Öffentliche Fahrradverleihsysteme im Vergleich – Analyse, Bewertung und Entwicklungsperspektiven

Diplomarbeit

Wigand von Sassen

Universität Trier

Fachbereich VI – Angewandte Geographie

Abteilung Raumentwicklung und Landesplanung

Öffentliche Fahrradverleihsysteme im Vergleich – Analyse, Bewertung und Entwicklungsperspektiven

Eingereicht im Januar 2009 von

Wigand von Sassen

Maximinstr. 17

54292 Trier

Matrikelnummer: 680199

Email: [email protected]

Betreuer:

Prof. Dr. Heiner Monheim (Erstgutachter): Lehrstuhl für Angewandte Geographie / Raumentwicklung und Landesplanung, Universität Trier

Prof. Dr. Andreas Kagermeier (Zweitgutachter): Lehrstuhl für Angewandte Geographie / Freizeit- und Tourismusgeographie, Universität Trier

„Wir können kein städtisches Transportsystem gestalten, ohne zu wissen, in was für einer Stadt wir leben wollen!“

(Enrique Peñalosa, Bürgermeister von Bogotá 1998 - 2001)

I Vorwort

Vorwort

Als Mitarbeiter der Kampagne Radlust (www.radlust.info) und schon immer begeisterter Fahrradfahrer war mir klar, dass ich gerne eine Arbeit zum Thema Fahrradverkehr schreiben möchte. Dabei wollte ich mich mit einem anwendungsbezogenen und innovativen Thema beschäftigen. Auf der internationalen Fahrradkonferenz Velo-city , die im September 2007 in München stattfand, hörte ich zum ersten Mal von den Plänen, in Paris ein öffentliches und vollautomatisches Verleihsystem für Fahrräder zu installieren. Die Idee faszinierte mich und ich fragte mich, ob das Konzept von Erfolg gekrönt sein würde, denn bis dahin hatte ich nur von mäßig erfolgreichen oder gescheiterten Fahrradverleihsystemen gehört. Als Student der Universität Trier hatte ich selber Erfahrungen mit dem universitären System „ Trierad “ gemacht, dessen Qualität mich aber nie vollkommen überzeugt hatte und das im dritten Jahr meines Studiums wegen verschiedener ungelöster Probleme eingestellt worden war.

Als bereits wenige Wochen nach dem Start des Systems „ Vélib’“ in Paris die ersten Erfolgsmeldungen im Internet und in den Zeitungen zu lesen waren und ich staunte, wie über das Thema Fahrradverkehr im Zusammenhang mit Vélib’ in allen Medien plötzlich positiv, geradezu begeistert berichtet wurde, entschloss ich mich, meine Diplomarbeit über öffentliche Fahrradverleihsysteme zu schreiben.

Dass ich mich mit den Themen der Verkehrsplanung und insbesondere der Fahrradförderung in meinem Studium überhaupt so intensiv befasst habe, habe ich vor allem Prof. Dr. Heiner Monheim zu verdanken. Als Student der Angewandten Umweltwissenschaften (AUW) hörte ich seine hochinteressanten und lebhaften Vorlesungen in den ersten Semestern an der Universität Trier zunächst nur im Rahmen meines Begleitstudiums. Nach den erfolgreich abgelegten Vordiplomsprüfungen in AUW entschloss ich mich dann aber „umzusatteln“ und im Schwerpunkt „Raumentwicklung und Landesplanung“ weiter zu studieren. Besonders bedanken möchte ich mich bei Prof. Monheim für die hervorragende Betreuung und Unterstützung während der Arbeit und für die zahlreichen Gespräche zum Thema, dank derer ich viele wichtige Anregungen erhielt und die mich in meiner Begeisterung für das Thema immer wieder bestärkt haben.

Weiterhin gilt mein Dank auch allen meinen Freunden, mit denen ich nicht nur während meiner Diplomarbeit eine unvergessliche Zeit hatte. Besonderer Dank gebührt dabei meiner Freundin Stella und meinen Eltern, die mir bei der Schlussredaktion der Arbeit unermüdlich geholfen haben. Besonders herzlich danke ich meiner ganzen Familie, die mich während des gesamten Studiums in jeder Hinsicht unterstützt hat, vor allem meinen Eltern, die mir das Studium überhaupt erst ermöglicht haben.

II Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Vorwort...... II

Inhaltsverzeichnis...... III

Abbildungsverzeichnis...... VII

Tabellenverzeichnis ...... VIII

Abkürzungsverzeichnis...... X

1. Einleitung ...... 1

1.1. Problemstellung und thematische Einführung...... 1

1.2. Zielsetzung der Arbeit ...... 2

1.3. Aufbau der Arbeit...... 3

2. Fahrradverkehr in Deutschland...... 8

2.1. Entwicklung des Fahrradverkehrs zwischen 1920 und 2002...... 8

2.2. Fahrradverkehr heute – die wichtigsten Daten und Fakten ...... 13

2.3. Aktuelle Fahrradpolitik und Förderung des Fahrradverkehrs in Deutschland ...... 15

2.4. Die Stärken und Chancen des Fahrrads als Verkehrsmittel...... 20

2.5. Fahrradverkehr als System...... 25

3. Fahrradverleihsysteme - Definition, Eigenschaften und Potentiale ...... 30

3.1. Definition – was ist ein Fahrradverleihsystem?...... 30

3.2. Charakteristika von Fahrradverleihsystemen...... 31

3.2.1. Die wichtigsten Merkmale ...... 31

3.2.2. Verwendungszwecke und Zielgruppen ...... 33

3.2.3. Chancen von FVS...... 35

3.2.4. Schwierigkeiten und Herausforderungen...... 37

3.2.5. Kosten und Finanzierungsmöglichkeiten ...... 39

4. Historische Entwicklung – von Amsterdam bis Paris ...... 49

4.1. Fahrradverleihsysteme der ersten Generation ...... 49

4.2. Fahrradverleihsysteme der zweiten Generation...... 51

4.3. Fahrradverleihsysteme der dritten Generation ...... 55

III Inhaltsverzeichnis

5. Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich...... 57

5.1. Clear Channel Outdoor - die Erfinder der „ SmartBikes “ ...... 57

5.1.1. Clear Channel Outdoor – Pionier der „Dritten Generation“ ...... 57

5.1.2. Die Organisationsstruktur...... 59

5.1.3. Der Ausleihmechanismus...... 60

5.1.4. Die Fahrräder – Technik, Funktionen, Wartung und Service...... 61

5.1.5. Nutzungsgebühren, Kosten und Finanzierung ...... 63

5.1.6. Marktentwicklung, Nutzerzahlen und Zukunftsaussichten ...... 64

5.1.7. Rennes – Velo a la carte ...... 64

5.1.8. in Barcelona ...... 66

5.1.9. „Smart Bike DC “ in der Hauptstadt Washington DC ...... 70

5.1.10. Bewertung – die Stärken und Schwächen des SmartBike -Systems...... 72

5.2. – die Hightech-Fahrräder der Deutschen Bahn...... 74

5.2.1. Einführung – von München bis Hamburg...... 74

5.2.2. Die Organisationsstruktur...... 77

5.2.3. Der Ausleihmechanismus...... 79

5.2.4. Die Fahrräder – Technik, Funktionen, Wartung und Service...... 81

5.2.5. Nutzungsgebühren, Kosten und Finanzierung ...... 83

5.2.6. Marktentwicklung, Kundengruppen und Entwicklungsperspektiven...... 86

5.2.7. Kooperation mit Ströer DSM – exklusiver Vertriebspartner von CaB ...... 92

5.2.8. Bewertung: Stärken und Schwächen des Systems Call a Bike ...... 93

5.3. Citybike Wien ...... 99

5.3.1. Einführung ...... 99

5.3.2. Organisationsstruktur...... 101

5.3.3. Der Ausleihmechanismus...... 104

5.3.4. Die Fahrräder ...... 105

5.3.5. Kosten und Finanzierung ...... 106

5.3.6. Marktentwicklung, Nutzerzahlen und Zukunftsaussichten ...... 108

5.4. Cyclocity® - das Erfolgsmodell der Firma JCDecaux ...... 117

IV Inhaltsverzeichnis

5.4.1. Einführung - eine französische Werbefirma entdeckt das Fahrrad ...... 117

5.4.2. Die Organisationsstruktur...... 119

5.4.3. Der Ausleihmechanismus...... 120

5.4.4. Die Fahrräder – Technik, Funktionen, Wartung und Service...... 121

5.4.5. Nutzungsgebühren, Kosten und Finanzierung ...... 123

5.4.6. Marktentwicklung, Nutzerzahlen und Zukunftsaussichten ...... 124

5.4.7. Vélo’v in Lyon ...... 124

5.4.8. Bewertung Vélo’v ...... 125

5.4.9. Vélib’ in Paris – mit dem Fahrrad in 1 h 24 min. einmal um die Welt...... 126

5.4.10. Bewertung...... 131

5.4.11. Abschlussbewertung – Stärken und Schwächen des Systems Cyclocity® ..135

5.5. aus Leipzig...... 137

5.5.1. Einführung - von Leipzig bis Auckland...... 137

5.5.2. Organisationsstruktur...... 138

5.5.3. Ausleihmechanismus...... 140

5.5.4. Die Fahrräder – Technik, Funktionen, Wartung und Service...... 141

5.5.5. Nutzungsgebühren, Kosten und Finanzierung ...... 142

5.5.6. Marktentwicklung, Nutzergruppen und weitere Pläne ...... 145

5.5.7. Beispielstädte - Düsseldorf und Offenbach ...... 145

5.5.8. Bewertung - die Stärken und Schwächen des Systems nextbike ...... 148

5.6. Weitere Fahrradverleihangebote ...... 151

5.6.1. Das Modell OV-fiets...... 151

5.6.2. Das System bikey ®...... 153

6. Hamburg, Berlin, Stuttgart – drei Fallbeispiele aus Deutschland...... 156

6.1. Hamburg steigt auf ...... 156

6.2. Berlin – ein Modellprojekt mit Zukunft? ...... 163

6.3. Stuttgart - von der „Auto-Hauptstadt“ zur „Hochburg der Pedelecs“ ? ...... 165

7. Wichtige Voraussetzungen für den Erfolg – die Erfolgsfaktoren...... 170

7.1. Fahrradfreundlichkeit, politische Unterstützung und Fahrradbesitzquote ...... 170

V Inhaltsverzeichnis

7.2. Vorbereitungsaufwand und Platz im öffentlichen Raum...... 171

7.3. Mindestgröße und Angebotsdichte des FVS ...... 172

7.4. Zielgruppenspezifische Ausrichtung...... 173

7.5. Einbindung relevanter Akteure vor Ort ...... 174

7.6. Distributionsaufwand berücksichtigen ...... 174

7.7. Realistische Kosteneinschätzung ...... 175

7.8. Stadtmindestgröße...... 175

7.9. Stationsgebunden oder stationsunabhängig? ...... 176

7.10. Integrierter Ansatz zur Stärkung des Umweltverbundes ...... 177

7.11. Starttermin...... 177

7.12. Die obligatorische Identifizierung der Nutzer ...... 178

7.13. Qualität des Angebots – High-Tech statt Low-Budget ...... 178

7.14. Nutzungsgebühren und Tarifstruktur - kurze kostenlose Nutzungszeit...... 179

7.15. Je einfacher, desto besser ...... 180

7.16. Kommunikation und Werbung...... 180

7.17. Topographie und Klima...... 181

7.18. Verkehrserziehung ...... 181

7.19. Monitoring ...... 182

8. Resümee...... 183

8.1. Zusammenfassung der Ergebnisse und weitere Entwicklungsperspektiven ...... 183

8.2. Wissenschaftlicher Beitrag der Arbeit und weiterer Forschungsbedarf...... 185

8.3. Schlussfazit...... 187

Literaturverzeichnis...... 188

Anhang...... i

Erklärung zur Diplomarbeit...... vii

VI Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: „Berufsverkehr“ im Ruhrgebiet in den 1950er Jahren ...... 9

Abb. 2: Entwicklung des Modal Split in den Jahren 1976 – 2002³ ...... 10

Abb. 3: Wegezwecke im Vergleich...... 15

Abb. 4: Die vier Säulen der Fahrradförderung ...... 26

Abb. 5: Vergrößerung des Einzugsbereichs einer Haltestelle durch Bike&Ride ...... 44

Abb. 6: Das Kopenhagener City-Bike ...... 52

Abb. 7: SmartBike Stationen in Rennes und in Barcelona ...... 58

Abb. 8: SmartBikes in einer Docking-Station...... 61

Abb. 9: Das erste SmartBike aus Rennes, das aktuelle Modell aus Barcelona ...... 61

Abb. 10: Ein Service-Fahrzeug des Systems Bicing in Barcelona ...... 63

Abb. 11: Dauer und Häufigkeiten der Ausleihen ...... 65

Abb. 12: Das Stationsnetz von Bicing ...... 67

Abb. 13: Entwicklung der Anzahl der Benutzer („usuaris“) und Stationen („estacions“)...... 69

Abb. 14: Die Stationen an den Hauptbahnhöfen in Hamburg und Bonn ...... 76

Abb. 15: Die CaB -Kerngebiete in Berlin und München ...... 78

Abb. 16: Stationsplan des CaB-fix -Systems in Stuttgart und Station am Hbf...... 79

Abb. 17: Elektronisches Schloss, Bedienungsanleitung und Display am CallBike ...... 80

Abb. 18: Ein CallBike der zweiten Generation ...... 82

Abb. 19: Übersicht der CaB -Tarife ...... 83

Abb. 20: Entwicklung der Fahrten in den Jahren 2001 – 2004...... 87

Abb. 21: CaB -Fahrten pro Kunde ...... 89

Abb. 22: Fahrten mit CaB nach Tageszeit und im Wochenverlauf...... 90

Abb. 23: Stationsplan CBW ...... 100

Abb. 24: Service-Terminal einer CBW -Station ...... 102

Abb. 25: Die Servicefahrzeuge der CBW -Techniker ...... 103

Abb. 26: Anzahl der Fahrten in den Saisons 2006 und 2007 im Vergleich ...... 110

Abb. 27: Durchschnittliche Nutzung pro Tag in Stunden Saison 2006 und 2007 ...... 111

VII Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Abb. 28: Nutzungshäufigkeiten im Tagesverlauf...... 112

Abb. 29: Entleihdauer der Citybikes ...... 113

Abb. 30: Stationen des Systems Cyclocity® in Lyon und Paris...... 119

Abb. 31: Servicefahrzeuge der Systeme Vélo’v und Vélib’ ...... 122

Abb. 32: typische Probleme ...... 130

Abb. 33: „Champions´ride“ zum ersten Jahrestag von Vélib’ ...... 133

Abb. 34: Verkehrssicherheitskampagne der Stadt Paris...... 134

Abb. 35: nextbike -Station in Offenbach und ein Nextbike der zweiten Generation ...... 139

Abb. 36: Zwei Stationen des FVS OV-fiets ...... 152

Abb. 37: Die OV-fiets der Nederlandse Spoorwegen ...... 152

Abb. 38: Die bikey ®-Boxen am Bahnhof in Grevenbroich ...... 153

Abb. 39: Prototyp einer Pedelec-Verleihstation samt Akku-Automat ...... 167

Abb. 40: Breites Medienecho...... 168

Tabellenverzeichnis

Tab. 1: Befragte Experten ...... 6

Tab. 2: Die FVS im Betrieb von CCO...... 58

Tab. 3: Ausbau des Systems Bicing in Barcelona ...... 66

Tab. 4: Die Standorte von Call a Bike ...... 75

Tab. 5: Die Kerngebiete der CaB-flex -Systeme ...... 77

Tab. 6: Marktentwicklung von CaB in den Jahren 2001 – 2008 ...... 88

Tab. 7: Entwicklung des Systems CBW ...... 100

Tab. 8: Übersicht über die Nutzungsgebühren des Systems CBW ...... 106

Tab. 9: Entwicklung der Nutzungszahlen in den Jahren 2004 – 2008...... 108

Tab. 10: Übersicht der Standorte von Cyclocity® ...... 118

Tab. 11: Vélib’ - Kalender...... 127

Tab. 12: Kostentabelle Vélib’ Kostenverlauf Vélib ’ ...... 128

Tab. 13: Verkaufte Vélib’ -Abonnements ...... 128 VIII Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Tab. 14: Die Standorte von nextbike ...... 138

Tab. 15: Die Preisliste von bikey® ...... 154

Tab. 16: Fahrradverleihsysteme im Vergleich...... iv

Tab. 17: Anbieter und Konzepte im Vergleich...... vi

IX Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

ADFC: Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club e.V.

AGFS: Arbeitsgemeinschaft Fahrradfreundliche Städte, Gemeinden und Kreise in Nordrhein-Westfalen

AOK: Allgemeine Ortskrankenkasse

BMU: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

BMVBS: Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

BMVBW: Bundesministerium für Verkehr, Bau und Wohnungswesen

BSU: Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt der Freien und Hansestadt Hamburg

BVG: Berliner Verkehrsbetriebe

CaB: Call a Bike

CCO: Clear Channel Outdoor

DB: Deutsche Bahn

Difu: Deutsches Institut für Urbanistik

DIW: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung

EU: Europäische Union

FHH: Freie und Hansestadt Hamburg

FVS: Fahrradverleihsystem

GVFG: Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz

HVV: Hamburger Verkehrsverbund

IFMA: Internationale Fahrrad- und Motorradausstellung

JCD: JCDecaux

KONTIV: Kontinuierliche Erhebung zum Verkehrsverhalten

MiD: Mobilität in Deutschland

MIV: Motorisierter Individualverkehr

MWMEV NRW: Ministerium für Wirtschaft und Mittelstand, Energie und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen

MWMTV NRW: Ministerium für Wirtschaft und Mittelstand, Techologie und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen X Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

NMIV: Nichtmotorisierter Individualverkehr

NRVP: Nationaler Radverkehrsplan

NRW: Nordrhein-Westfalen

NS: Nederlandse Spoorwegen

ÖPNV: Öffentlicher Personennahverkehr

ÖV: Öffentlicher Verkehr

PGV: Planungsgemeinschaft Verkehr

PKW: Personenkraftwagen

SPNV: Schienenpersonennahverkehr

StVO: Straßenverkehrsordnung

UBA: Umweltbundesamt

VCD: Verkehrsclub Deutschland

VCÖ: Verkehrsclub Österreich

VRR: Verkehrsverbund Rhein-Ruhr

WZB: Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Vorbemerkung:

Für allgemeine Personen- und Berufsbezeichnungen wurden in dieser Arbeit aus Gründen der Lesbarkeit die maskulinen Formen verwendet. Die entsprechenden femininen Formen sind fallweise mitzudenken. Die Leserinnen und Leser werden dafür um Verständnis gebeten.

XI

Einleitung

1. Einleitung 1.1.Problemstellung und thematische Einführung 1.2.Zielsetzung der Arbeit

1.3.Aufbau und Fragestellungen 1.4.Methodik

1 Einleitung

1. Einleitung

1.1. Problemstellung und thematische Einführung

In Zeiten, in denen es „schick“ ist, sich mit tonnenschweren Geländewagen und anderen „PS-starken Spritfressern“ durch die Stadt zu bewegen oder immer häufiger auch im Stau zu stehen, in denen in den „hochentwickelten“ Industriestaaten die Folgen von Übergewichtigkeit und Bewegungsmangel zwei der größten gesellschaftlichen Gesundheitsprobleme darstellen, in denen die Mineralölpreise immer weiter in die Höhe klettern 1 und in denen der anthropogen verursachte Klimawandel nicht mehr von der Hand zu weisen, sondern wissenschaftlich erwiesen ist, erscheint es dringend geboten, sich über effiziente und damit intelligentere Mobilitätsformen Gedanken zu machen. Vor allem in der z.T. sehr kontrovers geführten umwelt- und klimapolitischen Diskussion spielt der Verkehr eine wichtige Rolle. Bis zu einem Viertel aller CO 2-Emissionen werden vom Verkehr produziert, davon entfallen mehr als 90% auf den Straßen- und Luftverkehr (vgl.

UMWELTBUNDESAMT 2008, o.S.)

Dennoch hat insbesondere die deutsche Automobilindustrie den Trend der Zeit vollkommen verschlafen und es verpasst, die längst überfälligen Forschungsarbeiten zur Entwicklung deutlich verbrauchs- und damit emissionsärmerer Antriebstechnologien zu betreiben. Obwohl seit 1998 feststeht, dass die EU im Jahr 2012 neue Grenzwerte für den durchschnittlichen CO 2-Ausstoß von Neuwagen einführen wird (120 Gramm pro km), werden die Autos im Schnitt immer größer, schwerer und „PS-stärker“. Statt sich an die selbst eingegangene Verpflichtung zu halten, bis 2008 einen Ausstoß von 140 Gramm CO 2 pro km zu erreichen, haben die Lobbyisten der Autoindustrie den Druck auf die Politik so weit erhöht, dass die ursprünglichen Ziele und Grenzwerte nun erst drei Jahre später verbindlich gelten sollen und zahlreiche Ausnahmeregelungen eingeführt werden.

Trotz gelobter Versprechungen und regelmäßig wiederholter gewissenhafter Lippenbekenntnisse für mehr Klimaschutz fällt der Bundesregierung im Herbst 2008 keine bessere Maßnahme ein, als die Bürger durch steuerliche Vergünstigungen zum Kauf „umweltfreundlicher“ Neuwagen zu animieren, um der enormen Absatzschwäche der Automobilindustrie in Zeiten der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise entgegenzuwirken. Die Einführung der sog. „Verschrottungsprämie“ zielt in die gleiche Richtung – mit dem eingeplanten Geld könnte man im Fahrradverkehr sehr viel sinnvollere Maßnahmen umsetzen. Dass es zahlreiche und sehr viel förderwürdigere Alternativen zum PKW gibt,

1 Dieser stetige Aufwärtstrend der letzten Jahre ist mit Beginn der Wirtschafts- und Finanzkrise in 2008 zwar unterbrochen worden, wird sich auf lange Sicht jedoch weiter fortsetzen.

1 Einleitung kommt den Entscheidungsträgern aber nicht in den Sinn oder es fehlt der Wille, sich mit der mächtigen Autoindustrie „anzulegen“. Forderungen nach einem Ausbau und einer Attraktivitätssteigerung der umweltfreundlichen Verkehrsalternativen und ein entsprechend geförderter Umstieg auf diese werden kaum beachtet.

Ein in der Tat sehr gut geeignetes, umweltfreundliches und vor allem ökonomisches städtisches Verkehrsmittel stellt das Fahrrad dar, alleine das Bewusstsein darüber fehlt häufig oder es bestehen viele Vorbehalte gegen eine regelmäßige Nutzung im Alltag. Entscheidende Gegenargumente stellen die oft mangelhafte Servicestruktur und das unterentwickelte Dienstleistungsangebot dar. Um bei einem einerseits recht hohen durchschnittlichen Fahrradbesitz in Deutschland von etwa 80% und einer andererseits sehr geringen Fahrradnutzung von im Bundesdurchschnitt gerade einmal 9% (Anteil am Modal Split in 2002) letzteren Wert deutlich zu erhöhen, bedarf es einer Attraktivitätssteigerung des Verkehrsmittels Fahrrad in vielen Bereichen (vgl. BUNDESREGIERUNG 2007, S.3 ff.). Hier herrschen teilweise noch gravierende Defizite im Vergleich zum motorisierten Individualverkehr (MIV) vor. In modernen Gesellschaften, deren Bürger immer mehr Wert auf Komfort und Selbstverwirklichung legen, wird die Wahl der Verkehrsmittel in den meisten Fällen nicht rein rational getroffen. Durch eine deutliche Attraktivitätssteigerung der Rahmenbedingungen für den Fahrradverkehr und eine entsprechend positive Information und Kommunikation kann erreicht werden, dass das Fahrrad als ernsthafte Mobilitätsalternative zum Auto in der Stadt wahr- und angenommen wird. Durch objektiv positive Erfahrungen mit dem Fahrrad als ideales alltägliches Verkehrsmittel können die subjektiv positiven Einschätzungen der KFZ-Mobilität relativiert werden.

Im Sinne des Serviceangebots, der Verfügbarkeit, des Kosten-Nutzen-Verhältnisses, der Bequemlichkeit, der Verlässlichkeit und v.a. der Flexibilität können öffentliche Fahrradverleihsysteme (FVS) einen wichtigen Beitrag zur Attraktivitätssteigerung des Verkehrsmittels Fahrrad leisten. Sensationelle Erfolgsbeispiele wie das System „ Vélib’“ in Paris zeigen, was möglich ist, wenn Planer und politische Entscheidungsträger sich trauen, auch große Projekte zu realisieren und sich nicht nur mit kleinen Alibi-Aktivitäten begnügen. Vor allem durch den Paukenschlag in Paris ist ein Stein ins Rollen gekommen, dessen Schwung bereits für zahlreiche Folgeaktivitäten und positive Berichterstattung zu dem Thema „öffentliche Leihfahrräder“ gesorgt hat.

1.2. Zielsetzung der Arbeit

Ziel dieser Arbeit ist es nicht, sämtliche Fahrradverleihsysteme und -formen, die existieren oder einmal existiert haben, zu beschreiben, sondern zunächst einen kurzen Überblick über die zurückliegenden Entwicklungen zu geben und anschließend vor allem die größten und

2 Einleitung erfolgreichsten der derzeit implementierten FVS detailliert zu analysieren, zu bewerten und zu vergleichen. Der Fokus liegt dabei auf vollautomatischen Verleihsystemen, die für den innerstädtischen Kurzstreckeneinsatz gedacht und optimiert sind, und nicht auf den Angeboten der „traditionellen“ Fahrradvermietung, die vor allem touristische und freizeitorientierte Nutzer ansprechen.

Der Ansatz ist zweifacher Art, grundlagentheoretisch und angewandt-praxisorientiert. Neben der theoretischen Erarbeitung und Darstellung der Eigenschaften und Potentiale von FVS sollen vor allem auch die praktischen Umsetzungsbeispiele der letzten Monate und Jahre genau beschrieben werden. Die detaillierten Analysen und Bewertungen der verschiedenen Konzepte und implementierten Systeme bilden den Schwerpunkt dieser Arbeit. Auf Grundlage dieser Untersuchungen soll anschließend eine anwendungsorientierte Handlungsempfehlung abgeleitet werden, die erläutert, welcher grundlegenden Voraussetzungen und Kenntnisse es bedarf, um ein FVS erfolgreich zu betreiben und welche Systemkomponenten und Konzepte für welche Einsatzzwecke besonders geeignet erscheinen.

Diese Arbeit soll interessierten Lesern somit eine Grundlage liefern, sich über die aktuellen Entwicklungen und Angebote zu informieren. Städte und Kommunen, die an der Einführung eines FVS interessiert sind, sollen diese Arbeit als aktuelle, solide Informationsgrundlage und Entscheidungshilfe nutzen können. Aber auch Verkehrsplaner, potentielle Nutzer oder andere interessierte Leser haben die Möglichkeit, sich mit Hilfe dieser Arbeit über einzelne Systeme sowie die allgemeinen Vorteile und Chancen von FVS zu informieren.

1.3. Aufbau der Arbeit

Die vorliegende Arbeit ist in drei Teile gegliedert. Im ersten Teil sollen zunächst die empirischen Grundlagen zum Fahrradverkehr in Deutschland vorgestellt werden (Kapitel 2). Es wird herausgearbeitet, welchen gesellschaftlichen und verkehrspolitischen Stellenwert das Fahrrad im Verlauf der letzten etwa 90 Jahre besaß, welche Entwicklungen und Ansätze es in der Fahrradförderung gibt und welche Stärken und Potentiale es als ideales städtisches Verkehrsmittel auszeichnen. Was genau in dieser Arbeit unter einem FVS verstanden wird, was es von „klassischen" Formen des Fahrradverleihs unterscheidet und welche Chancen aber auch Schwierigkeiten die Implementierung eines solchen Systems in Städten mit sich bringt, wird im dritten Kapitel beleuchtet.

Den Schwerpunkt dieser Arbeit bildet Teil II. Zunächst wird die historische Entwicklung der öffentlichen FVS beschrieben und die grundlegenden Ansätze sowie einzelne Konzepte der sog. „ersten, zweiten und dritten Generation“ vorgestellt (Kapitel 4). Im anschließenden

3 Einleitung fünften Kapitel werden die verschiedenen, aktuell entwickelten Modelle der dritten Generation sowie jeweilige Umsetzungsbeispiele ausführlich dargestellt. Durch die detaillierte Analyse ist es möglich, die Stärken und Schwächen der verschiedenen Systeme zu benennen und diese zu bewerten sowie die unterschiedlichen Angebote miteinander zu vergleichen. Außerdem werden drei Konzepte vorgestellt, deren Umsetzung in Deutschland geplant war bzw. ist (Kapitel 6).

Auf Grundlage der Analyse der einzelnen Modelle und der Auswertung der verschiedenen Experteninterviews wird im dritten Teil der Arbeit ein Katalog von Erfolgskriterien entwickelt (Kapitel 7). Diese Zusammenstellung wichtiger Voraussetzungen und Merkmale eines erfolgreichen FVS dient als praxisbezogener Orientierungsrahmen, der bei der konkreten Planung und Implementierung neuer Systeme als Grundlage herangezogen werden kann. Im abschließenden achten Kapitel werden die wichtigsten Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst. Außerdem werden mögliche Entwicklungsperspektiven öffentlicher FVS aufgezeigt, sowie der wissenschaftliche Beitrag der Arbeit und der weitere Forschungsbedarf beschrieben, bevor ein abschließendes Fazit gezogen wird.

1.4. Methodik

Aufgrund der Aktualität des Themas und der zahlreichen Entwicklungen und Aktivitäten im Bereich öffentlicher FVS in den letzten Jahren, ist es einerseits leider nicht möglich, alle Details der verschiedenen Systeme zu berücksichtigen und zu beschreiben. Andererseits war es besonders schwierig, aktuelle wissenschaftliche Literatur oder Beiträge zum Thema FVS zu finden. Denn die wenige vorhandene Literatur beschäftigt sich vornehmlich mit den zurückliegenden Entwicklungen und älteren, oftmals gescheiterten Systemen, während viele der aktuellen Konzepte der sog. dritten Generation Gegenstand derzeitiger Forschungsarbeit sind, deren Ergebnisse aber zum Großteil noch nicht vorliegen. Hier sei beispielsweise das europäische Forschungsprojekt OBIS genannt, das eine vergleichende Untersuchung von Leihfahrradsystemen in verschiedenen europäischen Ländern durchführt (vgl. Kap. 8.2). Da Ergebnisse oder Zwischenberichte der OBIS-Studie aber während der Bearbeitungszeit dieser Diplomarbeit noch nicht vorlagen, stellen Internetrecherchen, Pressemitteilungen, die Experteninterviews sowie Informationen und direkte Auskünfte der Anbieter von FVS die wichtigsten Informationsquellen dar. Die Befragung zahlreicher Experten aus dem Bereich „Fahrradverkehrsförderung und –planung“ soll vor allem einige der aufgestellten Thesen und Bewertungen des Autors stützen, ergänzen oder hinterfragen (vgl. Erfolgskriterien-Katalog Kap. 7) sowie das breitgestreute Meinungsbild der „Fachszene“ einfangen.

4 Einleitung

Insgesamt wurden 20 qualitative, leitfadengestützte Interviews mit Experten aus verschiedenen thematischen Bereichen geführt. Dabei konnte der Autor teilweise auch auf die bereits im Rahmen seiner Mitarbeit im Radlust-Projekt entstandenen Kontakte zurückgreifen. Weiterhin stellten der Besuch der IFMA 2008 in Köln sowie die Teilnahme an verschiedenen Tagungen und Konferenzen zum Thema „Fahrradverkehr“ wichtige Kontaktplattformen dar. Weitere Fachleute und Wissenschaftler wurden auf Grundlage von Recherchen im Rahmen der Arbeit gezielt angeschrieben, um einen angemessenen und sinnvollen Querschnitt der befragten Experten aus verschiedenen relevanten Bereichen zu erhalten. Da die Befragten entsprechend über sehr unterschiedliche berufliche Hintergründe verfügen, sind die Aussagen der Interviews nicht alle direkt miteinander vergleichbar. Die Qualität der Angaben unterscheidet sich alleine schon deshalb, weil insgesamt „nur“ neun der Befragten sich selber als ausgewiesene Experten im Bezug auf das Thema „FVS“ bezeichnen oder als solche zu bezeichnen sind. Acht der 20 Interviewten kannten die aktuellen Entwicklungen gut und hatten sich bereits häufiger mit dem Thema befasst, ohne jedoch über detaillierte Kenntnisse zu verfügen.

Es wurden politisch-administrative Entscheidungsträger (von Bund, Ländern und Kommunen), Wissenschaftler (Verkehrs- und Sozialwissenschaft), sowie Vertreter von Verkehrsverbänden, der Fahrradwirtschaft und aus dem Bereich der Fahrradverkehrsplanung/-beratung befragt (vgl. Tab. 1). Im Anhang findet sich eine Zusammenstellung der in den verschiedenen Interview-Leitfäden formulierten Fragen. Dieser Katalog an Grundfragen wurde je nach Berufs- und Erfahrungshintergrund der jeweiligen Experten ggf. um spezifische Fragen und Kommentare erweitert oder gekürzt.

Die Betreiberfirmen aller in dieser Arbeit analysierten FVS wurden im Rahmen der Recherchen ebenfalls kontaktiert und Mitarbeiter einiger Anbieter befragt. Entsprechend basieren viele Daten und Angaben zu den einzelnen Systemen direkt von den Betreibern und damit aus erster Hand. Allerdings variierte die Bereitschaft zur Informationsweitergabe erheblich. Während vor allem die Projektleiter des Systems „ Citybike Wien “ alle sich ergebenden Fragen bereitwillig und gerne beantworteten, war es bei anderen Betreibern leider sehr schwierig bis unmöglich, detailliertes Datenmaterial zu Nutzungszahlen und Marktentwicklungen aus erster Hand zu bekommen. Dies erschwerte das Zusammentragen verlässlicher Informationen z.T. sehr und ist der Grund dafür, dass an einigen Stellen leider keine Angaben zu Nutzerzahlen und anderen wichtigen Kenngrößen vorgelegt und ausgewertet werden können. Um ein besseres Verständnis für die analysierten FVS zu erlangen, wurden die Systeme Call a Bike , Citybike Wien und Cyclocity® (in Paris und Luxemburg) vor Ort persönlich untersucht und ausprobiert.

5 Einleitung

Tab. 1: Befragte Experten

Name Institution Funktion Datum

Dankmar Alrutz Planungsgemeinschaft Verkehr Geschäftsführer 20.11.2008 GbR (PGV) Olaf Böhme Behörde für Stadtentwicklung Amt für Verkehr und 22.08.2008 und Umwelt der Freien und Straßenwesen, Bereich Hansestadt Hamburg (BSU) „Nichtmotorisierter Verkehr“ Sebastian Bührmann Rupprecht Consult, Forschung Koordinator Verkehrsprojekte 24.10.2008 und Beratung GmbH und nachhaltige Entwicklung Gunnar Fehlau Pressedienst-fahrrad (pdf) Geschäftsführer 19.09.2008 Horst Hahn-Klöckner Allgemeiner Deutscher Bundesgeschäftsführer 21.09.2008 Fahrradclub (ADFC) Winfried Hermann MdB (Bündnis 90/Die Grünen) verkehrspolitischer Sprecher der 05.11.2008 Fraktion GRÜNE Burkhard Horn Senatsverwaltung für Leiter des Referats VII A: 18.12.2008 Stadtentwicklung Berlin "Grundsatzangelegenheiten der Verkehrspolitik, Verkehrsentwicklungsplanung" Ralf Kalupner Nextbike Geschäftsführer 19.12.2008 Ralf Kaulen Stadt- und Verkehrs- Geschäftsführer 20.11.2008 planungsbüro Kaulen (SVK) Prof. Dr. Andreas Technische Universität Berlin, Professor (TU Berlin), Leiter 07.11.2008 Knie Wissenschaftszentrum Berlin Projektgruppe Mobilität (WZB), für Sozialforschung (WZB) und Bereichsleiter Intermodale DB Rent GmbH Angebote (DB Rent GmbH) Arne Koerdt Deutsches Institut für Leiter der Fahrradakademie 26.11.2008 Urbanistik (difu) Ursula Lehner-Lierz velo:consult Geschäftsführerin 18.11.2008 Stefan Limmbrunner KTM Bike Industries Leiter Marketing 19.09.2008 Peter London Ministerium für Bauen und Oberamtsrat, Zuständigkeit 19.09.2008 Verkehr des Landes NRW Fahrradverkehr Rüdiger Lorenz HERCULES Fahrrad GmbH Vertriebsleiter 20.09.2008 Dagmar Maier Bundesministerium für Stellvertretende Leiterin Referat 20.09.2008 Verkehr, Bauen und Stadtentwicklung und Verkehr, Stadtentwicklung Radverkehr Dieter Matuschek Gewista - Urban Media Geschäftsführer ( Citybike Wien ) 19.12.2008 Prof. Dr. Heiner Universität Trier Lehrstuhl für Raumentwicklung 18.11.2008 Monheim und Landesplanung Juliane Neuss Allgemeiner Deutscher Leiterin des Fachausschuss 21.09.2008 Fahrradclub (ADFC) Technik Maik Scharnweber Büro für Mobilität und Geschäftsführer 28.11.2008 Moderation

Quelle: eigene Darstellung

6

TEIL I: Grundlagen

2. Fahrradverkehr in Deutschland

2.1.Entwicklung des Fahrradverkehrs zwischen 1920 und 2002 2.2.Fahrradverkehr heute – die wichtigsten Daten und Fakten 2.3.Aktuelle Fahrradpolitik und Förderung des Fahrradverkehrs in Deutschland 2.4.Die Stärken und Chancen des Fahrrads als Verkehrsmittel 2.5.Fahrradverkehr als System 3. Fahrradverleihsysteme – Definiton, Eigenschaften, Potentiale 3.1.Definiton – Was ist ein Fahrradverleihsystem? 3.2.Charakteristika von Fahrradverleihsystemen

7 Fahrradverkehr in Deutschland

2. Fahrradverkehr in Deutschland

Um die Analyse und Bewertung öffentlicher FVS in den fahrradverkehrspolitischen Gesamtzusammenhang einordnen und die Potentiale solcher Systeme besser bewerten zu können, sollen in diesem Kapitel zunächst die wichtigsten Eckdaten der Radverkehrsnutzung und -entwicklung aufgezeigt werden und die zentralen, für den Fahrradverkehr relevanten politischen Rahmenbedingungen erläutert werden. Weiterhin werden Möglichkeiten und Ansätze der Fahrradförderung und die allgemeinen Stärken des Fahrrades als Verkehrsmittel beschrieben.

2.1. Entwicklung des Fahrradverkehrs zwischen 1920 und 2002

Seit Beginn des 20. Jahrhunderts hat sich die Zusammensetzung des Modal Split (Aufteilung des Verkehrs auf die unterschiedlichen Verkehrsmittel) in Deutschland deutlich verändert. Während das Fahrrad in den 1920er und 30er Jahren mit Verkehrsanteilen von 20 – 30% in Großstädten und von 40 - 45% in Klein- und Mittelstädten das Stadtbild noch maßgeblich prägte und der Autoverkehr nur geringe Ausmaße erreichte, hat sich die Situation zu Beginn des 21. Jahrhunderts grundlegend gewandelt (vgl. AGFS o.J., S.8). Obwohl es damals keinerlei Radverkehrsförderung im heutigen Sinne gab, die vielerorts als „fahrradfeindlich“ angeführte Topographie in Deutschland die gleiche war wie heute und auch das Wetter sich kaum verändert hat, gehörte die Nutzung des Fahrrades vor allem im städtischen Alltag für die meisten Menschen zur Selbstverständlichkeit. Es scheint also weniger ein mangelndes Können als viel mehr ein „Nicht-Wollen“ dafür verantwortlich zu sein, dass der Anteil am Modal Split im Bundesdurchschnitt auf magere 9% abgesunken ist (vgl. Abb.2).

Ab Mitte der 1930er Jahre wuchs die Anzahl von Autos spürbar an, so dass diese mit dem Fahrrad aber auch mit den Fußgängern zunehmend um Platz im Straßenraum konkurrierten und als Folge dessen der Ruf nach Trennung von Fahrrad- und Autoverkehr lauter wurde. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland wurde erstmals eine stark auf die Förderung des Automobils ausgerichtete Verkehrspolitik und –planung durchgeführt, die für den umfassenden Ausbau der automobilen Infrastruktur verantwortlich war und in kurzer Zeit zu einer Verdreifachung des PKW-Bestandes führte (vgl. MONHEIM / MONHEIM -

DANDORFER 1990, S.55). Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges stellte einerseits das kostengünstige und anspruchslose Fahrrad in den ersten Nachkriegsjahren für viele Menschen neben Bussen und Bahnen das wichtigste Verkehrsmittel dar (vgl. Abb. 1). Andererseits bot sich aus Sicht der sog. Modernisten vor allem in den zertrümmerten Städten die einmalige Chance, bei den Wiederaufbauplänen die Belange des Autoverkehrs

8 Fahrradverkehr in Deutschland besonders stark zu berücksichtigen und anstelle der historischen Stadtgrundrisse sehr viel größer angelegte Straßennetze zu verwirklichen (ebd. S. 56).

Abb. 1: „Berufsverkehr“ im Ruhrgebiet in den 1950er Jahren

Quelle: Stadtarchiv Duisburg

Mit der Zeit des Wirtschaftswunders in Deutschland ab 1955 begann schließlich auch das Zeitalter der Massenmotorisierung , denn es konnten sich mehr und mehr Bürger ein eigenes Auto leisten. Das Auto wurde zum Inbegriff für Wohlstand und Freiheit und zum Ausdrucksobjekt eines modernen Lebensgefühls. Somit nahm die Konkurrenz um Flächen im öffentlichen Raum weiter zu, wobei dem prestigeträchtigen Autoverkehr und seinem Geschwindigkeitsanspruch mehr und mehr Platz eingeräumt wurde, während das Fahrrad im Straßenbild immer seltener auftauchte. Die bundesweiten Durchschnittswerte des Radverkehrsanteils fielen infolgedessen stark zurück und erreichten schließlich nur noch

Größenordnungen von unter 10% (vgl. BRÖG 1985, S. 28). In den 60er und 70er Jahren betrieben die meisten Städte eine autoorientierte Stadt- und Verkehrsplanung („ autogerechte Stadt “2), so dass der Ausbau von Fahrradwegen stagnierte und viele

2 Der Begriff „autogerechte Stadt“ leitet sich vom Titel des 1959 erschienen Buches Die autogerechte Stadt – Ein Weg aus dem Verkehrschaos des Architekten Hans Bernhard Reichow ab. In der autogerechten Stadt sollten sich sämtliche Planungsmaßnahmen dem ungehinderten Verkehrsfluss der Autos unterordnen. Diese Planungsidee gilt inzwischen jedoch eher als warnendes Beispiel einer verfehlten Stadt- und Verkehrsplanung. Als Gegenkonzeption entstand später u.a. das Leitbild der autofreien Stadt bzw. des autofreien Wohnens.

9 Fahrradverkehr in Deutschland

Radwege für Fahrbahnverbreiterungen oder Parkflächen des MIV umgestaltet wurden. Das Fahrrad wurde von politischer Seite auf allen Ebenen als Verkehrsmittel immer weniger ernst genommen, obwohl es im alltäglichen Ausbildungs- und Einkaufsverkehr ein wichtiger Mobilitätsgarant blieb. Fast überall in Deutschland schrumpften die Radwegenetze und wurden zerstückelt, die verbleibenden Reste kaum noch unterhalten und gepflegt. Das Fahrrad verlor zunehmend an Attraktivität und verschwand immer weiter aus dem Stadtbild, da es im Wettbewerb der konkurrierenden Nutzungsansprüche meist unterlegen war. Auch die mit der funktionalen Entmischung und Suburbanisierung einhergehende Vergrößerung der städtischen Wege führte dazu, dass immer mehr Menschen zur Bewältigung ihrer Mobilitätsbedürfnisse auf den privaten PKW zurückgriffen. Selbst die in den ersten Nachkriegsjahren noch vorhandene Kooperation zwischen Fahrradverkehr und öffentlichem Verkehr wurde immer weiter zurückgefahren. Nur selten existierten Fahrradabstellanlagen an Haltestellen und Bahnhöfen und auch die Möglichkeit der Fahrradmitnahme in Bussen und Bahnen war vielerorts abgeschafft worden. „Die Verkehrsbetriebe betrachteten die Radfahrer eher als lästige Verkehrsteilnehmer , als sinnvolle Ergänzung wurden sie nicht erkannt.“ (MONHEIM / M ONHEIM -DANDORFER 1990, S.43 f.).

Abb. 2: Entwicklung des Modal Split in den Jahren 1976 – 2002³

Modal Split 1976 - 2002

100% 23 28 28 34 75% 9 11 12 8 Fußverkehr 9 12 10 Fahrradverkehr 50% 12 16 10 12 ÖV 9 MIV-Mitfahrer MIV-Fahrer 25% 45 34 38 38

0% Kontiv 1976 Kontiv 1982 Kontiv 1989 MiD 2002

Quelle: eigene Darstellung nach BMVBW (2004), S. 62

Ab Mitte der 1970er Jahre sorgten die vielerorts „fahrradfeindlichen“ politischen und infrastrukturellen Rahmenbedingungen für ersten Unmut in der Bevölkerung. Die negativen ökologischen und sozialen Auswirkungen der autofixierten Planung erlebten die Menschen v.a. in den Ballungsgebieten. Die zunehmende Beeinträchtigung der städtischen Lebens- und Umweltqualität durch den Autoverkehr führte vielerorts zu dem Wunsch, den

10 Fahrradverkehr in Deutschland nichtmotorisierten Individualverkehr ( NMIV ) wieder stärker zu berücksichtigen und über stadtverträglichere Verkehrslösungen nachzudenken (vgl. BRÖG 1985, S.45).

Als Folge dessen kam es zu ersten Bemühungen einer systematischen Fahrradförderung in Deutschland, auch wenn Bund und Länder nur minimale Beträge in den Fahrradverkehr investierten. Als erste bedeutendere Maßnahme ist das Bundesmodellvorhaben „Fahrradfreundliche Stadt“ zu nennen, das zwischen 1981 und 1986 als Initiative des Umweltbundesamtes in ausgewählten Modellstädten durchgeführt wurde und erstmals ein integriertes Maßnahmenkonzept zur Fahrradförderung vorsah. Ziele waren die Förderung der alltäglichen Fahrradnutzung im städtischen Verkehr, die Gewinnung neuer Erkenntnisse und die Schaffung einer positiven Einstellung zum Radfahren bei Bevölkerung und Politik sowie die Ausarbeitung weiterer Förderstrategien. Auch wenn der Erfolg teilweise hinter den Erwartungen zurückblieb, hat das Modellvorhaben schon während seiner Laufzeit wichtige Impulse für eine verstärkte Radverkehrsförderung in einigen Kommunen gegeben und das Bewusstsein für das Fahrrad als stadtverträgliches und effizientes Verkehrsmittel gestärkt (vgl. HÜLSMANN 1987, S.145 ff.). Während die meisten Städte und Gemeinden zu dieser Zeit der Förderung des Fahrradverkehrs noch keine Priorität einräumten, zeigten einzelne engagierte Kommunen wie die Universitätsstädte Erlangen und Freiburg, dass auch höhere Marktanteile von über 20% teilweise sogar über 30% möglich sind und welche positiven Auswirkungen durch eine fahrradfreundliche kommunale Verkehrspolitik erreicht werden können (vgl. MONHEIM 2005, S. 30). Diese vereinzelten lokalen Investitionsprogramme waren der Beweis, dass nicht nur die traditionellen Fahrradhochburgen wie z.B. das Münsterland die hohen Radverkehrsanteile für sich „abonniert“ hatten, sondern durch die konsequente Förderung integrierter Planungskonzepte auch andernorts viel für die positive Entwicklung des Fahrradverkehrs getan werden konnte, wenn der politische Wille dazu vorhanden war

(vgl. BRÖG 1985, S. 45). Auch wenn dies nicht zu einer flächendeckenden und systematischen Fahrradförderung führte und sich beispielsweise viele Städte des Ruhrgebietes weiterhin mit Werten von unter 3% auf extrem niedrigem Niveau befanden, entwickelte sich der Verkehrsanteil seit den späten 1970er Jahren insgesamt positiv (vgl. Abb. 2). Trotz einer weiteren Zunahme des MIV um 4% in den Jahren 1976 bis 1982 konnte auch der Fahrradverkehr seinen Anteil am Modal Split von 9% auf 11% deutlich steigern. Diese Entwicklung vollzog sich v.a. zu Lasten des Fußgängerverkehrs, der an Bedeutung stark einbüßte.

Es existieren verschiedene Erklärungen für diese positive Entwicklung. Brög führt die insgesamt höhere Vielfalt der Verkehrsmittelnutzung und eine Rückorientierung hin zur

„Stadt der kurzen Wege“ auf Seiten der Planer und Entscheidungsträger an (vgl. BRÖG 1985, S. 19 ff.). Eine weitere Begründung für die plötzliche Zunahme des Radverkehrs liefert Monheim mit der Feststellung, dass in den späten 70er Jahren vor allem eine äußerst

11 Fahrradverkehr in Deutschland positive mediale Präsenz dem Fahrrad zu einer vorübergehenden Renaissance verhalf. Das Fahrrad stand plötzlich für Freiheit, Unabhängigkeit, Jugendlichkeit und „wurde als

Symbol eines neuen Lebensgefühls aufgebaut.“ (MONHEIM 2005, S. 32) Weiterhin hatte sich seit Mitte der 70er Jahre in Deutschland eine organisierte Fahrradszene etabliert. Neben einzelnen Bürgerinitiativen und den Umweltverbänden setzte sich seit 1979 auch der neu gegründete Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) für die Belange des Fahrradverkehrs ein (ebd. S. 31). Weitere mögliche Erklärungen für den positiven Trend liefern die zweite Ölkrise in den Jahren 1979/80 und die Erfindung des Mountainbikes, das sich zu Beginn der 1980er Jahre plötzlich weltweit stark verbreitete und dessen Verkaufszahlen die aller anderen Fahrradtypen bei weitem überflügelte.

Die positiven Entwicklungen zu Beginn der 80er Jahre führten dazu, dass das Fahrrad auch politisch und planerisch nicht mehr in dem Maße vernachlässigt werden konnte, wie es in den vorangegangenen 25 Jahren der Fall gewesen war. Bund, Länder aber auch immer mehr Kommunen begannen, Radwegeprogramme auszuarbeiten und zu verabschieden. Diese begrenzten sich allerdings ausschließlich auf infrastrukturelle Maßnahmen und die veranschlagten Mittel fielen im Vergleich zu den Etats der motorisierten Verkehrsarten (Autobahnbau, ÖV-Förderung) immer äußerst gering aus. Dass der Fußverkehr unter der einsetzenden Fahrradförderung eher zu leiden hatte, verdeutlicht beispielhaft die weitverbreitete Einführung der geteilten Fuß- und Radwege im Innerortsbereich. Anstatt das Fahrrad als gleichberechtigtes Fahrzeug zu behandeln und ihm neben dem Auto Platz auf der Fahrbahn zuzuweisen, wurden die Radfahrer meist auf den Bürgersteig verdrängt. Durch eine simple Markierung wurde der Gehweg halbiert und die Radler sollten sich den knappen

Raum mit den Fußgängern teilen (vgl. MONHEIM 2005, S.33). So waren und sind noch heute vielerorts Konflikte vorprogrammiert. Während der Fußgängerverkehr bis 1989 bei 28% stagnierte, konnte der Radverkehrsanteil um einen weiteren Prozentpunkt auf 12% zulegen.

Wie Abb. 2: Entwicklung des Modal Split in den Jahren 1976 – 2002³ weiter zeigt, ist der Radverkehrsanteil am Modal Split in den Jahren zwischen 1989 und 2002 wieder um ein Viertel auf magere 9% gefallen. Viele Experten führen als Grund dafür jedoch vor allem die veränderten Erfassungsmethoden im Etappenkonzept an, denn bei der gesamtdeutschen Erhebung im Jahre 2002 ( MiD 2002 ) wurde erstmals mit einem weiter gefassten Mobilitätsspektrum gearbeitet, als bei den vorangegangenen KONTIV-Erhebungen (vgl.

PLANUNGSBÜRO VIA 2004, S.57). Auch die durchaus positiven Entwicklungen in einigen Städten sprechen insgesamt eher gegen einen so deutlichen bundesweiten Abwärtstrend

(vgl. MONHEIM 2005, S.36). Dennoch kann ein leichter Rückgang des Radverkehrsanteils nicht völlig ausgeschlossen werden und ließe sich u.a. auch mit der fortschreitenden Zersiedelung und der damit verbundenen Vergrößerung der mittleren Distanzen der

Verkehrswege erklären (vgl. KRAUSE / H ILDEBRAND 2005, S.5).

12 Fahrradverkehr in Deutschland

2.2. Fahrradverkehr heute – die wichtigsten Daten und Fakten

Auf regionaler und kommunaler Ebene bestehen innerhalb Deutschlands je nach Siedlungsstruktur, Stadt- und Verkehrspolitik, Topographie und Mobilitätskultur gewaltige Unterschiede bei der Fahrradnutzung. Während einige Ruhrgebietsstädte weiterhin nur auf frustrierend kleine Radverkehrsanteile von 3% und weniger kommen, verzeichnet die vom nördlichen Ruhrgebiet nur wenige Kilometer entfernte Stadt Münster den deutschen Spitzenwert von 37%. Auch innerhalb von Großstädten sind zwischen den verschiedenen Stadtquartieren oft erhebliche Unterschiede feststellbar. Meist weisen die innerstädtischen Bereiche höhere Fahrradverkehrsaufkommen auf, als die weiter außen gelegenen Stadtteile.

In der jüngsten gesamtdeutschen Erhebung des Modal Split aus dem Jahre 2002 (MiD 3) hat der Fahrradverkehr mit 9% einen deutlich geringeren Anteil als der Fußverkehr (23%). Nur der ÖV verzeichnet mit gerade einmal 8% einen noch niedrigeren Wert. Klar dominiert wird der Modal Split vom MIV, dessen Anteil mit 61% sogar weit mehr als die Hälfte aller zurückgelegten Wege ausmacht, wenn man zu den MIV-Fahrern (45%) die MIV-Mitfahrer (16%) hinzuzählt (vgl. Abb. 2). Bedacht werden muss bei diesen Verkehrsdaten jedoch, dass es kaum Zahlen zu multimodalen Transportketten gibt, denn in derartigen Statistiken werden meist nur die Hauptverkehrsmittel erfasst. Fußwege, die bei der Nutzung fast aller Verkehrsmittel im Vor- und Nachtransport zurückgelegt werden, werden genauso wenig berücksichtigt, wie beispielsweise Wege zur Haltestelle des ÖV, die mit dem Fahrrad bewältigt werden (vgl. BRACHER 2003, S.11 ff.). Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass der Anteil des Umweltverbundes – bestehend aus Öffentlichem Verkehr, Fahrrad- und Fußverkehr – zwischen 1989 und 2002 um 10% zurückgegangen ist, während der Anteil des MIV um den gleichen Betrag angestiegen ist und der PKW-Verkehr den Modal Split somit deutlich dominiert.

Im internationalen Vergleich liegt Deutschland mit 9% zwar klar über dem EU-Durchschnitt von 5% Radverkehrsanteil, mit den Nachbarländern Niederlande (27%) oder Dänemark (18%) kann die Bundesrepublik aber bei weitem nicht mithalten (vgl. BMVBS 2008a, o.S.).

Pro Jahr legt jeder Deutsche durchschnittlich etwa 300 km mit dem Fahrrad zurück, während in Dänemark und den Niederlanden jeder Einwohner im Schnitt auf rund 1.000

Fahrradkilometer kommt (vgl. BRACHER 2003, S.9). Die Gegenüberstellung dieser Zahlen zeigt deutlich, welches Steigerungspotential für den Radverkehr in Deutschland besteht.

3 Die Untersuchungen und Befragungen zum Verkehrsverhalten der Folgestudie wurden im Herbst 2008 durchgeführt. Die Ergebnisse der Erhebung MiD 2008 werden voraussichtlich in 2009 veröffentlicht werden.

13 Fahrradverkehr in Deutschland

Hinsichtlich Bestand, Produktions- und Verkaufsmenge sowie Verteilungsdichte übertrifft das Fahrrad das Auto bei weitem, seit es diese beiden Fortbewegungsmittel gibt. Selbst in den Jahren zwischen 1955 und 1970, als kaum ein Verkehrsplaner das Fahrrad auf der Agenda hatte, besaßen die Bundesbürger immer mehr Fahrräder als PKW (vgl. MONHEIM /

MONHEIM -DANDORFER 1990, S.101). Im Jahr 2005 standen 73,6 Millionen Fahrrädern 45,4 Millionen (Privat-)PKW gegenüber. Während der Bestand an Fahrrädern seit Mitte der 90er Jahre jedoch stagniert, wuchs die Anzahl der PKW bis 2005 kontinuierlich weiter an.

Etwa 80% aller Bundesbürger besitzen mindestens ein Fahrrad. Dabei ist der Fahrradbesitz in Westdeutschland (81%) etwas höher als in Ostdeutschland (77%). Betrachtet man den Anteil der Haushalte, die über ein oder mehrere Fahrräder verfügen, liegt die Zahl sogar noch höher (vgl. BUNDESREGIERUNG 2007, S.5). Im Vergleich dazu besitzt „nur“ etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung ein Auto, wenn man zur Berechnung der PKW-Verfügbarkeit minderjährige Personen mit einbezieht 4.

Bei einer solch hohen Verbreitung und Verfügbarkeit von Fahrrädern in den meisten Alters- und Haushaltsgruppen in Deutschland bietet das Fahrrad ein enormes Potential für die Bewältigung eines Großteils der täglichen Mobilitätsbedürfnisse. Dieses Potential wird jedoch viel zu wenig ausgeschöpft, vor allem wenn man bedenkt, dass einerseits 63% aller in Deutschland zurückgelegten Wege kürzer als 5 km sind und das Fahrrad andererseits für Distanzen zwischen 1 und 5 km nachweislich das schnellste Verkehrsmittel ist (vgl. BMVBW 2004a, S.312). Dennoch werden 63% aller Strecken mit einer Länge von 1 bis 5 km mit dem MIV und nur 12% mit dem Fahrrad als Hauptverkehrsmittel bewältigt (vgl. ebd. S.299). Die durchschnittliche Distanz, die mit dem Fahrrad bei jeder Fahrt zurückgelegt wird, beträgt 3,3 km. Nur 12% aller Fahrradfahrten sind länger als 5 km.

Das Einstiegsalter für das Fahrradfahren liegt bei etwa vier Jahren. Zwei Drittel der Kinder dieses Alters verfügen über ein Fahrrad, bei den 6- bis unter 10-Jährigen sind es sogar 90% (vgl. BMVBW 2004b, S.10). Vor allem bei (fahrradaffinen) Ein- und Zweipersonenhaushalten geht der Trend zum Zweit- oder Drittfahrrad, was die Vielfalt der unterschiedlichen Nutzungsmöglichkeiten widerspiegelt (ebd. S. 9). Vergleicht man die Nutzungshäufigkeiten des Fahrrades für die verschiedenen Wegezwecke mit denen aller Verkehrsmittel im Durchschnitt, so fällt auf, dass sich das Fahrrad besonders im Einkaufs- und Freizeitverkehr großer Beliebtheit erfreut (vgl. Abb. 3). Leicht überdurchschnittlich ist die Nutzung für private

4 Von allen Erwachsenen verfügten im Jahr 2003 über 65 % ständig, 10 % zeitweise und nur 25% nicht über ein Auto. Bezogen auf die Haushalte in Deutschland besaßen 19% keinen, 53% einen und 27% zwei oder mehr PKW (vgl. BMVBS 2007, S. 119 – Verkehr in Zahlen).

14 Fahrradverkehr in Deutschland

Erledigungen und im Ausbildungsverkehr. Für die täglichen Wege zur Arbeit spielt das Fahrrad eine vergleichsweise geringe und für dienstliche oder geschäftliche Wegezwecke mit einem Anteil von 1% praktisch gar keine Rolle. Vor allem der mit 37% sehr hohe Anteil des Freizeitverkehrs zeigt, dass das Fahrrad von vielen Nutzern zwar als beliebtes Fortbewegungsmittel zur Freizeitgestaltung geschätzt wird, aber zur Bewältigung der Mobilitätsbedürfnisse im Alltag vergleichsweise selten zum Einsatz kommt.

Abb. 3: Wegezwecke im Vergleich

Wegezwecke

40%

30% Insgesamt 20% Fahrrad 10%

0%

f it u . it ng ftl e ze ka u ä i n rb re eit ch A F Ei l g es e g B ./ Ausbildung tl s te Erledigungen ien a d priv

Quelle: eigene Darstellung nach BMVBW 2004b, S. 7

2.3. Aktuelle Fahrradpolitik und Förderung des Fahrradverkehrs in Deutschland

"Radfahren tut dem Klima und den Städten gut: Fahrräder verursachen weni ger Emissionen, machen weniger Lärm als Autos und beanspruchen weniger Straßenfläche.

Durch weniger motorisierten und mehr Fahrradverkehr werden die Städte lebenswerter und auch als Wohnort attraktiver, vor allem für Familien mit Kindern."

Wolfgang Tiefensee, Bundesverkehrsminister seit 2005

„Eine wirksame Politik für das Fahrrad darf sich nicht in gut gemeinten Einzelmaßnahmen erschöpfen, sondern muss systematisch alle Akteure und Handlungsebenen einbeziehen und miteinander vernetzen.“ (VCD)

15 Fahrradverkehr in Deutschland

Da die Nutzung des Fahrrades als alltägliches Verkehrsmittel wie beschrieben weit unter dem vorhandenen Potential liegt, werden in Deutschland verschiedene Maßnahmen durchgeführt, die die Attraktivität des Fahrradverkehrs steigern und damit zu einer Erhöhung des Radverkehrsanteils am Modal Split beitragen sollen. „Damit in Zukunft noch mehr Menschen in Deutschland das Fahrrad nutzen, müssen daher Bundesregierung, die Bundesländer und die Städte und Gemeinden an einem Strang ziehen. Die Bundesregierung kümmert sich um die Rahmenbedingungen, damit der Fahrradverkehr als Gesamtsystem mehr Beachtung findet und weiter ausgebaut wird. Dabei ist der Radverkehr fester Bestandteil einer integrierten Stadt- und Verkehrspolitik“, heißt es auf der Internetseite des BMVBS.

Das wichtigste Instrument der Bundesregierung, um „neue“ Wege einzuschlagen und wichtige Umsetzungsstrategien zur Förderung des Radverkehrs anzustoßen, ist der im Jahr 2002 aufgelegte „Nationale Radverkehrsplan 2002 – 2012 FahrRad!“ ( NRVP ). Oberstes Ziel ist es, den Fahrradverkehr innerhalb der Laufzeit von 10 Jahren deutlich zu erhöhen . Konkrete Zielgrößen oder Richtwerte nennt der NRVP jedoch nicht. Der Plan soll dazu beitragen, dass in der Bundesrepublik „die Potentiale des Fahrradverkehrs besser als bisher ausgeschöpft werden“, und dass das Fahrrad bis Ende 2012 „selbstverständlicher Bestandteil einer nachhaltigen integrierten Verkehrspolitik“ wird, wie es im NVRP heißt. „Alle beteiligten Akteure werden aufgerufen, den Radverkehr auf ihrer Prioritätenliste weiter nach oben zu schieben und sich dabei eigene konkrete Ziele zur Radverkehrsförderung zu setzen.“ (SCHARNWEBER 2005, S.79)

Weitere Maßnahmen des Bundes sind die Optimierung des rechtlichen Rahmens - vor allem der Straßenverkehrsordnung -, Verkehrssicherheitskampagnen, Fortbildungen für Akteure auf Kommunal- und Landesebene oder die Unterstützung von konkreten Projekten der Fahrrad-, Umwelt- und Verkehrsverbände sowie weiterer Projektträger. Auch finanziell engagiert sich die Bundesregierung für den Fahrradverkehr, seit 2002 gibt der Bund jährlich zwischen € 80 Millionen und € 100 Millionen für die Förderung des Radverkehrs aus (vgl. BMVBS 2008a, o.S.).

So werden im Jahr 2008 etwa € 90 Millionen für Bau und Erhaltung von Radwegen an Bundesstraßen investiert, € 3,5 Millionen für den Bau von Radwegen an Bundeswasserstraßen und € 3 Millionen für die Förderung von Initiativen und Modellprojekten zur Umsetzung des NRVP und für die Radverkehrssicherheitsarbeit (vgl. BMVBS 2008b, o.S.).

Damit hat der Bund die Investitionsmittel für den Fahrradverkehr seit 2002 zwar verdoppelt, doch im Vergleich zu den übrigen Finanzposten im Verkehrshaushalt ist die Summe von etwa € 100 Millionen verschwindend klein. Wenn man bedenkt, dass der Bau eines einzigen

16 Fahrradverkehr in Deutschland

Kilometers deutscher Autobahn durchschnittlich mit etwa € 20 - 25 Millionen zu Buche schlägt und auch für den Öffentlichen Verkehr jährlich Milliardensummen ausgegeben werden, kann die finanzielle Förderung des Radverkehrs durch den Bund nicht wirklich als Erfolg verkauft werden, auch wenn Bundesverkehrsminister Tiefensee und andere ranghohe Vertreter des BMVBS dies immer wieder versuchen. Das folgende Zitat zeigt beispielhaft, wie wenig die Einschätzungen und Lippenbekenntnisse mit der Realität übereinstimmen: "Das Fahrrad ist wichtiger Bestandteil unserer integrierten Verkehrspolitik. Mit dem "Nationalen Radverkehrsplan" wollen wir bis 2012 das umweltfreundlichste aller Verkehrsmittel weiter fördern. Dabei sind wir auf einem sehr guten Weg “, erklärte Minister Tiefensee bei der Veröffentlichung des Zweiten Berichtes der Bundesregierung zur Situation des Fahrradverkehrs in Deutschland am 5. September 2007. Tatsächlich aber ist der politische Stellenwert des Fahrrads als alltägliches Verkehrsmittel minimal und auch die Zwischenbilanz zum NRVP fällt sehr bescheiden aus. Denn nach mehr als der Hälfte der Laufzeit sieht es nicht danach aus, als könnte das wichtigste Ziel, nämlich den Fahrradverkehr in Deutschland bis 2012 deutlich zu steigern, erreicht werden. Entsprechend verwundert es nicht, dass der NRVP bisher auch auf der Ebene der Bundesländer kaum nennenswerte Impulse für eine intensive und langfristige Förderung des Fahrradverkehrs gesetzt hat. Vielmehr sind in ihm vorwiegend Strategien und Maßnahmen enthalten, die in den engagierteren Bundesländern bereits vor 2002 mehr oder weniger erfolgreich praktiziert wurden und daher keine wirkliche Neuerung darstellen (vgl. MONHEIM 2003, S.40 ff.).

Nicht nur der Bund, sondern auch die meisten Bundesländer und Kommunen nehmen - von wenigen Ausnahmen 5 abgesehen - das Thema Fahrradförderung nicht wirklich ernst. Sowohl die finanzielle , als auch die personelle Ausstattung bleibt weit hinter den notwendigen und möglichen Größenordnungen zurück. In einigen Ländern sind die Ausgaben zur Fahrradförderung sogar wieder rückläufig. „Die Parlamente haben den NRVP auch nicht zum Anlass für eigene nachfolgende Beratungen genommen, wie sie etwa beim Bundesverkehrswegeplan überall stattgefunden haben und stattfinden. Hier schließt sich ein Teufelskreis: ohne Geld wird der Radverkehr kein Politikum und ohne Politikum zu sein, kriegt er auch kein Geld.“ (MONHEIM 2005, S.38)

5 Auf der Länderebene hat sich vor allem NRW einen Namen als fahrradfreundliches Bundesland gemacht. Dort bemüht man sich seit Anfang der 1980er Jahre um eine systematische und engagierte Fahrradförderung. 1993 wurde die AGFS gegründet, die inzwischen 45 Mitglieder hat und von der wesentliche Innovationen für die Fahrradplanung und –politik ausgegangen sind. Weitere Belege des Engagements für mehr Fahrradverkehr sind das Programm „100 Fahrradstationen in NRW“ und der Ausbau des „Landesweiten Radwegenetzes NRW“. Auch die finanzielle Förderung bewegt sich im bundesweiten Vergleich auf dem höchsten Niveau. Inzwischen engagieren sich aber auch andere Länder wie z.B. BW, Bayern und Niedersachen zunehmend im Fahrradverkehr.

17 Fahrradverkehr in Deutschland

Auch schieben sich die unterschiedlichen Verwaltungsebenen die Verantwortung gerne gegenseitig zu und sehen jeweils zunächst die anderen Beteiligten in der Pflicht. „Wenn es darum geht, die Bedingungen für einen sicheren und komfortablen Radverkehr, insbesondere in den Städten, zu verbessern, sind vor allem die Kommunen gefragt“, heißt es beispielsweise auf der Homepage des BMVBS 6. Die Kommunen und die Bundesländer Ihrerseits klagen wiederum über die mangelnde finanzielle Unterstützung durch den Bund, denn sie sehen die Finanzierung als einen der schwierigsten Punkte in der Umsetzung des NRVP (vgl. SCHARNWEBER 2005, S.81).

Zusammenfassend muss festgestellt werden, dass sowohl auf der Bundesebene als auch in den Ländern deutlich mehr Stillstand als Fortschritt bei der Umsetzung der im NRVP formulierten Ziele zu verzeichnen ist. Keines der Bundes- und Landesministerien scheint den Radverkehr bislang wirklich ernsthaft als nachhaltige und effiziente Verkehrsmittelalternative zum MIV wahrzunehmen. Wenn überhaupt, dann spielt nur die Förderung der Freizeitkomponente des Fahrradverkehrs - der boomende Fahrradtourismus - eine Rolle, beispielsweise in den Wirtschaftsministerien. Trotz Klimadebatte, Feinstaubproblematik und steigender Energiepreise hat das Fahrrad als idealer städtischer Mobilitätsgarant keine wirksame politische Lobby , so dass politische Engagement sehr bescheiden ausfällt. Dies gilt auch für die meisten Kommunen – nur wenige Städte wie Berlin oder München engagieren sich neben den traditionellen Fahrradhochburgen wie Münster, Erlangen, Freiburg oder Bremen in den letzten Jahren verstärkt für eine fahrradfreundliche Entwicklung

(vgl. MONHEIM 2005, S.36). Insbesondere die Ressourcenaufteilung kann keinesfalls als zufriedenstellend oder verhältnismäßig bezeichnet werden. Würde sich der zur Verfügung gestellte Radverkehrsetat nach dem bundespolitischen Ziel der Gleichbehandlung der Verkehrsträger richten, so sollte analog zum Modal-Split-Anteil von 9% auch ein entsprechend großer Anteil des Verkehrshaushaltes in den Fahrradverkehr fließen (vgl. HAHN -KLÖCKNER 2008, o.S. - INTERVIEW ). Finanzmittel in einer solchen Größenordnung würden es auch ermöglichen, eine angemessene personelle Ausstattung zur Bearbeitung der Belange des Radverkehrs zu verwirklichen. Tatsächlich aber werden nach Schätzung von Horst Hahn-Klöckner, dem Bundesgeschäftsführer des ADFC, lediglich zwischen 0,5 und 1% des Bundesverkehrsetats in den Fahrradverkehr investiert. Doch nur wenn die Finanzierung der Radverkehrsförderung deutlich verbessert wird, kann der NRVP die zukünftige Entwicklung des Radverkehrs tatsächlich nachhaltig beeinflussen (vgl.

6 Lange Zeit hat sich der Bundesverkehrsminister für Fragen des Radverkehrs gar nicht zuständig gefühlt. Denn der Bund aber auch die Länder interessieren sich v.a. für die Mobilität über lange Distanzen und investieren entsprechend vorrangig in den Netzausbau der Fernverkehrssysteme wie Autobahnen, Bundesstraßen, Bundeswasserstraßen, Landesstraßen, Hochgeschwindigkeitsstrecken der Bahn und in Flughäfen (vgl. Monheim 2005, S.7).

18 Fahrradverkehr in Deutschland

SCHARNWEBER 2005, S.88 f.). Selbst im Fahrradmusterland NRW mit einem vergleichsweise hohen Radverkehrsanteil von durchschnittlichen 12% fließen lediglich etwa € 50 Millionen pro Jahr in den Fahrradverkehr, was nur einem Anteil von 1,8% der gesamten Verkehrsausgaben (€ 2,8 Mrd.) des Landes entspricht (vgl. MONHEIM 2003, S.61). Gerade mal eine Person im nordrhein-westfälischen Verkehrsministerium ist (fast ausschließlich) für den Radverkehr zuständig. In Relation zu den meisten anderen Bundesländern, wo einzelne Mitarbeiter das Thema Radverkehr als eine von vielen Aufgaben quasi „nebenbei“ erledigen, kann dies schon als Erfolg gewertet werden. „Im Vergleich zu der personell stark differenzierten Verwaltung des Straßenbaus und der ÖPNV-Förderung ist die personelle Ausstattung der Radverkehrsförderung in den Ministerien eher stiefmütterlich.“

(SCHARNWEBER 2005, S.81) Auch der Umstand, dass die Belange des Radverkehrs je nach Bundesland in vollkommen verschiedenen Ministerien behandelt werden zeigt, dass es keine allgemeine länderübergreifende Vorstellung oder Regelung gibt, von welchem Ressort das Thema Fahrradverkehr eigentlich zu bearbeiten ist und wer sich dafür verantwortlich fühlt – ein für den Autoverkehr unvorstellbarer Zustand.

In der kommunalen Politik spielt der Radverkehr zwar praktisch die größte Rolle, doch auch hier bewegen sich die Ausgaben für den Radverkehr gemessen am gesamten Verkehrshaushalt nur zwischen einem und vier Prozent. Pro Kopf gerechnet liegen die kommunalen Radverkehrsausgaben etwa zwischen sieben Euro in Münster und einem Euro bei den meisten anderen Kommunen (vgl. FRIEDRICH 2007, o.S). Für den MIV werden dagegen beträchtlich höhere Summen ausgegeben. Die Hierarchie der Verkehrsarten ist aber auch systemisch bedingt, wie Scharnweber betont. Eine der wichtigsten Regelungen zur Finanzierung des kommunalen Verkehrs ist das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG ), mit dem der Bund mit Mitteln des Mineralölsteueraufkommens Investitionen zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden fördert. Das Gesamtvolumen beträgt jährlich € 1,667 Mrd. und wird auf die einzelnen Bundesländer nach der Kraftfahrzeugquote der Länder verteilt. Der Radverkehr stellt dabei keinen eigenen Fördertatbestand dar. „Hier wird noch vor der sicherlich auch wichtigen Frage der einzelnen Fördertatbestände die Weiche grundlegend gegen den Fahrradverkehr gestellt, da Fahrrad- Fahrende und zu Fuß-Gehende nicht berücksichtigt werden.“ (SCHARNWEBER 2005, S.90) Dennoch ist der Bau- oder Ausbau von Radverkehrsanlagen zulässig. Hierzu gehören Fahrradwege, Beschilderungssysteme, Lichtsignalanlagen und Fahrradabstellanlagen zur Verbesserung der Vernetzung des Radverkehrs mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Über die Verteilung der Mittel des GVFG entscheiden die einzelnen Bundesländer in eigener Zuständigkeit (vgl. BMVBW 2002, S.11).

19 Fahrradverkehr in Deutschland

2.4. Die Stärken und Chancen des Fahrrads als Verkehrsmittel

Rad fahren macht Spaß. Es ist gesund, leise, schnell, flexibel, sportlich, ökologisch und kostengünstig. Gleichzeitig sind die Potentiale zur Verlagerung von MIV-Anteilen im Modal Split auf den Fahrradverkehr wie beschrieben beträchtlich. Wenn man bedenkt, dass 10% aller im MIV zurückgelegten Fahrten kürzer als 1 km und etwa 50% kürzer als 5 km sind, ergibt sich daraus vor allem im Kurzstreckenbereich ein enormes Einsparpotential , das durch eine gezielte Förderung und Attraktivitätssteigerung des Fahrradverkehrs ausgeschöpft werden könnte (vgl. BMVBW 2004a, S.213). Aber auch für Distanzen von mehr als 5 km ist das Fahrrad sehr gut geeignet, wie Verkehrserhebungen in den Niederlanden zeigen. Dort wird das Fahrrad auch für weitere Weglängen häufig genutzt, mehr als jede fünfte Fahrradfahrt liegt im Entfernungsbereich zwischen 5 und 7,5 km (vgl.

BRACHER 2003, S.16).

Würden in Deutschland etwa 30% der Kurzstreckenfahrten bis 6 km in den Innenstädten mit dem Fahrrad statt mit dem Auto zurückgelegt werden, ließen sich nach Schätzungen des

Umweltbundesamtes (UBA) pro Jahr etwa 7,5 Millionen Tonnen CO 2 einsparen . Aber nicht nur das klimaschädliche Kohlendioxid, sondern auch viele andere schwerwiegende Schadstoffemissionen lassen sich durch mehr Fahrradverkehr reduzieren: „In den meisten städtischen Gebieten sind Kraftfahrzeuge die Hauptursache für Luftverschmutzung und Lärmbelastung. In den Niederlanden ist die Anzahl der durch Luftschadstoffe verursachten Todesfälle fünfmal größer als die Anzahl der auf Straßen getöteten Menschen. In Österreich, der Schweiz und Frankreich betragen die durch Verkehrsemissionen verursachten Gesundheitskosten 1,7% des Bruttoinlandsprodukts.“ (SHIMANO 2006, S.8)

Zum umweltverträglichen Charakter des Fahrrades gehört aber nicht allein die Tatsache, dass es keine Schadstoffemissionen produziert. Es ist vor allem auch leise und Platz sparend . So beansprucht ein Fahrrad im Durchschnitt nur etwa 15% der Fläche eines Autos, denn auf einem PKW-Parkplatz mit einer durchschnittlichen Fläche von 10 – 12 m 2 können acht Fahrräder bequem und mit guter Zugangsmöglichkeit abgestellt werden. Und auch der fließende Radverkehr benötigt im Vergleich deutlich weniger Verkehrsfläche als der fließende KFZ-Verkehr. Städte, in denen der Fahrradverkehr – zusammen mit dem Fußgängerverkehr – einen hohen Anteil an den Wegen der Bewohner hat, benötigen vergleichsweise wenig Siedlungsfläche (vgl. BUNDESREGIERUNG 2007, S.7). Auch die Folgen der Lärmbelastung, für die der motorisierte Verkehr die Hauptquelle darstellt, sind nicht zu unterschätzen und wurden in einer durch das niederländische Ministerium für Wohnen, Städtebau und Umwelt beauftragten Studie erforscht. Die Befunde zeigen, dass jeder dritte erwachsene Niederländer, also etwa 3,7 Millionen Menschen, ernsthaft durch den Lärm des motorisierten Verkehrs gestört wird. 1,5 Millionen Menschen leiden an durch Verkehrslärm

20 Fahrradverkehr in Deutschland verursachten Schlafstörungen (vgl. SHIMANO 2006, S. 7). Damit kann das Fahrrad als Verkehrsmittel einen erheblichen Beitrag zu mehr städtischer Lebensqualität leisten. Wohnliche Städte mit einem Höchstmaß an Lebensqualität bieten insbesondere für das Fahrrad und andere nicht-motorisierte Fortbewegungsmittel attraktive Bedingungen (vgl. AGFS 2003, S.7 f.). Und in Zeiten des demographischen Wandels und eines zunehmenden Wettbewerbes der Kommunen um Einwohner und Wirtschaftskraft wird die städtische Lebensqualität zu einem immer wichtigeren Standortfaktor .

Radfahren ist aber nicht nur gesund für die Umwelt, sondern auch für jeden Einzelnen, der regelmäßig aufsteigt. So reicht die Palette der positiven Individualwirkungen regelmäßigen Radelns von der Optimierung des Herzrhythmus und dem Muskelaufbau über Blutdrucksenkung und Cholesterin-Abbau bis hin zur Bekämpfung von Rückenleiden. Ob Fettleibigkeit, Herzkrankheiten oder Diabetes im Erwachsenenalter - regelmäßige Bewegung reduziert diese Erkrankungsrisiken um die Hälfte (vgl. ADFC 2008a, o.S.).

EXKURS: Rad fahren macht gesund…

„Der Durchschnittsdeutsche bewegt sich pro Tag nur noch über eine Distanz von etwa 250 Metern “, warnt etwa Prof. Ingo Froböse. Er und andere Experten der Deutschen Sporthochschule Köln schätzen, dass bis zu 70% der Erkrankungen durch unseren bewegungsarmen Lebensstil bedingt sind (vgl. ADFC 2008b, o.S.). Insbesondere für Menschen, die viel im Sitzen arbeiten, ist es wichtig, einen Bewegungsausgleich für die großen Hauptgelenke an Knien, Hüften und Schultern zu erhalten, z.B. durch regelmäßiges Fahrradfahren auf dem Arbeitsweg. Durch seine zyklischen Bewegungsabläufe stellt das Radfahren eine besonders gelenkschonende körperliche Aktivität dar. Weil das Körpergewicht des Fahrers zu 70 bis 80% im Sattel lagert, werden die Kniegelenke beim Radfahren wesentlich weniger belastet als etwa beim Joggen. Zur sinnvollen Gesundheitsvorsorge empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) fünfmal in der Woche 30 Minuten Bewegung, um dem Bewegungsmangel und den daraus resultierenden Zivilisationskrankheiten wie Herz-Kreislauf-Störungen entgegen zu wirken. Regelmäßige körperliche Aktivitäten wie das Fahrradfahren verringern das Risiko einer im mittleren Lebensalter häufig auftretenden Herz-Kreislauf-Erkrankung beispielsweise um das 20-fache und reduzieren die Gefahr eines Herzinfarktes um bis zu 50%, schätzen Gesundheitsexperten. Die WHO geht davon aus, dass von 100.000 Bypass-Operationen an Menschen mittleren Alters rund 95.000 nicht nötig wären, "wenn sich das Radfahren wieder selbstverständlicher in den Alltag einbringen ließe." Es geht dabei nicht um sportliche Hochleistungen, sondern um das Motto "mäßig, aber regelmäßig". Radfahrer haben statistisch gesehen sogar eine höhere Lebenserwartung. Fachleute schreiben dem Radfahren aufgrund seiner gleichmäßigen Bewegungsform aber auch eine wesentliche entspannende Wirkung zu. Infolgedessen werden so genannte „Stressoren“ abgebaut und ein positives Körpergefühl erreicht (vgl. ebd.).

Radfahr-Dauer pro Tag: Positiver Gesundheitseffekt auf

• 10 Minuten: Muskulatur, Durchblutung, Gelenke. • 20 Minuten: Immunsystem. • 30 Minuten: Herzfunktionen • 40 Minuten: Ausdauerleistungsfähigkeit.

21 Fahrradverkehr in Deutschland

• 50 Minuten: Stoffwechsel (Fettstoffwechsel). • 60 Minuten: Körpergewicht, Stressresistenz.

Diese zahlreichen, positiven Auswirkungen des Fahrradfahrens auf die Gesundheit des Einzelnen machen sich nicht zuletzt auch finanziell bemerkbar und haben damit Folgewirkungen für die gesamte Volkswirtschaft . Es ergeben sich positive Folgeerscheinungen auf die Wirtschaftskraft und Entlastungen des Gesundheitssystems. „Eine mehrjährige Modellstudie in drei norwegischen Städten ergab, dass 30 Minuten Radfahren pro Tag bei bis dahin inaktiven Personen eine jährliche Ersparnis von € 3.000 bis 4.000 an gesellschaftlichen Kosten bringt. Für schon aktive Personen liegt dieser Wert bei € 500 bis 1.500 pro Jahr. Und eine finnische Studie kommt zu positiven Gesundheitseffekten von Fußgänger- und Radverkehrsinvestitionen von € 1.200 je aktivierter Person.“ (ADFC 2006, o.S.)

Die positiven Gesundheitswirkungen des Radfahrens hat die AOK als eine der größten deutschen Krankenkassen inzwischen erkannt. Gemeinsam mit dem ADFC wirbt sie mit der Aktion „ Mit dem Rad zur Arbeit “ bereits seit 2001 im gesamten Bundesgebiet sehr aktiv für das Fahrradfahren als gesundheitsfördernde Maßnahme.

Schließlich ist Fahrradfahren auch ökonomisch . Für den Nutzer stellt das Fahrrad das Verkehrsmittel mit dem besten Preis-Leistungsverhältnis dar. Vor allem in Zeiten steigender Energie- und Rohstoffpreise lohnt sich der häufige Tritt in die Pedale auch finanziell immer mehr. Der städtische Einzelhandel profitiert von einem hohen Radverkehrsanteil ebenfalls. So haben Untersuchungen 7 u.a. in Münster gezeigt, dass Radfahrer im städtischen Einzelhandel pro Einkauf zwar weniger, in der Summe aber mehr Geld bei ihren Einkäufen ausgeben als Autofahrer, da sie insgesamt häufiger kommen. Radler zieht es nur selten zu den autoorientierten Einkaufszentren auf der „grünen Wiese“, denn sie bevorzugen die attraktiveren Innenstädte. „Von daher ist eine fahrradfreundliche Gestaltung der Innenstadt eine effektive und preisgünstige Maßnahme zur Stärkung der Innenstädte im Konkurrenzkampf gegen die großen Einkaufsmärkte und dient damit der Sicherung der Standortes Innenstadt .“ (AGFS 2001b, S.7)

Noch immer aber wird vielerorts die optimale Erreichbarkeit mit dem Auto als Allheilmittel gegen die Verödung der Innenstädte angesehen. Dabei kann gerade ein möglichst weitgehender Einsatz des platzsparenden und stadtverträglichen Verkehrsmittels Fahrrad

7 Eine Untersuchung in der niederländischen Stadt Breda hat sogar ergeben, dass Radfahrer im Mittel wöchentlich 1,5 -mal so viel Geld ausgeben, wie Autofahrer (vgl. AGFS 2007, S.9).

22 Fahrradverkehr in Deutschland auch zukünftig die Erreichbarkeit der Innenstädte für den notwendigen Autoverkehr sicherstellen. Erst das Fahrrad schafft den Platz, damit diejenigen problemlos Autofahren können, die darauf angewiesen sind. Erfolgreiche Radverkehrsförderung sichert beispielsweise die Funktionsfähigkeit des notwendigen Wirtschaftsverkehrs, da eine Verlagerung der Pkw-Kurzstreckenfahrten auf den Radverkehr nicht nur die Straßen, sondern auch den knappen Parkraum entlastet. Von einer fahrradfreundlichen Stadt profitieren also alle: Autofahrer wie Radfahrer, Fußgänger, Nutzer des ÖV und nicht zuletzt die Anwohner.

Auch für die Finanzbudgets der öffentlichen Hände lohnt sich jeder in den Fahrradverkehr investierte Euro. Denn die Infrastruktur für den Radverkehr ist deutlich preiswerter als die der anderen Verkehrsträger. So liegen beispielsweise „die Investitionskosten für Radwege bei weniger als 10% der Kosten für gleich lange Straßen. Für die übrigen Radverkehrsanlagen ist der Kostenvorteil des Radverkehrs noch günstiger.“ (MWMEV NRW 2002, S.3) Die öffentlichen Kassen werden geschont, „weil starker Radverkehr teure und durchweg defizitäre Verkehrsinvestitionen im Bereich von Straßenbau, Parkraumbau und ÖV-Ausbau einsparen hilft. Kein Verkehrsmittel hat einen so hohen Kosten-Nutzen-Vorteil wie das Fahrrad.“ (MONHEIM 2005, S.7) Daher trägt eine gezielte Radverkehrsförderung auf mittlere Sicht sogar zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte bei. Wirtschaftlich gesehen sind die Erfolge, die mit einer engagierten Radverkehrspolitik erzielt werden können weit größer, als die Investitionen.

Auch die Bedeutung des Fahrrades für den Arbeitsmarkt 8 ist nicht zu unterschätzen. „In Städten und Gemeinden mit einem hohen Radverkehrsanteil ist eine beträchtliche Anzahl fahrradbezogener Arbeitsplätze festzustellen. Die zumeist privaten Betriebe wie Anbieter von Reparaturdiensten, Fahrradhändler, Fahrradvermieter und Fahrradtaxis sind wichtige Elemente des Radverkehrs. Radfahren ist Wirtschaftsförderung auf vielen Ebenen.“

(SHIMANO 2006, S.9)

EXKURS: Die Kosten -Nutzen -Relation des Fahrradverkehrs am Beispiel Bogotá

Der in den Jahren 1999 bis 2001 regierende Bürgermeister der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá, Enrique Peñalosa, setzte sich stark für die Förderung des Umweltverbundes ein. Das ermittelte Kosten-Nutzen-Verhältnis der Umsetzung des Radverkehrsplans in Bogotá betrug 1 : 7,3. Die Kosten und Nutzen wurden auf einen Zeitraum von zehn Jahren hochgerechnet. Dabei wurde eine Zunahme des täglichen Radverkehrs in der Stadt von 0,5% in 1999 auf 5% im Jahr 2009 prognostiziert.

8 Jährlich werden in Deutschland knapp 4,5 Mio. neue Fahrräder für ca. € 1,5 Mrd. verkauft. Der Umsatz hieraus beläuft sich auf über € 1,5 Mrd. Rund € 1,9 Mrd. werden durch Verkauf von Zubehör und Service umgesetzt (vgl. ZIV 2007, o.S.).

23 Fahrradverkehr in Deutschland

Tatsächlich wurde die 4%-Marke bereits 2004 erreicht. Der größte ökonomische Gewinn der Förderung des Radverkehrs liegt in der verbesserten Verkehrssicherheit. An zweiter Stelle stehen die Einsparungen durch weniger erforderlichen Parkraum für Kraftfahrzeuge, gefolgt von einer Reduktion der Wegekosten pro Person und geringeren Umweltschäden. Die Stadt Bogotá gilt heute als herausragendes Beispiel für eine integrierte Stadt- und Verkehrsplanung. (Quelle: SHIMANO 2006, S.11 ff.)

Aus Sicht der Arbeitgeber lohnen sich fahrradfreundliche Maßnahmen und radelnde Mitarbeiter ebenfalls in vielerlei Hinsicht. Neben den bereits erwähnten positiven Gesundheitswirkungen und den damit verbundenen um bis zu 50% geringeren krankheitsbedingten Fehlzeiten sind auch die möglichen Kosteneinsparungen für bereitzustellende Fahrzeugstellplätze nicht zu unterschätzen. So kostet ein überdachter Fahrradstellplatz etwa € 500, eine Fahrradbox max. € 1.000 und ein Platz in einer Fahrradstation ist ab € 1.500 zu haben, während die Kosten für einen einfachen, ebenerdigen PKW-Stellplatz bei € 12.000 – 25.000 liegen (vgl. AGFS 2001a, S.10). Die Kosten für einen PKW-Stellplatz in einer Tiefgarage sind noch deutlich höher.

Und auch die Verkehrssicherheit jedes einzelnen Fahrradfahrers erhöht sich, je größer der Anteil des Radverkehrs am Modal Split ist und je besser der Radverkehr in die Stadt- und Verkehrsplanung integriert wird. Zu diesem Ergebnis kam neben zahlreichen Studien in den Niederlanden auch die Maßnahmen- und Wirksamkeitsuntersuchung in den Mitgliedsstädten der AGFS in NRW aus dem Jahr 1995: „In den Städten, in denen das Unfallgeschehen mit Radfahrern in Relation zur Verkehrsteilnahme betrachtet werden kann, steht einer Zunahme des Radverkehrs im Straßenverkehr im gleichen Zeitraum eine Abnahme der Zahl der verunglückten Radfahrer gegenüber. Diese Tendenz ist besonders bei den Unfällen mit schwerem Personenschaden stark ausgeprägt. Das relative Unfallrisiko des einzelnen Radfahrers, bezogen auf seine Verkehrsteilnahme sinkt also in den Untersuchungsstädten bei steigendem Radverkehr. Auch bezogen auf die Unfallbelastung (Unfälle pro 10.000 Einwohner) bestätigt sich diese Tendenz.“ (MWMEV NRW 2002, S. 6) Auf der Bundesebene ergibt sich ein ähnliches Bild: in ganz Deutschland stieg die Anzahl an Radfahrern zwischen 1975 und 1998 um 30%, während sich die Zahl der bei Unfällen tödlich verunglückten

Radfahrer um 66% verringerte (vgl. SHIMANO 2006, S. 8).

Schließlich ist das Fahrrad auf Strecken mit einer Länge zwischen 1 und 5 km nicht nur das schnellste Verkehrsmittel , sondern es ist auch das flexibelste Fahrzeug, um in der Stadt mobil zu sein. Es kommt in der Regel ohne mühsame Parkplatzsuche aus, Fahrradfahrer stehen nicht im Stau und auch der besorgte Blick auf die Tankanzeige entfällt. Das Fahrrad bringt den Menschen von Tür zu Tür und macht ihn in seiner Mobilität unabhängig. Die

24 Fahrradverkehr in Deutschland

Angebotsvielfalt an verschiedenen Fahrradtypen lässt kaum Wünsche offen, so dass sich mit dem Fahrrad ganz unterschiedliche Funktionen erfüllen lassen. Die Nutzungsvielfalt reicht vom praktischen Stadtrad, über das sportliche Rennrad bis zum multifunktionalen Lastenfahrrad. Ob mit dem Faltrad multimodal mobil, auf dem Tandem zu zweit unterwegs oder im Fahrradtaxi auf der Rückbank besonders komfortabel gefahren, das Fahrrad bietet für jeden Typ und (fast) jede Situation das passende Verkehrsmittel.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Fahrrad als Verkehrsmittel einen wichtigen Beitrag zur Lösung vieler gesellschaftlicher Herausforderungen und Probleme leisten kann. Egal ob Ressourcenknappheit, Klimawandel, Gesundheitsprobleme, verkehrsbedingte Schwierigkeiten oder die Feinstaubproblematik, das Fahrrad hat auf viele drängende Fragen der heutigen Zeit eine passende Antwort.

2.5. Fahrradverkehr als System

„Zentrales Problem der bisherigen Fahrradpolitik ist ihre ausschließliche Fixierung auf die Radwegeinfrastruktur. Die Notwendigkeit für umfassende Serviceleistungen wird nicht erkannt. Und e s wird kaum in Werbung, Marketing und Kommunikation investiert. Das Fahrrad wird viel zu isoliert wahrgenommen, seine vielfältigen Kombinationsmöglichkeiten im Umweltverbund werden ausgeblendet.“ Heiner Monheim

„Radverkehrsförderung ist mehr als Radwegebau . Der Radverkehr ist - vergleichbar ÖV und Autoverkehr – ein komplexes System aus Infrastruktur und „weichen“ Maßnahmen, insbesondere diversen Dienstleistungen.“ Ulrich Kalle

Um die Nutzung des Fahrrades insgesamt steigern zu können, sind viele Einzelmaßnahmen und Maßnahmenbündel erforderlich. Dauerhaft und besonders erfolgreich ist jedoch nur die Fahrradförderung als System , wie wissenschaftliche Untersuchungen bestätigen (vgl. MWMTV NRW 1999, S.15). Radverkehrsförderung bedeutet mehr als bloß Fahrradwege zu bauen und Fahrradstreifen zu markieren. Selbstverständlich sind ein flächendeckendes Radverkehrsnetz mit einer attraktiven Infrastruktur zum Fahren und Abstellen der Fahrräder sowie eine fahrradfreundliche Verkehrsordnung wesentliche Grundbausteine eines systematischen Förderansatzes. Zu diesen „harten Maßnahmen“ gehören als gleichwertige Bausteine aber ebenso ein professionelles Marketing , eine motivierende Kommunikationsstrategie , die Bereitstellung von Informationen sowie Serviceangebote und Dienstleistungen , um die Fahrradnutzung attraktiver und leichter zu machen und die Potenziale wirksam auszuschöpfen. Diese drei Komponenten lassen sich zu den sog.

25 Fahrradverkehr in Deutschland

„weichen Maßnahmen“ zusammenfassen. Erfolgreiche Radverkehrsförderung basiert also auf vier gleichwertigen Säulen wie Abb. 4 verdeutlicht. Dieser Grundgedanke eines Verständnisses vom "Radverkehr als System" ist essentiell, um Fahrradpolitik und – förderung erfolgreich gestalten zu können. Das wurde auch im Ersten Bericht der Bundesregierung zur Situation des Fahrradverkehrs in Deutschland festgestellt. In diesem wurde das Leitbild des Fahrradverkehrs als System entwickelt, welches im NRVP aufgegriffen wird und die Grundlage der dort formulierten Ziele und Maßnahmen bildet (vgl. BUNDESREGIERUNG 2007, S.1). Dennoch liegt der ausgeprägte Schwerpunkt der Maßnahmen und der eingesetzten Finanzmittel nach wie vor im Bereich der Verbesserung der technischen Infrastruktur zum Fahren und Parken. Dieses vorherrschende Infrastruktur- fixierte Verständnis muss daher gezielt weiterentwickelt werden und durch das Angebot von Serviceleistungen, verstärkte Informationsvermittlung und professionelle Kommunikation ergänzt werden.

Abb. 4: Die vier Säulen der Fahrradförderung

FAHRRAD - FÖRDERUNG

D I S I K N E E O I M F R N M N A R V S M F R A I T U O K L S C + N R E E + T E I M T I R A K A I U N S S T N K G T R I G T E U I O U B N O N R O G N T E N

Quelle: eigene Darstellung

Potentiell umsteigebereite Verkehrsteilnehmer, vor allem PKW-Fahrer, erwarten vom Radverkehrssystem einen ähnlich hohen Standard , wie er für den Autoverkehr üblich ist. Diese Erwartungen beziehen sich aber nicht nur auf die Infrastruktur, sondern auch auf verfügbare Informationen, Serviceangebote und Dienstleistungen, die in der „Auto-Welt“ ganz selbstverständlich sind. Autos benötigen neben Straßen und Parkplätzen auch

26 Fahrradverkehr in Deutschland

Wegweisung, Tankstellen, Reparaturwerkstätten und Verkehrsinformationssysteme. Weitere Serviceangebote reichen von Autobahnraststätten über mobile Abschlepp- und Reparaturdienste bis hin zum Parkraummanagement, einem breiten Versicherungsangebot, Routenplanern / Navigationssysteme und zahlreichen Firmen der Autovermietung. „Ähnlich komplex sind die Systeme im ÖV. Auch wenn das Fahrrad ein technologisch (vermeintlich!) einfaches Fahrzeug ist, bedeutet dies noch lange nicht, dass es keines komplexen

Verkehrssystems bedarf.“ (KALLE 2005, S.14) Schließlich ist vor allem auch die wirtschaftliche Bedeutung des Autos dadurch begründet, dass es die genannten Dienstleistungen „rund ums Auto“ gibt, die allesamt zur Wertschöpfung beitragen. Dies ist beim Fahrrad als Verkehrsmittel nicht anders, muss und kann allerdings noch deutlich ausgebaut werden. Das MWMTV NRW schreibt dazu im Aktionsplan zur Förderung des Fahrradverkehrs in NRW: „Wie im Autoverkehr und in der Automobilwirtschaft wird dieser Systemgedanke auch dem Radverkehr neue Impulse geben. Bislang allenfalls punktuell vorhandene Dienstleistungen rund um das Rad, Public Relations und Werbung sind zentrale Elemente des Systems.“ (MWMTV NRW 1999, S.15)

Da diese Arbeit sich mit dem Thema „öffentlicher Fahrradverleihsysteme“ als einem von vielen möglichen Serviceangeboten „rund ums Fahrrad“ beschäftigt, soll an dieser Stelle noch genauer auf den Baustein „ Serviceangebote und Dienstleistungen “ im Fahrradverkehr eingegangen werden. Im Ersten und Zweiten Bericht der Bundesregierung zur Situation des Fahrradverkehrs in Deutschland wird in direkte und indirekte Angebote unterschieden: „Unter direkten Serviceangeboten bzw. Dienstleistungen werden solche verstanden, die den Radfahrerinnen und Radfahrern direkt zugute kommen, indem sie Radfahren attraktiver, sicherer, weniger fehleranfällig bzw. das Fahrrad schneller wieder verfügbar machen. Direkte Dienstleistungen wenden sich z.B. an die Einzelhandelskundschaft, an Bahnnutzer, Arbeitnehmer, Urlauber oder Geschäftsreisende. Indirekte Dienstleistungen werden Zielgruppen angeboten, die als Multiplikatoren durch Umsetzung des erlangten Know-hows zur Steigerung der Fahrradnutzung beitragen können.“ (vgl. BUNDESREGIERUNG 2007, S.216)

Direkte Dienstleistungen sind:

• Wartung und Reparatur (z.B. Fahrradwaschanlagen, Luftstationen, mobiler Reparaturservice)

• Fahrradstationen mit umfassenden Serviceangeboten (bewachtes Parken, Pflege, Reparatur, Information, Verkauf, Vermietung)

• Möglichkeiten der Gepäckaufbewahrung

• Einzelhandel (Fahrradwachen, Gepäckschließfächer, Lieferservice)

27 Fahrradverkehr in Deutschland

• Freizeit- und Tourismusverkehr (fahrradfreundliche Gastronomie wie an mehreren Radfernwegen, Informationstafeln, Wegweisungssysteme, Radroutenplaner, Pauschal- angebote für Radreisen)

• Diebstahlschutz (Codierung von Fahrrädern durch Polizei und Handel)

• Fahrradmitnahme im ÖV und weitere Kooperationen

• Rikschas / Fahrradtaxis

• Fahrradfreundliche Maßnahmen seitens die Arbeitgeber/Betriebe, um die eigenen Beschäftigten zum Radfahren auf dem Arbeitsweg zu motivieren (Abstellplätze, Information, sanitäre Einrichtungen, Umkleideräume, Dienst- und Werksfahrräder, Bekleidung und Helme, Reparaturgutscheine/Wartungsverträge mit Fahrradhandel)

• Öffentliche Fahrradverleihsysteme

Indirekte Dienstleistungen sind Angebote für:

• Planerinnen und Planer in Kommunen und Planungsbüros

• Fremdenverkehrsvereine

• Tourismusveranstalter

• Gastronomie und Hotellerie

• Lehrkräfte

• Produzenten von Fahrradabstellanlagen

• Arbeitgeber

• Einzelhändler

(Quelle: ergänzte Darstellung nach BUNDESREGIERUNG 1999 S.61und BUNDESREGIERUNG 2007 S.216)

Derartige Serviceangebote machen das Fahrradfahren einfacher und komfortabler, schaffen neue Arbeitsplätze und sind ein nicht zu unterschätzender Wirtschaftsfaktor. Sie reduzieren die Zugangsschwierigkeiten und tragen damit vor allem zur Erhöhung der Verfügbarkeit von Fahrrädern bei. Wichtig für die Attraktivität und den Erfolg des Angebotes sind insbesondere ein dichtes Netz der Serviceangebote und eine hohe Qualität der Leistungen. Weiterhin spielen begleitende Marketingaktivitäten eine entscheidende Rolle. Die beste Dienstleistung und das attraktivste Serviceangebot sind zum Scheitern verurteilt, wenn sie keine Nachfrage finden, weil sie den potentiellen Nachfragern nicht bekannt sind.

Die Erfahrungen aus dem Ausland insbesondere den Niederlanden zeigen, dass die Potentiale der Serviceleistungen im Fahrradverkehr in Deutschland noch lange nicht

28 Fahrradverkehr in Deutschland ausgeschöpft sind. Hier können öffentliche Subventionen einen entscheidenden Beitrag leisten, denn bei einigen Angeboten, die noch in den Kinderschuhen stecken und sich in Deutschland erst einmal etablieren müssten, ist zu befürchten, dass ihre Bereitstellung zumindest in der Anfangsphase ein gewisses finanzielles Risiko für die Anbieter darstellt. Die gezielte Förderung von Modellprojekten und innovativen Serviceideen z.B. im Rahmen des NRVP könnte hier für mehr Bewegung sorgen. Die derzeit vom Bund für nicht-investive Maßnahmen im Fahrradverkehr bereitgestellten Mittel von € 3 Millionen sind jedoch nicht einmal ein Tropfen auf den heißen Stein.

Ein Serviceangebot, das sich in den letzten Jahren vor allem in Europa zunehmender Beliebtheit erfreut und in immer mehr Städten bereitgestellt wird, sind öffentliche Fahrradverleihsysteme (FVS). Diese stellen eine Systemkomponente mit besonders hohem Vernetzungspotential dar und erlauben daher die Integration verschiedener Dienstleistungen. Denn wo die Infrastruktur für FVS ohnehin installiert wird, können mit vergleichsweise geringem Mehraufwand auch weitere Serviceangebote mit bereitgestellt werden. In den nachfolgenden Kapiteln soll näher auf die verschiedenen FVS eingegangen werden, auch um deutlich zu machen, was ein gut gemachtes und sinnvolles Serviceangebot im Fahrradverkehr tatsächlich alles bewirken kann.

29 Fahrradverleihsysteme - Definition, Eigenschaften und Potentiale

3. Fahrradverleihsysteme - Definition, Eigenschaften und Potentiale

Wie in Kapitel 2 dargestellt wird, ist das Fahrrad das Verkehrsmittel, welches im Modal Split das größte Steigerungspotential aufweist. Fahrradverleihsysteme (FVS) stellen in diesem Sinne ein wichtiges und innovatives Serviceangebot zur Attraktivitätssteigerung und Förderung des Fahrradverkehrs dar. In diesem Kapitel soll nun definiert werden, was in der vorliegenden Arbeit unter dem Begriff „FVS“ verstanden wird und welche Eigenschaften und Potentiale FVS aufweisen.

3.1. Definition – was ist ein Fahrradverleihsystem?

Unter dem Begriff Fahrradverleihsystem (FVS) wird in dieser Arbeit ein Verleihangebot verstanden, das folgende Eigenschaften besitzt:

• Das System befindet sich im öffentlichen Raum, ist also leicht zugänglich und nach einer ggf. notwendigen Anmeldung von allen Kunden nutzbar

• Die Fahrräder des FVS können von verschiedenen Kunden genutzt werden

• Die Leihfahrräder können an allen Entleih- und Rückgabeorten des Systems sowohl entliehen als auch zurückgegeben werden (falls im Servicegebiet mehrere Standorte existieren)

• Die Entleih- und Rückgabevorgänge sind (teil-)automatisiert und erfordern daher keinen unmittelbaren Einsatz von Personal vor Ort während des Entleih- bzw. Rückgabevorgangs 9, sondern erfolgen in „ Selbstbedienung “

• Die Leihfahrräder können rund um die Uhr zurückgegeben werden

• Die Leihfahrräder haben ein einheitliches optisches, meist auch technisches Design (Spezialanfertigung)

• Der Betrieb des FVS wird i.d.R. nicht allein durch die Nutzungsgebühren, sondern zum Teil auch durch zusätzliche Mittel finanziert

Die Fahrräder eines FVS stellen also ein „ öffentliches Individualverkehrsmittel“ dar. Somit unterscheidet sich der hier verwendete Begriff eines FVS von den Formen der „klassischen“ Fahrradvermietung wie sie von einzelnen Fahrradhändlern,

9 Zwar wird bei allen FVS Personal für die Wartung, Planung, Durchführung und Steuerung des Systems benötigt und eingesetzt, jedoch ist der direkte Kontakt dieses Personals mit dem Kunden beim Ausleihvorgang nicht notwendig. Somit zählen Fahrradverleihangebote wie z.B. die Fahrradvermietung in Radstationen oder bei Fahrradhändlern nicht unter die o.g. Definition von FVS.

30 Fahrradverleihsysteme - Definition, Eigenschaften und Potentiale

Fahrradstationen, Bahnhöfen, Hotels, Reiseveranstaltern, Arbeits- und Weiterbildungsinitiativen o.ä. angeboten werden und die als Zielgruppe v.a. Touristen und Freizeitradler ansprechen. Bei diesen „klassischen“ Formen des Fahrradverleihs sind weder der öffentliche Zugang zu den Rädern noch die Automatisierung des Entleih- und Rückgabevorgangs gegeben. Vielmehr sind diese Mietmodelle an bestimmte Öffnungszeiten der Betreiber und an die Anwesenheit von Personal gebunden, weshalb die Fahrräder nicht rund um die Uhr verfügbar sind und auch nicht selbstständig ausgeliehen und zurückgegeben werden können. In der Regel sind die unmittelbare Vorlage der Personalien, die Hinterlegung einer Kaution und die Rückgabe der Fahrräder am Ausleihort notwendig, wodurch „ Einwegfahrten “ meist ausgeschlossen sind. Auch das Angebot von Werksfahrrädern auf den Betriebsgeländen großer Unternehmen wie z.B. der Bayer AG in Leverkusen oder der BASF AG in Ludwigshafen stellen keine FVS im oben definierten Sinn dar.

Neben dem Begriff FVS gibt es noch weitere Bezeichnungen für derartige öffentliche Verleihangebote. Im deutschsprachigen Raum findet man häufig noch die Begriffe „Pfandfahrradsystem“, „ Kommunales Fahrrad “, „Stadtrad“ etc., während im angelsächsischen Sprachraum Bezeichnungen wie „Communal Bikes“, „City-Bike-System“, „Public Bikes“ oder „Freebikes“ geläufig sind. Der Begriff „Fahrradverleihsystem“ stellt jedoch die umfassendste Bezeichnung dar, da die anderen genannten deutschen Begriffe z.T. eine bestimmte Funktionsweise oder Organisationsform beschreiben, die nicht allen FVS zu Eigen ist. Beispielsweise definiert der ADFC kommunale Räder als „von einer Kommune finanzierte, zum allgemeinen Gebrauch in einem bestimmten Gebiet angebotene Fahrräder. Die kommunalen Fahrräder werden vorzugsweise an bestimmten Stellplätzen bereitgehalten“ (BECK 1991, S.1).

3.2. Charakteristika von Fahrradverleihsystemen

FVS weisen unterschiedliche Eigenschaften, Zielgruppen, Verwendungszwecke, Chancen, Schwierigkeiten, Kosten und Finanzierungsmöglichkeiten auf. Diese Vielfalt an Charakteristika soll in den folgenden Abschnitten näher erläutert und analysiert werden.

3.2.1. Die wichtigsten Merkmale

Ein großer Vorteil von öffentlichen FVS und gleichzeitig ein entscheidendes Unterscheidungsmerkmal gegenüber dem „klassischen“ Fahrradverleih ist die hohe zeitliche und räumliche Flexibilität des Angebotes. Durch das Vorhandensein zahlreicher Fahrräder und die meist gegebene 24-stündige Entleih- und Rückgabemöglichkeit, wird ein einfacher

31 Fahrradverleihsysteme - Definition, Eigenschaften und Potentiale und schneller Zugang zu den Fahrrädern und damit eine hohe Verfügbarkeit der Räder gewährleistet. Die Nutzer sind in der Regel 10 sowohl bei der Entleihe als auch bei der Rückgabe nicht an Öffnungszeiten gebunden, wie dies z.B. bei Fahrradhändlern und meist auch bei Fahrradstationen der Fall ist. Ein weiterer Grund für die hohe Flexibilität bei der Nutzung öffentlicher Leihfahrräder ist die Tatsache, dass die meisten FVS aus einem flächendeckenden Netz vieler Ausleih- und Rückgabestandorte bestehen. Dadurch müssen Start- und Zielpunkt des zurückgelegten Weges nicht identisch sein, so dass Einwegfahrten möglich sind. Dies macht FVS für die Nutzung im Alltag besonders komfortabel und attraktiv

(vgl. BÜHRMANN 2006, S.2).

Bei den meisten FVS ist der kurzzeitige Gebrauch der Fahrräder kostenlos möglich, wodurch erreicht werden soll, dass diese v.a. für Kurzstreckenfahrten und von vielen verschiedenen Kunden hintereinander genutzt werden. So wird beispielsweise jedes Fahrrad des Verleihsystems „ Vélib’“ aus Paris pro Tag im Schnitt von 12 verschiedenen Kunden genutzt, wobei die durchschnittliche Entleihdauer 18 min. beträgt (vgl. Kap. 5.4).

Um keine öffentlich subventionierte Konkurrenz zu vorhandenen, „klassischen“ Fahrradverleihangeboten darzustellen, werden viele FVS mit einer speziellen Gebührenstruktur betrieben. Diese ermöglicht es den Benutzern, kurze Fahrten kostenlos oder zu besonders günstigen Preisen durchzuführen, während längere Fahrten gezielt unattraktiv gestaltet werden, indem die Nutzungsgebühren mit zunehmender Entleihzeit stark ansteigen (vgl. Tab. 12). Da die Nutzung eines Fahrrades aus einem öffentlichen FVS über einen längeren Zeitraum von einigen Stunden bis Tagen also i.d.R. verhältnismäßig teuer und damit unattraktiv ist, werden interessierte Nutzer für längere Mietzeiträume eher auf die „klassischen“ Vermietangebote von Radstationen oder Fahrradgeschäften zurückgreifen. Somit kann verhindert werden, dass diese Anbieter vom Vorhandensein eines subventionierten öffentlichen FVS benachteiligt werden, indem ihnen bisherige Kundengruppen wie Fahrradtouristen oder Freizeitradler verloren gehen. Einige Systeme bieten allerdings auch für längere Nutzungszeiten vergleichsweise günstige Tarife an und richten sich damit auch an mehrstündige oder mehrtägige Nutzer (Bsp.: 24h-Tarife von Call a Bike = € 9,00 und von nextbike = € 5,00).

Leihfahrräder sind öffentliche Individualverkehrsmittel, weshalb FVS als Teil des öffentlichen Nahverkehrssystems angesehen werden können. Häufig befinden sich die Stationen der FVS an den Haltestellen anderer öffentlicher Verkehrsmittel. Somit können die

10 Nur bei wenigen FVS ist die Nutzungszeit eingeschränkt. Dies gilt vor allem für die Systeme des Betreibers Clear Channel, dessen SmartBikes in einigen Städten zwar rund um die Uhr zurückgegeben, aber zu bestimmten Nachtzeiten nicht entliehen werden können (vgl. Kap. 5.1).

32 Fahrradverleihsysteme - Definition, Eigenschaften und Potentiale

Leihfahrräder als Teil einer intermodalen 11 Mobilitätskette fungieren, die z.B. folgendermaßen aussehen kann:

1. Fußweg vom Ausgangpunkt zur Entleihstation A

2. Fahrradfahrt von Station A zu Station B, die an einem ÖPNV-Haltepunkt liegt

3. Fahrt mit dem ÖPNV

4. Fahrradfahrt von der Station C (an der Zielhaltestelle des ÖPNV gelegen) hin zu Station D

5. Fußweg von der Rückgabestation D zum Zielort

Schließlich sind FVS auch an unterschiedlichen Orten realisierbar. Die Übertragbarkeit öffentlicher FVS auf unterschiedliche Städte mit angemessenen Rahmenbedingungen für das Fahrradfahren ist in vielen Fällen bewiesen worden und damit ein weiteres wichtiges Merkmal. Dies belegen die zahlreichen Beispiele der erfolgreichen Implementierung von FVS in Ländern wie Frankreich, Deutschland, den Niederlanden, Spanien, den USA, Österreich, Schweden oder Dänemark (vgl. BÜHRMANN 2006, S.2).

3.2.2. Verwendungszwecke und Zielgruppen

Obwohl viele Menschen ein eigenes Fahrrad besitzen, nutzen es im Alltag nur wenige regelmäßig. Dies liegt z.T. auch daran, dass man sein eigenes Fahrrad nicht immer genau dann zur Stelle hat, wenn man es gerade braucht. In einem solchen Fall können FVS Abhilfe schaffen. FVS sind also nicht nur für Kunden, die kein eigens Fahrrad besitzen, ein interessantes Serviceangebot, sondern Leihfahrräder sind auch für solche Nutzer attraktiv, die für einen bestimmen Weg gerne ein Fahrrad benutzen möchte, aber ihr eigenes Fahrrad in diesem Moment nicht zur Verfügung haben. Da man sich zahlreiche derartige Situationen vorstellen kann, ergeben sich auch viele Einsatzmöglichkeiten und Nachfragekonstellationen für ein FVS. Sei es, weil das eigene Fahrrad nicht oder nur unter großem Aufwand mitgenommen werden könnte, weil es defekt oder für den Einsatzzweck ungeeignet ist, oder weil man es z.B. aus Angst vor Diebstahl oder Beschädigung bewusst nicht mitnehmen möchte 12 .

11 „ Während Multimodalität die Benutzung verschiedener Verkehrsmittel innerhalb eines Zeitraumes mit üblicherweise mehreren Wegen beschreibt, meint Intermodalität die Nutzung mehrerer Modes im Verlauf eines Weges. Intermodales Verhalten ist ein Sonderfall von Multimodalität und Personen mit intermodalen Wegen sind eine Teilgruppe der Multimodalen.“ (Maertins 2006, S. 53) 12 Einer der Hauptgründe für die Einführung der FVS der sog. ersten und zweiten Generation war es, die hohe Anzahl an Fahrraddiebstählen zu senken (vgl. Kap. 4).

33 Fahrradverleihsysteme - Definition, Eigenschaften und Potentiale

An Wochentagen sind die Fahrtzwecke tagsüber zu einem Großteil arbeits- oder ausbildungsbezogen. Während der Abendstunden und an Wochenenden werden die Leihfahrräder vor allem im Einkaufsverkehr und für freizeitorientierte Aktivitäten genutzt. Viele FVS weisen in den späten Nachtstunden nochmal eine Zunahme der Entleihvorgänge auf. Dies erklärt sich damit, dass unmittelbar nach Betriebsschluss oder mit Beginn der selteneren Nachtverbindungen der öffentlichen Nahverkehrsmittel mehr Kunden auf die Leihfahrräder zurückgreifen (vgl. ebd., S.5). Diese Art der Nutzung zeigt beispielhaft, dass FVS sehr gut geeignet sind, das Angebot „traditioneller“ öffentlicher Verkehrsmittel zu ergänzen, da sie die „Service-Palette“ des ÖPNV um ein wichtiges und flexibles Element erweitern. Auf die Förderung intermodalen Verkehrsverhaltens durch die Kombination von FVS mit dem ÖV wird im folgenden Kapitel 3.3 noch näher eingegangen.

Im Businessplan der Gründer von Call a Bike aus dem Jahr 2000 werden die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von öffentlichen Leihfahrrädern treffend beschrieben: „ CallBikes sind Shopping-Shuttles, U-Bahn-Zubringer, nächtlicher Kneipen-Heimbringer, Zweiträder für Besucher, Ersatz bei Pannen. Call a Bike ist für Tagesbesucher und Einpendler, die durch Sperrzeiten und hohe Tarife von der Mitnahme eigener Fahrräder abgehalten werden. Call a Bike schließt die Lücke zwischen Fußweg, Taxis, Bussen und Bahnen. Räumlich, zeitlich, preislich.“ (CALL A BIKE 1997, S.11)

Das Angebot eines öffentlichen FVS richtet sich an unterschiedliche Zielgruppen. Junge , aktive und urbane Nutzer stellen dabei die wichtigste Kundengruppe dar, wie Untersuchungen zeigen (vgl. WZB-Studie Kap. 5.2). Die meisten Vertreter dieser Hauptnutzergruppe leben in Verdichtungsräumen und großen städtischen Agglomerationen, sind zwischen 18 und 34 Jahre alt und pflegen einen aktiven und flexiblen Lebensstil. Viele von ihnen besitzen kein eigenes Auto und benutzen häufig öffentliche Verkehrsmittel. Sie zeichnen sich durch ein hohes Level an Mobilität aus (vgl. BÜHRMANN 2006, S. 5).

Manche FVS richten sich aber auch ganz gezielt an bestimmte Nutzergruppen und schließen andere potentielle Nachfrager systematisch aus. Beispielsweise ist das System Bicing in Barcelona ausschließlich für einheimische Kunden gedacht. Um sich registrieren und das Angebot nutzen zu können, ist die Vorlage einer spanischen Wohnanschrift notwendig, so dass Touristen und andere ausländische Besucher sich keine Fahrräder des FVS entleihen können. In anderen Städten wiederum sind vor allem Touristen als relevante Nutzergruppe zu nennen (Bsp. Kopenhagener Citybike ). Das niederländische System OV-Fiets richtet sich dagegen insbesondere an Zugpendler, die ein öffentliches Fahrrad für die Anschlussfahrt vom Bahnhof zu ihrem Arbeitsplatz nutzen wollen (Details siehe Kap. 5).

34 Fahrradverleihsysteme - Definition, Eigenschaften und Potentiale

Nach der Regelmäßigkeit bzw. Häufigkeit der Nachfrage lassen sich potentielle Nachfrager unterteilen in:

1. Einzelnachfrager (überwiegend Freizeit- und Tourismus- aber auch Geschäftsreiseverkehr)

2. Periodische Nachfrager (Einkaufs- und Freizeitverkehr)

3. Dauernachfrager (Ausbildungs-, Berufs- / Pendlerverkehr)

3.2.3. Chancen von FVS

Die Implementierung eines FVS bringt für eine Stadt oder eine Region viele Vorteile mit sich. Die wichtigsten Gründe, die für die Einführung eines solchen Systems sprechen, werden im Folgenden aufgezählt:

• Öffentliche Leihfahrräder können die Mobilitätsbedürfnisse vieler Menschen befriedigen. Denn ein FVS stellt den Bürgern und Besuchern einer Stadt ein schnelles, verlässliches und v.a. flexibles städtisches Verkehrsmittel zur Verfügung und erweitert damit die Auswahl an Mobilitätsangeboten.

• FVS bieten eine optimale Ergänzung zum eigenen Fahrrad, den eigenen Füßen, dem Auto, dem Motorrad, Bussen und Bahnen. FVS können nicht nur helfen, Kurzstreckenfahrten mit dem MIV zu ersetzen und somit zu vermeiden, sondern in Kombination mit anderen öffentlichen Verkehrsträgern sorgen Sie auch für eine Attraktivitätssteigerung und damit eine Stärkung des „ Umweltverbunds “ als System, so dass eine multimodale Verkehrsmittelwahl attraktiver wird.

• Im Vergleich zum „traditionellen“ ÖPNV-Angebot ermöglichen FVS dem Benutzer eine aktive Verkehrsbeteiligung und eine besonders hohe Flexibilität und Unabhängigkeit , da dieser weder an festgelegte Fahrtrouten noch an fremdbestimmte Abfahrzeiten gebunden ist, vorausgesetzt es steht ein Leihfahrrad zur Verfügung.

• Die Einführung eines erfolgreichen FVS erhöht den Anteil nachhaltiger Verkehrsmittel am gesamten Verkehrsaufkommen einer Stadt zu einem vergleichsweise geringen Kostenaufwand. Denn im Vergleich zu herkömmlichen öffentlichen Nahverkehrsmitteln wie dem Bus, der Straßenbahn und vor allem der U-Bahn ist die Einführung und Unterhaltung eines FVS mit vergleichsweise geringen Kosten verbunden. Damit stellen öffentliche Leihfahrräder auch finanziell gesehen ein besonders effizientes Verkehrsmittel dar, wobei die Kosten für die verschiedenen System-Typen stark variieren (vgl. Kap. 5).

35 Fahrradverleihsysteme - Definition, Eigenschaften und Potentiale

• Ein FVS kann eine effektive Maßnahme sein, um das Fahrradfahren in der Stadt als „selbstverständliche“ Fortbewegungsmöglichkeit und sinnvolle Mobilitätsalternative im Alltag zu fördern und zu etablieren. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn das FVS im Rahmen eines integrierten Ansatzes , also in Kombination mit anderen Maßnahmen zur Förderung des Fahrradverkehrs und der Verkehrssicherheit, implementiert wird. Vor allem in Städten, deren Radverkehrsanteil am Modal Split sehr gering ist und in denen (noch) keine „ Fahrradkultur “ entwickelt ist, können FVS ein „ Türöffner “ sein, um die Akzeptanz des Fahrrades als alltägliches städtisches Verkehrsmittel allgemein zu erhöhen.

Bsp.: In der bis dato nicht besonders „Fahrrad-affinen“ Stadt Lyon ist es gelungen, durch die Einführung eines FVS die Fahrradnutzung innerhalb eines Jahres um 44% zu erhöhen. Noch eindrucksvoller ist die Tatsache, dass 96% aller Vélo’v - Kunden ein Fahrrad in der Innenstadt zuvor nicht verwendet haben, also neue Fahrradnutzer sind. Durch die Einführung von Vélo’v wurde die Akzeptanz des Fahrrades als städtisches Verkehrsmittel deutlich erhöht. So fahren seit der Einführung des Systems im Mai 2005 nicht nur viele tausend Menschen täglich mit den öffentlichen Leihfahrrädern der Betreiberfirma JCDecaux durch die Straßen Lyons, sondern auch die Nutzung privater Fahrräder hat sich seitdem deutlich erhöht (vgl. BÜHRMANN 2006, S.2 ff.). Das Fahrrad ist durch die Implementierung von Vélo’v zum festen und dauerhaft präsenten Bestandteil des Stadtbildes geworden. Durch die Schaffung eines Angebotes an Leihfahrrädern ist „eine schlummernde Nachfrage geweckt worden“ und es haben sich die Mobilitätsgewohnheiten vieler Einwohner Lyons verändert. Diese Menschen haben durch die Implementierung des FVS gelernt, das Fahrrad für die Abwicklung ihrer alltäglichen Mobilitätsbedürfnisse zu nutzen (vgl. Kap. 5.4).

• FVS machen aber auch in Städten Sinn, die bereits über vergleichsweise hohe Radverkehrsanteile bzw. hohe Fahrradbesitzquoten verfügen, da öffentliche Leihfahrräder das Fahrradfahren insgesamt noch attraktiver machen. Außerdem bieten sie nicht nur den einheimischen Nutzern ein zusätzliches nachhaltiges Mobilitätsmittel, sondern stellen auch für Besucher, Touristen, Pendler, Geschäftsreisende oder Konferenz- und Tagungsgäste ein wichtiges Serviceangebot dar (vgl. Zielgruppen).

• Da das Fahrradfahren für jeden einzelnen erwiesenermaßen umso sicherer ist, je höher der Radverkehrsanteil insgesamt ist, verbessert sich durch den Betrieb eines erfolgreichen FVS die Verkehrssicherheit für alle Fahrradfahrer in einer Stadt. Auch die anderen im Kapitel 2 aufgeführten allgemeinen Vorteile und Stärken des Fahrrades als städtisches Verkehrsmittel gelten zum Großteil ebenso für öffentliche Leihfahrräder. Hier

36 Fahrradverleihsysteme - Definition, Eigenschaften und Potentiale

sind insbesondere die effizientere Nutzung des öffentlichen Raums 13 durch Platzeinsparungen, die Verringerung der Schadstoffemissionen und anderer Umweltbelastungen, die positiven Gesundheitseffekte für die Nutzer und die Erhöhung der städtischen Lebensqualität zu nennen.

• Die Infrastruktur erfolgreicher und qualitativ hochwertiger FVS wird i.d.R. von professionellem Servicepersonal regelmäßig gepflegt und gewartet. Dadurch kann erreicht werden, dass die Nutzer des Systems sich auf Fahrrädern in einem guten technischen Zustand (Bremsen, Licht etc.) fortbewegen, was im Sinne der Verkehrssicherheit zu begrüßen ist.

• Außerdem entstehen durch die Einführung eines FVS zahlreiche neue Arbeitsplätze . Beispielsweise sind für die Gesamtorganisation (Logistik, Marketing, Service etc.) von Vélib’ in Paris über 350 neue Stellen geschaffen worden.

• Schließlich stärken die Implementierung und der erfolgreiche Betrieb eines FVS auch das lokale Identitätsgefühl , wenn die öffentlichen Fahrräder nicht nur zum akzeptierten, sondern zum beliebten Teil des Stadtbildes werden und auch außerhalb einer Stadt als Erfolg wahrgenommen und bewertet werden.

Bsp.: Noch vor wenigen Jahren galt die französische Hauptstadt als fahrradunfreundliche und für höhere Fahrradverkehrsanteile ziemlich ungeeignete Metropole. Doch seit 2007 kann Paris sich plötzlich zu Recht als die „Weltstadt der öffentlichen Leihfahrräder“ bezeichnen und wird auch weltweit als solche gefeiert und bewundert. Durch den Paukenschlag der Einführung des Systems Vélib’ hat sich das Image von Paris in kürzester Zeit weg vom reinen „Verkehrsmoloch“ hin zu einer prominenten und viel zitierten Fahrradhauptstadt von Welt gewandelt.

3.2.4. Schwierigkeiten und Herausforderungen

Die Einführung eines FVS ist aber auch mit einigen Schwierigkeiten und Herausforderungen verbunden, wie die folgende Aufzählung deutlich macht:

• Leihfahrräder müssen eine Vielzahl von unterschiedlichen Eigenschaften erfüllen:

13 In Lyon beispielsweise wurden KFZ-Stellplätze z.T. für Stationsanlagen des FVS Vélo’v umgewidmet. Dadurch wird der öffentliche Raum nun effizienter genutzt, denn ein einzelner Autoparkplatz, der im Schnitt von sechs PKW-Fahrern am Tag in Anspruch genommen wurde, ist durch fünf Fahrradabstellplätze ersetzt worden, an denen durchschnittlich 15 Nutzungsvorgänge pro Tag gezählt werden (vgl. BÜHRMANN 2006, S.4).

37 Fahrradverleihsysteme - Definition, Eigenschaften und Potentiale

möglichst großer Schutz vor Vandalismus (Robustheit) und Diebstahl (Verwendung von Spezialteilen, die nur mit Spezialwerkzeugen (ab)montierbar sind)

Eignung für unterschiedliche Körpergrößen und Gewichte der potentiellen Nutzer (Größenanpassung )

möglichst hoher Fahrkomfort

unverwechselbares und attraktives Design

leicht zu reparieren (minimaler Aufwand für Servicepersonal)

diese Eigenschaften „unter einen Hut zu bringen“ erfordert sorgfältige Planung und Entwicklung, verursacht relativ hohe Kosten und führt dazu, dass die FVS i.d.R. jeweils nur ein einheitliches Standardfahrrad, meist mit tiefem Einstieg, anbieten.

bei einigen Modellen leidet der Komfort, weil die Fahrräder zum Schutz vor Diebstahl und Vandalismus möglichst robust gebaut werden und daher von der technischen Ausstattung her recht simpel aber auch sehr schwer sind. 14

• Der gegenseitige Respekt und die Rücksichtnahme zwischen Fahrradfahren und allen übrigen Verkehrsteilnehmern muss gestärkt werden. Dies gilt v.a. für Städte mit geringen Radverkehrsanteilen, wo die anderen Verkehrsteilnehmer sich ggf. erst an die Fahrradfahrer „gewöhnen“ müssen. Es gilt also das Miteinander im Verkehr zu stärken.

• In den meisten Fällen können FVS (genau wie die anderen Verkehrsmittel ÖPNV) nicht rentabel betrieben werden, so dass eine finanzielle Förderung des Systems die entstehenden Verluste decken muss. Die notwendige Subventionierung führt dazu, dass die Einführung eines FVS im Wettbewerb mit anderen Verkehrsträgern steht.

• Stationsgebundene FVS haben einen wenn auch vergleichsweise geringen Flächenanspruch . Da sich das Angebot von FVS aber meist im Innenstadtbereich konzentriert und dort besonders hohe Nutzungskonkurrenz herrscht, kann die Suche und Bereitstellung oder Schaffung von geeigneten freien Flächen zur Installation der Stationen recht mühsam und kompliziert sein (vgl. Kap. 6.1).

Auf weitere und vor allem speziellere Stärken und Schwächen einzelner FVS wird in den Kapiteln zu den jeweiligen Modellen sowie im Fazit eingegangen.

14 Aufgrund dieser Nachteile wird ein vorhandenes eigenes Fahrrad einem öffentlichen Leihfahrrad in der Regel immer vorgezogen werden, wenn es dem Nutzer im entsprechenden Moment zur Verfügung steht.

38 Fahrradverleihsysteme - Definition, Eigenschaften und Potentiale

3.2.5. Kosten und Finanzierungsmöglichkeiten

Die Kosten für die Installation und den längerfristigen Betrieb eines öffentlichen FVS hängen stark vom jeweiligen Konzept und der Größe des Angebots ab. Daher muss die Finanzierungsstrategie individuell entwickelt werden. Die meisten der derzeit am Markt angebotenen Modelle arbeiten nicht kostendeckend , d.h. die zu Beginn investierten Mittel (Fixkosten) und die laufenden Kosten werden nicht durch die im Betrieb erzielten Einnahmen ausgeglichen. Um diese ungedeckten Kosten zu finanzieren, werden die meisten FVS durch zusätzliche Finanzmittel von „außen“ bezuschusst oder durch andere Einnahmen gegenfinanziert. Die externe Co-Finanzierung übernehmen beispielsweise große Transportunternehmen (z.B. die Deutsche Bahn im Fall von Call a Bike ), es werden Erlöse über Werbung erzielt (z.B. nextbike ) oder öffentliche Auftraggeber stellen über Subventionen einen Teil der Mittel bereit (z.B. Call a Bike-fix in Stuttgart). Dies kann in Form einer direkten finanziellen Förderung oder durch indirekte Finanzhilfen im Rahmen einer Public Private Partnership (PPP) erfolgen (vgl. BÜHRMANN 2006, S.4).

In vielen Kommunen hat sich ein solches Finanzierungsmodell einer PPP zwischen der Stadt und einer Außenwerbefirma etabliert. Bei diesem Konzept erwirbt die Werbefirma für einen festgelegten Vertragszeitraum das Recht, bestimmte öffentliche Flächen für Werbezwecke zu nutzen und zu vermarkten. Als Gegenleistung implementiert und betreibt sie ein öffentliches FVS. Hinter diesem Vertragsmodell steckt die Idee, die Vergabe öffentlicher Werberechte an die Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen und Stadtmöbel durch private Werbefirmen zu knüpfen (siehe Exkurs). Ein Vorteil dieser Finanzierungsvariante ist, dass beide Parteien ein Interesse an einer hohen Angebotsqualität haben. Denn der Erfolg des Systems ist nicht nur der Stadt als Auftraggeber, sondern auch der jeweiligen Werbefirma ein Anliegen, da die Qualität des Betriebs direkt mit ihr in Verbindung gebracht wird und ein Misserfolg sich daher negativ auf das eigene Image auswirken würde.

EXKURS: Stadtmöblierung und Außenwerbung

Stadtmöbel sind Gegenstände und Einrichtungen im städtischen Außenbereich, die verschiedene Funktionen erfüllen, die im öffentlichen Raum benötigt werden. Sie dienen beispielsweise der Informationsbereitstellung, dem Verweilen und Erholen, dem Spielen, der Fortbewegung und der Werbung. Stadtmöbel werden an öffentlichen Orten wie Plätzen, Parkanlagen und Straßen bereitgestellt. Die klare definitorische Abgrenzung von Stadtmöbeln gegenüber Immobilien ist oft schwierig, da sie aus funktionellen Gründen häufig fest montiert sind und somit kein Mobiliar im klassischen Sinne darstellen. Beispiele für Stadtmöblierung sind: Sitzgelegenheiten, Haltstellenhäuschen des ÖPNV, Abfalleimer, Informationstafeln, WC-Anlagen, Uhren oder Spielgeräte. Auf das äußere Erscheinungsbild der Stadtmöblierung wird in den meisten Städten großer Wert gelegt. Daher müssen sich die Architekten oder Designer von Stadtmöbeln häufig an ein

39 Fahrradverleihsysteme - Definition, Eigenschaften und Potentiale vorgegebenes Corporate Design halten, um beispielsweise den Anforderungen der Denkmalpflege oder dem Gestaltungsanspruch des öffentlichen Gesamtbildes einer Stadt zu entsprechen. Die Idee, die Vergabe öffentlicher Werberechte mit der Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen und Stadtmöbel zu verknüpfen, stammt ursprünglich von Jean-Claude Decaux (vgl. Kap. 5.4) und hat sich inzwischen in vielen Kommunen etabliert. Im Rahmen einer Public Private Partnership werden Dienstleistungsfunktionen kommunaler Einrichtungen mit den Interessen privater Werbeagenturen und Investoren gekoppelt. Die lokalen Werberechte auf öffentlichem Grund und Boden können von den Städten selber vergeben werden. Dies geschieht meist durch den Abschluss mehrjähriger Verträge mit Firmen, die sich auf Außenwerbung spezialisiert haben und i.d.R. auch Stadtmöbel entwickeln und anbieten. Entsprechend verpflichten sich die Werbefirmen zum Aufbau und der Instandhaltung der entsprechenden Einrichtungen und dürfen als Gegenleistung die Werbeflächen eigenständig und exklusiv vermarkten. Je nach Laufzeit des Vertrages sowie nach Attraktivität und Menge der Werbeflächen erhält die Kommune außer den Stadtmöbeln noch Geld vom Außenwerber oder sie muss diesen für seine Leistungen ggf. zusätzlich bezahlen. Vertragslaufzeiten von 10 bis 15 Jahren sind in Anbetracht der häufig recht hohen zu tätigenden Investitionen für die Stadtmöblierung durchaus üblich. Bekannte Objekte derartiger Verträge sind Haltestellenhäuschen, öffentliche Toiletten und Telefone oder neuerdings auch Leihfahrradsysteme. Daneben werden auch Stadtmöbel allein für Werbezwecke geschaffen, wie z.B. Litfaßsäulen, Mega- Light-Boards und Recyclingbehälter mit hinterleuchteter Plakat-Werbung. Die Außenwerber haben vor allem Interesse an Stadtmöbeln, mit denen gleichzeitig auch Werbeeinnahmen generiert werden können. Außenwerbefirmen, die derartige Kooperationsverträge anbieten, sind beispielsweise Clear- Channel, JCDecaux, Ströer DSM und die Wall AG. (Quellen: STRÖER 2008a, o.S. und WIKIPEDIA 2008a, o.S.)

Eine derartige Koppelung der Vergabe öffentlicher Werberechte an die Einführung eines FVS bringt für die Kommunen u.U. aber auch Schwierigkeiten und Nachteile mit sich. So gehen dem städtischen Haushalt eventuell wichtige Einnahmen verloren, denn in der Regel sind die Kosten des FVS geringer als die Erträge, die mit der Vermarktung der Werberechte erzielt werden können. Damit ist die Einführung eines FVS für eine Kommune keinesfalls „kostenlos“, wie es z.B. die Außenwerbefirma JCDecaux gerne formuliert. Außerdem können kartellrechtliche Bedenken ein derartiges Koppelungsgeschäft verhindern, wie das Fallbeispiel der Freien und Hansestadt Hamburg zeigt (vgl. Kap. 6.1).

Grundsätzlich müssen Kommunen die Umsetzung eines FVS ab einer bestimmten Größenordnung im Rahmen eines Wettbewerbs ausschreiben und Angebote verschiedener Anbieter einholen. Dies schreibt einerseits das europäische Wettbewerbsrecht vor, ist aber andererseits auch sinnvoll, um die Kosten, Konzepte und Angebotsqualitäten der unterschiedlichen Betreiber miteinander vergleichen zu können.

Im Vorfeld der Einführung eines FVS sollte immer eine langfristige Finanzplanung entwickelt werden, um im Erfolgsfall den dauerhaften Betrieb des Systems sicherzustellen. Eine Planungsoption ist, die Nutzungsgebühren moderat zu erhöhen, wenn sich das FVS etabliert hat und sich eine gewisse „Fahrradkultur“ entwickelt hat. Dieser Schritt sollte jedoch

40 Fahrradverleihsysteme - Definition, Eigenschaften und Potentiale gut bedacht sein und entsprechend vorsichtig und geschickt kommuniziert werden, um einen Rückgang der Nachfrage zu verhindern. Wenn mit der Einführung oder Erhöhung der Nutzungspreise eines FVS beispielsweise eine Angebotsverbesserung oder eine Systemexpansion verbunden sind, wird eine solche Maßnahme auf mehr Akzeptanz und Verständnis stoßen.

Es gibt aber auch private Betreiberfirmen, die Städten, touristischen Destinationen oder anderen Interessenten ein FVS „von der Stange“ anbieten. Diese Systeme finanzieren sich hauptsächlich durch die Vermarktung von Werbeanbringungen auf den Fahrrädern selber und können durch die so erzielten Einnahmen kostendeckend operieren. Als Beispiel sei die die Firma nextbike genannt, die Werbeflächen auf ihren Leihfahrrädern sämtlichen interessierten Werbetreibenden anbietet und im Rahmen eines sog. „Franchise-Modells“ vermarktet (vgl. Kap. 5.5). Auch das FVS Citybike Wien ermöglicht seinen Sponsoren, ihre Werbung auf den Rädern zu platzieren und diese in der eigenen Firmenfarbe zu lackieren (vgl. Kap. 5.3). „Für Sponsoren ist Citybike Wien eine perfekte Werbemöglichkeit, um ihr Markenimage zu unterstützen oder bekannt zu machen. Citybike ist ein überaus sympathischer Werbeträger, der sozusagen ständig in Bewegung ist, die Bikestationen sind an höchstfrequentierten Standorten nahezu unübersehbar positioniert. Somit können zigmillionen Sichtkontakte und positiver Imagetransfer garantiert werden. Mit Citybike können Werbekunden nahezu überall in der Stadt präsent sein. Die unübersichtbare Logopräsenz ist ab einer Laufzeit von einem Jahr buchbar“, wirbt die Betreiberfirma gewista für die Werbemöglichkeit auf den Fahrzeugen.

Das einzige dem Autor bekannte FVS, das auch ohne Werbeeinnahmen auf lange Sicht kostendeckend betrieben werden soll, ist das niederländische System OV-Fiets . Voraussichtlich ab 2009 sollen mit dem Angebot von OV-fiets Gewinne erwirtschaftet werden, die vor allem in den weiteren Ausbau des Systems fließen sollen (vgl. Kap. 5.6).

Grundsätzlich müssen vor der Implementierung eines FVS folgende Kostenfaktoren berücksichtigt werden:

• Einstellung von technischem Personal, das für die Installation, den Service und die Betriebsabwicklung des FVS zuständig ist (Bsp.: in Lyon sind dies über 30 Mitarbeiter, in Paris etwa 200)

• Es müssen Serviceeinrichtungen (Werkstatt, Lager) sowie mobile Servicefahrzeuge und das nötige Equipment für die Servicetechniker bereitgestellt werden

• Es müssen Fahrräder und je nach Konzept auch Stationen angeschafft und installiert werden. Die Kosten der Fahrräder beginnen je nach System bei etwa € 250 und reichen bis über € 1.000 pro Fahrrad. Die Investitionskosten für die Stationsinfrastruktur

41 Fahrradverleihsysteme - Definition, Eigenschaften und Potentiale

schwanken noch deutlich stärker. So beziffert die Betreiberfirma des FVS Citybike Wien die Ausgaben für die Errichtung einer Station mit € 50.000 – 70.000. Dagegen dürfte die Implementierung einer technisch vergleichsweise einfachen Station des Systems nextbike nach eigenen Recherchen nur mit etwa € 500 – 2.000 zu Buche schlagen.

• Es muss ein Call-Center eingerichtet und betrieben werden, an das sich Kunden bei Fragen oder Problemen wenden können. Um Personalkosten zu sparen können Anbieter mit einem telefongestützten Verleihmechanismus eine per Sprachcomputer automatisch gesteuerte Hotline einrichten (Bsp.: Call a Bike und nextbike ).

• Um ein FVS erfolgreich zu gestalten, sind außerdem eine intensive Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und ein professionelles Marketing unerlässlich, so dass auch für diese Aktivitäten ausreichend finanzielle und personelle Ressourcen eingeplant werden sollten.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Gesamtkosten für Investition, Betrieb und Management eines FVS vor allem vom jeweiligen technologischen Standard und der (ggf. vertraglich vereinbarten) Angebotsqualität abhängen (vgl. einzelne Systeme in Kap. 5). Weiterhin muss bei Kostenabschätzungen berücksichtigt werden, dass die FVS der dritten Generation noch ein relativ neues Serviceangebot darstellen, das erst seit eineinhalb Jahren auch in größeren Maßstäben wie in Paris oder Barcelona realisiert wird. Daher befinden sich die Konzepte noch in einem ständigen Weiterentwicklungs- und Verbesserungsprozess, so dass häufig keine verlässlichen und stabilen Erfahrungswerte vorliegen. Diese müssen im Laufe der Zeit und an unterschiedlichen Standorten erst noch gesammelt werden, um seriöse und vor allem möglichst genaue Kostenabschätzungen durchführen zu können.

Für das System Vélo’v aus Lyon beispielsweise wurden die Betriebskosten vor Einführung des Angebots mit geschätzten € 1.000 pro Fahrrad und Jahr angegeben. Nach dem ersten Betriebsjahr stellte sich jedoch heraus, dass die Kosten aufgrund unerwartet hoher Ausgaben für die Wartung und als Folge von Vandalismus und Diebstahl nach oben korrigiert werden mussten. Für das zwei Jahre später eingeführte sehr ähnliche System Vélib’ aus Paris gab dieselbe Betreiberfirma dann Kosten von etwa € 2.500 pro Fahrrad und Jahr an (vgl. Dworschak 2007, S. 183). Die Kosten für technologisch einfachere Systeme dürften aber erheblich niedriger ausfallen.

Genauere Informationen zur Finanzierung und den Kosten der einzelnen Systeme werden nach Möglichkeit in den jeweiligen Abschnitten im fünften Kapitel geliefert. Allerdings sind die Betreiberfirmen gerade beim Thema „Kosten“ sehr zurückhaltend und geben i.d.R. kaum oder gar keine Auskunft über diesbezügliche Größenordnungen. Dies ist insofern

42 Fahrradverleihsysteme - Definition, Eigenschaften und Potentiale verständlich, als dass viele der FVS als Gegenleistung für die Vergabe von Werberechten angeboten werden und die Firmen daher kein Interesse daran haben, die genauen Kosten preiszugeben.

3.3. FVS und ÖPNV – Konkurrenz oder ideale Ergänzung?

„Der öffentliche Nahverkehr ergänzt den Fahrradverkehr zu einer idealen Transportkette und erweitert somit den Aktionsradius des Fahrrades. Auf eine gute Verknüpfung von öffentlichem Nahverkehr und Fahrradverkehr (…) ist besonderer Wert zu legen.“ (MWMEV (2002): FahrRad in NRW! S. 83)

„Citybike ist die ideale Ergänzung zum ÖPNV-Netz “ Michael Lichtenegger (Geschäftsführer, Wiener Linien)

„Eine Hypothese der Mobilitätsforschung am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) ist, dass es öffentlichen Verkehrsangeboten an Attraktivität mangelt, weil sie die in modernen Gesellschaften selbstverständlichen Bedürfnisse nach Selbstbestimmung, Flexibilität und Privatheit kaum bedienen. Das bleibt dem Auto überlassen und Selbst-Beweglichkeit ( Auto-Mobilität ) ist in der Folge vor allem Mobilität mit dem eigenen Wagen. Ein Angebot aus individuellen und kollektiven Verkehrsmitteln verbessert die Möglichkeiten, je nach Gelegenheit das passende Verkehrsmittel oder eine geeignete Kombination zu wählen. Über die bessere Verknüpfung bestehender Angebote (z. B. Park & Ride) hinaus setzt ein alle Verkehrsmöglichkeiten umfassendes, intermodales Angebot auf neue Formen individueller Mobilität: Öffentliche Autos (Carsharing) und öffentliche Räder.“ (WZB 2008, o.S.) Diese Hypothese soll im Hinblick auf das Angebot öffentlicher FVS im folgenden Kapitel überprüft werden.

Durch die systematische Verknüpfung verschiedener umweltfreundlicher Fortbewegungsmittel zu einer intermodalen Mobilitätskette wird der Umweltverbund auch für längere Strecken zu einer ernst zu nehmenden und attraktiven Alternative zum MIV. So ist „Bike & Ride“, also die Kombination des Fahrrades mit Verkehrsmitteln des ÖV, für die Überwindung längerer Distanzen ab ca. 6 km eine sinnvolle Lösung. Aber nicht nur der Aktionsradius des Fahrrades erweitert sich wie oben zitiert, sondern umgekehrt vervielfacht sich auch der Einzugsbereich von Haltestellen des ÖV durch Bike & Ride deutlich. Denn während dieser für Fußgänger erfahrungsgemäß nur etwa 500 m beträgt, werden mit dem

43 Fahrradverleihsysteme - Definition, Eigenschaften und Potentiale

Fahrrad auch Haltestellen in einer Entfernung von bis zu 3 km schnell erreicht 15 (vgl. Abb. 5). Dabei spielt es zunächst keine Rolle, ob es sich um ein eigenes oder um ein geliehenes Fahrrad handelt.

Abb. 5: Vergrößerung des Einzugsbereichs einer Haltestelle durch Bike&Ride

Quelle: AGFS 2001a, S.9

Für den Verkehrsteilnehmer ergeben sich verschiedene Möglichkeiten, das Fahrrad mit dem ÖV-Angebot zu verknüpfen. In den meisten Fällen sieht die Kombination so aus, dass das Fahrrad nur für den Vortransport genutzt wird, während der Haupt- sowie ggf. der Nachtransport und damit der Großteil der Strecke mit öffentlichen Verkehrsmitteln erfolgt.

Wird das Fahrrad jedoch sowohl für den Vor- als auch für den Nachtransport 16 genutzt, hat der Nutzer mehrere Möglichkeiten. Nimmt man z.B. an, dass es sich um die tägliche Strecke eines Berufspendlers (Wohnung – Arbeitsplatz – Wohnung) handelt, so könnte die Mobilitätskette folgendermaßen aussehen:

1. Der Pendler führt den Vortransport mit dem eigenen Fahrrad durch, nimmt dieses während des Haupttransports im ÖV mit und bewältigt anschließend auch den Nachtransport mit seinem eigenen Fahrrad.

2. Der Pendler führt den Vortransport mit dem eigenen Fahrrad durch, lässt dieses an der Start-Haltestelle des ÖV stehen (z.B. auf einem Bike&Ride-Parkplatz oder in einer

15 Der Entfernungsbereich von 3 km entspricht „dem Einzugsbereich von 30 – 50 % der Park&Ride- Nutzer bei 10-20% der Investitionskosten von Park&Ride-Anlagen“. (vgl. MWMTV NRW 1999, S.6) 16 Der Nachtransport wird bei vielen alltäglichen „symmetrischen“ Fahrten, die den Ausgangspunkt zu einem späteren Zeitpunkt auch wieder als Zielpunkt haben, zum Vortransport, nur in umgekehrter Richtung. Analoges gilt für den Vortransport. (Bsp.: klassische Wohnung – Aktivität – Wohnung-Kette)

44 Fahrradverleihsysteme - Definition, Eigenschaften und Potentiale

Fahrradstation) nutzt für den Haupttransport den ÖV und greift für den Nachtransport auf ein eigenes Zweit-Fahrrad zurück, das an der Zielhaltestelle des ÖV bereitsteht (z.B. auf einem Bike&Ride-Parkplatz oder in einer Fahrradstation).

3. Der Pendler führt den Vortransport mit dem eigenen Fahrrad durch, parkt dieses an der Start-Haltestelle des ÖV, nutzt für den Haupttransport den ÖV und bewältigt den Nachtransport mit einem Leihfahrrad, das an der Zielhaltestelle des ÖV bereitsteht.

Gerade im beschriebenen Fall eines Berufspendlers ergeben sich für erstgenannte Möglichkeit aber häufig Schwierigkeiten. So ist in vielen kommunalen und regionalen Verkehrsverbünden die Fahrradmitnahme in den Stoßzeiten morgens und am frühen Abend nicht gestattet und auch in Zügen des Fernverkehrs ist die Anzahl an Fahrradstellplätzen begrenzt oder sind solche gar nicht vorhanden (ICE). „Die Unternehmen des öffentlichen Nahverkehrs gestatten die Fahrradmitnahme meist außerhalb der Verkehrsspitzen. In der Regel beschränkt sich dieses Angebot auf zwei Fahrräder pro Bus bzw. pro Türraum in Straßenbahnen bzw. U- und S-Bahnen.“ (MWMEV (2002), S.91)

Und selbst wenn eine Mitnahme des eigenen Fahrrades zu jeder Zeit erlaubt ist, ist diese wegen beschränkter Kapazitäten der öffentlichen Verkehrsmittel und hoher Nachfrage in den Hauptzeiten des Berufs- und Ausbildungsverkehrs deutlich erschwert bzw. eingeschränkt (vgl. Pilotprojekt Berlin in Kap. 6.2). Somit ist die Fahrradmitnahme häufig keine ideale Lösung zur Bewältigung des Nachtransportes mit dem Fahrrad. Die oben beschriebenen Möglichkeiten 2. und 3. stellen für den Großteil der Berufspendler also geeignetere Mobilitätsketten dar.

Sind an der Zielhaltestelle des ÖV jedoch keine oder nicht genügend sichere Abstellmöglichkeiten für ein eigenes Zweitfahrrad vorhanden, wird ein Nutzer auf ein FVS zurückgreifen, wenn ein solches vorhanden ist – vorausgesetzt, er kann sich darauf verlassen, dass er im Regelfall ein freies Leihfahrrad vorfindet und dass er dieses in der Nähe seines Zielortes auch wieder abgeben kann. „Der Schutz vor Diebstahl, Vandalismus und Wettereinflüssen spielt eine besondere Rolle, wenn sich der Verkehrsteilnehmer entscheidet, ob er zur Haltestelle fährt und welches Rad er benutzt. Häufig fällt die Entscheidung zugunsten minderwertiger oder verkehrsuntauglicher Räder. Die TU Delft kam zu dem Ergebnis, dass bei optimaler Fahrradverfügbarkeit im Vor- und Nachtransport die Personenkilometer im überörtlichen öffentlichen Verkehr (größtenteils bei der Bahn) um 14% gesteigert werden könnten. Den größten Effekt hätte eine bessere Verfügbarkeit des Fahrrades für den Weg von der Haltestelle zum Ziel.“ (VCD 2001, o.S.)

Demzufolge kann davon ausgegangen werden, dass das Angebot eines FVS zu einer entsprechenden Änderung des Mobilitätsverhaltens führt, ähnlich wie eine Radstationen erwiesenermaßen zu einer umweltfreundlicheren Mobilität beiträgt, indem Menschen auf die

45 Fahrradverleihsysteme - Definition, Eigenschaften und Potentiale

Kombination von Fahrrad und ÖV umsteigen und den eigenen PKW stehenlassen. (vgl. MWMEV 2000, o.S.) Besonders gut geeignet sind FVS dabei für den Nachtransport im Alltagsverkehr. (vgl. BMVBS 1997, S. 60)

Nach Meinung von Tilmann Bracher besteht an dieser Stelle auch deshalb das größte Potential, weil „im Gegensatz zu den Niederlanden in Deutschland die Fahrradnutzung im Nachtransport (…) noch nicht stark entwickelt ist. Wer sein eigenes Fahrrad nicht dabei hat und am Zielort weiterkommen soll, muss ein geeignetes abstell-, Vermiet- oder Verleihsystem vorfinden.“ (Bracher 1994, S. 20)

Selbstverständlich steht ein FVS aber nicht nur den tagtäglichen oder regelmäßigen Nutzern des ÖV zur Verfügung, sondern stellt auch periodischen oder seltenen Nutzern des ÖV ein ergänzendes Mobilitätsangebot zur Verfügung und macht den Umweltverbund damit auch für diese Nutzergruppen attraktiver. Die Implementierung eines FVS kann demnach auch den „klassischen“ ÖV stärken, denn durch die Vergrößerung des Einzugsbereichs der Haltestellen werden zusätzliche Fahrgäste gewonnen. Dies gilt vor allem für zahlreiche Berufspendler. Diese positiven Synergieeffekte zu nutzen ist ein Ansatzpunkt, um die Betreiber „klassischer“ öffentlicher Verkehrsmittel zu einer Unterstützung der Einführung von FVS zu motivieren. Das Modellprojekt mit den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) zeigt aber, dass FVS den ÖV nicht nur stärken, sondern ggf. auch einen Entlastungseffekt bewirken können (vgl. Kap. 6.2).

Wichtige Voraussetzungen für die Akzeptanz und Nutzung des FVS durch die Kunden des Verkehrsverbundes sind:

1. Es müssen attraktive und funktionstüchtige Leihräder in ausreichender Menge zur Verfügung stehen.

2. Der Ausleih- und Rückgabemechanismus muss denkbar unkompliziert und schnell durchführbar sein.

3. Das Leihfahrrad muss auch am oder in unmittelbarer Nähe des Zielortes wieder abgegeben werden können, um für andere Nutzer verfügbar zu sein und keine zu hohen Nutzungskosten zu verursachen (keine „passive“ Nutzung).

4. Die Wegekette sollte auch für den Rückweg also in umgekehrter Reihenfolge einfach und reibungslos funktionieren.

5. Es sollten keine Informationsdefizite herrschen, d.h. die ÖV-Kunden müssen über gezielte Öffentlichkeitsarbeit und Werbung auf das Angebot eines FVS hingewiesen werden.

46 Fahrradverleihsysteme - Definition, Eigenschaften und Potentiale

Es lässt sich also zusammenfassen, dass intermodale Angebote, die öffentliche Individualverkehrsmittel wie Leihfahrräder einschließen, die Attraktivität des ÖPNV für bestehende wie für neue Kunden steigern, profitabler machen und nachhaltigere Mobilitätsstile fördern können.

47

TEIL II: Konzepte und Umsetzungsbeispiele

öffentlicher Fahrradverleihsysteme

4. Historische Entwicklung – von Amsterdam bis Paris

4.1.Fahrradverleihsysteme der ersten Generation 4.2.Fahrradverleihsysteme der zweiten Generation 4.3.Fahrradverleihsysteme der dritten Generation 5. Fahrradverleihsystem heute – aktuelle Modelle im Vergleich 5.1.Clear Channel Outdoor – die Erfinder der „ SmartBikes “ 5.2. Call a Bike – die Hightech-Fahrräder der Deutschen Bahn 5.3.Citybike Wien 5.4. Cyclocity® - das Erfolgsmodell der Firma JCDecaux 5.5. nextbike aus Leipzig 5.6.Weitere Fahrradverleihangebote 6. Hamburg, Berlin, Stuttgart - drei Fallbeispiele aus Deutschland

6.1.Hamburg steigt auf 6.2.Berlin – ein Modellprojekt mit Zukunft? 6.3.Stuttgart – von der „Auto-Hauptstadt“ zur „Hochburg des Pedelecs“?

48 Historische Entwicklung – von Amsterdam bis Paris

4. Historische Entwicklung – von Amsterdam bis Paris

In diesem Kapitel wird die historische Entwicklung öffentlicher FVS beschrieben. Fachleute unterscheiden dabei häufig in die Systeme der sog. ersten, zweiten und dritten Generation. Dieser Unterteilung entsprechend ist das Kapitel in drei Abschnitte gegliedert, die jedoch nur einen groben Überblick geben sollen, bevor im anschließenden fünften Kapitel („Fahrradverleihsystem heute – aktuelle Modelle im Vergleich“) einzelne Systeme der dritten Generation detaillierter vorgestellt werden.

4.1. Fahrradverleihsysteme der ersten Generation

Die ersten öffentlichen Leihfahrräder wurden in den 1960er Jahren in den Niederlanden – v.a. in Amsterdam - im Rahmen des „ Weißen Fahrradplans “ von Mitgliedern der Provo- Bewegung 17 eingeführt. Herkömmliche Fahrräder wurden weiß angemalt und zur allgemeinen Benutzung im öffentlichen Raum bereitgestellt. Wer eines der auffälligen und kostenlosen Gefährte sah, konnte es sich nehmen, losfahren und an einem beliebigen Ort wieder abstellen (vgl. KLAUS 2005, S. 249). Als Hauptgrund für das Projekt wurde die Ergänzung der traditionellen öffentlichen Verkehrsmittel durch die Leihfahrräder angeführt. Da für die Benutzung der „weißen Fahrräder“ jedoch keinerlei Identifikation oder Anmeldung notwendig war und die Fahrräder kein Schloss besaßen, erforderte das Konzept ein hohes

Maß an sozialer Kontrolle (vgl. SCHIMMELPENNINK 1996, S. 78). Nach einiger Zeit waren die meisten weißen Fahrräder jedoch verschwunden, so dass das Projekt scheiterte 18 .

Im Jahr 1978 startete in Bremen ein ähnliches Projekt unter dem Namen „ Kommunal Fahrrad “. Fundfahrräder, die von ihren Besitzern nach einer bestimmten Aufbewahrungszeit nicht abgeholt worden waren, wurden einheitlich rot-weiß lackiert und zur freien Benutzung in der Innenstadt bereitgestellt. Da es keine vorgeschriebenen Aufbewahrungsstationen gab, sondern die allgemeinen Fahrradstellplätze im öffentlichen Raum genutzt werden sollten,

17 Provo war eine niederländische anarchistische Protestbewegung in den 1960er-Jahren mit dem Ziel, durch gewaltlose Aktionen gewalttätige Reaktionen von Behörden und sonstigen Autoritäten zu provozieren. Gegründet wurde die Gruppe am 25. Mai 1965 u.a. vom anarchistischen Philosophen Roel van Duijn und vom Erfinder Luud Schimmelpennink. Nachdem die Initiative bei einer Amsterdamer Gemeinderatswahl ein Mandat gewonnen hatte, rief die Gruppe die sog. Weißen Pläne ins Leben. Der bekannteste davon war der Weiße Fahrradplan , durch den in ganz Amsterdam weiße Fahrräder zur kostenlosen Benutzung aufgestellt wurden (vgl. WIKIPEDIA 2008b, o.S.).

18 Allerdings gibt es auch heute noch ein öffentliches FVS, das den Namen „ white bike “ trägt. Dieses System soll in dieser Arbeit jedoch nicht weiter thematisiert werden, da es nur in Amsterdam und nur in sehr kleiner Größenordnung existiert. Weitere Informationen unter: http://www.depo.nl

49 Historische Entwicklung – von Amsterdam bis Paris konnten die Räder nach dem Gebrauch überall stehen gelassen werden. Durch das Angebot der kostenlosen Kommunal Fahrräder sollten einerseits die hohe Diebstahlquote privater Räder und andererseits auch der die Innenstadt belastende Parkplatzsuchverkehr mittels einer vermehrten Park&Ride Nutzung reduziert werden. Wartung und Pflege der Fahrräder wurden von Teilnehmern eines Arbeitslosenprojektes durchgeführt. Zusätzlich wurden an bestimmten Masten mit entsprechenden Hinweisschildern handbetriebene Luftpumpen montiert (vgl. KLAUS 2001, S. 34). An der Finanzierung der laufenden Kosten beteiligten sich neben der Stadt Bremen verschiedene Kaufhäuser.

Eine der größten Schwierigkeiten der gut gemeinten Initiative war die unsachgemäße Behandlung der Fahrräder durch viele Nutzer. Neben Diebstahl und Vandalismus führte auch die „ temporäre Privatisierung “ zahlreicher Leihräder durch die Benutzer mit Hilfe eines privaten Fahrradschlosses dazu, dass viele der Gefährte nicht für den allgemeinen Gebrauch zur Verfügung standen und damit nicht im Sinne des Projektes genutzt werden konnten. Auch fanden sich nach kurzer Zeit immer mehr Fahrräder außerhalb des Zentrums in den Wohngebieten und Außenbezirken wieder, da sie dort abgestellt und nicht wieder zurückgefahren wurden (vgl. STADT BREMEN 1979, o.S.). Daher „erwies sich die Aktion „Kommunales Fahrrad" schon nach drei Monaten in der geplanten Form als undurchführbar: Von den 200 rot-weiß lackierten Vehikeln, die der Innensenator den Bremer Bürgern zum

Nulltarif zur Verfügung gestellt hatte, hatten 55 den Besitzer gewechselt.“ (DIE ZEIT 1980, o.S.)

Ähnliche FVS wie in Bremen wurden in den 1970er Jahren außerdem in Bern und in der französischen Stadt La Rochelle ( „Gelbe Fahrräder“) eingeführt (vgl. WIKIPEDIA 2008c, o.S.). Die FVS der ersten Generation sind allesamt gescheitert . Durch die unkontrollierte Benutzung der für den allgemeinen Gebrauch bestimmten Fahrräder und den systembedingt nicht verhinderbaren Diebstahl mussten die gut gemeinten Projekte nach relativ kurzer Laufzeit von wenigen Monaten bis Jahren alle aufgegeben werden 19 . Die Idee des Angebots öffentlicher Leihfahrräder blieb aber Gegenstand weiterer Überlegungen und so wurden seit Anfang der 1990er Jahre die FVS der zweiten Generation entwickelt und realisiert.

19 Diese Aussage ist insofern zu relativieren, als dass die Idee des Bremer bzw. Amsterdamer Konzeptes auch heute noch zu neuen Projekten führt. So gibt es seit Sommer 2008 in München beispielsweise die sog. „Fahrräder der Freiheit“. Die Verantwortlichen beschreiben die Initiative als „sozialen Versuch der FH München, eine Geschichte von Nächstenliebe und Habgier.“ Insgesamt stehen in der Stadt München 15 rote Fahrräder jedem zur freien Verfügung. Die Nutzer werden lediglich aufgefordert, ihre Fahrten mit den Leihrädern in einem „Freiheits-Logbuch“ online zu dokumentieren (vgl. GAUTIER 2008, o.S.).

50 Historische Entwicklung – von Amsterdam bis Paris

4.2. Fahrradverleihsysteme der zweiten Generation

Eine Weiterentwicklung des „Bremer Modells“ stellte das FVS der Stadt Wedel 20 dar. „Die Idee dazu entstand bei der Arbeitslosenselbsthilfe - Arbeit für Alle - e.V. Wedel 1988 im Rahmen einer bundesweiten Aktion von Arbeitsloseninitiativen für Nulltarif im Öffentlichen

Nahverkehr.“ (ARBEITSLOSENHILFE WEDEL 2008, o.S.) Das „Kommunale Fahrrad“ 21 wurde in Wedel im Jahr 1990 eingeführt und als Projekt einer Beschäftigungs- und Weiterbildungsmaßnahme betrieben. Neben ehrenamtlichen Mitarbeitern waren ein festangestellter Ausbildungsleiter und einige Auszubildende verantwortlich für die Umsetzung des Konzepts, das somit mindestens drei Personen einen als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (ABM) finanzierten Arbeitsplatz bot. Die Kommunalen Fahrräder wurden als ergänzende öffentliche Verkehrsmittel eingesetzt und sollten den Umstieg auf das Fahrrad fördern. Sie wurden aus älteren gespendeten Fahrrädern hergestellt, indem diese mit einer blauen Signalfarbe und einem Hinweisschild als Kommunales Fahrrad gekennzeichnet wurden. Die Wartungs- und Reparaturarbeiten fanden in der Werkstatt der Arbeitsloseninitiative statt. Die Räder konnten von Besitzern einer sog. „Key-Card “, die gegen eine Kaution von DM 30,00 erhältlich war, an 16 Stellen in der Innenstadt ausgeliehen und wieder zurückgegeben werden. Die etwa 120 Gefährte waren durch ein Schlosssystem mit einem Sicherheitsfahrradständer verbunden und konnten von den Kunden mit Hilfe der „ Key-Card “ und einem Generalschlüssel für ein zusätzliches Spiralschloss entliehen werden. Trotz einer im Verhältnis zum anfallenden Organisationsaufwand nur geringen Zahl von im Schnitt etwa 250 Kunden wurde das FVS über 11 Jahre betrieben. Die Finanzierung erfolgte zum größten Teil aus Spenden sowie aus Eigenmitteln des Vereins. im Jahr 2001 musste die Arbeitsloseninitiative den Betrieb des bundesweit anerkannten Projektes vorläufig einstellen, da sie selber „ums Überleben kämpfte“ (vgl. ebd.).

Weltweit bekannt geworden ist das Kopenhagener „ City-Bike “. Als Vorbild für das später vielzitierte sog. „Kopenhagener Modell“ diente zunächst ein zahlenmäßig deutlich kleineres Projekt, welches Ende der 1980er Jahre in der dänischen Kleinstadt Nakskov auf der Insel Lolland gestartet wurde. Erst nachdem sich das Konzept „ “ zweier dänischer Erfinder dort bewährt hatte, wurde es in größerem Maßstab am 30. Mai 1995 auch in der

20 Die Stadt Wedel hat etwa 32.000 Einwohner und ist damit eine der kleinsten Städte in Deutschland, die ein öffentliches FVS eingeführt hat.

21 Der Forschungsdienst Fahrrad verfasste im Jahr 1992 folgende Definition: „Kommunale Fahrräder sind in einem abgegrenzten Bereich für jedermann zur Benutzung bereitstehende kostenlose Fahrräder. Versuche in Bremen und Wedel und ein Konzept für Kopenhagen zeigen, dass besondere 21 Voraussetzungen notwendig sind .“ (vgl. BECK 1991, o.S.)

51 Historische Entwicklung – von Amsterdam bis Paris

Hauptstadt des Landes eingeführt. Vor allem in der Startphase wurde das Kopenhagener City-Bike von zahlreichen geschickten Marketingaktivitäten unterstützt und löste daher weltweite Resonanz aus (vgl. KLAUS 2005, S. 249). So bekam der damalige US-Präsident Bill Clinton bei seinem Besuch im Jahr 1997 als offizielles Gastgeschenk ein eigens gestaltetes City-Bike überreicht und weihte eine neue Station ein. Neben der offensiven Vermarktung sorgte auch die Größenordnung von 5.000 speziell angefertigten Fahrrädern im einheitlichen Design dafür, dass das Thema öffentlicher FVS in den Medien und der Fachwelt erstmals intensiv behandelt wurde (vgl. ebd.).

Abb. 6: Das Kopenhagener City-Bike – freistehend (links) und an einer Station (rechts)

Quelle: o.A . 2008a (links) und o.A. 2008b (rechts)

Die Räder des FVS in Kopenhagen sind mit Vollgummireifen, speichenlosen Scheibenrädern und ohne Gangschaltung technisch einfach gehalten und fallen insbesondere durch die am Rahmen und den Laufrädern angebrachte Werbung auf (vgl. Abb. 6). Außerdem ist am Lenker eine Übersichtskarte montiert, auf der die Innenstadt mit möglichen Fahrrouten und das zulässige Nutzungsgebiet samt Leihstationen abgebildet sind. Entliehen werden können die City-Bike s, die an insgesamt 110 Stationen in der Innenstadt von Kopenhagen bereit stehen, gegen ein geringes Pfand von 20 Kronen. Sie sind mit einer Kette an einem Stationsbügel befestigt und können nach dem „ Einkaufswagenprinzip“ durch Einschieben der Geldmünze in eine spezielle Vorrichtung entriegelt werden. Für die Nutzer ist die Ausleihe völlig kostenlos und zeitlich unbegrenzt möglich.

Die Pfandfahrräder stellen vor allem für Touristen eine Attraktion und ein beliebtes Fortbewegungsmittel dar, wie es auf der Internetseite von Bycyklen heißt. Sie dürfen jedoch nur innerhalb eines begrenzten Gebietes im Zentrum der Stadt benutzt werden. Auch das Abschließen der City-Bikes mit einem privaten Schloss ist nicht gestattet. An jeder Station steht eine Hinweistafel mit den Nutzungsbedingungen und einer Karte, die das

52 Historische Entwicklung – von Amsterdam bis Paris

Nutzungsgebiet und die Stationen des FVS darstellt. Die Einhaltung der Regeln wird z.T. sogar von der Polizei kontrolliert und ein Verstoß gegen diese ggf. auch durch die Erhebung eines Bußgeldes bestraft, z.B. wenn Nutzer außerhalb der vorgesehenen Zone mit einem Leihrad erwischt werden. Wird ein City-Bike irgendwo außerhalb einer Station ungenutzt vorgefunden, kann es von einem anderen Nutzer mitgenommen werden, der sich bei der Rückgabe anschließend auch das Pfand sichern kann. Die City-Bike s in Kopenhagen stehen nicht ganzjährig zur Verfügung, sondern werden im Dezember für die Winterpause eingesammelt und erst im April wieder bereitgestellt.

Die Wartungs- und Pflegearbeiten an den Fahrrädern werden von " Bycykelservice ", einer Abteilung der „Rehabilitation Agency of Copenhagen“ durchgeführt, sowohl in einer festen Werkstatteinrichtung als auch direkt vor Ort mit Hilfe von vier mobilen Werkstätten. Als ein Angebot der verschiedenen Weiterbildungsmaßnahmen des Rehabilitationsprogramms werden bei Bycyklen in Kopenhagen im Rahmen sechsmonatiger Trainings jeweils etwa 30 Teilnehmer ausgebildet, um sich für den allgemeinen Arbeitsmarkt zu qualifizieren. Dabei arbeitet die Stiftung mit der „Non-Profit-Organisation Incita“ zusammen. Das Programm ist ein großer Erfolg, etwa 80% der Auszubildenden finden im Anschluss einen Arbeitsplatz (vgl.

BYCYKLEN 2008, o.S.). Finanziert wird das FVS vor allem durch Sponsoreneinnahmen, die über den Verkauf der Werbeflächen auf den Fahrrädern generiert werden, sowie durch Zuschüsse der Stadt Kopenhagen.

Auch das Kopenhagener Modell als bekanntester Vertreter der FVS der zweiten Generation hatte und hat mit zahlreichen Schwierigkeiten zu kämpfen, wie Klaus beschreibt: „Trotz der hohen publizistischen Wirkung verkam das Kopenhagener Modell bald wegen unzureichender Pflege und Unterhaltung zu einem Frustrationsmodell . Es hatte die auch für andere vergleichbare Beispiele typischen „Kinderkrankheiten“: Viele Fahrräder wurden „teilprivatisiert“, der Besetzungsgrad an den Stationen viel schnell so stark ab, dass die Chance, bei Bedarf sofort ein Rad zu bekommen, dramatisch sank. Auch der technische Zustand der Fahrräder verschlechterte sich schnell.“ (KLAUS 2005, S.249 f.) So ist auch zu erklären, warum inzwischen nur noch etwa 2.000 der ursprünglich 5.000 City-Bikes angeboten werden. Dennoch gibt es auch Positives zu berichten: So wurde Bycyklen auf dem „World Travel Market“ in London im November 2008 der „Virgin Holidays Responsible Tourism Award 2008“ in der Kategorie „Best low carbon transport & technology“ verliehen.

Vor allem in Europa aber auch in den USA folgten zahlreiche Versuche, ein FVS nach dem Kopenhagener Modell einzuführen. In Deutschland gab es ähnliche Projekte u.a. in Lübeck, Hannover, Minden, Ingolstadt, Trier, Koblenz, Chemnitz und Landau. In den USA diente das Konzept vor allem als Vorbild für die Entwicklung von Angeboten an Campus-Fahrrädern in einigen Universitäten. In der norwegischen Stadt Trondheim wurde das System bereits

53 Historische Entwicklung – von Amsterdam bis Paris

1996 mit dem fast gleichen Fahrradtyp kopiert. Allerdings wurde es dort dank eines dauerhaft großen Engagements der Stadt sehr viel erfolgreicher betrieben. Defekte Pfandfahrräder wurden dort sofort repariert und eine mobile Serviceeinheit (LKW mit Ersatzfahrrädern) sorgte dafür, dass leere Fahrradständer schnell wieder aufgefüllt wurden 22 . Weitere ähnliche Modelle gibt es heute noch in Helsinki, Arhus und in Aveiro, während das Wiener Projekt „ Viennabike “ Ende 2002 scheiterte und durch ein System der dritten Generation ersetzt wurde (vgl. Kap. 5.3).

Mancherorts wurde das System in kleinen Details modifiziert und weiterentwickelt. So wurde in einigen Städten statt einer Geldmünze eine Plastikkarte eingeführt, mit der sich das Schloss der Halterung öffnen lässt, um die Fahrräder aus der Station entnehmen zu können. Diese Karten können in bestimmten Geschäften und Einrichtungen gegen Hinterlegung einer Kaution erworben werden, sind aber nicht besonders sicher vor Fälschungsversuchen. Auch eine Identifizierung der Nutzer beim Entleih- und Rückgabevorgang ist mit Hilfe dieser Karten nicht möglich.

Die meisten Modelle, die nach dem Kopenhagener Vorbild realisiert wurden, finanzierten sich durch die Einnahmen der Werbung auf den Fahrrädern und durch Zuwendungen der Städte sowie ggf. durch eine Anschub-Finanzierung der regionalen und/oder nationalen Regierungen, wenn es sich um Modellprojekte handelte (vgl. ebd., S. 252). Der Betrieb des Angebotes wurde häufig in Form von sozialen Projekten wie Beschäftigungsinitiativen oder Resozialisierungsmaßnahmen organisiert.

Im Gegensatz zu den in einheitlicher Farbe umlackierten Gebrauchtfahrrädern der ersten FVS-Generation, sind die Leihfahrräder der zweiten Generation eigens entwickelte Spezialanfertigungen . Um den Diebstahl der Räder oder einzelner Komponenten für die Anbringung an privaten Fahrrädern zu verhindern, kommen zahlreiche Spezialteile (Rahmen, Schrauben, Vollgummireifen etc.) zum Einsatz, die nicht mit Standard-Werkzeug abmontiert oder an „normalen“ Fahrrädern angebracht werden können. Allerdings sind die Räder technisch sehr einfach gehalten und mangels Fahrkomfort daher für längere Strecken nur sehr schlecht geeignet.

Die meisten FVS der zweiten Generation sind gescheitert. Dies ist einerseits auf die mangelnde Professionalität und die unzureichende personelle sowie finanzielle Ausstattung der jeweiligen Betreiber für Unterhalt und Pflege des Systems sowie andererseits auf die nicht vorgesehene Identifizierung der Nutzer zurückzuführen. Zwar

22 Inzwischen gibt es in Trondheim ein FVS der dritten Generation, das von der Firma Clear Channel betrieben wird (vgl. Kap. 5.1)

54 Historische Entwicklung – von Amsterdam bis Paris wurden die Serviceangebote im Vergleich zu den Modellen der ersten Generation weiterentwickelt und verbessert, vor allem durch die Einführung von Benutzungsregeln und festen Stationen, jedoch war eine Kontrolle der Regeleinhaltung kaum oder gar nicht durchführbar, so dass viele Fahrräder gestohlen oder beschädigt wurden, ohne dass die Verantwortlichen dafür bestraft werden konnten.

4.3. Fahrradverleihsysteme der dritten Generation

Die FVS der sog. dritten Generation sind seit Ende der 1990er Jahre in Europa entwickelt worden und markieren den klaren Wechsel weg von den schlecht organisierten Low-Tech - Ansätzen hin zu den weitaus professionelleren High-Tech -Konzepten. Neben einer qualitativen Verbesserung der spezialgefertigten Fahrräder im Hinblick auf Komfort, Robustheit und technische Ausstattung, zeichnen sie sich vor allem durch die obligatorische Nutzeridentifizierung aus. Um ein Fahrrad eines FVS der dritten Generation entleihen zu können, müssen Kunden sich zuvor beim jeweiligen Betreiber registrieren, um dann über ihre Kundenkarte, ihre Bankkarte oder eine persönliche Kundennummer bei jedem Ausleih- und Rückgabevorgang vom System automatisch identifiziert werden zu können. Durch die Nutzung moderner Kommunikations- und Dispositionstechniken sowie die Möglichkeiten des sog. E-Commerce sollen die größten Probleme und damit die Hauptgründe für das Scheitern der FVS der zweiten Generation abgestellt werden.

Das erste FVS der dritten Generation wurde von der amerikanischen Firma Clear Channel/Adshell entwickelt und am 6. Juni 1998 in Rennes (Frankreich) eingeführt (vgl. Kap. 5.1). Zwei Jahre später folgte ein ähnliches System in Singapur, das inzwischen aber wieder eingestellt wurde.

Ebenfalls im Jahr 2000 kam das stationsunabhängige System Call a Bike auf den Markt (vgl. Kap. 5.2) und auch die Werbefirma JCDecaux realisierte im selben Jahr in der norwegischen Stadt Sandnes ihr erstes FVS. Dieses stationsgebundene Konzept beruht auf der Idee, alle Benutzer zu Miteigentümern des Systems zu machen, um somit eine entsprechende Sorgfalt seitens der Kunden im Umgang mit den Leihfahrrädern zu erreichen. Die Benutzer müssen sich durch die Angabe persönlicher Daten beim System registrieren und erhalten gegen Zahlung einer jährlichen Mitgliedschaftsgebühr von ca. € 15,00 einen elektronischen Schlüssel, mit dem sie die Schlösser der Fahrräder an den Stationen öffnen können. Über diesen Schlüssel ist die Identifikation der Nutzer bei jedem Entleih- und Rückgabevorgang möglich, so dass dem Missbrauch der Räder vorgebeugt wird. Die elektronischen Schlösser sind dabei so konstruiert, dass ein Fahrrad durch jeden Kunden entliehen werden kann, solange es in einer der Stationen des Systems angeschlossen ist. Wird ein Fahrrad während eines Ausleihvorganges jedoch irgendwo außerhalb einer Station geparkt und

55 Historische Entwicklung – von Amsterdam bis Paris verriegelt, kann das Schloss nur vom jeweiligen Nutzer geöffnet werden. Die maximal erlaubte Ausleihzeit der Fahrräder „am Stück“ beträgt 6 Stunden. Die französische Werbefirma JCDecaux betreibt das System gemeinsam mit einer Stiftung in Absprache mit der Stadt Sandnes. Diese gestattet JCDecaux die Platzierung von insgesamt 20 Werbetafeln innerhalb der Innenstadt als Gegenleistung für die Finanzierung und Organisation des FVS (vgl. KLAUS 2005, S. 254). Auch Touristen können die Leihfahrräder nutzen, indem sie bei der Touristeninformation einen Schlüssel entleihen. Positiv zu bemerken ist, dass die Nutzung des Angebotes gratis ist. Allerdings stehen im gesamten Stadtgebiet nur etwa 30 Fahrräder zur Verfügung, was für eine Stadt mit knapp 63.000 Einwohnern nur eine sehr kleine Größenordnung darstellt (vgl. REGION STAVANGER 2009, o.S.). Die übrigen inzwischen implementierten FVS der Firma JCDecaux unterscheiden sich vom Konzept in Sandnes in einigen Merkmalen und werden im Kapitel 5.3 detaillierter vorgestellt.

Zu einem möglicherweise zukünftig so zu bezeichnenden FVS der „ vierten Generation “ könnten sich verschiedene Pläne für automatische Verleihsysteme mit Elektrofahrrädern entwickeln. Derartige Systeme werden momentan von unterschiedlichen Firmen weltweit entwickelt und erscheinen vor allem für Städte oder Stadtteile mit schwierigen topographischen Verhältnissen (große Höhenunterschiede und starke Gefälle) sinnvoll. Interessante Konzepte und Studien finden sich im Internet z.B. unter folgenden Adressen:

• http://www.intragomobility.com/default.aspx (Datum: 20.12.2008)

• http://www.ultramotor.com/indexultra.html (Datum: 20.12.2008)

• http://www.extraenergy.org (Datum: 20.12.2008)

Stellvertretend für solche innovativen Entwicklungen und Konzepte soll in dieser Arbeit das in 2008 angedachte Pilotprojekt für ein FVS mit Pedelecs in Stuttgart vorgestellt werden (vgl. Kap. 6.3)

56 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

5. Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

In den letzten Jahren hat sich ein vielfältiges Angebot an unterschiedlichen Modellen öffentlicher FVS entwickelt. Die Konzepte unterscheiden sich in ihrer Organisationsform, ihrem Geschäftsmodell und der verwendeten Technologie. Manche arbeiten mit einem telefongestützten Ausleihmechanismus, andere mit sog. „ Smart-Cards “. Es gibt stationsgebundene und stationsunabhängige Angebotsformen. Einige Konzepte haben einen sehr einfachen technologischen Standard („Low-Tech-Ansatz“), andere sind als ausgesprochene „High-Tech“-Systeme zu bezeichnen. Auch sind auf Seiten der Betreiber sehr unterschiedliche Akteure im Markt aktiv, so dass sich verschiedene Finanzierungsoptionen bieten. Die Auswahl reicht von Bahngesellschaften und anderen Betreibern öffentlicher Verkehrsmittel ( DB Rent, Nederlandse Sporwegen, VRR), über Spezialisten für Außenwerbung und Stadtmöblierung ( Clear Channel Outdoor, JCDecaux, Wall AG, Gewista) bis hin zu einzelnen Privatfirmen ( nextbike ).

Diese Angebotsvielfalt ermöglicht interessierten Städten, das für ihre Bedürfnisse, Wünsche und Ziele jeweils am besten geeignete System auszuwählen bzw. bestimmte erwünschte Eigenschaften eines einzuführenden FVS zu definieren und dann eine entsprechende Ausschreibung auszurichten.

Im Folgenden sollen die aktuellen Systeme der dritten Generation, die in den letzten Jahren vor allem in Europa implementiert worden sind, vorgestellt werden. Dazu gehören die Systeme Call a Bike , Cyclocity® , Smart-Bike , nextbike , OV-fiets und bikey . Eine vergleichende Übersicht aller dieser Konzepte und der jeweiligen Betreiberfirmen geben die Tabellen 16 und 17 im Anhang.

5.1. Clear Channel Outdoor - die Erfinder der „ SmartBikes “

In diesem Kapitel soll das FVS der amerikanischen Firma „Clear Channel Outdoor“ (CCO) vorgestellt werden. Als erster Betreiber hat CCO ein Verleihsystem der sog. „Dritten Generation“ zunächst in Europa und inzwischen auch in den USA implementiert.

5.1.1. Clear Channel Outdoor – Pionier der „Dritten Generation“

Die Außenwerbefirma CCO gehört zum US-amerikanischen Medienunternehmen „Clear Channel Communications“ mit Hauptsitz in San Antonio, Texas und ist die weltweit erste Firma, die ein öffentliches FVS der sog. „Dritten Generation“ eingeführt hat. Im Jahr 1998 implementierte die Werbefirma Adshel, eine Tochterfirma von CCO, in der französischen

57 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Stadt Rennes das FVS „ Vélo a la carte “ und leistete damit wichtige Pionierarbeit. Seither sind ähnliche Konzepte wie das „ SmartBike -Verleihsystem “ 23 von CCO auch von anderen Firmen entwickelt worden. In Anlehnung an das Modell aus Rennes werden die FVS der dritten Generation häufig auch als „ SmartBike -Systeme“ bezeichnet. Sie sind inzwischen in zahlreichen europäischen und neuerdings auch amerikanischen Städten eingeführt worden oder in Planung (vgl. SMART BIKE 2008a, o.S.).

Abb. 7: SmartBike Stationen in Rennes (links) und in Barcelona (rechts)

Quelle: CCO o.J.b, o.S

Aufbauend auf den inzwischen zehnjährigen Erfahrungen hat CCO sein FVS ständig weiterentwickelt und verbessert, um es an die aktuellen Anforderungen und Bedürfnisse der Städte und Nutzer anzupassen. Daher unterscheiden sich die implementierten Systeme von Stadt zu Stadt teilweise in kleinen Details. CCO betreibt inzwischen in 13 Städten in Europa und den USA Verleihsysteme (Stand: Dezember 2008), Tab. 2 gibt eine Übersicht.

Tab. 2: Die FVS im Betrieb von CCO

Ort Anzahl Stationen Anzahl Räder Eröffnung Name Rennes, Frankreich 25 200 1998 Velo a la carte Drammen Drammen, Norwegen 32 250 2001 Bysykkel Oslo, Norwegen 120 1.200 2002 Göteborg, Schweden 11 125 2005 - Trondheim Trondheim, Norwegen 10 125 2005 Bysykkel Stockholm, Schweden 160 2.000 2006 City Bikes

23 Die Leihräder von CCO heißen „ SmartBikes “, da sie die ersten Fahrräder sind, die über den elektronischen Anschluss ihres Parkständers Informationen an den Zentralcomputer des Verleihsystems weiterleiten können (vgl. 5.1.4).

58 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Barcelona, Spanien 400 6.000 2007 Bicing Peripgnan, Frankreich 15 150 2007 BIP! Dijon, Frankreich 40 400 2008 Velodi Caen, Frankreich 40 400 2008 Caen V´eol 40 400 Zaragoza, Spanien 2008 Bizi (geplant: 100) (geplant: 1.000) Washington DC, USA 10 120 2008 SmartBike DC 103 1.300 Mailand, Italien 2008 Bike Mi (geplant: 250) (geplant: 5.000) Stand Gesamt Ca. 1.050 ca. 13.000 --- 12.2008 Quelle: CCO o.J.a, o.S.

5.1.2. Die Organisationsstruktur

Alle FVS der Firma CCO sind stationsgebundene Systeme, d.h. die Fahrräder können nur direkt an den festen Stationen des Systems ausgeliehen und wieder zurückgegeben werden. Die Stationen sind über das jeweilige Stadtgebiet verteilt und bestehen aus den sog. „docking-stations“ (Abstellplätzen) und einem „Service Access Terminal “ (Infosäule), an dem sich Kunden anmelden und verschiedene Informationen einholen können. Die Größe der Stationen variiert zwischen 15 und 50 Stellplätzen.

Jede Station ist in Echtzeit mit dem Zentralcomputer des Systems verbunden und überträgt mit Hilfe einer IT-Einheit in der Stationssäule Informationen wie Nutzerdaten, Entleihdauer, Belegungsgrad der Station, Anzahl defekter Fahrräder in der Station etc. an die Zentrale. Sind beispielsweis alle Stellplätze einer Station besetzt und ist die Rückgabe eines Fahrrades an dieser Station somit nicht möglich, können Nutzer sich die Nummern und die Standorte der fünf nächstgelegenen Fahrradstationen mit freien Parkplätzen auf einem Display an der Infosäule anzeigen lassen. Außerdem können Kunden sich im Internet zu jeder Zeit und für jede einzelne Station über die Anzahl zur Verfügung stehender Fahrräder und die Anzahl freier Stellplätzen informieren (vgl. CCO o.J., o.S.).

Die Betriebszeiten der Systeme variieren von Stadt zu Stadt. In den meisten Fällen öffnen die Stationen täglich zwischen 6 und 8 Uhr und schließen je nach System zwischen 20 und 24 Uhr. Während der Nacht sind keine Entleihvorgänge möglich, zurückgegeben werden können die Fahrräder an freien Stellplätzen jedoch rund um die Uhr. Außer in Norwegen und Schweden, wo CCO die SmartBikes im Winter teilweise einsammelt, repariert und witterungsgeschützt lagert, sind die FVS 365 Tage im Jahr in Betrieb.

59 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

5.1.3. Der Ausleihmechanismus

Um ein Fahrrad an einer Station entleihen zu können, müssen Nutzer sich beim System registriert haben und je nach Stadt mindestens 14, 16 bzw. 18 Jahre alt sein. Die Anmeldung kann online, telefonisch, mit WAP (Wireless Application Protocol) oder persönlich im Kundenbüro erfolgen. Bei der Anmeldung, für die man eine Kreditkartennummer, seine Ausweisnummer sowie seine Wohnanschrift vorlegen muss, wird ein Kundenkonto eingerichtet, auf das der Kunde online zugreifen kann. Dort kann er z.B. seine kostenpflichtigen Nutzungen einsehen. Wenige Tage nach der Anmeldung bekommt ein Neukunde per Post das sog. „Welcome Pack“ mit einer Stationsübersicht, einer Kurzanleitung sowie seiner persönliche Kundenkarte (sog. „ Smart-Card “) samt Aktivierungscode zugesandt. Sobald die Smart-Card online aktiviert worden ist, kann ein Kunde die Fahrräder an den Stationen entleihen.

Um mit einer Fahrt beginnen zu können, muss der Nutzer seine Kundenkarte an das Lesegerät am „Service Access Terminal“ halten und bekommt daraufhin auf dem Display eine Stellplatznummer angezeigt, an der ein freies Fahrrad für Ihn zur Entnahme bereitsteht. Während der Kunde zum Stellplatz geht, öffnet sich die elektromechanische Schließvorrichtung für 30 Sekunden und am zugewiesenen Stellplatz blinkt eine grüne Lampe, die die Entnahmemöglichkeit signalisiert. Das Fahrrad wird aus der „docking station“ entnommen, indem man es am Lenker hochhebt, um die Bolzen des Fahrradrahmens aus den beiden Öffnungen der Parkvorrichtung zu lösen (vgl. Abb. 8).

Da die SmartBikes kein mobiles Schloss besitzen, können sie nur an den Stationen des Systems sicher abgestellt werden. Auf diese Weise möchte CCO eine möglichst hohe Verfügbarkeit der Leihfahrräder erreichen. Bei eventuellen Fahrtunterbrechungen oder - pausen sollte man das Fahrrad also entweder nicht unbeaufsichtigt stehen lassen, ein privates Schloss mitführen oder es an einer Station zurückgeben und anschließend ein neues Fahrrad entleihen.

An der Zielstation angekommen, wird das SmartBike in einen durch eine grüne Lampe signalisierten freien Stellplatz gehängt und die beiden Bolzen am vorderen Gepäckträger in den Öffnungen versenkt. Daraufhin verschließt sich das Schloss und eine rote Lampe bestätigt die erfolgreiche Rückgabe und damit die Beendigung des Ausleihvorgangs. Erst mit der korrekten Rückgabe des Fahrrades an einem Stellplatz endet die Nutzungszeit und damit auch die Verantwortlichkeit des Kunden für das entliehene Fahrrad. Freie Stellplätze mit rotem Lichtsignal dürfen nicht für die Rückgabe genutzt werden, um eine nachfolgende Entwendung durch Unbefugte im Namen des Nutzers zu verhindern (vgl. CCO o.J., o.S.).

60 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Abb. 8: SmartBikes in einer Docking-Station

Quellen: o.A. 2008c, o.S. (links) und o.A. 2008d, o.S. (rechts)

5.1.4. Die Fahrräder – Technik, Funktionen, Wartung und Service

Die von CCO angebotenen SmartBikes unterscheiden sich im Design deutlich von käuflichen Fahrradmodellen, vor allem weil Vorder- und Hinterrad unterschiedlich groß sind. Dadurch wird ein hoher Wiedererkennungswert erzielt, so dass die Fahrräder im Stadtbild einerseits besonders gut auffallen und andererseits auch besser vor Diebstahl geschützt sind, da sie sich schlechter wieder verkaufen lassen. Da die Fahrräder seit der Einführung des ersten Systems in Rennes 1998 immer weiterentwickelt worden sind, variieren die eingesetzten SmartBike -Modelle von Stadt zu Stadt leicht (vgl. Abb. 9).

Abb. 9: Das erste SmartBike aus Rennes (links), das aktuelle Modell aus Barcelona (rechts)

Quellen: CCO 2008e, o.S. (links) und o.A. 2008f, o.S. (rechts)

61 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Wie bei den meisten modernen FVS sind auch die Leihfahrräder von CCO besonders robust gebaut, um eine hohe Langlebigkeit zu ermöglichen, obwohl die Räder rund um die Uhr der Witterung ausgesetzt sind und von vielen verschiedenen Kunden benutzt werden. Das Fahrrad verfügt über einen dank Schnellspanner leicht höhenverstellbaren Sattel und eine 3- Gangschaltung mit integrierter Trommelbremse. Während bei den meisten älteren Modellen ein Nabendynamo zum Einsatz kommt, sind die neusten Modelle in Barcelona, Zaragoza und Washington mit einer automatischen, batteriebetriebenen Beleuchtungsanlage ausgestattet worden, wobei der Akku für den Betrieb des weißen Frontscheinwerfers und des rot blinkenden Rücklichts an den Stationen aufgeladen wird. Da die Lebensdauer und Qualität der Akkus aber nicht den Erwartungen entsprach, sind die meisten Fahrräder inzwischen nachträglich umgerüstet worden und verfügen nun ebenfalls über den zuverlässigeren Nabendynamo. Ein Sensor am Fahrrad registriert die Helligkeit der Umgebung und schaltet das Licht bei Dunkelheit automatisch ein.

Der Lenker verfügt über einen integrierten Gepäckträger mit einem flexiblen Befestigungsband oder einem Körbchen, um kleinere Gegenstände wie Rucksäcke und Einkaufstaschen besser transportieren zu können. Auch vor ölverschmierten Hosenbeinen oder nassgespritzten Kleidungsstücken brauchen sich die Nutzer der SmartBikes keine Sorgen zu machen, denn ein Kettenschutz und die extra-großen Schutzbleche an Vorder- und Hinterrad schützen beim Fahren zuverlässig vor Schmutz und Wasser. Jedes Fahrrad eines Systems hat eine eigene Nummer und wird daher vom Zentralrechner individuell erkannt und zugeordnet, wenn es an einer Station zurückgegeben wird. Auf diese Weise werden die Nutzungszeiten für die Kostenabrechnung und die Instandhaltungszyklen jedes einzelnen SmartBikes aufgezeichnet (vgl. CCO 2008a, o.S.).

Zu den genauen Kosten der Fahrräder macht CCO keine exakten Angaben. Auf der Seite des Systems Stockholm-City-Bikes wird der Wert der Räder jedoch mit 4.500 Schwedischen Kronen inkl. MwSt. angegeben, was ungefähr einem Wert von € 450 entspricht (vgl. 2008, o.S.). Nutzer des neuen Systems in Washington zahlen bei Verlust eins Leihfahrrades $ 550, was in etwa einem Wert von € 400 entspricht. Daher kann angenommen werden, dass der Anschaffungspreis der Fahrräder bei etwa € 400 liegt.

Um den Betriebsablauf der FVS möglichst reibungslos zu gestalten, kümmern sich mobile Service-Teams in jeder Stadt rund um die Uhr um die Instandhaltung und die Umverteilung der Fahrräder. Je nach Wartungsaufwand werden die Fahrräder entweder direkt vor Ort oder in der zentralen Werkstatt gepflegt und repariert. Zur Umverteilung der Fahrräder kommen Kleintransporter mit speziellen Anhängern, auf denen bis zu 24 Stellplätze vorhanden sind, zum Einsatz (vgl. Abb. 10). Diese Fahrzeuge zirkulieren im Stadtgebiet und erhalten über den Zentralrechner automatische Anweisungen für die Umverteilung der Fahrräder.

62 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Entsprechend transportieren sie SmartBikes von überfüllten Stationen hin zu weniger vollen bzw. leeren Stationen. So soll zu jeder Tageszeit eine möglichst flächendeckende und gleichmäßige Verfügbarkeit der Fahrräder gewährleistet werden (vgl. CCO o.J., o.S.).

Abb. 10: Ein Service-Fahrzeug des Systems Bicing in Barcelona

Quelle: o.A. 2008g, o.S.

5.1.5. Nutzungsgebühren, Kosten und Finanzierung

Die Nutzungsgebühren jedes Kunden werden automatisch von dessen angegebener Kredit- oder Debitkarte eingezogen. Die Gebühren für die Nutzung der Leihfahrräder und die Finanzierung der jeweiligen Systeme variieren von Stadt zu Stadt. In den meisten Städten sind die ersten 30 Minuten einer jeden Fahrt kostenlos, bzw. bereits in der Jahresgebühr der Kundenkarte enthalten. Die Anzahl der Rückgaben und Entnahmen der Fahrräder an den Stationen ist nicht begrenzt, allerdings muss zwischen Rückgabe und erneuter Entnahme eine Zeit von mindestens 10 Minuten liegen, um eine neue kostenlose Fahrt beginnen zu können. Bei Überschreitung des kostenfreien Zeitbudgets zahlt der Nutzer je nach Stadt für jede angefangene halbe Stunde eine Gebühr zwischen € 0,30 und € 1,00.

In den meisten Städten ist die Gesamtentleihzeit auf max. zwei bzw. drei Stunden begrenzt, so dass nach Ablauf dieser Zeit eine Strafgebühr in Höhe von € 2,00 bis € 3,00 für jede weitere angefangene Stunde berechnet wird. Nach dreimaliger Berechnung der Strafgebühr wird die Nutzerkarte automatisch gesperrt und das Abonnement deaktiviert. Bei

63 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Nichtrückgabe des Fahrrades innerhalb von 24 Stunden werden je nach System zwischen € 150,00 und € 200,00 vom Konto des Kunden abgebucht. Sollte ein Benutzer sein Fahrrad an einer Station zurückgeben wollen, an der gerade keine freie „docking-station“ zur Verfügung steht, kann er sich am Bildschirm der Infosäule die fünf nächstgelegenen Stationen mit freien Abstellplätzen anzeigen lassen und bekommt für die Fahrt dorthin 15 zusätzliche Gratis- Minuten angerechnet.

5.1.6. Marktentwicklung, Nutzerzahlen und Zukunftsaussichten

In Europa und den USA stehen inzwischen etwa 13.000 SmartBikes von CCO zur Verfügung (Stand: Dezember 2008). Insgesamt haben sich weltweit mehr als 260.000 Nutzer registriert, die täglich über 50.000 Fahrten mit SmartBikes unternehmen und dabei eine Gesamtstrecke von etwa 200.000 km zurücklegen. Angenommen, diese Strecke würde nicht mit

Leihfahrrädern, sondern mit dem Auto bewältigt, ergäbe dies einen täglichen CO 2 – Ausstoß von ca. 37 t rechnet CCO auf seiner Webseite vor. Die durchschnittliche Entleihzeit der SmartBikes beträgt etwa 20 Minuten (vgl. CCO o.J., o.S.). CCO plant die Einrichtung weiterer Systeme in den kommenden Jahren. Neben der weiterhin steigenden Nachfrage in Europa zeigen auch immer mehr Städte in den USA inzwischen verstärktes Interesse an der Einführung von FVS.

Im Folgenden sollen exemplarisch die Systeme in Rennes, Barcelona und in Washington DC vorgestellt werden. Diese drei Standorte stellen insofern ein Besonderheiten dar, als dass CCO in Rennes das weltweit erste SmartBike -FVS eingeführt hat, in Barcelona das größte seiner bisher 13 FVS betreibt und in Washington DC im August 2008 das erste SmartBike - Verleihsystem in den USA eröffnet worden ist, womit auf der Seite von CCO die Hoffnung verbunden ist, einen weiteren wichtigen Markt für FVS zu erschließen.

5.1.7. Rennes – Velo a la carte

Das FVS „ Velo a la Carte “ wurde am 6. Juni 1998 in Rennes eröffnet und wird seitdem erfolgreich betrieben. Die Nutzung der Leihfahrräder ist vollkommen kostenlos, allerdings dürfen diese maximal zwei Stunden am Stück entliehen werden. Drei Servicetechniker kümmern sich um die insgesamt 200 SmartBikes , die an 25 Stationen bereit stehen. Da das System als Pilotprojekt diente, wurden seitens der Betreiberfirma Adshel detaillierte Untersuchungen über die Nutzung des Angebots durchgeführt, deren wichtigste Ergebnisse im Folgenden kurz vorgestellt werden.

64 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Insgesamt haben in den 10,5 Betriebsjahren des FVS knapp 10.000 Kunden aus 28 verschiednen Nationen 561.000 Fahrten unternommen. Der Service wird von den über 4.300 registrierten Nutzern (Stand: 2008) gut angenommen und erfreut sich zunehmender Beliebtheit. 96.308 Leihvorgänge in der Saison 2007 bedeuten ein Plus von 52,2% gegenüber dem Vorjahr. Im Schnitt werden die SmartBikes in Rennes 270-mal am Tag entliehen. Die mittlere Nutzungszeit ist mit 44 Minuten vergleichsweise lang (vgl. Tab. 16 im Anhang), allerdings dauern fast 60% der Fahrten weniger als 15 Minuten und 76,5% weniger als 30 Minuten (vgl. Abb. 11). 69% aller zurückgelegten Strecken sind Einwegfahrten, 31% beginnen und enden an derselben Station. Die Nachfrage im Wochenverlauf ist recht ausgeglichen mit dem Spitzentag Samstag (18%) und dem niedrigsten Wert am Montag (13%).

Abb. 11: Dauer und Häufigkeiten der Ausleihen (Stichprobe 01/05 – 01/06 2008)

Anteil unterschiedlicher Entleihzeiten in Minuten

59,4%

17,1%

3,3% 9,4% 4,0% 6,8%

Entleihdauer [min]: 1-15 15-30 30-60 60-90 90-120 > 120

Ausleihhäufigkeiten verschiedener Nutzer pro Monat (Erhebung: 01.05.2008 - 01.06.2008)

62,8%

18,9% 0,7% 5,7% 11,9%

Anzahl der Ausleihen: 1 - 5 6 - 10 11 - 20 21 - 50 > 50

Quelle: CCO 2008 d, o.S.

40% der aktiven Nutzer sind jünger als 25 Jahre, das Durchschnittsalter beträgt 33 Jahre. Mit 58% ist der Anteil männlicher Nutzer deutlich höher als der der Frauen. Im Zentrum von

65 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Rennes wird das Serviceangebot besonders häufig genutzt. 55% aller Wege beginnen und/oder enden an den 7 Stationen in der Innenstadt, während die restlichen 18 Stationen zusammen nur auf einen Wert von 45% kommen (vgl. CCO 2008d, o.S.).

92% der Kunden sind ziemlich oder sehr zufrieden mit dem Serviceangebot, 46% gaben an, dass sie das FVS regelmäßig benutzen. Velo a la Carte wird für viele verschiedene Wegezwecke genutzt: 24% für den Weg zur Arbeit, zur Schule oder Universität (15%), für Freizeitaktivitäten (22%), für Einkaufsfahrten (27%) und für andere Zwecke (12%). 69% der Nutzer gebrauchen die Fahrräder für in Kombination mit anderen Transportmitteln (vgl. BÜHRMANN , 2005c, S.2).

5.1.8. Bicing in Barcelona

In Barcelona betreibt CCO seit März 2007 das FVS „ Bicing “. Der Name ist ein Kunstwort, das sich aus dem katalanischen Kurznamen „bici“ (für Fahrrad) und „BCN“, dem amtlichen Kürzel der Stadt Barcelona ableitet. Seit der Einführung des Systems hat sich sowohl die Zahl der Stationen als auch die Anzahl der Fahrräder enorm vergrößert (vgl. Tab. 3).

Tab. 3: Ausbau des Systems Bicing in Barcelona

Datum Anzahl Stationen Anzahl Räder Anzahl Nutzer 22.03.2007 14 200 350 01.05.2007 50 750 25.000 01.07.2007 100 1.500 80.000 31.12.2007 200 3.000 98.000 01.07.2008 385 5.500 150.000 31.12.2008 400 6.000 175.000

Quelle: eigene Darstellung nach versch. Pressemitteilungen und Bicing 2008 e, o.S.

Der Betrieb des FVS wurde zunächst für zehn Jahre an CCO vergeben, mit der Option einer Verlängerung des Vertrags auf 15 Jahre. Im Unterschied zu den Verleihsystemen in vielen anderen europäischen Städten wird Bicing aber nicht durch Einnahmen aus der Außenwerbung oder durch Werbung auf den Fahrrädern und Stationen finanziert, sondern die Kosten des Systems werden zu zwei Dritteln aus den Überschüssen des kommunalen Parkraumbewirtschaftungsprogramms „Area Verde“ und zu einem Drittel durch die Nutzungsgebühren (v.a. die Jahresbeiträge 24 ) gedeckt (vgl. MUÑOZ 2007, o.S.).

24 Da 91% aller Fahrten kürzer als eine halbe Stunde und damit kostenfrei sind, wird der Großteil der Gebühreneinnahmen in Form des Jahresbeitrags von € 24,00 bzw. € 30,00 (seit 2009) generiert.

66 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Zu Beginn der Implementierung von Bicing war geplant, dass die Stadtverwaltung für die notwendigen Investitionen und den zehnjährigen Betrieb des Systems mit insgesamt 1.500

Fahrrädern an 100 Stationen € 22,3 Millionen bezahlt (vgl. MUÑOZ 2007, o.S.). Aufgrund des enormen Erfolgs entschloss sich die Stadt jedoch bereits im September 2007, nur sechs Monate nach der Eröffnung des FVS, das Angebot deutlich größer zu dimensionieren und die ursprünglich anvisierte Größenordnung zu vervierfachen ( 6.000 Räder an 400 Stationen). Entsprechend sind Kosten, die die Stadt an den Betreiber zahlt, auf € 5,5 Millionen pro Jahr gestiegen (vgl . C. FONTGIVELL 2008, o.S.).

Für das Jahr 2009 ist ein erneuter Ausbau des FVS außerhalb der Stadtgrenzen geplant. Mit weiteren 3.520 Fahrrädern an 440 zusätzlichen Stationen soll dann auch der gesamte Küstenabschnitt zwischen Castelldefels im Südwesten und Montgat im Nordosten Barcelonas abgedeckt sein. Diese Erweiterung soll zu 60% durch Werbung finanziert werden (vgl. 20 M INUTOS 2008, o.S.).

Abb. 12: Das Stationsnetz von Bicing

Quelle: Bicing 2008, o.S.

Mit einem Abstand von durchschnittlich nur ca. 350 m zwischen zwei Stationen ist im Zentrum von Barcelona bis Ende 2008 ein flächendeckendes Netz automatisierter Verleihstationen entstanden, welches etwa 70% des Stadtgebiets von Barcelona abdeckt

67 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

(vgl Abb. 12). Die Stationen von Bicing sind samstags und sonntags rund um die Uhr geöffnet. Von Montag bis Freitag sind sie von 0 bis 5 Uhr für die Fahrradentnahme geschlossen, während die Rückgabe an freien Stellplätzen zu jeder Zeit möglich ist.

Bicing ist Teil des Angebots des kommunalen Eigenbetriebs B:SM (Barcelona Serveis Municipals) und soll gezielt das klassische Angebot des ÖPNV erweitern. Entsprechend befindet sich an fast allen Haltestellen der Metro mindestens eine Bicing -Station. In den Haltestellen und Unterführungen der Metro hängen zahlreiche Hinweisschilder, die anzeigen, an welchen Ausgängen Leihfahrräder zu finden sind. Als Service zur Ergänzung des öffentlichen Nahverkehrs stellt Bicing kein Verleihangebot für längere Freizeitfahrten oder Fahrradausflüge dar, sondern richtet sich ausschließlich an die Einwohner und Pendler der Stadt Barcelona für die kurzzeitige Nutzung im Alltag. Deshalb müssen Kunden eine spanische Wohnanschrift vorweisen, um sich bei Bicing registrieren zu können und es werden lediglich Jahresabonnements angeboten (vgl. BICING 2007, o.S.).

Die ursprünglich ebenfalls geplante und vor allem für Besucher und Touristen gedachte Wochenabokarte wurde aufgrund juristischer Widerstände des Verbandes der Fahrradvermieter in Barcelona aufgegeben. Der Verband hatte gegen die beabsichtige touristische Nutzung des öffentlichen FVS heftig protestiert und der Stadt mit einer gerichtlichen Auseinandersetzung wegen unerlaubter Wettbewerbsverzerrung gedroht, da er befürchtete, dass viele Fahrradgeschäfte 25 und private Anbieter von Leihfahrrädern durch Bicing ihre wichtigste Kundengruppe verlieren würden (vgl. BICING 2008, o.S.)

Für den Betrieb des FVS sind in Barcelona insgesamt 162 Arbeitsplätze eingerichtet worden. Allein um die von den Nutzern verursachte Umverteilung der Fahrräder des Systems zu korrigieren und die Verfügbarkeit der Räder im Stadtgebiet zu optimieren, sind 21 Kleintransporter mit Anhängern 20 Stunden am Tag unterwegs, die die SmartBikes gleichmäßig auf die Stationen verteilen (vgl. WINKELS 2007, o.S.)

Dennoch ist in Diskussionsforen von Bicing -Nutzern im Internet zu lesen, dass in den späten Morgenstunden die Stellplätze der Stationen in Meeresnähe an den meisten Tagen vollständig belegt sind, während viele der Stationen in den höher gelegenen Stadtteilen zur selben Zeit leerstehen. In den späten Nachmittags- und Abendstunden stellt sich die Situation genau umgekehrt dar. Da dieses Problem bisher auch durch den Einsatz der Transportfahrzeuge zur Fahrradumverteilung noch nicht gelöst werden konnte, hat die Betreiberfirma sich entschlossen, an den betroffenen Stationen zu bestimmten Zeiten

25 Ein weiterer Kritikpunkt besteht darin, dass der Verkauf von Fahrrädern im ersten Jahr nach der Einführung von Bicing nach Angaben der Vereinigung der Fahrradhändler für Stadträder um 10 bis 15% und im Jahr 2008 sogar um 20% zurückgegangen ist (vgl. EL PAÍS 2008, o.S.). Als Grund wird aber auch die neue, restriktive Fahrradnutzungssatzung in Barcelona angeführt (vgl. AVUI 2008, o.S.).

68 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich zusätzliches Personal einzusetzen, das zum Empfang von überzähligen Fahrrädern berechtigt ist und die SmartBikes einsammelt und bewacht, bis diese weiterverteilt oder wieder entliehen werden. Weiterhin wurde das ursprünglich geplante Verhältnis von Stellplätzen zu Fahrrädern mit der Zeit von 1,6 : 1 auf 2 : 1 erhöht, d.h. die Anzahl der Stellplätze wurde insgesamt vergrößert, um den Fahraufwand der Redistributionsfahrzeuge zu senken und der Überfüllung von Stationen stärker vorzubeugen (vgl. WIKIPEDIA 2008c, o.S.).

Abb. 13: Entwicklung der Anzahl der Benutzer („usuaris“) und Stationen („estacions“)

Quelle: Belzunces 2008, o.S.

Der Erfolg von Bicing übertrifft alle im Vorfeld gehegten Erwartungen. Bereits nach dreieinhalb Monaten hatten sich 80.000 Kunden bei dem FVS registriert (vgl. Abb. 13). Im Juni 2008 wurde der bisherige Spitzenwert von über 50.000 Leihvorgänge an einem Tag gemessen, insgesamt waren zu diesem Zeitpunkt seit dem Start des Systems schon über 8,7 Millionen Fahrten mit den SmartBikes unternommen worden (vgl. EL PERIODICO 2008, o.S.).

Das FVS erfreut sich so großer Beliebtheit, dass inzwischen sogar Geschäftsinhaber und Wohnungsvermieter in Barcelona in ihren Anzeigen mit der geringen Distanz zur nächstgelegenen Bicing -Station werben. Der Erfolg des FVS lässt sich aber auch im Einfluss des neuen Mobilitätsangebots auf das Verkehrsverhalten ablesen, wie detaillierte Untersuchungen in Barcelona zeigen. Knapp 10% aller Fahrten mit Bicing substituieren die Nutzung von motorisierten Individualverkehrsmitteln (Auto = 3,3% und Motorrad = 6,3%).

69 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

26% der Wege wurden von den Nutzern vor Einführung des Systems zu Fuß und etwa 51% im ÖPNV zurückgelegt. Über 70% der Fahrten sind monomodal, das bedeutet, die Kunden nutzen auf einem Weg ausschließlich das öffentliche Fahrrad 26 . Die übrigen knapp 30% der Nutzungen sind Teil einer multimodalen Mobilitätskette, d.h. die Nutzer kombinieren die „Bicing -Fahrt“ mit dem ÖV (86,4%), mit dem Auto (4,2%) oder mit den eigenen Füßen (8,2%).

Der mit 30% am häufigsten genannte Grund 27 für die Nutzung von Bicing ist die höhere Fortbewegungsgeschwindigkeit in der Stadt. 27% der Kunden sehen in der Nutzung von Bicing eine Möglichkeit zur sportlichen Betätigung, 23% finden es einfach bequemer und für 22% steht die ökologische und nachhaltige Mobilität im Vordergrund. 17% der Nutzer entscheiden sich für das FVS, weil es preiswerter ist als alternative Fortbewegungsmittel, 12% sehen darin eine praktische Möglichkeit sich in der Stadt zu bewegen und weitere 12% finden Bicing angenehmer als die herkömmlichen öffentlichen Transportmittel (vgl. CORTÉS 2008, o.S.).

Bicing wird fast genauso häufig von Frauen (49%) wie von Männern (51%) benutzt. 48% der Kunden sind älter als 35 Jahre, 42% sind zwischen 25 und 34 Jahren alt und 10% sind jünger als 25 Jahre. 70% der Fahrten sind kürzer als 15 Minuten und 91% der Nutzungen enden innerhalb der kostenlosen halben Stunde. Im Durchschnitt wird jedes SmartBike in Barcelona täglich für 16 Fahrten entliehen und ist damit etwa 5 Stunden im Einsatz 28 . (vgl.

WINKELS 2007, o.S.).

5.1.9. „Smart Bike DC “ in der Hauptstadt Washington DC

Washington DC ist die erste Stadt in den USA , die ein vollautomatisches FVS eingeführt hat. Am 13. August 2008 wurde das System „ SmartBike DC “, mit zunächst 10 Stationen und 120 Fahrrädern eingeweiht. Trotz ihrer Vorreiterrolle in den Vereinigten Staaten trauen sich die Verantwortlichen in der Hauptstadt beim Thema FVS aber noch kein typisch amerikanisches „Think Big“ zu, sondern bremsen zu hohe Erwartungen: " We want to start small and start slow. We don't want the first-time people (. . .) We are trying to keep this simple at first ",

26 Diese Zahlengabe berücksichtigt nicht, dass vor und nach jeder Fahrt i.d.R. auch immer eine gewisse Distanz zu Fuß zurückgelegt wird, um zu einer Station zu gelangen oder diese zu verlassen.

27 Bei dieser Frage waren Mehrfachnennungen möglich

28 Diese Daten basieren auf einer Erhebung im Juni 2007. Da das System zu diesem Zeitpunkt erst über etwa 1.500 Leihfahrräder verfügte, könnten sich die Zahlen inzwischen stark verändert haben. Aktuellere Angaben lagen dem Autor aber leider nicht vor.

70 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich erklärte Jim Sebastian, Programmmanager für Fahrradfahrer und Fußgänger im städtischen Verkehrsreferat, der Zeitung „Washington Post“ (vgl. SILVERMAN 2008, o.S).

Dennoch ist er von den Vorteilen des Systems überzeugt und verspricht sich positive Effekte für den städtischen Verkehr: " It's really going to be replacing cab rides and car trips for a lot of folks looking to get around the city quickly. Plus they won't have to worry about parking. And it's fun. It's a great way to get around the city on a nice day. " Die verantwortlichen Entscheidungsträger der Stadt sind zuversichtlich, das System nach einer Evaluation der ersten Phase im Erfolgsfall zu erweitern. Von einem Ausbau auf über 100 Stationen mit mehr als 1.000 Fahrrädern innerhalb eines Jahres ist in den Washingtoner Medien die Rede. In den ersten zwei Monaten nach der Eröffnung des FVS hatten sich bereits über 900 Benutzer bei SmartBike DC registriert (vgl. VAN SCHAIK 2008a, o.S.).

Wie in vielen anderen Städten auch wird das FVS als Teil einer „Public-Private Partnership“ zwischen der Stadt und einer Außenwerbefirma realisiert. CCO hat mit der Stadt Washington DC einen Vertrag über 20 Jahre abgeschlossen und muss als Gegenleistung für die exklusiven Vermarktungsrechte öffentlicher Werbeflächen auf den „Bushaltestellen- Häuschen“ in der Stadt zusätzlich neue Haltestellen errichten und das System SmartBike DC installieren, betreiben und zum größten Teil finanzieren (vgl. SILVERMAN 2008, o.S.). Die Stadt finanziert das FVS indirekt aber mit, da sie einen etwas geringeren Anteil der Einkünfte aus der Vermietung der Werbeflächen auf den Buswartehäuschen erhält als bisher. Konkrete Zahlen zu den genauen Finanzierungsmodalitäten wurden jedoch noch nicht veröffentlicht. Die Fahrräder und Stationen werden selber zu Beginn noch nicht als Werbeträger genutzt, aber dies könnte sich ändern, falls das System ausgebaut wird und damit höhere Kosten verursacht, erklärte die für SmartBike verantwortliche Direktorin von CCO.

Paul de Maio, Geschäftsführer von „ MetroBike LLC “, einer Beratungsfirma für „bike-sharing“, schätzt die Kosten für den Start eines Systems wie SmartBike DC auf etwa $ 4.500 pro Fahrrad. Neben der Anschaffung der Fahrräder sind in dieser Kostenschätzung auch die

Investitionskosten für die Fahrradstationen (Stellplätze + Infosäule) enthalten (vgl. THE WASHINGTON TIMES 2008, o.S.). Umgerechnet auf das Washingtoner System ergäben sich demzufolge Investitionskosten von insgesamt etwa $ 540.000 für die bisher realisierten 10 Stationen und 120 SmartBikes .

In der Startphase richtet sich das FVS in Washington vor allem an die Einwohner der Hauptstadt sowie an Pendler und nicht an Touristen und Besucher heißt es auf der Webseite von SmartBike DC (vgl. CCO 2008b, o.S.). Daher bietet CCO keine „Kurzabos“ , sondern nur Jahresabonnements zum Preis von $ 40,00 an. Dafür können Kunden die Fahrräder kostenlos und pro Fahrt für max. 3 Stunden ausleihen. Zumindest zu Beginn wird es außer der Jahresgebühr keine zusätzlichen stündlichen Leihgebühren geben. Teuer wird

71 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich es allerdings, wenn ein Nutzer sein Fahrrad nicht innerhalb von 24h zurückgibt oder ein SmartBike verloren geht. In diesen Fällen erhebt CCO eine Strafgebühr von $ 550. Anmelden können sich interessierte Nutzer, die mindestens 18 Jahre alt sind, online unter Vorlage einer Kreditkartennummer und einer Adresse (vgl. CCO 2008c, o.S.).

In Washington mit seinem geringen Radverkehrsanteil fallen die extravaganten Fahrräder besonders auf und stoßen daher auf viel Neugierde und Interesse. Ob die US-Amerikaner durch das Angebot derartiger Systeme auch längerfristig zum vermehrten Aufsteigen im Alltag zu bewegen sind, bleibt jedoch abzuwarten. Denn schon in den 90er Jahren waren Städte wie Portland und Austin mit der Einführung von FVS bemüht, etwas für ihren kommunalen Fahrradverkehr zu tun. Diese Systeme nach dem Kopenhagener oder Bremer Vorbild (vgl. Kap 4.) scheiterten jedoch alle (vgl. SILVERMAN 2008, o.S.).

Seit dem großen Erfolg von FVS in Europa in den letzten Jahren denken aber auch andere Städte in den USA inzwischen über ähnliche Kooperationen nach. „ Wir bekommen Anfragen aus dem ganzen Land, die in Erfahrung bringen wollen, ob sie das gleiche Programm übernehmen und in Ihrer Stadt implementieren können“ berichtet Steve Ginsburg von CCO. Chicago, Boston 29 und Portland beispielsweise haben konkretes Interesse an der Einführung eines FVS signalisiert und denken bereits über ähnliche Verträge nach. Sogar New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg ist an einem FVS interessiert. Um das System Vélib’ kennenzulernen, besuchte er Paris im Sommer 2007, nannte jedoch u.a. die Fahrsicherheit und die Haftungsübernahme als seine größten Bedenken gegenüber der Einführung eines vergleichbaren Systems in New York. Dennoch zieht der OB die Einführung eines FVS weiterhin in Betracht (vgl. ebd.).

5.1.10. Bewertung – die Stärken und Schwächen des SmartBike -Systems

Um Entleih- und Rückgabevorgang möglichst schnell durchführen zu können, ist das System einfach und benutzerfreundlich gestaltet. Die Stationen sind so angelegt, dass sie im öffentlichen Raum einerseits schnell aufgebaut und einfach erweitert werden können, und andererseits den beanspruchten Raum möglichst gut ausnutzen, indem die Fahrräder besonders dicht und damit platzsparend geparkt werden. Viele Stationen befinden sich in der

29 Die Stadt Boston beabsichtigt, bis 2010 ein FVS der dritten Generation einzuführen. Gebremst werden die Pläne allerdings wegen rechtlicher Bedenken und Ungewissheiten. So ist bisher nicht geklärt, wer verantwortlich ist und strafrechtlich haftet, falls eine Person, die ein öffentliches Fahrrad der Stadt oder einer von der Stadt beauftragten Firma ausgeliehen hat, sich während der Benutzung verletzt. Während aus europäischen Städten bisher keine größeren Rechtsstreitigkeiten dieser Art bekannt geworden sind, fürchten US-amerikanische Städte derartige Klagen (vgl. VAN SCHAIK 2008, o.S.).

72 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Nähe von Haltestellen anderer öffentlicher Verkehrsmittel, was ein intermodales Verkehrsverhalten erleichtert und somit attraktiver macht.

Außer in Barcelona und Washington bietet CCO Interessenten in allen Städten die Möglichkeit, ein dreitägiges Kurzabonnement zu kaufen. Dadurch ist das System auch für Touristen und Besucher attraktiv und nutzbar. Ein weiterer Pluspunkt ist das pfiffige Design der angenehm zu fahrenden SmartBikes , die mit einem Gewicht von 16,8 Kilogramm auch deutlich leichter sind, als beispielsweise das Modell der Firma JCDecaux, welches 25,2 Kilogramm wiegt. „I call it a no-excuses bike! 'I don't have the right shoes', 'I'm wearing a dress,' 'I don't want to get wet' — none of those are good excuses with this bike " formulierte es ein städtischer Vertreter bei der Eröffnung des Systems in Washington treffend (vgl. THE WASHINGTON TIMES 2008, o.S.).

Das Fehlen eines Schlosses an den SmartBikes hat einerseits den Vorteil, dass die Fahrräder nur an den Stationen des FVS sicher abgestellt werden können und somit eine besonders hohe Verfügbarkeit („ Sozialisierung “) der Räder erreicht wird. Nachteilig ist die dadurch für den einzelnen Nutzer eingeschränkte Flexibilität, da kurze Zwischenstopps erschwert werden, wenn sich gerade keine Station in der unmittelbaren Nähe befindet.

Als Nachteile des Systems sind vor allem die uneinheitliche Gebührenstruktur und die unterschiedlichen Entleihzeiten sowie die mangelnde Vernetzung der einzelnen Systeme untereinander zu nennen. So gelten die Kundenkarten und Abonnements immer nur für das System einer bestimmten Stadt. Beispielsweise kann ein Nutzer des Systems Bicing aus Barcelona mit seiner Kundenkarte kein Fahrrad des Systems bizi in Zaragoza ausleihen, obwohl beide FVS von CCO betrieben werden und den gleichen Service anbieten.

Wie bei anderen FVS auch stellt die Logistik des Systems die größte Herausforderung für die Betreiber dar. So kommt vor allem bei den großen Systemen in Barcelona und in Stockholm an einigen Stationen ein Vielfaches an Fahrrädern an im Verhältnis zur jeweiligen Stellplatzkapazität der Station. Zwar ist dieses Problem von CCO erkannt worden und es wird auch versucht, die ungleichmäßige Umverteilung mit Transportfahrzeugen zu korrigieren, zufriedenstellend gelöst werden konnte diese Schwierigkeit bislang aber noch nicht. So wird die Unzuverlässigkeit des Systems in Bezug auf freie Stellplätze einerseits und auf das Vorhandensein von Fahrrädern an Stationen andererseits von vielen Kunden als größtes Problem bewertet und kritisiert (vgl. diverse Diskussionsforen im Internet).

Kontakt: Clear Channel Outdoor - SmartBike Division PO Box 3813 Tel. / Fax:k.A. 0805 OSLO Email:k.A. NORWAY Internet: http://www.smartbike.com

73 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

5.2. Call a Bike – die Hightech-Fahrräder der Deutschen Bahn

In diesem Kapitel wird mit Call a Bike das erste deutsche FVS der dritten Generation vorgestellt. Nach einem ersten gescheiterten Versuch zweier Jungunternehmer in München betreibt die Deutsche Bahn das System inzwischen in zahlreichen deutschen Städten und möchte durch die mit der Werbefirma Ströer eingegangene Kooperation für eine weitere Verbreitung von Call a Bike sorgen.

5.2.1. Einführung – von München bis Hamburg

Call a Bike ( CaB ) ist ein kommerzieller, öffentlicher und kostenpflichtiger Fahrradverleihservice, der seit Oktober 2001 von der DB Rent , einer Tochtergesellschaft der DB Fuhrpark, angeboten und betrieben wird. Die DB Fuhrpark ist der Mobilitäts- und Flottenmanager der Deutschen Bahn AG (DB) und „mit ihren Beteiligungsgesellschaften einer der führenden nationalen Mobilitätsdienstleister im Übergang Straße/Schiene zur

Abrundung der Mobilitätskette im Vor- und Nachlauf des Schienenverkehrs.“ (vgl. DEUTSCHE BAHN o.J., o.S.). Die DB Rent gehört zum Geschäftsfeld der intermodalen Mobilitätsdienstleistungen der DB AG und soll mit Vermietdienstleistungen wie CaB oder DB Carsharing abseits der Schiene das Kerngeschäft des Schienenverkehrs erweitern, um die Reisekette „ von Haus zu Haus “ zu schließen. Ziel der DB war es 2001, sich durch diese neuen Serviceangebote zum umfassenden Mobilitätsdienstleister zu entwickeln, um auf die

Nachfragekrise im Schienenverkehr zu reagieren (vgl. MAERTINS 2006, S.11).

Zum ersten Mal angeboten wurden die sog. CallBike s jedoch bereits im April 2000 in München . Zwei junge Unternehmer hatten im Jahr 1998 die „ Call a Bike Mobilitätssysteme AG “ gegründet, das innovative Mietkonzept CaB samt patentiertem Radcomputer entwickelt und die speziellen silber-grauen Hightech-Räder entworfen. CaB stellte zu dieser Zeit des „New-Economy-Hype“ ein fortschrittliches und innovatives Mobilitätsangebot dar, das die Mängel bisheriger Pfand- und Leihfahrradsysteme überwinden wollte. Im Innenstadtbereich von München standen damals flächendeckend an jeder Telefonzelle Fahrräder im futuristischen Design zur Verfügung, insgesamt 2.000 Stück. Die Telefonzellen sollten dabei nicht nur den notwendigen Anruf ermöglichen, sondern sie nahmen auch eine Art „Haltestellenfunktion “ ein, ähnlich den Stationen anderer aktuell implementierter FVS. Trotz einer im Vorfeld der Implementierung durchgeführten aufwendigen Marktstudie durch ein renommiertes Wirtschaftsforschungsinstitut, „eines rasanten Wachstums mit 27.000 Kunden bereits nach einem halben Jahr, viel öffentlichen Lobes und politischer Unterstützung mussten die CaB -Erfinder bereits im November des gleichen Jahres Insolvenz anmelden. Die Entwicklungskosten und die Finanzplanung waren außer Kontrolle geraten.“ (WZB 2008,

74 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich o.S.) Weil die in der Marktanalyse veranschlagten Nutzungshäufigkeiten und Kundenzahlen bei weitem nicht erreicht wurden und die Tarife zu niedrig kalkuliert waren, fiel der Gesamtumsatz zu gering aus. Außerdem war die Zeitspanne von den ersten Planungen bis zur Aufnahme des Geschäftsbetriebes ziemlich lang und damit die Entwicklungskosten im Vorfeld recht hoch - insgesamt wurden DM 7,5 Millionen in das Projekt investiert. Als sich dann ein Investor zurückzog und sich die Stadt München im November 2000 nicht in der Lage sah, dieses überaus innovative Mobilitätskonzept auch mit Taten und nicht nur mit „netten Worten“ zu unterstützen oder gar zu übernehmen und als Baustein des öffentlichen Mobilitätsangebotes im multimodalen Verkehrsverbund zu integrieren, war das Projekt zunächst gescheitert (vgl. KLAUS , 2005, S. 247).

Im Juli 2001 hat die DB AG Call a Bike übernommen. Die DB Rent kaufte das System und die vorhandenen Fahrräder, übernahm die Entwickler und modifizierte das Konzept teilweise. Nach einer Testphase des weiterentwickelten Systems in München im Herbst 2001 mit insgesamt 1.000 CallBike s wurde das Angebot von CaB ausgebaut. Inzwischen werden in 22 Städten (vgl. Tab. 4) etwa 5.800 CallBike s angeboten, die rund um die Uhr ausgeliehen werden können (vgl. DB R ENT 2007-2008, o.S. und KNIE 2008, o.S. - Interview).

Tab. 4: Die Standorte von Call a Bike (Stand: Dezember 2008)

München : seit Oktober 2001, insgesamt 1.050 Räder

Berlin : seit Juli 2002 insgesamt 1.500 Räder

Frankfurt : seit Mai 2003 insgesamt etwa 800 Räder

Köln : seit Mai 2004 insgesamt etwa 800 Räder

Stuttgart : Probebetrieb mit 3 Stationen und 40 Rädern seit Mai 2006, Regelbetrieb seit Juli 2007 mit etwa 500 Rädern an 69 Stationen (Stadt Stuttgart beteiligt sich finanziell an dem CaB -Angebot)

Karlsruhe : seit August 2007, insgesamt 350 Räder (Stadt Karlsruhe beteiligt sich finanziell an dem CaB -Angebot)

Seit 2008 werden CallBike s außerdem an folgenden ICE-Bahnhöfen angeboten:

• Baden-Baden Hbf.: Eingang Nord, 8 Räder

• Bonn Hbf.: Gleis 1, Abschnitt E, 15 Räder

• Braunschweig Hbf.: Eingang Ost, 10 Räder • Bremen Hbf.: Bahnhofsplatz, 11 Räder

• Dresden Hbf.: Nordausgang, 20 Räder

• Düsseldorf Hbf.: Konrad-Adenauer-Platz, 17 Räder

• Freiburg im Breisgau Hbf.: Bismarckallee, 10 Räder

75 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

• Fulda Hbf.: an der Richthalle, 7 Räder • Gotha Bf.: 10 Räder (voraussichtliche Eröffnung Ende September)

• Hamburg Hbf.: Ausgang Kirchenallee, 19 Räder

• Hannover Hbf.: Ernst-August-Platz, 20 Räder

• Kassel-Wilhelmshöhe Bf.: am Mietwagenzentrum, 10 Räder • Mainz Hbf.: Gleis 1, Abschnitt E, 15 Räder

• Mannheim Hbf.: Willy-Brandt-Platz, 17 Räder

• Oldenburg (Oldb) Hbf.: Bahnhofsplatz Eingang Süd, 8 Räder

• Weimar Bf.: 7 Räder (voraussichtliche Eröffnung Ende September)

Quelle: eigene Darstellung nach DB R ENT 2007 – 2008 o.S.

Im März 2008 hat CaB angekündigt, sein Serviceangebot weiter auszubauen. So ist vorgesehen, bis zum Ende des Jahres 2009 CallBike s bundesweit an 100 ICE-Bahnhöfen anzubieten. Geplant ist, an diesen Bahnhöfen zunächst jeweils eine Station mit je 5 – 20 Fahrrädern zu errichten (vgl. DB R ENT 2008a, o.S.).

Abb. 14: Die Stationen an den Hauptbahnhöfen in Hamburg (oben) und Bonn (unten)

Quelle: eigene Aufnahmen

76 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

5.2.2. Die Organisationsstruktur

Bei CaB existieren zwei verschiedene Systeme, die sich im Zugang zu den Fahrrädern grundsätzlich unterscheiden:

1. Call a Bike – flex (stationsunabhängiges Verleihsystem)

2. Call a Bike – fix (stationsgebundenes Verleihsystem)

In Berlin, München, Frankfurt a.M., Köln und Karlsruhe ist das CaB-flex -System im Einsatz. Bei diesem System können die CallBikes , die jeweils mit einem eigenen elektronischen Schloss ausgestattet sind, innerhalb eines festgelegten Kerngebiets , das meist dem Innenstadtbereich entspricht, an beliebigen Straßenkreuzungen ausgeliehen und wieder abgestellt werden. Die genauen Grenzen der Kerngebiete sind auf der Homepage von CaB aufgeführt und stehen dort auch als PDFs zum Download bereit (vgl. DB R ENT o.J.a., o.S.).

Abb. 15 zeigt beispielhaft die Kerngebiete in Berlin und in München. Während das Kerngebiet in Berlin seit der Einführung des Systems dem Bereich innerhalb des Berliner S- Bahn-Rings entspricht, sind die Kerngebiete in Karlsruhe, Frankfurt a.M. und München im Laufe der Zeit vergrößert worden. Um den Zugang zum System und die Flexibilität bei der Rückgabe weiter zu verbessern, erscheint eine weitergehende Expansion sinnvoll. Die Größen der einzelnen Kerngebiete und die daraus berechnete „Fahrraddichte“ ( CallBike s pro km 2) sind der folgenden Tabelle (Tab. 5) zu entnehmen. Zum Vergleich sind auch die entsprechenden Daten des Systems Vélib’ aus Paris aufgeführt.

Tab. 5: Die Kerngebiete der CaB-flex -Systeme Größe Fläche CallBike s Anzahl „Fahrrad- Stadt Kerngebiet Stadtgebiet Einwohner pro 1.000 CallBike s Dichte“ (km 2) (km 2) Einwohn. München 44,00 310,4 1050 23,9 1.315.000 0,8 Berlin 100,00 891,85 1500 15 3.424.800 0,44 Frankfurt 27,00 248,3 800 29,6 660.000 1,2 Köln 30,00 405,2 800 26,7 995.400 0,8 Karlsruhe k.A. 173,5 350 k.A. 288.917 1,2 Paris 100 100 20.600 206 2.200.000 10

Quelle: eigene Darstellung nach DB R ENT 2007-2008, o.S.

Durch die flexiblen Einsatzmöglichkeiten der Fahrräder innerhalb des Kerngebietes und die Stationsungebundenheit sind beim System CaB-flex Einwegfahrten problemlos möglich. Somit stellen die CallBike s ein geeignetes Verkehrsmittel dar, um die Transportkette nach der Ankunft mit einem Fernverkehrszug oder dem ÖPNV am Bahnhof von dort aus fortzusetzen, vorausgesetzt es steht ein Leihfahrrad bereit.

77 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Abb. 15: Die CaB -Kerngebiete in Berlin (links) und München (rechts)

Quelle: DB R ENT 2008d, o.S.

Um Kunden die eventuell mühsame Suche nach einem freien CallBike zu ersparen, bietet CaB zwei Servicefunktionen an. Die Software „ Qiro“ hilft Nutzern herauszufinden, wo freie CallBike s in Ihrer unmittelbaren Nähe zur Verfügung stehen. Sofern das Handy eines CaB - Kunden Java-fähig ist und ein ausreichend großes Farbdisplay besitzt, kann dieser sich online registrieren, das Programm herunterladen und installieren. Dieser Service ist kostenlos, als Gebühr fällt allein der Datentarif des Handy-Netzbetreibers an. Mit einem geeigneten Handy kann ein Kunde somit jederzeit in Erfahrung bringen, wo er ein freies CallBike finden kann. Dieser Service ist in allen Mobilfunknetzen verfügbar, es wird kein bestimmter Netzbetreiber vorausgesetzt (vgl. DB R ENT 2007a, S.2). Auch über die Suchfunktion auf der Webseite von CaB (www.callabike.de) können Nutzer online ein CallBike in Ihrer Nähe suchen. Im Menüpunkt „Über Call a Bike“ befindet sich der Unterpunkt „CallBike finden“. Durch die Eingabe des aktuellen Aufenthaltsortes erhält der Nutzer die gewünschte Information, wo Mieträder in seiner Nähe bereitstehen.

Beim System CaB – fix müssen und können die Fahrräder nur direkt an den dafür vorgesehenen festen Stationen ausgeliehen und zurückgegeben werden. Das erste CaB-fix - System wurde in Stuttgart errichtet. Nach einer im Mai 2006 gestarteten Testphase mit 3 Stationen und 40 CallBike s am Hauptbahnhof ist das System seit Juli 2007 im Regelbetrieb. In der ganzen Innenstadt und in Bad Cannstatt finden sich 69 Ausleih- und Rückgabe- Stationen, an denen etwa 500 DB-Mietfahrräder zur Verfügung stehen. Die folgende Abbildung (Abb. 16) zeigt einige der vorhandenen Stationen des Systems (vgl. DB R ENT 2007b, S.1).

78 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Abb. 16: Stationsplan des CaB-fix -Systems in Stuttgart (links) und Station am Hbf. (rechts)

Quelle: DB R ENT 2007b, S.2 (links) und eigene Aufnahme (rechts)

Auch an den 100 ICE-Bahnhöfen soll jeweils das fix-System installiert werden. Idee dieses bundesweiten Konzepts ist laut DB Rent, „dass viele innerstädtische Wege am Bahnhof beginnen und - zum Beispiel nach einem Termin in der Stadt - auch wieder dort enden. Damit ist der Bahnhof Start- und Zielpunkt einer Tour mit dem Rad. Dementsprechend können Kunden künftig direkt an der Call a Bike -Station ihr Fahrrad übernehmen, sofort nutzen und nach der Tour wieder an der Call a Bike -Station abgeben.“ (DB R ENT 2008b, o.S.).

Einwegfahrten sind bei diesem System allerdings nicht möglich, solange in den 100 Städten jeweils nur eine einzelne Station am ICE-Bahnhof existiert. Weiterhin ergibt sich das Problem der u.U. längeren „passiven Nutzung“ am Zielort während der Dauer der dortigen Aktivität. Diese passive Nutzungszeit schlägt ggf. auch auf der Kostenseite stärker zu Buche, denn die Gebühren laufen weiter, bis das Fahrrad wieder an der Station am Bahnhof zurückgegeben wird. Außerdem besteht ein gewisses Frustrationspotential bei möglichen Zweitnutzern, die das CallBike sehen und gerne ausleihen würden aber feststellen müssen, dass es nicht verfügbar ist.

5.2.3. Der Ausleihmechanismus

Um ein CallBike entleihen zu können, muss ein Nutzer sich zuvor telefonisch oder online bei CaB registriert haben. Bei der Anmeldung muss der Nutzer personenbezogene Daten wie Anschrift, Personalausweisnummer und Geburtsdatum sowie seine Kontodaten samt einer

79 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Einzugsermächtigung oder eine Kreditkartennummer angeben. Im Anschluss werden ihm seine persönlichen Zugangsdaten zugeschickt und er kann mit seiner Kundennummer ein oder zwei CallBike s ausleihen.

Die CallBike s stehen täglich rund um die Uhr zur Verfügung. Blinkt das Schloss eines CallBike s grün, ist dieses frei und kann entliehen werden. Blinkt das Schloss rot, ist das Fahrrad bereits von einem anderen Kunden belegt. Zur Entleihe muss der Nutzer die kostenlose CaB -Hotline anrufen , bei dieser seine Kundennummer und die Nummer des Fahrrades, welches er entleihen möchte, angeben und erhält dann einen 4-stelligen Öffnungscode , den er über das „Touch-Display“ am Fahrradschloss eintippen kann. Das elektronische Schloss entriegelt sich und die Fahrt kann beginnen. Kurz nach dem Öffnen des Schlosses erhält der Nutzer einen 'Rückanruf in Abwesenheit' auf sein Handy, mit dem ihm nochmals der Öffnungscode übermittelt wird.

Abb. 17: Elektronisches Schloss (links), Bedienungsanleitung und Display (rechts) am CallBike

Quelle: eigene Aufnahmen

Wenn ein Kunde nach dem Entleihen eines CallBike s feststellt, dass dieses nicht funktionstüchtig ist, wird er gebeten, dies schnellstmöglich bei der Servicezentrale zu melden, bevor er ein weiteres CallBike ausleiht. Die Ausleihe des ersten Rades wird dann umgehend storniert (vgl. DB R ENT 2008d, o.S.).

Möchte ein Nutzer eine Fahrpause einlegen und sein Fahrrad zwischendurch sicher abstellen, um danach mit dem selben CallBike weiterzufahren und sich nicht auf die Suche nach einem neuen Leihfahrrad begeben zu müssen, kann er das Hinterrad mit dem Schlossriegel verschließen und den Sperrknopf rechts am Schloss drücken. Die Nutzungsgebühren laufen in dieser Zeit weiter und der für den Ausleihvorgang übermittelte

80 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Öffnungscode behält seine Gültigkeit, so dass der Nutzer das Schloss mit dem gleichen Code anschließend auch wieder öffnen kann, um weiterzufahren.

Im flex-System können die CallBike s zurückgegeben werden, indem der Nutzer sein Fahrrad innerhalb des Kerngebietes an einer beliebigen Straßenkreuzung abstellt und abschließt. Nachdem er den Rückgabeknopf am Schloss betätigt hat, erhält er einen Quittungscode, den er zusammen mit dem Standort telefonisch an die Telefonzentrale von CaB weitergeben muss, um den Entleihvorgang korrekt zu beenden.

Beim fix-System müssen die CallBike s an einer der festen CaB -Stationen abgestellt und mit dem Stationsriegel abgeschlossen werden. Um den Leihvorgang zu beenden, muss ebenfalls der Quittungscode und danach die 4-stellige Stationsnummer (siehe Stations-

Säule) über die Handy-Tastatur eingegeben werden (vgl. DB R ENT 2008e, o.S.).

Wichtig bei der Rückgabe im flex-System ist, dass die Fahrräder gut sichtbar im öffentlichen Raum abgestellt werden, um von nachfolgenden Kunden leicht gesehen zu werden. Werden die Räder nicht ordnungsgemäß retourniert, erhebt CaB dafür zusätzliche Gebühren (vgl. Serviceentgelte). Nachdem ein CallBike zurückgegeben worden ist, ändert sich die Zahlenkombination des elektronischen Schlosses automatisch und kann erst wieder durch einen erneuten Anruf bei der Hotline in Erfahrung gebracht werden.

Während die Leihfahrräder im System CaB-fix ganzjährig zur Verfügung stehen, werden sie beim flex -System für eine Winterpause eingesammelt, die vom 15. Dezember bis zum 21. März dauert. Diese Maßnahme hat sowohl betriebliche als auch technische Gründe. So werden die CallBike s im Winter gründlich durchgecheckt und ggf. generalüberholt oder ausgetauscht. Außerdem funktioniert das Display am elektronischen Schloss bei extrem niedrigen Temperaturen nicht einwandfrei. Als weiteren Grund führt die DB Rent an, dass die

Nachfrage in den kühleren Wintermonaten deutlich geringer ausfällt (vgl. DB R ENT 2007 – 2008, o.S.). Allerdings stellt im Sinne einer universellen und allzeit möglichen Nutzbarkeit des FVS ein zeitweise ausgedünntes Angebot aus Sicht der Kunden eine weitaus sinnvollere Lösung dar, als den Service im Winter vollkommen einzustellen.

5.2.4. Die Fahrräder – Technik, Funktionen, Wartung und Service

Die Fahrräder des Systems CaB werden CallBike s genannt. Es sind vom Design her auffällig gestaltete Hightech-Räder, die in den Farben silber-rot gehalten sind. Durch das attraktive und außergewöhnliche Design soll einerseits ein hoher Wiedererkennungswert und andererseits eine gewisser „Neugiereffekt“ erzielt werden. Um einen guten Schutz vor Diebstahl und Vandalismus zu bieten, sind die Stahlseile und -bolzen des elektronischen Schlosses am Hinterrad des CallBike s angebracht. Trotz ihrer sehr robusten und schweren

81 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Bauart sind die Fahrräder dank Federung und tiefem Einstieg bequem zu fahren. Die CallBike s der ersten Generation verfügen über eine 8-Gang- Kettenschaltung, während bei den seit 2008 eingeführten CallBike s der zweiten Generation eine Nabenschaltung zum Einsatz kommt (vgl. Abb. 18). Von der technischen Ausstattung her sind die Räder auf dem neuesten Stand und qualitativ hochwertiger als die Fahrräder der meisten anderen FVS. Um den Diebstahl einzelner Teile zu unterbinden, werden an den CallBike s auch Spezial- Teile eingesetzt, die für die Nutzung an anderen Rädern nicht geeignet sind, da sie dort nicht passen (vgl. BÜHRMANN 2005a, S.3).

Abb. 18: Ein CallBike der zweiten Generation

Quelle: DB R ENT 2008c, o.S.

In Frankfurt a.M. wurde im Frühjahr 2008 die erste CallBike Generation nach fünf Jahren durch neue Räder ersetzt. In München sind dagegen auch in der achten Saison noch die Fahrräder der ersten Stunde im Einsatz. Die durchschnittliche Lebenszeit der CallBike s gibt

DB Rent mit 8 Jahren an (vgl. KNIE 2008, o.S. - INTERVIEW ). Über die genauen Kosten, die jedes CallBike pro Jahr im Schnitt verursacht, gibt CaB keine Auskunft. Der Serviceaufwand für Wartung, Pflege und Umverteilung der Fahrräder ist nach Aussage von Prof. Knie, dem Bereichsleiter für Intermodale Angebote der DB Rent, bei beiden Systemen etwa gleich groß. Die Investitionskosten sind bei CaB-fix auf Grund der zu errichtenden Stationsinfrastruktur jedoch höher.

82 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

„Am Anfang war die Taktik in Berlin, möglichst a n jeder Kreuzung im Kerngebiet ein Fahrrad abzustellen. Inzwischen geht die Bahn aber eher zur Poolbildung über, so dass gefühlt deutlich weniger Fahrräder vorhanden sind, weil sich das Angebot mehr konzentriert. Denn die Bahn hat beobachtet, dass die Räde r tendenziell von der Mitte nach außen wandern. Entsprechend stellt sie die CallBikes zentral gehäuft bereit und sammelt die verteilten Räder in den Außenbereichen des Kerngebiets wieder ein, um sie in die Mitte zu fahren, wodurch die gefühlte Präsenz in d er Stadt geringer ist., weil die Räder an bestimmten Standorten gebündelt werden. Das hat dann aber den Vorteil, dass man als Nutzer weiß, dass man an bestimmten Punkten höchstwahrscheinlich ein Fahrrad findet und der Aufwand für die Bahn ist geringer.“ Arne Koerdt, Interview

5.2.5. Nutzungsgebühren, Kosten und Finanzierung

Für die Einrichtung eines Kundenkontos berechnet CaB einmalig € 5,00. Dieser Betrag wird jedoch als Fahrtguthaben wieder gutgeschrieben. Für BahnCard 100-Kunden ist die Registrierung kostenlos, hier werden zudem € 10,00 als Fahrtguthaben eingerichtet. Die Abrechnung der Nutzungsgebühren erfolgt bei CaB per Bankeinzug oder per Kreditkarte. Für die Nutzung der CallBike s stehen dem Kunden seit April 2008 zwei unterschiedliche Tarifmodelle zur Verfügung, der Minutentarif und der Pauschaltarif . Berechnet wird immer der Zeitraum zwischen Ausleih- und Rückgabeanruf des Kunden.

Im Minutentarif wird die Ausleihe der Räder im „pay-as-you-go“-Schema abgerechnet und kostet im Normalfall 8 Cent pro Minute Entleihzeit, höchstens jedoch eine Zeitgebühr von € 9,00 pro Tag (24 Std.). Nach 24 Std. gilt wieder die Zeitgebühr von 8 Cent pro Minute. Für BahnCard-Kunden, Inhaber einer DB JahresCard sowie Besitzer eines VBB-Abos der DB AG oder eines Abos der S-Bahn Berlin ist CaB günstiger, sie zahlen pro Minute 6 Cent. Mietet man ein CallBike für mehrere Tage (z.B. für eine ganze Woche), berechnet CaB automatisch ab dem 4. bis einschließlich dem 7. Tag eine Pauschale von € 60,00. In Stuttgart, wo das CaB-fix -System existiert, sind die ersten 30 Minuten einer jeden Fahrt kostenfrei.

Abb. 19: Übersicht der CaB -Tarife

BahnCard 50-Tarif BahnCard 25- BahnCard 100- Kundenstatus Normal-Tarif und S-Bahn Berlin Tarif Tarif Abo-Kunden-Tarif Minuten-Tarife (€) 0,08 0,06 0,06 0,06 Pauschaltarife (€) (für beliebig viele 99,00 75,00 50,00 25,00 Ausleihen mit je 30 Freiminuten)

Quelle: eigene Darstellung nach DB R ENT 2008c, o.S.

83 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Der Pauschal-Tarif beinhaltet die kostenfreie Nutzung eines CallBike s für die ersten 30 Minuten einer jeden Fahrt. Nach Ablauf der kostenlosen halben Stunde greifen die Minuten- Tarife. Eine Kettenanmietung des gleichen CallBike s, also die Rückgabe eines Rades mit sofortiger Wiederausleihe, ist nicht möglich. Die Sperrzeit, in der eine Anmietung des gleichen CallBike s nicht gestattet ist, beträgt 5 Minuten. Das Umsteigen auf ein anderes freies CallBike ist aber jederzeit möglich. Ab dem Kaufdatum hat die Pauschale eine Gültigkeit von einem Jahr. Eine Winterausleihe 30 während der Winterpause (Mitte Dezember bis Frühlingsanfang) ist nicht enthalten. Der Pauschal-Tarif kann ausschließlich per Kreditkartenzahlung oder Online per Überweisung erworben werden. In Stuttgart ( Call a Bike "fix"), wo die ersten 30 Minuten einer jeden Nutzung ohnehin kostenlos sind, hat der Pauschal-Tarif keine Auswirkung, d. h. die kostenfreie Nutzung erhöht sich nicht auf 60 Minuten.

Weiterhin bietet CaB ein sog. Prepaid-Modell an. Durch die Überweisung von Geld an CaB im Voraus können Nutzer ein Fahrtguthaben erwerben, wobei sie einen Bonus dazubekommen. So erhält man bei der Einzahlung von € 10,00 ein Fahrtguthaben von € 12,00 und bei der Einzahlung von € 20,00 ein Fahrtguthaben von € 25,00. Die Gültigkeit des Guthabens beträgt 12 Monate ab Erwerb des BonusPaketes. Eine Winterausleihe während der Call a Bike Winterpause (Mitte Dezember bis Frühlingsanfang) ist nicht enthalten.

CaB bietet außerdem an, die Fahrräder für besondere Veranstaltungen oder Aktivitäten wie Firmenausflüge, Gruppenfahrten o.ä. zu mieten und erstellt interessierten Nutzern (Hotels, Firmen, Veranstaltern, Gruppen etc.) auf Anfrage ein individuelles Angebot (vgl. DB R ENT 2008e, o.S.).

So wurden beispielsweise allen Teilnehmern der internationalen Velo-city Konferenz im September 2007 in München CallBike s zur Verfügung gestellt, damit diese während der 5- tägigen Veranstaltung ständig auf ein Fahrrad zurückgreifen konnten. Derartige Einsatzzwecke bilden aber eher die Ausnahme und kommen vor allem in einer solchen Größenordnung nur selten vor. Dennoch stellen öffentliche Großevents aber auch größere private Veranstaltungen allgemein interessante Einsatzmöglichkeiten und potentielle Märkte für Anbieter von FVS dar (vgl. Exkurs Kap. 5.3).

In Sonderfällen erhebt CaB verschiedene Service- oder Zusatzentgelte, beispielsweise für nicht ordnungsgemäß abgestellte CallBike s, für falsche oder unvollständige Standortangaben eines Nutzers beim Rückgabevorgang oder für Schäden aus Diebstahl und

30 CaB bietet seinen Kunden auch die Möglichkeit, ein persönliches CallBike in der Winterpause (Dezember – März) zu mieten. Die Winterentleihe kostet pauschal einmalig € 60,00 (vgl. DB R ENT 2007b, S.2).

84 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Beschädigung. Die Haftungsbegrenzung für Schäden aus Diebstahl oder Beschädigung während der Mietzeit z.B. beträgt € 80,00. Die Service- und Zusatzentgelte sollen hier im Einzelnen aber nicht detaillierter aufgeführt werden. Eine genaue Übersicht findet sich im Preisverzeichnis von CaB unter den Punkten 5, 6 und 7.

CaB finanziert sich zum Teil über die Nutzugsgebühren der Kunden. Da diese Einnahmen jedoch bei weitem nicht ausreichen, um die gesamten Kosten des Systems zu decken, werden die restlichen Kosten bisher durch die DB Rent und z.T. durch Zuschüsse der Kommunen, in denen CaB angeboten wird, finanziert. Nachdem mit München, Berlin, Frankfurt a.M. und Köln die ersten vier CaB -Städte das FVS umsonst zur Verfügung gestellt bekommen hatten, beschloss die DB, dass weitere interessierte Kommunen sich an der Finanzierung zusätzlicher Systeme beteiligen müssen (vgl. BÜHRMANN 2008, o. S. -

INTERVIEW ). Im Gegenzug können die neuen Städte die Planung und Ausstattung ihres jeweiligen Systems mitgestalten und individuelle Wünsche äußern. So bekam die Stadt Stuttgart im Jahr 2006 als erste Stadt das neue, stationsgebundene System CaB -fix und konnte durch einen entsprechenden finanziellen Zuschuss erreichen, dass die Nutzung der CallBike s dort für alle Kunden in der ersten halben Stunde kostenfrei möglich ist (vgl. DB

RENT 2007c, o.S.). Als zweite Stadt, die sich an der Finanzierung vor Ort beteiligt, kam im Jahr 2007 Karlsruhe hinzu. „ Wir freuen uns, den Bürgerinnen und Bürgern dieser Stadt, aber auch Pendlern und Touristen dieses tolle Mobilitätsangebot unterbreiten zu können. Um den motorisierten Individualverkehr zu reduzieren, setzen wir Karlsruher auf attraktive Angebote und nicht auf Verbote “, so Bürgermeister Harald Denecken (vgl. DB R ENT 2007d, o.S.).

„Mit Call a Bike können wir die Reisekette aus einer Hand anbieten. Für uns als Mobilitätsdienst - leister ist dies ein wichtiger Baustein, genau wie moderne ICE-Züge. Wer das Fahrrad nutzt, tut

etwas für seine Gesundheit und ist CO 2 neutral unterwegs. Unsere Kunden in den Call a Bike- Städten nehmen dieses Angebot begeistert an. Dort sind unsere Mieträder aus dem Straßenbild nicht mehr wegzudenken.“

Rolf Lübke, Geschäftsführer DB Rent (Quelle: DB R ENT 2007d, o.S.)

CaB ist ein Baustein der breiten Angebotspalette an Mobilitätsdienstleistungen der DB Rent. Vorrangiges Ziel von CaB ist es dabei nicht, einen Gewinn zu erwirtschaften, sondern seitens der DB ein weiteres attraktives Serviceelement anzubieten, welches Bahnkunden in ihre Mobilitätskette integrieren können (vgl. BÜHRMANN 2005a, S.1). CaB trägt somit zur Umsetzung des Firmenprofils von DB Rent bei, nämlich „intelligente Mobilitätskonzepte und Vernetzungsstrategien von Verkehrssystemen auf dem freien Markt anzubieten.“ (vgl. DEUTSCHE BAHN FUHRPARK 2008, o.S.) Durch die Bereitstellung der CallBike s möchte die DB ihren Kunden ermöglichen, ihren Weg von Tür zu Tür im Idealfall ausschließlich mit Bahn- Produkten bewältigen zu können. Den Kunden der DB soll somit ein hochwertiges Angebot an integrierten Mobilitätsdienstleistungen zur Verfügung gestellt werden, das über das reine

85 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Zugfahren hinausgeht. Auf der Homepage von DB Rent heißt es dazu: „Gemeinsam mit anderen Bahnangeboten tragen Call a Bike und DB Carsharing dazu bei, Mobilität von Tür zu Tür sicher zu stellen. Die Bahn bietet nicht nur die Zugfahrt, sondern die komplette Reisekette.“ (vgl. DEUTSCHE BAHN FUHRPARK 2008, o.S.)

EXKURS: Call a Bike und DB Carsharing

In zahlreichen Städten bietet die Bahn gemeinsam mit ihren Partnern vor Ort auch den Service „ DB Carsharing “ an. Mit einem einzigen elektronischen Schlüssel haben die Kunden Zugriff auf alle Fahrzeuge in über 90 Städten. Sie können rund um die Uhr ein Auto Ihrer Wahl für eine oder mehrere Stunden, tage-, wochen- oder monatsweise per Telefon oder im Internet buchen. Nutzer können ihr vorbestelltes Fahrzeug an ausgewählten Stationen abholen und müssen es am Ende der Fahrt wieder dorthin zurückbringen. Öffnen und schließen lassen sich die Autos mit der persönlichen Kundenkarte. Wie bei CaB müssen Nutzer sich vor der ersten Fahrt als Carsharing Kunde registrieren. Dies ist sowohl im Internet, als auch in über 70 DB Reisezentren – und Reisebüros, sowie an vielen DB Service Points möglich. Im Vergleich zum Aufwand, den die DB Rent für ihr Carsharing-Angebot betreibt, fallen die Investitionen in das System CaB eher bescheiden aus. Trotz deutlich höherer Kosten für die Anschaffung der Fahrzeuge, für das Parken der Autos in zentraler Stadtlage in unmittelbarer Nähe der Bahnhöfe und für die Logistik des Gesamtsystems wird DB Carsharing in mehr als viermal so vielen Städten angeboten wie CaB (Stand 12.2008). Mit über 90 Standorten kann beim Carsharing tatsächlich schon von einem Service-Netz gesprochen werden. Dies ist beim FVS der Bahn noch lange nicht der Fall, allerdings ist das Programm für CaB -Stationen an 100 ICE-Bahnhöfen in Deutschland bereits ein erster kleiner Schritt in die richtige Richtung. Wäre die Bahn jedoch bereit, in CaB Ressourcen in ähnlicher Größenordnung zu investieren, wie sie es beim Carsharing tut, wären weitaus potentere Entwicklungen im Sinne einer attraktiven Anschlussmobilität möglich. Weiterhin lässt sich die Zuschussfinanzierung seitens der DB dadurch erklären, dass sie sich von CaB als zusätzlichem Dienstleistungsangebot einen positiven Marketing- und Imageeffekt verspricht. Durch die Präsenz der „schicken“ Bahn-Fahrräder im öffentlichen Raum möchte die Bahn ihr Image als modernes, umweltfreundliches, engagiertes und multimodales Verkehrsunternehmen verbessern. Für die DB AG als zukunftsorientiertem Mobilitätsdienstleister gehöre das Mietfahrrad heute ebenso selbstverständlich zum Angebot wie zum Beispiel Fern- und Regionalzüge, heißt es in einer Pressemitteilung (vgl. DB R ENT 2007c).

5.2.6. Marktentwicklung, Kundengruppen und Entwicklungsperspektiven

Wie Tab. 6 zeigt, erfreut sich das Angebot von CaB zunehmender Beliebtheit. So ist die Anzahl aktiver Nutzer seit 2001 kontinuierlich angestiegen, durchschnittlich um 25% pro Jahr. Im Oktober 2008 waren insgesamt etwa 180.000 Kunden bei CaB registriert, von denen 80.000 aktive Nutzer sind, die mehrmals im Jahr ein CallBike entleihen. Greifen Kunden ein ganzes Jahr lang nicht auf das Angebot von CaB zurück, werden ihre Daten gelöscht und sie müssen sich neu registrieren, wenn sie wieder ein Fahrrad entleihen möchten (vgl. KNIE 2008, o.S. – INTERVIEW ). Da die gesamte Kundendatei zu Beginn der

86 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Saison 2006 erstmals um diese „inaktiven“ Nutzer bereinigt wurde, die einen Großteil der Kundschaft ausmachten, ergibt sich bei der Entwicklung der Kundenzahlen im Übergang der Jahre 2005 – 2006 ein deutlicher „Knick“.

Auch die Anzahl der Entleihvorgänge ist von Jahr zu Jahr kontinuierlich gestiegen, wobei sich im Jahresverlauf ein deutlicher Jahreszeitentrend ergibt. Während in den frühen Frühlings- und späten Herbstmonaten nur vergleichsweise wenige Ausleihen zu verzeichnen sind, werden in den Spitzenmonaten August und September über 60.000 Fahrten unternommen (vgl. Abb. 20).

Abb. 20: Entwicklung der Fahrten in den Jahren 2001 – 2004

Quelle: WZB 2005, o.S.

Auf Grund der von CaB erhobenen Buchungsdaten kann man die Nutzer von CaB in zwei Gruppen einteilen: In den Vormittagsstunden mieten insbesondere Berufstätige gezielt CallBike s, um die Wegstrecke von der S- oder U-Bahnhaltestelle zum Arbeitsplatz fortzusetzen. In den Nachmittags- und Abendstunden werden die Fahrräder vor allem im Freizeitverkehr und sehr selten zum Einkaufen genutzt. Die Nutzer von CaB sind zum größten Teil zwischen 18 und 35 Jahre alt und überwiegend zugleich auch Fahrgäste des

öffentlichen Nahverkehrs (vgl. DB R ENT 2006a, o.S.).

87 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Tab. 6: Marktentwicklung von CaB in den Jahren 2001 – 2008 31

2003 2004 2005 2006 2007 2008

Nutzerzahlen

München k.A. k.A. 33.000 k.A. k.A. k.A.

Berlin k.A. k.A. 31.000 k.A. k.A. k.A.

Frankfurt k.A. k.A. 18.000 9.000 16.500 k.A.

Köln X 4.100 8.100 8.200 k.A. k.A.

Stuttgart X X X k.A. k.A. k.A.

Karlsruhe X X X X k.A. k.A.

Gesamt 50.000 71.000 92.000 45.000 68.000 80.000

Anzahl Fahrten

München k.A. k.A. 128.000 141.000 k.A. k.A.

Berlin k.A. k.A. 135.000 135.000 k.A. k.A.

Frankfurt k.A. k.A. 125.000 136.000 120.000 k.A.

Köln X 19.500 67.500 107.000 k.A. k.A.

Stuttgart X X X k.A. k.A. k.A.

Karlsruhe X X X X k.A. k.A.

Gesamt 320.000 380.000 450.000 520.000 k.A. k.A.

X = Angebot zum Zeitpunkt noch nicht vorhanden k.A. = keine Angaben von CaB verfügbar

Quelle: eigene Darstellung nach Zahlen von DB R ENT 2007-2008, o.S. und BÜHRMANN 2005, S.2

Die DB Rent erwartet in den nächsten Jahren eine weitere Erhöhung der Nutzerzahlen und der Anzahl der Fahrten, vor allem weil sie annimmt, dass die Nutzergruppe intermodal Reisender , die verschiedene Verkehrsmittel auf einem Reiseweg miteinander kombinieren möchten, weiter zunimmt. Daher baut die DB Rent das Angebot von CaB auf immer mehr deutsche Städte aus. Knie erwartet langfristig sogar ein Potential von drei bis vier

Millionen Kunden in Deutschland (vgl. BÜHRMANN 2005a, S.2).

31 Hier wäre es toll, detailliertere Daten untersuchen zu können, aber leider waren diese Informationen trotz mehrfacher schriftlicher und telefonischer Nachfrage bei Call a Bike nicht zu bekommen. CaB scheint kein Interesse daran zu haben, genaue Informationen zu den Marktentwicklungen des Systems zur Verfügung zu stellen, so wie es andere Betreiber wie Clear Channel und JCDecaux tun.

88 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

„Wer das Fahrrad nutzt, tut etwas für die Umwelt und für seine Gesundheit - unsere Kunden nehmen dieses moderne System begeistert an.“ Werner Klingberg, DB-Konzernbevollmächtigter

"Trotz gestiegenen Wettbewerbs im Fahrradmietmarkt mit zum Teil kostenlosen Anbietern haben wir unseren Marktanteil im Jahr 2006 insgesamt ausgebaut. Das ist ein Erfolg und zeigt, dass sowohl unser System als auch die Qualität im Service und beim Material von den Kunden geschätzt wird." Rolf Lübke, Geschäftsführer DB Rent. (Quelle: DB R ENT 2007c, o.S.)

EXKURS: Die Studie des WZB In den Jahren 2001-2004 hat die Projektgruppe Mobilität des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) in Kooperation mit der DB Rent im Auftrag des Bundesforschungsministeriums ein umfassendes Begleitforschungsvorhaben zur Akzeptanz von CaB durchgeführt. Mit Hilfe standardisierter Telefoninterviews (CATI) wurden in vier Erhebungsrunden in den Jahren 2003 und 2004 über 1.500 Kunden und Nicht-Kunden in München, Berlin und Frankfurt a.M. zu CaB befragt. Weiterhin wurden die vorhandenen Kundendaten der DB Rent analysiert und ausgewertet. Durch das Vorhandensein subjektiver und objektiver Daten und ihre Gegenüberstellung konnten beispielsweise subjektiv beschriebenes Mobilitätsverhalten, die Zufriedenheit mit CaB und zukünftige Nutzungsabsichten mit den tatsächlichen Nutzungsdaten der DB Rent verglichen werden. Die Ergebnisse der Studie wurden im Jahr 2005 veröffentlicht und sollen im Folgenden zusammengefasst wiedergegeben werden. Fast alle der befragten CaB -Kunden besitzen ein eigenes Fahrrad und nutzen dieses auch regelmäßig. Wie Abb. 21 zeigt, werden die CallBike s von den meisten Kunden jedoch eher selten genutzt. Der Großteil der CaB -Kundschaft (44%) greift auf das Angebot ein- bis viermal pro Monat zurück, ein weiteres gutes Drittel der Nutzer sind Quartalsfahrer. 10% der Kunden sitzen wöchentlich, 3% sogar fast täglich auf einem CallBike . Obwohl damit nur jeder achte Nutzer zu den sog. „heavy- usern“ zählt, die mindestens einmal pro Woche auf CaB zurückgreifen, ist diese Gruppe mit knapp der Hälfte aller Fahrten für ein Drittel der Umsätze von CaB verantwortlich. Abb. 21: CaB -Fahrten pro Kunde

Quelle: WZB 2008, o.S. Zur Gruppe der halbjährlichen oder noch selteneren Nutzer zählen in München vor allem Touristen und in Berlin junge Leute, die zu Besuch bei Freunden sind und auf die CallBike s als „Gästerad“ zurückgreifen. Typische „Einmalnutzer“ sind auch Neugierige, die CaB nur ausprobieren wollten. 37% aller Kunden nutzt Call a Bike routinemäßig zu bestimmten Anlässen. An erster Stelle steht dabei die Inanspruchnahme für Wege von oder zur Arbeit – z. B. zur Mittagspause -, an zweiter Stelle folgt die

89 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Nutzung des Rades für Besucher (15%). Jeder zehnte Nutzer gibt an, regelmäßig anstatt eines Taxis oder beim nächtlichen Heimweg auf CaB zurückzugreifen. Das Angebot wird vorwiegend für kurze Fahrten im Alltag und für Freizeitzwecke in Anspruch genommen, für Einkäufe oder Transporte wird CaB jedoch kaum gebraucht. Jede vierte Fahrt führt nach Hause, jede sechste zum Arbeitsplatz oder zu einem dienstlichen Termin. Zu diesen Anlässen sind die Kunden in der Regel zwischen zehn und 30 Minuten auf kurzen Einwegfahrten unterwegs. Mehrere Stunden oder Tage dauert die Nutzung nur, wenn die CallBike s touristisch genutzt werden. Auf drei Vierteln aller Fahrten mit CaB werden vorher und hinterher die eigenen Füße, sonst aber keine anderen Verkehrsmittel genutzt. Auch die Fahrt vom oder zum Bahnhof bildet abgesehen von einzelnen Zielgruppen (z. B. Berufspendler in Frankfurt) eher die Ausnahme. Die intermodale Reisekette spielt also kaum eine Rolle. Dass 95% aller Wege mit CaB Oneway-Fahrten sind, verdeutlicht die flexiblen Einsatzmöglichkeiten des Systems CaB und die gute Ergänzung zum weniger flexiblen eigenen Fahrrad. CaB ist ein Saisongeschäft, denn im Winter stehen die Leihräder wartungsbedingt im öffentlichen Raum nicht nur Verfügung. Aber auch während der Saison ist ihre Nutzung stark wetterabhängig. Laut Erhebung hat die Hälfte der Kunden ihre letzte Fahrt bei Sonne und nur jeder Zehnte bei leichtem bis starkem Regen unternommen. Spitzenzeiten sind die Monate Mai und Juni sowie die Sommerferien. Wie die nächste Abbildung (Abb. 22) zeigt, steigen die Nutzungen im Wochenverlauf bis zum Spitzentag Samstag an. Am Wochenende werden aber nicht nur die meisten Fahrten unternommen, sondern die Entleihzeiten sind dann auch deutlich länger als unter der Woche. Im Tagesverlauf sind wie bei anderen FVS auch bei der CaB -Nutzung die üblichen Stoßzeiten morgens, mittags und abends vorhanden. In Frankfurt a. M., wo wesentlich mehr Berufspendler ihren Arbeitsweg zwischen Hauptbahnhof und Büro mit dem DB-Rad zurücklegen, ist die rush-hour wesentlich ausgeprägter als in München oder Berlin mit mehr Touristen und einer insgesamt gemischteren Klientel. In allen untersuchten Städten kommt es nach Mitternacht zu einem weiteren Peak, wenn die klassischen öffentlichen Verkehrsmittel ihr Angebot einschränken. Abb. 22: Fahrten mit CaB nach Tageszeit und im Wochenverlauf

Quelle: WZB 2008, o.S. Insgesamt wird Call a Bike von den Nutzern als flexibles, zuverlässiges, bequemes und schnelles Verkehrsmittel bewertet, das die alltägliche persönliche Flexibilität und Mobilität der Kunden sicherstellt und erhöht. Diese positive Beurteilung stützt sich v.a. auf gute Bewertungen in Nutzerfreundlichkeit, Handling und Preissystem. Die Kunden, überwiegend junge, gut gebildete Großstadtmenschen im Alter zwischen 25 und 45 Jahren, schätzen die spontane und dezentrale

90 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Verfügbarkeit der Fahrräder als individuellen Mobilitätsgewinn. Überall, bei Kunden wie bei Nicht- Kunden, werden Einfachheit und leichte Verständlichkeit groß geschrieben. Die weiteren untersuchten Einflussfaktoren wie Umweltschutz und die Pkw-Nutzung spielten daneben insgesamt eine untergeordnete Rolle. Die Nichtnutzer bewerteten neben dem allgemeinen Lob für die Idee insbesondere das Merkmal „unabhängige Mobilität“ positiv32. Allerdings ist ihnen ein günstiger Preis deutlich wichtiger als den CaB -Kunden. Über 75% der Kunden sagten, sie seien zufrieden oder sehr zufrieden mit CaB . Mehr als 90% gaben an, sie würden bei nächster Gelegenheit wieder ein CallBike nutzen und jeder Dritte will dies in Zukunft wesentlich häufiger tun als bisher. Diese Ergebnisse wurden in Wiederholungsbefragungen nach einem Jahr bestätigt. Mit einer kritischen Ausnahme: bei einem Teil der Kunden sinkt die Produktzufriedenheit, weil die Verfügbarkeit der DB-Fahrräder in unmittelbarer Nähe schlechter bewertet und die langsame Expansion auf andere Städte bemängelt wird. Auf Einschnitte bei der jederzeitigen Verfügbarkeit und der damit verbundenen geringeren Flexibilität reagieren die Nutzer also sensibel. Aufbauend auf den Daten der repräsentativen Leitstudie Mobilität in Deutschland 2002 (MiD) wurde eine Abschätzung der Kundenpotentiale in Deutschland durchgeführt. Es wurde berechnet, dass von den 18,5 Millionen Bürgern in deutschen Städten ab 50.000 Einwohnern im Alter von 18 – 65 Jahren und mit einem PKW-Führerschein etwa 3,3 Millionen Menschen und damit jeder Fünfte ein vergleichbares „Sozio-Mobilitätsprofil“ aufweisen, wie die untersuchten CaB -Nutzer. Die Potentiale finden sich vor allem in den ganz großen Ballungsräumen. Zwei Drittel der potentiellen 3,3 Millionen Kunden leben in Städten mit mehr als 500.000 und 90% in Städten mit über 100.000 Einwohnern. Entsprechend konzentrierte sich die Markterschließung von CaB in den ersten Jahren auf Städte wie München, Berlin, Frankfurt a.M., Köln und Stuttgart. Zum Verkehrsverhalten der CaB -Kunden ist zu sagen, dass sie gerne die Wahl haben. Sie legen in einer Woche im Schnitt deutlich mehr Kilometer zurück (340 km) als andere Großstadtbewohner (300 km). Dabei greifen sie seltener auf das Auto, häufiger auf das Fahrrad, vor allem aber auf öffentliche Verkehrsmittel zurück. Zwei Drittel der Kunden organisieren ihre wöchentlichen, kurzen Wege im Umweltverbund (ÖPNV und/oder Rad) oder multimodal mit ÖPNV, Rad und Auto. Die multimodale Mobilitätsgestaltung führt zu positiven Umwelteffekten. Trotz des insgesamt höheren Verkehrsaufwandes fällt die CO2-Bilanz günstiger aus: Der durchschnittliche CaB -Nutzer fährt pro Woche dreißig Kilometer (10%) mehr, spart im Vergleich zu anderen Großstädtern aber dennoch sechs Kilogramm Kohlendioxid (-9%) ein. Ein positiver Umwelteffekt ergibt sich auch bei der Frage nach den einzelnen Fahrten, denn CaB wird am häufigsten auf Wegen benutzt, die zuvor mit einem Taxis, einem Bus, einer U- oder S-Bahn, also motorisiert, zurückgelegt wurden. Seltener ersetzt es einen Fußweg, das eigene Rad oder ein Auto (vgl. HOFFMANN /STOLLBERG 2005, S. 4ff.). Als Fazit kommt die Studie des WZB zu folgendem Schluss: „Für alle Kunden stellt Call a Bike vor allem eine neue Qualität im öffentlichen Nahverkehr dar: Den ÖV-Affinen bietet es mehr Spontaneität und Individualität innerhalb der gewohnten Mobilität, den Autoaffinen mit „Lust auf Neues“ und Erlebnis ist es ein Türöffner für gelegentliches und probeweises Einsteigen in öffentliche Verkehrsformen. Intermodale Angebote, die öffentliche Individualverkehre einschließen, auf Standards und Einfachheit in der Nutzung setzen, können die Attraktivität des ÖPNV für bestehende wie für neue Kunden steigern, profitabler machen und nachhaltigere Mobilitätsstile fördern.“

32 Das Bedürfnis nach „unabhängiger Mobilität“ wirft die Frage auf, wie Kunden diese am einfachsten realisieren können. Daher könnte es an dieser Stelle interessant und sinnvoll sein, eine Spezialstudie mit Faltrad-Nutzern durchzuführen, um zu untersuchen, ob ein flächendeckendes und verlässliches CaB-Angebot für sie eine ernsthafte Alternative zum eigenen Faltrad darstellt. Denn die Fahrradmitnahme des Privatfahrrads stellt ja immer einen gewissen Aufwand dar, den ein hochattraktives Angebot von CaB ggf. überflüssig machen könnte, wenn es ein vergleichbar hohes Maß an Flexibilität und Fahrkomfort bietet.

91 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Umfassend sind die Resultate in der WZB discussion paper-Reihe veröffentlicht: Die Intermodalen Dienste der Bahn: Mehr Mobilität und weniger Verkehr? Wirkungen und Potenziale neuer Verkehrsdienstleistungen. Quelle: WZB 2008, o.S. und MAERTINS 2006, S. 10 ff. und S. 50 -60

5.2.7. Kooperation mit Ströer DSM – exklusiver Vertriebspartner von CaB

Anlässlich des Deutschen Tourismustages des Deutschen Tourismusverbandes in Hamburg am 5. Oktober 2006 gab Ströer Deutsche Städte Medien (DSM) die exklusive Kooperation mit der Bahn-Tochter DB Rent bekannt. Seitdem vermarktet Ströer DSM das System CaB und erweitert dadurch sein bisheriges Angebotsportfolio klassischer Stadtmöblierung. Neben der Bereitstellung von Wartehallen, öffentlichen Toiletten, Beschilderungskonzepten und elektronischen Stadtführern bietet Ströer nun in Kooperation mit der DB Rent auch ein öffentliches FVS an. Die Investitionen für die Einführung von CaB in weiteren Städten werden von beiden Kooperationspartnern gemeinsam getragen. Die Refinanzierung erfolgt durch die Vermarktung von Werbeflächen in den jeweiligen Städten (vgl. DB R ENT 2006b, o.S.). Ströer verknüpft das stationsgebundene System CaB-fix mit den interaktiven Stadtmöbeln seines Stadtinformationssystems "City Guide" und entwickelte das Serviceangebot von CaB somit weiter. An den „City-Guide“ - Terminals können die Nutzer unkompliziert und kostenfrei abfragen, wo sich die nächsten CaB -Stationen befinden, wie viele Räder dort bereitstehen und wie das System CaB funktioniert. Routenplanung, Navigationen zum Download oder Informationen zu Sehenswürdigkeiten sind ebenfalls interaktiv über die "City Guides" erhältlich und können ausgedruckt oder an mobile Endgeräte übermittelt werden. Auch die Registrierung für CaB ist an diesen Terminals möglich. Alle genannten Funktionen stehen auch an den Touchscreens („Comcenter“) der interaktiven Wartehallen von Ströer zur Verfügung (vgl. STRÖER 2008b, o.S.).

Der Geschäftsführer der Ströer DSM, Alexander Stotz, erklärte zur Kooperation mit der DB: "Wir haben uns für Call a Bike entschieden, weil das System sich bereits auf dem Markt erfolgreich bewährt hat, da machte es keinen Sinn ein zweites System zu etablieren. Gemeinsam mit unserem Kooperationspartner DB Rent wollen wir ein bundesweit einheitliches Fahrradmietsystem etablieren. Nutzer sollen sich nicht in jeder Stadt wieder auf ein völlig neues System einstellen müssen ." (vgl. DB R ENT 2006b, o.S.)

92 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

EXKURS: Ströer DSM – der größte deutsche Außenwerber

Die Ströer Gruppe ist spezialisiert auf alle Werbeformen, die im Außenbereich zum Einsatz kommen - vom klassischen Plakat über Werbung auf Wartehallen und öffentlichen Verkehrsmitteln bis hin zu elektronischen Medien. Die Gruppe vermarktet in 12 Ländern rund 250.000 Werbeflächen. In Deutschland ist der Konzern mit rund 230.000 Werbeflächen größter Anbieter von Außenwerbung sowie mit rund 20.000 installierten Stadtmöbeln und entsprechenden Verträgen mit über 145 Kommunen größter Anbieter von Stadtmöblierung. Im Jahr Dezember 2005 hat Ströer DSM die Deutsche Eisenbahnreklame gekauft und ist seitdem Werbepartner der DB AG. (Quelle: STRÖER 2008c, o.S.)

Viele Ströer-Partnerstädte sollen nach Aussage des Unternehmens „von dem attraktiven Mobilitätsangebot profitieren.“ Die erste Stadt, der Ströer das DB-Fahrradmietsystem vorgestellt und angeboten hat, war die Freie und Hansestadt Hamburg. "Die Freie und Hansestadt bietet viele Sehenswürdigkeiten und Museen, die sich ideal mit dem Rad erschließen lassen. Zusammen mit dem neuen, von uns bereits installierten Fußgängerleitsystem, würde Hamburg neue Maßstäbe für einen umweltfreundlichen Tourismus in Deutschland setzen", lautete die Argumentation von Ströer (vgl. STRÖER 2006, o.S.). Der Versuch, das System bereits ab 2006 in Hamburg zu installieren scheiterte jedoch (genaueres siehe 6.1).

5.2.8. Bewertung: Stärken und Schwächen des Systems Call a Bike

Als Pionier eines stationsunabhängigen, vollautomatischen FVS und erster deutscher Anbieter eines Systems der sog. dritten Generation hat CaB vor allem in Deutschland wichtige Impulse für die Auseinandersetzung mit dem Thema öffentlicher Fahrradverleih geliefert. Das vor allem in den Anfangsjahren hohe Medieninteresse an CaB belegt den Erfolg des Systems mit den qualitativ besonders hochwertigen Leihfahrrädern . Diesen positiven Imagefaktor wusste die DB zu nutzen, indem sie das System im Jahr 2001 übernahm und nach dem anfänglichen Scheitern in München Vieles besser machte. „Bei Call a Bike war anfangs insbesondere in Berlin und München ein regelrechter Hype hinsichtlich des Fahrten- und Kundenwachstums zu verzeichnen. (…) Die Antwort auf die Nachfragekrise im Schienenverkehr sollte das Leitbild einer Bedienung „Von-Haus-zu-Haus“ liefern. (…) Die Bahn machte sich nach eigenen Worten damit auf den Weg zum „umfassenden Mobilitätsanbieter. Zu den Piloten dieser Strategie gehörten das Miet-Rad Call a Bike und das Autovermietangebot DB Carsharing. (…) Neben der Neu-Positionierung des

93 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Konzerns dienten die Angebote vor allem als Instrumente der Kundenbindung.“ (MAERTINS 2006, S. 11)

Die Konkurrenz der Anbieter öffentlicher FVS wuchs seit 2005 zwar auch in Deutschland, im Moment aber ist CaB noch das in Deutschland am weitesten verbreitete System für öffentliche Leihfahrräder. Der zweite bekannte deutsche Anbieter nextbike hat in den letzten Jahren zwar aufgeholt, was die Anzahl der Standorte und der bereitgestellten Fahrräder betrifft, aber in der Angebotsqualität ist CaB dem System aus Leipzig deutlich überlegen, wie die genaueren Erläuterungen zu nextbike im Kapitel 5.5 zeigen. Die besonderen Stärken aber auch die Schwächen des Systems CaB sollen im Folgenden noch einmal detailliert herausgearbeitet und bewertet werden.

Als entscheidende Unterschiede gegenüber anderen etablierten FVS sind vor allem die Stationsungebundenheit des flex-Systems, der Ausleihmechanismus per Telefon und das Preissystem von CaB zu nennen. Die Stationsungebundenheit bringt für die Nutzer klare Vor- aber auch Nachteile mit sich. Zwar kann ein Kunde sein CallBike am Ende einer Fahrt an jeder beliebigen Straßenkreuzung innerhalb des Kerngebietes abstellen und dadurch seinen Zielort mit dem Leihfahrrad in den meisten Fällen direkter erreichen, als dies bei einem stationsgebundenen System der Fall wäre, dafür aber muss er sich vor Beginn einer Fahrt immer erst auf die Suche nach einem freien CallBike begeben. Die Onlineauskunft und das Programm Quiro für die Auskunft per Handy erleichtern diese Suche zwar, aber da ein Nutzer sich nie sicher sein kann, ein verfügbares CallBike tatsächlich auch zu finden, wo und wann er es gerade braucht, ist eine Suche vor Fahrtantritt immer notwendig und stellt eine gewisse auch mentale Barriere dar, gezielt und möglichst häufig auf das CaB -Angebot zurückzugreifen 33 . Der hohen Flexibilität, die sich bei der Rückgabe eines CallBike s nach der Benutzung ergibt, steht also die geringere Flexibilität vor dem Beginn einer Fahrt gegenüber.

Auch für den Betreiber DB Rent hat das flex-System Vor- und Nachteile. Der Verzicht auf Stationen verringert die Investitionskosten erheblich. Und auch die häufig mühsame Suche nach geeigneten Standorten für die Verleihstationen im öffentlichen Raum entfällt. Das Einsammeln der Fahrräder für Reparaturarbeiten und die Umverteilung innerhalb des Kerngebiets bei nicht bedarfsgerechten regionalen Defiziten ist aber mit einigem Aufwand verbunden.

33 Daten zu den durchschnittlichen Suchzeiten gibt es nach Kenntnis des Autors bisher nicht. Dies wäre aber ein interessanter Untersuchungsgegenstand, genau wie die Frage, wie viel Zeit potentielle Nutzer bereit wären, für die Suche eines freien Leihfahrrades zu investieren. Würde sich die Angebotsdichte eins FVS an der von den Kunden akzeptierten Suchzeit orientieren, könnten deutlich höhere Nutzerzahlen und eine größere Kundenzufriedenheit erreicht werden.

94 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Der Ausleihmechanismus ist bei CaB vergleichsweise kompliziert und langwierig. Zwar dauern Ausleih- und Rückgabevorgag für geübte Nutzer nur etwa 30 – 60 Sekunden, aber an dieser Stelle gilt ganz klar der bekannte Satz: „Nur die Übung macht den Meister!“ Da nach Angaben der WZB-Studie jedoch über 85% der Nutzer nur einmal pro Monat oder seltener auf CaB zurückgreifen, dürfte der Entleih- und Rückgabevorgang beim Großteil der Kunden länger dauern, als eine Minute. Denn sowohl zu Beginn als auch am Ende einer jeden Fahrt müssen die Nutzer mit vier verschiedenen Zahlenabfolgen „hantieren“ (zehnstellige Kundennummer, Nr. der CaB -Hotline, Nr. des CallBike s sowie dem Öffnungs- bzw. Quittungscode), um ein CallBike erfolgreich entleihen und auch vorschriftsmäßig wieder retournieren zu können. In selteneren Fällen kann die Rückgabe auch dadurch erschwert und die Nutzung im Nachhinein teuer werden, dass beispielsweise ortsunkundige Nutzer einen falschen Rückgabestandort angeben, weil sie vor Ort keine Straßennamen finden oder sich auf falsche Auskünfte verlassen. Entsprechend wird von den allermeisten der befragten Experten kritisiert, der Ausleihmechanismus sei bei CaB zu kompliziert und wirke daher auf viele potentielle Nutzer abschreckend.

Auch beim stationsgebundenen System CaB-fix ist sowohl zu Beginn als auch am Ende jeder Fahrt ein Anruf bei der CaB -Hotline notwendig, da die Stationsinfrastruktur (noch) keine interaktiven Terminals vorsieht. Es bleibt aber zu hoffen, dass sich CaB im Zuge der Kooperation mit Ströer DSM und der Integration der „City Guide“-Terminals in das System an den für die Benutzer einfacheren und komfortableren Ausleihmechanismen anderer renommierter Anbieter orientiert und zusätzlich einen alternativen Anmeldemechanismus zu den zwei notwendigen Anrufen pro Leihvorgang anbietet, auch wenn das System „ Call a Bike “ seinem Namen dann nicht mehr ganz entspräche.

Bisher begründet die DB Rent ihre einfacheren Stationen auch damit, dass diese viel schneller errichtet werden können und auch deutlich preiswerter sind, als die komplexe Stationsinfrastruktur der FVS von JCDecaux oder Clear Channel. Diese benötigen nämliche im Gegensatz zu den simplen Abstellbügeln des Systems CaB-fix einen Stromanschluss , dessen Einrichtung mit aufwendigen Tiefbauarbeiten verbunden ist.

Auch das fix-System weist sowohl Vor- als auch Nachteile auf, die positiven Aspekte überweigen jedoch. Die Nutzer können sich in den meisten Fällen darauf verlassen, an den bekannten Standorten der Stationen ein freies Fahrrad zu finden. Dadurch ist die Nutzung des Angebots für die Kunden besser einplanbar, dass heißt, sie greifen gezielt und nicht nur spontan auf das FVS zurück. Dank der Stationen ist das Angebot im Stadtbild außerdem besser sichtbar und damit im öffentlichen Raum stärker präsent. Weiterhin ist die Nutzung durch das Vorhandensein der Parkständer geordneter geregelt als beim flex-System, was für das Gesamtimage des Angebots und des Fahrradverkehrs allgemein von Vorteil ist.

95 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Nachteile des stationsgebundenen Systems sind die gegenüber CaB-flex etwas höheren Investitionskosten und die ggf. mühsame Suche nach freien Flächen zur Installation der Stationsinfrastruktur.

Im Gegensatz zu den meisten anderen FVS ist das Preissystem von CaB nicht nur für eine kurzzeitige Benutzung optimiert. Zwar spricht der seit April 2008 eingerichtete Pauschaltarif häufige Kurzstrecken-Nutzer gezielt an und dürfte eine derartige Nutzung intensivieren, aber mit einer maximalen Gebühr von € 9,00 pro Tag (24h) ist eine längere Ausleihe der CallBike s beispielsweise für Touristen ebenfalls attraktiv und vergleichsweise günstig. Auch dass eine Nutzungszeit von einer Woche zu einem moderaten Preis möglich ist, zeigt, dass das Angebot von CaB sich nicht hauptsächlich an kurzzeitige Nutzungen richtet. Mit einem Preis von € 4,80 bzw. € 3,60 pro Stunde im Minutentarif ist die Nutzung für eine Entleihdauer von bis zu 2 Stunden sogar vergleichsweise teuer .

„Eine wichtige Voraussetzung ist, dass man die Räder auch für Einwegfahrten nutzen kann, sie also überall und nicht nur am Startpunkt zurückgeben kann. Daher kann man den Ausbau des Systems der Bahn an den 100 ICE-Bahnhöfen auch nicht wirklich als leistungsfähiges Mobilitätsangebot bezeichnen, sondern das war glaube ich mehr eine politisch motivierte Aktion. Gleichzeitig ist es Strategie der Bahn über die einzelnen Stationen an den Bahnhöfen mit den Städten ins Gespräch zu kommen. “

Arne Koerdt, INTERVIEW

Kritisch hinterfragt werden muss das Konzept des Expansionsprogramms, mit dem bis Ende 2009 an 100 ICE-Bahnhöfen jeweils eine CaB -Station errichtet werden soll. Obwohl im Rahmen der Studie des WZB (vgl. Exkurs) herausgefunden wurde, dass 95% aller Fahrten mit CaB „Oneway-Trips“ sind und auch die Fahrten vom oder zum Bahnhof eher die Ausnahme darstellen, geht die DB Rent davon aus, dass „viele Wege am Bahnhof beginnen und nach einiger Zeit auch wieder dort enden.“ (vgl. DB R ENT 2008b, o.S.). Solange jedoch nur eine einzelne CaB -Station am Bahnhof einer Stadt existiert, an welcher die CallBike s nach jeder Fahrt wieder zurückgegeben werden müssen, und Einwegfahrten somit ausgeschlossen sind, ist es fraglich, ob ein solches Angebot auf eine große Nachfrage stößt. Die geringen Größen der bereits errichteten Stationen zeigen aber, dass auch CaB nicht mit besonders großer Nachfrage zu rechnen scheint. Acht CallBike s am Hauptbahnhof von Oldenburg, einer Stadt mit 160.000 Einwohnern, oder 11 Fahrräder in Bremen mit seinen 550.000 Einwohnern wirken eher ein wenig verloren und können höchstens als kleines Zeichen des guten Willens aber nicht als ernst zu nehmendes Mobilitätsangebot für intermodal ausgerichtete Bahnkunden verstanden werden. Die Station am Hamburger Hbf. beispielsweise verfügt über 19 CallBike s, die in den ersten sechs Monaten seit der Einrichtung des Angebotes für etwa 1.100 Fahrten benutzt wurden. Das ergibt einen Durchschnittswert von gerade einmal 2,3 Fahrten pro Rad und Woche. Wenn man dem

96 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich gegenüberstellt, dass jedes Leihfahrrad der Systeme in Paris und Barcelona täglich 12- bis 15-mal im Einsatz ist, wird klar, welche „kleinen Brötchen“ bei der DB gebacken werden. Bahnsprecher Holger Bajorah zieht dennoch eine durchweg positive Halbjahresbilanz und spricht von einer hervorragenden Resonanz auf das Angebot, schließlich seien die Erwartungen der Bahn mit diesem Ergebnis sogar um 20% übertroffen worden (vgl. HAMBURGER ABENDBLATT 2008a, o.S.).

Es gilt also, dem im Ansatz guten Willen deutlich größere Taten folgen zu lassen, denn wie bereits in Kapitel 4 erläutert wurde, können FVS nur erfolgreich sein, wenn eine ausreichend große Angebotsdichte realisiert wird und davon kann bei einzelnen Stationen mit 5 - 20 Leihfahrrädern keine Rede sein. Ein Verleihangebot, das aus einer einzigen Station besteht und bei dem das Fahrrad am Ende der Nutzung wieder am Startpunkt abgegeben werde muss, macht die Integration in eine eindimensionale Mobilitätskette unmöglich, was aber seitens der DB die Hauptintention des CaB -Angebotes ist. Ein solches Angebot entspricht auch nicht der in dieser Arbeit zu Grunde gelegten Definition von Fahrradverleih system (vgl. Kap. 3.1). Um dieses Manko zu beheben, wäre es sinnvoll, die Pläne aus dem Jahre 2001 wieder aufzugreifen, nach denen die DB vorhatte, ein zentrales Stationsangebot mit einem dezentral verteilten Grundangebot an freistehenden CallBike s zu kombinieren (vgl. DB

RENT 2001, o.S.). Bei einem solchen Konzept ist zwar mit einem erhöhten logistischen Aufwand zu rechnen, wenn sichergestellt werden soll, dass die zentral gelegenen Stationen regelmäßig sowohl über freie CallBike s als auch über freie Abstellplätze verfügen, aber dafür dürfte ein derartiges Angebot mit großer Sicherheit auf deutlich mehr Interesse und Zufriedenheit bei den Kunden stoßen, woran der DB ja gelegen sein sollte. Die DB Rent ist sich der Notwendigkeit eines Ausbaus aber durchaus bewusst: „ Wir sind seitens der Bahn gezwungen, da anzufangen, wo wir es können, nämlich in unserem eigenen Territorium. Und natürlich ist es ein generelles Ziel, das System so auszubauen, dass auch wieder die Einwegfahrten möglich werden “, erklärte Prof. Knie (vgl. INTERVIEW ).

Während zu begrüßen ist, dass die CallBike s den Nutzern während der Saison täglich rund um die Uhr zur Verfügung stehen, ist das Einsammeln und Fehlen der Fahrräder des flex- Systems im Winter zu bedauern. Fahrradfahren ist schließlich bei (fast) jedem Wetter möglich und wenn die DB mit CaB einen vollwertigen zusätzlichen Baustein zur Integration in eine multimodale Mobilitätskette schaffen will, auf den sich die Kunden jederzeit verlassen können und den sie ernst nehmen, dann sollte dieser Angebotsbaustein auch immer, also ganzjährig, zur Verfügung stehen. Denn ein Verkehrsmittel, dass sich explizit von Wetter und Jahreszeiten abhängig macht, kann kaum zur alltäglichen Routine werden, sondern ist in den Köpfen potentieller Kunden immer mit einem einschränkenden „Aber“ verbunden. Immerhin bietet CaB seinen Kunden an, während der Winterpause ein privates CallBike für insgesamt € 60,00 zu mieten, um nicht zwangsläufig auf ein Bahnfahrrad verzichten zu müssen.

97 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Obwohl CaB bereits das zahlenmäßig größte und am weitesten verbreitete FVS in Deutschland ist, ist ein weiterer Ausbau des Systems wünschenswert. Denn je flächendeckender CaB sein Angebot gestaltet, desto attraktiver wird das System insgesamt. Eine große Stärke des Systems ist, dass Kunden in allen CaB -Städten ein CallBike entleihen können. Alle Standorte in Deutschland sind organisatorisch vernetzt und es gelten einheitliche Nutzungsbedingungen. Entsprechend haben Kunden nicht nur ein Interesse am Ausbau des Systems an ihrem eigenen Wohnsitz, sondern profitieren auch von jeder Vergrößerung des Gesamtangebots. Weiterhin ist anzunehmen, dass mehr Menschen sich für das Angebot interessieren und auch eher bereit sind, den „komplizierten“ Ausleihmechanismus zu erlernen und in Kauf zu nehmen, wenn ein entsprechend hoher Verbreitungsgrad der CallBike s als Vorteil deutlich überwiegt. Es liegt nahe, dass Kunden die Nachteile des Systems umso bereitwilliger tolerieren, je verlockender die Stärken des Angebots sind. In diesem Sinne könnte ein höherer Verbreitungsgrad einen wichtigen Beitrag liefern.

Kontakt:

Deutsche Bahn AG

Theodor-Heuss-Allee 7 Tel.: + 49 (0) 69 - 265-32002

60486 Frankfurt am Main Fax: + 49 (0) 69 - 265-32007

Internet: http://www.callabike-interaktiv.de Email: [email protected]

98 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

5.3. Citybike Wien

5.3.1. Einführung

Citybike Wien (CBW ) ist ein öffentliches FVS, das von der österreichischen Werbegesellschaft Gewista seit 2003 erfolgreich betrieben wird. Die Gewista, seit 2002 ein Tochterunternehmen der französischen Firma JCDecaux, hat mit CBW das Vorbild für das System „ Cyclocity “ entwickelt. Bereits seit 1999 wurden aufbauend auf dem System aus Sandnes (vgl. Kap. 4.3) Entwicklungen im Labor von JCDecaux durchgeführt, die in Wien weiter vorangetrieben und erstmals in die Praxis umgesetzt wurden (vgl. CBW 2008, o.S. –

EMAIL ). Zunächst aber war im Mai 2002 in Wien ein FVS ähnlich dem Kopenhagener Modell installiert worden, das jedoch bereits nach einer Saison scheiterte. Das System mit dem Namen „ Viennabike “ wurde von einem privaten Verein, dem „Fahrradclub Viennabike“, betrieben, der es über Sponsorenwerbung auf den Fahrrädern und durch Subventionen der Stadt Wien finanzierte. Insgesamt wurden € 2,3 Millionen in das System investiert, wovon die beiden Sponsoren Nokia und T-Mobile jeweils € 500.000 übernahmen (vgl. KRAMER / MAIERBRUGGER 2002, o.S.). Im Innenstadtbereich wurden 213 Fahrradstationen errichtet, an denen wie beim Kopenhagener Vorbild nach dem „Einkaufswagenprinzip“ mit einer 2 Euro- Münze als Pfand ein Fahrrad entriegelt und ausgeliehen werden konnte (vgl. GEWISTA

2008d, o.S. – EMAIL ). Die öffentlichen Appelle der Betreiber, die Gratisräder „fair“ zu benutzen und sich an die Nutzungsbedingungen zu halten, wurden jedoch häufig nicht befolgt. Schon nach wenigen Wochen waren von den anfänglich 1.200 Fahrrädern kaum noch welche in den Verleihstationen des Systems zu finden. Obwohl die Fahrräder ähnlich wie in Kopenhagen technisch einfach gehalten (drei Gänge, Vollgummireifen) und mit auffälligen Werbeanbringungen der Sponsoren versehen waren, ließen egoistische Benutzung, gepaart mit Vandalismus und Diebstahl Viennabike schon nach kurzer Zeit scheitern . Mitarbeiter des Betreibers versuchten zwar in den ersten Monaten nach der Eröffnung noch, die verschwundenen Fahrräder zu suchen und wieder einzusammeln, aber diese Bemühungen waren nicht immer von Erfolg gekrönt und auch nicht im Sinne des Erfinders (vgl. WIKIPEDIA 2008c, o.S.). Der Versuch, die Nutzer mittels eines nachträglich eingeführten SMS-Registrierungssystems zu „entanonymisieren“, war ebenfalls wenig erfolgreich. Zwar mussten sich Kunden ab Anfang Juli 2002 per SMS voranmelden, um den jeweils passenden Freischaltcode für die nachgerüsteten Fahrradständer zu bekommen, aber die korrekte Rückgabe nach einer Benutzung konnte auch so nicht überprüft werden. Nach vier Stunden wurden die Benutzer per SMS lediglich daran erinnert, das Leihfahrrad bitte wieder zurückzustellen (vgl. MAIERBRUGGER (2003), o.S.).

Als die übriggebliebenen etwa 800 Fahrräder im Herbst 2002 zu einer „Winterpause“ eingezogen wurden, beschloss der Verein, das Projekt zu beenden und versteigerte die

99 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Räder im Internet. In der Folge entwickelte sich eine kommunalpolitische Auseinandersetzung darüber, ob die Subventionen von € 1,3 Millionen durch die Stadt Wien für dieses Projekt gerechtfertigt waren. Niemand hatte zu Beginn mit solch gravierenden Problemen und einem so schnellen Scheitern von Viennabike gerechnet. Bei der darauffolgenden Suche nach einem professionellen Partner für den Betrieb eines Ersatzsystems erhielt schließlich das Werbeunternehmen Gewista den Zuschlag und wurde Ende Januar 2003 damit beauftragt, ein alternatives Konzept zu entwickeln (vgl. MAIERBRUGGER 2003, o.S.). „Oberstes Gebot dabei war, dass wir die jeweiligen Nutzer identifizieren können, um Diebstähle oder sonstige Missbräuche zu vermeiden “, erklärt Mag. Dieter Matuschek, Projektleiter bei der Gewista, im Interview. „Einerseits war JCDecaux daran interessiert, ein Referenzprojekt vorweisen zu können, andererseits hatte die Stadt Wien das Problem ein nicht funktionierendes System zu haben und die Gewista hatte Interesse an weiteren Werbestandorten in der Stadt .“

Bereits fünf Monate später wurde CBW der Öffentlichkeit vorgestellt, verbunden mit der großen Hoffnung und dem politischen Druck, möglichst nicht einen weiteren Misserfolg zu erleben. CBW wurde im Mai 2003 zunächst mit 23 Leihfahrrädern an 2 Stationen eröffnet. Seitdem wurde das System in kleinen Schritten kontinuierlich ausgebaut, bis Ende 2005 zunächst nur innerhalb des Gürtels 34 und seit 2006 auch jenseits des Gürtels (vgl. Tab. 7).

Tab. 7: Entwicklung des Systems CBW (Stand 12.2008)

Datum Anzahl Stationen Anzahl Stellplätze (Bikeboxen)

Mai 2003 2 23 Ende 2003 12 214 Ende 2004 41 747 Ende 2005 48 874 Ende 2006 49 897 Ende 2007 54 1.083 Ende 2008 60 1.251

Quelle: eigene Darstellung nach Angaben von CBW

Abb. 23: Stationsplan CBW (Stand: 26.05.2008)

34 Wien wird heute in 23 Bezirke unterteilt. Die Innenbezirke 1 und 3 bis 9 werden durch den sog. „Gürtel“ von den Außenbezirken abgegrenzt. Der Wiener Gürtel ist neben der Wiener Ringstraße und der Lastenstraße die dritte, ringförmig um den Stadtkern verlaufende Hauptverkehrsader der österreichischen Landeshauptstadt.

100 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Quelle: GEWISTA 2008a, o.S.

5.3.2. Organisationsstruktur

CBW ist ein stationsgebundenes FVS, dessen Stationen sich vor allem auf die inneren Bezirke von Wien verteilen, wie Abb. 23 verdeutlicht. Die Stationen befinden sich größtenteils in unmittelbarer Nähe von U-Bahnstationen, Straßenbahn- und Bushaltestellen und sind im Schnitt etwa 500 - 800 Meter voneinander entfernt. Sie bestehen je nach Größe aus 15 – 40 sog. „Bikeboxen“ (Stellplätze) und einem Service-Terminal . Als Bikeboxen werden die einzelnen, freistehenden Säulen bezeichnet, in denen die Citybikes verankert werden, um sie gegen Diebstahl zu sichern, und die auch die Rückgabe jedes Fahrrades automatisch registrieren. Die einzelnen Bikeboxen sind durch Kabel (Lichtwellenleiter) mit der Stationssäule verbunden und verfügen über ein elektromagnetisches Schloss, das vom Terminal aus gesteuert wird. An den 60 Stationen des Systems stehen insgesamt 1.251 Bikeboxen zur Verfügung. Der gesamte Citybike-Fuhrpark besteht aus 1.030 Rädern, von denen aber nur zwischen 600 – 800 tatsächlich auf der Straße im Einsatz sind (vgl.

101 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

MATUSCHEK 2008, o.S. - I NTERVIEW ). Die übrigen Citybikes befinden sich im zentralen Lager, so dass das Verhältnis von für die Kunden verfügbaren Fahrrädern zu Stellplätzen grob bei etwa 1 : 2 liegt. „ Die Zahl schwankt im Jahresverlauf allein deshalb, da stetig Räder zur Reparatur in die Werkstatt gebracht werden bzw. aus der Werkstatt ins System. Gleichzeitig werden im Winter (wenn weniger Fahrten getätigt werden) die Kapazitäten der Service- Techniker stärker in die Werkstatt verlagert und dort mehr Räder serviciert. So sind die meisten Räder im Sommer auf der Straße ,“ erläutert Matuschek.

Abb. 24: Service-Terminal einer CBW -Station – elektronisches Innenleben und Außenansicht

Quelle: eigene Aufnahme (links) und GEWISTA 2008a, o.S. (rechts)

Am Service-Terminal können Kunden sich beim System anmelden, ggf. anfallende Gebühren bezahlen und verschiedene Informationen einholen. Die technische Ausstattung der Stationen ist besonders anspruchsvoll und der größte Kostenpunkt bei der Errichtung (vgl. Kosten und Finanzierung). Alle Stationen des FVS sind über Funk miteinander verbunden und stehen in ständigem Datenaustausch mit dem Zentralcomputer. So können Kunden über das Touchscreen am Service-Terminal jeder Station genau wie im Internet zu jeder Zeit die Daten der anderen Stationen einsehen. Nutzer können sich an einer Station beispielsweise über den genauen Standort im Stadtplan, den Belegungsgrad, die Größe und die Anzahl verfügbarer Fahrräder aller anderen Stationen informieren und ihre Routen entsprechend planen. Die Stationen sind rund um die Uhr geöffnet, so dass die Citybikes zu jeder Zeit sowohl entliehen, als auch zurückgegeben werden können. Allerdings waren die Räder bis zur Saison 2007 nicht das ganze Jahr über verfügbar. Abhängig vom Wetter

102 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich wurden sie Ende Februar bzw. Anfang März auf die Bikestationen verteilt und gegen Ende Dezember wieder eingesammelt. In der Saison 2008 hat sich CBW jedoch erstmals entschieden, die Citybikes für das gesamte Jahr anzubieten und zu testen, ob auch in den Wintermonaten eine ausreichend hohe Nachfrage herrscht, die ein ganzjähriges Angebot sinnvoll erscheinen lässt (vgl. GEWISTA 2008a, o.S.). „ Die Erfahrung war, dass dadurch keine großen Probleme entstanden sind und die Nutzer das Angebot auch angenommen haben (über 10.000 Fahrten im Jänner 2008). „Sich lohnen“ ist in diesem Zusammenhang natürlich ein relativer Begriff – Betrieb bedeutet Callcenter-Anrufe, Techniker-Bereitschaften während dadurch nicht mehr Einnahmen entstehen. Wir sind aber der Meinung, dass es sich für den Service als Ganzes lohnt, da Citybike Wien dadurch eine noch stärkere Konstante ist “, so

Matuschek (vgl. INTERVIEW ).

Abb. 25: Die Servicefahrzeuge der CBW -Techniker

Quelle: GEWISTA 2008a, o.S. (oben) und eigene Aufnahme (unten)

103 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Bei CBW sind insgesamt 10 Mitarbeiter mit dem Management des Systems beschäftigt. Neben Projektleiter Mag. Dieter Matuschek und Betriebsleiter DI Dr. Hans-Erich Dechant, die sich um das Gesamtmanagement des FVS kümmern, ist ein weiterer Büromitarbeiter für die Homepage, die Hotline und das elektronische Abrechnungs- und Verwaltungssystem zuständig. Außerdem sind sieben Techniker im Außendienst für die Wartung und Pflege der Fahrräder und der Stationen verantwortlich. Je nach Reparaturbedarf und Tageszeit sind drei bis fünf mobile Servicemitarbeiter parallel im Einsatz oder im Bereitschaftsdienst. Ein Techniker fährt mit einem Transportfahrzeug (PKW) samt Anhänger, auf dem Platz für bis zu 20 Citybikes ist, die großen Stationen des FVS ab und hat neben den üblichen Kontroll- und Reparaturmaßnahmen die Aufgabe, Citybikes zwischen vollen und leeren Stationen umzuverteilen. Die anderen mobilen Techniker sind selber auf Liegefahrrädern unterwegs, die mit einem speziellen Anhänger ausgestattet sind, in dem einerseits das Werkzeug und Ersatzteile mitgeführt werden, und mit dem andererseits auch bis zu drei Citybikes transportiert werden können (vgl. Abb. 25).

5.3.3. Der Ausleihmechanismus

Wie bei anderen FVS der dritten Generation ist auch bei CBW eine Identifizierung des Nutzers notwendig, wobei die einmalig zu entrichtende Anmeldegebühr von € 1,00 als Fahrtguthaben gutgeschrieben wird. Die Anmeldung kann sowohl per Post als auch im Internet oder direkt an den Service-Terminals jeder Station durchgeführt werden, vorausgesetzt man besitzt eine österreichische Bankomatkarte (Maestro-Karte) oder eine Kreditkarte. Nutzer, die sich mit Hilfe einer dieser beiden Karten registrieren, brauchen keine weitere Kundenkarte zu beantragen, müssen anfallende Kosten bei gebührenpflichtigen Fahrten aber immer direkt am Serviceterminal bezahlen. Kunden, die ein Konto bei einer österreichischen Bank besitzen und eventuelle Gebühren gerne per automatischem Bankeinzug bezahlen möchten, können bei der Anmeldung eine „ Citybike Card “ bestellen, die ihnen innerhalb von 3 Wochen zugeschickt wird. Zusätzlich zu einer „Citybike Card“ können weitere Partnerkarten beantragt werden, um auch mit mehreren Personen (z.B. als Familie) gemeinsam zu Lasten eines Kontos Fahrten mit Citybikes unternehmen zu können. Interessenten, die weder über ein österreichisches Konto, noch über eine Kreditkarte verfügen, können an verschiedenen Ausgabestellen die sog. „ Citybike Tourist Card “ für € 2,00 pro Kalendertag entleihen. Die Abrechnung anfallender Gebühren erfolgt in bar, wenn die Karte wieder zurückgegeben wird. Für alle beschriebenen Karten gilt, dass immer nur 1

Citybike pro Karte entliehen werden kann (vgl. GEWISTA 2008a, o.S.).

Vor jedem Entleihvorgang muss je nach Art der Registrierung eine der vier genannten Karten in das Kartenlesegerät am Stationsterminal eingeführt und zusätzlich das persönliche

104 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Nutzerpasswort eingegeben werden. Dann kann der Kunde am Touchscreen eines der verfügbaren Citybikes auswählen und es anschließend aus der entsprechenden Bikebox entnehmen. Zur Freigabe des Fahrrades muss er den grün leuchtenden Knopf an der Bikebox drücken und das Rad anschließend mit einem leichten Ruck nach hinten aus der Schließvorrichtung ziehen. Da die Citybikes über eine abschließbare Lenkersperre verfügen, sind kurze Zwischenstopps während der Entleihzeit möglich. Weil die Lenkersperre jedoch keine optimale Sicherheit bietet, sondern nur das Wegfahren aber keinen Diebstahl verhindern kann, empfiehlt CBW , bei längeren Fahrtunterbrechungen ein zusätzliches privates Fahrradschloss zu benutzen, wenn ein Kunde sein Citybike unbeaufsichtigt stehen lassen möchte.

Um den Entleihvorgang zu beenden, kann das Citybike an jeder beliebigen Station mit mindestens einem freien Stellplatz zurückgegeben werden. Beim Einschieben des Rades beginnt an der Bikebox ein grünes Lämpchen zu blinken. Wenn das Licht durchgehend leuchtet, ist das Fahrrad korrekt eingeschoben worden, so dass das System das Citybike erkennt, verriegelt und der Entleihvorgang ordnungsgemäß abgeschlossen ist. Sollte an einer Station keine Bikebox frei sein, kann der Nutzer am Terminal seine Karte einführen. Das System erkennt die Situation und bietet automatisch eine kostenlose Verlängerung der Fahrtzeit um 15 Minuten an. Weiterhin kann der Kunde sich im Stationsplan am Bildschirm des Service-Terminals informieren, welche Stationen in der Nähe noch über leere Bikeboxen verfügen.

Eine Altersbeschränkung für die Nutzung von CBW gibt es grundsätzlich nicht. Allerdings müssen Kinder mindestens 12 Jahre alt sein, um alleine mit einem Citybike fahren zu dürfen. Jüngere Kinder müssen von einer mindestens 16 Jahre alten Person begleitet werden (vgl. vgl. GEWISTA 2008a, o.S.).

5.3.4. Die Fahrräder

Die Leihfahrräder des Systems CBW sind von robuster Bauart und technisch recht einfach gehalten. Sie verfügen über eine Trommelbremse am Vorderrad, eine Rücktrittbrems, einen dank Schnellspanner höhenverstellbaren Sattel, eine Lenkersperre und ein automatisches Dynamo- und Lichtsystem. Ein Sensor registriert die Helligkeit der Umgebung und schaltet das Licht bei Dunkelheit automatisch ein. Um den Reparaturaufwand zu minimieren und das Problem platter Reifen zu umgehen, sind die Citybikes mit Vollgummibereifung ausgestattet. Eine Gangschaltung und einen Gepäckträger haben sie nicht. Kleinere Gegenstände können aber problemlos im Korb an der Vorderseite des Citybikes transportiert werden. Jedes Citybike hat eine eigene Nummer, über die es vom System erkannt wird. Auf diese Weise

105 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich werden beispielsweise die Nutzungszeiten für die Kostenabrechnung erfasst. Sollte ein Citybike beschädigt sein, können Kunden den Schaden direkt am Service-Terminal melden. Hierbei kann der Nutzer am Bildschirm die defekten Teile innerhalb einer vorgegebenen Liste und die Nummer der Bikebox, in der das kaputte Rad steht, angeben. So kann das System die Schadensmeldung und die Art des Defekts dem richtigen Fahrrad zuordnen. Daraufhin informiert der Zentralcomputer des Systems die Servicetechniker über die Nummer, den Standort und den Schaden des betreffenden Citybikes. Je nach Aufwand und Ersatzteilbedarf, werden die Reparaturarbeiten dann direkt vor Ort oder in der Werkstatt des Zentrallagers durchgeführt.

5.3.5. Kosten und Finanzierung

Die Entleihzeit beginnt mit der Entnahme eines Citybikes aus einer Bikebox und endet mit der Rückgabe des Citybikes in eine Bikebox. Die erste Stunde jeder Fahrt ist kostenlos, erst ab der zweiten Stunde einer durchgehenden Nutzung fallen Gebühren an (vgl. Tab. 8). Nach Angaben von CBW enden jedoch über 95% aller Fahrten innerhalb einer Stunde und sind damit für den Nutzer gratis.

Tab. 8: Übersicht über die Nutzungsgebühren des Systems CBW

Nutzungszeit Kosten

1. Stunde GRATIS 2. Stunde € 1,00 für die angefangene Stunde 3. Stunde € 2,00 für die angefangene Stunde 4. Stunde € 4,00 für die angefangene Stunde 5. bis max. 120. Stunde € 4,00 für jede angefangene Stunde

Quelle: eigene Darstellung nach GEWISTA 2008a, o.S.

Der Wert der Citybikes wird auf der Internetseite von CBW mit € 600,00 angegeben. Entsprechend fällt bei einer Nichtrückgabe innerhalb von 120 Stunden - aus welchem Grund auch immer - oder bei Verlust des Fahrrades anstelle des Stundentarifs ein Pauschalentgelt von € 600,00 an. 15 Minuten nachdem ein Kunde eine Fahrt beendet hat, erhält er wieder eine kostenlose erste Stunde für einen weiteren Entleihvorgang.

Die Kosten für den laufenden Betrieb von CBW übernimmt die Gewista. Als Kalkulationsbasis gibt CBW Kosten von € 25.000,- pro Jahr und Station an. „ Diese Bench Mark bezieht sich nicht auf die laufenden Kosten, sondern bildet die kompletten Kosten je

Station inklusive anteiliger Abschreibungen .“ (MATUSCHEK 2008, o.S. – EMAIL ) Hinzu kommen die Einnahmen aus den Sponsorenverträgen. Die erste Ausbauphase des Systems, also die ersten 50 Stationen innerhalb des Gürtels, wurden komplett von der Gewista

106 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich finanziert. „Bei allen folgenden Stationen gab es unterschiedliche Finanzierungsmodelle. Die Investitionskosten werden in der Regel aus dem Zentralbudget der Stadt und z.T. aus dem Budget des entsprechenden Bezirkes finanziert.“ (ebd.) Die Investitionskosten für die Errichtung einer neuen Station beziffert die Gewista je nach Stellplatzanzahl mit etwa € 50.000 bis 70.000, die Kosten für den Ausbau bestehender Stationen liegen entsprechend darunter.

Die Einnahmen aus den beiden Sponsorenverträgen mit dem Milchverarbeiter „Emmi“ und der „Raiffeisenlandesbank NÖ Wien“ bewegen sich in etwa im Bereich von € 100.000. Der genaue Betrag hängt von vertragsspezifischen Details ab. „Das Sponsorenpaket umfasst die Werbung auf den Citybikes und den Bike-Boxen, die Logopräsenz in allen genutzten Medien (Info-Folder, Flyer, Terminal-Bildschirm, Homepage, City Light- und Rolling Board- Kampagne…) sowie nach Wunsch und Vereinbarung auch die Lackierung der Räder in der jeweiligen Sponsorenfarbe. Weitergehende Kooperationen sind natürlich möglich (z.B.: Samplingaktion von Emmi Cafe Latte am Bikefestival 08, Raiffeisen lässt Flyer von Mitarbeitern in Maskottchen-Kostümen verteilen, die mit Raiffeisen Citybikes unterwegs sind).“ (ebd.)

Die Stadt Wien ist kein Sponsor, sondern Partner von CBW , indem sie den öffentlichen Grund zur Verfügung stellt, auf dem die Stationen errichtet werden. Städtische Subventionen zur Deckung der laufenden Betriebskosten erhält CBW keine, allerdings wurden die bisherigen Systemerweiterungen der zweiten Ausbauphase (ab der 50. Station) aus kommunalen Mitteln finanziert: fünf Stationen im 12. Bezirk (2007) und sechs im zweiten und 20. Bezirk (2008) wurden von den jeweiligen Bezirken und der Stadt mit Mitteln aus der neuen Parkraumbewirtschaftung bezahlt. Zusätzlich haben sich in 2008 erstmals direkt vor Ort ansässige Firmen als Sponsoren der neuen Stationen beteiligt. Als Gegenleistung für die Mitfinanzierung fällt den Unternehmen das Branding auf den entsprechenden Bikeboxen und Terminals zu. „Damit wird ein Langzeit-Werbeeffekt und eine Bekanntheitssteigerung im unmittelbaren Einzugsgebiet erreicht. Dem Unternehmen kann dies zusätzlich einen Imagegewinn im Öko-Segment bringen. Angesprochen wird nicht nur die Zielgruppe der Umweltbewussten und RadfahrerInnen – durch die unmittelbare Nähe zu den U-Bahn- Stationen kommen auch eine Vielzahl der Fahrgäste an den Citybike-Stationen vorbei.“ (CBW 2008, S. 1f. und GEWISTA 2008c, o.S.).

„Ein Fahrradverleihsystem in dieser Form ist sicher nicht mit den Bikes allein (Werbung auf Bikes und etwaige Jahresgebühren) zu finanzieren. Jeder Betreiber benötigt von der Stadt entweder Geldbeträge oder Werberechte, um dieses System finanzieren zu können “, erklärt Matuschek im Interview. „ Es gibt allerdings keinen Vertrag zwischen der Stadt Wien und der

107 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Gewista bezüglich Werberechten und Citybike Wien .“ Nur bei der Finanzierung der Stationen beteiligt sich die Stadt wie oben beschrieben.

„Ein Beitrag zum Erfolgsrezept ist die Gratisfahrt von 1 Stunde und die Rückgabe bei jeder beliebigen anderen Station. Damit ist das Citybike das einzige „individuelle öffentliche Verkehrsmittel“. Mit Stolz können wir berichten, dass unser System in Wien Vorreiter war und einen internationalen Boom ausgelöst hat. Derzeit gibt es europ aweit bereits 14 Bikesysteme, die auf der Erfahrung von unseren Wiener Citybikes aufbauen. Auch in Österreich gibt es derzeit großes Interesse. So streben Graz und Klagenfurt ein derartiges, modernes Radentlehnsystem an.“

Karl Javurek (Generaldirektor Gewista, Mai 2008)

5.3.6. Marktentwicklung, Nutzerzahlen und Zukunftsaussichten

CBW erfreut sich seit seiner Einführung im Jahr 2003 ständig zunehmender Beliebtheit , wie Tab. 9 deutlich macht. Innerhalb von 4 Jahren hat sich die Zahl der registrierten Nutzer von etwa 30.000 am Ende der Saison 2004 auf knapp 160.000 im November 2008 mehr als verfünffacht. Seit Beginn des Jahres 2005 sind jährlich etwa 40.000 neue Kunden hinzugekommen. Die Gesamtzahl registrierter Nutzer setzt sich allerdings aus der kumulierten Menge aller Anmeldungen seit dem Betriebsstart in 2003 zusammen, da registrierte Kunden nicht automatisch aus der Datenbank entfernt werden, wenn sie CBW für längere Zeit nicht genutzt haben. Nach Angaben von CBW entlehnen nur etwa 60.000 – 70.000 Benutzer pro Jahr tatsächlich regelmäßig Fahrräder des Systems.

Tab. 9: Entwicklung der Nutzungszahlen in den Jahren 2004 – 2008

Saison 2004 2005 2006 2007 2008 (Stand: 01.11.08) registrierte Nutzer (kum.) 29.518 42.000 75.800 117.980 159.000 Anzahl Fahrten pro Jahr 95.700 200.000 277.700 336.700 335.000 gefahrene Km pro Jahr 228.975 600.000 867.000 1.077.000 1.175.000

Quelle: eigene Darstellung nach Daten von GEWISTA 2008

Die Anzahl der Fahrten pro Jahr und die der jährlich insgesamt zurückgelegten Kilometer 35 haben seit 2004 ebenfalls deutlich zugenommen, allerdings sind die Steigerungsraten bei

35 Die jährliche Kilometerleistung wird nicht gemessen, sondern schätzungsweise berechnet. Die Berechnung basiert auf 3 Variablen: einer angenommen durchschnittlichen Geschwindigkeit, einer Mindestdistanz zwischen Start- und End-Station und der Fahrtzeit (vgl. CBW 2008, o.S. – EMAIL ).

108 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich diesen beiden Variablen etwas geringer (vgl. Tab. 9). Wie zu erkennen ist, fiel vor allem die jährliche Steigerung in der Saison 2008 im Vergleich zu 2007 nicht mehr so groß aus wie in den Vorjahren, sondern es scheint ein „Nachfragesättigungspunkt“ erreicht worden zu sein. Dies dürfte insbesondere daran liegen, dass die Expansion der Systeminfrastruktur von CBW seit Ende der Saison 2004 nur sehr langsam voranschritt. So hat sich die Anzahl der Stationen zwischen 2005 und 2008 trotz zunehmender Beliebtheit von CBW insgesamt nur um 12 Stationen erhöht. Es ist jedoch anzunehmen, dass die Gesamtnachfrage deutlich größer ausfiele, wenn das System in diesen vier Jahren stärker ausgebaut worden wäre.

Die langsame Expansion des FVS ist allerdings nicht auf eine fehlende Motivation des Betreibers Gewista zurückzuführen, sondern erklärt sich vor allem durch den mangelnden politischen Willen, in Wien ähnliche Größenordnungen wie in Paris oder Lyon zu realisieren. Obwohl CBW für das System Vélo’v in Lyon Modell stand und im Großraum Wien fast doppelt so viele Menschen wohnen, wie im Großraum Lyon, verfügt Vélo’v etwa über viermal so viele Stationen und Fahrräder wie das System CBW . Auch die Fußball- Europameisterschaft 2008 in Österreich und der Schweiz wurde nicht als Chance wahrgenommen, das FVS deutlich auszubauen und damit die touristische Attraktivität der österreichischen Landeshauptstadt dauerhaft zu erhöhen und bei der Verkehrsabwicklung während der EM-Spieltage in Wien verstärkt auch auf öffentliche Leihfahrräder zu setzen (vgl. Exkurs).

EXKURS: FVS und Großveranstaltungen – CBW während der EM 2008

Als Hauptstadt eines der beiden Gastgeberländer der Fußball-Europameisterschaft 2008 erlebte Wien im Juni 2008 ein besonders hohes Besucher- und Touristenaufkommen. Mit insgesamt 7 Spielen (u.a. dem Finale) war Wien der Hauptaustragungsort der EM. Derartige Sport-Großveranstaltungen stellen insbesondere an die Abwicklung des Verkehrs enorme organisatorische Herausforderungen. Um die im Rahmen der EM zusätzlich entstehenden Verkehrsaufkommen bewältigen zu können, wurde zusätzlich zu den Autoparkplätzen am Ernst- Happel-Stadion eine eigene U-Bahn Station eingerichtet, um das Stadion direkt mit dem Stadtzentrum zu verbinden. Neben diesem Ausbau der Linie U2 ist das Stadion auch mit dem Bus und der Straßenbahn gut zu erreichen. Die Idee, einen Teil der enormen Verkehrsnachfrage durch eine deutliche Expansion des CBW - Angebotes in der Stadt zu lösen, wurde leider kaum verfolgt. So wurden vor Beginn der EM zusätzlich zu den seit 2007 bestehenden 54 lediglich 4 neue Verleihstationen im 2. Bezirk, in dem sich auch das Stadion befindet, eingerichtet. Gleichzeitig mussten während der EM zwei Stationen in der Fanmeile (Volksgarten und Rathaus) wegen der Vorgaben der UEFA geschlossen werden. Im Gegenzug wurden aber die angrenzenden Stationen, Museumsquartier, Sigmund-Freud-Park und Fahnengasse um einige Stellplätze erweitert, um einen Ausgleich zu schaffen. Da auch die direkt am Stadion gelegene Verleihstation aufgrund von UEFA-Auflagen geschlossen werden musste und die Gewista mit einigen radfahrenden Fußballfans rechnete, wurde an Spieltagen eine temporäre Citybike- Abgabestelle (eingezäunter Bereich) mit einer Kapazität für 300 Citybikes errichtet. Die EM 2008 brachte erwartungsgemäß einen leichten Anstieg der Fahrten mit Kreditkarten und Touristcards, gleichzeitig aber eine Reduktion der Fahrten mit Bankomat-/Maestrokarte, also eine

109 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich verminderte Nachfrage durch einheimische Nutzer. Dies lässt sich vor allem darauf zurückführen, dass Teile des „Rings“ für den Verkehr gesperrt wurden (Bannmeilen und Fanzonen) und somit auch der Fahrradverkehr behindert und unterbunden wurde. „Alles in allem verlief die EM für uns relativ ruhig. Vandalismus war auch während der EM kein Problem, auch bei Diebstählen bzw. temporär abhanden gekommenen Rädern gab es keinen nennenswerten Anstieg. Das Kundenfeedback über Hotline und Email war durchwegs positiv bis begeistert .“ (MATUSCHEK 2008, o.S. – EMAIL ) Auch wenn die EM einerseits nicht als Chance genutzt wurde, das FVS deutlich auszubauen, um sowohl während des Fußballturniers als auch danach von einem erweiterten CBW -Angebot dauerhaft zu profitieren und eine vergleichbare Größenordnung wie bspw. in Lyon zu erreichen, zeigt andererseits der Einsatz der mobilen Abgabestelle am Stadion, dass öffentliche FVS durchaus auch dafür geeignet sind, flexibel für bestimmte Großveranstaltungen eingesetzt zu werden oder auf andere kurzzeitige Nachfragesteigerungen individuell zu reagieren. Durch einen entsprechenden Lagerbestand an zusätzlichen Fahrrädern und die Verfügbarkeit mobiler Abstellanlagen kann das Angebot eines FVS an bestimmten Orten und für kurze Zeit erweitert und ergänzt werden, auch ohne eine dauerhafte Infrastruktur installieren zu müssen. Damit erweitert sich das Spektrum möglicher Einsatzzwecke um einen wichtigen Baustein, der die Einführung eines FVS für Städte zusätzlich interessant macht. Quelle: UEFA 2008, o.S.

Wie die Nutzerdaten der Gewista zeigen, wird CBW vor allem von einheimischen Kunden genutzt. So besitzen die meisten registrierten Nutzer eine Wiener Anschrift und auch der Anteil der Fahrten, die mit einer Citybike Tourist Card durchgeführt werden, ist mit 2% in

2006 bzw. 3% in 2007 vergleichsweise gering (vgl. GEWISTA 2008a, o.S.).

Abb. 26: Anzahl der Fahrten in den Saisons 2006 und 2007 im Vergleich

Quelle: GEWISTA 2008b, o.S.

110 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Abb. 26 stellt die Gesamtzahl der Fahrten innerhalb jedes einzelnen Monats der Jahre 2006 und 2007 dar. Ähnlich dem Jahresgang eines Temperaturprofils unserer Breitenlage ist auch in dieser Abbildung ein deutlicher „ Jahreszeiten-Trend “ erkennbar. Während sich das Angebot von CBW in der Zeit von April bis Oktober großer Beliebtheit erfreut, werden die Citybikes in den ersten Frühlingsmonaten und im späten Herbst deutlich seltener benutzt. Das Wetter scheint also einen deutlichen Einfluss auf die Nutzungshäufigkeiten im Jahresverlauf zu haben. Um das Angebot der schwankenden Nachfrage anzupassen, stellt CBW in den Spitzenmonaten eine etwas höhere Menge an Fahrrädern bereit und dünnt das Angebot vor der Winterpause langsam aus, um es ab dem Frühjahr schrittweise wieder zu erhöhen.

Auch die durchschnittliche tägliche Nutzungszeit pro Fahrrad schwankt im Jahresverlauf stark. In den Spitzenmonaten sind die Räder im Schnitt jeweils 1,25 Stunden pro Tag im Einsatz, während im Dezember nur ein Wert von 0,5 Stunden erreicht wird (vgl. CBW 2008, o.S. – EMAIL ). Im Vergleich zu den FVS in Paris, Lyon oder Barcelona, deren Räder täglich mehrere Stunden im Einsatz sind, ist diese Wert jedoch sehr gering.

Abb. 27: Durchschnittliche Nutzung pro Tag in Stunden Saison 2006 und 2007

Quelle: GEWISTA 2008b, o.S.

Auffällig ist weiterhin die ungleichmäßige Verteilung der Citybikes an den Stationen im Tagesverlauf. Da viele Ausbildungs- und Berufspendler die Fahrräder benutzen, um abends aus den Innen- in die Außenbezirke zu gelangen, stehen in den frühen Morgenstunden im Zentrum kaum Fahrräder zur Verfügung. Verstärkt wird dieser Effekt durch den „ Nachtpeak “ (vgl. Abb. 28). In den ersten Stunden nach Mitternacht steigt die Anzahl der Entleihvorgänge

111 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich nämlich noch einmal deutlich an. Dies ist damit zu erklären, dass nach Betriebsschluss der Wiener Verkehrsbetriebe zu später Stunde plötzlich wieder mehr Kunden auf die Citybikes zurückgreifen, weil keine anderen öffentlichen Verkehrsmittel mehr zur Verfügung stehen. Nach einem Kino-, Theater- oder Kneipenbesuch nutzen viele Kunden die Citybikes, um auch zu nächtlicher Stunde noch aus der Innenstadt nach Hause zu fahren. Die Citybikes sind also auch ein beliebtes „ Nachtverkehrsmittel “. Erst mit den morgendlichen Einpendlerströmen in die Innenbezirke füllen sich die zentralen Bikeboxen des Systems wieder, während dann viele der weiter außen in den Wohngebieten gelegenen Stationen leerstehen oder nur mit wenigen Rädern bestückt sind. Diese ungleichmäßige Verteilung der Fahrräder innerhalb des Systems versuchen die CBW -Mitarbeiter zu korrigieren. „ Durch manuelle Umverteilungen, verbunden mit der jahrelangen Erfahrung, können wir diesem Effekt relativ gut entgegenwirken. Detailierte, zusammenfassende Statistiken dazu gibt es derzeit nicht, da wir die Verteilung gut im Griff haben und somit Auswertungen des Füllgrades der Stationen ausreichen. “ (MATUSCHEK 2008, o.S. – Email)

Abb. 28: Nutzungshäufigkeiten im Tagesverlauf (Sommer und Winter)

Winter : Oktober – Februar Sommer : März - September

Quelle: eigene Darstellung nach Angaben von GEWISTA (E MAIL )

Die häufigste Entleihdauer der Citybikes beträgt 10 Minuten, die durchschnittliche Fahrtzeit etwa 22 Minuten und weniger als 5% aller Fahrten dauern länger als 1 Stunde und sind damit kostenpflichtig (vgl. Abb. 29).

112 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Abb. 29: Entleihdauer der Citybikes

Quelle: GEWISTA 2008b, o.S.

Vor allem jüngere Zielgruppen nutzen das Angebot von CBW . Etwa die Hälfte aller Kunden sind zwischen 20 und 29 Jahre alt, ganze 85% sind jünger als 40 Jahre. Dafür gibt es verschiedene Erklärungen. Einer Befragung der Stadt Wien zufolge ist der Anteil dieser Altersgruppe am Radverkehrsaufkommen allgemein recht hoch (vgl. STADT WIEN 2006, S.30). Ein weiterer möglicher Grund ist, dass an den online durchgeführten Kundenumfragen tendenziell mehr jüngere Nutzer teilnehmen, um sich als „Belohnung“ ein Fahrtguthaben zu sichern. Außerdem spricht das innerhalb der ersten Stunde kostenlose Angebot von CBW vor allem viele Studenten der Universität Wien an, insbesondere solche aus den anderen

Bundesländern (vgl. MATUSCHEK 2008, o.S. – EMAIL ).

Derartige Kenntnisse über die Hauptnutzergruppen des Systems sind beispielsweise für potentielle Sponsoren und Werbepartner hochinteressant. So hat sich der Schweizer Milchverarbeiter „Emmi“ für die Citybikes als Werbeträger entschieden, da das Unternehmen auf diese Weise seine Werbung für das Produkt „ Emmi CAFFÈ LATTE “ gezielt bei seiner jungen, urbanen, kreativen und mobilen Kernzielgruppe platzieren kann.

Sowohl die Gewista, als auch die Stadt Wien sind daran interessiert, das Angebot von CBW in den nächsten Jahren weiter auszubauen. Der Wiener Stadtrat DI Rudi Schicker hat 2008 von einer Verdopplung bis Verdreifachung des Systems innerhalb der nächsten 5 Jahre gesprochen. Bisher steht fest, dass im Jahr 2009 sechs neue Stationen errichtet werden sollen, über weitere Standorte wird bereits verhandelt. „ Wir von der Gewista und einige Experten meinen, dass wir mittel bis langfristig auf 180 Standorte kommen könnten. “

(MATUSCHEK 2008, o.S. - INTERVIEW ).

113 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Und auch andere österreichische Städte denken über die Einführung eines FVS nach. „ Aus Klagenfurt gibt es derzeit keine eindeutigen Signale für oder gegen ein Citybike System. In Graz hat uns Vizebürgermeisterin Rücker im Sommer diesen Jahres mitgeteilt, dass eine andere Lösung angestrebt wird .“ (ebd) In Salzburg gibt es eine Prototyp-Station des Systems City-Bike, allerdings bisher kein Stationen-Netzwerk. Dennoch können in Wien registrierte Kunden die Fahrräder in Salzburg nutzen und umgekehrt.

5.3.7. Stärken und Schwächen von CBW – eine Bewertung

Als Vorläuferprojekt der deutlich größeren FVS aus Lyon und Paris hat CBW wichtige Pionierarbeit für das System Cyclocity® geleistet. Viele technische Ansätze und grundlegende Bausteine des Konzepts sind in Wien entworfen und ausprobiert worden. „Die Gewista hat nicht nur das logistische sondern auch das elektronische Abrechnungssystem und Verwaltungssystem für das Citybike entwickelt und optimiert. Darin steckt enormes Know-how , das zusätzlich vermarktet wird “ erklärt KR Karl Javurek, Generaldirektor der

Gewista (vgl. GEWISTA 2008b, o.S.).

Wie Irene Groh in Ihrer Diplomarbeit über CBW u.a. herausgefunden hat, sind die meisten Kunden äußerst zufrieden mit dem Serviceangebot des Systems. Vor allem der Zustand der Stationen und der Fahrräder wird als gut bewertet. Etwas weniger gut wird dagegen die Verfügbarkeit der Citybikes beurteilt. Dieses Ergebnis passt inhaltlich auch zu der am häufigsten genannten Antwort auf die Frage, was Kunden am System CBW verbessern würden: 65% der befragten Nutzer schlagen vor, die Anzahl der Stationen des Systems zu erhöhen, wodurch sich die Verfügbarkeit der Citybikes verbessern würde.

Weiterhin positiv zu bewerten ist, dass CBW gut an traditionelle öffentliche Verkehrsmittel angebunden ist. Da sich die meisten Stationen in unmittelbarer Nähe von Haltestellen des ÖPNV befinden, wird das Umsteigen innerhalb des Umweltverbundes vereinfacht. Auch dass die Stationen rund um die Uhr geöffnet sind, ist zu begrüßen. Im Tagesverlauf der Nutzungshäufigkeiten ergibt sich dadurch der bereits beschriebene Effekt, dass in der Nacht die Anzahl der Entleihvorgänge für zwei bis drei Stunden nochmals deutlich ansteigt.

Ein weiterer Pluspunkt von CBW ist die informative und detaillierte Webseite des Systems

(vgl. GEWISTA 2008a, o.S.). Auf dieser bekommen Kunden und Interessierte viele wichtige Informationen rund um das Angebot von CBW zur Verfügung gestellt. Über den interaktiven Stationsplan kann man zu jeder Zeit die Daten aller Stationen des FVS einsehen. Drei fortlaufende Tachometer auf der rechten Seite zeigen ständig die Summe der gefahrenen Jahreskilometer, die gefahrenen Tageskilometer und die Anzahl der zum Zeitpunkt gerade fahrenden Citybikes an und animieren dadurch auch den Besucher der Homepage zum Aufsteigen.

114 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Seit dem Jahr 2008 können die wichtigsten Informationen zu jeder Verleihstation des Systems auch per Handy abgerufen werden. Diese Servicefunktion ermöglicht es den Kunden beispielsweise, sich während der Fahrt über den Belegungsgrad der anvisierten Zielstation zu informieren oder unterwegs in einem anderen öffentlichen Nahverkehrsmittel festzustellen, ob und an welcher Haltestelle ein freies Citybike zur Verfügung steht. Zu jeder Station ist ein Umgebungsplan in 5 verschiedenen Zoom-Stufen abrufbar, um auch als Ortsunkundiger eine Station sicher finden zu können. Einzige Voraussetzung der speziell für Mobiltelefone optimierten Website (cbw.at) ist ein internetfähiges Handy. Als weiteres nützliches Feature können beispielsweise die Citybike-Stationen entlang der Fahrtstrecke einer bestimmten U-Bahn-Linie abgerufen werden. CBW ist bemüht, seinen Kunden möglichst praktische Hilfen und Services zur Verfügung zu stellen, um das System besonders benutzerfreundlich zu gestalten. Die Betreiber von CBW nehmen die Wünsche ihrer Kunden ernst. So hatte eine Umfrage unter den CBW -Nutzern im Jahr 2007 ergeben, dass viele Teilnehmer sich einen durchgängigen Betrieb auch über Weihnachten und Neujahr wünschten. CBW nahm diese Idee auf und bietet die Fahrräder in der Saison 2008 erstmals durchgängig vom 01.01. bis zum 31.12.08 an.

Der Ausleihmechanismus ist bei CBW besonders unkompliziert geregelt. In der Praxis dauert der Entleihvorgang nicht länger als eine halbe Minute, da man lediglich seine Karte und den persönlichen Nutzercode braucht, um ein Fahrrad zu entleihen. Eine weitere Stärke des Systems ist, dass für die Benutzung keinerlei Grundgebühr oder Abonnementgebühr erhoben wird, sondern eine vollkommen kostenlose Nutzung möglich ist, solange man ein Citybike nicht länger als 60 Minuten am Stück verwendet.

Der Erfolg von CBW dürfte auch zur Steigerung des Radverkehrsanteils am Modal Split in der Stadt Wien von 4% im Jahre 2003 auf 6% im Jahre 2005 beigetragen haben. Auf einzelnen Strecken in der Wiener Innenstadt, wo sich die meisten der CBW -Stationen befinden, wurden in 2005 sogar Radverkehrsanteile von 20% gemessen. Ziel der Stadtverwaltung ist es, den Radverkehrsanteil in der Stadt Wien in den kommenden Jahren auf 8% zu erhöhen, erklärte DI Rudolf Schicker, Wiener Stadtrat für Stadtentwicklung und Verkehr (vgl. STADT WIEN 2006a, o.S.).

Als eine Schwäche des Systems ist der geringe Komfort der Citybikes zu nennen. So gaben 21% der von Irene Groh im Rahmen ihrer Diplomarbeit nach Optimierungsvorschlägen befragten Nutzer an, das Fahrrad verbessern zu wollen. Denn ohne Gangschaltung und auf harten Vollgummireifen sind längere Fahrten nicht wirklich ein Genuss. Allerdings sind diese nach Auskunft der Betreibergesellschaft auch gar nicht Ziel des Angebotes. Die Gewista hat die Citybikes vornehmlich als eine Ergänzung zu traditionellen öffentlichen Verkehrsmitteln und zur Optimierung der Mobilität in einem

115 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Umkreis von bis zu 3 km konzipiert und betont, dass diese nicht für die Nutzung über einen längeren Zeitraum, sondern vor allem für Kurzstreckenfahrten in der Wiener Innenstadt gedacht sind (vgl. GEWISTA 2008a, o.S.). Abb. 29 zeigt, dass das System von den Kunden auch entsprechend angenommen und genutzt wird.

Für ungeübte Nutzer des Systems kann der Rückgabevorgang in seltenen Fällen mit Komplikationen verbunden sein. Zwar ist es nicht schwierig, das Citybike in korrekter Weise in die Halterung der Bikebox zurück zu schieben, um den Schließmechanismus auszulösen und den Entleihvorgang ordnungsgemäß zu beenden, doch kommt es auch immer wieder vor, dass ungeübte Benutzer ein Fahrrad vermeintlich richtig zurückgegeben haben, das Citybike tatsächlich aber nicht korrekt in der Halterung der Bikebox steckt. In diesem Fall können zwei Probleme auftreten: Erstens wird die Fahrt vom System nicht als abgeschlossen verbucht, so dass die Nutzungszeit entsprechend weiterläuft und Kosten verursacht, und zweitens kann das Citybike von Dritten entwendet werden, so dass der Kunde finanziell ggf. für den Verlust des Fahrrades aufkommen muss. Nach der Rückgabe eines Citybikes an einer Station sollten Nutzer sich daher immer vergewissern, dass das Licht an der Bikebox durchgehend grün leuchtet.

Trotz des Erfolges wuchs das System CBW seit 2005 leider nur sehr langsam. Selbst die Fußball-Europameisterschaft 2008 in Österreich und der Schweiz wurde von der Stadt Wien nicht als Chance gesehen, das System deutlich zu erweitern und an die Erfolge von Paris und Lyon anzuknüpfen. Es bleibt abzuwarten, ob die seitens der Stadt Wien angekündigten Pläne , die Anzahl an Stationen von 2008 bis 2013 auf 180 Stück zu verdreifachen, wirklich in die Tat umgesetzt werden. Matuschek erklärte dazu im Interview: „ Gemeinderat Lindenmayr hat Ende November in einer Presseaussendung angekündigt, dass in den nächsten 2 Jahren 14 Stationen errichtet werden sollen. 50% (bzw. höchstens € 32.500,--) werden jeweils von der Stadt übernommen, der Rest muss durch die Bezirke oder Sponsoren aufgebracht werden. Diese Aussage wurde von Politiker ausgesendet, aber es gibt noch keine konkrete Vereinbarung mit uns, die alle relevanten Fragen abdeckt. Daher können wir dazu frühestens Anfang 2009 weiteres sagen .“

Kontakt:

Gewista mbH Litfaßstraße 6, Tel.: + 43 (0)1 – 79 5 97 0 1030 Wien Fax: + 43 (0)1 – 79 5 97 99 Internet: www.citybike-wien.at Email: [email protected]

116 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

5.4. Cyclocity® - das Erfolgsmodell der Firma JCDecaux

In diesem Kapitel soll das FVS Cyclocity® des französischen Spezialisten für Außenwerbung JCDecaux analysiert werden. Als inzwischen weltgrößter Anbieter von FVS hat JCDecaux entscheidend zur Popularität öffentlicher Leihfahrräder beigetragen. Als Fallbeispiele werden die Städte Lyon und Paris vorgestellt.

„In sehr kurzer Zeit wurden wir von einer Kuriosität zu einer echten neuen Ver kehrsart. Wir sind zu einem Teil des öffentlichen Nahverkehrs geworden.“ „In wenigen Jahren werden alle französischen Großstädte ein FVS haben!“ Jean-Francois Decaux (Firmenchef von JCDecaux)

„It is clear that self -service bicycle hire in the city now cons titutes a firmly established trend. It represents an urban revolution at the beginning of the century.” Jean-Charles Decaux

5.4.1. Einführung - eine französische Werbefirma entdeckt das Fahrrad

Seit 2003 bietet die französische Werbefirma JCDecaux (JCD) ihr FVS „ Cyclocity® “ an, das auf Grundlage des Systems „ Citybike Wien “ (vgl. 5.2) entwickelt worden ist. JCD ist der größte Spezialist für Außenwerbung in Europa und die Nummer Zwei weltweit. In den 1960er Jahren hatte Jean-Claude Decaux, Gründer der Werbefirma, die Idee, Stadtreklame mit Dienstleistungsangeboten und Stadtmöblierung zu koppeln und erfand damit eine neue Form der Public-Private-Partnership (vgl. DWORSCHAK 2007, S.182 f.). Für die Vergabe von Werberechten im öffentlichen Raum über einen bestimmten Zeitraum erhält die jeweilige Stadt von JCD als Gegenleistung kein Geld, sondern ein öffentliches Dienstleistungs- angebot . Seither hat JCD immer neue Ideen und Produkte entwickelt und bietet inzwischen u.a. (interaktive) Haltestellenhäuschen für den ÖPNV, selbstreinigende Toilettenhäuschen, beleuchtete Stadtplantafeln, Altglascontainer und das FVS Cyclocity® als Gegenleistung für öffentliche Werbeflächen an. Letzteres findet seit seiner Einführung vor allem in Europa zunehmend Berücksichtigung bei der Entwicklung neuer, urbaner Verkehrskonzepte, da es sich umweltfreundlich und mobilitätsfördernd in bestehende ÖPNV-Systeme integrieren lässt. Cyclocity® ist der Überbegriff des Konzepts von JCD, die einzelnen Systeme in den verschiedenen Städten haben jeweils einen eigenen Namen. Nach der Einführung des FVS „Vélo’v “ in Lyon im Mai 2005 ist JCD innerhalb von knapp 20 Monaten zum größten

Anbieter von FVS weltweit aufgestiegen (vgl. JCD ECAUX 2007a, o.S.). JCD bietet sein System inzwischen in 16 Städten an (vgl. Tab. 10).

117 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Tab. 10: Übersicht der Standorte von Cyclocity® (Stand: Dezember 2008)

Anzahl Anzahl Einwohner Ort Eröffnung Name Stationen Räder (in 1000)

Lyon, Frankreich 343 4000 05.2005 Vélo’v 900 Paris, Frankreich 1.451 20.600 15.07.07 Vélib’ 2.100 Marseilles, Frankreich 130 1.000 12.10.2007 Le Vélo 900 Vélô 390 Toulouse, Frankreich 253 2.400 11. 2007 Toulouse Nantes, Frankreich 79 700 12. 2007 Bicloo 580 Besancon, Frankreich 30 200 09. 2007 VéloCité 115 Rouen, Frankreich 20 250 01. 2008 cy’clic 106 Mulhouse, Frankreich 35 200 09. 2007 VéloCité 234 Aix-en-Provence, 141 20 200 06. 2007 V´hello Frankreich Amiens, Frankreich 26 313 02. 2008 Vélam 137 Brüssel, Belgien 23 250 17.09.2006 Cyclocity® 1.080 Luxemburg, Luxemb. 25 250 21.03.2008 vel`oh! 78 Cordoba, Spanien 4 35 10. 2003 Eco-bici 325 Gijón , Spanien 8 64 06. 2004 Gijón -Bici 277 Sevilla, Spanien 253 2.500 07. 2007 700 Citybike Wien, Österreich 60 1.000 06. 2003 1.680 Wien Gesamt: 16 Standorte ca. 2639 Ca. 34.000 Stand: 12.2008 ------

Quelle: eigene Darstellung nach Presseinformationen von JCD ECAUX und jeweiligen FVS-Homepage

In ganz Frankreich ist die Begeisterung für "la petite reine", die kleine Königin, wie das Fahrrad auch liebevoll genannt wird, spätestens seit der Eröffnung des Systems „Vélib’“ in Paris riesengroß. Diese Euphorie hat sich mit der Zeit aber zunehmend auch in Europa ausgebreitet und inzwischen ist Vélib’ weltbekannt . Die Überschriften aus zahlreichen Zeitungen und Online-Artikeln belegen beispielhaft, wie die öffentlichen Leihfahrräder auch in den Medien auf großes Interesse stoßen und als erfolgreiche Nahverkehrsmittel gefeiert werden:

• „Vive la Vélorution“ (Spiegel, vom 29.10.2007)

• „Die neue Macht der Straße“ (Financial Times Deutschland, vom 16.08.2007)

• „Franzosen mausern sich zum Volk der Radfahrer“ (Die Welt, vom 21.06.2008)

• „Paris kommt auf Touren“ (www.stern.de, am 03.07.2008)

• „Paris hat Radfahren gelernt“ (Badische Zeitung vom 17. Juli 2008)

118 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

5.4.2. Die Organisationsstruktur

Das System Cyclocity® ist ein stationsgebundenes FVS (vgl. Abb. 30). Die Stationsinfrastruktur ist der von Citybike Wien sehr ähnlich, da das Wiener Modell der österreichischen Tochtergesellschaft Gewista als Vorbild bei der Entwicklung von Cyclocity® diente. Genau wie bei CBW besteht eine Entleihstation aus einem Service-Terminal und einzelnen im Boden verankerten Parkständern, an denen die Fahrräder eingeschoben werden. Da die Systeminfrastruktur und auch die Fahrräder von Cyclocity® ständig weiterentwickelt werden, bestehen von Stadt zu Stadt kleine Unterschiede in der technischen Ausstattung und einzelnen Funktionen. Während in Wien und in Lyon beispielsweise ein Touchscreen eingesetzt wird, funktioniert die Menüführung an den Stationsterminals des Systems Vélib’ in Paris über ein normales Display in Kombination mit einer Zahlentastatur. An den Bildschirmen der Serviceterminals können Informationen über den eigenen Nutzeraccount, über den genauen Standort anderer nahegelegener Stationen sowie über dort verfügbare Fahrräder oder Abstellplätze, innerstädtische Velorouten und die Nutzungsbedingungen abgerufen werden. Zur Bedienung stehen den Kunden an den Terminals mehrere Menüsprachen zur Auswahl. In Paris beispielsweise sind die Informationen für fremdsprachige Nutzer in Französisch, Englisch, Deutsch, Italienisch, Spanisch, Chinesisch, Japanisch und Arabisch verfügbar.

Abb. 30: Stationen des Systems Cyclocity® in Lyon (links) und Paris (rechts)

Quelle: o.A. 2008h, o.S. (links) und eigene Aufnahme (rechts)

Um einen reibungslosen Ablauf des Leihsystems zu gewährleisten, muss JCD dafür Sorge tragen, dass möglichst an jeder Station und zu jedem Zeitpunkt sowohl Fahrräder als auch freie Fahrradhalterungen zur Verfügung stehen. Um diesen Auflagen möglichst gut entsprechen zu können, bedarf es einer aufwendigen Systemlogistik und entsprechender

119 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Daten, die wie bei CBW online vom Terminal der jeweiligen Leihstationen an einen Zentralcomputer übermittelt werden. Dieser leitet die entsprechenden Informationen wiederum an die Serviceteams im Außendienst weiter, die für eine optimale Umverteilung der Räder zwischen den Stationen sorgen sollen. Durch das Angebot von Cyclocity® sind bei JCD zahlreiche neue Arbeitsplätze entstanden, insgesamt über 500 . Vor allem für die Wartung, Pflege und Umverteilung der Fahrräder besteht ein großer Personalbedarf (vgl.

JCD ECAUX 2007b, o.S.).

5.4.3. Der Ausleihmechanismus

Cyclocity® ist ein FVS der dritten Generation, entsprechend müssen Nutzer sich registrieren, bevor sie ein Fahrrad entleihen können. Bei der Registrierung können Kunden zwischen einem Kurz- und einem Langzeit-Abonnement wählen, wobei die Preise von Stadt zu Stadt variieren. Während Abonnements für eine eintägige bzw. einwöchige Nutzung mit einer Kreditkarte direkt am Stationsterminal erworben werden können, ist für eine Jahreskarte eine schriftliche Registrierung notwendig. Die Anmeldeformulare für das einjährige Abonnement sind sowohl online erhältlich, als auch in zahlreichen Einrichtungen (Touristeninformationen, Post, kooperierende Geschäfte, etc.) zu beziehen. In den meisten Städten bestehen Kooperationen zwischen Cyclocity® und den örtlichen Nahverkehrsunternehmen. So können Besitzer eines ÖPNV -Abonnements bei der Anmeldung beantragen, keine gesonderte Cyclocity® -Jahreskarte zu bekommen, sondern ihre ÖPNV-Kundenkarte für Cyclocity® freischalten zu lassen. Diese kann nach einer Bearbeitungszeit von maximal zwei Wochen dann zum Entleihen der örtlichen Leihfahrräder benutzt werden (vgl. JCD ECAUX o.J.a, S.4 f.).

Um ein Fahrrad aus seiner Halterung zu entnehmen, muss der Nutzer sich zunächst identifizieren. In den meisten Städten können Besitzer ihre Karte am Stationsterminal in das Lesegerät einführen und anschließend eines der am Bildschirm als verfügbar angezeigten Fahrräder auswählen. Nach der Identifizierung am Terminal hat der Nutzer 60 Sekunden Zeit, das ausgewählte Fahrrad mit einem leichten Ruck aus der Halterung zu lösen. Für Paris wurde der Identifizierungsmechanismus weiterentwickelt, um den Entleihvorgang noch unkomplizierter und benutzerfreundlicher zu gestalten. Vélib’ -Nutzer brauchen ihre Kundenkarte lediglich kurz über das Lesegerät an der Oberseite eines Parkständers zu halten, um die elektromagnetische Verrieglung zu öffnen und das entsprechende Fahrrad entnehmen zu können.

Um den Entleihvorgang zu beenden, können die Fahrräder an jeder beliebigen Station mit einem freiem Stellplatz zurückgegeben werden. Nach dem Einschieben des Rades in die vorgesehene Halterung signalisieren ein kurzes Tonsignal und das Blinken einer

120 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Leuchtdiode am Parkständer, dass das System das Fahrrad erkannt hat und der Entleihvorgang ordnungsgemäß abgeschlossen ist. Sollte an einer Station kein Stellplatz frei sein, kann der Nutzer seine Kundenkarte an das Lesegerät des Serviceterminals halten und bekommt automatisch eine kostenlose Verlängerung der Fahrtzeit um 15 Minuten angerechnet. Weiterhin kann der Kunde sich am Bildschirm des Terminals darüber informieren, welche Stationen in der Nähe noch über leere Parkständer verfügen.

Da am Korb der Cyclocity® -Fahrräder ein Spiralschloss angebracht ist, können die Räder bei kurzen Zwischenstopps sicher abgestellt werden. Cyclocity® -Kunden müssen mindestens 14 Jahre alt und 1,50 Meter groß sein. Minderjährige Nutzer können nur von Ihren Erziehungsberechtigten beim System angemeldet werden und brauchen von diesen eine schriftliche Autorisierung, um die JCD-Räder benutzen zu dürfen. Alle Nutzer sind verpflichtet, mit ihrer Versicherung zu klären, dass diese sämtliche mögliche Risiken, die mit dem Fahrradfahren verbunden sind, deckt.

Die Fahrräder des Systems stehen 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche und in den meisten Städten ganzjährig zur Verfügung. Damit Kunden sich auch unterwegs über die Verfügbarkeit von Fahrräder bzw. freien Abstellplätzen an einer Station informieren können, existiert eine Online-Servicefunktion, die für den Abruf mit Hilfe eines internetfähigen Handys optimierte Stationspläne und Stationsdaten zur Verfügung stellt (vgl. JCD ECAUX o.J.a, S.4 f.).

5.4.4. Die Fahrräder – Technik, Funktionen, Wartung und Service

Bei Cyclocity® kommen Stadtfahrräder mit tiefem Einstieg zum Einsatz, die aus qualitativ hochwertigen Materialien hergestellt sind, um einerseits besonders robust und andererseits einfach bedienbar zu sein. Um Vandalismus vorzubeugen, sind wesentliche Partien des Cyclocity® -Fahrrades mit einem Gehäuse verkleidet, welches den Zugang zu Brems- und Lichtkabeln versperrt. Ein Mikrochip , der im Lenkrad eingebaut ist, steht in Verbindung mit dem Terminal der Fahrradstation. Er erlaubt, nach dem Festmachen des Fahrrades in der vorgesehenen Halterung, eine permanente Kontrolle der Sicherheitsfunktionen des Fahrrades (Bremsen, Beleuchtung). Die Fahrräder verfügen über einen höhenverstellbaren Sattel, eine 3-Gang-Nabenschaltung, Bereifung mit Pannenschutz, eine automatische Lichtanlage mit Standlichtfunktion und Nabendynamo, sowie einen Korb, der über dem Vorderrad angebracht ist. Die Fahrräder sind für Körpergrößen zwischen 1,50 und 1,85 Meter konzipiert. Mit einem Gewicht von etwa 22 Kilogramm (je nach Typ) sind die Leihfahrräder von JCD deutlich schwerer , als herkömmliche Stadtfahrräder für den privaten Gebrauch.

121 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Um die Pflege, Wartung und Umverteilung der Fahrräder kümmern sich zahlreiche Serviceteams. Pflege- und Reparaturarbeiten vor Ort werden v.a. von Technikern durchgeführt, die selber mit einem Elektrofahrrad samt Werkzeuganhänger unterwegs sind. Für die Umverteilung, größere Reparaturen an den Stationen und das Einsammeln schwer beschädigter Fahrräder sind spezielle Kleintransporter zuständig, die zwischen den Stationen unterwegs sind (vgl. Abb. 31).

Abb. 31: Servicefahrzeuge der Systeme Vélo’v (oben, Mitte) und Vélib’ (unten)

Quelle: JCD ECAUX 2007b (oben und Mitte) und eigene Aufnahme (unten)

122 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

5.4.5. Nutzungsgebühren, Kosten und Finanzierung

Innerhalb der Geltungszeit des Abonnements können Kunden beliebig viele Fahrten unternehmen. Bei Cyclocity® ist die erste halbe Stunde jeder Fahrt kostenfrei. Nach einer Fahrt muss allerdings stets eine Pause von wenigen Minuten eingelegt werden, wenn man erneut eine kostenlose Ausleihe beginnen möchte. Ab der 31. Minute stellt JCD Gebühren in Rechnung, die bei Langzeitabonnenten vom Konto des Nutzeraccounts abgebucht werden. Langzeitabonnenten müssen daher ein Guthaben auf ihrem Nutzerkonto besitzen und dieses im Voraus per Banküberweisung oder an einem Stationsterminal aufladen, bevor sie ein Fahrrad entleihen können. Kurzzeitabonnenten bekommen eventuell anfallende Kosten gemeinsam mit der Anmeldegebühr vom Kreditkartenkonto abgebucht. Mit ihrem persönlichen Sicherheits-Code können Nutzer in ihrem Account jederzeit eine Liste mit den letzten kostenpflichtigen Fahrten einsehen.

Besitzer einer Jahreskarte müssen bei der Registrierung eine Sicherheit von € 150,00 hinterlegen (Lastschrifteinzugsformular bzw. Scheck für eine Kontoabbuchung), während bei Kurzzeitabonnenten als Kaution ein Sicherheitsbetrag von € 150,00 als „pre-authorization“ über die Kreditkarte „eingefroren“ wird. Diese € 150,00 oder ein Teilbetrag davon, werden jedoch nur eingezogen, wenn ein Kunde gegen die Nutzungsbedingungen verstößt und das Fahrrad beschädigt, gestohlen, erst nach mehr als 24 Stunden oder gar nicht zurückgegeben wird (vgl. JCD ECAUX 2008a, o.S.).

Die Nutzungsgebühren unterscheiden sich von Stadt zu Stadt teilweise erheblich. In den meisten französischen Städten steigen die Gebühren mit zunehmender Nutzungszeit an, um längere Ausleihvorgänge unattraktiv zu machen und eine möglichst hohe Verfügbarkeit und hohe Nutzerzahlen pro Fahrrad zu erreichen (vgl. Tab. 12). In einigen Städten sind die Fahrräder aber auch für längere Ausleihvorgänge gedacht, um das Angebot auch für Touristen besonders attraktiv zu gestalten. In Luxemburg Stadt beispielsweise ist die Tagesgebühr auf € 5,00 begrenzt, während man in Paris für eine 12-stündige ununterbrochene Nutzung € 87,00 zahlen muss. Ausleihen über mehrere Tage sind aber bei allen Systemen unerwünscht und daher verboten.

Die Finanzierung des Systems Cyclocity® erfolgt in der Regel über die Vermarktung von Werbeflächen im öffentlichen Raum. Durch den Abschluss eines mehrjährigen Vertrages zwischen der Betreiberfirma und der jeweiligen Stadt verpflichtet sich JCD, das FVS zu installieren und für einen bestimme Laufzeit zu unterhalten und erhält als Gegenleistung die Rechte an städtischen Werbeflächen für den gleichen Zeitraum. Die laufenden Kosten des

Systems gibt JCD mit etwa € 2.500 pro Rad und Jahr an (vgl. DWORSCHAK 2007, S.183). Die meisten Experten gehen aber davon aus, dass die tatsächlichen Kosten geringer ausfallen (vgl. INTERVIEWS ).

123 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

5.4.6. Marktentwicklung, Nutzerzahlen und Zukunftsaussichten

Am Ende des Jahres 2007 wurden in zwölf „ Cyclocity® -Städten“ zusammen ca. 300.000 Fahrten täglich mit den Leihfahrrädern von JCD unternommen. Damit weist das Mobilitätskonzept von JCDecaux über 100-fach höhere Nutzerzahlen pro Tag auf als vergleichbare Systeme wie z.B. CaB in Deutschland (vgl. JCD ECAUX 2007c, S.1).

Die meisten Städte verfolgen mit der Einführung von Cyclocity® ambitionierte Ziele und stecken z.T. große Hoffnungen in das System. In der Stadt Luxemburg beispielsweise soll das FVS dazu beitragen, den Radverkehrsanteil an allen zurückgelegten Wegen in der Stadt bis 2015 von 1% auf 10% zu steigern. Luxemburg möchte als wichtige Pendlerstadt, in die täglich mehr als 100.000 Arbeitskräfte größtenteils aus dem angrenzenden Ausland strömen, einen zusätzlichen, attraktiven Mobilitätsservice anbieten. Durch die Kombination des FVS „vel´oh!“ mit den anderen öffentlichen Verkehrsmitteln sollen mehr Pendler dazu bewegt werden, das Auto stehen zu lassen und im Umweltverbund zu fahren (vgl. STREITZ 2008, o.S.)

Aber nicht nur in Europa (u.a. London, Dublin, Genf) ist das Interesse an Cyclocity® groß, sondern auch weltweit fragen immer mehr Städte (u.a. Chicago, New York, Moskau, Melbourne, Seoul, Sidney Vancouver) bei JCD an, um sich über das FVS zu informieren bzw. führen erste konkretere Verhandlungen mit der Außenwerbefirma (vgl. JCD ECAUX o.J.b, o.S. und DWORSCHAK 2007, S. 182f).

Nachfolgend sollen exemplarisch die beiden größten Cyclocity® -Systeme in Lyon und Paris vorgestellt werden.

5.4.7. Vélo’v in Lyon

Mit Vélo’v wurde im Mai 2005 das erste Cyclocity® -System in Frankreich eingeführt. Zunächst stellte JCD in Lyon an 130 Stationen insgesamt 2.000 Leihfahrräder bereit. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten. Innerhalb der ersten sechs Monate nach der Implementierung von Vélo’v wurden mit den Fahrrädern über zwei Miollionen Fahrten unternommen und dadurch etwa 200.000 Autofahrten eingespart (vgl. BÜHRMAN 2006, o.S.)

2006 konnten die Nutzungszahlen noch deutlich gesteigert werden. Im Großraum Lyon legten die Nutzer mit Vélo’v bis Ende des Jahres fast zwölf Millionen. Kilometer zurück, was einer Laufleistung von etwa 5.000 Kilometern je Fahrrad entspricht. Insgesamt wurden die Räder von Vélo’v während des gesamten Jahres 2006 über 5,5 Millionen Mal entliehen. Dies entspricht rund 15.000 Vermietungen pro Tag, wobei in Spitzenzeiten - etwa an manchen Sommertagen sowie bei außergewöhnlichen Veranstaltungen - über 30.000 Buchungen am

124 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Tag registriert wurden. Ein Jahr nach dem Start zählte das Systems bereits über 60.000 registrierte Nutzer, was etwa einem Anteil von 10% der Gesamtbevölkerung von Lyon entspricht (vgl. JCD ECAUX o.J.a, S. 25). Da das FVS auf eine derartig große Nachfrage stieß, baute JCD das Angebot weiter aus. So stehen an insgesamt 343 Stationen inzwischen knapp 4.000 Fahrräder zur Verfügung (Stand 11.2008), mit der Folge, dass die Nachfrage weiter gestiegen ist. Inzwischen zählt das FVS in Lyon durchschnittlich etwa 25.000 Leihvorgänge pro Tag. Zu den über 50.000 Besitzern eines Jahresabonnements kommen täglich 1.800 verkaufte Tageskarten hinzu. Diese kurzzeitigen Nutzer (v.a. Touristen) sind für

40% aller Entleihvorgänge verantwortlich, die im Schnitt 17 Minuten dauern (JCD ECAUX 2008b, o.S.). Da die Fahrräder vor allem für kurze Fahrten genutzt werden, die weniger als 30 Minuten dauern, sind 96% aller Fahrten für die Nutzer kostenlos . 66% aller zurückgelegten Strecken sind Wege zwischen Wohnsitz und Arbeits- bzw. Ausbildungsplatz der Nutzer (vgl. JCD EAUX 2007d, o.S.).

In Kombination mit dem ebenfalls gestiegenen Gebrauch privater Fahrräder hat die Einführung des FVS dazu beigetragen, dass die Fahrradnutzung in Lyon innerhalb eines

Jahres um 44% gestiegen ist (vgl. BÜHRMANN 2006, S. 2). Lag der Anteil des Radverkehrs am Modal Split 1995 noch bei mageren 0,5% hat sich dieser Wert bis 2006 auf 4% erhöht. Etwa 30% der Nutzer von Vélo’v sind Studenten, 30% Berufstätige und 40% Senioren und andere. Jeder vierte Fahrradfahrer in Lyon ist Nutzer von Vélo’v . Für den Betreiber betragen die Kosten des Systems etwa € 8 Millionen pro Jahr (vgl. ebd. und JCD ECAUX o.J.a S.25). Bei im Schnitt acht Leihvorgängen pro Rad und Tag und einer durchschnittlichen Entfernung von 2,5 Kilometern pro Fahrt wurden zwei Jahre nach Einführung des Systems täglich rund 60.000 Personenkilometer auf den Vélo’v -Rädern zurückgelegt (vgl. JCD ECAU x 2008b, o.S.).

5.4.8. Bewertung Vélo’v

In einer im Mai 2006 durchgeführten Studie hielten über 90% aller im Großraum Lyon befragten Personen Vélo’v für eine gute Initiative. Sie bestätigten zudem positive Auswirkungen für das Image von Lyon und die dortige Lebensqualität . Angenehme Effekte seien u.a. eine freundlichere Stadt, geringere Umweltverschmutzung und positive Auswirkungen auf die Gesundheit der Bewohner (vgl. JCDecaux 2007, o.S.).

„Vélo’v hat das Stadtbild von Lyon vollkommen gewandelt – überall sieht man Leute auf den Fahrrädern “, beschreibt Jean-Louis Touraine, stellvertretender Bürgermeister von Lyon, die Wirkungen des Systems. Das Programm sei nicht nur dazu gedacht, „ das Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Verkehrsarten zu verändern und die Luftverschmutzung zu

125 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich reduzieren, sondern auch, um das Bild der Stadt zu verändern und eine Stadt zu schaffen, in der die Menschen mehr Raum einnehmen .“ (ANDERSON 2007, S. A10)

In der Tat hat sich das Straßenbild in Lyon und der Nachbarstadt Villeurbain seit der Einführung des FVS deutlich verändert. Der öffentliche Raum wird ausgewogener genutzt, ohne dass dafür teure Umbaumaßnahmen erforderlich waren. Vélo’v hat sich in Lyon zu einem festen Bestandteil des städtischen Alltags entwickelt. Es steht für eine erfolgreiche, nachhaltige Weiterentwicklung urbaner Mobilität in optimaler Ergänzung zum ÖPNV. Der Autoverkehr ist innerhalb der ersten 20 Monate nach Einführung des Systems um 4% zurückgegangen, wodurch auch ein deutlicher Beitrag zur Verringerung der CO 2- Emmissionen im innerstädtischen Bereich geleistet wurde. So konnten im gleichen Zeitraum schätzungsweise 3.000 Tonnen des Treibhausgases eingespart (SILVERMAN 2008, o.S.).

5.4.9. Vélib’ in Paris – mit dem Fahrrad in 1 h 24 min. einmal um die Welt

Bertrand Delanoë, Bürgermeister von Paris, hat sich bewusst für die Einführung eines öffentlichen FVS entschieden. Es ist erklärtes Ziel der Pariser Stadtverwaltung, die französische Hauptstadt grüner und umweltfreundlicher zu gestalten und den Autoverkehr der Metropole bis zum Jahr 2020 um 40% zu senken. Seit dem Amtsantritt der rot-grünen Stadtregierung im Jahr 2001 haben sich das Verkehrsverhalten und damit auch das Stadtbild von Paris Schritt für Schritt grundlegend gewandelt. Neben dem Ausbau öffentlicher Nahverkehrsmittel wie der Wiederbelebung der Straßenbahn, wurde viel Geld in den Ausbau der Fahrradinfrastruktur investiert. Es wurden neue Fahrradwege angelegt, Busspuren erweitert und freigegeben, Tempo-30-Zonen ausgewiesen und Einbahnstraßen in beiden Richtungen für den Radverkehr geöffnet. Insgesamt hat sich die Länge aller offiziellen Fahrradwege in Paris von acht Kilometer im Jahr 1995 auf 371 Kilometer Ende 2006 spürbar erhöht. Als Folge dessen stieg die Anzahl der Fahrradfahrer an der Seine zwischen 2001 und 2006 um 48% 36 (vgl. JCD ECAUX o.J.a., S.2). Vor allem dank der Einführung von Vélib’ am 15. Juli 2007 erhöhte sich die Anzahl in 2007 um weitere 46%, so dass im Jahr 2008 etwa doppelt so viele Fahrradfahrer in Paris unterwegs waren wie noch sieben Jahre zuvor.

Der Autoverkehr verringerte sich im Gleichenzeitraum um 20% (vgl. JCD ECAUX 2008c, S.1).

36 Diese Zahlen sind in ihrer Bedeutung insofern zu relativieren, als dass auch eine Gesamtlänge von 371 Kilometer an Fahrradwegen für eine Millionen-Metropole wie Paris immer noch eine sehr kleine Größenordnung darstellt und auch die Steigerung des Radverkehrs von insgesamt 94% (2001 – 2007) nicht überbewertet werden sollte, wenn man bedenkt, dass der in 2007 erreichte Anteil des Fahrradverkehrs am Modal-Split-Anteils auch erst bei 2-3 % lag (vgl. JCD ECAUX o.J. S.1).

126 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Die erste Ausbauphase des FVS mit insgesamt 750 Stationen wurde innerhalb von viereinhalb Monaten realisiert. Der weitere Ausbau erfolgt stufenweise und sollte Ende des Jahres 2008 abgeschlossen werden (vgl. Tab. 11). Dann wird sich die Anzahl der Fahrräder und der Stationen im Vergleich zum Starttermin fast verdoppelt haben.

Tab. 11: Vélib’ - Kalender

Datum Stationen Fahrräder Parkständer Räder : Parkständer

15. 07. 2007 750 10.648 etwa 18.000 1 : 1,7

03. 09. 2007 1.000 14.197 etwa 24.000 1 : 1,6

02.07.2008 1.200 16.000 k.A. k.A.

31. 12. 2008 1.451 20.600 etwa 35.000 1 : 1,7

Quelle: eigene Darstellung nach GEHL 2008, o.S.

Die Vélib’ -Stationen, an denen je nach Größe zwischen zehn und 60 Leihfahrräder bereit stehen, verteilen sich auf 105 Quadratkilometer über das gesamte Stadtgebiet von Paris 37 , mit einer erhöhten Angebotsdichte in der Nähe wichtiger öffentlicher Einrichtungen oder Verkehrsknotenpunkte. Durchschnittlich befindet sich alle 300 Meter eine Vélib’ -Station, das sind 4,4-mal so viele, wie es Metrostationen in Paris gibt (vgl. GEHL 2008, o.S.). Insgesamt mussten etwa 3.000 KFZ-Stellplätze den über 30.000 Parkständern weichen (vgl. ADFC 2007, o.S.).

Vélib’ bietet seinen Nutzern drei verschiedene Abonnements an, innerhalb deren Geltungsdauer sie beliebig viele Kurzstreckenfahrten unternehmen können.

1. Abonnement Courte Durée (Kurzzeitabonnement für einen Tag): Grundpreis € 1,00

2. Abonnement Courte Durée (Kurzzeitabonnement für eine Woche): Grundpreis € 5,00

3. Abonnement 1 An (Langzeitabonnement für ein Jahr): Grundpreis € 29,00

Die Nutzungsgebühren sind für alle Abonnements gleich, steigen aber mit zunehmender Nutzungszeit deutlich an, um längere Ausleihen unattraktiv zu machen und damit eine hohe Verfügbarkeit der Räder zu garantieren (vgl Tab. 12).

37 Das administrativ zur Stadt Paris gehörende Gebiet ist in 20 Arrondissements (Bezirke) unterteilt und beherbergt etwa 2,17 Millionen. Einwohner (amtliche Zahl für 1. Januar 2006). Die Fläche der Stadt Paris beträgt 105,4 Quadratkilometer (vgl. Stadt Paris (2008), o.S.). Die außerhalb der 20 Bezirke liegenden Ortschaften der Banlieue sind selbständig verwaltet und zählen nicht zur Stadt Paris im verwaltungsrechtlichen Sinn. Sie gehören aber zur städtischen Siedlungszone (Unité urbaine), in der im Jahr 2005 insgesamt 9.928.000 Menschen lebten.

127 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Tab. 12: Kostentabelle Vélib’ Kostenverlauf Vélib ’

Nutzungszeit Kosten Beispiele je 30 Nutzungs- Min. gebühren 01.- 30. Min. € 0,00 0,5 Std. = € 0,00 31.- 60. Min. € 1,00 1,0 Std. = € 1,00 61.- 90. Min. € 2,00 1,5 Std. = € 3,00 91.- 1440. Min. € 4,00 3 Std. = € 15,00 6 Std. = € 39,00

Quelle: eigene Darstellung nach JCD ECAUX 2008a, o.S.

Bereits vor der Eröffnung von Vélib’ wurden über 12.000 Jahresabonnements verkauft, am Ende des ersten Betriebsjahres waren es knapp 200.000. Hinzu kommen täglich über 10.000 verkaufte Tages- und etwa 800 verkaufte „Wochenabos“, die vor allem von Touristen und Besuchern genutzt werden (vgl. Tab. 13). Insgesamt wurden in den ersten zwölf Monaten über 26 Millionen Fahrten unternommen (vgl. JCD ECAUX 2008c, S.1). Ab 2009, wenn an 1451 Stationen alle 20.600 Leihfahrräder zur Verfügung stehen, rechnet JCD sogar mit durchschnittlich 250.000 Entleihvorgängen pro Tag , was einer Summe von über 90 Millionen Nutzungen im gesamten Jahr entspräche. Nach diesen Schätzungen, die auf Erfahrungswerten/Statistiken von Vélo’v aus Lyon basieren, wäre jedes Fahrrad im Schnitt zwölfmal am Tag im Einsatz (vgl. JCD ECAUX 2008 o.J.b, S.10). 96% aller Fahrten dauern weniger als eine halbe Stunde und sind damit für die Nutzer kostenlos, eine durchschnittliche

Fahrt dauert 18 Minuten (vgl. ERLANGER 2008, o.S.). Ein Jahr nach dem Start war mehr als jeder dritte Fahrradfahrer in Paris Vélib’-Nutzer.

Tab. 13: Verkaufte Vélib’ -Abonnements

Anzahl verkaufter Abos Nach 7 Monaten… Nach 12 Monaten Jahresabonnements ca. 164.000 198.913 Wochenabonnements ca. 195.000 277.193 Tagesabonnements ca. 2.400.000 3.683.714

Quelle: eigene Darstellung und Berechnung nach GEHL 2008,o.S.

Anmeldeformulare für eine Jahreskarte sind bei den Einrichtungen der Stadtverwaltung und im Rathaus jedes Arrondissements, an 300 Kassen der Métro, in 400 Bäckereien, in 400 Kiosks und Tabakgeschäften, in allen Postämtern sowie auf der Homepage von Vélib’

128 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich erhältlich. Außerdem hat die Stadt Paris in den ersten Wochen vor und nach der Einführung des Systems in jeder Ausgabe eines Pariser Magazins ein Anmeldeformular beigelegt.

Die Pariser Leihfahrräder werden in Ungarn von der französischen Firma Cycles Lapierre, die zur Accell-Gruppe gehört, hergestellt und kosten etwa € 500,00 pro Stück 38 (vgl. GEHL 2008, o.S.). Sie sind enormen Nutzungsbeanspruchungen ausgesetzt, denn während ein „normales“ Fahrrad im Schnitt für 200 Kilometer pro Jahr gebraucht wird, legte jedes Vélib ’-

Fahrrad im ersten Betriebsjahr durchschnittlich etwa 10.000 Kilometer zurück (vgl. ERLANGER 2008, o.S.). Ab 2009 erwartet Gehl sogar eine jährliche Laufleistung von 20.000 Kilometer.

Für den gesamten Betrieb des FVS und alle damit verbundenen Services (Pflege, Reparatur, Bestückung, Hotline, Logistik, Planung, Marketing etc.) ist ein speziell geschultes Team von 500 neu eingestellten Mitarbeitern verantwortlich, die über modernstes Equipment sowie spezielle Wartungsfahrzeuge verfügen (vgl. Abb. 31) und von denen 300 alleine mit der

Wartung der Räder beschäftigt sind (vgl. KUMMETZ 2008, o.S.). An die 200 Lastwagen sind täglich mit Fahrrädern beladen unterwegs, um leere Stationen wieder aufzufüllen und notorisch überfüllte Stationen zu entleeren. Zusätzlich ist auf der Seine ein eigenes Werkstattschiff unterwegs, um wartungsbedürftige Fahrräder einzusammeln. Besonders häufig fehlen Räder in den Stationen, die auf Hügeln liegen, weil die meisten Nutzer lieber bergab fahren als bergauf. Um dem entgegen zu wirken und den Distributionsaufwand zu minimieren, bekommen Kunden für die nächste Fahrt 15 Gratisminuten geschenkt, wenn sie ihr Rad an einer höher gelegenen Station — etwa auf Montmartre — abstellen. Um den Wartungsdienst auf technische Probleme aufmerksam zu machen, gehört es zur Vélib - Etikette, den Sattel nach hinten zu drehen, wenn ein Fahrrad nicht mehr fahrtüchtig ist (vgl. Abb. 32). Etwa 3.000 Räder sind im Schnitt in Reparatur und stehen den Nutzern nicht zur Verfügung (vgl. BADISCHE ZEITUNG 2008, o.S.).

Vélib’ ist vor allem bei jungen Leuten beliebt. So sind knapp 40% aller Nutzer zwischen 26 und 35 Jahre alt. 56% der Fahrten werden von Langzeitkunden und 44% von Besitzern eines Kurzabos unternommen. 61% aller Langzeitabonnenten nutzen Vélib’ als tägliches Transportmittel, um zur Arbeit oder in die Schule zu fahren. Während die Jahresabos bevorzugt von Männern gekauft werden (58%), sind die Kurzzeitabonnements bei den Frauen beliebter (65%). 33% der Kunden kommen aus den Pariser Vororten, sie nutzen Vélib’ vor allem in Kombination mit dem ÖV (vgl. JCD ECAUX 2008c, S.1).

38 Die bei Recherchen zusammengetragenen Kostenangaben und –schätzungen liegen z.T. sehr weit auseinander. Während Eric Britton von „Eco Plan International“ die Kosten der Fahrräder auf € 500,00 schätzt (vgl. BRITTON 2008b, o.S.), nennt John Ward Anderson von der Washington Post einen Stückpreis von ca. € 900,00 ($1.300) und Steven Erlanger von der New York Times einen Kaufpreis von etwa € 2.000,00 ($3.460).

129 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Abb. 32: typische Probleme – defekte Räder, leere Stationen oder zugeparkte Stellplätze

Quelle: eigene Aufnahmen

Finanziert wird Vélib’ durch eine Public-Private-Partnership zwischen der Stadt Paris und JCD. Dafür, dass die Werbefirma insgesamt 1.628 Außenwerbeträger (Plakatwände, City- Light-Boards etc.) im Stadtgebiet errichten, zehn Jahre lang die Werbeflächen exklusiv vermarkten und die Mieteinnahmen behalten darf, muss sie das FVS installieren, betreiben und finanzieren. Insgesamt hat JCD für die Errichtung des Systems (Fahrräder, Mietstationen, Servicecenter, Werkstätten etc.) etwa € 100 Millionen. investiert . Hinzu kommen die laufenden Kosten für die Unterhaltung von Vélib’ und den Ersatz beschädigter oder gestohlener Fahrräder. Innerhalb des ersten Betriebsjahres wurden über 3.000 der Leihfahrräder gestohlen, so dass JCD inzwischen mit einem jährlichen Schwund von etwa 15% rechnet. Dieser fällt damit doppelt so hoch aus wie die ursprünglich angesetzte Zahl

(vgl. ERLANGER 2008, o.S.). Im ersten halben Jahr betrugen die durch Vandalismus und notwendige Ersatzteile verursachten Kosten € 20,6 Millionen (vgl. VAN SCHAIK 2008b, o.S.). Im Verhältnis dazu erscheinen die Strafgebühren bei Vélib’ eher moderat: € 150,00 muss ein Nutzer zahlen, wenn er sein Fahrrad verspätet oder gar nicht zurückgibt, € 35,00 wenn das Rad gestohlen und der Diebstahl gemeldet wird und € 10,00 werden fällig, wenn der Schlüssel des Schlosses verloren geht.

Sämtliche Einnahmen aus der Vermietung und den Jahres-, Wochen- und Monatskarten stehen der Stadt zu. Im ersten Betriebsjahr waren dies etwa € 22 Millionen. Weiterhin zahlt

130 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

JCD bis zu 12% seiner Werbeeinnahmen 39 (etwa € 4 Millionen. pro Jahr) an die Stadt und stellt dieser einige der Werbeflächen für Plakatkampagnen der Stadtverwaltung im

öffentlichen Interesse kostenlos zur Verfügung (vgl. GEHL 2008, o.S.).

Trotzdem wird sich das Geschäft für JCD auf lange Sicht mehr als lohnen. In Paris rechnet die Firma in der zehnjährigen Laufzeit mit einem Umsatz aus den Werbeflächen von über €

600 Millionen. (vgl. DWORSCHAK 2007, S.182f.). Daher erwartet JCD spätestens ab dem dritten Vertragsjahr, also ab Mitte 2010, einen ansehnlichen Gewinn (vgl. ERLANGER 2008, o.S.).

5.4.10. Bewertung

Mit der Einführung von Vélib’ hat Paris einen stadtverkehrspolitischen Meilenstein gesetzt. Bereits nach wenigen Monaten hat sich das derzeit größte FVS der Welt als eigenständiges Verkehrsmittel etabliert , das durch seine festen Entleihstationen eine perfekte Anbindung an traditionelle öffentliche Nahverkehrssysteme wie Bus, Straßenbahn oder die Metro ermöglicht.

Eine im März 2008 vom TNS Sofres Institute durchgeführte Umfrage ergab, dass 94% der Vélib ’-Nutzer zufrieden mit dem Service sind und planen, ihr Abonnement um ein weiteres Jahr zu verlängern. Am meisten beeindruckt sind die Kunden davon, wie einfach das System zu bedienen ist. Entsprechend fällt auch die Empfehlungsrate mit 90% sehr hoch aus (vgl.

JCD ECAUX 2008b, o.S. und JCD ECAUX 2008c, S.1).

Die hohe Benutzerfreundlichkeit des Angebotes liegt der Betreiberfirma JCD besonders am Herzen. Das System Cyclocity® wurde gezielt weiterentwickelt und optimiert, so dass im Vergleich zum System in Lyon einige Verbesserungen vorgenommen worden sind. Einerseits wurde versucht, die Pariser Fahrräder noch robuster und damit wartungsärmer zu gestalten, denn die Anforderungen an diese sind wie beschrieben enorm. Andererseits ist der Ausleihmechanismus noch weiter vereinfacht worden. Während sich in Lyon an hochfrequentierten Stationen häufiger Schlangen vor den Stationsterminals bilden, da Vélo’v -Nutzer sich nur am Kartenlesegerät des Terminals anmelden und ein Fahrrad auswählen können, verfügt in Paris jeder einzelne Parkständer an der Oberseite über ein eigenes Lesegerät. Somit genügt es schon, die Kundenkarte an einen Standbügel zu halten, das entsprechende Fahrrad wird freigegeben und die Fahrt kann losgehen. Außerdem

39 Der genaue Anteil ist abhängig von der durch JCDecaux erbrachten Angebotsqualität (Wartung, Pflege, Umverteilung etc.) (vgl. GEHL 2008, o.S.).

131 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich wurden die Stationsterminals in Paris beidseitig mit Bedienelementen ausgestattet, um die Zugangsmöglichkeiten zu verbessern und einen reibungsloseren Ablauf zu ermöglichen (vgl.

JCD ECAUX o.J.b, S.10).

Auch die Homepage von Vélib’ (www.velib.paris.fr) ist ansprechend gestaltet und stellt viele nützliche Informationen rund um das FVS zur Verfügung. Neben einer detaillierten Beschreibung der Nutzungsbedingungen, Anmeldeformalitäten und Tarife gibt es einen interaktiven Stadtplan, der außer den Stationsstandorten auch Informationen über die Anzahl verfügbarer Fahrräder und freier Stellplätze anzeigt. Darüber hinaus liefert die Seite Hinweise zum Thema Verkehrssicherheit und präsentiert allgemeine Neuigkeiten zum Fahrradverkehr in Paris.

Ein besonders wichtiger Faktor für den Erfolg von Cyclocity® in Paris ist neben der politischen Unterstützung „von ganz oben“ und dem begleitenden Ausbau der Fahrradinfrastruktur in Paris vor allem die Kommunikations- und Werbeaktivitäten rund um Vélib ’. Bereits einen Monat vor der Eröffnung des Systems konnten sich zukünftige Kunden ausführlich über das neue Angebot informieren. Neben der Internetseite wurde in jedem Arrondissement für einen Monat ein Info-Point eingerichtet, an dem Mitarbeiter von JCD Fragen rund um Vélib’ beantworteten und Interessenten sich bereits im Vorfeld für das System registrieren konnten. Wie erwähnt sind die Anmeldeformulare vielerorts erhältlich und wurden sogar der Lokalpresse beigelegt und verteilt. Laufend informiert die Betreiberfirma JCD über die neusten Entwicklungen von Vélib’ und versorgt Presse und Öffentlichkeit gezielt und in regelmäßigem Abstand mit Erfolgsmeldungen rund um das eigene Serviceangebot aber auch über die positiven Trends im Pariser Fahrradverkehr insgesamt. Den bislang größten Marketing-Triumph erlebte Vélib’ zum ersten Jahrestag des Systems. Gemeinsam mit JCD und der Tourleitung organisierte die Stadt Paris den sog. „Champions´ride “ (vgl. Abb. 33). Am 27. Juli radelte eine Staffel von 365 Vélib’ - Jahresabonnenten an den Zuschauern vorbei über die Champs Élysées und durch die Ziellinie, kurz bevor das Fahrradfeld der Tour de France 2008 die letzte Etappe der Rundfahrt am selben Ort beendete und die Sieger der Tour verkündet wurden. Zuvor konnten die Kunden per Email an einem Wettbewerb teilnehmen, um sich für den

„Champions´ride“ zu qualifizieren (vgl. JCD ECAUX 2008c, S.1).

Wie auch die Presse-Zitate zu Beginn des Kapitels zeigen, hat es JCD mit seinem FVS Cyclocity® geschafft, das Thema Fahrradverkehr positiv zu besetzen und für weltweite Erfolgsmeldungen zu sorgen. In den meisten Artikeln wird nicht gejammert und „lamentiert“, was alles nicht funktioniert, und dass das Fahrradfahren in Städten wie Paris oder Lyon ja lebensgefährlich und unmöglich seie, sondern es wird gestaunt und begeistert berichtet. Die professionelle Kommunikation und die bis zur Eröffnung von Vélib’ unerreichte

132 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Größenordnung des FVS haben dazu geführt, dass weltweit begeistert von Vélib’ berichtet worden ist. Paris wurde „zur Welthauptstadt des Fahrradverleihs “ erklärt und ist stolz auf diesen Ruf. Bürgermeister aus der ganzen Welt kommen nach Paris, um Vélib’ kennenzulernen und sich vor Ort von den Vorteilen und Möglichkeiten eines öffentlichen FVS zu überzeugen.

Abb. 33: „Champions´ride“ zum ersten Jahrestag von Vélib’

Quelle: http://blog.velib.paris.fr

Vélib’ hat sich zum regelrechten Kultobjekt entwickelt. So ist der Name des FVS, der sich aus den Wörtern vélo (franz. = Fahrrad) und liberté (franz. = Freiheit) zusammensetzt, bereits als Verb in den französischen Sprachgebrauch eingegangen. Übersetzen könnte man das Kunstwort wohl am ehesten mit „velibrieren“. Auf „Youtube“ finden sich inzwischen zahlreiche Videos, auf denen Hobbyfilmer ihre schönsten Vélib’-Fahrten durch Paris festhalten – ein willkommener Werbeeffekt für JCD aber auch für die Stadt Paris. Es gibt zahlreiche „Online-Diskussionsforen“ und einen vielbesuchten Internet-Blog (http://blog.velib.paris.fr), in dem Kunden und Interessierte Erfahrungen, Fragen und Ideen austauschen. Und es gibt sogar schon "Célib", die Erfinder organisieren in Paris

Fahrradtouren mit den Rädern des Leihsystems für Singles auf Partnersuche (vgl. UN BLOG DE BRETAGNE 2007, o.S.).

"Die Verbreitung der Fahrradverleihsysteme hat Werbung fürs Fahrradfahren gemacht und ein Umdenken ausgelöst ", meint der Vorsitzende des französischen Fahrradhändlerverbandes CNPC Didier Huré. Denn wer sich häufig ein Fahrrad leiht und

133 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich erst einmal auf den Geschmack gekommen ist, der kauft sich irgendwann auch ein eigenes Fahrrad. In Paris ist der Absatz von Stadträdern im vergangenen Jahr um 35% gestiegen und der Verkauf von Kinderrädern legte um 15% zu. Von diesem Fahrradboom wollen auch die großen Kaufhäuser und Sportgeschäfte profitieren, so dass viele ihr Angebot stark ausgeweitet haben. So vergrößerte die Sportartikel-Kette Decathlon die Verkaufsfläche für Fahrräder in Geschäften in der Nähe von Vélib-Stationen, und das Pariser Kaufhaus BHV hat sogar einen eigenen Ableger für City-Bikes gegründet (vgl. WÜPPER 2008, o.S.).

In Paris trauen sich inzwischen auch immer mehr private Fahrradbesitzer auf die Straßen, weil sie hoffen, dass Autofahrer durch die Massen an Vélib’ -Rädern gezwungen sind, vorsichtiger zu fahren und sich mit der Zeit an die vielen Fahrradfahrer gewöhnt haben. Zwar ist die Zahl an Fahrradunfällen seit der Einführung von Vélib’ gestiegen und im ersten Jahr kamen drei Vélib’ -Nutzer bei Unfällen sogar ums Leben, aber im Verhältnis zur Steigerung des Radverkehrs ist Fahrradfahren in Paris deutlich sicherer geworden. Denn während die Anzahl an Fahrradunfällen in Paris zwischen Anfang 2007 und Mitte 2008 um 7% zugenommen hat, stieg die Fahrradnutzung um 24% (vgl. ERLANGER 2008, o.S.). Zudem nehmen sowohl JCD als auch die Stadt das Thema Verkehrssicherheit sehr ernst und haben im September 2008 eine entsprechende Werbe- und Aufklärungskampagne gestartet (vgl. Abb. 34).

Abb. 34: Verkehrssicherheitskampagne der Stadt Paris (September 2008)

Quelle: STADT PARIS 2008, o.S.

Obwohl sich der zehnjährige Vertrag mit der Stadt Paris für JCD finanziell auf lange Sicht definitiv lohnen wird, haben die verantwortlichen Planer der Betreiberfirma die entstandenen Kosten unterschätzt . Vor allem die laufenden Betriebskosten fallen deutlich höher aus, als JCD dies erwartet hat. Bei der Präsentation der Firmenbilanz des Jahres 2007 musste JCD einen Rückgang der Einnahmen vermelden, der z.T. durch die hohen Kosten des Systems Vélib’ verursacht wurde. Jean François Decaux erklärte, dass „die anderen Systeme, die die Firma betreibt, profitabel sind, aber das Pariser Vélib’ eine negative Auswirkung auf die

134 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Gewinnspanne hatte, obwohl die Gesamterlöse der Firmengruppe im Rahmen waren.“ ( VAN SCHAIK 2008, o.S.).

Andererseits haben sich öffentliche FVS inzwischen zu einem wichtigen Angebotsbaustein entwickelt, wenn es um den Abschluss neuer oder die Verlängerung bestehender Verträge für Außenwerberechte geht. In diesem Sinne stellt Vélib’ als größtes FVS der Welt ein enorm wichtiges Referenzprojekt für JCD dar, vor allem im direkten Vergleich zum größeren Konkurrenten Clear Channel Outdoor, der versucht, mit Bicing in Barcelona nachzuziehen (vgl. Kap. 5.1). Im Wettbewerb der Außenwerber gehören FVS neben den herkömmlichen Produkten der Stadtmöblierung inzwischen zur Angebotspalette dazu.

Eine häufig von Touristen genannte Kritik an Vélib’ bezieht sich auf die beschränkte Verwendungsmöglichkeit von Kreditkarten. So akzeptieren die Stationsterminals bisher nur Kreditkarten mit integrierten elektronischen Chips, wie sie in Europa gebräuchlich sind. Der in den USA übliche Kreditkartentyp wird vom System nicht angenommen, so dass viele Touristen bisher nicht in den Genuss von Vélib’ kommen können (vgl. BRITTON 2008a, S.5).

5.4.11. Abschlussbewertung – Stärken und Schwächen des Systems Cyclocity®

Die französische „Fahrrad-Revolution“, auch „ Velorution “ genannt (zusammengesetzt aus den Worten „velo“ (franz. = Fahrrad) und Revolution) begann in Paris mit dem FVS Vélib’ . Bereits das System Vélo’v aus Lyon hatte zuvor für Aufsehen und Bewunderung in der Fahrradszene gesorgt, aber erst das „Mammutprojekt“ in Paris brachte JCD weltweite Schlagzeilen ein. Französische Städte, allen voran Paris, waren vor nicht allzu langer Zeit noch wenig fahrradfreundlich und vor allem von „motorisiertem Verkehrschaos “ geprägt, während dem Fahrradfahren im Land der „Tour de France“ höchstens als sportliche Leidenschaft und Freizeitvergnügen auf dem Land nachgegangen wurde. In dieser Hinsicht vollzieht sich durch die Verbreitung von Cyclocity® vielerorts ein grundlegender Wandel . In vielen Städten ist das FVS zum festen Bestandteil des öffentlichen Bildes geworden und die Leihräder erfreuen sich immer größerer Beliebtheit . Vor allem in Paris und Lyon hat sich ein regelrechter Fahrradkult entwickelt. Nutzer schreiben in Internetblogs oder Leserbriefen über Ihre Erfahrungen mit Cyclocity® oder drehen Filme ihrer schönsten Stadtfahrten, um sie bei Youtube online zu stellen. Bei Adressenangaben wird inzwischen immer häufiger auf die nächste Fahrradverleihstation hingewiesen, denn sie assoziiert eine gute Erreichbarkeit.

Ein Jahr nach der jeweiligen Eröffnung der Cyclocity® -Systeme waren in Lyon jeder vierte und in Paris jeder dritte Fahrradfahrer Nutzer des FVS. Diese hohen Anteile lassen sich insbesondere durch zwei Gegebenheiten erklären. Zum einen waren die Radverkehrsanteile in beiden Städten vor der Einführung von Cyclocity® verschwindend klein und auch die

135 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Fahrradbesitzquoten sehr niedrig. Zum anderen sind in beiden Städten die weltweit höchsten Angebotsdichten aller existierenden FVS realisiert worden (Lyon: 94 Räder/km² und Paris: 196 Räder/km² - vgl. Tab. 16 im Anhang). Die Netzdichte scheint also ein entscheidender Faktor für den Erfolg eines FVS zu sein (vgl. Kap. 7).

Auch die Gegenüberstellung der Nutzerzahlen von Cyclocity® mit den Daten anderer etablierter Verleihsysteme unterstreicht die enorme Akzeptanz des FVS von JCD. Mit einem für das Jahr 2009 erwarteten Durchschnittswert von 300.000 Fahrten pro Tag weist das Mobilitätskonzept von JCDecaux über 100-fach höhere Nutzerzahlen auf als vergleichbare Konzepte, u.a. in Deutschland. So kam CaB im ganzen Jahr 2006 in vier Großstädten mit etwa 5.000 Fahrrädern gerade einmal auf 520.000 Ausleihvorgänge. Diese Menge erreicht Vélib’ in Paris in zwei bis drei Tagen. Und selbst Lyon mit seinen 4.000 Fahrrädern verzeichnet fast 20-mal so viele Leihvorgänge wie alle CaB -Standorte zusammen (vgl. Tab. 16 im Anhang).

Bei der Bewertung des Systems Vélo’v aus Lyon drängt sich aber insbesondere der Vergleich mit Citybike Wien auf, da die Systeme vom Design her einander sehr ähnlich sind, sich jedoch in der Größenordnung deutlich unterscheiden (vgl. Tab. 12). Obwohl im Großraum Lyon nur etwa halb so viele Menschen leben, wie im Großraum Wien, ist Vélo’v etwa sechsmal so groß und verzeichnet auch etwa sechsmal so viele Entleihvorgänge wie CBW . Diese Zahlen zeigen deutlich, wie wichtig eine hohe Angebotsdichte für den Erfolg und die Akzeptanz eines FVS ist.

In vielen Städten sind die JCD-Fahrräder auch mit einem ÖV-Abonnement entleihbar, d.h. die Abokarten der öffentlichen Verkehrsmittel einer Stadt (z.B. „ NAVIGO ©-Pass“ in Paris) gelten auch als Kundenkarte des jeweiligen Cyclocity® -Systems. Diese Kombitickets machen die kombinierte Nutzung von FVS und ÖV besonders attraktiv.

Cyclocity® wurde bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet:

• Oktober 2005: "Bicycle Trophy 2005" – Würdigung und Anerkennung des neuartigen und innovativen Vélo’v - Konzeptes

• Dezember 2005: "Usine Nouvelle Engineers of the Year Prize" (Kategorie „Nachhaltige Entwicklungen “)

• Februar 2006: "Janus de l’Industrie" - das nationale französische Design-Institut prämiert Cyclocity® für seine Benutzer- und Umweltfreundlichkeit

• November 2006: "2. Enterprise and Environment Award" – verliehen vom französischen Umweltministerium

136 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das Mobilitätskonzept Cyclocity® , das auch den ÖPNV an die Nutzung von Leihfahrrädern anbindet, sich in der Praxis nicht nur bewährt und als innovatives Mobilitätsangebot etabliert hat, sondern weltweit einen Stein ins Rollen gebracht hat.

Kontakt in Deutschland:

JCDecaux Deutschland GmbH Grusonstraße 46 Tel.: + 49 (0)40 – 736 04 04 22113 Hamburg Fax: + 49 (0)40 – 732 00 31 Internet: www.velib.paris.fr Email: hamburg@.de

5.5. nextbike aus Leipzig

In diesem Kapitel wird das FVS eines jungen Unternehmens aus Leipzig vorgestellt. Nach anfänglichen Schwierigkeiten hat sich das System nextbike inzwischen im Markt etabliert und plant ab 2009 eine deutliche Expansion seines Angebots.

5.5.1. Einführung - von Leipzig bis Auckland

Die Firma nextbike wurde im August 2004 von Dipl. Ing. Ralf Kalupner und Markus Denk in Leipzig gegründet. Die zugrundeliegende Idee ist es, Kunden, egal in welcher Stadt diese sich gerade aufhalten, ein Nextbike 40 in ihrer Nähe bereitzustellen, welches sie schnell, unkompliziert, preisgünstig und flexibel nutzen können.

Bei der Implementierung vor Ort arbeitet nextbike mit verschiedenen Partnern zusammen und bietet je nach Zielsetzung unterschiedliche Lösungen an. Neben Stadtverwaltungen können auch Werbetreibende und interessierte Franchise-Partner die Einführung des Systems vor Ort ermöglichen, denn nextbike stellt sein FVS überall dort bereit, wo lokale Kooperationspartner Fahrräder bestellen und sich an der Finanzierung beteiligen. Inzwischen ist nextbike mit über 20 Standorten in Deutschland, Österreich und Neuseeland vertreten (vgl. Tab. 14).

40 Wenn in dieser Arbeit von der Firma nextbike die Rede ist, wird die kleine Schreibweise verwendet. Die Fahrräder des Systems werden dagegen als Nextbikes in großer Schreibweise bezeichnet.

137 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Tab. 14: Die Standorte von nextbike

Deutschland Berlin; Bielefeld; Dresden; Düsseldorf; Frankfurt a.M.; Friedrichshafen; Fürth; Hamburg; Koblenz; Köln; Leipzig; Magdeburg; Nürnberg; Offenbach

Österreich In kleineren Orten um den Neusiedler See herum: Neusiedel; Mörbisch; St. Andrä; Eisenstadt; Graz (geplant)

Neuseeland Auckland, Whangarei, Hamilton, Rotorua, Tauranga

Quelle: eigene Darstellung nach NEXTBIKE 2008g, o.S. (Stand: Dezember 2008)

Ziel von nextbike ist es laut Firmenhomepage, im Laufe der kommenden Jahre in allen Metropolen, Kleinstädten und Tourismusorten Deutschlands präsent zu sein. „Im Jahr 2009 sollen die Nextbikes bereits in über 50 Städten vertreten sein“, heißt es auf der Homepage des Unternehmens.

5.5.2. Organisationsstruktur

In den o.g. Städten stehen die Nextbikes an zentral gelegenen Ausleihpunkten zur Verfügung. nextbike existiert sowohl als stationsgebundenes als auch als stationsunabhängiges Verleihsystem, die Rückgabemöglichkeit ist je nach Standort unterschiedlich flexibel geregelt. Stellt eine Stadt den notwendigen Platz für Verleihstationen im öffentlichen Raum zur Verfügung und beteiligt sich an deren Finanzierung, installiert nextbike ortsfeste Stellplätze. Andernfalls startet ein stationsungebundener Betrieb. Die Stationen des FVS bestehen aus einfachen Abstellbügeln (ähnlich wie bei CaB-fix ) und verfügen nicht über interaktive Terminals, an denen Kunden Informationen einholen oder sich beim System anmelden können (vgl. Abb. 35). Nur im Internet können Nutzer sich mit Hilfe einer interaktiven Karte jederzeit über die Standorte sämtlicher Nextbikes innerhalb eines Stadtgebiets informieren.

Prinzipiell müssen die Fahrräder nach der Benutzung wieder am Ausleihort abgestellt und abgesperrt werden. Eine erweiterte Regelung gilt in Leipzig, Nürnberg, Frankfurt, Offenbach, Dresden, Hamburg und Magdeburg. In diesen Städten können Nutzer ihr Leihfahrrad ohne Aufpreis an allen von nextbike veröffentlichten Standorten (Stationen) der jeweiligen Stadt retournieren. In Düsseldorf wiederum haben die Kunden die größte Flexibilität. Dort können die Räder ohne zusätzliche Kosten an beliebigen Orten innerhalb eines definierten Innenstadtbereichs, der auf einer Standortkarte gekennzeichnet ist, zurückgegeben werden. Zusätzlich zu diesem flexiblen Rückgabemechanismus werden in Düsseldorf Fahrräder an 25 fixen Leihstandorten angeboten.

138 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Wird ein Fahrrad bei der Rückgabe nicht an einem sog. „freigegebenen Ort“ abgestellt, entstehen den Nutzern zusätzliche Kosten (vgl. Kosten und Finanzierung), denn lokale Partnerfirmen von nextbike müssen die Leihräder dann einsammeln und zurück zu den vorgesehenen Ausgabestellen bringen. Auf ihrer Internetseite begründet die Firma die Erhebung dieser Rückführungsgebühren folgendermaßen: „Der hohe Aufwand, der bei den Radverschiebungen anfällt, macht diese Gebühren erforderlich. Da wir in der Regel keine kommunalen Subventionen beziehen, müssen wir unseren Kunden die Kosten in Rechnung stellen.“ (vgl. NEXTBIKE 2008a, o.S.) Die Fahrräder können an allen Standorten rund um die Uhr ausgeliehen und zurückgegeben werden, nur bei der Verfügbarkeit im Jahresverlauf existieren zwei unterschiedliche Regelungen. In einigen Städten werden die Räder zur Winterpause eingesammelt und erst im Frühjahr wieder bereitgestellt, während das Angebot an den übrigen Standorten im Winter lediglich ausgedünnt wird, das FVS aber dennoch ganzjährig in Betrieb bleibt.

Abb. 35: nextbike -Station in Offenbach (links) und ein Nextbike der zweiten Generation (rechts)

Quelle: NEXTBIKE

Nachdem nextbike in den ersten viereinhalb Jahren seit der Gründung der Firma hauptsächlich damit beschäftigt war, das System (Fahrräder, Logistik) weiterzuentwickeln und im Markt zu etablieren sowie erste größere Referenzprojekte umzusetzen (Leipzig, Offenbach und Düsseldorf), ist zu Beginn des Jahres 2009 die Wall AG , ein Spezialist für Stadtmöblierung und Außenwerbung, bei nextbike eingestiegen und hat einen Firmenanteil von 25,1% erworben. Die Wall AG reagiert damit auf das wachsende Interesse europäischer Städte an der Einführung öffentlicher FVS: „Bei Ausschreibungen um öffentliche Werberechte werden wir die Dienstleistung von nextbike mit anbieten “, erklärte Daniel Wall, Vorstandsvorsitzender der Wall AG, anlässlich des Anteilskaufs, der mit einer strategischen Kooperationsvereinbarung zwischen den beiden Unternehmen einhergeht (vgl. NEXTBIKE 2009, o.S.).

139 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich nextbike holt sich mit dem Einstieg der international tätigen Außenwerbefirma aus Berlin einen potenten und erfahrenen Partner an seine Seite und rechnet infolgedessen in den kommenden Jahren auch mit einer deutlichen Angebotsexpansion . „ Schon in 2009 wollen wir unseren Fuhrpark verfünffachen und neben der Aufstockung der Fahrradflotten an den bisherigen Standorten das System auch in zahlreiche weiteren Städten einführen “, erläutert Kalupner im Interview. „ Die Wall AG ist der ideale Partner für uns. Die Angebotspalette des Außenwerbers wird um ein kundenfreundliches Fahrradverleihsystem bereichert und nextbike erhält einen ebenso starken wie kompetenten Vermarktungspartner .“ (ebd.) Über den Kaufpreis der Anteile wurde Stillschweigen vereinbart.

Nachdem bei nextbike in den ersten Betriebsjahren neben den beiden Geschäftsführern hauptsächlich freie Mitarbeiter beschäftigt waren, möchte die Firma in den kommenden Jahren auch personell deutlich wachsen und hat im Januar 2009 bereits einige neue Stellen ausgeschrieben. Neben Angestellten für die Zentrale in Leipzig, von wo aus die Logistik des FVS gesteuert und das System vermarktet wird, sucht nextbike auch regionale Mitarbeiter und Kooperationspartner. So arbeitet die Firma vor Ort mit unterschiedlichen Partnerbetrieben zusammen, die sich um die Serviceabwicklung (Wartung, Pflege, Austausch, Distribution) in den jeweiligen Städten kümmern. Außerdem sucht nextbike sog. Regionalleiter (Mitarbeiter im regionalen Außendienst), die für die Betreuung und Kontrolle bestimmter Gebiete verantwortlich sind. Sie sollen in den großen Ballungs- und Touristengebieten Deutschlands den Auf- und Ausbau des Angebotes vorantreiben und für einen reibungslosen Betrieb sorgen. Sie sind zuständig für die Standortauswahl, die Organisation und Qualitätskontrolle der Service-Mitarbeiter sowie die Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit vor Ort.

5.5.3. Ausleihmechanismus

Vor der ersten Benutzung eines Fahrrades ist die einmalige Registrierung bei nextbike notwendig, die entweder per Internet oder telefonisch über die Hotline erfolgen kann. Nutzer müssen hierbei Namen, Anschrift, Handynummer sowie eine Bankverbindung angeben und ein Fahrtguthaben von mindestens € 1,00 anlegen. Die Gebührenabrechnung erfolgt per Kreditkarte oder per Einzugsermächtigung vom Girokonto des Kunden.

Um ein Nextbike auszuleihen, müssen Nutzer die Kundenhotline (Tel.-Nr: 030-69205046) anrufen und den Anweisungen des Sprachcomputers folgen, der eine englische und eine deutsche Menuführung anbietet. Zunächst müssen die Kunden das Nummernkennzeichen des Fahrrades, das sie ausleihen möchte über die Tastatur ihres Handys eingeben. Daraufhin erhalten sie einen Zahlencode, mit dem sich das Schloss des entsprechenden

140 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Fahrrads, ein herkömmliches Zahlenkombinations-Schloss , öffnen lässt. Anschließend kann das Fahrrad für eine beliebig lange Zeit genutzt werden. Möchte ein Nutzer die Fahrt zwischenzeitlich unterbrechen, kann er das Fahrrad mit dem Zahlenschloss absperren und mit dem bekannten Code später wieder aufschließen. Um den Ausleihvorgang zu beenden, muss der Kunde die Hotline ein weiteres Mal anrufen und den Rückgabestandort angeben. Nach der Rückgabe prüfen nextbike -Mitarbeiter Zustand und Position des Rades und ändern ggf. den Code des Zahlenschlosses.

Gelegentlich kommt es vor, dass Kunden bei der telefonischen Rückgabe den Standort falsch oder zu ungenau angeben, so dass nachfolgende Nutzer das Fahrrad nicht dort findet, wo es auf der Standortkarte der nextbike -Homepage angegeben wird oder sich Servicemitarbeiter auf die Suche nach Fahrrädern machen müssen. Dies ist jedoch nur selten der Fall, da Kunden für das von ihnen genutzte Fahrrad haften und mit Strafzahlungen rechnen müssen, wenn dieses nicht auffindbar ist. Es komme in der Praxis fast nie vor, dass ein Fahrrad nicht am angegebenen Ort stehe, so Kalupner (vgl. INTERVIEW ). Hier könnte die Übernahme der Regel von CaB , Fahrräder nur an Kreuzungen abstellen zu dürfen, teilweise sicherlich Abhilfe verschaffen, da die Ortsangabe mit Hilfe zweier sich kreuzender Straßen genauer und damit besser nachvollziehbar ist.

5.5.4. Die Fahrräder – Technik, Funktionen, Wartung und Service

Die Nextbikes wurden von Geschäftsführer Dipl. Ing. Ralf Kalupner selbst entworfen und entwickelt. Aufgrund der geschwungenen Form des Rahmens erinnern sie an den Fahrradtyp des „Beach-Cruisers“. Ziel dieses unverwechselbaren Designs ist es, eine möglichst große Fläche in der Mitte des Fahrradrahmens zu schaffen, um an dieser Stelle Werbung platzieren zu können. Von der übrigen Ausstattung her sind die Fahrräder recht einfach gehalten. Sie verfügen über eine 3-Gang-Nabenschaltung, eine automatische Lichtanlage, einen höhenverstellbaren Sattel und einen stabilen Korb an der Vorderseite des Rades. Dieser kann auch mit schwereren Gegenständen beladen werden, ohne das Lenken zu erschweren, da er direkt am Rahmen und nicht am Lenker selber befestigt ist. Abgeschlossen werden die Nextbikes mit einem einfachen Zahlenkombinationsschloss.

Nachdem die Fahrräder der ersten Generation noch einen Stahlrahmen besaßen, sind die Nextbikes der zweiten Generation aus rostfreiem Aluminium gefertigt (seit 2008). Weiterhin wurden einige technische Details verändert und besonders verschleißanfällige Teile ausgetauscht, die sich seit dem Start in 2004 in der Praxis nicht bewährt hatten. So kommt an den neuen Rädern nun ein stabilerer Ständer, eine hochwertigere Kette und Bereifung mit Pannenschutz zum Einsatz. nextbike hat die Erfahrung gemacht, dass es sich nicht lohnt, an

141 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich der falschen Stelle, nämlich bei der Qualität des Fahrrades, Geld zu sparen, da der daraus resultierende Wartungsaufwand auf lange Sicht deutlich höhere Kosten verursacht (vgl.

KALUPNER 2008, o.S. – INTERVIEW ). nextbike ist das einzige FVS der dritten Generation, bei dem Fahrräder ohne tiefen Einstieg zum Einsatz kommen. Um eine möglichst große Werbefläche zu erhalten, wurde die Form eines Herrenrades gewählt, was den Nachteil hat, dass die Nextbikes für kleinere Personen oder die Nutzung mit bestimmten Damenbekleidungsstücken kaum geeignet sind. Derzeit wird jedoch ein Prototyp mit einem etwa 30 cm tieferen Einstieg entwickelt, der ab 2009 zum Einsatz kommen soll.

Nachdem die Räder der ersten Generation noch von einer ausländischen Herstellerfirma produziert wurden, hat nextbike in 2008 eine eigene Produktionsstätte in Leipzig eröffnet, wo inzwischen alle Firmenfahrräder zusammengebaut werden. Dies hat den Vorteil, dass die Zentrale auf plötzliche Nachfrageschwankungen schneller reagieren kann und dass die Qualität der Montage direkt vor Ort überwacht werden kann, wodurch viel unnötiger Ärger erspart bleibt. „ In den ersten Jahren haben wir viele schlechte Erfahrungen gemacht, denn wir mussten neu ausgelieferte Räder immer erst einmal komplett durchchecken und sämtliche Schrauben nachziehen, um einen verlässlichen Einsatz gewährleisten zu können. Jetzt kaufen wir nur noch die Teile und übernehmen die Montage komplett selber. So können wir sicherstellen, dass die Räder sofort in optimaler Qualität am Standort ausgeliefert werden, “ erklärt Kalupner (vgl. INTERVIEW ).

5.5.5. Nutzungsgebühren, Kosten und Finanzierung nextbike bietet zwar keine kostenlose Nutzung seines Fahrradverleihservice aber dennoch vergleichsweise günstige Fahrpreise an. So kostet die Ausleihe eines Fahrrades € 1,00 pro angefangener Stunde und € 5,00 für 24 Stunden. Hinzu kommen eventuelle Rückführungsgebühren, falls das Fahrrad nicht an einem „erlaubten“ Standort zurückgegeben wird. Während die Nextbikes in Hamburg, Leipzig, Frankfurt und Dresden gegen einen Aufpreis von € 2,00 pro angefangenem Entfernungskilometer zwischen Ausleih- und Rückgabeort an jeder Adresse zurückgeben werden können, berechnet nextbike in anderen Städten ein Gebühr von mindestens € 10,00.

Bei Diebstahl und Schäden ist die Haftung der Kunden auf € 75,00 pro Fahrrad beschränkt. Nur bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz haften Nutzer im Schadensfall in voller Höhe. Die Haftungszeit beginnt mit der Sendung bzw. Mitteilung der Zahlenkombination und endet mit der Kontrolle durch das nextbike -Serviceteam bzw. schon früher, wenn das Rad wieder vermietet wird. Die Kontrollen finden in der Regel täglich während der Abendstunden statt,

142 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich längstens 48 Stunden nach Rückgabe, wie es auf der Homepage heißt (vgl. NEXTBIKE 2008a, o.S.). Dass Kunden tatsächlich zur Rechenschaft gezogen werden, weil sie auch nach der Rückgabe noch bis zu 48 Stunden für das Fahrrad haften, kommt allerdings so gut wie nicht vor, erklärt Georg Ruppelt von nextbike : „Das ist reine Theorie und bislang noch in keiner Stadt vorgekommen. Wie soll man auch nachweisen, wer das Rad beschädigt hat .“ (vgl.

SIECKMEYER 2008, o.S.)

Die Finanzierung des Systems erfolgt ausschließlich über die erhobenen Nutzungsentgelte und die Vermarktung der Werbeflächen auf den Fahrrädern. Eine Subventionierung oder anderweitige Unterstützung der jeweiligen Stadt ist für den Betrieb des FVS nicht grundsätzlich erforderlich, wird aber auch nicht ausgeschlossen (vgl. Finanzierung in Düsseldorf und in Offenbach).

Die Kosten für die Buchung der Werbeflächen auf den Fahrrädern variieren von Stadt zu Stadt und können bei Interesse per telefonischer oder schriftlicher Anfrage in Erfahrung gebracht werden. Die Preisspanne liegt etwa zwischen € 34,00 und € 48,00 je Fahrrad und Monat. Da die Werbung auf den Nextbikes nicht nur an einem bestimmten Platz anwesend ist, sondern auch „herumgefahren“ wird und den Ort somit ständig wechselt, stellen die Leihfahrräder für viele Firmen eine interessante und geeignete Möglichkeit dar, im öffentlichen Raum visuell präsent zu sein. „Die Werbung auf den Nextbikes fällt auf und dies an den belebtesten Plätzen der Stadt. Egal ob mitten in der Fußgängerzone oder vor dem Hauptbahnhof - die sympathische Fahrradwerbung zieht die Blicke der Passanten und Autofahrer auf sich. Ob als stehender oder fahrender Werbeträger – die mobile Werbung können die Passanten und Autofahrer kaum übersehen“, wirbt nextbike auf seiner Homepage (vgl. NEXTBIKE 2008b, o.S.).

Werbekampagnen mit nextbike sind bundesweit in allen Städten verfügbar, also auch dort, wo das FVS noch nicht vertreten ist. Denn sobald Interessenten auf mindestens fünf Rädern oder für einen Zeitraum von mindestens drei Monaten Werbeflächen buchen, werden Fahrräder am jeweiligen Ort bereitgestellt. nextbike bietet interessierten Firmen die vollständige Produktion und Betreuung (Gestaltung, Druck, Schnitt, Befestigung, Logistik) der entsprechenden Werbung an. Die grafische Ausgestaltung der Werbeflächen (1 x linke Seite, 1 x rechte Seite) ist dabei flexibel, es können Fotos, Logos, Schriften und Farben nach Belieben verwendet werden. Auf der Homepage können sich interessierte Kunden vor der Gestaltung eine entsprechende Anleitung downloaden. Die Liste an Referenzen für Werbepartner ist inzwischen recht lang, immer mehr Unternehmen nutzen die günstige Werbemöglichkeit auf den Nextbikes (vgl. NEXTBIKE 2008c, o.S.).

Da nextbike seine Leihfahrräder nicht bloß zu Werbezwecken in der Innenstadt bereitstellt, braucht die Firma keine städtischen Sondergenehmigungen für ihr Serviceangebot.

143 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Diskussionen mit einer Stadt müssen erst geführt werden, sobald offizielle Fahrradstationen aufgebaut werden, so Georg Ruppelt von Nextbike (vgl. RHEINISCHE POST 2008a, o.S.)

Dank der Kooperation mit der Wall AG rechnet nextbike fest damit, interessierten Städten und lokalen Partnern zukünftig noch bessere Angebote unterbreiten zu können und vor allem die Startinvestitionen zu minimieren. „ Bis 2008 sah unser Modell so aus, dass der Franchisenehmer € 300,00 pro Fahrrad investieren musste. Ab 2009 wird sich dieser Betrag deutlich reduzieren, weil sich durch die Kooperation mit der Wall AG neue Finanzierungsmöglichkeiten ergeben und die Anschaffung der Räder für den Kunden vor Ort dann wahrscheinlich nur noch etwa € 100,00 kosten wird .“ (KALUPNER 2008, o.S. –

INTERVIEW )

Kooperationspartner vor Ort: Franchisenehmer, Stadtverwaltungen & Werbetreibende

Das Ziel von nextbike ist es, in den nächsten Jahren in allen Metropolen, Kleinstädten und Touristenorten vertreten zu sein. Hierfür hat die Firma verschiedene Kooperationsmodelle entwickelt.

Indem Franchisenehmer nextbike in Ihre Region oder Stadt holen, können sie von den Werbe- und Verleiheinnahmen sowie von der Fahrradwerbung selber profitieren. Bei diesem Franchise-Partner-Modell werden die generierten Einnahmen aus Verleih und Werbung zwischen Franchisenehmer und der Betreiberfirma nextbike aufgeteilt. Die genauen Konditionen und Anteile werden individuell ausgehandelt und hängen vom jeweiligen Standort sowie Dauer und Umfang des Vertrages ab. Immer mehr Werbeagenturen, Fahrradhändler und Unternehmer machen von diesem Modell Gebrauch (vgl. NEXTBIKE 2008d, o.S.).

Weiterhin bietet nextbike sein FVS Stadtverwaltungen direkt an. Durch den Verzicht auf eine aufwendige Stationsinfrastruktur und die Vermarktung der Werbeflächen an den Leihrädern können sowohl die Betriebs- als auch die laufenden Kosten verhältnismäßig gering gehalten werden, so dass nextbike nicht auf eine Bezuschussung seitens der Kommune angewiesen ist. Damit bietet die Firma Städten eine individuell gestaltbare und zusätzliche Mobilitätslösung an, ohne dass diese dafür eigene finanzielle Ressourcen aufwenden müssen (vgl. NEXTBIKE 2008e, o.S.).

Sobald Firmen und andere Interessenten Werbeflächen auf den Leihfahrrädern buchen, stellt nextbike am jeweiligen Ort Fahrzeuge bereit. Auf diese Weise können auch Werbetreibende für die Implementierung des FVS an einem neuen Standort sorgen. Außerdem bietet nextbike seine Fahrräder auch in Form eines Leasing-Modells als sog. „ Werbefahrräder “ für

144 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich den individuellen Gebrauch an. Firmen können Nextbikes unabhängig von einem Verleihsystem leasen, mit ihrer eigenen Werbung versehen lassen und diese als Firmenräder ihren Mitarbeitern, Kunden oder Gästen zur Verfügung stellen. Die monatlichen Raten für das Werbefahrrad-Leasing liegen je nach Umfang der Bestellung zwischen € 10,00 und € 20,00 pro Rad (vgl. NEXTBIKE 2008f, o.S und INTERVIEW KALUPNER ).

5.5.6. Marktentwicklung, Nutzergruppen und weitere Pläne

Angaben zu Kundenzahlen und Nutzungshäufigkeiten veröffentlicht nextbike bisher kaum. Einerseits ist es schwierig, den Umfang der Leihvorgänge über das Jahr hochzurechnen, da das Angebot an Fahrrädern an den meisten Standorten starken Schwankungen unterliegt. Außerdem befindet das ganze FVS sich immer noch in der Aufbauphase und befürchtet, dass ein falsches Bild entsteht, welches den Potentialen und dynamischen Entwicklungen der ersten vier Betriebsjahre nicht gerecht wird. „Die Zahlen oder Größenordnung sind momentan noch nicht unsere Stärke, sondern die Wirtschaftlichkeit. Wir haben in allen Städten zunächst sehr klein angefangen, deshalb halten wir uns mit Nutzerdaten noch zurück “ erklärt Kalupner. Dennoch ist er überzeugt, dass „ wir ja beispielsweise schon Auswirkungen auf das Angebot von Call a Bike genommen haben, denn die sind mit ihrem

Angebot inzwischen ja auch schon sehr viel billiger geworden .“ (vgl. INTERVIEW )

Durch die Kooperation mit Wall AG soll das Angebot zukünftig aber extrem ausgebaut werden mit dem Ziel, Call a Bike im Jahr 2010 in der Größenordnung zu überholen. Waren in der Saison 2008 etwa 1.000 Nextbikes im Einsatz, sollen bis Ende 2009 spätestens 2010 bereits 6.000 Fahrräder zum Verleih bereit stehen (vgl. KALUPNER 2008, o.S. – INTERVIEW ).

5.5.7. Beispielstädte - Düsseldorf und Offenbach

Im folgenden Abschnitt sollen exemplarisch die Verleihsysteme in Düsseldorf und in Offenbach vorgestellt werden, die gemeinsam mit Leipzig die drei größten Standorte von nextbike darstellen.

Düsseldorf:

Gemeinsam mit dem Amt für Verkehrsmanagement in Düsseldorf und der Zukunftswerkstatt Düsseldorf GmbH hat nextbike ein neues Konzept für ein „kombiniertes“ FVS entwickelt. Die Stadt unterstützt das Projekt mit einer einmaligen Anschubfinanzierung von € 98.000. Mit diesem Startkapital sind die ersten 300 Fahrräder bezahlt sowie einige Stationen errichtet worden (vgl. TODORINC 2008, o.S.). Um die Wartung und Pflege der Fahrräder kümmert sich die Zukunftswerkstatt, die dafür extra eine neue Stelle eingerichtet hat. „ Das entspricht

145 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich unserer Vorstellung, mit Dienstleistungen für die Bürger Arbeitsplätze zu schaffen “, so Armin

Weiß, Prokurist der Zukunftswerkstatt (vgl. RHEINISCHE POST 2008b, o.S.).

Nach einer Probephase zu Beginn des Jahres 2008 mit 30 Leihfahrrädern in der Innenstadt wurde das System am 21. Juli 2008 mit 100 Rädern offiziell eingeweiht und die Anzahl bis Mitte Oktober auf 300 Nextbikes erhöht. Bis April 2009 wird die Flotte in Düsseldorf um weitere 100 Fahrräder aufgestockt, die erstmals über einen tiefen Einstieg verfügen werden und damit für Frauen und Senioren besser geeignet sein sollen.

Abgestellt werden können die Fahrräder an jedem beliebigen Ort innerhalb des ausgewiesenen Geltungsbereichs. Zusätzlich zu den einzeln verteilten Rädern gibt es an interessanten und besonders hoch frequentierten Stellen in der Düsseldorfer Innenstadt 25 feste Stationen, an denen verlässlich immer auch eine größere Anzahl von Nextbikes bereitstehen soll. Dafür sorgt der Mitarbeiter der Zukunftswerkstatt, indem er neben den anfallenden Reparaturarbeiten auch für die Umverteilung der Räder zuständig ist und einzelne Gefährte einsammelt, um sie in den Stationen wieder bereitzustellen. nextbike soll dazu beitragen, den Fahrradverkehr in der Stadt Düsseldorf, der derzeit noch einen Anteil von 8,5% am gesamten Verkehrsaufkommen ausmacht, weiter zu erhöhen, so Verkehrsdezernent Werner Leonhardt (vgl. BLASCZYK , 2008, S. 1 ff.).

Bisher läuft der Betrieb des FVS sehr erfolgreich, bereits nach wenigen Tagen hatten sich über 1.000 Kunden registriert. „ Insgesamt sind wir zufrieden, die meisten Kunden haben das System verstanden “, so Georg Ruppelt von nextbike . Auch wenn die Räder teilweise an Plätzen außerhalb des ausgewiesenen Nutzungsgebietes abgestellt werden, zeigt sich die Betreiberfirma bisher kulant und lässt sie kostenlos wieder einsammeln. Auch der Versicherungsfall ist bisher noch nicht eingetreten. Denn die Mieter sind noch zwei Tage haftbar zu machen, wenn an den Rädern Schäden auftreten. Auffällig ist, dass die Düsseldorfer das Angebot nur selten zum Flanieren nutzen, sondern insbesondere als Ersatz für andere Verkehrsmittel (vgl. SIECKMEYER 2008, o.S.).

Über 1.500 Ausleihvorgänge konnte n extbike in den ersten 2 Monaten seit der Eröffnung des Systems mit zunächst 100 Rädern verzeichnen. Bisherige Untersuchungen in Düsseldorf haben ergeben, dass gerade junge Leute das Angebot von nextbike nutzen. Ab 2009, wenn alle 400 Nextbikes bereitstehen werden, rechnet die Firma mit weitaus höheren Nutzungszahlen. In den nächsten Jahren soll sich das Angebot außerdem vernetzen, indem auch in den Nachbarstädten Nextbikes eingeführt werden und im Idealfall mit der Zeit ein NRW-weites Verleih-Netz entsteht. Ein städteübergreifendes System wäre für die Kunden noch wesentlich attraktiver, beispielsweise für Touristen, weil dann nicht nur Einwegfahrten innerhalb einer Stadt, sondern auch zwischen Städten möglich wären (vgl. MÜCKE 2008, o.S.). Zukünftig werden sich Anzahl und Standorte der Fahrräder in der Stadt Düsseldorf an

146 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich der Nachfrage orientieren. Eventuell sollen weitere Standorte folgen, die dann auch außerhalb des jetzt gültigen Geltungsbereichs liegen könnten.

Offenbach: In Offenbach wird nextbike als stationsgebundenes System seit Oktober 2007 betrieben. An acht zentralen Stellen in der Innenstadt sind Verleihstationen eingerichtet worden (vgl. Abb. 35), an denen insgesamt 50 Räder bereit stehen. Den Betrag von € 15.000 zur Finanzierung der Fahrräder hat die „Lokale Nahverkehrsorganisation Offenbach GmbH“ (LNO), eine hundertprozentige Tochter der Stadt, übernommen, während die Stadt selber für € 4.000 die Anlagen zum Abstellen der Fahrräder errichtet hat. Deren Design fügt sich gut in das Stadtbild ein, da auch für die Nextbikes die bewährten Offenbacher Fahrradbügel verwendet werden. nextbike selber stellt die Telefon-Servicenummer zur Verfügung, übernimmt die Gebührenabrechnung und sorgt dafür, dass die Werbeflächen an den Rädern vermietet werden.

Von den Einnahmen aus der Werbung erhält die LNO 20%. Dieses Geld wird wieder in das Projekt investiert, das zunächst zwei Jahre laufen soll. Die Werbeflächen kosten in Offenbach zwischen € 15,00 und € 25,00 pro Monat. Beteiligt ist auch die Fahrradwerkstatt der kommunalen Gemeinnützigen Offenbacher Ausbildungs- und Beschäftigungsgesellschaft mbH (GOAB), deren Auszubildende im Auftrag von nextbike die Wartung, Reparatur und Rückführung der Räder übernehmen. Täglich fährt ein mobiles Serviceteam mit einem eigens hierfür gebauten Rad samt Werkzeugbox die Stationen ab und kontrollieren die Räder (vgl. RANNENBERG 2008, o.S.).

Wer das FVS in Offenbach nutzen und sein Fahrrad nach dem Gebrauch an einer beliebigen Stelle abstellen möchte, muss einen Aufpreis von € 1,00 pro angefangenem Kilometer Entfernung von der nächstgelegenen regulären Station zahlen.

"Mietfahrräder sind ein weiterer wichtiger Baustein im städtischen Verkehrssystem der Zukunft. In Zeiten steigender Verkehrsbelastung in Städten ist das Leihfahrrad eine moderne, kostengünstige und umweltfreundliche Ergänzung im Mix der Verkehrsmittel. Mit dem neuen Leihfahrradsystem weitet die Stadt Offenbach deshalb nicht nur ihren Service für die Bürgerinnen und Bürger aus, sondern unterstützt damit auch den Umweltschutz." Birgit Simon, Bürgermeisterin von Offenbach

„nextbike ist ein erfolgreiches Fahrradverleihsystem, das insbesondere durch sein Funktionalität und Wirtschaftlichkeit überzeugt.“ Daniel Wall, Vorstandsvorsitzender der Wall AG

147 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

5.5.8. Bewertung - die Stärken und Schwächen des Systems nextbike

Die grundlegende Idee von nextbike ist so einfach wie genial. Wenn man bedenkt, dass neben Häuserfassaden, Litfaßsäulen, Bushaltestellen und vielen anderen Flächen im öffentlichen Raum inzwischen immer häufiger auch Fahrzeuge mit Werbung „bestückt“ werden, spricht eigentlich nichts dagegen, auch ein FVS neben den Gebühreneinnahmen vor allem über die Vermarktung von Werbeflächen auf den Fahrrädern zu finanzieren. Wenn Busse, Straßen- und U-Bahnen, Taxis, LKW und PKW mit Werbung beklebt sind, ist es naheliegend, dass Fahrräder ebenfalls als „ fahrende Werbeträger“ genutzt werden, insbesondere wenn die generierten Werbeeinnahmen die Finanzierung einer sinnvollen öffentlichen Mobilitätsdienstleistung ermöglichen. „Werbung auf Leihfahrrädern ist vollkommen in Ordnung. Besser, es stehen zehn nützliche Leihräder mit Werbung drauf an der Straße, als zwei Litfaßsäulen, deren Platz für eine Leihstation genutzt werden könnte.“

(FEHLAU 2008, o.S. – INTERVIEW )

Dies sehen einige Städte, in denen nextbike eingeführt worden ist oder über eine Implementierung nachgedacht wird, jedoch ganz anders. Viele Kommunen lehnen die Nextbikes aus städtegestalterischer und denkmalpflegerischer Sicht als „an beliebigen Orten herumstehende oder -fahrende Werbeflächen“ ab. Allerdings fehlt auf kommunaler Seite bisher die rechtliche Handhabe, die Bereitstellung der Räder zu untersagen. Da es sich bei den Fahrrädern definitorisch in erster Linie um Fahrzeuge und nicht um Werbeflächen im öffentlichen Raum handelt und das FVS ohne ortsfeste Verleihstationen auskommt, bedarf die Einführung des Angebotes (bisher) keinerlei verwaltungstechnischer Genehmigung . Entsprechend spart nextbike durch die mobilen „Werbeträger mit Pedalen“ einerseits die üblichen kommunalen Konzessionsgebühren für Werbeanbringungen im öffentlichen Raum und ist andererseits unabhängig von langfristigen Verträgen im Rahmen der Vergabe von Außenwerberechten.

Die Kunden können von diesem Konzept profitieren, denn dank des Engagements von Werbepartnern bietet nextbike vergleichsweise günstige Nutzungstarife an. Und auch für die Kommunen ergeben sich durchaus Vorteile, wenn sie an der Einführung eines FVS interessiert sind. „ Im Gegensatz zu anderen Systemen sind für die Einführung von nextbike bis zu zehnmal weniger Investitionen notwendig, da kein großer infrastruktureller Aufwand betrieben werden muss und die Kosten für die Besteller somit niedrig gehalten werden können “, erklärt Kalupner (vgl. INTERVIEW ). Die besondere Stärke von nextbike im Vergleich zu anderen Fahrradverleih-Systemen ist also seine Wirtschaftlichkeit , denn nextbike ist nicht auf die Bezuschussung der laufenden Kosten angewiesen. Auch kann die Einführung

148 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich des Systems vergleichsweise schnell und unkompliziert realisiert werden, denn es sind keine Baumaßnahmen 41 und auch keine langwierigen Genehmigungsverfahren erforderlich.

Dank der geringen Investitionskosten und der Flexibilität bei der Angebotsrealisierung (Größenordnung, mit/ohne Stationen, mit/ohne Winterpause) scheint nextbike v.a. auch für kleinere Städte und Regionen (z.B. touristische Destinationen) ein interessantes und geeignetes FVS zu sein, dessen Betrieb sich durch die Einbindung dezentraler Servicepartner auch in kleinem Rahmen organisieren lässt.

Das derzeitige Konzept von nextbike weist aber auch deutliche Schwächen auf. Da die Anzahl bereitgestellter Fahrräder an den meisten Standorten bisher (noch) vergleichsweise klein ausfällt, ist die Verfügbarkeit des Angebotes sehr gering. Mangels interaktiver Stationsterminals können Kunden sich nur im Internet über den Standort der Nextbikes informieren, falls sie ein Fahrrad entleihen möchten. Gleichzeitig sind die Nutzer in den meisten Städten an bestimmte vorgeschriebene Rückgabeorte gebunden, von denen bei kleinen Systemen nur sehr wenige existieren. Entsprechend ist das FVS für Rundreisen oder tageweise Nutzungen durch Touristen zwar recht gut geeignet, aber Einwegfahrten sind nur eingeschränkt oder gar nicht möglich 42 . Verlässlichkeit und Flexibilität sind jedoch besonders wichtige Kriterien, um ein FVS attraktiv zu gestalten und damit dauerhaft erfolgreich betreiben zu können.

Auch bei der Durchführung der Pflege- und Reparaturarbeiten besteht z.T. erheblicher Verbesserungsbedarf. So betreiben einige der vor Ort für die Wartungsarbeiten zuständigen Partnerbetriebe nur einen minimalen Aufwand, um die Funktionstüchtigkeit der Fahrräder sicherzustellen. nextbike selber ist neben der Etablierung und Weiterentwicklung des Gesamtsystems bislang vor allem mit der Vermarktung der Werbeflächen beschäftigt gewesen, um Einnahmen zu generieren. Die Qualität des Angebots hat dadurch vielerorts eher gelitten. Die große Stärke des FVS, nämlich seine Wirtschaftlichkeit, ist damit zugleich auch ein entscheidender Schwachpunkt des Konzepts. Um die laufenden Betriebskosten möglichst niedrig zu halten und durch die Werbeeinnahmen finanzieren zu können, sind nur vergleichsweise geringe Ressourcen für die Instandhaltung der Fahrräder vorgesehen. So entsteht in manchen Städten der Eindruck, nextbike ginge es in erster Linie um die Vermarktung der Werbeflächen und weniger darum, ein dauerhaft funktionierendes und damit attraktives FVS anzubieten.

41 Nur auf städtischen Wunsch richtet nextbike Stationen ein, die bisher nur aus herkömmlichen Fahrradbügeln bestehen und daher einfach und kostengünstig errichtet werden können.

42 Einzige Ausnahme bildet das System in Düsseldorf, wo die Nutzer die Fahrräder innerhalb des festgelegten Gebietes überall abstellen können.

149 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Dieser Schwächen ist sich die Firma aber durchaus bewusst: „ Wenn wir weiter expandieren, werden wir auch Strukturen einrichten, die verhindern, dass Räder kaputt in der Gegend herumstehen. Es soll dann zusätzliche Mitarbeiter geben, die sich um die Logistik vor Ort kümmern “, versichert Kalupner. Außerdem zeigen die Erfahrungen in den meisten Städten wohl, dass Vandalismus und Diebstahl keine allzu großen Probleme darstellen (vgl. KALUPNER 2008, o.S. - I NTERVIEW ).

Dass die Attraktivität der Werbeflächen in den ersten Betriebsjahren an vorderster Stelle stand, zeigt auch die Tatsache, dass die Nextbikes die einzigen Leihfahrräder aller aktuelle implementierten FVS der dritten Generation sind, die nicht über einen tiefen Einstieg verfügen und damit als Herrenrad für kleinere Personen oder bestimmte Kleidungsstücke kaum geeignet sind. Auch hier hat nextbike inzwischen jedoch reagiert und will ab 2009 auch ein Fahrrad mit tieferem Einstieg anbieten.

Schließlich gilt es beim Ausleihmechanismus noch einige Schwachstellen zu beheben, denn die Einhaltung der Nutzungsbedingungen ist bisher nur schwer zu kontrollieren. Da nextbike sich die hohen Kosten für „High-Tech-Stationen“, wie sie bei den Systemen von Clear- Channel und JCDecaux zum Einsatz kommen und die jeden Ausleih- und Rückgabevorgang automatisch erfassen und dem jeweiligen Nutzer zuordnen können, spart, ist die Kontrolle der Leihvorgänge mit großem personellen Aufwand verbunden. Auch können Kunden die Leihfahrräder „illegal“ entleihen, wenn sie den Code (Zahlenkombination) eines Schlosses dank einer vorherigen Benutzung kennen und dieser von Servicemitarbeitern noch nicht geändert worden ist. Solange nicht ein weiterer Kunde das Fahrrad am gleichen Ort entleihen möchte oder ein Servicetechniker eine Kontrolle durchführt, kann nextbike eine „heimliche“ Ausleihe nicht bemerken, wenn das Fahrrad wieder am Ausgangsort abgestellt wird.

Da nextbike sein System aber ständig weiterentwickeln und verbessern möchte, ist davon auszugehen, dass die größten Mängel auf Dauer behoben werden. Insgesamt gilt es vor allem, die Qualität des Angebots weiter zu steigern, auch wenn dies sowohl die einmaligen Investitionskosten als auch die laufenden Betriebskosten erhöhen wird.

Kontakt:

nextbike GmbH Thomasiusstr. 16 Tel.: +49 (0)341- 240 38 77 04109 Leipzig Fax: +49 (0)341- 240 38 75 Internet: www.nextbike.de Email: [email protected]

150 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

5.6. Weitere Fahrradverleihangebote

In diesem Kapitel sollen zwei weitere Konzepte vorgestellt werden, die sich vom Angebotsansatz und der Organisationsstruktur her von den bisher beschriebenen Systemen unterscheiden. Sowohl das niederländische FVS OV-fiets , als auch das System bikey ® des Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr (VRR) werden ausschließlich an Bahnhöfen und Haltestellen des öffentlichen Nahverkehrs angeboten und richten sich vor allem an die Nutzer Öffentlicher Verkehrsmittel. Beide Angebote werden von großen Verkehrsgesellschaften betrieben und stehen deren Kunden als zusätzlicher Mobilitätsservice zur Verfügung.

5.6.1. Das Modell OV-fiets

Das FVS „ OV-fiets“ (deutsch: ÖV-Fahrrad) startete im Jahr 2002 in den Niederlanden als öffentlich gefördertes Pilotprojekt mit dem Ziel, Leihfahrräder zum integrierten Bestandteil des „klassischen“ ÖV-Angebots zu machen. Denn während 40% aller niederländischen „Bahnpendler “ mit dem Fahrrad zum Bahnhof fahren, wird es nur von 10% dieser Personen auch für die Anschlussmobilität am Zielbahnhof genutzt. An dieser Stelle setzt das Angebot von OV-fiets an (vgl. MOOK 2008, S. 5). Die computergesteuerten und damit vollautomatischen OV-fiets -Stationen bieten einen schnellen und einfachen Zugang zu Leihfahrrädern, die vor allem von den Kunden der „Nederlandse Spoorwegen“ (NS 43 ) im Vor- und Nachtransport des Schienenverkehrs genutzt werden sollen (vgl. Abb. 37). In 2007 hat die NS das FVS von der „ OV-fiets -Stiftung“ übernommen, die das System seit 2002 betrieben hatte.

Um auf die Leihfahrräder zugreifen zu können, müssen Nutzer sich zuvor beim System registrieren. Voraussetzung für die Anmeldung ist der Besitz einer niederländischen Bankverbindung, von der sowohl die Jahresgebühr von € 9,50 als auch die übrigen Nutzungsgebühren am Ende jedes Monats automatisch abgebucht werden. Die Benutzung eines Fahrrades kostet € 2,85 pro Tag (vgl. OV-FIETS 2008, o.S.).

Nach der Registrierung erhalten Kunden eine persönliche OV-fiets -Karte, durch die sie vom computergestützten Verleihsystem identifiziert werden können und die ihnen den Zugang zu sämtlichen Stationen ermöglicht, um sich ein Fahrrad in Selbstbedienung zu entleihen (vgl.

43 Die Nederlandse Spoorwegen (offizielle Abkürzung: NS) ist die nationale Eisenbahngesellschaft der Niederlande

151 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Abb. 36). Auch die anderen Kundenkarten der NS (z.B. Jahresabo) können als OV-fiets - Karte genutzt werden, sobald die Besitzer die Anmeldegebühr für OV-fiets bezahlt haben.

Abb. 36: Zwei Stationen des FVS OV-fiets

Quelle: Mook 2008, S.5 f.

Wichtigste Zielgruppen des Angebots sind die Kunden der NS, vor allem Alltagspendler aber auch „Freizeitfahrer“. Die NS geht von einem potentiellen Marktanteil von 20% aller

Bahnfahrer aus (vgl. MOOK 2008, S. 14). Die Fahrräder können z.B. von Berufspendlern morgens für die Anschlussfahrt vom Bahnhof zum Arbeitsplatz und abends für den Weg zurück zum Bahnhof benutzt werden. Da sich OV-fiets -Stationen jedoch ausschließlich an Bahnhöfen befinden, können die Räder nur dort geliehen und zurückgegeben werden. Entsprechende ergeben sich häufig sehr lange „passive“ Nutzungszeiten .

Abb. 37: Die OV-fiets der Nederlandse Spoorwegen

Quelle: Mook 2008, S.5 f.

Inzwischen hat sich das System als dauerhaftes Serviceangebot etabliert und wird an 160 Bahnhöfen in den Niederlanden angeboten. Vor allem die Bahnhöfe in der Randstad aber auch zahlreiche größere Bahnhöfe in den übrigen Regionen verfügen über eine OV-fiets -

152 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Station. 2006 hatten sich mehr als 23.000 Kunden bei OV-fiets angemeldet, 2008 waren es bereits über 30.000. Ziel der NS ist es, das Serviceangebot weiter auszubauen und die Leihfahrräder in Zukunft an 200 Bahnhöfen anzubieten. In 2011 soll die Marke von einer Millionen Leihvorgängen pro Jahr erreicht werden (vgl. ebd.). Das Konzept OV-fiets ist eines der wenigen FVS, die auf lange Sicht profitabel arbeiten sollen, d.h. das Angebot soll auf Dauer ohne jegliche Subventionierung auskommen und sich lediglich aus den selbst erwirtschafteten Einnahmen finanzieren (vgl. BÜHRMANN 2005, S. 9).

Die Stadt Utrecht , die an der Einführung eines größeren FVS interessiert ist, hat eine Studie in Auftrag gegeben, um die Potentiale und Grenzen eines solchen Angebots analysieren zu lassen. Der Untersuchungsbericht geht auch auf die Möglichkeit ein, das OV-fiets in ein Leihfahrradsystem gemäß den Konzepten von Clear-Channel oder JCDecaux umzuwandeln. Denn eine solche Systemerweiterung des „ÖV-Fahrrads“ wird angesichts der bestehenden Zielgruppen und der Integration des Systems in die Stadt von vielen als günstige Option angesehen, so die Schlussfolgerung des Berichts (vgl. FIETS BERRAD 2008, o.S.).

5.6.2. Das System bikey ®

„bikey ®“ ist der Name eines Fahrradserviceangebots des „Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr“ (VRR) und wird seit Ende des Jahres 2005 als Pilotprojekt in 5 Städten betrieben. „bikey ® richtet sich an alle Fahrgäste der Bahn, die mit dem Rad zum Bahnhof fahren wollen oder am Zielort ein Fahrrad nutzen möchten,“ heißt es auf der Homepage des VRR (vgl. VRR 2008a, o.S.). Das System bietet zwei verschiedene Mobilitätsservices an (vgl. Abb. 38):

1. Die blaue Fahrrad-Parkbox zum Abstellen privater Fahrräder

2. Die rote Parkbox zum Entleihen und Abstellen des bikey ®-Leihfahrrads

Abb. 38: Die bikey ®-Boxen am Bahnhof in Grevenbroich

153 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Quelle: Bikar 2008, o.S.

Mit einer speziellen Chipkarte können registrierte Kunden eine der blauen Parkboxen nutzen, um Ihr eigenes Fahrrad sicher und komfortabel abzustellen (Bike&Ride) oder haben Zugang zu einer den roten Boxen, um eines der bikey®-Leihfahrräder zu entnehmen bzw. wieder zurückzustellen. Die Boxen bieten nicht nur Schutz vor Witterung und Diebstahl, sondern sind auch rund um die Uhr zugänglich. Auf den sog. „ ISIGO -Chipkarten“ werden sowohl persönliche Daten der Kunden, als auch das Fahrtguthaben gespeichert. Bei Bedarf können die Nutzer ihre Karte wieder aufladen. Die Nutzungszeiten werden vom System elektronisch erfasst und damit exakt abgerechnet - sei es stunden-, tages-, monats- oder jahresbezogen (vgl. Tab. 15).

Tab. 15: Die Preisliste von bikey®

Die blaue bikey ®-Parkbox Preise in Euro (€) pro Stunde (mind. 3 Std.) 0,20 pro Tag (24 Std.) 1,10 pro Woche (7 Tage) 4,40 Für ein Jahr 80,00 Kaution 10,00 Das bikey ®-Leihfahrrad

(im Mietpreis ist die Nutzung der roten Parkbox enthalten) pro Stunde 1,00 1 - 2 Tage 5,50 (pro Tag) 3 - 5 Tage 4,50 (pro Tag) 1 Woche (7 Tage) 28,00 2 Wochen (14 Tage) 45,00 pro Monat 60,00

154 Fahrradverleihsysteme heute – aktuelle Modelle im Vergleich

Kaution 10,00

Quelle: eigene Darstellung nach VRR 2008b, o.S.

Für die roten Boxen wurde ein eigenes bikey ®-Leihfahrrad entwickelt, das über einen „Unisex“-Alurahmen mit tiefem Einstieg, eine Sieben-Gang-Nabenschaltung, Trommelbremsen, eine automatische Lichtanlage und eine abschließbare Gepäckbox auf dem Gepäckträger verfügt. Eine Transponder-Einheit erlaubt es, das jeweilige Fahrzeug über die Fahrradbox zu identifizieren, so dass nicht nur die Ausleihe, sondern auch die Rückgabe automatisch und damit in Selbstbedienung erfolgen kann.

Angeboten wird bikey ® in den Städten Bottrop, Duisburg, Essen, Grevenbroich und Witten an insgesamt 12 Bahnhöfen der DB sowie an zwei U-Bahnhaltestellen und an zwei Bus- /Straßenbahnhaltestellen (vgl. VRR 2008, o.S.). Es ist zu hoffen, dass das Pilotprojekt weiter ausgebaut wird, um möglichst viele interessierte Kunden zu erreichen.

155 Hamburg, Berlin, Stuttgart – drei Fallbeispiele aus Deutschland

6. Hamburg, Berlin, Stuttgart – drei Fallbeispiele aus Deutschland

In diesem Kapitel werden die Ansätze und Pläne für drei verschiedene Fahrradverleih- Konzepte vorgestellt, die in Deutschland realisiert werden sollen bzw. sollten. Während die Freie und Hansestadt Hamburg (FHH) als erste deutsche Kommune die Einführung eines FVS europaweit ausgeschrieben hat, wird in der Hauptstadt Berlin ein Modellprojekt umgesetzt, in dessen Rahmen das bisherige System von Call a Bike weiterentwickelt und vor allem die Kooperationspotentiale mit dem klassischen ÖPNV-Angebot untersuchen werden sollen. Für die Stadt Stuttgart schließlich ist ein innovatives Fahrradverleihkonzept mit Elektrofahrrädern (sog. Pedelecs) entwickelt worden, dessen Realisierung nach anfänglicher Euphorie und bereits verkündeten Zusagen seitens der Stadtregierung seit einigen Monaten doch höchst unwahrscheinlich ist, das aber völlig neue Ideen und Potentiale öffentlicher FVS aufzeigt.

6.1. Hamburg steigt auf

Als erste deutsche Stadt hat die Freie und Hansestadt Hamburg (FHH) Einrichtung und Betrieb eines öffentlichen FVS europaweit ausgeschrieben . Bereits im Vorfeld der Fußball- WM 2006 in Deutschland war die Implementierung eines solchen Systems diskutiert worden, allerdings entschied sich der Senat damals gegen die Umsetzung. Auch das im Jahr 2007 angestrebte Finanzierungsmodell zur Einführung eines FVS der Firma JCDecaux, die seit vielen Jahren für Hamburgs Stadtmöblierung verantwortlich ist, scheiterte zur Überraschung der Stadtverwaltung. „Meistens werden den Anbietern von Fahrradleihsystem im Gegenzug Werberechte auf öffentlichem Grund eingeräumt. Anstelle unserer jetzt vorgesehenen Haushaltsfinanzierung war dies auch in Hamburg überlegt worden, nämlich 2007, als die Werberechte neu ausgeschrieben worden sind, ein Fahrradleihsystem als Bestandteil der Stadtmöblierung zu implementieren. Allerdings gab es kartellrechtliche Bedenken im Hinblick auf die sog. Koppelung, d.h. in den Verträgen mit den Außenwerbeunternehmen musste die Stadt auf alle Leistungen verzichten, die nicht in direktem Zusammenhang mit der Außenwerbung und den hierfür benötigten Anlagen stehen “, erläutert Olaf Böhm von der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) im Interview.

Klassische Stadtmöbel wie z.B. Buswartehäuschen konnten Bestandteil des neu ausgeschriebenen Vertrags bleiben, da sie selbst auch dem Werbezweck dienen, schließlich ist die Werbung direkt auf ihnen angebracht. Ein FVS hingegen, stellte das Kartellamt fest,

156 Hamburg, Berlin, Stuttgart – drei Fallbeispiele aus Deutschland diene nicht direkt der Werbung 44 , weshalb die Einrichtung eines entsprechenden Systems nicht mit der Vergabe der städtischen Werberechte gekoppelt werden dürfe. „ Das Bundeskartellamt untersucht wohl den „Stadtmöblierermarkt“ derzeit und möchte solche Kopplungen vermeiden, weil man dabei auch Bieter ausschließt, die Stadtmöblierung herstellen, aber mit Außenwerbung nichts am Hut haben “, vermutet Böhm (vgl. INTERVIEW ).

Als Folge des Einspruchs der Kartellbehörde wurde der Außenwerbevertrag mit einer Laufzeit von 15 Jahren im Spätsommer 2007 in Hamburg ohne die Koppelung an ein einzurichtendes FVS abgeschlossen. Dieses wurde ein Jahr später separat ausgeschrieben, soll aber z.T. aus den Einnahmen der Werberechtsvergabe von über einer halben Milliarde Euro finanziert werden 45 . In 2009 ist es endlich soweit, im Frühjahr soll das neue FVS eingeweiht werden. Nach umfangreichen Vorarbeiten, senatsinternen Prüfungen und zahlreichen politischen Debatten erfolgte zum 30. April 2008 zunächst die öffentliche Ausschreibung zur Suche nach einem geeigneten Anbieter. Vergeben hat die Stadt den „Dienstleistungsauftrag über die Einrichtung und den Betrieb eines öffentlichen Fahrradleihsystems“ in einem Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb. Seit dem 13. Dezember 2008 ist bekannt, dass die DB den Zuschlag erhält und ihr System CaB in Hamburg einführen wird.

Zuständig für die Ausschreibung des FVS in Hamburg war die BSU. Dabei hat die Behörde externe Hilfe in Anspruch genommen und die Planungsgemeinschaft Verkehr ( PGV ) aus Hannover beauftragt, eine Konzeption für die Standortplatzierung der Verleihstationen zu erstellen und das Vorbereitungsverfahren fachlich zu begleiten. Zunächst wurden die Leihsysteme in anderen Städten miteinander verglichen, um auf diese Weise die Kriterien für die Ausschreibung des Systems in Hamburg festzulegen.

Wichtige Zielgruppen des zukünftigen Serviceangebots sind vor allem die Einwohner und Bürger der FHH, aber auch Touristen, Pendler und sonstige Besucher der Stadt. „ Viele fahren nicht unbedingt mit dem eigenen Rad in die City und profitieren daher von dem Angebot vor Ort. Denn gerade im Alltag scheuen viele zurück, ein vielleicht teures privates Fahrrad, das in der Freizeit viel genutzt wird, in der Stadt zu benutzen und im öffentlichen

Raum abzustellen. Für Gäste und Besucher von Einheimischen ein guter Service .“ (BÖHM

2008, o.S. – INTERVIEW )

44 Anders als beispielsweise die Fahrräder des Systems nextbike sind die Leihfahrräder des Systems Cyclocity® der Firma JCDecaux i.d.R. selber nicht mit Werbung versehen (Ausnahme: Citybike Wien ).

45 Die Werberechte in der Stadt Hamburg teilen sich bis 2022 die beiden Firmen JCDecaux und Ströer DSM. Die Hansestadt erhielt dafür insgesamt € 508 Mio (vgl. DWORSCHAK 2007, S. 183).

157 Hamburg, Berlin, Stuttgart – drei Fallbeispiele aus Deutschland

Das System im Detail – Planungen, Eigenschaften, Erwartungen und Kritik:

In der FHH soll ein öffentliches FVS mit ortsfesten Leihstationen eingerichtet werden. Die Stadt entschied sich aus zweierlei Gründen gegen ein nicht stationsgebundenes und damit flexibles System. Zum einen befürchtete die BSU, dass durch ein stationsloses Angebot die ohnehin wenigen und ständig überfüllten Fahrradbügel in der Hamburger Innenstadt mit den Leihfahrrädern noch weiter zugestellt werden würden und sich die Parksituation für private Fahrräder damit verschlechtern würde. Zum anderen bestanden aus denkmalpflegerischer und stadtgestalterischer Sicht Einwände gegen möglicherweise „wild in der Gegend herumstehende Leihfahrräder“ (vgl. BÖHM 2008, o.S. – INTERVIEW ). Zu hinterfragen bleibt an dieser Stelle jedoch, ob parkende Autos denn eigentlich ein so viel schöneres Bild abgeben als parkende Fahrräder?

Die Leihstationen des Systems sollen laut Böhm Befestigungsmöglichkeiten für die Räder aufweisen sowie über einen interaktiven „Info-Terminal“ oder eine ähnliche Einrichtung verfügen, an der die Nutzer möglichst auch per Chipkarte und nicht nur per Telefon (wie bei Call a Bike und nextbike ) ein Fahrrad entleihen können. In der Ausschreibung wird verlangt, dass der Ausleih- und Rückgabevorgang möglichst kundenfreundlich gestaltet sein muss und entsprechend in weniger als einer Minute erledigt werden kann.

Die Nutzer sollen mit den Leihrädern eine halbe Stunde lang gratis fahren können. Ab der 31. Minute soll dann eine Leihgebühr erhoben werden, die konstant ansteigt, vor allem um traditionelle Fahrradverleihanbieter zu schützen und diesen keine von der Stadt finanzierte Konkurrenz zu machen. Entsprechend sollen die Gebühren für die Tagesnutzung eines öffentlichen Leihfahrrads deutlich teurer sein, als die Mietgebühr für ein Fahrrad bei traditionellen Mietangeboten. Auch die Erhebung einer einmaligen Anmeldegebühr seitens der Betreiberfirma ist laut Ausschreibungstext erlaubt, diese soll jedoch nicht zu hoch angesetzt werden. Böhm spricht von einem niedrigen zweistelligen Eurobetrag. „ Weiterhin verlangen wir von den Anbietern auch, dass sie uns Kooperationen mit dem HVV (Hamburger Verkehrsverbund) in Form von Vergünstigungen für ÖPNV-Zeitkartenbesitzer aufzeigen. Das müssen wir dann sehen, inwieweit sich das auch im Tarifgefüge des HVV einpassen lässt .“ (BÖHM 2008, o.S. – INTERVIEW )

Ziel der Einführung eines FVS in Hamburg ist die Verbesserung der Nahmobilität für Einheimische und Touristen. Außerdem ist das geplante System Teil des Klimaschutzkonzepts, das die Kohlendioxid-Belastung in der Innenstadt reduzieren soll. Weiterhin besteht die Hoffnung, „ dass durch die größere Präsenz von Fahrrädern im Öffentlichen Raum und im Stadtbild klar wird, dass das Fahrrad einen höheren Stellenwert in der Hamburger Verkehrspolitik hat. Eine hehre Hoffnung ist auch, dass die Präsenz von mehr Radfahrern eine positive Auswirkung auf die Verkehrssicherheit hat, z.B. durch eine

158 Hamburg, Berlin, Stuttgart – drei Fallbeispiele aus Deutschland

Anpassung der Geschwindigkeit .“ (BÖHM 2008, o.S. – INTERVIEW ) Schließlich soll das FVS auch einen Beitrag leisten, um das von Umweltsenatorin Anja Hajduk ausgegebene fahrradverkehrspolitische Ziel zu erreichen. Sie möchte Hamburg zur echten Fahrradstadt entwickeln und den Radverkehrsanteil bis 2015 auf 18% verdoppeln.

Das FVS soll mit 1.500 Fahrrädern und ca. 130 Leihstationen ausgestattet sein, an denen die Räder ausgeliehen und zurückgegeben werden können. Die Standorte der Leihstationen werden durch die FHH vorgegeben. Dabei stellte die Auswahl geeigneter Standorte mit die größte Schwierigkeit bei den Vorarbeiten und Planungen im Vorfeld der Ausschreibung dar, wie Böhm im Interview erläutert: „In zwei Bezirken haben wir Ortsbegehungen durchgeführt zur Platzierung der Leihstationen und festgestellt, dass der öffentliche Raum begrenzt ist und die Nutzungskonkurrenzen enorm sind. Freie Flächen sind entsprechend kaum vorhanden, also muss man schauen, wo ggf. Restflächen oder überbreite Gehwege vorhanden sind. Wenn dies nicht der Fall ist, muss man an Flächen herangehen, die bereits anderweitig genutzt werden wie z.B. KFZ-Parkstände. Und das ist vor allem in den Stadtteilen mit gründerzeitlicher, verdichteter Bebauung mit enormem Parkdruck schon sehr schwierig, die Stationen dort unterzubringen. Es gibt da durchaus auch Dienststellen, die ein bisschen zurückhaltend reagieren, wenn es darum geht, Parkplätze aufzuheben. Im Bezirk Almsbüttel haben wir schon auf 2 bisher geplante Standorte verzichtet. Je nachdem wie groß man die Stationen wählt rechnet man mit zwei bis vier Auto-Parkplätzen, die ggf. wegfallen müssen .“

Bei der Suche und Auswahl geeigneter Standorte wird dabei in folgender Reihenfolge abgestufter Priorität vorgegangen:

1. Nutzung von Restflächen, Zwischenstreifen und überbreiten Gehwegen, soweit solche vorhanden sind

2. Wenn diese nicht vorhanden sind, sollen KFZ-Parkstände aufgegeben werden, soweit dies vertretbar ist

3. Wenn das nicht möglich ist, sollen eventuell vorhandene öffentliche Fahrradbügel versetzt werden, da diese sich flexibler verteilen und aufstellen lassen, als eine Fahrradverleihstation, die ja etwas kompakter angelegt ist

4. Falls diese Optionen sich alle nicht realisieren lassen, soll ein Ersatzstandort mit möglichst gleichem Nutzerpotential in der Nähe gefunden werden

Weiterhin wurden für die Stationen des FVS drei Größenklassen definiert:

• klein (10 – 15 Stellplätze, in den Wohngebieten oder zur Stationsnetzverdichtung)

• mittel (15 – 25 Stellplätze, für die U-Bahn und S-Bahnhöfe)

• groß (mehr als 25 Stellplätze, für die Fernbahnhöfe und für das Rathaus)

159 Hamburg, Berlin, Stuttgart – drei Fallbeispiele aus Deutschland

Die Realisierung des FVS soll in zwei Stufen erfolgen. Die erste Stufe sieht zunächst die Installation von 70 Stationen vor, an denen insgesamt 1.000 Leihräder bereitgestellt werden. „Stufe I“ umfasst die Innenstadt innerhalb des Wallrings mit zusätzlichen am Rand des Zentrums liegenden Hauptzielen (z.B. HafenCity, Heiligengeistfeld, Universität). Die Eröffnung der ersten 70 Stationen soll voraussichtlich im Mai 2009 erfolgen.

Weiterhin wurde die zweite Umsetzungsstufe mit 40 bis 60 Leihstationen und zusätzlich etwa 500 Fahrrädern in den Vertrag mit aufgenommen sowie eine mögliche weitere Verdichtung und Erweiterung des Systems als zusätzliche Option berücksichtigt. Die Umsetzung von „Stufe II“ steht allerdings unter Finanzierungsvorbehalt und ist vom Erfolg der ersten Umsetzungsstufe abhängig. „ Wir müssen bei dem System natürlich auch vorsichtig sein, dass wir nicht einen riesigen Betrag ausgeben und dann hinter sehen, dass das alles vielleicht nicht richtig läuft und das Angebot kaum angenommen wird “, begründet Böhm die zweistufige Umsetzung. Die Ausübung der Option durch die FHH ist jedoch ausschließlich vom Erfolg der ersten Umsetzungsstufe abhängig, die Finanzierung ist bereits für beide Stufen gesichert und als Ausgabeposten im Haushalt eingeplant. Vorgesehen ist, dass die zweite Stufe sich bis zu einem gedachten Ring entlang der Stadtteilzentren von Ottensen und Eimsbüttel im Westen, Winterhude / Stadtpark im Norden sowie Wandsbek Markt und Eilbek im Osten erstreckt.

Sollte das FVS auf eine besonders große Nachfrage stoßen, wird auch nicht ausgeschlossen, irgendwann noch eine dritte Stufe mit sog. Satellitenstandorten und einer Nachverdichtung des Angebots zu realisieren, betont Böhm. Außerdem hofft er, dass wir „ auf die Bedürfnisse der Nutzer so flexibel reagieren können, dass man nach den ersten Betriebsmonaten schon sieht, wo es Über- und Unterbelegungen gibt, die immer wieder auftreten und man dann die Stationen auch verkleinert oder vergrößert, teilt oder sonstwie flexibel reagiert .“ In jedem Fall ist zunächst jedoch eine maximale Vertragslaufzeit von zehn Jahren vorgesehen. Weiterhin ist geplant, für die sach- und fristgerechte Ausführung des FVS sowie für die Sicherstellung eines im Falle eines Misserfolgs eventuell erforderlich werdenden Rückbaus der Verleihstationen des Systems, eine Sicherheitsleistung in Höhe von ca. 3 - 5% des Auftragswertes zu fordern.

Wesentliche Leistungsbestandteile des Auftrags sind die Bereitstellung, der Betrieb und die Wartung (einschließlich Reinigung) des FVS (Räder und Stationen). Auch die Übernahme des Kundenservices gehört zu den Aufgaben des zukünftigen Betreibers. Um bei der Auswahl einen Fehlgriff möglichst zu vermeiden und eine hohe Angebotsqualität zu erzielen, „ werden wir uns von den Anbietern ein sehr ausführliches Betreiberkonzept vorlegen lassen, wo man auch wirklich erkennen kann, dass das auch tatsächlich funktioniert “, erklärt Böhm. „ Wir verlangen auf jeden Fall einen Nachweis der

160 Hamburg, Berlin, Stuttgart – drei Fallbeispiele aus Deutschland

Leistungsfähigkeit für den ganzen Betrieb. Die Anbieter sollen also auch erklären, ob sie eine Werkstatt haben, wie sie die Disposition organisieren, welches Personal sie einsetzen usw .“

Um eine hohe Kundenzufriedenheit zu erreichen, soll laut Ausschreibung immer eine maximale Anzahl von Rädern an den Stationen verfügbar sein, also entsprechend eine möglichst geringe Zahl an reparaturbedürftigen Fahrrädern in der Werkstatt stehen. Weiterhin sollen nicht betriebsfähige Räder nach möglichst kurzer Zeit aus den Stationen entfernt oder vor Ort repariert werden, um für ein gutes Image des Systems zu sorgen. Angestrebt wird eine ganzjährige, ganztägige Verfügbarkeit einer ausreichenden Zahl von Fahrrädern an allen Stationen, ein leicht nachvollziehbares Tarifsystem mit der Möglichkeit kostenfreier Kurzfahrten sowie eine möglichst leichte Handhabbarkeit und geringe Kosten bei der Erstanmeldung zum System sowie bei den Ausleih- und Rückgabevorgängen der Fahrräder.

Weiterhin müssen die Fahrräder des Systems die Anforderungen der Straßenverkehrszulassungsverordnung (StVZO) erfüllen. Außerdem sollen die Leihräder für möglichst viele Kunden nutzbar sein, also für Personen mit einer Körpergröße ab 150 cm und einem Alter ab 14 Jahren. Entsprechend sollen die Räder über einen tiefen Einstieg, einen leicht verstellbaren Sattel, einen Gepäckträger mit Fahrradkorb und eventuell eine Gangschaltung verfügen. „ Als Option haben wir auch abgefragt, ob man ggf. Kinderanhänger oder Kindersitze mit anbieten und ausleihen kann. Darauf haben die Anbieter teilweise auch reagiert, das scheint aber schwer realisierbar zu sein. Wir verlangen von dem Anbieter auch, dass er eine Geschäftsstelle betreibt und da könnte er vielleicht auch solches Zusatzzubehör bereit halten .“ (BÖHM 2008, o.S. – INTERVIEW ) Die Anbringung von Werbung an den Fahrrädern und den Leihstationen ist nicht zulässig, abgesehen von einem Hinweis auf den Betreiber des FVS sowie der Angabe des Fahrradherstellers auf den Fahrradrahmen.

„Die Anbieter sollen uns das ganze Angebot abrunden durch einen Callcenter , eine Geschäftsstelle und durch Internetseiten , auf denen man das ganze System kennenlernen und Informationen und Orientierungshilfen zur Anmeldung, zum Angebot, zu den Preisen usw. finden kann. Und um das ganze System auch wirklich dauerhaft erfolgreich zu machen und im Gespräch zu halten, haben wir auch ein Werbe- und Marketingkonzept verlangt, wo die Anbieter uns aufzeigen sollen, wie man das gestalten könnte. Das ganze System soll uns also aus einer Hand und aus einem Guss vom Betreiber hingestellt und gemanagt werden, denn wir wollen da eigentlich selber nicht mehr so viel machen müssen .“ (BÖHM 2008, o.S. –

INTERVIEW )

Geplant ist, für Einrichtung und Betrieb des FVS ein jährliches Betriebsentgelt an den Auftragnehmer zu entrichten. Die BSU wird das Leihsystem pro Jahr mit rund € 975.000 bezuschussen. Seit Mitte Dezember 2008 steht fest, dass die Behörde sich für die DB als

161 Hamburg, Berlin, Stuttgart – drei Fallbeispiele aus Deutschland

Betreiber entschieden hat. Wie BSU-Sprecher Enno Isermann mitteilte, war die Bahn der einzige Bewerber im Auswahlverfahren, der schließlich ein Angebot abgegeben hat (vgl.

HAMBURGER ABENDBLATT 2008b, o.S.).

Wie hoch die Nutzungsgebühren des FVS angesetzt werden, stehe noch nicht endgültig fest, erklärte Isermann weiterhin. Ferner wird noch abgestimmt, wie die Fahrräder genau aussehen werden und auch über die endgültigen Standorte für die Leihterminals wird erst im Januar 2009 Klarheit herrschen. Eine erste Zwischenbilanz des Serviceangebots soll nach einem Jahr gezogen werden, um dann zu entscheiden, ob Stufe II ebenfalls umgesetzt wird.

Neben den großen Erwartungen und der Vorfreude auf das FVS gibt es aber auch einige Kritiker des Konzepts. So hat der ADFC Hamburg im Mai 2008 eine Stellungnahme zu den Plänen auf seiner Internetseite veröffentlicht und deutliche Bedenken angemeldet. Der ADFC befürchte erhebliche Nachteile für Hamburgs Fußgänger und Radfahrer durch das neue System. Die Stationen würden in Hamburg auf Flächen installiert werden, die sinnvoller für fehlende Fahrradbügel genutzt würden oder aber als Freiflächen für Fußgänger bestehen bleiben sollten, heißt es dort. Es bestehe die Gefahr, dass angesichts der engen Freiflächen auf Gehwegen vorhandene Abstellplätze wegfallen werden. Weiterhin wird Stefan Warda, verkehrspolitischer Sprecher des ADFC Hamburg, zitiert: " Statt nun Fahrradleihstationen in den letzten Freiräumen der Straßen unterzubringen, sollte die Stadt vielmehr die seit langem bestehenden Probleme beheben, also vordringlich benutzbare Radverkehrsanlagen und ausreichend Abstellmöglichkeiten für Fahrräder schaffen. In fast allen Hamburger Straßen mangelt es an richtig platzierten Fahrradbügeln .“

Diese Kritik verwundert vor allem deshalb, weil der Club im Jahr zuvor die Einführung eines FVS in Hamburg auf seiner Internetseite noch ausdrücklich begrüßt hatte. „ Paris hat mit viel Mut ein Modell auf die Beine gestellt, das nun als Maßstab für andere Großstädte gelten wird. Für Hamburg könnte ein solches integriertes Citybikesystem ein zusätzlicher Anschub für eine attraktive und lebenswerte Metropole sein, die sich verantwortungsbewusst den hausgemachten Klimakillern stellt. Es bleibt zu wünschen, dass die Hansestadt diese Chance nicht verpasst “, wird Stefan Warda in einer Mitteilung vom 09.08.2007 zitiert (vgl. ADFC 2007, o.S.).

Aber auch der verkehrspolitische Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion, Klaus-Peter Hesse, stellte im Juni 2008 das geplante FVS infrage. Denn es gebe noch "erheblichen Nachholbedarf bei der Instandsetzung der Radwege“, so dass die zusätzlichen Ausgaben zur Finanzierung des FVS seiner Meinung nach besser verwendet werden sollten, um ein paar Radwege instand zu setzen. " Im Rahmen begrenzter Ressourcen muss man sich vorher überlegen, was man für ein Leihsystem für welchen Preis bekommt und ob es das wert ist ", so Hesse. Im Falle einer Entscheidung für ein FVS müsse man es " anständig

162 Hamburg, Berlin, Stuttgart – drei Fallbeispiele aus Deutschland machen und ein qualitativ hochwertiges System installieren, das von der Bevölkerung auch angenommen wird ". (vgl. KRESSE 2008, o.S.)

Es bleibt jedoch zu hoffen, dass sich das zukünftige FVS in Hamburg zu einem Erfolgsprojekt entwickeln wird und auch dazu beitragen wird, in ganz Deutschland den Stein in Sachen „öffentlicher Fahrradverleih“ stärker ins Rollen zu bringen. Die Hansestadt hat bereits eine wichtige Vorreiterrolle eingenommen, denn sie hat sich als erste deutsche Kommune entschlossen, ein umfassendes und vergleichsweise großes 46 FVS auf eigene Initiative hin einzuführen und sich auch in angemessenem Umfang an der Finanzierung zu beteiligen.

6.2. Berlin – ein Modellprojekt mit Zukunft?

In Berlin wird ab 2009 ein Pilotprojekt durchgeführt, im Rahmen dessen untersucht werden soll, wie ein öffentliches FVS als innovativer Baustein in das klassische ÖPNV-Angebot integriert werden kann und welche Synergieeffekte und Chancen aber auch Schwierigkeiten sich dabei ergeben. In dem Modellprojekt ist „ eine schrittweise komplette Integration der Nutzung des FVS in den ÖPNV-Tarif vorgesehen “, erläutert Burkhard Horn von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin im Experteninterview. In der Bundeshauptstadt sollen zusätzlich zu den bereits vorhandenen knapp 1.500 weitere 1.200 CallBike s bereitgestellt werden. Außerdem sollen im Bezirk Berlin-Mitte an Haltestellen der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) zwischen 50 und 70 Verleihstationen errichtet werden. Diese sollen über interaktive Info-Terminals verfügen, an denen Buchungen und die Kundenregistrierung auch ohne Mobiltelefon möglich sind, wodurch sich der Ausleih- und Rückgabeprozess von CaB deutliche vereinfachen wird 47 . Außerdem ist die Erprobung sog. „virtueller“ Stationen vorgesehen. Horn beschreibt diese als „ abgegrenzten Raum mit Terminal, aber ohne feste Abstelleinrichtungen .“ Durch diese virtuellen Stationen soll die Standortbereitstellung im Zentrum Berlins erleichtert werden und Rückgabeprobleme bei „vollen“ Stationen reduziert werden. Wie genau das bereits seit 2002 in Berlin angebotene System CaB-flex mit dem technisch weiterentwickelten fix-System kombiniert werden soll, ist noch nicht geklärt. Allerdings scheint die DB tendenziell ohnehin eine Abkehr vom flex-

System anzustreben (vgl. HORN 2008, o.S. – INTERVIEW ).

46 Zum Vergleich: Hamburg = 1,77 Mio. EW und 1.500 CallBike s; Berlin = 3,42 Mio. EW und 1.500 CallBike s; München = 1,32 Mio. EW und 1050 CallBike s; Köln = 0,99 Mio. EW und 800 CallBike s

47 Damit stellen die Pläne in Berlin eine Weiterentwicklung gegenüber der bisherigen Stations- infrastruktur des fix-Systems dar, wie es in Stuttgart und an den ICE-Bahnhöfen bisher zum Einsatz kommt.

163 Hamburg, Berlin, Stuttgart – drei Fallbeispiele aus Deutschland

Beteiligt sind an dem Pilotprojekt neben der DB Rent die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung der Stadt Berlin , das BMVBS und der Bezirk Berlin-Mitte. Außerdem sind die BVG involviert, deren Kunden von dem Ausbau des FVS besonders profitieren sollen. Denn durch das erweiterte Angebot soll die kombinierte Nutzung von ÖPNV und Fahrrad in Berlin weiter verbessert werden. Allerdings wird durch die neuen CaB -Stationen vor allem angestrebt, dass die BVG-Kunden verstärkt die öffentlichen Leihfahrräder und weniger ihr eigenes Fahrrad für die Anschlussfahrt im Stadtzentrum nutzen. Denn bei der Fahrradmitnahme im ÖPNV herrschen in Berlin trotz einer Angebotsausweitung in den letzten Jahren in Spitzenzeiten häufig erhebliche Kapazitätsprobleme. Entsprechend soll durch die Erhöhung der Anzahl an CallBike s und die Errichtung von festen Stationen an den Haltestellen vor allem die S- und die U-Bahn „ entlastet “ werden, was die Mitführung privater Fahrräder betrifft. Damit richtet sich das erweiterte CaB -Angebot insbesondere an intermodal mobile Pendler, aber auch an Touristen, Besucher und die Innenstadtbewohner, die die Leihräder für spontane Kurzfahrten nutzen wollen (vgl. ebd).

Als Schwierigkeiten und Risiken des Pilotprojekts nennt Horn:

• die Umsetzbarkeit der vorgesehenen technischen Innovationen

• die dauerhafte Tarifintegration (Auswirkungen auf Einnahmeaufteilung etc.)

• die Bereitstellung der Standorte (Flächenverfügbarkeit an den geeigneten Standorten, Ansprüche von Städtebau und Denkmalpflege etc.) und

• die Gewährleistung einer ausreichenden Verfügbarkeit der Räder an allen Stationen

Die Gewährleistung der kontinuierlichen Verfügbarkeit einer ausreichenden Anzahl von Rädern an den Stationen sieht auch Hahn-Klöckner als eine der größten Herausforderungen an: „ Das wird sehr spannend, ob man die logistischen Probleme, die damit verbunden sind, schaffen wird. Denn wenn die S-Bahn ankommt und 30 Leute ein Fahrrad haben wollen und da auch einen Anspruch darauf haben, dann wird das nur funktionieren, wenn diese 30 sich auch immer darauf verlassen können, dass genügend Räder bereitstehen. Auf dem Weg zur Arbeit darf es dann nicht heißen: „Heute leider keine“, sondern das muss dann funktionieren. (…) Wenn man das in den Griff kriegt, kann ich mir vorstellen, dass die Berliner Verkehrsbetriebe ihr eigentliches Problem, was sie haben, dass sie zu erfolgreich sind mit der Fahrradmitnahme in S-Bahn-Zügen, damit auf eine schlaue Art und Weise in den Griff bekommen .“ (HAHN -KLÖCKNER 2008, o.S. - INTERVIEW )

Das vom BMVBS im Rahmen des NRVP geförderte Pilotprojekt soll zunächst bis 2010 laufen. Es wird eine wissenschaftliche Begleituntersuchung durchgeführt, um die Potentiale und Schwächen des Modells zu analysieren und zu evaluieren. Die Ergebnisse werden außerdem in das EU-Forschungsprojekt OBIS mit einfließen, das eine vergleichende

164 Hamburg, Berlin, Stuttgart – drei Fallbeispiele aus Deutschland

Untersuchung von Leihfahrradsystemen in verschiedenen europäischen Ländern durchführt (vgl. Kap. 8.2).

6.3. Stuttgart - von der „Auto-Hauptstadt“ zur „Hochburg der Pedelecs“ ?

Im Rahmen des Weltkongresses "Cities for Mobility" gab der Stuttgarter Oberbürgermeister Dr. Wolfgang Schuster (CDU) am 02. Juni 2008 eine Kooperation der Stadt mit dem britischen Unternehmen „ Ultra Motors“ und dem Verein „ ExtraEnergy “ bekannt. Im zweiten Halbjahr 2008 sollte ein System für den Verleih elektrisch unterstützter Fahrräder in Stuttgart etabliert werden. Die Initiative sollte eine Flotte sog. „ Light Electric Vehicles “ (kurz: LEVs), sowie ein dichtes Netz mit etwa 250 Verleih- und Ladestationen zur Verfügung stellen, die durchschnittlich nur 250 Meter voneinander entfernt errichtet werden sollten (vgl. AUTO -NEWS 2008, o.S.).

Wie sich inzwischen herausgestellt hat, wird das Konzept in der im Juni 2008 angekündigten Form nun doch nicht umgesetzt werden. Statt des Aufbaus öffentlicher Mietstationen für Pedelecs ist ein Modellprojekt zur dienstlichen Nutzung von Elektrofahrrädern in einzelnen Stuttgarter Firmen vorgesehen, über das aber noch keine verlässlichen Details veröffentlicht worden sind. Da das ursprünglich angedachte Konzept jedoch einige interessante Ideen und neue Ansätze enthält, sollen die wichtigsten Überlegungen im folgenden Abschnitt kurz vorgestellt werden.

Alles begann mit einem Pedelec-Rennen zur „ Rad WM “ in Stuttgart am 29. September 2007, bei dem Politiker und andere Prominente der Stadt auf Elektrofahrrädern gegen professionelle Rennradfahrer der WM antraten – und gewannen. Auch der im Anschluss an das Rennen durchgeführte „Pedelec-Monat“ mit einer Ausstellung und verschiedenen Promotion-Aktivitäten und Informationsveranstaltungen rund um das Thema „Elektrofahrräder“ sorgte mit dafür, dass die Potentiale und Chancen eines Pedelec-Systems für die Stadt Stuttgart auf politischer Ebene ernsthaft diskutiert wurden. Schon im Juni 2008 stellte Oberbürgermeister Schuster gemeinsam mit den Projektpartnern ExtraEnergy , Ultra Motor , Welldone und Olimpia ein zweistufiges Konzept vor, durch dessen Umsetzung sich die schwäbische Metropole von einer Autostadt zur „Pedelec-Hauptstadt “ entwickeln sollte.

Das Konzept:

In der ersten Stufe sollen an festen Verleihstationen, die aus Parkständern und einem „Akku-Automaten “ bestehen (vgl. Abb. 39), öffentliche Pedelecs für Abonnenten und Touristen zur automatischen Ausgabe bereit stehen, ähnlich wie bei den erfolgreichen, „normalen“ FVS der dritten Generation. Zum Einsatz kommen soll ein besonders robustes

165 Hamburg, Berlin, Stuttgart – drei Fallbeispiele aus Deutschland

Pedelec mit hochwertigen Mountainbike-Komponenten und Vollfederung der englischen Firma Ultra Motor . Je nach Streckenprofil und manueller Unterstützung durch den Fahrer schafft dieses Spezialmodell Reichweiten von 30 bis 70 Kilometern . Vergleichbare Räder kommen bisher bereits bei rund 8.000 Briefträgern der Deutschen Post AG zum Einsatz. Nach ersten Planungen sollen 1.200 dieser Fahrzeuge in der Stuttgarter Innenstadt an 300 Stationen verfügbar sein. Die Energie für die Ladestationen wird über Solartechnik (u.a. auf dem Dach der Station) gewonnen, so dass das Projekt im Hinblick auf die Umweltwirkungen klimaneutral ist, da die Räder selber emissionsfrei sind. Für eine Monatsgebühr von etwa € 10,00 können Kunden beliebig viele Fahrten mit den Rädern des Verleihsystems unternehmen (vgl. EXTRA ENERGY 2008a, o.S.).

In der zweiten Stufe ist vorgesehen, ein Angebot sowohl für die 600.000 Bürger der Innenstadt als auch für die etwa vier Millionen Einwohner im Großraum Stuttgart aufzubauen. Ziel ist es, innerhalb von sechs Jahren 300.000 Pedelecs verschiedener Hersteller über ein Leasingmodell in den Markt zu bringen. Das Stationssystem soll dabei technologisch so ausgelegt werden, dass es allen interessierten Fahrzeugherstellern ermöglicht, daran teilzunehmen. Daher werden für den stadtweiten Einsatz in Stuttgart extra neue, standardisierte Akkus entwickelt, die über eine normale Steckdose gespeist werden und dabei kaum größer als eine Getränkedose sind (vgl. LANDESHAUPTSTADT STUTTGART 2008, o.S.).

Grundidee ist, dass interessierte Bürger und Firmen ein Pedelec oder einen Elektroroller der teilnehmenden Hersteller über einen vierjährigen Leasingvertrag kaufen können. Ähnlich wie beim Abschluss eines Handyvertrags das Handy subventioniert wird, wenn der Kunde für eine bestimmte Vertragslaufzeit eine feste Monatsgebühr bezahlt, sollen auch die Kunden im Feldversuch in Stuttgart das Pedelec kostenlos zur Verfügung gestellt bekommen. Dafür müssen sie sich verpflichten, eine Monatsgebühr von etwa € 15 bis € 25 zu zahlen, die sie wiederum zur Benutzung des Gesamtsystems berechtigt. Außer der monatlichen Grundgebühr entstehen den Kunden jedoch keine weiteren Kosten für die Nutzung des Systems.

Gleichzeitig sollen im Großraum Stuttgart neben den Verleihstationen bis zu 1.000 Batterie- Wechsel-Automaten aufgestellt werden, an denen die Kunden rund um die Uhr und so häufig wie sie möchten eine leere Batterie gegen eine volle tauschen können. Zusätzlich sind Ladestationen geplant, in denen Nutzer die Batterie ihres Pedelecs innerhalb von 15 Minuten aufladen können. Die Infrastruktur soll innerhalb von drei Jahren aufgebaut werden, in Zusammenarbeit mit der Firma Bosch, dem Energieversorger EDF, dem Verkehrsverbund Stuttgart (VVS) und einem Investor (vgl. EXTRA ENERGY 2008b, o.S.)

166 Hamburg, Berlin, Stuttgart – drei Fallbeispiele aus Deutschland

Eine Akkuladung soll für eine Strecke von ca. 50 km reichen, so dass sich im Durchschnitt Kosten von etwa € 0,35 je 100 gefahrener Kilometer ergeben. " Mit Blick auf die steigenden Benzinpreise scheint die Nutzung der Pedelecs nicht nur in Bezug auf die Umwelt, sondern auch finanziell sehr interessant ", wirbt OB Schuster für das Modell (vgl. LANDESHAUPTSTADT

STUTTGART 2008, o.S.). Auf lange Sicht sollen Pedelecs zu anerkannten, verbreiteten und kostengünstigen Verkehrsmitteln werden. Die Firma Ultra Motors plant schon weitere Aktivitäten mit ihren Rädern: „ Wir wollen unsere Lösung nicht nur in Stuttgart sondern rund um die Welt etablieren “, verriet der Geschäftsführer Joe Bowman über die Zukunftspläne des Unternehmens.

Abb. 39: Prototyp einer Pedelec-Verleihstation samt Akku-Automat

Quelle: Neupert 2008, S.72 f.

Mit diesem weltweit einmaligen Pedelec-Pilotprojekt sollte die hügelige Landeshauptstadt für Fahrradfahrer attraktiver werden und vor allem Berufspendlern und Städtereisenden durch ein Netz von Versorgungsstationen eine kostengünstige, schnelle und emissionsfreie Alternative zum ÖPNV bieten. „Oberbürgermeister Dr. Wolfgang Schuster sieht in den batteriebetriebenen Rädern die Lösung, um die anspruchsvolle Stuttgarter Topografie zu meistern und den Anteil des Radverkehrs in Stuttgart deutlich zu erhöhen“, heißt es in einer Pressemitteilung der Landeshauptstadt. " Das kann in Stuttgart mit seinen 300 Höhenmetern Anstieg von der City in viele Stadtteile nur mit technischer Unterstützung gelingen. Die Räder sind insoweit ein guter Beitrag zu umweltfreundlicher Mobilität ", erklärt OB Schuster. " Zudem sind die Pedelecs für alle Bevölkerungsgruppen geeignet ." Mit der Realisierung des

167 Hamburg, Berlin, Stuttgart – drei Fallbeispiele aus Deutschland

Konzepts war auf Seiten des Stadtoberhaupts auch die Hoffnung verbunden, das selbst erklärte Ziel zu erreichen, den Anteil des Fahrrads am Gesamtverkehr von derzeit etwa 6 – 8% auf 20% zu erhöhen.

Abb. 40: Breites Medienecho – Bildzeitung (links) und OB Schuster im TV-Interview (rechts)

Quelle: Neupert 2008, S.68 f.

Nach der Präsentation am 2. Juni 2008 wurde in allen einschlägigen Zeitungen und regionalen Medien überwiegend begeistert über das angekündigte Projekt berichtet (vgl. Abb. 40). Von lokalpolitischer Seite kamen allerdings auch viele kritische Stimmen , vor allem von den Oppositionsparteien SPD und Grüne . Für Widerstand sorgte insbesondere der Plan, die Stationen durch Werbung zu finanzieren (vgl. EXTRA ENERGY 2008a, o.S.).

Letztlich scheiterte das ursprüngliche zweistufige Konzept wohl am politischen Widerstand und an der ungewissen Finanzierung. „Die kritischen Stimmen in der Lokalpolitik scheinen sich gegen das ursprünglich als erste Stufe geplante Mietmodell der Firma Ultra Motor durchgesetzt zu haben. Stattdessen sollen Pedelecs als Dienstfahrzeuge in einzelnen Firmen und auch den Politikern zur Verfügung stehen. Die zweite Stufe, die Pedelecs als Leasing-Fahrzeuge und öffentliche Wechselstationen für Batterien vorsieht, steht wie gehabt auf dem Plan.“ (EXTRA ENERGY 2008c, o.S.)

Ab 2009 möchte die Stadt nun dienstlich genutzte Pedelecs anschaffen, erklärt Wolfgang Forderer, Projektkoordinator der Stadt. „ Wir werden 200 bis 300 Stuttgarter Firmen einladen, sich zu beteiligen .“ Gerade auf großen Firmengeländen könnten Pedelec-Stationen aufgebaut werden, um die Mitarbeiter während der Arbeitszeit oder in der Mittagspause mobil zu halten. „ Außerdem sind wir mit der Deutschen Bahn im Gespräch .“ Geprüft wird derzeit, ob an den Stationen von CaB-fix zukünftig auch Pedelecs zur Verfügung gestellt werden können (vgl. MENDEZ 2008, o.S.).

168

TEIL III: Handlungsempfehlungen und

Schlussfolgerungen

7. Wichtige Voraussetzungen für den Erfolg - die Erfolgsfaktoren 7.1.Fahrradfreundlichkeit, politische Unterstützung und Fahrradbesitzquote

7.2.Vorbereitungsaufwand und Platz im öffentlichen Raum

7.3.Mindestgröße und Angebotsdichte des FVS

7.4.Zielgruppenspezifische Ausrichtung 7.5.Einbindung relevanter Akteure vor Ort 7.6.Distributionsaufwand berücksichtigen 7.7.Realistische Kosteneinschätzung 7.8.Stadtmindestgröße 7.9.Stationsgebunden oder stationsunabhängig? 7.10.Integrierter Ansatz zur Stärkung des Umweltverbunds

7.11.Starttermin 7.12.Die obligatorische Identifizierung der Nutzer 7.13.Qualität des Angebots – High Tech statt Low Budget

7.14.Nutzungsgebühr und Tarifstruktur – kurze kostenlose Nutzungszeit 7.15.Je einfacher, desto besser 7.16.Kommunikation und Werbung 7.17.Topographie und Klima 7.18.Verkehrserziehung 7.19.Monitoring

8. Resümee

8.1.Zusammenfassung der Ergebnisse und weitere Entwicklungsperspektiven

8.2.Wissenschaftlicher Beitrag der Arbeit und weiterer Forschungsbedarf

8.3.Schlussfazit

169 Wichtige Voraussetzungen für den Erfolg – die Erfolgsfaktoren

7. Wichtige Voraussetzungen für den Erfolg – die Erfolgsfaktoren

Die Implementierung eines FVS ist keinesfalls ein hundertprozentiger Erfolgsgarant oder ein automatischer „Selbstläufer“, sondern es bedarf einiger grundlegender Voraussetzungen, Kenntnisse und Anstrengungen, damit die Einführung eines solchen Mobilitätsangebots optimal gelingt und auch eine entsprechende Nachfrage generiert wird. Die im fünften Kapitel durchgeführte detaillierte Analyse einzelner FVS der dritten Generation sowie die zentralen Aussagen der durchgeführten Experteninterviews bilden die Grundlage, um daraus die wichtigsten Voraussetzungen, Eigenschaften und Kriterien für die Implementierung eines erfolgreichen FVS zu extrahieren. Aufbauend auf den Bewertungen der einzelnen Modelle, den Kenntnissen der jeweiligen Stärken und Schwächen und den Ergebnissen der Expertenbefragung werden die wichtigsten Erfolgsfaktoren abgeleitet und im Folgenden einzeln aufgeführt und erläutert.

Die Reihenfolge der Aufzählung stellt allerdings keine „Rangordnung“ dar, die Rückschlüsse auf die Bedeutung der einzelnen Erfolgsfaktoren im Verhältnis zueinander zulässt. Eine solche „Prioritätenliste“ würde allein deshalb wenig Sinn machen, da die aufgezählten Faktoren nur zum Teil Allgemeingültigkeit besitzen und eine Bewertung ihrer Wichtigkeit immer im jeweiligen Kontext vor Ort erfolgen sollte.

7.1. Fahrradfreundlichkeit, politische Unterstützung und Fahrradbesitzquote

Insgesamt profitiert ein FVS von fahrradfreundlichen Rahmenbedingungen und einem ganzheitlichen Förderansatz. Ein FVS sollte daher Bestandteil einer umfassenden Strategie zur Fahrradförderung und zur nachhaltigen Verkehrsentwicklung sein. Um die erzielbaren positiven Auswirkungen zu maximieren, sollte das Angebot an Leihfahrrädern in die gesamtstädtischen Verkehrssysteme und -planungen möglichst gut integriert werden. Beispielsweise können Kommunen durch die Erhebung von Parkraumgebühren einerseits die Nutzung des MIV in der Stadt unattraktiver machen und andererseits die so generierten Einnahmen in die Finanzierung eines FVS stecken, um gleichzeitig die Attraktivität des Fahrrades als alternatives Verkehrsmittel zu steigern.

Interessierte Städte sollten weiterhin über einen gewisses Minimum an Fahrradinfrastruktur verfügen, die ein sicheres und angenehmes Fahrradfahren ermöglicht. Schließlich werden vor allem Bürger, die das Fahrradfahren für sich erst neu entdecken und als Mobilitätsalternative kennenlernen müssen, umso leichter zu überzeugen sein, je schneller, sicherer und komfortabler das Fahrradfahren in ihrer Stadt ist. Dies bedeutet jedoch nicht, dass ein FVS nicht funktionieren kann, solange nicht die perfekten infrastrukturellen

170 Wichtige Voraussetzungen für den Erfolg – die Erfolgsfaktoren

Voraussetzungen geschaffen wurden. Insbesondere die Beispiele Paris, Lyon und Barcelona zeigen eindrucksvoll, dass der Erfolg eines FVS nicht von der Länge der bereits verfügbaren Fahrradwege abhängt 48 . Es sollte aber die Bereitschaft vorhanden sein, die Rahmenbedingungen für den Fahrradverkehr dauerhaft zu verbessern.

Ein starkes Engagement der lokalen Planer und Entscheidungsträger für eine nachhaltige Stadt- und Verkehrsentwicklung ist eine also wichtige Voraussetzung für den Erfolg eines FVS. Es sollte der klare politische Wille vorhanden sein, die Bedingungen für den Fahrradverkehr insgesamt zu verbessern und das Fahrrad allgemein als ein vollwertiges städtisches Verkehrsmittel zu fördern. Nur dann ist damit zu rechnen, dass auch ein FVS dauerhaft unterstützt wird und von lokalpolitischer Seite nicht lediglich als willkommenes Alibi befürwortet wird.

Die meisten der befragten Experten gehen außerdem davon aus, dass der Erfolg eines FVS auch im Zusammenhang steht mit der „Fahrradbesitzquote“ der Einwohner einer Stadt. Je weniger private Fahrräder in einer Stadt vorhanden sind, desto stärker werden interessierte Nutzer auf das Angebot eines FVS zurückgreifen.

„Ich denke, dass ein FVS theoretisch überall funktionieren kann, aber ic h denke schon, dass die Nutzung in einer Fahrradstadt eine andere ist, als in der „Fahrrad-Diaspora“. Entsprechend vermute ich, dass es sich auch auf die Zugriffszahlen auswirkt. Dort wo viele Bürger ein eigenes Fahrrad haben, werden sie dieses eher benutz en, als ein Leihfahrrad, wenn sie die Wahl haben. Daher denke ich, dass das System velib in Berlin nicht so erfolgreich sein könnte, wie in Paris.“ Arne Koerdt, Interview

„Lokale Größen wie z.B. Politiker können eine entscheidende Rolle spielen, wenn es g ilt, die Realisierung eines FVS an einem Ort voranzubringen.“ Sebastian Bührmann, Interview

7.2. Vorbereitungsaufwand und Platz im öffentlichen Raum

Obwohl die reine Installation eines FVS je nach Größenordnung in drei bis sechs Monaten und damit auch relativ kurzfristig möglich ist, bedarf es im Vorfeld der Umsetzung ausreichender personeller Ressourcen auf Seiten der Stadt, um eine sorgfältige Planung,

48 Da Fahrradfahren zunächst einmal ziemlich voraussetzungslos ist, stellt das Fehlen einer guten Infrastruktur keinen grundsätzlichen Hinderungsgrund für die erfolgreiche Implementierung eines FVS dar. Denn vor allem abseits der großen Hauptverkehrsstraßen mit hohen Verkehrsdichten ist das Fahrradfahren auch ohne Fahrradwege sicher, komfortabel und einfach.

171 Wichtige Voraussetzungen für den Erfolg – die Erfolgsfaktoren

Konzepterstellung und Ausschreibung zu gewährleisten. Bührmann geht im Regelfall von einer Planungszeit von weniger als 2 Jahren aus (vgl. BÜHRMANN 2006, S.3).

Um ein stationsgebundenes FVS implementieren zu können, müssen ausreichend freie oder umzuwidmende Flächen zur Installation der Stationen vorhanden sein, zur Verfügung gestellt oder neu geschaffen werden. Die Suche nach geeigneten Standorten gestaltet sich z.T. sehr schwierig, da sich das Angebot öffentlicher FVS meist auf zentrale Bereiche einer Stadt konzentriert, wo eine besonders hohe Konkurrenz verschiedener Flächennutzungsansprüche herrscht. Entsprechend sollte der zeitliche Aufwand für die Suche geeigneter Standorte nicht unterschätzt werden. Außerdem sollte die Auswahl besonders sorgfältig durchgeführt werden, weil die Lage der Stationen entscheidend für die Zugänglichkeit und die Präsenz des Systems im öffentlichen Raum ist.

Die anschließende Implementierung des FVS kann dann recht schnell erfolgen, wie die Umsetzungen in Paris und Wien gezeigt haben, wo zwischen der Zusage seitens der Stadt und der Eröffnung des Systems nur wenige Monate vergangen sind (vgl. jeweilige Kapitel).

„Viele Kommunen unterschätzen den Aufwand, der mit öFVS verbunden ist: Es müssen Flächen für die Abstellanlagen bereitgestellt werden und das muss ordnungsrechtl ich korrekt gemacht werden. Und darüber hinaus muss noch die Logistik daher: Prüfung, Wartung, Qualitätssicherung und Mobilitätsströme abdecken. Das wissen viele Kommunen nicht.“

Ralf Kaulen, Interview

7.3. Mindestgröße und Angebotsdichte des FVS

Um einen spürbaren Effekt auf das Mobilitätsverhalten und damit die städtische Verkehrssituation insgesamt bewirken zu können, sollte ein FVS über eine gewisse Mindestgröße verfügen, die von der Einwohnerzahl und der Fläche der jeweiligen Stadt abhängt. Dies bedeutet, dass ein FVS mit einer angemessen hohen Anzahl von Fahrrädern und Stationen (je nach System) geplant werden sollte, denn die Angebotsdichte 49 ist entscheidend für die Verfügbarkeit der Leihfahrräder sowie den einfachen Zugang zum System und damit für den Erfolg eines FVS. Nur wenn Nutzer die Fahrräder an möglichst vielen, leicht erreichbaren und gut sichtbaren Orten in ausreichender Zahl vorfinden, werden

49 Hier bietet sich der Vergleich der Städte Paris und Berlin besonders an, da beide über ein 100 km² großes Servicegebiet verfügen. In Paris stehen 9,5 Fahrräder pro 1.000 Einwohnern und 196 Gefährte pro Quadratkilometer zur Verfügung, während es in Berlin nur 0,48 CallBikes pro 1.000 Einwohnern und 15 pro Quadratkilometer sind. Vélib’ erreicht im Vergleich zu CaB in Berlin über 650-fach höhere Nutzerzahlen, was jedoch auch auf weitere Einflussfaktoren zurückzuführen ist.

172 Wichtige Voraussetzungen für den Erfolg – die Erfolgsfaktoren sie auf das Angebot regelmäßig zurückgreifen. Die generierte Nachfrage und die Akzeptanz hängen also stark davon ab, wie groß oder klein der Aufwand ausfällt, ein freies Fahrrad oder einen freien Rückgabeplatz zu finden. Wenn Kunden sich weiterhin darauf verlassen können, ihr Ziel per Leihfahrrad ohne große Umwege zu erreichen, weil sie die Fahrräder an vielen Standorten zurückgeben können, werden sie das FVS als ernsthafte und vollwertige Mobilitätsalternative annehmen und die Nutzung kann zur Routine werden. In der Planungsphase sollte entsprechend darauf geachtet werden, ein möglichst dichtes Angebotsnetz zu realisieren und bei stationsgebundenen Systemen die Verleihstationen in der Nähe strategisch wichtiger Punkte wie Haltestellen des ÖV und anderen hochfrequentierten Verkehrsknotenpunkten, sowie bedeutenden öffentlichen Einrichtungen und städtischen Attraktionen zu platzieren. Analysen und Befragungen im Vorfeld können helfen, den Bedarf in unterschiedlichen Stadtteilen und die gesamtstädtische Nachfrage abzuschätzen.

„E ine zentrale Größe für den Erfolg ist die Zeit, die man aufwenden muss, um ein Leihfahrrad zu finden. Da nehmen sich Touristen gerne auch etwas mehr Zeit, während Einheimische im Alltag nicht lange suchen können und wollen .“ Heiner Monheim, Interview

7.4. Zielgruppenspezifische Ausrichtung

Da die Einführung eines FVS mit einigem Aufwand und häufig auch mit dem Abschluss mehrjähriger Verträge verbunden ist, sollte die Auswahl eines Konzepts sorgsam bedacht werden. Entsprechend sollte eine Kommune sich darüber im Klaren sein, was und wen sie mit dem zusätzlichen Mobilitätsangebot genau erreichen möchte. Daher ist es sinnvoll, zu Beginn der Planungen die wichtigsten Zielgruppen zu identifizieren und zu definieren, um das Angebot entsprechend zu gestalten bzw. ein passendes Konzept auszuwählen. Schließlich hat sich in den letzten Jahren eine Auswahl z.T. sehr unterschiedlicher Systeme entwickelt, die für verschiedene Nutzergruppen und Entwicklungsziele mehr oder weniger gut geeignet sind.

Durch die Analyse der „Fahrrad-Gewohnheiten“ in einer Stadt und die Berücksichtigung der speziellen Bedürfnisse der Einwohner und anderer potentiellen Nutzer können viele mögliche Fehler im Vorfeld der Implementierung eines FVS vermieden werden. Diese Vorbereitungen und Untersuchungen in der Planungsphase sind bspw. wichtig, um die räumliche Ausdehnung des Gebietes, in dem die Leihfahrräder zur Verfügung gestellt werden sollen, festzulegen oder um in Erfahrung zu bringen, ob und wie viel Geld potentielle Kunden bereit sind, für die Nutzung eines FVS zu bezahlen. Denn sowohl die Tarifstruktur als auch die

173 Wichtige Voraussetzungen für den Erfolg – die Erfolgsfaktoren

Angebotsdichte an verschiedenen Orten im Stadtgebiet spielt eine entscheidende Rolle für die Attraktivität des Systems für unterschiedliche Nutzergruppen.

„In Städten wie Paris, die einen sehr geringen Radve rkehrsanteil haben, ist ein FVS ein guter Einstieg, vor allem auch, weil dort nicht jeder unbedingt ein eigenes Fahrrad besitzt. In diesem Fall bieten solche Angebote die Möglichkeit, die Stadt überhaupt mal auf dem Fahrrad zu erleben. In Städten mit höherem Radverkehrsanteil sind FVS dagegen eher eine Ergänzung der Mobilitätskette als integraler Mobilitätsbaustein. Dort ist der Markt für die Bewohner selber eher kleiner und Touristen sind eine wichtigere Zielgruppe.“ Arne Koerdt, Interview

7.5. Einbindung relevanter Akteure vor Ort

Es bedarf einer Integration aller relevanten Akteure vor Ort und einer guten Zusammenarbeit und Abstimmung der Beteiligten, um sowohl die Planungen und Vorbereitungen, als auch die Einführung, die langfristige Betreuung und ggf. die Erweiterung eines FVS erfolgreich zu gestalten. Vor der Einführung eines FVS macht es daher Sinn, lokale Kooperationspartner zusammenzubringen und Unterstützer zu akquirieren, denn bestimmte Institutionen haben besonders großes Interesse am Angebot eines FVS und sind daher ggf. bereit, dieses finanziell zu fördern. Hier sind nationale Verkehrsgesellschaften aber auch städtische Verkehrsbetriebe und große lokal ansässige Unternehmen zu nennen. So hat die Einführung des Systems vel´oh in der Stadt Luxemburg dazu geführt, dass zahlreiche Betriebe ihren Mitarbeitern Jahresabonnements zur Verfügung gestellt haben, damit diese die Leihfahrräder auf ihrem täglichen Arbeitsweg benutzen können.

7.6. Distributionsaufwand berücksichtigen

Die praktischen Erfahrungen, die mit zahlreichen implementierten Systemen gemacht wurden und werden zeigen, dass die Entleih- und Rückgabevorgänge durch die Nutzer im Laufe des Tages dazu führen, dass die Fahrräder innerhalb des Angebotsgebietes ungleichmäßig verteilt werden. Da viele Menschen vormittags aus den Außenbezirken in die Innenstadt strömen und dabei ein Leihfahrrad benutzen, steigt die Anzahl an Fahrrädern im Stadtzentrum im Tagesverlauf an, während sie in den peripheren Stadtteilen abnimmt. In den späten Nachmittags- und Abendstunden setzt dann eine gegenläufige Bewegung ein. Dies führt bei stationsgebundenen Systemen häufig dazu, dass an manchen Stationen keine Räder mehr zur Verfügung stehen, während andere Stationen voll sind, so dass dort keine Fahrräder mehr zurückgegeben werden können, was wiederum zu Frustration bei den Kunden führt. Um dem entgegenzuwirken und für eine gleichmäßigere Verteilung zu sorgen,

174 Wichtige Voraussetzungen für den Erfolg – die Erfolgsfaktoren müssen die Betreiberfirmen in ausreichendem Umfang Fahrzeuge und Personal bereitstellen, die neben den Pflege- und Reparaturarbeiten auch die Distribution der Fahrräder innerhalb des Stadtgebietes durchführen. Dieser Umverteilungsaufwand und die damit verbundenen Kosten werden häufig unterschätzt und sollten bei den Planungen im Vorfeld daher eher zu hoch als zu niedrig angesetzt werden.

7.7. Realistische Kosteneinschätzung

Oft unterschätzt werden die Kosten, die mit der Installation und vor allem mit dem Betrieb eines FVS verbunden sind. Ausreichend vorhandene finanzielle Ressourcen , um ein FVS in einer angemessenen und sinnvollen Größenordnung realisieren und langfristig betreiben zu können, sind also eine besonders wichtige Grundvoraussetzung für einen dauerhaften Erfolg. Daher sollte eine langfristig angelegte Finanzierungsstrategie entwickelt werden, die nicht nur die mit der Einführung des FVS verbundenen Investitionen einplant, sondern auch genügend Ressourcen für den Betriebsablauf und die nach einer gewissen Laufzeit notwendigen Ersatzinvestitionen sicherstellt. Basierend auf den Erfahrungswerten bereits implementierter Systeme ist für den Betrieb eines stationsgebundenen und qualitativ hochwertigen „High-Tech“-Systems je nach Gesamtgröße mit Kosten von etwa € 1.500 – 2.500 pro Fahrrad und Jahr zu rechnen. Die Kosten eines stationsunabhängigen Systems können etwas geringer angesetzt werden, da die hohen Investitionskosten für die Stationsinfrastruktur entfallen, aber der höhere Umverteilungsaufwand sollte ebenfalls berücksichtigt werden.

7.8. Stadtmindestgröße

Auch die Größe einer Stadt kann Einfluss auf den Erfolg eines FVS haben. Allerdings gehen die Meinungen darüber, wie viele Einwohner eine Stadt mindestens haben sollte, damit die Einführung eines FVS sinnvoll erscheint, auseinander. Laut Bührmann nennen die meisten Fachleute eine Mindestgröße von 200.000 Einwohnern. Er verweist weiterhin auf das niederländische System OV-Fiets , das auch in kleineren Städten angeboten wird, dessen Nachfrage sich jedoch auf die Bahnhöfe konzentriert. Die Befragungen im Rahmen dieser Diplomarbeit ergaben ein sehr differenziertes Meinungsbild. Viele Experten sind der Einschätzung, dass ein „gut gemachtes“ System grundsätzlich bei jeder Stadtgröße funktionieren kann, andere haben diesbezüglich klare Zweifel. Sie stellen insbesondere infrage, dass der zu leistende Aufwand im Verhältnis zum Nutzen steht, wenn in einer Kleinstadt ein anderswo erfolgreiches FVS im „Miniaturformat“ realisiert wird.

175 Wichtige Voraussetzungen für den Erfolg – die Erfolgsfaktoren

In diesen Fällen sollte darüber nachgedacht werden, ob stationsunabhängige Systeme ggf. die sinnvollere Lösung sind, da sie deutlich geringere Investitionskosten verursachen. Auch die Kooperation der Betreiberfirma mit verschiedenen dezentralen Partnern vor Ort wie z.B. Geschäften und öffentlichen Einrichtungen (Tourismus-Information, Rathaus, Bahnhof, Parkhäuser etc.) ist ein möglicher Lösungsansatz 50 . Indem unterschiedliche lokale Kooperationspartner Leihfahrräder bereitstellen (z.B. ein Ladenbesitzer vor seinem Geschäft), sich um die Qualität des Angebots kümmern und im Bedarfsfall die Dienste des vor Ort zuständigen Service-Partners anfordern, kann der hohe finanzielle aber auch logistische Aufwand der Errichtung einer Stationsinfrastruktur gespart werden, ohne dass die Qualität des Angebots darunter leiden muss. Für sehr kleine touristische Destinationen erscheinen FVS eher ungeeignet. Hier wäre ein attraktives Netzwerk „traditioneller“ Anbieter die bessere Lösung, wie beispielsweise die sehr erfolgreichen touristischen Verleihangebote für Elektrofahrräder in der Schweiz zeigen.

7.9. Stationsgebunden oder stationsunabhängig?

Diese Entscheidung sollte im Planungsprozess sorgfältig getroffen werden. Beide Angebotsformen haben Vor- und Nachteile, die es jeweils vor Ort abzuwägen gilt. Für ein stationsloses System sprechen vor allem die niedrigeren Investitionskosten und die höhere Flexibilität für die Nutzer bei der Rückgabe des Rades. Schwächen dieser dezentralen Angebotsvariante liegen im je nach Stadtstruktur und Topographie größeren Umverteilungsaufwand und der komplizierteren Abwicklung der Wartungsarbeiten, wodurch die Qualität des Angebots leiden kann. Auch das Image des FVS wird auf Dauer leiden, wenn die Fahrräder chaotisch und ggf. für längere Zeit defekt im öffentlichen Raum stehen (oder liegen). Vorteile eines stationsgebundenen Konzepts sind die höhere Zuverlässigkeit des „geordneten“ Angebots und die bessere Sichtbarkeit und damit Präsenz der Fahrräder im Stadtbild. Außerdem können „interaktive“ Stationsterminals den Kunden wichtige Informationen bereitstellen und erlauben den Einsatz sog. „ Smart-Cards “. Dagegen sprechen vor allem die hohen Kosten und die ggf. mühsame Suche freier Flächen im öffentlichen Raum. Die deutliche Mehrheit der befragten Experten befürwortet die stationsgebundenen Konzepte, da deren höhere Zuverlässigkeit eine dauerhaft größere Kundenzufriedenheit verspricht. Auch eine Kombination beider Organisationsformen ist denkbar und würde die Attraktivität des Angebots für die Kunden weiter erhöhen, wenn sie sich einerseits darauf

50 Hier sei beispielsweise auf das Angebot der Firma nextbike in kleineren Ortschaften im Umfeld des Neusiedler Sees verwiesen.

176 Wichtige Voraussetzungen für den Erfolg – die Erfolgsfaktoren verlassen können, an den Stationen Räder zum Entleihen zu finden und diese andererseits bei der Rückgabe überall abstellen können.

7.10. Integrierter Ansatz zur Stärkung des Umweltverbundes

Besonders sinnvoll ist die Kooperation mit den Anbietern anderer öffentlicher Verkehrsmittel. So sollten an allen ÖV-Stationen Leihfahrräder zur Verfügung gestellt werden, um die Kombination der Mobilitätsangebote für eine intermodale Nutzung zu fördern und damit die Attraktivität des Umweltverbundes insgesamt zu steigern. Andererseits ist es möglich die Integration eines FVS in den Umweltverbund dadurch zu optimieren, dass die Tickets und Abonnements des ÖV auch zur Nutzung der Leihfahrräder berechtigen. Wenn z.B. eine ÖV- Jahreskarte automatisch auch als Kundenkarte eines FVS funktioniert und keine zusätzliche Anmeldung oder Jahresgebühr verlangt wird, kann mit vielen intermodalen Nutzern gerechnet werden. Ähnliches gilt für den Fall, dass registrierte Kunden das FVS mit einem ÖV-Ticket innerhalb einer bestimmten Zeit für Anschlussfahrten kostenlos nutzen können.

Die Meinung der befragten Experten zum Thema „FVS und ÖPNV“ ist eindeutig. Alle sehen die Bereitstellung öffentlicher Leihfahrräder als sinnvolle Ergänzung und nicht etwa als Konkurrenz zum „klassischen“ ÖPNV-Angebot an.

„Einen Quanten sprung an verkehrspolitischer Relevanz und ökologischer Relevanz würde die Entwicklung von landesweiten Systemen mit einheitlicher logistischer und überregional abgestimmter tariflicher Basis bringen. Spätestens wenn Pfand- und Leihfahrräder ein selbstverständlicher Bestandteil kommunalen und regionalen Verkehrsmanagements (und auch des betrieblichen Mobilitätsmanagements wären, würden sich routiniertem differenzierte, häufige Nutzungsgewohnheiten einstellen und das Potential des Fahrrades zur Schließung komplizierter Transportketten könnte voll zur Wirkung kommen .“ Christian Klaus

„FVS sind v.a. in Städten sinnvoll, deren ÖPNV an Kapazitätsgrenzen stößt und wo dementsprechend die Fahrradmitnahme nur eingeschränkt möglich ist, bzw. verringert werden soll.“ Gunnar Fehlau, Interview

7.11. Starttermin

Je nachdem an welchem Ort ein neues FVS eröffnet werden soll, macht es bei bestimmten klimatischen Verhältnissen Sinn, dies zu Beginn und nicht am Ende der „Fahrradsaison“ zu tun. In Ländern mit besonders kalten oder regnerischen Wintermonaten, in denen meist vergleichsweise wenig Fahrrad gefahren wird, sollte ein FVS also lieber im Frühling oder

177 Wichtige Voraussetzungen für den Erfolg – die Erfolgsfaktoren

Sommer eingeweiht werden. Gerade Kunden, die das Fahrrad für sich als Verkehrsmittel noch nicht entdeckt haben und erst kennenlernen müssen, werden den neuen Service eher ausprobieren und von den Vorteilen überzeugt werden, wenn das Wetter schön ist und insgesamt mehr Fahrräder unterwegs sind.

Um für die Eröffnung eines FVS ein möglichst große Aufmerksamkeit zu generieren, ist es sinnvoll, die Einweihung mit einem anderen städtischen „Event“ zu verbinden, z.B. mit einem Fahrrad-Festival oder einer anderen sommerlichen Großveranstaltung mit gutem Programm und viel Publikum.

7.12. Die obligatorische Identifizierung der Nutzer

Moderne FVS der sog. dritten Generation verlangen von Nutzern die Registrierung beim System, das heißt diese müssen verschiedene Angaben zu ihrer Person vorlegen. Die persönliche Anmeldung ist einer der Hauptgründe für den weitaus größeren Erfolg der Systeme der dritten Generation gegenüber denen der zweiten und insofern eine besonders wichtige Systemeigenschaft. Durch die obligatorische Identifizierung der Nutzer vor jedem Leihvorgang, wird vor allem Vandalismus und Diebstahl vorgebeugt, da die Kunden bei unsachgemäßer Behandlung der Fahrräder zur Rechenschaft gezogen werden können.

Die mit der einmaligen Anmeldung zum System verbundenen Formalitäten sollten jedoch so einfach wie möglich gestaltet sein und vom Betreiber klar kommuniziert und dargestellt werden, um nicht abschreckend zu wirken. Es ist sinnvoll, interessierten Nutzern unterschiedliche Wahlmöglichkeiten bei der Registrierung anzubieten, indem diese sowohl online, als auch telefonisch, per Post oder direkt an einem Stationsterminal erfolgen kann.

7.13. Qualität des Angebots – High-Tech statt Low-Budget

Um den Ansprüchen der Kunden an ein Leihfahrrad als zuverlässiges Verkehrsmittel gerecht zu werden, müssen die Fahrzeuge eines FVS qualitativ besonders hochwertig sein. Die Herausforderung für den Betreiber besteht darin, Eigenschaften wie hohen Fahrkomfort, Robustheit, attraktives Design und individuelle Anpassbarkeit „unter einen Hut“ zu bekommen. Dies legt nahe, dass „Low-Budget“-Modelle auf Dauer kaum Aussicht auf Erfolg haben, sondern „High-Tech“-Spezialanfertigungen gefragt sind, um ein qualitativ hochwertiges und damit dauerhaft attraktives Angebot bereitstellen zu können. Dieser Qualitätsanspruch bezieht sich jedoch nicht nur auf die Fahrräder, sondern auf das gesamte FVS. Stationen, die nicht zuverlässig funktionieren, beeinträchtigen die Kundenzufriedenheit genauso wie eine ungleichmäßige Verteilung der Fahrräder im Stadtgebiet oder ein hoher Anteil defekter Fahrzeuge mangels Wartungsservice.

178 Wichtige Voraussetzungen für den Erfolg – die Erfolgsfaktoren

„Erste Erfahrung mit FVS habe ich 1994 mit dem Kopenhagener Modell gemacht. Das war keine positive Erfahrung, sondern eine Katastrophe. Denn ein unkomfortables, unattraktives und ungepflegtes „Steinzeitfahrrad“ ist eher abschreckend als positiv. FVS sind nur erfolg-reich und sinnvoll, wenn sie auf dem aktuellen Stand der Technik sind. Außerdem sind sie wichtig für die Präsenz des Fahrrades in der Öffentlichkeit, also sollten sind funktionstüchtig und attraktiv sein .“ Gunnar Fehlau - Interview

7.14. Nutzungsgebühren und Tarifstruktur - kurze kostenlose Nutzungszeit

Je nachdem wie die Tarifstruktur eines FVS gestaltet ist, spricht das Angebot verschiedene Nutzergruppen besonders an und wird für unterschiedliche Distanzen und Zeiträume nachgefragt. Die Anmeldegebühren sollten in jedem Fall möglichst gering angesetzt werden, um nicht abschreckend zu wirken. Der Erfolg vieler aktuell betriebener Systeme lässt sich vor allem darauf zurückführen, dass kürzere Ausleihen kostenlos oder zu sehr geringen Gebühren möglich sind, während die Tarife mit zunehmender Entleihdauer meist stark ansteigen. Dadurch werden die Fahrräder vor allem für Kurzstreckenfahrten häufig genutzt, weil sie für diese Wege auch vom Preis her attraktiver sind, als andere Verkehrsmittel. Außerdem schafft das Angebot einer kostenlosen halben Stunde oder sogar Stunde für neue Kunden den Anreiz, das System zunächst einmal auszuprobieren, um sich von der Qualität und den Vorteilen des FVS zu überzeugen. Für das Gesamtsystem ergibt sich durch einen hohen Anteil kurzer Entleihvorgänge der Vorteil der maximalen „Sozialisierung“ oder Verfügbarkeit der Fahrräder, da diese nicht von einzelnen Personen für lange Zeiträume besetzt werden.

Die Gebührenerhebung für längere Nutzungszeiten ist von Anbieter zu Anbieter jedoch sehr unterschiedlich geregelt. Zwar sind die meisten FVS für längere Entleihzeiten bewusst unattraktiv gestaltet und werden daher fast ausschließlich im Kurzstreckenbereich genutzt, es existieren aber ebenfalls Angebote mit moderaten Tagespauschalen, die entsprechend auch für längere Zeiträume gerne nachgefragt werden (z.B. CaB und nextbike ).

Eine weitere Option der Tarifgestaltung durch die Betreiber besteht darin, den Service in der Anfangsphase zunächst kostenlos anzubieten und erst dann eine moderate Nutzungsgebühr einzuführen, wenn sich das Angebot etabliert hat und die Nutzer von den Vorteilen so überzeugt sind, dass sie bereit sind, eine geringe Gebühr zu bezahlen.

179 Wichtige Voraussetzungen für den Erfolg – die Erfolgsfaktoren

7.15. Je einfacher, desto besser

Für eine hohe Akzeptanz des Serviceangebots ist auch von großer Wichtigkeit, die Nutzung des FVS für den Kunden so einfach wie möglich zu gestalten. Komplizierte Nutzungsbedingungen, Registrierungsformalitäten, Tarifstrukturen, Ausleihmechanismen und Zugangsmöglichkeiten schrecken potentielle Kunden ab und können eine entscheidende Hemmschwelle für den Erfolg eines FVS sein. Vor allem die Identifizierung des Nutzers vor jedem Entleihvorgang sollte schnell und unkompliziert geregelt sein. Hier sind die sog. „Smart-Card “-Systeme (mit persönlicher Kundenkarte) gegenüber den FVS mit einem telefonischen Identifikations- und Ausleihmechanismus klar im Vorteil. Entsprechend bevorzugen auch 17 der 20 befragten Experten die erstgenannte Lösung.

7.16. Kommunikation und Werbung

Die Einführung eines FVS sollte sowohl vor als auch nach der Eröffnung des Systems von intensiven Marketingaktivitäten begleitet werden. Hierzu gehören vor allem eine professionelle Kommunikation und die Platzierung von Werbung in zahlreichen lokalen Medien. Nur wenn die potentiellen Kunden über das Angebot und die Nutzungsbedingungen eines FVS hinreichend informiert sind, werden sie dieses nutzen. Ein noch so gut geplantes FVS, das kaum bekannt ist, kann auch nicht erfolgreich sein. Hier können auch kommunalpolitische Entscheidungsträger und andere lokale Prominente eine wichtige Vorbildfunktion übernehmen und mithelfen die „Werbetrommel zu rühren“. Ein FVS, das „von höchster Stelle“ befürwortet oder gar zur „Chefsache“ erklärt wird, kann mit einem weitaus höheren Bekanntheitsgrad rechnen (Bsp. Paris) als ein System, auf dessen Fahrrädern nie ein Prominenter saß. Um zusätzliche Aufmerksamkeit zu erzielen und Werbung in eigener Sache zu machen, sollten die Fahrräder und Stationen nicht nur gut sichtbar im öffentlichen Raum platziert werden, sondern auch über ein attraktives, einheitliches und auffälliges Design verfügen.

Wenn es gelingt, mit Hilfe eines geschickten Marketings zu erreichen, dass die Bürger einer Stadt sich mit „ihrem“ FVS identifizieren und dieses als Markenzeichen oder lokales „Aushängeschild“ verstehen, können sich die Leihfahrräder zu regelrechten Kultobjekten entwickeln (vgl. Vélib’ – Kap. 5.4). Eine Identifikation der Nutzer mit dem System hilft auch, das Ausmaß an Vandalismus zu minimieren. Wenn sich viele Bürger verantwortlich für „ihre“ Leihfahrräder fühlen, behandeln sie diese nicht nur selber pfleglicher, sondern achten ggf. auch bei anderen Nutzern auf einen sorgfältigeren Umgang.

Nach einem möglichst spektakulär inszenierten Auftakt zur Einweihung eines FVS, sollte das Marketing aber auch auf längere Sicht nicht vernachlässigt werden. Vor allem weil der

180 Wichtige Voraussetzungen für den Erfolg – die Erfolgsfaktoren anfängliche „Neugiereffekt“ recht schnell verpuffen kann, gilt es, das Interesse potentieller Nutzer auch längerfristig zu wecken. Neben den allgemeinen Vorteilen öffentlicher Leihfahrräder sollten auch alle durchgeführten Neuerungen, Weiterentwicklungen und Verbesserungsmaßnahmen des Angebots offensiv kommuniziert und beworben werden.

7.17. Topographie und Klima

Ungünstige topographische Verhältnisse in einer Stadt können den Erfolg eines FVS schmälern. Da die meisten Leihfahrräder deutlich schwerer sind als herkömmliche Fahrradmodelle und in der Regel über keine oder nur sehr wenige Gänge verfügen, stellen große Gefälle eine gewisse Barriere dar. Dies führt dazu, dass die Fahrräder eines Leihsystems bevorzugt für Fahrten bergab genutzt werden und sich an den tiefsten Punkten einer Stadt ansammeln, während die höher gelegenen Stadtteile häufig unterversorgt sind. Dies erhöht den anfallenden Umverteilungsaufwand für den Betreiber des FVS. Diese Schwierigkeit kann beispielsweise durch die Einführung eines Pedelec-Verleihsystems gelöst werden wie das für die Stadt Stuttgart entwickelte Konzept zeigt (vgl. Kap. 6.3).

Da FVS in Städten mit sehr unterschiedlichen klimatischen Bedingungen erfolgreich betrieben werden, scheint dieser Faktor keine allzu große Bedeutung zu haben. Zwar liegt die Nachfrage in den kühleren Wintermonaten bei den meisten FVS deutlich unterhalb der Nutzerzahlen der Sommermonate, aber bei keinem der ganzjährig angebotenen Systeme geht die Nachfrage auf null zurück. Vielmehr liegt sie bei den in dieser Arbeit untersuchten Beispielstädten in einem Bereich von etwa 30 – 60% des jährlichen Durchschnittswerts (vgl. Kap. 5). Diese Entleihvorgänge sind vor allem auf die „Dauerkunden“ zurückzuführen, die den Service das ganze Jahr regelmäßig nachfragen. Um dieser wichtigen Nutzergruppe ein verlässliches und damit attraktives Angebot bereitzustellen, das sie allzeit sicher einplanen können, sollte auf eine Betriebspause im Winter unbedingt verzichtet werden.

7.18. Verkehrserziehung

In Städten, in denen das Fahrrad als Verkehrsmittel wenig etabliert ist, kann es sinnvoll sein, die Implementierung eines FVS durch eine Verkehrserziehungskampagne zu begleiten. Maßnahmen zur Förderung des rücksichtsvollen Miteinanders und des gegenseitigen Respekts der verschiedenen Verkehrsteilnehmer sowie Aufklärungsarbeit in Sachen Verkehrssicherheit sind zwar grundsätzlich immer sinnvoll, aber gerade wenn durch die Einführung eines FVS in kurzer Zeit viele zusätzliche Fahrradfahrer im städtischen Verkehr erfolgreich integriert werden müssen, kann eine entsprechende Bewusstseinsbildung enorm wichtig sein. Vor allem in der Einführungsphase eines FVS ist in vielen Städten über

181 Wichtige Voraussetzungen für den Erfolg – die Erfolgsfaktoren

Konflikte zwischen Radfahrern und Fußgängern berichtet worden, aber auch Autofahrer, die nicht an Fahrradfahrer auf der Straße gewöhnt sind, stellen eine besonders große Herausforderung in solchen Kommunen dar, die über vergleichsweise geringe Radverkehrsanteile verfügen. Um auch vollkommen unerfahrene Nutzer als Kunden zu gewinnen, sind Fahrradschulen und Fahrtrainings eine sinnvolle Maßnahme. Diese anzubieten und zu organisieren kann ein passender Beitrag seitens der Stadt zum Erfolg eines FVS sein.

7.19. Monitoring

Um nach dem Start des Systems auf eventuelle Fehlplanungen, unvorhersehbare Schwierigkeiten oder andere Herausforderungen angemessen reagieren zu können, ist das kontinuierliche Monitoring des Betriebsablaufs ein unverzichtbarer Bestandteil eines FVS. Der Betreiber sollte also die im Vorfeld durchgeführten Planungen und die darauf basierende Angebotsstruktur regelmäßig mit den tatsächlichen Entwicklungen vergleichen und ggf. entsprechende Modifikationen vornehmen, um einen effizienten Betriebsablauf zu garantieren und eine möglichst hohe Akzeptanz beim Kunden zu erreichen. Insbesondere die hohe Verfügbarkeit der Fahrräder im gesamten Angebotsgebiet kann nur sichergestellt werden, wenn die Nutzungsvorgänge genau beobachtet werden und die Distribution durch die Servicemitarbeiter entsprechend angepasst wird. Die Erfassung der Leihvorgänge (Anzahl, Nutzungsdauer, Ort), Befragungen zu möglichen Verbesserungsvorschlägen und zur Zufriedenheit der Kunden, sowie die Analyse der Umverteilungsbewegungen der Fahrräder im Tages- und Wochenverlauf liefern daher wichtige Informationen. Je genauere Daten zum Betrieb und der Nachfrage eines Systems vorliegen, desto effektiver kann der Anbieter auf Mängel oder spezielle Anforderungen reagieren und das Angebot optimieren.

Um auch längerfristig für eine hohe Angebotsqualität sorgen zu können, sollte das Monitoring dauerhaft durchgeführt werden. Positive Langzeitentwicklungen (Akzeptanz, Nutzerzahlen, Qualitätssicherung) liefern schließlich auch wichtige Gründe, die einen eventuellen Ausbau des FVS oder eine zeitliche Verlängerung des Angebotes rechtfertigen.

182 Resümee

8. Resümee

Das Ziel dieser Arbeit war zweifacher Art. Zunächst wurden die Grundlagen, Eigenschaften und Potentiale öffentlicher FVS theoretisch erarbeitet und dargestellt. Anschließend lag der praktische Schwerpunkt auf der detaillierten Analyse und Bewertung verschiedener Konzepte sowie konkreter Umsetzungsbeispiele und Planungen. Auf Grundlage dieser Untersuchungen wurde ein anwendungsorientierter Katalog wichtiger Erfolgskriterien für die Umsetzung öffentlicher FVS entwickelt. Im letzten Kapitel sollen nun die wichtigsten Ergebnisse noch einmal zusammengefasst werden sowie der wissenschaftliche Beitrag der Arbeit und der weitere Forschungsbedarf in Kürze dargestellt werden, bevor ein abschließendes Fazit gezogen wird.

8.1. Zusammenfassung der Ergebnisse & weitere Entwicklungsperspektiven

„Das Versprechen neuer Mobilitätsdienste gründet vor allem in der Entkopplung von Nutzen und Besitzen. Die Besitzer sind nun nur noch Anbieter, die mit betriebswirtschaftlicher Ratio eine höhere Ressourceneffizienz als Privatpersonen anstreben .“ ( Christian Maertins 2006, S.3)

Diese Arbeit beginnt mit dem Apell, sich über effiziente und intelligentere Mobilitätsformen Gedanken zu machen. Die anschließende detaillierte Analyse und Beschreibung verschiedener FVS hat gezeigt, dass öffentliche Leihfahrräder einen wichtigen Beitrag bei der Verwirklichung einer nachhaltigen Verkehrsentwicklung spielen können, wenn eine hohe Angebotsqualität realisiert wird. Einerseits sorgen sie als Bindeglied für eine bessere Vernetzung vorhandener öffentlicher Verkehrsmittel und sind daher ein wichtiger Baustein zur Ergänzung des Umweltverbundes. Sie fördern somit intermodales Verkehrsverhalten, da sie dessen Attraktivität erhöhen. Andererseits sind sie als ideale „Kurzstreckenfahrzeuge“ auch sehr gut für monomodale Nutzungen geeignet. Weitere Stärken liegen in der hohen Flexibilität und der Effektivität eines flächendeckenden Angebots.

Aufgrund der erfreulich positiven Entwicklungen in den letzten Jahren kann man in manchen Ländern von einem regelrechten „Boom“ rund um das Thema „öffentliche FVS“ sprechen. Erfolgreiche und international bestaunte Vorzeigeprojekte, allen voran das weltweit bislang größte System Vélib’ , haben eine Dynamik ausgelöst, die viele Fachleute noch vor wenigen Jahren wohl kaum für möglich gehalten hätten. Vor allem in Ländern wie Frankreich und Spanien, in denen das Fahrrad als städtisches Verkehrsmittel in den zurückliegenden Jahrzehnten nur eine äußerst marginale Rolle gespielt hatte, hat die Einführung von FVS enorme Begeisterung ausgelöst und bereits viele Menschen überzeugt, regelmäßig „in die

183 Resümee

Pedalen zu treten“. Erklärungen für die rege Nachfrage gibt es zahlreiche. Vielerorts haben sich die städtischen Verkehrsprobleme so weit verschärft, dass die „automobilen Gewohnheiten“ im Hinblick auf ihre Stadtverträglichkeit hinterfragt werden. Auch andere negative Auswirkungen des immer weiter zunehmenden Autoverkehrs wie Umwelt- und vor allem Luftbelastungen erfordern die Entwicklung innovativer Lösungsansätze, die den wachsenden Mobilitätsbedürfnissen auf verträgliche Weise gerecht werden.

Um die Potentiale öffentlicher FVS maximal ausschöpfen zu können, bedarf es vor allem eines flächendeckenden und vernetzten Angebots an Leihfahrrädern. Erst wenn interessierte Nutzer sich darauf verlassen können, überall ein Fahrrad zu finden, egal in welchem Stadt- oder Landesteil sie sich gerade befinden, kann der Rückgriff auf ein solches Mobilitätsangebot zur selbstverständlichen Gewohnheit werden. An diesem Punkt besteht jedoch noch erheblicher Entwicklungs- und Verbesserungsbedarf. Denn bisher kann nur in vereinzelten Städten aber in keinem Land von einem wirklich flächendeckenden Angebot gesprochen 51 werden. Und selbst in Regionen mit einer vergleichsweise guten „Versorgungslage“ mangelt es an einer organisatorischen und tariflichen Vernetzung der verschiedenen Systeme, die auf eine Vereinheitlichung bestimmter Angebotsmerkmale wie Kostenstruktur, Betriebszeiten oder Ausleih- und Zugangsmechanismus abzielt. Eine solche Standardisierung gewisser Eigenschaften öffentlicher FVS ist nicht nur im nationalen, sondern auch im internationalen Kontext sinnvoll und begrüßenswert, allerdings ist es bis dahin noch ein weiter Weg.

Kritiker öffentlicher FVS führen als Argumente gegen die Einführung öffentlicher FVS vor allem die „hohen Kosten“ und die vorrangige Priorität anderer Maßnahmen der Radverkehrsförderung an. Dem ist jedoch entgegenzusetzen, dass selbst qualitativ hochwertige „High-Tech-Systeme“ im Vergleich zu anderen Ausgabenposten im Verkehrshaushalt einer Kommune nur geringe Größenordnungen einnehmen und ein ausgezeichnetes Kosten-Nutzen-Verhältnis aufweisen. Das Beispiel Vélib’ aus Paris etwa zeigt, dass etwa die Hälfte der laufenden Betriebskosten durch die Gebühreneinnahmen und damit die Nutzer selber gedeckt werden können, was im Vergleich zu vielen anderen defizitär wirtschaftenden öffentlichen Verkehrsmitteln als Erfolgsmodell gewertet werden muss. BRITTON stellt sogar die These auf, dass FVS auf Dauer einen Beitrag zur Sanierung kommunaler Haushalte liefern, da im Schnitt etwa zehn Fahrten auf Leihrädern eine Autofahrt ersetzen, wodurch wiederum erhebliche soziale Kosten eingespart werden.

51 Zwar weist das System OV-fiets bereits eine recht hohe Netzdichte auf, allerdings konzentriert sich das Angebot bisher fast ausschließlich auf die Bahnhöfe der NS und ist in den Städten noch nicht dezentral verfügbar.

184 Resümee

Weiterhin ist zu betonen, dass FVS nach Möglichkeit nicht anstelle, sondern zusätzlich zu weiteren sinnvollen Maßnahmen der Fahrradförderung umgesetzt werden sollten.

Schließlich kann auch davon ausgegangen werden, dass die Kosten für die Implementierung und den Betrieb öffentlicher FVS in Zukunft sinken werden, wenn zusätzliche Anbieter in den Markt drängen und für einen zunehmenden Wettbewerb sorgen. Dies dürfte zu steigender Qualität und sinkenden Preisen führen und bewirken, dass weitere Finanzierungs- und Geschäftsmodelle entwickelt werden, die die Auswahl an Optionen, ein FVS einzuführen und dauerhaft zu unterhalten, für interessierte Kommunen vergrößern. Bisher treten nur große Außenwerbefirmen und Verkehrsgesellschaften sowie kleine private Firmen als Betreiber öffentlicher FVS auf. Die Fahrradindustrie hat bisher keinerlei Anstalten gemacht, in den Markt mit einzusteigen, um auf diese Weise nicht nur Fahrräder in großen Mengen zu verkaufen, sondern auch mehr Menschen vom Fahrradfahren zu überzeugen und damit ideale Werbung für das eigene Produkt „Fahrrad“ zum machen (vgl. INTERVIEWS ). Die Beispiele Paris und Lyon zeigen ja eindrucksvoll, wie als Folge der Einführung des Verleihsystems auch der Anteil privater Fahrradnutzungen deutlich gestiegen ist.

Die Angebotsqualität wird sich auch durch die bereits absehbaren technologischen Entwicklungen und Fortschritte weiter verbessern. Öffentliche Wireless-Funknetze und andere mobile Informationstechnologien vereinfachen die Suche nach Fahrrädern oder freien Stellplätzen erheblich.

8.2. Wissenschaftlicher Beitrag der Arbeit und weiterer Forschungsbedarf

Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit haben vor allem in anwendungsbezogener Hinsicht zu einem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn beigetragen. Durch die detaillierte Analyse und Beschreibung einzelner Konzepte und Umsetzungsbeispiele von öffentlichen FVS konnte ein Katalog wichtiger Erfolgskriterien entwickelt werden, der eine nützliche Grundlage bei der Planung und Entscheidungsfindung im Hinblick auf die Einführung eines öffentlichen FVS darstellt.

Bei den Recherchen und Ausarbeitungen sind aber auch einige Fragen aufgekommen, die im Rahmen dieser Arbeit nicht beantwortet werden konnten und daher Gegenstand zukünftiger Forschungsarbeit sein könnten. Besonders schwierig war es, genaue Angaben zu den Kosten der einzelnen Systeme zu finden. Dies liegt einerseits an der mangelnden Informationsweitergabe der jeweiligen Betreiberfimen, die kein Interesse an der Veröffentlichung dieser Daten haben. Andererseits befinden sich die meisten Konzepte noch in einem ständigen Weiterentwicklungs- und Verbesserungsprozess, so dass häufig kaum verlässliche und stabile Erfahrungswerte vorliegen. Diese müssen im Laufe der Zeit und an

185 Resümee unterschiedlichen Standorten erst noch gesammelt werden, um seriöse und vor allem möglichst genaue Kostenabschätzungen durchführen zu können. Die Untersuchung der Kosten verschiedener FVS könnte also Gegenstand weiterer Forschungsarbeit sein.

Weitere offene Fragen sind: • Welche weiteren Marktpotentiale und Einsatzzwecke gibt es für FVS?

• Sind FVS generell „alltagstauglich“, können sie sich in der Breite durchsetzen und wird ihre Benutzung zur festen Gewohnheit? Oder bleibt es bei vereinzelten Erfolgsprojekten?

• Inwiefern ist die Kombination stationsunabhängiger und stationsgebundener Systeme sinnvoll und in der Praxis durchführbar?

• Inwieweit haben Anbieter „klassischer“ öffentlicher Verkehrsmittel ein Interesse an der Einführung und Unterstützung von FVS?

• Kann der Erfolg von FVS auch anderen öffentlichen Individualverkehrsmitteln (Bsp. Car- Sharing) eine höhere Nachfrage bescheren, da das „Fahrzeugteilen“ zur akzeptierten Gewohnheit und Selbstverständlichkeit wird?

• Können FVS auch in Städten mit besonders hohen Radverkehrsanteilen erfolgreich sein? Könnten beispielsweise die „Parkplatzprobleme“ in Fahrradhochburgen wie Münster dadurch gelöst werden, dass sich viele Bürger Fahrräder „teilen“ und daher insgesamt weniger Fahrzeuge im öffentlichen Raum abgestellt werden müssen?

• Sind auch Pedelecs für den breiten Einsatz im Rahmen öffentlicher FVS geeignet, oder sind die technischen Herausforderungen zu groß, um ein angemessenes Kosten-Nutzen- Verhältnis zu realisieren?

• Welche Bedürfnisse und Ansprüche aber auch Mobilitätsgewohnheiten haben verschiedene potentielle Nutzergruppen genau?

Eine wichtige, derzeit durchgeführte Untersuchung, die Antworten auf einige der genannten Fragen geben soll, ist das Europäische Forschungsprojekt „OBIS“. Unter der Koordination der „choice GmbH“ startete OBIS am 1. September 2008 mit 15 Partnern aus neun Ländern, um FVS in ganz Europa zu untersuchen. Das Projekt wird im Rahmen des „Intelligent Energy - Europe Programme“ (IEE) von der „Executive Agency for Competitiveness & Innovation“ (EACI) im Auftrag der Europäischen Kommission gefördert. Es soll Einfluss auf die weitere Entwicklung des FVS-Marktes nehmen und mit einem Handbuch Hilfestellung für die Einführung und Verbesserung solcher Systeme bieten (vgl. choice 2008, o.S.).

186 Resümee

8.3. Schlussfazit

In der Stadt- und Verkehrsplanung gilt es, attraktive Mobilitätsangebote zu entwickeln und zu implementieren, die von den Bürgern einer Stadt angenommen werden und die gleichzeitig auch effizienter und damit stadtverträglicher sind, als die autofixierten Entwicklungen der letzten Jahrzehnte. FVS können und sollten bei derartigen Planungen eine wichtige Rolle spielen, denn als innovatives Mobilitätsangebot verknüpfen sie die Attraktivität individueller mit der Effektivität kollektiver Verkehrsmittel.

Es bleibt abzuwarten, ob die dynamischen Entwicklungen der letzten Jahre sich auf einem hohen Niveau fortsetzen werden, oder ob sie nur eine vorübergehende „Modeerscheinung“ darstellen, die bald schon wieder vorbei ist. Da die Potentiale und Stärken im Vergleich zu den Risiken und Schwächen jedoch bei weitem überwiegen, bleibt zu hoffen, dass öffentliche FVS sich als sinnvolles und attraktives Mobilitätsangebot weiter „ausbreiten“ und sich in naher Zukunft als ein selbstverständlicher und geschätzter Baustein des Umweltverbunds flächendeckend etabliert haben werden.

187 Literaturverzeichnis

Literaturverzeichnis

ADFC [Hrsg.] (2008a): Durchstarten! Die Effekte regelmäßigen Radfahrens. URL: http://www .adfc.de/2938_1 (13.09.2008).

ADFC [Hrsg.] (2008b): Wie das Fahrrad ihren Körper stärkt. URL: http://www.mit-dem-rad- zur-arbeit.de/bundesweit/news/wie-das-fahrrad-ihren-koerper-staerkt.htm (13.09.2008).

ADFC [Hrsg.] (2007): 20.000 Citybikes verändern den Pariser Stadtverkehr – Hamburg sieht dagegen ein Problem bei Citybikes. URL: http://hamburg.adfc.de/aktuell/aktuell/news/ 09/08/2007/20000-citybikes-veraendern-den-pariser-stadtverkehr-hamburg-sieht-dagegen- ein-problem-bei-citybike/ (08.10.2008).

ADFC [Hrsg.] (2006): Jeder Radfahrer erspart dem Gesundheitssystem 1.200 Euro Kosten pro Jahr. URL: http://www.adfc.de/3234_1. (16.10.2008).

ADFC [Hrsg.] (2005): Fahrradklimatest 2005. URL: http://www.adfc.de/2596_1 (16.10.2008).

AGFS [Hrsg.] (2008): AGFS – Arbeitsgemeinschaft fahrradfreundliche Städte, Gemeinden und Kreise in Nordrhein-Westfalen e.V.. URL: http://www.fahrradfreundlich.nrw.de/cipp/agfs/ custom/pub/content,lang,1/oid,1774/ticket,guest (16.10.2008).

AGFS [Hrsg.] (2007): City-Marketing Fahrrad (Broschüre). Köln.

AGFS [Hrsg.] (2003): Leitbild (Broschüre). Köln.

AGFS [Hrsg.] (2001a): 5 Gute Gründe – Rad Fahren in NRW (Broschüre). Köln.

AGFS [Hrsg.] (2001b): Zahlen und Fakten. Das Fahrrad als Wirtschaftsfaktor (Broschüre). Köln.

AGFS [Hrsg.] (o.J.): Fahrradfreundliche Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen – eine Zwischenbilanz.= Arbeitsgemeinschaft Fahrradfreundliche Städte und Gemeinden in NRW (Hrsg.): Fahrradfreundliche Städte und Gemeinden in NRW - Eine Zwischenbilanz.

ANDERSON , J.W. (2007): Paris embraces plan to become city of bikes. – In: Washington Post vom 24.03.2007. S. A10.

ARBEITSLOSENHILFE WEDEL [Hrsg.] (2008): Kommunales Fahrrad in Wedel. URL: http://www.arbeitslosenselbsthilfe-wedel.homepage.t-online.de/KFinfo99.html.

AUTO NEWS [Hrsg.] (2008):Stuttgart will den öffentlichen Nahverkehr mit Elektro-Rädern revolutionieren. – In: Auto News vom 03.07.2008.

188 Literaturverzeichnis

AVUI [Hrsg.] (2008): El Bicing fa baixar un 15% la venda de bicicletes urbanes. URL: http://paper.avui.cat/article/barcelona/112855/bicing/fa/baixar/la/venda/bicicletes/urbanes.ht ml. (16.10.2008).

BADISCHE ZEITUNG [Hrsg.] (2008): Paris hat Radfahren gelernt. – In: Badische Zeitung vom 17.07.2008.

BECK , M. (1991): Fahrradstation und Kommunales Fahrrad für Kiel - Konzeptstudie. Kiel.

BELZUNCES , M. (2008): Evolucio del Bicing a Barcelona. URL: http://www.creativecommons. org/licenses/by/3.0/deed.ca (16.10.2008).

BICING [Hrsg.] (2008): Offizielle Homepage. URL: http://www.bicing.com (16.10.2008).

BICING [Hrsg.] (2007): Barcelonas Fahrradverleihsystem bicing sehr erfolgreich. URL: http://www.nationaler-radverkehrsplan.de/neuigkeiten/news.php?id=1917(16.10.2008).

BIKAR , K. (2008): URL: http://www.bikey.com/bikey-grevenbroich.html. (28.11.2008).

BLASCZYK , M. (2008): Leihfahrrad für fünf Euro pro Tag. - In: Amt für Kommunikation der Stadt Düsseldorf [Hrsg.]: Pressedienst der Landeshauptstadt Düsseldorf.

BMVBS [Hrsg.] (2008a): Fahrradverkehr.URL: http://www.bmvbs.de/Verkehr/Strasse/ Fahrrad-,1435.22685/Fahrradverkehr.htm. (05.09.2008).

BMVBS [Hrsg.] (2008b): Tiefensee: Radfahren attraktiver machen. URL: http://www. bmvbs.de /Verkehr-,1405.1058337/Tiefensee-Radfahren-attraktive.htm?global.back=/- %2c1405/ Verkehr.htm. (31.11.2008).

BMVBS [Hrsg.] (2007): Verkehr in Zahlen. Hamburg.

BMVBW [Hrsg.] (2004a): Mobilität in Deutschland 2002 – Fahrradverkehr. Bonn.

BMVBW [Hrsg.] (2004b): Mobilität in Deutschland. Ergebnisbericht. Bonn/Berlin.

BMVBW [Hrsg.] (2002): Nationaler Radverkehrsplan 2002-2012 FahrRad! Maßnahmen zur Förderung des Radverkehrs in Deutschland. Bonn.

BRACHER , T. (2006): Frankreich: Leihradsystem vélo'v verändert Lyons Stadtbild. URL: http://www.nationaler-radverkehrsplan.de/neuigkeiten/news.php?id=1389 (07.10.2008).

BRACHER , T. (2003): Potentiale des Radverkehrs. - In: Bracher et al. [Hrsg.]: Handbuch der kommunalen Verkehrsplanung, 34. Ergänzungs-Lieferung, 05/03, S. 1-32. Heidelberg.

BRITTON , E. (2008a): Happy birthday Vélib´ (Oh dear, what’s wrong with you?). URL: http://www.ecoplan.org/library/hbdv.pdf (01.12.2008).

BRITTON , E. (2008b): State of the Commons. Eco Plan 2008 Report and Outlook. URL: http://www.ecoplan.org/library/2008.pdf (01.12.2008).

BRITTON , E. et al (2007): Vélib´ City bike strategies. A new mobility advisory brief. Eric Britton and Associates. Paris.

189 Literaturverzeichnis

BRÖG , W.; Erl , E. (2004): JUST DO IT! Wegweiser für Verhaltensänderungen. URL: http://www.socialdata.de/info/just_do_it.pdf (14.09.2008).

BRÖG , W. (1990): Möglichkeiten der Verhaltensbeeinflussung – das Public-Awareness- Konzept. - In: Vereinigung der Stadt-, Regional- und Landesplaner e.V. (SRL) [Hrsg.]: Umweltorientiertes Verkehrsverhalten – Ansätze zur Förderung der ÖPNV-Nutzung. S. 135- 154. Bochum.

BRÖG , W. (1985): Verkehrsbeteiligung im Zeitverlauf – Verhaltensänderung zwischen1976 und 1982. - In: Zeitschrift für Verkehrswissenschaft Heft 1, Jg. 56, 3-49. Düsseldorf.

BÜHRMANN , S. (2006): New Seamless Mobility Services – Public Bicycles (Broschüre). Niches [Hrsg]. Köln.

BÜHRMANN , S. (2005a): Call a Bike: public bicycles in Germany. Köln.

BÜHRMANN , S. (2005b): OV-fiets: public bicycles in the Netherlands. Köln.

BÜHRMANN , S. (2005c): Vélo à la carte: public bicycles in Rennes (France). Köln.

BUNDESREGIERUNG (2007): Zweiter Bericht der Bundesregierung über die Situation des Fahrradverkehrs in der Bundesrepublik Deutschland 2007. Berlin.

BYCYKLEN [Hrsg.] (2008): The city bike and copenhagen. URL:http://www.bycyklen.dk /english/thecitybikeandcopenhagen.aspx (06.11.2008)

CALL A BIKE [Hrsg.] (2007): Call a Bike – Businessplan. München.

CCO [Hrsg.] (2008a): Smartbike System. How does it work? URL: http://www.smartbike. com/how (24.10.2008).

CCO [Hrsg.] (2008b): Washington DC opening. URL: http://www.smartbike.com /article_view?washingtonnews (24.10.2008).

CCO [Hrsg.] (2008c): Program Information. URL: https://www.smartbikedc.com/program_ information.asp (24.10.2008).

CCO [Hrsg.] (2008d): Velo a la carte – Statistique. URL: http://veloalacarte.free.fr/statisti ques.html. (24.10.2008)

CCO [Hrsg.] (2008e): Offizielle Homepage Bicing. URL: http://www.cicing.com/ (25.09.2008).

CCO [Hrsg.] (o.J.a): Offizielle Homepage. Smartbike. URL: http://www.smartbike.com/ (25.09.2008).

CCO [Hrsg.] (o.J.b): Smartbike. Gallery URL: http://www.smartbike.com/gallery (25.09.2008).

CHOICE [Hrsg.] (2008): Offizielle Homepage des Forshungsprojekts OBIS. URL: http://www.obis.de/ (18.12.2008).

CORTES , F. (2008): Principals motivacions dels abonats per usar el Bicing... . (Infoflyer). URL: http://www.elperiodico.com/EDICION/ED071026/CAT/CARP01/PDF/g036mR91.PDF (16.10.2008).

190 Literaturverzeichnis

DB RENT [Hrsg.] (2008a): Pressinformation vom 20.03.2008.

DB R ENT [Hrsg.] (2008b): Pressinformation vom 01.07.2008.

DB R ENT [Hrsg.] (2008c): Newsletter 02/2008.

DB R ENT [Hrsg.] (2008d): Call A Bike – Allgemeine Geschäftsbedingungen.

DB R ENT [Hrsg.] (2008e): Downloads und Tarife. URL: http://www.callabike-interaktiv.de /kundenbuchung/ (24.09.2008).

DB R ENT [Hrsg.] (2007 - 2008): diverse Newsletter in den Jahren 2007 und 2008.

DB R ENT [Hrsg.] (2007a): Newsletter 02/2007.

DB R ENT [Hrsg.] (2007b): Newsletter 03/2007.

DB R ENT [Hrsg.] (2007c): Pressinformation vom 04.07.2007.

DB R ENT [Hrsg.] (2007d): Pressinformation vom 14.08.2007.

DB R ENT [Hrsg.] (2007e): Pressinformation vom 04.01.2007.

DB R ENT [Hrsg.] (2006a): Pressinformation vom 31.02.2006.

DB R ENT [Hrsg.] (2006b): Pressinformation vom 05.10.2006.

DB R ENT [Hrsg.] (2001): Pressemitteilung August 2001.

DB R ENT [Hrsg.] (o.J.a): Städte und Kerngebiete: Hier dürfen Sie Ihr CallBike abstellen. URL: http://www.callabike-interaktiv.de/kundenbuchung/process.php?proc= stadtplan&f=500&key=a1a14d9eec51d32b905f67bc639485c1...00013 (24.09.2008).

DB R ENT [Hrsg.] (o.J.b): Call a Bike - ohne Stress und ohne Stau. Einfach schlau! URL: http://www.callabike-interaktiv.de/kundenbuchung/ (24.09.2008).

DER SPIEGEL [Hrsg.] (2004): City-Tour mit Bycykle. URL: http://www.spiegel.de/reise/staedte/ 0,1518,297441,00.html (27.10.2008).

DEUTSCHE BAHN [Hrsg.] (2008): Dienstleistungen. URL:http://www.db.de/site/bahn/de/unte rnehmen/konzern/geschaeftsfelder/dbdienstleistungen/dbdienstleistungen.html (26.10.2008).

DEUTSCHE BAHN [Hrsg.] (o.J.): Offizielle Homepage. URL: http://www.db.de (26.10.2008).

DEUTSCHE BAHN FUHRPARK [Hrsg.] (2008): Anschlussmobilität. URL: http://www.dbfuhrpark service.de /site/dbfuhrpark/de/anschlussmobilitaet/anschlussmobilitaet.html (26.10.2008).

DIE ZEIT [Hrsg.] (1980): Fahrraddiebe überrunden sogar die Bankräuber. – In: Die Zeit, 45, 31.101980. URL: http://www.zeit.de/1980/45/fahrraddiebe-ueberrunden-sogar-die- bankraeuber.

DWORSCHAK , M. (2007): Vive la Vélorution. In: Der SPIEGEL [Hrsg.], Nr. 44/07, S. 182f. Hamburg. 29.10.2007.

191 Literaturverzeichnis

EL PAÍS [Hrsg.] (2008): Los comercios de bicicletas acusan una caída de ventas del 20% que atribuyen al 'bicing'. URL: http://www.elpais.com/articulo/cataluna/comercios/bicicletas/ acusan/caida/ventas/atribuyen/bicing/elpepuespcat/20080802elpcat_5/Tes (16.10.2008).

EL PERIÓDICO [Hrsg.] (2008): El Bicing registra una allau de 1.000 nous abonats cada dia. URL: http://www.elperiodico.cat/default.asp?idpublicacio_PK=46&idioma=CAT&idnoticia_PK =420382&idseccio_PK=1022 (16.10.2008).

ERLANGER , S. (2008): A New Fashion Catches On in Paris: Cheap Bicycle Rentals. New York Times. New York, 13.07.2008. S. A.6.

EXTRA ENERGY [Hrsg.] (2008a): Stuttgarter Pedelec-Modell in zwei Stufen. URL: http://www.extraenergy.org/main.php?language=de&category=events&subcateg =91&id=1873 (16.10.2008).

EXTRA ENERGY [Hrsg.] (2008b): Pedelec-Leasing: Pilotprojekt in Stuttgart. URL: http://www.extraenergy.org/main.php?language=de&category=events&subcateg=91&id=184 5 (16.10.2008).

EXTRA ENERGY [Hrsg.] (2008c): Stuttgart: Firmenpedelecs statt Mietstationen. URL: http://www.extraenergy.org/main.php?language=de& category=&subcateg=&id=2162 (16.10.2008).

FIETS BERAAD [Hrsg.] (2008): Leihfahrradsystem in Utrecht. URL: http://www.fietsberaad.nl /index.cfm?lang=de§ion=repository&mode=detail&repository=Leihfahrradsystem+in+Utr echt (05.10.2008).

FONTGIVELL , C. (2008): Barcelona elevará un 20% el precio de los abonos "bicing". URL: http://www.expansion.com/2008/11/17/catalunya/1226960311.html (16.10.2008).

FRIEDRICH , A. (2007): PPT-Vortrag auf dem Radverkehrskongress der ifma 2007.

GAUTIER , D.; FABER , K. (2008): Fahrrad der Freiheit. URL: http://www.fahrradderfreiheit.de /home.php (23.11.2008).

GEHL , J. (2008): Vélib´ bike hire - Paris (Summary). URL: http://newmobilityagenda. blogspot.com/2008/08/jan-gehl-on-vlib.html (26.11.2008).

GEWISTA [Hrsg.] (2008a): Offizielle Hompage. Citybike Wien. URL: www.citybikewien.at (23.11.2008).

GEWISTA [Hrsg.] (2008b): Presseinformation vom 14.04.2008 . Wien. URL: www.citybikewien.at (23.11.2008).

GEWISTA [Hrsg.] (2008c): Medienunterlage „Neue Citybikes für den 2. Bezirk . Wien. URL: www.citybikewien.at (23.11.2008).

GEWISTA (2008d): Emailverkehr mit Dieter Matuschek, Hans-Erich Dechant und Matthias Wegscheider von Citybike Wien.

HAMBURGER ABENDBLATT [Hrsg.] (2008a): Call a Bike: Bahn zieht Bilanz des Fahrradleihsystems. URL: http://www.abendblatt.de/daten/2008/10/23/957568.html (23.11.2008).

192 Literaturverzeichnis

HAMBURGER ABENDBLATT [Hrsg] (2008b): Leihsystem für Fahrräder: Bahn bekommt den Zuschlag. URL: http://www.abendblatt.de/daten/2008/12/13/990032.html (18.12.2008).

HÜLSMANN , W. (1987): Zusammenfassende Bewertung der Erfahrungen und Ergebnisse des Modellvorhabes “Fahrradfreundliche Stadt“. – In: Umweltbundesamt (1987) [Hrsg.]: Kommunale Fahrradverkehrsplanung und -förderung. Dokumentation der Abschlussveranstaltung zum Modellvorhaben „Fahrradfreundliche Stadt“ des Umweltbundesamtes am 21./22. Oktober 1987 in Bonn. Berlin.

JCD ECAUX [Hrsg.] (2008a): Vélib’ ’Offizielle Homepage. URL: http://www.velib.fr/ (25.09.2008).

JCD ECAUX [Hrsg.] (2008b): Cyclocity- A hugely successful JCDecaux invention revolutionising the way people travel. URL: http://www.jcdecaux.co.uk/development/cycles/ (27.09.2008).

JCD EAUX [Hrsg.] (2008c): Final stage of the Tour de France with Vélib´ on July 27th in Paris. Press Release, JCDeaux 02.07.08. URL: http://www.jcdecaux.com/content/static/ jcdecaux_en/images/2008/07/02/1663852.1.pdf (01.11.2008).

JCD ECAUX [Hrsg.] (2007a): Contract for bicycles and street furniture in Paris: JCDecaux confirms its commitments. URL: http://www.jcdecaux.com/content/jcdecaux_en/presse /communiques/20070202.html (27.09.2008).

JCD ECAUX [Hrsg.] (2007b): Cyclocity ®-Poster.

JCD ECAUX [Hrsg.] (2007c): Pressemitteilung vom 17.07.2007. Paris.

JCD ECAUX [Hrsg.] (2007d): Pressemitteilung vom 02.02.2007. Paris.

JCD ECAUX [Hrsg.] (o.J.a.): Dossier de presse Anglais. Paris.

JCD ECAUX [Hrgs.] (o.J.b): CYCLOCITY® - a revolutionary public transport system accessible to all. URL: http://bikesharephiladelphia.org/PDF%20DOC/V%C3%A9lo%27V_A_ REVOLUTIONARY_PUBLIC_TRANSPORT_SYSTEM_ACCESSI.pdf (25.09.2008).

KALLE , U. (2005): Radverkehrsförderung mit System – Bausteine einer umfassenden Radverkehrspolitik und eines nutzergerechten Farradservice. - In: Monheim, H. (2005) [Hrsg.]: Fahrradförderung mit System –Elemente einer angebotsorientierten Radverkehrspolitik, S. 13-26, Mannheim.

KLAUS , C. (2005): Im Dienste der Mobilität. Leih- und Pfandfahrradsysteme. - In: Monheim, H. (2005) [Hrsg.]: Fahrradförderung mit System –Elemente einer angebotsorientierten Radverkehrspolitik, S. 243-270, Mannheim.

KRAMER , A.; MAIERBRUGGER , A. (2002): Viennabike-Sponsoren halten an Projekt fest, - In: Wirtschaftsblatt, URL: http://www.wirtschaftsblatt.at/archiv/118677/index.do.

KRAUSE , J.; HILDEBRANDT , E. (2005): Modellvorhaben Fußgänger- Fahrradfreundliche Stadt. Chancen des Fuß- und Radverkehrs als Beitrag zur Umweltentlastung. - In: Umweltbundesamt (2006) [Hrsg.]: Texte 28/05. Dessau.

193 Literaturverzeichnis

KRESSE , R. (2008): Mietfahrräder - CDU-Experte ist skeptisch. - In: Hamburger Abendblatt [Hrsg], 01.07.2008. URL: http://www.abendblatt.de/daten/2008/07/01/901050.html (18.12.2008).

KUMMETZ , D. (2008): Die Bahn kommt mit Fahrrädern. – In: taz [Hrsg.]. URL: http://www.taz.de/regional/nord/hamburg/artikel/?dig=2008%2F03%2F20%2Fa0026&src=UA &cHash=ada889a49e&type=98 (24.09.2008).

LANDESHAUPTSTADT STUTTGART [Hrsg.] (2008): Pedelec-Mietsystem: Stuttgart soll zur Fahrradstadt werden. URL: http://www.stuttgart.de/sde/menu/frame/top.php?seite=http%3A //www.stuttgart.de/sde/presse/detail/279390 (16.10.2008).

MAERTINS , C. (2006): Die Intermodalen Dienste der Bahn: Mehr Mobilität und weniger Verkehr? Wirkungen und Potenziale neuer Verkehrsdienstleistungen Discussion Paper SP III 2006-101, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (2006).

MAERTINS , C.; HOFFMANN , C.; KNIE , A. (2004): Automobil mit der Bahn. Bilanz zur Markteinführung von Call-a-Bike und DB Carsharing. - In: Internationales Verkehrswesen (56), H. 1+2. S. 38-40.

MAIERBRUGGER , A. (2003): Gratis-City-Bike soll ab 1., - In: Wirtschaftsblatt, URL: http://www. wirtschaftsblatt.at/archiv/63638/index.do (28.10.2008).

MAIERBRUGGER , A. (2002a): "Verleih ist nicht mehr anonym", - In: Wirtschaftsblatt, URL: http://www.wirtschaftsblatt.at/archiv/119130/index.do (28.10.2008).

MAIERBRUGGER , A. (2002b): Deutsch-österreichische Coproduktion. - In: Wirtschaftsblatt, URL: http://www.wirtschaftsblatt.at/archiv/119279/index.do (28.10.2008).

MARQUAND , R. (2007): French revolution: Rentable bikes every 900 feet. The Christian Science Monitor. Boston. 06.07.2007, S. 1.

MENDEZ , J. (2008): Stuttgart sattelt um. – In: Good News Ausgabe August 2008. URL: http://www.goodnews-stuttgart.de/Mobil/Stuttgart-sattelt-um-a643.html

MONHEIM , H. (2005): Fahrradförderung in Deutschland und Nordrhein-Westfalen. - In: Monheim, H. (2005) [Hrsg.]: Fahrradförderung mit System – Elemente einer angebotsorientierten Radverkehrspolitik, S. 29-51, Mannheim.

MONHEIM , H. (2003): Der Nationale Radverkehrsplan: Viel Lärm um nichts oder Beginneiner echten Renaissance der Fahrradförderung? - In: Universität Trier (2003) [Hrsg.]: „Der Nationale Radverkehrsplan 2002-2012 Fahr Rad!“. Radverkehrsförderung in Deutschland – Endbericht einer Projektstudie 2003. S.3-6. Trier.

MONHEIM , H.; MONHEIM -DANDORFER , R. (1990): Straßen für alle. Analysen und Konzepte zum Stadtverkehr der Zukunft. Hamburg.

MOOK , K. (2008): OV-fiets – Public Transport Bike in the Netherlands. PPT-Präsentation.

MÜCKE , M. (2008): Suchen und sammeln. - In: NRZ Düsseldorf [Hrsg.], 16.09.2008.

194 Literaturverzeichnis

MUÑOZ , G. (2007): Bicing extends to all the city districts. URL: http://w3.bcn.es/V01/Serveis/ Noticies/V01NoticiesLlistatNoticiesCtl/0,2138,200713899_214951850_3_328554335,00.html ?accio=detall&home (16.10.2008).

MWMEV NRW [Hrsg.] (2002): FahrRad in NRW! (Broschüre). Düsseldorf.

MWMEV NRW [Hrsg.] (2000): Programm „100 Fahrradstationen in NRW“ (Studie). Düsseldorf.

MWMTV NRW [Hrsg.] (1999): Aktionsplan zur Förderung des Radverkehrs in NRW. Düsseldorf.

NEUPERT , H. (2008): Vortrag in Graz am 10.10.2008. PPT-Präsentation. S. 170

NEXTBIKE [Hrsg.] (2009): Pressemitteilung vom 09.10.2009. Leipzig.

NEXTBIKE [Hrsg.] (2008a): Fahrpreise. URL: http://nextbike.de/#preise (05.11.2008).

NEXTBIKE [Hrsg.] (2008b): Diese Werbung sticht ins Auge. URL: http://nextbike.de/# mediadaten (05.11.2008).

NEXTBIKE [Hrsg.] (2008c): Diese Fahrradwerbung sticht ins Auge URL: http://nextbike.de/#refernzen1 (05.11.2008).

NEXTBIKE [Hrsg.] (2008d): Franchise. URL: http://nextbike.de/#international (05.11.2008).

NEXTBIKE [Hrsg.] (2008e): Das wirtschaftliche Fahrradverleihsystem. URL: http://nextbike.de /#stadtverwaltungen (05.11.2008).

NEXTBIKE [Hrsg.] (2008f): Werbefahrrad. URL: http://nextbike.de/#werbefahrrad (05.11.2008).

NEXTBIKE [Hrsg.] (2008g): Standorte. URL: www.nextbike.de/#standorte (05.11.2008).

OV-FIETS [Hrsg.] (2008): Offizielle Homepage. URL: http://www.ov-fiets.nl/ (05.10.2008).

PLANUNGSBÜRO VIA [Hrsg.] (2004): Fahrradverkehr in Deutschland und im Ausland, Stand von Theorie und Praxis. Ergebnisbericht. Köln.

RANNENBERG , W. (2008): 50 Fahrräder für die Innenstadt. – In: Frankfurter Rundschau [Hrsg.], 08.03.2008.

RHEINISCHE POST [Hrsg.] (2008a): Dreißig Mietfahrräder warten in der Innenstadt, - In: Rheinische Post vom 22.04.2008. Düsseldorf.

RHEINISCHE POST [Hrsg.] (2008b): Dreihundert Fahrräder zum Mieten, - In: Rheinische Post vom 22.07.2008. Düsseldorf.

SCHARNWEBER , M. (2005): Der „Nationale Radverkehrsplan“ und seine Umsetzung – Eine Zwischenbilanz. - In: Monheim, Heiner (2005) [Hrsg.]: Fahrradförderung mit System – Elemente einer angebotsorientierten Radverkehrspolitik, S. 79-90, Mannheim.

SCHIMMELPENNINK , L. (1996): DEPO-Transportsystem Amsterdam. - In: Pastowski, Andreas [Hrsg.]: Wege aus dem Stau. Berlin u.a.

195 Literaturverzeichnis

SHIMANO [Hrsg.] (2006): Radfahren – die clevere Art der Fortbewegung (Broschüre).Utrecht. Niederlande.

SIECKMEYER , D. (2008): Mieträder kommen ins Rollen. In: Westdeutsche Zeitung [Hrsg.], 25. 08. 2008.

SILVERMAN , E. (2008): D.C. Bike Sharing Kicks Into High Gear. – In: Washington Post vom 13.08.2008 URL: http://www. washingtonpost.com/wp- dyn/content/article/2008/08/12/AR2008081202907.html (24.10.2008).

SILVERMAN , E. (2007): Paris embraces plan to become city of bikes. – In: Washington Post 24.03.2007, S. 10

STADT BREMEN (1979): Aktion „Kommunale Fahrräder“ , lose Blättersammlung. Bremen.

STADT PARIS (2008): Verkehrssichterheitscampange (in Kooperation mit JCDecaux). URL: http://www.paris.fr/portail/accueil/Portal.lut?page_id=1&document_type_id=2&document_id= 62366&portlet_id=815

STADT WIEN [Hrsg.] (2006a): Erfolgreiches Wien: Radfahren und Citybike-Wien 2006. URL: http://www.magwien.gv.at/vtx/vtx-rk-xlink?SEITE=020060421014 (23.11.2008).

STADT WIEN [Hrsg.] (2006b): Radverkehrserhebung 2006 - 2010. Magistrat der Stadt Wien (Hrsg.). Wien. URL: http://www.snizek.at/radverkehr/jahresvergleich/Teilbericht- Befragung06.pdf (23.11.2008).

STAVANGER REGION [Hrgs.] (2007): Offizielle Homepage der Stavanger Region. URL: http://www.regionstavanger.com/?c=4&intro=85_614_6&PR=85_673_3&sp=DE&mi=mct19 (16.10.2008).

STOCKHOLM CITY BIKES [Hrsg.] (2008): Loan agreement 2008 Stockholm City Bikes. URL: http://www.stockholmcitybikes.se/en/Loan-agreement-/ (25.10.2008).

STREITZ , E. (2008): Neues Fahrradleihsystem "vel'oh!" in der Stadt Luxemburg. URL: http://www.nationaler-radverkehrsplan.de/neuigkeiten/news.php?id=2146 (16.10.2008).

STRÖER [Hrsg.] (2008a): Stadtmöblierung. URL: http://www.stroeer.de/Stadtmoeblierung. 297.0.html (04.10.2008).

STRÖER [Hrsg.] (2008b): Fahrradmietsystem. URL: http://www.stroeer.de/Fahrradmietsystem. fahrradmietsystem.0.html (04.10.2008).

STRÖER [Hrsg.] (2008c): Offizielle Homepage. URL: http://www.stroeer.de (04.10.2008).

STRÖER [Hrsg.] (2006): Presse Informationen vom 05.10.2006. Köln.

THE WASHINGTON TIMES [Hrsg.] (2008): Smart Bike pedaling starter service. URL: http://www.washingtontimes.com/news/2008/apr/26/smartbike-pedaling-starter-service/ (24.10.2008).

TODORINC , J. (2008): Mit dem Leihrad in den Park. In: Express [Hrsg.]. 22.07.2008.

196 Literaturverzeichnis

UEFA [Hrsg.] (2008): Euro 2008. URL: http://de.euro2008.uefa.com/countries/cities/city=3088/stadium/index.html (23.11.2008).

UMWELTBUNDESAMT [Hrsg.] (2008): Verkehr – Schadstoffe und Klimagase. URL: www.umweltbundesamt.de/verkehr/index-emissionen.html (15.10.2008).

UN BLOG DE BRETAGNE (2007): URL: http://blog.bretagne-balades.org/index.php/2007/09 /16/1401-les-bornes-celib-arrivent-sur-paris.

VAN SCHAIK , J.W. (2008a): Legal Issues Slowing Down US Bike Rental Programs. URL: http://www.bike-eu.com/news/3070/legal-issues-slowing-down-us-bike-rental-programs.html (24.10.2008).

VAN SCHAIK , J.-W. (2008b): Bike Europe – News. URL: http://www.bike-eu.com/news/2957/ success-velib-tempered-by-costs-of-breakdowns.html (15.09.2008).

VCD [Hrsg.] (2001): Aktiv mobil – ganz ohne Abgase. http://www.verkehrsclub- deutschland.de/index2.html (22.08.2008).

VRR [Hrsg.] (2008a): bikey macht Radfahren im VRR komfortabler. URL: http://www.vrr.de/de/service/mobilitaetsangebote/bike_and_ride/bikey/ (23.11.2008).

VRR [Hrsg.] (2008b): Preise bikey. URL: http://www.vrr.de/imperia/md/content/aktuelles/bikey_preise.pdf (23.11.2008).

WIKIPEDIA [Hrsg.] (2008a): Stadtmöblierung. URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Stadtmöblierung (04.10.2008).

WIKIPEDIA [Hrsg.] (2008b): Provo-Bewegung. URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Provo- Bewegung (18.10.2008).

WIKIPEDIA [Hrsg.] (2008c): Fahrradverleih. URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Fahrradverleih (18.10.2008).

WINKELS , E. (2007): A un paso de 400 estaciones. – In: El Periódico [Hrsg.] URL: http://www.elperiodico.com /default.asp?idpublicacio_PK=46&idioma=CAS&idnoticia _PK=521169&idseccio_PK=1022 (16.10.2008).

WÜPPER , G. (2008): Franzosen mausern sich zum Volk der Radfahrer. - In: Die Welt vom 21.06.2008.

WZB [Hrsg.] (2008): Forschungsergebnisse Call a Bike? URL: http://www.wzb.eu/callabike /default.html (23.11.2008).

ZIV [Hrsg.] (2007): Offizielle Homepage. URL: http://www.ziv-zweirad.de (18.12.2008).

20 M INUTOS [Hrsg.] (2008): El Bicing se extiende y llegará a 17 ciudades del área metropolitana de Barcelona. URL: http://www.20minutos.es/noticia/399859/0/Bicing /barcelona/ciudades/ (16.10.2008).

197 Literaturverzeichnis

Fotos ohne Autor:

O.A. (2008a): URL: http://lh3.ggpht.com/_qZjbfpxV-Dw/SApfs_vF0bI/AAAAAAAABKo/ 85wz bwbORQw/DSCN1702.JPG

O.A. (2008b): URL: http://farm2.static.flickr.com/1129/977227063_224d644077.jpg

O.A. (2008c): URL: http://www.digitaljournal.com/img/8/9/9/i/3/9/5/p-large/SmartBike1.jpg

O.A. (2008d): URL: http://cache.daylife.com/imageserve/0blj9oQ1h66GD/610x.jpg

O.A. (2008e): URL: http://veloalacarte.free.fr/images/velo.jpg

O.A. (2008f): URL: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bici_bicing_bcn.JPG

O.A. (2008g): URL: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Furgo_bicing_bcn.JPG

O.A. (2008h): URL: http://images.google.de

198 Anhang

Anhang

Anhang 1: Fragen der leitfadengestützten Expertengespräche im Überblick

Anhang 2: Fahrradverleihsysteme im Vergleich

Anhang 3: Anbieter und Konzepte im Vergleich

i Anhang

Anhang 1: Fragen der leitfadengestützten Expertengespräche im Überblick

1. Worin liegen Ihrer Meinung nach die Stärken und Chancen von öffentlichen FVS und welche Risiken und Schwierigkeiten sollten interessierte Städte bei der Planung beachten, auch um die Fehler in der Vergangenheit gescheiterter Systeme zu vermeiden?

2. Welche Kriterien und Rahmenbedingungen sind für den Erfolg eines öffentlichen FVS Ihrer Meinung nach wichtig?

3. Es existieren verschiedene Typen von FVS (stationsgebundene/-ungebundene Systeme, mit/ohne Registrierung, kostenlos/gebührenpflichtig, Anmeldung und Ausleihvorgang per Anruf / per Kundenkarte am Stationsterminal etc.). Welche Modelle halten Sie für besonders erfolgversprechend und welche funktionieren Ihrer Meinung nach schlecht/nicht?

4. Denken Sie, dass eine bestimmte „Stadtmindestgröße“ für den Erfolg eines öffentlichen FVS notwendig ist?

5. Glauben Sie, dass bestimmte Nutzergruppen (z.B. Einheimische, Pendler, Touristen) vom Angebot eines öffentlichen FVS besonders profitieren und dieses entsprechend am stärksten nachfragen?

6. Ist die Implementierung öffentlicher FVS Ihrer Einschätzung nach nur in Städten mit geringen Fahrradbesitzquoten der Einwohner (wie z.B. in Paris, Lyon, Barcelona) sinnvoll, oder können solche Systeme in Städten mit hohem Fahrradbesitz (Bsp.: Kopenhagen, Callabike, OV-Fiets in den NL) grundsätzlich genauso erfolgreich sein?

7. Sind Sie der Meinung, dass öffentliche FVS ein wichtiger Bestandteil des „Radverkehrs als System“ sind und entsprechend gefördert werden sollten, oder halten Sie öffentliche FVS im Vergleich zu anderen Maßnahmen der Fahrradförderung eher für unwichtig?

8. Sehen Sie öffentliche FVS als wertvolle Ergänzung oder als Konkurrenz zum klassischen ÖPNV-Angebot an?

9. Welche Rolle könnte und sollte Ihrer Meinung nach die öffentliche Hand (Bund, Länder, Kommunen) bei der Planung, Entwicklung, Finanzierung und Implementierung von öffentlichen FVS spielen?

10. Sind Ihnen Pläne zur Förderung öffentlicher FVS auf Ebene des Bundes oder der Länder bekannt und wie beurteilen Sie diese? (Bsp.: Pläne des BMVBS für ein Förderprogramm)

11. Wie kritisch sehen Sie die Subventionierung einer Dienstleistung, die in ähnlicher Form teilweise auch von privaten Anbietern wie Fahrradhändlern/-stationen angeboten wird? (Bsp. Konflikt in Barcelona: öffentliches FVS „bicing“ versus „traditioneller“ Fahrradverleih durch Fahrradgeschäfte für Touristen)

ii Anhang

12. Sollte Ihrer Meinung nach Werbung an den Fahrrädern und ggf. Leihstationen grundsätzlich zulässig sein, um Einnahmen für die Finanzierung eines öffentlichen FVS zu generieren? (Bsp.: Citybike Wien und Nextbike ) Oder halten Sie eine Finanzierung durch die öffentliche Hand und/oder Nutzungsgebühren für sinnvoller?

13. Wie beurteilen Sie das Konzept für ein Elektrofahrrad-Verleihsystem in Stuttgart? Sind Pedelecs Ihrer Meinung nach die idealen öffentlichen Leihfahrräder der Zukunft oder nur in Ausnahmefällen bzw. gar nicht sinnvoll?

14. Halten Sie die momentanen Entwicklungen in Europa nur für eine vorübergehende „Modeerscheinung“ oder glauben Sie, dass in 20 Jahren der Großteil aller europäischen Großstädte mit mehr als 250.000 Einwohnern ein öffentliches FVS haben wird?

15. Glauben Sie, dass das Fahrrad als Verkehrsmittel allgemein in Deutschland und weltweit zukünftig an Bedeutung gewinnen wird?

iii Anhang

Anhang 2 - Tab. 16: Fahrradverleihsysteme im Vergleich

Räder Gebühren Anzahl Anzahl pro Stations- Betriebszeiten in € (0,5 h / Fahrten pro Name Eröffnung Fahrräder Stationen Station gebunden (Tag/Woche/Jahr) 2 h / 12 h) Jahr / Tag ca. 100.000 / Rennes Velo a la carte 1998 200 25 8 Ja 24/7/365 0 / 0 / n.e.* ca. 270 6.000 400 (geplant: (geplant: ca. 14,4 Mio. / Barcelona Bicing 2007 9.520) 840) 15 Ja 24/7/365 0 / 0 / n.e. ca. 39.500 Dijon Velodi 2008 400 40 10 Ja 24/7/365 0 / 0 / n.e. k.A.** 120 (geplant 10 (geplant Washington SmartBike DC 2008 ca. 1.000) ca. 100) 12 Ja 24/7/365 0 / 0 / n.e. k.A. 1.300 (geplant 103 (geplant Mailand Bike Mi 2008 5.000) 250) 12,6 Ja 24/7/365 0 / 0 / n.e. k.A. München Call a Bike flex 2001 1.050 keine keine Nein 24/7/270 2,4 / 9 / 9 141.000 / 386 Berlin Call a Bike flex 2002 1.500 keine keine Nein 24/7/270 bzw. mit BC: 135.000 / 370 Frankfurt Call a Bike flex 2003 800 keine keine Nein 24/7/270 1,8 / 7,2 / 9 120.000 / 328 Stuttgart Call a Bike fix 2006 500 69 7,2 Ja 24/7/365 0 / 7,2 / 9 k.A. Wien Citybike Wien 2003 1.000 60 16,6 Ja 24/7/365 0 / 1 / 39 335.000 / 920 0 / 2 / 12 - ca. 9 Mio. / ca. Lyon Vélo'v 2005 4.000 343 9,2 Ja 24/7/365 24 25.000 ca. 90 Mio. / Paris Vélib’ 2007 20.600 1.451 14,2 Ja 24/7/365 0 / 7 / 87 ca. 250.000 Amiens Vélam 2008 313 26 12 Ja 24/7/365 0 / 7 / 87 k.A. Rouen cy’clic 2008 250 20 12,5 Ja 24/7/365 0 / 7 / 87 k.A. Offenbach Nextbike 2007 50 8 k.A. Ja 24/7/365 1 / 2 / 5 k.A. Düsseldorf Nextbike 2008 400 25 k.A. kombiniert 24/7/366 1 / 2 / 5 k.A.

iv Anhang

durchschn. Anteil Fläche Fahrzeit kostenloser max. erlaubte Anzahl Einwohner Angebot Räder Räder pro (Min.) Fahrten (%) Nutzungszeit Dauerkunden (1.000) (km²) pro km² 1.000 EW Rennes 44 76,5 3 Std. 4.300 210 50 4 0,95 Barcelona 18 91 3 Std. 175.000 1.700 100 60 3,53 Dijon k.A. k.A. 3 Std. k.A. 150 40 10 2,67 Washington k.A. k.A. 3 Std. k.A. 590 177 1 0,20 Mailand k.A. k.A. 3 Std. k.A. 1.300 182 7 1,00 München k.A. k.A. unbegrenzt k.A. 1.315 44 24 0,80 Berlin k.A. k.A. unbegrenzt k.A. 3.424 100 15 0,48 Frankfurt k.A. k.A. unbegrenzt 16.500 660 27 30 1,20 Stuttgart k.A. k.A. unbegrenzt k.A. 597 207 2 0,84 Wien 22 98 120 Std. 60.000 1.700 414 2 0,59 Lyon 17 96 24 Std. 50.000 900 47,8 84 8,56 Paris 18 96 24 Std. 250.000 2.100 105 196 9,51 Amiens k.A. k.A. 24 Std. k.A. 136 49,5 6 2,30 Rouen k.A. k.A. 24 Std. k.A. 106 21,4 12 2,36 Offenbach k.A. k.A. unbegrenzt k.A. 118 45 1 0,42 Düsseldorf k.A. k.A. unbegrenzt k.A. 580 217 2 0,69

* n.e. = nicht erlaubt ** k.A. = keine Angaben Stand: 12.2008

Quelle: eigene Darstellung

v Anhang

Anhang 3 - Tab. 17: Anbieter und Konzepte im Vergleich

JCDecaux Clear Channel gewista DB Rent nextbike Im Markt seit 2003 1998 2003 2001 2003 Anzahl Standorte 16 13 1 22 20 Anzahl Fahrräder ca. 34.000 ca. 13.000 1.000 5.800 ca. 1.000 Anzahl Kunden (gesamt) ca. 350.000 ca. 260.000 70.000 80.000 k.A. Paris / 20.600 / Barcelona / 6.000 / Größtes System (Ort / Räder / Stationen) 1.451 400 Wien / 1.000 / 59 Berlin / 1.500 / 0 Düsseldorf / 400 / 25 Name des FVS Cyclocity® Smart-Bike-System Citybike Wien Call a Bike nextbike stationsgebunden stationsgebunden und und Organisationsstruktur stationsgebunden stationsgebunden stationsgebunden stationsunabhängig stationsunabhängig Ausleihmechanismus (Identifikation) per Kundenkarte per Kundenkarte per Kundenkarte per Telefon per Telefon Betriebszeiten (Wochentage / Stunden / Jahr) 7 / 24 / 365 7 / 20 / 365 7 / 24 / 365 7 / 24 / 270 7 / 24 / 365 Kosten Fahrrad (€) ca. 550 ca. 400 ca. 600 ca. 800 ca. 300 Strafgebühr (€) 150 150 - 200 600 80 75 max. Nutzungszeit 24 Std. 2 - 3 Std. 120 Std. unbegrenzt unbegrenzt Kostenlose Nutzungszeit i.d.R. 30 Min. i.d.R. 30 Min. 60 Min. keine bzw. 30 Min.** keine Mindestalter Nutzer (Jahre) 14 14 – 18 12 16 16 Außenwerbung und Werbung auf Werbung auf den Finanzierung der Betriebsdefizite* durch Außenwerbung Außenwerbung den Leihrädern Deutsche Bahn Leihrädern Preis für längere Nutzung (Preis 12 Std. in €) hoch (ca. 80,00) nicht vorgesehen hoch (39,00) niedrig (9,00) niedrig (5,00) Registrierung obligatorisch obligatorisch obligatorisch obligatorisch obligatorisch technologischer Ansatz / Level High-Tech High-Tech High-Tech High-Tech Low-Tech

* gemeint sind die Kosten, die nicht durch die Einnahmen aus den Nutzungsgebühren gedeckt sind

** nur im Pauschaltarif

Quelle: eigene Darstellung

vi Erklärung zur Diplomarbeit

Erklärung zur Diplomarbeit

Hiermit erkläre ich, dass ich die Diplomarbeit selbstständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt und die aus fremden Quellen direkt oder indirekt übernommenen Gedanken als solche kenntlich gemacht habe. Die Diplomarbeit habe ich bisher keinem anderen Prüfungsamt in gleicher oder vergleichbarer Form vorgelegt. Sie wurde bisher auch nicht veröffentlicht.

Ort, Datum Unterschrift

………………………………….…. ………………………………………. (Wigand v. Sassen)

vii