SIBYLLE WOLF

EINE NEUE VENUSSTATUETTE VOM JUNGPALÄOLITHISCHEN FUNDPLATZ DOLNI VESTONICE (MÄHREN)

In dieser Untersuchung wird eine kleine, vollplastische Statuette aus dem Römisch-Germanischen Zentral- museum Mainz vorgestellt, die erst im Jahr 1966 aus Privatbesitz in die Sammlung kam. Die Statuette hat die Inventarnummer O.38778. Im Inventar des RGZM findet sich die Eintragung »Elfen- bein, angeblich Dolni Vestonice, Mähren, Privatbesitz Neckargemünd von A. Dolleschal«. Die zeitliche Zuweisung in das mittlere Jungpaläolithikum sowie die Fundzusammenhänge sollen überprüft werden. Außerdem soll der zentralen Frage nachgegangen werden, ob es sich bei der Figur um ein Original oder um eine Fälschung handelt. Die Figur wird im Folgenden III genannt.

DIE STATUETTE VENUS III

Venus III ist auf den ersten Blick eine androgyne Figur. Charakteristisch für Venus III sind die Wendung des Kopfes nach rechts und der Standfuß. Sie ist 75 mm groß und bis auf kleine Beschädigungen vollständig erhalten (Abb. 1-3). Sie ist aus mehreren Teilen zusammengesetzt. Die Figur ist in der Länge unregelmäßig gebrochen. Dieser Bruch zieht sich durch die gesamte Figur. Er spaltet die Vorderseite von der Rückseite ab. Der Kopf war vom Körper abgebrochen und wurde wieder angeklebt. Die Rückseite des Kopfes ist in drei Teile zerbrochen, die passend zusammen gefügt und geklebt worden sind. Zudem ist auf der linken Vorder- seite ein Stück ausgebrochen und wieder eingefügt worden. Darüber hinaus ist die rechte Brust beschä- digt. Die Rückseite von Venus III war, vom Hinterkopf abgesehen, vollständig mit »Sediment« überzogen (Abb. 2). Dieses haftete partiell auch auf der Vorderseite. Kleine Ausbrüche des Materials im Bereich der größeren Risse wurden mit mikrokristallinem Wachs versiegelt. Nach den Restaurierungsmaßnahmen wiegt Venus III 20 g. Venus III ist ohne erkennbare Bekleidung dargestellt. Der Kopf ist stark nach rechts gewandt, und ein Gesicht ist deutlich erkennbar. Unter der hohen Stirn ist das linke Auge ausgearbeitet. Das rechte Auge ist an der Stelle ausgebrochen, wo der Riss durch die Figur verläuft. Somit ist auch ein Teil der rechten Gesichtshälfte nicht mehr erhalten. Die linke Augenbraue ist in Form eines Brauenbogens auszumachen. Die Nase ist vorhanden. Das Kinn ist schief und nach links verzerrt. Der Mund ist nicht ausgearbeitet. An der Stelle, wo das linke Ohr dargestellt sein sollte, ist eine Abflachung zu erkennen, welche sich vom Hinter- kopf absetzt. Der Hinterkopf ist schmal und in die Länge ausgearbeitet. Dadurch wird der Eindruck eines Haarknotens oder eines abnormal langen Kopfes erweckt. Venus III besitzt schmale, hängende Schultern. Beide Arme sind an die Seiten angelegt. Die Ellenbogen wer- den durch die leichte Beugung der Arme sichtbar. Die Hände sowie die Finger sind durch Kerben ausgear- beitet. Die linke Hand lässt vier in etwa gleich lange Finger erkennen, und an der rechten Hand sind zwei Ritzlinien erkennbar, welche als Finger angesprochen werden können. Die beiden Brüste sind oval angegeben und von gleicher Größe. Die rechte Brust ist mittig beschädigt. Der Bauch ist leicht vorgewölbt und durch tiefe Einkerbungen an beiden Seiten von den Armen abgegrenzt. Die

Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums 55 · 2008 1 Abb. 1 Mainz, RGZM, »Venus III«. – M. = 1:1.

Partie des Bauches geht in das Schamdreieck über. In der Mitte zieht sich eine Furche von der Scham bis in den Bauchbereich. Es wird angenommen, dass dies eine Vulva darstellt. Die Beine werden ebenfalls durch eine tiefe und sauber gearbeitete Furche deutlich voneinander abgesetzt. Diese Furche beginnt im Scham- bereich und endet vor der Standfläche. Die Beine erscheinen verkürzt. Der Rücken von Venus III ist flach. Das Gesäß wurde ausgearbeitet. Die Gesäßbacken sind flach und werden in der gesamten Länge durch eine Ritzlinie getrennt, die sich bis in den Rücken zieht. Das Gesäß ist durch eine leichte Wölbung vom Rücken abgesetzt. Die Trennung der Beine ist auf der Rückseite ebenfalls durch eine mittig verlaufende Fur- che angezeigt. Eine weitere Besonderheit von Venus III ist ihr Standfuß. Er ist breiter als die Figur und weist auf der Vorder- seite und auf der Rückseite kleinere Beschädigungen auf. Eine Beschädigung auf der Rückseite zeigte eine glatte, helle Fläche (Abb. 2-3); demnach ist dies eine moderne Beschädigung. Die Oberfläche von Venus III weist Risse und Kerben auf. Ob es sich um Bearbeitungs- oder Verwitterungs- spuren handelt, werden nähere Untersuchungen klären. Das Material ist sehr fragil. Es existieren keine schriftlichen Aufzeichnungen oder Rechnungen über den Erwerb von Venus III. Des- wegen ist es nicht auszuschließen, dass sie dem RGZM geschenkt wurde. Allerdings verfügt das Bildarchiv

2 S. Wolf · Eine neue Venusstatuette vom jungpaläolithischen Fundplatz Dolni Vestonice Abb. 2 »Venus III«. – (Photos RGZM T 66/292-294). – M. = 1:1.

Abb. 3 »Venus III«. – (Zeichnung G. Rut- kowski/R. Hecht nach der Originalvorlage). – M. = 1:1.

des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz über drei Aufnahmen der Venus III aus dem Jahr 1966 (Neg. T 66/292-294; Abb. 2). Mit Erwerb von neuen Sammlungsstücken wird immer auch eine Bilddoku- mentation angelegt, so dass hier ein zeitlicher Fixpunkt für den Erwerb gegeben ist. Recherchen zu dem Überbringer von Venus III, A. Dolleschal, haben ergeben, dass der Name Dolleschal ursprünglich von dem tschechischen Namen Doležal abstammt. Der Name Doležal lautet tschechisch aus- gesprochen genauso wie der deutsche Name Dolleschal. Deswegen entwickelte sich der Name in Deutsch- land nach dem Zweiten Weltkrieg zu Dolleschal. Der »Kirchliche Suchdienst, Gebiet: Sudetenland« in Pas- sau stellte Nachforschungen über den Verbleib der Familie Dolleschal an. In den Aufzeichnungen fand sich ein Adolf Dolleschal, der aus Prag stammte und nach den Ermittlungen des Kirchlichen Suchdienstes im Jahr 1974 in der Bundesrepublik Deutschland verstorben ist. Er war in Neckargemünd wohnhaft. Leider konn- ten bisher keine Nachkommen ermittelt werden. Es erscheint möglich, dass dieser Adolf Dolleschal der im Inventar des RGZM genannte Vorbesitzer war.

Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums 55 · 2008 3 DOLNI VESTONICE UND VENUS III

Nachstehend wird der Fundkomplex Dolni Vestonice/Mähren, von dem Venus III stammen soll, vorgestellt. Dieser umfasst unter anderem die zwei großen Fundeinheiten Dolni Vestonice I und II. Als Fundort für Venus III kommt allerdings nur Dolni Vestonice I in Frage. Dies wird im Folgenden noch ausgeführt. Die Fundstelle Dolni Vestonice gehört zu den wichtigsten Fundplätzen des mittleren Jungpaläolithikums. Der Fundplatz liegt in »Sessellage« am Fuß der Pollauer Berge (Abb. 4). Zu den bedeutsamsten Funden und Befunden zählen Mammutknochenhäufungen, Bestattungen, Steinar- tefakte, Knochenindustrie und Kunstgegenstände. Hier sind die 1925 gefundene Venus I (Absolon 1929) und das 1936 entdeckte »Portrait« (Absolon 1937) zu nennen. Außerdem lieferte der Fundplatz eine Reihe weiterer weiblicher Statuetten und Tierfiguren. Dolni Vestonice I wurde erstmals als Fundort fossiler Knochen 1659 von Johannes von Todtenfeld (vgl. Klíma 1963) erwähnt. Im Jahr 1923 führte H. Freising eine kleine Sondierung durch, die zu einer großflä- chigen Grabung unter der Leitung von K. Absolon führte. Absolon war bis 1938 für die Ausgrabungen ver- antwortlich (Absolon 1938a; 1938b; 1945). Auch während des Zweiten Weltkrieges fanden unter der Lei- tung von A. Bohmers Ausgrabungen in Dolni Vestonice statt (Bohmers 1941; 1944). In den Folgejahren (1946-1947) untersuchte K. Zebera den Fundplatz und führte weitere Sondierungen durch. Von 1947 bis 1952 übernahm B. Klíma die Leitung der Ausgrabungen (Klíma 1963; 1995). In den Jahren 1966-1967 und zwischen 1971 und 1979 fanden weitere Kontrollgrabungen unter seiner Leitung statt (Klíma 1969). Im Jahr 1985 begannen dann die Ausgrabungen in Dolni Vestonice II unter Klímas Leitung. J. Svoboda setzte die Arbeiten 1990 und 1993 fort. Da Venus III 1966 in die Sammlungen des RGZM aufgenommen wurde, müsste sie aus der Zeit der Ausgrabungen in Dolni Vestonice I von Absolon, Bohmers, Zebera oder Klíma stammen. Der Fundplatz Dolni Vestonice II wird zwischen 27000 und 22000 BP datiert (Klíma 1995).

Abb. 4 Fundstellen des mittleren Jungpaläolithikums in Tschechien und an der Donau (vgl. Abb. 5).

4 S. Wolf · Eine neue Venusstatuette vom jungpaläolithischen Fundplatz Dolni Vestonice BEDEUTUNG UND DEUTUNG DER FRAUENFIGUREN DES STATUETTENHORIZONTS DES MITTLEREN JUNGPALÄOLITHIKUMS

Für das mittlere Jungpaläolithikum ist der sogenannte Statuettenhorizont charakteristisch, der sich von Süd- westfrankreich bis nach Sibirien zum Baikalsee erstreckte (vgl. Bosinski 1987; Delporte 1993b). Namenge- bend waren hierfür naturalistische, voll plastische Frauenfiguren. Diese Frauenfiguren haben sich in geschützten Stellen, wie Behausungen oder Gruben, oft gut erhalten. Die gängigste und älteste Theorie zur Deutung von Frauenstatuetten geht davon aus, dass Venusfiguren als Fruchtbarkeitssymbol dargestellt und in magisch-religiösen Zusammenhängen verwendet wurden (Bosinski 1982; 1987). Eine andere Hypothese postuliert das Schaffen von Schönheitsidealen. In diesen Kontext fügt sich auch die Überlegung ein, dass Kunst um der Kunst willen geschaffen wurde (Luquet 1934). Man ging außerdem davon aus, dass Abbilder damals lebender Personen geschaffen wurden (Piette 1907; Duhard 1991; Del- porte 1993a). E. Heidefrau (1995) betont, dass die gut definierten Frauendarstellungen Selbstporträts seien: Wenn Frauen nackt an sich herunter sähen, nähmen sie die Formen wahr, die im mittleren Jungpaläolithikum dargestellt wurden. Dies seien große Brüste, verkümmerte Oberarme, ein dicker Bauch, kurze Oberschenkel sowie kleine Füße. Die Unterarme und Hände erschienen peripher, der Kopf würde nicht gesehen und daher in der Darstellung vernachlässigt. Diese Idee des »Selbstporträts« entwickelte auch L. McDermott (1996), der in den adipösen Frauenfiguren Selbstdarstellungen schwangerer Frauen zu sehen glaubt. Diese blickten aus verschiedenen Blickwinkeln an ihrem Körper herunter und hielten ihre Selbstbetrachtung in ihrer Schnitze- rei fest. Eine weitere Deutung ist, dass die Figuren naturalistisch geschnitzt wurden und verschiedene Sta- dien der Schwangerschaft repräsentieren (Duhard 1990a; 1990b; 1993; 1995). P. C. Rice (1981) hebt die Darstellung der Frau in verschiedenen Lebensaltern hervor. M. Gimbutas (1989) entwarf ferner die Theo- rie, die Statuetten würden ein Bild des Lebens und der Erneuerung versinnbildlichen. Eine Theorie aus medizinischer Sicht besagt zudem, dass die Venusstatuetten Abbilder von im Jungpaläoli- thikum lebenden Frauen seien. Die Frauen hätten unter Jodmangel gelitten und aus diesem Grund ver- kürzte Gliedmaßen, infantile Brüste und eine oft verdickte Mitte besessen, die dann naturgetreu wieder- gegeben worden seien (Dobson 1998). Einen anderen Aspekt sieht R. D. Guthrie. Er geht davon aus, dass die Frauenfiguren in erster Linie die männliche Lust steigern sollten. Die Motivation ihrer Fertigung sei Trieb und Leidenschaft gewesen, da sie erotische Merkmale, nämlich die Vulva und als Schlüsselreize die Brüste, Hinterbacken und Fettdepots zeig- ten. Er schränkt die Bedeutung der Frauenfiguren als instinktiv gesteuert ein (Guthrie 2005, 303-373), eine Ansicht die schon von R. Feustel (1969) vorgebracht wurde. Auch T. Taylor (2006) sieht die Venusfiguren als Sexsymbol. Die Frauenfiguren seien nicht an erster Stelle die Darstellung eines Individuums, sondern zeigten die Differenzierung der Geschlechter in der Gesellschaft des mittleren Jungpaläolithikums. Eine andere Annahme setzt sich damit auseinander, ob die Frauenstatuetten Priesterinnen oder eine Göt- tin, »Die große Mutter«, darstellen sollen (Abramova 1979). Die Idee entwickelte sich aus Interpretationen zu den Armhaltungen der Frauenstatuetten, die »anbetend« wirken. Auch die Darstellung von Masken und stilisierten Gesichtern der Statuetten führte zu der Auffassung, hier könnten rituelle Vorgänge aufgegriffen und dargestellt worden sein. Die These der lebensspendenden Muttergottheit und Ernährerin wird durch die üppigen Formen der Figuren untermauert, die Fruchtbarkeit repräsentieren. Außerdem werden zahlrei- che Statuetten als bekleidet interpretiert und den entsprechenden Bekleidungselementen werden zudem rituelle Funktionen zugesprochen (Soffer / Adovasio / Hyland 2000).

Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums 55 · 2008 5 Zusätzlich wurde die Idee entwickelt, die weiblichen Figuren stellen Ahnen dar (Delporte 1993a). Außer- dem könnten die Figuren Schmuck gewesen sein, wie es für die mit Perforationen versehenen Stücke aus Grimaldi und Russland angenommen wird (Mussi / Cinq-Mars / Bolduc 2000). Die Stücke hätten demnach eine Funktion für eine individuelle, persönliche Nutzung gehabt und könnten zudem als Amulette verwen- det worden sein. Dies legen ethnographische Analogien nahe. Diese zeigen zudem, dass Figuren bei Jagd- zeremonien Verwendung finden, in Zusammenhang mit bestimmten Lokalitäten genutzt werden oder ein- fach Spielzeuge sind (Hahn 1986, 212). A. Marshack (1991) unterstützt diesen Aspekt als Intention für die Herstellung des Frauenbildnisses. Er postuliert, dass die Statuetten »time-factored« sind. Das bedeutet, dass sie für ganz bestimmte Zwecke angefertigt wurden, zu einer ganz bestimmten Zeit, um natürliche oder gesellschaftliche Prozesse zu sym- bolisieren. Er versteht die Frauendarstellungen als Nutzobjekte, die nur in ihrem kulturellen Kontext eine Bedeutung hatten. Jede Frauendarstellung entstand nach Marshacks Idee ganz individuell und hatte ihre eigene Bedeutung, unabhängig von anderen, obwohl ähnlichen, Statuetten. Seine Aussage ist allgemeiner Art: Das Frauenbildnis ist in seinem kulturellen Rahmen ein Symbol oder eine Metapher mit verschiedenen Bedeutungen und Nutzungen. C. Gamble (1982; 1991) entwickelte die Idee, dass die Statuetten Kommunikationsmittel waren. Er postu- liert die Entstehung der Kommunikation durch verschiedene geographische »Kanäle«. Mit Hilfe der Sta- tuetten standen verschiedene Gruppen von Menschen über große Strecken miteinander in Verbindung. Dies war möglich, weil die weiblichen Figuren durch einen einheitlichen Code der Darstellungsweise über- all verständlich gelesen werden konnten. Die These, dass die Statuetten als Kommunikationsmittel genutzt wurden, wird auch durch M. Otte (1995) vertreten. Mussi, Cinq-Mars und Bolduc schreiben »... the can be viewed, in all their complexity, as intriguing signals and echoes of a rich and dynamic cultural repertoire that extended over vast territo- ries« (Mussi / Cinq-Mars / Bolduc 2000). Dies kann man für alle Frauenfiguren des mittleren Jungpaläolithi- kums annehmen. C. Cohen (2003) führt aus, dass das Bild der Frau durch verschiedene sozio-kulturelle Epochen der mensch- lichen Geschichte jeweils anders verstanden und interpretiert wurde. Man kann im Endeffekt nicht wissen, wie und als was die prähistorischen Menschen ihre Frauenbildnisse verstanden haben. Hahn bemerkt »Kunst wird vielmehr als eine Möglichkeit verstanden, innerhalb sozial gesteuerter, zeitlich und regional bedingter Normen sich und die Welt zu verstehen« (Hahn 1986, 209). Fest steht, dass die Frauenstatuetten eines der Leitmotive des mittleren Jungpaläolithikums sind und in ganz Europa einheitlich auftreten. Sie erreichen in dieser Zeit einen relativ hohen Grad an Realismus und im Laufe der Zeit wird eine zunehmende Schematisierung deutlich, bis hin zu einer völligen Stilisierung im Magda- lenien (Rosenfeld 1977; Bosinski 1982; zur Entwicklung der Frauendarstellung des mittleren Jungpaläoli- thikums speziell Ibeling 1989). Man kann nicht mit Sicherheit wissen, aus welcher Motivation und Intention heraus die damaligen Künst- ler die Frauenfiguren geschaffen haben. Fest steht, dass die Frau ein wichtiger Bildträger war, der über ganz Europa über Tausende von Jahren verstanden wurde (Marshack 1991).

MATERIAL UND METHODEN

Venus III wird im Folgenden einer stilistischen und metrischen Analyse unterzogen. Zur Kontextualisierung wird eine Auswahl von 54 Statuetten aufgeführt, die in das mittlere Jungpaläolithikum datieren (Abb. 5).

6 S. Wolf · Eine neue Venusstatuette vom jungpaläolithischen Fundplatz Dolni Vestonice Abb. 5 Verbreitung der Frauenstatuetten des mittleren Jungpaläolithikums: 1 ; 2 Lespugue; 3 Monpazier; 4 Péchialet; 5 Sireuil; 6 Tursac; 7 Grimaldi; 8 Savignano; 9 Trasimeno; 10 Trou Magrite; 11 Mainz Linsenberg; 12 Mauern; 13 Willendorf; 14 Moravany Podkovica; 15 Pavlov; 16 Dolni Vestonice; 17 Brno; 18 Predmosti; 19 Petrkovice; 20 Eliseevitchi; 21 Khotylevo II; 22 Avdeevo; 23 Gaga- rino; 24 Kostenki I-1; 25 Mal´ta.

Die bisher ältesten weiblichen Figuren des mittleren Jungpaläolithikums wurden in Dolni Vestonice gefun- den. Sie wurden in den archäologischen Schichten der älteren Besiedlungsphasen ausgegraben, die um 27000 BP datieren. Die jüngsten, der in dieser Arbeit aufgeführten Statuetten, sind die Figuren aus Gri- maldi/Italien, die nach 20000 BP datieren. Heutzutage sind aus dem Jungpaläolithikum zahlreiche Gravierungen, Reliefs, Malereien und Skulpturen von Frauenfiguren bekannt, die in verschiedensten Materialien ausgeführt wurden. Sie sind unter dem Überbegriff »Venus« zusammengefasst worden. Die wenigen männlichen Darstellungen, die in die Zeit des Statuettenhorizonts datiert werden können, werden als »männliche Figur« aufgeführt. Die Statuetten wur- den im Westen Europas meistens in Grotten und Abris gefunden und im Osten Europas in Freilandfund- stellen ausgegraben. In der vorliegenden Arbeit werden weiblichen Statuetten aus dem mittleren Jungpaläolithikum aus Europa und Sibirien zum Vergleich herangezogen, die sich als Vollplastiken mit Venus III vergleichen lassen (Abb. 6). Jede Statuette wurde schematisiert umgezeichnet, um deren Attribute deutlich hervorzuheben. Die Umrisse des Körpers, der Kopf und die Extremitäten, sowie spezielle Charakteristika der Figuren wurden schwarz gezeichnet. Beschädigungen wurden weiß dargestellt. Die umgezeichneten Statuetten wurden grau aus- gemalt und ihre Konturen mit Schatten unterlegt, um die Rundungen des Körpers zu betonen und um die Figur plastisch wirken zu lassen. Die Lichtquelle scheint von links oberhalb der Figur. Die Statuetten sind auf den Abb. 8-18 im Maßstab 1:1 abgebildet. Für größere Figuren wird der Maßstab 1:2 angegeben. Die ausgewählten Figuren wurden nummeriert und mit ihrem charakteristischen Namen betitelt. Die Statuetten sind:

Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums 55 · 2008 7 1 »Venus III« aus Dolni Vestonice (Tschechien) 31 »Die Raute« aus den Grimaldi-Höhlen (Italien) 2 »Venus I« aus Dolni Vestonice (Tschechien) 32 »Der Hampelmann« aus den Grimaldi-Höhlen 3 »Venus II« aus Dolni Vestonice (Tschechien) (Italien) 4 »Venus XIII« aus Dolni Vestonice (Tschechien) 33 »Die gelbe Venus« aus den Grimaldi-Höhlen (Ita- 5 »Venus XV« aus Dolni Vestonice (Tschechien) lien) 6 »Die Maske« aus Dolni Vestonice (Tschechien) 34 »Die Unbenannte« aus den Grimaldi-Höhlen (Ita- 7 »Der Männerkopf« aus Dolni Vestonice (Tsche- lien) chien) 35 »Die Büste« aus den Grimaldi-Höhlen (Italien); 8 »Die Venus von Pavlov« (Tschechien) 36 »Der negroide Kopf« aus den Grimaldi-Höhlen 9 Statuette aus Pavlov, ohne Namen (Tschechien) (Italien) 10 Statuette aus Pavlov, ohne Namen (Tschechien) 37 »Die Venus von Savignano« (Italien) 11-17 »Mammutmetacarpi aus Predmosti« (Tsche- 38 »Die Dame mit der Kapuze« aus Brassempouy chien) (Frankreich) 18 »Die Venus von Predmosti« (Tschechien) 39 »Das Heft des Dolches« aus Brassempouy (Frank- 19 »Die Venus I von Petrkovice« (Tschechien) reich) 20 »Die Venus II von Petrkovice« (Tschechien) 40 »Das junge Mädchen« aus Brassempouy (Frank- 21 »Die Venus von Moravany« (Slowakei) reich) 22 »Der Mann aus Brno« (Tschechien) 41 »Die Venus von Lespugue« (Frankreich) 23 »Die Venus I von Willendorf« (Österreich) 42 »Die Venus von Sireuil« (Frankreich) 24 »Die Schöne und das Biest« aus den Grimaldi- 43 »Die Venus von Monpazier« (Frankreich) Höhlen (Italien) 44 »Die Venus von Péchialet« (Frankreich) 25 »Der Bicephalus« aus den Grimaldi-Höhlen (Ita- 45 »Die Figur aus Trou Magrite« (Belgien) lien) 46 »Die Rote von Mauern« (Deutschland) 26 »Der Janus« aus den Grimaldi-Höhlen (Italien); 47 »Kostenki I-1, Statuette 3« (Russland) 27 »Der Hermaphrodit« aus den Grimaldi-Höhlen 48 »Avdeevo, Statuette 77-1« (Russland) (Italien) 49 »Avdeevo, Statuette 77-2« (Russland) 28 »Die Dame mit dem Kropf« aus den Grimaldi- 50 »Gagarino, Statuette 1« (Russland) Höhlen (Italien) 51 »Die Venus von Eliseevitchi« (Russland) 29 »Die Dame in Ocker« aus den Grimaldi-Höhlen 52 »Khotylevo II, Statuette 2« (Russland) (Italien) 53 »Mal´ta n°1« (Sibirien) 30 »Der Abrachial« aus den Grimaldi-Höhlen (Ita- 54 »Mal´ta n°10« (Sibirien) lien) 55 »Mal´ta n°24« (Sibirien).

(Die ausführlichen Beschreibungen zu den Fundplätzen und den einzelnen Figuren finden sich bei Brunn 2007).

Stilistische Analyse

Mit Hilfe der stilistischen Analyse soll untersucht werden, ob sich Venus III in den Kanon der Frauenfiguren des mittleren Jungpaläolithikums einpasst. Dazu wird der Korpus der vollplastisch gearbeiteten Statuetten des mittleren Junpaläolithikums aus Europa sowie von der Fundstelle Mal´ta in Sibirien ausgewertet und Venus III mit den Statuetten verglichen. Der Vergleich der stilistischen Merkmale und Charakteristiken von Venus III mit den ausgewählten Frauenfigu- ren soll Gemeinsamkeiten und Unterschiede aufzeigen.

8 S. Wolf · Eine neue Venusstatuette vom jungpaläolithischen Fundplatz Dolni Vestonice Abb. 6 Zusammenstellung der 55 ausgewählten Statuetten: 1 »Venus III«; 2 »Venus I«; 3 »Venus II«; 4 »Venus XIII«; 5 »Venus XV«; 6 »Die Maske aus Dolni Vestonice«; 7 »Der Män- nerkopf«; 8 »Die Venus aus Pav- lov«; 9 »Statuette aus Pavlov, ohne Namen«; 10 »Statuette aus Pavlov, ohne Namen«; 11-17 »Mammutmetacarpi aus Pred- mosti«; 18 »Die Venus von Pred- mosti«; 19 »Die Venus I aus Petr- kovice«; 20 »Die Venus II aus Petrkovice«; 21 »Die Venus aus Moravany«; 22 »Der Mann aus Brno«; 23 »Die Venus I von Wil- lendorf«; 24 »Die Schöne und das Biest«; 25 »Der Bicephalus«; 26 »Der Janus«; 27 »Der Herm- aphrodit«; 28 »Die Dame mit dem Kropf«; 29 »Die Dame in Ocker«; 30 »Der Abrachial«; 31 »Die Raute«; 32 »Der Hampel- mann«; 33 »Die gelbe Venus«; 34 »Die Unbenannte«; 35 »Die Büste«; 36 »Der negroide Kopf«; 37 »Die Venus von Savignano«; 38 »Die Dame mit der Kapuze«; 39 »Das Heft des Dolches«; 40 »Das junge Mädchen«; 41 »Die Venus von Lespugue«; 42 »Die Venus von Sireuil«; 43 »Die Venus von Monpazier«; 44 »Die Venus von Péchialet«; 45 »Die Figur aus Trou Magrite«; 46 »Die Rote von Mauern«; 47 »Kostenki I-1, Statuette 3«; 48 »Avdeevo, Statuette 77-1«; 49 »Avdeevo, Statuette 77-2«; 50 »Gagarino, Statuette 12; 51 »Die Venus von Eliseevitchi«; 52 »Khotylevo II, Statuette 2«; 53 »Mal´ta n°1«; 54 »Mal´ta n°10«; 55 »Mal´ta n°24«. – (Die Statuetten sind im originalen Größenverhältnis zu - einander abgebildet).

Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums 55 · 2008 9 Metrische Analyse

Das Laserscanning diente der Vermessung von Venus III und wurde digital durchgeführt. Das Laserscanning oder die Laserabtastung soll im Folgenden erläutert werden (vgl. http://www.i3mainz.fh-mainz.de/publicat/ boehler04/WSA2_2_Bohler_et_al.pdf, Zugriff am 13.04.2007). Die Methode wird genutzt, um Oberflächen zu vermessen. Diese werden dabei zeilen- oder rasterartig mit einem Laserstrahl überstrichen. Die Oberflächengeometrie von Gegenständen wird mit Hilfe des 3D-Laserscannings digital aufgezeichnet. Das geschieht mittels der Lichtschnitt-Triangulation: Dabei entsteht eine bestimmte Menge von dreidimen- sionalen Abtastpunkten, die als Punktwolke bezeichnet wird. Die Koordinaten der gemessenen Punkte wer- den aus den Winkeln und Entfernungen in Bezug zum Gerätestandort ermittelt. Danach wird anhand der Punktwolke eine geschlossene Oberfläche aus Dreiecken konstruiert. Dies nennt man auch »Vermaschung« oder »Meshing«. Diese Vermaschung wird zudem in der 3D Computergraphik zur Visualisierung der ge - scann ten Objekte verwendet. Venus III wurde im i3mainz, dem Institut für Raumbezogene Informations- und Messtechnik der Fachhoch- schule Mainz, gescannt. Das Scannen wurde mit dem 3D-Scanner GOM ATOS II SO, GOM mbH, Braun- schweig, durchgeführt. Für den Scan von Venus III wurde ein Messfeld von 80 mm × 100 × Größe genutzt. Der Punktabstand der aufgenommenen Punkte liegt bei 0,08 mm. Mit Hilfe des Computerprogramms »Geomagic Review 9« wurde der Scan von Venus III visualisiert und so die digitale Messung ermöglicht. Die Maße werden in Millimeter aufgeführt und auf eine Stelle hinter dem Komma auf – oder entsprechend abgerundet. Die Punkte für die Vermessung wurden subjektiv gewählt. An Venus III wurden folgende Messstrecken festgelegt (Abb. 7):

a) Die Gesamthöhe der Venus III, gemessen von der i) Die Länge und i1) Die Breite der rechten Brust. Mitte des Standfußes bis zum Kopf. j) Die Länge und j1) Die Breite der linken Brust. b) Die Breite der Mitte von Venus III. k) Die Länge und k1) Die Breite der rechten Hand. c) Die Breite des Standfußes an der breitesten l) Die Länge und l1) Die Breite der linken Hand. Stelle. m) Die Länge und m1) Die Breite der Finger der lin- d) Die Länge und d1) Die Breite des Gesichtes. ken Hand. e) Die Länge und e1) Die Breite der Nase. n) Die Länge und n1) Die Breite der Vulva. f) Die Länge und f1) Die Breite des Kinns. o) Die Länge und o1) Die Breite des rechten Beines. g) Die Länge und g1) Die Breite des rechten Arms. p) Die Länge und p1) Die Breite des linken Beines. h) Die Länge und h1) Die Breite des linken Arms.

Spiegelung

Eine weitere Möglichkeit, Venus III einer metrischen Untersuchung zu unterziehen, geschieht mit Hilfe der Spiegelung (Abb. 8, 1). Mit diesem Verfahren lässt sich herausfinden, ob die Konstruktion von Venus III der Konstruktion der anderen Statuetten entspricht. Dabei wird der Körper in der Mitte durch eine horizontale Achse geteilt. Fixpunkte sind der oberste Punkt des Kopfes und die Fußspitze. Danach wird die Figur im oberen und unteren Bereich nochmals an mar- kanten Stellen im Verhältnis A=A1 und B=B1 zueinander geteilt (Abb. 8).

10 S. Wolf · Eine neue Venusstatuette vom jungpaläolithischen Fundplatz Dolni Vestonice Abb. 7 Scan der »Venus III« mit den festgelegten Messstrecken. – M. = 2:1.

Die Stellen, an denen die Figur in die sich jeweils entsprechenden zwei Teile getrennt wird, werden subjek- tiv gewählt. Wenn man die Figur aufeinander klappen würde, müssten sich demnach die vier Teile der Figur decken. Die Spiegelung wird genutzt, um herauszufinden, ob die vier Teile der entsprechend vermessenen Figur dem Verhältnis der Konstruktion anderer Figuren entsprechen. Danach wird der arithmetische Mittelwert errechnet. Dies geschieht, indem die errechneten Verhältnisse addiert werden und das Ergebnis durch die Anzahl der Statuetten geteilt wird. Auf dieselbe Weise wird der arithmetische Mittelwert der Größe der Statuetten errechnet. Die Messergebnisse wurden in einem Diagramm dargestellt, um die Gesamtkonstruktion der Statuetten zu visualisieren. Im Rahmen dieser Arbeit wurden 23 vollständig erhaltene Statuetten mit Hilfe der Spiegelung vermessen und das Verhältnis von A/A1 zu B/B1 ermittelt (vgl. Abb. 8-11). Folgende Statuetten wurden bei der Untersuchung berücksichtigt:

Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums 55 · 2008 11 1 »Venus III« 40 »Das junge Mädchen« 2 »Venus I« 41 »Die Venus von Lespugue« 3 »Venus II« 43 »Die Venus von Monpazier« 23 »Die Venus I von Willendorf« 44 »Die Venus von Péchialet« 24 »Die Schöne und das Biest« 47 »Kostenki I-1, Statuette 3« 25 »Der Bicephalus« 48 »Avdeevo, Statuette 77-1« 26 »Der Janus« 49 »Avdeevo, Statuette 77-2« 29 »Die Dame in Ocker« 52 »Khotylevo II, Statuette 2« 31 »Die Raute« 53 »Mal´ta n°1« 32 »Der Hampelmann« 54 »Mal´ta n°10« 33 »Die gelbe Venus« 55 »Mal´ta n°24«. 37 »Die Venus von Savignano«

Proportionsanalyse

Ziel war eine vergleichende Analyse der Proportionen der weiblichen Merkmale der Venus III mit den Pro- portionen anderer Statuetten des mittleren Jungpaläolithikums. Es sollte herausgefunden werden, in wel- chem proportionalen Verhältnis die Attribute »Brust und Bauch« der Statuetten stehen. Dafür wird der Rumpf zwischen Schlüsselbein und Scham gemessen und dann entsprechend die zwei Teil- bereiche »Brust und Bauch« festgelegt. Für die Messung wird die Brustspitze als Ende für den »Teilbereich Brust« angenommen. Danach wird der arithmetische Mittelwert errechnet, indem die errechneten Verhält- nisse addiert werden und das Ergebnis durch die Anzahl der Statuetten geteilt wird. Auf dieselbe Weise wird der arithmetische Mittelwert der Gesamtlänge des Rumpfes errechnet. Dann werden die ermittelten Verhältnisse von der Brust zum Bauch der Gesamtlänge der Rümpfe in einem Diagramm gegenüber gestellt. Der Vorteil dieser Methode ist, dass der Rumpf jeder weiblichen Figur als Konstante genutzt wer- den kann, da Köpfe und Beine in vielen Fällen verkümmert oder unterschiedlich dargestellt sind. Für die Messung wurden 32 Statuetten gewählt:

1 »Venus III« 31 »Die Raute« 2 «Venus I« 32 »Der Hampelmann« 3 »Venus II« 33 »Die gelbe Venus« 8 »Die Venus von Pavlov« 34 »Die Unbenannte« 18 »Die Venus von Predmosti« 37 »Die Venus von Savignano« 19 »Die Venus I von Petrkovice« 39 »Das Heft des Dolches« 20 »Die Venus II von Petrkovice« 41 »Die Venus von Lespugue« 21 »Die Venus von Moravany« 43 »Die Venus von Monpazier« 23 »Die Venus I von Willendorf« 47 »Kostenki I-1, Statuette 3« 24 »Die Schöne und das Biest« 48 »Avdeevo, Statuette 77-1« 25 »Der Bicephalus« 49 »Avdeevo, Statuette 77-2« 26 »Der Janus« 50 »Gagarino, Statuette 1« 27 »Der Hermaphrodit« 51 »Die Venus von Eliseevitchi« 28 »Die Dame mit dem Kropf« 52 »Khotylevo II, Statuette 2« 29 »Die Dame in Ocker« 53 »Mal´ta n°1« 30 »Der Abrachial« 55 »Mal´ta n°24«.

12 S. Wolf · Eine neue Venusstatuette vom jungpaläolithischen Fundplatz Dolni Vestonice Abb. 8 Spiegelung: 1 »Venus III«; 2 »Venus I«; 3 »Venus II«; 4 »Die Venus I von Willendorf«; 5 »Die Schöne und das Biest«; 6 »Der Bicephalus«. – (Zeichnungen G. Rutkowski/R. Hecht). – M. = 1:1.

Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums 55 · 2008 13 Abb. 9 Spiegelung: 1 »Der Janus«; 2 »Die Dame in Ocker«; 3 »Die Raute«; 4 »Der Hampelmann«; 5 »Die gelbe Venus«; 6 »Die Venus von Savignano«. – (Zeichnungen G. Rutkowski/R. Hecht). – M. = 1:1.

14 S. Wolf · Eine neue Venusstatuette vom jungpaläolithischen Fundplatz Dolni Vestonice Abb. 10 Spiegelung: 1 »Das junge Mädchen«; 2 »Die Venus von Lespugue«; 3 »Die Venus von Monpazier«; 4 »Die Venus von Péchi- alet«; 5 »Kostenki I-1, Statuette 3«; 6 »Avdeevo, Statuette 77-1«. – (Zeichnungen G. Rutkowski/R. Hecht). – M. = 1:1.

Um die Übersicht der Statuetten zu vereinfachen, wurden die Rümpfe der Statuetten zwischen Schlüssel- bein und Scham in einer Skalierung von 100% dargestellt. Die 100% entsprechen dem Rumpf der Venus III, sprich 38 mm (vgl. Abb. 12-16).

Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums 55 · 2008 15 Abb. 11 Spiegelung: 1 »Avdeevo, Statuette 77-2«; 2 »Khotylevo II, Statuette 2«; 3 »Mal´ta n°1«; 4 »Mal´ta n°24«; 5 »Mal´ta n°10«. – (Zeichnungen G. Rutkowski/R. Hecht). – M. = 1:1.

16 S. Wolf · Eine neue Venusstatuette vom jungpaläolithischen Fundplatz Dolni Vestonice Abb. 12 Proportionsanalyse: 1 »Venus III«; 2 »Venus I«; 3 »Venus II«; 4 »Die Venus von Pavlov«; 5 »Die Venus von Predmosti«; 6 »Die Venus I von Petrkovice«; 7 »Die Venus II von Petrkovice«; 8 »Die Venus von Moravany«. – (Zeichnungen G. Rutkowski/R. Hecht).

Es wurde auch davon abgesehen, die Proportionsanalyse mittels Kreis und Raute nach Leroi-Gourhan (1971, 109-110) darzustellen. Er hat beobachtet, dass sich das Massenzentrum bei dem größeren Teil der europäischen, weiblichen Figuren oberhalb der Hüften und des Bauchnabels befindet, wo ein Kreis Hüften, Brüste und Scham umschließt. Der Kopf und die Füße können zusammen mit der breitesten Stelle der Hüft- region durch eine Raute dargestellt werden, die den Kreis in der Hüftregion schneidet. Damit diesem Schema entsprochen wird, könnten die Füße oft spitz zulaufend, der Kopf klein und die Hüften breit kon-

Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums 55 · 2008 17 Abb. 13 Proportionsanalyse: 1 »Die Venus I von Willendorf«; 2 »Die Schöne und das Biest«; 3 »Der Bicephalus«; 4 »Der Janus«; 5 »Der Hermaphrodit«; 6 »Die Dame mit dem Kropf«; 7 »Die Dame in Ocker«. – (Zeichnungen G. Rutkowski/R. Hecht).

struiert worden sein. Aufgrund des rhombischen Aufbaus erklären sich die verkürzten Beine. Diesem Kanon folgen viele der europäischen, gut definierten Frauendarstellungen, aber da sich die Lage des zentralen Kreises individuell anpasst, ist dies kein festes Konstruktionsmerkmal.

18 S. Wolf · Eine neue Venusstatuette vom jungpaläolithischen Fundplatz Dolni Vestonice Abb. 14 Proportionsanalyse: 1 »Der Abrachial«; 2 »Die Raute«; 3 »Der Hampelmann«; 4 »Die gelbe Venus«; 5 »Die Unbenannte«; 6 »Die Venus von Savignano«; 7 »Das Heft des Dolches«. – (Zeichnungen G. Rutkowski/R. Hecht).

Optische Analyse

Mittels der Optischen Analyse sollte die Struktur der Oberfläche von Venus III untersucht und dabei her- ausgefunden werden, ob die Spuren auf der Statuette intentionell eingeritzt, Material bedingt oder ver- wittert sind. Zu diesem Zweck wurde ein Mikroskop der Firma Leica, Solms des Typs »M 420« mit einer acht-, zehn- und 12,5fachen Vergrößerung genutzt. Das Mikroskop befindet sich im Forschungsbereich Altsteinzeit des RGZM auf Schloss Monrepos, Neuwied.

Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums 55 · 2008 19 Abb. 15 Proportionsanalyse: 1 »Die Venus von Lespugue«; 2 »Die Venus von Monpazier«; 3 »Kostenki I-1, Statuette 3«; 4 »Avdeevo, Statuette 77-1«; 5 »Avdeevo, Statuette 77-2«; 6 »Gagarino, Statuette 1«; 7 »Die Venus von Eliseevitchi«. – (Zeichnungen G. Rut- kowski/R. Hecht).

Infrarotspektroskopie

Durch die Untersuchung mit der Infrarotspektroskopie wurde das Material überprüft, aus dem Venus III her- gestellt worden ist. Mit der Infrarotspektroskopie (abgekürzt IR-Spektroskopie) ist es möglich, die Struktu- ren unbekannter Materialien aufzuklären; sie soll im Folgenden kurz erläutert werden (vgl. Williams/Fleming 1971, 41).

20 S. Wolf · Eine neue Venusstatuette vom jungpaläolithischen Fundplatz Dolni Vestonice Abb. 16 Proportionsanalyse: 1 »Khotylevo II, Statuette 2«; 2 »Mal´ta n°1«; 3 »Mal´ta n°24«. – (Zeichnungen G. Rutkowski/R. Hecht).

Die IR-Spektroskopie ist ein physikalisches Analyseverfahren, das infrarotes Licht verwendet. Mittels der IR- Spektroskopie lässt sich die Struktur unbekannter Stoffe anhand ihrer charakteristischen Schwingungsfre- quenzen im infraroten Wellenbereich aufklären, wobei Referenzspektren bekannter Stoffe eine zusätzliche Hilfe sein können. Der infrarote Wellenlängenbereich lässt sich zwischen 400 und 500000 nm messen. Es wird zwischen dem nahen Infrarot (NIR 4002500 nm), dem mittleren oder klassischen Infrarot (MIR 2500-50000 nm) und dem fernen Infrarot (FIR 50000-500000 nm) unterschieden. Im FIR absorbieren Molekülrotationen, im MIR Mole külbindungen und im NIR sind Kombinationsschwingungen des MIR detektierbar, insbesondere von CH-, OH- und NH-Bindungen. IR-Spektren zeigen die Transmission der für die Rotation des betreffenden Moleküls und die Schwingungen der Bindungen charakteristischen Wellenlängen; Bereiche geringer Durchlässigkeit der IR-Strahlung erge- ben einen Ausschlag der Messwerte nach unten. Durch die Bestrahlung der Moleküle mit elektromagnetischen Wellen des Infrarotbereiches, werden kova- lente Bindungen zu Schwingungen angeregt. Dies führt gleichzeitig zu Energieabsorption. Anhand charak - teristischer Frequenzen des Infrarot-Lichtes, die nötig sind, um bestimmte Teile von Molekülen zu Schwin- gungen anzuregen, können diese identifiziert werden. Am einfachsten ist dies bei zweiatomigen Molekü- len; bei mehratomigen Molekülen kommt es zur Überlagerung von Grundschwingungen. Dementspre- chend sieht man bei solchen Molekülen eine Reihe von Absorptionsbanden, die interpretiert und zugeord- net werden müssen. Die Identifizierung dieser Banden ist mit Hilfe vorliegender, umfangreicher Daten- sammlungen von IR Spektren möglich (zum Beispiel in Williams /Fleming 1971, 48-74). Diese Untersuchung des Materials der Venus III erfolgte am Geologischen Institut der Johannes Gutenberg- Universität Mainz mit dem FTIR-Spektrometer-Modell 1725, Firma PERKIN-ELMER, Weiterstadt.

Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums 55 · 2008 21 Abb. 17 Verschiedene Gesichter der Statuetten des mittleren Jungpaläolithikums: 1 »Venus III«, Dolni Vestonice; 2 »Venus II«, Dolni Vestonice; 3 »Venus XV«, Dolni Vestonice; 4 »Der Männerkopf«, Dolni Vestonice; 5 »Der Mann aus Brno«, Brno; 6 »Der Janus«, Gri- maldi-Höhlen; 7 »Die Büste«, Grimaldi-Höhlen; 8 »Der negroide Kopf«, Grimaldi-Höhlen; 9 »Die Dame mit der Kapuze«, Brassempouy; 10 »Avdeevo, Statuette 77-1«; 11 »Mal´ta n°1«; 12 »Mal´ta n°10«; 13 »„Mal´ta n°24«. – (Zeichnungen G. Rutkowski/R. Hecht). – M. = 1:1.

22 S. Wolf · Eine neue Venusstatuette vom jungpaläolithischen Fundplatz Dolni Vestonice Abb. 18 Stilisierte Gesichter der Statuetten des mittleren Jungpaläolithikums: 1 »Venus I«, Dolni Vestonice; 2 »Die Maske aus Dolni Vestonice«; 3 »Die Venus von Predmosti«; 4 »Die Schöne und das Biest«, Grimaldi-Höhlen; 5 »Die Venus von Monpazier«. – (Zeichnun- gen G. Rutkowski/R. Hecht). – M. = 1:1.

Dazu wurde am unteren Teil der Statuette aus der Stelle der »modernen Beschädigung« eine Probe von 2 mg genommen, pulverisiert und mittels der IR-Spektroskopie untersucht. Dabei wurde ein Infrarot zwi- schen 400-4000 nm verwendet.

Mineralogische Phasenanalyse

Die Mineralogische Phasenanalyse dient der Analyse der Zusammensetzung des an der Statuette anhaf- tenden »Sediments«. Ziel dieser Untersuchung war es herauszufinden, ob dieses Sediment künstlich her- gestellt wurde, oder ob es natürlichen Ursprungs ist. Mit dieser Untersuchungsmethode werden Gemische kristalliner Körner nach Art – und in gewissem Umfang auch Menge – bestimmt (vgl. Allmann 1994). Die Untersuchung der Zusammensetzung des an der Figur anhaftenden »Sediments« wurde am Geologi- schen Institut der Johannes Gutenberg-Universität Mainz mit dem Röntgenpulver-Diffraktometer Theta- Theta der Firma Seifert, Ahrensburg vorgenommen. Eine Probe des »Sediments« wurde in einem Achat- Mörser zu einem Pulver mit einer Korngröße 1/100 mm und kleiner gemahlen. Die Analyse verläuft wie folgt: Das auf diese Weise gewonnene Pulver wird im Pulver-Diffraktometer mit einem monochromatischen Rönt- genstrahl bestrahlt. Dabei werden die kristallinen Bestandteile des Pulvers aufgrund ihrer Gitterstruktur mit dem monochromatischen Röntgenstrahl interferieren und am Gitter gebeugt, und es kommt zu charakte- ristischen Interferenzen in bestimmten Raumrichtungen. Die Interferenz beschreibt die Überlagerung von zwei oder mehr Wellen. Die Interferenzen werden abhängig vom Raumwinkel registriert. Die jeweilige Intensität der Interferenzen enthält Informationen zu den prozentualen Anteilen der kristallinen Bestand- teile.

Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums 55 · 2008 23 In dem Diffraktogramm sind die gemessenen Strahlungsintensitäten gegen die Winkel zwischen Strahlen- quelle, Probe und Detektor (2-theta-Winkel) aufgetragen. Dieser Winkel wird im Verlauf der Messung vari- iert. Das Messergebnis ist in der Regel eine flache Kurve mit mehreren schmalen Peaks, die bestimmten Git- ternetzebenen kristalliner Feststoffe in der Probe entsprechen. Anhand der Lage der Peaks können die Netz- ebenenabstände der in der Probe enthaltenen Kristalle, und somit die verschiedenen kristallinen Phasen, denen sie angehören, bestimmt werden.

Weitere Analysen des Sediments und des Haares

Im Rahmen der vorliegenden Arbeit soll sich weiterhin mit dem an der Statuette anhaftenden »Sediment« auseinandergesetzt werden, da bei der Restaurierung des Stückes und dem partiellen Entfernen des »Sedi- ments« in den Werkstätten des RGZM zwei weitere Phänomene auftraten: Unter dem »Sediment« fand sich eine zweite Ablagerung von schwarz-grauer Farbe, und im unteren Drit- tel der Rückseite wurde in diesem schwarz-grauen Sediment ein Haar entdeckt, welches darin eingelassen war (Abb. 19). Um zu untersuchen, ob es sich bei dem anhaftenden Haar um Echthaar oder um Kunsthaar handelt, wurde ein ca. 8 mm langes Stück des Haares von der Rückseite der Venus III abpräpariert. Dieses wurde im »Lan- desbetrieb Hessisches Landeslabor« in Gießen untersucht. Dazu wurde ein Mikroskop der Firma Leica,

Abb. 19 Das in dem Sediment entdeckte Haar. – (Photo RGZM DK_2007_0006).

24 S. Wolf · Eine neue Venusstatuette vom jungpaläolithischen Fundplatz Dolni Vestonice Solms, vom Typ »Laborlux K« benutzt. Für die Vergrößerung der Ansicht des Haares unter dem Mikroskop wurden ein Okular mit zehnfacher Vergrößerung und eine Lupe mit vierfacher sowie zehnfacher Vergrö- ßerung verwendet.

Radiokarbonmethode

Mit der Radiokarbondatierung sollte das 14C-Alter des Materials der Statuette bestimmt werden. Aus dem Fußteil der Venus III wurde eine Probe von ca. 9 mg entnommen und zur Datierung nach Oxford in das »Research Laboratory For & « gegeben. Das ermittelte 14C-Datum kann jedoch durch verschiedene Faktoren verfälscht werden. Dies soll nachste- hend ausgeführt werden. Die Probe muss vor der Messung des 14C-Gehalts auf reinen Kohlenstoff redu- ziert werden. Dazu muss sie gereinigt werden. Falls die Probe kontaminiert war und nicht vollständig gerei- nigt werden kann, wird ein verfälschtes Alter gemessen werden. Je nach Umfang der Verunreinigung würde das ermittelte Datum dann zwischen dem 14C-Alter des Materials und dem 14C-Alter des Stoffes lie- gen, der die Probe verunreinigt hat. Eine Kontamination des Materials kann durch den Knochenleim, mit dem Venus III geklebt wurde, stattgefunden haben. Weiterhin muss in Betracht gezogen werden, dass das Material schon im mittleren Jungpaläolithikum fossil aufgesammelt worden sein kann und damit erst in späterer Zeit Verwendung als Rohmaterial gefunden hat. In diesem Fall entspräche das tatsächliche Alter des Materials nicht dem Alter der Schnitzerei der Statuette.

ERGEBNISSE

Stilistische Analyse

Es werden verschiedene Charakteristika für Venus III festgelegt, anhand derer Venus III mit den anderen Sta- tuetten des mittleren Jungpaläolithikums verglichen werden kann (vgl. Tab. 1). Venus III zeichnet sich durch eine ausgearbeitete Gesichtspartie aus (Merkmal a; Abb. 17-18). Besonders charakteristisch ist die starke Wendung des Kopfes nach rechts (Merkmal b). Auffallend ist zudem der in die Länge gearbeitete Hinterkopf (Merkmal c), der eine Frisur trägt (Merkmal d). Kennzeichnend für Venus III sind außerdem die flachen Brüste (Merkmal e). Zudem ist der leicht vorgewölbte Bauch charakteristisch (Merkmal f). Bemerkenswert sind die langen Arme (Merkmal g) und die Hände, die links mit vier und rechts mit zwei Fingern detailliert ausgearbeitet sind (Merkmal h). Die Vulva ist außerdem signifikant (Merkmal i). Aufgrund der verkürzt dargestellten Beine wird als zusätzliches Charakteristikum eine sitzende oder halb- sitzende Position angeführt (Merkmal j). Typisch für Venus III ist außerdem der Standfuß (Merkmal k). In der Tabelle 1 sind auf der linken Seite die Statuetten angegeben, die eine oder mehrere Parallelen mit Venus III aufweisen. Im oberen Abschnitt sind die Charakteristiken von Venus III aufgeführt. Mit Hilfe der Tabelle kann man jedes Merkmal von Venus III mit den entsprechenden Statuetten vergleichen, die über eine oder mehrere Parallelen mit Venus III verfügen. Sie veranschaulicht, dass die Ausarbeitung von Venus III keine Besonderheit darstellt und sich in die Formensprache der Figuren des Statuettenhorizontes einfügt. Nur der ausgearbeitete Standfuß ist das einzige stilistische Merkmal, über das mit Sicherheit nur Venus III verfügt. Die Mammutmetacarpi verfügen zwar über einen Standfuß, der jedoch auf die natürliche Form des Knochens zurückzuführen ist, aus dem sie gefertigt wurden.

Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums 55 · 2008 25 Statuette / Parameter Gesicht Kopf Wendung Kopfform Kopfbedeckung Frisur, flache Brüste vorgewölbter Bauch lange Arme Finger Vulva (halb)sitzend Standfuß abcdef ghi j k 1 Venus III xxxxxxxxxxx 3 Venus II x? x x x x x x? x? 4 Venus XIII x 5 Venus XV x x x 6 Maske DV x 7 Der Männerkopf x x 8 Die Venus von Pavlov x x 9 Stat. Pavlov, ohne Namen x 10 Stat. Pavlov, ohne Namen x 11-17 Mammutmetacarpi x 19 Die Venus I von Petrkovice x 21 Die Venus von Moravany x 22 Mann aus Brno x 23 Die Venus I von Willendorf x x 24 Die Schöne und das Biest x 25 Der Bicephalus x 26 Der Janus x x 27 Der Hermaphrodit x 28 Die Dame mit dem Kropf x 29 Die Dame in Ocker x x x 30 Der Abrachial x x 31 Die Raute x x 32 Der Hampelmann x x 35 Die Büste x x 36 Negroider Kopf x x 38 Die Dame mit der Kapuze x x 41 Die Venus von Lespugue x 42 Die Venus von Sireuil x 43 Die Venus von Monpazier x x 45 Die Figur aus Trou Magrite x 46 Die Rote von Mauern x 47 Kostenki 1-I, Statuette 3 x 48 Avdeevo, Statuette 77-1 x x x x 49 Avdeevo, Statuette 77-2 x 50 Gagarino, Statuette 1 x x 52 Khotylevo, Statuette 2 x 53 Mal´ta n°1 x x x 54 Mal´ta n°10 x x 55 Mal´ta n°24 x x x x x

Tab. 1 Vergleich der Charakteristika der »Venus III« mit anderen Statuetten des mittleren Jungpaläolithikums.

Stilistische Gemeinsamkeiten der verschiedenen Statuetten im Vergleich mit Venus III

Die Statuetten des mittleren Jungpaläolithikums werden zumeist im Rahmen festgelegter geographischer Gruppierungen betrachtet und beurteilt (Verpoorte 2001; Mussi / Cinq-Mars / Bolduc 2000; Abramova 1995; Bisson/Bolduc 1994; Knecht / Pike-Tay / White 1993; Höck 1993; Gvozdover 1989; 1985; Klíma 1989; Ibeling 1989; Valoch 1969; Absolon 1949; u.a.).

26 S. Wolf · Eine neue Venusstatuette vom jungpaläolithischen Fundplatz Dolni Vestonice In diesem Abschnitt werden die Frauenfiguren durch stilistische Gemeinsamkeiten zusammengefasst. Es wird versucht, Venus III hier stilistisch einzugliedern. Zu Beginn werden die Figuren aus Dolni Vestonice beleuchtet. Venus III ist der Venus II im Stil erstaunlich ähnlich. Beide Figuren drehen ihren Kopf auf die rechte Seite, und der Kopf ruht fast direkt auf dem Oberkörper. Zudem sind ihnen das ausgearbeitete Gesicht und die flachen Brüste gemein. Außerdem ist die Ähnlichkeit der ausgearbeiteten Hände und der langen Arme unverkennbar. Die morphologische Ähnlichkeit ist vorhanden, aber die Größen stimmen nicht überein. Venus II ist mit 135 mm fast doppelt so groß ist wie Venus III, die 75 mm misst. Der Standfuß der Venus II, sowie die verkürzt dargestellten Beine, die als sitzende Position interpretiert werden könnten, sind zufällig und künstlich an dem Abguss hergestellt worden. Somit können diese Charakteristika nicht zu einem Ver- gleich mit Venus III herangezogen werden. Besonders hervorzuhebende Ähnlichkeiten mit Venus III zeigen Venus XV und die Maske von Dolni Vesto- nice. Der Kopf der Venus III weist ein ebenso schiefes und nach links gezogenes Gesicht auf wie Venus XV. Auch bei diesem Stück sind die Augen und Augenbrauen herausgearbeitet, jedoch kein Mund angezeigt; die Nase ist breit und gut erkennbar. Auch Venus III verfügt über das spitze Kinn, den gut erkennbaren Haaransatz, der in eine Frisur überleitet und einen in die Länge gearbeiteten Kopf zeigt. Insgesamt ist eine deutliche Ähnlichkeit zwischen Venus XV und dem Gesicht der Venus III feststellbar. Zudem zeigt auch das nach links verschobene Gesicht der Statuette 6 »Die Maske von Dolni Vestonice« große Ähnlichkeit mit dem Gesicht der Venus III, bei dem auch die linke Seite »verzerrt« ist. Mit den Figuren aus Pavlov sowie den Figuren des Fundplatzes Predmosti ergeben sich keine auffälligen Gemeinsamkeiten mit Venus III. Aus der geographischen Nähe des Fundortes ist die Figur aus dem Grab von Brno bekannt. Dieses Beispiel zeigt, dass die Ausarbeitung von Figuren mit Gesichtern und die Angabe besonderer Details, wie Brust- warze, Bauchnabel oder Penis im mittleren Jungpaläolithikum auftreten. Eine andere Statuette stammt aus Nordmähren, aus Petrkovice. Diese Frauenfigur ist mit anatomisch kor- rekten Proportionen wiedergegeben. Sie hat mit Venus III gemein, dass auch sie nicht adipös dargestellt ist. Dies zeigt wiederum deutlich, dass nicht alle weiblichen Figuren aus dem mährischen Raum gut definiert dargestellt wurden und somit Venus III keine Ausnahme bildet. Außerhalb Zentraleuropas können weitere Statuetten aufgrund ihrer stilistischen Gemeinsamkeiten mit Venus III verglichen werden. Hier sind als erstes die Figuren der italienischen Fundstelle der Grimaldi-Höhlen zu nennen, die sich auf- grund ihres gemeinsamen Stils als eigene Gruppe präsentieren. Sie zeigen auffallende Ähnlichkeiten mit Venus III. Diese Gemeinsamkeiten sind ausgearbeitete Gesichter, verlängerte Hinterköpfe und Frisuren, die flachen Brüste und der vorgewölbte Bauch, sowie dargestellte Finger und die deutlich angezeigten Vulven. Von den 13 Figuren weisen 11, also mehr als zwei Drittel, morphologische Ähnlichkeiten mit Venus III auf. Die Figuren von der Fundstelle Brassempouy sind in ihrem Stil ähnlich. Venus III besitzt ausschließlich mit dem Köpfchen aus Brassempouy, Statuette 38 »Die Dame mit der Kapuze« die auffallende Gemeinsamkeit, dass auch sie ein ausgearbeitetes Gesicht zeigt. »Die Dame mit der Kapuze« besitzt wie Venus III nur ein- geritzte Augen, eine Nase und ein markantes Kinn; auch bei ihr wurde der Mund nicht dargestellt. Auffal- lend ist die Frisur. Auch Venus III verfügt über eine Frisur oder Kopfbedeckung. Wegen dieser Gemeinsam- keiten stehen die beiden Statuetten in direktem Bezug zueinander, und es ist unmöglich, Venus III stilistisch aus der Reihe der bisher bekannten Stücke aus dem Süd-Westen Europas auszuschließen. Auch die russischen Statuetten mit den Figuren aus Kostenki I-1, Avdeevo, Gagarino und Khotylevo II wei- sen stilistische Gemeinsamkeiten auf, aufgrund derer sie als eine Gruppe zusammengefasst werden. Die Venus I aus Willendorf zählt wegen ihrer offensichtlichen stilistischen Verwandtschaft auch zu dieser Gruppe.

Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums 55 · 2008 27 Mit diesen Figuren hat Venus III auf den ersten Blick nichts gemeinsam, doch sind viele dieser Figuren in sit- zender oder halb sitzender Position ausgearbeitet und zeigen Frisuren. Die beiden angeführten Figuren aus Avdeevo verfügen über ausgearbeitete Finger. Die Statuetten aus Mal´ta sind sehr homogen und bilden eine eigene Fundkategorie. Venus III teilt zwar nicht ihren Stil, jedoch verschiedene morphologische Merkmale. Diese Merkmale sind das ausgearbeitet Gesicht mit angegebener Nase und Mund, Frisuren oder Kopfbedeckungen, die flachen Brüste und häufig die halbsitzende Position. Einzeln gefundene Figuren gliedern sich stilistisch den aufgeführten Statuetten an. Die Venus von Mora- vany findet in den Statuetten von Kostenki ihre Entsprechung. Die Figur aus Lespugue zählt zu den gut defi- nierten Frauenfiguren und können dem Stil der Figuren der Fundstelle Brassempouy zugeordnet werden. Zudem ähnelt die Figur von Péchialet der Figur »Das junge Mädchen« aus Brassempouy. Die Figur aus Mon- pazier zeigt mit ihrem Fettsteiß und der übertrieben dargestellten Vulva morphologische Ähnlichkeiten mit den Statuetten aus den Grimaldi-Höhlen. Die Figur aus Trou Magrite steht alleine. Die Figur von Eliseevit- chi kann in die russische Gruppe eingegliedert werden.

Abb. 20 Scan der »Venus III« mit den Maßangaben der festge- legten Messstrecken [mm]. – M. = 2:1.

28 S. Wolf · Eine neue Venusstatuette vom jungpaläolithischen Fundplatz Dolni Vestonice Als Ergebnis dieses Untersuchungsschrittes kann festgehalten werden, dass sich Venus III aufgrund der enormen Ähnlichkeiten zu Venus II und Venus XV gut in die Figurengruppe aus Dolni Vestonice einordnet. Dies ist möglich, obwohl die individuellen Figuren dieser und anderer Gruppen deutlich durch spezifische Merkmale gekennzeichnet und gut zu unterscheiden sind. Insgesamt betrachtet, findet jedes Merkmal der Venus III Analogien in den weiblichen Figuren des mittle- ren Jungpaläolithikums. Damit fügt sich Venus III stilistisch in den Kanon dieser Figuren ein. Ungesichert erscheint nur das Charakteristikum des Standfußes.

Metrische Analyse

Die Ergebnisse der metrischen Analyse können Abb. 20 entnommen werden. Die Werte der festgelegten Messstrecken sind in mm angegeben. Zur Definition der Messstrecken vergleiche auch Abb. 7. Die Ergebnisse der Messung belegen die symmetrische Ausarbeitung der Venus III. Nase und Kinn sind annähernd dreieckig gestaltet worden.

Spiegelung

Die Ergebnisse der Spiegelung werden im Folgenden dargestellt (vgl. Tab. 2; Abb. 21).

Statuette / Maße A A1 B B1 Verhältnis Gesamtlänge [mm] [mm] [mm] [mm] A/A1 zu B/B1 [mm]

1 Venus III 19 19 18,5 18,5 1,03 75 2 Venus I 34 34 21 21 1,62 110 3 Venus II 36,2 36,2 31,3 31,3 1,16 135 23 Die Venus I von Willendorf 29 29 26 26 1,16 110 24 Die Schöne und das Biest 15,5 15,5 8 8 1,94 47 25 Der Bicephalus 6 6 7,75 7,75 0,8 27,5 26 Der Janus 34,8 34,8 40,2 40,2 0,87 61,5 29 Die Dame in Ocker 17,4 17,4 13,3 13,3 1,31 75 31 Die Raute 18 18 13 13 1,38 62 32 Der Hampelmann 22,5 22,5 8 8 2,81 61 33 Die gelbe Venus 13 13 10,5 10,5 1,24 48 37 Die Venus von Savignano 57 57 55,5 55,5 1,03 225 40 Das junge Mädchen 16,5 16,5 7,25 7,25 2,28 47,5 41 Die Venus von Lespugue 54 54 19,5 19,5 2,77 147 43 Die Venus von Monpazier 20 20 7,5 7,5 2,66 55 44 Die Venus von Péchialet 21 21992,3360 47 Kostenki I-1, Statuette 3 39 39 18 18 2,16 114 48 Avdeevo, Statuette 77-1 32 32 18 18 1,77 100 49 Avdeevo, Statuette 77-2 33,5 33,5 14 14 2,4 95 52 Khotylevo II, Statuette 2 13,5 13,5 10 10 1,35 47 53 Mal´ta n°1 22 22 21,5 21,5 1,02 87 54 Mal´ta n°10 40 40 20,5 20,5 1,1 121 55 Mal´ta n°24 13,5 13,5 26,6 26,6 0,51 80 arithm. Mittelwert 1,58 86,54

Tab. 2 Die Werte für die Spiegelung der 23 aufgeführten, vollständig erhaltenen Statuetten des mittleren Jung- paläolithikums (vgl. Abb. 8-18).

Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums 55 · 2008 29 Abb. 21 Diagramm der Spiegelung. Die Werte der »Venus III« sind als Quadrat gekennzeichnet. – Auf der y-Achse sind die Verhältnisse der Spiegelung der Statuetten aufgetragen. Auf der x-Achse sind die Größen der entsprechenden Statuetten in mm aufgetragen.

Die vier sich entsprechenden Parts A, A1 und B, B1 von Venus III sind annähernd symmetrisch. Die Länge des Kopfes entspricht der Länge der Beine bis zu den aufliegenden Händen. Der Rumpf ist so lang wie die Arme, die auf den unteren Extremitäten aufliegen. A und A1 entsprechen B und B1 in einem Verhältnis von 1,03; Demnach sind die vier auffällig herausgearbeiteten Bereiche von Venus III in etwa gleich groß (Abb. 8, 1). Die Proportionierung von Venus III mit dem Wert ± 0,07 kann auch bei drei anderen Statuetten beobach- tet werden. Dies sind die Statuetten 37 »Die Venus von Savignano« mit demselben Verhältnis 1,03; 53 »Mal´ta n°1« mit dem Verhältnis 1,02 und die Statuette 54 »Mal´ta n°10« mit dem Verhältnis 1,1. Es ist auffällig, dass die beiden sich entsprechenden Teile A und A1, sowie B und B1 häufig die markanten Merkmale (Brust und Scham) der Figuren nicht schneiden, sondern einschließen. Dies ist bei den Statuet- ten 2 »Venus I«, 3 »Venus II«, 24 »Die Schöne und das Biest«, 25 »Der Bicephalus«, 32 »Der Hampel- mann«, 37 »Die Venus von Savignano«, 40 »Das junge Mächen«, 47 »Kostenki I-1, Statuette 3«, 49 »Avdeevo, Statuette 77-2«, 53 »Mal´ta n°1« und 54 »Mal´ta n°10« der Fall. Alle Statuetten besitzen eine individuelle Konstruktion, die durch die Spiegelung deutlich wird. Der arith- metische Mittelwert dieser Konstruktion der aufgeführten Statuetten liegt bei 1,58 und für die Größe bei 86,54 mm. Somit ist Venus III mit dem Wert 1,03 und einer Größe von 75 mm diesem Mittelwert angenä- hert und in einem ähnlichen Verhältnis wie die übrigen Statuetten hergestellt worden (Abb. 12).

Proportionsanalyse

Nachstehend werden die Ergebnisse der Messung des Verhältnisses der Brust zum Bauch im Vergleich mit der Gesamtlänge des Rumpfes der jeweiligen Statuetten präsentiert (Tab. 3; Abb. 22). Die Brust und der Bauch der Venus III stehen im Verhältnis 0,62 der Gesamtlänge des Rumpfes von 38 mm gegenüber. Die Statuette 30 »Der Abrachial« zeigt dasselbe Verhältnis der Brust und des Bauches (0,62) und ihr Rumpf ist 36 mm lang. Ähnliche proportionale Verhältnisse ± 0,1 weisen die Statuetten 19 »Die Venus I von Petrkovice«, 25 »Der Bicephalus«, 26 »Der Janus«, 28 »Die Dame mit dem Kropf«, 29 »Die Dame in Ocker«, 31 »Die Raute«,

30 S. Wolf · Eine neue Venusstatuette vom jungpaläolithischen Fundplatz Dolni Vestonice Abb. 22 Diagramm der Proportionsanalyse. Die Werte der »Venus III« sind als Quadrat gekennzeichnet. Auf der y-Achse sind die Mess - ergebnisse der entsprechenden Verhältnisse der Brust zum Bauch der Statuetten dargestellt. Auf der x-Achse ist die Gesamtlänge des Rumpfes der jeweiligen Statuetten in mm aufgetragen.

32 »Der Hampelmann«, 34 »Die Unbenann - Statuette / Maße Verhältnis Gesamtlänge te« und 43 »Die Venus von Monpazier« auf. Brust / Bauch Rumpf [mm] Die Gesamtlänge des Rumpfes bei diesen 1 Venus III 0,62 38 Statuetten ist mit ± 10 mm außerdem ähn- 2 Venus I 1,62 47 3 Venus II 0,81 73 lich lang wie bei der Venus III (ausgenom- 8 Die Venus von Pavlov 1,24 28 men Statuette 32 »Der Hampelmann«, 26 18 Die Venus von Predmosti 0,81 70 19 Die Venus I von Petrkovice 0,55 33,5 »Der Janus« und 25 »Der Bicephalus«). 20 Die Venus II von Petrkovice 1,24 32 Aus dem Diagramm wird ersichtlich, dass die 21 Die Venus von Moravany 1,71 50 23 Die Venus I von Willendorf 1,3 58 aufgeführten Statuetten in ihren Proportio- 24 Die Schöne und das Biest 0,9 22 nen keinen festen Schemata folgen. Eine 25 Der Bicephalus 0,68 12 Homogenität in den Proportionen ist aus- 26 Der Janus 0,72 21 27 Der Hermaphrodit 0,4 38 schließlich bei den Statuetten der Fund- 28 Die Dame mit dem Kropf 0,65 31 plätze Grimaldi (Statuette 25 »Der Bicepha- 29 Die Dame in Ocker 0,55 35 30 Der Abrachial 0,62 36 lus«; 26 »Der Janus«; 28 »Die Dame mit 31 Die Raute 0,72 32 dem Kropf«; 29 »Die Dame in Ocker«; 31 32 Der Hampelmann 0,58 25 33 Die gelbe Venus 2,3 23 »Die Raute«; 32 »Der Hampelmann«; 34 34 Die Unbenannte 0,58 28 »Die Unbenannte«) und Mal´ta (Statuette 53 37 Die Venus von Savignano 0,77 104 39 Das Heft des Dolches 1,3 53 »Mal´ta n°1«; 55 »Mal´ta n°24«) erkennbar. 41 Die Venus von Lespugue 2,3 82 Der arithmetische Mittelwert des Verhältnis- 43 Die Venus von Monpazier 0,65 33 47 Kostenki I-1, Statuette 3 1,71 54 ses von Brust zu Bauch liegt bei 1,11 und für 48 Avdeevo, Statuette 77-1 1,11 50 die Gesamtlänge des Rumpfes bei 47,7 mm. 49 Avdeevo, Statuette 77-2 1,92 43,5 Somit passt sich Venus III den Proportionen 50 Gagarino, Statuette 1 1,71 38 51 Khotylevo II, Statuette 2 1 85 der Statuetten aus Grimaldi an. 52 Mal´ta n°1 2,8 21 Insgesamt betrachtet zeigt Venus III in ihren 53 Mal´ta 0,81 38 55 Mal´ta n°24 0,85 33 Proportionen keine andere Konstruktion als arithm. Mittelwert 1,11 47,7 die aufgeführten Statuetten des mittleren Tab. 3 Die Werte der für die Proportionsanalyse aufgeführten vom Rumpf Jungpaläolithikums (Abb. 22). bis zur Scham erhaltenen 32 Statuetten des mittleren Jungpaläolithikums.

Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums 55 · 2008 31 Optische Analyse

Die Oberfläche der Venus III erscheint stark zerfurcht und ungeglättet. Die gesamte Figur ist von Kopf bis zum Standfuß mit kleinen Furchen und Kerben überzogen. Diese sind im Millimeterabstand erkennbar und lassen die Oberfläche rissig und ungeschliffen erscheinen. Die mikroskopische Analyse soll klären, ob diese Spuren intentionell eingeritzt, verwittert oder materialbedingt sind. Die Kerben messen im Durchschnitt 3 mm in der Länge und sind nur ca. 0,5 mm breit. Sie verlaufen fast alle vertikal. Die Schnitte, welche die Form des Körpers und seine Gliedmaßen definieren, sind tiefer gearbeitet als die anderen Spuren auf der Oberfläche. Der Durchschnitt der Breite dieser Spuren beträgt ca. 1,45 mm. Weil sie zweifelsfrei die Form des Körpers von Venus III gestalten, können sie als intentionell gelten. Sie sind außerdem länger und schärfer gearbeitet als die kleinen Kerben. Das Auge der Venus III ist als eine Bohrung erkennbar, die nur mit einem spitzen Gegenstand durchgeführt worden sein kann. Die Kerben im Gesicht von Venus III sind beachtenswert. Über dem linken Auge verlau- fen vertikal sechs regelmäßige Kerben, die beinahe an den Haaransatz reichen. Eine weitere Kerbe befin- det sich unter diesem Auge, auf der Nasenwurzel und auf der Nase. Diese Spuren scheinen vor dem Boh- ren des Auges entstanden zu sein. Die beiden Brüste werden durch Ritzungen dargestellt. Die äußeren Ritzungen begrenzen die Brüste und zeigen zugleich den Verlauf der am Körper anliegenden Oberarme an. Die Brüste werden durch eine mit- tige, scharfe Ritzung separiert. Die Arme werden vom restlichen Körper durch tiefe Furchen abgesetzt. Die Furchen trennen die Arme sowohl vom Bauch als auch vom Rücken. Durch eine solche Arbeitsspur wurde zudem die Vulva gekenn- zeichnet. Die einzelnen Finger könnten wie die Separation der Brüste eingeritzt worden sein. Die Hände wurden mit diagonalen Ritzlinien begrenzt. Die Beine trennt auf der Vorderseite und auf der Rückseite eine 4,4 mm breite, ausmodellierte Furche. Diese reicht allerdings nicht bis zur Basis des Standfußes, sondern setzt 3,7 mm darüber an. Die Furche scheint vorgearbeitet und ausgehöhlt worden zu sein. Diese tiefen Furchen waren auf der Vorderseite und auf der Rückseite vollständig mit Sediment behaftet. Sie konnten nicht vollständig gereinigt werden, weil dadurch das Material beschädigt worden wäre. Die Gesäßbacken werden durch eine Ritzung getrennt. Auf dem Rücken ist eine 12 mm lange, diagonale Linie erkennbar, die wahrscheinlich eine Beschädigung von Seiten des Künstlers darstellt. Das Material der Venus III zeigt an mehreren Stellen feine Risse im Material. Diese sind im Gesicht, an der rechten Brust, in den Trennungsfurchen der Beine, in der Mitte des rechten Beines und rechts des Gesäßes sichtbar. Die vielen kleinen Kerben, die sich auf der gesamten Oberfläche befinden, verlaufen regelmäßig und zeich- nen die Extremitäten nach. Aus diesem Grund sind sie wahrscheinlich intentionell angefertigt worden. Betrachtet man Vergleichsstücke, stellt man keine solchen Verwitterungsspuren fest. Eine Ausnahme stellt die Statuette 28 »Die Dame mit dem Kropf« dar. Diese zeigt vergleichbare Spuren. Allerdings ist diese Sta- tuette aus dem Material Geweih hergestellt worden (Bolduc / Cinq-Mars / Mussi 1996). Leider konnte in Rahmen dieser Arbeit nicht festgestellt werden, ob der Künstler, der »Die Dame mit dem Kropf« herstellte, die Kerben nach dem Schnitzen der Statuette aufbrachte, wie es offenbar bei Venus III der Fall war. Die Furchen können nicht Material bedingt sein, denn Mammutelfenbein besitzt eine glatte Oberfläche.

32 S. Wolf · Eine neue Venusstatuette vom jungpaläolithischen Fundplatz Dolni Vestonice Infrarotspektroskopie

Mit Hilfe der Infrarotspektroskopie wurde das Rohmaterial bestimmt, aus dem Venus III hergestellt worden ist. Die Messergebnisse zeigen einen Kurvenverlauf, der für organisches Material charakteristisch ist (Abb. 23). Im Hinblick auf die Charakterisierung des Materials sind Peptidbindungen relevant. Peptidbindungen (-CO- NH-) sind die Bindungen zwischen Aminosäuren, welche die Proteine, das heißt Eiweiße, aufbauen, wie sie im organischen Material vorkommen müssen. Deshalb sollten N-H Valenzen der Amide sowie O-H Valenzen für Carbonsäuren im Bereich um 3400 nm vorhanden sein, was auf das Untersuchungsmaterial zutrifft (Abb. 23). Relativ gering sind im Bereich um 2900 nm die C-H Valenzen von gesättigten Kohlenwasserstoffen sichtbar, welche den Seitenketten der Aminosäuren entsprechen, wie sie in Proteinen vorkommen. Der breite Bereich von 1500-1700 nm ent- spricht den C=O Valenzschwingungen der Peptidbindungen. Im Bereich von 1510-1570 nm wäre eine N-H Deformationsschwingung zu erwarten; bei der Zahl unterschiedlicher Peptidbindungen sind allerdings keine einzelnen Zuordnungen möglich. Die Transmission bei 1400 nm lässt sich als CH2 und CH3 Defor- mationsschwingungen und die CO Valenz von Carboxylaten, wie sie in Proteinen vorkommen, interpretie- ren. Die C-N Valenz für Amide ist nicht detektierbar. Der Bereich von 1100-1200 nm entspricht der C-O Valenz von Ethern und primären/sekundären Alkoholen; diese vergleichsweise starken Signale könnten durch Glycoproteine verursacht werden. Der Bereich um 600 nm lässt sich als P=O Valenz interpretieren, die entsprechende Valenz im höheren Wellenlängenbereich liegt wahrscheinlich unter den Signalen im Bereich von 1000-1200 nm. Ungewöhnlich sind die Signale um 2300 nm (Abb. 23); hier kommen zum Beispiel Nitrile, Isocyanate, Iso- thiocyanate oder Diazoniumverbindungen in Frage, wie sie in Farb- bzw. Klebstoffen vorkommen. Dafür spricht auch das sehr schwache Signal bei 800 nm, was von Aromaten herrühren kann oder der CH2-Defor- mationsschwingung von Paraffinen entspräche.

Abb. 23 IR-Spektrum des Mate- rials von »Venus III«. Quelle: Geo - logisches Institut der Johannes Gu tenberg-Universität Mainz. Die für organisches Material charak- teristischen Valenzen sind be - zeichnet.

Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums 55 · 2008 33 Aufgrund dieser Verunreinigung des Probenmaterials ist es nicht möglich, das organische Material genauer zu bestimmen. Das bedeutet, dass mit Hilfe der Infrarotrotspektroskopie nicht das Tier bestimmt werden kann, welches das Material lieferte, aus dem Venus III hergestellt wurde. Allerdings spricht die Brüchigkeit des Materials dafür, dass es sich um fossiles Material handelt. Aufgrund des Längsrisses in der Figur kann davon ausgegangen werden, dass es sich bei dem verwendeten Material um Mammutelfenbein handelt. Dieses spaltet sich in Lamellen ab, wie es bei Venus III beobachtet werden kann.

Mineralogische Phasenanalyse

Im Falle des an Venus III anhaftenden Materials auf der Rückseite konnten folgende kristalline Phasen gefunden werden (vgl. Brunn 2007):

1. ein Glimmer (speziell Muskovit) 2. ein Feldspat (speziell Albit) 3. Quarz 4. untergeordnet Limonit (ein Gemenge aus verschiedenen, aufgrund der geringen Menge nicht trennba- ren eisenhaltigen Mineralien wie Goethit, Hämatit und andere) 5. vermutlich Calzit (in geringster Menge).

Diese Mineralführung spricht für ein granitoides, als Sedimentgestein arkosisch anzusprechendes Umfeld. Die petrographischen Analysen der Lösse von Dolni Vesonice ergeben folgende Daten (vgl. Pelisek 1953): Quarz ist mit 55-60 % Gewichtsprozent vertreten. Die Feldspate sind Orthoklas und Plagioklas und kom- men mit 6-10 % in den Lössen vor. An Glimmer sind Muskovit und Biotit vorherrschend und treten mit 5-6 % auf. An schweren Metallen wurden Amphibol, Epidot, Zirkon, Hämatit, Magnetit, Rutil und Turma- lin festgestellt. Zudem sind in den Böden limonitische Körnchen vorhanden. Die Bodenzusammensetzung von Dolni Vestonice stimmt demnach mit der Analyse des Sediments überein. Aufgrund dieser offensichtlichen Übereinstimmungen ist es wahrscheinlich, dass das Venus III anhaftende Sediment von dem Fundplatz Dolni Vestonice stammt.

Haaranalyse

Es handelt sich bei dem anhaftenden Haar um ein Echthaar: Beim Mikroskopieren des Haares wurde ersichtlich, dass das Haar nicht pigmentiert ist; der vorliegende Abschnitt des Haares ist nicht markhaltig. Von Bedeutung für die Identifikation als Echthaar sind außerdem die sogenannten Cuticulaschuppen, die deutlich erkennbar sind. Die Cuticulaschuppen prägen die Haarstruktur; sie sind quer zur Verlaufsrichtung des Haares ausgerichtet und nicht einheitlich im Erscheinungsbild. Dies ist nur bei den Haaren von Mensch und Tier der Fall. Wildhaar ist allerdings zumeist markhaltig. Eine Artbestimmung ist nicht möglich, da hier- für ein vollständiges Haar vorliegen müsste und ein solches nicht erhalten ist. Kunsthaar konnte ausge- schlossen werden, da dessen Fasern gleichmäßig und starr verlaufen (Dr. V. Stojanowic, persönliche, münd- liche Mitteilung, Gießen 2007). Diese Befunde lassen darauf schließen, dass es sich bei dem Haar um ein menschliches Haar handeln könnte, weil es im Gegensatz zu Wildhaar nicht markhaltig ist.

34 S. Wolf · Eine neue Venusstatuette vom jungpaläolithischen Fundplatz Dolni Vestonice Auf der Oberfläche des Haares konnte eine rot-braune Farbauflagerung beobachtet werden. Die Farbauf- lagerung stammt mit hoher Wahrscheinlichkeit von dem rötlich-braunen Sediment, welches sich über dem Haar befand.

14C-Datierung

Die von Venus III entnommenen 9 mg Material stellten zu wenig Probenmaterial für eine 14C-Datierung dar. Um eine Datierung zu ermöglichen, wären mindestens 100-200 mg Probenmaterial nötig gewesen. Selbst mit dieser Menge wäre das Datum jedoch nur zu 50 % gesichert gewesen. In fossilem Material ist im Ver- gleich zu rezenten Materialien wenig 14C vorhanden. Daher wird relativ viel Probenmaterial benötigt, um 14C nachweisen zu können. Eine Datierung des Materials der Venus III mit nur 9 mg Probenmaterial wurde im »Research Laboratory For Archaeology & History Of Art« nicht versucht, da dies nicht erfolgversprechend schien. Da Venus III völlig zerstört werden müsste, um die Probenmenge von 100-200 mg zu erreichen, wurde von einer 14C-Datie- rung abgesehen.

Rekonstruktion der Bearbeitungsstadien

Im Folgenden soll die Zurichtung der Venus III rekonstruiert werden. Für die Zerlegungstechniken des Roh- materials Elfenbein und die Grundformproduktion wird auf die Arbeit von J. Tinnes (1994) und das Sam- melwerk von J. Hahn u.a. (1995) verwiesen. Für die Herstellung der Venus III muss die Grundform mindestens 50 mm im Durchmesser besessen haben. Bei der Herstellung einer Statuette werden mindestens drei Arbeitsgänge unterschieden. Zunächst erfolgt eine grobe Zurichtung der Form, danach schließt sich die eigentliche Schnitzarbeit an. Der letzte Schritt besteht in einer Überarbeitung oder Glättung der Oberfläche. Als Werkzeuge zum Schnitzen werden Klin- gen und Stichel verwendet. Bei Venus III ist der erste Schritt der groben Zurichtung erfolgt. Dabei wurde ein Stück der entsprechenden Größe von 80 mm Länge aus dem vorhandenen Stück Elfenbein gesägt. Danach wurden die Wendung des Kopfes, die Extremitäten, sowie der Standfuß herausgearbeitet. Im zweiten Arbeitsschritt wurden durch Schnitzen und Schaben die einzelnen Körperpartien und das Gesicht modelliert. Diese Schnitzspuren sind als tiefe Kerben erkennbar. Ob der dritte Arbeitsschritt, eine annähernd flächendeckende Überarbeitung und Glättung, vorgenommen wurde, kann nicht mehr hinreichend beurteilt werden. Die Schnitte und Ker- ben, die sich über die Oberfläche der Venus III ziehen, erscheinen intentionell eingeritzt. Somit hätte eine Glättung nicht statt gefunden. Sie wäre in diesem Fall allerdings auch nicht angestrebt gewesen. Mit Sicherheit sind die Spuren auf der Oberfläche verrundet, aber in keiner Weise als geglättet anzusehen. Eine Politur, die auf Gebrauch des Stückes oder anschließende Sedimenteinlagerung zurückzuführen ist (Dauvois 1977), ist nicht auszumachen. Es werden zwei grundsätzliche Herstellungsstadien für Statuetten unterschieden, deren Definition anhand morphologischer und technologischer Merkmale vorgenommen wurde (Höck 1993). Dies wären einerseits die »Fertigprodukte«. Diese zeigen keine Reste ihrer groben Zurichtung, sondern sind vollständig überar- beitet. Als »Halbfabrikate« werden dagegen Objekte bezeichnet, die eine erkennbare Grundform besitzen, allerdings Reste ihrer groben Zurichtung erkennen lassen und keine oder eine sehr unvollständige Glättung zeigen.

Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums 55 · 2008 35 Venus III ist zwar vollständig ausgearbeitet, wäre allerdings nach dieser Definition den Halbfabrikaten zuzu- ordnen. Die nachträgliche Bearbeitung würde jedoch die ungewöhnliche und ungeglättet erscheinende Oberfläche erklären. Deswegen kann Venus III als Fertigprodukt angesprochen werden.

DISKUSSION

Venus III wurde in einer früheren Arbeit als Fälschung eingestuft: »Die stilistische Ähnlichkeit zu der Venus II, die heute allgemein als Fälschung angesehen wird (...), scheint auch für diese Figur die Wahrscheinlich- keit einer Fälschung anzudeuten« (Ibeling 1989, 89). Abschließend soll der zentralen Frage nachgegangen werden, ob es sich bei Venus III um eine Fälschung oder um ein Original handelt. Im Rahmen dieser Diskussion soll eruiert werden, wann Venus III in Dolni Ves- tonice I gefunden worden sein könnte. Die Statuette ist 1966 in die Fundsammlungen des RGZM aufge- nommen worden und kann daher nicht aus Grabungen nach 1966 stammen. Da die Fundstelle Dolni Vestonice II erst ab 1985 ausgegraben wurde und zudem dort keine weiblichen Sta- tuetten entdeckt wurden, kann sicher davon ausgegangen werden, dass Venus III an den Kontext der Fund- stelle Dolni Vestonice I angegliedert werden muss (vgl. Klíma 1995). Das Sediment, das an Venus III anhaftete, zeigt dieselbe Zusammensetzung wie der Boden der Fundstelle Dolni Vestonice. Es ist naheliegend, dass sich das Sediment im Boden an Venus III angelagert hat. Venus III ist aus fossilem Elfenbein, wahrscheinlich Mammutelfenbein, hergestellt worden. Fossiles Elfen- bein lässt sich aufgrund seiner Fragilität nicht zerstörungsfrei bearbeiten. Ein Fälscher hätte Probleme beim Schnitzen der Statuette gehabt. Die Bearbeitungsspuren auf der Oberfläche der Venus III sind nicht modern, da kein frisch angeschnittenes Material zu sehen war. Auszuschließen ist jedoch nicht, dass die Oberfläche in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geschnitzt worden sein könnte und mit der Zeit nachgedunkelt wäre. Das Ergebnis der stilistischen Analyse hat deutlich gezeigt, dass sich die so auffallenden und außerge- wöhnlich anmutenden Merkmale der Venus III, wie die Ausarbeitung des Gesichtes und die Wendung des Kopfes nach rechts, in den Rahmen der Statuetten des mittleren Jungpaläolithikums einfügen. Jedes Cha- rakteristikum findet Parallelen in anderen Statuetten. Venus III reiht sich in den eiszeitlichen Statuettenho- rizont ein. Wenn die gesamte Bandbreite der weiblichen Statuetten betrachtet wird, ist ersichtlich, dass jede Statuette ganz individuell gestaltet wurde. Das Spiel der Variationen ist breit gefächert (vgl. dazu Soffer 1987) und einzelne »Gruppen« lassen sich oft nur aufgrund einzelner gemeinsamer Merkmale fassen. Allerdings sind die Figuren der geographisch bedingten Gruppen aus Russland, Mal´ta und den Grimaldi-Höhlen sehr homogen. Demnach bildet auch Venus III als individuell gestaltete Statuette hier keine Ausnahme, sondern bestätigt die Regel. Sie gliedert sich aufgrund des nach links verzerrten Gesichts und der morphologischen Ähnlichkeit zu »Venus II«, »Venus XV« und »Der Maske« den Figuren aus Dolni Vestonice an. Die Fund- stelle Dolni Vestonice I lieferte ferner eine Reihe von außergewöhnlichen Statuetten (vgl. Klíma 1983). Venus III bildet in diesem Kontext nur aufgrund ihrer Oberflächenbearbeitung eine Ausnahme. Die Untersuchung der Konstruktion der Figuren mit Hilfe der Spiegelung hat ebenfalls gezeigt, dass die Sta- tuetten individuell konstruiert und angefertigt worden sind. Die Proportionsanalyse zeigte zudem, dass Venus III in ihren Proportionen mit den aufgeführten Statuetten vergleichbar ist, die alle individuell gestal- tet wurden. Venus III weist vor allem in ihrer Konstruktion enorme Ähnlichkeit mit den Figuren aus den Gri-

36 S. Wolf · Eine neue Venusstatuette vom jungpaläolithischen Fundplatz Dolni Vestonice maldi-Höhlen auf. Desgleichen ist die Größe der Venus III von 75 mm nicht außergewöhnlich und fügt sich einwandfrei in die Größenverhältnisse der Figuren des mittleren Jungpaläolithikums ein. Auch der ungesicherte Fundkontext der Figur ist kein sicheres Indiz für die Fälschung der Venus III (vgl. Tab. 4). Mehrere Figuren sind aufgrund ihrer stilistischen Ähnlichkeit mit sicher datierten Statuetten als paläolithisch anerkannt worden, ohne dass ihre Fundumstände als gesichert gelten können, oder dass das mit ihnen gefundene Geräteinventar sie eindeutig einer Epoche zuweisen könnte (vgl. Tab. 4). Als Beispiel sei der Männerkopf aus Dolni Vestonice genannt, sowie die Figuren aus Sireuil und Péchialet. Andere Statuetten konnten zwar aufgrund des Fundinventars dem mittleren Jungpaläolithikum zugeordnet werden, doch ihre Fundumstände sind bis heute nicht hinreichend geklärt. Dies sind die Figuren aus Grimaldi sowie die Figur aus Monpazier. Hieraus wird ersichtlich, dass der ungesicherte Fundkontext von Venus III im Vergleich mit den Fundzu- sammenhängen anderer Statuetten als Kriterium für eine Fälschung nicht angeführt werden kann. Eine Erklärung für das Vorhandensein des Haares auf der Rückseite der Venus III wäre, dass das Sediment mit einem Echthaarpinsel aufgetragen wurde und sich dabei ein Haar des Pinsels löste und angeklebt wurde. Es wäre auch möglich, dass derjenige, der das Sediment auftrug, ein Haar verlor und dieses auf das Sediment fiel, als es aufgetragen wurde. Der Grund des Auftragens des Sediments könnte gewesen sein, dass ein Fälscher dadurch das steinzeitli- che Alter von Venus III vortäuschen wollte. Andererseits wäre es auch vorstellbar, dass sich in den Kultur- schichten von Dolni Vestonice ein Haar an die Figur angelagert hat.

Fundplatz / -situation unbekannt ungeklärt Oberfläche regulär Behausung Grube Grab Dolni Vestonice 2 1 19 Pavlov 9 Predmosti 7 2 Petrkovice 2 Moravany 1 Brno 1 Willendorf 2 Grotte du Prince 13 Barma Grande 2 Savignano 1 Trasimeno 1 Brassempouy 8 Lespugue 1 Tursac 1 Sireuil 1 Monpazier 1 Péchialet 1 Trou Magrite 1 Mainz Linsenberg 2 Mauern/Weinberghöhle 1 Kostenki 1-I 1 Avdeevo 2 Gagarino 1 Eliseevitchi 1 Khotylevo II 1 Mal´ta 3 Gesamt 2 26 3 48 7 2 1

Tab. 4 Die Fundsituationen der Statuetten der einzelnen Fundplätze des mittleren Jungpaläolithikums.

Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums 55 · 2008 37 Als Resumé kann festgehalten werden, dass alle bisher betrachteten Hinweise und Analysen für einen Fundzusammenhang von Venus III und der Fundstelle Dolni Vestonice I sprechen und gute Argumente für die Echtheit von Venus III vorliegen. Die Figur Venus III könnte entweder eine junge Frau mit vorgewölbtem Bauch während der Schwangerschaft dargestellt worden sein oder es wurde eine alte Frau mit erschlaff- tem Körper gearbeitet. Auf Basis der Ergebnisse der verschiedenen Analysen scheint Venus III ein Original zu sein. Zukünftige Funde von weiblichen Statuetten aus gesichertem stratigraphischem Kontext werden hoffentlich detailliertere Überlegungen zu deren Funktion und Bedeutung, vor allem im Alltagsleben des Paläolithikums, erlauben.

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Auf folgende Webseite wurde zugegriffen: http://www.i3mainz.fh-mainz.de/publicat/boehler04/WSA2_2_Bohler_et_al.pdf (Zugriff am: 13.04.2007).

ZUSAMMENFASSUNG

Eine neue Venusstatuette vom jungpaläolithischen Fundplatz Dolni Vestonice (Mähren) In der vorliegenden Arbeit wurde eine kleine, vollplastische, weibliche Venusstatuette aus den Sammlun- gen des RGZM Mainz untersucht, die laut des angewiesenen Fundzusammenhangs von der jungpaläolithi- schen Fundstelle Dolni Vestonice (Mähren) stammen soll. Die Statuette wurde aufgrund des angeblichen Fund ortes in die Reihe der dort gefundenen, weiblichen Figuren eingegliedert und Venus III genannt. Sie fällt besonders durch ihr nach rechts gewendetes Gesicht und ihren Standfuß auf. Es wurde den zentralen Fragen nachgegangen, ob es sich bei der Figur um eine Fälschung oder um ein Ori- ginal handelt und ob Venus III in die Epoche des mittleren Jungpaläolithikums zu datieren ist. Dazu wurde der gesamte Kanon der weiblichen Statuetten des mittleren Jungpaläolithikums evaluiert, um durch eine hohe Anzahl adäquat vergleichbarer Statuetten herauszufinden, ob Venus III stilistisch in diese Epoche ein- geordnet werden kann. Mit Hilfe der Infrarotspektroskopie wurde versucht das Material zu ermitteln, aus welchem Venus III herge- stellt worden ist. Aufgrund von Verunreinigungen im Probenmaterial war es jedoch nicht möglich, das organische Material festzustellen, aus dem die Figur geschnitzt wurde. Die Brüchigkeit des Materials lässt den Schluss zu, dass es sich um fossiles Material handelt. Der Längsriss in der Figur ist typisch für Elfenbein. Höchstwahrscheinlich handelt es sich um Mammutelfenbein, welches an der Fundstelle Dolní Vestonice vorkommt. Venus III haftete Sediment an, dessen Zusammensetzung mit der Mineralogischen Phasenanalyse ermittelt werden konnte. Es handelt sich um ein eisenhaltiges, kristallines Gemisch, welches mit der Bodenzusam- mensetzung des Fundplatzes Dolni Vestonice korrespondiert. Nachdem die in dieser Arbeit aufgeführten Venusfiguren mit Venus III verglichen worden waren, wurde ersichtlich, dass Venus III stilistisch in den »Statuettenhorizont« des mittleren Jungpaläolithikums einzuord- nen ist, weil all ihre Charakteristika Analogien in den verschiedenen Statuetten des mittleren Jungpaläoli- thikums finden. Venus III wurde mit einem 3D-Scanner gescannt und konnte auf diese Weise digital vermessen werden. Die metrische Analyse ergab, dass die Konstruktion der Venus III, sowie ihre Proportionen und ihre Größe denen der anderen Figuren gleichen, und sie insofern keinen Sonderfall darstellt. Die Untersuchung der Oberfläche von Venus III ergab, dass die Kerben und Spuren wahrscheinlich inten- tionell angebracht wurden. Eine 14C-Datierung erbrachte keine Ergebnisse, da die Probenmenge zu gering für eine Datierung war. Über die Bedeutung von Venus III lässt sich aus heutiger Sicht nichts aussagen. Es werden jedoch verschie-

40 S. Wolf · Eine neue Venusstatuette vom jungpaläolithischen Fundplatz Dolni Vestonice dene Interpretationen als mögliche Deutung betrachtet, von denen die Folgenden bevorzugt werden: Es könnte entweder eine junge Frau mit kleinen Brüsten während der Schwangerschaft dargestellt worden sein; der leicht vor gewölbte Bauch würde eine Schwangerschaft im 4. oder 5. Monat implizieren. Oder es wurde eine alte Frau mit erschlafftem Körper geschnitzt. Der ungesicherte Fundkontext bedeutet kein ein- deutiges Indiz für eine Fälschung, zumal Venus III mit hoher Wahrscheinlichkeit aus Dolni Vestonice stammt. Auf der Basis der in der vorliegenden Arbeit vorgestellten Daten, Analysen und den daraus gezogenen Schlussfolgerungen scheint Venus III ein Original zu sein.

SUMMARY

A new Venus from the find site Dolní Vestonice (Moravia) The topic of this paper is a small, female Venus in the round from the collections of the Römisch- Germanisches Zentralmuseum in Mainz. Based on the find context, it is postulated to originate from the Upper Paleolithic find site Dolní Vestonice in Moravia. On the basis of its association with the find site, the was included into the sequence of female figurines from the site and was labeled Venus III. It is remarkable due to her face, which is angled towards the right, and the pedestal foot. The central questions to be answered were whether the figurine is authentic and whether Venus III dates to the middle Upper Paleolithic or if it is a fake In order to respond to these questions, the entire spectrum of female from the Upper Paleolithic was evaluated in order to provide a large base of comparison with which to compare Venus III and to determine whether it fits into this period stylistically. Infrared spectroscopy was applied to attempt to determine the material from which Venus III was fashio- ned. Due to contamination in the test sample it was not possible to identify the organic material from which the statue was carved. The brittle nature of the material allows for the conclusion that it is fossilized mate- rial. The vertical fracture in the figure is typical of ivory. It is most likely to be ivory, which occurs in abundance at the find site Dolní Vestonice. The composition of sediments adhering to Venus III was tested using mineralogical phase analysis. It is made up of a ferrous crystalline mixture that corresponds to the ground composition of the Dolní Vesto- nice find site. The comparison of Venus III with the Venus figurines described in this paper made clear that Venus III can be classified stylistically with the »statue horizon« of the middle Upper Paleolithic because its characteri- stics are analogous to various statues from the middle Upper Paleolithic. Venus III was scanned using a 3D scanner and digitally measured. The metric analysis proved that the con- struction, its proportions and size closely resemble other figurines and that it is not an exception. Careful study of the surface of Venus III showed that the notches and on the surface were proba- bly intentional. 14C-dating did not return any results because the sample size was too small for accurate results. It is not possible to identify the meaning of Venus III for its makers from today’s perspective. However, seve- ral interpretations are under consideration: It could either represent a young woman with small breasts during , the slightly-curved stomach implies a pregnancy in its 4th or 5th month. It could also represent an elderly woman whose body has lost its firmness. The unclear find context does not necessa- rily imply that the figurine is a fake, especially because Venus III most probably does originate from Dolni Vestonice. Based on the data, the analyses and the deduced conclusions presented in the paper, Venus III seems to be an authentic work of art from the Upper Paleolithic.

Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums 55 · 2008 41 RÉSUMÉ

Découverte d’une Vénus provenant du site Paléolithique supérieur de Dolni Vestonice (Moravie) Dans ce travail est exposée la découverte d’une petite Vénus issue des collections du musée Römisch-Ger- manisches Zentralmuseum à Mayence. Cette Vénus, du fait de son origine, était conservée avec les sta- tuettes du site Paléolithique supérieur de Dolni Vestonice (Moravie). Cette figurine, dénommée Vénus III, est étonnante en raison de son visage, tourné à droite, et de sa stature. La première question soulevée était de savoir si cette figurine était effectivement un original et, le cas éché- ant, si celle-ci pouvait être attribuée au paléolithique supérieur. L’une des démarches a consisté à analyser les nombreuses autres figurines assurément attribuées à cette période, ceci afin de voir si la Vénus III se ran- geait effectivement dans les canons stylistiques de ladite époque. L’emploi d’un infraspectomètre n’a malheureusement pas permis de déterminer la matière première utili- sée pour la confection de la Vénus III, ceci en raison de trop nombreuses pollutions. Toutefois, la fragilité du matériau ainsi que les stigmates observés laissent fortement supposer l’emploi de l’ivoire de mammouth comme matériau de sculpture, matière première par ailleurs retrouvée dans le site de Dolni Vestonice. La Vénus III présentait encore les traces résiduelles d’un sédiment dont l’analyse minéralogique a ainsi pu être conduite. Il s’agit d'un mélange ferrugineux, cristallin, dont la composition est similaire à celle obser- vée dans le site de Dolni Vestonice. L’étude d’un large corpus de Vénus a permis d’établir de nombreuses analogies entre celles-ci et la Vénus III et, in fine, de rattacher la nouvelle figurine à l’horizon stylistique des statuettes du Paléolithique supéri- eur moyen. Le scan en 3 dimensions de la Vénus III a permis de procéder à un certain nombre de mesures. L’analyse métrique révèle ainsi que la nouvelle statuette ne diffère en rien, dans ses proportions et dimensions, de celles observées pour les autres figurines. L’examen de surface de la Vénus III tend à démontrer que les entailles et traces observées sont très proba- blement intentionnelles. L’état de conservation de la pièce ne permet malheureusement pas d’envisager une datation 14C. Il demeure délicat aujourd’hui d’apprécier à sa juste valeur l’importance et la signification de la Vénus III. Si plusieurs interprétations peuvent être envisagées, deux d’entre elles nous semblent toutefois devoir être pri- vilégiées: cette figurine pourrait ainsi représenter une jeune femme de petite poitrine; légèrement voûtée, au cours de sa grossesse, probablement au cours du 4ème ou 5ème mois. Alternativement, il pourrait s’agir de la représentation d’une vieille femme au corps fatigué. Le contexte de trouvaille de la découverte inva- lide l’hypothèse d’une contrefaçon; la Vénus III provient donc, et selon toute vraisemblance, du site de Dolni Vestonice. Sur la base des données présentées dans ce travail, la Vénus III apparait d’être un original.

42 S. Wolf · Eine neue Venusstatuette vom jungpaläolithischen Fundplatz Dolni Vestonice