Öffentliche Fahrradverleihsysteme im Vergleich – Analyse, Bewertung und Entwicklungsperspektiven
Diplomarbeit
Wigand von Sassen
Universität Trier
Fachbereich VI – Angewandte Geographie
Abteilung Raumentwicklung und Landesplanung
Öffentliche Fahrradverleihsysteme im Vergleich – Analyse, Bewertung und Entwicklungsperspektiven
Eingereicht im Januar 2009 von
Wigand von Sassen
Maximinstr. 17
54292 Trier
Matrikelnummer: 680199
Email: [email protected]
Betreuer:
Prof. Dr. Heiner Monheim (Erstgutachter): Lehrstuhl für Angewandte Geographie / Raumentwicklung und Landesplanung, Universität Trier
Prof. Dr. Andreas Kagermeier (Zweitgutachter): Lehrstuhl für Angewandte Geographie / Freizeit- und Tourismusgeographie, Universität Trier
„Wir können kein städtisches Transportsystem gestalten, ohne zu wissen, in was für einer Stadt wir leben wollen!“
(Enrique Peñalosa, Bürgermeister von Bogotá 1998 - 2001)
I Vorwort
Vorwort
Als Mitarbeiter der Kampagne Radlust (www.radlust.info) und schon immer begeisterter Fahrradfahrer war mir klar, dass ich gerne eine Arbeit zum Thema Fahrradverkehr schreiben möchte. Dabei wollte ich mich mit einem anwendungsbezogenen und innovativen Thema beschäftigen. Auf der internationalen Fahrradkonferenz Velo-city , die im September 2007 in München stattfand, hörte ich zum ersten Mal von den Plänen, in Paris ein öffentliches und vollautomatisches Verleihsystem für Fahrräder zu installieren. Die Idee faszinierte mich und ich fragte mich, ob das Konzept von Erfolg gekrönt sein würde, denn bis dahin hatte ich nur von mäßig erfolgreichen oder gescheiterten Fahrradverleihsystemen gehört. Als Student der Universität Trier hatte ich selber Erfahrungen mit dem universitären System „ Trierad “ gemacht, dessen Qualität mich aber nie vollkommen überzeugt hatte und das im dritten Jahr meines Studiums wegen verschiedener ungelöster Probleme eingestellt worden war.
Als bereits wenige Wochen nach dem Start des Systems „ Vélib’“ in Paris die ersten Erfolgsmeldungen im Internet und in den Zeitungen zu lesen waren und ich staunte, wie über das Thema Fahrradverkehr im Zusammenhang mit Vélib’ in allen Medien plötzlich positiv, geradezu begeistert berichtet wurde, entschloss ich mich, meine Diplomarbeit über öffentliche Fahrradverleihsysteme zu schreiben.
Dass ich mich mit den Themen der Verkehrsplanung und insbesondere der Fahrradförderung in meinem Studium überhaupt so intensiv befasst habe, habe ich vor allem Prof. Dr. Heiner Monheim zu verdanken. Als Student der Angewandten Umweltwissenschaften (AUW) hörte ich seine hochinteressanten und lebhaften Vorlesungen in den ersten Semestern an der Universität Trier zunächst nur im Rahmen meines Begleitstudiums. Nach den erfolgreich abgelegten Vordiplomsprüfungen in AUW entschloss ich mich dann aber „umzusatteln“ und im Schwerpunkt „Raumentwicklung und Landesplanung“ weiter zu studieren. Besonders bedanken möchte ich mich bei Prof. Monheim für die hervorragende Betreuung und Unterstützung während der Arbeit und für die zahlreichen Gespräche zum Thema, dank derer ich viele wichtige Anregungen erhielt und die mich in meiner Begeisterung für das Thema immer wieder bestärkt haben.
Weiterhin gilt mein Dank auch allen meinen Freunden, mit denen ich nicht nur während meiner Diplomarbeit eine unvergessliche Zeit hatte. Besonderer Dank gebührt dabei meiner Freundin Stella und meinen Eltern, die mir bei der Schlussredaktion der Arbeit unermüdlich geholfen haben. Besonders herzlich danke ich meiner ganzen Familie, die mich während des gesamten Studiums in jeder Hinsicht unterstützt hat, vor allem meinen Eltern, die mir das Studium überhaupt erst ermöglicht haben.
II Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Vorwort...... II
Inhaltsverzeichnis...... III
Abbildungsverzeichnis...... VII
Tabellenverzeichnis ...... VIII
Abkürzungsverzeichnis...... X
1. Einleitung ...... 1
1.1. Problemstellung und thematische Einführung...... 1
1.2. Zielsetzung der Arbeit ...... 2
1.3. Aufbau der Arbeit...... 3
2. Fahrradverkehr in Deutschland...... 8
2.1. Entwicklung des Fahrradverkehrs zwischen 1920 und 2002...... 8
2.2. Fahrradverkehr heute – die wichtigsten Daten und Fakten ...... 13
2.3. Aktuelle Fahrradpolitik und Förderung des Fahrradverkehrs in Deutschland ...... 15
2.4. Die Stärken und Chancen des Fahrrads als Verkehrsmittel...... 20
2.5. Fahrradverkehr als System...... 25
3. Fahrradverleihsysteme - Definition, Eigenschaften und Potentiale ...... 30
3.1. Definition – was ist ein Fahrradverleihsystem?...... 30
3.2. Charakteristika von Fahrradverleihsystemen...... 31
3.2.1. Die wichtigsten Merkmale ...... 31
3.2.2. Verwendungszwecke und Zielgruppen ...... 33
3.2.3. Chancen von FVS...... 35
3.2.4. Schwierigkeiten und Herausforderungen...... 37
3.2.5. Kosten und Finanzierungsmöglichkeiten ...... 39
4. Historische Entwicklung – von Amsterdam bis Paris ...... 49
4.1. Fahrradverleihsysteme der ersten Generation ...... 49
4.2. Fahrradverleihsysteme der zweiten Generation...... 51
4.3. Fahrradverleihsysteme der dritten Generation ...... 55
III Inhaltsverzeichnis
5. Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich...... 57
5.1. Clear Channel Outdoor - die Erfinder der „ SmartBikes “ ...... 57
5.1.1. Clear Channel Outdoor – Pionier der „Dritten Generation“ ...... 57
5.1.2. Die Organisationsstruktur...... 59
5.1.3. Der Ausleihmechanismus...... 60
5.1.4. Die Fahrräder – Technik, Funktionen, Wartung und Service...... 61
5.1.5. Nutzungsgebühren, Kosten und Finanzierung ...... 63
5.1.6. Marktentwicklung, Nutzerzahlen und Zukunftsaussichten ...... 64
5.1.7. Rennes – Velo a la carte ...... 64
5.1.8. Bicing in Barcelona ...... 66
5.1.9. „Smart Bike DC “ in der Hauptstadt Washington DC ...... 70
5.1.10. Bewertung – die Stärken und Schwächen des SmartBike -Systems...... 72
5.2. Call a Bike – die Hightech-Fahrräder der Deutschen Bahn...... 74
5.2.1. Einführung – von München bis Hamburg...... 74
5.2.2. Die Organisationsstruktur...... 77
5.2.3. Der Ausleihmechanismus...... 79
5.2.4. Die Fahrräder – Technik, Funktionen, Wartung und Service...... 81
5.2.5. Nutzungsgebühren, Kosten und Finanzierung ...... 83
5.2.6. Marktentwicklung, Kundengruppen und Entwicklungsperspektiven...... 86
5.2.7. Kooperation mit Ströer DSM – exklusiver Vertriebspartner von CaB ...... 92
5.2.8. Bewertung: Stärken und Schwächen des Systems Call a Bike ...... 93
5.3. Citybike Wien ...... 99
5.3.1. Einführung ...... 99
5.3.2. Organisationsstruktur...... 101
5.3.3. Der Ausleihmechanismus...... 104
5.3.4. Die Fahrräder ...... 105
5.3.5. Kosten und Finanzierung ...... 106
5.3.6. Marktentwicklung, Nutzerzahlen und Zukunftsaussichten ...... 108
5.4. Cyclocity® - das Erfolgsmodell der Firma JCDecaux ...... 117
IV Inhaltsverzeichnis
5.4.1. Einführung - eine französische Werbefirma entdeckt das Fahrrad ...... 117
5.4.2. Die Organisationsstruktur...... 119
5.4.3. Der Ausleihmechanismus...... 120
5.4.4. Die Fahrräder – Technik, Funktionen, Wartung und Service...... 121
5.4.5. Nutzungsgebühren, Kosten und Finanzierung ...... 123
5.4.6. Marktentwicklung, Nutzerzahlen und Zukunftsaussichten ...... 124
5.4.7. Vélo’v in Lyon ...... 124
5.4.8. Bewertung Vélo’v ...... 125
5.4.9. Vélib’ in Paris – mit dem Fahrrad in 1 h 24 min. einmal um die Welt...... 126
5.4.10. Bewertung...... 131
5.4.11. Abschlussbewertung – Stärken und Schwächen des Systems Cyclocity® ..135
5.5. nextbike aus Leipzig...... 137
5.5.1. Einführung - von Leipzig bis Auckland...... 137
5.5.2. Organisationsstruktur...... 138
5.5.3. Ausleihmechanismus...... 140
5.5.4. Die Fahrräder – Technik, Funktionen, Wartung und Service...... 141
5.5.5. Nutzungsgebühren, Kosten und Finanzierung ...... 142
5.5.6. Marktentwicklung, Nutzergruppen und weitere Pläne ...... 145
5.5.7. Beispielstädte - Düsseldorf und Offenbach ...... 145
5.5.8. Bewertung - die Stärken und Schwächen des Systems nextbike ...... 148
5.6. Weitere Fahrradverleihangebote ...... 151
5.6.1. Das Modell OV-fiets...... 151
5.6.2. Das System bikey ®...... 153
6. Hamburg, Berlin, Stuttgart – drei Fallbeispiele aus Deutschland...... 156
6.1. Hamburg steigt auf ...... 156
6.2. Berlin – ein Modellprojekt mit Zukunft? ...... 163
6.3. Stuttgart - von der „Auto-Hauptstadt“ zur „Hochburg der Pedelecs“ ? ...... 165
7. Wichtige Voraussetzungen für den Erfolg – die Erfolgsfaktoren...... 170
7.1. Fahrradfreundlichkeit, politische Unterstützung und Fahrradbesitzquote ...... 170
V Inhaltsverzeichnis
7.2. Vorbereitungsaufwand und Platz im öffentlichen Raum...... 171
7.3. Mindestgröße und Angebotsdichte des FVS ...... 172
7.4. Zielgruppenspezifische Ausrichtung...... 173
7.5. Einbindung relevanter Akteure vor Ort ...... 174
7.6. Distributionsaufwand berücksichtigen ...... 174
7.7. Realistische Kosteneinschätzung ...... 175
7.8. Stadtmindestgröße...... 175
7.9. Stationsgebunden oder stationsunabhängig? ...... 176
7.10. Integrierter Ansatz zur Stärkung des Umweltverbundes ...... 177
7.11. Starttermin...... 177
7.12. Die obligatorische Identifizierung der Nutzer ...... 178
7.13. Qualität des Angebots – High-Tech statt Low-Budget ...... 178
7.14. Nutzungsgebühren und Tarifstruktur - kurze kostenlose Nutzungszeit...... 179
7.15. Je einfacher, desto besser ...... 180
7.16. Kommunikation und Werbung...... 180
7.17. Topographie und Klima...... 181
7.18. Verkehrserziehung ...... 181
7.19. Monitoring ...... 182
8. Resümee...... 183
8.1. Zusammenfassung der Ergebnisse und weitere Entwicklungsperspektiven ...... 183
8.2. Wissenschaftlicher Beitrag der Arbeit und weiterer Forschungsbedarf...... 185
8.3. Schlussfazit...... 187
Literaturverzeichnis...... 188
Anhang...... i
Erklärung zur Diplomarbeit...... vii
VI Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: „Berufsverkehr“ im Ruhrgebiet in den 1950er Jahren ...... 9
Abb. 2: Entwicklung des Modal Split in den Jahren 1976 – 2002³ ...... 10
Abb. 3: Wegezwecke im Vergleich...... 15
Abb. 4: Die vier Säulen der Fahrradförderung ...... 26
Abb. 5: Vergrößerung des Einzugsbereichs einer Haltestelle durch Bike&Ride ...... 44
Abb. 6: Das Kopenhagener City-Bike ...... 52
Abb. 7: SmartBike Stationen in Rennes und in Barcelona ...... 58
Abb. 8: SmartBikes in einer Docking-Station...... 61
Abb. 9: Das erste SmartBike aus Rennes, das aktuelle Modell aus Barcelona ...... 61
Abb. 10: Ein Service-Fahrzeug des Systems Bicing in Barcelona ...... 63
Abb. 11: Dauer und Häufigkeiten der Ausleihen ...... 65
Abb. 12: Das Stationsnetz von Bicing ...... 67
Abb. 13: Entwicklung der Anzahl der Benutzer („usuaris“) und Stationen („estacions“)...... 69
Abb. 14: Die Stationen an den Hauptbahnhöfen in Hamburg und Bonn ...... 76
Abb. 15: Die CaB -Kerngebiete in Berlin und München ...... 78
Abb. 16: Stationsplan des CaB-fix -Systems in Stuttgart und Station am Hbf...... 79
Abb. 17: Elektronisches Schloss, Bedienungsanleitung und Display am CallBike ...... 80
Abb. 18: Ein CallBike der zweiten Generation ...... 82
Abb. 19: Übersicht der CaB -Tarife ...... 83
Abb. 20: Entwicklung der Fahrten in den Jahren 2001 – 2004...... 87
Abb. 21: CaB -Fahrten pro Kunde ...... 89
Abb. 22: Fahrten mit CaB nach Tageszeit und im Wochenverlauf...... 90
Abb. 23: Stationsplan CBW ...... 100
Abb. 24: Service-Terminal einer CBW -Station ...... 102
Abb. 25: Die Servicefahrzeuge der CBW -Techniker ...... 103
Abb. 26: Anzahl der Fahrten in den Saisons 2006 und 2007 im Vergleich ...... 110
Abb. 27: Durchschnittliche Nutzung pro Tag in Stunden Saison 2006 und 2007 ...... 111
VII Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abb. 28: Nutzungshäufigkeiten im Tagesverlauf...... 112
Abb. 29: Entleihdauer der Citybikes ...... 113
Abb. 30: Stationen des Systems Cyclocity® in Lyon und Paris...... 119
Abb. 31: Servicefahrzeuge der Systeme Vélo’v und Vélib’ ...... 122
Abb. 32: typische Probleme ...... 130
Abb. 33: „Champions´ride“ zum ersten Jahrestag von Vélib’ ...... 133
Abb. 34: Verkehrssicherheitskampagne der Stadt Paris...... 134
Abb. 35: nextbike -Station in Offenbach und ein Nextbike der zweiten Generation ...... 139
Abb. 36: Zwei Stationen des FVS OV-fiets ...... 152
Abb. 37: Die OV-fiets der Nederlandse Spoorwegen ...... 152
Abb. 38: Die bikey ®-Boxen am Bahnhof in Grevenbroich ...... 153
Abb. 39: Prototyp einer Pedelec-Verleihstation samt Akku-Automat ...... 167
Abb. 40: Breites Medienecho...... 168
Tabellenverzeichnis
Tab. 1: Befragte Experten ...... 6
Tab. 2: Die FVS im Betrieb von CCO...... 58
Tab. 3: Ausbau des Systems Bicing in Barcelona ...... 66
Tab. 4: Die Standorte von Call a Bike ...... 75
Tab. 5: Die Kerngebiete der CaB-flex -Systeme ...... 77
Tab. 6: Marktentwicklung von CaB in den Jahren 2001 – 2008 ...... 88
Tab. 7: Entwicklung des Systems CBW ...... 100
Tab. 8: Übersicht über die Nutzungsgebühren des Systems CBW ...... 106
Tab. 9: Entwicklung der Nutzungszahlen in den Jahren 2004 – 2008...... 108
Tab. 10: Übersicht der Standorte von Cyclocity® ...... 118
Tab. 11: Vélib’ - Kalender...... 127
Tab. 12: Kostentabelle Vélib’ Kostenverlauf Vélib ’ ...... 128
Tab. 13: Verkaufte Vélib’ -Abonnements ...... 128 VIII Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Tab. 14: Die Standorte von nextbike ...... 138
Tab. 15: Die Preisliste von bikey® ...... 154
Tab. 16: Fahrradverleihsysteme im Vergleich...... iv
Tab. 17: Anbieter und Konzepte im Vergleich...... vi
IX Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
ADFC: Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club e.V.
AGFS: Arbeitsgemeinschaft Fahrradfreundliche Städte, Gemeinden und Kreise in Nordrhein-Westfalen
AOK: Allgemeine Ortskrankenkasse
BMU: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
BMVBS: Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
BMVBW: Bundesministerium für Verkehr, Bau und Wohnungswesen
BSU: Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt der Freien und Hansestadt Hamburg
BVG: Berliner Verkehrsbetriebe
CaB: Call a Bike
CCO: Clear Channel Outdoor
DB: Deutsche Bahn
Difu: Deutsches Institut für Urbanistik
DIW: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung
EU: Europäische Union
FHH: Freie und Hansestadt Hamburg
FVS: Fahrradverleihsystem
GVFG: Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz
HVV: Hamburger Verkehrsverbund
IFMA: Internationale Fahrrad- und Motorradausstellung
JCD: JCDecaux
KONTIV: Kontinuierliche Erhebung zum Verkehrsverhalten
MiD: Mobilität in Deutschland
MIV: Motorisierter Individualverkehr
MWMEV NRW: Ministerium für Wirtschaft und Mittelstand, Energie und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen
MWMTV NRW: Ministerium für Wirtschaft und Mittelstand, Techologie und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen X Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
NMIV: Nichtmotorisierter Individualverkehr
NRVP: Nationaler Radverkehrsplan
NRW: Nordrhein-Westfalen
NS: Nederlandse Spoorwegen
ÖPNV: Öffentlicher Personennahverkehr
ÖV: Öffentlicher Verkehr
PGV: Planungsgemeinschaft Verkehr
PKW: Personenkraftwagen
SPNV: Schienenpersonennahverkehr
StVO: Straßenverkehrsordnung
UBA: Umweltbundesamt
VCD: Verkehrsclub Deutschland
VCÖ: Verkehrsclub Österreich
VRR: Verkehrsverbund Rhein-Ruhr
WZB: Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung
Vorbemerkung:
Für allgemeine Personen- und Berufsbezeichnungen wurden in dieser Arbeit aus Gründen der Lesbarkeit die maskulinen Formen verwendet. Die entsprechenden femininen Formen sind fallweise mitzudenken. Die Leserinnen und Leser werden dafür um Verständnis gebeten.
XI
Einleitung
1. Einleitung 1.1.Problemstellung und thematische Einführung 1.2.Zielsetzung der Arbeit
1.3.Aufbau und Fragestellungen 1.4.Methodik
1 Einleitung
1. Einleitung
1.1. Problemstellung und thematische Einführung
In Zeiten, in denen es „schick“ ist, sich mit tonnenschweren Geländewagen und anderen „PS-starken Spritfressern“ durch die Stadt zu bewegen oder immer häufiger auch im Stau zu stehen, in denen in den „hochentwickelten“ Industriestaaten die Folgen von Übergewichtigkeit und Bewegungsmangel zwei der größten gesellschaftlichen Gesundheitsprobleme darstellen, in denen die Mineralölpreise immer weiter in die Höhe klettern 1 und in denen der anthropogen verursachte Klimawandel nicht mehr von der Hand zu weisen, sondern wissenschaftlich erwiesen ist, erscheint es dringend geboten, sich über effiziente und damit intelligentere Mobilitätsformen Gedanken zu machen. Vor allem in der z.T. sehr kontrovers geführten umwelt- und klimapolitischen Diskussion spielt der Verkehr eine wichtige Rolle. Bis zu einem Viertel aller CO 2-Emissionen werden vom Verkehr produziert, davon entfallen mehr als 90% auf den Straßen- und Luftverkehr (vgl.
UMWELTBUNDESAMT 2008, o.S.)
Dennoch hat insbesondere die deutsche Automobilindustrie den Trend der Zeit vollkommen verschlafen und es verpasst, die längst überfälligen Forschungsarbeiten zur Entwicklung deutlich verbrauchs- und damit emissionsärmerer Antriebstechnologien zu betreiben. Obwohl seit 1998 feststeht, dass die EU im Jahr 2012 neue Grenzwerte für den durchschnittlichen CO 2-Ausstoß von Neuwagen einführen wird (120 Gramm pro km), werden die Autos im Schnitt immer größer, schwerer und „PS-stärker“. Statt sich an die selbst eingegangene Verpflichtung zu halten, bis 2008 einen Ausstoß von 140 Gramm CO 2 pro km zu erreichen, haben die Lobbyisten der Autoindustrie den Druck auf die Politik so weit erhöht, dass die ursprünglichen Ziele und Grenzwerte nun erst drei Jahre später verbindlich gelten sollen und zahlreiche Ausnahmeregelungen eingeführt werden.
Trotz gelobter Versprechungen und regelmäßig wiederholter gewissenhafter Lippenbekenntnisse für mehr Klimaschutz fällt der Bundesregierung im Herbst 2008 keine bessere Maßnahme ein, als die Bürger durch steuerliche Vergünstigungen zum Kauf „umweltfreundlicher“ Neuwagen zu animieren, um der enormen Absatzschwäche der Automobilindustrie in Zeiten der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise entgegenzuwirken. Die Einführung der sog. „Verschrottungsprämie“ zielt in die gleiche Richtung – mit dem eingeplanten Geld könnte man im Fahrradverkehr sehr viel sinnvollere Maßnahmen umsetzen. Dass es zahlreiche und sehr viel förderwürdigere Alternativen zum PKW gibt,
1 Dieser stetige Aufwärtstrend der letzten Jahre ist mit Beginn der Wirtschafts- und Finanzkrise in 2008 zwar unterbrochen worden, wird sich auf lange Sicht jedoch weiter fortsetzen.
1 Einleitung kommt den Entscheidungsträgern aber nicht in den Sinn oder es fehlt der Wille, sich mit der mächtigen Autoindustrie „anzulegen“. Forderungen nach einem Ausbau und einer Attraktivitätssteigerung der umweltfreundlichen Verkehrsalternativen und ein entsprechend geförderter Umstieg auf diese werden kaum beachtet.
Ein in der Tat sehr gut geeignetes, umweltfreundliches und vor allem ökonomisches städtisches Verkehrsmittel stellt das Fahrrad dar, alleine das Bewusstsein darüber fehlt häufig oder es bestehen viele Vorbehalte gegen eine regelmäßige Nutzung im Alltag. Entscheidende Gegenargumente stellen die oft mangelhafte Servicestruktur und das unterentwickelte Dienstleistungsangebot dar. Um bei einem einerseits recht hohen durchschnittlichen Fahrradbesitz in Deutschland von etwa 80% und einer andererseits sehr geringen Fahrradnutzung von im Bundesdurchschnitt gerade einmal 9% (Anteil am Modal Split in 2002) letzteren Wert deutlich zu erhöhen, bedarf es einer Attraktivitätssteigerung des Verkehrsmittels Fahrrad in vielen Bereichen (vgl. BUNDESREGIERUNG 2007, S.3 ff.). Hier herrschen teilweise noch gravierende Defizite im Vergleich zum motorisierten Individualverkehr (MIV) vor. In modernen Gesellschaften, deren Bürger immer mehr Wert auf Komfort und Selbstverwirklichung legen, wird die Wahl der Verkehrsmittel in den meisten Fällen nicht rein rational getroffen. Durch eine deutliche Attraktivitätssteigerung der Rahmenbedingungen für den Fahrradverkehr und eine entsprechend positive Information und Kommunikation kann erreicht werden, dass das Fahrrad als ernsthafte Mobilitätsalternative zum Auto in der Stadt wahr- und angenommen wird. Durch objektiv positive Erfahrungen mit dem Fahrrad als ideales alltägliches Verkehrsmittel können die subjektiv positiven Einschätzungen der KFZ-Mobilität relativiert werden.
Im Sinne des Serviceangebots, der Verfügbarkeit, des Kosten-Nutzen-Verhältnisses, der Bequemlichkeit, der Verlässlichkeit und v.a. der Flexibilität können öffentliche Fahrradverleihsysteme (FVS) einen wichtigen Beitrag zur Attraktivitätssteigerung des Verkehrsmittels Fahrrad leisten. Sensationelle Erfolgsbeispiele wie das System „ Vélib’“ in Paris zeigen, was möglich ist, wenn Planer und politische Entscheidungsträger sich trauen, auch große Projekte zu realisieren und sich nicht nur mit kleinen Alibi-Aktivitäten begnügen. Vor allem durch den Paukenschlag in Paris ist ein Stein ins Rollen gekommen, dessen Schwung bereits für zahlreiche Folgeaktivitäten und positive Berichterstattung zu dem Thema „öffentliche Leihfahrräder“ gesorgt hat.
1.2. Zielsetzung der Arbeit
Ziel dieser Arbeit ist es nicht, sämtliche Fahrradverleihsysteme und -formen, die existieren oder einmal existiert haben, zu beschreiben, sondern zunächst einen kurzen Überblick über die zurückliegenden Entwicklungen zu geben und anschließend vor allem die größten und
2 Einleitung erfolgreichsten der derzeit implementierten FVS detailliert zu analysieren, zu bewerten und zu vergleichen. Der Fokus liegt dabei auf vollautomatischen Verleihsystemen, die für den innerstädtischen Kurzstreckeneinsatz gedacht und optimiert sind, und nicht auf den Angeboten der „traditionellen“ Fahrradvermietung, die vor allem touristische und freizeitorientierte Nutzer ansprechen.
Der Ansatz ist zweifacher Art, grundlagentheoretisch und angewandt-praxisorientiert. Neben der theoretischen Erarbeitung und Darstellung der Eigenschaften und Potentiale von FVS sollen vor allem auch die praktischen Umsetzungsbeispiele der letzten Monate und Jahre genau beschrieben werden. Die detaillierten Analysen und Bewertungen der verschiedenen Konzepte und implementierten Systeme bilden den Schwerpunkt dieser Arbeit. Auf Grundlage dieser Untersuchungen soll anschließend eine anwendungsorientierte Handlungsempfehlung abgeleitet werden, die erläutert, welcher grundlegenden Voraussetzungen und Kenntnisse es bedarf, um ein FVS erfolgreich zu betreiben und welche Systemkomponenten und Konzepte für welche Einsatzzwecke besonders geeignet erscheinen.
Diese Arbeit soll interessierten Lesern somit eine Grundlage liefern, sich über die aktuellen Entwicklungen und Angebote zu informieren. Städte und Kommunen, die an der Einführung eines FVS interessiert sind, sollen diese Arbeit als aktuelle, solide Informationsgrundlage und Entscheidungshilfe nutzen können. Aber auch Verkehrsplaner, potentielle Nutzer oder andere interessierte Leser haben die Möglichkeit, sich mit Hilfe dieser Arbeit über einzelne Systeme sowie die allgemeinen Vorteile und Chancen von FVS zu informieren.
1.3. Aufbau der Arbeit
Die vorliegende Arbeit ist in drei Teile gegliedert. Im ersten Teil sollen zunächst die empirischen Grundlagen zum Fahrradverkehr in Deutschland vorgestellt werden (Kapitel 2). Es wird herausgearbeitet, welchen gesellschaftlichen und verkehrspolitischen Stellenwert das Fahrrad im Verlauf der letzten etwa 90 Jahre besaß, welche Entwicklungen und Ansätze es in der Fahrradförderung gibt und welche Stärken und Potentiale es als ideales städtisches Verkehrsmittel auszeichnen. Was genau in dieser Arbeit unter einem FVS verstanden wird, was es von „klassischen" Formen des Fahrradverleihs unterscheidet und welche Chancen aber auch Schwierigkeiten die Implementierung eines solchen Systems in Städten mit sich bringt, wird im dritten Kapitel beleuchtet.
Den Schwerpunkt dieser Arbeit bildet Teil II. Zunächst wird die historische Entwicklung der öffentlichen FVS beschrieben und die grundlegenden Ansätze sowie einzelne Konzepte der sog. „ersten, zweiten und dritten Generation“ vorgestellt (Kapitel 4). Im anschließenden
3 Einleitung fünften Kapitel werden die verschiedenen, aktuell entwickelten Modelle der dritten Generation sowie jeweilige Umsetzungsbeispiele ausführlich dargestellt. Durch die detaillierte Analyse ist es möglich, die Stärken und Schwächen der verschiedenen Systeme zu benennen und diese zu bewerten sowie die unterschiedlichen Angebote miteinander zu vergleichen. Außerdem werden drei Konzepte vorgestellt, deren Umsetzung in Deutschland geplant war bzw. ist (Kapitel 6).
Auf Grundlage der Analyse der einzelnen Modelle und der Auswertung der verschiedenen Experteninterviews wird im dritten Teil der Arbeit ein Katalog von Erfolgskriterien entwickelt (Kapitel 7). Diese Zusammenstellung wichtiger Voraussetzungen und Merkmale eines erfolgreichen FVS dient als praxisbezogener Orientierungsrahmen, der bei der konkreten Planung und Implementierung neuer Systeme als Grundlage herangezogen werden kann. Im abschließenden achten Kapitel werden die wichtigsten Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst. Außerdem werden mögliche Entwicklungsperspektiven öffentlicher FVS aufgezeigt, sowie der wissenschaftliche Beitrag der Arbeit und der weitere Forschungsbedarf beschrieben, bevor ein abschließendes Fazit gezogen wird.
1.4. Methodik
Aufgrund der Aktualität des Themas und der zahlreichen Entwicklungen und Aktivitäten im Bereich öffentlicher FVS in den letzten Jahren, ist es einerseits leider nicht möglich, alle Details der verschiedenen Systeme zu berücksichtigen und zu beschreiben. Andererseits war es besonders schwierig, aktuelle wissenschaftliche Literatur oder Beiträge zum Thema FVS zu finden. Denn die wenige vorhandene Literatur beschäftigt sich vornehmlich mit den zurückliegenden Entwicklungen und älteren, oftmals gescheiterten Systemen, während viele der aktuellen Konzepte der sog. dritten Generation Gegenstand derzeitiger Forschungsarbeit sind, deren Ergebnisse aber zum Großteil noch nicht vorliegen. Hier sei beispielsweise das europäische Forschungsprojekt OBIS genannt, das eine vergleichende Untersuchung von Leihfahrradsystemen in verschiedenen europäischen Ländern durchführt (vgl. Kap. 8.2). Da Ergebnisse oder Zwischenberichte der OBIS-Studie aber während der Bearbeitungszeit dieser Diplomarbeit noch nicht vorlagen, stellen Internetrecherchen, Pressemitteilungen, die Experteninterviews sowie Informationen und direkte Auskünfte der Anbieter von FVS die wichtigsten Informationsquellen dar. Die Befragung zahlreicher Experten aus dem Bereich „Fahrradverkehrsförderung und –planung“ soll vor allem einige der aufgestellten Thesen und Bewertungen des Autors stützen, ergänzen oder hinterfragen (vgl. Erfolgskriterien-Katalog Kap. 7) sowie das breitgestreute Meinungsbild der „Fachszene“ einfangen.
4 Einleitung
Insgesamt wurden 20 qualitative, leitfadengestützte Interviews mit Experten aus verschiedenen thematischen Bereichen geführt. Dabei konnte der Autor teilweise auch auf die bereits im Rahmen seiner Mitarbeit im Radlust-Projekt entstandenen Kontakte zurückgreifen. Weiterhin stellten der Besuch der IFMA 2008 in Köln sowie die Teilnahme an verschiedenen Tagungen und Konferenzen zum Thema „Fahrradverkehr“ wichtige Kontaktplattformen dar. Weitere Fachleute und Wissenschaftler wurden auf Grundlage von Recherchen im Rahmen der Arbeit gezielt angeschrieben, um einen angemessenen und sinnvollen Querschnitt der befragten Experten aus verschiedenen relevanten Bereichen zu erhalten. Da die Befragten entsprechend über sehr unterschiedliche berufliche Hintergründe verfügen, sind die Aussagen der Interviews nicht alle direkt miteinander vergleichbar. Die Qualität der Angaben unterscheidet sich alleine schon deshalb, weil insgesamt „nur“ neun der Befragten sich selber als ausgewiesene Experten im Bezug auf das Thema „FVS“ bezeichnen oder als solche zu bezeichnen sind. Acht der 20 Interviewten kannten die aktuellen Entwicklungen gut und hatten sich bereits häufiger mit dem Thema befasst, ohne jedoch über detaillierte Kenntnisse zu verfügen.
Es wurden politisch-administrative Entscheidungsträger (von Bund, Ländern und Kommunen), Wissenschaftler (Verkehrs- und Sozialwissenschaft), sowie Vertreter von Verkehrsverbänden, der Fahrradwirtschaft und aus dem Bereich der Fahrradverkehrsplanung/-beratung befragt (vgl. Tab. 1). Im Anhang findet sich eine Zusammenstellung der in den verschiedenen Interview-Leitfäden formulierten Fragen. Dieser Katalog an Grundfragen wurde je nach Berufs- und Erfahrungshintergrund der jeweiligen Experten ggf. um spezifische Fragen und Kommentare erweitert oder gekürzt.
Die Betreiberfirmen aller in dieser Arbeit analysierten FVS wurden im Rahmen der Recherchen ebenfalls kontaktiert und Mitarbeiter einiger Anbieter befragt. Entsprechend basieren viele Daten und Angaben zu den einzelnen Systemen direkt von den Betreibern und damit aus erster Hand. Allerdings variierte die Bereitschaft zur Informationsweitergabe erheblich. Während vor allem die Projektleiter des Systems „ Citybike Wien “ alle sich ergebenden Fragen bereitwillig und gerne beantworteten, war es bei anderen Betreibern leider sehr schwierig bis unmöglich, detailliertes Datenmaterial zu Nutzungszahlen und Marktentwicklungen aus erster Hand zu bekommen. Dies erschwerte das Zusammentragen verlässlicher Informationen z.T. sehr und ist der Grund dafür, dass an einigen Stellen leider keine Angaben zu Nutzerzahlen und anderen wichtigen Kenngrößen vorgelegt und ausgewertet werden können. Um ein besseres Verständnis für die analysierten FVS zu erlangen, wurden die Systeme Call a Bike , Citybike Wien und Cyclocity® (in Paris und Luxemburg) vor Ort persönlich untersucht und ausprobiert.
5 Einleitung
Tab. 1: Befragte Experten
Name Institution Funktion Datum
Dankmar Alrutz Planungsgemeinschaft Verkehr Geschäftsführer 20.11.2008 GbR (PGV) Olaf Böhme Behörde für Stadtentwicklung Amt für Verkehr und 22.08.2008 und Umwelt der Freien und Straßenwesen, Bereich Hansestadt Hamburg (BSU) „Nichtmotorisierter Verkehr“ Sebastian Bührmann Rupprecht Consult, Forschung Koordinator Verkehrsprojekte 24.10.2008 und Beratung GmbH und nachhaltige Entwicklung Gunnar Fehlau Pressedienst-fahrrad (pdf) Geschäftsführer 19.09.2008 Horst Hahn-Klöckner Allgemeiner Deutscher Bundesgeschäftsführer 21.09.2008 Fahrradclub (ADFC) Winfried Hermann MdB (Bündnis 90/Die Grünen) verkehrspolitischer Sprecher der 05.11.2008 Fraktion GRÜNE Burkhard Horn Senatsverwaltung für Leiter des Referats VII A: 18.12.2008 Stadtentwicklung Berlin "Grundsatzangelegenheiten der Verkehrspolitik, Verkehrsentwicklungsplanung" Ralf Kalupner Nextbike Geschäftsführer 19.12.2008 Ralf Kaulen Stadt- und Verkehrs- Geschäftsführer 20.11.2008 planungsbüro Kaulen (SVK) Prof. Dr. Andreas Technische Universität Berlin, Professor (TU Berlin), Leiter 07.11.2008 Knie Wissenschaftszentrum Berlin Projektgruppe Mobilität (WZB), für Sozialforschung (WZB) und Bereichsleiter Intermodale DB Rent GmbH Angebote (DB Rent GmbH) Arne Koerdt Deutsches Institut für Leiter der Fahrradakademie 26.11.2008 Urbanistik (difu) Ursula Lehner-Lierz velo:consult Geschäftsführerin 18.11.2008 Stefan Limmbrunner KTM Bike Industries Leiter Marketing 19.09.2008 Peter London Ministerium für Bauen und Oberamtsrat, Zuständigkeit 19.09.2008 Verkehr des Landes NRW Fahrradverkehr Rüdiger Lorenz HERCULES Fahrrad GmbH Vertriebsleiter 20.09.2008 Dagmar Maier Bundesministerium für Stellvertretende Leiterin Referat 20.09.2008 Verkehr, Bauen und Stadtentwicklung und Verkehr, Stadtentwicklung Radverkehr Dieter Matuschek Gewista - Urban Media Geschäftsführer ( Citybike Wien ) 19.12.2008 Prof. Dr. Heiner Universität Trier Lehrstuhl für Raumentwicklung 18.11.2008 Monheim und Landesplanung Juliane Neuss Allgemeiner Deutscher Leiterin des Fachausschuss 21.09.2008 Fahrradclub (ADFC) Technik Maik Scharnweber Büro für Mobilität und Geschäftsführer 28.11.2008 Moderation
Quelle: eigene Darstellung
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TEIL I: Grundlagen
2. Fahrradverkehr in Deutschland
2.1.Entwicklung des Fahrradverkehrs zwischen 1920 und 2002 2.2.Fahrradverkehr heute – die wichtigsten Daten und Fakten 2.3.Aktuelle Fahrradpolitik und Förderung des Fahrradverkehrs in Deutschland 2.4.Die Stärken und Chancen des Fahrrads als Verkehrsmittel 2.5.Fahrradverkehr als System 3. Fahrradverleihsysteme – Definiton, Eigenschaften, Potentiale 3.1.Definiton – Was ist ein Fahrradverleihsystem? 3.2.Charakteristika von Fahrradverleihsystemen
7 Fahrradverkehr in Deutschland
2. Fahrradverkehr in Deutschland
Um die Analyse und Bewertung öffentlicher FVS in den fahrradverkehrspolitischen Gesamtzusammenhang einordnen und die Potentiale solcher Systeme besser bewerten zu können, sollen in diesem Kapitel zunächst die wichtigsten Eckdaten der Radverkehrsnutzung und -entwicklung aufgezeigt werden und die zentralen, für den Fahrradverkehr relevanten politischen Rahmenbedingungen erläutert werden. Weiterhin werden Möglichkeiten und Ansätze der Fahrradförderung und die allgemeinen Stärken des Fahrrades als Verkehrsmittel beschrieben.
2.1. Entwicklung des Fahrradverkehrs zwischen 1920 und 2002
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts hat sich die Zusammensetzung des Modal Split (Aufteilung des Verkehrs auf die unterschiedlichen Verkehrsmittel) in Deutschland deutlich verändert. Während das Fahrrad in den 1920er und 30er Jahren mit Verkehrsanteilen von 20 – 30% in Großstädten und von 40 - 45% in Klein- und Mittelstädten das Stadtbild noch maßgeblich prägte und der Autoverkehr nur geringe Ausmaße erreichte, hat sich die Situation zu Beginn des 21. Jahrhunderts grundlegend gewandelt (vgl. AGFS o.J., S.8). Obwohl es damals keinerlei Radverkehrsförderung im heutigen Sinne gab, die vielerorts als „fahrradfeindlich“ angeführte Topographie in Deutschland die gleiche war wie heute und auch das Wetter sich kaum verändert hat, gehörte die Nutzung des Fahrrades vor allem im städtischen Alltag für die meisten Menschen zur Selbstverständlichkeit. Es scheint also weniger ein mangelndes Können als viel mehr ein „Nicht-Wollen“ dafür verantwortlich zu sein, dass der Anteil am Modal Split im Bundesdurchschnitt auf magere 9% abgesunken ist (vgl. Abb.2).
Ab Mitte der 1930er Jahre wuchs die Anzahl von Autos spürbar an, so dass diese mit dem Fahrrad aber auch mit den Fußgängern zunehmend um Platz im Straßenraum konkurrierten und als Folge dessen der Ruf nach Trennung von Fahrrad- und Autoverkehr lauter wurde. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland wurde erstmals eine stark auf die Förderung des Automobils ausgerichtete Verkehrspolitik und –planung durchgeführt, die für den umfassenden Ausbau der automobilen Infrastruktur verantwortlich war und in kurzer Zeit zu einer Verdreifachung des PKW-Bestandes führte (vgl. MONHEIM / MONHEIM -
DANDORFER 1990, S.55). Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges stellte einerseits das kostengünstige und anspruchslose Fahrrad in den ersten Nachkriegsjahren für viele Menschen neben Bussen und Bahnen das wichtigste Verkehrsmittel dar (vgl. Abb. 1). Andererseits bot sich aus Sicht der sog. Modernisten vor allem in den zertrümmerten Städten die einmalige Chance, bei den Wiederaufbauplänen die Belange des Autoverkehrs
8 Fahrradverkehr in Deutschland besonders stark zu berücksichtigen und anstelle der historischen Stadtgrundrisse sehr viel größer angelegte Straßennetze zu verwirklichen (ebd. S. 56).
Abb. 1: „Berufsverkehr“ im Ruhrgebiet in den 1950er Jahren
Quelle: Stadtarchiv Duisburg
Mit der Zeit des Wirtschaftswunders in Deutschland ab 1955 begann schließlich auch das Zeitalter der Massenmotorisierung , denn es konnten sich mehr und mehr Bürger ein eigenes Auto leisten. Das Auto wurde zum Inbegriff für Wohlstand und Freiheit und zum Ausdrucksobjekt eines modernen Lebensgefühls. Somit nahm die Konkurrenz um Flächen im öffentlichen Raum weiter zu, wobei dem prestigeträchtigen Autoverkehr und seinem Geschwindigkeitsanspruch mehr und mehr Platz eingeräumt wurde, während das Fahrrad im Straßenbild immer seltener auftauchte. Die bundesweiten Durchschnittswerte des Radverkehrsanteils fielen infolgedessen stark zurück und erreichten schließlich nur noch
Größenordnungen von unter 10% (vgl. BRÖG 1985, S. 28). In den 60er und 70er Jahren betrieben die meisten Städte eine autoorientierte Stadt- und Verkehrsplanung („ autogerechte Stadt “2), so dass der Ausbau von Fahrradwegen stagnierte und viele
2 Der Begriff „autogerechte Stadt“ leitet sich vom Titel des 1959 erschienen Buches Die autogerechte Stadt – Ein Weg aus dem Verkehrschaos des Architekten Hans Bernhard Reichow ab. In der autogerechten Stadt sollten sich sämtliche Planungsmaßnahmen dem ungehinderten Verkehrsfluss der Autos unterordnen. Diese Planungsidee gilt inzwischen jedoch eher als warnendes Beispiel einer verfehlten Stadt- und Verkehrsplanung. Als Gegenkonzeption entstand später u.a. das Leitbild der autofreien Stadt bzw. des autofreien Wohnens.
9 Fahrradverkehr in Deutschland
Radwege für Fahrbahnverbreiterungen oder Parkflächen des MIV umgestaltet wurden. Das Fahrrad wurde von politischer Seite auf allen Ebenen als Verkehrsmittel immer weniger ernst genommen, obwohl es im alltäglichen Ausbildungs- und Einkaufsverkehr ein wichtiger Mobilitätsgarant blieb. Fast überall in Deutschland schrumpften die Radwegenetze und wurden zerstückelt, die verbleibenden Reste kaum noch unterhalten und gepflegt. Das Fahrrad verlor zunehmend an Attraktivität und verschwand immer weiter aus dem Stadtbild, da es im Wettbewerb der konkurrierenden Nutzungsansprüche meist unterlegen war. Auch die mit der funktionalen Entmischung und Suburbanisierung einhergehende Vergrößerung der städtischen Wege führte dazu, dass immer mehr Menschen zur Bewältigung ihrer Mobilitätsbedürfnisse auf den privaten PKW zurückgriffen. Selbst die in den ersten Nachkriegsjahren noch vorhandene Kooperation zwischen Fahrradverkehr und öffentlichem Verkehr wurde immer weiter zurückgefahren. Nur selten existierten Fahrradabstellanlagen an Haltestellen und Bahnhöfen und auch die Möglichkeit der Fahrradmitnahme in Bussen und Bahnen war vielerorts abgeschafft worden. „Die Verkehrsbetriebe betrachteten die Radfahrer eher als lästige Verkehrsteilnehmer , als sinnvolle Ergänzung wurden sie nicht erkannt.“ (MONHEIM / M ONHEIM -DANDORFER 1990, S.43 f.).
Abb. 2: Entwicklung des Modal Split in den Jahren 1976 – 2002³
Modal Split 1976 - 2002
100% 23 28 28 34 75% 9 11 12 8 Fußverkehr 9 12 10 Fahrradverkehr 50% 12 16 10 12 ÖV 9 MIV-Mitfahrer MIV-Fahrer 25% 45 34 38 38
0% Kontiv 1976 Kontiv 1982 Kontiv 1989 MiD 2002
Quelle: eigene Darstellung nach BMVBW (2004), S. 62
Ab Mitte der 1970er Jahre sorgten die vielerorts „fahrradfeindlichen“ politischen und infrastrukturellen Rahmenbedingungen für ersten Unmut in der Bevölkerung. Die negativen ökologischen und sozialen Auswirkungen der autofixierten Planung erlebten die Menschen v.a. in den Ballungsgebieten. Die zunehmende Beeinträchtigung der städtischen Lebens- und Umweltqualität durch den Autoverkehr führte vielerorts zu dem Wunsch, den
10 Fahrradverkehr in Deutschland nichtmotorisierten Individualverkehr ( NMIV ) wieder stärker zu berücksichtigen und über stadtverträglichere Verkehrslösungen nachzudenken (vgl. BRÖG 1985, S.45).
Als Folge dessen kam es zu ersten Bemühungen einer systematischen Fahrradförderung in Deutschland, auch wenn Bund und Länder nur minimale Beträge in den Fahrradverkehr investierten. Als erste bedeutendere Maßnahme ist das Bundesmodellvorhaben „Fahrradfreundliche Stadt“ zu nennen, das zwischen 1981 und 1986 als Initiative des Umweltbundesamtes in ausgewählten Modellstädten durchgeführt wurde und erstmals ein integriertes Maßnahmenkonzept zur Fahrradförderung vorsah. Ziele waren die Förderung der alltäglichen Fahrradnutzung im städtischen Verkehr, die Gewinnung neuer Erkenntnisse und die Schaffung einer positiven Einstellung zum Radfahren bei Bevölkerung und Politik sowie die Ausarbeitung weiterer Förderstrategien. Auch wenn der Erfolg teilweise hinter den Erwartungen zurückblieb, hat das Modellvorhaben schon während seiner Laufzeit wichtige Impulse für eine verstärkte Radverkehrsförderung in einigen Kommunen gegeben und das Bewusstsein für das Fahrrad als stadtverträgliches und effizientes Verkehrsmittel gestärkt (vgl. HÜLSMANN 1987, S.145 ff.). Während die meisten Städte und Gemeinden zu dieser Zeit der Förderung des Fahrradverkehrs noch keine Priorität einräumten, zeigten einzelne engagierte Kommunen wie die Universitätsstädte Erlangen und Freiburg, dass auch höhere Marktanteile von über 20% teilweise sogar über 30% möglich sind und welche positiven Auswirkungen durch eine fahrradfreundliche kommunale Verkehrspolitik erreicht werden können (vgl. MONHEIM 2005, S. 30). Diese vereinzelten lokalen Investitionsprogramme waren der Beweis, dass nicht nur die traditionellen Fahrradhochburgen wie z.B. das Münsterland die hohen Radverkehrsanteile für sich „abonniert“ hatten, sondern durch die konsequente Förderung integrierter Planungskonzepte auch andernorts viel für die positive Entwicklung des Fahrradverkehrs getan werden konnte, wenn der politische Wille dazu vorhanden war
(vgl. BRÖG 1985, S. 45). Auch wenn dies nicht zu einer flächendeckenden und systematischen Fahrradförderung führte und sich beispielsweise viele Städte des Ruhrgebietes weiterhin mit Werten von unter 3% auf extrem niedrigem Niveau befanden, entwickelte sich der Verkehrsanteil seit den späten 1970er Jahren insgesamt positiv (vgl. Abb. 2). Trotz einer weiteren Zunahme des MIV um 4% in den Jahren 1976 bis 1982 konnte auch der Fahrradverkehr seinen Anteil am Modal Split von 9% auf 11% deutlich steigern. Diese Entwicklung vollzog sich v.a. zu Lasten des Fußgängerverkehrs, der an Bedeutung stark einbüßte.
Es existieren verschiedene Erklärungen für diese positive Entwicklung. Brög führt die insgesamt höhere Vielfalt der Verkehrsmittelnutzung und eine Rückorientierung hin zur
„Stadt der kurzen Wege“ auf Seiten der Planer und Entscheidungsträger an (vgl. BRÖG 1985, S. 19 ff.). Eine weitere Begründung für die plötzliche Zunahme des Radverkehrs liefert Monheim mit der Feststellung, dass in den späten 70er Jahren vor allem eine äußerst
11 Fahrradverkehr in Deutschland positive mediale Präsenz dem Fahrrad zu einer vorübergehenden Renaissance verhalf. Das Fahrrad stand plötzlich für Freiheit, Unabhängigkeit, Jugendlichkeit und „wurde als
Symbol eines neuen Lebensgefühls aufgebaut.“ (MONHEIM 2005, S. 32) Weiterhin hatte sich seit Mitte der 70er Jahre in Deutschland eine organisierte Fahrradszene etabliert. Neben einzelnen Bürgerinitiativen und den Umweltverbänden setzte sich seit 1979 auch der neu gegründete Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) für die Belange des Fahrradverkehrs ein (ebd. S. 31). Weitere mögliche Erklärungen für den positiven Trend liefern die zweite Ölkrise in den Jahren 1979/80 und die Erfindung des Mountainbikes, das sich zu Beginn der 1980er Jahre plötzlich weltweit stark verbreitete und dessen Verkaufszahlen die aller anderen Fahrradtypen bei weitem überflügelte.
Die positiven Entwicklungen zu Beginn der 80er Jahre führten dazu, dass das Fahrrad auch politisch und planerisch nicht mehr in dem Maße vernachlässigt werden konnte, wie es in den vorangegangenen 25 Jahren der Fall gewesen war. Bund, Länder aber auch immer mehr Kommunen begannen, Radwegeprogramme auszuarbeiten und zu verabschieden. Diese begrenzten sich allerdings ausschließlich auf infrastrukturelle Maßnahmen und die veranschlagten Mittel fielen im Vergleich zu den Etats der motorisierten Verkehrsarten (Autobahnbau, ÖV-Förderung) immer äußerst gering aus. Dass der Fußverkehr unter der einsetzenden Fahrradförderung eher zu leiden hatte, verdeutlicht beispielhaft die weitverbreitete Einführung der geteilten Fuß- und Radwege im Innerortsbereich. Anstatt das Fahrrad als gleichberechtigtes Fahrzeug zu behandeln und ihm neben dem Auto Platz auf der Fahrbahn zuzuweisen, wurden die Radfahrer meist auf den Bürgersteig verdrängt. Durch eine simple Markierung wurde der Gehweg halbiert und die Radler sollten sich den knappen
Raum mit den Fußgängern teilen (vgl. MONHEIM 2005, S.33). So waren und sind noch heute vielerorts Konflikte vorprogrammiert. Während der Fußgängerverkehr bis 1989 bei 28% stagnierte, konnte der Radverkehrsanteil um einen weiteren Prozentpunkt auf 12% zulegen.
Wie Abb. 2: Entwicklung des Modal Split in den Jahren 1976 – 2002³ weiter zeigt, ist der Radverkehrsanteil am Modal Split in den Jahren zwischen 1989 und 2002 wieder um ein Viertel auf magere 9% gefallen. Viele Experten führen als Grund dafür jedoch vor allem die veränderten Erfassungsmethoden im Etappenkonzept an, denn bei der gesamtdeutschen Erhebung im Jahre 2002 ( MiD 2002 ) wurde erstmals mit einem weiter gefassten Mobilitätsspektrum gearbeitet, als bei den vorangegangenen KONTIV-Erhebungen (vgl.
PLANUNGSBÜRO VIA 2004, S.57). Auch die durchaus positiven Entwicklungen in einigen Städten sprechen insgesamt eher gegen einen so deutlichen bundesweiten Abwärtstrend
(vgl. MONHEIM 2005, S.36). Dennoch kann ein leichter Rückgang des Radverkehrsanteils nicht völlig ausgeschlossen werden und ließe sich u.a. auch mit der fortschreitenden Zersiedelung und der damit verbundenen Vergrößerung der mittleren Distanzen der
Verkehrswege erklären (vgl. KRAUSE / H ILDEBRAND 2005, S.5).
12 Fahrradverkehr in Deutschland
2.2. Fahrradverkehr heute – die wichtigsten Daten und Fakten
Auf regionaler und kommunaler Ebene bestehen innerhalb Deutschlands je nach Siedlungsstruktur, Stadt- und Verkehrspolitik, Topographie und Mobilitätskultur gewaltige Unterschiede bei der Fahrradnutzung. Während einige Ruhrgebietsstädte weiterhin nur auf frustrierend kleine Radverkehrsanteile von 3% und weniger kommen, verzeichnet die vom nördlichen Ruhrgebiet nur wenige Kilometer entfernte Stadt Münster den deutschen Spitzenwert von 37%. Auch innerhalb von Großstädten sind zwischen den verschiedenen Stadtquartieren oft erhebliche Unterschiede feststellbar. Meist weisen die innerstädtischen Bereiche höhere Fahrradverkehrsaufkommen auf, als die weiter außen gelegenen Stadtteile.
In der jüngsten gesamtdeutschen Erhebung des Modal Split aus dem Jahre 2002 (MiD 3) hat der Fahrradverkehr mit 9% einen deutlich geringeren Anteil als der Fußverkehr (23%). Nur der ÖV verzeichnet mit gerade einmal 8% einen noch niedrigeren Wert. Klar dominiert wird der Modal Split vom MIV, dessen Anteil mit 61% sogar weit mehr als die Hälfte aller zurückgelegten Wege ausmacht, wenn man zu den MIV-Fahrern (45%) die MIV-Mitfahrer (16%) hinzuzählt (vgl. Abb. 2). Bedacht werden muss bei diesen Verkehrsdaten jedoch, dass es kaum Zahlen zu multimodalen Transportketten gibt, denn in derartigen Statistiken werden meist nur die Hauptverkehrsmittel erfasst. Fußwege, die bei der Nutzung fast aller Verkehrsmittel im Vor- und Nachtransport zurückgelegt werden, werden genauso wenig berücksichtigt, wie beispielsweise Wege zur Haltestelle des ÖV, die mit dem Fahrrad bewältigt werden (vgl. BRACHER 2003, S.11 ff.). Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass der Anteil des Umweltverbundes – bestehend aus Öffentlichem Verkehr, Fahrrad- und Fußverkehr – zwischen 1989 und 2002 um 10% zurückgegangen ist, während der Anteil des MIV um den gleichen Betrag angestiegen ist und der PKW-Verkehr den Modal Split somit deutlich dominiert.
Im internationalen Vergleich liegt Deutschland mit 9% zwar klar über dem EU-Durchschnitt von 5% Radverkehrsanteil, mit den Nachbarländern Niederlande (27%) oder Dänemark (18%) kann die Bundesrepublik aber bei weitem nicht mithalten (vgl. BMVBS 2008a, o.S.).
Pro Jahr legt jeder Deutsche durchschnittlich etwa 300 km mit dem Fahrrad zurück, während in Dänemark und den Niederlanden jeder Einwohner im Schnitt auf rund 1.000
Fahrradkilometer kommt (vgl. BRACHER 2003, S.9). Die Gegenüberstellung dieser Zahlen zeigt deutlich, welches Steigerungspotential für den Radverkehr in Deutschland besteht.
3 Die Untersuchungen und Befragungen zum Verkehrsverhalten der Folgestudie wurden im Herbst 2008 durchgeführt. Die Ergebnisse der Erhebung MiD 2008 werden voraussichtlich in 2009 veröffentlicht werden.
13 Fahrradverkehr in Deutschland
Hinsichtlich Bestand, Produktions- und Verkaufsmenge sowie Verteilungsdichte übertrifft das Fahrrad das Auto bei weitem, seit es diese beiden Fortbewegungsmittel gibt. Selbst in den Jahren zwischen 1955 und 1970, als kaum ein Verkehrsplaner das Fahrrad auf der Agenda hatte, besaßen die Bundesbürger immer mehr Fahrräder als PKW (vgl. MONHEIM /
MONHEIM -DANDORFER 1990, S.101). Im Jahr 2005 standen 73,6 Millionen Fahrrädern 45,4 Millionen (Privat-)PKW gegenüber. Während der Bestand an Fahrrädern seit Mitte der 90er Jahre jedoch stagniert, wuchs die Anzahl der PKW bis 2005 kontinuierlich weiter an.
Etwa 80% aller Bundesbürger besitzen mindestens ein Fahrrad. Dabei ist der Fahrradbesitz in Westdeutschland (81%) etwas höher als in Ostdeutschland (77%). Betrachtet man den Anteil der Haushalte, die über ein oder mehrere Fahrräder verfügen, liegt die Zahl sogar noch höher (vgl. BUNDESREGIERUNG 2007, S.5). Im Vergleich dazu besitzt „nur“ etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung ein Auto, wenn man zur Berechnung der PKW-Verfügbarkeit minderjährige Personen mit einbezieht 4.
Bei einer solch hohen Verbreitung und Verfügbarkeit von Fahrrädern in den meisten Alters- und Haushaltsgruppen in Deutschland bietet das Fahrrad ein enormes Potential für die Bewältigung eines Großteils der täglichen Mobilitätsbedürfnisse. Dieses Potential wird jedoch viel zu wenig ausgeschöpft, vor allem wenn man bedenkt, dass einerseits 63% aller in Deutschland zurückgelegten Wege kürzer als 5 km sind und das Fahrrad andererseits für Distanzen zwischen 1 und 5 km nachweislich das schnellste Verkehrsmittel ist (vgl. BMVBW 2004a, S.312). Dennoch werden 63% aller Strecken mit einer Länge von 1 bis 5 km mit dem MIV und nur 12% mit dem Fahrrad als Hauptverkehrsmittel bewältigt (vgl. ebd. S.299). Die durchschnittliche Distanz, die mit dem Fahrrad bei jeder Fahrt zurückgelegt wird, beträgt 3,3 km. Nur 12% aller Fahrradfahrten sind länger als 5 km.
Das Einstiegsalter für das Fahrradfahren liegt bei etwa vier Jahren. Zwei Drittel der Kinder dieses Alters verfügen über ein Fahrrad, bei den 6- bis unter 10-Jährigen sind es sogar 90% (vgl. BMVBW 2004b, S.10). Vor allem bei (fahrradaffinen) Ein- und Zweipersonenhaushalten geht der Trend zum Zweit- oder Drittfahrrad, was die Vielfalt der unterschiedlichen Nutzungsmöglichkeiten widerspiegelt (ebd. S. 9). Vergleicht man die Nutzungshäufigkeiten des Fahrrades für die verschiedenen Wegezwecke mit denen aller Verkehrsmittel im Durchschnitt, so fällt auf, dass sich das Fahrrad besonders im Einkaufs- und Freizeitverkehr großer Beliebtheit erfreut (vgl. Abb. 3). Leicht überdurchschnittlich ist die Nutzung für private
4 Von allen Erwachsenen verfügten im Jahr 2003 über 65 % ständig, 10 % zeitweise und nur 25% nicht über ein Auto. Bezogen auf die Haushalte in Deutschland besaßen 19% keinen, 53% einen und 27% zwei oder mehr PKW (vgl. BMVBS 2007, S. 119 – Verkehr in Zahlen).
14 Fahrradverkehr in Deutschland
Erledigungen und im Ausbildungsverkehr. Für die täglichen Wege zur Arbeit spielt das Fahrrad eine vergleichsweise geringe und für dienstliche oder geschäftliche Wegezwecke mit einem Anteil von 1% praktisch gar keine Rolle. Vor allem der mit 37% sehr hohe Anteil des Freizeitverkehrs zeigt, dass das Fahrrad von vielen Nutzern zwar als beliebtes Fortbewegungsmittel zur Freizeitgestaltung geschätzt wird, aber zur Bewältigung der Mobilitätsbedürfnisse im Alltag vergleichsweise selten zum Einsatz kommt.
Abb. 3: Wegezwecke im Vergleich
Wegezwecke
40%
30% Insgesamt 20% Fahrrad 10%
0%
f it u . it ng ftl e ze ka u ä i n rb re eit ch A F Ei l g es e g B ./ Ausbildung tl s te Erledigungen ien a d priv
Quelle: eigene Darstellung nach BMVBW 2004b, S. 7
2.3. Aktuelle Fahrradpolitik und Förderung des Fahrradverkehrs in Deutschland
"Radfahren tut dem Klima und den Städten gut: Fahrräder verursachen weni ger Emissionen, machen weniger Lärm als Autos und beanspruchen weniger Straßenfläche.
Durch weniger motorisierten und mehr Fahrradverkehr werden die Städte lebenswerter und auch als Wohnort attraktiver, vor allem für Familien mit Kindern."
Wolfgang Tiefensee, Bundesverkehrsminister seit 2005
„Eine wirksame Politik für das Fahrrad darf sich nicht in gut gemeinten Einzelmaßnahmen erschöpfen, sondern muss systematisch alle Akteure und Handlungsebenen einbeziehen und miteinander vernetzen.“ (VCD)
15 Fahrradverkehr in Deutschland
Da die Nutzung des Fahrrades als alltägliches Verkehrsmittel wie beschrieben weit unter dem vorhandenen Potential liegt, werden in Deutschland verschiedene Maßnahmen durchgeführt, die die Attraktivität des Fahrradverkehrs steigern und damit zu einer Erhöhung des Radverkehrsanteils am Modal Split beitragen sollen. „Damit in Zukunft noch mehr Menschen in Deutschland das Fahrrad nutzen, müssen daher Bundesregierung, die Bundesländer und die Städte und Gemeinden an einem Strang ziehen. Die Bundesregierung kümmert sich um die Rahmenbedingungen, damit der Fahrradverkehr als Gesamtsystem mehr Beachtung findet und weiter ausgebaut wird. Dabei ist der Radverkehr fester Bestandteil einer integrierten Stadt- und Verkehrspolitik“, heißt es auf der Internetseite des BMVBS.
Das wichtigste Instrument der Bundesregierung, um „neue“ Wege einzuschlagen und wichtige Umsetzungsstrategien zur Förderung des Radverkehrs anzustoßen, ist der im Jahr 2002 aufgelegte „Nationale Radverkehrsplan 2002 – 2012 FahrRad!“ ( NRVP ). Oberstes Ziel ist es, den Fahrradverkehr innerhalb der Laufzeit von 10 Jahren deutlich zu erhöhen . Konkrete Zielgrößen oder Richtwerte nennt der NRVP jedoch nicht. Der Plan soll dazu beitragen, dass in der Bundesrepublik „die Potentiale des Fahrradverkehrs besser als bisher ausgeschöpft werden“, und dass das Fahrrad bis Ende 2012 „selbstverständlicher Bestandteil einer nachhaltigen integrierten Verkehrspolitik“ wird, wie es im NVRP heißt. „Alle beteiligten Akteure werden aufgerufen, den Radverkehr auf ihrer Prioritätenliste weiter nach oben zu schieben und sich dabei eigene konkrete Ziele zur Radverkehrsförderung zu setzen.“ (SCHARNWEBER 2005, S.79)
Weitere Maßnahmen des Bundes sind die Optimierung des rechtlichen Rahmens - vor allem der Straßenverkehrsordnung -, Verkehrssicherheitskampagnen, Fortbildungen für Akteure auf Kommunal- und Landesebene oder die Unterstützung von konkreten Projekten der Fahrrad-, Umwelt- und Verkehrsverbände sowie weiterer Projektträger. Auch finanziell engagiert sich die Bundesregierung für den Fahrradverkehr, seit 2002 gibt der Bund jährlich zwischen € 80 Millionen und € 100 Millionen für die Förderung des Radverkehrs aus (vgl. BMVBS 2008a, o.S.).
So werden im Jahr 2008 etwa € 90 Millionen für Bau und Erhaltung von Radwegen an Bundesstraßen investiert, € 3,5 Millionen für den Bau von Radwegen an Bundeswasserstraßen und € 3 Millionen für die Förderung von Initiativen und Modellprojekten zur Umsetzung des NRVP und für die Radverkehrssicherheitsarbeit (vgl. BMVBS 2008b, o.S.).
Damit hat der Bund die Investitionsmittel für den Fahrradverkehr seit 2002 zwar verdoppelt, doch im Vergleich zu den übrigen Finanzposten im Verkehrshaushalt ist die Summe von etwa € 100 Millionen verschwindend klein. Wenn man bedenkt, dass der Bau eines einzigen
16 Fahrradverkehr in Deutschland
Kilometers deutscher Autobahn durchschnittlich mit etwa € 20 - 25 Millionen zu Buche schlägt und auch für den Öffentlichen Verkehr jährlich Milliardensummen ausgegeben werden, kann die finanzielle Förderung des Radverkehrs durch den Bund nicht wirklich als Erfolg verkauft werden, auch wenn Bundesverkehrsminister Tiefensee und andere ranghohe Vertreter des BMVBS dies immer wieder versuchen. Das folgende Zitat zeigt beispielhaft, wie wenig die Einschätzungen und Lippenbekenntnisse mit der Realität übereinstimmen: "Das Fahrrad ist wichtiger Bestandteil unserer integrierten Verkehrspolitik. Mit dem "Nationalen Radverkehrsplan" wollen wir bis 2012 das umweltfreundlichste aller Verkehrsmittel weiter fördern. Dabei sind wir auf einem sehr guten Weg “, erklärte Minister Tiefensee bei der Veröffentlichung des Zweiten Berichtes der Bundesregierung zur Situation des Fahrradverkehrs in Deutschland am 5. September 2007. Tatsächlich aber ist der politische Stellenwert des Fahrrads als alltägliches Verkehrsmittel minimal und auch die Zwischenbilanz zum NRVP fällt sehr bescheiden aus. Denn nach mehr als der Hälfte der Laufzeit sieht es nicht danach aus, als könnte das wichtigste Ziel, nämlich den Fahrradverkehr in Deutschland bis 2012 deutlich zu steigern, erreicht werden. Entsprechend verwundert es nicht, dass der NRVP bisher auch auf der Ebene der Bundesländer kaum nennenswerte Impulse für eine intensive und langfristige Förderung des Fahrradverkehrs gesetzt hat. Vielmehr sind in ihm vorwiegend Strategien und Maßnahmen enthalten, die in den engagierteren Bundesländern bereits vor 2002 mehr oder weniger erfolgreich praktiziert wurden und daher keine wirkliche Neuerung darstellen (vgl. MONHEIM 2003, S.40 ff.).
Nicht nur der Bund, sondern auch die meisten Bundesländer und Kommunen nehmen - von wenigen Ausnahmen 5 abgesehen - das Thema Fahrradförderung nicht wirklich ernst. Sowohl die finanzielle , als auch die personelle Ausstattung bleibt weit hinter den notwendigen und möglichen Größenordnungen zurück. In einigen Ländern sind die Ausgaben zur Fahrradförderung sogar wieder rückläufig. „Die Parlamente haben den NRVP auch nicht zum Anlass für eigene nachfolgende Beratungen genommen, wie sie etwa beim Bundesverkehrswegeplan überall stattgefunden haben und stattfinden. Hier schließt sich ein Teufelskreis: ohne Geld wird der Radverkehr kein Politikum und ohne Politikum zu sein, kriegt er auch kein Geld.“ (MONHEIM 2005, S.38)
5 Auf der Länderebene hat sich vor allem NRW einen Namen als fahrradfreundliches Bundesland gemacht. Dort bemüht man sich seit Anfang der 1980er Jahre um eine systematische und engagierte Fahrradförderung. 1993 wurde die AGFS gegründet, die inzwischen 45 Mitglieder hat und von der wesentliche Innovationen für die Fahrradplanung und –politik ausgegangen sind. Weitere Belege des Engagements für mehr Fahrradverkehr sind das Programm „100 Fahrradstationen in NRW“ und der Ausbau des „Landesweiten Radwegenetzes NRW“. Auch die finanzielle Förderung bewegt sich im bundesweiten Vergleich auf dem höchsten Niveau. Inzwischen engagieren sich aber auch andere Länder wie z.B. BW, Bayern und Niedersachen zunehmend im Fahrradverkehr.
17 Fahrradverkehr in Deutschland
Auch schieben sich die unterschiedlichen Verwaltungsebenen die Verantwortung gerne gegenseitig zu und sehen jeweils zunächst die anderen Beteiligten in der Pflicht. „Wenn es darum geht, die Bedingungen für einen sicheren und komfortablen Radverkehr, insbesondere in den Städten, zu verbessern, sind vor allem die Kommunen gefragt“, heißt es beispielsweise auf der Homepage des BMVBS 6. Die Kommunen und die Bundesländer Ihrerseits klagen wiederum über die mangelnde finanzielle Unterstützung durch den Bund, denn sie sehen die Finanzierung als einen der schwierigsten Punkte in der Umsetzung des NRVP (vgl. SCHARNWEBER 2005, S.81).
Zusammenfassend muss festgestellt werden, dass sowohl auf der Bundesebene als auch in den Ländern deutlich mehr Stillstand als Fortschritt bei der Umsetzung der im NRVP formulierten Ziele zu verzeichnen ist. Keines der Bundes- und Landesministerien scheint den Radverkehr bislang wirklich ernsthaft als nachhaltige und effiziente Verkehrsmittelalternative zum MIV wahrzunehmen. Wenn überhaupt, dann spielt nur die Förderung der Freizeitkomponente des Fahrradverkehrs - der boomende Fahrradtourismus - eine Rolle, beispielsweise in den Wirtschaftsministerien. Trotz Klimadebatte, Feinstaubproblematik und steigender Energiepreise hat das Fahrrad als idealer städtischer Mobilitätsgarant keine wirksame politische Lobby , so dass politische Engagement sehr bescheiden ausfällt. Dies gilt auch für die meisten Kommunen – nur wenige Städte wie Berlin oder München engagieren sich neben den traditionellen Fahrradhochburgen wie Münster, Erlangen, Freiburg oder Bremen in den letzten Jahren verstärkt für eine fahrradfreundliche Entwicklung
(vgl. MONHEIM 2005, S.36). Insbesondere die Ressourcenaufteilung kann keinesfalls als zufriedenstellend oder verhältnismäßig bezeichnet werden. Würde sich der zur Verfügung gestellte Radverkehrsetat nach dem bundespolitischen Ziel der Gleichbehandlung der Verkehrsträger richten, so sollte analog zum Modal-Split-Anteil von 9% auch ein entsprechend großer Anteil des Verkehrshaushaltes in den Fahrradverkehr fließen (vgl. HAHN -KLÖCKNER 2008, o.S. - INTERVIEW ). Finanzmittel in einer solchen Größenordnung würden es auch ermöglichen, eine angemessene personelle Ausstattung zur Bearbeitung der Belange des Radverkehrs zu verwirklichen. Tatsächlich aber werden nach Schätzung von Horst Hahn-Klöckner, dem Bundesgeschäftsführer des ADFC, lediglich zwischen 0,5 und 1% des Bundesverkehrsetats in den Fahrradverkehr investiert. Doch nur wenn die Finanzierung der Radverkehrsförderung deutlich verbessert wird, kann der NRVP die zukünftige Entwicklung des Radverkehrs tatsächlich nachhaltig beeinflussen (vgl.
6 Lange Zeit hat sich der Bundesverkehrsminister für Fragen des Radverkehrs gar nicht zuständig gefühlt. Denn der Bund aber auch die Länder interessieren sich v.a. für die Mobilität über lange Distanzen und investieren entsprechend vorrangig in den Netzausbau der Fernverkehrssysteme wie Autobahnen, Bundesstraßen, Bundeswasserstraßen, Landesstraßen, Hochgeschwindigkeitsstrecken der Bahn und in Flughäfen (vgl. Monheim 2005, S.7).
18 Fahrradverkehr in Deutschland
SCHARNWEBER 2005, S.88 f.). Selbst im Fahrradmusterland NRW mit einem vergleichsweise hohen Radverkehrsanteil von durchschnittlichen 12% fließen lediglich etwa € 50 Millionen pro Jahr in den Fahrradverkehr, was nur einem Anteil von 1,8% der gesamten Verkehrsausgaben (€ 2,8 Mrd.) des Landes entspricht (vgl. MONHEIM 2003, S.61). Gerade mal eine Person im nordrhein-westfälischen Verkehrsministerium ist (fast ausschließlich) für den Radverkehr zuständig. In Relation zu den meisten anderen Bundesländern, wo einzelne Mitarbeiter das Thema Radverkehr als eine von vielen Aufgaben quasi „nebenbei“ erledigen, kann dies schon als Erfolg gewertet werden. „Im Vergleich zu der personell stark differenzierten Verwaltung des Straßenbaus und der ÖPNV-Förderung ist die personelle Ausstattung der Radverkehrsförderung in den Ministerien eher stiefmütterlich.“
(SCHARNWEBER 2005, S.81) Auch der Umstand, dass die Belange des Radverkehrs je nach Bundesland in vollkommen verschiedenen Ministerien behandelt werden zeigt, dass es keine allgemeine länderübergreifende Vorstellung oder Regelung gibt, von welchem Ressort das Thema Fahrradverkehr eigentlich zu bearbeiten ist und wer sich dafür verantwortlich fühlt – ein für den Autoverkehr unvorstellbarer Zustand.
In der kommunalen Politik spielt der Radverkehr zwar praktisch die größte Rolle, doch auch hier bewegen sich die Ausgaben für den Radverkehr gemessen am gesamten Verkehrshaushalt nur zwischen einem und vier Prozent. Pro Kopf gerechnet liegen die kommunalen Radverkehrsausgaben etwa zwischen sieben Euro in Münster und einem Euro bei den meisten anderen Kommunen (vgl. FRIEDRICH 2007, o.S). Für den MIV werden dagegen beträchtlich höhere Summen ausgegeben. Die Hierarchie der Verkehrsarten ist aber auch systemisch bedingt, wie Scharnweber betont. Eine der wichtigsten Regelungen zur Finanzierung des kommunalen Verkehrs ist das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG ), mit dem der Bund mit Mitteln des Mineralölsteueraufkommens Investitionen zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden fördert. Das Gesamtvolumen beträgt jährlich € 1,667 Mrd. und wird auf die einzelnen Bundesländer nach der Kraftfahrzeugquote der Länder verteilt. Der Radverkehr stellt dabei keinen eigenen Fördertatbestand dar. „Hier wird noch vor der sicherlich auch wichtigen Frage der einzelnen Fördertatbestände die Weiche grundlegend gegen den Fahrradverkehr gestellt, da Fahrrad- Fahrende und zu Fuß-Gehende nicht berücksichtigt werden.“ (SCHARNWEBER 2005, S.90) Dennoch ist der Bau- oder Ausbau von Radverkehrsanlagen zulässig. Hierzu gehören Fahrradwege, Beschilderungssysteme, Lichtsignalanlagen und Fahrradabstellanlagen zur Verbesserung der Vernetzung des Radverkehrs mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Über die Verteilung der Mittel des GVFG entscheiden die einzelnen Bundesländer in eigener Zuständigkeit (vgl. BMVBW 2002, S.11).
19 Fahrradverkehr in Deutschland
2.4. Die Stärken und Chancen des Fahrrads als Verkehrsmittel
Rad fahren macht Spaß. Es ist gesund, leise, schnell, flexibel, sportlich, ökologisch und kostengünstig. Gleichzeitig sind die Potentiale zur Verlagerung von MIV-Anteilen im Modal Split auf den Fahrradverkehr wie beschrieben beträchtlich. Wenn man bedenkt, dass 10% aller im MIV zurückgelegten Fahrten kürzer als 1 km und etwa 50% kürzer als 5 km sind, ergibt sich daraus vor allem im Kurzstreckenbereich ein enormes Einsparpotential , das durch eine gezielte Förderung und Attraktivitätssteigerung des Fahrradverkehrs ausgeschöpft werden könnte (vgl. BMVBW 2004a, S.213). Aber auch für Distanzen von mehr als 5 km ist das Fahrrad sehr gut geeignet, wie Verkehrserhebungen in den Niederlanden zeigen. Dort wird das Fahrrad auch für weitere Weglängen häufig genutzt, mehr als jede fünfte Fahrradfahrt liegt im Entfernungsbereich zwischen 5 und 7,5 km (vgl.
BRACHER 2003, S.16).
Würden in Deutschland etwa 30% der Kurzstreckenfahrten bis 6 km in den Innenstädten mit dem Fahrrad statt mit dem Auto zurückgelegt werden, ließen sich nach Schätzungen des
Umweltbundesamtes (UBA) pro Jahr etwa 7,5 Millionen Tonnen CO 2 einsparen . Aber nicht nur das klimaschädliche Kohlendioxid, sondern auch viele andere schwerwiegende Schadstoffemissionen lassen sich durch mehr Fahrradverkehr reduzieren: „In den meisten städtischen Gebieten sind Kraftfahrzeuge die Hauptursache für Luftverschmutzung und Lärmbelastung. In den Niederlanden ist die Anzahl der durch Luftschadstoffe verursachten Todesfälle fünfmal größer als die Anzahl der auf Straßen getöteten Menschen. In Österreich, der Schweiz und Frankreich betragen die durch Verkehrsemissionen verursachten Gesundheitskosten 1,7% des Bruttoinlandsprodukts.“ (SHIMANO 2006, S.8)
Zum umweltverträglichen Charakter des Fahrrades gehört aber nicht allein die Tatsache, dass es keine Schadstoffemissionen produziert. Es ist vor allem auch leise und Platz sparend . So beansprucht ein Fahrrad im Durchschnitt nur etwa 15% der Fläche eines Autos, denn auf einem PKW-Parkplatz mit einer durchschnittlichen Fläche von 10 – 12 m 2 können acht Fahrräder bequem und mit guter Zugangsmöglichkeit abgestellt werden. Und auch der fließende Radverkehr benötigt im Vergleich deutlich weniger Verkehrsfläche als der fließende KFZ-Verkehr. Städte, in denen der Fahrradverkehr – zusammen mit dem Fußgängerverkehr – einen hohen Anteil an den Wegen der Bewohner hat, benötigen vergleichsweise wenig Siedlungsfläche (vgl. BUNDESREGIERUNG 2007, S.7). Auch die Folgen der Lärmbelastung, für die der motorisierte Verkehr die Hauptquelle darstellt, sind nicht zu unterschätzen und wurden in einer durch das niederländische Ministerium für Wohnen, Städtebau und Umwelt beauftragten Studie erforscht. Die Befunde zeigen, dass jeder dritte erwachsene Niederländer, also etwa 3,7 Millionen Menschen, ernsthaft durch den Lärm des motorisierten Verkehrs gestört wird. 1,5 Millionen Menschen leiden an durch Verkehrslärm
20 Fahrradverkehr in Deutschland verursachten Schlafstörungen (vgl. SHIMANO 2006, S. 7). Damit kann das Fahrrad als Verkehrsmittel einen erheblichen Beitrag zu mehr städtischer Lebensqualität leisten. Wohnliche Städte mit einem Höchstmaß an Lebensqualität bieten insbesondere für das Fahrrad und andere nicht-motorisierte Fortbewegungsmittel attraktive Bedingungen (vgl. AGFS 2003, S.7 f.). Und in Zeiten des demographischen Wandels und eines zunehmenden Wettbewerbes der Kommunen um Einwohner und Wirtschaftskraft wird die städtische Lebensqualität zu einem immer wichtigeren Standortfaktor .
Radfahren ist aber nicht nur gesund für die Umwelt, sondern auch für jeden Einzelnen, der regelmäßig aufsteigt. So reicht die Palette der positiven Individualwirkungen regelmäßigen Radelns von der Optimierung des Herzrhythmus und dem Muskelaufbau über Blutdrucksenkung und Cholesterin-Abbau bis hin zur Bekämpfung von Rückenleiden. Ob Fettleibigkeit, Herzkrankheiten oder Diabetes im Erwachsenenalter - regelmäßige Bewegung reduziert diese Erkrankungsrisiken um die Hälfte (vgl. ADFC 2008a, o.S.).
EXKURS: Rad fahren macht gesund…
„Der Durchschnittsdeutsche bewegt sich pro Tag nur noch über eine Distanz von etwa 250 Metern “, warnt etwa Prof. Ingo Froböse. Er und andere Experten der Deutschen Sporthochschule Köln schätzen, dass bis zu 70% der Erkrankungen durch unseren bewegungsarmen Lebensstil bedingt sind (vgl. ADFC 2008b, o.S.). Insbesondere für Menschen, die viel im Sitzen arbeiten, ist es wichtig, einen Bewegungsausgleich für die großen Hauptgelenke an Knien, Hüften und Schultern zu erhalten, z.B. durch regelmäßiges Fahrradfahren auf dem Arbeitsweg. Durch seine zyklischen Bewegungsabläufe stellt das Radfahren eine besonders gelenkschonende körperliche Aktivität dar. Weil das Körpergewicht des Fahrers zu 70 bis 80% im Sattel lagert, werden die Kniegelenke beim Radfahren wesentlich weniger belastet als etwa beim Joggen. Zur sinnvollen Gesundheitsvorsorge empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) fünfmal in der Woche 30 Minuten Bewegung, um dem Bewegungsmangel und den daraus resultierenden Zivilisationskrankheiten wie Herz-Kreislauf-Störungen entgegen zu wirken. Regelmäßige körperliche Aktivitäten wie das Fahrradfahren verringern das Risiko einer im mittleren Lebensalter häufig auftretenden Herz-Kreislauf-Erkrankung beispielsweise um das 20-fache und reduzieren die Gefahr eines Herzinfarktes um bis zu 50%, schätzen Gesundheitsexperten. Die WHO geht davon aus, dass von 100.000 Bypass-Operationen an Menschen mittleren Alters rund 95.000 nicht nötig wären, "wenn sich das Radfahren wieder selbstverständlicher in den Alltag einbringen ließe." Es geht dabei nicht um sportliche Hochleistungen, sondern um das Motto "mäßig, aber regelmäßig". Radfahrer haben statistisch gesehen sogar eine höhere Lebenserwartung. Fachleute schreiben dem Radfahren aufgrund seiner gleichmäßigen Bewegungsform aber auch eine wesentliche entspannende Wirkung zu. Infolgedessen werden so genannte „Stressoren“ abgebaut und ein positives Körpergefühl erreicht (vgl. ebd.).
Radfahr-Dauer pro Tag: Positiver Gesundheitseffekt auf
• 10 Minuten: Muskulatur, Durchblutung, Gelenke. • 20 Minuten: Immunsystem. • 30 Minuten: Herzfunktionen • 40 Minuten: Ausdauerleistungsfähigkeit.
21 Fahrradverkehr in Deutschland
• 50 Minuten: Stoffwechsel (Fettstoffwechsel). • 60 Minuten: Körpergewicht, Stressresistenz.
Diese zahlreichen, positiven Auswirkungen des Fahrradfahrens auf die Gesundheit des Einzelnen machen sich nicht zuletzt auch finanziell bemerkbar und haben damit Folgewirkungen für die gesamte Volkswirtschaft . Es ergeben sich positive Folgeerscheinungen auf die Wirtschaftskraft und Entlastungen des Gesundheitssystems. „Eine mehrjährige Modellstudie in drei norwegischen Städten ergab, dass 30 Minuten Radfahren pro Tag bei bis dahin inaktiven Personen eine jährliche Ersparnis von € 3.000 bis 4.000 an gesellschaftlichen Kosten bringt. Für schon aktive Personen liegt dieser Wert bei € 500 bis 1.500 pro Jahr. Und eine finnische Studie kommt zu positiven Gesundheitseffekten von Fußgänger- und Radverkehrsinvestitionen von € 1.200 je aktivierter Person.“ (ADFC 2006, o.S.)
Die positiven Gesundheitswirkungen des Radfahrens hat die AOK als eine der größten deutschen Krankenkassen inzwischen erkannt. Gemeinsam mit dem ADFC wirbt sie mit der Aktion „ Mit dem Rad zur Arbeit “ bereits seit 2001 im gesamten Bundesgebiet sehr aktiv für das Fahrradfahren als gesundheitsfördernde Maßnahme.
Schließlich ist Fahrradfahren auch ökonomisch . Für den Nutzer stellt das Fahrrad das Verkehrsmittel mit dem besten Preis-Leistungsverhältnis dar. Vor allem in Zeiten steigender Energie- und Rohstoffpreise lohnt sich der häufige Tritt in die Pedale auch finanziell immer mehr. Der städtische Einzelhandel profitiert von einem hohen Radverkehrsanteil ebenfalls. So haben Untersuchungen 7 u.a. in Münster gezeigt, dass Radfahrer im städtischen Einzelhandel pro Einkauf zwar weniger, in der Summe aber mehr Geld bei ihren Einkäufen ausgeben als Autofahrer, da sie insgesamt häufiger kommen. Radler zieht es nur selten zu den autoorientierten Einkaufszentren auf der „grünen Wiese“, denn sie bevorzugen die attraktiveren Innenstädte. „Von daher ist eine fahrradfreundliche Gestaltung der Innenstadt eine effektive und preisgünstige Maßnahme zur Stärkung der Innenstädte im Konkurrenzkampf gegen die großen Einkaufsmärkte und dient damit der Sicherung der Standortes Innenstadt .“ (AGFS 2001b, S.7)
Noch immer aber wird vielerorts die optimale Erreichbarkeit mit dem Auto als Allheilmittel gegen die Verödung der Innenstädte angesehen. Dabei kann gerade ein möglichst weitgehender Einsatz des platzsparenden und stadtverträglichen Verkehrsmittels Fahrrad
7 Eine Untersuchung in der niederländischen Stadt Breda hat sogar ergeben, dass Radfahrer im Mittel wöchentlich 1,5 -mal so viel Geld ausgeben, wie Autofahrer (vgl. AGFS 2007, S.9).
22 Fahrradverkehr in Deutschland auch zukünftig die Erreichbarkeit der Innenstädte für den notwendigen Autoverkehr sicherstellen. Erst das Fahrrad schafft den Platz, damit diejenigen problemlos Autofahren können, die darauf angewiesen sind. Erfolgreiche Radverkehrsförderung sichert beispielsweise die Funktionsfähigkeit des notwendigen Wirtschaftsverkehrs, da eine Verlagerung der Pkw-Kurzstreckenfahrten auf den Radverkehr nicht nur die Straßen, sondern auch den knappen Parkraum entlastet. Von einer fahrradfreundlichen Stadt profitieren also alle: Autofahrer wie Radfahrer, Fußgänger, Nutzer des ÖV und nicht zuletzt die Anwohner.
Auch für die Finanzbudgets der öffentlichen Hände lohnt sich jeder in den Fahrradverkehr investierte Euro. Denn die Infrastruktur für den Radverkehr ist deutlich preiswerter als die der anderen Verkehrsträger. So liegen beispielsweise „die Investitionskosten für Radwege bei weniger als 10% der Kosten für gleich lange Straßen. Für die übrigen Radverkehrsanlagen ist der Kostenvorteil des Radverkehrs noch günstiger.“ (MWMEV NRW 2002, S.3) Die öffentlichen Kassen werden geschont, „weil starker Radverkehr teure und durchweg defizitäre Verkehrsinvestitionen im Bereich von Straßenbau, Parkraumbau und ÖV-Ausbau einsparen hilft. Kein Verkehrsmittel hat einen so hohen Kosten-Nutzen-Vorteil wie das Fahrrad.“ (MONHEIM 2005, S.7) Daher trägt eine gezielte Radverkehrsförderung auf mittlere Sicht sogar zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte bei. Wirtschaftlich gesehen sind die Erfolge, die mit einer engagierten Radverkehrspolitik erzielt werden können weit größer, als die Investitionen.
Auch die Bedeutung des Fahrrades für den Arbeitsmarkt 8 ist nicht zu unterschätzen. „In Städten und Gemeinden mit einem hohen Radverkehrsanteil ist eine beträchtliche Anzahl fahrradbezogener Arbeitsplätze festzustellen. Die zumeist privaten Betriebe wie Anbieter von Reparaturdiensten, Fahrradhändler, Fahrradvermieter und Fahrradtaxis sind wichtige Elemente des Radverkehrs. Radfahren ist Wirtschaftsförderung auf vielen Ebenen.“
(SHIMANO 2006, S.9)
EXKURS: Die Kosten -Nutzen -Relation des Fahrradverkehrs am Beispiel Bogotá
Der in den Jahren 1999 bis 2001 regierende Bürgermeister der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá, Enrique Peñalosa, setzte sich stark für die Förderung des Umweltverbundes ein. Das ermittelte Kosten-Nutzen-Verhältnis der Umsetzung des Radverkehrsplans in Bogotá betrug 1 : 7,3. Die Kosten und Nutzen wurden auf einen Zeitraum von zehn Jahren hochgerechnet. Dabei wurde eine Zunahme des täglichen Radverkehrs in der Stadt von 0,5% in 1999 auf 5% im Jahr 2009 prognostiziert.
8 Jährlich werden in Deutschland knapp 4,5 Mio. neue Fahrräder für ca. € 1,5 Mrd. verkauft. Der Umsatz hieraus beläuft sich auf über € 1,5 Mrd. Rund € 1,9 Mrd. werden durch Verkauf von Zubehör und Service umgesetzt (vgl. ZIV 2007, o.S.).
23 Fahrradverkehr in Deutschland
Tatsächlich wurde die 4%-Marke bereits 2004 erreicht. Der größte ökonomische Gewinn der Förderung des Radverkehrs liegt in der verbesserten Verkehrssicherheit. An zweiter Stelle stehen die Einsparungen durch weniger erforderlichen Parkraum für Kraftfahrzeuge, gefolgt von einer Reduktion der Wegekosten pro Person und geringeren Umweltschäden. Die Stadt Bogotá gilt heute als herausragendes Beispiel für eine integrierte Stadt- und Verkehrsplanung. (Quelle: SHIMANO 2006, S.11 ff.)
Aus Sicht der Arbeitgeber lohnen sich fahrradfreundliche Maßnahmen und radelnde Mitarbeiter ebenfalls in vielerlei Hinsicht. Neben den bereits erwähnten positiven Gesundheitswirkungen und den damit verbundenen um bis zu 50% geringeren krankheitsbedingten Fehlzeiten sind auch die möglichen Kosteneinsparungen für bereitzustellende Fahrzeugstellplätze nicht zu unterschätzen. So kostet ein überdachter Fahrradstellplatz etwa € 500, eine Fahrradbox max. € 1.000 und ein Platz in einer Fahrradstation ist ab € 1.500 zu haben, während die Kosten für einen einfachen, ebenerdigen PKW-Stellplatz bei € 12.000 – 25.000 liegen (vgl. AGFS 2001a, S.10). Die Kosten für einen PKW-Stellplatz in einer Tiefgarage sind noch deutlich höher.
Und auch die Verkehrssicherheit jedes einzelnen Fahrradfahrers erhöht sich, je größer der Anteil des Radverkehrs am Modal Split ist und je besser der Radverkehr in die Stadt- und Verkehrsplanung integriert wird. Zu diesem Ergebnis kam neben zahlreichen Studien in den Niederlanden auch die Maßnahmen- und Wirksamkeitsuntersuchung in den Mitgliedsstädten der AGFS in NRW aus dem Jahr 1995: „In den Städten, in denen das Unfallgeschehen mit Radfahrern in Relation zur Verkehrsteilnahme betrachtet werden kann, steht einer Zunahme des Radverkehrs im Straßenverkehr im gleichen Zeitraum eine Abnahme der Zahl der verunglückten Radfahrer gegenüber. Diese Tendenz ist besonders bei den Unfällen mit schwerem Personenschaden stark ausgeprägt. Das relative Unfallrisiko des einzelnen Radfahrers, bezogen auf seine Verkehrsteilnahme sinkt also in den Untersuchungsstädten bei steigendem Radverkehr. Auch bezogen auf die Unfallbelastung (Unfälle pro 10.000 Einwohner) bestätigt sich diese Tendenz.“ (MWMEV NRW 2002, S. 6) Auf der Bundesebene ergibt sich ein ähnliches Bild: in ganz Deutschland stieg die Anzahl an Radfahrern zwischen 1975 und 1998 um 30%, während sich die Zahl der bei Unfällen tödlich verunglückten
Radfahrer um 66% verringerte (vgl. SHIMANO 2006, S. 8).
Schließlich ist das Fahrrad auf Strecken mit einer Länge zwischen 1 und 5 km nicht nur das schnellste Verkehrsmittel , sondern es ist auch das flexibelste Fahrzeug, um in der Stadt mobil zu sein. Es kommt in der Regel ohne mühsame Parkplatzsuche aus, Fahrradfahrer stehen nicht im Stau und auch der besorgte Blick auf die Tankanzeige entfällt. Das Fahrrad bringt den Menschen von Tür zu Tür und macht ihn in seiner Mobilität unabhängig. Die
24 Fahrradverkehr in Deutschland
Angebotsvielfalt an verschiedenen Fahrradtypen lässt kaum Wünsche offen, so dass sich mit dem Fahrrad ganz unterschiedliche Funktionen erfüllen lassen. Die Nutzungsvielfalt reicht vom praktischen Stadtrad, über das sportliche Rennrad bis zum multifunktionalen Lastenfahrrad. Ob mit dem Faltrad multimodal mobil, auf dem Tandem zu zweit unterwegs oder im Fahrradtaxi auf der Rückbank besonders komfortabel gefahren, das Fahrrad bietet für jeden Typ und (fast) jede Situation das passende Verkehrsmittel.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Fahrrad als Verkehrsmittel einen wichtigen Beitrag zur Lösung vieler gesellschaftlicher Herausforderungen und Probleme leisten kann. Egal ob Ressourcenknappheit, Klimawandel, Gesundheitsprobleme, verkehrsbedingte Schwierigkeiten oder die Feinstaubproblematik, das Fahrrad hat auf viele drängende Fragen der heutigen Zeit eine passende Antwort.
2.5. Fahrradverkehr als System
„Zentrales Problem der bisherigen Fahrradpolitik ist ihre ausschließliche Fixierung auf die Radwegeinfrastruktur. Die Notwendigkeit für umfassende Serviceleistungen wird nicht erkannt. Und e s wird kaum in Werbung, Marketing und Kommunikation investiert. Das Fahrrad wird viel zu isoliert wahrgenommen, seine vielfältigen Kombinationsmöglichkeiten im Umweltverbund werden ausgeblendet.“ Heiner Monheim
„Radverkehrsförderung ist mehr als Radwegebau . Der Radverkehr ist - vergleichbar ÖV und Autoverkehr – ein komplexes System aus Infrastruktur und „weichen“ Maßnahmen, insbesondere diversen Dienstleistungen.“ Ulrich Kalle
Um die Nutzung des Fahrrades insgesamt steigern zu können, sind viele Einzelmaßnahmen und Maßnahmenbündel erforderlich. Dauerhaft und besonders erfolgreich ist jedoch nur die Fahrradförderung als System , wie wissenschaftliche Untersuchungen bestätigen (vgl. MWMTV NRW 1999, S.15). Radverkehrsförderung bedeutet mehr als bloß Fahrradwege zu bauen und Fahrradstreifen zu markieren. Selbstverständlich sind ein flächendeckendes Radverkehrsnetz mit einer attraktiven Infrastruktur zum Fahren und Abstellen der Fahrräder sowie eine fahrradfreundliche Verkehrsordnung wesentliche Grundbausteine eines systematischen Förderansatzes. Zu diesen „harten Maßnahmen“ gehören als gleichwertige Bausteine aber ebenso ein professionelles Marketing , eine motivierende Kommunikationsstrategie , die Bereitstellung von Informationen sowie Serviceangebote und Dienstleistungen , um die Fahrradnutzung attraktiver und leichter zu machen und die Potenziale wirksam auszuschöpfen. Diese drei Komponenten lassen sich zu den sog.
25 Fahrradverkehr in Deutschland
„weichen Maßnahmen“ zusammenfassen. Erfolgreiche Radverkehrsförderung basiert also auf vier gleichwertigen Säulen wie Abb. 4 verdeutlicht. Dieser Grundgedanke eines Verständnisses vom "Radverkehr als System" ist essentiell, um Fahrradpolitik und – förderung erfolgreich gestalten zu können. Das wurde auch im Ersten Bericht der Bundesregierung zur Situation des Fahrradverkehrs in Deutschland festgestellt. In diesem wurde das Leitbild des Fahrradverkehrs als System entwickelt, welches im NRVP aufgegriffen wird und die Grundlage der dort formulierten Ziele und Maßnahmen bildet (vgl. BUNDESREGIERUNG 2007, S.1). Dennoch liegt der ausgeprägte Schwerpunkt der Maßnahmen und der eingesetzten Finanzmittel nach wie vor im Bereich der Verbesserung der technischen Infrastruktur zum Fahren und Parken. Dieses vorherrschende Infrastruktur- fixierte Verständnis muss daher gezielt weiterentwickelt werden und durch das Angebot von Serviceleistungen, verstärkte Informationsvermittlung und professionelle Kommunikation ergänzt werden.
Abb. 4: Die vier Säulen der Fahrradförderung
FAHRRAD - FÖRDERUNG
D I S I K N E E O I M F R N M N A R V S M F R A I T U O K L S C + N R E E + T E I M T I R A K A I U N S S T N K G T R I G T E U I O U B N O N R O G N T E N
Quelle: eigene Darstellung
Potentiell umsteigebereite Verkehrsteilnehmer, vor allem PKW-Fahrer, erwarten vom Radverkehrssystem einen ähnlich hohen Standard , wie er für den Autoverkehr üblich ist. Diese Erwartungen beziehen sich aber nicht nur auf die Infrastruktur, sondern auch auf verfügbare Informationen, Serviceangebote und Dienstleistungen, die in der „Auto-Welt“ ganz selbstverständlich sind. Autos benötigen neben Straßen und Parkplätzen auch
26 Fahrradverkehr in Deutschland
Wegweisung, Tankstellen, Reparaturwerkstätten und Verkehrsinformationssysteme. Weitere Serviceangebote reichen von Autobahnraststätten über mobile Abschlepp- und Reparaturdienste bis hin zum Parkraummanagement, einem breiten Versicherungsangebot, Routenplanern / Navigationssysteme und zahlreichen Firmen der Autovermietung. „Ähnlich komplex sind die Systeme im ÖV. Auch wenn das Fahrrad ein technologisch (vermeintlich!) einfaches Fahrzeug ist, bedeutet dies noch lange nicht, dass es keines komplexen
Verkehrssystems bedarf.“ (KALLE 2005, S.14) Schließlich ist vor allem auch die wirtschaftliche Bedeutung des Autos dadurch begründet, dass es die genannten Dienstleistungen „rund ums Auto“ gibt, die allesamt zur Wertschöpfung beitragen. Dies ist beim Fahrrad als Verkehrsmittel nicht anders, muss und kann allerdings noch deutlich ausgebaut werden. Das MWMTV NRW schreibt dazu im Aktionsplan zur Förderung des Fahrradverkehrs in NRW: „Wie im Autoverkehr und in der Automobilwirtschaft wird dieser Systemgedanke auch dem Radverkehr neue Impulse geben. Bislang allenfalls punktuell vorhandene Dienstleistungen rund um das Rad, Public Relations und Werbung sind zentrale Elemente des Systems.“ (MWMTV NRW 1999, S.15)
Da diese Arbeit sich mit dem Thema „öffentlicher Fahrradverleihsysteme“ als einem von vielen möglichen Serviceangeboten „rund ums Fahrrad“ beschäftigt, soll an dieser Stelle noch genauer auf den Baustein „ Serviceangebote und Dienstleistungen “ im Fahrradverkehr eingegangen werden. Im Ersten und Zweiten Bericht der Bundesregierung zur Situation des Fahrradverkehrs in Deutschland wird in direkte und indirekte Angebote unterschieden: „Unter direkten Serviceangeboten bzw. Dienstleistungen werden solche verstanden, die den Radfahrerinnen und Radfahrern direkt zugute kommen, indem sie Radfahren attraktiver, sicherer, weniger fehleranfällig bzw. das Fahrrad schneller wieder verfügbar machen. Direkte Dienstleistungen wenden sich z.B. an die Einzelhandelskundschaft, an Bahnnutzer, Arbeitnehmer, Urlauber oder Geschäftsreisende. Indirekte Dienstleistungen werden Zielgruppen angeboten, die als Multiplikatoren durch Umsetzung des erlangten Know-hows zur Steigerung der Fahrradnutzung beitragen können.“ (vgl. BUNDESREGIERUNG 2007, S.216)
Direkte Dienstleistungen sind:
• Wartung und Reparatur (z.B. Fahrradwaschanlagen, Luftstationen, mobiler Reparaturservice)
• Fahrradstationen mit umfassenden Serviceangeboten (bewachtes Parken, Pflege, Reparatur, Information, Verkauf, Vermietung)
• Möglichkeiten der Gepäckaufbewahrung
• Einzelhandel (Fahrradwachen, Gepäckschließfächer, Lieferservice)
27 Fahrradverkehr in Deutschland
• Freizeit- und Tourismusverkehr (fahrradfreundliche Gastronomie wie an mehreren Radfernwegen, Informationstafeln, Wegweisungssysteme, Radroutenplaner, Pauschal- angebote für Radreisen)
• Diebstahlschutz (Codierung von Fahrrädern durch Polizei und Handel)
• Fahrradmitnahme im ÖV und weitere Kooperationen
• Rikschas / Fahrradtaxis
• Fahrradfreundliche Maßnahmen seitens die Arbeitgeber/Betriebe, um die eigenen Beschäftigten zum Radfahren auf dem Arbeitsweg zu motivieren (Abstellplätze, Information, sanitäre Einrichtungen, Umkleideräume, Dienst- und Werksfahrräder, Bekleidung und Helme, Reparaturgutscheine/Wartungsverträge mit Fahrradhandel)
• Öffentliche Fahrradverleihsysteme
Indirekte Dienstleistungen sind Angebote für:
• Planerinnen und Planer in Kommunen und Planungsbüros
• Fremdenverkehrsvereine
• Tourismusveranstalter
• Gastronomie und Hotellerie
• Lehrkräfte
• Produzenten von Fahrradabstellanlagen
• Arbeitgeber
• Einzelhändler
(Quelle: ergänzte Darstellung nach BUNDESREGIERUNG 1999 S.61und BUNDESREGIERUNG 2007 S.216)
Derartige Serviceangebote machen das Fahrradfahren einfacher und komfortabler, schaffen neue Arbeitsplätze und sind ein nicht zu unterschätzender Wirtschaftsfaktor. Sie reduzieren die Zugangsschwierigkeiten und tragen damit vor allem zur Erhöhung der Verfügbarkeit von Fahrrädern bei. Wichtig für die Attraktivität und den Erfolg des Angebotes sind insbesondere ein dichtes Netz der Serviceangebote und eine hohe Qualität der Leistungen. Weiterhin spielen begleitende Marketingaktivitäten eine entscheidende Rolle. Die beste Dienstleistung und das attraktivste Serviceangebot sind zum Scheitern verurteilt, wenn sie keine Nachfrage finden, weil sie den potentiellen Nachfragern nicht bekannt sind.
Die Erfahrungen aus dem Ausland insbesondere den Niederlanden zeigen, dass die Potentiale der Serviceleistungen im Fahrradverkehr in Deutschland noch lange nicht
28 Fahrradverkehr in Deutschland ausgeschöpft sind. Hier können öffentliche Subventionen einen entscheidenden Beitrag leisten, denn bei einigen Angeboten, die noch in den Kinderschuhen stecken und sich in Deutschland erst einmal etablieren müssten, ist zu befürchten, dass ihre Bereitstellung zumindest in der Anfangsphase ein gewisses finanzielles Risiko für die Anbieter darstellt. Die gezielte Förderung von Modellprojekten und innovativen Serviceideen z.B. im Rahmen des NRVP könnte hier für mehr Bewegung sorgen. Die derzeit vom Bund für nicht-investive Maßnahmen im Fahrradverkehr bereitgestellten Mittel von € 3 Millionen sind jedoch nicht einmal ein Tropfen auf den heißen Stein.
Ein Serviceangebot, das sich in den letzten Jahren vor allem in Europa zunehmender Beliebtheit erfreut und in immer mehr Städten bereitgestellt wird, sind öffentliche Fahrradverleihsysteme (FVS). Diese stellen eine Systemkomponente mit besonders hohem Vernetzungspotential dar und erlauben daher die Integration verschiedener Dienstleistungen. Denn wo die Infrastruktur für FVS ohnehin installiert wird, können mit vergleichsweise geringem Mehraufwand auch weitere Serviceangebote mit bereitgestellt werden. In den nachfolgenden Kapiteln soll näher auf die verschiedenen FVS eingegangen werden, auch um deutlich zu machen, was ein gut gemachtes und sinnvolles Serviceangebot im Fahrradverkehr tatsächlich alles bewirken kann.
29 Fahrradverleihsysteme - Definition, Eigenschaften und Potentiale
3. Fahrradverleihsysteme - Definition, Eigenschaften und Potentiale
Wie in Kapitel 2 dargestellt wird, ist das Fahrrad das Verkehrsmittel, welches im Modal Split das größte Steigerungspotential aufweist. Fahrradverleihsysteme (FVS) stellen in diesem Sinne ein wichtiges und innovatives Serviceangebot zur Attraktivitätssteigerung und Förderung des Fahrradverkehrs dar. In diesem Kapitel soll nun definiert werden, was in der vorliegenden Arbeit unter dem Begriff „FVS“ verstanden wird und welche Eigenschaften und Potentiale FVS aufweisen.
3.1. Definition – was ist ein Fahrradverleihsystem?
Unter dem Begriff Fahrradverleihsystem (FVS) wird in dieser Arbeit ein Verleihangebot verstanden, das folgende Eigenschaften besitzt:
• Das System befindet sich im öffentlichen Raum, ist also leicht zugänglich und nach einer ggf. notwendigen Anmeldung von allen Kunden nutzbar
• Die Fahrräder des FVS können von verschiedenen Kunden genutzt werden
• Die Leihfahrräder können an allen Entleih- und Rückgabeorten des Systems sowohl entliehen als auch zurückgegeben werden (falls im Servicegebiet mehrere Standorte existieren)
• Die Entleih- und Rückgabevorgänge sind (teil-)automatisiert und erfordern daher keinen unmittelbaren Einsatz von Personal vor Ort während des Entleih- bzw. Rückgabevorgangs 9, sondern erfolgen in „ Selbstbedienung “
• Die Leihfahrräder können rund um die Uhr zurückgegeben werden
• Die Leihfahrräder haben ein einheitliches optisches, meist auch technisches Design (Spezialanfertigung)
• Der Betrieb des FVS wird i.d.R. nicht allein durch die Nutzungsgebühren, sondern zum Teil auch durch zusätzliche Mittel finanziert
Die Fahrräder eines FVS stellen also ein „ öffentliches Individualverkehrsmittel“ dar. Somit unterscheidet sich der hier verwendete Begriff eines FVS von den Formen der „klassischen“ Fahrradvermietung wie sie von einzelnen Fahrradhändlern,
9 Zwar wird bei allen FVS Personal für die Wartung, Planung, Durchführung und Steuerung des Systems benötigt und eingesetzt, jedoch ist der direkte Kontakt dieses Personals mit dem Kunden beim Ausleihvorgang nicht notwendig. Somit zählen Fahrradverleihangebote wie z.B. die Fahrradvermietung in Radstationen oder bei Fahrradhändlern nicht unter die o.g. Definition von FVS.
30 Fahrradverleihsysteme - Definition, Eigenschaften und Potentiale
Fahrradstationen, Bahnhöfen, Hotels, Reiseveranstaltern, Arbeits- und Weiterbildungsinitiativen o.ä. angeboten werden und die als Zielgruppe v.a. Touristen und Freizeitradler ansprechen. Bei diesen „klassischen“ Formen des Fahrradverleihs sind weder der öffentliche Zugang zu den Rädern noch die Automatisierung des Entleih- und Rückgabevorgangs gegeben. Vielmehr sind diese Mietmodelle an bestimmte Öffnungszeiten der Betreiber und an die Anwesenheit von Personal gebunden, weshalb die Fahrräder nicht rund um die Uhr verfügbar sind und auch nicht selbstständig ausgeliehen und zurückgegeben werden können. In der Regel sind die unmittelbare Vorlage der Personalien, die Hinterlegung einer Kaution und die Rückgabe der Fahrräder am Ausleihort notwendig, wodurch „ Einwegfahrten “ meist ausgeschlossen sind. Auch das Angebot von Werksfahrrädern auf den Betriebsgeländen großer Unternehmen wie z.B. der Bayer AG in Leverkusen oder der BASF AG in Ludwigshafen stellen keine FVS im oben definierten Sinn dar.
Neben dem Begriff FVS gibt es noch weitere Bezeichnungen für derartige öffentliche Verleihangebote. Im deutschsprachigen Raum findet man häufig noch die Begriffe „Pfandfahrradsystem“, „ Kommunales Fahrrad “, „Stadtrad“ etc., während im angelsächsischen Sprachraum Bezeichnungen wie „Communal Bikes“, „City-Bike-System“, „Public Bikes“ oder „Freebikes“ geläufig sind. Der Begriff „Fahrradverleihsystem“ stellt jedoch die umfassendste Bezeichnung dar, da die anderen genannten deutschen Begriffe z.T. eine bestimmte Funktionsweise oder Organisationsform beschreiben, die nicht allen FVS zu Eigen ist. Beispielsweise definiert der ADFC kommunale Räder als „von einer Kommune finanzierte, zum allgemeinen Gebrauch in einem bestimmten Gebiet angebotene Fahrräder. Die kommunalen Fahrräder werden vorzugsweise an bestimmten Stellplätzen bereitgehalten“ (BECK 1991, S.1).
3.2. Charakteristika von Fahrradverleihsystemen
FVS weisen unterschiedliche Eigenschaften, Zielgruppen, Verwendungszwecke, Chancen, Schwierigkeiten, Kosten und Finanzierungsmöglichkeiten auf. Diese Vielfalt an Charakteristika soll in den folgenden Abschnitten näher erläutert und analysiert werden.
3.2.1. Die wichtigsten Merkmale
Ein großer Vorteil von öffentlichen FVS und gleichzeitig ein entscheidendes Unterscheidungsmerkmal gegenüber dem „klassischen“ Fahrradverleih ist die hohe zeitliche und räumliche Flexibilität des Angebotes. Durch das Vorhandensein zahlreicher Fahrräder und die meist gegebene 24-stündige Entleih- und Rückgabemöglichkeit, wird ein einfacher
31 Fahrradverleihsysteme - Definition, Eigenschaften und Potentiale und schneller Zugang zu den Fahrrädern und damit eine hohe Verfügbarkeit der Räder gewährleistet. Die Nutzer sind in der Regel 10 sowohl bei der Entleihe als auch bei der Rückgabe nicht an Öffnungszeiten gebunden, wie dies z.B. bei Fahrradhändlern und meist auch bei Fahrradstationen der Fall ist. Ein weiterer Grund für die hohe Flexibilität bei der Nutzung öffentlicher Leihfahrräder ist die Tatsache, dass die meisten FVS aus einem flächendeckenden Netz vieler Ausleih- und Rückgabestandorte bestehen. Dadurch müssen Start- und Zielpunkt des zurückgelegten Weges nicht identisch sein, so dass Einwegfahrten möglich sind. Dies macht FVS für die Nutzung im Alltag besonders komfortabel und attraktiv
(vgl. BÜHRMANN 2006, S.2).
Bei den meisten FVS ist der kurzzeitige Gebrauch der Fahrräder kostenlos möglich, wodurch erreicht werden soll, dass diese v.a. für Kurzstreckenfahrten und von vielen verschiedenen Kunden hintereinander genutzt werden. So wird beispielsweise jedes Fahrrad des Verleihsystems „ Vélib’“ aus Paris pro Tag im Schnitt von 12 verschiedenen Kunden genutzt, wobei die durchschnittliche Entleihdauer 18 min. beträgt (vgl. Kap. 5.4).
Um keine öffentlich subventionierte Konkurrenz zu vorhandenen, „klassischen“ Fahrradverleihangeboten darzustellen, werden viele FVS mit einer speziellen Gebührenstruktur betrieben. Diese ermöglicht es den Benutzern, kurze Fahrten kostenlos oder zu besonders günstigen Preisen durchzuführen, während längere Fahrten gezielt unattraktiv gestaltet werden, indem die Nutzungsgebühren mit zunehmender Entleihzeit stark ansteigen (vgl. Tab. 12). Da die Nutzung eines Fahrrades aus einem öffentlichen FVS über einen längeren Zeitraum von einigen Stunden bis Tagen also i.d.R. verhältnismäßig teuer und damit unattraktiv ist, werden interessierte Nutzer für längere Mietzeiträume eher auf die „klassischen“ Vermietangebote von Radstationen oder Fahrradgeschäften zurückgreifen. Somit kann verhindert werden, dass diese Anbieter vom Vorhandensein eines subventionierten öffentlichen FVS benachteiligt werden, indem ihnen bisherige Kundengruppen wie Fahrradtouristen oder Freizeitradler verloren gehen. Einige Systeme bieten allerdings auch für längere Nutzungszeiten vergleichsweise günstige Tarife an und richten sich damit auch an mehrstündige oder mehrtägige Nutzer (Bsp.: 24h-Tarife von Call a Bike = € 9,00 und von nextbike = € 5,00).
Leihfahrräder sind öffentliche Individualverkehrsmittel, weshalb FVS als Teil des öffentlichen Nahverkehrssystems angesehen werden können. Häufig befinden sich die Stationen der FVS an den Haltestellen anderer öffentlicher Verkehrsmittel. Somit können die
10 Nur bei wenigen FVS ist die Nutzungszeit eingeschränkt. Dies gilt vor allem für die Systeme des Betreibers Clear Channel, dessen SmartBikes in einigen Städten zwar rund um die Uhr zurückgegeben, aber zu bestimmten Nachtzeiten nicht entliehen werden können (vgl. Kap. 5.1).
32 Fahrradverleihsysteme - Definition, Eigenschaften und Potentiale
Leihfahrräder als Teil einer intermodalen 11 Mobilitätskette fungieren, die z.B. folgendermaßen aussehen kann:
1. Fußweg vom Ausgangpunkt zur Entleihstation A
2. Fahrradfahrt von Station A zu Station B, die an einem ÖPNV-Haltepunkt liegt
3. Fahrt mit dem ÖPNV
4. Fahrradfahrt von der Station C (an der Zielhaltestelle des ÖPNV gelegen) hin zu Station D
5. Fußweg von der Rückgabestation D zum Zielort
Schließlich sind FVS auch an unterschiedlichen Orten realisierbar. Die Übertragbarkeit öffentlicher FVS auf unterschiedliche Städte mit angemessenen Rahmenbedingungen für das Fahrradfahren ist in vielen Fällen bewiesen worden und damit ein weiteres wichtiges Merkmal. Dies belegen die zahlreichen Beispiele der erfolgreichen Implementierung von FVS in Ländern wie Frankreich, Deutschland, den Niederlanden, Spanien, den USA, Österreich, Schweden oder Dänemark (vgl. BÜHRMANN 2006, S.2).
3.2.2. Verwendungszwecke und Zielgruppen
Obwohl viele Menschen ein eigenes Fahrrad besitzen, nutzen es im Alltag nur wenige regelmäßig. Dies liegt z.T. auch daran, dass man sein eigenes Fahrrad nicht immer genau dann zur Stelle hat, wenn man es gerade braucht. In einem solchen Fall können FVS Abhilfe schaffen. FVS sind also nicht nur für Kunden, die kein eigens Fahrrad besitzen, ein interessantes Serviceangebot, sondern Leihfahrräder sind auch für solche Nutzer attraktiv, die für einen bestimmen Weg gerne ein Fahrrad benutzen möchte, aber ihr eigenes Fahrrad in diesem Moment nicht zur Verfügung haben. Da man sich zahlreiche derartige Situationen vorstellen kann, ergeben sich auch viele Einsatzmöglichkeiten und Nachfragekonstellationen für ein FVS. Sei es, weil das eigene Fahrrad nicht oder nur unter großem Aufwand mitgenommen werden könnte, weil es defekt oder für den Einsatzzweck ungeeignet ist, oder weil man es z.B. aus Angst vor Diebstahl oder Beschädigung bewusst nicht mitnehmen möchte 12 .
11 „ Während Multimodalität die Benutzung verschiedener Verkehrsmittel innerhalb eines Zeitraumes mit üblicherweise mehreren Wegen beschreibt, meint Intermodalität die Nutzung mehrerer Modes im Verlauf eines Weges. Intermodales Verhalten ist ein Sonderfall von Multimodalität und Personen mit intermodalen Wegen sind eine Teilgruppe der Multimodalen.“ (Maertins 2006, S. 53) 12 Einer der Hauptgründe für die Einführung der FVS der sog. ersten und zweiten Generation war es, die hohe Anzahl an Fahrraddiebstählen zu senken (vgl. Kap. 4).
33 Fahrradverleihsysteme - Definition, Eigenschaften und Potentiale
An Wochentagen sind die Fahrtzwecke tagsüber zu einem Großteil arbeits- oder ausbildungsbezogen. Während der Abendstunden und an Wochenenden werden die Leihfahrräder vor allem im Einkaufsverkehr und für freizeitorientierte Aktivitäten genutzt. Viele FVS weisen in den späten Nachtstunden nochmal eine Zunahme der Entleihvorgänge auf. Dies erklärt sich damit, dass unmittelbar nach Betriebsschluss oder mit Beginn der selteneren Nachtverbindungen der öffentlichen Nahverkehrsmittel mehr Kunden auf die Leihfahrräder zurückgreifen (vgl. ebd., S.5). Diese Art der Nutzung zeigt beispielhaft, dass FVS sehr gut geeignet sind, das Angebot „traditioneller“ öffentlicher Verkehrsmittel zu ergänzen, da sie die „Service-Palette“ des ÖPNV um ein wichtiges und flexibles Element erweitern. Auf die Förderung intermodalen Verkehrsverhaltens durch die Kombination von FVS mit dem ÖV wird im folgenden Kapitel 3.3 noch näher eingegangen.
Im Businessplan der Gründer von Call a Bike aus dem Jahr 2000 werden die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von öffentlichen Leihfahrrädern treffend beschrieben: „ CallBikes sind Shopping-Shuttles, U-Bahn-Zubringer, nächtlicher Kneipen-Heimbringer, Zweiträder für Besucher, Ersatz bei Pannen. Call a Bike ist für Tagesbesucher und Einpendler, die durch Sperrzeiten und hohe Tarife von der Mitnahme eigener Fahrräder abgehalten werden. Call a Bike schließt die Lücke zwischen Fußweg, Taxis, Bussen und Bahnen. Räumlich, zeitlich, preislich.“ (CALL A BIKE 1997, S.11)
Das Angebot eines öffentlichen FVS richtet sich an unterschiedliche Zielgruppen. Junge , aktive und urbane Nutzer stellen dabei die wichtigste Kundengruppe dar, wie Untersuchungen zeigen (vgl. WZB-Studie Kap. 5.2). Die meisten Vertreter dieser Hauptnutzergruppe leben in Verdichtungsräumen und großen städtischen Agglomerationen, sind zwischen 18 und 34 Jahre alt und pflegen einen aktiven und flexiblen Lebensstil. Viele von ihnen besitzen kein eigenes Auto und benutzen häufig öffentliche Verkehrsmittel. Sie zeichnen sich durch ein hohes Level an Mobilität aus (vgl. BÜHRMANN 2006, S. 5).
Manche FVS richten sich aber auch ganz gezielt an bestimmte Nutzergruppen und schließen andere potentielle Nachfrager systematisch aus. Beispielsweise ist das System Bicing in Barcelona ausschließlich für einheimische Kunden gedacht. Um sich registrieren und das Angebot nutzen zu können, ist die Vorlage einer spanischen Wohnanschrift notwendig, so dass Touristen und andere ausländische Besucher sich keine Fahrräder des FVS entleihen können. In anderen Städten wiederum sind vor allem Touristen als relevante Nutzergruppe zu nennen (Bsp. Kopenhagener Citybike ). Das niederländische System OV-Fiets richtet sich dagegen insbesondere an Zugpendler, die ein öffentliches Fahrrad für die Anschlussfahrt vom Bahnhof zu ihrem Arbeitsplatz nutzen wollen (Details siehe Kap. 5).
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Nach der Regelmäßigkeit bzw. Häufigkeit der Nachfrage lassen sich potentielle Nachfrager unterteilen in:
1. Einzelnachfrager (überwiegend Freizeit- und Tourismus- aber auch Geschäftsreiseverkehr)
2. Periodische Nachfrager (Einkaufs- und Freizeitverkehr)
3. Dauernachfrager (Ausbildungs-, Berufs- / Pendlerverkehr)
3.2.3. Chancen von FVS
Die Implementierung eines FVS bringt für eine Stadt oder eine Region viele Vorteile mit sich. Die wichtigsten Gründe, die für die Einführung eines solchen Systems sprechen, werden im Folgenden aufgezählt:
• Öffentliche Leihfahrräder können die Mobilitätsbedürfnisse vieler Menschen befriedigen. Denn ein FVS stellt den Bürgern und Besuchern einer Stadt ein schnelles, verlässliches und v.a. flexibles städtisches Verkehrsmittel zur Verfügung und erweitert damit die Auswahl an Mobilitätsangeboten.
• FVS bieten eine optimale Ergänzung zum eigenen Fahrrad, den eigenen Füßen, dem Auto, dem Motorrad, Bussen und Bahnen. FVS können nicht nur helfen, Kurzstreckenfahrten mit dem MIV zu ersetzen und somit zu vermeiden, sondern in Kombination mit anderen öffentlichen Verkehrsträgern sorgen Sie auch für eine Attraktivitätssteigerung und damit eine Stärkung des „ Umweltverbunds “ als System, so dass eine multimodale Verkehrsmittelwahl attraktiver wird.
• Im Vergleich zum „traditionellen“ ÖPNV-Angebot ermöglichen FVS dem Benutzer eine aktive Verkehrsbeteiligung und eine besonders hohe Flexibilität und Unabhängigkeit , da dieser weder an festgelegte Fahrtrouten noch an fremdbestimmte Abfahrzeiten gebunden ist, vorausgesetzt es steht ein Leihfahrrad zur Verfügung.
• Die Einführung eines erfolgreichen FVS erhöht den Anteil nachhaltiger Verkehrsmittel am gesamten Verkehrsaufkommen einer Stadt zu einem vergleichsweise geringen Kostenaufwand. Denn im Vergleich zu herkömmlichen öffentlichen Nahverkehrsmitteln wie dem Bus, der Straßenbahn und vor allem der U-Bahn ist die Einführung und Unterhaltung eines FVS mit vergleichsweise geringen Kosten verbunden. Damit stellen öffentliche Leihfahrräder auch finanziell gesehen ein besonders effizientes Verkehrsmittel dar, wobei die Kosten für die verschiedenen System-Typen stark variieren (vgl. Kap. 5).
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• Ein FVS kann eine effektive Maßnahme sein, um das Fahrradfahren in der Stadt als „selbstverständliche“ Fortbewegungsmöglichkeit und sinnvolle Mobilitätsalternative im Alltag zu fördern und zu etablieren. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn das FVS im Rahmen eines integrierten Ansatzes , also in Kombination mit anderen Maßnahmen zur Förderung des Fahrradverkehrs und der Verkehrssicherheit, implementiert wird. Vor allem in Städten, deren Radverkehrsanteil am Modal Split sehr gering ist und in denen (noch) keine „ Fahrradkultur “ entwickelt ist, können FVS ein „ Türöffner “ sein, um die Akzeptanz des Fahrrades als alltägliches städtisches Verkehrsmittel allgemein zu erhöhen.
Bsp.: In der bis dato nicht besonders „Fahrrad-affinen“ Stadt Lyon ist es gelungen, durch die Einführung eines FVS die Fahrradnutzung innerhalb eines Jahres um 44% zu erhöhen. Noch eindrucksvoller ist die Tatsache, dass 96% aller Vélo’v - Kunden ein Fahrrad in der Innenstadt zuvor nicht verwendet haben, also neue Fahrradnutzer sind. Durch die Einführung von Vélo’v wurde die Akzeptanz des Fahrrades als städtisches Verkehrsmittel deutlich erhöht. So fahren seit der Einführung des Systems im Mai 2005 nicht nur viele tausend Menschen täglich mit den öffentlichen Leihfahrrädern der Betreiberfirma JCDecaux durch die Straßen Lyons, sondern auch die Nutzung privater Fahrräder hat sich seitdem deutlich erhöht (vgl. BÜHRMANN 2006, S.2 ff.). Das Fahrrad ist durch die Implementierung von Vélo’v zum festen und dauerhaft präsenten Bestandteil des Stadtbildes geworden. Durch die Schaffung eines Angebotes an Leihfahrrädern ist „eine schlummernde Nachfrage geweckt worden“ und es haben sich die Mobilitätsgewohnheiten vieler Einwohner Lyons verändert. Diese Menschen haben durch die Implementierung des FVS gelernt, das Fahrrad für die Abwicklung ihrer alltäglichen Mobilitätsbedürfnisse zu nutzen (vgl. Kap. 5.4).
• FVS machen aber auch in Städten Sinn, die bereits über vergleichsweise hohe Radverkehrsanteile bzw. hohe Fahrradbesitzquoten verfügen, da öffentliche Leihfahrräder das Fahrradfahren insgesamt noch attraktiver machen. Außerdem bieten sie nicht nur den einheimischen Nutzern ein zusätzliches nachhaltiges Mobilitätsmittel, sondern stellen auch für Besucher, Touristen, Pendler, Geschäftsreisende oder Konferenz- und Tagungsgäste ein wichtiges Serviceangebot dar (vgl. Zielgruppen).
• Da das Fahrradfahren für jeden einzelnen erwiesenermaßen umso sicherer ist, je höher der Radverkehrsanteil insgesamt ist, verbessert sich durch den Betrieb eines erfolgreichen FVS die Verkehrssicherheit für alle Fahrradfahrer in einer Stadt. Auch die anderen im Kapitel 2 aufgeführten allgemeinen Vorteile und Stärken des Fahrrades als städtisches Verkehrsmittel gelten zum Großteil ebenso für öffentliche Leihfahrräder. Hier
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sind insbesondere die effizientere Nutzung des öffentlichen Raums 13 durch Platzeinsparungen, die Verringerung der Schadstoffemissionen und anderer Umweltbelastungen, die positiven Gesundheitseffekte für die Nutzer und die Erhöhung der städtischen Lebensqualität zu nennen.
• Die Infrastruktur erfolgreicher und qualitativ hochwertiger FVS wird i.d.R. von professionellem Servicepersonal regelmäßig gepflegt und gewartet. Dadurch kann erreicht werden, dass die Nutzer des Systems sich auf Fahrrädern in einem guten technischen Zustand (Bremsen, Licht etc.) fortbewegen, was im Sinne der Verkehrssicherheit zu begrüßen ist.
• Außerdem entstehen durch die Einführung eines FVS zahlreiche neue Arbeitsplätze . Beispielsweise sind für die Gesamtorganisation (Logistik, Marketing, Service etc.) von Vélib’ in Paris über 350 neue Stellen geschaffen worden.
• Schließlich stärken die Implementierung und der erfolgreiche Betrieb eines FVS auch das lokale Identitätsgefühl , wenn die öffentlichen Fahrräder nicht nur zum akzeptierten, sondern zum beliebten Teil des Stadtbildes werden und auch außerhalb einer Stadt als Erfolg wahrgenommen und bewertet werden.
Bsp.: Noch vor wenigen Jahren galt die französische Hauptstadt als fahrradunfreundliche und für höhere Fahrradverkehrsanteile ziemlich ungeeignete Metropole. Doch seit 2007 kann Paris sich plötzlich zu Recht als die „Weltstadt der öffentlichen Leihfahrräder“ bezeichnen und wird auch weltweit als solche gefeiert und bewundert. Durch den Paukenschlag der Einführung des Systems Vélib’ hat sich das Image von Paris in kürzester Zeit weg vom reinen „Verkehrsmoloch“ hin zu einer prominenten und viel zitierten Fahrradhauptstadt von Welt gewandelt.
3.2.4. Schwierigkeiten und Herausforderungen
Die Einführung eines FVS ist aber auch mit einigen Schwierigkeiten und Herausforderungen verbunden, wie die folgende Aufzählung deutlich macht:
• Leihfahrräder müssen eine Vielzahl von unterschiedlichen Eigenschaften erfüllen:
13 In Lyon beispielsweise wurden KFZ-Stellplätze z.T. für Stationsanlagen des FVS Vélo’v umgewidmet. Dadurch wird der öffentliche Raum nun effizienter genutzt, denn ein einzelner Autoparkplatz, der im Schnitt von sechs PKW-Fahrern am Tag in Anspruch genommen wurde, ist durch fünf Fahrradabstellplätze ersetzt worden, an denen durchschnittlich 15 Nutzungsvorgänge pro Tag gezählt werden (vgl. BÜHRMANN 2006, S.4).
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