessus, je 10 trouveque c’est malsain et je trouveque c’est une erreur de

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11 le faire/ euhm .h j-je pense a% avec le vØcu qu’on ahein c-, 12 les:personnes qui sont responsables du marketing ont 13 toujours une volontØ de simplifierqui est CLAIR,une 14 marque doit Þtreclaire, et simple, et c’est clair que la marque 15 morat euh n’a paslemÞme impact de la par=de la marque 16 +murten ((allemand))+/etc’est finalementc’est deux 17 marques diffØrentes, euhm, et pour les pourles personnes 18 qui font le marketing c’est difficile. par contreilyal’autre 19 intØrÞtjustementlecôtØde prØsenter la:question 20 identitaire/laquestion de savoir s’adapteraussi à: 21 certaines=certains types d’action,NOTRE REGLE ANOUS 22 c’est dØjà de ne pas avoir de r›gles strictes.

Übersetzung

1 DIREKTOR:die diskussionen sind auch im kanton freiburg geführt 2 worden und es gibt da bestrebungen die dinge klassifizieren 3 zu wollen, was ich nichtfürgut befinde/also sagen zu 4 wollen also um das ganze mal zusammenzufassen wirsind 5 auch aufgefordertworden uns einen ähzugeben unser also 6 unser also haltzusagen wiewir wollen dass unsere MARKE 7 präsentiertwird.etwa aufdeutsch das ist murten +morat 8 ((französisch))+,soll es +morat ((französisch))+ heissen, 9 soll es immer nur murten heissen, und dass wiruns dazu 10 äussern, ich finde das nichtgut und ich denkeesist ein 11 fehler das festzulegen/ äh.hi-ich denkem-mit der 12 erfahrung die wirhaben hm das, die 13 marketingverantwortlichen wollen immer alles 14 vereinfachen etwasklares, eine markemuss klar sein, und 15 einfach, und es ist offensichtlich, dass die marke +morat 16 ((französisch))+ nichtdenselben einfluss hat wiedie marke 17 murten/ und dass es letztendlich zwei verschiedene marken 18 sind, äh, und fürdie leute, die dasmarketing machen ist das 19 schwierig.jedoch gibt es gleichzeitig auch den anspruch 20 etwas identitäres zu zeigen/ sich auch je nach dem an 21 bestimmte marketingaktivitäten anpassen zu können, 22 UNSERE EIGENE REGEL ist einfach keine strikten regeln 23 zu haben.

Demnach würdeeine durchgehend einheitliche Verwendung der beiden Orts- namen auch Probleme bergen, da es sich –jenachMarkt –eigentlich um zwei

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Marken handle, die man eben ohne Standardisierung spontan und flexibel je nach Bedürfnis einsetzen könne. Insofernpräsentiertdie Zweisprachigkeit eine Möglichkeit der besseren Marktanpassung. Er fügt an, dass die Verwendung der zweisprachigen Ortsnamen häufig auch eine technische Frage sei. So passt ein langer bzw.doppelter Markenname nichtauf jedes Marketingmaterial.Die Marketingspezialisten vonTIB lassen sich also allerlei Tricks einfallen, um beide Markennamen in einen Promotionstext integrieren zu können und den Text dennoch aufdas jeweilige Zielpublikum auszurichten:

1 DIRECTEUR: bien j’aimerais pas devoir (.) systØmatiquementmettre 2 +murten ((allemand))++morat ((franÅais))+.question 3 de place des fois, question eu% c’est toujours des questions 4 commeÅa/ des fois il n’y apas la place des fois c’est lourdde 5 mettre chaque fois dans le texte. oui vous Þtes à m-+murten 6 ((allemand))++morat ((franÅais))+ voilà/euh voilà.onle 7 met peut Þtredansletitre/ +murten ((allemand))++morat 8 ((franÅais))+ et ensuite dans le texte on me=on parle 9 uniquementdemorat parce que apr›sc’est assez clair 10 euhm. mais habituellementsur l’allemand on utilise que 11 +murten ((allemand))+

Übersetzung

1 DIREKTOR:gut, ich möchte lieber nicht(.) systematisch +murten 2 ((deutsch)) +morat ((französisch))+ schreiben müssen. 3 das ist manchmal eine frage des platzes, eine frage äh% da 4 stellen sich immer so fragen/ manchmal gibt es nicht 5 genügend platz manchmal ist es schwerfällig wenn man 6 immer beides im text schreibenmuss. ja sie befinden sich in 7 m- +murten ((deutsch))++morat ((französisch))+ so ist 8 das. wirpacken es vielleichtinden titel/ +murten 9 ((deutsch))++morat ((französisch))+ und dann im text 10 schreiben wirnur noch +morat ((französisch))+ weil es 11 dann ziemlich klar ist äh. aber im deutschen verwenden wir 12 fürgewöhnlich +murten ((deutsch))+

Eine Gästebetreuerin vonTIB thematisierte ebenfalls die Problematik der zweisprachigen Ortsnamen in einem Interview (vom16.05. 2013). Sie erklärte, dass häufig vonden Gästen gar nichtwahrgenommenwürde, dass die Stadt zwei verschiedensprachige Namen hätte und mutmasst, dass dies so sei, weil es an sich etwas Seltenes sei, dass eine Stadt zwei offizielle Namenhätte:

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1 MITARBEITERIN: obwohl beiuns in (xx) ja schon. wirhaben ja zum 2 beispiel düdingen ist +guin ((französisch))+ aber (…) 3 vonden vonden auswärtigen. wer weiss schon das 4 +guin ((französisch))+ düdingen ist. da ist auch nicht 5 angeschrieben +guin ((französisch))+ wenn man 6 irgendwo hinfährt, sondernimmer nurdüdingen 7 angeschrieben. wenn man dannvon +guin 8 ((französisch))+ redet oder +chi›tres 9 ((französisch))+,was kerzers ist, dann weiss ja 10 niemand, das des kerzers ist. ((lacht)) wer=wenn das 11 nichtkennt. also vonden- vonden touristen die haben 12 dann meistens=die wissen dann einfach ein, die wissen 13 dann einfach den deutschsprachigen oder den 14 französischsprachigen begriff. murten ist dann 15 entweder +morat((französisch))+ oder murten. da 16 kamen auch schon leute, ja wirsind ja jetzt in +morat 17 ((französisch))+,woist denn jetzt murten. aber me- 18 meistens eher umgekehrt. meistens ist eher so,wenn 19 das malvorkommt, dass sie dann sagen, wirsind doch 20 jetzt in murten, wo ist denn jetzt +morat 21 ((französisch))+/fragen auch häufig,ist das jetzt 22 kanton freiburg oder ist dasjetzt kanton ähbern/

Zunächstspricht sie das Verwirrungspotenzial an, das diezweisprachigen Ortsnamen bieten. Werschlichtund einfach nicht weiss, dassein Ortzwei Namen hat, kann insbesondere beisichnicht oder nurwenig ähnelnden zweisprachigen Namensversionendie Verbindung zwischen den Namen nicht herstellen. Nichtortskundige würden dieses(Lokal-)Wissen nicht mitbringen. Anekdoten- haft schildert sie Erlebnisseaus demTourismusinformationsbüro,bei denen TouristInnenerklärt werden musste, dasssie bereits in dem Ortseien, den sie suchenwürden.IndiesemZusammenhang spricht sie dieBedeutungder zwei- sprachigenBeschilderungan, die beisolchenVerwirrungsmomenten von Hilfe seinkönnte. Des Weiteren bringt sie an, dassmit der Verwendung eines Orts- namens in einer bestimmten Spracheund demvermitteltenVorwissen zur Lage eines Ortesauch Erwartungshaltungen an die dortige Sprachensituationent- stehenkönnen. So wird z.B. in Murten aufgrund des lokal überwiegendver- wendeten schweizerdeutschen Dialekts (derzudem eherder schweizerdeutschen VarietätBerns, alsdem freiburgerischenSenslerdeutsch ähnelt) aufdie Zuge- hörigkeitdes Ortes zu einem bestimmten Territorium geschlossen –imFalle Murtensnämlich zum Kanton Bern. Undmit diesenAssoziationen versuchen die Marketingspezialistendurch dieSprachwahlbei derVerwendung der Ortsnamen

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Das Markenzeichen der Destination:Die Sprachenfrage im Logo 131 im Marketingdiskurszuspielen, um die Destinationfürdie Gäste auch sprachlich attraktivzugestalten (Hall-Lew undLew 2014). Das Jahr 2013 war im Kanton Freiburg (nichtnur) im touristischen Bereich vonverschiedensten Kontroversen in Bezug aufdie Schaffung neuer Logos gekennzeichnet. Laut einem Zeitungsartikel64 wurde vonden TouristikerInnen im Kanton Freiburg kurzzeitig diskutiert, ob es nichtambesten wäre,den gan- zen Kanton bzw.die vonFTV vermarkteteFerienregionFribourg unter der Marke La Gruy›re zusammenzuschliessen. Es wurde argumentiert, dass der Käse der Marke Le Gruy›re überall aufder Welt bekanntsei und der Tourismus durch das Markenzitat vonderen erfolgreichen Profilierung profitieren könnte (Nakassis 2012). Während sich die TouristikerInnen der Stadt Freiburg nicht abgeneigtzeigen,

»Si nousvoulonscombattre la concurrence, il faut se concentrer sur une marque. Or,le mot ›Gruy›re‹ est le plus connu, notammentdans les pays Ømergents commelaChine, le BrØsil ou l’Inde.«(ZeitungsartikelLaLibertØ,24. 02.2013) Übersetzung:»Wenn wirdie Konkurrenzschlagen wollen,müssen wiruns aufeine Marke konzentrieren. Das Wort ›Gruy›re‹ [Greyerzer] ist nun mal das bekannteste in so aufstrebenden Ländernwie China, Brasilien oder Indien.«65 sprichtsich TIB entschiedendagegen aus. So wird der damalige Direktor von TIB im Zeitungsartikelwie folgtzitiert:

»AMorat,ilnous est dØjà difficile de nous profiler derri›re le symbole cantonal de la vache. Un alignementsur la marque ›Gruy›re‹ serait pour la rØgion des lacs difficile à portereteffacerait une autre rØalitØ :ladiversitØ touristique du canton.«(Zeitungsar- tikelLaLibertØ,24.02.2013) Übersetzung:»In Murten haben wirbereits Schwierigkeiten uns hinter das kantonale Symbol der Kuhzustellen. Eine Einreihung in die Marke›Gruy›re‹[Greyerzer]wäre für die Seeregion schwer zu tragen und würde eine andereRealitätverschweigen:die touristischeVielfaltdes Kantons.« Beider im Zitat erwähnten Freiburger Kuh, mit der sich Murten und die Seen- region, die auslandwirtschaftlicher Sichtallenfalls im Gemüseanbauaktiv ist, nichtidentifizieren können, handelt es sich um eine schwarz-weissgefleckte lokale Rinderrasse, dasFreiburger Rind oder Schwarzfleckvieh genannt. Diese Rinderrasse gilt bereits seit 1975 als ausgestorben66,wird jedoch häufig als

64 Quelle:Zeitungsartikel»Et si Fribourg misait toutsur la seule marque ›Gruy›re‹?«erschienen am 24.01.2013 in La LibertØ. 65 Im Beispiel werden Märkte angesprochen, die zu dem Zeitpunkt fürdie Tourismusregion Fribourgjedoch überhaupt keine Rolle spielen. 66 Quelle:Zeitungsartikel»Die Freiburger Kuhlebt in Chile. Ausgestorbene Schweizer Vieh- rasse wiederentdeckt«, vom 18.05.2008 in der NZZ, online unter: https://www.nzz.ch/die- freiburger-kuh-lebt-1.736634 (Abrufdatum02.04.2017).

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Symbol des Kantons Freiburg verwendet. So wird sie beispielsweise in cartoo- nierter Form vonFTV als touristisches Maskottchen eingesetzt und ziertzahl- reiches Promotionsmaterial. Letztendlich wurde nichts ausder im Artikeldiskutierten Idee eines ein- heitlichen freiburgerischen Auftritts unter der Marke La Gruy›re,dochzeigt diese Diskussion wieder anschaulich die Problematikder verschiedensprachi- gen Regionen aufder Suche nach einem einheitlichen Markenauftritt, der bis dahin das Programmzubestimmen schien. Gleichzeitig ist es auch ein Beispiel des Widerstands, da sich Destinationen wieMurten nichtvon einer grossen, alle kleineren Destinationen umschliessenden Markeschlucken lassen möchten und aufeine eigene lokale Identitätpochen. Eine weitereLogodebatte wurde in Bezug aufein neues Logo der Stadt Frei- burg ausgelöst (Abb.15), welches das bisherige –anscheinend »veraltete« und »zu wenig seriös« erscheinendeStadtlogo (Abb.14) ersetzen sollte.67

Abb. 14:Altes und aktuellesLogo der Stadt Freiburg

Abb. 15:Abgelehnter Logovorschlag 201368

So hatte der Gemeinderat der StadtEnde Februar 2013 beider Präsentation des neuen Stadt-Logos mit einem ausschliesslich französischen Schriftzug harte Kritik ernten müssen. Als Reaktionrichtete der Deutsche Geschichtsforschende Verein einen offenen Brief an die Gemeinde und die Medien, in welchem kriti- siertwurde, dass diese einsprachige Attitüde nichtnur der zweisprachigen Geschichte der Stadt widersprechen würde, sondernauch allen Anstrengungen, die in den letzten Jahren im Kanton zugunsten der Förderung und Anerken-

67 Quelle:Nachrichtauf dem Onlineportal des Schweizer Radio- und Fernsehen SRF »Stadt Freiburg tritt mit neuem Logo auf« vom 27.02.2013, online unter:http://www.srf.ch/news/ regional/bern-freiburg-wallis/stadt-freiburg-tritt-mit-neuem-logo-auf (Abrufdatum 04.11. 2016). 68 Die blauen Bögen, welche die Buchstaben Ound Unur andeuten, sollen den Lauf des die Stadt durchquerenden Flusses Saane darstellen.

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Das Markenzeichen der Destination:Die Sprachenfrage im Logo 133 nung der Zweisprachigkeit gemachtworden wären.69 Es kamsogar zur Unter- zeichnung einer Resolution »fürdie Anerkennung und Aufwertung der Zwei- sprachigkeit«. Auch wenn im öffentlichen Diskurs immer vonder Anerkennung der »Zweisprachigkeit« gesprochen wird, gehtesden VertreterInnen jedoch in erster Linie um die Anerkennung der deutschen Minderheit und deren Gleich- berechtigung bzw.Gleichstellung mit der französischen Mehrheit.Der Ge- meinderat versuchte den Logoentwurfnochmit dem Argumentzuretten, die Stadt sei nunmal offiziell französischsprachig,sah sich aber letztendlich ge- zwungen, das neue Logo zurückzuziehen und kündigte an, das alte (ebenfalls einsprachige)Logo noch eine Weile weiter zu benutzen70.Bis heute (Anfang 2018) wurde jedoch noch kein neuer Vorschlag präsentiert. Auch dieses Beispiel zeigtanschaulich, dass die Logofindung nichteinzig und allein den (städtischen/ touristischen) Institutionen überlassen ist, sondernsich auch die Lokalbevöl- kerung in der Markenidentitätwiederfinden muss. Ein weiteres Logoproblem kündigte sich im selben Jahr an, als der FTV be- fand, dass der eigene Name (des regionalen Tourismusverbandes) zu sehr dem des polregionalen Tourismusverbandes der Stadt Freiburgund Region (TPF) ähnelteund zu einer Verwechslung führen könnte.71 Daraufhin änderte TPF zwar nichtseinen Namen, entwarfaberimJahr 2015 eine neue, unverwechsel- bare visuelle IdentitätinForm eines zweisprachigen Logos, das jedoch nureinen verkürzten Schriftzug und nichtden vollen Namen des polregionalen Touris- musverbandes enthielt (Abb.17).

Abb. 16:Logovon TPF von2001–2014

69 Quelle:Zeitungsartikel»Le logo de la ville inqui›te«vom 05.04.2013 in La LibertØ,online unter:http://www.laliberte.ch/news/regions/le-logo-de-la-ville-inquiete-25360(Abrufda- tum 04.11.2016). 70 Quellen:Zeitungsartikel»Zweisprachigkeit ist nichteinfach« vom 06.03.2013, online unter: http://www.freiburger-nachrichten.ch/grogrossfreiburg/zweisprachigkeit-ist-nicht-einfach (Abrufdatum04.11.2016) und »Stadt Freiburghält am altenLogofest« vom 30.04.2013, online unter:http://www.freiburger-nachrichten.ch/nachrichten-grossfreiburg/stadt-frei burg-haelt-am-alten-logo-fest (Abrufdatum 04.11.2016), beide erschienen in den Freibur- ger Nachrichten. 71 Quelle:Zeitungsartikel»Le tourisme voit loin«erschienen am 19.09.2013 in La LibertØ, online unter:http://www.laliberte.ch/news/regions/le-tourisme-voit-loin-16070 (Abrufda- tum 21.11.2016).

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Abb. 17:Logovon TPF seit 2015

Im bisherigen rein französischsprachigen Logo war das Markenzeichender Stadt Freiburg,die Brücke72,zufindenund ebenfalls nur ein verkürzter Name (Abb.16). Dieses Logo hatte dem polregionalen Tourismusverband während 13 Jahren gedient. Das neue Logo (Abb.17) wurde vonFreiburger Graphikern entworfen, die aufihrer Webseitedessen graphische Ausgestaltung erklären: »A la mani›re d’un tamponapposØ sur nos passeports, le nouveaulogo de Fribourg Tourisme devientunsymbole du (sic!)voyages, de dØcouvertes et de souvenirs.«73 Zur sprachlichenGestaltung des neuen Logos wird jedoch nichts geschrieben. Auffallend ist jedoch der Wechsel voneinem vorher rein französischsprachigen Logo zu einem zweisprachigen Logo,welches sich zudem durch eine winzige Schweizer Fahne als Schweizer Destination ausweist, wiedies schon Jahrezuvor des Öfteren in den Logos der touristischen Institutionen der Region zu sehen war.Vielleicht wollte man nichtdenselben Fehler wiedie Stadt Freiburg bege- hen:weiterhin einsprachig fahren und negativeSchlagzeilen schreiben. Der Anlass dieses Logowechsels lässt sich einerseits mit der Notwendigkeit der Abgrenzung vonanderen, ähnlich heissenden Destinationen bzw.Institutionen begründen, um einer Verwechslung vorzubeugen. Andererseits spiegelt die neue zweisprachige Gestaltung auch das Bewusstsein fürdie lokale Brisanz der Sprachwahl in Logos wider und kann als eine Reaktion aufdie vorangegangene Debatte um das Stadtlogo interpretiert werden.

2.4 Eine Ressourcenfrage

Die Ortsnamenkontroverse wird in Murten und Freiburg jedoch nichtnur im Tourismusinformationsbüro,sondernauch vonanderen Wirtschaftsunterneh- men und politischen Institutionen geführt. Während die Bahnhofsbeschilde- rung (u. a. auch im zweisprachigen Gebiet) lange Zeit einsprachig (entweder nur deutsch oder nurfranzösisch)war,die Ansage beim Eintreffen in den Bahnhöfen

72 Die Stadt Freiburg wird,aufgrund ihrer zahlreichen den FlussSaane überquerenden Brü- cken, aber auch aufgrundihrer Brücken- bzw.Vermittlerfunktion zwischen der deutschen und französischenSprachgemeinschaft, häufig als Brückenstadt bezeichnet. 73 Übersetzung: »Einem StempelimPass nachempfunden, wird das neue Logo vonFreiburg Tourismuszum Symbol fürReisen, Entdeckungen und Urlaubserinnerungen.«

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Abb. 18:Neue, zweisprachige Bahnhofsbeschilderung in Murten75

Die zweisprachige Bahnhofsbeschilderung war jedoch nichtder einzige An- lass, beim dem dieZweisprachigkeitdem Kanton Freiburgteuerkam. EinZeitungsartikel von Le Temps vom14. November2012mit demTitel »Ce qu’ilencoßte d’Þtrebilingue à Fribourg«(Übersetzung:»Die Kosten der Freiburger Zweisprachigkeit«)spricht den Kostenmehraufwand durchdie lokale Zweisprachigkeitan. Als Beispiele werden hier auch Übersetzungs- kosten fürdie Bereitstellung öffentlicher Dienste und Dokumente in beiden Sprachengenannt. Doch nichtnur im Hinblick auf einen bestimmten Kosten- undArbeitsmehraufwandwirft zweisprachigesBrandingRessourcenfragen auf.Inden zuvor präsentierten Datenzur Problematikder Übersetzung von

74 Die Kosten fürdie Änderung der Bahnhofsbeschilderung in Freiburg und Murten werden insgesamt mit 130.000 Sfr beziffert, welcheanteilsmässig vom Kanton sowievon den Städten Freiburg und Murten getragen wurden. Quelle:Zeitungsartikel»Ce qu’il en coßte d’Þtre bilingue à Fribourg«erschienen am 15.11.2013 in Le Temps, online unter:https://www.le temps.ch/suisse/2012/11/14/qu-coute-bilingue-fribourg(Abrufdatum 06.10.2016). 75 Foto:Larissa S. Schedel, 16.04.2013.

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Brands kamen zwei Fragen auf,die ebenfallsdie Verfügbarkeitgewisser Res- sourcen voraussetzen: 1) Einmal handelte es sich um eine übersetzungstechnischeFrage, nämlich die, ob der Markenname bzw.Slogan überhaupt sinngemäss in die andere(n) Sprache(n) übertragen werden kann, ohne a) an Aussagekraftzuverlieren (Artetxe und Umaran 2013) und b) in der andersprachigen Version zu viel Platz zu beanspruchen. In dieser Hinsichtwurden häufig Bedenken geäussert, da ein Logo eine bestimmte graphische Ausgestaltung integriertund durch zu viel Text (z. B. einen zweisprachigen Markennamen oder Slogan) schwerfällig wirkt und weniger Wiedererkennungswerthat (Heilbrunn 1997). Die Frage, ob ein Logo und/oder Slogan überhaupt zweisprachig gestaltet werden kann, ist also auch eine Platzfrage. 2) Zumanderen wurdeaberaucheinegewisse Legitimitätsfrageaufgeworfen,und zwar im Hinblick darauf, wer überhauptsprachlichausreichend kompetent sowiemit derlokalen Situationund demsymbolischen bzw. politischen Stel- lenwertder Zweisprachigkeitgenügend vertraut unddemnach auch legitim wäre,ein zweisprachiges Logo odereinen zweisprachigen Slogan zu entwerfen (siehe dasBeispieldes abgelehntenpolregionalenLogoentwurfsder Murten- seeregion).AlsoeineRessourcenfrage im Sinneder Verfügbarkeit von kom- petenten undlegitimen zweisprachigen Arbeitskräften.

2.5 Fazit:Logo-Kreation als Beobachtungskontext, Prozess und Produkt von Spannungen

»[…] representationsused in destination marketing arenot value- free expressions of aplace’s identity –instead, they arethe culmina- tion of historical, social, economic andpolitical processes and reveal much aboutthe social construction of space, cultural change, identity anddiscourse.The nature of the representationsused in marketing campaigns do not simply reflect destination marketers’ (and adverti- sing agencies’) responses to adynamic external environment; they arealso constructed expressions of destinations’ cultural and politi- cal identities.« (Pritchard und Morgan 2001:177)

Die semiotische Analyse der Logos verschiedener FreiburgerTourismusinsti- tutionen und Destinationen zeigtdeutlich, dass die Konstruktion vonMarken- identitäten eingebettet und in Abhängigkeit eines bestimmtenwirtschaftlichen und politischen Kontextsgeschieht (Morgan und Pritchard 2010).Die mehrdi- mensionale Bedeutung und Symbolik vonLogos ist der Grund, dass die Mar- kenprägung im mehrsprachigen Gebiet in heissen Debatten um die angemes- sene Sprachwahl und die richtige Verwendung vonOrtsnamen gipfeln und sogar

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Widerstand gegen bestimmte Markenemblemehervorrufen kann (Orman 2008; Piller 2001a). Diese Debatten um die sprachlicheGestaltung vonLogos schei- nen im Kanton Freiburgimletzten Jahrzehntgehäuftaufgetreten, zunehmend emotionaler und gar zum Politikum geworden zu sein. Die semiotische Analyse der Logos sowiedie Diskursanalyse der Debatte zeigen deutlich verschiedene Spannungen:1)zwischen einer angestrebten Identitätspolitik (identity politics) vs. einer Logikder Marktfähigkeit (marketability)(DuchÞne und Heller 2012a; Pritchard und Morgan 2001),2)zwischen der Selbstdarstellung lokalvs. inter- national (Pietikäinen und Kelly-Holmes 2011b), 3) zwischen der Repräsentation vonGeschichte (markiertdurch die Verwendung autochthoner Sprachen) vs. Moderne (markiertdurch die Verwendung vonEnglisch als touristische lingua franca sowieder Verwendung weiterer Sprachen der TouristInnen) und 4) dem Paradox der Vermarktung vonVielfalt, die vonKonsumentInnen als Einheit wahrgenommen werden soll. Diese Spannungen, die vonden Marketingver- antwortlichen ausgehandelt werden müssen, sind komplex und repräsentieren verschiedene politische wieauch wirtschaftliche Interessen, die ich hier noch einmal in Form voneinigen Paradoxa zusammenfassen möchte. Anschliessend daran werde ich die ausdieser Analyse zu schlussfolgerndenKonsequenzen füreine Semiotic und v. a. Linguistic Landscape-basierte soziolinguistische Forschung formulieren. – Vielfalt als Einheit: Touristische Brands sollen die Identitäteiner Destina- tion repräsentieren. Eine Identität, die vomGast als Einheit wahrgenommen werden soll. Die Schwierigkeit bestehtdabei häufig darin, alle Facetten der lokalen (auch sprachlichen) Vielfaltineinem Symbol oder einem Slogan unterzubringen und diese Vielfalt als Entitätzuverkaufen, wobei sichdie Lokalbevölkerung selbst vielleichtgar nichtals solche begreift (Burdick 2016). – Identitätspolitik und/oder Marktfähigkeit: Im Brand will einerseits die Lo- kalbevölkerung in ihrer (u. a. auch sprachlichen) Vielfalt repräsentiertwer- den, andererseits will auch der (inter)nationaleGast wenn möglich in einer ihm verständlichen Sprache angesprochen werden (Simoni 2004). Die Mar- kenentwicklung hat also eine (identitäts)politische Dimension, die nichtzu unterschätzen ist. Die Tourismusregion ist aufden Rückhalt der Lokalbe- völkerung angewiesen, die vielfach auch touristische Stakeholderin ist und das Angebot mitgestaltet, aber auch selbst konsumiert. Gerade in Orten, in denen ein Minderheitenverhältnis herrscht, scheintdie Bevölkerung stark für solche identitätspolitischen Ansprüche sensibilisiertund bereit zum Protest zu sein. Die Verwendung nureiner der beiden lokalen Sprachen, insbeson- dere wennessich dabeiumdie Mehrheitssprachehandelt, wird dortals klare Hierarchisierung der einzelnenSprachen und als Exklusion eines Teils der Lokalbevölkerung vom Markenauftritt gewertet. In den Debatten wird jedoch

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weniger das Argumentder Gleichberechtigung,sondern vielmehrdie Beto- nung des Wertsder Zweisprachigkeit und die Forderungnach ihrer Aner- kennung laut. Zweisprachigkeit wird also als politischer Wert und funda- mentales Rechtverstanden. Gleichzeitig kommt aber auch eine gewisse Marktlogik zum Tragen. In diesem Zusammenhang lässt sich auch eine Spannung zwischen dem Versuch der Authentizitätsproduktion durch die Verwendung lokaler Sprachen feststellen, welcher jedoch teilweise im Wi- derspruch zu dem Anspruch steht, auch internationale und/oder anders- sprachige Märkte zu erreichen, was wiederum durch den Gebrauch der lingua franca Englisch oder hybrider Sprachmischungen erzielt wird (Pietikäinen und Kelly-Holmes 2011b). Diese Spannung kommtinden Debatten häufig auch als eine Spannung zwischen den Argumenten der lokalen Tradition (die geschichtlich in der Region verankerte Zweisprachigkeit) und der Moderne (ein marktorientiertes, anpassungsfähiges und kosmopolitisches Branding, das mit der Zeit gehen und deshalb u.U. auch eine nichtlokale, aber inter- nationale Sprache, z.B. das Englische oder aber die Sprachen anderer starker Märkte, integrieren muss)zum Ausdruck (Jaworskiund Pritchard 2005). –Abgrenzung und/oder Vereinheitlichung: Ein weiteres Paradox entsteht auch durch das Bedürfnis der Abgrenzung vonanderen Destinationen (z.B. die deutsche Stadt FreiburgimBreisgauund die Schweizer Stadt Freiburg im Üechtland) bzw.teilweise auch vontouristischen Institutionen (z.B. die Tourismusverbände der Polregion und der Tourismusregion Freiburg), die aufunterschiedlichen Verwaltungsebenenoperieren und die einen ähnli- chen/gleichen Namen tragen, was ein gewisses Verwechslungspotenzial in sich birgt. Als ein Mittel der Abgrenzung wird zum Beispiel strategisch der anderslautende bzw.anderssprachige Name der Destination verwendet (z. B. Fribourg anstattFreiburg), was allerdings im Widerspruch zu a) einer zweisprachigen Identitätspolitik und b) einem sprachlich an den jeweili- gen Markt angepassten Markenauftritt steht. Die einheitliche zweisprachige Verwendung der Ortsnamen hingegen widersprichtdem Wiedererken- nungsprinzipder Marke(siehe das Beispiel der Region Gruy›re). Häufig kenntein bestimmter Markt nämlich nureinen bestimmten Namen (siehe das Beispiel der Bekanntheit Murtens in Frankreich unter dem Namen Murten und in der Westschweiz unter Morat). Die doppelte Toponymie der Desti- nationsmarken stört in dieser Hinsichtauch die deutliche Zuordbarkeit der Destinationen zu einem bestimmten Sprachgebiet. –Ressourcenfrage: Ferner ergibt sich auch ein gewisser Widerspruch zwi- schen der Bereitschaftbzw.dem Willen zum zweisprachigen Branding und den vorhandenen Ressourcen. Tatsächlich erfordertein zweisprachiger Markenauftritt eine gewisse Investition, da er mit einem (teilweise erhebli- chen) Kosten-und Arbeitsmehraufwand verbunden ist, fürwelchen sowohl

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entsprechende Gelder als auch geeignete Arbeitskräftefürdie Übersetzung zur Verfügung stehen müssen (Berezkina 2018). Letztendlich können auch übersetzungs- oder gestaltungstechnische Schwierigkeiten den zweisprachi- gen Markenauftritt behindern, z.B. wenn aufdem Promotionsmaterial ein- fach nichtgenügend Platz füreine zweisprachige Version zur Verfügung steht (Artetxe und Umaran 2013;Orman 2008).

Wieanhand der Analyse der Entwicklung der Destinationsmarken, des Um- gangs mit zweisprachigen Ortsnamen und der Debatten dazu deutlich wur- de, sind die Ergebnisse der Aushandlung dieser Spannungenvon materieller Tragweite. Denn Marken-, Institutions-und Ortsnamen als auch Logos stellen einen wichtigen Schriftanteil aufder Beschilderung im öffentlichen bzw.tou- ristischen Raum dar und prägen somit massgeblich die dortige Sprachland- schaft. Seit einigen Jahren interessiertsich die Soziolinguistik besonders für diese sprachlichen Aspekte der Landschaftbzw.der Alltagsumgebung und die Methode der Linguistic Landscape Studies entwickelte sich zu einem richtigen Trend. Viele Linguistic Landscape-Studien beschränken sich jedoch aufrein quantitativeUntersuchungen, welche anhand der Bestandsaufnahme der Spra- chenverteilung in der sprachlichen Ausgestaltung voneingegrenzten Räumen eine Aussage überden Status der jeweiligen Sprachen in diesen Räumen machen wollen. Diese Herangehensweise wurde vielfach kritisiert(Malinowski 2009), da sie nureinen Teil des Puzzlesliefernkann, nämlich das Endprodukt der Sprachlandschaft. Blickt man hinter die Kulissen und analysiertdie Entste- hungs- und Entscheidungsprozesse, welche die Ausgestaltung der sprachlichen Landschaftbeeinflussen, wird deutlich, dass verschiedene politische, wirt- schaftliche und kulturelle Interessen der Identitätspolitik der lokalen Bevölke- rung,aberauch eine gewisse Marktlogik und Informationspolitik fürein be- stimmtesZielpublikum wiez.B.TouristInnen dahinter steht. Die Beschriftungen und Beschilderungen eines Ortes sind fürbestimmte AdressatInnen bestimmt und darum interaktiverNatur.Gerade was die Entwicklung von Brands anbe- langt, konnten wirfeststellen, dass dieser zunächst häufig TopDown-orientierte Prozess der Gestaltung eines Logos durch eine Institution schnell einen Bottom Up-Charakter annehmenkann(Ben-Rafael u.a. 2006;Blommaertund Maly 2014), insbesondere dann, wenn die Bevölkerung sich nichtmit der Logo- Ausgestaltung einverstanden zeigtund die Proteste die Institution schliesslich dazu veranlassen, einen Logoentwurfzuverwerfen bzw.zuändern. Um die lokale Politökonomie vonSprachen im Zuge der Untersuchung einer Sprach- landschaftzuerfassen, ist also ein ethnographischer,historisch situierter und kontextualisierter Ansatz unerlässlich (Leeman und Modan 2009, 2010). Wiedie Analyse der Destinationsmarkenbildung am Beispiel Murtens gezeigthat, eignet sich touristisches Place-Branding besonders dazu, Prozesse zu untersuchen, die

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 140 Branding –Fabrikation von Urlaubs(t)räumen die Sprachlandschaftbedingen, formen und verändern, und aufzuzeigen, wie identitätspolitische Ansprüche mit wirtschaftlichen Fragestellungen einherge- hen und spannungsgeladen miteinanderverknüpftsind (DuchÞne und Heller 2012a;Pietikäinen und Kelly-Holmes 2011b).

3. Marketing:Zweisprachigkeit adressatengerecht formulieren

In einem Artikelder Handelszeitung vom 21. Mai 2014 mit dem Titel »Schweizer Reisende bleiben am ›Röstigraben‹ hängen« wird übereine Studie der Uni- versitätSt. Gallen berichtet, deren Umfrageergebnis aufzeigt, dass sowohl Deutsch- als auch WestschweizerInnen ihreFerien nurungernimjeweils an- deren Sprachgebiet verbringen (Laesser,Beritelli und Heer 2014).Potentielle Sprachbarrieren können also in dem Masse abschreckend sein, dass sie die Wahl der Destination beeinflussen können (Cohen und Cooper 1986). Die Destination Murten, deren BesucherInnen vorwiegend ausder Schweiz und den Nachbar- ländernDeutschland und Frankreich stammen, siehtsichbei der Wahl der Darstellung der eigenen sprachlichen Situation mit diesem Risikokonfrontiert, die lokale Mehrsprachigkeit als Kommunikationsbarriereerscheinen zu lassen. Im vorliegenden Kapitel soll anhand vonBeispielen ausunterschiedlichen Promotionsmaterialien untersuchtwerden, wiedie lokale sprachlicheDiversität im Marketingdiskurs reguliertund kontrolliertwird, um die lokalen Sprachen attraktiv zu präsentieren, sie so fürMarketingzweckenutzbar zu machen und um dem Eindruck einer Sprachbarriere vorzubeugen. Um zu veranschaulichen, wiedie TourismusindustrieimKanton Freiburg und insbesondereinMurten die lokale sprachliche Vielfalt im Marketingdiskurs formuliertund aneignet, analysierte ich insgesamt rund 300 Promotionstexte einerseitsaus Broschüren, Prospekten, Flyern und Reiseliteratur übereinen Zeitraum von1942–2016 sowie ausOnlinepromotionsmaterialien der Jahre2013–2016. Um die Analyse des unterschiedlichen Promotionsmaterialszusystematisieren, folgte ich dem von Cohen (1993:39) vorgeschlagenen multiperspektivischen Modell (multifaceted model), laut dem beider Analyse touristischer Imagekonstruktionen immer danach gefragtwerden muss, werwen, fürwen, wie, in welchem Medium, unter welchen soziohistorischen Umständen der Lokalbevölkerung und unter welchen vorherrschenden soziopolitischen Beziehungen repräsentiert. Anhand von verschiedenen Textbeispielen wird in den folgenden Unterkapiteln zunächst aufgezeigt, dass es manchmal je nach Markt vonVorteil zu sein scheint, die sprachliche Situation der Destination als rein oder mehrheitlich (schwei- zer)deutschsprachig,als rein französischsprachig,oder aber als zweisprachig und/oder an der Sprachgrenze gelegen zu beschreiben (Kapitel IV.3.1). Weitere Beispiele sollen verdeutlichen,wie die unterschiedlichen lokalen Sprachen

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Marketing:Zweisprachigkeit adressatengerecht formulieren 141 symbolischfürdie Vermittlung vonAssoziationen mit einem bestimmten Le- bensstil bzw.-gefühl eingesetzt werden (Kapitel IV.3.2). Zuletzt soll anhand der vorangehenden Analyseergebnisse diskutiertwerden, welche Arten der Regu- lierung die (sprachliche) Vielfalt im Marketingdiskurs erfährt, um als attrakti- ves Verkaufsargumentzufungieren (Kapitel IV.3.3). Der Fokus liegtdabei auf den beobachtbaren Spannungen, die aufden verschiedenen, teilweise wider- sprüchlichen Funktionen beruhen, die Sprache dabei im Marketingmaterial jeweils einnimmt.

3.1 (K)ein Unterschied?!? Fliessende (Sprach-)Grenzen

Abb. 19:Orte, die mit der Lage an der Sprachgrenze und/oder ihrer Zweisprachigkeit werben76 Murten ist nichtdie einzige Destination in der Schweiz, die versuchtmit der lokalen Zwei-/Mehrsprachigkeit bzw.der Lage an der Sprachgrenze zu wer- ben. Eine Schlagwortsuche77,die im Frühjahr 2013 vonmeiner Kollegin Liliane Meyer Pitton und mir mit damaligen Promotionstexten aufden Internetporta-

76 Eigenhändig erstellte Karte. 77 Die Suche war auffolgende Schlagwörter in den Landessprachen Deutsch, Französisch, Italienisch und zusätzlich Englischbeschränkt:Murten, Zweisprachigkeit, Mehrspra- chig(keit), Sprachgrenze, Röstigraben;Der Webauftritt des nationalen Tourismusverbandes ist in erheblich mehr Sprachen abrufbar.UnsereSprachwahl ist einmal durch unsereeigenen Sprachkompetenzen zu erklären, andererseits handelt es sich bei den betreffenden Sprachen auch um die der Hauptkundensegmente der Region Murten.

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 142 Branding –Fabrikation von Urlaubs(t)räumen len der Tourismusverbände durchgeführtwurde, die Murten auflokaler (TIB), polregionaler (RMV), regionaler (FTV)und (inter)nationaler Ebene (TMS) bewarben, ergab zahlreiche Ergebnisse an Promotionstexten, in denen die Sprachgrenze oder die lokale Zweisprachigkeit erwähntwurden, sowiedas nachfolgende Bild des Verlaufs der deutsch-französischen Sprachgrenze im touristischen Promotionsdiskurs (Abb.19). Demnachwarben zumgegebenen Zeitpunkt14Städtebzw.Dörfersowie wei- tere touristische Destinationen, wiezum Beispielein Naturpark, mitder deutsch- französischen Zweisprachigkeit und/oderder Lageander intranationalen deutsch-französischenSprachgrenze. Bei diversen Wanderwegenwurde zudem angegeben,dassauf ihnendie Sprachgrenze überquertwerden würde. Allein im offiziellzweisprachigen Kanton Freiburg warbenfünf Ortschaftenmit dem Zweisprachigkeitsfaktor oderder Lageander Sprachgrenze,imWallisfindetsich ebenfallseinehoheKonzentrationanGemeinden,touristischen Institutionen und Landschaftsstrichen, diesichentwedermit derZweisprachigkeitund/odermit der Lageander Sprachgrenze identifizieren. Diesprachliche Situationder einzelnen Destinationenwirdjedoch nichtimmer in jedem Text,injeder Sprache, von jeder touristischenInstitutionbzw.jeder/mAutorIn und fürjeden Marktgleichfor- muliert.78 Auch kann derHinweis aufdie lokale Zwei-/Mehrsprachigkeit oderdie Sprachgrenzegrundlegend unterschiedliche Funktionen einnehmen. Dies soll im FolgendenamBeispielder Vermarktungder DestinationMurtenanhandver- schiedener Werbetextevon verschiedenenAutorInnenbzw.Tourismusinstitu- tionen79 aufgezeigt werden.Eshandeltsichdabei um Texteaus Broschüren, von Webseitenund einem Reisemagazin, in denen die Sprachgrenze je nach Bedarf, Zielpublikum, gemeinsamenWerbepartnerInnen undFokus des Promotions- materials hin- undhergeschobenwirdund dieAngaben zurSprache derMurtner Bevölkerungvariabel ausfallen. MitsoziolinguistischenErklärungsansätzen und aufder Basisder Interviewaussagenvon Marketingspezialisten soll aufgezeigt

78 So wird die Lage an der Sprachgrenze in Broschüren überMurten, die vonTIB herausge- geben wurden, eher selten betont, während die Onlinetexte vonTMS die Sprachgrenze häufig als Aufhänger und Distinktionsmerkmal verwenden, um Murten vonanderen Schweizer Destinationenabzugrenzen. 79 Da Murten durch die vernetzte Tourismusindustrie nichtnur vonTIB und/oder RMV ver- marktet wird, sondernals Teil der Region Fribourgeinzeln oder zusammen mit anderen Destinationen auch vonFTV oder TMS aufunterschiedlichsprachigen (inter)nationalen Märkten beworben wird, müssen füreine tiefergehendeAnalyse der sprachlichen Image- konstruktion der Stadtbzw.der Region Murten unterschiedliche Promotionsmaterialien von verschiedenentouristischen Institutionen herangezogenwerden. So kanneszum Beispiel sein, dass TIB die Stadt am See mal alleine bewirbt und versuchtsich im Wettbewerb mit den umliegenden Destinationen vondiesen abzuheben, während die Destination Murten dann wiederum gemeinsam mit umliegenden Destinationenbeworben werden kann, wenn sich TIB beispielsweise füreinen Messeauftrittineinem bestimmten Sprachgebiet mit diversen Werbepartnernzusammenschliesst.

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Marketing:Zweisprachigkeit adressatengerecht formulieren 143 werden,inwiefern sich diesprachlichen Raum-und Grenz(de)konstruktionen sowiedas Management dersprachlichenVielfaltimMarketingdiskurs profitori- entiertenMarktlogikenund demPrinzipder »sprachlichenAnpassung an den Kunden«(Akkommodationsideologie)verschreiben.

3.1.1 Murten als schweizerdeutschsprachig Das erste Beispiel stammt auseiner Broschüre ausdem Jahr 1947, die die Stadt Murten aufDeutsch und Französisch bewirbt und zudem aufeiner Seite fürbritische und/oder internationale Gäste aufEnglisch zusammenfasst, was das Städtchen am See zu bieten hat.80 Mit dem Tourismusbetrieb und der tou- ristischen Bewerbungwar in den 1940er Jahren der Verkehrsverein betraut. In der Vereinschronik ist nachzulesen,dass damals schon fleissig Ansichtskarten, Plakate und Informationsbroschüren überdie Sehenswürdigkeiten Murtens und überdie Begebenheiten der Murtenschlachtveröffentlichtwurden (Lehmann 1995). Dies geschah aber weit weniger professionell organisiertals heute und wurde vielmehr vonengagierten Vereinsmitgliedernohne jegliche touristische Ausbildung durchgeführt. Unser Analysefokus richtet sich nunauf die erste Passage der englischsprachigen Seite, welche mit dem deutschen und dem französischen Ortsnamen betitelt ist und anschliessend die sprachliche Situa- tion Murtens erläutert.

»MURTEN –MORAT CantonofFribourg, About 2800 inhabitants, of whom approximately 360 speak French

Murten is the German and Morat the French nameofour little town,which is situated on the border of the two languages. Only half amile away to the West lies ,the first French speaking village. –Murten is mainly Protestant, but has aRoman- outside the citywall and two Protestantchurches in the town.Our language is the Swiss German, adialectwhich is quitedifferentfrom the German spoken in Ger- manyand cannot be understood there. We cherish it, just as we preserve our manners and old customs. There is never anyquarrelling about languages in our countryaround the lovely lakeofMurten. Germanand French speaking people have been living here in good neighbourhoodfor manycenturies.« (Broschüre »Murten-Morat«, hrsg.vom VerkehrsvereinMurten und Umgebung1947:20, Kursivschreibung i.O.) Unterhalb des Titels folgtineinem kurzen Absatz die Verortung der Stadt in den Kanton Freiburg sowieeine Angabezur Bevölkerungszahl (damals 2800

80 Eine frühere Versionder Broschüre liegtmir ausdem Jahr 1942 vor.Der deutsche und französische Text gleichensich, allerdings enthält diese frühereVersionanstelle der engli- schen Zusammenfassung weitereInformationen über das historische Museum in Bern auf Deutsch und Französisch.

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 144 Branding –Fabrikation von Urlaubs(t)räumen

EinwohnerInnen), vondenen rund 360 Französisch sprechen. Die Angabeder Sprecherzahlen des Französischen präsentiertdiese nichtnur als Minderheit, sondern auch als Besonderheit und positioniertMurten als deutschsprachige Stadt, obwohl die Benennung der neben dem Französischen vor Ortpräsenten Sprache erst im darauffolgendenAbschnittdurch die Aufschlüsselung und Er- klärung der zweisprachigen Ortsnamen erfolgt. Im Text wird Murten trotz der Einführung mit den zweisprachigen Ortsnamen im Titel und im Text schliesslich als deutschsprachig dargestellt, und zwar als schweizerdeutschsprachig,wäh- rend der NachbarortMeyriez als französischsprachig präsentiertwird. Die Sprachgrenze wird zwischen Murten und Meyriez gezogen und dientder geo- graphischen Lokalisierung und Verortung des Städtchens. Es treten noch weitere Grenzen zum Vorschein:die konfessionelle Grenze in Bezug aufProtestanten und Katholiken. Aber auch eine andere sprachliche Grenze wird gezogen, indem die lokale Sprache ausdrücklich als Schweizerdeutsch beschrieben wird,welches hier vonder deutschen Varietätabgegrenzt wird, die in Deutschland gesprochen wird,und somit gleichzeitig als eine lokale Besonderheit hervorgehobenwird, die die Identitätder Stadt prägt.Inder Nachkriegszeit waren in der Schweiz ein gewisses Aufleben und die Betonung des Schweizerdeutschen als ein Mittel der Abgrenzung vonDeutschland zu beobachten, dasindieser Zeit aufgrund seiner Rolle in den beiden Weltkriegen keine angesehene Stellung in Europa innehatte. Auffallend ist zudem,dass die Lage an der Sprachgrenze zum einen als Wer- bevorteil in Form einer identitären Besonderheit genutzt, aber auch gleichzeitig als potentiell abschreckender Nachteil aufgefasst wird.Dies führtzuSpannun- gen, die im Text durch die unterschiedliche Formulierung deutlich werden. –Die Sprachgrenze wird einerseits in Form der Präsenz der beiden Sprachen aufengem Raum als etwasBesonderes beschrieben und als potentieller Vorteil genutzt, mit dem man sich vonanderen Destinationen abzuheben versucht. Das Schweizerdeutsche wird dabei speziell als etwas Ursprüngli- ches, Lokales, Authentisches und als Ausdruck der lokalen Tradition darge- stellt. –Die Sprachgrenze bzw.die Präsenz der beiden Sprachen wird jedoch auch gleichzeitig als potentieller Nachteil eingestuft.Interessanterweise besteht nämlich anscheinend auch das Bedürfnis, die angedeutete sprachliche Viel- falt abzumildern, um nichtden Eindruck zu vermitteln,dassdieses Aufein- anderprallen vonSprecherInnen verschiedener Sprachen konfliktgeladen sein könnte oder potentiellen BesucherInnenals eine Sprachbarriere er- scheint. Um diesem abschreckenden Eindruck zuvorzukommen wird die Situation harmonisch als geregeltes, geordnetes und vorallem einträchtiges Nebeneinanderleben der SprecherInnen des Französischen und des Schwei- zerdeutschen beschrieben.

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Interessanterweise finden sich diese präzisen Angaben zur sprachlichen Situa- tion vor Ortnur in der englischen Zusammenfassung,nicht aber in den vor- angehenden Texten aufDeutsch und Französisch. Im deutschen Text wird die Lage an der Sprachgrenze lediglich angedeutet, in dem die Umgebung als welsch und deutsch beschrieben wird,wobei eine feste Anbindung der Sprache an den geographischen Raum vorgegeben wird (Johnstone 2010a):

»Wie einstimMittelalter,sostehtheute noch der ganze Festungswall mit seinen trotzigen Türmen und Mauernund grüsst freundlich hinaus in welsches und deutsches Land.« (Broschüre »Murten-Morat«,hrsg.vom VerkehrsvereinMurten, 1947:2)

Im französischen Text, welchersich am deutschen orientiert, aber keine Wort- für-Wort-Übersetzungdarstellt, wird die Sprachgrenze zwischen den Natio- nalsprachen zwar explizit erwähnt, aber als Grenze bzw.Graben negiertund vielmehrals Kontaktzone formuliert:

»Ainsi, dans les murs de la ville, deux pensØes voisinent, deux gØnies se pØn›trent; l’allemand s’unit au romand ;iln’y eut jamais de fossØàla fronti›re de nos langues nationales.«(Broschüre »Murten-Morat«, hrsg.vom Verkehrsverein Murten, 1947:3) Übersetzung:»So sind innerhalbder Stadtmauernzwei Gedankenströmungenbe- heimatet, zwei Geister vermischen sich;das Deutsche vereinigtsich mit dem Welschen; es hatnie einen Graben an der Grenze zwischen unseren Nationalsprachen gegeben.«

Dabei werden den SprecherInnender beiden Sprachen jedoch unterschiedliche Weltsichten (pensØe, gØnies)nachgesagt. Diese Darstellung verknüpftnun wie- derum Sprache mit Kultur. Innerhalb der einzelnendeutschen, französischen und englischen Versionen der Broschürentexte finden sich alsobereits drei unterschiedliche Darstel- lungsweisen der lokalen sprachlichen Situation, welche jedoch alle durch mo- derne Sprachideologien geprägt sind:zum einen wird voneiner deckungsglei- chen Verbindungzwischen Sprache, Raum und Kultur ausgegangen, zum an- deren wird angenommen, dass Sprache, Kultur und Sprachgemeinschaften homogene Entitäten sind und durch stabile (räumliche) Grenzen voneinander getrenntwerden (Auer 2004). Da beider hier analysierten Broschüre jedoch der historische Zeitfaktor für die Artder Formulierung der sprachlichen Situation ausschlaggebend ist, mit der man sich damals in der Nachkriegszeit (sprachlich) vom ehemaligen Nazi- Deutschland abgrenzen wollte, um fürbritische und internationale Gäste at- traktiv zu sein, werde ich nunein weiteres,jedoch aktuellesPromotionsbeispiel anführen, beidem diese historische Komponente nichtins Gewichtfällt:und zwar den Onlineauftritt der Gemeinde Murten. Mit dieser Webseite richtet sich die Stadt zwar in erster Linie an ihre BewohnerInnen, vermittelt jedoch auch Informationen an interessierte Gäste. Fürtouristische Informationen leitet die

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Seite übereine Verlinkungweiter zur Webseite des lokalen Tourismusinfor- mationsbüros (TIB) und fürwirtschaftliche Informationen aufdie Webseite des Tourismusverbandsder Polregion Murtensee Region (RMV). Potentielle Gäste finden aber auch aufder Homepage der Gemeinde ein paar (touristische) In- formationen überdie Stadt. Die Webseite ist grundsätzlichnur aufDeutsch gestaltet. In einer Unterrubrik findet sich aber ein »RØsumØ en franÅais«. Diese französischeZusammenfassung beginntmit folgender Einleitung:

»La commune de Morat est une commune parlant en majoritØ l’allemand dans le cantondeFribourgqui luiest dans sa majoritØ de langue franÅaise. C’est pourquoi le prØsent site paraitpour l’instantsurtoutenlangue allemande et les documents officiels sontrØdigØsenallemand. Nous dØsirons cependantprofiter de l’occasionpoursaluer tr›s cordialementtousnos hôtesdelanguefranÅaise. Unecourte prØsentation et quelques informations sur MoratvoussontproposØs(sic !) ci-apr›s.«81 Übersetzung:»Murten ist eine mehrheitlich deutschsprachige Gemeinde im Kanton Freiburg, welcher selbst mehrheitlichfranzösischsprachig ist. Ausdiesem Grund er- scheintdie vorliegende Webseite momentan grösstenteils aufDeutsch und offizielle Dokumente sind aufDeutsch verfasst. Wirmöchten dennochdie Gelegenheit ergreifen, um all unsere französischsprachigen Gäste sehr herzlich zu begrüssen. Hier finden Sie eine kurzePräsentationund weitere Informationen überMurten.«

Die Bevölkerung Murtens wird hier als mehrheitlich deutschsprachig darge- stellt, was gleichzeitig auch als Legitimation dafürangeführtwird, dass die Webseite (momentan!) nur aufDeutsch gestaltet ist. Mit dem Hinweis »pour l’instant«wird jedoch angedeutet, dass es sichhierbei nur um eine vorüberge- hende Lösung handelt und der Stadt eigentlich daran gelegen ist, die Webseite noch vollständig zu übersetzen.82 Die Gemeinde zeigtsich zudem bemüht,den frankophonen Gästen mit ein paar Informationen aufFranzösisch entgegen- zukommen und heisst sie darüberhinaus »sehr herzlich« willkommen. Im deutschen Teil der Webseite hingegen findet sich (bis aufeine Statistik mit Angaben zur Einwohnerzahl, zum Ausländeranteil, zur Gender-, Konfessionen- und auch zur Sprachenverteilung) in den eigentlichen, die Stadt beschreibenden oder bewerbenden Texten kein spezifischer Hinweis aufdie sprachliche Situa- tion in Murten. Einzig und allein die lokalen Schulen werden einmalals »deutsch und französisch« und einmal (fälschlicherweise) als »zweisprachig« beschrie- ben. Die Darstellung der sprachlichen Situation Murtens als deutschsprachig im französischen Text richtet sich zum einen an die französischsprachige Lo- kalbevölkerung zum anderen auch an französischsprachige Gäste, die man

81 Quelle:StadtverwaltungMurten http://www.murten-morat.ch/de/portrait/resume/bienve nue/ (Abrufdatum 09.02.2017). 82 Wasjedochwährend der Zeit meiner Feldforschung und auch bis heute (2013–2018) nie umgesetzt wurde.

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Marketing:Zweisprachigkeit adressatengerecht formulieren 147 gleichsam beschwichtigen möchte, indem man sprachlich mit der französischen Rubrik zumindest teilweiseauf sie eingeht. Gleichzeitig dientder Hinweis aufdie lokale MehrheitsspracheDeutsch aber auch dazu, sich dahingehendzulegiti- mieren, dass sowohl der Internetauftritt als auch offizielleDokumente nichtauf Französisch geliefertwerden müssen. Eine Unterscheidung in Deutsch und Schweizerdeutsch, wiedies im vorherigenBeispiel der Fall war,ist hier nicht mehr notwendig,davorausgesetzt wird, dass 1) das Wissen überdie Diglos- siesituation vor Ortbekanntist und 2) die frankophonen AdressatInnen auf- grund der Tatsache, dass sie sich aufder französischen Internetseite befinden, Deutsch entweder gar nichtoder nurwenig beherrschen und sie somit die Unterscheidung in Deutsch und Schweizerdeutsch nurwenig interessieren dürfte. Auch würdedie Darstellung Murtens als schweizerdeutschsprachig im deutschen Text keinen Sinn machen, da Murten einen wichtigen Anteil an Be- sucherInnen ausDeutschland aufweist und eine Abgrenzung nureine unnötige Sprachbarriere ziehen würde.

3.1.2 Zweisprachigkeit als lokale Besonderheit Das folgende Beispiel stammt auseiner zwölf Seiten starkenBroschüre von TIB ausdem Jahr 2013, die aufDeutsch, Französisch,Englisch, Italienisch und Spanisch erhältlich ist und (in der deutschen Version) den Titel »Murten erle- ben« trägt.Eshandelt sich um einen Ausschnitt der ersten Seite der Broschüre, aufder die Charakteristika der Stadt Murten und ihres Umlands beschrieben werden.

»Murten aufDeutsch oder Moratauf Französisch Eine Besonderheit vonMurten ist die Zweisprachigkeit:76%sprechen Deutsch und ca. 13 %Französisch. Die Region war während Jahrhunderten eine Brückezwischen den Sprachen und Kulturen. Im Herzen einerwunderschönen Region Murten ist der Hauptortdes freiburgischen Seebezirks. Die Stadt hat immer eine wichtige Rolle als Handelszentrumund Kulturbrückezwischen den StädtenBern, Freiburg und Neuenburg gespielt. Murten liegtamgleichnamigen See aufeiner Höhe von453 müM. Aufder gegenüberliegenden Seite befindet sich der Mont Vully (Wis- tenlacherberg) mit seinen französischsprachigen Dörfernund den Rebbergen am Südhang.« (Broschüre »Murten erleben«, hrsg.von TIB 2013:1, Hervorhebungen i.O.)

Die Besonderheit Murtens wird hier in Form der Zweisprachigkeit ausgedrückt, welche im Text durch die Nennung der unterschiedlichen Ortsnamen und der prozentualen Angaben der SprecherInnendes Deutschen und des Französischen Gestalt annimmt. Die Sprachgrenze wird im Text nichterwähnt, jedoch impli- zit gezogen, und zwar diesmalquer durch den See. Während Murtens Zwei-

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 148 Branding –Fabrikation von Urlaubs(t)räumen sprachigkeit wieder als zwei getrennte, nebeneinander lebende Sprachgruppen beschrieben wird, wird der französischsprachige Vully sprachlich noch einmal abgegrenzt. Die sprachlicheGrenzziehung wird durch die Sprachwahl beider Verwendung der Ortsnamen unterstützt und deutlich gemacht. Während auf Murtens französischen Name Morat im Titel verwiesen wird,danach im Text aber nurnochder deutsche Name verwendet wird,ist beim Mont Vully genau das Gegenteil festzustellen. So wird der deutsche Name Wistenlacherberg einmal in Klammernangegeben, danach aber im folgenden Text (der hier allerdings nichtmehr weiter aufgeführtwird) nurnochder französische Name verwendet. Durch die Verwendung der unterschiedlichsprachigen Ortsnamen wird Murten als eher deutschsprachig,der Vully als französischsprachig markiertund die lokale Zweisprachigkeit gleichzeitig im Text performt. Anstatt voneiner Grenze zu sprechen,kommt jedoch eine andere Metapher zum Einsatz, nämlich die der Brücke. Dennoch setzt auch diese Metapher voraus, dass es etwas zu überbrü- cken gibt, einen Unterschied, einen Konflikt, einen (Rösti-)Graben. Die Stadt Murten und die Region um den Murtensee werden als Brückezwischen den beiden Sprachen und Kulturen beschrieben und verwandeln sich somit zum Verbindungsglied zwischen Deutschschweiz und Romandie. Die Brückeals Verbindung vonzwei dichotomisch verwendeten Paaren symbolisiertgleich- zeitig auch eine gewisse Diversität. Diese nimmt Gestalt an in der sprachlichen und konfessionellen Vielfalt der Region, die als lokale Besonderheit erwähnt wird und nach dem Motto »Wir bieten nichtnur Deutsch oder nurFranzösisch, sondern gleich beides« als Wettbewerbsvorteil eingesetzt wird.Gleichzeitig scheintaberwiederum der Bedarfzubestehen, diese Vielfalt einzugrenzen und abzumildern, indem man sie positiv mit der Brückenmetapher insrechte Licht rückt und somit vorbeugt, sie als abschreckende, möglicherweise noch Kon- fliktpotenzialbergende Grenze, Graben oder Barriere erscheinen zu lassen. Das Symbol der Brücketauchtjedoch nichtnur im Promotionsdiskurs zu Murten auf. Man begegnet ihr im Promotionsmaterial vonverschiedenen Orten des Kantons, der sich selbst auch häufig als Brückezwischen der Deutsch- und der Westschweiz beschreibt. Ein anderesBeispiel dieser Brückenmetapher findet sich z.B. auch im Werbematerial des Tourismusinformationsbürosder Stadt Freiburg,welches wiederum die Stadt als »Brückenstadt«83 bewirbt. Dieser Titel ist nichtnur aufdie zahlreichen Brücken zurückzuführen, welche den die Stadt und den Kanton durchfliessenden Fluss Saane überqueren, sondernstützt auch das Marketingargument ihrer Brücken- bzw.Vermittlerfunktion zwischen der deutschen und der französischen Sprachgemeinschaft, die beide in der Stadt leben. Werben die beiden Städte Murten und Freiburg jedoch in Broschüren

83 Die Brückezierte zudem während 13 Jahren (bis Oktober 2015) das ehemalige Logo des Tourismusinformationsbürosder Stadt Freiburg (siehe Kapitel IV.2.3).

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»Unterschiedlicher könnten die drei Gesichter vonFRIBOURGREGION nichtsein: Die Voralpen verführen mit herber Natur und lebendigen Traditionen. Die Kulturstadt Fribourg schlägt Brücken– auch überdie Sprachgrenze. Unddas Drei-Seen-Land pflegt Idyllen wieaus dem Bilderbuch.« (Broschüre »Ihr Ferienberater«, hrsg.von FTV, 2012:4, Grossschreibung i.O.) Im Text wird die Region in drei Destinationslandschaften geteilt. Die Stadt Fribourg –hier mit ihrem französischen Namenbenannt– wirbt mit der Sprachgrenze und der Metapherder Brücke, während dasVerkaufsargumentder Region vonMurten die Seenlandschaftist. Später werden im Text die Stadt Murten und ihreSehenswürdigkeiten noch detaillierter präsentiert, jedoch ohne aufdie lokale Zweisprachigkeit oder die Lage an der Sprachgrenze zu verweisen. Auch wird der französische Name der Stadt im deutschen Text mit keinem Wort erwähnt.

3.1.3 Murten im Herzen der französischsprachigenSchweiz Als drittes Beispiel fungiertein Werbeartikelaus einem Reisemagazin, in dem Murten als rein französischsprachig präsentiertwird. Dieser Artikelwurde von FTV in Auftrag gegeben und findet sichsowohl im Easyjet Traveller Reisema- gazin aufEnglisch als auch im schweizerisch-französischen TGV-Reisemagazin ByLyria aufFranzösisch. Ersteres liegtinEasyjet-Flugzeugen aus, letzteres in der ersten Klasse des TGVs, der zwischen der Schweiz und Frankreich, genauer gesagtauf der Streckezwischen Lausanne und Parisverkehrt. Als Zielpubli- kum sind somit hauptsächlich internationale englisch- und französischspra- chige Gäste anvisiert.

»Nestledinthe heartofFrench-speaking Switzerland,the medieval cities in FRIBOURG REGION have kept their exquisite charmand authenticityoverthe centuries. Fri- bourg, situated along the winding Sarine River,has safeguarded this exceptional me- dieval setting in Europe. The hilltop town of Romont is gloriouslycrowned by its castle, towers and walls. Murten’s citygates open onto picturesque lanesand an impressive panoramic wall walk. Gruy›res’ breath-takingfortified cityand castle await your worthwile visit, too! FRIBOURGREGION –discover it and liveitpassionately« (Reisemagazine Easyjet Traveller und ByLyria 2014, Grossschreibungi.O.)

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In dem kurzen Textabschnitt, in dem die Region beschrieben wird,tauchtdie Sprachgrenze nichtauf. Vonder Zweisprachigkeit findet sichebenfalls keine Spur mehr.Eine Auswahl vonmittelalterlichen Städten wird als im Herzen der französischsprachigen Schweiz gelegen, in der französischen Ausgabeals »au coeur de la Suisse Romande«, beschrieben. Beidem vorliegenden Beispiel han- delt es sich beiden Städten um Fribourg,Murten84,Romontund Gruy›re, welche mit dem gemeinsamenMotiv der geschichtsträchtigen, mittelalterlichen Städte beworben werden. Eine weitere Version der Anzeige bewirbt gemeinsam die Städte Fribourg, Broc und Estavayer-le-Lac aufdie gleiche Weise,zumindest in Bezug aufdie Darstellung der sprachlichen Situation, allerdings mit anderen Leitmotiven. Als ich (Interviewerin IV)ineinem Interview (vom 28.05. 2014) den ver- antwortlichen Marketingspezialisten (MS) darauf ansprach, erläuterte er mir die dieser Artder Darstellung der sprachlichen Situation Murtens zugrunde liegende Idee und erklärte, warum es durchaus Sinn macht, die lokale sprach- liche Situation Murtens fürein spezielles Publikum als rein französischsprachig zu formulieren. In dem Interview erklärteder Marketingspezialist, dass in der Schweiz,was den Geschäftstourismus anbelangt, stark aufdie Zweisprachigkeit gesetzt würde. Wenn zum Beispiel die VertreterInnen eines Unternehmensmit Sitzen in Zürich und Genf zusammenarbeiten müssen, biete sich die Region als zweisprachiges und in dem Sinne neutrales Terrain hervorragend als Ver- anstaltungsortfürein Geschäftstreffen an. Wasjedoch den Freizeittourismus anbelangt, so präzisierte er,dass im Kanton Freiburg aufgrund der Zweispra- chigkeit vor allem das Verkaufsargumentder Multikulturalitätfunktioniere, allerdings mit gewissen Einschränkungen:Lautdem Marketingspezialisten könne es nämlich vorkommen, dass es den Deutschsprachigenein wenig mul- mig werden könne, wennsie ins französischsprachige Gebiet fahren sollten, und andersherum auch die Frankophonen sich nichtwohl fühlten,wenn in Aussicht stehe, dass sie aufDeutsch kommunizieren müssten. Schliesslichkam er aufdie Sprachbedürfnisse des englischsprachigen Markts zu sprechen, welcher mit dem Easyjet Traveller-Reisemagazin vorallem in Form vonGästen ausGross- britannien anvisiertworden war:

84 Obwohl Murten hier als französischsprachig beworben wird,wirdder deutschsprachige Name der Stadt verwendet, da dies in englischsprachigenTexten üblicherweise so gemacht wird.Insofernstellt dies kein Widerspruch zur Präsentation Murtens als französischspra- chig dar,daMurten–falls es aufdem britischen Markt bekanntist –ausschliesslich als Murten beworben wird.

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1 MS :apr›ssur le +youkay((u.k.)) ((anglais))+ on aremarquØ qu’il yapeu 2 de sensibilitØ soit qu’on joue francophone ou germanophone ou 3 bilingue. 4IV: peu importe [c’est l’anglais pour eux 5 MS :[peu importe, eux c’est l’expØrience, la tradition, euh et 6 puis le côtØ suisse romande ils aimentassez, parce qu’ils en 7 connaissentdØjàbeaucoup la +lakegeneva region ((anglais))+ 8IV: mhm 9 MS :onafait deux trois actions au +youkay((u.k.)) ((anglais))+ avec eux, 10 donc on joue un peu sur le côtØ euh +french partofswitzerland 11 ((anglais))+.c’est un peu Åa.

Übersetzung

1 MS:dann, was den markt ausdem + youkay ((u.k.)) ((englisch))+ betrifft 2 haben wirfestgestellt dass es ziemlichegal ist ob wirdie frankophone 3 oder die deutschsprachige oder die bilinguale karte ausspielen. 4IV: egal [fürsie zählt das englische 5 MS:[egal, fürsie zähltdas erlebnis, die tradition, ähund dann mögen 6 sie halt die westschweiz sehr gerne, sie kennen bereits die +lake 7 geneva region ((Englisch))+ rechtgut 8IV: mhm 9 MS:wir habengemeinsam mit ihnen zwei drei werbeaktionen im 10 +youkay ((u.k.)) ((englisch))+ gemacht, deshalb setzen wirdaein 11 wenig auf +french partofswitzerland ((englisch))+.das lässt sich 12 also dadurch erklären.

WasenglischsprachigeTouristInnen ausdem Vereinten Königreich anbelangt, so sei diesen die sprachliche Situation vorOrt wohl relativ egal (Zeilen 2–3 und 5)85.Meine erste Reaktion aufdiese Aussage im Interview war,diesen Eindruck darauf zurückzuführen, dass heutzutage vielerorts, zumindest aber in der Tourismusbranche, viele Leute aufEnglisch kommunizieren können und somit gar kein spezielles Sprachbedürfnis fürdiesen Markt bestehe. Aufdiese erste Vermutunghin entgegnet der Marketingspezialist jedoch, dass dieser spezifi- sche Markt aufder Suche nach Authentizitätsei. Zudem sei es so,dass die Region um den Genfer See vonbritischen Gästen sehr geschätzt werde. Die Region Fribourg könne man da einfach als Verlängerung dieser französischsprachigen Region verkaufen, aber mit attraktiveren Preisen. Ausdiesem Grund erschien

85 Zeilenangaben beziehen sich immer aufdie deutscheVersion(Übersetzung).

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 152 Branding –Fabrikation von Urlaubs(t)räumen es sinnvoll, die Region Fribourg mitsamt den zweisprachigen Gebieten, wiez.B. Murten, ungeachtet dieser Zweisprachigkeit, in den Reisejournalen sowohl der Fluglinie als auch des TGVs zwischen Lausanne und Parisals französischspra- chig zu bewerben. Ziel der Kampagne war es also,von der Bekanntheit der Region um den Genfer See herum zu profitieren und sich als günstigeren Teil davonzupräsentieren (Nakassis 2012). Entscheidend ist hier die Werbepart- nerschaftmit der französischsprachigentouristischen Nachbarregion, wobei ein möglichst einheitliches Auftreten angestrebt wird,welches auch die Sprache umfasst (Zeilen 9–12).86 Dem englischsprachigen Gast,der sich im Urlaub an- scheinend danach sehnt, Traditionen zu erleben, wird die französische Spra- che –trotz der angeblichen Insensibilitätfürdie lokale sprachliche Situation– jedoch als Ausdruck vonTradition gleich als erfahrbares touristisches Erlebnis mitverkauft.Gleichzeitig richtet sich die französische Version des Textes im TGV-Reisejournal an den französischsprachigen Markt Frankreichs, fürden es wiederum auch sinnvoll erscheint, Murten als französischsprachig zu präsen- tieren, um nichtden Eindruck möglicher Kommunikationsschwierigkeiten zu erwecken. Dieses Interview zeigtzum einen, dass die Artder Darstellung der sprachli- chen Situationbestimmten Marktlogikenfolgt. Je nachdem wieder Markt87 und seine Bedürfnisse konstruiertwerden, wird auch die Darstellung der sprachlichenCharakteristika der Destination angepasst, verändertund regu- liert. Während die Präsenz einer bestimmten Sprache füreinen Markt Xein positives Verkaufsargumentdarstellen kann, z.B. als Zeichen vonExotismus oder Ausdruck lokaler,authentischer Traditionen, kann es füreinen Markt Y etwas Negatives bedeuten, z.B. im Sinne einer Sprachbarriere. Dies führtu.a.zu

86 Während beiKampagnen ganz gezieltbestimmteMärkte angesprochen werden, sind die üblichen Broschüren vonTIB, RMV und FTV meist mehrsprachig (entweder in Form einer mehrsprachig gestalteten Broschüre oder aberinForm einer Broschüre, die in mehreren Sprachen erhältlich ist) aufverschiedene Märkte gleichzeitigausgerichtet, d.h. im Text kann nichtsoindividuell aufeinen bestimmten Markt eingegangen werden, wiedies bei der oben beschriebenen Kampagne der Fall war. 87 Auffallend beider hier beschriebenen Kampagneist die starkeAusrichtung an nationale Märkte. Eine etwas andereEinteilung in Marktsegmente nach Alter konnte ich im Gespräch mit einer TMS-Mitarbeiterin während eines Auftritts aufeiner Urlaubsmesse in Deutschland erfahren. Ihrer Aussage nach, fürchteten ältere Gäste viel mehr aufeine Sprachbarriere zu treffen,während jüngereGäste eher bereit fürein Sprachbad seien. So käme es beiMesse- auftritten auch nichtgerade selten vor,dass sich die BesucherInnen nach der vor Ortge- sprochenen Sprache(n) erkundigten (Gesprächsnotizen vom 11.01.2014). Eine Tatsache, die ich während der Feldforschungauf verschiedenentouristischen Messen in Deutschland und Frankreich mit einem eher älteren Publikum (50+)auch durchaus beobachten konnte. Dies lässt darauf schliessen, dass die Marktkonstruktion und demnach auch die Formulierungen der lokalen sprachlichen Situation je nach Marketingaktivitätund Kanal unterschiedlich ausfallenkönnen. Die Ausrichtung Schweizer Tourismuskampagnen aufandereMarktseg- mente, z.B. im Hinblick aufGender,wird vonPiller (2010) beschrieben.

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Marketing:Zweisprachigkeit adressatengerecht formulieren 153 der zumindestteilweise bewusst gewählten Variabilitätder Verwendung und Darstellung der lokalen sprachlichen Situation im Marketingdiskurs. Die vor- sichtige Formulierung »teilweise bewusst« wähle ich deshalb,dadie AutorInnen der im Rahmen des Kapitels präsentierten Textausschnittemir nichtimmer bekanntsind und ich dies deshalb nichtverallgemeinernkann. WasimFalle des Textes fürdas Easyjet- bzw. ByLyria-Travellerheft bewusst als Marketingstrate- gieangewendet wurde, kann in manchen anderen Fällen durch dassimple Übernehmen bereits existierender Textbausteine ausfrüheren Broschürenoder durch Korrekturen Dritter auch unbewusst gemachtworden sein und muss aus diesem Grundnichtimmer Teil einer spezifischen Marktlogik oder institutio- nellen Politik sein (DuchÞne und Del Percio 2013;Hellerund Pujolar 2010). Die Marktanpassung,welche beisolchen aufein bestimmtesZielpublikum ausgerichteten, massgeschneiderten Anzeigen möglich ist, ist dagegen beian- deren Arten vonPromotionsmaterial beispielsweiseaufgrund knapper Res- sourcen (Übersetzungskräfte-, Zeit-, Budgetmangel usw.) oder da eine Über- setzung keinen Sinn machen würde, nichtimmer möglich. Andererseits zeigt das Interview aber auch, dass die Formulierung der lokalen sprachlichen Si- tuation auch in Abhängigkeit davonvariieren kann, mit welchen PartnerInnen man gemeinsam wirbt bzw.welche(s) Produkt/Destination man gemeinsam bewirbt. Dies erfordertmeist einen gemeinsamen Slogan bzw.einen einheitli- chen Werbeauftritt. Sind diese sich überschneidenden Charakteristika nur teilweise gegeben (z.B. die französischeSprache der Lokalbevölkerung), wird eben das hervorgehoben, was übereinstimmt, und die Elemente, die sich zu sehr unterscheiden, einfach verschwiegen.

3.1.4 Zwischenfazit:Balanceakt –Mehrsprachigkeit zelebrieren oder sprachliche Einheit vorgeben In den vorangehenden drei Beispielen wurde Murten einmalals schweizer- deutschsprachig,einmal als französischsprachig und einmal als zweisprachig dargestellt, wobei die Zweisprachigkeit als ein Nebeneinander der deutschen und der französischen Sprache dargestellt und nichtals mehrsprachigeKom- petenz der lokalen Bevölkerung aufgefasst wurde. Die Sprachgrenze wurde je nach Zielpublikum bzw.Marketingstrategie erwähnt, in Form der Zweispra- chigkeit überbrückt oder gar verschoben. Wurde die Sprachgrenze im Promo- tionsdiskurs verwendet, diente sie häufig der geographischen Lokalisierung und Verortung der Destination. Die Nennung der Sprache(n)bzw.der Sprachgren- ze(n) diente dazu, den Destinationsraum zu organisieren und als kartographisch abbildbar in der Landschaftzulokalisieren. Durch die sprachliche Grenzzie- hung wurde der (Destinations-)Raum überhaupt erst diskursiv erschaffen, ter- ritorialisiertund eingegrenzt. In diesem (Destinations-)Raum wurden –jenach

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 154 Branding –Fabrikation von Urlaubs(t)räumen

Marktausrichtung –spezifischeSprachen als touristisch erfahrbar beschrieben. Gleichzeitig wurde die Sprache durch ihreZuschreibung zu einem bestimmten, abgegrenztenRaummaterialisiert, greifbar gemacht, aber auch entpersonifi- ziert, da es jeweils nichtumdie eigentlichen SprecherInnen dieser Sprachen, sondern um die Auf-/Verteilung und die vonden SprecherInnen losgelöste Existenz der Sprachen im Raum ging (Auer 2004;Johnstone2010a). Laginden Texten jedoch der Fokus weniger aufdem Raum und mehr aufden Menschen, also aufden SprecherInnen in Form der Lokalbevölkerung,fiel die Beschreibung der lokalen sprachlichen Situation im Einklang mit den Verschiebungen und (De-)Konstruktionen der Sprachgrenze ebenfalls variabelaus. Dabei schienen die AutorInnen meist bemüht,entweder eine sprachliche Übereinstimmung zwischen der bzw.den Sprache(n) der Lokalbevölkerung mit der der Gäste vorzugeben, sofern diese als rein (schweizer)deutsch- oder rein französisch- sprachig dargestellt wurden, oder aber die lokale Ko-Existenz zweier oder mehrer Sprachen als Vielfalt mit Mehrwertzuzelebrieren. Jedoch wurde das Neben- oder Miteinander der SprecherInnen verschiedener Sprachenaus- nahmslosals konfliktfrei dargestellt. Potentielle sprachliche Unterschiede zwi- schen den Gästen und der Lokalbevölkerung bzw.innerhalb der Lokalbevöl- kerung wurden im Sinne positiver Merkmale und Verkaufsargumente hervor- gehoben oder aber »maskiert«und vertuscht(Da Silva2012;DuchÞne 2012). Die unterschiedlich ausfallenden (De-)Konstruktionen und Verschiebungen der Sprachgrenze lassen uns die Grenze anschaulich als ein diskursives Produkt begreifen (Barth 1969). Nebenden unbeständigen Raumkonstruktionen konnte der Hinweis aufdie Lage der Destination »an« oder »auf« der Sprachgrenze im Promotionsdiskurs auch andereFunktionen einnehmen:Sowurde die Sprachgrenze als Mittel der Abgrenzung vonanderen Destinationen (Allein- stellungsmerkmal) und als Symbol (sprachlicher) Vielfalt und Multikulturalität genutzt. Letzteres Phänomen wird im folgenden Kapitel noch eingehender be- leuchtet.

3.2 Sprachenvielfalt:Authentisch, exotisch und kosmopolitisch

Die Verweise aufeine oder mehrerelokale Sprachen sowieauf die Lage der Destination an oder aufder Sprachgrenze nehmen im Promotionsmaterial be- stimmte rhetorische Funktionen ein. So wird an aktuell kosmopolitisch ange- hauchte und die Zweisprachigkeit bzw.(sprachliche) Vielfalt zelebrierende Diskurse angeknüpft. Gleichzeitig wird der Hinweis aufeine bestimmte Sprache auch zur Bewerbung bestimmter Produkte genutzt oder beides in Verbindung zur Vermittlung stereotyper Assoziationen genutzt. Um sich positiv abzugren-

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Marketing:Zweisprachigkeit adressatengerecht formulieren 155 zen wird zudem die Minderheitenkarte ausgespielt, wiedie nächsten Promoti- onsdiskursbeispiele zeigen werden.

3.2.1 Vielfalt, aber in Grenzen:Begrenzte Sprachgebiete mit mehrsprachiger Bevölkerung Das im Tourismus immerwährende Verkaufsargumentder Vielfalt, das auch in anderen eher einsprachig geprägten Gegenden genutzt wird,umdas vielfältige lokale Angebot zu preisen, findet sich in der Region am Murtensee und generell in der Tourismusregion Fribourg in mehreren Funktionen wieder.Einmal findet sich auch hier der Hinweis aufdie lokale oder regionale Vielfalt im Hinblick auf das Angebot.

»[…] typischeDörfer in einerlieblichenUmgebung, die Sie mit ihrer Vielfalt über- raschen wird […]«(Ausschnitt ausder dreisprachigen (Deutsch, Französischund Englisch) Broschüre »Murtensee Region –Lac de Morat«, hrsg.von RMV,2016:1) »Die zahlreichen Gemeindender Region Freiburg zeichnen sich durch eine unglaub- liche Vielfaltaus –dabei hat jede ihre eigenen Besonderheiten.« (Ausschnitt ausder Broschüre »Fribourg –Regionale Vielfalt«,deutsche Version, hrsg.von FTV und TPF, 2013:2)

Jedoch beziehtsich das Vielfaltsargumentinder Tourismusregion Freiburg explizit auch aufdie aufzufindende sprachliche Vielfalt, welche häufig auch mit kultureller Vielfalt gleichgesetzt wird. So warb die Stadt Freiburg z.B. jahre- lang mit dem Slogan »Vivrez les diffØrences«(aufDeutsch:»Kontraste erleben«) und spielte dabei u.a. auch aufdie sprachliche Vielfalt ihrer Bevölkerung an. Die folgenden drei Textausschnitteaus der Broschüre »Freiburg –KulturBrücken- Stadt«, herausgegeben vonTPF im Jahr 2013 (die französischeVersion trägt den Titel »Fribourg –Vivrezles diffØrences!«), integrieren das Vielfaltsargumentin unterschiedlicherForm.

»Nach Freiburg kommen,umBrücken zu überschreiten –Brücken zwischen zwei Kulturen und Brücken, die die Vergangenheit mit der Zukunftund die Tradition mit der Moderne verbinden. Nach Freiburg kommen, um seineKontraste zu erleben.« (Broschüre »Freiburg –KulturBrückenStadt« 2013:2) »DasPulsieren der Wirtschaft dieserzweisprachigen Stadt am Schnittpunktder Kul- turen der Schweiz und Europas erleben. Die Dynamik ihrer Vertreter spüren,die Freiburg weit überseine Grenzen bekanntmachen.« (ebd.:21) »UniversitätFreiburg:eine der wenigen zweisprachigen Universitäten Europas (Französisch/Deutsch).« (ebd.:21) Auffallend ist, dass die Vielfalt häufig mit Hilfe vonpolarisierenden, dichoto- men Begriffspaaren (Vergangenheit und Zukunft, Traditionund Moderne)

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 156 Branding –Fabrikation von Urlaubs(t)räumen ausgedrückt und somit eigentlich auch gleich wieder eingegrenzt wird, wobei die SprecherInnen des Deutschen und des Französischen ethnisiertund als Re- präsentantInnen vonsprachlichen und kulturellen Gegensätzen präsentiert werden (Busch 2013). Auch die sprachliche Vielfalt wird schnell wieder einge- schränkt, indem sie aufdie beiden Standardvarietäten des Französischen und des Deutschen reduziertund somit entexotisiertwird. Das Erwähnen der Zweisprachigkeit im Zusammenhang mit den Stichworten Wirtschaft, Kultur und Universitätpräsentiertdie beiden Sprachen darüberhinaus als Kultur-und Bildungssprachen. Diese zivilisierte Zweisprachigkeit wird dabeials Besonder- heit und Alleinstellungsmerkmal (USP)der Destination propagiertund als Ausdruck einer europäischen, gar kosmopolitischen Lebensweise markiert. Der deutsch-französische Sprach- und Kulturkontakt wird als etwas Dynamisches, Brodelndes (in der französischen Version der Broschüre als »bouillonnement«), Pulsierendes und dadurch Erlebbaresdargestellt. Der/Die LeserInwird einge- laden, die Kontraste selbst zu erleben, die Brücken zu überschreiten, das Pul- sieren und die Dynamik zu spüren. Die Sprachgrenze, welche hier als »Schnittpunkt der Kulturen« auftaucht, dientder Lokalisierung der Destination, die ins Herzen Europas verortet wird.Auffallend ist hier ein stark pro-euro- päischer Diskurs, welcher die Schweiz als Teil Europaspräsentiert. Dieser ist durch ein hauptsächlich europäisches Zielpublikum zu erklären, gegenüberdem sich ein vonEuropaabgrenzender Diskurs, welcher v. a. in politischen Angele- genheiten durchaus zu finden ist, weniger produktiv erscheint. Die Stadt Frei- burg,welche nichtzuden grossen, bekannten Schweizer Tourismuszentren zählt und deshalb austouristischer Sichteigentlich als Peripherie zu werten ist, rückt somit in der diskursiven Raumkonstruktionins Zentrum Europas. Die Zwei- sprachigkeit, die durchaus auch als Kontaktprodukt und Ausdruck der Grenzen bzw.Ränder (margins)zweier Sprachregionen interpretiertwerden könnte, wird im Marketingdiskurs ganz gegenteilig als Symbol der Mitte fürdie Inszenierung der Destination als pulsierendes, europäisches Zentrumgenutzt (Pietikäinen und Kelly-Holmes 2013). Das sprachliche Vielfaltsargumentkommtauch im Promotionsmaterial zu Murten zum Tragen. So zum Beispiel aufder Webseite vonRMV,woinder Rubrik »Porträt > Geschichte des Bezirks« Textausschnitte ausdem Buch »Der Seebezirk – Le district du Lac«, herausgegeben im Jahr 2000 vom Verband der Gemeinden des Seebezirks, zitiertwerden. In diesen Ausschnitten wird die lo- kale Zweisprachigkeit zunächst historisch verankert, indem verschiedenspra- chige, häufig wechselnde Herrschaftsverhältnisse fürdie regionale Kopräsenz des Französischen und des Deutschen verantwortlich gemachtwerden. Schli- esslich wird das Ergebnis dieser bewegten Geschichte in Form der heutigen vor Ortzufindenden mehrsprachigen und multikulturellen Gesellschaftgeschil- dert:

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Marketing:Zweisprachigkeit adressatengerecht formulieren 157

»Heute darfman füglich behaupten, dass man im Seebezirk nichtohne Grund stolz ist, Bürger eines Kantons mit einem vielfältigen kulturellen Hintergrund zu sein. Der Erfahrungsschatz im Umgang mit der Zweisprachigkeit, gewonnenimRahmen der gemeinen Herrschaft, wurde noch vertieftdurch die Angliederung des Murtenbietsan den Kanton Freiburg und später durch die Schaffungdes Seebezirks, womit sich die Bevölkerung dieses Gebietesnochstärker in die Westschweiz integrierte. Ob dieser letzte territoriale Akt vonder Regierung allein ausverwaltungstechnischen Überle- gungen in die Wege geleitet wurde oder ob die damalige Regierung noch andere Ge- sichtspunkte in ihre Gedankengänge miteinbezog,möge letztlich dahingestellt bleiben. Gewollt oder ungewollt,schuf sich mit dem Seebezirk politisch, konfessionell und kulturell ein einzigartiges Mosaik.Ein Gebilde, das aufeiner Fläche von160 Qua- dratkilometern eine Schweiz im kleinen (sic!)darstellt, so quasi ein Experimentierfeld, in dem die handelnden Personen im engsten Schulterschlussingegenseitiger Toleranz zusammen arbeiten müssen. Es gelang beispielsweise, verwaltungsmässig im Rahmen der bestehendenGesetzgebung ein Oberamt und ein Bezirksgerichtzuschaffen, welche zur Zufriedenheitbeider Sprachgemeinschaften ihre Arbeit ausführen.« (Webseite RMV,eigene Hervorhebungen)

Im Text wird aufdie sprachlich-kulturelle und konfessionelle Vielfalt der loka- len Bevölkerung eingegangen, die sichdann jedoch nurauf zwei homogene Sprachgemeinschaften an deutsch- oder französischsprachigen Personen mit entweder protestantischem oder katholischem Glauben zu beschränken scheint. Sprache und Kultur werden dabei wieder gleichgesetzt. Eine überschaubare Vielfalt also, die sich auch nurauf die autochthonen Standardsprachen bezieht, nichtaberdas mögliche Vorkommen lokaler Varietäten oder gar Migranten- sprachen und andererKonfessionen miteinbezieht. Die Region präsentiertihre Vielfalt als ein Mariage an prestigeträchtigen Einflüssen, aufdie die Bevölkerung »stolz« zu sein scheint. Die Metapher des Mosaiks vermitteltden Eindruck, dass die Vielfalt keine hybride Vielfalt ist, sondernessich um ein geordnetes Ne- beneinander räumlich aufgeteilter und begrenzter Zellen, um sogenannte Sprachinselnhandelt.Gerade auch der Vergleich des Gebietes mit einer Mi- niaturschweiz vermittelt den Eindruck einer territorialen Aufteilung in zwei Entitäten mit stabilen Grenzen, die durch die räumlicheNähe miteinander in Kontakt treten. Die BürgerInnen des Seebezirks werden als ExpertInnen im Umgang mit der Zweisprachigkeit geschildert. Die Schlagworte »Integration in die Westschweiz«, »gegenseitige Toleranz«und »Zufriedenheit beider Sprach- gemeinschaften« vermitteln ein durchwegs harmonisches Bild des gesell- schaftlichen Zusammenlebens dieser Vielfalt. Die Analyse verschiedenster Promotionsmaterialien ergab,dass in den Werbetexten entweder ganz explizitauf die Lage an oder aufder Sprachgrenze bzw.auf die Zweisprachigkeit verwiesen wird, wobei diese als Symbol fürden Kontakt bzw.die Koexistenz verschiedener Sprachen und/oder Kulturen gilt und somit als Marker fürsprachliche und kulturelle Vielfalt eingesetzt wird.Wäh-

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 158 Branding –Fabrikation von Urlaubs(t)räumen rend die geographische Verortung der Destination an oder aufder Sprachgrenze explizit genanntwerden kann, finden sich in den place narratives der Werbe- broschüren oder Literatur zu Murten auch implizite,metaphorische Formulie- rungen der Grenze wieder:

i. »Murten war nach damaligen Begriffen eine grosse und bedeutende Stadt, im Spannungsfeldder internationalen Kraftlinien, Grenzfeste zwischen Savoyen einerseits,Kiburg und später Habsburg anderseits, an der Grenze des deutschen und des französischen Sprachgebietes, im Einflussgebiet zweier Kulturen, immer wieder heftigumkämpft, stehtesheroisch wieein erratischer Block in der ältern Geschichte unseres Landes.« (Blum und Grosjean 1965:10) ii. An der Sprachgrenze:[…] Im Lauf der Zeit ist das Murtengebietdurch seine Lage und Geschichte zum Bindeglied zwischen Bern und Freiburg,jazwischen der deutschen und der französischen Schweiz geworden(Broschüre »ZähringerStädte in Deutschland und der Schweiz«, hrsg.von Panorama Swiss, 2013:14) iii. »Die Region war währendJahrhunderten eine Brückezwischen den Sprachen und Kulturen. Die Stadt hatimmer eine wichtige Rolle als Handelszentrumund Kul- turbrückezwischen den Städten Bern,Freiburg und Neuenburg gespielt.« (Bro- schüre »Murten erleben«, hrsg.von TIB, 2013:1)

In den drei Beispielen wird Murtens Lage an der Sprachgrenze zwar teilweise explizit genannt, die Stadt jedoch auch durch räumlich-materielle Metaphern wie»Spannungsfeld«, »Grenzfeste«, »Bindeglied«, »Kulturbrücke« als aufeiner Trennlinie zwischen zwei sprachlichen, kulturellen und räumlichen Entitäten gelegen dargestellt, die gleichzeitig als Verbindungsstück zwischen diesen En- titäten fungiert. So wird Murten im Beispiel i. als aufder Grenze zwischen dem französischsprachigen Savoyenund dem deutschsprachigen Kiburg bzw. Habsburg gelegen beschrieben, welchen jeweils zwei unterschiedliche Kulturen zugeschrieben werden. Im Beispiel ii. wird die Sprachgrenze zwar auch aus- drücklich im Teaser erwähnt, im Text dannjedoch durch die Metapher des »Bindeglieds« zwischen dem deutschsprachigen Bern und dem französischen Freiburg,bzw.deutscher und französischer Schweiz implizit wieder aufge- nommen. Alle drei Beispiele habensowohl räumlich-geographische als auch zeitliche Elemente gemein, die die Zweisprachigkeit einmalals historisch ge- wachsen, aber auch im Raum verankertbeschreiben, und Sprache mit Kultur gleichsetzen. Ob jedoch nunexplizit oder implizit aufdie sprachliche Vielfalt verwiesen wird,esscheintimmer so,als ob verhindert werden solle, dass dem/der LeserIn die Sprachenvielfalt als mögliche Kommunikationsbarriere oder Konfliktpon- tential erscheint. So wird die lokale sprachliche Situation als geeinte Zweisamkeit dargestellt, als ein Ort, wo die Sprachgrenze und ein möglicher Konflikt zwi- schen den beiden als Entitäten beschriebenen »Deutschschweizernund Wel-

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»Restaurant[Name] –Den Röstigraben überwunden. Sitzen in grosser Eintracht. Verbrüdert. Deutschschweizer und Welsche beieinem Ballon Chasselas vereint. Den Röstigraben aufdem Röstigraben überwunden. […] Eine Küche, die überdie Sprachgrenze hinweg verbindet:ehrlich und schmackhaft. C’est tout. C’est bon. C’est familial.« (Glauser,Amrein und Amrein2014:243)

Die einträchtige Brüderlichkeit der Deutsch- und WestschweizerInnen wird im Text inszeniert,indem einige wenige, jedoch fürjemanden mit wenig Franzö- sischkenntnissen leichtverständliche Ausdrückeinden sonst deutschen Text der Broschüre mitaufgenommen werden. Darüberhinaus werden auch typisch schweizerdeutsche Ausdrücke, wieder »Röstigraben«, ein »Ballon Chasselas« (Glas Weisswein), und die frankophonen »Welschen«verwendet, die nicht Schweiz-stämmigen Deutschsprachigen eher nichtgeläufig sein dürften. Die Verwendung lokalsprachiger Ausdrückekann einerseits als Authentizitätsper- formanz gewertet werden, ist jedoch nichtmobil und an internationale Gäste angepasstbzw.auf sie ausgerichtet (Pietikäinen und Kelly-Holmes 2011b). Das Werbebuch, welches anhand des Titels eher aufeine Ausgabevon und fürdie Lokalbevölkerung schliessen lässt, gelangtjedoch durchaus auch in die Hände internationaler TouristInnen. So liegtesu.a.imTourismusinformationsbüro zum Verkauf ausund wird im Rahmeneiner kulinarischen Stadtführung,die durch mehrereRestaurants des Ortes führt(siehe Kapitel VI.2.2),amEndean das Publikum verteilt, welches ebenfalls ausinternationalen TeilnehmerInnen zusammengesetzt sein kann. In einem Interview mit mir (LS) (vom 09. 12.2013) äusserte sich der Direktor vonFTV (DR) zur Bedeutung der lokalen Zweisprachigkeit fürden Tourismus:

1 DR :moi je pense que le bilinguisme estun- une grande opportunitØ 2 pour notre rØgion puisque on est aussi le lieu de dØcouverte de l’autre 3 culture. pour chacune (xx) .h et puis on est quand mÞme (1) la rØgion 4 qui asuapprendre d›str›stôtdansl’histoire à coexister et à vivre 5 ensemble. et les franÅais qui veulentpas peut Þtres’exposer à une 6 culturegermanophone tr›seuh profonde et rigide en allanten 7 allemagne, ils ontune versionpeut Þtreunpeu plus douce en venant à 8 fribourg, oœ ils peuvents’exposer à cette:cohabitation, cettehistoire

88 Begriff, mit dem die frankophone Westschweizer Bevölkerung bezeichnet wird.

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9 commune. dØcouvrir: des facettes de l’autre culture, mais sans 10 s’immerger totalementapr›sdans un-dans un environnementqui-qui 11 parle plus leur langue ou qui=et Åa c’est vrai pourles deux-les deux 12 sens. donc c’est=je pense c’est là oœ on garde à jouer,c’est dans dans 13 cetteidentitØ commune en ØtantfinalementdiffØrente. 14 LS :donc vous dites que:% l’autre cultureoul’autre langue Åa peut aussi 15 faire (.) PEURaux touristes. 16 DR :absolument. si euh je suis à stuttgartsur la ((nom d’une foire 17 touristique)), la foire publique oœ il yales spectateurs qui viennent 18 Øcouter ce qu’on a à prØsenter (xx) rØgion touristique. la premi›re 19 questionqui vient à chaque fois c’est là on yparle allemand encore à 20 fribourg. l’allemand soit il veut dØcouvriralors soit il va, il continue 21 tout droit jusqu’à ibiza et puis mallorque oœ ils ontleur plage 22 quasimentallemand avec la bockwurschtetpuis toutÅa. ou alors ils- 23 ils s’aventurentdansunpremier temps dans une nouvelle rØgion 24 culturelle, mais encore avec ce souci de pouvoir parler leur langue

Übersetzung

1 DR:ich denkedass die zweisprachigkeit eine grosse chance fürunsere 2 region ist weil wirdadurch auch zum ortder begegnung mit der 3 anderen kultur werden. und zwar fürbeide (seiten?).h und dann sind 4 wirhalt trotzdem (1) die region die historisch betrachtet schon früh 5 lernen musste nebeneinander und miteinander zu leben. und die 6 franzosen die sich nichteiner sehr tiefen und rigiden deutschen kultur 7 in deutschland aussetzen wollen, finden hier in freiburg vielleichteine 8 ein wenig sanftere variante, wo sie diesem zusammenlebenund der 9 gemeinsamengeschichte begegnen können. die verschiedenen 10 facetten der anderen kultur entdecken können, aber ohne dafürtotal 11 in eine andere sprachumgebung tauchen zu müssen,die nichtmehr 12 ihre sprache sprichtoder die=und dasgilt fürbeide, fürbeide seiten. 13 es ist also=ich denkeesist gerade das worauf wirsetzen können, diese 14 diese gemeinsameidentitätzubesitzen und trotzdem anders zu sein. 15 LS:sie sagen also da:ss% die anderekultur oder die anderesprache den 16 touristen auch (.) ANGST machen kann. 17 DR:absolut. wenn ähich in stuttgartauf der ((name einer 18 tourismusmesse)) bin, eine öffentliche messewobesucher kommen 19 und sich anhörenwas wirihnen zu präsentieren haben (xx) 20 tourismusregion. die erste frage die jedes mal gestellt wird ist ob man 21 in freiburgnochdeutsch spricht. der deutsche will entweder

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22 entdecken also gehterentweder,gehterweiter direkt bis nach ibiza 23 und dann mallorca wo sie ihre fast rein deutschen strände habenmit 24 bockwurschtund all dem. oder sie sie wagen sich in eine neue 25 kulturregion, aber eine in der sie noch ihre sprache sprechenkönnen.

Er beschreibt die Region Fribourg als einen Ort, wo sich kulturelle Vielfalt bzw. die Kultur der jeweils anderen Sprachgruppe ohne Sprachbarriere entdecken und erleben lässt (Zeilen 1–3 und 5–12). Kultur setzt er dabei mit Sprache gleich, wobei er den Kulturräumen allerdings nichtnur sprachliche, sondernauch nationalstaatliche Grenzen setzt. So unterscheidet er z.B. den »deutschen« Kulturanteil der Ferienregion Fribourg vonder bundesdeutschen Kultur und beschreibt diese darüberhinaus auch als attraktiver fürfranzösische Touris- tInnen. Seine stereotypen Marktkonstruktionen orientieren sich ebenfalls stark an nationalstaatlichen Grenzen (der deutsche bzw.der französischeGast). Sei- ner Aussage nach sind TouristInnen durchaus daran interessiert, neue Kulturen kennenzulernen, solangesie hierfürkeine andere Sprache beherrschen müssen. Die Tatsache, dass am Urlaubsorteine andereSprache gesprochen wird, könne den potentiellen Gästen Angst machen und als Kommunikationsbarriere er- scheinen. Der Direktor vergleichtdie Tourismusregion Fribourg mit der deut- schen Ferienhochburg Mallorca, wo sich die Tourismusindustrienichtnur sprachlich an die Bedürfnisse und Gepflogenheiten ihrer Gäste angepassthabe, was er jedoch eher abwertend erwähnt(Zeilen 23–24). Der Mehrwertvon Freiburg bestehe eben gerade in der Zweisprachigkeit, welche die Möglichkeit eröffne, dass maneine andereKultur zu bieten habe, jedoch auch sprachlich auf die Bedürfnisse deutscher wieauch französischer KundInnen eingehenkönne (Zeilen 9–14 und 20–23 und 24–25). Insofern präsentierterFribourg auch als eine Ferienregion, die sich kulturell nichtandie ausländischen TouristInnen assimiliert, sondernihre Ursprünglichkeit und Authentizitätbewahrt. Auch der Direktor vonTIB bestätigteineinem Interview (vom 02. 05.2013), dass TouristInnen die Destination Murten nichtaufgrund der Lage an der Sprachgrenze bzw.wegen der lokalen Zweisprachigkeit besuchen würden. Zwar zeigten sie sich dann häufig schon daran interessiert, zu erfahren, wiesich das Zusammenleben beider Sprachgruppen gestalte. Als Grund fürdie Destinati- onswahl fungierten aber doch eher landschaftliche Aspekte (Erholung oder WassersportamSee) oder vor Ortveranstaltete Events. Um Angst vor einer möglichen Sprachbarrierehaben zu können, muss der potentielle Gast aber erst einmal überein gewisses Wissen überdie lokale sprachliche Situation verfügen. Wasjedoch internationale Gäste anbelangt, so äusserte ein Mitarbeiter vonTMS (im Folgenden MT), der sich um den Empfang internationaler ReisejournalistInnen kümmerte, einmal in einem Interview mit

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 162 Branding –Fabrikation von Urlaubs(t)räumen mir (LS) (vom 30.08.2013), dass diese oft überhaupt nicht überdie lokale sprachliche Situation informiertseien und er ihnen diese immer erst erläutern müsse:

1 LS:zum beispiel die leute, die nach fribourg kommen oder oder nach 2 murten/ ist es da vonbedeutung,dass hier die sprachgrenze ist, 3 oder/ 4 MT:man muss ihnen erklären, die kennen das nicht. ein amerikaner oder 5 ein inder ich musste das erklären, vorgestern im zug die sarine (xx) eh 6 die röstigraben. und ich hab erklärt,was röstigraben bedeutet, das ist 7 nichtnur eine sprachsache, eine kulturelle sache. aber fürden 8 amerikaner ist das kein unterschied. sowieso, die fühlen sich klein in 9 der regel, weil die wissen, die können nurenglisch. und wiedie 10 australierin gesagthat, +oh my godijust want((englisch))+ (2) und 11 ihr redet vier sprache. hab ich gesagt, dass bei((inaud)) so 12 aufgewachsen. als tessiner sowieso.

Doch deutet er auch an, dass die lokale Mehrsprachigkeit füranders- und/oder einsprachige Gäste eher einschüchternd wirken kann. Eine mehrsprachige Realität, die –wie er behauptet –fürSchweizer,insbesondereaberTessiner völlig normal sei. Er konstruiertdie Schweizer Bevölkerung als mehrsprachig und stellt dies als Besonderheit dar,welche in anderen Ländern(er führtaus- schliesslich englischsprachigeLänder an) so nichtunbedingtvorzufinden sei. Die Sprachgrenze, die er im Interview humorvoll als »Röstigraben« benenntund mittels des Flusses Saane (frz. Sarine)inder Landschaftterritorialisiert, sei für den Tourismus insofern nichtwirklich vonBedeutung,dainternationale Tou- ristInnen nichts damit anzufangen wüssten. Das Wissen um die Sprachgrenze und überihre kulturelle bzw.politische Bedeutung entpuppt sich in seinem Diskurs als lokales Wissen.

3.2.2 Eine Prise Otherness: Minderheit heisst auch Besonderheit Die Andersartigkeit, welche der lokalen Bevölkerung der Tourismusregion Fribourg aufgrund ihrer Vielfalt –sei es in Bezug aufkulturelle und sprachliche oder auch aufkonfessionelle und politische Aspekte –inden touristischen Promotionstexten nachgesagtwird, wird in vielerlei Hinsichtals lokale Beson- derheit vermarktet.Dabei spielt der Hinweis aufdie lokale(n) Minderheitensi- tuation(en) eine entscheidende Rolle. So z.B. auch im Ausschnitt ausder Bro- schüre »Geführte Rundgänge«, die vonTIB aufDeutsch, Französisch und Englisch herausgegeben wird und dasStadtführungsangebot vonTIB erläutert.

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»Das Original –Der Klassiker Entdecken Sie unter fachkundiger Leitung Murten und tauchen Sie in die spannende Geschichte unseres ›Stedtlis‹ein. ›Wie kommt es, dass Murten zweisprachigist?‹ ›Weshalb sind die Murtner in einem katholischenKanton mehrheitlich reformiert?‹›Werwar AlbertBitzius?‹ Fragen über Fragen –wir haben die Antworten.« (Broschüre »Geführte Rundgänge«,hrsg.von TIB 2013:1, Hervorhebung i.O.) Im hier präsentierten Ausschnitt wird der/die LeserIn dazu eingeladen, im Rahmen einer Stadtführung »unter fachkundiger Leitung« dem Grund der lo- kalen sprachlichen Vielfalt und der konfessionellenMinderheitensituation auf den Grund zu gehen und mehr darüberzuerfahren. Die Formulierung der Minderheitensituation wird genutzt, um die jeweiligen Charakteristika der Minderheit als etwas Seltenes, Besonderes ja sogar als touristisches Highlight darzustellen und sie somit als Distinktionsmerkmal zur Abgrenzung vonan- deren Destinationen zu etablieren. Gleichzeitig unterstützt der Minderheiten- diskurs auch das Vielfaltsargument, da er das gleichzeitige Existieren einer ge- gensätzlichen Entität, nämlich der Mehrheit impliziert. In dieser Hinsichtprä- sentiertsich die Destination als Raum, in der beide, sowohl die (sprachliche, kulturelle, politische oder konfessionelle) Minderheit als auch die Mehrheit koexistieren und erlebbar sind. Das nächste Beispiel stammt ausdem Prospekt »Stadtrundgang durch Mur- ten«, der ebenfalls vonTIB aufDeutsch, Französisch und Englisch herausge- geben wurde, und welcher eine Kurzfassungmit den wichtigsten Daten der Stadtgeschichte Murtens und weiterführende Literaturhinweise enthält.Im Prospekt sind zudem verschiedene Stationen eines individuell begehbaren Stadtrundgangsbeschrieben, zu denen die Gäste jeweils kurze Informationen nachlesen können. Auch hier in der deutschsprachigen Version des Prospekts wird ausdrücklich aufein sprachliches, politisches und konfessionelles Min- derheits- und Mehrheitsverhältnis vor Orteingegangen.

»Heute ist Murten Hauptortdes freiburgischen Seebezirks und im Kanton Freiburg eine sprachliche, konfessionelle und politische Minderheit. Es liegtander deutsch- französischen Sprachgrenze und erfüllt mit seinen ca. 5’800 Einwohnerndie Aufgabe eineswirtschaftlichen und kulturellen Zentrums füreine Region, welche nichtnur den freiburgischenSeebezirk, sondern auch die bernischeund sogar waadtländische Nachbarschaftumfasst.«(Deutschsprachiger Prospekt»Stadtrundgang durch Mur- ten«, hrsg. vonTIB, 2013:1) Der Trend der Vermarktung sprachlicher,kultureller oder ethnischerMinder- heiten als Tourismushighlight kam im Fahrwasser einer der Teilprozesse der Globalisierung auf, nämlich der des Widerstandesgegen Homogenisierungs- tendenzen und der Rückbesinnung aufLokales (Giddens 1990:199;Trinczek

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2002). So erfuhren sprachliche Minderheiten, u.a. in der Tourismusindustrie, neue Gebrauchsfunktionen und wurden beispielsweiseals Marker fürlokale Authentizitätoder Exotismus eingesetzt(Da Silvaund Heller 2009;Doorne, Ateljevic und Bai 2003;DuchÞne 2008;Jaffe 2007;Pietikäinen u.a. 2016).In Murten verschreibt sich der Minderheitendiskurs allerdingsder Unterstützung des Vielfaltsarguments. Die Minderheit wird hier aber nichtals exotisch dar- gestellt, wiedies z.B. in der Stadt Freiburg mit der lokalen Sprache, dem »Bolze«, passiert(siehe Seiten 166–167). Denn auffallend ist, dass sich dieser Diskurs der Minderheit und Mehrheit wieder nurauf Standardvarietäten bzw.autoch- thone Elemente beschränkt, die ohnehin in der Schweiz vorhanden sind, jedoch keine allochthonen Minderheiten wiebeispielsweise anderssprachige Migran- tengruppen, anderskonfessionelle oder politische Gruppen umfasst. Insofern wird auch hier wieder die Besonderheit der Koexistenz dieser verschiedenen und als Entitäten präsentierten Gruppen –wie auch zuvor im Vielfaltsdiskurs – immer als harmonisches und geordnetesNebeneinander präsentiert. D. h. die (sprachliche) Abgrenzung in Form der Selbstdarstellung als andersartige Min- derheit (self-othering)wird mit Bedachtbetrieben. Die Abgrenzung reichtnur so weit, dass sie der Selbstdarstellung als etwasBesonderesund Seltenes dient. Gleichzeitig wird der/dem LeserIn aber immer auch ein bekanntes Element (entweder in Form der Minder-oder der Mehrheit)geboten. Somit wird dem potentiellen Gast versichert, eine fremde Sprache und/oder Kultur entdecken zu können, ohne jedoch die eigene sprachlicheund/oder kulturelle Komfortzone verlassen zu müssen. Die Erwähnung der Minderheit dientimBeispiel des deutschen Prospekts auch genaudiesem Zweck, der sich jedoch erst erahnen lässt, wenn man sich die französische und die englische Version der Broschüre ansieht, in der der Hinweis aufdie deutsche Minderheitensituation im mehr- heitlich französischsprachigen Kanton Freiburg nichtauftaucht:

»Aujourd’hui, Moratest le chef-lieududistrict fribourgeois du Lac.SituØe à la fronti›re des langues allemande et franÅaise, laville remplitlerôle de centrecommercial et culturel pour l’ensemble du district et aussi pour ses voisins de Berneetducanton de Vaud.« (Französischsprachiger Prospekt»Promenade dans la ville de Morat«,hrsg.von TIB,2013:1) »Today Murten is the chief townofthe LakeDistrict, in the . Situated between French andGerman Switzerland, it plays both,acultural and acommercial role for the whole district and neighbouring parts of the States of Berneand Vaud.«(Eng- lischsprachiger Prospekt »Walking in Murten«, hrsg.von TIB,2013:1)

Die französische Version fällt bereits kürzer ausals die deutsche, da sie den Hinweis aufdie lokale Minderheitensituation weglässt. Die englische Version hingegen entpuppt sich nurnochals eine stark abgespeckte Form der deutschen Version, in der auch die Sprachgrenze nichtmehr explizit erwähntwird, son-

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89 Da mir keine Daten zur Entstehung der Broschüre vorliegen, kann ich nurmutmassen, ob deshalb ebenfalls davonabgesehen wurde, aufdie Minderheitensituation oder aufdie Sprachgrenze einzugehen. Ein andereGrund dafür, warum die englische Version eher der französischen Version ähnelt, könnte darin bestehen,dass die englische Übersetzung aufder Basis der französischen Versionangefertigtwurde.Die Broschüren vonTIB werden immer zunächst in einer Sprache gestaltet wobei häufig aufTextbausteineaus bereitsbestehenden Texten zurückgegriffen wird,und anschliessend übersetzt. Die hier vorliegendeBroschüre wurde vermutlich zunächst aufDeutsch gestaltet, da zum Zeitpunkt der Broschürenher- ausgabedas TIB-Team ausdominant deutschsprachigen Mitarbeiterinnen bestand. Wäh- rend deutscheund französische Übersetzungen internvon TIB-MitarbeiterInnen vorge- nommen werden, kannesbei englischen Übersetzungen auch manchmal vorkommen, dass diese externvon englischsprachigen StadtführerInnen übersetzt werden. Die Übersetzungen werden vor dem Druck jedoch noch einmal zur Kontrolle vonden TIB-MitarbeiterInnen gegengelesen.

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»Die Altstadt hat gar ihre eigene Sprache, ›Bolze‹ genannt,ein schier unverständliches Gemisch vonFranzösisch und Deutsch.« (Ausschnitt ausdem deutschsprachigen Teil der Broschüre »Emotion-Expo.02 Special«, hrsg.von FTV,2002:14)

Das Bolze wird exotisiert, als etwas Andersartiges und gleichzeitig als eine Be- sonderheit der lokalen Identitätbeschrieben. Doch auch hier gilt,dass, obwohl das Bolze als fürfremde Ohren »schier unverständlich« beschrieben wird,die Charakterisierung als »Mix ausFranzösisch und Deutsch« den Exotismusin Grenzen hält, handelt es sichdochumdie Standardvarietäten, welche vonden BesucherInnen der drei Zielmärkte (der deutschen bzw.der französischen Schweiz sowieDeutschland und Frankreich) zumindest teilweise beherrscht werden. Auch wird es nichtals völlig unverständlich, sondernabgeschwächtals fast unverständlich –aberwohl noch entschlüsselbar –beschrieben. Ein Exo- tismus also, der ausbekannten Elementen erzeugtund abgeschwächtwird, damit die Abgrenzung der Sprache der lokalen Bevölkerung nichtzustark ab- weichtvon der der touristischen Zielgruppen. Auch aufder Webseitevon FTV wird unter dem Titel »Basse-Ville«die Un- terstadt der Stadt Freiburg als ein Raum abgegrenzt, in dem der Gast ein Stück lokale Kultur erleben kann.

»Basse-Ville In Fribourg ist Unterstadtgleichbedeutend mit Altstadt. Die Unterstadt–das sind Kirchen und Klöster,Brücken und Brunnen, aber auch eine eigene Sprache und Volkskultur, das ›Bolze‹. Die UnterstadtliegtimTal der Saane und bestehtaus den Quartieren Burg,Auund Neustadt. Dazwischen ziehtdie Saane, überdie kleine Holz- und Steinbrücken führen, ihre Schleifen. Das ›Funi‹ Das 1899 erbaute ›Funi‹, eine Standseilbahn, verbindet die Neustadt mit dem Stadt- zentrum.Esist das europaweit einzige Verkehrsmittel, das vonden Abwässernder Stadt angetrieben wird. 3000 Liter werden vor jeder Fahrtins Antriebssystem des ›Funi‹ gepumpt. Das Bolze Die Unterstadt ist auch und vor allem die Wiege einer Volkskultur und Volkssprache. ›Bolze‹ genannt. Im Laufe der Jahrhunderte hat sich in der Unterstadt eine eigen- ständige Kultur entwickelt. Die Bolze-Kulturartikuliertsich in einer Sprache, in der sich Deutsch und Französisch vermischen;ihren markantesten Ausdruck findet sie in der Freiburger Fasnacht, die denn auch ›Bolz-Fasnacht‹genanntwird. Unter den Persönlichkeiten, die ausdieser Kultur entstammen, sind unter anderem der Auto- rennfahrer Jo Siffertund der KünstlerHubertAudriaz zu nennen.« (Webseite »Basse- Ville« aufder Homepage vonFTV,Hervorhebungen i.O.)

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Die BewohnerInnen der Unterstadt werden im Text als eigenes Volk mit eigen- ständiger Sprache und eigener Kultur vonder restlichen Bevölkerung Freiburgs abgegrenzt und exotisiert. Dem potentiellen Gast wird auch eine Veranstaltung verraten, beidem er in diese Kultur eintauchen kann, nämlich zur Zeit der Fasnacht(schweizerischer Karneval). »Das Bolze«, die Sprache der Unterstadt als Mischung des Deutschen und des Französischen, wird auch gleich im Titel performt, indem ein deutscher Artikelmit dem französischen Namender »Unterstadt« (»basse-ville«) kombiniertwird. Das französischeWort, das im Titel fürDeutschsprachige zunächst vielleichtnochunverständlich ist, wird gleich im ersten Satz des Teasersund des nachfolgenden Textes aufDeutsch genannt. Ähnlich wird beidem Absatz überdie vonder Unterstadt in die Oberstadt führende und mit dem lokalen Namenbenannte Seilbahn »Funi« vorgegangen. Der lokale Ausdruck wird in Anführungszeichen im Untertitel und im Text verwendet, seine Bedeutung wird jedoch gleich im ersten Satz durch eine Worterklärung aufgelöst. Auch der Verweisauf wohlbekannte Persönlich- keiten, die ausder Unterstadt stammen, zielt darauf ab,den produzierten Exo- tismus der dortigen Bevölkerung wieder etwas abzuschwächen und einen ge- wissen Eindruck vonVertraut- und Bekanntheit zu erzeugen. Anders, aber nicht zu anders.

3.2.3 Typisch französisch:Von welschemCharme, Wein und anderen Stereotypen Die einzelnen lokalen Sprachen werden aber auch bewusst genutzt, um an ste- reotypeAssoziationen anzuknüpfen oder ein bestimmtes Lebensgefühl zu ver- mitteln. So lässt sich durch die Verwendung bestimmter symbolisch geladener, teilweise stereotypangehauchter SprachenimPromotionsdiskurs fürbe- stimmte Produkte besonders gut werben und einen Mehrwerterzeugen (Kelly- Holmes 2000, 2010b;Piller 2003). FürWein oder Parfum wirbt es sich z.B. am besten mit Französisch, fürAutos oder Bier aufDeutsch und fürTeigwaren auf Italienisch.Die besondereSprachwahlweist aufdie lokale Herkunftdes Pro- duktes hin, stellt somit seine Authentizitätunter Beweis und dienthäufig auch als Qualitätsmerkmal (Pietikäinen und Kelly-Holmes 2011b;Piller 1999b). Wichtigist, dass der oder die AdressatIn dasWortinder fremden Sprache bzw. der lokalen Ausdrucksweise mehr oder weniger verstehtund vorallem aber gewisse kulturelle Stereotype damit assoziiert, d.h. die dahinter stehende Symbolik versteht. Dies wird zum Beispiel im folgenden Ausschnitt ausder bereits mehrfach erwähnten Broschüre »Murten erleben«, die vonTIB heraus- gegeben wurde, anschaulich demonstriert. Dortwird die französische Sprache auch in der deutschen Version der Broschüre zur Bewerbung eines lokalen Produkts, nämlich des Weins, verwendet:

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»Im Herzen einer wunderschönen Region Murten ist der Hauptortdes freiburgischen Seebezirks. Die Stadt hat immer eine wichtige Rolle als Handelszentrumund Kulturbrückezwischen den StädtenBern, Freiburg und Neuenburg gespielt. Murten liegtamgleichnamigen See aufeiner Höhe von453 müM. Aufder gegenüberliegenden Seite befindet sich der Mont Vully (Wis- tenlacherberg) mit seinen französischsprachigen Dörfernund den Rebbergen am Südhang. Rebberge im Vully Die Rebberge erstrecken sich übereine Fläche vonca. 150 ha. Angebaut werden auf ca. 72 ha Chasselas-Trauben, was etwa 48 %der Produktion ausmacht. Rotwein, vor allem Pinot Noir,wird auf28%der Gesamtfläche angebaut. Die Weinbauernvom Vully kultivieren zudem etwa dreissig Weinspezialitätenwie weissen Pinot gris, Gewürz- traminer,Freiburger Chardonnay, Sauvignongblanc…sowieroten Gamaret, Gamay, Garanoir,Diolinoir,Merlot…« (Broschüre »Murten erleben«, hrsg.von TIB 2013:1, Hervorhebungen i.O.) Im Text wird die lokale Weinproduktion im französischsprachigen Vully aus- führlich beschrieben, wobei die französische Sprache eine besondereRolle einnimmt. So wird nichtnur das Weinbaugebiet als französischsprachig be- schrieben, auch alle Weine werden mit ihren französischen Namen aufgelistet, bis aufden Gewürztraminer,dessen französische Entsprechung Savagnin aber selbst im französischen Raum nichtsehr geläufig ist. Dass es im Text um ver- schiedene Weinsorten mit mehrheitlich französischen Namen geht, wird auch fürWeinliebhaber ohne Französischkenntnisse deutlich. Der französische Ortsname Vully wird zuvorjedoch im Text noch durch seineinKlammern angegebene deutsche Entsprechung fürden deutschsprachigen Gast erschlos- sen. Der Hinweis aufdie Präsenz des Französischen in Verbindung mit den Rebbergen und dem Wein ausdem Vully,ebenso wiedie sprachliche Performanz im Text durch die Verwendung französischer Ausdrücke, zielen aufdie Ver- mittlung eines bestimmten Lebensgefühls »à la franÅaise«und einer »art de vivre«(Lebenskunst) ab. Auch die Printwerbungzweier lokaler Hotels greiftdieses Motivdes »fran- zösischen« Lebensgefühls mit den Hinweisen auf»französischen«bzw.»wel- schen Charme« auf, den die BesucherInnen in der Murtenseeregion erleben können. Das erste Zitat stammt ausder Broschüre eines Luxushotels,welches sich in einem angrenzenden Nachbarortvon Murten befindet, der im Promo- tionsmaterial immer als französischsprachig vom deutschsprachigen Murten abgegrenzt wird. Die Broschüre ist rein aufFranzösisch gehalten und besteht hauptsächlich ausBildernund Ausschnitten vonBriefen des ursprünglichen Besitzers des Hotels vomAnfang des letzten Jahrhunderts, welche die Histori- zitätdes Hotels als lokale Institution betonen.

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»Cette rØgion enchanteresse allie charme à la franÅaiseethospitalitØ naturelle. La rØgion du lac de Moratforme, avec les lacs de Bienne et de Neuchâtel, le Pays des Trois-Lacs, grande source d’inspiration avec ses vignobles et un artdevivre tout à faitpropre à la Suisse romande. Un lieu –urbain et chic mais aussi ruraletdØcontractØ.«(Ausschnitt ausder Broschüre eines lokalen Luxushotels im Nachbarort2013:28) Übersetzung:»Diese zauberhafte Region verbindet den französischen Charme mit natürlicher Gastfreundschaft. Zusammen mit dem Bieler und dem Neuenburger See formt die Murtenseeregion das Dreiseenland, das mit seinen Weinbergen und der typischen Lebenskunst der Westschweiz eine grosse Inspirationsquelle darstellt.Ein Ort–urban und schickaberauch ländlichund entspannt.«

Hier wird also zunächst an nationale Stereotypevon Frankreich angeknüpft, das so erzeugte Bild dann aber aufdie Westschweiz übertragen und schliesslich als lokale Eigenschaftangeeignet. Nichtnur der Gebrauch der französischen Sprache, sondernauch der Verweis aufden »französischen Charme« und die »typisch welscheLebensart« verortet den Standortdes Hotels in die franzö- sischsprachige Schweiz. Gleichzeitig wird der Hinweis aufdie Sprache auch mit kulturellen Assoziationen gleichgesetzt.Das »typisch französische« Lebensge- fühl wird mit Schlagworten wie»Charme«, »Wein«, »Lebenskunst«, »Inspirati- on« und »schick« hergestellt. Beim zweiten folgenden Zitat handeltessich um einen Ausschnitt auseinem Prospekt eines Murtner Hotels, welches u.a. auch die Umgebung beschreibt und dabei jeweils aufein bestimmtes »Flair« oder Ambiente vor Orteingeht.

»Lassen Sie sich verführen vommittelalterlichenFlair des StädtchensMurten und dem welschen Charmedes Mont Vully.« (Ausschnitt ausdem Prospekt eineslokalen Hotels ausdem Jahr 2013:2)

Hier wird wiederum der sich aufdem Murten gegenüberliegenden Seeufer befindlichen Mont Vully als französischsprachig mit welschem Charme be- schrieben. Die Frankophonie des Orts wird durch die Verwendung des franzö- sischen Ortsnamens untermalt. In einem anderen Beispiel wird der Charme der Region nichtmehr nurauf das Französische zurückgeführt, sondern explizit auch aufdie lokale Zwei- sprachigkeit, der ein ganz eigener,besonderer Charme nachgesagtwird, welcher als vom Gast in der Region erlebbar beschrieben wird:

»Murten liegtimDrei-Seen-Land und ist ein beschauliches, mittelalterliches Städtchen mit dem Charme der Zweisprachigkeit.« (Ausschnitt ausder Broschüre »Hotel Guide«, hrsg.von FTV,2013:20)

Hier wird an die aktuell Zwei-/Mehrsprachigkeit zelebrierenden Diskurse an- geknüpft. Der Charme der Bevölkerung drückt sich durch ihresprachliche Identitätaus.

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Darüberhinaus ist, wieaus den letzten beiden Ausschnitten deutlich wurde, häufig auch die Rede voneinem mittelalterlichen oder voneinem mediterranen bzw.Mittelmeer-Flair,wobei sich ersteres aufdas Stadtbild und letzteres eher auf das milde Klima der Region und die Wasserlandschaftdurch die Lage am See bezieht, ohne sprachliche Aspekte miteinzubeziehen. Meist werden diese Ver- gleiche aber in einem Satz mit dem Hinweis aufdie sprachliche Identitätder Region angeführt, was wiederum die Verknüpfung mit einem bestimmten Ambiente, Lebens- oder gar Urlaubsgefühl herstellen soll.

3.2.4 Zwischenfazit:Sprachfetischisierung –Die Verknüpfung von Sprache mit Lifestylediskursen In den vorangehenden Beispielen wird Sprache in ihrer symbolischen Funktion genutzt und als Index fürAuthentizität, Exotismus, aber auch füreinen be- stimmten(z.B. französischen) wayoflife verwendet. Mit dem Hinweis aufdie lokale sprachliche Situationwird in den touristischen Promotionstexten ver- sucht, beidem/der AdressatIn bestimmte Assoziationen hervorzurufen. Durch den Hinweis aufdie lokalen Sprachen bzw.ihrePerformanz im Text und ihre Verknüpfung mit bestimmtenstereotypen Produkten oder einem »anderen« (z.B. kosmopolitischen) Lebens- oder Urlaubsgefühl (Hebdige 1998) wird Sprache einer »commodity formulation« unterzogenund im Werbediskurs als Teil eines bestimmten Lifestyles beschrieben (Agha 2011;Appadurai 1986). In dieser Hinsichtkann voneiner Sprachfetischisierung gesprochenwerden (Kelly- Holmes 2000, 2016). Das Konzept des Sprachfetischismus verweist aufeben- dieses Phänomen, wenn Sprache in Werbetexten anstattfürkommunikative Zweckeinihrer symbolischen(fetischisierten) Funktion verwendet wird:

»In linguistic fetish, the symbolic or visual value of alanguage takes precedence over its communicativevalue, andthis symbolic value is the product of existing linguistic hierarchies and regimes, ways of seeing.«(Kelly-Holmes 2014:139) Eine gewisse Hierarchie der lokalen Sprachen hinsichtlich ihres Nutzens fürdas Marketing kann auch im touristischen Werbediskurs zu Murten bzw.der Feri- enregion Fribourg festgestellt werden.Sowerden (nur) bestimmte lokale Sprachen als Ausdruck authentischer oder (im Falle des Bolze) exotischer,lo- kaler Identitätverwendet (Pietikäinen u.a. 2016;Kelly-Holmes 2000).Besonders das FranzösischescheintimWerbediskursein hohes Prestige zu geniessen. Gleichzeitig lässt sich aber auch eine Fetischisierungder (sprachlichen) Vielfalt feststellen. So knüpfen die Werbediskurse an gegenwärtige, die Vielfalt, Zwei- oder Mehrsprachigkeit zelebrierende Diskurse an, in denen sprachliche Min- derheiten einen neuen Stellenwerterhalten und als etwas Besonderes und Ausdruck vonauthentisch Lokalem wahrgenommen werden (Kelly-Holmes

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2014). Die (u.a. sprachliche) Abgrenzung des Lokalen vonanderen Feriende- stinationen oder aber den Herkunftsorten der Gäste wird aber jeweils nursoweit betrieben, dass sie dem potentiellen Gast noch attraktiverscheinen kann. Sobald das Risikobesteht, zu andersartigzuerscheinen,werden Elemente eingebaut, mit denen der Gast vertrautist (Zukin 1998). Die Darstellung der Vielfalt folgt also einer ganz bestimmten Marktlogik und muss in den Werbetexten ent- sprechend aufbereitet werden.

3.3 Fazit:Marktorientierte Regulierung der sprachlichen Vielfalt

Auch hinsichtlich der Vermarktung der zweisprachigen Region zeigtsich eine ähnliche paradoxeSituationwie schon in den Kapiteln zur Destinationsmar- kenbildung. Einerseits deuten die Aussagen der fürdas Marketing verantwort- lichen TouristikerInnen darauf hin, dass die TouristInnen nichtexplizit wegen der Sprachgrenze oder der Zweisprachigkeit, sondern z.B. im Fall vonMurten vielmehrwegen der Lage am See oder anlässlich spezifischer Events anreisen. Dennoch werden Hinweise aufdie Sprachgrenze und/oder die Zweisprachigkeit häufig als Aufhänger im Promotionsmaterial genutzt (zur Lokalisierung der Destination und Orientierung im Raum, als Alleinstellungs- und Distinktions- merkmal zur Abgrenzung vonanderen Destinationen usw.). In der Bewerbung vontouristischen Aktivitäten kann es sogar sein, dass die Sprachgrenze bzw.die Zweisprachigkeit der lokalen Bevölkerung ganz spezifisch als Mehrwertoder Erlebniswerthervorgehoben wird (siehe hierzu auch Kapitel VI). Gleichzeitig wird die Lage der Destination an der Sprachgrenze bzw.die lokale Zweispra- chigkeit in den Diskursen der TouristikerInnen auch als Risikofürdie Ver- marktung der Destination beschrieben, da diese ein Grund sein könnte (im Sinne einer Sprachbarriere), weshalb die TouristInnen sich gegen einen Besuch der Region entscheiden. Die Konstruktionen der verschiedenen Zielmärkte bzw. Marktsegmente orientieren sich zum einen stark an nationalstaatlichen Grenzen (der deutsche Markt, der französische Markt), zum anderen aber auch an Sprachräumen (der deutschsprachige Markt, der französischsprachige Markt). Da den TouristInnen nachgesagtwird, im Urlaub zwar durchaus andere Kul- turen entdecken zu wollen, dabei jedoch nichtauf Kommunikationsbarrieren in Form einer anderen Sprache treffen zu wollen, wird die Beschreibung der lo- kalen sprachlichen Situation jeweils an das betreffende Zielpublikum angepasst oder die Zweisprachigkeit der Bevölkerung zugesichert(DuchÞne und Del Percio 2013;DuchÞne und Piller 2011).Sowird die lokale sprachliche Vielfalt als Ausdruck kultureller Vielfalt genutzt, die vom Gast erlebt und entdeckt werden kann (Pujolar und Jones 2011;Hall-Lew und Lew2014). Um den Gast mit den sprachlichenAspekten jedoch nichtabzuschrecken, wird die Vielfaltnichtals

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 172 Branding –Fabrikation von Urlaubs(t)räumen hybrides, chaotisches Sprachendurcheinander,sondernals geordnetes, (durch die Sprachgrenze räumlich) klar begrenztes Nebeneinander präsentiertund vor allem durchwegs harmonisch dargestellt, um keinen Eindruck vonKonfliktpo- tenzial entstehen zu lassen.Diese Darstellung einer parallelen Einsprachigkeit (Piller 2016), welche durch die Verankerung der beiden Sprachen im Raum und deren klar definierten räumlichen Begrenzung charakterisiertist, wird schliesslich durch die Erwähnung der zweisprachigen Bevölkerung wieder aufgelöst. Diese variable und eigentlich kontradiktorische Darstellung der lo- kalen sprachlichen Situation im Promotionsdiskurs kann als Ergebnis des Aushandlungsprozesses der oben beschriebenen Spannungen verstanden wer- den, welche sich profitorientierten Marktlogiken und Regulierungsprinzipien der sprachlichen Vielfalt verschreiben:Die ausder sprachlichen Vielfalt mög- licherweise resultierenden Vorteile und Stärken werden im Marketingdiskurs hervorgehoben, andere mögliche Risikofaktoren werden hingegen eher be- schwichtigend und beschönigend dargestellt oder ganz verschwiegen. So exis- tieren auch Texte in verschiedenenSprachen, in denen z.B. Ortsnamen jeweils an die Sprache angepasst bzw. übersetzt wurden und keine Bemerkungen zur lokalen sprachlichen Situation fielen. In diesen Texten präsentiertsich die Tourismusindustrieinder Sprache des Gastes und versprichtihm aufdiese Weise, aufkeine Sprachbarrieren zu treffen. Die variable Formulierung der lo- kalen sprachlichen Situation,welche zu einer Auf- bzw.Abwertung der einzel- nen Sprachen führt, stellt auch bestehende Sprachenhierarchien aufdem Sprachenmarkt der lokalen TourismusindustrieinFrage, zumal –wie wirspäter in Kapitel V.2sehen werden –bei der Gästebetreuung vor Ortwieder andere Sprachen relevantsind.

4. Variable Konstruktionen von starren Sprachen, Sprecher(gruppe)n und Sprachräumen

Ein gemeinsames Ziel der Soziolinguistik und der linguistischen Anthropologie bestehtinder kritischen Untersuchung der Konstruktionvon Konzepten wie Sprache(n), Sprecher(gruppe)n, Sprachräumen und den damit verbundenen und spannungsgeladenen Prozessen der Kategorisierung,der Grenzziehung sowieder In- und Exklusion(Holzer 2005;Gal und Woolard 2001;Heller 2002). Die Tourismusindustrieund insbesonderedas Destinationsbranding erweist sich als geeignetes Terrain, um die Vorstellungen und Repräsentationen dieser Konzepte in Diskurs und Praxis sowieinmaterialisierter Form vonLogos, Karten oder Ortsbeschilderungen zu untersuchen (Gal 1989;Heller,Jaworski und Thurlow2014).Die hier im Kapitel dargestellten Etappen des Destinati-

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Variable Konstruktionen 173 onsbrandings, welche vonder Entwicklung überdas Kommunizieren bis hin zum Etablieren einer Markereichen, spiegeln zahlreiche Spannungen wieder und sind mit verschiedenen sprachlichen Kategorisierungs- und Grenzzie- hungsprozessen verbunden. Wiewir sowohl in den Diskussionenzur Markenbildung als auch im Mar- keting sehen konnten, wird der wirtschaftliche Wert der lokalen sprachlichen Diversitätvon den verschiedenen AkteurInnen der lokalen Tourismusindustrie unterschiedlich eingeschätzt und in variablerWeise fürdas Destinationsbran- ding genutzt. Beider Markenbildung findet sich eine paradoxeBewertung der Zweisprachigkeit, die aufder einen Seite durch die zweisprachige Toponymie fürVerwirrung und Verwechslungen sorgt, und somit einem einheitlichen und leichtwiedererkennbaren Markenauftritt eigentlich entgegensteht. Andererseits wird sie jedoch als Identitätsmerkmal eingesetzt, vonder lokalen Bevölkerung auch eingefordert, und in dieser Funktion als Distinktionsmerkmal gebraucht (siehe Kapitel IV.2.2 und IV.2.3). So wird die lokale Zweisprachigkeit einerseits als Vorteil zur Bearbeitung verschiedensprachiger Märkte begriffen, anderer- seits stellt sie jedoch auch einen teuren Mehraufwand dar (siehe Kapitel IV.2.4) (DuchÞne und Piller 2011).FürMarketingzweckebirgtdie lokale Zweispra- chigkeit durch die Kopräsenz einer Sprache, die die Gäste der anvisierten Hauptzielmärkte u.U. nichtverstehen, darüberhinaus auch das Risiko, gerade diese Gäste im Sinne einer Sprachbarriere abzuschrecken. Gleichzeitig fungiert der Hinweis aufeine andereSprache auch als Hinweis aufeine andereKultur,die im Tourismus anscheinend erwünschtund entdeckt werden will, was das Risiko der Präsenz einer fremden Sprache wiederum entschärft(Kapitel IV.3). So scheintder Wert der Zweisprachigkeit variabel und vonden jeweiligenZiel- marktkonstruktionen abhängig zu sein (DuchÞne 2012). Wieaus den Interviews mit Marketingexperten hervorgeht, liegtdas Potenzial der Zweisprachigkeit für die Tourismusindustrieaberebengenauindieser Variabilitätund Flexibilität, mit der sie eingesetzt werden kann:Jenach Publikum kann die Zweisprachigkeit oder nureine der (lokalen) Sprachen/Varietäten hervorgehobenwerden. Je nach Produkt, aber auch je nachdem, mit welchen WerbepartnerInnen man ge- meinsam wirbt bzw.wie diese normalerweise fürsich werben, kann die sprachliche Situation der Ferienregion Fribourg bzw.der Destination Murten dem jeweiligen Zweck und Fokus angepasstund neu- bzw.umformuliertwer- den. Im Sinne des Prinzips des profitorientierten Managements sprachlicher Vielfalt, werden die lokalen Sprachen und ihre SprecherInnen, ihreCharakte- ristika und ihreGrenzen so formuliert, dass sie möglichst als nutzbringendes Verkaufsargumentausfallen. Wassagen nundiese Erkenntnisse überdie in das Branding einfliessende und auch überdie durch das Branding vermittelte(n) Vorstellung(en) vonKonzepten wieSprache, Raum und Sprecher(gruppen) aus? Die Formulierungen der lo-

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 174 Branding –Fabrikation von Urlaubs(t)räumen kalen sprachlichenSituation im Marketingdiskurs basieren aufalthergebrach- ten, romantischen Vorstellungenvom Zusammenhang vonSprache und Raum, aber auch vonSprache und Kultur sowievon Sprache und Nation und repro- duzieren diese (Auer 2004;DuchÞne und Del Percio 2013).Sowohl beider Fremddarstellung in den Marktkonstruktionen als auch in der Selbstdarstellung im Marketingdiskurs kommen altbekannte, nationale Stereotype vonSprachen und ihren SprecherInnen zum Tragen. Während sich die Marktkonstruktionen stark an sprachlichen und nationalstaatlichen Grenzen orientieren und als re- lativstarrerscheinen, weist die Darstellung der lokalen sprachlichen Situationin den Marketingdiskursen eine starke Variabilitätauf. Diese Variabilitätresultiert ausder Anpassung der Formulierung sowohl an die verschiedenen imaginären Märkte und an deren konstruierte (sprachliche) Bedürfnisse (Akkommodati- onsideologie)als auch an die Wünsche der lokalen Bevölkerung.Indiesen va- riabel ausfallenden Werbe-Selbstdarstellungen finden sich wiederum homoge- nisierte Entwürfevon einzelnenlokalen Sprachen und ihren SprecherInnen, die gemäss einer essentialistischen Vorstellung als klar abgegrenzte, stabile Entitä- ten beschrieben und territorial zugeordnet werden (Auer 2004;Auer und Schmidt 2010).Diese so erzeugten Sprachräume werden schliesslichmit einem einheitlichen Kulturraumgleichgesetzt. Insofernfungieren Sprache und/oder Kultur als Authentizitätsmarker,als Ausdruck lokaler Identitätund Tradition, und somit als Distinktionsmerkmal (Bauman und Briggs 2003). Gleichzeitig werden die durch die Verankerung der Sprachen und ihrer SprecherInnen im Raum konstruierten Grenzen dann jedoch wieder dekonstruiert, um den Gästen die Kommunikation mit der jeweils anderssprachigen Bevölkerung zu versi- chern, welche schliesslich immer wieder als »ExpertInnen beider Sprachen« und als kompetentzweisprachig beschrieben wird. Diese Zwei-/Mehrsprachigkeit der Bevölkerung wird auch im Rahmen des Vielfaltsdiskurses genannt. Dieser Werbediskursverweist zwar aufdie lokale Sprachenvielfalt, zeigtabernie die wahre lokale Vielfalt, weder in Form der inneren, »alten« Mehrsprachigkeit (Standard- und Schweizerdeutsch), geschweige denn in Form der »neuen« Mehrsprachigkeit der Murtner Bevölkerung,die immerhin einen 19-prozenti- gen Ausländeranteil aufweist90.Das Schweizerdeutschewird in der Tourismus- werbung bis aufwenige Ausnahmen so gut wienichtgebraucht91,und wenn,

90 Stand 01.01.2016;Quelle:Stadtverwaltung Murtens http://www.murtenmorat.ch/de/por trait/zahlenundfakten/zahlenfakten/ (Abrufdatum 18.11.2016). 91 Dies wurdemir auch voneiner Mitarbeiterin im Interview bestätigt.Bei der mündlichen Gästebetreuung face-to-face vor Ortoder am Telefonspielt es hingegen eine bedeutende Rolle, wieimfolgenden Kapitel noch aufgezeigtwerdenwird. Dies liegtaberu.a.auch an den verschiedenenFunktionendes Standarddeutschen und des Schweizerdeutschen und ihrer unterschiedlichen Verwendung: während Standarddeutsch eher Anwendung in formellen

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Variable Konstruktionen 175 dann nur in Form vonWörtern, die auch Deutschsprachigeohne Kenntnisse des Schweizerdeutschen verstehen, oder es wird mit Worterklärungen gearbeitet. Destinationsbildung und -branding ähneln durch das Produzieren imagi- närerGemeinschaften (imagined communities)und die Erfindung vonTradi- tionen den Mechanismen der Nationalstaatenbildung (Anderson 2006;Gellner 2009;Gal 1989:355). Die Brandingaktivitäten, die ihnen zugrunde liegenden Logiken und Vorstellungen sowieder Wert,den Sprachen und ihreSpreche- rInnen darin jeweils einnehmen, sind Teil einer lokalen politischen Ökonomie (Lew 2017;Pietikäinen und Kelly-Holmes 2011b). Heller,Jaworski und Thurlow (2014) erklären diese Einbettung,indem sie aufBourdieus Theorie vom sprachlichenMarkt (1977) zurückgreifen und argumentieren, dass semiotische Ressourcen, wiez.B.sprachlichesKapital, im touristischen Kontext marktori- entiertangeeignet und somit in wirtschaftliches Kapital umgewandeltwerden können. Der Verweis oder die Nutzung bestimmter Sprachen im Branding dienen der Produktion und Performanz einer spezifischen, konsumierbaren Identitätder Destination als Ortoder ihrer BewohnerInnen. Dabei ist die sprachliche Fremdkonstruktion des jeweiligen Marktes entscheidend fürdie sprachliche Selbstdarstellung der Tourismusdestination (Kelly-Holmes und Mautner 2010). Die dynamischen (De-)Konstruktionen der Sprachgrenze im Datenmaterial zeigen anschaulich auf, dass sprachliche Grenzen keine fixen, stabilen, im Raum verankerten Trennlinien, sondernideologische und relatio- nale Konstrukte sind, die je nach Ziel geltend gemachtoder überbrückt werden, oder auch ganz verschwinden (Auer 2004;Barth 1969;Barth 2002;Jones 2009; Gal und Irvine 1995). Ebenso verändertsich die Bedeutung des Begriffs der Zwei(-)sprachigkeit. Der Begriff der Zweisprachigkeit verweist im Marketing- diskurs sowohl aufdie Koexistenz vonSprecherInnen zweier Idiome, die aller- dings nichtzwingendermassen beide Sprachen gleichermassen beherrschen, als auch aufSprecherInnen mit zwei- bzw.mehrsprachiger Kompetenz. D. h. alte monolinguale Vorstellungen werden mobilisiertund mit neuen, vielfaltsge- prägten, teilweise neoliberal orientierten und aufsprachliche Flexibilitätaus- gerichtetenDiskursen vermischt. So wird Mehrsprachigkeit aufder einen Seite in ihrer Funktion als Authentizitäts- und Lokalitätsindex wirtschaftlich genutzt, aufder anderen Seite in ihrer kommunikativen Funktion, um Zugang zu einem grösseren und sprachlich heterogenen Markt zu erhalten (DuchÞne undDel Percio 2013). Die dabei auftretenden Spannungen äussernsichinvariablen Entwürfen und Formulierungen der lokalen sprachlichenSituation.

und schriftlichen Kommunikationssituationen findet, wird das Schweizerdeutsche vorwie- gend zur mündlichen Interaktion verwendet.

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 V. Personalmanagement –Regulierung der Spracharbeitsressourcen

1. Sprachkompetenzen und -grenzen in einer globalisierten Arbeitswelt

Die im Marketing versprochene Zwei- bzw.Mehrsprachigkeit der Bevölke- rung Murtens muss auch vor Ortbeim Gästekontakt realisiertwerden (Baum, Hearns und Devine 2008).Das »living the brand«(Aronczyk 2008) fällt in den Aufgabenbereich derjenigen Beschäftigten der Tourismusindustrie, die im di- rekten Kundenkontakt die Destination in einer attraktiven, sprachlich authen- tischen, aber dennoch verständlichen Weise(re)präsentieren sollen, und dies nichtselten in mehreren Sprachen fürein sprachlich heterogenes (inter)na- tionales Gästepublikum. Um den unterschiedlichensprachlichen Anforderun- gen und Bedürfnissen dieses sprachlich breit gefächerten Markts entgegenzu- kommen, muss die Tourismusindustrie, je nach Position, Aufgabe,Art des Kundenkontakts und des Gästesegments, überArbeitskräftemit bestimmten Sprachkenntnissen und kommunikativen Kompetenzen verfügen bzw.diese geschickt einzusetzen wissen. MehrsprachigeArbeitsplätze präsentieren sich als geeignetes Forschungsterrain, um zu untersuchen, wiesprachlicheDiversität gemanagtund reguliertwird.Indiesem Sinne entpupptsich der mehrsprachi- ge Arbeitsplatz auch als Schlüsselszene, um Wissen zur politischen Ökonomie vonsprachlichen Differenzierungs- und Grenzziehungsprozessen zu generie- ren. Im folgenden Kapitel werden diese sprachlichen Kategorisierungs-, Diffe- renzierungs- und Grenzziehungsprozesse im mehrsprachigen Arbeitskontext der Murtner Tourismusindustrieander Sprachgrenze näher ins Auge gefasst. Dabei werden verschiedene Formen vonsprachlichen Grenzen im Arbeitsalltag diskutiert, Grenzen die den Zugang zu symbolischen und materiellen Res- sourcen regulieren und Fragen der Authentizitätund Legitimitätinvolvieren. Anhand vonunterschiedlichen Rekrutierungsprozessen wird untersucht, wie die TourismusindustrieihresprachlichenRessourcen organisiertund welche institutionellen Logiken, Interessen und Vorstellungen vonSprache diesem

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 178 Personalmanagement –Regulierung der Spracharbeitsressourcen

Managementzugrunde liegen.Von Interesse ist also,welche Sprachen/Varietä- ten eine Arbeitskraftfürverschiedene Tätigkeitsbereiche der Murtner Touris- musindustrieander Sprachgrenze beherrschen muss,auf welchem Niveau,und ob es eine Rolle spielt, ob sie diese Sprachen/Varietäten mit oder ohne Akzent spricht. Der Untersuchungsfokus liegtdabei aufder Frage, wann und wiebei der Definitiondes idealen sprachlichen Profils einer/s Beschäftigten der Touris- musbranche(sprachliche) Grenzen gezogen werden, auswelchen Gründen und mit welchen Auswirkungen fürdie jeweiligenSprecherInnen. Die Rekrutierungspraktiken fürverschiedene Tätigkeitsbereiche im loka- len Tourismusinformationsbüro werden uns dabei als Beispiel dienen. An- hand vonethnographischen Daten mehrerer Rekrutierungsprozessefürunter- schiedliche Positionen (vonPraktikantInnen überGästebetreuerInnen oder StadtführerInnen bis hin zur Kaderposition) werdeich in einem ersten Schritt jeweils die Aushandlung der Rolle vonSprachkenntnissen fürdie Definition des idealen Profils der/des jeweiligen Tourismusbeschäftigten und fürden Zugang zum Arbeitsmarkt in der lokalen Tourismusindustrie näher beleuch- ten. In einem zweiten Schritt werdeich die Rolle der Sprachkenntnisse im Ar- beitsalltag ausgewählter Personen aufzeigen und ihre Bedeutung fürErfolg und Anerkennung am Arbeitsplatz diskutieren. Dabei werdeich mich in meiner Analyse vorallem aufdie Frage konzentrieren, unter welchen politökonomi- schen Bedingungen und mit welchen sprachideologischen Logikensprachliche Grenzen beider diskursiven Konstruktion der legitimen, kompetenten Ar- beitskraftgeltend gemachtoder aber als irrelevantbetrachtet werden. Diese Herangehensweisewird mir erlauben, Antworten aufdie Forschungsfrage II nach der Rolle der Sprachkompetenzen der Arbeitskräftefürden Zugang zum touristischen Arbeitsmarktund fürdie Arbeits(ver)teilung zu formulieren.

2. Die Auskunft für TouristInnen

Als emblematische touristische Institution soll zunächst das lokale Touris- musinformationsbüro vonMurten (TIB) näher beleuchtet werden. Als touris- tische Anlaufstelle fürAuskünfte jeglicher Art, stehtdas Team vonTIB im Ar- beitsalltag in Kontakt mit völlig verschiedensprachigen BesucherInnen der Stadt Murten, aber auch mit lokalen StakeholderInnen. In den nächsten (Un- ter-)Kapiteln wird untersucht, wiedie Institution ihresprachlichenRessourcen in Form der MitarbeiterInnen selektioniertund managt. Zunächst werde ich die Institution und deren Tätigkeitsbereich vorstellen, um schliesslich anhand von Beispielen verschiedener MitarbeiterInnen aufzuzeigen, welche Rolle Sprach- kenntnisse sowohl fürdie Rekrutierung der MitarbeiterInnen als dannauch für

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2.1 Forschungsfokus:Das Tourismusinformationsbüro

Im direkten Kundenkontakt, am Telefon oder per Mail versuchtdas Team von TIB die Anfragen der BesucherInnen Murtens zu beantworten und sie mit In- formationsmaterial (z.B. Broschüren, Karten der Region, Flyer mit Informa- tionen zum aktuellen lokalen Veranstaltungsprogramm und zu touristischen Aktivitäten usw.) zu versorgen. Murten ist Veranstaltungsortfürverschiedene Sportveranstaltungen und Musikfestivals. TIB beteiligtsich häufig beider Or- ganisationdieser Events und koordiniertnichtselten auch den Ticketvertrieb. Des Weiteren wird eine Webseite unterhalten, aufder die wichtigsten Informa- tionen zur Geschichte der Stadt, zum touristischen Angebot und den aktuellen Veranstaltungen in Deutsch, Französisch und Englisch zu findensind. Während bis Mitte des letzten Jahrhunderts mit der touristischen Vermark- tung der Region mehrheitlich geschichtsinteressierte Individualpersonen (z. B. Lehrer,Stadthistoriker) betrautwurden, findet diese heute in einem zuneh- mend professionalisierten und institutionalisierten Rahmen statt. Die perso- nelle Besetzungvon TIB bestand im Frühjahr 2013 auseinem fünfköpfigen Team, welches durch den Direktor und vier Gästebetreuerinnen (Guest Relation Managers)verkörpertwurde. Jede der vier Gästebetreuerinnen war einerseits fürden Gästeempfang zuständig und hatte individuell jedoch noch eine wei- tere Verantwortung inne, z.B. die Betreuung der Webseite, die Buchhaltung des Bürosoder die Organisation und Buchungskoordination vonStadtführungen. Hinzu kommt ein grosser Anteil an Übersetzungsarbeit, der tagtäglich anfällt: nahezu jede Information muss mindestens in Deutsch und Französisch gelie- fertwerden, sei es nunauf der Webseite, in einer Broschüre oder einer Presse- mitteilung, wenn auch wirklich alle deutsch- und französischsprachigen Zei- tungen der zweisprachigen Region abgedeckt werden sollen. Bestimmte Infor- mationen werden zudem auch aufEnglisch benötigt.92 All diese Aufgaben basieren grundlegend auf»Spracharbeit« (Boutet 2008, 2001;Heller und Boutet 2006). Aber nichtnur in dieser Hinsichtist Sprache ein wichtiges Arbeits- werkzeug: TIB arbeitet schliesslich nichtals isolierte Einheit, sondernoperiert

92 Die Informations-und Promotionsmaterialien, die in anderen als den lokalen Sprachen angeboten werden, werden meist vonMitarbeiterInnen der Tourismusinstitutionen mit entsprechenden Sprachkenntnissen selbst übersetzt und nur dann an externe Übersetze- rInnen weitergegeben, wenn niemand im Büro die Zielsprache ausreichend beherrscht. Bei TIB übernehmen vielfach auch StadtführerInnen mit entsprechenden Sprachkenntnissen die Rolle des Übersetzers bzw.der Übersetzerin.

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 180 Personalmanagement –Regulierung der Spracharbeitsressourcen in einem grossangelegten Netzwerk vontouristischen Institutionen (siehe Ka- pitel III.1.3). Das Büroteam muss Sprachgrenzen überwinden, um eng mit an- deren lokalen TourismusanbieterInnen und PartnerInnen zusammenarbeiten zu können, wiez.B.mit Hotels und Restaurants oder mit den übergeordneten (pol)regionalen und nationalen Tourismusinstitutionen und Organisationen (siehe Kapitel III.1.3). Auffallend beim generell rechtjungen TIB-Team, dessen MitarbeiterInnen ungefähr zwischen 20 und 40 Jahrealt sind, ist der Gender-Bias, den ich auch in anderen touristischen Organisationen antraf. Während die Kaderpositio- nen vonmännlichemFührungspersonal besetzt sind, bestehtdas Team häufig mehrheitlich ausweiblichen Mitarbeiterinnen, die nichtselten auch nurteil- zeitbeschäftigtsind. Teilweise stammen die MitarbeiterInnen ausder Gegend, die sie vermarkten, andere wiederum sind zugezogen. Häufig haben die Mit- arbeiterInnen ein Studium in Medien- und Kommunikationswissenschaften oder aber die Tourismusfachschule absolviert, wodurch sie eigentlich fürdie Tätigkeit im Tourismusinformationsbüro überqualifiziertsind. Auch der Di- rektor vonTIB bestätigtemir,dass seine Mitarbeiterinnen fast alle übereinen Hochschulabschluss verfügen würden, obwohl prinzipiell schon eine Ausbil- dung reichen würde. Aufgrund der Belastung durch den hohen Arbeitsauf- wand einerseits, der sich zudem nichtauf die üblichen Büroöffnungszeiten beschränkt, sondernzudem viel Abend- und Wochenendarbeit miteinbezieht, und einer gewissen Unterforderung andererseits, ist daraus resultierend eine relativ hohe Fluktuation beiden MitarbeiterInnenzuverzeichnen. Eines haben die TIB-MitarbeiterInnen alle gemeinsam:sie sind mehrsprachig.Nach einem ersten Blick aufdas Sprachenprofil der MitarbeiterInnen scheintes, als würden Französisch und Deutsch, wenn möglich auch Kompetenzen in Schweizer- deutsch und Englisch vorausgesetzt werden, während weitere Fremdsprachen- kenntnisse nichtnotwendig,aberwillkommen sind. Zum gegebenen Zeitpunkt meiner Feldforschung verfügten die MitarbeiterInnen nämlich alle überdas oben beschriebene Profil und zusätzlich noch überItalienisch-, Spanisch- und Portugiesischkenntnisse. Wiewichtigdie einzelnen Sprachkenntnisse letzt- endlich jedoch wirklich sind, welche Funktionen diese Sprachen/Varietäten für die Arbeit beiTIB haben und ob die Sprachkompetenzen den Zugangzum touristischen Arbeitsmarkt in Murten oder sogar innerhalb dieses Marktes den Zugang zu einer bessergestellten Position regeln, wird in den folgenden Unter- kapiteln genauer analysiert.

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2.2 Zweisprachig, aber nur einer Sprachgemeinschaft zugehörig

Als mein Doktorvater und ich im Frühjahr 2013 mit der Feldforschung in der Murtner Tourismusindustriebegannen, trafen wirals eine der ersten unserer Kontaktpersonen den Direktor vonTIB. Er erzählte uns überseine Arbeit und wieesdazu gekommen war,dass er Ende des Jahres 2008 fürden Posten des Direktors engagiertworden war.Der Direktor,ich werde ihn hier zum Zwecke der Anonymisierung Simon nennen, war zu diesem Zeitpunkt Anfang 30. Er war in Murten in einer zweisprachigen Familie aufgewachsen. Seine Mutter sprach mit ihm Schweizerdeutsch, sein VaterFranzösisch.Seine gesamte Schulausbildung absolvierte Simon dann jedoch aufFranzösisch,zunächst an der französischsprachigen Schule in Murten, später dann in Freiburg.Schli- esslich studierte er KommunikationswissenschaftinFreiburg –ebenfalls auf Französisch. Auch wenn sich Simon zeit seines Lebens immer in der Gegend an der (schweizer)deutsch-französischen Sprachgrenze aufgehalten hatte und fli- essend Französisch, Deutsch und Schweizerdeutsch spricht, ist das Französische aufgrund seiner schulischen und akademischen Ausbildung aufFranzösisch als seine stärkste (Schrift-)Sprache zu werten. Als wirFragen zum idealen sprachlichen Profil stellten, das man aufweisen sollte, um in Murten in der Tourismusindustriearbeiten zu können, und ob Sprache beider Rekrutierung ein Selektionskriterium sei, entgegnete Simon prompt, dass er es rückblickend eigentlich fürerstaunlich halte, dass er 2008 fürden Direktionsposten akzeptiertworden war.Ererklärte, dass seine Kom- petenzen im Schweizerdeutschen aufgrund fehlender Übung zum Zeitpunkt seiner Anstellung eher unterentwickelt waren. Schliesslich fügteeran, dass es sich beider Entscheidung,ihn ungeachtet seiner unzureichenden Kompetenzen im Schweizerdeutschen anzustellen, eigentlich um eine sehr risikoreiche Ent- scheidung fürden Vorstand des Trägervereins des Informationsbürosgehandelt habe, die negative Auswirkungen haben hätte können. Als wirihn baten, uns dies näher zu erläutern, antwortete er uns:

1 SIMON :jesalue justement l’ouverture d’esprit, parce que c’est vrai que 2 c’est un poste quand mÞme symboliquementimportantaussi 3 pourunendroit/ et la question de la langue est toujours sensible. 4 donc c’est clair si on engage une personnequi est franc-=ben 5 plutôtfrancophone, je trouveque c’Øtait un choix peut ÞtrerisquØ 6 poureux, parce que si j’Øtais pas à l’hauteur des attentes en plus 7 du côtØ de la langue Åa pouvait leur retomber dessus. d’un autre 8 côtØ je pense que le fait que j’ai grandi à morat/ et que je sois 9 moratois apesØ dans la balance aussi. donc et toutdØpend

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10 toujours des autres dossiers qu’il yaàdisposition. mais au final 11 c’est vrai je me suis rendu compte aussi, ils avaientcertaines peurs 12 avec moi, mais c’Øtait pas sur la langue hein. OUI Åa leur faisait 13 soucis mais je crois qu’ils onttoute de suite rØalisØ aussi que Åa 14 allait aller assez vite pourl’apprentissage de la langue, finalement 15 je parle le suisse allemand pas hochdeutsch ce qui aupr›sdes 16 partenaires ce qui se passe beaucoupmieux.

Übersetzung

1 SIMON:ich begrüsse einfach nurdiese offene haltung, weil es stimmt 2 schon es handelt sichdaumeinen posten der eine wichtige 3 symbolische bedeutung hat auch füreinen ort/ und das 4 sprachenthema ist immer ein sensibles thema. es ist also klar dass 5 wenn man eine franz-=oder besser eine eher 6 französischsprachige person einstellt, ich finde daswar doch eine 7 risikoreicheentscheidung fürsie weil wenn ich nun ihre 8 erwartungen nichthätte erfüllen können, vorallem was die 9 sprache anbelangt, dashätte aufsie zurückfallen können. aufder 10 anderen seite denkeich, dass die tatsache, dass ich in murten 11 aufgewachsen bin/ und dass ich murtner bin hat sicherlich auch 12 eine wichtige rolle gespielt. und alles hängtehimmer auch davon 13 ab,was sie fürbewerbungsdossiers zur auswahl haben. aber 14 letztendlich, dasstimmt schon, das habeich gemerkt, sie hatten 15 schon ein wenig ihre bedenken mit mir.aberdas war nichtwegen 16 der sprache. JA,klardas hat ihnen schon sorgen bereitet, aber ich 17 glaube sie haben auch sofortgesehen, dass ich die sprache recht 18 schnell lernen würde. letztendlich spreche ich ja 19 schweizerdeutschund nichthochdeutsch, was beiden partnern 20 doch viel besser ankommt.

AlsSimon (Zeilen4–9)erläutert, worin dieses angedeuteteRisikogenau bestand, setzteran, sich selbst alsfrankophone Person zu beschreiben,stocktjedoch dann, unterbrichtsich und formuliertdie sprachliche Kategorisierung seiner Person neu. Dabei schwächterdie eindeutige Zuordnung zu einer klar abgegrenzten Sprachgemeinschaftab, indem er sich als »eher französischsprachige Person«, d.h. nichtNUR als frankophone Person und somit implizit als zweisprachige Person beschreibt (Pennycookund Otsuji 2016). Doch zweisprachig zu sein, scheintinMurten nichtauszureichen. Simon wird vonder Lokalbevölkerung sprachlich als der lokalen französischen Minderheit (welcheetwa 15 %der

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Bevölkerung entspricht, gegenübereiner 80 %-Mehrheit an Deutschsprachi- gen)93 zugehörigklassifiziert. Dieser Kategorisierung liegen moderne Vorstel- lungen vonSprache zugrunde, die davonausgehen, dass (selbst mehrsprachige) Personen nur in einer Sprache wirklich »muttersprachliche Kompetenzen« haben können, dementsprechend nurlegitime und authentische SprecherInnen dieser einen Sprache sind und als solche auch voneiner imaginären Gemein- schaftder SprecherInnen dieser Sprache anerkanntwerden und dieser Ge- meinschaftangehören (Muttersprachenideologie) (Piller 2001b). Da Simon im Schweizerdeutschen manchmal ein wenig unsicher ist und das Französische als seine starkeSprache wahrgenommen wird, wird er als französischer »Mutter- sprachler« identifiziertund als der französischen Sprachgemeinschaftzugehö- rigverstanden.Der obige Interviewausschnitt zeigtzudem deutlich die sym- bolische und politische Relevanz des Direktionspostens als touristischen Re- präsentanten der Stadt auf, mit dem eine bestimmte Erwartungshaltung in Bezug aufSprachwahl und Performanzverbunden sind. Simon erklärt darüber hinaus, dass nichtnur die Sprache vonBedeutung ist. Nebender Zweispra- chigkeit, spielt ebenfalls die Herkunfteine entscheidendeRolle, da es ange- messen erscheint, aufdiesen Posten eine ortsstämmige Person einzusetzen. Und auch welche Dossiers an KonkurentInnen vorliegen, spielt eine Rolle (was sich auch später noch bestätigen wird). Gleichzeitignegierteraberseine Argu- mentation,dass Sprache nureines der Kriterien sei, da er präzisiert, dass er – obwohl er ausMurten stammt– nichtals legitime, lokale Person akzeptiert worden wäre, wenneranstelle der lokalen schweizerdeutschen VarietätHoch- deutsch sprechen würde. Eine lokalgefärbte Sprache ist hier eindeutiger Marker vonZugehörigkeit und lokaler Identität. Wichtigzuerklären ist jedoch, dass seine Aussage nichtsogedeutet werden darf, dass er kein Hochdeutsch be- herrscht, sonderndasserebenzusätzlich auch Schweizerdeutsch beherrscht. Die symbolische Bedeutung der Position des Direktors des Tourismusinfor- mationsbüros wird sogar noch deutlicher,als uns Simon später im Interview von einer bestimmten Reaktionauf seine Anstellung hin erzählt. So habeer, als er die Stelle angetreten habe, einen anonymen Brief erhalten, in dem er daran erinnert wurde, dass Murten deutschsprachig sei und er –als Französischsprachiger – sich sprachlich dementsprechend anzupassenhabe. Die Akkommodations- ideologie, die diesem »Mehrheitsdiskurs« unterliegt, fordertalso vonSimon eine sprachlich angepassteRepräsentation der Stadt durch die Performanz der Sprache der Mehrheit. Die Sprachenfrage ist in Murten wieauch in anderen Teilen der Schweiz bzw.auf nationalem Niveau in der Tat–und wiebereits in Kapitel III.1 angedeutet –ein delikates Thema,das eine gewisse politische Bri-

93 Stand 01.01.2016;Quelle:Stadtverwaltung Murten http://www.murten-morat.ch/de/por trait/zahlenundfakten/zahlenfakten/ (Abrufdatum 22.10.2016).

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 184 Personalmanagement –Regulierung der Spracharbeitsressourcen sanz birgt. Obwohl Simon in Murten zweisprachig aufwuchs und alle drei lo- kalen Sprachen Französisch, Schweizerdeutsch und Hochdeutsch fliessend be- herrscht, wird seine Person vonmanch einem ausschliesslich der französisch- sprachigen Sprachgemeinschaftzugeordnet. Dies entsprichtjedoch nichtden Erwartungen bezüglich der sprachlichen Performanz, die mit der Stelle des touristischen Vertreters einer schweizerdeutschsprachigen Stadt verknüpftsind. Der Verfasser des anonymen Briefes ignoriertnichtnur Simons zweisprachige Kompetenzen, oder besser gesagt, seineKompetenzen im Schweizerdeutschen, er unterschlägt auch vollkommen die lokale Präsenz des Französischen. Simon hat fortan dasGefühl, er müsse beweisen, dass er fähig ist, Schweizerdeutschzu sprechen –die Sprache,die im anonymen Schreiben als einzige lokale Sprache dargestellt wurde. Um die mit seinem Posten verknüpften Erwartungen an eine bestimmte sprachlichePerformanz zu erfüllen, beschliesst Simon beiArbeits- sitzungenund öffentlichen Auftritten sein Schweizerdeutsch zu demonstrieren. Undauch wenn Simon im weiteren Verlauf des Interviews insistiert, dass es sich beidiesem Brief um die einzige negativeReaktionauf die Wahl seiner Person hin gehandelt habe, und der Brief eigentlich nichtweiter zu erwähnen sei, hat er doch einen grossen Einfluss aufSimons Sprachwahl –und wiewir später fest- stellen werden, auch aufdie Definition seiner eigenen Selektionskriterien bei späteren Rekrutierungsverfahren, beiwelchen er Entscheidungsträger ist.

2.3 Mehrsprachige Muttersprachlerin

In dem Interview mit Simon kamen wirunter anderem auch aufden Berg an Übersetzungen zu sprechen, den das Team des Tourismusinformationsbüros zu bewältigen hat. Idealerweise sollten alle Angestellten nahezu perfekt zwei- sprachig in Französisch und Deutsch sein und zudem, wenn möglich, auch noch Englisch beherrschen. Gleichzeitig wird stark darauf geachtet, dass die Anzahl an französisch-und deutschsprachigenMitarbeiterInnen ungefähr ausgegli- chen ist. Dies ermöglicht, dass alle MitarbeiterInnenflexibel fürdie Überset- zungsarbeit eingesetzt werden können. Gleichzeitig wird verhindert,dass die Arbeit in einer bestimmten Sprache aufeine einzige Person zurückfällt. Auf- grund der Tatsache, dass anscheinend »muttersprachliche« Kompetenzen nö- tigsind, um eine fehlerfreie Übersetzung zu liefern oder dasKorrekturlesen von Übersetzungen zu gewährleisten, wird jede(r) der grundsätzlich eigentlich zwei-/mehrsprachigen MitarbeiterInnen als entweder deutsch- oder franzö- sischsprachig kategorisiert.Simon insistiertzwar aufdie Notwendigkeit von zwei- oder mehrsprachigen Kompetenzen, vertritt aber hier ebenfalls die idea- lisierte Ansicht, dass eine mehrsprachige Person nur in einer Sprache ihres mehrsprachigen Repertoireswirklichkompetentsein kann (Leung,Harris und

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Rampton1997).Gemäss dieser Muttersprachenideologie wird jede(r) Mitar- beiterIn als Sprachexpertinbzw.Experte fürihrebzw.seinestarkeSprache betrachtet. Im Zusammenhang mit der eben beschriebenen, arbeitsrelevanten Bedeu- tung vonmuttersprachlichen Kompetenzen,erzählte uns Simon überseine Schwierigkeiten, in einem aktuellen Auswahlverfahren im Rahmen der Rekru- tierung einer neuen Praktikantineine Entscheidung zu treffen.

1 SIMON :donc l’Øquilibre est relativementbon actuellement. la question se 2 pose justement, c’est assez intØressant sur maintenant 3 l’engagementd’une nouvelle stagiaire. j’ai le choix entreun 4 dossier d’une personne locale qui parle le suisse allemand, aune 5 relative mauvaise maîtrise du franÅais/ et une autrepersonne qui 6 langue maternelle franÅaise, qui maîtrise le hochdeutsch 7 ((allemand)) pas le suisse allemand, uh là je trouve qu’il yaquand 8 mÞme une hØsitation c’est une esp›ce bah une rØticence à 9 l’engager,mÞme que je sais que au niveauprofessionnel elle est 10 plus intØressante/ mais bonÅapenchera sur ce côtØ là,parce que 11 justementl’Øquilibre à respecter.jepense que à trois 12 francophones on est pastroppour la rØalisation, il faut faire 13 attention que toutes les traductions finalementaillentpas sur une 14 personne en particulier,donc je pense la- l’Øquilibresera 15 re= respectØ au niveaudes langues. j’ai toujours peur que 16 au niveausymbolique, au niveaupolitique (.) on ait l’impression, 17 bah qu’on se dise, ah voilà,ledirecteur francophone .h il essaie de 18 franciser euh notre rØgion et Åa j’ai toujours un petit peu 19 d’apprØhension sur Åa. je vois aussi derni›rementdans le 20 tourisme dans la rØgion, des postes clØssontoccupØspar des 21 francophones.

Übersetzung

1 SIMON:also momentan ist das gleichgewichtrelativgut.die frage stellt 2 sich nun gerade wieder,und das ist ziemlichinteressant, beider 3 einstellung einer neuen praktikantin. ich habedie wahl zwischen 4 einem dossier einer person vonhier,die schweizerdeutschspricht 5 aber nurrelativ schlechtdas französische beherrscht/ und eine 6 andereperson französischer muttersprache, die hochdeutsch 7 kann,aberkein schweizerdeutsch, puh da zögere ich doch ein 8 bisschen, da spüre ich eine artvorbehaltsie zu engagieren, 9 obwohl ich weiss, dass sie aufrein beruflicher ebene viel

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10 interessanter ist/ aber gut, das würde sogar auch fürsie sprechen, 11 weil wirdarauf achten müssen,dass wirein gleichgewichthaben. 12 ich denkenicht, dass wirmit drei frankophonen zu viele fürdie 13 bearbeitung der übersetzungen sind. wirmüssen schliesslich 14 aufpassen, dass nichtalles an einer person hängen bleibt, drum 15 denkeich, dass wirsodas- das gleichgewichtbezüglich der 16 sprachen halten würden. ich habeimmer angst, dass man aus 17 einer symbolischen und politischen perspektiveden eindruck 18 erhält,mhm halt das mansagt, ah schau, der frankophone 19 direktor versuchtjetzt unsere region zu französisieren. vor sowas 20 hab ich immer ein wenig bammel. ich habeauch bemerkt, dass in 21 der letzten zeit im tourismussektor unserer region die 22 schlüsselposten mit frankophonen besetzt sind.

Die französischsprachige Kandidatin, welche er in die engere Wahl gezogen hat, kann im Vergleich zur anderen schweizerdeutschsprachigen Kandidatinein interessanteres berufliches Profil aufweisen. Auch ihre Französischkompeten- zen sind angesichts der aktuellensprachlichen Situation der MitarbeiterInnen beiTIB ausarbeitstechnischen und ökonomischen Gründen mehr als will- kommen, da im Hinblick aufdie Arbeitsteilungder Übersetzungsarbeit eher eine französischsprachige Person gebrauchtwird. Eigentlich würdealles fürdie junge Frausprechen, aber Simon zögert, sie anzustellen, da er befürchtet, dass man ihm nachsagen könnte, er würdeversuchen die Tourismusbranche der Region zu französisieren (Zeile 19). Dabei spielt er aufdie symbolische und politische Bedeutung und Mehrheitsstellungdes Schweizerdeutschen in Murten an. Das Französische hat in der Region klar den Status der Minderheit. Indem Simon mehr frankophone MitarbeiterInnen anstellt,wäre die lokalvorzufin- dende Sprachenhierarchie im Team vonTIB nichtmehr reflektiert. Dies scheint aber manchen Leuten ein DornimAuge zu sein, die sichvon einer touristischen Institution, die die Stadt repräsentieren soll, auch erwarten, dass vondieser Institution als ein Charakteristikum der Stadt auch das sprachliche Gefüge der Lokalpopulation repräsentiertwird. Die Stadt Murten begreift sich durch ihre hauptsächlich schweizerdeutschsprachige Bevölkerung im mehrheitlich fran- zösischsprachigen Kanton Freiburg selbst als Minderheit. Simons Kommentar zum Vorwurf, er würde die Region französisieren, ist aufdiese Minderheiten- situation gemünzt. So scheintes, als ob die schweizerdeutschsprachige Lokal- bevölkerung fürchte, vom französischen Einfluss Freiburgs überrollt zu werden und vorOrt die Mehrheitsposition zu verlieren. Es gehthier also ganz klar um Machtfragen, fürdie Simon in Rekrutierungsprozessen eine gewisse Sensibili- täthaben muss, will er fürseine Entscheidungen nichtkritisiertwerden und

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Die Auskunft für TouristInnen 187 weiterhin den Rückhaltder mehrheitlich deutschsprachigen Lokalbevölkerung geniessen (Mehrheitsdiskurs). Gleichzeitig versuchteraberseine Tendenz, die französischsprachige Kandidatinanzustellen, zu rechtfertigen,indemer immer wieder unterstreicht, dass das Gleichgewicht zwischen deutsch- und französischsprachigen MitarbeiterInnen dennochweiterhin gegeben wäre. Ausserdem bemerkter, dasswohl in der letzten Zeit in der Tourismusindustrie inder RegionSchlüssel- bzw. Führungspositionenmeistvon Frankophonen besetztsind.AndereTeile des Interviews zeigen auf,dasseinigezweisprachige aber dominantfranzösischsprachige Personen absichtlich fürFührungsposi- tionen in der Murtner Tourismusindustriegewonnen werden konnten, ent- weder um einegute Zusammenarbeit mit den mehrheitlichfranzösischspra- chigen Partnerinstitutionen zu garantieren oder mitdem Ziel die Aktivitäten verstärkt aufeinen französischsprachigen Markt auszuweiten. Diesbestätigt wiederum die Bedeutung des Französischen einerseits fürdie Arbeitsteilung im Hinblick auf Übersetzungen, aber auchfürdie Zusammenarbeitmit den Partnerinstitutionen des touristischen Netzwerkes.Daran anschliessend zählt Simon noch drei Personenauf,die nebenihm alsfrankophon kategorisiert werden undKaderposten in der Tourismusindustrie des Seebezirks inneha- ben. Er fügt an, dass es zwar noch keine negativenBemerkungendazu gab, weist aber dann auf einige extreme Positionen der öffentlichen Meinung hin, die v. a. beiDebatten, wieder um das Logo der StadtFreiburglaut werden und harteFrontenimöffentlichen Diskursentstehen lassen. Simonfürchtet sichtbar dieseextreme Haltung und möchte nichtder Auslöserfürsolche Debatten durcheinemöglicherweise falsche oder besser gesagtunerwünschte Rekrutierungsentscheidungsein. SeineRekrutierungskriterien schwanken einerseitszwischenden Sprachkompetenzen, die notwendigsind, um die Arbeit beiTIB angemessenleisten zu können (Arbeitsökonomischer Diskurs), und andererseits zwischen dem Druck der öffentlichenMeinung und dem Stellenwert der einzelnen lokalen Sprachen im öffentlichen Diskurs (Mehr- heitsdiskurs). Dieses Schwanken kommt im Interviewausschnitt durchSimons Pround Contra-Abwägung der Sprachprofile der beiden Kandidatinnen zum Ausdruck,bei der er zunächst diearbeitsrelevantenGründe (z.B. Zeile9»auf rein beruflicher Ebene«) unterstreicht, dann aber auch versucht, einzuschät- zen, wiedie öffentliche Meinung übersolch eine Rekrutierungsentscheidung urteilen könnte (Zeilen 16–20). Die Frage, ob man beiTIB auch nurmit Standarddeutschkenntnissen ar- beiten könnte, oder zwingendermassen Schweizerdeutsch beherrschen müsse, hatte ich einmal in einem anderen Interview an eine schweizerdeutschsprachige TIB-Mitarbeiterin gerichtet, die ich hier Lisa nennen werde:

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1 INTERVIEWERIN:mhm. (..) und wärdes nproblem wenn man jetzt zum 2 beispiel NUR deutsch sprechen würdeund kein 3 schweizerdeutsch/ wenn man hier arbeiten würde/ 4 LISA:solang dass man das schweizerdeutsch verste:htwärs 5 kein problem würd ich jetzt mal behaupten. weil 6 solang mans mans verstehtisokay. wenn mans nicht 7 verstehenwürde/ ja. dann würdeman sich anpassen 8 und ha=aufhochdeutsch sprechen. aber es hat auch 9 schon so:oft telefonate, die leutesprechen dann 10 schon eher schweizerdeutsch, ähm die leute die auch 11 ins büro kommen die reden schweizerdeutsch, ähm 12 des ist so dass WIR uns anpassen. wirpassen uns an 13 an den gästen an. also wenn jemand kommt und auf 14 hochdeutsch sprichtdannsprechen wirauch 15 hochdeutsch. wenn jemand kommt spricht 16 französisch sprechen wirfranzösisch. wirverlangen 17 jetzt nichtvon der person ja sprechen sie bitte (.) 18 hochdeutsch oder schweizerdeutsch mit uns. das ist 19 wirwir passen uns an den gästen an. an die sprache 20 der gäste eigentlich. (…) und ähm .h aber obs n 21 problem wär/ is schwierig zu sagen. ich glaubjetzt 22 eher nicht. so- solang die person auch französisch 23 kann. weil das ist schon wichtigdass man das auch 24 kann beiuns im büro.man muss schon deutsch und 25 französisch können. 26 INTERVIEWERIN:also französisch is (.) ne notwendigkeit aufjeden fall 27 LISA:ich würd schon sagen.

Lisas Aussagen zum idealen Ablauf der Spracharbeit, die charakterisiert ist durch die sprachliche Anpassung an den Markt bzw.die KundInnen (Akkom- modationsideologie) und die Flexibilitätzwischen mehreren Sprachenhin- und her Switchen zu können, um möglichst marktorientiertund (kosten)effizient zu arbeiten (Arbeitsökonomischer Diskurs), verschreibt sich einer neoliberalen Logik. Die Fähigkeit der sprachlichen Anpassung an die/den Gesprächspart- nerIn demonstrierte sie darüberhinaus selbst im Interview,indem sie sich sprachlich an mich (ich verstehe zwarSchweizerdeutsch, spreche es aber nicht) anpasste. Wenig später,als ich beiTIB vorbeikam, erfuhr ich, fürwelche Kandidatin sich Simon letztendlichentschieden hatte. Die Wahl war trotzseiner Vorbe- halte doch aufdie französischsprachige junge Fraugefallen. Sie hatte grosse

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Motivation fürdie Arbeit im Tourismusbüro gezeigtund gemeint, sie würde einen Sprachkurs fürdas Schweizerdeutsche machen, um an ihrer Schwäche in der lokalen Sprache zu arbeiten, die doch fürunabdingbar erachtet wird. Die junge Frau, nennen wirsie Anne, hatte zuvor als Stewardess gearbeitet und war es deshalb eigentlich gewohnt, mit verschiedensprachigen KundInnen kon- frontiertzusein, was eine gewisse sprachliche Flexibilitätabverlangt.InMur- ten hatte diese sprachliche Flexibilitätjedoch eine andere Dimension. Es war offensichtlich nichtgenug, dass sich Anne mit (schweizer)deutschsprachigen KundInnen verständigen konnte. Eine authentisch lokale Sprachperformanz schien erwartet zu werden. Wiewir bereits im ersten Beispiel vonder Anstellung vonSimon gesehen haben, führtdie Forderung nach mehrsprachigen Kompe- tenzen und einer authentisch lokalen Sprachperformanz in bestimmtenFällen zu Spannungen. Ichhatte mehrfach Gelegenheit, Anne beider Arbeit zu erleben und zu be- obachten, wiesie TouristInnen am Empfang mit Informationen versorgte, Telefonanrufe entgegennahm und ihrem Team eine neue, vonihr entwickelte Broschüre präsentierte. Anne hatte keine Kommunikationsschwierigkeiten mit dem ebenfalls mehrsprachigenTeam. Da ihre KollegInnenebenfalls Franzö- sisch beherrschten, konnten sie sich mit ihnen aufFranzösisch verständigen, was die Effizienz der internen Kommunikation in Form vonBesprechungen vereinfachte (Angouri und Miglbauer 2014;Dannerer 2008, 2007, 2005;Van Mulken und Hendriks 2014).Mit den (schweizer)deutschsprachigen KundInnen hingegen bemühtesich Anne, aufDeutsch zu kommunizieren. Sie war jedoch sichtbar gestresst, wennsie sich am Empfang oder am Telefon Kundenanfragen zuwenden musste, vondenen sie vorher nie wusste, in welcher Sprache sie formuliertwaren. Dabei kam sie nichtselten an ihre (sprachlichen) Grenzen. Vor allem wenn es sich um Anfragenauf Schweizerdeutsch94 handelte. Entgegen dem Prinzip,sich sprachlich an die KundInnen anzupassen, musste Anne in man- chen Fällen die schweizerdeutschsprachigen KundInnen bitten, ob sie sich nicht an sie anpassen und Hochdeutsch sprechen könnten. Nachdem Anne ihr Praktikum beiTIB abgeschlossen hatte, kommentierte Simon seine Entscheidung, sie angestellt zu haben, rückblickend noch einmalin einem Interview (vom 27. 03.2015).

94 Zumal es sich bei den schweizerdeutschenVarietäten, mit denen Anne sich im Kunden- kontakt konfrontiertsah, sicherlich nichtnur um die lokaleVarietät, sondernumver- schiedene schweizerdeutsche Varietäten handelte, da die BesucherInnen ausder ganzen Schweiz stammen konnten. Die schweizerdeutschen Varietäten könnensich lokal sowohl in Bezug aufdie gebrauchte Terminologieals auch in Bezug aufphonetische Merkmale sehr stark voneinander unterscheiden, was ihr Verständnis fürNicht-Dialekt-SprecherInnen noch erschwert.

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1 SIMON :c’Øtait passous condition mais elle m’avait dit qu’elle 2 allait faire un cours migrossuisse allemand parce que 3 (xxx) .h parce que juste bah c’est elle qui m’avait dit Åa 4 aussi à l’entretien que vraimenteuh. elle savait que 5 c’Øtait sa faiblesse. elle che=elle voulait absolument 6 travailler là. 7INTERVIEWEUSE :mhm 8 SIMON :etpuis et fr=et qu’une motivation comme Åa moi je je 9 me souvie=et Åa compense le probl›me de la langue. 10 elle fait des efforts. mais c’est vrai que Åa a ØtØ 11 beaucoup plus difficile pourelle euh sur les premiers 12 mois. et quand les gens ils entraient. c’est une question 13 d’efficacitØ apr›s. parce que les gens rentrent. on se 14 comprend pas toute de suite. si il faut Øcrire un mail il 15 faut demander à quelqu’un d’autre. on perd vite 16 beaucoup de temps. et puis il yale temps donnØ toute 17 la journØeondoit switcherdel’un à l’autre elle Åa l’a 18 fatiguØ beaucoup je pense qu’elle aeubeaucoup plus 19 de difficultØ au dØbutici que ailleurs à cause de la 20 langue. parce que en plus de toutes les nouvelles 21 choses qu’elle devait apprendreilyavait beaucoup de 22 choses elle savait pascommentdire. on aaussi des 23 +fachtechnischeuusdrücke((schweizerdeutsch))+ 24 ou il yades choses qui sontvraimentspØcifiques.

Übersetzung

1 SIMON:das warkeine bedingungabersie hattemir gesagt sie 2 würdeeinen schweizerdeutschkurs bei dermigros 3 klubschule machen weil (xxx).hweilnajasie hattemir 4 dasauchwährenddem vorstellungsgespräch gesagt 5 dass wirklich ähm siewusste dass dasihreschwäche 6 war. siedass=siewollteunbedingt hier arbeiten. 7INTERVIEWERIN: mhm 8 SIMON:und dann und fr=und solch eine motivation ich ich 9 erinneremich=und das kompensiertdas problem der 10 sprache. sie strengtsich an. aber es stimmt, dass es für 11 sie in den ersten monaten ähsehr viel schwieriger war. 12 und wenn leute insbüro kamen. da ist es eine frage der 13 effizienz. weil die leute kommen rein. manversteht

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14 sich nichtsofort. wennesdarum gehteine mail zu 15 schreiben, muss man jemand anderen fragen. man 16 verliertschnell viel zeit. und wirhaben nureinen 17 gewissen zeitrahmen zur verfügung.den ganzen tag 18 muss manvon einer in die andere ((sprache)) 19 switchen. das hat sie sehr angestengt. ich denkesie 20 hatte zu beginn mehr schwierigkeiten wegen der 21 sprache hier als auch woanders. weil sie nichtnur all 22 die neuen dinge lernen musste sondernauch weil sie 23 nichtwusste, wieman dazu sagt. wirhaben auch 24 +fachtechnischeausdrücke((schweizerdeutsch))+ 25 und es gibt sachen die wirklichspezifisch sind.

Im obenstehenden Interviewausschnitt kommen andere, sprachunabhängige Rekrutierungskriterien zu Tage, die Simon in seiner Entscheidung leiteten:Die Motivation der Bewerberin. Der hohe Stellenwertder Motivation wird auch später beider Rekrutierung einer anderen Praktikantinsowie im Fall der Re- krutierung eines weiterenMitarbeiters (siehe Kapitel V.2.3) deutlich. In den Zeilen 8–10 äussertSimon die Meinung, dass eine grosse Motivation unzu- längliche Sprachkompetenzen»kompensieren« könnten. Im folgenden Ab- schnitt widersprichterdieser Aussage jedoch gleich wieder.Auch wenn Anne durch ihre Fachkompetenzen einige positiveAspekte oder gar Vorteile hatte, war sie in Simons Augen fürdie Arbeit beiTIB letztendlich nichtgenug »zwei- sprachig«. Sie sprach zwar rechtpassabel Hochdeutsch, hatte aber grosse Schwierigkeiten die schweizerdeutschsprachigen KundInnenund PartnerInnen zu verstehen. Laut Simon hatte Anne vor allem zu Beginn ihres Praktikums grosse Mühe, da sie nichtnur erst die Arbeitsabläufe beiTIB kennenlernen musste und alles noch Neufürsie war,sondern insbesondereweil sie dies alles in der Fremdsprache lernen musste. Ihre fehlenden Sprachkompetenzen stellten letztendlich ein Hindernis fürihre Arbeitseffizienz dar (Dannerer 2008, 2007, 2005). Ausdiesem Grund ziehtSimon das Fazit, dass Schweizerdeutsch in Murten unabdingbar fürdie Arbeit mit KundInnenen und PartnerInnen ist. Beider Wahl einer NachfolgerinfürAnnes Praktikantenstelle in der Gäste- betreuung hatte sich Simon letztendlich dannauch füreine schweizerdeutsch- sprachige Praktikantin entschieden, die ausMurten stammte. Laut einer Inter- viewaussage (ebenfalls vom 27. 03.2015) hatte sich Simon fürsie entschieden, da sie eine Ausbildung an einer Tourismusfachschule absolvierte, bereits Erfahrung im Tourismus in einem Murtner Hotel gesammelt hatte und sich darüberhinaus ebenfalls als äusserst motiviertfürdie Praktikantenstelle gezeigthatte. Wieanhand des Beispiels der Anstellung vonSimon als auch beider Re-

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2.4 Die Relevanz von Sprachkenntnissen:Verhandelbar

Im Frühling 2015 schrieb TIB zweiStellen aus: zum einen war eine neu ge- schaffene Stelle im Bereich Kommunikation und Multimedia zu besetzen, zum anderen brauchte es eine neue Leitung fürdie Zweigstelle im französischspra- chigen NachbarortVully-les-Lacs am anderen Ufer des Murtensees. Das Dorf Vully-les-Lacs kann nur eine geringe Anzahl an Übernachtungen aufweisen, sodass es nichtrentabel gewesen wäre,dortein eigenes Tourismusinformati- onsbüro einzurichten. Ausdiesem Grund war die Informationsstelle vonVully- les-Lacs an das Murtner Büro TIB angegliedertund unterlag demselbenMa- nagement. Zum Zeitpunktdes Beginns des Rekrutierungsprozesses bestand das Team beiTIB ausdem Direktor und fünf weiblichenMitarbeiterinnen. Diejenige Mitarbeiterin, welche die Verantwortung fürdie Aussenstelle in Vully-les-Lacs innehatte, BØatrice, hatte angekündigtdas Büro zu verlassen und musste nun durch eine(n) neue(n) MitarbeiterIn ersetzt werden. Wiebereits erwähnt, werden fürdie Übersetzungsarbeit »muttersprachliche« Kompetenzen erwartet und die MitarbeiterInnen vonTIB ausdiesem Grund als entweder deutsche oder als französischeMuttersprachlerInnen kategori- siert, obwohl sie grundsätzlich eigentlich alle problemlos in beiden Sprachen kommunizieren können. Im Frühjahr 2015 war das Verhältnis vondeutsch- und französischsprachigen MitarbeiterInnen beiTIB unausgeglichen (Abb.20). Zum gegebenen Zeitpunkt waren alle Mitarbeiterinnen dominantschweizer- deutschsprachig.Die französischsprachige PraktikantinAnne war durch ihre schweizerdeutschsprachigeNachfolgerinabgelöst worden undSimon,der neben BØatrice bereits vorherder einzigeFranzösischsprecher gewesenwar,fandsich

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deutschsprachig französischsprachig Direktion zu besetzende Stellen

Verantwortung für die Kommunikation/Multimedia ? Zweigstelle in Vully-les-Lacs & Gästebetreuung ?

Gästebetreuung Gästebetreuung Gästebetreuung Gästebetreuung & Organisation von & Webseite & Buchhaltung (Praktikantin) Stadtführungen

Abb. 20:Sprachenverhältnis beiTIB zum Zeitpunkt der Stellenausschreibung

Beide neu zu besetzenden Stellen wurden sowohl aufHochdeutsch als auch auf Französisch ausgeschrieben (Tab.2und Tab. 3). Die Mission der zukünftigfür den Bereich Kommunikation und Multimedia zuständigen Person wurde mit der Entwicklung eines neuen touristischen Informationskonzepts angegeben. Zudem sollte die Person beim Gästeempfang und beider Organisationvon touristischen Veranstaltungen mithelfen. Um diese Aufgaben erfüllen zu kön- nen, wurden fundierte technischeFähigkeiten im Multimedia-, Graphik- oder Kommunikationsbereich verlangt. Die Aufgaben des zukünftigen Verantwortlichen der Zweigstelle im benach- barten französischsprachigen Vully-les-Lacs wurden mit der Leitung des lokalen Tourismusbüros, der Organisation vontouristischen Events, dem Management interregionaler Projekte, der Entwicklung touristischer Angebote in Zusam- menarbeit mit den Tourismuspartnernder Region und dem Gästeempfang umschrieben (Tab.3). Fürbeide Stellen wurde eine flexible, engagierte Person gesucht, die wenn möglich auch Kenntnisse überdie Region und das dortbestehende touristi- sche Angebot aufweisen sollte. Wasdie geforderten Sprachkenntnisse anbe- langt, so wurden in beiden Stellenanzeigen vonden potentiellen KandidatInnen zweisprachige Kompetenzen im Sinne der »perfekte[n] Beherrschung von Deutsch und Französisch in Wort und Schrift« verlangtsowie kunden- als auch teamorientierte kommunikative Fähigkeiten. Allerdings wurde nichtpräzisiert, um welche Varietätessich beim »Deutschen« handelte, also ob eine schwei- zerdeutschsprachige Person gesuchtwurde, oder Kenntnisse in Standard- deutsch ausreichten. Sowohl in der deutsch- als auch in der französischspra-

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Eine/-en MitarbeiterIn Kommunikation une/un collaborateur/trice Multimedia (80 %) communication multimØdia (80 %) Ihre Aufgaben… Vostâches… –Aufbauund Weiterentwicklung eines –Miseenplaceetgestion d’un concept touristischen Informationskonzeptes, d’information touristique adaptØ aux angepasstandie Bedürfnisseder Gäste besoins des hôtes –Grafische, redaktionelle und multime- –RØalisations graphiques, rØdactionnel- dia Realisationen les et multimØdia –Gästebetreuung,Auskünfte, Korre- –Accueil des visiteurs, renseignements, spondenz correspondance – Teilnahmebei der Organisationvon – Participation au dØveloppementde Veranstaltungen und touristischen manifestations et projets touristiques Projekten

Ihre Profil: Votreprofil… –Engagierte und flexible Persönlichkeit –Une personne engagØeetflexible –Selbstständige, initiativeund zuverläs- –Une personnalitØ agrØable et affirmØe sige Arbeitsweise sachanttravailler de mani›re indØpen- –KommunikativeFähigkeiten, kunden- dante et gØrer des responsabilitØs und teamorientiert –FacilitØàcommuniquer et à travailler –Fundierte Kenntnisse oder Ausbildung en Øquipe im Multimedia-, Grafik- oder Kommu- –Formation ou expØrience dansledo- nikationsbereich maine du graphisme, de la communi- –Perfekte Beherrschung vonDeutsch cation ou des multimØdias und Französisch in Wort und Schrift –Parfaitemaîtrise du franÅais et de l’al- – Gute Kenntnisse der Region und deren lemand (oral et Øcrit) touristischen Angebot – Bonne connaissancedelarØgion et de son offretouristique

Wirbieten: Nous proposons… –Interessante, verantwortungsvolle Tä- –Des activitØsetunplanning variØs tigkeit –Une atmosph›re familiale et un envi- –Motiviertes und kollegiales Team ronnementmotivant – VielfältigeKontakte mit Gästen und – De nombreuxcontacts avec des visi- Partner teurs et partenaires Tab. 2: Text der Stellenausschreibung füreine(n) MitarbeiterInKommunikation Multi- media chigen Version der beiden Stellenanzeigen wird die schweizerdeutsche Varietät mit keinem Wort erwähnt. Doch auch die Notwendigkeit vonEnglischkennt- nissen wird nichterwähnt, obwohl diese auch erforderlich wären, wiewir wenig später in einem Interviewausschnitt vonSimon erfahren werden. Als ich Simon nachdiesen sprachlichenund kommunikativen Fähigkeiten fragte, erklärteermir im Interview (vom27.03.2015), dass Sprache fürdie Rekrutierung eines der Hauptselektionskriterien darstelle. Dies begründet er mit der Tatsache, dass die BesucherInnen vonMurten und auch vonVully-les- Lacs mehrheitlich deutschsprachig (ca.80%), aber die meisten der lokalen und/

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Die Auskunft für TouristInnen 195

LEITER/INTOURISMUSBÜRO une/unresponsable de l’Officedu (80–100 %) Tourisme de Vully-les-Lacs (80 ou 100 %) Ihre Aufgaben… Vostaches… –Leitung des Tourismusbüros Vully-les- –Gestion de l’Office du Tourisme de Lacs Vully-les-Lacs –Leitung voninterregionalen Projekten –Gestion de projets inter-rØgionnaux –Gästebetreuung,Auskünfte, Korre- (sic!) spondenz –Accueil des visiteurs, renseignements, –Mithilfe beider Entwicklung des tou- correspondence ristischenAngebotes in enger Zusam- –Participation au dØveloppementde menarbeit mit den Tourismuspartnern l’offretouristique, en Øtroite collabora- der Region tion avec les partenaires de la rØgion – Organisation vonVeranstaltungen – Organisation de manifestations et pro- jets

Ihre Profil: Votreprofil… –Engagierte und flexible Persönlichkeit –Une personne, (sic!) engagØeetflexible –Selbstständige, initiativeund zuverläs- –Une personnalitØ agrØable et affirmØe sige Arbeitsweise sachant travailler de mani›re indØpen- –KommunikativeFähigkeiten, kunden- dante et gØrerdes responsabilitØs und teamorientiert –FacilitØàcommuniqueretàtravailler en –Deutsch und Französisch in Wort und Øquipe Schrift –Parfaite maîtrise du franÅais et de l’al- –Gute Kenntnisse der Region und deren lemand(oral et Øcrit) touristischen Angebot –Bonneconnaissance de la rØgion et de – Fundierte Kenntnisse oder Ausbildung son offretouristique im touristischenBereich – Formation ou expØrience dans le do- mainedutourisme

Wirbieten: Nous proposons… –Interessante, verantwortungsvolle Tä- –Des activitØsetunplanning variØs tigkeit –Une atmosph›re familiale et un envi- –Motiviertes und kollegiales Team ronnementmotivant – VielfältigeKontakte mit Gästen und – De nombreux contacts avec des visi- Partne teurs et partenaires Tab. 3: Text der Stellenausschreibung fürein(e) LeiterIndes Tourismusbüros in Vully-les- Lacs oder (pol)regionalen StakeholderInnen und PartnerInnen französischsprachig waren. Insofernmüssten die MitarbeiterInnen vonTIB beide Sprachen nahezu perfekt beherrschen, um sich sprachlich sowohl an die KundInnen als auch an die PartnerInnen anpassen zu können:

1 SIMON:sprache ist ein basiskriterium. manmuss mindestens ein dialog 2 führen können ohne dass die andereperson automatisch switcht. 3 das ist fürmich die minimale kenntnisse die man habenmuss/ich 4 möchte nichtdass die gäste oder die partner sich zu uns an uns

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5 +qu’ils doivents’adapter à nous ((französisch))+,anuns 6 anpassen sollen. aber das umgekehrte. wirsind ein 7 tourismusbüro vonmir aussollen wiruns anpassenkönnen an 8 den gästen und partner. +on aquand mÞme beaucoup de 9 contacts en franÅais.donc on doit avoir un bilinguisme 10 quasimentparfait. ((französisch))+ c’est ce que=voilà.

Im Interview95 definiertSimon Zweisprachigkeit als die Fähigkeit sich sprach- lich anpassen zu können und Dienstleistungen in beiden Sprachen anbieten zu können (Akkommodationsideologie). Wasdas Niveau der Sprachkompetenzen in beiden Sprachen anbelangt, so äussertsich Simon zunächst verhalten und definiertdie erforderlichen Kenntnisse als »minimal«(Zeile 3) und die Fähigkeit »einen Dialog führen zu können« (Zeilen 1–2) als ausreichend. Diese Idee von Zweisprachigkeit entsprichtindiesem Fall einer funktionalen Zwei-/Mehr- sprachigkeit, welche sich nichtdurch das perfekte Beherrschen aller vier Teil- kompetenzen (Sprechen, Schreiben, Hör- und Leseverstehen) auszeichnet, sondern prioritärden Fokus aufkommunikative Kompetenzen legt. Ziel ist es also,die jeweils andere Sprache soweit zu beherrschen, dass eine Verständigung möglich ist. Einige Sekunden später weist Simon ins Französischeswitchend (Zeile 8) jedoch darauf hin, dass doch viel Kontakt zum Französischen beste- he und verschärftimAnschluss daran die Definitiondes sprachlichen Anfor- derungsprofils wieder,indem er es neu als »fast perfekte Zweisprachigkeit« (Zeile 10) formuliert. Als ich nachfrage, welche beiden Sprachen diese perfekte Zweisprachigkeit konstituieren müssen, antwortet mir Simon:Französisch und Deutsch. Zweisprachige Kompetenzen in den Standardvarietäten also.Dann erwähnterabernocheine andereSprache, die vonBedeutungist:das Englische.

1INTERVIEWEUSE :dans les deux langues/ donc 2 SIMON :franÅais allemand.Åac’est pour moi c’est la-la 3 l’anglais Åa ajamais ØtØ un probl›me. j’ai jamais eu la 4 peine de trouver quelqu’un qui savait=par-lait 5 suffisammentbien l’anglais. mais c’est vrai c’est un 6 crit›re aussi. mais j’ai jamais (.) sur un dossier euh eu 7 l’impressiontientc’est une bonne personne mais j’ai 8 pas enviedelaprendreparce qu’euh 9INTERVIEWEUSE : 8il ya(x)8

95 Übersetzungder beiden französischsprachigenStellen des Interviewausschnitts:»dass sie sich an uns anpassen müssen« und »viele unserer kontakte spielensich halt schonauf französisch ab.man mussalso fast perfekt zweisprachig sein.«

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10 SIMON :parce qu’il yail manque l’anglais. par contresur la sur 11 le franÅais et l’allemand Åa m’est arrivØ assez souvent 12 de mettre les dossiers à côtØ,jeregarde mÞme pas, je 13 trouvec’est à peu pr›slapremi›re chose que je 14 regarde sur un dossier .h s’il est=bonilydevait avoir 15 des connaissances minimales, mais connaissances 16 scolaires c’est souventpas suffisant. donc il faut 17 vraimentqu’il yasuper dossier pourqu’on prenne 18 quelqu’un.

Übersetzung

1INTERVIEWERIN:und in beiden sprachen/ also 2 SIMON:französisch deutsch. das ist fürmich das ist das-das 3 englische das war noch nieein problem. ich habenoch 4 nie schwierigkeiten gehabt jemanden zu finden der 5 konnte=der ausreichend gut englisch sprach. aber es 6 stimmt das ist auch ein kriterium. aber ich hab noch 7 nie (.) beieiner bewerbung das gefühl gehabt, das ist 8 ein guter bewerber aber ich habkeine lust ihn 9 anzustellenweil äh 10 INTERVIEWERIN: 8weil (x)8 11 SIMON:weil er kein englisch kann. was jedoch das 12 französische oder das deutsche betrifft, da kam es 13 schon oft vor dass ich eine bewerbung weggelegt, ja 14 erst gar nichtangeschaut habe, ich glaube,das ist 15 wahrscheinlich die erste sache die ich beieiner 16 bewerbung anschau. .h ob er=gut manbraucht 17 zumindestminimale kenntnisse, aber oftsind 18 kenntnisse aufschulniveaunichtausreichend. also 19 muss es schon wirklichein super dossier sein,dass 20 man jemanden nimmt.

So wieSimon die Situation im Interview darstellt, scheintes, als ob Sprache bzw. das Beherrschen der Standardvarietäten Deutsch und Französisch das Selekti- onskriterium Nummer Eins wäre. Das Schweizerdeutsche erwähnternicht, dafüraberdas Englische, welches jedoch –sowie er es darstellt –nicht die Stellung eines Selektionskriterium habeund beieinem Dossier,das in allen anderen Punkten überzeugt, auch mal vernachlässigtwerden könnte. Ob nunminimale Kenntnisse oder perfekt zweisprachige Kompetenzen

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 198 Personalmanagement –Regulierung der Spracharbeitsressourcen notwendig sind und welche Rolle Sprachkenntnisse (ob nuninDeutsch, Schweizerdeutsch, Französisch oder Englisch) letztendlichwirklich in den Re- krutierungsprozessen fürden Bereich Kommunikation und Multimedia sowie fürdie Zweigstelle in Vully-les-Lacs spielten, werden die folgenden zwei Un- terkapitel zeigen. Wirbeginnen mit der Analyseder Rekrutierung des Mitar- beiters/der Mitarbeiterin fürden Bereich Kommunikation und Multimedia.

2.4.1 Das Prinzip der sprachlichen Repräsentativität Aufdie Ausschreibung hin erhielt TIB 55 Bewerbungsschreiben.Die Ge- schäftsleitung,bestehend ausSimon und der Präsidentindes Trägervereins von TIB, sah sich die Bewerbungen an und klassifiziertesie in drei Kategorien. Die erste Kategorie umfasste fünf KandidatInnen, die zum Vorstellungsgespräch eingeladenwurden. Die zweite Bewerberkategorie fungierte als Reserve –für den Fall, dass die erste Vorstellungsgesprächsrunde nichtergiebig wäre. Den KandidatInnen, die in der 3. Kategorie landeten, wurde direkt abgesagt. Ich hatte zwar keine Einsichtindie Lebensläufe der eingeladenen KandidatInnen, kann aber ihre Profile wiefolgtrekonstruieren, da ich ihren Vorstellungsge- sprächen beiwohnen durfte und mir Simon zudem übersie erzählte96 : – 1. Kandidatin –»Die Allrounderin«: Die erste Kandidatin beschrieb Simon in einem Interview (vom 13. 04.2015) als die »perfekte Kandidatin«. Sie wies eine Ausbildung als Graphikernauf, hatte beieinem Tourismusanbieter in der Nachbarregion gearbeitet und darüberhinaus auch Erfahrung in der Pro- jektleitung beieiner Kommunikationsfirma sammeln können. Zudem zeigte sie sich motiviert, beiTIB zu arbeiten, und war laut Simon »quasi perfekt bilingue«. – 2. Kandidat–»Der Lehrer«: Der zweite Kandidatwar um die 30 Jahrealt und stammte ausMurten. Er hatte bereits Erfahrung im touristischen Marke- tingbereich in einem nahe der Sprachgrenze, aber noch in der Deutsch- schweiz gelegenen Tourismusbüro sammeln können. Vorkurzem hatte er ein Lehramtsstudium aufgenommen und war eigentlich nichtauf der Suche nach einer Arbeit, interessierte sich aber speziell fürdie ausgeschriebene Stelle, weil er gerne in seiner Heimat parallel zum Studium arbeiten wollte. Er war schweizerdeutschsprachig und hatte darüberhinaus gute Französisch- und Englischkenntnisse. – 3. Kandidat– »Der Touristiker«: Auch der dritte Kandidatwar um die 30 Jahrealt und hatte ebenfalls bereits langjährige Erfahrung beiverschie-

96 Die Labels, die ich den KandidatInnenwie folgtgebe, wurdenzum Teil im Debriefing der Vorstellungsgespräche vonSimonoder der Präsidentindes Trägervereins vonTIB selbst so verwendet. Teilweise habe ich sie ergänzend gewählt.

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denen lokal-regional sowie(inter)nationalwirkenden Tourismusmarketing- verbänden gesammelt. Aktuell wohnte er im französischsprachigen Nach- barortund arbeitete seit einigen Jahren in der Deutschschweiz. Nunwar er auf der Suche nach einer neuen beruflichen Herausforderung.Erwar franzö- sischsprachig,sprach sehr gut Hochdeutsch und Englisch, gab allerdings an, manchmal Schwierigkeiten mit dem Verständnis des Schweizerdeutschen zu haben. – 4. Kandidat–»Der Schüler«: Der vierte und jüngste Kandidat (Anfang 20) war gerade dabeiseineMatura an einer Berufsfachschule fürGestaltung ab- zuschliessen.Erkonnte wenig Arbeitserfahrung aufweisen.Simon kannte jedoch seine Arbeitsweise, da sie im Rahmen eines zweisprachigen Comic- festivals bereits zusammengearbeitet hatten. Der 4. Kandidatwar franzö- sischsprachig und konnte sich –mit einiger Mühe –auch aufHochdeutsch und Englisch verständigen. Er zeigte sich aber motiviert, an seinem Deutsch zu arbeiten. – 5. Kandidat–»Der Künstler«: Der 5. Kandidatwar um die 30 und selbst- ständiger Graphikdesigner.Seine Selbstständigkeit empfand er als junger Familienvater als zu unbeständig und suchte in Form einer festen Anstellung nach mehr beruflicher Stabilitätund Sicherheit. Er wohnte am anderen französischsprachigen Ende des Murtensees, war aber sowohl in der Deutsch- als auch in der Westschweiz aufgewachsen und beherrschte deshalb fliessend Hochdeutsch, Schweizerdeutschund Französisch. Im touristischen Bereich hatte er jedoch noch keine Erfahrung aufzuweisen.

Bevor dieerste Rundeder Vorstellungsgesprächeauchnur begonnenhatte, meldetesichdie einzigeweibliche Kandidatin telefonischund sagte ihre Teil- nahmeamGespräch auspersönlichenGründen ab.Diese Kandidatin wardie einzigegewesen,die sowohl diegefordertentechnischen alsauchsprachlichen Kompetenzen aufweisenhättekönnen undzudem bereits Erfahrungimtouris- tischen Kontextgesammelt hatte. So musste dasRekrutierungskomitee mitden restlichen vier Kandidaten vorliebnehmen, diezwarteilweise über diefachlichen odersprachlichenKompetenzen verfügtenoderErfahrung im Tourismus hatten, jedoch nichtalles zusammen aufweisenkonnten.Einer derKandidatenwar schweizerdeutschsprachig,die anderendreifranzösischsprachig, jeweilsmit mehr oderweniger gutenKompetenzen in derjeweils anderenSprache –teilweise sogarinSchweizerdeutsch. DieDominanzder zumGespräch eingeladenen französischsprachigenBewerber (3:1)spiegeltdeutlichden Mangel an franzö- sischsprachigenMitarbeiterInnen im Tourismusbüro wider. Gleichzeitig deutet sieauchschon aufeine»hidden agenda«des Rekrutierungskomitees hin(Coray u.a. 2015:116), nämlichdem Prinzip,dassfranzösischsprachigenBewerberInnen ausarbeitsökonomischenGründen Vorranggegebenwird. Schliesslichwirdbei

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TIBaus übersetzungstechnischenGründen immerversucht, zumindestannä- hernd einGleichgewicht zwischen deutschenund französischen»Muttersprach- lerInnen«oder, anders formuliert, zwischen denRepräsentantInnen beider Sprachgruppen zu haben(Prinzipder sprachlichen Repräsentativität). Auch wenn während des Vorstellungsgesprächs die Sprachkenntnisse der vier Kandidaten in Französisch oder Deutschund Englisch mit spontanen Fragen in den betreffendenSprachen getestet wurden, schien die Qualitätihrer Sprach- performanz letztendlich keine grosse Bedeutung fürdie finale Entscheidung zu spielen. Während der Vorstellungsgespräche und den anschliessendenBespre- chungen und Diskussionen zwischen Simon und der Präsidentindes Träger- vereins konnte ich beobachten, wiedie Sprachkompetenzen der Bewerber zu- nehmend zweitrangig wurden. Dies wird u.a. im folgenden Ausschnitt klar,bei welchem es sich um das aufSchweizerdeutsch durchgeführte Debriefing des Vorstellungsgesprächs mit dem Schweizerdeutschen Kandidaten (»dem Leh- rer«) zwischen der Präsidentinund dem Direktor vonTIB handelt:

1PRÄSIDENTIN:odsprach ds französisch dänki isch zwenig versiert. 2SIMON:DAS nei isch guet 3PRÄSIDENTIN:isch ehm (.) wie/ 4SIMON:vomir us isch ds guet. kum 5PRÄSIDENTIN:fürnekommunikations person/ 6SIMON:ja 7PRÄSIDENTIN:duhesch zersch ewäutsche wöle ((lacht)) 8 SIMON:JAABER wennd ke mueter=wener er nid muetersprach 9 französisch isch spiuts jetz ke roue ober jetz super äh 10 französisch redtoder eifach haubpatzig super.aso fürmi 11 isch sminimale isch okay.

Übersetzung

1PRÄSIDENTIN:und die sprache das französische ist denkeich zu wenig versiert. 2SIMON:DAS nein ist gut. 3PRÄSIDENTIN:ist ähm (.) was/ 4SIMON:von mir ausist das gut.komm schon 5PRÄSIDENTIN:füreine kommunikationsperson/ 6SIMON:ja 7PRÄSIDENTIN:duhast zuerst einen welschen wollen ((lacht)) 8SIMON:JAABER wenn er kein mutter=wenn er nicht

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9 muttersprache französisch ist spielt es jetzt keine rolle ob 10 er jetzt super ähfranzösisch sprichtoder einfach 11 halbherzig super.also fürmich ist das minimale ist okay.

Während die Präsidentin97 Simon zunächst daran erinnert, dass er wohl vor- dergründig aufder Suche nach einer französischsprachigen Person sei (Zeile 7 in der Transkription, Zeile 7inder Übersetzung;»wäutsche« ist Schweizer- deutsch fürWelscher,womit die französischsprachigen SchweizerInnen gemeint sind) und die Französischkenntnisse des Schweizerdeutschen Kandidaten aus diesem Grundnichtausreichend seien. Daraufhin entgegnet Simon, dass falls die Wahl letztendlich aufeinen Kandidaten fallen würde, der nichtfranzösischer Muttersprachler sei, das Niveauder Französischkenntnisse eines Deutschspra- chigen nichtwirklich relevantseien. Ein Nicht-Muttersprachler wäre sowieso nichtfähig,die Französischübersetzungen zu übernehmen–egal wiegut seine Französischkompetenzen seien (Zeile 8–11). Die sowohl im Stellenangebot als auch im vorangegangenen Interview vonSimon geforderte perfekte Zweispra- chigkeit wird in der Nachbesprechung des Vorstellungsgesprächs aufein Niveau mit minimalen Kenntnissen in der anderen Sprache heruntergehandelt und die Kategorisierung als entweder deutscher oder französischer Muttersprachler hervorgehoben (Muttersprachenideologie). Der (schweizer)deutschsprachige Kandidatsagte jedoch nach dem Vorstel- lungsgespräch telefonisch ab.Erhatte sich zum Zeitpunktdes Vorstellungsge- sprächs noch mittenimStudium befunden und sich dazu entschieden, dieses im Vollzeitmodusweiterzuführen und baldmöglichst zu beenden. So musste die Wahl letztendlich zwischen den drei übrigen Französischsprachigen getroffen werden. Da die Tourismusindustriekeine hohen Gehälter zahlen kann, wurde letztendlich der jüngste und hinsichtlich der Gehaltsvorstellungen der billigste Kandidatausgewählt, welcher gleichzeitig aber auch die schwächsten Kompe- tenzen in Deutsch und Englisch aufgewiesen hatte. Sein Deutsch wieauch sein Englisch waren aufeinem Stand, den manmit schulischem Fremdsprachen- unterrichterreichen kann. Zudem konnte er überhaupt keine Kompetenzen im Schweizerdeutschen aufweisen. Auch im nächsten Ausschnitt,inwelchem Simon und die Präsidentinihre Wahl des neuen Mitarbeiters diskutieren und legitimieren, wird die Aushand-

97 Das Zitat stammt ausdem Debriefing zwischen der Präsidentinund dem Direktor,welches ich aufnehmen durfte. Untereinander sprechen die beiden aufSchweizerdeutsch. Das nächste Zitatstammt auseinem Interview,das ich mit den beiden nach einem der Vorstel- lungsgespräche geführthabe. Die Präsidentinpasste ihre Sprachwahl im direktenGespräch mit mir an und sprach, selbstwenn sie sich während des Gesprächs mit mir an den Direktor wandte,ebenfalls die Standardvarietätdes Deutschen.

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1 PRÄSIDENTIN:erkann weniger gut deutsch. ja. aber mir persönlich hat 2 er besser gefallen. ich denkeder junge der realisiert hier 3 ein zwei sachen und in zwei jahren drei jahren suchter 4 sich eine multimedia oder eine kommunikations oder 5 eine marketingfirma. aber er kann sich hier nach dem 6 studium sporen abverdienen. und ich denkeerwürde das 7 wahrscheinlich gut machen. 8 DIREKTOR:GANZ motiviert. ärwott ischsierschte job und voilà/und 9 vo mir us bruche jetz nid stabilitätiderestell. nid öper wo 10 PRÄSIDENTIN:nein. wenn vielleichtwenn die arbeit getan ist, kannst dus 11 mit dem normalen team weiterführen. und vondem her. 12 ja/ ich sage nichtwir haben jetzt fürimmer ein 13 spezialisten hier.vielleicht/ aber dann ist es sicher nichtja 14 fürjemand der wirklich aufmarketing und so gehen will 15 ist dieser posten auch nichtausreichend.weil wirnur 16 beschränkt marketing machen.

Die Rationalisierung des Rekrutierungskomitees stützt sich einmal aufdas Ar- gument, dass der Kandidataufgrund seines jungenAlters sicherlich hochmo- tiviertfürseinen ersten Jobsei. Des Weiteren unterstellten sie ihm, dass er ebenfalls aufgrund seines Alters nichtunbedingtnach Stabilitätsuchen würde. Fürden Fall, dass die eben erst geschaffene Stelle nichtrentabel sei oder sich nichtmehr finanzieren liesse, wäre dies also keine Katastrophe fürden Kandi- daten. In jungen Jahren sei es schliesslich normal, dass man ein wenig Erfahrung in einem Jobsammeln würdeund dannauf der Suche nach einer neuen beruf- lichen Herausforderung weiterziehe.Was ausdem kurzen Dialog klar heraus- geht, ist, dass sich das Rekrutierungskomitee aufgrund finanzieller Einschrän- kungen und der relativprekärenSituationimTourismusbüro letztendlich dazu entscheidet, die zu Beginn eingeforderten Sprachkenntnisse zu vergessen und einen Kandidaten auszuwählen, der ein niedriges Gehalt und einen zeitlich begrenzten Vertrag zu akzeptieren scheint. Die Tatsache, dass Simon bereits mit dem jungen Mann im Rahmen der Organisation eines Comic-Festivals zusammengearbeitet hatte, ausdiesem Grund seineArbeit(sweise) bereits kannte und sich einigermassen sicher sein konnte, dass er ihn fachlich nichtenttäuschen würde, fiel beider Entscheidung ebenfalls ins Gewicht. Im Endeffekt spielten eben diese fachlichen Kompetenzen sowiesein soziales Kapital (Bourdieu 1980) –die bestehende Beziehung zum

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Direktor –fürseine Rekrutierung die ausschlaggebende Rolle. Seine im Ver- gleich zu seinen Mitbewerbernzumindest teilweiseweniger gut ausgeprägten Sprachkenntnisse rückten beider Rekrutierungsentscheidung hingegen in den Hintergrund.

2.4.2 Die Sprache der GeschäftspartnerInnen Die Rekrutierungsentscheidung fürdie Leitung der Zweigstelle im Nachbarort Vully-les-Lacs lag,imVergleich zur Rekrutierungsentscheidung fürdie Kom- munikationsstelle beiTIB, nichtallein in den Händen der Geschäftsleitung von TIB. Zum Rekrutierungskomitee hatten sich zwei Mitglieder des Gemeinderates des Dorfes Vully-les-Lacs hinzugesellt, da die ausgeschriebene Stelle vonder Gemeinde finanziertwurde. Die betreffenden Gemeinderatsmitglieder waren zudem auch Mitglieder des Trägervereins vonTIB. Die Anwesenheit der Ge- meinderatsmitglieder deutet bereits aufeine gewisse politische Bedeutung der Stelle hin, aufdie ich weiter unten noch genauer eingehen werde. Ichkonnte zwar den Rekrutierungsprozess fürdiese Stelle nichtpersönlich mitverfolgen, Simon erzählte mir jedoch darüberineinem Interview (vom 27.03. 2015), wobei er auch aufdie vorangehende Rekrutierung der bisherigen Verantwortlichen, BØatrice, einging.Die Suche nach einer geeigneten Person hatte sich bereits beider vorangehenden Rekrutierung als schwierig erwiesen. So hatte das Rekrutie- rungskomitee bereits beinahe aufgegeben, bis sich BØatrice vorgestellthatte:

1 SIMON :mais je te dis pourleposte de bØatrice on a=c’Øtait dur.bØatrice 2 elle apas la formation (.) bØatrice en fait on arepÞchØ des dossiers 3 que bah des dossiers suivants on avait quatre entretiens et on s’est 4 dit auxquatre entretiens c’est pas possible on peut pas voir cette 5 personne lààla à ce- à un poste avec une telle responsabilitØ/ils 6 nous ontpas convaincu dans un entretien. commentils veulent 7 convaincreeuh se- toutlevillage et toute la rØgion/ .h euh et 8 bØatrice on arepÞchØ.elle avait pas (xx) elle avait pasrien du tout 9 du tourisme. et elle avait ØtudiØ l’archØologie, euh elle avait juste 10 un dossier oœ on sentait qu’elle Øtait vachementmotivØepour le 11 poste, parce qu’elle travaillait au ((nom d’un musØe)). et puis elle 12 avait dØjà un rapport à la rØgion. et en venant à l’entretien c’est la 13 seule qui avaitbah elle arrivait à l’entretien je crois apr›sdeux 14 minutes on savait que euh qu’on allait la prendre. c’Øtait vraiment 15 le dernier entretien oœ on se dit (.) si c’est pas elle euh on laisse 16 tomber et puis on puis on (xx) dans six mois. et puis on laisse 17 tomber le projet parce que Åa va pas. parce qu’on voulait pas

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18 commencer ce projet et puis c’Øtait la premi›re personne,bØatrice 19 Øtait la premi›re personne qui Øtait engagØesur euh sur ce poste. 20 euh (1) et finalement à l’entretien elle est venue elle nous abah f: 21 elle nous adØjàjuste dit qu’elle avait fait le tourdelacommune là 22 elle Øtait voir un petit peu elle se promenait un petit peu et puis 23 qu’elle atrouvØ .h tr›sjolie: et puis là toute de suite du euh: 24 charme. (.) et puis elle rØellementelle nous abeaucoup plu. euh. 25 (.) et apr›savec l’all- et l’allemand, je dois dire elle est tr›s, bah elle 26 est douØe. mÞme si elle parle pas suisse allemand,mais je trouve 27 toujours des f- bah des francophones (2) qui font l’effort=mais 28 mÞme lààl’entretien là elle fait l’eff-=elleaessayØ de parler aussi 29 un peu suisse allemand/ euh alors qu’elle ari-=elle aaucune 30 de=elle agrandit au valais. euh mÞme pas dans le +oberwallis 31 ((allemand))+ mais chØpa oœ.elle Øtait pas en contactavec 32 l’allemand. et là elle faisait l’effortetjetrouvais qu’elle parlait tr›s 33 bien +hochdeutsch ((allemand))+ dØjà/devouloir parler.etpuis 34 c’est- c’Øtait important.

Übersetzung

1 SIMON:aberich sag dir fürdie stelle vonbØatrice haben wir=das war 2 hart. bØatrice hat nichtdie ausbildung dafür(.) bØatrice haben wir 3 eigentlich ausden dossiers rausgefischtnaja ausden 4 folgedossiers. wirhatten vier vorstellungsgespräche und wir 5 haben uns beiallen vier gesprächen gesagtdas ist nichtmöglich 6 wirsehen diese person einfach nichtdortauf dem aufdiesem auf 7 einem posten mit solch einer verantwortung/sie haben uns 8 während der vorstellungsgespräche nicht überzeugt. wiewollen 9 sie ähsich- das ganze dorfund die ganze region überzeugen/ .h äh 10 und bØatrice haben wirdannineinem zweiten durchgang 11 rausgefischt. sie hatte nicht(xx) sie hatte nichts mit tourismus am 12 hut. und sie hatte archäologie studiert, ähsie hatte nur ein dossier 13 beidem wirmerkten dass sie wirklichmotiviertwar fürdie stelle, 14 weil sie im ((namen eines museums)) arbeitete.und dann hatte 15 sie schon eine beziehung zur region. und als sie zum 16 vorstellungsgespräch kamwar sie die einzige die naja sie kam 17 zum gespräch ich glaube nach zwei minuten wussten wirdass äh 18 dass wirsie nehmenwürden. das war wirklichdas letzte gespräch 19 das wirgeführthaben und beidem wiruns gesagthatten (.) wenn 20 sie es nichtist ähdann lassen wiressein und dann wirdannwir

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21 (xx) in sechs monaten. und dann lassen wirdas projekt sein weil 22 es so nichtgeht. weil wirkeine lust hatten das projekt so zu 23 beginnen und dann war sie die erste person, bØatrice war die erste 24 person die fürdie stelle ähangestellt wurde. äh(1) und 25 letztendlich ist sie zum gespräch gekommen sie hat uns naja sie 26 hat uns nurgesagtsie hätte gerade eine runde durch den ort 27 gedrehtsie hatte sich das ein bisschen angeschaut und war ein 28 wenig spazieren und dann dass sie ihn .h sehr hü:bsch fand und 29 dann war da sofort ähcharme (.) und dann mit dem deu- und das 30 deutsch, ich muss sagen sie ist, ja sie ist sehr talentiert. auch wenn 31 sie kein schweizerdeutsch spricht, aber ich finde immer das die f- 32 naja die frankophonen (2) die sich bemühen=aber auch da hat sie 33 sich beim gespräch bemüh-=sie hat versuchtauch ein bisschen 34 schweizerdeutschzusprechen/und das obwohl sie ni-=sie hat 35 keinen=sie ist im wallis aufgewachsen. ähnichtmal im 36 +oberwallis ((deutsch))+ sondernich weiss nichtwo. sie war 37 nichtimkontakt mit dem deutschen. und da hat sie sich bemüht 38 und ich fand dass sie sehr gut +hochdeutsch ((deutsch))+ 39 sprach. und schon/ sprechen zu wollen. und das war-das war 40 wichtig.

Wieaus dem Zitat hervorgeht, ist ein engagiertes, charismatisches Auftreten fürdie Stelle vonbesonderer Bedeutung,dader oder die Verantwortlicheder Zweigstelle mit den politischen PartnerInnen der Gemeinde und den touristi- schen PartnerInnen in der Region zusammenarbeiten muss. Eine solche Person schien schwer zu finden zu sein. Auch BØatrice hatte im Hinblick aufdas ge- suchte Profil ihre Schwächen, nämlich dass sie keine touristische Ausbildung aufweisen konnte und des Weiteren nichtaus der Gegend stammte.Sie schaffte es aber,ihre Schwächen durch ein überzeugendes, charismatischesAuftreten auszugleichen, bezeugte zudem glaubhaftes Interesse fürdie Region und zeigte sich bemüht,als frankophone Person mit nurwenigen Schweizerdeutsch- kenntnissen trotzdem Schweizerdeutsch zu sprechen. Simon unterstreicht, dass dies vor allem aufgrund ihrer Herkunftaus der Westschweiz etwas ganz be- sonderes sei (Zeilen 33–39). Wieauch in den vorangehenden Unterkapiteln des Öfteren zur Sprache kam, werden eine ausgeprägteMotivation, fehlende Be- rührungsängste mit der jeweils anderen Sprache und die Bereitschaftder Kan- didatInnen zu einer Investition in die fehlendenSprachkenntnisse (z. B. durch Sprachkurse) (DuchÞne2016) als relevantangesehen, wenn kein(e) weitere(r) KandidatIn mit dem gewünschten Sprachprofil gefunden werden kann. Doch sehen wiruns an, welches Sprachprofil fürBØatrices NachfolgerIn gewünscht

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 206 Personalmanagement –Regulierung der Spracharbeitsressourcen war und inwieferndie BewerberInnen diesem idealen Profil entsprachen.Simon erzählte mir im selben Interview auch, welche Rolle die Sprachenkenntnisse im anstehendenRekrutierungsverfahren spielten:

1INTERVIEWEUSE :etlàvous cherchez/ (2) par rapport à la langue euh/ 2 SIMON :bah c’est intØressantque tu >me nous< demandes Åa. 3 moi je pense=bah tu vois eux ils ontaussi huitante 4 pourcentded’alØmaniques euh de visiteurs 5 alØmaniques. .h et euh (2) vingtpourcent 6 francophones parcontrelalangue administrativelà 7 bas c’est à no-nonante neuf pourcentenfranÅais/euh 8 MAIS/ là bas plus pour des raisons politiques j’aurais 9 plus de peine engager une personne langue maternelle 10 allemande.disons qu’on apas exclules dossiers 11 alØmaniques. il yenaencore bah il yavait que=bah il 12 ya=les DEUX dossiersque j’ai regardØ que je pense 13 qu’on va interviewer euh c’est deux dossiers de 14 francophones qui s-=qui habitent là bas qui habitent 15 là bas, mais euh et puis un dossier à d’un alØmanique 16 mais (.) je te dis franchementpour des raisons 17 politiques plus que pourdes raisons de travail, parce 18 que au travailc’est=peu importe là je dirais c’est 19 vraimentsic’est mais il faut quelqu’un (.) bien 20 bilingue, euh, mais apr›sque ce soit (x) langue 21 maternelle franÅaise ou allemande Åa joue pas un rôle, 22 mais justementpour des raisons politiques je 23 prendrais plutôtfrancophone. parceque voilà.c’est 24 des sensibilitØslàbas.

Übersetzung

1INTERVIEWERIN:und jetzt suchtihr/ (2) was die sprache anbelangt äh/ 2 SIMON:mhm dasist interessantdas du >mich uns< dasfragst. 3 ichfürmeinen teil denke=naja sieh malsie haben auch 4 achtzigprozent deutschsprachige ähdeutschsprachige 5 besucher..hund äh(2) zwanzigprozent 6 französischsprachigehingegenist diesprache der 7 verwaltungdort dasist zu neunundneunzig prozentauf 8 französisch. ähABER/ dort hätteich auspolitischen 9 gründenehermühe damiteinepersondeutscher 10 mutterspracheanzustellen.das heisst wirhabendie

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11 dossiers derdeutschsprachigen nichtaussortiert.wir 12 habennoch welche dabeiaberesgab nur=mhmes 13 gab=diezweidossiersdie ichmir angeschauthabeund 14 wovonich denkedasswir siezum vorstellungsgespräch 15 einladen werden dassindZWEIdossiersvon 16 frankophonen dies-=diedortwohnendie dort 17 wohnen,aber ähund dann eindossier eines 18 deutschsprachigen aber (.)ich sagdir ganz offenaus 19 politischengründen mehr alsaus arbeitstechnischen 20 gründen,weilwas diearbeitanbelangt istdas=egal da 21 würdeich sagendas istwirklichals ob aber es braucht 22 jemanden(.) gutzweisprachigen, äh, aber ob das 23 jemand (x) muttersprachefranzösischoderdeutsch ist 24 dasspieltkeine rolle, aberaus politischengründen 25 würdeich ehereinen frankophonen nehmen.das istso. 26 dasist diesensibilitätdortdrüben.

Simon gehtimZitat aufzwei unterschiedliche Funktionen ein, die Sprache im Entscheidungsprozess fürdie vakante Stelle in Vully-les-Lacs innehat. Er un- terscheidet zwischen der lokalen politisch-administrativen Sprache und der Sprache der Gäste. Während vor Ortdie Sprache der lokalen Bevölkerung und der touristischen PartnerInnen Französisch ist, ist die Sprache der Gäste mehrheitlich Deutsch. Es scheintjedoch, als würdeder politischen Funktion der Sprache mehr Gewichtzukommen,d.h.Französischkenntnisse stehen im Vor- dergrund. Dies gehtsoweit, dass Bewerbungenvon deutschsprachigen Bewer- berInnen zwar nichtgleich abgelehntwerden, ausSimons Formulierung geht dennoch hervor, dass man sich beider Durchsichtder Dossiers doch schon sehr aufdas sprachliche Kriterium konzentrierte. Zum Vorstellungsgespräch wurden schliesslich auch zwei frankophone und eine deutschsprachige Person mit den folgenden Profilen eingeladen: 1) Der erste Kandidatwar Ende 40 und frankophon. Er verstand Deutsch zwar passiv,weigerte sich aber,Deutsch zu sprechen. Er lebte in Vully-les-Lacs und war dortpolitisch aktiv als Mitglied des Gemeinderats.Zudem arbeiteteerin einer regionalen Tourismusinstitution. Der Kandidatpräsentierte sich selbst klar als Geschäftsmann mit einem breiten Know-How bezüglich der Ent- wicklung vontouristischen Produkten, konnte sich aber entschiedennicht in der Rolle am Empfang sehen, wo er TouristInnen hätte informieren und beraten müssen. 2) Der zweite Kandidatwar deutschsprachig,jedoch ohne Verbindung zur Re- gion. Zu diesem Kandidaten liegen mir keine weiteren Informationen vor.Er

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konnte aber wohl aufgrund verschiedener Gründe das Rekrutierungskomitee nicht überzeugen. 3) Die dritte Kandidatinstammte ausVully-les-Lacs,hatte Tourismus studiert und war zwar ursprünglich frankophon aufgewachsen, in der Zwischenzeit jedoch laut Aussagen vonSimon sehr kompetentzweisprachig.Obwohl es auf den ersten Blick scheint, als ob sie genaudem gesuchten Profil entsprechen würde, konnte sie das Rekrutierungskomitee ebenfalls nicht überzeugen. Anscheinend hatte sie kein selbstsicheres, überzeugendes Auftreten, was in dieser Position jedoch relevantfürdie Öffentlichkeitsarbeit gewesen wäre.

Nebenden eingegangenen Bewerbungen hatte sich Simon auch beiden Be- werberInnen fürdie Kommunikationsstelle nach einer bzw.einem möglicher- weise ebenfalls passenden Kandidatin/Kandidaten fürdie Stelle in Vully-les- Lacs umgesehen. Undtatsächlich hätte er sicheinen der französischsprachigen Bewerber,die zum Vorstellungsgespräch fürdie Kommunikationsstelle einge- laden worden waren (der »Touristiker«), auch fürdie PositioninVully-les-Lacs vorstellen können. Laut Simon wäre dieser Kandidatdeshalb fürdie Stelle in Frage gekommen, da er aufgrund seiner vorangehendenTätigkeit beitouristi- schen Institutionen nichtnur Erfahrung im Tourismus aufweisen konnte, son- derndarüberhinaus auch ein wichtiges Netzwerk zu Tourismusmarketing- VertreterInnen auflokal-regionaler aber auch nationaler Ebene aufgebaut hatte. Zudem war er frankophoner »Muttersprachler« und sprach darüberhinaus auch sehr gut Deutsch. AlsSimon den Kandidaten jedoch danach fragte, ob er sich auch diese Stelle vorstellen könnte, lehnte er dankend ab.Erwollte lieber im Team arbeiten, jedoch keine leitende Stelle mit grosser Verantwortung über- nehmen. Die Wahl fiel schliesslich aufden ersten Kandidaten der eingeladenen Be- werber,obwohl er –imGegensatz zu BØatrice –keinen Anschein machte, Deutsch zu sprechen. Ganz im Gegenteil, er weigerte sich sogar.Simon erklärte mir im Interview,warum dieser Kandidat, der aufden ersten Blickaufgrund seiner Sprachkenntnisse und Attitüden niemals die gesuchten Selektionskrite- rien erfüllen hätte können, ihn letztendlich doch noch hatte überzeugen können. Zunächst einmalwurde die Tatsache, dass er ausder Region stammte und Mitglied im Gemeinderat vonVully-les-Lacs war,als ein Pluspunkt im Hinblick aufdie Zusammenarbeit mit lokalen StakeholderInnen und PartnerInnen fürdie Entwicklung vontouristischen Angeboten angesehen. Ausdieser Perspektive war es auch ein Vorteil, dass er französischsprachig war,denn selbst wenn die BesucherInnen des Dörfchens eher deutschsprachig waren, so war in Vully-les- Lacs die Sprache der lokalen StakeholderInnen und PartnerInnen doch ein- deutig Französisch. Simon ging im weiteren Verlauf des Interviews noch aufdas Alter des Kandidaten ein, welches eher untypisch fürdie Belegschaftvon TIB

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1 SIMON:aberich ihn kenne ich vom professionellen her.ich war auch auf 2 einer messein((ortinder deutschschweiz)) wo er seine region 3 präsentierte. also kannst dir +vorstellen ((lachend))+ er spricht 4 kein wo=quasi kein wortdeutsch. er verstehtalles aber will 5 einfach nichtsprechen. aber in ((ort)) war er präsentauf dem 6 stand um die region zu präsentieren. und vonmir auswar er eine 7 der effizientensten aufdem stand von((tourismusregion)). 8 einfach mit dem feeling mit dem leute feeling und mit produkte. 9 er kommtdirekt mit produkte. und dannsprechen die leute 10 einige worte französisch.und es klappt einfach.

Auch wenn der betreffende Kandidatbei Werbe- und Verkaufsgesprächen auf der Messe nur Französisch sprach, entpuppte er sich als der effizienteste Ver- käufer an seinem Stand. Seine Art, erfolgreich mit Leuten zu kommunizieren ohne ihre Sprache zu sprechen, hatte beiSimon einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Simon war überzeugt, in ihm den richtigen Kandidaten fürdie Stelle gefunden zu haben und war bereit, fürdiesen Kandidaten eine, aufgrund seiner fehlenden BereitschaftDeutsch zu sprechen, notwendig gewordene Re- strukturierung der Zweigstelle in Vully-les-Lacs vorzunehmen. Die fachlichen Kompetenzen und berufliche Erfahrung des Kandidaten waren dem Direktor wichtiger,während die zunächst geforderten Sprachkenntnisse in Deutsch im Sinne kundenorientierter Kommunikationsfähigkeiten aufeinmalirrelevant waren. Auch in diesem Fall lässt sich zudem wieder die Bedeutung seines so- zialen Kapitals in Form der Beziehungen zu den Rekrutierenden feststellen, sowohl zum Direktor vonTIB als auch zu den beiden Mitgliederndes Ge- meinderats in Vully-les-Lacs, deren Meinung beider Rekrutierungsentschei- dung eine sicherlichnichtunerhebliche Rolle spielte (Bourdieu 1980). Um in Vully-les-Lacs dennoch den Gästeempfang auf(Schweizer-)Deutschgewähr- leisten zu können, engagierte Simon zusätzlich noch eine zweisprachige, jedoch

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2.5 Fazit:Wenn das imaginäre Wunschprofil auf die Realitäten des Arbeitsmarktes trifft

Abschliessend werde ich die Hauptaussagen der besprochenen Fälle kurz zu- sammenfassen und ihre Bedeutung fürunser Verständnis der beobachteten Variabilitätder Bedeutung vonSprachkenntnissen diskutieren.

2.5.1 Management und Anpassung sprachlicher Ressourcen Um die im Marketingdiskurs beworbene lokale Zweisprachigkeit (sei es nun im Sinne einer zweisprachigen Bevölkerung oder der Kopräsenz vonfranzö- sisch- und deutschsprachigen Personen in der Region) vor Ortzurealisieren und im direkten Kontakt mit den KundInnen umzusetzen, werden ausarbeits- technischen und ökonomischen Gründen deutsch- und französischsprachige, bestenfalls jedoch zweisprachige Arbeitskräftebenötigt.Letzterewerden be- vorzugt, da sie flexibler und kosteneffizienter einsetzbar sind, und gelten als ideales Wunschprofil (Boutet 2012;Heller 2008c;Heller und Boutet 2006; Männel 2002). Das im Marketingdiskurs konstruierte Bild der zweisprachigen Bevölkerung,die beide Sprachen beherrschtund eine Brückezwischen den Sprachgemeinschaften schlägt,dientdabei als Vorlage fürdieses gesuchte Wunschprofil. Trifftjedoch dieses imaginäre Wunschprofil der perfekt zweisprachigen Ar- beitskraftauf die Realitäten des Arbeitsmarktes, stellt sich häufig heraus, dass das gesuchte Profil entweder nichtverfügbar oder jedoch aufgrund gewisser Gehaltsansprüche zu teuer ist. Diese Faktoren verkomplizieren die Spannungen um die Frage, wieviele und welche Sprachen/Varietäten aufwelchem Niveau mit oder ohne Akzentbeherrschtwerden müssen,umals authentische(r), kompe- tente(r), legitime(r) SprecherIn in diesem speziellen Arbeitskontext an der Sprachgrenze gelten zu können (Bourdieu 1977).

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Letztendlich müssen die anfänglich hoch gesteckten Erwartungen ange- passt werden und auch Personen eingestellt werden, welche nichtdem idealen sprachlichenProfil der perfekt zweisprachigen Arbeitskraftentsprechen. Tritt dieser Fall ein, muss die Rekrutierungsentscheidung rationalisiertund legiti- miertwerden, in dem das Profil diskursiv angepasst wird, auch wenn dabei die sprachlichenAnforderungen teilweise (beinahe) irrelevantwerden. In diesem Fall werden die Sprachkompetenzen zur Verstärkung des (vonder Sprache unabhängig) positiv oder negativ ausfallenden Eindrucks einer Bewerberin bzw. eines Bewerbers ebenfalls entweder positiv oder negativhervorgehoben (Coray u.a. 2015:176). Die sprachliche Diversitätder Arbeitskräftemuss gemanagtund reguliert werden, um einen reibungslosen Ablauf der Arbeitsprozesse und die Gewähr- leistung der Dienstleistungen in verschiedenen Sprachen zu garantieren. Je nach Position und Notwendigkeit fürdie Arbeitsteilung wird die Relevanz sprachli- cher Kompetenzen also entweder geltend gemachtoderaberheruntergespielt (Corayu.a.2015;Flubacher u.a. 2015). Dies führtzur Tatsache, dass Sprache in variabler Weise unter bestimmten Bedingungen entweder wertgeschätzt oder entwertet wird,als Ressource fungieren oder aber komplett unbedeutend wer- den kann, kapitalisiertoder dekapitalisiertwird (MartínRojo 2013).

2.5.2 Sprachliche Grenzziehung, -überbrückung und -dekonstruktion DieAnalyse derverschiedenen Rekrutierungsprozessezeigten mehrereSchlüs- selmomente auf, in denendie Relevanz dersprachlichenund fachtechnischen Kompetenzen definiert, ausgehandelt undneu formuliert wurden, waswiederum denZugangpotentieller KandidatInnenzueiner spezifischen Stelle oderPosition eröffnete,einschränkte odervöllig verwehrte(sieheAbb.21).Diese beweglichen, teilsverschwimmenden Grenzen, welche existierende Sprachhegemonien in Frage stellen, sind fürdie KandidatInnennur teilweisesichtbar, wasdazuführt, dass diesenur wenigMöglichkeiten haben, denRekrutierungsprozesszusteuern oder zu beeinflussen–geschweige denn dieRekrutierungsentscheidungennachvoll- ziehen zu können. Die Forderung nach perfekten zweisprachigen Kompetenzeninder Stellen- ausschreibung kann als erste Grenzziehung im Selektionsprozess verstanden werden. Das ideale sprachliche Profil, das voneiner legitimen, kompetenten Arbeitskraftgefordertwird, wird als perfekte deutsch-französischeZweispra- chigkeit definiert. Dies kann potentielle KandidatInnen bereits im Vorfeld da- vonabschrecken, sich zu bewerben, und sie in einem frühen Stadium des Re- krutierungsprozesses ausschliessen. Zu diesem Zeitpunkt scheintesso, als ob Sprachkenntnisse ganz klar ein Selektionskriterium mit Gatekeeping-Effekt wären(Roberts2013). Diese frühe Grenzziehung kann nach hinten losgehen, da

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STELLENAUSSCHREIBUNG Defintion des gesuchten Sprachenprofils

Sprachenprofil potentieller KandidatInnen entspricht dem gesuchten Profil

Ja Nein

dennoch BEWERBUNG BEWERBUNG

1. SELEKTION u.a. nach Sprachkriterien (Balance, Repräsentativität, Aufgabe, Markt, usw.)

EINLADUNG ZUM VOR- STELLUNGSGESPRÄCH ABSAGE

VORSTELLUNGSGESPRÄCH & 2. SELEKTION u.a. nach Sprachkriterien (Balance, Repräsentativität, Aufgabe, Markt, usw.), aber auch: Vitamin B, Motivation, Kosten, Erfahrung, fachliche Kenntnisse,

ANSTELLUNG ABSAGE

AUTHENTIZITÄT &LEGITIMITÄT IM ARBEITSALLTAG

Abb. 21:Momente der sprachlichenGrenzziehung beim Rekrutierungsprozessund im Ar- beitsalltag die Sprachkenntnisse manchmal zugunsten fachtechnischer Kompetenzen oder anderer Gründe schrittwiese irrelevantwerden und somit Personen vom Prozess ausgeschlossen werden,die dierestlichenKompetenzenaufweisen würden. Wirftman dann einen Blick hinter die Kulissen, wird schnell klar,dass einem Gleichgewichtvon deutschen und französischen »MuttersprachlerInnen« bei TIB viel Bedeutung beigemessen wird.Obwohl einige KandidatInnen recht ausgeprägteSprachkenntnisse aufweisen und beide (Französisch und Deutsch) bzw.alle drei Idiome (inklusive das Schweizerdeutsche) sehr kompetentbe- herrschen, werden sie gemäss der Muttersprachenideologie immer einer der beiden Sprachen (Sprechergemeinschaften) zugeordnet. Die wahlweise Kate- gorisierung als SprecherIn des Französischen oder des Deutschen, welche v. a.

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 In Begleitung durch Murten 213 fürKaderpositionen mit einer gewissen politischen Symbolik ausschlaggebend zu sein scheint, kann als erneute sprachliche Grenzziehung verstanden werden. Wiewir beider Analyse der Rekrutierungsprozesse beobachten konnten, wird die Relevanz zweisprachiger Kompetenzen ausgehandelt, geltend gemacht oder vernachlässigt, da die Anforderungen an die sprachlichen Wunschkom- petenzen letztendlichandie effektiven Kompetenzen der verfügbaren Kandi- datInnen angepasst werden müssen. Am Ende sind in manchen Fällen völlig andere Kriterien ausschlaggebend:finanzielle oder politische Gründe, die Mo- tivation der KandidatInnen, Berufserfahrung und fachliche Kenntnisse sowie bereits bestehende Beziehungen zwischen den BewerberInnen und den Rekru- tierenden. Um die Wahl vonKandidatInnen, die dem Wunschprofil nichtent- sprechen, zu legitimieren, müssen die sprachlichen Grenzen, die in der Stel- lenausschreibung durch das geforderte Profil konstruiertwurden, wieder de- konstruiertwerden. Letztendlich entpuppt sich Sprache nichtals das ultimative Ausschlusskriterium, zumindest nichtinForm perfekter zweisprachiger Kom- petenzen, was wiederum dem widerspricht, was in der Stellenausschreibung und in Interviewaussagen als wichtiges Selektionskriterium beschrieben wor- den war.Betrachten wirjedoch den gesamtenRekrutierungsprozess, so spielt Sprache in vielen Momenten ein Gatekeeping-Kriterium (Abb.21). Vorallem wenn man bedenkt, dass Sprache sowohl in Form der Ausdrucksweise als auch in Form der diskursiven Strategien, die man beiVorstellungsgesprächen an den Taglegt, ebenfalls eine Rolle spielt –was in der Graphik (Abb.21) allerdings nichtmit abgebildet wurde (Roberts 2013). Undobwohl es aufgrund der sprachlichen Kategorisierung und Grenzzie- hung während des Rekrutierungsprozesses so scheint, werden Sprachkompe- tenzen beileibenichtals etwas Statisches konzipiert. VonBewerberInnen, die trotz unzureichender Sprachkompetenzen in einer Sprache angestellt werden, wird eine gewisse Investition in den Ausbauihrer sprachlichenFähigkeiten in der betreffenden Sprache gefordert(z.B. im Falle des Direktorsund der Prak- tikantininBezug aufdas Schweizerdeutsche sowieimFall des Mitarbeiters für Kommunikation und Multimedia in Bezug aufseine Deutschkenntnisse) (Du- chÞne 2016), was wiederum die vorangehenden Kategorisierungen und Grenz- ziehungen in einem gewissen Mass dehnbar, dynamisch und variabel macht.

3. In Begleitung durch Murten

Nebendem Empfang der Gäste und der Bereitstellung vonInformationen über die Region stellt die Organisation vonStadtführungen einen weiteren Opera- tionsbereich vonTIB dar.Inden nächsten Unterkapiteln soll aufgezeigtwerden, welche Rolle Sprachkenntnisse sowohl fürdie Rekrutierung und Ausbildung

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3.1 Forschungsfokus:Stadtführungen

In Murten sind dieStadtführungen einesder bedeutendsten Produkte desTou- rismusbetriebs. EinBataillon von rund35sogenannten »StadtbegleiterInnen« führt dieBesucherInnen aufDeutsch,Schweizerdeutsch,Französisch, Englisch undauf Anfrageauchauf Italienisch, Spanisch oderChinesisch(Mandarin)durch die Stadt. Das Führungsangebotumfasst rund zehn verschiedene thematische Führungen durch die Altstadt, teilweise auch in Kombination mit einer Führung durch das Museum oder einer Rundfahrt aufdem Murtensee. Inhaltlich wird in den klassischen Führungen v. a. die lokale Geschichte thematisiert, aber auch die lokale Zweisprachigkeit kommt zur Sprache. Andere Führungsangebote werden als theatralische Inszenierungen dargeboten, beidenen die FührerInnen in die Rollen lokaler historischer Persönlichkeiten schlüpfen. Eine weitere Führung entstand wiederum in Zusammenarbeit mit Murtner Restaurants und bietet den BesucherInnen eine Degustierung lokaler Spezialitäten in vier verschiedenen Restaurants (mehr hierzu in Kapitel VI.2.2).Die verschiedenen Führungen werden entweder an bestimmten Terminen als öffentlicheRundgänge organi- siert, an denen Individualpersonen teilnehmenkönnen, können aber auch an anderen Terminen gesondertfürGruppen gebuchtwerden. Jährlich werden so rund 8800 BesucherInnen durch die AltstadtMurtens »begleitet«. Die Mehrheit der Touren wird auf(Schweizer-)Deutsch durchgeführt(rund 75 %), während nurrund 12 %auf Französisch und der Rest in den anderenverfügbaren Sprachen bzw.neuerdings auch zweisprachig(rund 10 %) durchgeführtwerden (siehe auch Kapitel VI.2).98 Die lokale Bevölkerung macht einen wichtigen Anteil am Publikum der Stadtführungen aus. Keine(r) der StadtbegleiterInnen bekleidet die Führungstätigkeit im Rah- men einer Vollzeitbeschäftigung.Vielmehr handelt es sich um eine hobbyartige Nebenbeschäftigung.Viele der FührerInnen sind bereits im Rentenalter und empfinden die Führungstätigkeit als willkommeneBeschäftigung,umweiterhin im Kontakt mit anderen Leuten zu sein und aktiv zu bleiben. Die Hälfte des Ertrags einer Führung wird durch TIB eingenommenund stellt einen wichtigen Anteil der Eigeneinnahmen TIBs dar, die andereHälfte verdientdie/der jeweilige StadtführerIn selbst (rund 80 Sfr füreine eineinhalbstündige Führung) –was laut der FührerInnen eigentlich eine gute Bezahlung darstellt.Allerdings wird niemandsooft gebucht, dass er vom Führungsverdienst leben könnte. Doch wie

98 Stand:2014;Quelle:Jahresbericht2014 vonTIB.

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3.2 Sprachlicher Hürdenlauf auf dem Ausbildungswegzur/m StadtführerIn

Beginnen wirmit dem Anwerben, der Rekrutierung und der Ausbildung neuer FührerInnen. Ältere Generationen der StadtführerInnen erzählten mir,dass sie entweder (u. a. aufgrund ihrer Sprachkenntnisse) vonTIB-MitarbeiterInnen angesprochen worden waren, ob sie nichtdaran interessiertwären, als Stadt- begleiterInnen zu arbeiten, oder aber sich aufeine Ausschreibung hin gemeldet hatten. Heute werden Stellen jedoch nichtmehr ausgeschrieben. In den letzten Jahren wurde das Selektionsverfahren neuer StadtführerInnen zunehmend in- stitutionalisiert und professionalisiert. Seit 2009 bietetTIB nuneine offizielle Ausbildung an99,die vonzweierfahrenen StadtführerInnen (beide ehemalige Militärs) durchgeführtwird. Fürdiese Ausbildung müssen sich interessierte AnwärterInnen bewerben, werden je nachSelektionskriterien ausgewählt und zur Ausbildung zugelassen, um schliesslich am Ende der Ausbildungszeit eine Prüfung zu absolvieren. Potentielle KandidatInnenwerden zwar weiterhin von TIB-MitarbeiterInnen angesprochen, wennsie Sprachen sprechen,indenen gerade Führerbedarfbesteht, doch auch sie müssen die Ausbildung absolvieren. Simon erklärteineinem Interview nach welchen Kriterien die Auswahl der BewerberInnen zur Stadtführerausbildung erfolgt.

1 SIMON :onnefait pas d’offre d’emploi. on asuffisammentde 2 demandes de personnes qui souhaitentdevenir un 3 guide. on met en place une formation tous les deux ans, 4 euhm oœ il yaun trisØlectifqui se fait. donc on accorde 5 un certain nombre de places par langue. 6INTERVIEWEUR :d’accord. et vous avez combien de languesenfait/ 7SIMON :onatrois langues. euh franÅais allemand anglais. bon

99 Die zunehmende Institutionalisierungund Professionalisierung der Ausbildungvon StadtführerInnen ist ein Trend, der allgemein in der Schweiz zu beobachten ist. So wird auch in anderen Schweizer Städten eine offizielle Ausbildung angeboten, während an der HFT Luzern eine einheitliche Ausbildunggeschaffen wurde,die zu einem aufeidgenössischer Ebene anerkanntem Berufsabschluss führt(siehe Artikel: »Neue Berufsprüfung im Tou- rismus:Reiseleiter/-in« online unter:https://www.stv-fst.ch/de/articles/5506/neue-berufs pruefung-im-tourismus-reiseleiter;Abrufdatum 24.05.2018).

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8 on al’espagnol italien et on peut mÞme l’offrir en 9 chinois. euh, Åa ajamais ØtØ demandØ.mais une fois Åa 10 a ØtØ demandØ mais du jour au lendemain on apas 11 rØussi à l’organiser.euh% mais on recrute sur les trois 12 langues, donc franÅais allemand anglais. apr›sc’est 13 c’est, bien il yail yadeux guidesqui parlentqui fontles 14 visites en franÅais euh sont Øgalem=biensontlangue 15 maternelle italienne. euh ou bien une italienne et une 16 espagnole et puis elles peuventfaire aussides visites 17 dans ces langues. donc là on apas besoin de plus qu’un 18 ou deux guides. euhm c’est sur=bien c’est le franÅais 19 qui nous pose un peu les probl›mes, parce que il ya 20 finalementpeu de francophones dans la rØgion. donc 21 euh:, c’est là qu’on met, bien on aunnumerusclausus 22 lààl’entrØedes guides, on:(1) mm sur sur la=on vient 23 de terminer une formation de guide,donc là on avait, 24 on proposait, on prenait tous qui pouvaientvenir dans 25 le franÅais et l’anglais, parce que on en aunmanque. 26 alors que sur l’allemand on amis un trisØlectifqui s’est 27 automatiquementilyaplusieurs personnes qui Øtaient 28 finalementpas si intØressØes à toutleprocessus,qui se 29 sont retirØes automatiquement. en voyantc’Øtait 30 quand mÞme un processus assez complexe. il yavait un 31 apprentissage assez long. et là on a(1) euh finalement 32 presque une dizaine de nouveaux guides là.

Übersetzung

1 SIMON:wir schreiben keine stellen aus. wirhaben genügend 2 anfragen vonleuten die gerne stadtführer werden 3 möchten. alle zwei jahre organisieren wireine 4 ausbildung, ähm, wobei wireine selektive auswahl 5 treffen. das heisst wirbieteneine bestimmte anzahlan 6 ausbildungsplätzen prosprache an. 7INTERVIEWER:okay. und wieviele sprachen habt ihr eigentlich/ 8 SIMON:wir habendrei sprachen. ähm französisch deutsch 9 englisch. gut wirhaben auch spanisch,italienisch und 10 können es sogar aufchinesisch anbieten. äh, dafürgab 11 es aber noch nie eine nachfrage.docheinmal gab es 12 eine anfrage, aber vonheute aufmorgen haben wires

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13 nichtorganisieren können. äh% wirrekrutieren die 14 drei sprachen, also französisch, deutsch englisch. dann 15 ist es ist es, gut wirhaben wirhaben zwei stadtführer 16 die sprechen die machen die führung auffranzösisch 17 ähdie sind auch=sind italienischer muttersprache. äh 18 oder besser gesagteine italienerin und eine spanierin 19 und sie können die führungenauch in diesen sprachen 20 machen. und da brauchen wirauch nichtmehr als ein 21 oder zwei führer. ähdas ist sicher=gut es ist das 22 französische das uns ein bisschenprobleme bereitet, 23 weil es letztendlich wenig frankophone gibt in der 24 gegend. da setzen wiralso einen numerus klausus bei 25 der auswahl der stadführer,wir (.) mm aufauf die=wir 26 haben gerade eine stadtführerausbildung beendet. und 27 da haben wir, wirhaben angeboten, wirhaben alle die 28 die führung auffranzösisch und englisch machen 29 konnten genommen, weil wirdaein manko haben. 30 während wirbeim deutschen automatisch eine 31 selektiveauswahl getroffen haben es gab mehrere 32 personen die letztendlich nichtsoamganzen prozess 33 interessiertwaren, die automatisch ihre bewerbung 34 zurückgezogen haben. als sie gesehen haben dass es 35 doch ein rechtkomplexerprozess ist. der lehrgang 36 dauertrechtlange. und jetzt haben wir(1) äh 37 letztendlich fast ungefähr zehn neue stadtführer.

Simons Beschreibung der Zulassung vonBewerberInnen zur Stadtführeraus- bildung verrätviel überdie Hierarchisierung der Sprachen, die beim Aus- wahlverfahren herrscht. Da die BesucherInnen, die nach Murten kommen, hauptsächlich (schweizer)deutsch-, französisch-oder englischsprachig sind, orientiertsich sowohl das Stadtführungsangebot als auch die Auswahl der FührerInnen an diesen Sprachen (Zeilen 8–9 und 13–14). D. h. die Sprachen (Schweizer-)Deutsch, Französisch und Englisch habeneine höhere Gewichtung als andere mögliche Sprachen, die potentielle FührerInnen mitbringen könnten und sind gleichzeitig auch Voraussetzung fürdie Zulassungzur Ausbildung. Doch das Stadtführungsangebot in diesen drei Sprachenwird nichtgleich viel beansprucht. Die meisten Stadtführungen werden zwar auf(Schweizer-)Deutsch gebucht, gleichzeitig istesfürTIB im mehrheitlich schweizerdeutschsprachigen Murten aberauchameinfachsten(schweizer)deutschsprachige FührerInnenzu rekrutieren.Daessichbei Französischund Englischumständige »Mangelware«

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 218 Personalmanagement –Regulierung der Spracharbeitsressourcen handelt, werden diese Sprachen beider Ausbildung stärker gewichtet und französisch-sowie englischsprachige BewerberInnen vorrangig zugelassen (Zeilen 27–29).Bringtein(e) Bewerber(In) darüberhinaus noch eine zusätzliche Sprache mit, wird deren/dessen sprachliche Flexibilitätnachneoliberalen Lo- gikenals Mehrwertbetrachtet, erweitertesdochohne jeglichen (Kosten-)Auf- wand die Angebotspalettevon TIB, was aber an sich eigentlich gar nichtun- bedingtnotwendig ist, da ausser an (Schweizer-)Deutsch, Französisch und Englisch quasi kein Bedarfanzusätzlichen Sprachen zu bestehen scheint(Zeilen 9–13 und 15–21). Weitere Sprachkenntnisse sind also ein willkommenes Extra, vor allem, wenn die/der FührerIn zudem noch Französisch und Englisch kann, werden aber nichtgesondertwertgeschätzt und somit banalisiert(DuchÞne 2011). Pro Ausbildungsdurchgang werden gemäss einem »Numerus clausus« (Zeilen 24–25) nureine bestimmte Anzahl neuer FührerInnen ausgebildet.Die verfügbaren Plätze werden nachder oben beschriebenen Gewichtung der Sprachen verteilt (Zeilen 21–25und 27–31). Die Kategorisierung der Bewerbe- rInnen als SprecherInnen einer bestimmtenSprache entscheidet also überihre Selektion (Muttersprachenideologie). Simon deutet an, dass zwar alle englisch- und französischsprachigen BewerberInnen aufgenommen wurden, sich aber mehr Deutschsprachige beworben hätten, als benötigt wurden (Zeilen 27–31). Hier stützte sich die Selektion aufdas Kriterium der Motivation (Zeilen 30–35). Beider Zulassung zur Ausbildung lässt sich also eine erste sprachlicheHürde bzw.Grenzziehung feststellen, welche sich nachdem aktuellen Bedarfan Sprachen richtet. Die Erstsprache der beiden AusbilderInnen ist Schweizerdeutsch. Sie spre- chen aber beide auch Französisch und Englisch. Einerder beiden Ausbilde- rInnen kann Führungenauf (Schweizer-)Deutsch und Französisch durchführen, während die andereAusbilderin Führungen in allen drei Sprachen anbietet. Beide haben selbst fast alle Führungsformate in ihrem Repertoire und waren zudem massgeblich an der Gestaltung einiger der Führungen beteiligt. Die Ausbildung wird seit ihrer Einführung regelmässig alle zwei Jahre(bzw.jenach Bedarf) angeboten und aufDeutsch und Französisch durchgeführt. D. h. selbst diejenigenBewerberInnen, die die Stadtführung letztendlich in anderen Spra- chen anbietenwollen (z.B. Italienisch,Englisch usw.), müssen zumindest eine der beiden lokalen Sprachen beherrschen, um die Ausbildung absolvieren zu können. Hier stellt die Sprache also eine zweite sprachliche Hürdedar. Während der Ausbildung erhalten die Auszubildenden ein 32-seitiges Dos- sier,das überden Ablauf einer Stadtführung informiert, Verhaltensregeln für FührerInnen und die wichtigsten Daten zur Stadtgeschichte enthält.Die Aus- zubildenden werden des Weiteren dazu angehalten, mehrfach beiFührungen vonerfahrenen StadtführerInnen mitzugehen. Zudem erhalten Sie Tipps von den beiden AusbilderInnen, die erklären, was es alles aufeiner Stadtführung zu

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»10 GOLDENE REGELN FÜRSTADTBEGLEITER 1. So individuell wieSie sind IhreGäste. Bereiten Sie sich aufjeden Rundgang speziell vor. 2. Der erste Eindruck zählt. 3. Herzlichkeit,Flexibilitätund Einfühlungsvermögen –eine unschlagbareMischung! 4. Gästewünsche wenn immermöglich erfüllen. 5. Weniger ist mehr!Treffen Sie eine exemplarische Auswahl was Sie zeigenwollen. 6. Wahre, humorvolle Anekdoten lockernwissenschaftliche Fakten auf. 7. Jahrzahlen äusserst sparsam dosieren, lange & ausführliche wissenschaftliche Er- klärungen sind ›Fachgruppen‹ vorbehalten. 8. Professionelles Auftreten –Unpässlichkeiten bleiben zu Hause. 9.Was gibt’sNeues?Regelmässiges Lesenvon lokalenZeitungen undVeranstaltungs- kalendern. 10. Die Gruppe weder im Regen stehen, noch in die Sonne blinzelnlassen und be- hindernSie keine Verkehrsteilnehmer.« (Ausbildungsdossier 2012:17, Grossschrei- bungi.O.)

Unterstützung erhalten die beiden AusbilderInnen zudem voneiner Theater- regisseurin, die den Auszubildenden Kommunikationstipps gibt, z.B. wieman am besten vor einer Gruppe spricht, wieman sich positioniert, sodass keiner der TeilnehmerInnen beim Zuhörenindie Sonne blicken muss usw.Durch die Ausbildung wird versucht, den Inhalt und den Verlauf der angebotenen Stadt- führungen sowiedas sprachliche Verhalten und selbst das Embodiment der FührerInnen einigermassen zu vereinheitlichen. Dieser Standardisierungsver- such kann auch als Kontrolle bzw.Regulierung der sprachlichen Darstellungs- weise des Inhalts und der Vorgehensweise im Sinne eines Qualitätsmanagements der angebotenen touristischen Dienstleistung betrachtet werden. Es findetalso eine ArtUniformierung der zu produzierenden Diskurse, also was und wie über die lokale Situation und Geschichte erzählt wird, statt(Weiler und Black 2014). Im Ausbildungsdossier finden sich hierfürz.B.diskursiveStrategien, wiedas Erzählen »humorvoller Anekdoten«(siehe Zitat oben), aber auch Tipps, wiedie StadtbegleiterInnendurch sprachliches Verhalten die Aufmerksamkeit der Gruppe aufrechterhalten können:

»TIPPS UND EMPFEHLUNGEN Wastun, wenn in derGruppe die Aufmerksamkeit verloren geht? –Leiser sprechen –Eine Frage stellen –Mitten im Satz aufhören zu sprechen –Eine Pause machen, bis wieder alle zuhören –UmRuhe bitten

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Die interessierten Zuhörer weisen dann oft die ›schwarzen Schafe‹ zurecht. Notfalls den Gruppenverantwortlichen beiziehen. WICHTIG!Sich nie genervt zeigen –coolbleiben!« (Ausbildungsdossier 2012:6)

Haben die BewerberInnen einmalerfolgreich die Prüfung absolviert, welche darin besteht, vorden kritischen Augen der beiden AusbilderInnen eine Füh- rung zu gestalten, werden ihnen erneut Hürden gestellt:und zwar in doppel- ter Hinsicht, was ihr Sprachenrepertoire betrifft, wenn es um die Buchung ihrer Person füreine bestimmte Führung geht. Die TIB-Mitarbeiterin100,welche sich um die Buchungsorganisation der Stadtführungen kümmert, verfügt übereine Liste, aufder alle StadtführerInnen namentlich mit Angaben zu ihrem Sprachen- und Führungsrepertoire aufgeführtsind als auch mit Informationendazu, in welchen Berufsbereichen bzw.zuwelchen Themensie sich besonders gut aus- kennen. Letztere Informationen aufder Liste dienen dazu, den Führungen eine möglichst persönliche Note zu verleihenund sowohl die Wahl der Führerin bzw. des Führers als auch die »Verpackung des Führungsinhalts« bestmöglich an die Gruppe anzupassen. Die StadtbegleiterInnenwerden nämlich im Vorfeld über die Charakteristikaihrer Gruppe informiert(z.B. es handelt sich um einen Frauenchor oder um einen Betriebsausflug der Firma XY)und dazu angehalten, sich besonders aufdie Führung vorzubereiten, um die Gruppe während der Führung mit Zusatzinformationen zu versorgen, die fürdiese u.U. besonders interessantsein könnten (z.B. dasErzählen vonFrauengeschichten ausder Stadt Murten oder die Betonung irgendwelcher denkwürdiger Beziehungen,die Fir- ma XY zur Region Murten pflegt).101 Wiewird aber nun entschieden, welche(r) FührerIn vonder Liste angerufen wird,umdie Führungsanfrage zu realisieren? Simon erklärtemir in einem Interview (vom 02.05.2013),nach welchen Prin- zipien die Auswahlund Buchung einer bestimmtenFührerin bzw.eines be- stimmtenFührers ausdem Führerpool letztendlich vorgenommen wird:

1 SIMON :donc là on aeuh (1) donc on aunbataillon de trente cinq guides 2 ou donc ce qu’il est relativementbeaucoup.onabesoin de 3 beaucoup de guides, beaucoup sur=bien il yenaqui travaillent 4 encore qui sontpas disponibles toujours. et c’est vrai que là on a 5 besoin de beaucoup de guidesc’est quand on ales grandes 6 groupes, toutd’un coup,euh% auxmÞmes dates, et% donc on a 7 besoin pas mal de d’une d’un certain champ d’action, donc beau- 8 beaucoup de guides. on aeulesouci sur les derni›res annØes 9 qu’on avait pas assez de guides francophones et de langue:

100 Die Buchungsorganisation umfasst vom Arbeitsaufwand eine 100 %-Stelle beiTIB. 101 Siehehierzu auch Regel 1der »10 goldenen Regeln« (S. 219).

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10 anglaise. euhm il est prØfØrable, quand il yaun groupe de 11 francophones qui viennentdeleur proposer un guide de langue 12 maternelle francophone. tout comme c’est prØfØrable euh pour un 13 groupe d’alØmaniques d’avoir un guide alØmanique. je=au niveau 14 de la proximitØ,je- je trouve aussi au niveaudededuvØcu, parce 15 qu’il essaie de transmettre le vØcu, Åa passe mieux quand mÞme si 16 c’est vraiment, s’il yaune certaine affinitØ aussi euh directeau 17 niveaudelalangue. euhm voilà on essaie d’avoir un Øquilibre à ce 18 niveaulà.

Übersetzung

1 SIMON:also momentan haben wir äh(1) also wirhaben ein bataillon mit 2 fünfunddreissig stadtführern und dassind relativviele. wir 3 brauchen viele führer,viele=okayesgibt welche die arbeiten 4 noch nebenher und sind nichtimmer verfügbar,und wir 5 brauchen einfach viele führer wennesgrosse gruppenanfragen 6 gibt, aufeinmal, äh% zur gleichen zeit, und% da brauchen wir 7 einen rechtgrossen handlungsspielraum, also vie- viele führer. 8 wirhaben die letzten jahre das problem gehabt, dass wirnicht 9 genügend französischsprachige führer hatten und führer 10 englischer sprache, ähm es ist besser,wenn eine gruppe 11 frankophoner kommt, ihnen einen muttersprachlichen 12 frankophonen führer bereitzustellen. so wieesauch besser ist äh 13 füreine deutschschweizer gruppe, einen deutschschweizer führer 14 zu haben. ich- vom nähesprachlichen, ich- ich find auch was das 15 erlebnis betrifft, weil man versuchtein erlebniszuvermitteln, das 16 gehtwirklich besser wennman vomsprachlichen her eine 17 gewisse affinitätbesitzt. ähdeswegen versuchen wir 18 diesbezüglich ein gleichgewichtzuhaben.

Da TIB in der sommerlichen Hochsaisonhäufig viele Anfragen fürStadtfüh- rungen aufeinmalerhält, werden bewusst mehr StadtführerInnen ausgebildet und beschäftigt, als eigentlich benötigt würden. Diese Strategie erlaubt TIB, immer einen Pool an StadtführerInnen zur Verfügung zu haben und erhöhte Flexibilität, wenn es darum geht, den Gästen ein sprachlich bestmöglich ange- passtes Führungspersonal bieten zu können (Zeilen 10–17). Beider Zusam- mensetzung des Führerpools spielt auch das Gleichgewichtder Repräsentan- tInnen der einzelnen Sprachen wieder eine Rolle (Zeilen 17–18), das wirbereits beider Rekrutierung der Mitarbeiter vonTIB beobachten konnten. Beider Auswahl und Buchung einer Stadtbegleiterin bzw.eines Stadtbeglei-

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3.3 Authentizitäts- und Legitimitätsfragen im Führungsalltag

Wiesich diese Formen der sprachlichen Grenzziehung schliesslich konkret als Hürden im Arbeitsalltag der StadtführerInnen äussern, wird in den folgenden Unterkapiteln am Beispiel je zweier englischsprachigerund zweier deutsch- sprachiger Stadtführerinnen beleuchtet. Alle vier hatte ich aufFührungen be- gleitet und anschliessend interviewt. Mit Hilfe einiger ausgewählter Interview- ausschnittewerde ich die Spannungen und Herausforderungen untersuchen, welche mit der Idee der StadtbegleiterInnen als sprachlich ideale Repräsentan- tInnen der Stadt Murten an der Sprachgrenze einhergehen. Ichwerde aufzeigen, dass diese Spannungen aufsprachlichen Kategorisierungs- und Grenzzie- hungsprozessen beruhen und sich im Führungsalltag konkret als Authentizitäts- und Legitimitätsprobleme äussern. Die Authentizitäts- und Legitimitätskon- struktionen der StadtbegleiterInnen werde ich ausder Multiperspektive der Führerinnen mit der institutionellen Logikvon TIB als auch ausder Sichtvon TouristInnen darstellen und analysieren, mit welchen Authentifizierungs- und Legitimitätsstrategien die Führerinnen den Spannungen im Führungsalltag begegnen und die sprachlichenHürden zu überwinden versuchen.

3.3.1 Englisch:Muttersprachlerin und lokalstämmig

Elisabeth Beginnen wirmit einer englischsprachigen Stadtführerin, die wirhier Elisabeth nennen werden. Elisabeth wurde als Tochter zweier Schweizerdeutscher Aus- wanderer in den USA geboren und wuchs dortauf. Elisabeths Ehemann, ebenfalls Deutschschweizer,arbeite als Expatriierter fürein Schweizer Gross- unternehmen.Die Missionen ihres Mannes führten dazu, dass Elisabeths Fa- milie einen Grossteil ihres Lebens in verschiedenen (u. a. französischsprachi- gen) afrikanischen und asiatischen Ländernverbrachte, bis sie sich schliesslich in der Schweiz ansiedelte. Zum Zeitpunktmeines Erstkontakts mit Elisabeth lebte sie, ihr Mann und ihrebeiden Kinder gerade seit einem Jahr in Murten. Sie hatten sich aufgrund der lokalen Zweisprachigkeit dazu entschieden, sich in Murten anzusiedeln, um den Kinderneine gute Ausbildung in beiden Sprachen zu ermöglichen.Elisabeth selbst sprach neben dem Englischen auch Schwei- zerdeutsch und Französisch.Nachdem ich Elisabeth beieiner Führung auf Englisch begleitet hatte, erzählte sie mir in einem Interview aufSchweizer-

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1 ELISABETH:.hbiaagsprocheworde vo öper wo::: (.) per zuefall hätt mich 2 ghört änglisch rede/ .h und hätt mir gseit dass ihätt e- eschöns 3 änglisch äh:nödsoesakzent, äh:%aso ob das jetz new yorker 4 oder änglisch wies änglischakzent.hahschunntwill ihaso 5 lang mit NICHTänglischsprächendi lüt ÄNGLISCH gredt dass 6 es akzentechli (.) sich usbreitet .h dass si bruuched lütis 7 tourismus wo:die tour uf ihre muetersprach gibet.

Übersetzung

1 ELISABETH:ich bin vonjemandem angesprochen worden die mich per 2 zufallhat englisch sprechen hören/ und sie hat mir gesagt, dass 3 ich so ein schönes englisch hätte ähund nichtsoeinen akzent. 4 ähenglisch wievon einem new yorker oder ein britischer 5 akzent. .h und das kommt weil ich so lange mit 6 NICHTenglischsprachigen leuten ENGLISCHgesprochen 7 habe, dass es den akzentein wenig ausgemerzt hat. und dass 8 sie im tourismus leute brauchen die die touren in ihrer 9 muttersprache durchführen können.

Auch Elisabeth berichtet, dass sie angesprochen worden sei, da TIBauf der Suche nach englischsprachigen StadtbegleiterInnenwar.Abernichtnach ir- gendwelchen englischsprachigen StadtbegleiterInnen. Diese sollten im Idealfall MuttersprachlerInnen sein, mit einem gut verständlichen, »neutralen«, also akzentfreien Englisch102 (Zeile 3). Elisabeth kann eben gerade dieses sprachliche Profil aufweisen, fühlt sich im ersten Momentjedoch gar nichtwirklich legiti- miert, englische Führungen in Murten zu gestalten:

1 ELISABETH:und zersch han itänkt das isch jo schad, will es isch so herzig 2 wenn die schwizer da änglisch reded, .h (.) aber denn han i ä 3 säuber gmerkt dass (.) eigentlech isch es guet (.) will: 4 (1) teilwis die lütwoänglisch (.) (tours) mached sind nöd 5 IMMER alli (.) .h ähmuetersprach änglisch. und denn isch es 6 guet wenn öper (.) das as muetersprach gibt, .h dass me 7 würklech cha sache erCHLÄRE, (.) mit die richtigi wörter.i

102 Siehe Cowie(2007) und Rahman (2009) füreine kritische Diskussionder unterschiedlichen Bedeutungen, Vorstellungen und Interpretationen von»neutralem« Englisch.

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8 dem sinn aso das:.h(..)amaafang han is echli schad gfunde 9 will ich ghördas eigentlich gernwenn efranzos öpis uf 10 änglisch seit oder so öpis oder uf en anderisprach .h aber am 11 schluss han ich tänkt ja vilech für- fürstourismus aso so:i 12 dem isch- isch das grad guet wenn-(.) wenn lütufihre 13 muetersprach die tour gibet.

Übersetzung

1 ELISABETH:und erst habeich gedachtdas ist ja schade weil es ist so süss 2 wenn die schweizer englisch reden, .h (.) aber dann hab ich 3 selbst gemerkt dass (.) eigentlich ist es gut (.) weil (1) teilweise 4 die leutedie englische (touren) machen sind nichtIMMER 5 alle (.) .h ähenglischer muttersprache. und dann ist es gut 6 wenn (.) das jemand in der muttersprache gibt, .h dass man 7 wirklichsachen erKLÄREN kann (.) mit den richtigen 8 wörtern. in dem sinn also das .h (..) am anfang fand ich es ein 9 wenig schade weil ich es eigentlich gernhöre wenn ein 10 franzose etwas aufenglisch sagtoder so was oder in einer 11 anderen sprache .h aber am schluss habeich gedachtja 12 vielleichtfürfürden tourismus. also so ists eigentlich grad 13 gut wenn wenn leute die toureninihrer muttersprache geben.

Während die Person, die Elisabeth aufihr Englisch angesprochen hat,mit dem Akzenteine regionale Varietätdes Englischen auseiner englischsprachigen Region (z.B. Grossbritannien oder USA usw.) meinte, spielt Elisabeth im zweiten Interviewausschnitt aufeine andereArt vonAkzentan, nämlich einen fremd- sprachlichenAkzent. Elisabeth ist sich bewusst, dass ihre Sprachperformanz im Englischen verrät, dass sie nichtlokalstämmig ist. So präzisiertsie, dass sie durch ihre muttersprachlichen Englischkompetenzenohnefremdsprachlichen Akzent, der sie nichtals Französisch- oder Schweizerdeutschsprecherin und somit als lokale Sprecherin identifiziert, nichtals authentische Murtnerin wahrgenommen wird.Dass Elisabeth auch Schweizerdeutsch beherrscht, ist ihrem akzentfreien Englisch nämlich nichtzuentnehmen. Elisabeth befindet sich in einem Konflikt:Einerseits konstruiertsie sich aufgrund der fehlenden lokalen Authentizitätihrer Englischperformanznichtfürlegitim, Führungenin Murten anzubieten, andererseits wiederum schon, da sie weiss, dass ihre mut- tersprachlichen Kompetenzen ihr erlauben, den Inhalt der Führung dem Pu- blikum in einer verständlichenArt und Weise zu vermitteln. Um ihre Position als legitime Muttersprachlerin zu stärken, zweifelt sie die Fähigkeit nicht-mut- tersprachlicher FührerInnen an, die Wissensvermittlung aufEnglisch zufrie-

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1 ELISABETH:and she said we’re looking for people to do it in english, (…) 2 and ihad actually said ithink it’s so nice if youhaveadramatic 3 speaking person with this nice accentinenglish. (..) and she 4 said NO NO NO we really would likesome (.) english speaking 5 people.

Auch hier gehtsie wieder darauf ein, dass schweizstämmige Personen einen AkzentimEnglischen hätten, den sie aber fürdie Aufgabeeiner Stadtführerin bzw.eines Stadtführers mehr als passend, authentisch und auch legitim zu finden scheint(Herkunftsdiskurs), wogegen der sie rekrutierenden Stadtfüh- rerin, welche selbst zweisprachig mit ausgezeichneten Kenntnissen in Franzö- sisch und (Schweizer-)Deutsch ist und u.a. auch Touren aufEnglisch anbietet, die fliessenden und fehlerfreien Kompetenzen wichtiger zu sein scheinen (Muttersprachenideologie). Während der Tour konnte ich beobachten, wieElisabeth diskursiv versuchte, sich als legitime Repräsentantinvon Murten darzustellen. Da sie aufsprachli- cher Ebene durch ihr »akzentfreies« Englisch nichtverbergen konnte, dass sie nichtlokalstämmig ist, betontesie wiederholte Male ihreVerbundenheit zur Schweiz und besonders zu Murten. ELISABETH:ili –ifeel partofmurten. idon’t feel likeanoutsider.

Sie versuchte erst gar nichtzuvertuschen, dass sie einen internationalen Hin- tergrund hat und erklärte, dass sie als Kindschweizerdeutscher Eltern in Amerika aufgewachsen war.Die TourteilnehmerInnen schienen ihre Biografie interessantzufinden und stellten ihr während der Tour persönliche Fragen:

1 TEILNEHMERIN 1: and i- ihaveaprivatequestion, when your husband will 2 be in retirement.hdoyou already knowwhere youwant 3 to live/ 4ELISABETH:.hh i’m going to stayinmurten. 5TEILNEHMERIN 1: yes/ 6ELISABETH:yes ((laughs)) uhm .h my parents ar:e- are swiss and

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7 uhm (2) mts (2) hh so my cousins are here, .h i’ve always 8 felt more affiliation to switzerland than to america.

Die Sequenzen überihr Privatleben nahmElisabeth ebenfalls als Anlass, um Murten als ihre Wahlheimat darzustellen und somit ihrefehlende Lokalstäm- migkeit zu überwinden, die in ihren Augen ein wichtiges Kriterium darstellt, um als legitime Repräsentantinder Stadt wahrgenommen zu werden. In den englischsprachigen Erzählungen während der Tour performte sie die lokale Zweisprachigkeit zwar nichtexplizit fürdie TeilnehmerInnen. Doch wechselte sie vorden Tourteilnehmenden problemlos ins Schweizerdeutsche und ins Französische, wenn sie mit mir oder dem Mitarbeiter vonTMS103 sprach, der uns begleitete. In diesen Situationen zeigte sie, dass sie neben dem Engli- schen auch die lokalen Sprachenbeherrschte und sprachlich integriertwar. Auch ging sie immer wieder in ihren Erklärungen aufdie lokale Zweispra- chigkeit ein und demonstrierte ihr Wissen dazu. Doch auch die TeilnehmerIn- nen griffen das Thema aufund wollten mehr überdie lokale sprachliche Si- tuation wissen, wobei Elisabeth manchmal an ihreGrenzen stiess:

1TEILNEHMERIN:but u:hthe cityissupposed to be totally bilingual/ 2ELISABETH:uh(.) yeah murten murten 3TEILNEHMERIN:sowhy are street names only in german/ 4 ELISABETH:((looks around)) they are only in german/ 5 +schlossgasse ((german))+ .h because everybodycan 6 speak two languages. (.) so it doesn’t matter..hbut it is 7 murten and- and morat, (..) .h and actually ihavea 8 friend and he:he’s french speaking .hand he:uhhe 9 speaks swiss german with me and he’s verymuch 10 bilingual youdon’t hear anydifference .h and he said a 11 friend of his fromour uh cousin of his, (.) wholives in- 12 in the wallis in the french speaking part came up and 13 said .h oh (.) youknowiwas in +morat ((french))+ 14 yesterdayand isaw these signs from +murten 15 ((german))+,(.) but inever found it. and he said well it’s 16 the same thing.((laughs)) 17 TEILNEHMERIN:((laughs)) 18 ELISABETH:and like +kerzers ((german))+ is +chi›tres ((french))+ 19 which is quite DIFFErent.huhm (.) idon’t really know

103 Er begleitete die Journalistengruppe durch die ganzeSchweiz. Murten war nur eine Station vonvielen.

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 228 Personalmanagement –Regulierung der Spracharbeitsressourcen

20 whythe signs are ONLYingerman, (..) but i’m assuming 21 thatthey aren’t worried about it 22 TEILNEHMERIN:well ijust just asked youbecause in +bruxelles 23 ((french))+ someone (would already) have taken 24 marker and put the name in french 25 ELISABETH:that’s (.) yeah. (2) but we’re not (.) we’re verypeace 26 loving swiss uh

Als eine Teilnehmerin die lokale Zweisprachigkeit anzweifelt und Elisabeth auf die Dominanz des Deutschen in der SprachlandschaftMurtens hinweist, wird klar,dass es ihr wohl selbst noch gar nichtaufgefallen ist oder sie sichzumin- dest noch keine Gedanken dazu gemachthat (Zeilen 4–5).Hier ist anzumerken, dass nichtdie gesamte Beschilderung in Murten rein deutschsprachig ist. Die Ortsschilder und die Bahnhofsschilder sind durchaus zweisprachig,während manch andereSchilder und Informationstafeln sogar mehrsprachig in den Sprachen der TouristInnen gestaltet sind. Die Strassennamen sind jedoch nur aufDeutsch angeschrieben. Elisabeth versuchtdurch eine lustige Anekdote104 zu den zweisprachigen Ortsnamen, die sie aufDeutsch und aufFranzösisch aus- spricht, vonihrer Unwissenheit abzulenkenund gleichzeitig zu bestätigen, dass Murten doch zweisprachig ist (Zeilen 7–16). Letztendlich gibt sie aber zu, dass sie den Grund nichtkennt, weshalb die Strasse, in der sich die Gruppe gerade befindet, nur aufDeutsch angeschrieben ist (Zeilen 19–20). Sie mutmasst, dass es der lokalen Bevölkerung egal sei (Zeile 21) und stellt diese als sehr friedlie- bend und die Zweisprachigkeit als harmonisch dar(Zeilen 25–26). Die Betonung beider Charakterisierung der Schweizer Bevölkerung liegtauf dem Wort WIR (Zeile 25). Dadurch versuchtElisabeth ihr Image als legitime Repräsentantinder lokalen Bevökerung wieder herzustellen,nachdem ihre Glaubwürdigkeit kurz ins Wanken geraten war,als sie ihre Unwissenheit zugeben musste und in ihrer Mutmassung vonder lokalen Bevölkerung in der 3. Person Plural formulierte, sich also nichtals einen Teil davonbeschrieb.Dieser Interaktionsausschnitt zeigt, dass die Wahrnehmung als legitime Expertinselbst in englischsprachigen Führungen stark mit dem Wissen überund/oder der Performanz der lokalen Zweisprachigkeit verbunden ist.

104 Diese Anekdote erzähltenmir verschiedene Personen ausMurten. Ob sie wirklich jede dieser Personen selbst so erlebt hat, sei dahin gestellt.Elisabeth präsentierte die Geschichte jedochineinem personalisierten Erzählstil, so als kenne sie die involvierten Personen persönlich.

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Paula Eine weitereStadtführerin, dieTourenauf Englischanbietet, istPaula.Sie ist Schweizerdeutscher Mutterspracheund stammt ausBern.Paula führt einReise- büro undist es gewohntmit ihrenKundInnen undGeschäftspartnerInnen in verschiedenenSprachenzukommunizieren. SiebeherrschtFranzösisch, Englisch undauchein wenigItalienisch.Paula liebtReisenund istgerneinKontakt mit internationalenLeuten. Neben ihrerberuflichenTätigkeitarbeitetsie deshalbals Stadtbegleiterinund führtdie Touren je nach Bedarf aufStandarddeutsch, Schweizerdeutsch,Französischund Englischdurch.Auchsie warvon einerak- tivenMurtnerStadtführerinangesprochen worden,die meinte,dasssichPaula aufgrundihrerMehrsprachigkeitsichergut alsStadtbegleiterinmachenwürde. Da das Englische nichtihreErstsprache ist, kann es sein, dass Paula während der Touren an ihre eigenensprachlichen Grenzen stösst, was ihr manchmal sehr unangenehm ist. Zwar sprichtsie Englisch fliessend und kenntdie meisten notwendigen Fachausdrückeauswendig,umeinem englischsprachigen, inter- nationalen Publikum die Geschichte Murtens angemessenund in einer ver- ständlichen Artund Weise zu erklären. Aber ihr schweizerdeutscher Akzentist unüberhörbar.Ineinem Interview erzählte sie mir voneiner negativenErfah- rung mit einer Gruppe internationaler Personen. Paula und eine andere eng- lischsprachige, amerikanischstämmige Stadtbegleiterin (ich werdesie hier Kathryn nennen) hatten die Gruppe aufgeteilt und je einen Teil durch die Stadt geführt:

1 PAULA:und dann gingen wirbeide unabhängig mit unseren 2 gruppen aufdie tour. und ich hab gemerkt alles was ich 3 erzählte, das prallte an den menschenab. diewaren gar 4 nichtbei der sache. die waren in gedanken irgendwo 5 anders. es kam überhaupt keine regung zurück vonden 6 menschen. vondieser gruppe. jeder einzelne war mit 7 sich und seinen problemenund gedanken beschäftigt. 8 und das ist vonmir ausgesehen die schwierigste 9 situation,wenn man kein feedback erhält.das hat mich 10 sehr blockiert. und das hat mich sehr an meinen 11 fähigkeiten zweifeln lassen. und ich hab dann zu 12 kathryn gesagt, dass war jetzt eine ganz schwierige 13 situation.ich glaube mein englisch genügt nicht. meine 14 fähigkeiten äh:=ich habenichtbestanden. ((lacht)) 15 und sie hat mir dann gesagt, sie hätte das genaugleiche 16 problem gehabt und dasselbephänomen beobachtet. 17 und das war auch der einzige rundgang,sitzt mir noch

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 230 Personalmanagement –Regulierung der Spracharbeitsressourcen

18 jetzt in den knochen. das war ein schreckliches 19 erlebnis. 19 INTERVIEWERIN:und du hast praktisch die zweifel, die du in dem 20 momentdannandeiner führung hattest aufauf die 21 sprache zurückgeführt/ 22 PAULA:jaeinfach aufmich und meine fähigkeiten. ja. ja. 23 insbesonderenatürlich aufdie sprache, weil es hat 24 mich dermassen blockiert, ich hab dann auch die worte 25 nichtmehr gefunden und es hat mich wirklichaus dem 26 konzept gebracht.

Paula gibt sich selbst die Schuld fürdie beschriebene Situation und führtdas Desinteresse der Leute aufihre eigenen anscheinend ungenügenden (Sprach-) Fähigkeiten zurück. Die Tatsache, dass die Gruppe nichtreagiertund kein Feedback gibt, blockiertPaula so sehr,dass ihr die Wortefehlen und sie das Gefühl hat,gegen eine Wand zu reden. Sie vertrautsich ihrer Kollegin an, vonder sie erfährt, dass diese trotz ihrer muttersprachlichen Englischkompetenzen das Gleiche erlebt hat.Dies lässt darauf schliessen, dass die Situation und die Trägheit der Gruppe nichtauf möglicherweise mangelndeEnglischkenntnisse vonPaula zurückzuführen sind, sondernandere Gründe hatten. Dennoch hin- terlässt das »schreckliches Erlebnis« (Zeilen 18–19) beiPaula eine starkeVer- unsicherung und prägt sie nachhaltig.Das Erlebnis einer missglückten Kom- munikation und fehlenden Interaktion, welches die beiden Stadtbegleiterinnen hier beschreiben, ist kein Einzelfall. Mehrfach berichteten mir andere Stadt- führerInnen überdesinteressierte, gelangweilte Gruppen, die sie an ihren ei- genen Führungsfähigkeiten zweifeln liessen –und wenn die Tour in einer Fremdsprachedurchgeführtwurde, häufig auch grosse Zweifel hinsichtlich ihrer eigenen Sprachkompetenzen hinterliessen. In diesen Momenten hinterfragen die StadtbegleiterInnen nichtnur ihreFähigkeiten, sondernauch ihre eigene Legitimitätdie Rolle der Stadtführerin bzw.des Stadtführers zu bekleiden. Wiewir sehen konnten, hinterfragtzwar auch Paula ihre sprachlichen Fä- higkeiten, jedoch nichtihreAuthentizitätals Repräsentantinder Stadt Murten, was wahrscheinlich auch darauf zurückzuführen ist, dass sie ausder Gegend stammt und Kompetenzen in den lokalen Sprachen Deutsch,Schweizerdeutsch und Französisch hat. Später im Interview erklärt sie, welche Strategien sie an- wendet, um eben fürsolche Momente des Zweifels vorzubeugen. Wenn Paula Touren in Französisch oder Englisch durchführen muss, versuchtsie zwar weiterhin auch sprachlich zu überzeugen, nimmt der Situation aber vonvor- herein ein wenig den Wind ausden Segeln, indem sie dem Publikum sagt, dass

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1 PAULA:ja, ich sageimmer,dass ich ähm (.) nichtfranzösische 2 zunge bin und dass man das hört,dass ich auch fehler 3 mache, französisch und englisch. dass ich mir aber 4 mühe gebe ähmich verständlich auszudrücken. dass 5 ich auch immer froh bin, wenn fragen kommen und 6 wenn ich weiteredinge noch erklären kann oder so. 7 und es kommt schon auch mal vor, dass man mir hilft 8 und fachausdrückevielleichtauch mal diskutiert 9 werden. es gibt da so feinheiten in der sprache, zum 10 beispiel heisst das französ-=das pfarramt, nein die 11 pfarrei, ähnein das pfarrhaus vonden katholiken heisst 12 anders als vonden protestanten. irgendsowas. un- 13 unmöglich. >ja ja< 14 INTERVIEWERIN:okay. also ganz spezifische 15 PAULA: >ja ja< genau. aber das sind dannsofeinheiten wo ich 16 den eindruck habe 17 INTERVIEWERIN:das is in ordnung,wenn man das nichtweiss. ((lacht))

Indem sie das Publikum somit als SprachexpertInnen designiert, gibt sie ihm auch einen Teil der Verantwortung ab,umzueinem gelungenen Ablauf und einer guten Qualitätder Führung beizutragen. Die Anforderungen an das Englische der StadtführerInnen stehen im Kon- trast zu den Aussagen bezüglich der Anforderungen an die Englischkompe- tenzen der MitarbeiterInnen vonTIB.Während es generellschwierig scheint, englischsprachige Personen mit exzellenten bis »muttersprachlichen« Kompe- tenzen zu finden, reichtesfürdie Arbeit beiTIB aus, einigermassen flüssig kommunizieren zu können. Da Englisch keine lokale Sprache ist, wird dortkeine authentische, muttersprachlichePerformanzerwartet, manbegnügt sich mit Schulniveau. Fürdie Arbeit beiTIB sind vielmehrzweisprachige Kompeten- zen in (Schweizer-)Deutsch und Französisch aufannähernd muttersprachli- chem Niveauausschlaggebend. Beiden StadtführerInnen verhält es sich anders. Hier werden fürenglische Führungen muttersprachliche Kompetenzenerwar- tet, aber wenn möglich mit lokaler Färbung.Aus diesem Vergleich lässt sich schlussfolgern, dass verschiedene Positionen und Funktionen in der lokalen Tourismusindustriezueiner unterschiedlichen Gewichtung der einzelnen Sprachen und deren »Authentizität« führen.

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3.3.2 (Schweizer-)Deutsch:Bühnensprache und nähesprachliches Erzählen In Kapitel V. 3.1 wurde bereits angesprochen, dass eine deutschsprachige Füh- rung in Murten unterschiedliche Formen annehmen kann. Wiedabei die Aus- handlung der Sprachwahl vonstattengeht,erklärteSimon meinem Doktorvater (hier der Interviewer) und mir in einem Interview (vom 02. 05.2013).

1 INTERVIEWEUR :.hpour l’allemand les guides, ils le font en allemand 2 standard/ en dialecte/ 3 SIMON :euhm alors là f:=aussi on essaie toujours donc le client 4 est roi. euh on essaie de s’adapter au client. on connait 5 nos guides. euh il ya,onaquelques guides qui parlent 6 que +hochdeutsch ((allemand))+.qui sont donc des 7 moratois mais qui s- qui viennentdel’allemagne. on 8 regard, ph, c’est une question de +feeling ((anglais))+ 9 des fois, euh peut Þtreungroupe de de:euh de 10 contemporainsd’un petit village du suisse allemand, 11 donc on va plutôtleur proposer un guide vraiment euh 12 (2) qui parle suisse allemand. qui apeut Þtreoœil ya 13 peut Þtredes affinitØs. alors qu’un groupeinternational 14 ou bien un groupe ou il yades personnes francophones 15 plus alØmaniques mais qui veulentleur visite en 16 allemand, euh là on donnerait quelqu’un qui parle 17 +hochdeutsch ((allemand))+.qui le fait tout aussi 18 bien, euh, mais oœ il yavraimentbesoin du 19 +hochdeutsch ((allemand))+.Åa, là on s’adapte et 20 mÞme nos guides ils s’adaptent aussid’entrØeon 21 demande normalementlalangue ou bien 22 +hochdeutsch ((allemand))+ ou suisse allemand si Åa 23 va pour toutlemonde. et là on demande.

Übersetzung

1 INTERVIEWER:.hwas das deutsche betrifft, machen die führer die tour 2 aufstandarddeutsch/ aufdialekt/ 3 SIMON: ähalso da v:=wirversuchen auch immer alsoder 4 kunde ist könig. ähwir versuchen uns an den kunden 5 anzupassen. wirkennen unsere führer. ähesgibt, wir 6 haben einige führer die sprechen nur +hochdeutsch 7 ((deutsch))+.also das sind murtner aber sie kommen 8 ausdeutschland. wirschauen, f: das ist eine frage des

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9 feelings. manchmal, ähvielleichteine gruppe vonvon 10 ähleuten auseinem kleinen dorfaus der 11 deutschschweiz, also denen werden wirwirklicheher 12 einen stadtführer zuteilen äh(2) der schweizerdeutsch 13 spricht. der vielleicht wo es vielleicht mehr affinitäten 14 gibt. wenn es jetzt aber eine internationale gruppe oder 15 eine gruppe mit frankophonen leuten und 16 deutschsprachigen gibt, die die tour aber aufdeutsch 17 machen wollen, ähdaschicken wirjemanden der 18 +hochdeutsch ((deutsch))+ spricht. der es auch 19 genauso gut macht, äh, aber wo es wirklich 20 +hochdeutsch ((deutsch))+ braucht. dasdapassen 21 wiruns an und selbst unsere führer passensich auch an 22 zu beginn fragtman normalerweise in welcher sprache 23 oder besser gesagtob+hochdeutsch ((deutsch))+ 24 oder schweizerdeutsch. ob das füralle geht. und da 25 fragtman.

WieSimon bereits in einem früheren Interviewausschnitt erwähnte, ist bei den aufDeutsch angebotenen Führungen jedes Malzubeachten, dass es sich je nach Gruppe um eine Durchführung aufStandarddeutsch oder aufSchweizer- deutsch handelnkönnte. Die schweizerdeutschsprachigen FührerInnen be- herrschen auch die Standardvarietätdes Deutschen, können sich sprachlich der Gruppe anpassen und ausdiesem Grund flexibel eingesetzt werden. Unter den deutschsprachigen FührerInnen befinden sich jedoch auch zwei Führerinnen ausDeutschland, die –obwohl beide bereits seit über30Jahren in Murten leben –die lokale Varietätnur passiv beherrschen. Eine der beiden ist Vroni. Sie stammt ursprünglich ausSüddeutschland, heiratete einen Deutschschweizer und zog schliesslich nach Murten. Sie eignete sich jedoch nie die lokale schweizerdeutsche Varietätan, höchstwahrscheinlich auszwei Gründen:Zum einen bestand insofern gar kein Bedarf, da sie sich mit ihrem Hochdeutsch überall verständigen konnte. Zudem sprichtsie auch noch gut Französisch,sodasssie insofern in Murten keine Kommunikationsbarrieren zu überwinden hatte. Ein weiterer Grund könnte sein, dass die Sprachlernver- suche vonBundesdeutschen seitens der deutschschweizer Bevölkerung häufig nichtgerade begrüsst oder sogar belächelt werden. In Vronis Fall war selbst ihr Mann dagegen, dass sie sich den Schweizerdeutschen Dialekt aneignete. Er begründete dies damit, dass er sie mit ihrem süddeutschen Dialekt kennenge- lernt habeund es nichtmehr sie wäre,wenn sie nundie Sprache ändernwürde. Vronis Mann betrachtet Sprache als identitätsstiftend und identitätszuschrei-

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 234 Personalmanagement –Regulierung der Spracharbeitsressourcen bend und gehtmit seiner Bemerkung soweit, dass er Vronis Sprach(lern)wahl beeinflusst. Doch eben genaudiese Nicht-Anpassung bzw.Nicht-Aneignung der lokalen VarietätbeschertVroni im Arbeitsalltag manchmal Schwierigkeiten. Vroniarbeitet nichtdirekt als Stadtführerin, wirkt aber beizwei theatralischen Stadtführungen als Schauspielerin mit und war auch beibeiden Führungen an deren Entstehung beteiligt. In einem Interview beschrieb Vroni die manchmal etwas skeptisch ausfallenden Reaktionen des Publikums, wenn diese bemerken, dass sie, eine Bundesdeutsche, aufHochdeutsch durch dasSchweizer Städtchen führt:

1 VRONI:was natürlich beiuns noch speziell ist (.) ähm (.) ich bin deutsche. 2 das ist schon mal ein punkt. jetzt will uns so ne deutsche erklären 3 (.) wo,was hier gschichte is, oda/ das kommtschon mal aufn ersten 4 ((schnipst)) dings net sehr gut an. dann im lauf der stadtführung 5 kann ich se (2) (.) abholn und dann isses 6 dannamschluss isses dann egal, obs hochdeutsch ist, obs 7 schwitzerdütsch ist oder ob es ähnechinesin ist. es is am schluss 8 egal. aber am anfang so der erste eindruck is scho immer so.ups. 9 ganz schlechtisses dann, wenn die stadtführerin auch noch 10 deutsche ist. daskommt net sehr gut an meistens. das ändertsich 11 dannalles im lauf der führung aber am anfang isses. also dsprach 12 als erster ((schnipst))

Der Interviewausschnitt machtdeutlich, dass StadtführerInnen als ExpertInnen fürlokale Geschichte und Traditionen angesehen werden. Diese Expertenrolle müssen sie während der Führung immer wieder unter Beweis stellen, einerseits durch die Demonstration ihres Wissens, andererseits jedoch auch durch ihre sprachliche Performanz, die sie als (nicht) der Lokalbevölkerung zugehörig markiert. Obwohl Vroni Deutsch spricht–was ja eigentlich eine der lokalen Sprachen ist –ist sie mit der vonihr gesprochenen Varietät(Standarddeutsch mit leichter süddeutscherFärbung) eindeutig nichtder Lokalbevölkerung zu- zuordnen. Aufgrund ihrer fehlenden Schweizerdeutschkenntnisse wird sie beim Erstkontakt mit dem Publikum sofortals Auswärtige bzw.Ausländerin kate- gorisiertoder gar abgestempelt und somit weder als authentische noch legitime lokale Expertinwahrgenommen. Um sich nach dem schwierigen Erstkontakt im Laufe der Führung als lokale Expertinzuentpuppen und vom Publikuminder Rolle der Stadtführerin bzw.Schauspielerin als legitim angesehenzuwerden, versuchtVroni durch ihreprofessionelle Schauspielleistung zu begeisternund zu überzeugen;was ihr auch zu gelingen scheint. In den Zeilen 9–10 spielt Vroni zudem aufeine bestimmte theatralischeFührung zu weiblichen Murtner Per- sönlichkeiten an, in der sie den schauspielerischen Part innehat und zusätzlich

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 In Begleitung durch Murten 235 eine Stadtführerin den narrativen Teil der Führung übernimmt. Obwohl sie darauf hinweist, dass die zunächst negativeKategorisierung beim schauspiele- rischen Part im Laufe der Führung irgendwann in den Hintergrund gerückt wird und die Herkunftder Schauspielerinund ihresprachliche Performanz durch eine überzeugende Schauspielleistung unbedeutend wird, deutet sie jedoch an, dass dies beim narrativen Teil der Führung nichtder Fall ist. Wenn der Stadt- führerpartinder betreffenden theatralischen Führung voneiner deutschstäm- migen Führerin bekleidet wird, sei dies manchmal problematisch. Hier spielt sie aufihre deutschstämmige Kollegin Sabine an, die des Öfteren diesen Part übernimmt. Sabine stammt auch ausSüddeutschland und hat, wieVroni, ebenfalls nie die lokale schweizerdeutsche Varietätgelernt.Sie hat verschiedene Führungen im Repertoire,darunter auch die Führung,bei der Vroniden theatralischen Teil übernimmt. Sabine bekleidet in dieser theatralischen Führung allerdingsdie Rolle der Stadtführerin und nichtdie der Schauspielerin. Während Führungen passt sie sich sprachlich nichtandas jeweilige Publikum an, sondernbetont häufig sogar noch ihresüddeutsche Herkunft, in dem sie sprachliche Kostpro- benzum Besten gibt und Sprachvergleiche zwischen lokalen Redensarten und jenen in ihrer Herkunftssprache anstrengt. In einer vonmir beobachteten Führung (12. 08.2013) die sie aufHochdeutsch durchführte, sagte sie einmal zur Gruppe »So,back mers!«, was eine typisch bayrische Redensartfür»Gehen wir!« ist, und erläuterte dies auch direkt danach. Um jedoch vom Publikumals lokale Expertinakzeptiertzuwerden, v. a. wenn es sich um ein schweizerdeutsch- sprachiges und/oder lokalstämmigesPublikum handelt, wird eine lokal gefärbte Sprachperformanz erwartet. Ausdiesem Grund wurde Sabine fürihr Hoch- deutsch auch schon des Öfteren kritisiert. Die beiden deutschstämmigen FührerinnenVroni und Sabine sehen sich aufgrund ihrer sprachlichen Performanz mit den gleichen Authentizitäts- und Legitimitätsproblemen konfrontiert. Im Vergleich zu Sabine, scheintsich Vroni im Verlauf der Führung aber besser »legitimieren« zu können, indem sie ihren Angaben zu Folge mit einer gelungenen theatralischen Inszenierung überzeugt, während Sabine in der Stadtführerrolle weniger vomPublikum akzeptiertzu werden scheint. Die unterschiedlichenRollen, die Vroniund Sabine während der Führung innehaben, einmaldie der Schauspielerin und einmal die der Stadt- führerin, deuten jedoch auch noch aufeine andereInterpretation der unter- schiedlichen Akzeptanz der Deutschperformanz hin. Aufgrund der Diglossie- Situation hat sich in der Schweiz die Verwendung des Schweizerdeutschen für die mündliche, nähesprachliche Kommunikationssituation eingebürgert, wäh- rend das Hochdeutsche eher in offiziellen, mündlichen Kommunikationssitua- tionen wieden Medien (Radio,Nachrichten, Filme) oder auch als Literatur-oder Bühnensprache im Theater verwendet wird.Diese unterschiedliche Verwen-

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 236 Personalmanagement –Regulierung der Spracharbeitsressourcen dung könnte auch fürdie unterschiedliche Akzeptanz der beiden Führungs- rollen durch das Publikum verantwortlich sein. Während Standarddeutsch als eine legitime Sprache fürden theatralischen Teil der Führung und somit für Vronis Part akzeptiertzuwerden scheint, hat dasPublikum sichtbar mehr Mühe beiSabines Verwendung des Hochdeutschen bzw.der süddeutschen Varietät beim narrativen Teil der Führung.

3.4 Fazit:Führung ans (Sprach-)Limit

Abschliessend möchte ich die in den vorangehenden Unterkapiteln aufgezeig- ten Kategorisierungs- und Grenzziehungsprozesse (Abb.22) noch einmal zu- sammenfassen und die daraus resultierenden Spannungen diskutieren. Die identifizierten sprachlichen Grenzziehungsprozesseentpuppen sich im Zusam- menhangmit derArbeitder MurtnerStadtführerInnen alszahlreichesprachliche Hürden (inForm von verschiedenensprachlichenAnforderungen undKatego- risierungen),die es zu erfüllen bzw. zu überwindengilt, um ersteinmal überhaupt zurStadtführerausbildung zugelassen zu werden undumdiese dann absolvieren zu können,fernerumgebucht zu werden undumschliesslichwährendder Führungmit einermöglichst authentischenund professionellen(Sprach-)Per- formanz dieFührungsteilnehmenden zu überzeugen.Diese sprachlichen Grenz- ziehungsmomentestehenjeweils im Zusammenhang mitder Kategorisierungder FührerInneninlokalstämmig vs.auswärtig,authentisch vs.nicht authentisch, MuttersprachlerIn vs.Nicht-MuttersprachlerIn (mit Akzent), SprecherIn einer Standardvarietätvs. SprecherIn einesDialekts(z.B. SprecherIn eines»neutralen« undgut verständlichen Englischesvs. SprecherIn einerbestimmtenVarietätdes Englischen;oderSprecherIndes Hochdeutschenodereiner anderennicht-lokalen deutschenVarietätvs. SprecherIn derlokalen schweizerdeutschen Varietät).Ins- besondere dieKategorieder Authentizitätpräsentiert sich janusköpfig,dadie SprecherInnenals authentisch lokaloderals authentischeMuttersprachlerInnen einerSprache kategorisiert werden können,wobei beide Kategorien je nach Sprachenicht immer übereinstimmen müssen (z.B.imFallvon Elisabeth).Hinzu kommt, dass authentisch nichtgleichlegitimbedeutetund andersherum(Creese, Blackledge undTakhi 2014;Muth2018).Auchdie Kategorie derLegitimität scheinteinmaldie sprachlichePerformanz,andererseitsjedoch auch diesonsti- genfürdie jeweiligeAufgabe notwendigenFähigkeiten(z. B. Demonstrationvon Wissen oderSchauspielleistung) zu umfassen undsomitmehrdeutigzusein. Angesichts dieser verschiedenen Formen der sozialen Kategorisierung auf- grund vonSprache muss hinterfragtwerden, unter welchen Bedingungen sprachliche Grenzen bzw.soziale Kategorien relevantbzw.irrelevantgemacht werden, wenn es um die Rekrutierung neuer StadtführerInnen oder deren An-

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Zulassung zur Ausbildung je nach Sprachenbedarf

Absolvierung der Ausbildung nur auf Deutsch & Französisch möglich

Uniformierung der sprachlichen Performanz während der Ausbildung

Buchung je nach Sprachen-/ Authentizitätsbedarf

Erfolg je nach Authentizität/Professionalität der Sprachperformanz

Abb. 22:Momente der sprachlichen Grenzziehung erkennung als legitime und authentische RepräsentantInnenen Murtens geht. Die Sprachgrenze und die Zweisprachigkeit fürdie Imageprägung der Desti- nation Murten zu nutzen,bedeutet sowohl die Grenze als auch die Zweispra- chigkeit durch StadtführerInnen verkörpernund inszenieren zu lassen. Diese Inszenierung muss einerseitssehr flexibel sein, da die Führung in verschiedenen Sprachen fürein sowohl lokales wieauch (inter)nationales Publikum gestaltet werden muss. Die Spannung,die dabei auftritt, bestehtzwischen einerseits der Forderung nach einer authentischen, lokal angehauchten und fehlerfreien sprachlichenDarbietung,wofür»muttersprachliche« Kompetenzen eingefor- dertwerden (Muttersprachenideologie), und andererseits dem Anliegen, die FührerInnen je nach Bedarfund Nachfrage so flexibel wiemöglich fürsprachlich heterogene Zielpublika einsetzen zu können (neoliberaler Arbeitsdiskurs und Akkommodationsideologie). Die erste Forderung nach einer lokalgefärbten und gleichzeitig fehlerfreien, »muttersprachlichen«Sprachkompetenz enthält je- doch bereits eine eigene Spannung,wennesdarum geht, in einer nicht-lokalen Sprache, wiez.B.dem Englischen, lokalstämmig zu sein und dies durch Sprache

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 238 Personalmanagement –Regulierung der Spracharbeitsressourcen zu markieren, gleichzeitig aber möglichst gut verständliche(akzentfreie), »muttersprachliche« Kompetenzen aufzuweisen. StadtführerInnen einsprachiger Destinationen mögen ähnlichen Herausfor- derungenbegegnen, wenn es darumgeht, eine möglichst lokal gefärbte Per- formanz in verschiedenen(nicht-lokalen) Sprachenfürein internationales Pu- blikum anzubieten. Doch die SituationinMurten an der Sprachgrenze ist aus zwei Gründen noch komplexer:Zum einen gibt es dortzweilokale Sprachen, Schweizerdeutsch und Französisch, die als Indikator füreine lokale, authenti- sche Performanz inszeniertwerden müssen. Undzweitens bringtdas Füh- rungspublikum,das sich einerseits auslokalstämmigenPersonen, andererseits jedoch auch aus(inter)nationalen TouristInnen zusammensetzt, spezielle Er- wartungen mit, was die sprachliche Performanz und Anpassung anbelangt. Wie wirgesehen haben, ist es nichtimmer möglich, gleichzeitig 1) die geforderte als lokalsprachlich markierte Authentizitätund 2) die notwendige Flexibilitätzu realisieren, um die Führungen in verschiedenen Sprachen anbieten zu können, was letztendlich die Authentizitätund Legitimitäteiniger FührerInnen in Frage stellt: –ImFall vonElisabeth ist sie zwar als authentische »Muttersprachlerin« des Englischen anerkanntund darfdeswegen als Stadtführerin arbeiten. Auf- grund ihres amerikanischen Akzents im Schweizerdeutschen ist sie jedoch eindeutig erkennbar als nichtaus Murten stämmig.Dasie im Schweizer- deutschen nichtauthentisch lokalwirkt und im Französischen nichtfliessend genug spricht, ist sie nichtflexibel einsetzbar und scheintausschliesslich legitim fürenglischsprachige Touren zu sein. In englischsprachigen Touren wird zwar nichtihresprachliche Performanz beanstandet, hingegen aber ihre Legitimitätals lokale RepräsentantininFrage gestellt. –Paula ist Schweizerin mit Wurzeln in der Nachbarstadt Bern und Sprecherin der regionalen schweizerdeutschen Varietät, was zur Konsequenz hat, dass sie als lokalstämmig akzeptiertwird;zumindest mehr als Vroni, Sabine oder Elisabeth. Paula ist zwar aufgrund ihrer exzellenten Sprachkenntnisse des Schweizerdeutschen, des Hochdeutschen,des Französischen und des Engli- schen flexibel einsetzbar.Dasie aber keine »Muttersprachlerin« des Engli- schen und des Französischen ist, stösst sie regelmässig an ihresprachlichen Grenzen, was ein gewisses Ausmass an Stress im Arbeitsalltag bedeutet. In diesen Momenten stellt sie selbst ihre LegitimitätinFrage, in diesen Sprachen Führungen abzuhalten. –Vroni ist deutsche »Muttersprachlerin«mit guten Französischkenntnissen und sprachlich flexibel genug, um beizweisprachigen Führungen auch Teile aufFranzösisch zu übernehmen. Aber sie sprichtdie »falsche«deutsche Varietätund wird deshalb nichtals authentische und legitime Vertreterin der Lokalbevölkerung anerkannt, was sie beiFührungen als unangenehm emp-

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findet. Das Gleiche gilt auch fürSabine. Da beide jedoch unterschiedliche Rollen in den Stadtführungen einnehmen, einmal als Führerin und einmal als Schauspielerin, bereitet dasHochdeutsche, das allenfalls als Bühnensprache akzeptiertzuwerden scheint, Vroni weniger Legitimitätsprobleme als Sabine.

Diese Beispiele zeigen, dass sprachlicheGrenzen im Sinne der sozialen Kate- gorisierung vonSprecherInnen und ihrer sprachlichen Herkunftbei der Prä- sentation der Destination und der Glaubwürdigkeit der FührerInnen als lokale ExpertInnen eine wichtige Rolle spielen. So lassen sich moderne Vorstellungen vonSprache beobachten, die voneiner trivialen Verbindung vonSprache und Raum und somit auch voneiner Verbindung vonSprachkompetenzen und geographischer und sprachlicherHerkunftausgehen (Auer 2004). Dabei wird die Mobilitätund Mehrsprachigkeit der hier vorgestellten Stadtführerinnen vollkommen ausgeblendet. Schlimmer noch, gerade ihre Migrationshinter- gründe, ihre Mobilitätund ihre daraus resultierenden mehrsprachigen Kom- petenzen, die sie häufig überhaupt erst nach Murten gebrachthaben und/oder die ihnen erlauben, die sprachlichen Anforderungen an sie als Stadtführerinnen auch zu meistern, werden dadurch gleichzeitig auch zum Problem, da sie den auf diesen Annahmen beruhenden Vorstellungen vonAuthentizitätwiederspre- chen. Gleichzeitig erweisen sich diese Grenzen wiederum als sehr dehnbar,dasie häufig zugunsten der Flexibilisierung des Stadtführerpersonals in den Hinter- grund rücken. Des Weiteren werden diese sprachlichenGrenzen auch im Dis- kurs der Stadtbegleiterinnen während der Führung dekonstruiert, da sie die Stadt Murten und ihreBevölkerung (auch sichselbst)als zweisprachig be- schreiben und diese Zweisprachigkeit stellenweise durch dasZitieren vonRe- dewendungen/Ausdrücken in einer der lokalen Sprachen auch inszenieren.

4. Variabilität als Ausdruck ideologischer Spannungen

Beiden in den vorangehenden Unterkapiteln präsentierten Rekrutierungspro- zessen war eine hohe Variabilitätbezüglich des Stellenwerts vonSprachkom- petenzen (auf welchem Niveau,inwelchen Sprachen, mit oder ohne Akzent) für den Zugang zum Arbeitsmarkt oder zu höheren Positionen sowiefürAner- kennung im Arbeitsalltag beobachtbar.Sprache hat sich dabei nichtals fixes Gatekeeping-Kriterium erwiesen, stellt jedoch im Rekrutierungsprozess und im Arbeitsalltag des Öfteren eine gewisse Hürdefürdie sich um verschiedene Positionen in der Tourismusbranche Bewerbenden als auch fürderen Beschäf- tigtedar.Die Situation ist jedoch komplex. Die Fallanalysen des vorliegenden Kapitels machten deutlich, dass die TourismusindustrieinMurten als emble- matisches Forschungsterrain betrachtet werden kann, welches erlaubt, Wissen

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 240 Personalmanagement –Regulierung der Spracharbeitsressourcen

überdie Dynamik der Politökonomie vonSprache und sprachlichen Grenzen zu generieren. Wiewir gesehen haben, birgtdie Aufgabe, eine mehrsprachige Destination an der Sprachgrenze zu (re)präsentieren, Spannungen zwischen Sprachideologien und Sprachpraktiken. Ichhabeargumentiert, dass der kom- plexen Konstruktion des idealen (und sprachlich legitimen) Profils einer Ar- beitskraftinder Murtner Tourismusindustrie verschiedene, häufig wider- sprüchliche, teils aber zusammenhängende (Wert-)Vorstellungen vonSprache bzw.von kommunikativen Praktiken und verschiedene Arten vonderen An- eignung zugrunde liegen, welche wiederum mit bestimmten Kategorisierungen und einer Differenzierung der verschiedenen SprecherInnen einhergehen. Ei- nerseits wird nach neoliberalen Prinzipien Zweisprachigkeit im Sinne von kommunikativen Fähigkeiten und sprachlicher Flexibilitäteingefordert, um Dienstleistungen kosteneffizientinverschiedenen Sprachen fürverschieden- sprachige KundInnen anbieten zu können (arbeitsökonomischer Diskurs und Akkommodationsideologie) (Urciuoli 2008).Andererseits wird Sprache nach romantischer Vorstellung als Ausdruck vonZughörigkeit zur lokalen Bevölke- rung und lokalen Kultur angesehen (Herkunftsdiskurs und Muttersprachen- ideologie) (Heller 2005). Die Beschäftigten in der Tourismusindustriewerden somit nichtnur als RepräsentantInnen der Destination, sondernauch als An- gehörige (nur) einer der beiden anscheinend klar abgrenzbaren Sprachge- meinschaften wahrgenommen, was vor allem fürdie lokalen StakeholderInnen vongrosser Bedeutung zu sein scheint. In dieser Hinsichtspielt auch die Her- kunftder SprecherInnen bzw.ihre Ortsstämmigkeit eine wichtige Rolle. In Murten ist die Vorstellung, zu einer der beiden Sprachgemeinschaften zugehö- rigzusein, aufgrund der doppelten Minderheitensituation zudem politisch geladen und mit Diskursen der Geltendmachung bestimmter Rechte verbunden (Mehrheitsdiskurs z.B. im Sinne einer bestimmten oder zumindest ausgewo- genen Repräsentativitätsquote der beiden Sprachgemeinschaften in einem Un- ternehmen). Zweisprachig zu sein und in einem zweisprachigen Milieu zu arbeiten be- deutet jedoch nicht, dass eine(e) zweisprachige(r) SprecherIn auch automatisch als legitim wahrgenommen wird,mit allen Sprachen ihres/seines Repertoires im selben Ausmass zu arbeiten (Creese, Blackledge und Takhi 2014). Die Definition vonZweisprachigkeit wird ständig hinsichtlich den Fragen ausgehandelt, welche Kombination vonSprachen/Varietäten ein(e) SprecherIn aufwelchem Niveau und mit oder ohne Akzentaufweisen muss. So wird die Forderung nach mut- tersprachlichen Kenntnissen und SprachexpertInnen geltend gemacht, welche wiederum häufig im Widerspruch zur gleichzeitigen Forderung nachflexiblen zwei- oder mehrsprachigen Kompetenzen stehtoder aber zur Forderungnach Authentizität. Dann kann es jedoch auch sein, dass, obwohl es in manchen Fällen und im Hinblickauf manche Sprachen unter bestimmten Konditionen ein

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Vorteil ist, »MuttersprachlerIn« zu sein bzw.als solche(r) kategorisiertund wahrgenommen zu werden, in anderen Situationen wiederum auch einen Nachteil darstellt. Darüberhinaus haben wirfestgestellt, dass es nichtausreicht, in einer bestimmten Sprache kommunizieren zu können. In manchen Fällen kann durchaus auch der Anspruch des Beherrschens eines bestimmtenFach- jargons mit arbeitsrelevanter Terminologiebestehen. Zusammenfassend kann festgestellt werden,dass das gesuchte sprachliche Wunschprofil einer Arbeitskraftfürdie Tourismusindustrieander Sprach- grenze aufder modernen Vorstellung basiert, dass Sprache homogen sowie territorial lokalisierbar ist und ihr eine klar definierte Sprachgemeinschaftmit spezifischen sprachlichen Merkmalen zu eigen und zuordenbar ist (Auer 2004; Johnstone 2010a). Diese Vorstellung ist auch mit politischen Ansprüchen ver- bunden. Gleichzeitig orientiertsich das Wunschprofil jedoch auch an der wirtschaftlichen Logik, gemäss welcher Mehrsprachigkeit als unabdingbares Kapital und Arbeitsinstrumentzur Gewinnerzielung beurteilt wird (DuchÞne und Piller 2011). Die Variabilitätder beobachtbaren sprachlichen Kategorisie- rungs- und Grenzziehungsprozesse rührtvon diesem ideologischen Konflikt und dessen Aushandlung her,wobei existierende sprachliche Hierarchien je nach Situation, Position oder Funktioneiner Arbeitsstelle hinterfragtund neu geordnet werden können.

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 VI. Produktentwicklung:Inszenierung und Konsumierbarmachungder lokalen Zweisprachigkeit

1. We love to entertain you –with language

»Aujourd’hui le tourisme doitsurprendrelevisiteur.«105

Heutzutagemuss der Tourismus den Gast überraschen. So heisst es 2009 in einem Zeitungsartikelder La LibertØ,indem überein neues Stadtführungsan- gebot der Stadt Freiburg i.Ü.berichtet wird. Undtatsächlich wird in der Tou- rismusforschung im Hinblickauf das Konsumverhalten vontouristischen Ak- tivitäten vom sogenannten »performanceturn«gesprochen, mit dem u.a. die verstärkte Hinwendung der Tourismusindustriezum zunehmend durchge- planten und inszenierten Unterhaltungsangebot bezeichnet wird (Weiler und Black 2015). Der Gast vonheutebegnügt sich dem Anschein nach nichtmehr damit, »nur«mit Informationen versorgt zu werden. Vielmehrmöchte er un- terhalten (entertained)werden. Die Emotionen, das Erfahren und Erleben ste- hen im Vordergrund. Touristische Angebote müssen dahingehend angepasst oder neu geschaffen werden, was eine völlig andere Planung, Inszenierung und Durchführung verlangt(Weier 2005). In das herkömmlicheProgramm muss dementsprechendeiniges an Innovationen aufgenommen werden, wobei In- novationen sprachlicherArt eine besondereRolle einnehmen. So werden zu- nehmend lokale Sprachen und Mehrsprachigkeit als erfahrbarer Erlebniswert touristifiziert(ebd.;Weiler und Black 2014, 2015). Auch in der Schweiz ist dieser Trend entlang der deutsch-französischen Sprachgrenze und insbesonderein Murten durch dasvermehrte Aufkommen zweisprachiger touristischer Aktivi- täten bemerkbar.Die (sprachlichen) Neuerungen in den touristischen Aktivi- täten beschränken sich jedoch nichtnur aufderen Format, Planung und In- szenierung,sondernbringen auch Änderungen hinsichtlich der (sprachlichen)

105 Zeitungsartikel»Tourisme et culture s’allient«erschienen am 04.06.2009 in La LibertØ, online unter:http://www.laliberte.ch/news/regions/tourisme-et-culture-s-allient-110035 (Abrufdatum 05.10. 2016).

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Anforderungen an das Profil der touristischen Arbeitskräftesowie an deren Ausbildung und Selektion mit sich. Das vorliegende Kapitel untersuchtdiese Touristifizierung vonSprache/ Zweisprachigkeit im Rahmen touristischer Aktivitäten und die damit einher- gehenden Konsequenzen fürdie jeweils involvierten touristischen Arbeitskräf- te. Hierfürwerden zwei unterschiedlich erfolgreiche zweisprachige touristische Inszenierungen –eine theatralische106 und eine kulinarische Stadtführung – analysiertund ihre Entwicklung auseiner sprach(en)politischen Perspektive beleuchtet. Im Vergleich verdeutlichendiese beiden Führungen, welche unter- schiedlichen Vorstellungen und sprachlichen Realisierungen vonZweispra- chigkeit das Angebot einer »zweisprachigen Stadtführung« charakterisieren können und welche unterschiedlichen sprachlichen Anforderungen dabei je- weils an die betroffenen Arbeitskräfteentstehen.107 Meine analytische Heran- gehensweise orientiertsich an der ForschungsfrageIII, welche danach fragt, wie die lokale Zweisprachigkeit in touristischen Aktivitäten konzipiert, inszeniert und konsumiert wird. So werdeich genealogisch aufzeigen, wiedie lokale Zweisprachigkeit in unterschiedlicher Form in ein touristisches Erlebnis ver- wandelt und fürein breites touristisches Zielpublikum zugänglich gemacht wird.Eine prozedurale Perspektiveeinnehmend, werdeich die Entstehungsge- schichte der Führungen nachzeichnen und untersuchen, wann, unter welchen Umständen und auswelchen Gründen die Idee zu diesen Produktenaufkam (Hintergründe und Rationalisierung), wiesie hinsichtlich der Zweisprachigkeit und des Zielpublikums zunächst konzeptualisiert(Konzeptualisierung) und letztendlich durchgeführtund konsumiert(Realisierung) wurden. Es interes- siertalso, welche (alternativen) Formen vonZweisprachigkeit als authentisch/ lokal und/oder welche als verkaufsgeeignet/konsumierbar betrachtet werden, und was es demnach heisst, in Murten zweisprachig zu sein. So wird auch danach gefragt, wer im Rahmen dieser Aktivitäten als legitim angesehenwird,lokale Geschichte bzw.Zweisprachigkeit zu inszenieren, in welcher sprachlichenForm und fürwen.

106 Einen Teil der Analyse des theatralischen Rundgangspräsentierte und diskutierteich be- reits im Artikel»Turning local bilingualism into atouristic experience«(Schedel 2018). Bei der folgenden Analyse handelt es sich um eine vertiefte Analyse, die auch bisher nicht veröffentlichte Daten miteinbezieht. 107 Zweisprachige Führungen stellen ein wissenschaftlich bisher nurwenig untersuchtes Phänomendar (Meyer Pitton 2018,MeyerPitton und Schedeli.E.;Schedel 2018).

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2. Zweisprachige Stadtführungen

Zunächst sollen die Entstehungsgeschichten der beiden zweisprachigen Stadt- führungen und ihre Stellung im Stadtführungsangebot vonTIB untersucht werden. Hierfürwerde ich zunächst die Bedeutung der Stadtführungen im Tä- tigkeitsbereich vonTIB verorten, bevorich im Detail erst aufden kulinarischen Rundgang und schliesslich aufden theatralischen Rundgang eingehe. Die Daten, die ich fürmeine Analyse heranziehe, erhob ich im Zeitraum vonMai 2013 –März 2017. Zum einen führte ich Interviews mit den Direktoren der fürdie Führungen verantwortlichen Institutionen (TIB und ein Museum in Murten),mit dem Führer des kulinarischen Rundgangsund mit den beiden AutorInnen und FührerInnen der theatralischen Führung (während der Kon- zeptualisierungsphase sowienach der Premiere der Tour). Am kulinarischen Rundgang nahm ich einmalteil und zeichnete die Führung mit Hilfe eines Aufnahmegeräts auf. Zudem filmte ich die Premiereder theatralischen Führung, während mein Kollege,Philippe Humbert, die Führung zu einem späteren Zeitpunktnocheinmal aufnahm (Audioaufzeichnung). Wasdas Promotions- material zu den beiden Führungen anbelangt, so dokumentierte ich 1) die eigens fürbeide Führungenentwickelten Flyer sowie2)Hinweise aufdie Führung in Broschüren und 3) aufden Webseiten der beiden Institutionen. Des Weiteren zog ich Presseberichte überdie Rundgänge und statistische Angaben zu den Buchungszahlen des gesamtenStadtführungsangebots ausden Jahresberichten der beiden beteiligten Institutionen hinzu. Die AutorInnen der theatralischen Führung gaben mir darüberhinaus das Skript, welches den Text und Regiean- weisungen zu ihrer Führung enthält. Ebenso liegtmir ein pädagogisches Dossier vor,welches speziellzur Vorbereitung vonSchulklassen entwickelt wurde, die an der theatralischen Führung teilnehmen möchten.

2.1 Tourbusiness mit Tradition

In Murten stellen die Stadtrundgänge ein bedeutendes Produkt fürden Tou- rismusbetrieb darund habenfürdie sie veranstaltende Institution TIBbereits seit über40Jahren einen wichtigen Stellenwert. Die Beschreibung des Stadt- rundgangsangebots in einer dreisprachigen Broschüre (Deutsch, Französisch, Englisch) mit dem Titel »Offizielles Infobulletin fürMurten« ausdem Jahr 1975 deutet darauf hin, dass die StadtführerInnen auch heute noch, mit Ausnahme vonspezifischen thematischen Führungen, demselben »klassischen« Wegdes damaligen Rundgangverlaufs folgen und (mehr oder weniger) dieselben Inhalte erzählen. Heute führtein Bataillon vonrund 35 sogenannten »StadtbegleiterInnen« die

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BesucherInnen Murtens aufDeutsch, Schweizerdeutsch, Französisch,Englisch und aufAnfrage auch aufItalienisch,Spanisch oder Chinesisch durch die Stadt. Die BesucherInnen Murtens sind zu einem Grossteil TagestouristInnen ausden umliegenden Regionen und auch die TeilnehmerInnen der Führungen stam- men laut der Statistik vonTIB mehrheitlich ausder Schweiz.Ansonstenfinden sich einige BesucherInnen ausDeutschland, Frankreich sowieandereinterna- tionale TouristInnen, die meist in der Lingua Franca Englisch bedientwerden. TIB organisiertdie Ausbildung der StadtbegleiterInnen, vermarktet die einzel- nen Führungen und koordiniertdie Buchungen. Das Führungsangebot umfasst neben einem klassischen Rundgang durch die Altstadt, welcher auch in Kom- bination mit einer Museumsführung erhältlich ist, noch speziellethematische Führungen. Diese greifen u.a. die Thematik des historischen Ereignisses der Murtenschlachtaus dem Jahr 1476 auf, stellen auftheatralische Weise die Ge- schichte starker Frauenfiguren der Stadt dar und umfassen neuerdings auch die beiden zweisprachigen (kulinarischen und theatralischen) Führungen. Im Rahmen der Rundgänge versuchtTIB in unterschiedlicher Weiseauch ausge- wählten Partnerinstitutionen mehr Kundschaftzuvermitteln, sei es durch die Nutzung ihrer Lokalitäten fürdie Inszenierung einzelnerSzenen beitheatralisch geprägten Führungen (z.B. das örtliche Kino oder CafØs) oder durch die Nut- zung ihrer Angebote (z.B. in Form einer an die Führung anschliessenden Ver- kostung der Produkte eines Restaurants oder einer Bäckerei, des Eintritts in das Museum/das Schmetterlingshaus im Nachbarort, usw.). Eine weitere Innovation der letzten Jahre sind geführte Fahrradtouren bzw.Schifffahrten aufdem Mur- tensee, fürdie TIB eine(n) StadtführerIn als ReisebegleiterIn zur Verfügung stellt. Das Führungsangebot wurde seit 2008, als Simon die Leitung vonTIB übernahm, ständig ausgebaut und erweitert. Auch die Führerausbildung,die zuvor in den Händen erfahrener StadtführerInnen lag,wurde 2009 mit der Entwicklung eines speziellen Stadtbegleiterausbildungsprogramms institutio- nalisiertund professionalisiert(siehe Kapitel V. 3.2). Noch ganz zu Beginn meiner ethnographischen Feldforschung in Murten, im Mai2013, führte ich zusammen mit meinem Doktorvater ein Interview mit Simon, beidem wiru.a.auch aufdas Führungsangebot zu sprechen kamen. Als wiruns nach der sprachlichen Anpassung vonStadtführungen an gemischt- sprachige Gruppen erkundigten, äusserte sich Simon negativ hinsichtlich des Formats zweisprachigerStadtführungen:

1 SIMON :d’entrØeondemandenormalementlalangue ou bien 2 +hochdeutsch ((allemand))+ ou suisse allemand si Åa va pour 3 toutlemonde. et là on demande. ce qu’on fait pas, c’est qu’on fait 4 pas de visites bilingues. euh c- par expØrience c’est un mod›le qui

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5 fonctionne pas. ou bien tr›smal.euh finalementilyades 6 frustrations dans les deux camps.sionades personnes des deux 7 langues on propose plutôtdespliter le groupe en deux, et que un 8 groupe partsur le franÅais, l’autre sur l’allemand. le guidemet, 9 donc sur l’heure et demi la visite, Åa prend trop de temps à faire 10 une explication en franÅais plus une explication en allemand. et 11 les gens et pour la dynamique de la visite c’est vraimentterrible. 12 voilà.

Übersetzung

1 SIMON:zubeginn fragen wirnormalerweise in welcher sprache oder 2 +hochdeutsch ((deutsch))+ oder schweizerdeutsch ob dasvon 3 allen verstanden wird. und da fragen wirnach. was wirnicht 4 machen, was wirnichtmachen sind zweisprachige führungen. äh 5 d- laut unserer erfahrung ist das ein modell das nicht 6 funktioniert. oder sehr schlecht. ähletztendlich sind dann beide 7 sprechergruppen frustriert. wenn wiralso sprecher beider 8 sprachen haben schlagen wireher vor die gruppe zu teilen sodass 9 eine gruppe auffranzösisch und die andereauf deutsch geführt 10 wird. der führer braucht, also in den eineinhalb stunden der 11 führung,dabrauchtdas zu viel zeit eine erklärung auffranzösisch 12 und zusätzlich eine erklärung aufdeutschzugeben. und die leute 13 und fürdie dynamik der führung ist das wirklich schrecklich. so 14 ist das.

Wasdie sprachliche Anpassung der Führungen an die unterschiedlichen sprachlichenBedürfnisse und Erwartungen gemischtsprachiger Gruppen aus lokalen, nationalen und internationalen (schweizer)deutsch- und/oder franzö- sischsprachigen KundInnen betreffe, so erklärt Simon, dass zweisprachige deutsch-französische Führungen erfahrungsgemäss nicht(gut) funktionierten (Zeilen 4–6). Anstatt die Informationen nacheinander erst in der einen und dann in der anderen Sprache zu geben, und dabei das Risikoeinzugehen, dass sich jeweils ein Teil der Gruppe langweile, würdeman zweisprachige Gruppen (nun) besserinjeeine deutschsprachige und eine französischsprachige Gruppe auf- teilen und jeweils mit einer deutsch- oder französischsprachigen Führungs- person ausstatten (Zeilen 7–12). Beider deutschen Gruppe müsse manaber immer abklären, ob alle Schweizerdeutsch verstünden oder besserHochdeutsch gesprochen werden solle (Zeilen 1–3). Im selben Interview erwähnte er jedoch zwei aktuelle Versuche, die lokale Zweisprachigkeit in Stadtführungeneinflies- sen zu lassen. So wurde bereits seit 2010 ein kulinarischer Rundgang an einem

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Ausweichtermin neu auch zweisprachig angeboten und zum Zeitpunkt des In- terviews war zudem gerade eine neue zweisprachige Führung in Planung, dieses Mal in Zusammenarbeit mit dem lokalen Museum. Ichbeschloss also an beiden Führungen teilzunehmen und mit den FührerInnen zu sprechen, um heraus- zufinden, warum es trotz der wohlweislich schlechten Erfahrung mit dieser Art vonFührung bzw.der damit verbundenen Herausforderungen dennoch wei- terhin zweisprachige Führungsprojekte gab und unter welchen Umständen diese Formate Erfolg erfuhren. In den folgenden Unterkapiteln werdeich zunächst die Entstehungsgeschichte des zweisprachigen kulinarischen Rundgangs und an- schliessend diejenige der theatralischen zweisprachigen Führung nachzeichnen.

2.2 Zweisprachigkeit als Delikatesse:Der kulinarische Rundgang en bilingue

In den Jahresberichten vonTIB ausden Jahren 2008 und 2009 lässt sichnach- lesen, dass die bisherigen Neuerungen im Führungsangebot erfolgreich waren und sich im Zeitraum von2006 bis 2009 eine Zunahme an Buchungen beob- achten lies (Abb.23).

Abb. 23:Statistik der gebuchten Stadtrundgänge 2006–2009 (TIB-Jahresbericht2009:9)

Im Jahresberichtvon 2010 wird jedoch angedeutet, dass sich TIB schwer tut, diese Errungenschaftangestiegenen Buchungszahlen zu erhalten, und einen leichten Rückgang um 15 gebuchte Führungen im Vergleich zum Vorjahr ver- zeichnet.Dieser Buchungsrückgang wird aufein neues Konkurrenzangebot zurückgeführt, welches voneinem lokalen Transportunternehmen aufgezogen worden war.Bei diesem Angebot handelt es sich um einen kleinen Zug,der

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BesucherInnen durch die Stadt fährtund mit Hilfe vonAudioguides aufDeutsch, Schweizerdeutsch, Französisch,Englisch und Italienisch überdie Stadtge- schichte informiert. TIB sah sichalsogezwungen, zu reagieren und die Besu- cherzahlenmit einer erneutenDiversifikation des Führungsangebotsund ge- zieltem Marketing wieder zu steigernoder zumindest konstantzuhalten. Hinzu kam, dass in der Nebensaisonbis zu diesem Zeitpunkt ein überzeugendes Führungsangebotnochfehlte, welches auch in der kalten Jahreszeit Besuche- rInnen anlocken könnte. TIB strengte also ein Brainstorming mit den Führe- rInnen an und erläuterte die Problematik. Ziel war es, alte KundInnen mit neuen Angeboten wieder zurückzugewinnen und neue KundInnen hinzuzugewinnen. Wenn in Murten neue Führungen entwickeltwerden müssen, sind es in der Regel die StadtführerInnen selbst, die die Kreation des neuen Angebots über- nehmen, allerdings im Auftrag bzw.inAbsprachemit TIB und den unter Um- ständen beteiligten Partnerinstitutionen. Die Ideen fürneue Führungen werden meist im Rahmen eines Brainstormings zwischen den TIB-MitarbeiterInnen und den FührerInnen entwickelt. Letztendlich übernehmen aber dann die FührerInnen den kreativenTeil der Arbeit (die Konzeptualisierung des Inhalts und der sprachlichenDurchführung). Die endgültige Realisierung muss aber institutionell vonTIB genehmigtbzw.die u.U. notwendige Zusammenarbeit mit Partnerinstitutionen zugesichert werden. Es handelt sichalso um einen Mix aus TopDown- und Bottom Up-Politik. Einerseits werden das Thema und der Inhalt der Führung sowiedie Sprachen, in denen die Führung angeboten werden sollen, im Sinne einer Institutionspolitik zumindest teilweise vorgegeben und richten sich nachden aktuellen (Innovations-/Diversifikations-)Bedürfnissen, andererseits jedoch auch nach den (Sprach-)Kompetenzen und Interessensge- bieten der betreffendenFührerInnen. In der Regel gestalten die FührerInnen das neue Angebot zu einer Thematik, welche sie interessiertoder bezüglich wel- cher sie sich selbst als ExpertInnen wahrnehmen, und wählen ein sprachliches Format, welches ihren Kompetenzen entspricht. Insofern haben die FührerIn- nen auch eine gewisse Freiheit beider Entwicklung, präsentieren ihre Person letztendlich aber selbst als kommodifizierbareTourismusattraktion(Bunten 2008;Urciuoli 2008). Die Diversifikationsmassnahmen richten sich also nicht nurnach dem Bedarf, sondern auch nach den Ressourcen, die TIB in Form der Talente und Kompetenzen ihrer StadtbegleiterInnenvorliegen. Fürdie (Neu-)Konzeptualisierung einer Führung oder deren Übertragung in eine an- dere Sprache erhalten die verantwortlichen FührerInnen keine Vergütung,d.h. sie leisten diese Arbeit ehrenamtlich und profitieren allenfalls vonder letzt- endlichen (erfolgreichen) Durchführung der Führung. Auch diesmal lief die Entwicklung der neuen Tour wieobenbeschrieben ab. Gemeinsamdiskutierten TIBund einige StadtführerInnen möglichst innovative Einfälle füreine neue Tour,die eine Antwortauf die aktuellen Bedarfe darstellen

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 250 Produktentwicklung:Inszenierung von Zweisprachigkeit könnte. Die Idee eines kulinarischen Rundgangs mit dem Titel »Essgeschichten« war geboren. Der Grundgedankedes kulinarischen Rundgangs beruhteeiner- seits darauf, die Geschichte der Stadt gemäss dem Programm des klassischen Rundgangszuvermitteln. Die Dauer des Rundgangswar jedoch anstattder üblichen eineinhalb Stunden aufvier Stunden angesetzt, da aufdem Wegdurch die Stadt in vier verschiedenen Restaurants Halt gemachtwerden sollte, um die TeilnehmerInnen lokale Spezialitäten degustieren zu lassen.Auf diese Artund Weise konnten die BesucherInnen die teilnehmenden Restaurants und ihr An- gebot, aber auch sich gegenseitig kennenlernen. Laut Simon sei das Besondere der Führung auch genaudiese »[…] Verbindung vonInformation und Gesel- ligkeit. Nach jedem Gang wird das Restaurantgewechselt, aufdiese Weise kann der Tischnachbar immer wieder aufs Neue gewählt werden.«, wieerineinem Zeitungsartikelmit dem Titel »Ein geschichtsträchtiger Viergänger« der Frei- burger Nachrichten vom 18.11.2010 zitiertwird. Das freiereFormat und die Verköstigung waren jedoch nichtdie einzige Neuerung.Der Rundgang wurde aufgrund der nurkurzzeitigen Aufenthalte im Freien explizit als Winterrund- gang beworben und setztesich somit vom restlichen Führungsangebotab, welches vorwiegend zur Hauptsaison in den Sommermonaten vonApril bis September angeboten wird.Hiermit versuchte TIB auch in der Nebensaison BesucherInnen in die zu diesem Zeitpunkt eher verschlafene Stadt zu locken und sie mit entsprechenden Aktivitäten zu bedienen.Umdie BesucherInnen auch in der Stadt zu halten, wurde zusätzlich zur gebuchten Tour die Möglichkeit der Buchung einer verbilligten Übernachtung vorOrt angeboten. Im zweiten Jahr der Führung wurde die Diversifikation des Angebots noch weiter betrieben. Um unterschiedliches Publikum anzuziehen, wurde ein Termin des Rundgangs spezifisch fürSingles ausgeschrieben, die sichimRahmen der Geselligkeit der Führung kennenlernen konnten. Das Angebot wurde zwar nichtwie erhofft wahrgenommen, ergab aber laut einem Interview mit Simon (vom27.03. 2015) ein gutes Medienecho. Doch auch sprachlich wurde alsbald eine Neuerung eingeführt, welche in den folgenden Unterkapiteln näher beleuchtet werden soll.

2.2.1 Zweisprachiger Termin als flexible Alternative Der kulinarische Rundgang war voneinem der erfahreneren Stadtführer ent- worfen worden, der darüberhinaus auch ein leidenschaftlicher Hobbykoch war.Seine Erstsprache war Schweizerdeutsch, er war aber auch in der Lage, die Führung beiBedarfauf Französisch durchzuführen. Kurze Zeit nachdem er- folgreichen Startder Tour gab er die Führung allerdingsaus Altersgründen an andereFührerInnen ab.Der Rundgang wurde aber auch weiterhin nurvon bestimmten StadtbegleiterInnen durchgeführtund befand sich nichtimFüh- rungsrepertoire aller FührerInnen. Die Tour wurde an mehreren festgelegten

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Zweisprachige Stadtführungen 251

öffentlichen Terminen (jeweils mittagsoder abends) auf(Schweizer-)Deutsch und an einem Termin aufFranzösisch fürGruppen ab achtPersonen angeboten. Zusätzlichkonnten Privatpersonen oder Reisegruppen den Rundgang aber auch auf(Schweizer-)Deutsch und Französisch an einem Datum ihrer Wahl buchen. Durch den unvorhersehbaren Markt stellten die öffentlichen Führungstermine und die jeweils festgelegte Sprache jedoch ein Problem dar,wie der Direktor von TIB in einem Interview (vom 02.05.2013) erklärte:

1 SIMON :onale gros probl›me que euh sur les visites on atoujours, on tient 2 ((sourit)) mordicus à vouloir faire une visite guidØeenfranÅais 3 sur toute l’annØeouaumoins l’avoir dans le programme, pour 4 que si une personne francophone veut s’inscrire elle ala 5 possibilitØ de le faire. .h euhm (.) on atoujours le probl›me de 6 trouver des gens qui font cette visite en franÅais/euhm mais on y 7 tient. ce qu’on afait cette annØec’est qu’on avoulu faire une visite 8 bilingue. voilà sur euh cette visite euh culinaire, c’est un c’est une 9 visite oœ on dØcouvre beaucoup=une visite d’animation hein, pis 10 on aplus l’occasion d’Øchanger/ pis l’idee c’Øtait d’avoir des 11 personnesfrancophones ((bruits de microphone)) des personnes 12 alØmaniques, le guide il ferait une partieen: il fera sonpremier 13 +speech ((anglais))+ donc c’est=on passe d’un restaurant à 14 l’autre, et au passage d’un restaurant à l’autre pour chaque platon 15 aleguide qui donne quelques explications sur commentils 16 mangeaientautre fois, sur sur la ville de morat aussi en gØnØral, 17 euh sur les Øgouts et cetera sur tous ce qui aavoir avec la 18 nourriture hein. et euhm,làl’idØec’Øtait de faire de mani›re assez 19 originale oœ les gens euh ils peuvent Øchanger entreeux en 20 franÅais ou en allemand,oubien oœ le guide il dit euh% oœ il dit ah 21 ce- +alors maintenantonest à l’entrØeonvaparler en allemand/ 22 je vous donne les explications en allemand ensuite/ et sur le plat 23 principal on parlera en franÅais ((cite le guide))+,oubien 24 regarder un peu spontanØmentcommentrØagissentles gens. 25 euhm finalementonaeu que des alØmaniques qui se sontinscrits 26 pis Åa apas eu lieu sous cette forme là

Übersetzung

1 SIMON:wir habendas grosse problem dass ähbei den führungen haben 2 wirimmer,wollen wir((lächelt)) ganz unbedingteine führung 3 projahr auffranzösisch anbieten um sie mindestens im 4 programm zu haben, damit eine frankophone person, die an der

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 252 Produktentwicklung:Inszenierung von Zweisprachigkeit

5 führung teilnehmen will die möglichkeit hat teilzunehmen. .h 6 ähm (.) wirhaben immer probleme damit leute zu finden,die 7 diese führung auffranzösisch machen/ ähm aber wirhalten daran 8 fest. was wirdieses jahr gemachthaben, wirwollten eine 9 zweisprachige führung anbieten. eben genau ähdiese äh 10 kulinarische führung,das ist ein das ist eine führung beider man 11 viel entdeckt=eine animierte führung oder,und dann hat man 12 mehr gelegenheiten sich auszutauschen/ dann war die idee die 13 war frankophone personen ((störgeräusch)) deutsche personen 14 zu haben, der führer würde einen teil au:f er würdeseinen ersten 15 +speech ((englisch))+ also das ist=mangehtvon einem 16 restaurantzum nächsten und während man voneinem restaurant 17 zum anderen ziehtgibt der führer einige erklärungen zu jedem 18 gerichtdazu wieman sie früher ass, überdie stadtmurten auch 19 im allgemeinen, ähehgräbenetcetera überalles was mit dem 20 essen zu tun hat oder.und ähm da war die idee das in einer recht 21 originellen weise durchzuführen wobei die leute ähmiteinander 22 reden können auffranzösisch und aufdeutsch, oder eben wobei 23 der führer er sagt äh% wobei er sagtahda- +also jetzt kommen 24 wirzur vorspeise und wirwerden deutsch sprechen/ ich werde 25 euch die erklärungen aufdeutschgeben dann/ und beim 26 hauptgang sprechen wirfranzösisch ((zitiertden führer))+,oder 27 auch ein bisschen spontan schauen, wiedie leute reagieren. ähm 28 letztendlich haben sich nur deutschsprachigedazu angemeldet 29 und dann hat das nichtindieser formstattgefunden.

Demnach scheinteine hohe Unsicherheit zu bestehen, ob sich jeweils über- haupt genügend französischsprachige Personen füreinen öffentlichen Termin zusammenfinden. Dennoch scheintesTIB ein Anliegen zu sein, um jeden Preis auch Angebote fürein französischsprachiges Publikum zu schaffen, selbst wenn dieses rar108 ist (Zeilen 1–8). Da viele der StadtführungsteilnehmerInnen selbst ausMurten oder der Region stammen, ist dieses Beharrenauf ein französisch- sprachiges Angebot trotz kleinem Markt auch politischer Natur und als Mass- nahme zur Anerkennung der französischen Minderheit zu betrachten. Die Aussage, Probleme zu haben, »Leute zu finden, die diese Führung aufFranzö-

108 Zu den Jahren 2010–2011liegen mir keine Statistiken zu den Sprachen der gebuchten Rundgänge vor.Den Statistiken im TIB-Jahresberichtaus dem Jahr 2012 lässt sich jedoch entnehmen, dass vonden 557 in diesem Jahr gebuchten Führungen mit insgesamt 8373 TeilnehmerInnen nur rund 10 %der Führungen aufFranzösisch durchgeführtwurden, im Vergleich zu 86 %auf Deutsch (TIB-Jahresbericht2012:12).

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Zweisprachige Stadtführungen 253 sisch machen« (Zeilen 6–7) kann im doppelten Sinne verstanden werden. Ei- nerseits kann sich diese Äusserung aufdie FührungsteilnehmerInnenbeziehen, andererseits jedoch auch aufdie FührerInnen, da TIB nur überwenige franzö- sischsprachige StadtführerInnen verfügt und auch beider Rekrutierung immer Schwierigkeiten hat, weitere Frankophone zu finden. Siehtman sichTIBs Liste der StadtbegleiterInnen und ihrer Sprachen an, ist Französisch beiden meisten nurdie Zweitsprache,die sie allerdings so gut beherrschen, dass sie Führungen beiBedarfauch aufFranzösisch halten könnten.109 Im bisherigen Programm waren die Essgeschichten an öffentlichen Terminen, mit Ausnahme eines auf Französisch angebotenen Termins,ausschliesslich aufDeutsch angeboten worden. WieSimon jedoch auch in einem anderen Interview (vom 27.03. 2015) betonte, eigneten sich die Essgeschichten durch die verschiedenen Phasen der Tour in Form der vier Restaurantbesuche besonders füreinen Sprachenwechsel während der Führung.Die Idee, einen Termin als zweisprachig auszuschreiben, verschreibt sich also einerseits dem Zweck, französischsprachigen Personen mehr Gelegenheiten zu bieten,auch an öffentlichen Führungen teilzunehmen. Gleichzeitig sprichtTIB so aber auch generell ein grösseres Publikum an deutsch- und französischsprachigen als auch zweisprachigen Personen an. Die zweisprachige Durchführung ist jedoch nichtverpflichtend. Erscheinen nur (schweizer)deutschsprachige Personen, passt sich die/der FührerIn dement- sprechend an das Publikum an. In diesem Fall gehtdas der zweisprachigen Durchführung zugrunde liegende Konzept des Austauschs zwischen deutsch- und französischsprachigen Personen während der Restaurantbesuche nichtauf (Zeilen 28–29). Dies lässt auch schon das notwendige sprachliche Profil der FührerInnen erahnen:kompetentinbeiden Sprachen, wobei (Schweizer-) Deutsch häufiger gebrauchtzuwerden scheint. Der zweisprachige Alternativtermin hatte also verschiedene Gründe:Die Erweiterung des kulinarischen Rundgangs um eine zweisprachige Durchfüh- rung kann a) als eine flexible Anpassung an einen schlechtantizipierbaren Markt110 angesehen werden, da sie der Klientel, welche an den anderenfestge-

109 Die institutionelle Politik vonTIB ist jedochdarauf ausgerichtet, wenn möglich eine(n) FührerIn mit ›muttersprachlichen‹ Kompetenzen zur Verfügung zu stellen. 110 Die hohe Unsicherheit, ob sich überhaupt genügend Personen zu einem öffentlichen Ter- min anmelden und insbesondere welche Sprachen diese Personen sprechen würden, konnte ich selbst miterleben, als ich mich zum öffentlichen Termin des zweisprachigen Rundgangs telefonisch anmelden wollte. Da TIB Führungen erst ab achtTeilnehmerInnen abhält, war zunächst nichtsicher,obder Rundgang überhaupt stattfindenwürde. Ichwurde ange- wiesen, mich zwei Tage vorher noch einmal telefonisch zu erkundigen. Als ich zufällig kurz vorher beiTIB vorbeikam, nutzteich die Gelegenheit, um noch einmal nachzufragen.Es stand jedochimmernochnichtfest. Drei Tage vorhererhielt ich dann einen Anruf vonder TIB-Mitarbeiterin, die sich um die Buchung der Stadtführungen kümmert, mit der Be-

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 254 Produktentwicklung:Inszenierung von Zweisprachigkeit legten Terminen aufDeutsch oder Französisch nichtkommen kann, einen Al- ternativtermin bietet, b) eine Form vonDiversifikation/Distinktion bieten, mit der ein anderes (in dem Fall zweisprachiges) Publikum bzw.ein sprachenaffines Publikum fürein und dasselbeProdukt angesprochen werden soll (wie auch schon am Termin fürSingles, an dem die Stadtführung gleichzeitig zu einer Dating-Veranstaltungwurde) und c) als eine Form vonzusätzlichem »Erle- bens«faktor gewertet werden (zumindestimVergleich zur ursprünglich ein- sprachigen Konzeption). Der zweisprachige Termin wurde aufder Homepage vonTIB und aufder Rückseite des deutsch-französischsprachigen Flyers mit dem fürdie Führung geworben wurde, wiefolgtangekündigt: Datum des Termins und dahinter die Angabe»DE /FR(Bilingue)«.Allerdings lässt diese Beschreibung das eigentli- che Format bzw.die Umsetzung der angekündigten Zweisprachigkeit offen. Zudem werden keine Angaben hinsichtlich der Sprachkompetenzen gemacht, die die BesucherInnen mitbringen müssen.Dies ist auch so gewollt, damit sich InteressentInnen nichtabgeschreckt fühlen. Beieiner persönlichen oder tele- fonischen Buchung der Führung beiTIB können letztendlich Fragen bezüglich des Formats oder Unsicherheiten aufgrund vonfehlenden Kenntnisseninder jeweiligen anderen Sprache abgeklärt werden. Wieabersiehtdie zweisprachige Durchführung nunkonkret aus?

2.2.2 Àlacarte oder die Qual der (Sprach-)Wahl Um dies zu untersuchen, nahm ich an einer als zweisprachig ausgeschriebenen Führung Mitte November 2014 teil. Ichkannte den verantwortlichen Führer – ich werdeihn hier Beat nennen –bereits voneiner anderen Tour und hatte auch schon ein Interview mit ihm geführt. Beat stammte ursprünglich ausBern, lebte aber bereits seit über30Jahreninder Umgebung vonMurten. Zur Zeit meiner Feldforschung war er beruflich nichtmehr aktiv und widmete seine freie Zeit der Stadtführerei und privaten Recherchearbeiten zur lokalen Geschichte. Da er beruflich immer im Kontakt mit dem Französischen gewesen war,beherrschte er die Sprache fliessend und konnte Stadtführungen in beiden Sprachendurch- führen. FürTIB bildete Beat zudem auch neue StadtführerInnen aus. Wiedie Konzeptualisierung des zweisprachigen Termins im vorherigen Unterkapitel bereits erahnen liess, ist es fürdie/denjenigen FührerIn, die/der den zweispra- chigen Termin übernimmt, wichtig, beide Sprachen (Französisch, Deutsch und auch Schweizerdeutsch) zu beherrschen, damit sie/er sich sprachlich flexibel an

nachrichtigung, dassesgenügend Anmeldungen gäbe und die Führung nun definitiv stattfinden würde.

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Zweisprachige Stadtführungen 255 alle möglichen Publikumskonstellationen anpassen kann (Akkommodations- ideologie). Beat verfügte überdiese mehrsprachige Kompetenz. Grundsätzlich sah die Konzeptualisierung der zweisprachigen Führung vor, beijedem Stopp in einem der Restaurants die Sprache zu wechseln, sodass die beiden Sprachen abwechselnd verwendet würden. Dieses Konzept setzte aber auch SprecherInnen beider Sprachen und ein ausreichend zweisprachiges Pu- blikum voraus, welches jedoch nureinen sehr kleinen Nischenmarktausmacht. WieSimon im vorangehenden Zitat berichtet hatte, waren zur ersten offiziell als zweisprachig angekündigten Führung im Jahr 2012 nur Deutschsprachigege- kommen, sodass der betreffende Führer letztendlich den Rundgang nurauf Deutsch durchgeführthatte. Beider Führung,die ich Mitte November 2014 dokumentierte, erschienen als reguläresPublikum ebenfalls nurPersonen mit Erstsprache Schweizerdeutsch:drei Ehepaare und ein einzelner Teilnehmer. Da die sprachliche Anpassung an das Publikum Vorrang hatte, hätte Beat die Führung nunnormalerweise –entgegen der Kommunikation aufdem Flyer – auch wieder nurauf Schweizerdeutsch anstatt zweisprachig durchgeführt. Al- lerdings waren zusätzlich zum normalen Publikum dieses Mal zwei Personen extra zum besagten Termin gekommen, gerade weil er zweisprachig ausge- schrieben war: –Eine dieser beiden Personen war ich. Beat wusste, dass ich im Auftrag der UniversitätFreiburg zur Rolle der Zweisprachigkeit im touristischen Kontext in Murten forschte. Meine Präsenz war also mit einer bestimmten Erwar- tungshaltung gegenübereiner zweisprachigen Performanzverbunden, so dachte er zumindest. –Eine weitere Person, die nichtals reguläresPublikumbetrachtet werden kann und ebenfalls aufgrund der Zweisprachigkeit anwesend war,war die Repor- terin eines lokalen und zweisprachig ausstrahlenden Fernsehsenders, den ich hier BILI-TV nennen werde. BILI-TV sendet lokale Nachrichtenbeiträge ab- wechselnd eine halbeStunde aufFranzösisch und eine halbeStunde auf (Schweizer)Deutsch.Die Beiträge sind in beiden Sprachen inhaltlich wei- testgehend gleich und wiederholen sich stündlich. Fürdie Reporterin eig- neten sich die Führung und besonders die Sprachkompetenzen des Führers hervorragend,umauf einfache und zeitsparende Weise Film- und Tonma- terial überdie Führung in beiden Sprachen füreinen deutschen und einen französischen Beitrag zu generieren.111

111 Die Medienpräsenz beiFührungen ist durchaus nichts Ungewöhnliches. Beivielen Füh- rungen, die ich dokumentierte (insgesamt 16), warenMedienvertreterInnen vom Fernse- hen, Radio oder lokalen Zeitungen mit dabei. Meist wurden sie im Rahmen der Marke- tingstrategie vonTIB auch extra eingeladen, um die Führungen mitHilfe ihrer Berichter- stattung bekannter zu machen. Die FührerInnen haben also auch den Auftrag vonTIB, sich während der Führungnoch um die MedienvertreterInnen zu kümmernund sich somit

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Aufgrund dieser Publikumskonstellation befand sich Beat in Bezug aufdie Sprachwahl und den Gebrauchsanteil der beiden Sprachen während der Füh- rung in einem Konflikt. Zum einen war die Führung zweisprachig angekün- digtworden und das zweisprachige Fernsehen war ausdiesem Grund da und wollte einen Beitrag überdie (zweisprachige) Führung machen. Zudem war eine Wissenschaftlerin anwesend, die ebenfalls an der Führung aufgrund ihrer zweisprachigen Durchführung interessiertwar.112 Gleichzeitig war sichBeat aber durchaus bewusst, dass vonden regulärenTeilnehmerInnen grundsätzlich alle schweizerdeutschsprachig waren. Dies war ihm einerseits vonder TIB-Mitar- beiterin mitgeteilt worden, die wie üblich die Sprachkenntnisse der Teilneh- merInnen bereits beider Anmeldung abgefragt hatte. Beat hatte darüberhinaus aber auch selbst zu Beginn der Führung die tatsächliche Anwesenheit der an- gemeldetenTeilnehmerInnen anhand einer Liste mit ihren Namen überprüft, wobei er teilweise auch die Herkunft(Murten, Kerzers und Zürich) und die Sprachkenntnisse erfragte bzw.die TeilnehmerInnen diese kommentierten. Bei dieser Gelegenheit wurde abgeklärt,oballe Schweizerdeutsch verstehenwürden oder ob Beat besser Hochdeutsch sprechen sollte. Bis aufmich, waren alle an- deren TeilnehmerInnen schweizerdeutschsprachig.Auch die Erstsprache der Reporterin war Schweizerdeutsch. Die gemeinsameSprache des Publikums war also relativschnell klar und Beat entschied sich hinsichtlich der Sprache der Führung füreine Kombination ausSchweizerdeutsch und Französisch. Aller- dings hatte er nicht überprüft,oballe Französisch verstanden.113 Mit der Festlegung der Sprachwahl war es aber noch nichtgetan. Beat musste auch während der Führung jeweils abschätzen, wieviel Französisch er beiei- nem hauptsächlich schweizerdeutschsprachigen Publikumsprechen durfte bzw. konnte und in welchen Momenten das Französischesinnvoll war.Erversuchte die Führung also einerseitssprachlich an sein Publikum anzupassen, fühlte aber

aktiv an der Vermarktung ihrer Führung zu beteiligen. Die Medienpräsenz (wie auch die Präsenz einer Wissenschaftlerin)bedeutet fürdie FührerInnen einen zusätzlichen Stress- faktor. Ein anderer Führer,der aufseiner französischen Tour durch die Altstadtzusätzlich zum normalen Publikum ebenfalls vonMedienvertreterInnenund meiner Wenigkeit be- gleitet wurde,kommentierte dies einmal lachend aberdurchaus ernst gemeint: »ah j’ai la pression, je ne peux pas vous diredebÞtises.« (Übersetzung:»ah, ich steh unter druck, ich darfeuch keinen blödsinn erzählen.«) 112 Es ist nichtbekannt, ob ausser mir und dem Fernsehen bei der mitverfolgten Führung speziell jemand wegen der zweisprachigen Durchführung (Spracherlebnis) gekommen war. Es scheintjedoch nichtder Fall gewesen zu sein. Im Gegenteil:AmEnde der Führung stellte sich heraus, dass zumindest ein Paar,das ursprünglich ausZürich stammte, aberseit Kurzem in Murten lebte, gar nichtdarüberinformiertgewesen war,dass die Führung ursprünglich zweisprachig vorgesehen gewesen wäre. Sie gabenzu, dass ihr Französisch zudemnichtsehr kommunikationssicher wäre, merkten aberan, dass sie die zweisprachige Durchführung nichtgestört hätte. 113 Wiesich aber im Verlauf der Führungherausstellte, hatten alle zumindest passive Fran- zösischkenntnisse, warenjedochnichtalle unbedingt auch kommunikationssicher.

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Zweisprachige Stadtführungen 257 gleichzeitig auch ständig eine ArtBringschuld, das durch das Marketing ange- kündigte zweisprachige Image der Führung zu operationalisieren. Wieder Stadtbegleiter diesen Konflikt der sprachlichen Anpassung an die verschiedenen Erwartungshaltungen und Bedarfe entweder explizit oder aber implizit während der Führung ausfocht, lässt sich anhand einiger Beispiele anschaulich darstellen. Die folgenden Beispiele sind jedoch nichtnur im Hinblick aufdie Sprachwahl, sondern auch im Hinblick aufverschiedene Performanzen vonZweisprachigkeit durch Beat als auch durch die TeilnehmerInneninteressant;wie auch im Hin- blick aufdie damit verbundenen Legitimitätsvorstellungen.

Explizite Bezugnahmeauf die unterschiedlichen sprachlichenErwartungshaltungen Einmal sprach Beat seinen inneren Konflikt bezüglich der sprachlichenGe- staltung der Führung explizit an und kommentierte die unerwartete Publi- kumskonstellation:

1 FÜHRER:das isch au luschtigderundgang isch eigentlich bilingue 2 usgschriebeabersialles dütschschwytzer 3TEILNEHMER:auso mer choischo beides 4FÜHRER:jaja

Übersetzung

1 FÜHRER:das ist auch lustig der rundgang ist eigentlich zweisprachig 2 ausgeschrieben aber es sind alles deutschschweizer 3TEILNEHMER:also wirkönnen schon beides 4FÜHRER:jaja

Als Beat bemerkt, dass nur Personen ausder Deutschschweiz anwesendseien und die daraus resultierende fehlende Zweisprachigkeit beider Publikums- konstellation anspricht(Zeilen 1–2),widersprichtein Teilnehmer und entgeg- net, dass das Publikum trotz schweizerdeutscher Erstsprache dennoch Fran- zösischkenntnisse habeund somit zweisprachig sei (Zeile 3). Dies scheintBeat aber nichtzufriedenzustellen (Zeile 4) bzw.fürihn keinen angemessenen Grund darzustellen, eine durchgehend zweisprachig gestaltete Führung zu liefern. Es wirkt, als habeersich hierfüreigentlich schon auch TeilnehmerInnen erwartet, die dominantfranzösischsprachig sind (»MuttersprachlerInnen«).Erkatego- risiertdie TeilnehmerInnengemäss der Muttersprachenideologie dichotomisch in Deutsch-oder WelschschweizerInnen, eine Vorstellung die homogene, ein- sprachige Sprechergemeinschaften und die Anbindung vonSprache an Raum voraussetzt (Auer 2004). Gemäss dieser einsprachigen Sichtweise aufZwei- sprachigkeit ist fürdie zweisprachige Realisierung der Führung also eine Ko-

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 258 Produktentwicklung:Inszenierung von Zweisprachigkeit präsenz von»MuttersprachlerInnen« beider Sprachen notwendig.Die zwei- sprachigen Kompetenzen der einzelnen SprecherInnen werden jedoch mehr oder weniger ignoriert. Ein andermal entschuldigte sich Beat beiden TeilnehmerInnen fürdie fran- zösischen Anteile in seinen Erzählungenmit dem Argument, dass dies wichtig fürdie Werbung fürMurten sei, da BILI-TV anwesend sei:

1FÜHRER:zum wohl +santØ (.) sur la bilinguisme ((französisch))+ 2FORSCHERIN: ((lacht)) 3 FÜHRER:ich hoffe das stört euch ned wenni zwische ihne weg- wege 4 ihrechli französisch probiere(2) zrede aber mer hei 5 gfunge wenn schon uebe ((name vonbilitv)) wo uno 6 mitmacht(1) isch natürlech (.) isch natürlech die beschti 7 reklame für((name TIB)) 8 TEILNEHMER:tümer de friburger zeige dass mer das lebeigegesatzzu 9 ihre/ 10 ((TeilnehmerInnen lachen))

Übersetzung

1 FÜHRER:zum wohl +prost(.) aufdie zweisprachigkeit 2 ((französisch))+ 3FORSCHERIN:((lacht)) 4 FÜHRER:ich hoffe dasstört euch nichtwenn ich zwischendrin weg- 5 wegen ihr ein bisschen versuche französisch (2) zu 6 sprechen aber wirfanden wenn schon eben ((name von 7 bilitv)) auch noch mitmacht (1) ist das natürlich (.) ist das 8 natürlich die beste reklame für((name TIB)) 9 TEILNEHMER:zeigen wirden friburgerndasswir sie leben im gegensatz 10 zu ihnen/ 11 ((TeilnehmerInnen lachen))

Beat scheinteseinerseits unangemessen zu finden, angesichts eines rein/mut- tersprachlich schweizerdeutschen Publikums immer wieder Französisch spre- chen zu müssen (Zeilen 4–6),schliesslichverstösst dies gegen dassprach- liche Akkommodationsprinzip an die KundInnen. Zudem scheintersichauch nichtabsolut legitim zu fühlen, aufFranzösisch zu performen, denn als er sich fürdie französischen Anteile entschuldigt, schwächterseine Sprachperformanz als ›Versuche‹ ab:»wenni(…) chli Französisch probiere zrede« (Zeilen 3–4 in der Transkription). Diese Formulierung machtdeutlich, dass er sich selbst nicht

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Zweisprachige Stadtführungen 259 als authentischen Sprecher des Französischen, sondern als Sprecher des Schweizerdeutschen konzeptualisiert(Muttersprachenideologie). Diese Dar- stellung dientjedoch auch der eigenen Zugehörigkeitszuschreibung zum Rest der Gruppe. Meistbeschränkt Beat deshalb die französischen Anteile aufsym- bolische Sprechakte, wiez.B.hier dasAnstossenund Zuprosten (Zeile 1). Doch auch hier beschwichtigt ein Teilnehmer wieder und zeigtsichsogar gewillt, die Führung zweisprachig mitzuerleben. Er fordertsogar die anderen Teilnehme- rInnen dazu auf, Lokalstolz zu beweisen und zu demonstrieren, wiedie Murt- nerInnen ihreZweisprachigkeit leben. Im selben Satz stellt der betreffende Teilnehmerauch die Zweisprachigkeit der Nachbarstadt Freiburg in Frage (Zeilen 9–10). Die zweisprachige Führung präsentiertsich fürdie Teilnehme- rInnen insofern als Gelegenheit, sichselbst als zweisprachig zu präsentieren und zu fühlen (Identitätspolitik). Während dabei die Dichotomie zwischen deutsch- und französischsprachig überwunden scheint, schafftder Teilnehmer durch sein Statementeine neue Dichotomie zwischen ›echter Zweisprachigkeit‹, wiesie seiner Ansichtnach in Murten zu finden ist, und vorgegebener Zweisprachig- keit, wiesie anscheinend in der Stadt Freiburgvorherrsche. Ob die Stadt Frei- burg nuntatsächlich zweisprachig sei, wurde auch im späteren Verlauf der Führung noch einmalzwischen den TeilnehmerInnen diskutiert. Undauch in anderen Momenten der Führung wurde die Zweisprachigkeit zum Gesprächs- stoff unter den Teilnehmenden. Weitere, mit der lokalen Zweisprachigkeit im Zusammenhang stehendeThemen wiez.B.kulturelle Unterschiede zwischen Deutschschweizernund Romands, aber auch der deutsch-französischeSprach- kontaktund lokale Redewendungen wurden beidieser Gelegenheit diskutiert.

Sprachliche AnpassunginAbhängigkeit der GesprächspartnerInnen und der Situation Trotz des Interesses der Teilnehmenden an der Zweisprachigkeit befand sich Beat weiterhin im Konflikt bezüglich der Verwendung der beiden Sprachen in Abhängigkeit der jeweiligen Situation und der jeweiligen GesprächspartnerIn- nen. Bezüglich der Anteile der Verwendung der einzelnenSprachen war wäh- rend des gesamtenFührungsverlaufs eine hohe Variabilitätzuverzeichnen. Zu Beginn wechselte Beat noch häufiger zwischen Schweizerdeutschund Franzö- sisch. Dies jedoch ohne Übergänge. D. h. er lieferte nichtdie gleichen Infor- mationen in beiden Sprachen:

1 BEAT: +mer sie hi vor dem berntor und hei da de pulverturm. dä isch 2 frücher fürdsoldate zpulver iglageret gsi auso munition isch denn 3 näispäter zum me ne gfäng- gfängnis umgwa- umgwandlet worde. 4 ((schweizerdeutsch))++et au moyen âge il yavait certains orf›vres

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 260 Produktentwicklung:Inszenierung von Zweisprachigkeit

5 qui ontfrØquentØ souvent à morat. on sait pas pourquoi il yavait 6 tellementorf›vres qui sontvenus pour travailler à morat. et il yaun 7 spØcialiste qui est venudebienne et il s’est installØàmorat. c’Øtait un 8 ((französisch))++olrich setzstab der het achli problem ghamit de 9 obrikeit mit de gsetze vorschriftehet er aber hervorraggendarbet 10 chöne leischte die fran- euh die dütschi kilegmein het hütnovier 11 (xxx) bächer vo ihm vo 1560 gmachtworde si. 12 ((schweizerdeutsch))+

Übersetzung

1 BEAT: +wirsind hier vor dem berntor und habendaden pulverturm. der 2 ist früher vonden soldaten zum pulver einlagerngenutzt worden 3 also munition ist dann später zu einem gefäng- gefängnis umgwa- 4 umgewandelt worden. ((schweizerdeutsch))++und im mittelalter 5 gab es bestimmte goldschmiede die murten oft besuchthaben. man 6 weiss nichtwarum es so viele goldschmiede gab die nach murten 7 zum arbeiten gekommen sind. und es gibt einen spezialisten der 8 kam vonbiel und hat sich in murten niedergelassen. das war ein 9 gewisser ((französisch))++ulrich setzstab der hatte ein kleines 10 problem mit der obrigkeit mit dem gesetz vorschriften hat aber 11 hervorragende arbeit leisten können die franz- ähdie deutsche 12 kirchengemeinde hat heute noch vier (xxx)becher vonihm die 1560 13 gemachtworden sind. ((schweizerdeutsch))+

Wieder obige Ausschnitt zeigt, wechselt Beat einmal zwischen zwei Sätzen vom Schweizerdeutschen ins Französische (Zeile 4) und einmalinmitten eines Satzes vom Französischen zurück ins Schweizerdeutsche (Zeile 9). Diese Vorgehens- weise setzt voraus, dass die TeilnehmerInnen Französisch verstehen, da sie sonst jeweils einen Teil der Geschichte nichtverstehenwürde, denn Beat übersetzt weder den französischen Teil noch fasst er ihn später noch einmal aufDeutsch zusammen. Solche französischen Sequenzen, die ohnehin zu Beginn der Füh- rung schon verhältnismässig kürzer ausfielen, nahmen dannaberimVerlauf der Führung immer mehr ab und beschränkten sich irgendwann nurnochfast ausschliesslich aufdie Momente, in denen Beat etwas fürdie Kamera vonBILI- TV sagen sollte oder in denen er sich an mich wendete. D. h. er passte die Sprachwahl auch in Abhängigkeit der einzelnenGesprächspartnerInnen an. Während wirvon einer Sehenswürdigkeit zur nächsten liefen oder das Restau- rantwechselten, hatte ich immer wieder Gelegenheit, mit Beat ins Gespräch zu kommen. Dabei war auffällig,dass Beat sichimmer aufFranzösisch an mich wandte, obwohl er wusste, dass ich ausDeutschland stammte und wirauch

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Zweisprachige Stadtführungen 261 bereits ein Interview geführthatten, beidem er Schweizerdeutsch gesprochen hatte. Er wusste also auch, dass ich –auch wenn ich es nichtsprach –Schwei- zerdeutsch verstand. Es kam mir vor, als wollte er fürmich zumindest im Ein- zelgespräch seine Zweisprachigkeit unter Beweis stellen, war ich doch extra dafürzur Führung gekommen. Sprach ich ihn jedoch aufHochdeutsch an, antwortete er mir ebenfalls aufHochdeutsch (Akkommodationsideologie). Aufgrund seines Hintergrundwissens zu meinem Forschungsinteresse per- formte er alsoabsichtlich einen Teil der Führung aufFranzösisch. Während er mit den restlichen schweizerdeutschsprachigen TeilnehmerInnenausschliess- lich aufSchweizerdeutsch sprach, passte er sich im Deutschen ebenfalls an mich an. Hier handelt es sich also um einen klassischen Fall des Beobachterparado- xons, wobei die Anwesenheit der/des Forschenden die sprachliche Performanz beeinflusst (Labov 1972). Dieses Paradoxon wurde beider dokumentierten Stadtführung jedoch nichtnur durch die Anwesenheit der Forscherin, sondern auch durch die der Medienvertreterin und des regulärenPublikums ausgelöst, und ist, wiewir im kommenden Kapitel noch sehen werden, ganz zentral fürdie letztendliche Performanz der Zweisprachigkeit.

Thematisierung der Zweisprachigkeit Nebender zweisprachigen Performanzdurch das Code-Switching des Führers in Abhängigkeit des/derjeweiligenGesprächspartners/-partnerin und der Si- tuation (›front-stage‹vor der Kamera oder vor der Gruppe, und ›off-stage‹114 im persönlichen Gespräch mit den Teilnehmenden während einer Laufstrecke (Goffman 1959)), wurde die Zweisprachigkeit jedoch auch selbst immer wieder zum Gesprächsthema. So verwies Beat während der Führung immer wieder auflokale Redensarten oder lieferte die französischen Entsprechungen für (schweizer)deutscheBegriffe (als auch andersherum), wiedas folgende Beispiel zeigt:

1 STADTFÜHRER:zum wiivorhi hani no vergässe öpis:zsäge. es isch eso (.) 2 dass m:merhie eigentlich dr +montvully 3 ((französisch))+ dr vüllly saget. wischtenlacherbärg u 4 schribetuet me +wistenlacherberg ((hochdeutsch))+. 5 vo wo das dä namechunt weis me nid ganz genau. (2) 6 aber mir säge hie d- dr vüllly und mir gödnid ivüllly 7 (xxx). me geit IDS vüllly übere.das si so chli redewändige 8 fasch esochli sensler bezirk. uwenn dir aususwärtige

114 Obwohl auch diese Situationen nureinigermassen als ›off-stage‹betrachtet werdenkönnen, da sich Beat trotzallem noch in seiner Führerrolle befand und in dieser Rolle des lokalen Experten auch die Einzelgespräche mit den TeilnehmerInnen gestaltete.

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9 hie a +ballon vully ((französisch))+ bsteuet us schön 10 wott säge (.) de weis idewirtschafte uide restaurants ds 11 personausofort(.) dass dir uswärtigisit. wieso das/ (2) 12 wiumir säge hie e +ballon vüllly ((schweizerdeutsche 13 aussprache))+.h.aber(xx) dr PRIIS udqualitätisch 14 gliich. da müesst dir nid angschtha. eballon vüllly/ dassi 15 so chli eigeheite (.) ned auiaberdewäutsch dä seit (.) 16 immer +un ballon du vully ((französisch))+.füre 17 wäutsch isch das kesproblem. ud-dertweis me ob das en 18 us- oder nid en uswärtige oder en uswärtige isch. (3) 19 auso.(2) dr wiisäuber euh +on cultivetr›s(3) souvent 20 du vinblanc. euh la plante royale c’est le chasselas 21 ((französisch))+ blaub- eh nid blauburgunder eh (2) 22 TEILNEHMER 1: pinotnoir 23 TEILNEHMER 2: desch pinot 24 STADTFÜHRER:nei das isch de rotpinot noir.drwiiss ischdrchasselas 25 GUTedel. 26 TEILNEHMER 3: ja gutedel. 27 STADTFÜHRER:.hgutedel.imsüddütsche ruum seit me gutedel aber hie 28 kenntmedsweniger aber ds isch dr chasselas. das isch d 29 königssorte

Übersetzung

1 STADTFÜHRER:zum wein vorhin habeich noch vergessen etwas:zu 2 sagen. es is so (.) dass man hier eigentlich der +mont 3 vully ((französisch))+ der vüllly sagt 4 wischtenlacherbärg und schreiben tut man 5 +wistenlacherberg ((hochdeutsch))+.woher das ((der 6 name)) stammt weiss man nichtganz genau. (2) aber wir 7 sagen hier d-der vülllyund man gehtnicht in den vüllly 8 (xxx). man gehtINS vüllly rüber. das sind ein paar 9 redewendungen fast auch so ein bisschensensler bezirk. 10 und wenn ihr als auswärtige hier einen +ballonvully 11 ((französisch))+ bestelltund es schönwollt sagen (.) da 12 weiss das personal in den wirtschaften und in den 13 restaurants sofort(.) dass ihr auswärtige seid. wieso das/ 14 weil wirsagen hier ein +ballonvüllly 15 ((schweizerdeutsche aussprache))+.h.aber(xx) der 16 PREIS und die qualitätist gleich. da müsst ihr keine angst

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17 haben. und ballon vüllly/ dassind so kleine eigenheiten 18 (.) nichtalle aber der welsche der sagt(.) immer +un 19 ballon de vully ((französisch))+ fürwelsche ist das kein 20 problem. und d- da weiss man ob das ein aus- oder nicht 21 ein auswärtiger oder ein auswärtiger ist. (3) also.(2) der 22 wein selber +ähman baut sehr (3) oft weisswein an. äh 23 die königspflanze ist der chasselas ((französisch))+ 24 blaub- ähnicht blauburgunder äh(2) 25 TEILNEHMER 1: pinotnoir 26 TEILNEHMER 2: dasist pinot 27 STADTFÜHRER:nein das ist der rote pinotnoir.der weisse ist der 28 chasselas GUTedel. 29 TEILNEHMER 3: ja gutedel. 30 STADTFÜHRER:.hgutedel. im süddeutschen raum sagtman gutedel aber 31 hier kenntman das weniger aber das ist der chasselas. 32 dasist die königssorte h.

Beat erzähltden Teilnehmenden aufSchweizerdeutsch überdie Weinsorten, die aufdem Hügel (auf Deutsch Wistenlacherberg,auf Französisch Mont Vully) am gegenüberliegenden Seeufer kultiviertwerden. Zunächst klärt er die zweispra- chigen (deutschen und französischen) Ortsnamen, gehtdannaberauch aufdie lokale schweizerdeutsche Bezeichnung ein.Demnach nennen schweizer- deutschsprachige MurtnerInnen den Hügel nämlich beim französischen Namen [vuji],allerdings mit schweizerdeutscher Aussprache [vy :li:] (Zeilen 2–3). Die Aussprache des Namens des Hügels, der gleichzeitig auch der Name des Weins ist, der darauf angebaut wird, fungiertlautBeat als Schibboleth, woran man erkennen kann,objemand ausder Region oder vonauswärtskommt (Bourdieu 1998;McNamara 2012). Beat lehrtden FührungsteilnehmerInnen die richtige Aussprache, um sich in Restaurants beider Bestellung eines Glas (Schweizer- deutsch:ballon) Weins nichtzuverraten (Zeilen 10–14).Indem er die Teilneh- merInnen in lokale Redensarten einweiht, inszeniertsich Beat selbst als lokalen Insider und legitimen Sprecher der lokalen schweizerdeutschen Varietät, wäh- rend er die TeilnehmerInnen–die zum Teil selbst ausMurten stammen, dar- unter sogar eine ehemaligeStadtführerin –als nichtwissende Auswärtige kon- struiert. Durch die Erklärungen lieferterihnen aber einen Schlüssel, wiesie zumindest sprachlich ebenfalls zur Insiderin oder zum Insider werden können. Allerdings sind mit »InsiderIn«nur schweizerdeutschsprachige Personen aus Murten gemeint. So grenzt er Französischsprachige als »Welsche« gleich wieder ab (Zeilen 18–21). Beifranzösischsprachigen Personen funktionieredie Schib- boleth nicht, da diese den französischen Namen des Ortes/Weins verwenden

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 264 Produktentwicklung:Inszenierung von Zweisprachigkeit würden (Zeile 18–19). Insofern könne man beifranzösischsprachigen Personen auch nichtunterscheiden, ob sie ausder Region stammtenoder vonweiter her kämen. Beat fährtfortund möchte weiteres Insiderwissen zu den verschiedenen im »Vüllly« kultivierten Rebsorten liefern. Nachdem er bereits die welsche Re- densartangesprochen hat –fürdie er sich ebenfalls als Insider und somit als legitimer Sprecher ausgewiesen hat –wechselt er kurz ins Französische(Zeilen 22–23). Gleich im Anschluss daran möchte er aber auch gleich die deutsche Entsprechung der französischen Weinsorte liefern,vertut sich aber beider Übersetzung und gerätins Stocken (Zeile 24). An dieser Stelle springen die Teilnehmenden hilfsbereit ein und liefern einen Übersetzungsvorschlag (Zeilen 25–26), mit dem Beat jedoch nichtzufrieden ist (Zeile 27–28). Er liefert schliesslich selbst die richtige Lösung und stellt so seine Position als Experte wieder her,eine Rolle, die durch sein Stocken ins Wanken geraten ist. Ein Teilnehmerpflichtet ihm bei(Zeile 29). An dieser Stelle wird die zweisprachige Performanz zwischen dem Stadtführer und den Teilnehmenden gemeinschaft- lich ausgehandeltund produziert. Beat gehtzum Schluss wieder aufdie lokale schweizerdeutsche Redensartein, die durch den Sprachkontakt zum Französi- schen häufig vonder deutschen (hier süddeutschen) Varietätabweicht. So er- klärt Beat,dass die deutsche Entsprechung der Weinsorte »Chasselas« zwar »Gutedel« ist, vor Ort ähnlich wieschon beim Ortsname des Wistenlacher Bergs jedoch der französische Name gebrauchtwird (Zeilen 30–31). Anhand des Ausschnitts wird deutlich, wieBeat die Murtner Bevölkerung und ihreSprache als Besonderheit konstruiert, indem er sie vonanderen Sprachgruppen (die Deutschen, die Welschen, die restlichen Deutschschweizer) abgrenzt. Doch nichtnur der Stadtführer thematisierte die lokale Zweisprachigkeit in seinen Erzählungen. Das Thema wurde auch vonden TeilnehmerInnenimmer wieder angesprochen, aufgegriffen und hitzig diskutiert. So standbeispielsweise des Öfteren zur Debatte, ob die Nachbarstadt Freiburg überhaupt wirklich zweisprachig sei. Ein Beispiel hierfürhabeich bereits in einem Transkripti- onsausschnitt präsentiert(Seite 258), als ein Teilnehmer die anderen Teilneh- merInnen dazu aufforderte, den FreiburgerInnen zu demonstrieren, dass die MurtnerInnen im Gegensatz zu ihnen wirklich zweisprachig seien. Ein andermal fragte mich ein zweisprachiger Teilnehmer ausMurten aufHochdeutsch, ob ich denn in der Gastkolumne der Lokalzeitung Freiburger Nachrichten,inder immer wieder die Zweisprachigkeit thematisiertwird,bereits einen Beitrag zur Zweisprachigkeit verfasst hätte. Ichverneinte dies. Schliesslich erläuterte er mir die Brisanz der Thematik der lokalen Zweisprachigkeit und den Grund, weshalb sie in der Gastkolumne thematisiertwürde, woraufhin sich eine heisse, teilweise

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Zweisprachige Stadtführungen 265 zweisprachig115 (auf Schweizerdeutsch und Französisch)geführte Debatte zwi- schen ihm und seiner Frau überdie Zweisprachigkeit in Murten und Freiburg entwickelte:

1 TEILNEHMER:das thema ist natürlich heiss. sehr heiss im moment. 2 deswegen, 3FORSCHERIN:ja 4TEILNEHMER: &in der gastkolumne kommtimmer wieder diese (..) 5 zweisprachigkeit, 6FORSCHERIN:jajadas stimmt 7 TEILNEHMER: &wird thematisiertweil sie (.) aufdem feld einfach nicht 8 da ist. das ist so (.) man versucht/ [(1) man gibt sich, 9 TEILNEHMERIN:[hier in murten 10 schon/ 11 TEILNEHMER: &man gibt sich überall mühe (..) 12 [bei den ämternspitäler IM KANTONSPITAL AUCH/ 13 +man gibt sich mühe ((mit nachdruck))+ 14 TEILNEHMERIN:[+>mm mm< (..) >mm mm<>mm mm<>mm 15 mm<>mm mm<((vehementverneinend))+] 16 TEILNEHMER:man gibt sich mühe +c’est ce que je dis 17 ((französisch))+ 18 TEILNEHMERIN: +ja ja. ((abfällig))+ beiden ämtern/ 19 FORSCHERIN:((lacht)) 20 TEILNEHMERIN:zfribourg/ 21 TEILNEHMER: +ja:: ((genervt))+ 22 TEILNEHMERIN: +nenn mir irgendeine wo dütsch ret 23 ((schweizerdeutsch))+ 24 TEILNEHMER: +MAIS je sais je sais ((französisch))+ 25 TEILEHMERIN: +ebeja((schweizerdeutsch))+

Laut dem Teilnehmer und seiner Frausei die Zweisprachigkeit in der Stadt Freiburg eher Mythos als Realität. Während seine Frauerklärt,dass die Zwei- sprachigkeit in Murten im Vergleich zu Freiburg gelebt werde (Zeilen 9–10), bestehterdarauf, dass man es in Freiburg zumindest versucheund den Willen zur Zweisprachigkeit zeige. So betont er,dass sich die öffentlichen Dienste zwar Mühe gäben, deutet aber an, dass auch sie die »echteZweisprachigkeit« nicht

115 Die Übersetzung der französischen Anteile des Ausschnittes lautet wiefolgt: Zeilen 16–17: »das sage ich ja gerade« und Zeile 24:»ABER ich weiss ich weiss«.

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 266 Produktentwicklung:Inszenierung von Zweisprachigkeit erreichen würden (Zeilen 7–8, 11–13 und 16–17). Letztendlich gibt er klein bei und gibt seiner FrauRecht(Zeile 24). Hier vermischensich einerseits Vorstel- lungen vonder »perfekten Zweisprachigkeit« mit identitätspolitischen An- sprüchen. Einige der Teilnehmenden identifizieren sich selbst als zweisprachige MurtnerInnen und grenzen sich vom anscheinend nichtwirklich zweisprachi- gen Freiburg ab.Ihrelokale zweisprachige Identitätinszenieren sie durch die Verwendung beider lokaler Sprachen während ihrer Diskussion. Die Teilnahme an der zweisprachig angebotenen Stadtführung entpuppt sich füreinige der TeilnehmerInnen insofern auch als Lifestyle-Diskurs (Agha 2015;Aronczyk 2008;Zukin 1998) und als Mittel der Herstellung einer lokalen und sprachlichen Gruppenidentität, welche sich durch die Zweisprachigkeit auszeichnet. Man nimmt an der Führung teil, weil man sich selbst als zweisprachig konzipiertund stolz darauf ist. Die Teilnahmeander Führung ist sowohl eine Zurschaustellung der eigenenZweisprachigkeit als auch ein Inkontakttreten mit anderen zwei- sprachigen Personen. Die Grenzen dieser Gruppenidentitätwerden durch das Betonen vonUnterschieden und der darauf beruhenden Abgrenzung vonan- deren sprachlichen((Schweizer-)Deutsch vs. Französisch bzw.Einheimische vs. Auswärtige), kulturalisierten/ethnitisierten (DeutschschweizerIn vs. West- schweizerIn)oder geographischen (Murten vs. Freiburg) sozialen Gruppenka- tegorien gesetzt. Diese Grenzziehungsprozesse werde auch in anderenMomentender Führung deutlich,indenen das Thema Zweisprachigkeit vonden Teilneh- menden selbstaufgegriffen und dabei häufig mit kulturellenUnterschieden derbeiden schweizerdeutschen und französischen Sprechergruppenassozi- iertwird. DasfolgendeBeispiel verdeutlichtdiese Übertragung sprachlicher Unterschiede aufkulturelle Merkmale anschaulich. DieSzene spieltsich währenddes AufenthaltsimzweitenRestaurantab. Der Gruppe wurde Wein eingeschenkt und der StadtführerBeatprostet wieder aufdie Zweisprachig- keit. Dies nimmt ein Teilnehmer alsAnlass, um aufeinen angeblichen kul- turellen Unterschied zwischen Deutsch- und WestschweizerInnen beim Zu- prosteneinzugehen:

1STADTFÜHRER: +santØ.sur le bilinguisme. ((französisch))+ 2 TEILNEHMER 4: +das isch (2) das ischjadrunterschied zwüsche 3 bilinguisme. dr dütschschwizer machtding dong ((man 4 hört gläser klingen beim anstossen)) und die wälsche 5 machet das nie. die machet immer nume 6 ((schweizerdeutsch))++santØ.((französisch))+ 7STADTFÜHRER: +ja das isch def- 8TEILNEHMER 5: heimer nie ghört

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9 STADTFÜHRER:das isch ascho chli ne eigeheit vo de dütschschwizer (.) 10 und zwar immer wieder/ (2) bim rotwii de wahrschinlech 11 wieder/ ((lacht)) auso ifinge auso (2) aber dr franzos 12 (xxx)(3) weisch die ((unverständliche stelle)) 13 ((schweizerdeutsch))++mÞme les welsches (.) ils font 14 comme les romains et les franÅais ils mettentlabouteille 15 sur la table et ils disentservez vous aussi. ((französisch))

Übersetzung

1STADTFÜHRER: +zum wohl. aufdie zweisprachigkeit. ((französisch))+ 2 TEILNEHMER 4: +das ist (2) das ist ja der unterschied zwischen 3 zweisprachigkeit. der deutschschweizer macht ding dong 4 ((man hört gläserklingen beim anstossen))und die 5 welschen machen das nie. die machen immer nur 6 ((schweizerdeutsch))++zum wohl. ((französisch))+ 7STADTFÜHRER: +ja das ist def- 8TEILNEHMER 5: habenwir noch nie gehört 9 STADTFÜHRER:das ist schon eine kleine eigenheit der deutschschweizer 10 (.) und zwar immer wieder/ (2) beim rotwein dann 11 wahrscheinlich wieder/ ((lacht)) also ich finde also (2) 12 aber der franzose (xxx) (3) weisst du die 13 ((unverständliche stelle)) ((schweizerdeutsch))+ 14 +selbst die welschen (.) die machen es wiedie römer und 15 die franzosen sie stellen die flasche aufden tisch und 16 sagen bedienteuch auch. ((französisch))+

Laut Teilnehmer 4würden Welsche sich nurmündlich zuprosten, während DeutschschweizerInnen auch mit den Gläsernanstossen würden (Zeilen 2–6). Hier verbindetersprachlicheUnterschiedemit kulturellen Unterschieden. Der Stadtführer pflichtet ihm bei(Zeile 7), wird jedoch voneinem anderen Teil- nehmer unterbrochen, der dies anzweifelt (Zeile 8). Der Stadtführer macht sich also daran, den Unterschied genauer zu erklären, um den Zweifler zu überzeugen und seine Expertenrolle wiederherzustellen, die damit ebenfalls angezweifelt wurde (Zeilen 9–16). Dabei grenzt er die DeutschschweizerInnen nichtnur vonden Welschen ab,sondern gleich auch noch vonden »Franzosen« und »Römern« (Zeile 14–15), mit denen er vermutlich generellden südeuro- päischen bzw.mediterranen»Kulturraum« meintbzw.die SprecherInnen ro- manischer Sprachen. Zumindest hatten auch andere Forschungsteilnehmende, wenn sie sichauf Französisch zur »Kultur« der WestschweizerInnen geäussert

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 268 Produktentwicklung:Inszenierung von Zweisprachigkeit hatten, häufig aufden »lateinischen Kulturkreis« verwiesen und diesen vom germanischen Kulturkreis abgegrenzt. Undauch im obigen Beispiel wird die Sprachgrenze zur Kulturgrenze umgewandelt und die essentialistische Vorstel- lung vonSprachräumen als homogenen Containernauch aufdie Kultur(räume) übertragen.

2.2.3 Achtung, Kamera läuft:Bitte recht zweisprachig! Auch wenn sich der Grossteil der Führung letztendlich aufSchweizerdeutsch vollzog, forderte zumindest die Reporterin die Inszenierung der Zweispra- chigkeit fürdie Kamera immer wieder ein:ImRahmen der kurzen Interviews für den Fernsehbeitrag,die Beat an verschiedenen Momenten während der Führung geben musste, wurden ihm nämlich alle Interviewfragenzunächst immer auf Schweizerdeutsch und schliesslich aufFranzösisch gestellt und erwartet, dass er sie in beiden Sprachen beantwortete. Dies soll an einem Beispiel demonstriert werden. Beidem folgenden Ausschnitt handelt es sich um eine Szene, die ich beim zweiten Restaurantbesuch aufnahm.Als der Stadtführer und die Teilneh- merInnen die Vorspeise beendet hatten, beider sie sich aufSchweizerdeutsch unterhalten hatten, wandte sich die Reporterin aufSchweizerdeutsch an den Stadtbegleiter und fragte, ob sie eine kurze Frage stellen und ihn filmen dürfe. Beat zeigte sich einverstanden, meinte aber,dass es schnell gehen müsse. Vier Stunden mögen einem füreine Führung lang vorkommen, doch Beat musste tatsächlich peinlichst genauauf sein Zeitmanagementachten, damit er die vier Restaurantbesuche und die einzelnenStoppsinder Altstadtimgeplanten Zeitrahmen realisieren konnte. Die ständigen Unterbrechungen durch die Re- porterin, die einige Interviewfragen fürdie Kamerastellen wollte, und dies immer doppelt in beiden Sprachen, stellte eine nichtunerhebliche Zeitverzö- gerung dar. Die Reporterin zeigte sich einsichtig, versicherte, dass dies das letzte Mal sei und begann mit ihren Fragen:

1 REPORTERIN: +und was isch es hier fürnenefisch gsi/ und chöoit ihr 2 velechtausage was het dfisch fürmurte fürnebedütig/ 3 BEAT: h. murtehet de fisch natürlich agrossi bedütigund mer 4 send hie ja unmittelbar am see. was mer jetzt hei ghaisch 5 gereuchedes felchenfilet (.) wahrschinlich ausdem 6 neueburgersee (.) aber isch sehr guet gsi. 7 ((schweizerdeutsch))+ 8 REPORTERIN: +euh qu’est ce que vous avez mangØ et pis qu’est ce qu’est 9 qu’elle est la signification du poisson pour morat/

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10 BEAT: morat est euh au bord du lac et le poisson c’est tr›s 11 importantonmange souvent(.) des filets de perche ou 12 bien des (2) des des filets du fØra fumØ qu’on avait 13 d’ailleurs comme euh (.) avantcomme euh 14 ((französisch))++vorspeise((deutsch))+ 15 REPORTERIN:((lacht)) +wieseit mer vorspies ((schweizerdeutsch))+ 16 FORSCHERIN: + premier plat/ 17 REPORTERIN:premier plat. 18 FORSCHERIN:premier plat deuxi›me plat ((französisch))++oder 19 ((deutsch))+ 20 BEAT: + premier plat 21 REPORTERIN:lepremier plat((französisch))+ (.) +machemer schnell 22 die frage nomol isch guet ((schweizerdeutsch))+ ((lacht)) 23 +alors qu’est ce qu’on amangØ et quelle est la signification 24 du poissonpourmorat 25 BEAT: le le poissonsignifie tr›sbeau- euh ØnormØmentbeaucoup 26 euh parceque morat se trouve au bord du lac et on mange 27 souventdudupoissonetceque nous avonsmangØ 28 maintenanttout ä l’heure c’Øtait du du fØra fumØ comme 29 plateuh:avantplat. ((französisch))+ 30 REPORTERIN: +also es geht(xx) mer verstäit. merci vielmal ((lacht)) 31 BEAT: auso dörfemer/ ((schweizerdeutsch))+

Übersetzung

1 REPORTERIN: +und was ist das hier fürein ein fisch gewesen/ und 2 können sie vielleichtauch sagen was der fisch fürmurten 3 füreine bedeutung hat/ 4 BEAT: h. murten hat der fisch natürlich eine grosse bedeutung 5 und wirsind hier ja unmittelbar am see was wirjetzt 6 gehabt habenwar geräuchertes felchenfilet (.) 7 wahrscheinlich ausdem neuenburgersee (.) aber ist sehr 8 gut gewesen. ((schweizerdeutsch))+ 9 REPORTERIN: +ähwas habensie gegessen und dann was ist welche 10 bedeutung hat der fisch fürmurten/ 11 BEAT: murten befindetsich ähamseeufer und der fisch ist sehr 12 wichtigman isst oft (.) eglifilets oder auch (2) geräuchertes 13 felchenfilet was wir übrigens als ähvor als äh 14 ((französisch))++vorspeise((deutsch))+

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15 REPORTERIN:((lacht)) +wiesagtman vorspeise ((schweizerdeutsch))+ 16 FORSCHERIN: +erster gang 17 REPORTERIN:erster gang 18 FORSCHERIN:erster gang zweiter gang ((französisch))++oder 19 ((deutsch))+ 20 BEAT: +erster gang 21 REPORTERIN:der erste gang ((französisch))+ (.) +machen wirdie frage 22 schnell nochmal in ordnung ((schweizerdeutsch))+ 23 ((lacht)) +also was haben wirgegessen und was ist die 24 bedeutung vom fisch fürmurten 25 BEAT: der der fisch bedeutet sehr vi- ähenom viel ähweil murten 26 sich am seeufer befindet und man oft fi- fisch isst und das 27 was wirjetzt gerade gegessen haben war geräuchertes 28 felchenfilet als speise ähvorspeise ((französisch))+ 29 REPORTERIN: +also es geht(xx) man verstehtes. vielen dank ((lacht)) 30 BEAT: also dürfen wir/ ((schweizerdeutsch))+

Zunächst stellt die Reporterin Beat eine Frage aufSchweizerdeutsch und lässt ihn antworten (Zeilen 1–8). Im Anschluss daran fragtsie ihn dieselbeFrage noch einmal aufFranzösisch (Zeilen 9–10). Beat setzt zur Antwortan, ihm fälltjedoch ein fürseine Antwortzentrales Wort nichtein und sagtesdeshalb aufDeutsch (Zeile 14). Da auch die Reporterin das Wort nichtweiss, gibt sie die Frage an mich weiter (Zeile 15). Ichliefere einen Vorschlag,sie wiederholt ihn, ich liefere noch eine ausführlichere Erklärung ab,zeige aber durch mein ›oder‹, dass ich mir meiner Übersetzung auch nichtganz sicher bin (Zeilen 16–18). Als das fehlende Wort geklärt ist, fordertdie Reporterin Beat auf, den französischen Beitrag noch einmal zu drehen und wiederholt die ursprüngliche Frage erneut aufFranzösisch (Zeilen 21–24). Beat setzt erneut an, hat aber in der Zwischenzeit entweder das neu erlernteWortschon vergessen oder war davonnicht über- zeugt, verwendet aufjeden Fall ein anderes, synonymes Wort.Die Reporterin scheintvon dem neuen Wortvorschlag nichtvollkommen überzeugtzusein, bewertet aber BeatsBeitrag als »verständlich« und bedankt sich (Zeile 29). Beat erkundigtsich noch, ob er die Führung nunfortführen kann (Zeile 30) und wendet sich wieder der Gruppe zu. Anhand dieser Interaktionssequenz wird deutlich, dass die Zweisprachigkeit stellenweise gemeinschaftliche Arbeit des Führers und des Publikums war.Sowurden bestimmte Ausdrucksweisen er- fragt, diskutiert, abgeklärt und ausgehandelt. Dies wurde bereits an einer an- deren Stelle ersichtlich, als Beat und die Teilnehmenden gemeinsam nachden deutschen Entsprechungen französischer Weinsorten suchten (siehe Kapi- tel VI.2.2.2).Indiesen Momenten wurde die Sprache bzw.die Zweisprachigkeit

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Zweisprachige Stadtführungen 271 auch inhaltlich zum Thema. Gleichzeitig wird in diesen Momenten auch Beats Legitimität, aufFranzösisch zu performen, in Frage gestellt, wiedies hier durch den Kommentar der Reporterin aufseinen zweiten französischen Einsatz hin deutlich wird (Zeile 29). Kurz darauf, etwa beider Hälfte der Führung,verabschiedete sich die Re- porterin und brach auf, da sie genügend Filmmaterial beisammen hatte. Die- ser Momentder Neuformierung der Publikumskonstellation schien auch einen Wendepunkt fürBeats Sprachwahl darzustellen. Danach hielt er die Führung nämlich bis aufwenige Ausnahmen nur noch aufSchweizerdeutsch ab. Manchmal schien es jedoch, als ob sich Beat plötzlich wieder daran erinnern würde, dass die Führung ursprünglich als zweisprachig ausgeschrieben war.In diesen Momenten schob er wieder französischeStellen ein:Erprostete bei- spielsweisewiederholt aufFranzösisch aufdie Zweisprachigkeit. Die Führung wurde letztendlichaberfast ausschliesslich aufSchweizerdeutsch (Erstsprache des Führers und der meisten TeilnehmerInnen) gehalten. Das ursprüngliche Verteilungskonzept der Sprachen proRestaurantwich also der sprachlichen Anpassung an das Publikumund erwies sich als nichtobligatorisch,sondern flexibel. Die Präsenz vonBILI-TV,die während der Führung beinahe der einzige Grund war,weshalb der Stadtbegleiter Teile der Führung zweisprachig gestal- tete, endete interessanterweise jedoch nichtineinem zweisprachigen Bei- trag,sonderninzwei separaten einsprachigen Beiträgen, einmal aufSchwei- zerdeutsch und einmalauf Französisch. Der Bericht überden kulinarischen Rundgang,der kurze Zeit später ausgestrahltwurde, hatte in beiden Sprachen eine Dauer vonca. zweieinhalb Minuten und bewarb die Führung als interes- sante Alternative, um die Stadt und ihre Geschichte kennenzulernen. Im Beitrag war immer wieder die Gruppe beim Verköstigen und Anstossen in den Re- staurants, aber auch in der AltstadtMurtens zu sehen. Zwischenzeitlich liess man den Stadtbegleiter erklären, was jeweils gegessen wurde, und zwei Teil- nehmerInnenlobten den aufregenden Erzählstil des Führers und das gute Essen. Auch eine Mitarbeiterin vonTIB äusserte sich im Beitrag kurz zum Produkt und situierte es als Winterangebot und als Massnahme, um die lokalen Restaurants auch in der Nebensaison zu füllen. Die beiden Berichte waren jeweils vollständig aufSchweizerdeutsch oder aufFranzösisch gehalten. Lediglich der schweizer- deutsche Kommentar der beiden RundgangsteilnehmerInnen wurde in der französischen Version übersetzt:Die schweizerdeutsche Tonspur lief leise im Hintergrund zum Bildmaterialmit, während der Sprecher des Beitrags die Aussagen der beiden TeilnehmerInnen aufFranzösisch zusammenfasste. Zur Sprache der Führung wurde in beiden Beiträgen jedoch nichts gesagt. Abhängig davon, welche Version die ZuschauerInnen sahen, bekamen sie also den Ein-

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2.2.4 Zwischenfazit:Stegreif-Zweisprachigkeit Der kulinarische Rundgang stellt insgesamt einen Diversifizierungs- und Be- reicherungsversuch des allgemeinen, bisherigen Führungsangebots dar,daer als einzige explizite Winterführung kommuniziertwird. Die Führung ist ein emblematischesBeispiel fürden Trend zur Integration innovativer Unterhal- tungsfaktoren in herkömmliche touristische Aktivitäten (performance turn): Durch die Verköstigung werden andereSinne bedient. Darüberhinaus bietet das freiere Format Gelegenheiten fürden Austausch unter den TeilnehmerInnen (ob aufFranzösisch, (Schweizer)Deutsch oder in beiden Sprachen) (Weiler und Black 2014, 2015). Insofernstellt der Rundgang ein Alternativprogramm zu den bisherigen, regulären Stadtführungendar.Die zweisprachige Gestaltung der Führung verfolgtmehrereZwecke. Einerseits verschreibt sie sich dem Prinzip des »Erlebnis«-Mehrwerts, andererseits aber auch dem Prinzip der inneren Distinktion des Angebots, da mit Hilfe der sprachlichen Flexibilitätein grösseres und auch anderes Publikum angesprochen werden soll. Letzteres ist vergleich- bar mit den Ambitionen, die ein weiterer Diversifikationsversuch in Form der Durchführung der Essgeschichten nur fürSingles verfolgte. Mittlerweile hat sich die sprachliche Diversifizierung des Angebots zudem auch aufdas Englische und somit aufeinen neuen Zielmarkt voninternationalen Gruppen ausgeweitet. Eine der StadtbegleiterInnen,die sehr gut (Schweizer-)Deutsch, Französisch und Englisch sprichtund Führungen in diesen drei Sprachen anbietet, erlernte den Rundgang ebenfalls, sodass dieser aufAnfrage fürinternationale Gruppen auch aufEnglisch angeboten werden kann. Die Diversifikation des Führungs- angebots orientierte sich also exakt an denjenigen sprachlichenRessourcen, überdie TIB in Form der Arbeitskräfteohnehin schon verfügte. Diese sprach- lichen Ressourcen mussten im Rahmen der Diversifikationsmassnahmen nur mobilisiertwerden, wodurch das Angebot flexibilisiertwurde. Dass diese Di- versifikationsmassnahmen im Allgemeinen erfolgreich waren, lässt ein positiver Kommentar im Jahresbericht2011 erahnen, der sogar einen Zuwachs an ge- buchten Führungen im Vergleich zu 2009 verzeichnet –u.a.dank des kulina- rischen Rundgangs(JahresberichtTIB 2011). Allerdings konnten beider Führung deutliche Spannungen zwischen dem im Marketing vermittelten zweisprachigen Image der Führung und den unter- schiedlichen Erwartungen bzw.Bedürfnissen des heterogenen Publikumssowie der letztendlichen Ausführung beobachtet werden. So entpuppte sich die im Programm kommunizierte Zweisprachigkeit als nichtbindend, sondernwurde spontan an die jeweiligen Bedürfnisse und Vorstellungen des Publikumsange-

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Zweisprachige Stadtführungen 273 passt (Akkommodationsideologie) und konnte je nach Publikumskonstellation auch vollkommen vernachlässigtwerden. Die Sprachwahl wurde zu Beginn, aber auch während der Führung immer wieder neu ausgehandelt. Da die Stadtfüh- rung ähnlich einer Theateraufführung als ›performatives Ereignis‹ gewertet werden kann, ist die Präsenz und v. a. die Sprache der ZuschauerInnen fürdie sprachliche Akkommodation der Führungspersonvon besonderer Relevanz. Bei der beobachteten Führung beliefen sich die vomStadtbegleiter konstruierten Erwartungshaltungen des Publikumsauf drei Ebenen:1)die Ebene der regu- lärenTeilnehmerInnen, 2) die Ebene der Medienvertreterin und 3) die Ebene der Forscherin. Wieanhand der verschiedenenBeispiele an Interaktionsdaten deutlich wurde, passte sich der Führer sprachlich an die jeweiligen Adressa- tInnen aufden drei verschiedenen Ebenen und gemäss der jeweiligen Situation (front-bzw. off-stage)an(Goffman 1959). Es handelte sich also um eine ad hoc improvisierte Zweisprachigkeit, die der Führer ausdem Stegreif liefernmusste, wenn sie explizit eingefordertwurde (z.B. vor der Kamera) oder wenn der Führer dasGefühl hat, dass sie erwartet wurde. Da beidieser Artder Führung Raum fürInteraktionen zwischen der Gruppe und dem Führer bestehtund (Nach-)Fragen gestattet ist, können sprachlich bedingte, wieauch inhaltliche Missverständnisse oder Unklarheiten durch Erläuterungen, Wiederholungen oder Übersetzungen geklärt werden. Ebenfalls kann aber auch der Führer das Publikum nutzen, um in Situationen der Unsicherheit nach Vokabular oder Übersetzungshilfezufragen. In diesen Momenten, wieauch in Momenten des zweisprachigen Austauschs der TeilnehmerInnenuntereinander während der Restaurantbesuche, wurde die Zweisprachigkeit zur gemeinschaftlichen Arbeit zwischen Führer und Publikum bzw.nur dem Publikum (Noy 2017;Pongsa- kornrungsilp und Schroeder 2011;Schedel 2018). Das Publikum war also massgeblichander Inszenierung der Zweisprachigkeit beteiligtund identifi- zierte sich auch damit. Die Inszenierung der Zweisprachigkeit beschränkte sich jedoch nichtnur aufderen sprachlicher Performanz durch die Verwendung der beiden Sprachen. Die Zweisprachigkeit wurde auch inhaltlich zum Thema ge- macht. Dabei bestimmten moderne Sprachideologien den Diskurs, die Sprache mit Kultur gleichsetzten, und auch der Mythos der perfekten Zweisprachigkeit kam als Messlatte zum Einsatz, um die Zweisprachigkeit verschiedener zwei- sprachiger Städtezube- bzw.verurteilen. In dieser Hinsichtliessen sich während der Führung zahlreiche sprachliche Grenzziehungsprozesse seitens der Füh- rungsperson, aber auch seitens der Teilnehmenden beobachten, die sich in Form der dichotomischen Zuordnung der einzelnenSprecherInnen zu einer be- stimmten Sprachgemeinschaftund zu einem bestimmtenSprach-/Kulturraum äusserten. Diese Einteilung, welcher eine romantische, essentialistische Vor- stellung vonder Verbindung vonSprache, Raum und Nation/Kulturzugrunde liegt, stehtjedoch eigentlich im Gegensatz zum Grundgedanken der Führung,

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 274 Produktentwicklung:Inszenierung von Zweisprachigkeit welcher das (Er-)Leben der Zweisprachigkeit als Lifestylediskurs in den Vor- dergrund stellt. In den Momenten, in denen sich der Stadtführer oder die Teil- nehmerInnenwährend der Führung wieder an diese ursprüngliche »Mission« erinnerten, kam es zu Spannungen zwischen dem Diskurs der »gelebten Zwei- sprachigkeit« (Zweisprachigkeitsideologie) und dem Diskurs der dichotomi- schen Unterteilung in zwei Sprachgemeinschaften (Einsprachigkeits-/Mutter- sprachenideologie). Vorallem der Stadtführer bekam diese Spannungen zu spüren, da er kontinuierlich versuchte, sich als u.a. sprachlich legitimer,lokaler Experte zu produzieren, was je nach Publikumskonstellation und eingeforderter Sprache mal mehr,mal weniger gelang.

2.3 Bilinguales Amüsement:Der theatralische Rundgang moitié-moitié

Nachdem im Jahr 2012 ein weiteres Führungsangebothinzukam, eine Kombi- nation ausden Führungen durch die Altstadtund durch das lokale Museum, blieben die Führungszahlen weiterhin stabil.116 Mit der Kombinationsführung wurde versucht, sowohl dem Museum als auch den Stadtführungenmehr Be- sucherInnen zu bescheren. TIB und das Museum sahen in dem funktionieren- den Kombinationsangebot ein möglicherweise noch weiter auszuschöpfendes Diversifikationspotenzial und überlegten, wieein neues gemeinsames und möglichst originelles Produkt aussehen könnte. Ende 2012 konsultierten des- halb die beiden Direktoren vonTIB und dem Museum zweiihrer Mitarbeite- rInnen, den französischsprachigen FranÅois und die deutschsprachige Vroni, und fragten, ob sie eine Idee hätten, wieman die Altstadt und das Museum in einem neuen Lichtpräsentieren könnte. FranÅois war Stadtführer,der sich in seiner Freizeit ehrenamtlich im Mu- seum engagierte. Vroni stammte ausDeutschland und war zwar keine Stadt- begleiterin, dafüraberals SchauspielerinfürTIB tätig(siehe auch Kapi- tel V. 3.3.2). Sie war an der Konzeptualisierung einer theatralischen und sehr erfolgreichen Frauenführung beteiligtgewesen und spielte regelmässig den theatralischen Part dieser Stadtführung.FranÅois und Vroniwaren es gewöhnt, zweisprachig zusammenzuarbeiten, da sie regelmässig zur Murtner Fasnacht (Karnevalszeit) öffentlich mit zweisprachigen politischen Possen auftraten. FranÅois und Vroni schlugen als Innovation vor,das sich erfolgreich bewährte theatralischeFormat einzubauen und die neue Kombinationsführung,welche

116 Im Jahresberichtvon 2012 heisst es im Hinblick aufdas Angebot der Stadtrundgänge:»Die Zusammenarbeit mit diversen Partnern wurde intensiviert. Wirsind weiterhin bemüht, unsereVerkaufskanäle in diesem Bereich so vielseitig wiemöglich zu gestalten.« (TIB- Jahresbericht2012:9).

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2.3.1 Fürund Wider die Zweisprachigkeit Der Museumsdirektor (ich nenne ihn hier Marco), war vonder Idee begeistert, da diese der grundsätzlichzweisprachigen Unternehmensphilosophie des Mu- seums entsprach. Das Museum, das eines der ältesten Museen im Kanton Frei- burg ist, war lange Zeit nurauf Deutsch geführtworden. Seit 2002 wird der Museumsbetrieb allerdings durch eine Museumsstiftung unterstützt und funktioniertseither zweisprachig117.Die Förderung der Zweisprachigkeit im Museum ist sogar Finanzierungsbedingung.Das Projekt der zweisprachigen Führung wertete Marco daher als eine willkommene Massnahme, die lokale Zweisprachigkeit weiter zu fördern. Simon war jedoch hinsichtlich des zweisprachigenUnternehmens skeptisch eingestellt und erläuterte mir auch seinen Interessenskonflikt im Rahmeneines Interviews (vom 02. 05.2013).

1 SIMON: les questions sont à-=j’aiunCONFLIT d’intØrÞts sur le côtØ de 2 volontØ de fairequelque chose de bilingue, et euh le côtØ de du 3 produit touris- bien côtØ produit touristique/ .h oœ il yades soucis 4 par rapportaufait de vendreunproduit/ que certaines personnes 5 ne comprendrontpas dans sa totalitØ.donc là c’est un dØfi pour

117 Die Zweisprachigkeit war bereitsinder ersten Leistungsvereinbarung, welche der Stif- tungsrat2003 mit der Stadt Murten vereinbarthatte, in den Rechten und Pflichten der Stiftung wiefolgt definiert: »Der Zweisprachigkeit ist im Programm und Betrieb ange- messen Rechnungzutragen.« (Leistungsvereinbarung 2003 zitiertnach Business Plan 2012:6). Seither ist die Förderung der Zweisprachigkeit im Museum Mission. Jede Aus- stellungist zweisprachigbeschildertund auch die Führungen durch das Museum können sowohl auf(Schweizer-)Deutsch als auch aufFranzösisch gebuchtwerden. In letzter Zeit versucht das Museum sein Angebot zudemauch aufdas Englische auszuweiten. So ist der Internetauftrittdes Museums seit 2017 dreisprachig (Deutsch, Französisch, Englisch) und auch Führungen können neuerdings aufEnglisch gebuchtwerden.

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6 l’Øquipe qui met en place cette visite guidØe, pourqu’on puisse Þtre 7 francophone ne pas comprendre l’allemand,ETavoir du plaisir à 8 suivre la visite, tout comme on peut ÞtrealØmanique ne pas 9 comprendre le franÅais et avoir du plaisir à la visite.

Übersetzung

1 SIMON:die fragen sind z-=ich habeeinen interessensKONFLIKT 2 zwischen einerseits dem willen etwaszweisprachiges zu machen, 3 und andererseits dem touris- gut dem touristischen produkt/ .h 4 wo es probleme gibt ein produkt zu verkaufen/ das bestimmte 5 personen nichtkomplett verstehen werden. da stellt sich also die 6 herausforderung an das team das diese führung entwirft,dass 7 man frankophon sein und kein deutsch verstehen kann, UND 8 gefallen daran haben kann den rundgang zu machen, wieman 9 auch deutsch sein und kein französisch verstehen kann und 10 gefallen an der führung haben kann.

So war Simon nichtgrundsätzlich gegenein zweisprachiges Projekt (Zeile 2). Auch ihm lag die Förderung der lokalen Zweisprachigkeit am Herzen. AusEr- fahrung wusste er jedoch, dass mit einem solchen Produkt entweder ein Ni- schenmarktanzweisprachigen Personen anvisiertwerden würde, was sich im Grunde genommen nichtlohnte, oder aber ein monolinguales deutsch- und französischsprachiges Publikum gleichzeitig zufriedengestellt werden musste (Zeilen 3–5 und 6–10). Dabei handelte es sich jedoch um ein Format, fürdas bis anhin noch keine zufriedenstellendeUmsetzung gefundenworden war.Simon stellte also die Rentabilitätdes Projekts in Frage. Nach dem mehr oder weniger gescheiterten Versuch,die kulinarische Führung zweisprachig durchzuführen, war Simon davon überzeugt, dass ein gut funktionierendes Produkt zwar auch zweisprachig durchgeführtwerden könne, ohne dass dies dem Produkt schaden würde, jedoch ein Produkt nichterfolgreich sein würde, wenn die Zweispra- chigkeit selbst die Hauptattraktionsei:

1 SIMON: je trouve dommage parce que j- le concept Øtait intØressantaussi au 2 niveauduvØcu bilinguisme. je trouveque c’est une bonne faÅon de 3 de promouvoir le bilinguisme, mais je constate quand mÞme 4 toujours que le bilinguisme attire BEAUCOUPles mØdias et la 5 politique/ euh mais tr›speu finalementeuh% les les gens au niveau 6 d’une offretouristique. on peut faire un produit qui est axØ sur le 7 bilinguisme/ Åa attirera TRES PEU bien qu’il s’en soit. par contreil

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8 peut ÞtrevØhiculØàtravers une autreoffre qui qui attire. et 9 finalement qu’on le combine dedans.

Übersetzung

1 SIMON:ich finde es schade weil i- daskonzept war interessant auch in 2 bezug aufdie gelebte zweisprachigkeit. ich finde das war eine gute 3 artdie zweisprachigkeit zu fördern, aber ich stelledochimmer 4 wieder fest dass die zweisprachigkeit die medien und die politik 5 BESONDERS interessieren/ ähaberletztendlich als touristisches 6 produkt ä%h die die leute nur sehr wenig.wir können also ein 7 produkt entwerfen, dass sichnur aufdie zweisprachigkeit stützt/ 8 das wird SEHR WENIGE leute interessieren egal was es ist. sie 9 kann aber durch ein attraktives produkt gefördertwerden. und 10 letztendlich kann man sie damit kombinieren.

Aufgrund der Tatsache, dass sich die neue Führung zweier bewährter Formate bediente (einmal der Route der Kombinationsführung zusammen mit dem er- folgreichen theatralischen Format der Frauenführung), hätte Simon die zwei- sprachige Gestaltung nuneinfach als Zusatz und somit als Mehrwertzueinem an sich bereits interessanten Produkt werten können. Nach der Erfahrung mit den Essgeschichten war er ferner jedoch auch besorgt, dass zukünftignicht genü- gend Publikum fürdie zweisprachige Führung gefunden werden würdeund wollte das Zielpublikum aufkeinen Fall aufeinen Nischenmarkt an zweispra- chigen Personen einschränken. Er stimmte dem zweisprachigen Unternehmen deshalb nur unter der Bedingung zu, dass das Produkt sowohl fürein mono- lingualesdeutsch- und französischsprachiges Publikum verständlich sowieauch fürein zweisprachiges Publikum unterhaltsam sein musste. Seinem Verständ- nis nach dienen die Sprachen der Führung in erster Linie dazu, Informationen zu vermitteln. Die Zweisprachigkeit wird also zum Arbeitswerkzeug,mit dem eine Dienstleistung an einen möglichst heterogenen Markt geliefertwerden kann. Marco begründete die unterschiedlichen Einstellungen damit, dass Simon eher marktorientiertargumentieren würde (profit), während er selbst die ge- plante Führung eher als ein künstlerisch-kulturelles Unternehmen verstehen würde (pride)(DuchÞne und Heller 2012a). Letztendlichwurde trotz aller Be- denken und aufdas Risikohin, dass die neue Führung ein Flopwerden könnte, entschieden, das Unternehmen »Amüseum« dennoch zweisprachig anzugehen. Das Museum stellteein Budget von2000 Sfr fürMaterial, Accessoires und Marketing zur Verfügung,während TIB versprach, später die Buchungsorga- nisation zu übernehmen.

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2.3.2 Die Zweisprachigkeit konsumfertig verpacken Nachdem FranÅois und Vronidas spezielle Führungsformat vorgeschlagen hatten, mussten sie einen Wegfinden, um die lokale Zweisprachigkeit in einer attraktiven und verständlichen Weise theatralisch zu verpacken. Zu Beginn der Konzeptualisierungsphase der Tour verbrachten Vroniund FranÅois viel Zeit mit Lesen und Recherchearbeiten zur lokalen Geschichte. Sie suchten auch nach Inspirationfürdie zweisprachige Inszenierung und nahmen selbst an einer theatralischen, zweisprachigen Führung aufder Petersinsel im Bielersee teil. IhreHerausforderung bestand darin, die lokale Geschichte so zu präsentieren, dass sie voneinem gemischten Publikum ausmonolingualen Deutsch- und FranzösischsprecherInnen ebenso verstanden werden konnte wiesie zwei- sprachige TeilnehmerInnen unterhalten konnte. Hinzu kam, dass sich unter den TeilnehmerInnen sowohl die Lokalbevölkerung als auch nationale und inter- nationale BesucherInnen befinden konnten, die nichtnur unterschiedliche sprachliche Bedürfnisse hatten, sondernauch überunterschiedliches Hinter- grundwissen zur lokalen Kultur und Geschichte verfügten. Als ich sie in einem zweisprachig durchgeführten Interview (vom 15.07. 2013) fragte, in welchen Sprachen sie ihreInszenierung planten, antwortete mir Vroni, dass sie die Tour aufgrund ihrer mangelnden Schweizerdeutschkenntnisse in einer Kombination ausHochdeutsch und Französisch durchführen würden:

1 FORSCHERIN:ist es dann mehr aufdeutsch oder aufschweizerdeutsch, 2 wenns aufdeutsch ist/ 3FRANC¸OIS:was wirmachen/ 4FORSCHERIN:ja 5VRONI:sis hochdeutsch 6FORSCHERIN:mhm. können sie schweizerdeutsch/ 7VRONI:ganz schlecht 8FORSCHERIN:mhm 9VRONI: +zwenig guad ((lacht)) ((schweizerdeutsch))+ 10 FORSCHERIN:ich kanns au net ((lacht)) 11 FRANC¸OIS: +chas anfangen jetzt ja/ [des hemma no nit diskutiert. 12 ((schweizerdeutsch))+ 13 VRONI:[ja, +icha scho 14 ((schweizerdeutsch))+,abereh-es isch künstlich. und 15 wennjemand so ne affinitätzur sprache hat, dann muss es 16 entweder perfekt sein f::oder sonst lass ichs.

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Der hier präsentierte Interviewausschnitt,indem sowohl Vroni als auch Fran- Åois jeweils kurz ins Schweizerdeutsche switchen (Zeilen 9, 11–12und 13), zeigt, dass sie es eigentlich beide –zumindest zu einem gewissen Grad –sowohl passiv als auch aktiv beherrschen. Vronis Aussage, ihr Schweizerdeutschsei »künst- lich«, lässt aufeine starkeNormvorstellung schliessen. Sie selbst begreiftsich nichtals legitime Sprecherin des Schweizerdeutschen, da sie mit Akzentspricht und kein »muttersprachliches« Niveauaufweisen kann. Ausdiesem Grund vermeidet sie es auch vorDeutschschweizerInnen im Dialekt zu sprechen. Weiter im Interview meintsie, ihre Versuche des Schweizerdeutschen seien lächerlich. Zudem habeauch ihr schweizerdeutschsprachiger Mannsie immer eher dazu ermutigt, ihren eigenen Dialekt beizubehalten. Als Begründung habe er angeführt, dieser sei ein Teil ihrer Identität. Tatsächlich werden die Dialekt- lernversuche der Bundesdeutschen vonSchweizerdeutschen meist weniger gern gesehen, vermutlich weil ihnen die zunächst wahrscheinlich falsche und über- stilisierte Nachahmung der schweizerdeutschen Aussprache albernoder veral- bernderscheinenmögen (Koller 1992). Die eigenenNormvorstellungen vom »perfekten Beherrschen« des Schweizerdeutschen als auch die ablehnenden Reaktionen der schweizerdeutschsprachigen Personen in ihrem Umfeld ge- genüberihren eigenen Lernversuchen des Schweizerdeutschen hatten dazu ge- führt, dass Vroni trotz ihres bereits rund 30-jährigen Aufenthalts in Murten, nie aktiv Schweizerdeutsch sprechen gelernt hatte. FranÅois, der durchaus auch Schweizerdeutsch und Hochdeutsch beherrschte, aber Fehler machte, befand sich ebenfalls nichtals legitim, eine Führung aufHochdeutsch oder gar auf Schweizerdeutsch zu halten. Im Interview fügteeran, dass er auch keinen Sinn darin sehe, da TIB sehr viele FührerInnen beschäftige, die (Schweizer-)Deutsch als Erstsprache sprechenund eher Französisch die Ausnahme unter den Füh- rerkompetenzen sei. Hier äussernsowohl Vroni als auch FranÅois eine Sprach- ideologie, wonachnur »muttersprachliche« SprecherInnen als legitim befunden werden, in dieser Sprache auch zu arbeiten und beispielsweiseeine Führung zu gestalten (Muttersprachenideologie). Diese Sprachideologie bestimmt auch die institutionelle Politik beiTIB, wonach FührerInnen fürGruppen ausgesucht werden (siehe Kapitel V. 3.2). Vondiesen Normvorstellungen geleitet, fühlten sich beide nurlegitim, in ihrer jeweiligen Erstsprache zu performen, woraus die spezifischeSprachwahl der Führung,nämlich eine Kombination ausHoch- deutsch und Französisch, resultierte. Beide waren sich jedoch bewusst, dass gerade die Lokalbevölkerung eine sehr genaue Vorstellung davonhatte, was als authentische, lokale Zweisprachigkeit gewertet werden kann und was nicht, bzw.wer als legitim gilt,diese Zweispra- chigkeit zu inszenieren und wer nicht. Vroni, die aufgrund ihrer hochdeutschen bzw.nicht-schweizerdeutschen Performanzebennichtdem Profil der legitimen, authentischen lokalen Sprecherin entsprach, hatte dies auch schon des Öfteren

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1 FRANC¸OIS :etetaussi, aussipourcequ’on fait hein/ vroni est connue dans 2 la rØgion. Åa va.mais sinon, si tu dØbarquaisaujourd’hui, et 3 qu’on fait une visite bilingue, comme Åa, et tu commences à 4 parler le bonallemand comme Åa et non pas le suisse allemand, 5 les gens de la rØgion ils yauraientvraimentlapeine. elle est 6 intØgrØe, connue, donc on on [l’accepte, 7VRONI :[on accepte maintenant

Übersetzung

1 FRANC¸OIS:und und was auch auch das anbelangt, was wirmachen, oder/ 2 vroniist in der region bekannt. das geht. aber sonst, wenn du 3 heute auftauchen würdest, und wirmachen eine zweisprachige 4 führung,einfach so,und du fängst einfach an hochdeutsch zu 5 sprechenund nichtschweizerdeutsch, da hätten die leuteaus 6 der region aber wirklich mühe damit. sie ist integriert, 7 bekannt, drum [akzeptiertman es, 8VRONI:[man akzeptiertesjetzt

Vroniund FranÅois waren sichalso bewusst, dass die Verwendung des Hoch- deutschen Grund fürKritikseitens der Lokalbevölkerung sein könnte. Da Vroni aber im Ortaufgrund ihres kulturellen und politischen Engagements bekannt war,befürchteten die beiden keine allzu grosse Kritik. Ihr Einwurf, dass die lokale Bevölkerung es »jetzt« akzeptiere(Zeile 8) deutet darauf hin, dass dies nichtimmer so gewesen ist. Entgegen des Authentizitätsmangelssprachen jedoch zwei Argumente fürdie Wahl des Hochdeutschen. Zum einen konnte somit ein Publikum mit Kennt- nissen in Standarddeutsch,aberohne Schweizerdeutschkenntnisse (beispiels- weise ausDeutschland oder aber Frankophone, die in der Schule Hochdeutsch gelernt hatten) besser folgen. Gerade diese sprachliche Anpassung an Franzö- sischsprachige mit Deutschkompetenzen war den beiden besonders wichtig. Sie betonten während des Interviews anhand kurzer Anekdoten mehrfach, dass DeutschschweizerInnen im Umgang mit Romands ins Hochdeutsche wechseln sollten, um ihnen das Verständnis zu erleichtern, und kritisierten, dass dies in der Praxis häufig nichtder Fall wäre.Hochdeutsch kann auch vonfrankophonen FührungsteilnehmerInnenmit schulischen Basis-Deutschkenntnissen weitest- gehend verstanden werden, während die schweizerdeutschen Dialekte vonihnen häufig nichtverstandenwerden. Ein weiterer Grund, den FranÅois und Vroni

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1 VRONI:[.h liebegäste es ist uns eine grosse freude sie heutehier in 2 murten begrüssen zu dürfen. unser zweisprachiger 3 theatralisch angehauchter spaziergang dauertbestenfalls 4 eineinhalb stunden.hund wirservieren ihnen wiedas im 5 kanton freiburg so üblich ist moitiØ moitiØ. das heisst zur 6 hälfte im museum zur hälfte im stedtli zur hälfte auf 7 französisch zur hälfte aufdeutsch wirzeigen ihnen bewusst 8 immer nur eine hälfte damit sie dann fürdie bessere noch 9 einmal wiederkommenalso schreiten wirzur tat, überqueren 10 wirdieses f- famöse rösti. urteilen sie selbst ob wirdabei auf 11 mehr gräbenoder brücken 8stossen werden8.] 12 FRANC¸OIS :[chers visiteurs c’est un vØritable plaisirpournous de vous 13 accueillir ici à morat pour cette: visite:bilingue thØatralisØe 14 .ts euh (.) Åa va durer à peu pr›sune heure et demi et puis 15 comme c’est l’habitude dans ce canton nous allons la vous 16 servir à la fribourgeoise (.) moitiØ moitiØ. Åa veut direÅasera 17 la moitiØ en ville, la moitiØ au musØe, la moitiØ en franÅais, 18 l’autre moitiØ en allemand. et on va vous montrer et c’est 19 volontaireseulementune des moitiØ on esp›re que vous allez 20 revenir voir l’autre moitiØ avec votremoitiØ.alors on va yaller 21 et on va commencer à passer la barri›re du fameuse roesti.

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22 vous pourriez voir par vous mÞme si là il yaplus de barri›res 23 apasser ou bien des ponts à traverser.]

Wieaus diesem kurzen Ausschnitt hervorgeht,haltenbeide ihre sprachlichen Rollen einund sprechen ihrenTextsimultan. In ihremTextspielen siemit dem Sprachkontaktinder zweisprachigen Region an derSprachgrenze undverwenden an zwei Stelleneinen französischenund einenschweizerdeutschenAusdruck(in derTranskriptionfettund unterstrichenmarkiert),welcheinder jeweilsanderen Spracheebenfallsals Lehnwörter existieren.Dabei handeltessicheinmalumden Ausdruck»moitiØ-moitiØ«, dersovielwie »Hälfte, Hälfte« bedeutetund mitdem im Kanton Freiburg eine bestimmteKäsefonduemischung bezeichnetwird, die zurHälfteaus Greyerzerund zurHälfteaus Vacherin Fribourgeois (zweiregionale Käsesorten)besteht.Der andere Ausdruckist »Rösti«(oder »Röschti«), welcher eintypisches schweizerdeutsches Kartoffelgericht bezeichnet. Rösti wird hier al- lerdings in derFunktiondes »Röstigrabens« verwendet,mit demhumorvoll die deutsch-französische Sprachgrenze benannt wird.Auchdie Verwendungder Adjektive »fameux« im Französischenund »famos« im Deutschenunterstreicht dieAnnäherungund Gemeinsamkeitender beidenSprachen. Eben diesedrei Wörter sprechen Vroniund FranÅois in ihrerDarbietunggleichzeitigaus,wobei derfranzösische undder deutschsprachige Text ineinander verschmelzen.Vroni stocktsogar kurz undsetzt neu an,umdas Wort wirklich zeitgleichmit FranÅois zu liefern(Zeile10).Auchinhaltlichgehen sieauf dieZweisprachigkeitihrer Darbietung einund beschreibendie Führungals Sprung über denRöstigraben (Zeilen9–10bzw.21).Dabei ladensie dieFührungsteilnehmerInnen ein, selbst zu beurteilen, ob diezweisprachige Darbietung eher SprachbarrierenoderBrücken über dieSprachgrenze offeriert (Zeilen10–11 bzw. 22–23). Nach der Darbietung erklärteFranÅois, dass es sich beidieser Form der Inszenierung nur um eine mögliche Darstellungsmöglichkeit der Zweispra- chigkeit handelte:

1 FRANC¸OIS :jamais mais pour revenir sur le but +die herausforderung. 2 ((allemand))+ bah on peut pas faire une heure et demie 3 comme Åa Åa fatigue les gens et c’est pas le but. et on va leur 4 diretr›svite c’est pas comme Åa commentonvafairele 5 bilinguisme. alors je pense la difficultØ c’est trouver beaucoup 6 d’approches diffØrentes, euh c’est quand mÞme un spectacle 7 qui captiveles gens, euh et à partirduquel ils comprennent. 8 avec Åa ils comprennentparce que ceux qui comprennent 9 seulementlefranÅais viennentunpeu plus vers moi et ceux 10 qui comprennentl’allemand vers elle

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Übersetzung

1 FRANC¸OIS:jaaberaberumauf das ziel +die herausforderung 2 ((deutsch))+ zurückzukommen. gut wirkönnen das so nicht 3 eineinhalb stunden machen das das strengtdie leuteanund 4 das ist nichtdas ziel. und das werden wirihnen schnell sagen 5 dass es nichtauf diese artist, wiewir zweisprachigkeit 6 produzieren. ich denkealso dass die schwierigkeit darin 7 bestehtviele verschiedene ansätze zu finden, ähesist halt 8 doch ein theaterstück das die leute fesseln soll, ähund ihnen 9 hilftzuverstehen. so verstehen sie es weil die die nur 10 französisch können sich ein bisschen mehr an mich halten 11 und die die mehr deutsch verstehen sich mehr an sie halten

FranÅois erklärte, dass Vroni’s und seine Herausforderung darin bestand, noch weitere, alternativeFormen zu finden, um Zweisprachigkeit zu produzieren (Zeilen 6–7).Ein Ansatz seiihre sprachliche Rollenverteilung, die dem eher monolingualen Publikum helfen sollte. So könnten sich Deutschsprachigeeher an Vroni halten und Französischsprachige an ihm orientieren (Zeilen 8–11). Vroniund FranÅois mussten sich aber noch andere Strategien überlegen, mit denen sie die einzelnenSzenen in der jeweils einen Sprache auch den Spre- cherInnen der jeweils anderen Sprache zu verstehen ermöglichten, sodass sich nichtimmer ein Teil der Gruppe langweilen musste. Deshalb kamgleichzeitiges Sprechen, reines Wiederholender Informationen in der anderen Sprache bzw. Übersetzen als durchgehende Lösung nichtinFrage. Das Unternehmen ver- langte eine ganz anderesprachliche Planung (Weier 2005). Vroni erläuterte mir, wiesie versuchten, dieses Risikoder Langeweile und der Exklusion eines Teils der Gruppe zu vermeiden:

1 VRONI:ja(.) ja dagibts (2)verschiedenste sachen (2)%es darf einfachnet 2 eine eins zu eins übersetzung sein=deswirdozlangweilig. teilweise 3 muss manhaltinformationen in dereinen spracheliefern,die man 4 (.)indie andere übersetzt, abervielleichtzunem späterenzeitpunkt 5 in nem anderenkontext erwähnt. ähm (.)mir versuchn zeichnerisch 6 zu unterstreichen (.)mimisch (.)durch szenen wo klare 7 körperspracheoderklaresituationen vorgeben.hdassmamamuss 8 nichtjedes wort verstehenmamussnzammahang verstehen. ja. 9 sind aberdannauf bestimmtepunktefixiert ((schnipst zweimal)) 10 wo ma sagenneindas muss (.)sein. es is aprobieren im moment. 11 obsdannankommt siehtman erstam- am lebenden objekt.aber 12 ähm ja.(2) ja.dasimmadranimmoment.

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Vronis und FranÅois’ Anliegenwar es also nicht, dass jeder Teilnehmende ihre Darbietung Wort fürWortverstehen sollte, sondernvielmehr,dass der Inhalt durch die schauspielerische Umrahmung leichtzuerschliessen war.Die beiden probierten verschiedene zweisprachige Konstellationen aus: gleichzeitig auf Französisch und Deutsch zu sprechen (siehe oben), zwischen beiden Sprachen hin- und her zu switchen oder den Inhaltineiner zeitlich versetzten Überset- zung zu präsentieren. Doch sie setzten nichtnur sprachliche Mittel ein, sondern versuchten auch mit Hilfe vonAccessoires und Graphiken die jeweiligenBot- schaften zu visualisierenund Kontextinformationen schauspielerisch darzu- stellen. Schliesslich entschlossen sie sich, ihre (sprachliche und theatralische) Performanz nichtdem Zufall zu überlassen und verfasstenein 17-seitiges Skript, in dem sie ihren Text wieauch Regieanweisungen festhielten. Um Feedback zu erhalten, gaben sie ihr Skript einer befreundeten Regisseurin zur kritischen Durchsichtund zeigten einige ihrer Ideen auch eingeweihten MitarbeiterInnen vonTIB und dem Museum. WieVroni im obenstehenden Zitat andeutete, mussten sie bestimmte Konstellationen »erst am lebenden Objekt« ausprobie- ren, um sich zu vergewissern, dass das Vermitteln zwischen den beiden Spra- chen auch wieangedachtfunktionierte. Deshalb luden sie während der Pilot- phase auch einsprachige deutsch- und französischsprachige Personen ein, tes- teten ihr Verständnis der Tour und erbaten Feedback. Nachdem sie sich vergewisserthatten, dass ihre geplante Performanz funktionierte, lernten beide ihren Text auswendig und probten hartbis zur Premiere. Durch das Skript standardisierten sie einerseits ihre zweisprachige Performanz (Cameron2000b; Lorente 2010),andererseits machten sie diese durch die spezifische Sprachwahl des Hochdeutschen und des Französischen sowiedurch die verschiedenen Vermittlungsstrategien auch einem grösseren Markt zugänglich und mobili- sierten bzw.flexibilisierten somit ihre »Zweisprachigkeit« (Pietikäinen und Kelly-Holmes 2011b). Die Stadtführung tauften die beiden AutorInnen aufden Namen»Amüseum«, einem Wortspiel ausden deutschen Worten »Museum« und »amüsant« sowie ausden gleichen Wörternauf Französisch, nämlich »musØe« und »amusant«. Angekündigtwurde die neue Führung aufden Webseiten des Museums und von TIB wieauch mittels eines eigens zweisprachig gestalteten Flyers (Tab.4). Dieser Flyer zeigte aufder einen Seite Fotos vonVroni und FranÅois beiverschiedenen Szenen ihres Schauspiels und kündigte aufder Rückseite den Inhalt der Führung wiefolgtan. Aufdem Flyer war der Text zunächst aufDeutsch abgedruckt und folgte darunter (nichtwie hier in Tab. 4daneben) aufFranzösisch.Diese Spra- chenhierarchie deutet darauf hin, dass mehr deutschsprachiges Publikum er- wartet wird.ImTitel wird bereits aufdie Besonderheiten des Rundgangs hin- gewiesen, nämlich dass die Führung sowohl durch die Stadt als auch ins Museum führt, theatralischer Natur und zweisprachig ist.

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THEATRALISCHER SPAZIERGANG PROMENADE THÉffTRALISÉE DURCHS MURTNER STEDTLI UND BILINGUEENVILLE ET AU MUSÉE MUSEUM, ZWEISPRACHIG Mit Vroniund FranÅois Avec VronietFranÅois Zusammen mit TIB bietet das Museum den Le musØe, en collaboration avec TIB, Besucherneine neue Art, das Stedtli zu propose une nouvelle faÅon de dØcouvrirla entdecken und in seineGeschichte citØ lacoise et de se plonger dans son einzutauchen. Dieser theatralische histoire. Cette promenade thØâtralisØe Spaziergang führtdie Besucher vonder bilingue m›ne le public, en plusieurs Altstadtzum Museum.Die Zuschauer Øtapes, de la vieille ville au musØe. Les erfahren so manches überdie visiteurs dØcouvriront le passØ moratois et Vergangenheit der Stadt Murten und einige quelques-unes de ses grandesfigures de ihrer grossen Persönlichkeiten. Alles auf mani›re »amüsØante« et le tout servi eine »amüsØante« Artund Weise und »zweisprachig«. »bilingue«. Tab. 4: Text aufdem Flyerzur Führung »Amüseum« (2013;eigene Hervorhebung)

Im Text selbst wird das Sprachspiel fortgesetzt, das bereits in der kurzen zwei- sprachigen Darbietung vonVroni und FranÅois während des Interviews zu be- obachten war (erstes markiertes Wort). In beiden verschiedensprachigen Texten wird an derselben Stelle wieder ein gemeinsames Wort genutzt. Diesmal han- delt es sich um eine neue Wortschöpfung ausden deutschen und den franzö- sischen Wörtern: »Museum«/»musØe« und »amüsant«/»amusant«. Gleichzeitig wird mit dieser Wortschöpfung auch aufden Titel der Führung »Amüseum« angespielt. Ein weiteresSprachspiel findet sich in der letzten Zeile (zweites unterstrichenes und fett markiertes Wort), wobei dasdeutsche Wort »zwei- sprachig« im französischen Text und die französischeEntsprechung »bilingue« im deutschen Text verwendet wird. Durch dieses Code-Mixingwird bereits im Text eine Performanz der Zweisprachigkeit geliefert. Wiediese aber in der Führung genauaussieht, wird nichtweiter definiert. Auffällig ist hingegen, dass Vroniund FranÅois beide namentlich genanntwerden. Beide sind in Murten (durch ihr politisches und kulturelles Engagement) bestens bekannt–wieauch ihre Sprachkenntnisse. Die Nennung ihrer Namenkönnte in diesem Sinne auch ein Hinweis aufdie sprachliche Durchführung sein. Gleichzeitig wird das neue touristische Produkt aber auch durch die Nennung sowohl der Namen von beiden FührerInnen als auch vonbeiden Institutionen als lokale Produktion ausgewiesen.

2.3.3 Zweisprachige Performance als Teamplay Die zweisprachige theatralische Führung hatte ihre PremiereimOktober 2013. Das Publikum hatte sichvor der französischen Kirche in Murten eingefunden. Als Marketingstrategie waren die lokalen Medien informiertund eingeladen

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 286 Produktentwicklung:Inszenierung von Zweisprachigkeit worden. Simon und Marco waren ebenfalls gekommen und repräsentierten die beiden die Tour lancierenden Institutionen TIB und dasMuseum. Marco be- grüsste das Publikum und bereitete es in einer kurzen, zweisprachigen118 Will- kommensrede aufdie Führung vor.Wie ausdem folgenden Ausschnitt her- vorgeht, situierte er dabeiauch die neue Führung im bisherigen Führungsan- gebot und luddie PressevertreterInnen noch einmal ausdrücklich dazu ein, Werbung fürdas neue touristische Angebot zu machen:

1 MARCO:wir haben ende zweitausendzwölf überdieses projet euh zu 2 sprechen be-begonnen. damals wollten wirverschiedene ziele 3 ver-verfolgen. +alors un des but c’Øtait toutsimplementavoir 4 une nouf- une nouvelle offretouristique au niveaulocal et pour 5 les gens d’extØrieur.onvoulait aussi avoir quelquechose d’autre 6 parce qu’on aactuellementdØjàune visite vieille ville plus musØe, 7 mais ((französisch))+ wirwollten geschichteineine +amüsØante 8 ((französische aussprache))+ weise vermitteln. es gibt schon 9 auch eine donna muratum. das ist auch eine theatralische 10 führung und das ziel war auch eine neue angebot in dem bereich 11 theatralische führung bieten zu können. +mais effectivement 12 peut Þtreleplus grand ((französisch))++challenge 13 ((englisch))++Øtait de proposer quelquesauce- quelque chose 14 de ((französisch))+ zweisprachig. +mÞme rire sur les th›mes 15 tout en rendantcomprØhensible le contenu pourles gens qui ne 16 comprennentpas les deux languesetj’esp›re que ce but sera 17 atteint. ((französisch))+ wirhaben schon eine vorpremiere 18 gemachtund ich glaube das publikum war begeistert. ich hoffe 19 das heute das wird auch so sein. +et j’esp›re aussi que les 20 membresdelapresse ici prØsents serontconvaincus. 21 ((französisch))+

Marco situiertdie neue Führung als Innovation des bisherigen Führungsange- bots (Zeilen 4–5).Das vonMarco formulierte Zielpublikum bestehtaus lokal-

118 Die Übersetzung der französischen Teile der Rede lauten der Reihe nach wiefolgt: ab Zeile 3: »also eins der ziele war einfach ein neu- neues touristisches angebot zu haben sowohl fürdie lokalbevölkerung als auch fürauswärtige leute. wirwollten auch etwas anderes weil wiraktuell schoneine führung altstadt und museum haben, aber«, ab Zeile 11: »aberdie vielleicht grösste +challenge ((englisch))+ bestand effektiv darin et- etwas zweisprachiges anzubieten. sogar überdie themen lachen zu können und den inhaltauch fürleute verständlich zu machen die nichtbeide sprachen sprechenund ich hoffe dass dieses ziel erreichtwerden wird.«, und ab Zeile 19:»und ich hoffe auch dass die hier anwesenden vertreter der medien überzeugt sein werden.«

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Zweisprachige Stadtführungen 287 stämmigen und auswärtigen Personen sowieaus SprecherInnen des Französi- schen und des Deutschen, die nichtunbedingtdie jeweils andereSprache be- herrschen müssen (Zeilen 4–5 und 15–16). Er präsentiertdie Führung als eine Gelegenheit, SprecherInnen beider Sprachen zu versammeln, formuliertaber genaudieses Publikum auch als Herausforderung (›challenge‹) (Zeile 12). Demnach bestehtdie Herausforderung darin, den Inhalt auch fürmonolinguale SprecherInnen des Deutschen und Französischen verständlich zu machen und darüberhinaus auch noch Themen zu finden, überdie alle lachen können (Zeilen 14–16). Sein Kommentar könnte sich auch aufdie Wortspiele beziehen, die Vroni und FranÅois in die Führung eingebauthaben und die tatsächlich meist nurineiner Sprache funktionieren bzw.auch nur vonSprecherInnen dieser Sprache verstanden werden können. Anschliessend bedankte sich Marco noch beieinigen Personen, die den beiden AutorInnen und FührerInnen während der Schaffungsphase behilflich gewesen waren, und wünschte den ZuschauerInnen viel Vergnügen. Im Anschluss an Marcos Rede tauchten abrupt FranÅois und Vroni verklei- det aufund begannen direkt das Schauspiel ihrer ersten Szene, ohne das Pu- blikum zu begrüssen. Dieser Einstieg in die Führung ähneltestark dem Einstieg eines Theaterstücks, beidem sich das Publikum im Zuschauerraum befindet, der Vorhang aufgehtund die Schauspielenden direkt in das Stück einsteigen. Vroniwar schick, aber extravagantund buntmit Rock und Blazer gekleidet und verkörperte die Rolle einer fiktiven deutschsprachigen Museumsdirekto- rinmit dem deutsch-französischen Doppelnachnamen HildegardObermayer- Volauvant. In der Hand trug sie einen transparenten Regenschirm, aufdem »I ' London Murten«aufgedruckt war.Ihre Rolle hatte einen sehr dominanten und selbstbewussten Charakter.FranÅois, bekleidet mit einem pastellfarbe- nen Karohemd, einem ebenfalls karierten und nichtdazu passenden Jacquett, schwarzen Hosenträgernmit Schweizer Wappen darauf sowieder typisch französischen Baskenmütze aufdem Kopf, spielte die (ebenfalls fiktive) Rolle des französischsprachigen Hausmeisters des Museums namens Claude Bricollier. Seine Figur war eine tölpelhaftanmutende, verträumte Persönlichkeit, die ständig vonder herrischen Museumsdirektorin zurechtgewiesen, ermahntund zur Disziplin aufgerufen wurde. Diese Darstellung der beiden Rollencharaktere mit karikaturistischer Verkleidung spielt zum einen mit den Stereotypen des »fleissigen Deutschen« und des »faulen, aber romantischen und das Lebenge- niessenden Südländers« (in dem Fall als Romand), ist aber auch als eine An- spielung aufvorherrschende Machtkonstellationen zwischen der frankophonen Minderheit und der Schweizerdeutschen Dominanzvor Ortbzw.generell in der Schweiz zu werten (Jonsson2014). Die Verkörperung zweier getrennter Sprachrollen, die die FührerInnen jeweils in ihrer Erstsprache darstellten, spiegelte zusammen mit der stereotypen Inszenierung der Charaktere moderne

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Vorstellungen der Verbindung zwischen Sprache und Kulturwider (Bauman und Briggs 2003;Heller,Pujolar und DuchÞne 2014). Nach einemkurzentheatralischenVorspielbegrüsstendie beiden FührerInnen ihrPublikumschliesslichauchtatsächlich mitder mirbereits währendmeines Interviews mitihnen vorgeführtensimultanenzweisprachigenDarbietung. Später dann schlüpftendie beidenFührerInnen von Szene zu Szeneauchinandere Rollen fiktiveroderhistorischer Persönlichkeiten, behielten ihre Sprachrolledabei jedoch weitestgehendbei.Sobekleideten diebeideningemeinsamen Dialogen noch dieRollenvon Adrianvon Bubenberg(deutschsprachig) unddem damaligen Ortspfarrer CurØ Rossier(französischsprachig),den weiblichen Familienmit- gliederndes Schriftstellers Albert Bitziusalias Jeremias Gotthelf (deutschspra- chig)sowie von Louisd’Affry,dem ersten Landamman derSchweiz,und NapolØon Bonaparte (französischsprachig).All diesePersönlichkeiten sind in der Schweiz wohl bekannt,vor alleminder Region, aber nurteilweise odergar nichtbei internationalemPublikum. DieWahlder Verkörperung sehr lokaler(Schweizer) »HeldInnen« kann dadurcherklärt werden,dasssichdie BesucherInnen der Stadtführungen normalerweisehauptsächlich ausTagestouristInnenaus derRe- gion oderzumindest ausder Schweizzusammensetzen. Dieverschiedenen dar- gestellten Persönlichkeitenhattenbei speziell diesem Publikum nichtnur einen hohenWiedererkennungswert, sondern auch einenhohen Identifikationswert im Sinnevon Lokal- bzw. Nationalstolz.Die Darstellungder lokalenZweisprachigkeit in Form von zwei getrennten, eher monolingualenSprachrollen,anstellevon Charakterenmit gutenKompetenzen in beidenSprachen,präsentiert dielokale sprachlicheSituation alshistorisch begründetes Nebeneinander zweier getrennter Sprachgemeinschaften(einerfranzösischen undeiner deutschen).Gleichzeitig spiegelt dieDarstellungsweise aber auch das(offiziell) anvisierte Zielpublikum monolingualerDeutsch-und FranzösischsprecherInnen wider. Um jedoch den narrativen Part der beiden getrennten Sprachrollen denje- nigen SprecherInnen der jeweils anderen Sprache zugänglich zu machen, mussten die FührerInnen code-switchen, übersetzen, vermitteln und dekon- struierten dadurch wieder daszuBeginn produzierte einsprachige Image ihrer (Sprach-)Rollen. Dies wird im folgenden Auszug ausdem Skript (Vronis Part ist aufDeutsch, FranÅois’ Anteil aufFranzösisch119 verfasst) ersichtlich, welches die beiden FührerInnen während der Premiereauswendig rezitierten:

119 Die Übersetzung des französischen Teils:»Meine Begegnung mit Napoleonwar reiner Zufall. Ein technisches Problem war dafürverantwortlich, dassNapoleon1779 in Murten aufgehalten wurde.« Und»Wegen eines gebrochenen Rades an seiner Kutschemusste er in Murten Haltmachen.«

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1 VRONI:Wir schreiben dasJahr 1779:Der grosse NapolØon ist aufder 2 Durchreise und trifftinMurten zufällig aufden Fribourger 3 Staatsmann Louis d’Affry. 4 FRANC¸OIS: (fort avec emphase) 5 Ma rencontreavec NapolØon fut le fruit du hasard. C’est un 6 incidenttechnique qui aretenuNapolØon à Morat en 1779. 7 VRONI:Reiner Zufall war es,weil das Rad vonNapolØonsKutsche in 8 Meyriez gebrochen ist. 9 FRANC¸OIS:Acause de la roue brisØedeson carrosse NapolØon Bonaparte 10 adßfaire halte à Morat.

Während FranÅois die Rolle des französischsprachigen Landamanns Louis d’Affry, einer lokalen historischen Persönlichkeit spielt, tritt Vroniinihrer ur- sprünglichen Rolle als Museumsdirektorin aufund springtals Übersetzerin ein, um dem deutschsprachigen Publikum FranÅois’ alias Louis d’Affry’s fran- zösischsprachige Erzählung zu vermitteln. Diese Vermittlung nimmt mehrere Formen an (z.B. Zusammenfassungen, Informationen direkt übersetzen oder zu einem späteren Zeitpunkt geben) und hat immer das Ziel, die Performanz zu mobilisieren, d.h. einen Teil der Inszenierung in einer Sprache fürden Teil des Publikums verständlich zu machen, welcher die jeweils andereSprache spricht. Es gab zahlreiche andereDialogsituationen, in denen meist eine(r) der beiden FührerInnen jeweils eine ArtVermittler-oder Übersetzerrolle einnahm, die zwischen dem Publikum und einer entweder nurdeutsch- oder nur franzö- sischsprechenden Figur (durch den/die anderen FührerIn bzw.SchauspielerIn verkörpert) vermittelte, sich mit dieser unterhielt bzw.diese interviewte und das Gesagte in der jeweils anderen Sprache zusammenfasste. In diesen Dialogsituationen zwischen den FührerInnen erschien das Skript absolut verbindlich. Beider mitverfolgten (Auf-)Führung verbessertesichVroni sogar einmal und begann mit dem Text wieder vonvorne, als sie einmal vom Skript abgewichen war.InMonologsituationen ist die Tendenz zur Skripttreue hingegen eher abweichend. Diese Monologphasen sind im Skript entweder ebenfalls als Text Wort fürWortvorgesehen oder aber deuten nurden Inhalt stichwortartigan, nichtaberinwelcher Sprache die Informationen gegeben werden. Diese Szenen, es handelt sich sowohl um Informationsposten als auch um Fortbewegungseinheiten, sind der freien inhaltlichen und sprachlichen Gestaltung der jeweiligen Führungsperson überlassen. Ein Vergleich verschie- dener Aufnahmen der Führung zeigtaberauf, dass auch diese vom Skript nicht eindeutig vorgeschriebenen Szenen immer nach dem gleichen Schema ablaufen. Fürdie Bewegungskoordination der Gruppe stützten sich die beiden Führe- rInnen zusätzlich zu einigen sprachlichen Anweisungen meist auch aufein-

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1 VRONI: +voilà.QUESTIONQUESTION. (10) qui sait sous quel arbre 2 je me trouvemaintenant/ c’est quoi Åa/ hØ/ilest/ qui aune 3 idØe/ 4TOURISTE 1: un tilleul 5 VRONI:unTILLEUL.exactement. super.unti:-j’ai toujours des 6 difficultØs à prononcer ce mot. peut Þtrevouspouvez le 7 toujours, si je vous donne le signe, vous dites ti-tilleul. 8 [(.) ja/ oui/ bon. 9TOURISTE 1: [+je dis tilleul. oui. okay. 10 VRONI:etcen’est pas n’importe quel ti-((donne le signe)) 11 TOURISTE 1: tilleul 12 VRONI:oui. ((französisch))++also es nichtirgendeinelinde. es ist 13 die (.) in vitrofertilisations ur-ur- ur-ur- ur-urenkelin der 14 ursprünglichen murtenlinde. ((deutsch))++vous pouvez 15 traduire peut Þtre((inaud)) s’il vous plaît 16 TOURISTE 1: ah >>ouioui oui oui oui<< parce que c’est un descendant 17 origi- (.)nelle du tilleul de morat. 18 VRONI:oui. voilà.voilà.((französisch))+

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Übersetzung

1 VRONI: +also.FRAGE FRAGE (10) wer weiss unter was füreinem 2 baum ich stehe/ was ist das fürein baum/ hey/ das ist/ wer 3 hat eine idee/ 4TOURIST 1: eine linde 5 VRONI:eine linde. genau. super.eine li:- ich hab immer 6 schwierigkeiten dieses wortauszusprechen. können sie 7 vielleichtimmer wenn ich ihnen ein zeichen gebe, sagen sie 8 li- linde. [(.) ja/ja/ gut. 9TOURIST 1: [ich sag linde. ja. okay. 10 VRONI:und das ist nichtirgendeine li- ((gibt das zeichen)) 11 TOURIST 1: linde 12 VRONI:ja((französisch))++also es nichtirgendeine linde. es ist 13 die (.) in vitrofertilisations ur-ur- ur-ur- ur-urenkelin der 14 ursprünglichen murtenlinde. ((deutsch))++können sie 15 vielleicht übersetzen ((inaud)) bitte 16 TOURIST 1: ah >>ja ja ja ja ja<< weil es ein nachkomme der ursprü- 17 (.)nglichen murtenlinde ist. 18 VRONI:ja. genau. genau. ((französisch))+

Vronispielt in dieser Szene weiterhin ihre deutsche Rolle, muss aber vonZeit zu Zeit ins Französische switchen, um den Text ihrer Figur auch den französisch- sprachigen FührungsteilnehmerInnenzuvermitteln. Dies tut sie, indem sie beide Sprachen wild durcheinandermischtund eine Artgebrochenes Franzö- sisch performt (broken language performance). Durch ihre unsichere Sprach- performanz präsentiertsie ihreFigur weder als kompetentnochals legitim, um den französischen Part zu liefern und lädt deshalb das Publikum dazu ein, ihr mit der Aussprache bestimmter Wörter zu helfen oder gar jeweils die Über- setzungen und kurzefranzösische Zusammenfassungen zu den vonihr gege- benen Informationen zu liefern. Die aktiveEinbindung geschieht also anhand des gemeinsamen Suchensnach Worten, der Bitte um Übersetzungshilfe und der Instruktion der Teilnehmenden, beiAusspracheproblemen zu helfen. In diesen Momenten fungierte das Publikum als Sprachexperte fürdas Französi- sche (zumindest die TeilnehmerInnenmit Französischkenntnissen). Gleichzei- tigverstärkte die Führerin dadurch bewusst den Eindruck ihrer eigenen unzu- reichenden Kompetenz im Französischen. Obwohl Vroni einen Teil der Ver- antwortlichkeit fürdas Gelingender Szene an dasPublikum abgibt, wird der Ablauf dieser interaktivenMomente nichtdem Zufall überlassen. Ganz im Ge- genteil:die Interaktionen werden immer bewusst angeregt, gesteuertund laufen

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 292 Produktentwicklung:Inszenierung von Zweisprachigkeit in einem kontrollierten Rahmen ab.SoinitiiertVroni bewusst die Interaktion, sobald sie sie haben möchte, indem sie den Tourteilnehmenden Fragen stellt (z.B. Zeilen 1–3) oder ein Zeichen gibt (Zeile 10). Antworten diese, kontrolliert sie die Länge der Antwort, indem sie sie bestätigt oder kommentiert(ähnlich einem Lehrer-Schüler-Dialog) (Zeilen 5, 12 und 18). Letztendlich gestaltet sich der narrativeTeil der Szene so zu einer Zusammenarbeit zwischen der Führerin und den FührungsteilnehmerInnen. Die TourteilnehmerInnen werden dabei Teil der zweisprachigen Inszenierung.Sie werden sozusagen als arbeitende Konsu- mentInnen (working consumers)oder KoproduzentInnen mit in die Inszenie- rung eingespanntund tragen aufdiese Weise aktiv zum touristischen Erlebnis bei(Edensor2000;Kelly-Holmes 2016;Noy 2017;Pongsakornrungsilp und Schroeder 2011;Schedel 2018). Die Broken Language Performances in der jeweils anderen Sprache finden sich sowohl beiFranÅois als auch beiVroni. Auch wenndie beiden ständig die Rollen wechselten, waren ihreSprachrollen während der gesamten Führung einigermassen fix. Auffallend ist dabei, dass nichtnur das Publikum,sondern auch die FührerInnen nichtals perfekt kompetentinbeiden Sprachen konzep- tualisiertwaren. Vonden beiden FührerInnen gespielte sprachliche Unsicher- heiten verstärkten einerseits ihreRollenaufteilung, wurden aber auch als Si- tuationskomik eingesetzt, wiebeispielsweiseinder folgenden Szene, in der Vronidas Wort an FranÅois übergibt und dieser mit einem lustigen Fehler auf Deutsch antwortet.

1 VRONI:ich entschuldige mich füreinen klitzekleinen momentund 2 übergebedas wortanherrn bricollier. 3 ((Vroni verschwindet)) 4FRANC¸OIS:also,sie hat sich an mich übergeben. ((das publikum lacht))

Diese absichtlich fehlerhafte Sprachperformanz, welche mit dieser komischen Note auch im Skript vorgesehen ist (Skript S. 3), stellt keine perfekte Zwei- sprachigkeit dar,sondernpräsentiertgewisse Verständigungsproblemeauf- grund mangelnder Kenntnisse in der jeweils anderen Sprache. FranÅoisnutzt den semantischen Unterschied des Wortes ›übergeben‹, welcher je nach Kon- text einmal in der Redewendung »das Wort an jemanden übergeben« und ein- mal als reflexiveVerbform»sich übergeben« besteht, um durch die falsche Nutzung seine frankophone Rolle zu unterstreichen. Seine absichtlich fehler- hafte Sprachperformanz verstärkt also einerseits die (Selbst-)Kategorisierung in eine bestimmte Rolle mit einer dominanten Sprache, welche diese Sprachfehler gleichzeitig aber auch wieder legitimiert. Diese Darstellung präsentiertzwei- sprachige SprecherInnen als MuttersprachlerInneneiner Sprache mit zusätzli-

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Zweisprachige Stadtführungen 293 chen Kenntnissen in einer weiteren Sprache (Muttersprachenideologie). Solche Broken Language Performances,aberauch andereWortspiele werden verwen- det, um der Darbietung eine komische Note zu geben. Sie können aber eigentlich immer nurvon dem Teil des Publikums verstanden werden, der in der jeweiligen Sprache kompetentgenug ist, um die Feinheiten der Sprache zu verstehen. Ein weiteres Beispiel fürsolch ein Sprachspiel stellt die folgende Szene dar, als FranÅois dem Publikum ein Rätsel aufgibt und die Lösung zu einem späteren Zeitpunktwährend der Führung abfragt.

1 FRANC¸OIS:mesdames, messieurs, pendantlavisite je vous propose 2 une petite devinette. on aparlØ des morts de la bataille, la 3 mortdel’ØlØphant. alors la devinette c’est sans moi, morat 4 serait mort. si vous trouvez vous venez me le souffler à 5 l’oreille. je rØp›te, sans moi, morat serait mort. on 6 continue.

Unddann zu einem späteren Zeitpunkt

7 FRANC¸OIS:voilà.ladevinette. qui atrouvØ/oui. j’aurais donnØ encore 8 comme indice (.) et sans moi paris serait pris. et c’est la 9 rØponse 10 PARTICIPANT:a 11 FRANC¸OIS:a.lalettre a. morat sans aÅafait mort. et parissans aÅafait 12 pris. 13 ((das publikum lacht.))

Übersetzung

1 FRANC¸OIS:meine damenund herren,ich gebe ihnenein kleinesrätsel 2 mitauf denrundgang. wirhaben über dietoten derschlacht 3 gesprochen, über dentod deselefanten.das rätsel lautet also 4 ohne mich wäre morattot.wennsie dielösung gefunden 5 haben kommen siezumir undflüstern siemir insohr.ich 7 wiederhole,ohnemich, wäre morattot.weitergehts.

Unddann zu einem späteren Zeitpunkt

8 FRANC¸OIS:nun, das rätsel. wer hat die lösung gefunden/ ja. ich hätte 9 sonst noch einen hinweis gegeben (.) und ohne mich wäre 10 paris erobert((pris auffranzösisch)). und die antwortist 11 TEILNEHMER:a

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 294 Produktentwicklung:Inszenierung von Zweisprachigkeit

12 FRANC¸OIS:a.der buchstabe a. morat ohne aergibt tot ((mortauf 13 französisch)) und paris ergibt erobert((pris auf 14 französisch)). 15 ((das publikum lacht.))

Das Rätsel kann definitiv nurvon Personen verstanden und gelöst werden, die Französisch sprechen, denn weder FranÅois noch Vroni wiederholen oder er- klärenesauf Deutsch. AufDeutsch würde dasRätsel auch gar nichtfunktio- nieren. Insofernerfährtdie zweisprachige Darstellung hier durch den Aus- schluss eines Teils des Publikums, aber auch durch die Unübertragbarkeit des Wortwitzes in die jeweils andere Sprache gewisse Grenzen.

Thematisierung der Zweisprachigkeit Die lokale Zweisprachigkeit wurde während der Führung auch inhaltlich anhand verschiedener Thematiken aufgegriffen. Ein Beispiel ist die Eingangssequenz, in der mit Hilfe vonSchlagworten bzw.Metaphern (Rösti, moitiØ-moitiØ,zur Hälfte aufDeutsch, zur Hälfte aufFranzösisch, Brücken und Gräben, usw.) be- reits aufdie lokale Zweisprachigkeit und aufden Sprachkontakt der beiden lokalen Sprachen hingewiesenwurde. Ebenso ist die Darstellungsweise der re- lativfixen Sprachrollen als eine spezifischeInterpretation der Zweisprachigkeit zu werten. Ein weiterer Moment, in dem die lokale Zweisprachigkeit zum Thema der Führung wird, ereignet sich als Vroni und FranÅois den ZuschauerInnendie zweisprachigen Namen der Stadt erklären und darauf verweisen, dass viele andere Orte in der Umgebung ebenfalls eine zweisprachige Toponymie auf- weisen (Murten-Morat,Fribourg-Freiburg, Galmiz-Charmey Le Lac). In der betreffenden Szene switchen FranÅois und Vronijedoch ihre Sprachrollen,d.h. Vronisagtdie französischen Namenund FranÅois die deutschen:

1 VRONI:ja. wiekam es zu dem namen murten/imlaufeder zeit 2 hatmurten immer wieder einen neuen namen bekommen. 3 von moriodunum, übermoratum, von murtun, über 4 +morat ((deutsche aussprache))+ und so weiter.bis zum 5 heutigenmurten. die aller-aller-allerletzte änderung fand 6 allerdings erst im dezember zweitausendundzwölf statt.am 7 bahnhofwurde das schild murten abmontiertund ersetzt 8 DURCH ((franÅois und vronirollengemeinsameine papierrolle aus, auf derdas neue bahnhofsschild mitder zweisprachigen aufschrift»murten/morat« abgebildet ist.)) 9FRANC¸OIS:murten

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10 VRONI:morat. selon le principe de 11 FRANC¸OIS:freiburg 12 VRONI:fribourg 13 FRANC¸OIS:galmiz 14 VRONI: ähcharmaix le lac 15 FRANC¸OIS:etcetera 16 VRONI:etcetera. 17 FRANC¸OIS: 18 VRONI: << et cetera.>> 19 ((franÅois rolltdie papierrolle mitdem bahnhofsschild wieder ein.))

Auch an anderen Stellen verlinken die FührerInnen Sprache mit geographischen Begebenheiten. So stellen sie Murten als deutschsprachig und Freiburg als französischsprachig darund tragen somit zu einer territorialisierten Präsenta- tion der Sprachenverteilung bei. FranÅois schlüpftbeispielsweiseineiner Szene im Museum in die Rolle eines Archäologen ausder Stadt Freiburg, der Aus- grabungen am Murtensee vornimmt, und sprichtFranzösisch. Vroni unter- streichtdie Frankophonie der StadtFreiburg,indem sie den folgenden Kom- mentar abgibt, bevor sie sich aufFranzösisch an FranÅois wendet:»Normaler- weise kommen die Froschmänner aus Fribourg,dasprichtman auch heute noch que le franÅais120…« (Skript S. 15, eigene Kursivsetzung). Zudem wird während des gesamten Stückes die Stadt Freiburg auch im deutschen Part vonVroni nur mit dem französischen Namen ›Fribourg‹bezeichnet. Die lokale Zweisprachigkeit wird jedoch auch durch die Aneignung des Raums bzw.der Gebäude und Sehenswürdigkeiten Murtens fürdie Inszenierung der Szenen widergespiegelt, so startet die Tour beispielsweise an der deutschen Kirche und enthält später eine Szene vor der französischen Kirche. Auch die Sprachgrenze wird teilweise explizit, teilweise implizit (metapho- risch) thematisiertund (re)konstruiert. So wird sie zum Beispiel in der simul- tanen zweisprachigen Eingangssequenz explizit genanntund danach gefragt, ob sie eher eine »Barriere« oder eine »Brücke« ist. Weiter wird sie in Form von kulturellen Unterschieden zwischen der Deutschschweiz und der Romandie thematisiert, wiedies am folgendenBeispiel ersichtlich wird. Es handelt sich um eine Szene vor einer Statue des Schriftstellers AlbertBitzius, der unter dem Künstlernamen Jeremias Gotthelf bekanntist. FranÅois ist kurzmit dem Pu- blikum alleine, da sich Vroni fürdie kommende Szene (die Verkörperung der

120 Übersetzung:»nurFranzösisch«.

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1 FRANC¸OIS:mesdames et messieurs. ((franÅois formt mit dem meterstab 2 einen pfeil und zeigtdamitauf die gotthelf-statue)) le 3 personnage que vous voyez là est nØ dans cettemaison. ((zeigt 4 mit dem pfeil aufdas nebenstehende haus)) en mille sept cent 5 nonante sept l’annØeoœlouis d’affryarencontrØ ici à morat le 6 grand napolØon, ce monsieur (1) Øtait le fils du pasteur. 7 ((franÅois formt mitdem meterstab eine gitarre)) also sie 8 wissen schon (.) ((franÅois nimmt die meterstabgitarreund tut 9 so,als ob er daraufspielen würde. er beginntzusingen)) +das 10 isch der sohn vom pfarrergsi. ((schweizerdeutsch))+ 11 +dananananana. ((singt))+ 12 ((das publikum lacht)) 13 FRANC¸OIS: Øtait le p›re ((zeigtauf das pfarrhaus)) que le fils.((zeigtauf 14 die gotthelfstatue)) comme sonp›re il estdevenupasteur.mais 15 il est surtout connusouslenom de (.) +jeremias 16 ((französische aussprache))++gotthelf.((deutsche 17 aussprache))+ un grand Øcrivain ((während er das sagt, hebt er 18 den meterstab neben die statue und misst ihre grösse. dann 19 nähertersich wieder dem publikum)) mesdames et messieurs 20 (.) deux particularitØs à jeremias gotthelf. zweibesonderheiten 21 fürgotthelf. erstens er ist sehr bekanntinder deutschen 22 schweiz aber fast unbekanntinder +romandie.((französische 23 aussprache))+ zweitens (.) dieser mann war umgebenvon 24 frauen. ces deux particularitØslapremi›re Øcrivain tr›sconnu 25 en suisse allemande. ØtudiØ par les Øl›ves. il est pratiquement 26 mØconnuensuisse romande. et deuxi›mementilØtait que 27 entourØ de femmes. et vous comprendrez que nous ne vous 28 prØsentons que celles qui sontpolitiquementcorrectes à 29 commencer par sa femme euh sa m›re ((zeigtauf vronidie 30 verkleidet zur gruppe stösst)) (inaud) 31 ((vroni marschiertmit einem schwarzen kleid und einer weissen haube 32 verkleidet, einen korb unter dem armvor das publikum.sie stelltden korb auf 33 den boden und öffnet den deckel. sie nimmt weisse wäsche heraus, welche sie 34 faltet, während sie spricht.))

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Zweisprachige Stadtführungen 297

Übersetzung

1 FRANC¸OIS:meine damen und herren. ((franÅois formt mitdem meterstab 2 einen pfeil und zeigtdamitauf die gotthelf-statue)) die 3 persönlichkeit die sie hier sehen ist in diesem haus geboren. 4 ((zeigtmit dem pfeil aufdas nebenstehende haus)) im jahr 5 siebzehnhundertsiebenundneunzig als louis d’affryhier in 6 murten napoleon getroffen hat, dieser herr(1) war der sohn 7 des pfarrers. ((franÅois formt mitdem meterstab eine gitarre)) 8 also sie wissen schon (.) ((franÅois nimmt die meterstabgitarre 9 und tut so,als ob er daraufspielen würde. er beginntzu 10 singen)) +das isch der sohn vom pfarrergsi. 11 ((schweizerdeutsch))++dananananana. ((singt))+ 12 ((das publikum lacht)) 13 FRANC¸OIS:war der vater ((zeigtauf das pfarrhaus)) und auch der sohn. 14 ((zeigtauf die gotthelfstatue)) wiesein vater ist auch er pfarrer 15 geworden. aber er ist vor allem unter dem namen (.) +jeremias 16 ((französische aussprache))++gotthelf ((deutsche 17 aussprache))+ bekannt. ein grosser schriftsteller ((während er 18 das sagt, hebt er den meterstab nebendie statue und misst ihre 19 grösse. dann nähertersich wieder dem publikum)) meine 20 damen und herren(.) zweibesonderheiten überjeremias 21 gotthelf. zweibesonderheiten fürgotthelf. erstens er ist sehr 22 bekanntinder deutschen schweiz aber fast unbekanntinder 23 +romandie.((französische aussprache))+ zweitens (.) dieser 24 mann war umgeben vonfrauen. diese beiden besonderheiten 25 erstens ein in der deutschschweiz sehr bekannter schriftsteller. 26 die schüler lesen ihn. er ist in der romandie fast unbekannt. 27 und zweitens. er war vonfrauen umgeben. und sie werden 28 sicher verstehen dass wirihnen nurdiejenigenpräsentieren 29 werden die politisch korrekt waren beginnen wirmit seiner 30 frau ähseiner mutter ((zeigtauf vroni die verkleidet zur 31 gruppestösst)) (inaud) 32 ((vroni marschiertmit einem schwarzen kleid und einer weissen haube 33 verkleidet, einen korb unter dem armvor das publikum.sie stelltden korb auf 34 den boden und öffnet den deckel. sie nimmt weisse wäsche heraus, welche sie 35 faltet, während sie spricht.))

FranÅois beginntdem Publikum aufFranzösisch zu erklären, um welche Per- sönlichkeit es sich beider Statue handelt, ohneabersofortden Namenzu nennen, der allerdings am Sockel der Statue eingraviertist. Seine Erklärungen

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 298 Produktentwicklung:Inszenierung von Zweisprachigkeit unterstreichtermit Gesten und dem Zeigen aufdie Objekte (Statue, Geburts- haus), um die es in seiner Erzählung jeweils geht. Schliesslich switchterins Deutsche (Zeilen 8und 21–24;inder Transkription jeweils unterstrichen), wiederholt aber nur einen Teil der Information, die er zuvor aufFranzösisch gegeben hat, nämlich den Teil, der beieinem deutschschweizer Publikum mit Hintergrundwissen zur Person vonJeremias Gotthelf notwendig ist, um aufzu- zeigen, um wen es nungehenwird. In der Zeile 10 swichtFranÅois sogar ins Schweizerdeutsche und rezitiertden Refrain eines Lieds mit dem Titel »Dr Sohn vom Pfarrer«121,eine schweizerdeutsche Adaption der Mundart-Popsängerin Sina in Anlehnung an das Lied »Son of apreacher man«von DustySpringfield. Das Publikum (er)kenntdas Lied und lachteinerseits überFranÅois’ Performanz und anderseits überdie Verbindung, die er damit zwischen dem Pfarrerssohn Gotthelf und dem im Lied beschriebenen, nichtsehr prüden Pfarrerssohn an- deutet. Schliesslich nennterzwei Besonderheiten, welche die Statuenpersön- lichkeit auszeichnen. Die Bedeutung des Schriftstellers unterstreichter, indem er seine leiblicheGrösse mit seinem Meterstab andeutet (Zeilen 17–19). Dabei geht er aufkulturelle Unterschiedezwischen der Deutschschweiz und der Romandie ein:Inder deutschsprachigenSchweiz ist der deutschsprachige Jeremias Gott- helf ein gefeierter Autor,inder Westschweiz nahezu unbekannt. Durch diesen Hinweis ziehtFranÅois entlang der Sprachgrenze zwischen der deutschen und der französischen Schweiz auch eine kulturelle Grenze. Im Anschluss an Fran- Åois’ Erklärungen erscheintVroni, um die verschiedenen weiblichen Familien- mitglieder (»die ›politisch korrekten‹ Frauen in Gotthelfs Leben«) darzustellen, die ausunterschiedlichen Perspektiven überGotthelfs Lebenberichten.

2.3.4 Erfolgreiches Nischenprodukt Die Tour entpuppte sich als Publikumsmagnet und war seit der Premiere 2013 bis zum Ende meiner Feldforschung 2016 immer gut besucht. Beiden zwei dokumentierten Rundgängen konnte ich beobachten, wiesich die Teilnehme- rInnen (die wievon FranÅois und Vroni bereits vermutet, grösstenteils ausder Gegend, zumindest aber ausder Schweiz stammten) begeistertzeigten vonder humorvollen Artund Weise, wiedie beiden SchauspielerInnenhistorische Fakten und polemische lokale Themen überdie (lokale) Zweisprachigkeit prä- sentierten. Der Rundgang war immer durch eine heitere Atmosphäre gekenn- zeichnet.Jedes Mal, wenn die beiden FührerInnen eine Interaktion mit dem Publikum initiierten, nahmen diese aktiv an den Sprachspielen teil oder lieferten die geforderten Übersetzungen. Am Ende der Tour erhielten die beiden Füh-

121 Die Lyrics des Lieds sind unter folgendem Link einsehbar:https://www.lyrix.at/t/sina-dr- sohn-vom-pfarrer-014 (Abrufdatum13.02.2017).

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Zweisprachige Stadtführungen 299 rerInnen immer grossen Applaus fürihre Performance. Ehemalige Teilnehme- rInnen machten viel Mundpropaganda und auch seitens der Medien erhielt der Rundgang ein positives Feedback.Französischsprachige wieauch deutsch- sprachige Zeitungsartikelversicherten ihren LeserInnen, dass die Tour auch von einsprachigenDeutsch- und FranzösischsprecherInnen problemlos verstanden würde und zweisprachige Personen sogar doppeltgut unterhalten werden würden122. In einem kurzen Interview (vom 22.05.2014) mit meinem Kollegen Philippe Humbert äusserten sich FranÅois123 und Vroni zu ihrer Erfahrung mit dem Rundgang.Sie zeigten sich selbst überrascht überihren Erfolg:

1 VRONI:also wirsind erstauntdass es gefragtwird, 2 NACHgefragtwird. wirhatten gedacht, wirmachen das=es ist 3 ein nischenprodukt und es ist entsprichtoffenbar ein 4 bedürfnis. also es sind viel mehr leute (…) als wirgedachtham 5 die sich dafürinteressieren. 6 FRANC¸OIS:etnotre (.) notre plus grand plaisir,jepense, c’est que on avait 7 (…) VOULUonavoulufaire quelque chose de bilingue (..) .h 8 en pensantc’est extrÞmementrisquØ,onrisque de, vraiment 9 de se planter.etpuis finalementc’est c’est une grande richesse 10 parce que les gens qui sont monolingues soit en allemand soit 11 en franÅais s’ennuientpas. et puis ceux qui sontbilingues il 12 pourrait yavoir des redondances s’ennuientpas non plus. Åa 13 c’est notre plus grand plaisir je pense. oui.

Im Interview sagtVroni aus, zu Beginn des Projekts selbst skeptischgewesen zu sein, ob es funktioniere. Letztendlich habesich ihr Produkt aber sogar als Ni- schenprodukt (Zeile 3) entpuppt. FranÅois’ Aussage beschreibt die Besonderheit und gleichzeitig auch dasPotenzial ihres Produkts durch die Möglichkeit, so- wohl einsprachige Deutsch- und einsprachige FranzösischsprecherInnen als auch zweisprachige Personen gleichzeitig abzudecken (Zeilen 9–12). Insofern überwindet die theatralischeund sprachlich aufbereitete Führung die Sprach-

122 Quelle:Zeitungsartikel»Ein ›Amüseum‹ durch das Stedtli« erschienen am 09.10.2013 in den Freiburger Nachrichten. 123 Übersetzung vonFranÅois’ Aussage:»und was (.) was uns am meisten freut ist, denkeich, dass wiretwas (…) zweisprachiges machen WOLLTEN, machen wollten (..) .h und dachten es sei enorm risikoreich, wirriskieren,dass es der totale reinfall wird.und letztendlich ist es ist es eine grosse bereicherung weil die leute, die entweder einsprachig deutsch oder französisch sind sich nichtlangweilen.und diejenigen, die zweisprachig sind, fürdie es einiges an wiederholungengeben könnte, langweilen sich trotzdemnicht. das freut uns am meisten, glaube ich. ja.«

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 300 Produktentwicklung:Inszenierung von Zweisprachigkeit barrieren zwischen den verschiedensprachigen Zielmärkten und gehtgleicher- massen aufdie verschiedenen Anforderungen und Ansprüche ein. Ein Ziel, das bisherige Versuche zweisprachiger Führungen eben nichtoder nurannähernd erfolgreich geschafft hatten. Als mein Kollege fragte, woran es liege, dass die Führung solch einen Erfolg verbuche, stellten beide folgende Mutmassungen an:

1 FRANC¸OIS:moi je pense Åa tientÅatientaubilinguisme. bien sßr, mais Åa 2 tientpeut Þtreaufait que comme on voulait le faire en bilingue 3 on s’est dit il faut mettre autrechose, thØâtralisØ (.) et puis:on 4 aune approche humoristique hein/ avec des personnages un 5 peu dØchantØs, je pense que Åa Åa porte un plus hein/ 6PHILIPPE: mhm 7 VRONI:mhm ja 8alsodes isses wahrscheinlich.8 und dass es eben 8 nichtdie typische historische führung ist die wertlegtauf 9 jahreszahlen und so,sondern es ist der kontext wo mas locker 10 bringt und dasist das wahrscheinlich was (.) was ankommt, 11 ja.

Während FranÅois124 den Grund fürden Erfolg klar aufdie Zweisprachigkeit zurückführt(Zeile 1) und noch andere mögliche Gründe nennt(das theatrali- sche Format, die gewählten Figuren und die humoristische Annäherung) (Zeilen 3–5), formuliertVroni ihre Hypothese vorsichtiger.Sie erklärt sich den Erfolg der Führung aber ebenfalls durch dasinnovative Format, welches trockene ge- schichtlicheInformationen in einer erfrischenden Weise präsentiertund sich somit vonden klassischenStadtrundgängen abhebt. Letztendlich kann jedoch festgestellt werden, dass der Erfolg des zweisprachigen Unternehmens –zu- mindest teilweise –darauf zurückzuführen ist, dass die lokale Zweisprachigkeit und/oder die Koexistenz des Französischen und des Deutschen vorOrt als ein wichtiges Merkmal der lokalen Identitätverstanden wird. Da die Mehrheit der Teilnehmenden ausder Gegend stammt, sich entweder fürdie Zweisprachigkeit interessiertund/oder selbst zweisprachig ist, können diese sich auch mit dem Produkt identifizieren. Die Teilnahme an der Führung kann insofern auch als Ausdruck der Teilhabeund Zugehörigkeit zu einer kollektiven, lokalen Identität interpretiertwerden. Die Wertschätzung der zweisprachigen Performanz er-

124 Übersetzung des französichen Partsvon FranÅois:»ich denkeesliegtesliegtander zweisprachigkeit. natürlich, aberesliegtvielleichtauch daran,dass wireszweisprachig aufziehen wollten und uns gesagthaben, dass es dann eine theatralische gestaltung braucht(.) und da:nn ist es auch eine humoristische herangehensweise oder/ mit ein bisschen verrückten figuren,ich denkedas das ist ein mehrwertoder/«.

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Zweisprachige Stadtführungen 301 weist sich letztendlich auch als kollaborativeKo-Konstruktion zwischen den StakeholderInnen (dem Museum und TIB), den SchauspielerInnen Vroni und FranÅois und den KonsumentInnen (TourteilnehmerInnen), welche sich 1) alle überdie lokale Bedeutung der Zweisprachigkeit an sicheinigzusein scheinen, 2) während der Tour aktiv durch die Performanz der Zweisprachigkeit dazu beitragen und 3) diese auch gemeinsam bewerben (in Form des positiven Me- dienechos teilnehmender JournalistInnen und der Mundpropaganda durch ehemaligeTeilnehmerInnen) (Kelly-Holmes 2016;Morgan und Pritchard 1998; Pritchard und Morgan 2001;Schedel 2018). Die Tour erwies sich als effiziente Massnahme gegen den vorausgegangenen Rückgang beiden TeilnehmerInnen der Stadtrundgänge und den BesucherIn- nen des Museums. Seitdemdas Produkt Anfang Oktober2013 lanciertwurde, verzeichnete es im Jahr 2014 54 Buchungen und brachte dem Museum somit rund 900 BesucherInnen mehr ein. Auch in den beiden darauffolgenden Jahren war der Rundgang weiterhin gut besucht, im Jahr 2015 wurde er 42 Mal (TIB- Führungsstatistik) und im Jahr 2016 36 Malgebucht(TIB-Jahresbericht2016). Hinzu kam, dass der Museumsdirektor Marco und ein Gymnasiallehrer ausder Gegend die Führung didaktisch aufbereiteten,sodass sie sich auch fürSchul- klassen eignete und somit ein neuer Markt erschlossen wurde. Die beiden ent- warfen ein pädagogisches Dossier,mit dessen Hilfe zunächst die geschichtlichen Fakten in der Klasse erarbeitet werden konnten, sowieein Quiz, das die Schü- lerInnen nachder Teilnahme am Rundgang ausfüllen konnten, um somit ihr neu erworbenes Wissen zum Besten zu geben. Auch wenn Vroni und FranÅois fürdie zeitaufwendige Konzeptualisierung der Tour zu Beginn nurwenig Budget zur Verfügung gestellt bekommen hatten, vondem zudem aufgrund der Ausgaben fürAccessoires und Marketing nur wenig fürsie selbst verblieb, profitierten sie nun vom Erfolg der Tour.Pro durchgeführte Tour erhielten sie vondem Pauschalpreis von333 Sfr je 80 Sfr pro Person (füreine 90-minütige Führung). Der Rest, abzüglich des Eintrittsgelds der Teilnehmenden fürdas Museum (à 6Sfr proTeilnehmerIn), ging an TIB. Insofernkonnten die zweisprachigen Kompetenzen und das schauspielerische Talentvon Vroni und FranÅois nichtnur erfolgreich in Geld umgewandelt werden. Ihr erfolgreiches Produkt lockte vor allem viele BesucherInnen in die Stadt, was sich als positiver Beitrag fürdie lokale Wirtschaftwerten lässt.

2.3.5 Zwischenfazit:Zweisprachigkeit nach Plan Die zweisprachige Führung kann als emblematisches Produkt und Mission des Museums gewertet werden. Im Gegensatz zum kulinarischen Rundgang ist die Zweisprachigkeit dabei integraler Teil des Produkts »Amüseum«. Da es sich beider Führung genaugenommenumein Theaterstück handelt, welches die

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 302 Produktentwicklung:Inszenierung von Zweisprachigkeit

Lokalitäten der Stadt als Bühne nutzt, in seinem Ablauf jedoch starreinem Skript folgtund kein (grosser) Handlungsspielraum fürImprovisation bzw.für spontane Interaktions- und Aushandlungssequenzen mit dem Publikum be- steht, erfolgthier die sprachliche Adaption an das Publikum bereits im Vor- feld während der Konzeptualisierungsphase. Die Zweisprachigkeit, die in einer (vor)bestimmten Form und unabhängig vomjeweiligen Publikum immer gleich inszeniertwird,d.h.geplantund reguliertist, kann hier nichtwie beim kuli- narischen Rundgang an das jeweilige Publikumangepasst werden. Es findet also kein Aushandelnder Sprachwahlwährend der Führung statt, wiedies in Murten v. a. beideutschsprachigen Führungen im Hinblick aufdie Frage nach Hoch- deutsch bzw.Schweizerdeutsch oder auch beim kulinarischen Rundgang ge- schieht. Während der Führung ist die Interaktion zwischen den FührerInnen und dem Publikum vergleichbar mit der Interaktion zwischen SchauspielerIn- nen und ihrem Publikum beieinem Theaterstück. Das Publikum nimmt nicht direkt aktiv am Geschehenteil, ausser wenn dies vonden Führungspersonen auf Aufforderunghin initiiertwird (z.B. durch Rätsel- und Fragenstellen). Es konsumiert also Zweisprachigkeit als Teil der Führung,ohne jedoch an deren Form etwas ändernzukönnen. Auch bestehtwährend der Führung keine Ge- legenheit, um Fragen zu stellen, weder vor den Monumenten noch während man voneiner Szene zur nächsten wechselt. Die FührerInnen befinden sich durch- gehend im Schauspiel-Modus und lassen sich nichtauf Gespräche mit den TeilnehmerInnen ein. Dabei folgensie dem Skript, in dem ihr Text wortwörtlich niedergeschrieben und die Handlungen beschrieben sind. Beider sprachlichen Konzeptualisierung der Führung spielten verschie- dene Legitimitätsansprüche (Sprachideologien) eine Rolle, die jedoch nichtalle miteinander vereinbar waren und zu Spannungenführten:1)die Vorstellung, dass selbst mehrsprachigeSprecherInnen nurineiner Sprache wirklich kom- petentund legitim sein können (Muttersprachenideologie);2)die Vorstellung, dass eine Person, die die lokale Zweisprachigkeit inszenieren möchte, einerseits lokalstämmig und auch sprachlich authentisch sein muss, d.h. die lokalen Va- rietäten beherrschen muss, um legitim zu sein;und 3) die Normvorstellung, dass in literarisch-theatralischen Formaten die Hochsprache des Deutschen durchaus angebracht und akzeptabel ist. Die Aushandlung dieser Spannungen spiegelt sich in der unterschiedlichen Gewichtung der einzelnenIdeologien in der letztendlichen Konzeptualisierung und Realisierung der Führung wider: Aufgrund der sprachideologischen Prämisse 1) fühlen sich die beiden Führe- rInnen nurlegitim, in ihrer jeweils starkenSprache zu performen und ent- scheiden sichfürdas Staging getrennter Sprachrollen. Sprachideologische Prämisse 2) und 3) sindeigentlich kontradiktorisch und da v. a. Prämisse 2) von Vronisowieso nichterfüllt werden kann, wird Prämisse 3) durch die Wahl des Hochdeutschen als einer der beiden Sprachen in der Führung Vorranggegeben.

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Alternative Entwürfe von Zweisprachigkeit und ihre Grenzen 303

3. Alternative Entwürfe von Zweisprachigkeit und ihre Grenzen

Zweisprachige touristische Aktivitäten sind kein Einzelfall. In den Regionen entlang der deutsch-französischen Sprachgrenze konnte ich verschiedene zweisprachige Angebote beobachten. Nebst den zweisprachigen Führungen wohnte ich beispielsweiseeinem Comic-Festival, historischen Freilichtinsze- nierungen oder einem Abendessen im Dunkeln bei; alles Veranstaltungen, die zweisprachig durchgeführtwurden. Diese Aktivitäten sindjedoch als Beson- derheit der zweisprachigen Regionen anzusehen und nichtauf schweizweitem Niveau anzutreffen. Die lokale Zweisprachigkeit scheintindiesen Regionen in der letzten Zeit kulturell, politischund wirtschaftlich stark an Bedeutung ge- wonnen zu haben. Die Versuche, Kapital ausder lokalen Zweisprachigkeit zu schlagen, können insofernfast schon als Trend bezeichnet werden. Die Kapi- talisierung der Zweisprachigkeit findetjedoch in einem ganz besonderen po- litökonomischen Rahmen statt, den es beider Analyse der damit einhergehen- den Phänomene zu beachten gilt. Der Trend der Kapitalisierung vonZwei- sprachigkeit wird begleitet vonverschiedenen Prozessen, die typisch fürden Spätkapitalismus sind:von der Sättigung des existierenden Angebots, überdie Produktionssteigerung durch eine Ausweitung,Innovation und Distinktion des Angebots und der gleichzeitigen Expansion des Marktes –u.a.auch aufNi- schenmärkte, bis hin zur verstärkten Flexibilisierung der Dienstleistungen. Diese Prozesse führen zu einer Liberalisierung des Marktes,was die Machtdes Nationalstaats hinsichtlich der Kontrolle und der Regulierung vonLegitimi- tätsdiskursen schwächt(Heller und DuchÞne 2012:8–10). Unddementsprechend finden sich auch in den beobachteten Angeboten verschiedene Konzeptuali- sierungen, vondem was Zweisprachigkeit bedeuten kann, aber auch davon, wer als legitim angesehenwird,Zweisprachigkeit zu inszenieren oder etwas zwei- sprachig zu inszenieren, und welche Artvon Zweisprachigkeit. In den voran- gehenden Kapiteln wurden zwei solcher alternativen Entwürfeder Inszenie- rungen von(lokaler) Zweisprachigkeit im Rahmenzweier Stadtführungen analysiert. Dabei konnte die Zweisprachigkeit einerseits integraler Teil des touristischen Erlebnisses sein (beim theatralischen Rundgang »Amüseum«), anderseits jedoch auch nurein Mehrwerteines (bereits funktionierenden) Produkts (beim kulinarischen Rundgang).

Ein Vergleich:Gemeinsamkeiten und Unterschiede Vergleichen wirdie unterschiedlichen Inszenierungen vonZweisprachigkeit, fallen zunächst Unterschiede in der Konzeptualisierung und Realisierung von Zweisprachigkeit auf. Diese äusserten sich einerseits in der unterschiedlichen Darstellung der Zweisprachigkeit, welche sich teilweise in Form von(nahezu) »muttersprachlichen« bzw.»perfekten« Kenntnissen in beiden Sprachen, teil-

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 304 Produktentwicklung:Inszenierung von Zweisprachigkeit weise aber auch in Form vongetrennten Sprachenrollen und einer Koexistenz beider Sprechergruppen äusserte (paralleler Monolinguismus). Dabei konnten Spannungen beobachtet werden, zwischen der Sprachwahl und Performanz, die als authentische lokale Zweisprachigkeit wahrgenommen wird,und derjenigen, die als verkaufsgeeignet und konsumierbar betrachtet wird.Jenach Darstel- lungsweise spielte es beider Sprachwahl im Hinblick aufdie Diglossiesituation zudem auch eine Rolle, ob die Inszenierung in einem freien, narrativen sowie spontan erfolgenden oder in einem geplanten und theatralischen Format ge- staltet wurde. Mit der jeweiligenKonzeptualisierung gingen dementsprechend auch unterschiedliche sprachliche Anforderungen an die jeweiligen Interpre- tInnen der Zweisprachigkeit einher,die je nachdem in beiden Sprachen per- formen, switchen, übersetzen und vermitteln mussten (ob spontan oder ge- plant), oder aber die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Sprechergruppe (meist überstilisiertund stereotypenhaft) verkörpernmussten. Einerseits wurde die Zweisprachigkeit als Arbeitswerkzeug konzeptualisiert, um einen grösseren Markt zu erreichen, andererseits aber auch als Ausdruck lokaler Identität(Du- chÞne und Heller 2012a). Ebenso zeigten sich diese Unterschiedeinder Er- wartungshaltung an die Kompetenzen des Publikums, das entweder als mono- lingual und/oder als zweisprachig und beide Sprachen beherrschend konstruiert wurde.

Grenzen Die untersuchten zweisprachigen Produkte hatten je nachKonzeptualisierung und Realisierung jedoch auch ihreGrenzen. So hing die zweisprachige Reali- sierung einer Stadtführung zum Beispiel vom Erscheinen des erwünschten Publikums ab.Waren im Publikumkeine VertreterInnen in Form von»mut- tersprachlichen« SprecherInnen beider Sprachen zu finden, war das der Füh- rung zugrunde liegende Prinzipdes Austausches nichtgegeben, was eine ein- sprachige Durchführung bedingte. Anders herum konnte aber auch ein Publi- kum, das zwar SprecherInnen beider Sprachenaufwies, die jedoch u.U. nur wenige Kompetenzen in der jeweils anderen Sprache aufwiesen, dazu führen, dass beieiner durchgehend zweisprachig gestalteten Führung,bei der ein Teil des Inhalts in der einen Sprache und der andereTeil in der anderen Sprache (ohne Übersetzung) gegeben wurde, Teile des Publikums vonder Informati- onsvermittlung ausgeschlossen wurden. Andererseits erfuhren die zweisprachigen Unternehmungen auch die De- konstruktionbestimmter vonihnen selbst errichteten Grenzen:Somusste der Stadtführer während der kulinarischen Führung zweisprachig agieren, gab sich aber selbst dann als zur schweizerdeutschen Sprachgemeinschaftzugehörigaus, um sich mit dem schweizerdeutschsprachigen Publikum zu identifizieren, wo- durch er seine Zweisprachigkeit selbst wieder dekonstruierte, genauso wieauch

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Alternative Entwürfe von Zweisprachigkeit und ihre Grenzen 305 seine Legitimität, zweisprachig zu performen. Andersherum verkörperten Vroni und FranÅois während des theatralischen Rundgangsgetrennte Sprachrollen, die sie selbst aber wieder dekonstruierten, da sie auch zweisprachig mit dem Publikum oder untereinanderinteragierten und zwischen beiden Sprachen hin- und herswitchten. Das Code-Switching war sogar unablässig,und zwar immer dann, wenn einer der beiden die Gruppe eine Zeit lang alleine führte. An diesen Stellen musste sie bzw.ervon der Sprache ihrer bzw.seiner Rolle abweichen, um ihrer bzw.seiner Figur (Sprachrolle) überhaupt erst eine Stimme zu verleihen und dasGesagte auch fürden Teil der Gruppe verständlich zu machen, der die jeweils andere Sprache sprach. Zudem stiessen die Versuche,die Zweisprachigkeit zur touristischen Ent- wicklung der Region zu nutzen, auch im Hinblick aufihren Erfolg häufig aufihre Grenzen. Manche funktionierten, wenn überhaupt, nureinen kurzen Zeitraum lang,und mussten dannaberwieder aufgegeben werden (wie z.B. das Comic- Festival und die Freilichtinszenierungen), was häufig auch die Insolvenz der dahinterstehenden Institutionen nach sich zog.Erwiesensichdie Versucheder Kommodifizierung vonZweisprachigkeit als erfolglos, fand nichtnur eine De- kapitalisierung der Zweisprachigkeit statt (Del Percio 2016a;MartínRojo 2013), auch die sie performendenSprecherInnen wurden dekommodifiziert.Diejeni- gen, die also gerade wegen ihren zweisprachigen Kompetenzennochgefragt waren, konnten so ihren vorteilhaften Stellenwertschnell wieder verlieren.

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 VII. Schluss: Die Variabilität verstehen

1. Die Dynamik der lokalen Politökonomie von Sprache

Ziel der vorliegenden Arbeit war es, die wirtschaftliche Nutzung der lokalen Zweisprachigkeit bzw.der Lage an der Sprachgrenze in der Tourismusindustrie der zweisprachigen Stadt Murten an der deutsch-französischen Sprachgrenze zu untersuchen. Um die wirtschaftliche Aneignung vonSprache bzw.Zwei-/ Mehrsprachigkeit nachvollziehen zu können, strengte ich eine ethnographisch- genealogische Analyse der sprach(en)politischen und sprachideologischen Entscheidungsprozesse und Debatten an (Blommaert 2010a). In verschiedenen Analyseschritten mit den jeweiligen Foki aufdas Destinationsbranding, die Rekrutierung mehrsprachiger Arbeitskräftesowie die Entwicklung touristischer Angebote habeich aufgezeigt, dass die wirtschaftliche Nutzung vonZwei-/ Mehrsprachigkeit verschiedene Gesichter haben kann. Wieein roter Faden zog sich jeweils das Ergebnis der »Variabilität« hinsichtlich der Gewichtung der einzelnen (lokalen) Sprachen sowieder Zweisprachigkeit durch die Fazits aller drei Analysekapitelhindurch. Diese Variabilitätdes Marktwertsder einzelnen Sprachen und insbesondereder Zweisprachigkeit wurde aufverschiedene, teilweise konkurrierende Funktionen und Vorstellungen vonSprache (Sprach- ideologien) zurückgeführt(DuchÞne und Heller 2012a). Die Analyse führte verschiedene Prozesse der sprachlichen, sozialen Kategorisierung und Grenz- ziehung zu Tage, ebenso wieverschiedene alternativeEntwürfevon dem was Zweisprachigkeit bzw.zweisprachig sein bedeuten kann. Mit den flexiblen Vorstellungen vonZweisprachigkeit gingen ebenfalls variable bzw.alternative Legitimitätsdiskurse einher (Heller und DuchÞne 2012:10;Stroud 2002;Swigart 2001). Ein kurzer Rückblick: Im ersten Analysekapitel (Kapitel IV.) wurde der Forschungsfrage nachge- gangen, wiedie lokale Zwei-/Mehrsprachigkeit und die Lage an der deutsch- französischen Sprachgrenze fürdie Profilierung der DestinationsmarkeMurten sowohl früher in den Anfängen der lokalen Tourismusindustriewie auch heute genutzt wurden und werden. Anhand einer historiographischen Analyse der

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 308 Schluss:Die Variabilität verstehen

Entstehung und Entwicklung der institutionellen Strukturen der lokalen Tou- rismusindustriewurde aufgezeigt, dass im zweisprachigen Kanton Freiburg die lokalen Sprachen bzw.die Zweisprachigkeit sowieauch die in den jeweili- gen Destinationen vorherrschenden Sprachenhegemonien fürdie Prägung des Destinationsimages (Branding) in variabler Weise geltend gemachtwerden. Dabei kann es im Marketingdiskurs zu einer Betonung der lokalen Zweispra- chigkeit oder aber zu einer Reduktion der Vielfalt kommen (DuchÞne 2012), sprachliche Grenzen werden verschoben, hervorgehoben und verstärkt oder aber dekonstruiert. So finden sich selbst in Formulierungen zur lokalen sprachlichenVielfalt essentialistische Darstellungsweisen vonSprache und ihren Grenzen. Andererseits werden diese essentialistischen Entwürfejedoch sehr variabel im Marketingeingesetzt und teilweise auch durch das Versprechen der mehrsprachigen Bevölkerung wieder dekonstruiert, um den Eindruck einer Sprachbarriere vorzubeugen. Entsprichtdas Image, welches im Destinations- branding erzeugtwird, nichtden Vorstellungen bzw.politischen Ansprüchen der Lokalbevölkerung im Sinne einer Gleichberechtigung beider Sprecher- gruppen, kann dies Widerstand hervorrufen und das Branding sowieseine Materialisierung in Form vonLogos zum Politikum werden lassen (Orman 2008). Im zweitenAnalysekapitel(KapitelV.) wurdedanachgefragt,welcheRolle die Sprachkompetenzenvon Arbeitskräftenfürden Zugang zumtouristischen Ar- beitsmarktund dieArbeits(ver)teilung in dieser spezifischen Tourismusindustrie spielen. DieAnalyse verschiedenerRekrutierungsprozessefürunterschiedliche Positionen in verschiedenenArbeitsbereichenund Institutionen derlokalen TourismusindustrieinMurtenergab ebenfallsein »variables« Bild:Demnach können (von guten über ausgezeichnete bishin zu »muttersprachlichen«)Kom- petenzen in einerbestimmten Sprachebzw.mehrsprachige Kompetenzen sowie dieKategorisierungals zu einerbestimmten Sprachgemeinschaft zugehörig zu sein durchaus alswirtschaftliche Ressourcefungieren, dieinRekrutierungspro- zessen über denZugang zumArbeitsmarkt, dieAnerkennung am Arbeitsplatzwie auch über Aufstiegschancenentscheiden können.Ananderer Stelle wurdewie- derum aufgezeigt, dass ebendieseSprachkenntnisse, dieinbestimmten Rekru- tierungsprozessendas entscheidende Gatekeeping-Kriterium darstellen,zu- gunstenanderer Kriterien auch wieder vollkommen vernachlässigtwerdenkön- nen. Ob nuneinePerson alsSprecherIndes (Schweizer-)Deutschen,des Französischenoderals zweisprachig kategorisiert wird,kannalsoinmanchen Situationenvon Vorteil,inanderen wiederumeinen Nachteil fürsie darstellen. Auch kann dieseKategorisierungder SprecherInnenjenachSituationunter- schiedlich ausfallenund damiteinevariable Rollefürdie Ge-oderVerwehrung des Zugangszumateriellen undsymbolischen Ressourcen spielen(Pietikäinen 2016). DasResultatsindvariabel(re)produzierte Ungleichheiten unddas Zirkulieren

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Die Dynamik der lokalen Politökonomie von Sprache 309 alternativerLegitimitätsdiskurse (Stroud2002;Swigart2001).Das Problemfürdie davon betroffenenSprecherInnen ist, dass dieunbeständigen Kategorisierungs- undGrenzziehungsprozesse,vor allemaberihreVariabilität, meistnicht offen- sichtlicherfolgenund nurschwernachvollziehbar sind.Dadurchkannesfürdie Arbeitskräfte schwierig sein,abzuschätzen,inwelcher SituationwelcheSpre- cherkategorie bzw. welche Sprachwahl und-praxis alslegitimangesehen wird,was wiederum miteiner gewissen sprachlichen Unsicherheit einhergeht. Im dritten Analysekapitel (Kapitel VI.) wurde der Forschungsfrage nachge- gangen, wiedie lokale Zwei-/Mehrsprachigkeit in touristischen Aktivitäten konzipiert, inszeniertund konsumiertwird.Zwar ist es durchaus kein neues Phänomen,dass im touristischen Kontext lokale Sprache(n)als Teil immateri- ellen Kulturguts und in diesem Zusammenhang auch SprecherInnen kommo- difiziertwerden (Hall-Lewund Lew2014).Auch ist bekannt, dass sichein Teilprozess der Globalisierung in Form einer ArtRückbesinnung aufLokales ausdrückt und in diesem Zusammenhang im touristischen und insbesondere peripheren Kontext lokale Varietäten und Minderheitensprachen als Authenti- zitätsmarker neue Gebrauchsfunktionen erfahren (Giddens 1990;Pietikäinen u.a. 2016;Pietikäinen und Kelly-Holmes 2013;Trinczek 2002;Wang u.a. 2014). Als relativneues Phänomen lässt sich in letzter Zeit jedoch verstärkt die Kom- modifizierung vonlokaler Zwei-/Mehrsprachigkeit als touristische Attraktion beobachten, die vonTouristInnennichtnur konsumiert, erlebtund erfahren werden kann. Die TouristInnen selbst werden in die Inszenierungen miteinge- bunden und somit selbst zu »PerformerInnen« (Edensor 2000;Weiler und Black 2015). Durch diese neue Form der wirtschaftlichen Aneignung verschiedener Kombinationen vonSprachen erhalten die involvierten Sprachen und ihre SprecherInnen einen neuen Wert als Wirtschaftsgut. Die Formate der mehr- sprachigen touristischen Angebote richten sich dabei immer nach den vor- handenen sprachlichenRessourcen in Form der SprecherInnen und ihren Sprachkompetenzen. D. h. die bereits vor Ortvorhandenen Spracharbeiterres- sourcen werden mobilisiert und flexibilisiert, um das touristische Angebot sprachlich (neu) zu gestalten. Da aber nichtjeder Versuch der Kommodifizie- rung vonZwei-/Mehrsprachigkeit und ihren SprecherInnengelingt, werden diese kontinuierlich kommodifiziertund dekommodifiziert, kapitalisiert und dekapitalisiert. Insofernverdeutlichte das Kapitel anschaulich, dass sich sprachlichesKapital nichtimmer und v. a. nichtimmer konfliktfrei in ökono- misches Kapital verwandeln lässt. DieseDynamik, welche sich sowohl in derdiachronenals auch in dersyn- chronenUntersuchungder wirtschaftlichen Aneignungder verschiedenen(nicht nurlokalen)Sprachenbeobachtenlässt, erklärt auch denvariablen(Markt-)Wert von Zweisprachigkeit:»(…) language hasalwaysbeenpartofcomplex systemsof exchange among symbolicand material resources, with differingvaluesdepending

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 310 Schluss:Die Variabilität verstehen on thesociohistorical conditions of themarket«(Heller undDuchÞne 2016:140). Demzufolge liefert dievorliegende Arbeitverschiedeneethnographische »Snapshots«einerseits vonder Beständigkeit undandererseitsvon derVerän- derlichkeitbis hinzuGegenentwürfensozialerKategorienvon Sprache(n) und ihrenSprecherInnen sowievon daraus resultierenden,ebenfalls dynamischen Grenzziehungsprozessenund Machtkonstellationen (Pietikäinen 2016). Zwar stehen Spracheund Machtdurchauseng miteinanderinBeziehung,»butthe relationisnot alwayslinearorfreeofcontradictions that areaproductofthe tensions amongthe varioussources of power«(Haeri1997:804). Dieaufgezeigte Variabilitätdes (Markt-)Wertsder einzelnenSprachenund derLegitimitätihrer SprecherInnenist einAusdruck derDynamik derlokalen Politökonomieder Sprachen.Bourdieus Theorievom sprachlichen Marktfolgend,ist dieser sprachlicheMarkt also keinesfallssoeinheitlich oderstabil, wiediesvon ihm anhand französischerBeispiele angedeutet wurde(Bourdieu 1975,1977, 1982). DieAnalyseergebnisse bestätigen vielmehrdie Kritik an derStatik undder Ho- mogenitätdes sprachlichen Marktes, diebereits von verschiedenenAutorInnen anhand von Beispielenaus mehrsprachigen Kontextenund v. a. ausdem post- kolonialen Raum vorgebrachtwurde (Woolard1985; Haeri1997; Stroud 2002; Swigart 2001). DieinMurtengetätigten Beobachtungen lassen darauf schliessen, dass gleichzeitig mehrere, schnelllebige, teils konkurrierende undsich überlap- pendeWert- undLegitimitätsvorstellungen zusammenwirken,sodassein und die-/derselbeSprecherInineiner bestimmtenSituationeinen Vorteil ausihren/ seinen Sprachkompetenzenziehenkannund in eineranderen Situation, jedoch am selbenOrt undzur selben Zeit,einen Nachteil erleiden muss (Stroud2002). Insofern stellt sich dieFrage,woBourdieus Modell seineGrenzen erfährtund wo es Anpassungenbräuchte, um es zurUntersuchungdes Marktwerts undder Le- gitimitätvon Sprachen in heutigenmehrsprachigenSettings heranziehenzu können.Diese Fragewirdv.a.vor demHintergrund relevant,dasichdurch die verstärkte wirtschaftlicheAneignungvon Zwei-/Mehrsprachigkeitzunehmend dieGebrauchsfunktionen undder Wert dereinzelnen Sprachen undihren Spre- cherInneninder Gesellschaft verändern.Während essentialistischeVorstellungen von Sprache(n) undder Zugehörigkeitzueiner »imaginären« Sprachgemein- schaft weiterhin bestehenbleibenund identitätspolitische Ansprüchemit sprachlichen Forderungen verbinden, kommtdurch diewirtschaftlicheAneig- nung von Spracheein neues, flexiblesund neoliberalesVerständnisvon Sprache alsArbeitsinstrument undvon SprecherInnenals kommodifizierbare Persona hinzu. DiesebeidenAuffassungenvon Sprachekönnen Hand in Hand gehen, jedoch auch kontradiktorischund konfliktgeladen sein undbestehendeSprach- bzw. SprecherhierarchieninFrage stellen(Heller undDuchÞne 2012). Dievor- liegende ethnographischeUntersuchungder Tourismusindustrieinder zwei- sprachigen Stadt Murten zeigt,wie lokale Akteurinnen und Akteuredurch die

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Vermarktung derlokalen Zweisprachigkeit unddurch kreative zweisprachige Unternehmungenaktiv zurRe-Organisation undDynamik dersprachlichen Märkte beitragen(Dlaske 2015;Dlaskeu.a.2016; Urciuoli 2008,2015).

2. Konsequenzen des variablen Marktwerts der Zweisprachigkeit

Zum Abschluss möchte ich aufdie in der Einleitung im Zusammenhang mit Diskussionen überden Marktwertder Sprachgrenze bzw.der lokalen Zwei- sprachigkeit aufgezeigten Fragen und Diskurse zurückkommen und diese im Hinblick aufmeine Daten und Schlussfolgerungen der einzelnen Analysen diskutieren. Wiewir gesehen haben, gibt es nämlich keine eindeutigen Ant- worten aufdie Fragen, die Situation ist komplex.

2.1 Überbrückt der Tourismus den Röstigraben?

Beider in der Einleitung erwähnten Veranstaltung »Überbrückt der Tourismus den Röstigraben?« wurde danach gefragt, ob die mehrsprachigeTourismusin- dustrie im Berner Oberland die Sprachgrenze zwischen der Deutsch- und der Westschweiz überbrückt. Im Marketing der zweisprachigen Destinationen im Kanton Freiburg wird dies zumindest teilweise versucht, wenn es darum geht, TouristInnen ausbeiden Sprachregionen anzulocken. In diesem Fall präsen- tieren sich die Destinationen entsprechend entweder als perfekt zweisprachig oder in der Sprache des Publikums, das jeweils angezogen werden soll, um dem Eindruck möglicher Sprachbarrieren vorzubeugen (Cohen und Cooper 1986). Gleichzeitig wird dabeider »Röstigraben« aber wieder geschaffen, da beiden Marktkonstruktionen gemäss essentialistischer Vorstellungen davonausge- gangen wird, dass ein bestimmtes Publikum auseiner geographisch abgrenz- baren Region auch eine eigene Sprache und Kultur hat, und dass diese »Kate- gorie vonMenschen« anders beworben werden will, als Personen mit einer anderen geographischen, sprachlichen, kulturellen (und nationalen) Herkunft. Dies wird letztendlich durch die Zugehörigkeits- und Abgrenzungspraktiken in der Selbst- und Fremddarstellung im Marketingdiskurs unterstrichen. Um sich dem anvisierten Markt als attraktiv zu präsentieren, versuchendie einzelnen Destinationen zwar sich untereinander abzugrenzen (Distinktion), gleichzeitig aber auch sich nichtzusehr vom Zielmarkt abzugrenzen, wobei Mechanismen des »Otherings«zum Tragen kommen (Del Percio 2014;DuchÞne 2012). Die Marktkonstruktionen wieauch die Selbstdarstellungen der Destinationen und

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2.2 Mehr Markt, mehr Chancen?

Im Rahmen der in der Einleitung präsentierten Veranstaltung »Mehr Markt, mehr Chancen:Erfolgreiche Marktbearbeitung überdie Sprachgrenzen hinaus« wurde die Bedeutung der lokalen Zwei-/Mehrsprachigkeit als wirtschaftliche Ressource diskutiertund danach gefragt, ob diese auch gleichzeitig einen grösseren Markt in Form der SprecherInnenbeider/aller lokaler Sprachen be- deutet. Doch der »Sprung überdie Sprachgrenze« ist, wiewir sowohl anhand der Marketinganalyse als auch anhand der Analyse der Entwicklung touristischer Angebote gesehen haben, nichtnur überSprache erreichbar.D.h.esreicht häufig nichtaus, das Marketing und die touristischen Angebote zusätzlich auch in der jeweils anderenSprache zu gestalten. Zwar bestehtdurch das zweispra- chige Angebot durchaus das Potenzial, einen grösseren und sprachlich hetero- genen Markt zu erreichen, dies trittabernichtimmer ein. Auch wenn das zweisprachige Angebot an sich funktioniert, wird es nichtimmer unbedingt auch vonallen ursprünglich anvisierten Märkten wahrgenommen.Dies wurde am Beispiel des kulinarischen Rundgangsdeutlich. Die Führung wurde zwei- sprachig angeboten und war fürein gemischtes Publikum vonDeutsch- und FranzösischsprecherInnen ausgelegt. Häufig kamen aber jeweils mehrheitlich oder gar nur(Schweizer-)Deutsche. Auch fürrein französische Termine waren häufig nichtgenügend TeilnehmerInnen zu finden. Darüberhinaus bedeutet die zweisprachigeMarktbearbeitung auch einen zusätzlichen Arbeitsaufwand und eine gewisse Verkomplizierung sowohl der Marketingaktivitäten als auch der Durchführung touristischer Angebote. So werden hierfürsowohl die sprachlichen Ressourcen in Form vonArbeitskräf- ten mit den geforderten Sprachkenntnissen benötigt als auch zeitliche und fi- nanzielle Ressourcen (Berezkina 2018).Häufig brauchtesauch einen gewissen Grad an Kreativität, um das zweisprachige Angebot kundenorientiertund ver- braucherfreundlich zu verpacken und zu vermarkten (Dlaske2015). Undnicht selten sind Entscheidungen hinsichtlich der Sprachwahl und der Artder sprachlichenInszenierung vonKonflikten und Spannungen zwischen den identitätspolitischen Ansprüchen lokaler StakeholderInnen und den marktori- entierten Logikender touristischen Institutionen begleitet (Morganund Prit- chard 2010;Pritchard und Morgan 2001;Vasudevan 2008). Insofernkanndie lokale Zweisprachigkeit manchmal zum Fluch und manchmal zum Segen fürdie (Arbeitskräfteder) Tourismusindustriewerden. Die Variabilität, mit der Spra- che zur Ressource und wirtschaftlich angeeignet werden kann oder eben nicht, erklärt auch die verschiedenen zirkulierenden Diskurse:Einerseits der »Mehr- sprachigkeitshype«, gemäss welchem Fremdsprachenkenntnisse bzw.mehr- sprachige Kompetenzen als wirtschaftliche Ressourcen verstandenwerden und weshalb füreine verstärkte Investition in den Erwerb vonSprachkenntnissen

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 314 Schluss:Die Variabilität verstehen plädiertwird.Und andererseits die Stimmen, die sprachliche Diversitätals wirtschaftlicheHerausforderung mit Konfliktpotenzial verstehen, Mehrspra- chigkeit als Mehrkosten und zusätzlichen Arbeitsaufwand begreifen und sich für eine Reduktion der Vielfalt bis hin zu einer sprachlichen Uniformierung aus- sprechen (DuchÞne 2012, 2016). Ob Mehrsprachigkeit nunals wirtschaftlicher Vor- oder Nachteil angesehen wird, ändertjedoch nichts an der Tatsache, dass diese verschiedenen Diskurse jeweils mit einer unterschiedlichen Gewichtung und Hierarchisierung des Werts vonbestimmten Sprachen bzw.Sprachkenntnissen und ihren SprecherInnen einhergehen, die mit der sozialen und wirtschaftlichen In- bzw.der Exklusion ebendieser SprecherInnen,ihrer sozialen und wirtschaftlichen Mobilitätund letztendlich mit der (Re-)Produktionvon Ungleichheiten verbunden sind. Auf diese Tatsache soll im folgenden Kapitel noch einmal anhand vonFallbeispielen ausdieser Arbeit eingegangen werden, um die Konsequenzen der Variabilitätdes Marktwerts vonZweisprachigkeit und der Dynamik der politischen Ökonomie der lokalen Sprachen fürdie touristischen Arbeitskräftedeutlich zu machen.

2.3 Mehrsprachige Kompetenzen gleich besserer Stellung auf dem Arbeitsmarkt?

Aktuell zirkulierende Diskurse umschreiben mehrsprachige Kompetenzen als den Schlüssel zum wirtschaftlichen Erfolg und zur TeilhabeamArbeitsmarkt. Doch haben mehrsprachigePersonen wirklich grössere Chancen aufdem Ar- beitsmarkt? Zunächst einmal ist es vonBedeutung, welche Sprachen/Varietäten das Re- pertoire einer mehrsprachigen Person ausmachen. Nichtalle Sprachen/Varie- täten werden aufdem Arbeitsmarktals gleich wichtig, autorisiertbzw.legitim bewertet (Bourdieu 1975, 1982). So zeigtsichanhand der Murtner Tourismus- industrie, dass fürdie Arbeit mit Gästen und lokalen TourismuspartnerInnen v. a. Kenntnisse im (Schweizer-)Deutschen, Französischen und Englischen von Bedeutung sind. Alle anderen Sprachen, die die Arbeitskräftesonst noch be- herrschen, kommen selten oder gar nichtzum Einsatz und werden auch nicht besonders wertgeschätzt oder vergütet, sondern vielmehrbanalisiert(DuchÞne 2011). Ein Beispiel hierfürist die Selektionneuer StadtführerInnen, welche sich deutlich nach den Hauptsprachen (Schweizer-)Deutsch, Französisch und Eng- lisch richtet. SprecherInnen des Englischen und des Französischen werden je- doch aufgrund eines Mangels an diesen SprecherInnen vorrangig zugelassen, wodurch manchen (schweizer)deutschsprachigen BewerberInnen der Zugang zur Ausbildung verwehrtwird,wenn gerade ein Überschuss an (schwei- zer)deutschsprachigenStadtbegleiterInnen herrscht. Alle anderen Sprachen

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Konsequenzen des variablen Marktwerts der Zweisprachigkeit 315 sind zwar willkommen, werden jedoch nichtspezifisch gesucht. Zudem müssen zukünftige StadtführerInnen, die ihreFührung später einmalineiner anderen Sprache durchführen wollten, dennoch (Schweizer-)Deutsch oder Französisch beherrschen, um überhaupt die Ausbildung absolvieren zu können. D. h. selbst beiden Sprachen, die in der Murtner Tourismusindustrie eine Rolle spielen, liegt eine bestimmte Sprachen- und Sprecherhierarchisierung vor,die jedoch nicht fix ist, sondernsichjenach Angebot und Nachfrage an SprecherInnen be- stimmter Sprachen auch verändert. Ferner zeigtdie vorliegendeUntersuchung,dass der (Markt-)Wertder ein- zelnen Sprachen auch je nach Position der touristischen Arbeitskräftesowie je nach Markt und Zielgruppe, mit der sie zusammenarbeiten müssen, unter- schiedlich wahrgenommen wird. Während im Kundenkontakt und fürdie Zu- sammenarbeit mit touristischen AnbieterInnen in Murten prioritärSchwei- zerdeutsch, jedoch auch Französisch benötigt wird,muss fürdie Zusammen- arbeit mit den GeschäftspartnerInnen anderer touristischer Institutionen in der Ferienregion Fribourg vor allem Französisch beherrschtwerden. So kann es sein, dass füreine schlechtbezahlte und vomsozialen Status her niedrige Praktikantenstelle (Beispiel Anne) eine nahezu »perfekte«, idealisierteZwei- sprachigkeit (Schweizerdeutsch und Französisch)eingefordertwird,während Kompetenzen in der Minderheitensprache Französisch den Wegfüreinen Ka- derpositionebnen und vonder Forderung nach (Schweizer-)Deutschkenntnis- sen hier teilweise sogar vollkommen abgesehen wird. Dies wurde beispielsweise anhand der Analyse des Rekrutierungsprozesses fürdie Neubesetzung der Leitung der Zweigstelle in Vully-les-Lacs deutlich. Doch auch diese Erkenntnis ist nichtallgemein gültig:Sogibt es Kaderpositionen fürdie das Französische, welches u.U. sogar der Grundfürdie Einstellung der jeweiligenPerson war,nicht ausreichtund die betreffenden Kaderkräftekontinuierlich unter Beweis stellen müssen, dass sie des (Schweizer-)Deutschen nichtnur mächtigsind, sondern auch gewillt sind, es zu sprechen. Als Beispiele gelten hier Simon und BØatrice, die ständig das Gefühl haben, ihremehrsprachigen Kompetenzen in der Öf- fentlichkeit demonstrieren zu müssen. In diesen Momenten werden selbst sehr kompetentmehrsprachige SprecherInnenmit der Kategorisierung ihrer Person als NUR einer Sprachgemeinschaftzugehörigzusein konfrontiert(Mutter- sprachenideologie und Herkunftsdiskurs). Gerade in Simons Fall wurde dies am Beispiel des anonymen Briefs als Reaktionauf seine Anstellung und der darin formulierten Forderung nach Simons sprachlicher Anpassung an die lokale Mehrheit des Schweizerdeutschen deutlich. So einfach, wiedie zweisprachigen Destinationen im Marketingdiskurs beliebig ihre sprachliche Eigenschaftver- ändernund umformulieren können, ist es fürdie Arbeitskräftenicht. Es wirkt, als sei ihnen durch ihreSprachperformanz, trotz mehrsprachigem Repertoire und Kompetenzen, die Zugehörigkeit zu einer spezifischen Sprachgemeinschaft

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»eintätowiert« (Piller 1999a), eine Kategorisierung,die nurschwer und in manchen Fällen gar nicht überwunden wird. Diese Kategorisierung ist wieder- um mit Machtvorstellungen im Sinne der vorherrschenden Sprachhegemonien verbunden, welche jeweils die Legitimitätdieser Kategorien vonSprecherInnen bestimmt. Die variablen Bewertungen vonSprachkenntnissen hängen auch mit der damit einhergehenden und häufig janusköpfig geprägten sozialen Ka- tegorisierungen der SprecherInnen als »authentisch« (sowohl als authentisch lokal als auch als authentische(r) »MuttersprachlerIn«) und »legitim« (sowohl im Hinblick aufsprachliche als auch aufandereKompetenzen) zusammen, wodurch weitere Spannungen fürdie Arbeitskräfteentstehen. So kann eine Person aufgrund ihrer Sprachkenntnisse zwar als authentisch(er) und legiti- me(r) SprecherIn einer Sprache gelten, jedoch nichtals authentische(r) und legitime(r) RepräsentantIn der Destination. Dies ist beispielsweisebei der Amerikanerin Elisabeth der Fall. Gleichzeitig kann aber auch der umgekehrte Fall eintreten, wiebeispielsweise beider Schweizerin Paula, die Führungen auf Englisch durchführtund selbst zwar als authentisch lokale und legitime Ver- treterin der Destination akzeptiertwird, jedoch nichtals authentische und le- gitime Sprecherin des Englischen.Die Arbeitskräftekönnen diese Kategorisie- rungen und ihreAuthentizitäts-/Legitimitätsprobleme jedoch durch gezielte Strategien(zumindest teilweise) überwinden und ihrePerson diskursiv au- thentifizieren bzw.legitimieren. Die deutschstämmige Vroni zum Beispiel kre- iertfürsich gezielt theatralische Rollen in ein- bzw.zweisprachigen Stadtfüh- rungen, um so ihre fehlenden Kompetenzen in der lokalen Sprache Schweizer- deutsch zu kompensieren, da sie weiss, dass Standarddeutsch in theatralischen Formaten akzeptiertwird. Zusammenfassend kann also gesagtwerden, dass es nichtgenügt,NUR Kenntnisse in den besagten Hauptsprachen der Murtner Tourismusindustrie zu besitzen. Im Hinblick aufdas Niveau der Sprachkompetenzen und auch hinsichtlich der Frage, ob die einzelnen Sprachen mit oder ohne Akzentbe- herrschtwerden müssen, herrschen genaue Wunschvorstellungen vor. Diese idealisierten Vorstellungen vom Sprecherprofil werden einmalvon arbeitsöko- nomischen Diskursen bestimmt, wonach sich die Arbeitskräftesprachlich fle- xibel, effizientund produktiv den Kunden anpassen können sollen (Akkom- modations- bzw.Zweisprachigkeitsideologie). Andererseits ist die Vorstellung vom Native speaker-Mythos (Davies 2008;Doerr 2009b;Piller 2001b) stark präsent, wonach auch mehrsprachige Sprecher in nureiner Sprache ihres Re- pertoires als wirklich»muttersprachlich« kompetent, authentisch und legitim wahrgenommen werden (Muttersprachenideologie). Diese Kategorisierung als »MuttersprachlerIn« richtet sich dabei stark nach der geographischenHerkunft der Person, da voneiner Anbindung vonSprache an den geographischen Raum ausgegangen wird. Gleichzeitig bedeutet die Kategorisierung,als »mutter-

Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 Konsequenzen des variablen Marktwerts der Zweisprachigkeit 317 sprachliche(r)« SprecherIn einer bestimmten Sprache zu gelten, auch die Zu- ordnung zu einer imaginärenSprachgemeinschaft, der darüberhinaus häufig auch eine eigene Kulturzugeschriebenwird.Diese unterschiedlichenund häufig kontradiktorischen Vorstellungen vonSprache bzw.Mehrsprachigkeit äussern sich in verschiedenen sprachlichen und sozialen Kategorisierungs-/Grenzzie- hungspraktiken, die einerseits überden Zugangder Arbeitskräftezumateriellen und symbolischen Ressourcen entscheiden können (Gatekeeping-Kriterien), andererseits jedoch durch spezifische Legitimierungsstrategien der Arbeits- kräfteauch überwunden werden können. Sprache ist dabei sowohl Grundals auch Instrumentdieser Kategorisierungen und Grenzziehungen. Es lässt sich also schlussfolgern, dass das mehrsprachigeRepertoire, aber auch die Katego- risierung als »native speaker«einer bestimmtenSprache bzw.die Zuordnung zu einer imaginärenSprachgemeinschaftauf dem ArbeitsmarktamgleichenOrt zum gleichenZeitpunktmal als relevantund mal als irrelevantbetrachtet wer- den. Einzelne Sprachen bzw.Mehrsprachigkeit entpuppen sich also als variables Kriterium in Selektionsprozessen. Je nach Bewertung und Gewichtung der je- weiligen Sprachenkenntnisse können SprecherInnen so einen Vor- oder Nachteil bzw.die In- oder Exklusionvom Arbeitsmarkt erfahren. Sicher ist jedoch, dass mehrsprachige Kompetenzen nichtzwingendermassen zu besseren Chancen auf dem Arbeitsmarkt bzw.zueiner besseren Position/Vergütung führen.

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Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 © 2018, V&R unipress GmbH, Göttingen ISBN Print: 9783847108856 – ISBN E-Lib: 9783737008853 346 Literaturverzeichnis

Gesetze

Kantonales Gesetz überdie Förderung des Fremdenverkehrs vom 26. November 1964, Kanton Freiburg. Kantonales Tourismusgesetz vom23. November 1973, Kanton Freiburg. Kantonales Tourismusgesetz vom20. September1990 (SGF 951.1), Kanton Freiburg. Kantonales Tourismusgesetz vom13. Oktober2005 (ASF 2005_106), KantonFreiburg. Kantonales Reglement überden Tourismusvom 21. Februar 2006 (SGF 951.11), Kanton Freiburg.

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