Plenarprotokoll 19/168

Deutscher

Stenografischer Bericht

168. Sitzung

Berlin, Montag, den 29. Juni 2020

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 1: (Heidelberg) (SPD) ...... 20997 D a) – Zweite und dritte Beratung des von den (AfD) ...... 20999 A Fraktionen der CDU/CSU und SPD ein- gebrachten Entwurfs eines Zweiten Ge- (CDU/CSU) ...... 21000 C setzes zur Umsetzung steuerlicher (AfD) ...... 21002 A Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Zweites Corona- Alexander Dobrindt (CDU/CSU) ...... 21002 C Steuerhilfegesetz) Drucksachen 19/20058, 19/20332 ...... 20997 B Christian Dürr (FDP) ...... 21002 D Dr. (DIE LINKE) ...... 21004 A – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung Dr. (BÜNDNIS 90/ Drucksache 19/20441 ...... 20997 B DIE GRÜNEN) ...... 21005 B Ingrid Arndt-Brauer (SPD) ...... 21006 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- nanzausschusses (FDP) ...... 21007 C – zu dem Antrag der Abgeordneten Ingrid Arndt-Brauer (SPD) ...... 21007 D Christian Dürr, , , weiterer Abgeordneter und Nadine Schön (CDU/CSU) ...... 21008 A der Fraktion der FDP: Neustart für Deutschland – Entlasten, investieren Dr. (FDP) ...... 21009 A und entfesseln (CDU/CSU) ...... 21010 A – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. (DIE LINKE) ...... 21011 B Markus Herbrand, , Christian Dürr, weiterer Abgeordneter Antje Tillmann (CDU/CSU) ...... 21011 C und der Fraktion der FDP: Steuerer- (SPD) ...... 21012 A klärungsverpflichtung für Kurzarbeit verhindern – Progressionsvorbehalt (DIE LINKE) ...... 21013 B für 2020 aussetzen Bernhard Daldrup (SPD) ...... 21013 C – zu dem Antrag der Abgeordneten , , Jürgen Fritz Güntzler (CDU/CSU) ...... 21014 A Braun, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD: Arbeitnehmer, Nächste Sitzung ...... 21016 C Kleinunternehmer, Freiberufler, Landwirte und Solo-Selbständige aus der Corona-Steuerfalle befreien und gleichzeitig Bürokratie abbauen Anlage 1 Drucksachen 19/20050, 19/20051, 19/20071, 19/20332 ...... 20997 D Entschuldigte Abgeordnete ...... 21017 A II Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Montag, den 29. Juni 2020

Anlage 2 Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Bewältigung der Corona-Krise (Zweites Coro- Dr. (SPD) zu dem von den na-Steuerhilfegesetz) Fraktionen der CDU/CSU und SPD einge- brachten Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur (Tagesordnungspunkt 1 a) ...... 21017 C Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Montag, den 29. Juni 2020 20997

(A) (C)

168. Sitzung

Berlin, Montag, den 29. Juni 2020

Beginn: 11.00 Uhr

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Steuererklärungsverpflichtung für Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bitte Kurzarbeit verhindern – Progressions- nehmen Sie Platz. Die Sitzung ist eröffnet. vorbehalt für 2020 aussetzen Außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliche – zu dem Antrag der Abgeordneten Kay Maßnahmen. Deswegen treffen wir uns heute schon am Gottschalk, Marc Bernhard, Jürgen Braun, Montag. Die Tagesordnung für diesen Tag ist auch ver- weiterer Abgeordneter und der Fraktion einbart zwischen den Fraktionen. der AfD Deswegen rufe ich die Tagesordnungspunkte 1 a und Arbeitnehmer, Kleinunternehmer, 1 b auf: Freiberufler, Landwirte und Solo-Selb- ständige aus der Corona-Steuerfalle be- a) – Zweite und dritte Beratung des von den freien und gleichzeitig Bürokratie ab- (B) (D) Fraktionen der CDU/CSU und SPD einge- bauen brachten Entwurfs eines Zweiten Geset- zes zur Umsetzung steuerlicher Hilfs- Drucksachen 19/20050, 19/20051, maßnahmen zur Bewältigung der 19/20071, 19/20332 Corona-Krise (Zweites Corona-Steuer- Zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU hilfegesetz) und SPD liegen mehrere Änderungsanträge und Ent- Drucksache 19/20058 schließungsanträge vor. Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- Für die Aussprache wurde eine Dauer von 60 Minuten nanzausschusses (7. Ausschuss) beschlossen. Drucksache 19/20332 Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Lothar Binding von der SPD-Fraktion. – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Drucksache 19/20441 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Berichts des Finanzausschusses (7. Aus- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr schuss) verehrte Damen und Herren! Eine Pandemie dieser Art, eine Coronapandemie, ist für uns alle ein ganz neues Er- – zu dem Antrag der Abgeordneten lebnis. Wir können auf keine Erfahrungen zurückgreifen, Christian Dürr, Grigorios Aggelidis, wie man darauf reagieren sollte. Manche schütteln den Renata Alt, weiterer Abgeordneter und Kopf, aber ich wüsste nicht, wer schon einmal eine solche der Fraktion der FDP Pandemie erlebt hat und sich deshalb darauf vorbereiten Neustart für Deutschland – Entlasten, konnte. Weltweit gab es niemanden, der sich wirklich gut investieren und entfesseln vorbereitet hat. Ich glaube, dass das auch zeigt, warum wir ein bisschen stolz darauf sind, wie schnell wir reagiert – zu dem Antrag der Abgeordneten Markus haben, wie wirkmächtig wir reagiert haben. Daher wollte Herbrand, Katja Hessel, Christian Dürr, ich den Kollegen von der CDU/CSU und uns allen dafür weiterer Abgeordneter und der Fraktion danken, wie eng wir zusammengearbeitet haben. Ich der FDP wollte den Ministern und der Regierung danken, weil 20998 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Montag, den 29. Juni 2020

Lothar Binding (Heidelberg) (A) ich glaube, hier hat sich gezeigt, dass wir in der Not in machen, wenn nicht in dieser Zinslage? Alles andere (C) einer besonderen Weise zusammenstehen. wäre doch geradezu dumm. Das hat schon das Erste Corona-Steuerhilfegesetz ge- (Beifall bei der SPD – Zurufe von der AfD) zeigt, und das zeigt jetzt das Zweite. Das zeigen auch die Dimension und die Größenordnung der Maßnahmen. Es ist klug, jetzt Schulden aufzunehmen und die Re- Denn wir kümmern uns multidimensional um ein Wirt- serve zu belassen. Ja, das ist kluges Cash-Management schaftssystem, das zunächst mal auf die Verbraucher durch kluges Rücklagenmanagement. Das ist eindeutig. blickt und sagt: Den Verbrauchern muss es auch in der Wahrscheinlich ist jetzt – mit Blick auf zwei ganz wich- Krise gut gehen können, jedenfalls nicht so schlecht wie tige Sachen – die einzig gute und richtige Zeit, das zu tun, den Verbrauchern in Ländern, die sich nicht gut genug was wir tun. Wir könnten das nicht tun, wären wir in einer kümmern können. Also wird zunächst die Umsatzsteuer anderen Situation. Viele andere Länder können das nicht gesenkt mit dem Ziel, dass die Verbraucher gut durch die tun. Ich denke an die Schuldentragfähigkeit, die wir heute Krise kommen. Den Familien wird mit dem Kinderbonus haben, und an das Zinsänderungsrisiko, auf das wir wenig geholfen, der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende Einfluss haben. Auf die Schuldentragfähigkeit haben wir wird angehoben. Es gibt Hilfen für viele, begonnen bei aber Einfluss. Das hängt damit zusammen, dass wir be- den Kulturschaffenden bis hin zu den gemeinnützigen stimmte Anforderungen, die auch heute wieder in An- Einrichtungen. Es passiert unendlich viel auf der Nach- trägen gestellt werden, nämlich Steuersenkung, Steuer- frageseite für die Verbraucherinnen und Verbraucher. senkung, Steuersenkung für die Unternehmen, in den letzten Jahren nicht erfüllt haben. Diese Verweigerung (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Senkung der Steuern hilft uns jetzt, denen, die die der CDU/CSU) Senkung gefordert haben, zu helfen. Übrigens, wer an der Wirksamkeit dieser Maßnahmen (Beifall bei der SPD – Lachen bei Abgeordne- zweifelt, der sollte sich vielleicht einmal die Wachstums- ten der AfD und der FDP) prognosen anschauen, die gegenwärtig veröffentlicht werden. Zweitens sollte er auch mal Lars Feld lesen, Deshalb sollen die jetzt in der Krise nicht wieder anfan- Sachverständigenrat, der gesagt hat: Dieser Impuls ist gen, Steuersenkungen zu fordern. Das Gegenteil wäre wirkmächtig, und er wird seine Wirkungen haben, so- richtig nach der Krise. wohl auf der Verbraucherseite als auch auf der Wirt- (Christian Dürr [FDP]: Die schwarze Null hat schaftsseite. uns geholfen! – Zurufe von der AfD und der Deshalb gibt es einen zweiten wichtigen Komplex: die FDP) (B) (D) Unterstützung der Unternehmen. Da haben wir alle das – Ja, wer bezahlt das eigentlich alles? Einmal bezahlt das große Wort „Liquidität“ im Kopf und sagen: Wer jetzt die Zeit. Das haben wir schon sehr oft gemacht; das weiß Verluste macht, dem muss geholfen werden; denn mit auch jeder. Wir haben das 1952 so gemacht. Wir haben den Verlusten sind die Unternehmen in der Krise nicht das 1994 so gemacht. überlebensfähig. Wenn wir eines erreichen wollen, dann ist es, dass die Unternehmen überleben. ( [CDU/CSU]: Mit 1952 habe ich nichts zu tun!) (Dr. Götz Frömming [AfD]: Die sind schon kaputt!) Ich erwähne das Lastenausgleichsgesetz und ich erwähne den Fonds „Deutsche Einheit“. Da sieht man: Mit solchen Manche sagen, wir müssten mehr auf Strukturwandel, Instrumenten lassen sich die Schulden sehr leicht bezah- auf sozialökologische Transformation achten. Das len, wenn wir wieder in Wachstum kommen. stimmt. Aber man kann nichts transformieren, was es nicht mehr gibt. Also, die Existenz der Strukturen ist (Lachen bei Abgeordneten der AfD) wichtig, um sie dann auch zu transformieren. Deshalb ist die Idee, dass die nächste Generation das (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten bezahlt, völlig falsch. Die nächste Generation hätte ein der CDU/CSU) richtig dickes Problem, wenn wir jetzt nichts machten. Da wird sicherlich ein weiterer Schritt kommen müssen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wir haben beides im Blick: die soziale Dimension und der CDU/CSU) die ökologische Dimension. Jetzt das Richtige zu tun, hilft der nächsten Generation. Nun gibt es auch scharfe Kritik an den Dingen, die ich Jetzt nichts zu tun, heißt: Wir hinterlassen einfach einen genannt habe. Bernhard Daldrup wird noch auf die Inves- Scherbenhaufen. Das wollen wir nicht. Wir wollen ein titionsmöglichkeiten der Kommunen eingehen. Ingrid gutes Land hinterlassen. Arndt-Brauer wird auf die Bedeutung für die Familien (Lachen bei Abgeordneten der AfD – Norbert eingehen. Manche sagen: Ihr gebt jetzt viel Geld aus Kleinwächter [AfD]: Ein verschuldetes Land und nehmt Schulden auf, habt aber noch Rücklagen. – hinterlassen!) Dieses Argument verstehe ich überhaupt nicht. Die Rück- lagen sind da. Die Aufnahme der Schulden erfolgt ent- – Ja, das sind so Begriffe, mit denen manche Parteien weder zu einem Zinssatz von null oder zu negativen Zin- nicht umgehen können. Wir haben eine gute Zukunft im sen. Wann wäre denn die Zeit für den Staat, Schulden zu Blick; das verstehen manche nicht. Aber ich glaube, die- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Montag, den 29. Juni 2020 20999

Lothar Binding (Heidelberg) (A) jenigen, die das Gesetz heute beschließen, haben das gut heitswesens, handelt es sich um ein Paket von 31 Milliar- (C) verstanden. den Euro. Dieser Betrag erhöht die Schulden des Bundes, verändert jedoch nicht die Schuldenlast des Gesamtstaa- Schönen Dank. tes und hat überhaupt keine wirtschaftliche Impulsfunk- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) tion. (Beifall bei der AfD) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Bleiben noch die Investitionen des Zukunftpakets, Jetzt hat das Wort der Kollege Albrecht Glaser, AfD. seien es staatliche oder private. Nationale Wasserstoff- (Beifall bei der AfD) strategie, 5G-Netzausbau, Quantentechnologie, künstli- che Intelligenz, Ladeinfrastruktur und E-Autoprämie, Albrecht Glaser (AfD): das meiste dieser 25 Milliarden Euro ist Zukunftsmusik. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- Eine zeitnahe Wirtschaftsbelebung wird davon nicht aus- ren! Das Konjunktur- und Krisenbewältigungspaket und gehen. das Zukunftspaket der Bundesregierung haben zusam- (Beifall bei der AfD) men ein Volumen von 172 Milliarden Euro. Der Anteil steuerlicher Erleichterungen darin beträgt 50 Milliarden Alles zusammengenommen wird es in 2020 eine Net- Euro, aber nur dann, wenn man die 11 Milliarden Euro toneuverschuldung des Bundes von 218 Milliarden Euro Energiesubventionen für Wind und Sonne einbezieht, die geben und Haftungsrisiken für Garantieerklärungen von in Zukunft direkt aus Steuermitteln und nicht mehr von vielen Hundert Milliarden Euro. den Stromabnehmern bezahlt werden sollen. Dies belas- tet dauerhaft den Bundeshaushalt und führt keineswegs Und dann kommt die EU auf die Idee, sie müsse mit zur Senkung der Strompreise. Für Unternehmen und einem kreditfinanzierten Wiederaufbaufonds, dem „Next Bürger ist dies daher völlig bedeutungslos. Generation EU“, auf alle staatlichen Hilfspakete den na- tionalstaatlichen Schuldenorgien noch die Krone aufset- Wenn man diesen Betrag und alle anderen steuerlichen zen. Allein Italien nimmt national mehr als 30 Prozent Maßnahmen, die nur Stundungscharakter haben – und des BIP an Schulden für Coronahilfe in die Hand. Sie das ist die Mehrzahl –, von den 50 Milliarden Euro ab- können sich vorstellen, was das für die italienische Schul- zieht, dann bleiben nur noch 20 Milliarden Euro übrig, denquote bedeutet! Die bei der Kommission angedachten die sich bei der Mehrwertsteuersenkung als Einnahme- 750 Milliarden Euro sollen zudem in Höhe von 500 Mil- minderung des Staates darstellen und die Endverbraucher liarden Euro als zins- und tilgungsfreie Zuwendungen um diesen Betrag entlasten, sofern diese Steuersenkung (B) gewährt werden, also als Geschenk. Finanziert werden (D) bei ihnen überhaupt ankommt. Ist dies der Fall, fressen diese über EU-Emissionen, die durch erhöhte Umlagen die zweimaligen Umstellungskosten für die Umsatz- der Mitgliedstaaten getilgt werden sollen – vor allem von steuer – in einem halben Jahr zweimal –, die in Milliar- Deutschland. Die vergleichsweise armen Deutschen – denhöhe geschätzt werden, diesen Vorteil nahezu auf. weit hinter Franzosen, Italienern, Spaniern und Grie- chen – mit der vergleichsweise höchsten Abgabelast, (Beifall bei der AfD) die vergleichsweise spät in eine vergleichsweise niedrige Keine Soliabschaffung, keine dauerhafte Ertrags- Rente gehen, sollen die vergleichsweise höchste Abfinan- steuersenkung, keine Steuervereinfachung, keine Büro- zierungsrate tragen, meine Damen und Herren. kratieerleichterung – es gibt einfach nichts, was einer zwangskollabierten Volkswirtschaft wieder auf die Beine (Beifall bei der AfD) helfen könnte. Dabei weiß bis heute niemand, wieso es sich gerade Ähnlich wirkungslos wird der Kinderbonus sein, der um 750 Milliarden Euro handelt und wofür dieses Geld gerade einmal 4,3 Milliarden Euro Staatsausgaben verur- überhaupt verwendet werden soll. Der Verteilungsmaß- sacht. Er spart dabei aber die Kinder der Eltern aus, deren stab des Bedürftigkeitsschlüssels soll nichts mit der Zahl Kinderfreibetrag auf dem bisherigen Niveau eingefroren der Coronakranken zu tun haben, nichts mit der wirt- bleibt. So viel zur Gleichheit der Behandlung von Kin- schaftlichen Belastung des Gesundheitswesens zu tun ha- dern. ben und auch nichts mit dem Lockdown zu tun haben, sondern er stützt sich auf die Wirtschaftskraft 2019 – da (Beifall bei der AfD) gab es noch keine Krise – und die Arbeitslosenraten zwi- Die Sparquote, meine sehr verehrten Damen und Her- schen 2015 und 2019. ren, ist in den letzten Wochen rapide angestiegen. Ein (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wann Nachfrageproblem gibt es in diesem Lande nicht, es gibt reden Sie denn zum Thema?) ein Angebotsproblem. Und es gibt ein Unsicherheitsge- fühl der Menschen über die eigene wirtschaftliche Zu- Die Jahrhundertlast soll weder gegen Artikel 311 noch kunft, weil die EU-Staaten im Schuldensumpf versinken. gegen Artikel 122 des AEUV verstoßen; in dem einen Artikel geht es um ein Darlehensaufnahmeverbot der Soweit das Konjunkturpaket Umverteilungen im öf- EU, in dem anderen Artikel um EU-Hilfe bei einer asym- fentlichen Sektor vornimmt wie bei der Kompensation metrischen Belastung von Staaten. Beides funktioniert des Gewerbesteuerausfalls der Kommunen, der Umsatz- also nicht. steuerausfälle der Länder, der Unterkunftskosten der Kommunen und der Stärkung des öffentlichen Gesund- (Beifall bei der AfD) 21000 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Montag, den 29. Juni 2020

Albrecht Glaser (A) Die kühne Behauptung aller Euromanen wird die AfD Alexander Dobrindt (CDU/CSU): (C) durch das Bundesverfassungsgericht prüfen lassen müs- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- sen. ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir setzen heute ein starkes Signal. Deutschland schaltet vom Krisenmo- An Italien sollen 173 Milliarden Euro, an Spanien dus in den Zukunftsmodus 140 Milliarden Euro zins- und tilgungsfreie Zuwendun- gen fließen. (Lachen bei Abgeordneten der AfD) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sie re- mit dem klaren Anspruch, dass wir nicht zurückwollen den zum falschen Gesetz!) auf Los, sondern dass wir mit diesem Kickstart ein neues Das sind die Länder, die jeweils rund 400 Milliarden Euro Level erreichen – ein neues Level bei Wachstum und zinslose Target-Überziehungskredite in Anspruch neh- Digitalisierung, ein neues Level bei Innovation und Tech- men, die Deutschland zur Verfügung stellt. Damit finan- nologie, ein neues Level bei Ökologie und Nachhaltig- zieren diese Länder ihre Einkäufe in Deutschland. Wir keit, ein neues Level bei Sicherheit und Souveränität. verhalten uns also so wie der Wirt, der seine Stammgäste Deutschland wird mit diesem Paket stärker, krisenfester ewig anschreiben lässt, bis sie alle Alkoholiker sind und und moderner aus dieser Krise herauskommen. die aufgelaufenen Rechnungen auch deshalb nicht mehr bezahlen können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD – Zurufe von der AfD) (Beifall bei der AfD – Zuruf des Abg. Alexander Dobrindt [CDU/CSU]) Ja, es stimmt natürlich, dass die letzten Monate keine normalen Monate waren, es waren Monate der Verunsi- Wer Staatsschulden macht, muss auf Teufel komm raus cherung, es waren Monate der Unsicherheit, und es waren Wirtschaftswachstum generieren, meine Damen und Her- auch Monate der unsicheren Perspektiven. Ich habe nach ren. Das eine zieht das andere als notwendige Bedingung wie vor größten Respekt vor all denen, die sich dieser nach sich. Wer das nicht kann oder nicht will, etwa aus Krise entgegengestellt haben. Aber jetzt geht es darum, ökologischen Gründen – viele wollen aus berechtigten ein neues Kapitel aufzuschlagen. Aus Verunsicherung ökologischen Gründen vielleicht sogar gar kein Wirt- muss Mut und Zuversicht werden, aus Verunsicherung schaftswachstum –, muss jetzt der Aufbruch in die Zukunft kommen. Des- ( [Erfurt] [SPD]: Na ja!) wegen haben wir Mut zu einem solchen gigantischen Finanzpaket, wie wir es heute vorstellen, meine Damen der geht mit seinen Schulden unter. Die EU kann es ein- und Herren. fach nicht. Und die nächste Generation kann es schon gar (B) (D) nicht, weil sie kleiner und weil sie technologisch defizitär (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- sein wird. Mit Antifa und Billigabitur ist kein Staat zu ordneten der SPD) machen. Kernelement in diesem Finanzpaket ist die Mehrwerts- (Beifall bei der AfD – Widerspruch bei Abge- teuersenkung. Mit einer Entlastung von über 20 Milliar- ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ den Euro für die Bürgerinnen und Bürger bringt es die DIE GRÜNEN) Chance auf einen künftigen Schub, auf mehr Konsum, Was Sie hier also anrichten mit der Abschaffung der auf Wachstum. Ja, wir haben auch den Mut zu Innovatio- Selbstverantwortung der Nationalstaaten für ihr eigenes nen, den Mut zu Technologie mit unseren Investitionen in ökonomisches und finanzielles Wohlergehen, mit dem Quantencomputing, in künstliche Intelligenz, in 5G. Und Euro und der Schuldenkollektivierung, muss zum euro- ja, wir haben auch den Mut, endlich wieder Ernst zu päischen Kollaps führen. machen mit dem Thema „Verbindung von Ökologie und Ökonomie“. Es muss nämlich klar sein, dass Corona und (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wir re- die Krise nicht als Ausrede dienen können, ökologisch in den über das deutsche Steuerhilfegesetz! Das Deutschland und Europa nachzulassen. Im Gegenteil: ist nicht zu fassen! Nicht dass Sie am Donners- Wir nutzen dieses Paket, um zu bekräftigen, dass es den tag die Rede halten, die Sie heute hätten halten Grundsatz gibt, dass wirtschaftliches Wachstum und öko- müssen!) logische Innovation zusammengehören, meine Damen Sie führen ihn herbei. und Herren. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Und Sie werden dafür die Rechnung zu bezahlen haben. Wir machen das mit Forschung und Entwicklung. Wir (Beifall bei der AfD – Michael Grosse-Brömer machen das mit der Wasserstoffstrategie, die wir auf neue [CDU/CSU]: Wohl die Rede verwechselt!) Füße gestellt haben. Wir machen das mit Innovationen bei Elektromobilität. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Alexander Und ja, wir haben auch den Mut zu mehr Souveränität. Dobrindt, CDU/CSU. Es geht darum, bei kritischen Produkten wie etwa bei Medikamenten, bei Schutzbekleidung eine deutsche, eine (Beifall bei der CDU/CSU) europäische Souveränität zu schaffen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Montag, den 29. Juni 2020 21001

Alexander Dobrindt (A) (Norbert Kleinwächter [AfD]: Sie wissen gar (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (C) nicht mehr, was Souveränität ist!) der SPD) Dafür hat dieses Paket jetzt die Grundlage gelegt. Das Aber ich muss Ihnen sagen: In der Situation, in der wir bedeutet aber keine Absage an den Welthandel. Ganz uns zurzeit befinden, in der wir auf Zusammenhalt und im Gegenteil: Wir stehen zu Partnerschaft, wir stehen Solidarität angewiesen sind, so eine Rede zu halten, die zur Vernetzung, wir stehen zum Welthandel. Das darf eigentlich nur davon geprägt ist, aber nicht dazu führen, dass Deutschland und Europa einseitig abhängig sind von einer Region in der Welt. ( [AfD]: Von Fakten!) Souveränität ist auch ein Thema dieses Paketes. antieuropäische Ressentiments zu schüren, ist wirklich völlig verfehlt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Zum Mut gehört aber auch die Zuversicht, dass diese neten der SPD, der FDP und des BÜNDNIS- 130 Milliarden Euro, so wie wir sie einsetzen, auch wir- SES 90/DIE GRÜNEN) ken werden. Und sie werden wirken. Es ist das größte Ich kann Ihnen nur sagen: Europa ist ein Solidaritäts- Konjunkturpaket, das wir jemals aufgelegt haben. Es ist versprechen. Das ist das Grundprinzip in Europa. Jetzt zu deutlich größer als das bei der Finanzkrise 2008 und behaupten, dass alle unsere Nachbarn Alkoholiker wären, 2009, als wir 80 Milliarden Euro investiert haben. Dieses die am Tropf Deutschlands hängen würden – das war Ihre Mal werden es 130 Milliarden Euro sein für Wirtschaft Rede –, ist ja an Dummheit nicht zu überbieten, meine und Bürger, Steuerzahler, Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Damen und Herren. Meine Damen und Herren, ich verstehe nicht ganz, dass hier der Versuch unternommen wird, dieses Paket zu kri- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie tisieren und zu behaupten, es würde bei den Menschen bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und nicht ankommen. Ich habe heute feststellen müssen, dass des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) die linke Seite davon spricht, gerade die Mehrwertsteue- Wissen Sie, wir legen Wert darauf, festzustellen, dass rentlastung würde nichts bringen. wir all diejenigen unterstützen, die sich jetzt in Europa in ( [DIE LINKE]: Ist auch so! einer schwierigen Lage befinden, die unverschuldet in Werden Sie noch merken!) diese krisenhafte Situation gekommen sind. Wenn es ei- nem Nachbarn schlecht geht, weil er unverschuldet in Ich kann Ihnen an dieser Stelle nur raten, das doch noch eine Krise gekommen ist, dann ist es die verdammte einmal zu überprüfen. Wir entlasten gerade hier die mitt- Pflicht und Schuldigkeit, zu helfen, zu unterstützen und (B) leren und kleinen Einkommen in besonderer Art und dafür zu sorgen, aus dieser krisenhaften Situation rauszu- (D) Weise. Dass Sie jetzt davon reden, dass das nichts bringen kommen. Es geht nicht an, sie als Alkoholiker zu be- würde, deutet eigentlich darauf hin: Sie wollen überhaupt schimpfen. keine Entlastungen der Bezieher mittlerer und kleiner Einkommen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNIS- (Widerspruch bei der LINKEN) SES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe der AfD) Sie wollen ausschließlich Belastungen der höheren Ein- Wahrscheinlich wird Ihnen das auch nicht gefallen, kommen. aber ich erwähne es genau deswegen: Ich bin ausdrück- lich dankbar, dass unser Bundesminister Gerd Müller mit (Abg. Martin Sichert [AfD] meldet sich zu ei- Unterstützung des Finanzministers und des Wirtschafts- ner Zwischenfrage) ministers dafür gesorgt hat, dass wir unsere Verantwor- Geben Sie mal die ideologischen Scheuklappen auf, die tung auch über Europa hinaus wahrnehmen und dass wir Sie haben, und arbeiten Sie mit den Menschen dafür, dass zur Bekämpfung der Pandemie in Entwicklungsländern das besser wird. zusätzlich 3 Milliarden Euro investieren. Es gehört auch zu einem Solidaritätsversprechen, dass der, der stärker (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ist, denen hilft, die schwächer sind. Das ist die Aufgabe, die wir gemeinsam in Deutschland wahrnehmen. Das ist Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: die Aufgabe dieses Konjunkturpakets. Herr Kollege Dobrindt, gestatten Sie eine Zwischen- frage? (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Alexander Dobrindt (CDU/CSU): Nein. Es ist unser Versprechen an die Bevölkerung in Deutschland, in Europa und in der Welt, dass die, die ( [AfD]: Das nennt er De- stärker sind, dafür sorgen, dass alle besser aus dieser mokratie! – Weitere Zurufe von der AfD) Krise herauskommen. – Wenn man sich diese Zwischenrufe der AfD und auch Herzlichen Dank. die Rede von Herrn Glaser anhört, weiß man: Eigentlich sind sie es wirklich nicht wert, darauf besonders einzu- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- gehen. ordneten der SPD) 21002 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Montag, den 29. Juni 2020

(A) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Alexander Dobrindt (CDU/CSU): (C) Zu einer Zwischenbemerkung erteile ich das Wort dem Vielleicht kann man die Zwischengespräche, die ge- Kollegen Martin Sichert, AfD. genseitigen Beschimpfungen hier einmal kurz einstellen.

(Zurufe von der SPD: Oh!) (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Lohnt sich nicht!) Herr Sichert, wissen Sie, diese Krise hat uns in eine Martin Sichert (AfD): Situation gebracht, in der sich ganz viele Menschen in Herr Dobrindt, Sie haben gerade ganz viel geredet. Wir eine schwierige Lage versetzt sehen. sehen jetzt an vielen Stellen im Gesetz, wo Geld ausge- geben wird. Sie haben unter anderem gesagt: Deutsch- (Beatrix von Storch [AfD]: Eben auch bei uns!) land wird moderner. – Ja. – Heute gibt es Unsicherheiten über die Frage: Wie geht es mit der Wirtschaft, wie geht es mit der Arbeit, wie Sie geben relativ sinnlos ganz viel Geld aus, beispiels- geht es mit dem eigenen Arbeitsplatz weiter? Das Ver- weise für Elektromobilität. Sie wird jetzt explizit noch sprechen, das diese Bundesregierung und dieses Parla- mehr gefördert. Das Institut für Weltwirtschaft hat letzte ment abgeben, ist, dafür zu sorgen, dass wir die krisen- Woche erklärt, dass die Elektroautos 73 Prozent mehr bedingten Schäden bestmöglich absichern. Emissionen in die Luft schleudern als moderne Diesel- fahrzeuge. Das bestmögliche Absichern haben wir in den vergan- genen Monaten auch dadurch gezeigt, dass wir Program- (Widerspruch bei der SPD) me aufgelegt haben, um genau diejenigen, die in beson- dere Schwierigkeiten gekommen sind, zu unterstützen. Wir sehen: Sie wollen eine Vergemeinschaftung der Schulden in der EU. Sie wollen immer mehr Geld für (Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD]) Europa ausgeben, und Sie geben auch immer mehr Geld Das sieht man beispielsweise daran, dass wir ein Kurz- der Steuerzahler aus. Auf der anderen Seite sehen wir: Sie arbeitergeld eingerichtet haben, das es möglich macht, lassen die Schwächsten im Land hinten runterfallen. Da nicht in die Arbeitslosigkeit zu kommen. möchte ich von Ihnen gerne wissen: Wie passt das zusam- men? Wir werden dieses Versprechen auch weiter halten. Dieses Versprechen erfüllen wir, indem wir Geld aufwen- (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE den und dafür sorgen, dass es denen besser geht, die jetzt GRÜNEN]: Keine Redezeit bekommen?) in eine schwierige Lage gekommen sind. Aber dazu muss (B) auch die Bereitschaft zur Solidarität da sein. Vor allem (D) Es steht in dieser Woche auch das Intensivpflege- und muss auch die Bereitschaft da sein, zu erkennen, dass wir Rehabilitationsstärkungsgesetz auf dem Programm. Da genau diese Chance nur deswegen haben, weil wir in der droht die Regierung Zehntausenden schwerbehinderten Vergangenheit gut gewirtschaftet und dafür gesorgt ha- Menschen in diesem Land damit, dass diese Menschen ben, dass wir über Finanzen verfügen, mit denen wir den künftig Tausende Euro Zuzahlungen extra leisten müs- Schwachen helfen können. sen, wenn sie weiter zu Hause gepflegt werden wollen. Das Seelenheil vieler dieser Menschen hängt daran, dass (Zurufe von der AfD) sie zu Hause, bei ihren Verwandten, bei ihrer Familie sein Das ist die Aufgabe. Deswegen wehre ich mich dage- können. Sie wollen diese Menschen jetzt künftig ins gen, dass hier der Versuch unternommen wird, der Bun- Heim abschieben, um ein paar Euro einzusparen. Auf desregierung und dem Parlament zu unterstellen, sie wür- der anderen Seite geben Sie Hunderte Milliarden Euro den die Schwachen jetzt nicht unterstützen. Ihre Reden aus. Wie passt das zusammen? Ist in diesem modernen haben gezeigt: Sie wollen die Schwachen nicht unterstüt- Deutschland, von dem Sie reden, kein Platz mehr für die zen. Sie polemisieren gegen Europa und gegen diejeni- Schwächsten der Gesellschaft? gen, die Hilfe brauchen. Deswegen: Schämen Sie sich für Ihre Beiträge. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: neten der SPD – Dr. [AfD]: Herr Kollege Dobrindt, Sie können antworten, wenn Das ist alles, was übrig bleibt! Das ist ein biss- Sie mögen. chen wenig!)

(Dr. [DIE LINKE: Der Antrag gegen Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Menschen mit Behinderung kam von der Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Christian Dürr, AfD! – Gegenruf der Abg. Dr. FDP. [AfD]: Ach Gott, ist das lächerlich! – Gegenruf der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der FDP) DIE GRÜNEN]: Das war so, Frau Weidel! Da müssen Sie sich mal erkundigen, was Ihr Laden Christian Dürr (FDP): so macht! – Gegenruf der Abg. Dr. Alice Vielen Dank. – Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen Weidel [AfD]: Ach, bleiben Sie doch bei der und Kollegen! Herr Kollege Dobrindt, ich will Ihnen Sache! Dummes Gequake von Ihnen!) zugutehalten, dass Sie heute anders als Herr Glaser zum Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Montag, den 29. Juni 2020 21003

Christian Dürr (A) vorliegenden Zweiten Corona-Steuerhilfegesetz gespro- litten haben, beispielsweise die Onlineversandhändler. Es (C) chen haben. ist nicht fair, den deutschen Mittelstand mit Bürokratie zu belasten, aber Händler wie Amazon zu entlasten. Das ist (Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Ja!) das falsche Signal, gerade in einer Konjunkturkrise, liebe Liebe Kollegen der AfD, Sie können über viel reden. Kollegen. Aber offensichtlich sind Sie nicht in der Lage, erstens zu arbeiten und zweitens über die jetzt notwendige Steuer- (Beifall bei der FDP) und Finanzpolitik für Deutschland zu reden. Genau deshalb legen wir Ihnen heute sehr konkrete Änderungsanträge vor und benennen Alternativen: (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Erstens: die vollständige Abschaffung des Solidaritäts- Ich will Ihnen das sagen, Herr Glaser: Sie sind nicht mal zuschlages, und zwar rückwirkend zum 1. Januar für alle in der Lage gewesen, zu diesem Gesetzentwurf, an dem Einkommen; denn alle, auch Bezieher kleiner und mitt- Sie offensichtlich Kritik üben, konkrete Änderungsvor- lerer Einkommen, zahlen im Jahr 2020 noch den Soli. schläge vorzulegen. Ich nenne das Arbeitsverweigerung, Das Geld würde ganz konkret im Portemonnaie der Men- Herr Glaser. Sie tun gar nichts im Deutschen Bundestag! schen ankommen, meine Damen und Herren. Sie sind eine überflüssige Fraktion, um das in aller Klar- (Beifall bei der FDP) heit zu sagen! Zweitens: zum 1. Januar die vollständige Abschaffung (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der des Mittelstandsbauchs. Auch das wirkt gerade für kleine SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und mittlere Einkommen. Das würde ganz konkret im und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Portemonnaie der Menschen in Deutschland ankommen, Widerspruch bei der AfD) meine Damen und Herren. Herr Kollege Dobrindt, Sie haben aus Ihrer Sicht das Herzstück dieses Gesetzentwurfes angesprochen: Das ist (Beifall bei der FDP – Zuruf von der CDU/ die vorübergehende Mehrwertsteuersenkung in Deutsch- CSU: Zu spät!) land. In den letzten Wochen ist eines immer klarer ge- Und drittens. Wir haben Ihnen einen Vorschlag für eine worden: Das ist nicht nur nicht die ausreichende Antwort negative Gewinnsteuer für die privaten Unternehmen in auf diese Krise, sondern es ist auch nicht die richtige Deutschland vorgelegt. Ja, Sie steigen mit der steuerli- Antwort. chen Verlustverrechnung ein, aber in einem minimalen Sie ist erstens verbunden mit einem absurden büro- Umfang. Die Union hat sich an dieser Stelle gegenüber (B) kratischen Aufwand. Der Normenkontrollrat, der uns der SPD in Wahrheit nicht durchgesetzt. Wenn wir das (D) bei der Frage berät, wie bürokratisch die Gesetze der beschließen, was wir vorschlagen, über die steuerliche Großen Koalition sind, musste Sie erst mal auffordern, Verlustverrechnung in Höhe von 25 Milliarden ganz kon- überhaupt vorzulegen, mit welchem Aufwand dieses Ge- kret die Unternehmen in Deutschland jetzt zu entlasten, setz für den deutschen Mittelstand verbunden ist. Dann dann wäre nicht nur ihre Liquidität gesichert, sondern Sie war die Antwort aus dem Haus von Olaf Scholz – Zitat –: könnten endlich wieder Vertrauen in Zukunftsinvestitio- Da keine Gesamtaussage getroffen werden kann, wird ein nen schaffen. Das würde dem deutschen Mittelstand und Zeitaufwand von durchschnittlich fünf Minuten auf Basis der Konjunktur in Deutschland helfen, liebe Kolleginnen von zwei Befragungen veranschlagt. Insgesamt entsteht und Kollegen. ein einmaliger Zeitaufwand von zehn Minuten. (Beifall bei der FDP) Viele Mittelständler in Deutschland, liebe Kolleginnen Was mich wundert, Herr Dobrindt: Genau das, was ich und Kollegen von Union und SPD, wissen angesichts hier gerade vorgelesen habe, hat die CSU selbst gefor- dieser Worte nicht, ob sie lachen oder weinen sollen. dert. Ich frage mich: Wie lange noch fordern Sie in Pa- Das ist ein Schlag ins Gesicht des deutschen Mittelstan- pieren, in Beschlüssen, auf Parteitagen und als Landes- des, gerade in einer solchen Krise. Diesen Vorwurf müs- gruppe der CSU Entlastung für den Mittelstand, für die sen Sie sich gefallen lassen. mittleren und kleinen Einkommen in Deutschland? Wa- (Beifall bei der FDP) rum bringen Sie das nicht als Gesetzentwurf in den Deut- schen Bundestag ein, damit es Recht und Gesetz werden Zweitens ist es – das sagen Sie ja teilweise selbst – kann und wir den Menschen gerade in der Coronakrise mehr als fraglich, ob das Geld wirklich bei den Menschen wirklich helfen können? ankommt. (Beifall bei der FDP) (Zuruf des Abg. Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]) Und zum Schluss, Herr Präsident: Schauen wir mal auf Selbst im optimistischsten Fall – unterstellt, dass das die Experten, die Sie selbst benannt haben. Heute findet Geld komplett im Portemonnaie der Menschen landet – eine Anhörung im Haushaltsausschuss statt. Ich habe mir sind es 30 Euro für einen durchschnittlichen Haushalt pro die Anhörungsstellungnahmen Ihrer Experten durchgele- Monat, meine Damen und Herren. sen. Sie sagen: Die Mehrwertsteuersenkung ist ineffizient und bürokratisch. Es ist fraglich, ob sie ankommt. – Und Meine Befürchtung ist: Die Profiteure dieses Gesetzes wissen Sie, was sie loben? Die loben unseren Vorschlag werden diejenigen sein, die in der Krise gerade nicht ge- für die negative Gewinnsteuer. 21004 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Montag, den 29. Juni 2020

Christian Dürr (A) Liebe Kollegen von der Union, wenn Sie schon nicht Ja, auch wer im nächsten halben Jahr größere Anschaf- (C) auf uns hören wollen, dann rate ich Ihnen an der Stelle fungen tätigt, wird etwas von der Senkung haben. Aber dringend, auf Ihre eigenen, von Ihnen selbst benannten wer ist das denn? Leute wie wir hier im Bundestag, die Experten zu hören. Dieser Gesetzentwurf wird nicht den relativ wohlhabend sind, die ein sicheres Einkommen Konjunkturimpuls bringen, den wir uns alle erhoffen und haben. Aber glauben Sie im Ernst, dass irgendjemand, den Deutschland jetzt braucht. Deswegen: Stimmen Sie der gerade um seinen Arbeitsplatz oder seine soziale gleich den drei Änderungsanträgen der Freien Demokra- Existenz fürchtet, im Moment keine anderen Sorgen ten zu! Das wäre der Konjunkturimpuls für die privaten hat, als sich ein Auto oder eine neue Küche zu kaufen? Haushalte und Unternehmen. Von dem Betrag, den die Senkung der Mehrwertsteuer Ich danke Ihnen. kostet, hätte man 20 Millionen Familien mit niedrigem Einkommen oder mit krisenbedingten Verlusten, also je- (Beifall bei der FDP) dem zweiten Haushalt in Deutschland, einen Konsum- scheck über 1 000 Euro schicken können, der im statio- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: nären Handel, in Restaurants, in Cafés, in Hotels im Inland eingesetzt werden kann. Damit hätten Sie vielen Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Dr. Sahra Menschen jetzt in der Krise eine echte Freude gemacht, Wagenknecht, Die Linke. und Sie hätten gezielt Einzelhändlern und Gastwirten (Beifall bei der LINKEN) geholfen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE): neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Ihre Unfähigkeit, Geld dahin zu lenken, wo es wirklich einer Krise, wie wir sie heute erleben, ist es die erste gebraucht wird, ist schon auffallend, finde ich. Da be- und wichtigste Aufgabe einer Regierung, Sicherheit zu kommen Unternehmen Staatshilfen, denen es immerhin geben, selbst zu investieren und da zu helfen, wo Hilfe so gut geht, dass sie mitten in der Krise Milliarden an nötig ist, Kaufkraft zu stärken. Dafür braucht es ein groß- Dividenden ausschütten können; aber Freiberufler und es Konjunkturpaket. Aber es braucht eins, das zielgenau Solo-Selbstständige, denen das Einkommen weggebro- und klug das Geld dahin leitet, wo es wirklich gebraucht chen ist, werden von Ihnen kühl auf Hartz IV verwiesen. wird, wo Zukunftstechnologie, wo Lebensqualität in un- Wir finden das unglaublich. serem Land davon abhängen, und das leistet Ihr Paket leider kaum. (Beifall bei der LINKEN) (B) (D) (Beifall bei der LINKEN) Allein von den 770 Millionen Euro Dividende, mit denen BMW gerade die Milliardäre Quandt und Klatten Ja, Hilfen für Städte und Gemeinden und Steuerer- beglückt hat – 770 Millionen, jetzt in der Krise! –, hätte leichterungen für betroffene Firmen – das ist richtig. dieses Unternehmen die Gehälter seiner Kurzarbeiter oh- Auch der Kinderbonus kommt Familien zugute, die es ne Probleme selbst weiterbezahlen können. brauchen. Das unterstützen wir. Aber das sind leider alles ziemlich kleine Posten. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der teuerste Teil ist die Absenkung der Mehrwert- Und natürlich ist Kurzarbeitergeld auch eine Staatshilfe; steuer für sechs Monate, und wenig spricht dafür, dass denn es wird in diesem Jahr überwiegend aus Steuergeld dieses viele Geld wirklich bei den Verbrauchern an- bezahlt. kommt. Es gibt ja Untersuchungen, es gibt EU-weite Studien über die Wirkung von Mehrwertsteuersenkun- Genauso erschütternd ist, wie schnell Sie all diejenigen gen. Das Ergebnis dieser Studien ist, dass gerade mal wieder vergessen haben, die Sie noch vor Kurzem mit im Schnitt 15 Prozent über sinkende Preise weiter- Beifall und warmen Worten überschüttet haben, all die gegeben werden. Das heißt, von 20 Milliarden Euro vielen, die tagtäglich in den Krankenhäusern und Pflege- Steuergeld kämen dann gerade mal 3 Milliarden bei den heimen schuften, in den Supermärkten oder als Postzu- Verbrauchern, bei den Konsumenten an. steller. Nichts hat sich geändert an der miserablen Bezah- lung in einem der größten Niedriglohnsektoren Europas, Den Rest kassieren Unternehmen, überwiegend solche den Sie geschaffen haben, nichts hat sich geändert an mit großer Marktmacht, beispielsweise das schon ange- Tarifflucht und irregulärer Beschäftigung. sprochene Amazon, ein Krisengewinnler, dessen Chef sein Vermögen gerade um unglaubliche 35 Milliarden Stattdessen holt Herr Altmaier jetzt die Verlängerung Dollar gesteigert hat, ein Unternehmen, das in Deutsch- der Ladenöffnungszeiten aus der Mottenkiste, als ob die land nahezu keine Steuern zahlt und das seine Beschäftig- Uhrzeit und nicht Zukunftsängste und Unsicherheit der ten miserabel behandelt. Und denen wollen Sie jetzt auch Grund sind, der vielen Menschen die Shoppinglaune ver- noch einen zusätzlichen Steuerscheck überreichen! Das dorben hat. Und gut bezahlte Politiker der Union denken können Sie doch niemandem erklären, und das kann man offen und öffentlich darüber nach, ob man die nächste auch nicht rechtfertigen. Erhöhung des Mindestlohnes nicht mal eben aussetzen könnte, und das bei derart gestiegenen Lebensmittelprei- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- sen! Das ist doch alles empörend, das ist nicht christlich. neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das ist schäbig, was Sie hier machen! Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Montag, den 29. Juni 2020 21005

Dr. Sahra Wagenknecht (A) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (C) neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das hätte ganz unkompliziert die Kaufkraft der Bevölke- So eine Politik spaltet unser Land und verspielt unsere rung gestärkt. Auch Unternehmen hätten davon profitiert. Zukunft. Denn die schwere Krise, die wir gerade erleben, Und ja, mit einer klugen Kombination mit einer EEG- ist eben nicht nur Folge der Pandemie. Dem wichtigsten Reform hätte das sogar einen großen Beitrag für die öko- Bereich für unseren Wohlstand, der Industrie, sind doch logische Modernisierung unseres Landes leisten können, schon im letzten Jahr die Aufträge weggebrochen. Seit meine Damen und Herren. Jahren fallen wir technologisch zurück. Das ist nicht nur, aber auch Ergebnis Ihrer Politik, die eben lieber Fleisch- Herr Dobrindt, ich habe Sie heute kaum wiederer- barone wie Tönnies darin unterstützt, mit Billiglöhnen kannt. Sie haben völlig recht: Wenn es um Europa geht, und brutaler Ausbeutung den gesamten Fleischmarkt in dann stehen Demokratinnen und Demokraten zusammen. Europa aufzurollen, als hier Hochtechnologie zu fördern; Die ganze grüne Fraktion hat heute applaudiert; das die lieber glaubt, mit Wirecard und solchen Schummel- kommt ja nicht so häufig vor. Aber Sie haben auch sehr unternehmen international auf den Finanzmärkten was zu deutlich über die ökologische Modernisierung gespro- reißen, als wirklich hier zu investieren und zu sichern, chen. Ich bin ja echt überrascht von diesen Spillover- dass unsere industrielle Wertschöpfung erhalten bleibt. Effekten: Nachdem der Söder ergrünt ist und jetzt der Merz auf Stalking-Kurs ist, (Beifall bei der LINKEN) (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Deswegen sage ich: Nehmen Sie Ihre Verantwortung sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der wahr! Machen Sie endlich mal Politik für die Mehrheit, SPD und der FDP) statt abzuwarten, bis unsere Demokratie an sozialer Pola- risierung und Verteilungskämpfen um einen kleiner haben auch Sie heute was dazu gesagt. Ich erinnere mich werdenden Kuchen zerbricht. allerdings, dass gerade Ihr Fraktionschef im Europaparla- ment vorgestern den Green Deal infrage gestellt hat. So- (Beifall bei der LINKEN) lange Sie bei der Frage nicht klar sind, nehmen wir Sie beim Thema „ökologische Modernisierung“ auch nicht Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: ernst, meine Damen und Herren. Jetzt hat der Kollege Dr. Danyal Bayaz, Bündnis 90/ (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Grünen, das Wort. Was die Genauigkeit dieses Konjunkturpakets angeht, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mangelt es auch an der Unterstützung von kleinen und (B) mittleren Unternehmen und von Solo-Selbstständigen. (D) Dr. Danyal Bayaz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, Sie verbessern die Liquidität von Unternehmen durch Guten Morgen, Herr Präsident! Meine Damen und die Erweiterung der steuerlichen Verlustverrechnung. Herren! Herr Scholz, Sie haben ja einen großen Wumms Aber Sie fördern auch hier eben nicht alle gleich. Gerade angekündigt. Aber geliefert haben Sie, ehrlich gesagt, kleine und mittlere Unternehmen haben eben weniger eine gewagte, eine unkalkulierbare Wette, nämlich die von diesem Vorschlag. Das haben uns auch alle Experten Senkung der Mehrwertsteuer. Wir haben das heute schon und Expertinnen in den Anhörungen, die wir im Aus- ein paarmal gehört: Das ist das Herzstück des Konjunk- schuss gehabt haben, bestätigt. Da können Sie sich auch turpaketes. Doch ob, wie und wem dieses Herzstück die Sonntagsreden über den Mittelstand als Rückgrat un- wirklich helfen wird: Sie wissen es nicht. Ob es wirklich serer Wirtschaft sparen. Dieses Rückgrat hätten Sie viel die Nachfrage ankurbeln wird: Sie wissen es nicht. Wird zielgenauer stärken können, wenn man die Verlustrück- die Senkung der Mehrwertsteuer wirklich zu einer Redu- träge über mehrere Jahre verteilt hätte. Leider tun Sie es zierung der Preise führen? Sie wissen es nicht. Einzelne nicht, meine Damen und Herren. Verbände und Unternehmen haben bereits angekündigt, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dass sie genau das eben nicht machen werden. Auch die Solo-Selbstständigen ignorieren Sie in Ihrem Bei allem Respekt: Wir reden hier nun mal über 20 Mil- Konjunkturpaket. Nehmen wir die Grafikerin, nehmen liarden Euro. Wenn man eine Maßnahme als „Herzstück“ wir den selbstständigen IT-Berater: Na ja, denen helfen bezeichnet, dann kann man eben nicht nur glauben und halt die Betriebskostenzuschüsse nichts. Hier geht es na- hoffen; dann sollte man sich schon einigermaßen – ziem- türlich auch darum, die Lebenshaltungskosten zu decken, lich – sicher sein, dass sie am Ende auch etwas bringt. bis die Umsätze irgendwann wieder anziehen. Und ja, Das sind Sie nicht, und das können Sie ja auch gar nicht Solo-Selbstständige sind auch Treiber von Strukturwan- sein. del. Sie sind auch Treiber von Wettbewerbsfähigkeit ei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nes Industriestandortes. Große Unternehmen und auch die öffentliche Verwaltung sind angewiesen auf die Un- Deswegen ist diese Senkung der Mehrwertsteuer nicht terstützung und die Dienstleistung von Solo-Selbstständi- einmal die zweitbeste Lösung, meine Damen und Herren. gen. Ich sage jetzt mal ganz ehrlich: Ihre ganzen Bekennt- Sie hätten die Bevölkerung viel zielgenauer, viel effekti- nisse zur Gründerkultur, zur zweiten Chance, zu mehr ver, auch viel unbürokratischer entlasten können, wenn Mut zur Selbstständigkeit können Sie sich in die Haare Sie zum Beispiel die EEG-Umlage deutlich stärker ge- schmieren, wenn Sie diese kreative Klasse an der Stelle senkt hätten. Das hätten wir unterstützt. hängen lassen, meine Damen und Herren. 21006 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Montag, den 29. Juni 2020

Dr. Danyal Bayaz (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ben Sie Versäumnisse eingeräumt. Das ist genau die Plan- (C) sowie bei Abgeordneten der FDP) losigkeit, die wir uns in der Finanz- und in der Wirt- schaftspolitik nicht mehr länger leisten können – Auch Familien hätte die Regierung zielgenauer unter- angesichts dieser Krise stützen können. Diese Krise war und ist für Eltern und Kinder eine schwierige Zeit. In Schulen und Kitas haben (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wir viel Stress erlebt. Es waren gerade Frauen, die zu sowie bei Abgeordneten der FDP) Hause viel Verantwortung übernommen haben. Gerade viele alleinerziehende sind darunter. Fortschritt ist ja auch und der Milliarden, die wir jetzt in die Hand nehmen, immer sozialer Fortschritt. Der ist auch hier leider eine noch weniger als jemals zuvor. Schnecke. Ja, der Kinderbonus – das haben wir heute Herzlichen Dank. schon ein paarmal gehört – ist eine vernünftige Sache, gerade auch, weil er mit dem steuerlichen Kinderfreibe- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – trag verrechnet wird und auf die Grundsicherung eben Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE nicht angerechnet wird. Hier kommt das Geld an, wo es GRÜNEN]: Herr Schäuble war auch dafür! – wirklich benötigt wird. Aber gerade bei den Alleinerzieh- Gegenruf des Abg. Alexander Dobrindt [CDU/ enden ist das nicht so: Die Erhöhung des Entlastungsbe- CSU]: Der ist freundlicher beurteilt worden!) trags wirkt umso weniger, je geringer das Einkommen ist. Wir haben das mal durchgerechnet: Ein alleinerziehender Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Bundestagsabgeordneter oder eine alleinerziehende Bun- destagsabgeordnete hat etwa 900 Euro mehr in der Ta- Jetzt erhält das Wort die Kollegin Ingrid Arndt-Brauer, sche. Bei einer Durchschnittsverdienerin sind es gerade SPD. mal 350 Euro mehr. Das ist nicht gerecht. Gerecht wäre (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Sepp eine Steuergutschrift, wie wir sie vorgeschlagen haben, Müller [CDU/CSU]) die alle Alleinerziehenden in gleicher Höhe von ihrer Steuerschuld abziehen können. Das wäre eine faire, das wäre eine solidarische Maßnahme gewesen, meine Da- Ingrid Arndt-Brauer (SPD): men und Herren. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- ren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir legen heu- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) te, denke ich, ein beeindruckendes Maßnahmenpaket vor, was sowohl das Volumen als auch den Inhalt betrifft. Ich Ihr Fokus auf die Gegenwart in diesem Paket ist richtig. möchte ein paar Sachen herausnehmen, die schon ange- Aber gleichzeitig ist er auch die Schwäche dieses Pakets, sprochen wurden, und noch ein bisschen mehr verdeut- (B) wenn wir über Zukunftsfähigkeit sprechen. (D) lichen. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: 50 Milliarden Bei der Einkommensteuer werden wir einen Kinder- für die Zukunft! 50 Milliarden für die Zu- bonus einführen. Das bedeutet für die Familien 300 Euro kunft!) mehr. Wir zahlen das in zwei Tranchen aus: 200 Euro im Wir nehmen hier 130 Milliarden Euro in die Hand, Herr September, wenn die Schulen wieder losgehen, und Brinkhaus, und stellen sehr laut die Frage: Wie können 100 Euro im Oktober. Ja, er wird auf den Kinderfreibetrag wir das Jahr 2020 stärken? – Aber es muss auch um die angerechnet; das ist auch in Ordnung. Es gibt die Günst- Fragen gehen: Wie sieht es um 2030 aus? Wie kommen igerprüfung. Es kommt aber schon allen Kindern zugute. wir stärker, resilienter aus dieser Krise? Ja, das geht mit Das ist uns wichtig. Das kommt so sehr gut bei den neuen Technologien und mit neuen Geschäftsmodellen. Familien an, und das ist auch wichtig. Ebenso wichtig sind auch klare Rahmenbedingungen Bei den Alleinerziehenden erhöhen wir den Entlas- für unsere Wirtschaft. Da vermisse ich bei Ihnen eine tungsbetrag sehr stark. Auch das ist uns wichtig. Strategie und einen Plan. Ich frage mich auch, ob das mit Ihrem Blick auf die Realität zusammenhängt. Ich Die Umsatzsteuer ist angesprochen worden. Natürlich, möchte mal ein Beispiel geben; nehmen wir das Beispiel wir befristen die Absenkung von 19 auf 16 Prozent und „Wirecard“. Dazu hat der Wirtschaftsminister Altmaier von 7 auf 5 Prozent. Dadurch werden sogar die Lebens- letzte Woche tatsächlich kommentiert – ich zitiere, Herr mittel – wo eben angesprochen wurde, dass die sich ver- Präsident –: „Wir hätten eine solche Situation überall er- teuert haben – günstiger. wartet – nur nicht in Deutschland.“ Da frage ich mich, Zur Gewerbesteuer wird mein Kollege Bernhard Herr Wirtschaftsminister, wo Sie eigentlich in den letzten Daldrup nachher noch was sagen. Jahren waren, wenn es um deutsche Großbanken ging, wenn es um Automobilkonzerne ging, wenn wir uns bei Was mir noch wichtig ist: Die Abgabenordnung ändern Infrastrukturprojekten zum Gespött gemacht haben, wir. Verjährungsfristen, die durch Corona vielleicht über- wenn wir beim schnellen Internet bestenfalls – besten- schritten wurden, gelten dann nicht, wenn es um Steuer- falls, wenn ich großzügig bin – in der zweiten Klasse hinterziehung und Nachverfolgung von Steuerbetrug spielen. geht. Auch das, finde ich, ist ein sehr wichtiges Vorhaben. Und wenn ich mir die Kommentare von Herrn Scholz Wir machen noch ein paar andere Sachen, beim Fi- anschaue! Herr Finanzminister, Sie haben ja zuerst die nanzausgleichsgesetz zum Beispiel. Das führt dazu, dass Arbeit der BaFin gelobt, und wenige Stunden später ha- die Umsatzsteuersenkung nur zulasten des Bundes geht. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Montag, den 29. Juni 2020 21007

Ingrid Arndt-Brauer (A) Auch das ist, denke ich, gerade für die Kommunen eine Deswegen möchte ich alle bitten, sich ihr Verhalten mal (C) sehr wichtige Maßnahme. zu überlegen und vielleicht an die Sprüche zu denken, die wir uns früher gegenseitig ins Poesiealbum geschrieben Für alle, die nachher wieder alles besser gewusst ha- haben: „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch ben: Helfen Sie einfach jetzt mit, nach Ihren Möglich- keinem andern zu.“ In diesem Sinne möchte ich Sie bit- keiten Fehler zu vermeiden, die vielleicht auftreten könn- ten, dass wir ein bisschen mitmenschlicher miteinander ten! Verhalten Sie sich so, wie wir es uns wünschen: umgehen. (Lachen bei Abgeordneten der FDP) Wir haben einfach Glück gehabt: Wir können hier sit- Gehen Sie konsumieren! Fehler ganz vermeiden kann zen, relativ gesund, sind vielleicht nie krank gewesen, grundsätzlich auch nur der, der nichts macht. oder wir sind vielleicht wieder gesundet. Aber wir haben Glück gehabt; andere haben weniger Glück. Ich möchte Ich habe in meinem BWL-Studium gelernt, dass Psy- Sie deshalb bitten: Haben Sie Verständnis für jede Re- chologie sehr wichtig für wirtschaftliche Entscheidungen gion, die gerade Schwierigkeiten hat, und tragen Sie bitte ist. Wir alle sind Konsumenten, und wir alle – bis auf das, was Sie können, dazu bei, dass dieses Maßnahmen- wenige Ausnahmen – stehen nicht unter Quarantäne paket auch Erfolg hat – als Konsument, als Anbieter, als und haben keine Ausgangssperre. Das heißt: Wir müssen Nachfrager, als Eltern, als was auch immer. Helfen Sie nicht unbedingt im Internet bestellen, wir müssen nicht mit! Dann wird das alles erfolgreich sein. die großen Internetplattformen stärken. Wir können vor Ort einkaufen, wir können vor Ort konsumieren, und wir Vielen Dank. können vor Ort unsere Strukturen erhalten. Hier ist auch (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten jeder für sich gefordert. der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Die Mehrwertsteuerabsenkung ist als Unterstützung Dann erteile ich das Wort zu einer Zwischenbemer- für die Kunden gedacht; das ist richtig, wir wollen damit kung dem Kollegen Markus Herbrand, FDP. Nachfrage anregen. Wir können aber nicht alle Unterneh- men verpflichten, sie an die Kunden weiterzugeben. Aber Markus Herbrand (FDP): auch hier möchte ich um Verständnis für die Unterneh- Frau Kollegin Arndt-Brauer, Sie haben mehrfach da- men bitten; denn es gibt auch Unternehmen, die in großer rum gebeten, dass wir Sie auch unterstützen sollen. Ich Bedrängnis sind und die die Mehrwertsteuerabsenkung denke, die FDP-Fraktion hat mit mehreren Änderungsan- (B) vielleicht auch nicht weitergeben sollten, die damit viel- trägen und anderen Anträgen auch dazu beigetragen. Sie (D) mehr ihre Marge erhöhen können. Ich denke mal an Res- geben im Augenblick sehr, sehr viele Milliarden aus, um taurantbetriebe, die das einfach auch als Unterstützungs- diese historische Krise zu bewältigen, und wir sind in maßnahme brauchen. weiten Teilen auch bei Ihnen. Zum Argument, dass alles so aufwendig ist, dass es für Sie versäumen aber jetzt zum wiederholten Male, ei- die Wirtschaft nicht zu schaffen ist und dass es sich für nen Antrag der FDP zu unterstützen, viele Millionen das halbe Jahr gar nicht lohnt. Da möchte ich ein Beispiel Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von der Erklä- bringen. Ich wohne in einem kleinen Dorf. Dort gibt es rungspflicht bei der Einkommensteuer auszunehmen, einen Dorfladen, und der hat mir heute Morgen geschrie- nämlich diejenigen, die in Kurzarbeit sind und deshalb ben: Ab übermorgen ist die Mehrwertsteuerabsenkung jetzt erklärungspflichtig werden. Sie alle werden mit da, und ab heute wird sie weitergegeben, direkt an der Nachzahlungen zu rechnen haben. Ganz, ganz viele Mil- Kasse. – Wenn mein kleiner Dorfladen das kann, dann liarden werden ausgegeben. Zu Entlastung dieser Men- können das andere Unternehmen, denke ich, auch. schen scheint kein Geld da zu sein. Deshalb frage ich Sie jetzt: Wie erklären Sie als Vertreterin der SPD Ihren Ar- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der beitnehmerinnen und Arbeitnehmern, dass Sie sich da so CDU/CSU) verweigern? Ich möchte von hier aus als Münsterländerin noch ganz (Beifall bei der FDP) speziell grüßen die Mitbürgerinnen und Mitbürger aus dem Kreis Warendorf, aus dem Kreis Gütersloh und vor allem auch die ostdeutschen Mitbürgerinnen und Mitbür- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: ger, die wir da haben. Was da im Moment für Kampagnen Frau Kollegin Arndt-Brauer, wenn Sie mögen, können gegen diese Menschen laufen, ist unsäglich. Sie antworten. – Sie mögen.

Ingrid Arndt-Brauer (SPD): Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Sehr geehrter Herr Kollege, Sie wissen selber: Wir Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage? haben im Moment eine außergewöhnliche Situation. Wir haben bestimmte Maßnahmen ergriffen, die wir vor- Ingrid Arndt-Brauer (SPD): her nicht nötig hatten. Sie müssen aber trotzdem systema- Nein. Ich möchte jetzt eigentlich zu Ende kommen. – tisch reinpassen in das, was wir bisher von den Steuer- Die wenigsten Gütersloher haben Zerlegebetriebe, und zahlern verlangt haben, was wir mit ihnen gemacht die wenigsten Gütersloher versklaven ihre Mitarbeiter. haben. Insofern haben wir die Situation: Wir haben Men- 21008 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Montag, den 29. Juni 2020

Ingrid Arndt-Brauer (A) schen, die in Kurzarbeitergeld sind; wir haben Menschen, (Christian Dürr [FDP]: Sie machen uns das im- (C) die in Arbeitslosengeld sind; wir haben Menschen, die mer so einfach! Wir hätten gern mehr Heraus- vor dem Finanzamt Renten zu deklarieren haben. Es wäre forderungen von Ihnen!) schon ein Systembruch, wenn wir eine Gruppe ausneh- Natürlich, als Opposition muss man immer sagen: Es ist men würden, auch wenn es natürlich vieles vereinfachte. irgendwie viel zu wenig, und das müsste mehr oder dann Aber ich denke, es ist sinnvoll, es so zu machen, wie wir doch noch mal ein bisschen anders sein. es vorhaben. Ich kann für meine Fraktion sagen: Wir haben vieles (Beifall bei Abgeordneten der SPD) getan, um Unternehmen und Menschen in der Krise zu stabilisieren. Wir machen vieles jetzt, um aus der Krise Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: herauszukommen. Was uns besonders wichtig ist: dass Dann erteile ich das Wort der Kollegin Nadine Schön, wir das Land auch langfristig besser machen, stabilisie- CDU/CSU. ren, fitmachen für das nächste Jahrzehnt. (Beifall bei der CDU/CSU) Dabei setzen wir vor allem auf den Zusammenhalt in der Gesellschaft. Der Kern unserer Gesellschaft, das sind Nadine Schön (CDU/CSU): die Familien. Gerade für die Familien haben wir in der Krise schon viel gemacht: mit der Lohnersatzleistung, Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und mit dem Kinderzuschlag, mit der Änderung beim Eltern- Kollegen! Die Krise hat viele Gesichter, und jeder von geld, mit den vielen Änderungen im Bereich der Pflege. uns wird sich an die letzten Wochen und Monate noch lange Zeit erinnern. Da sind Gastronomen, mit denen (Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Mit dem man gesprochen hat, die fassungslos in ihrem leeren Res- höheren Freibetrag für Alleinerziehende!) taurant standen. Da ist die 90-Jährige, der nur über das Fenster des Seniorenheims die Glückwunschblumen zu Die Familien stehen auch jetzt wieder im Mittelpunkt. ihrem runden Geburtstag überreicht werden konnten. Da Wir haben den Freibetrag für Alleinerziehende deutlich sind Unternehmer, die gesagt haben: Ich habe Aufträge, erhöht – auf über 4 000 Euro. Familien erhalten den Kin- ich könnte produzieren; aber meine ganze Lieferkette ist derbonus, erst 200 Euro, dann 100 Euro. Familien werden eingebrochen. Ich kann nichts tun. – Da sind Familien, das merken in den nächsten Wochen. Wir sorgen dafür, die zwischen Windeln, Kochlöffeln und Homeschooling dass die Alltagskosten nicht zu groß werden. Deshalb ans Ende ihrer Kräfte kamen. Betroffen davon waren senken wir die EEG-Umlage, deshalb schauen wir, dass ganz besonders Frauen, aber eben auch Eltern oder Groß- es bei den Sozialbeiträgen eine Grenze gibt, und deswe- gen senken wir auch die Mehrwertsteuer. Insofern kann (B) eltern, die ihre Kinder nicht mehr sehen konnten. All das (D) hat uns geprägt. ich sagen: Bei jeder Rechnung an der Kasse, die in den nächsten Wochen reduziert wird, sollen sich die Kunden Wir haben aber gerade auch in den letzten Wochen mal klarmachen: Das hätte Die Linke nicht gewollt. anderes erlebt: Menschen, die ganz überwältigt davon waren, was plötzlich alles möglich war: mobiles Arbei- (Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Ja, genau!) ten, Homeoffice, Videokonferenzen über die ganze Welt. Ich glaube, dass das, was die Familien an der Kasse Die Schulen wurden plötzlich digital. Die Nachbar- sparen, ganz gut in den Familien ankommt und ganz schaftshilfe ist wieder aufgeblüht. Man hat sich gegen- gut aufgehoben ist und dass sie sehr wohl auch wissen, seitig geholfen, unterstützt; man war sensibel. Immer was mit dem Kinderbonus zu machen ist. mehr spürt man doch, dass die Menschen sagen: Die Krise ist doch eine Chance. Sie ist eine Chance, vieles (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. anders zu machen, vieles besser zu machen. Lasst uns [SPD] – Alexander Dobrindt doch die Krise nutzen, um einen wirklichen Sprung nach [CDU/CSU]: Die Linken sind gegen die klei- vorne zu machen. nen Leute!) (Beifall bei der CDU/CSU) Aber viel wichtiger als das ist, dass wir unser Land langfristig stärken. Wir werden noch mal deutlich in die Liebe Kolleginnen und Kollegen, genau das machen digitale Bildung investieren. Wir investieren Milliarden wir mit den Paketen, die wir in diesen Tagen verabschie- in Zukunftstechnologien: in künstliche Intelligenz, in den, und mit dem, was der Koalitionsausschuss am 2. Juni Quantencomputing, in die Wasserstofftechnologie. Wenn 2020 beschlossen hat. Da wundere ich mich schon über Sie das kritisieren, dann weiß ich nicht, ob Sie die ent- den Populismus von ganz links und ganz rechts: Man hat sprechenden Teile des Konjunkturpaketes vielleicht nicht sich ja wirklich in einem Zusammenmischen von popu- gelesen haben. So viele Milliarden, wie wir dafür bereit- listischen und teilweisen abstrusen Thesen überhaupt stellen, haben wir in den ganzen letzten Jahren nicht nicht mehr unterschieden. bereitgestellt. Das ist ein deutlicher Sprung nach vorn, und das bringt uns wirklich in die Zukunft. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD – [DIE LIN- (Beifall bei der CDU/CSU) KE]: Das sind Tatsachen, die wir gesagt haben! Die FDP spricht in ihrem Antrag vom Neustart. Wir Was soll denn das?) gehen noch einen Schritt weiter. Wir sagen: Wir wollen Auch die Grünen und die FDP haben ja doch ziemlich auch in unserem eigenen Bereich unsere Strukturen bes- Mühe, noch Kritikpunkte an diesem Paket zu finden. ser machen, schneller machen, flexibler machen, Stich- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Montag, den 29. Juni 2020 21009

Nadine Schön (A) wort „Neustaat“. Wir wollen besser werden, und auch (Beifall bei der FDP) (C) hier haben wir am 2. Juni schon die ersten Beschlüsse getroffen. Wir werden noch mal Milliarden zur Verfü- Deswegen geht es auch nicht darum, dass man mit der gung stellen, damit die Verwaltungsmodernisierung vo- Mehrwertsteuersenkung jetzt ein Schnäppchenprogramm rankommt, damit es einheitliche Ansprechpartner gibt. für das Weihnachtsgeschäft auflegt und danach, im Janu- Das ist auch die größte Bürokratieentlastung für Unter- ar, wieder die Flaute einkehrt und die Unternehmen nicht nehmen, weil sie doch wahnsinnig dadurch werden, dass wissen, wie es weitergeht, sondern es muss doch darum sie beim Start bei Behördengängen lange Prozesse zu gehen, dass wir jetzt dauerhaft selbsttragendes Wirt- bewältigen haben. Das kann besser werden, das kann schaftswachstum erzeugen, das auch irgendwann wieder schneller werden, das kann unbürokratischer werden. ohne staatlichen Impuls und ohne staatliche Unterstüt- Auch das ist Teil eines Konjunkturpakets. zung auskommt. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie (Beifall bei der FDP) uns die Krise nutzen, einen deutlichen Schritt nach vorne zu kommen, die Krise als Chance verstehen, damit die Vor diesem Hintergrund müssen wir eben die Struktur- vielen Geschichten, die vielen Szenen, die wir vor Augen schwächen in Deutschland angehen, bei denen wir haben, wenn wir uns an die Krise erinnern, nicht als etwas eigentlich schon lange wissen, dass sie ein Hemmnis, Negatives zurückbleiben, sondern wir sagen können: Es dass sie ein Ärgernis sind, wenn es darum geht, dass die war hart, aber wir haben es genutzt, und unser Land ist Bürger ihr Leben selbst gestalten und ihre Entscheidun- stärker geworden. gen selbst treffen können, und auch darum, dass wir uns ökonomisch gut entwickeln können. Da ist der Mittel- Danke. standsbauch zu nennen. Das Einkommensteuerrecht bzw. der Einkommensteuertarif ist leistungsfeindlich; (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. das war er auch vor Corona schon. Aber wenn wir in einer Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]) Krise, in der wir jetzt sind, die ja auch Verunsicherung und Zukunftsängste schafft, die die Frage aufwirft: „Wie Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: geht es eigentlich für mich finanziell weiter?“, den Men- Nächster Redner ist der Kollege Dr. Florian Toncar, schen wirklich etwas bieten wollen, wo sie sagen: „Ich FDP. fasse wieder Zuversicht“, und: „Ich glaube wieder an die Möglichkeiten“, und: „Ich gebe wieder Geld aus, weil ich (Beifall bei der FDP) Licht am Horizont sehe“, dann reichen keine Schnäpp- chenprogramme für Dezember, sondern dann braucht es (B) Dr. Florian Toncar (FDP): eine dauerhafte Entlastung beispielsweise der mittleren (D) Danke schön. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Einkommen, damit die Menschen wirklich wieder Pla- Kollegen! Die Antwort, die wir auf diese Krise geben, ist nungssicherheit bekommen und Mut und Zuversicht fas- entscheidend für den Wohlstand und die Lebenschancen sen. in Deutschland auf ein gutes Jahrzehnt und auch für das ökonomische Gewicht Deutschlands und Europas in der (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Martin Welt; denn hier werden die Karten neu gemischt, und die Hebner [AfD]) anderen schlafen nicht. Es ist ganz entscheidend für die So könnte man weitermachen. Kein Mensch glaubt nächsten zehn Jahre, wie wir aus dieser Krise herauskom- ernsthaft, dass das deutsche Unternehmensteuerrecht, so men. wie es ist, wettbewerbsfähig ist. Ganz im Gegenteil: Das Sie reagieren darauf, indem Sie jetzt sozusagen die ist einer der Bereiche, wo wir mit am schlechtesten auf- wirtschaftspolitische Schrotflinte auspacken und damit gestellt sind. Wenn Unternehmen jetzt, in der Krise, wie- einmal „Wumms!“ machen. Aber ein lauter Knall ist eben der investieren sollen, Arbeitsplätze sichern und neue noch kein Treffer, liebe Kolleginnen und Kollegen von schaffen sollen, auch in neuen Branchen mit neuen Ideen, der Bundesregierung. dann kann man doch nicht ernsthaft das Unternehmens- teuerrecht so lassen, wie es ist, sondern dann muss man (Beifall bei der FDP) da jetzt herangehen und die Schwächen beseitigen, weil Sie ermöglichen ein bisschen Verlustrücktrag für Unter- das eben auch dazu beiträgt, dass Unternehmen auf Dauer nehmen, aber eben begrenzt und nicht beherzt, und Sie Mut fassen, investieren und sagen: „Deutschland ist ein senken zeitlich befristet die Mehrwertsteuer, um damit guter Standort; hier bleiben wir“, oder: „Hier kommen den Konsum anzukurbeln. Übrigens fand ich es ganz wir rein“. interessant, Frau Kollegin Arndt-Brauer, wie Sie von (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Martin der SPD das mit dem Konsum hier begründet haben. Hebner [AfD]) Sie haben zu den Bürgern dieses Landes gesagt: Verhal- ten Sie sich so, wie wir es uns wünschen. – Liebe Bürger- Dieser Weg, die Krise zu nutzen, um bekannte Schwä- innen und Bürger, ich sage Ihnen: Die Freien Demokraten chen abzustellen, und zwar auf Dauer, und uns auf Dauer wollen nicht, dass Sie sich so verhalten müssen, wie die stärker zu machen, wird die Antwort sein, die erst noch Regierung es sich wünscht. Wir machen Politik dafür, gegeben werden muss und für die wir hier im Bundestag dass Sie sich so verhalten können, wie Sie es sich selber weiter streiten werden. wünschen; denn Sie sind erwachsen, mündig und können das. (Beifall bei der FDP) 21010 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Montag, den 29. Juni 2020

(A) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Familien, die im Verhältnis einen höheren Prozentsatz (C) Nächste Rednerin ist Antje Tillmann, CDU/CSU. ihres Einkommens in den Konsum stecken, profitieren überdurchschnittlich, entweder durch den Erhalt des Ar- (Beifall bei der CDU/CSU) beitsplatzes oder dadurch, dass sie tatsächlich Geld in der Tasche behalten, das sie in notwendige Maßnahmen wie- Antje Tillmann (CDU/CSU): der investieren können. Wer am Wochenende in den Städ- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im ten unterwegs war, hat gesehen: Die allermeisten Ge- späteren Verlauf einer Debatte zu reden, ist häufig schäfte geben die Mehrwertsteuersenkung weiter. Wir schwierig, weil viele Themen schon angesprochen wur- werden davon profitieren. den. Aber nun sage ich als Steuerberaterin: Ja, der 1. Juli ist (Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Aber man eine Herausforderung. Wir haben die letzten 14 Tage sehr kann das ganze Falsche der FDP richtigstel- intensiv daran gearbeitet, diese Umstellung für die Unter- len!) nehmerinnen und Unternehmer erträglich zu machen. Während andere lamentiert haben, was alles nicht geht, Das ist heute nicht das Problem. Die Oppositionsfraktio- haben wir uns mit dem Team des Finanzministeriums auf nen von ganz links und ganz rechts haben darauf ver- den Weg gemacht und haben Anwendungsbeispiele in zichtet, über Steuerrecht zu sprechen. Die FDP hat zu- einem BMF-Schreiben zusammengeführt. Wir haben so- mindest über Steuerrecht gesprochen; allerdings hat sie gar eine Billigkeitsregelung gefunden, die zumindest den alles aufgeschrieben, was sie sich beim Steuerrecht vor- Juli für Fehler unanfälliger macht. Alles das, was im stellen konnte, um ein Problem ganz elegant zu umschif- Monat Juli versehentlich falsch läuft zwischen Unterneh- fen, nämlich dass Sie im Finanzausschuss von den elf men, kann repariert werden, Maßnahmen neun begrüßt haben. (Christian Dürr [FDP]: Und im August? Und (Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Hört! im September? Und im Oktober? Und im No- Hört! – Christian Dürr [FDP]: Welche waren vember? Und im Dezember?) das?) ohne dass es Schaden für die Unternehmen gibt. Ich dan- Sie hätten in dieser Debatte zu neun Punkten im Steuer- ke auch recht herzlich der Koalition und dem BMF, dass hilfegesetz sagen können: Das ist ein erster guter Schritt, uns das gelungen ist. das ist eine gute Maßnahme, (Beifall bei der CDU/CSU) (Christian Dürr [FDP]: Also all die, die Sie Die Unternehmen haben eine gewisse Sicherheit, dass (B) selbst als nebensächlich bezeichnen, Frau (D) Tillmann!) sich nicht jeder Fehler in einer Rechnung tatsächlich bei ihnen auswirkt. das ist ein guter Anfang. – Das haben Sie umgangen – zugegebenermaßen sehr elegant –, indem Sie Ihre Wün- Der größte Posten, fast 20 Milliarden Euro, geht in sche beim Steuerrecht aufgeschrieben haben. Das ist eine diese Mehrwertsteuersenkung. Ich danke auch den Unter- Erweiterung der Debatte, die wir im Nachhinein gerne nehmerinnen und Unternehmern, den Buchhaltern, den vollziehen können. Steuerberatern, aber auch den Verkäufern, die sich aufge- macht haben, den 1. Juli zum Erfolg werden zu lassen, Tatsächlich geht es aber heute um das Zweite Corona- obwohl sie vielleicht gedacht haben: Das hättet ihr uns Steuerhilfegesetz. Da ist – zugegebenermaßen von allen – eigentlich nicht antun müssen. die Mehrwertsteuersenkung problematisiert worden. Ich habe nicht ganz verstanden, wo die Probleme bei dieser (Christian Dürr [FDP]: Das denken die immer Mehrwertsteuersenkung – abgesehen vom Datum – be- noch!) stehen; denn auch der Reiche, der jetzt ein Auto kauft und Danke an die, die die Ärmel hochkrempeln und Lösungen damit vielleicht 3 Prozent spart, sichert natürlich den suchen, im Gegensatz zu denen, die immer nur auf die Arbeitsplatz des Fließbandarbeiters oder des Zulieferers. Probleme hinweisen. Die Firma, die diese Autos dann weiterverkauft, kann ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der Kurzarbeit (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- holen. Deshalb profitiert natürlich auch der, der das Auto neten der SPD – Christian Dürr [FDP]: Die selbst nicht kaufen kann, weil er sicher sein kann, dass er Vorschläge machen!) seinen Arbeitsplatz nicht verliert und dass er nicht dauer- Der zweitgrößte Posten in diesem Paket geht an die haft in Kurzarbeit ist. Familien. Neben dem Familienentlastungsgesetz aus 2019 mit einer Entlastung von 10 Milliarden Euro ent- (Beifall bei der CDU/CSU) lasten wir Familien in diesem Jahr um weitere 5 Milliar- Auch der Gastronomie, die schon angekündigt hat, den Euro und setzen das fort, indem wir nämlich 2021 das dass sie die Mehrwertsteuersenkung nicht weitergeben Kindergeld erneut um 15 Euro anheben – eine Riesen- kann, wollen wir helfen. Wenn die Gaststätte vor Ort summe, die Familien in die Lage versetzt, jetzt zu inves- tatsächlich fortbestehen kann, weil wir die Mehrwert- tieren, zu konsumieren oder – im schlimmsten Fall – das steuer senken, dann ist auch das ein guter Effekt der Kurzarbeitergeld aufzufangen. Mehrwertsteuersenkung. (Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE] meldet (Beifall bei der CDU/CSU) sich zu einer Zwischenfrage) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Montag, den 29. Juni 2020 21011

(A) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: len, ist ein Schlag ins Gesicht für die kleinen und mitt- (C) Frau Kollegin Tillmann – – leren Unternehmer und für die Arbeitnehmer,

Antje Tillmann (CDU/CSU): (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- ten der AfD und der Abg. [Augs- Ich würde gerne zu Ende reden. burg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) die bei Amazon jetzt im Streik stehen für bessere Löhne, Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: für soziale Mindestbedingungen bei den großen Krisen- Sie lassen keine Zwischenfrage zu? gewinnlern. – Das ist der Kern, den Sie, wie Sie gesagt haben, hier nicht verstehen können. Dann muss man es Antje Tillmann (CDU/CSU): Ihnen noch einmal sagen. Ja. – Unternehmerinnen und Unternehmer haben diese Krise zum Teil sehr schwer durchgestanden. Deshalb Ergreifen Sie Maßnahmen, dass von der Mehrwert- werden wir den Verlustrücktrag erhöhen. Wir werden steuer wenigstens ein Effekt bei denen hängen bleibt, den Verlustrücktrag in Höhe von 5 bzw. 10 Millionen für die Sie es hier vorgegeben haben zu machen, und Euro möglich machen, damit Liquidität in die Unterneh- sorgen Sie dafür, dass die Amazons endlich hier Steuern men kommt, und wir werden die degressive Abschrei- zahlen und sich am Aufbau und an der Sicherung der bung einführen, und zwar für alle Wirtschaftsgüter, um Daseinsvorsorge beteiligen! Abgrenzungsprobleme im Hinblick auf digitale und Um- (Beifall bei der LINKEN) weltwirtschaftsgüter zu verhindern. Alle beweglichen Wirtschaftsgüter können mit degressiver Abschreibung begünstigt abgeschrieben werden. Wir werden bei der Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Gewerbesteuer die Hinzurechnung von Miet-, Pacht- Frau Kollegin Tillmann. und Schuldzinsen um 100 000 Euro verdoppeln, damit wir keine Substanzbesteuerung in dieser Krise haben. Antje Tillmann (CDU/CSU): Und wir wollen aus dieser Krise moderner herauskom- Nach dem ersten Satz, dass Sie mir zustimmen können, men, als wir hineingegangen sind: Wir werden zusätzlich hätten Sie vielleicht aufhören können; dann hätte ich einen großen Betrag auf die Forschungszulage draufle- Ihnen auch zugestimmt. – Ich habe sehr wohl gehört, gen. Mit bis zu 1 Million Euro können Unternehmen, die was die Kollegin Wagenknecht gesagt hat. Sie hat davon forschen, davon profitieren. gesprochen, dass Reiche sich Autos kaufen, und darauf Abschließend haben wir die Kommunen im Blick. habe ich reagiert. (B) Sehr viele Investitionen werden in den Kommunen ge- Aber ich will gerne auf Ihre Bemerkung zu Amazon (D) tätigt, etwa in die Schul- und Kindergartensanierung. Wir reagieren. Wir haben im letzten Jahr Amazon und auch wollen, dass die Kommunen trotz Krise und trotz weg- alle anderen digitalen Plattformen sehr wohl zur Besteue- brechender Gewerbesteuereinnahmen weiter in Schulen rung herangezogen, nämlich indem wir die Haftung auf und Infrastruktur investieren können. Schon mit diesem Plattformen eingeführt haben. Erstmalig müssen diejeni- Gesetz werden wir sie um fast 1 Milliarde Euro entlasten. gen, die Plattformen zur Verfügung stellen, für die Mehr- Ein zweiter Schritt wird in den nächsten Wochen folgen: wertsteuer haften. Das hat direkt dazu geführt, dass Zehn- Bund und Länder werden den kompletten Gewerbe- tausende von Händlern über diese Plattform nicht mehr steuerausfall erstatten. handeln, weil sie die Mehrwertsteuer bis dahin nicht ab- Ich glaube, das sind gute Schritte aus der Krise heraus. geführt haben. Versuchen wir, was möglich ist, und versuchen wir nicht, etwas zu verhindern. Diese Krise kann auch wirtschaft- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- lich überstanden werden. Dazu bitte ich Sie, mitzuma- ordneten der SPD) chen. Und ja, das Thema Amazon ist unabhängig von Coro- na ein Thema. Wir sind auf OECD-Ebene sehr weit ge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- kommen beim Thema Digitalbesteuerung. Leider sind ordneten der SPD) die Vereinigten Staaten von Amerika jetzt aus den Ver- handlungen ausgetreten – das ist in der letzten Woche Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: passiert –, ganz neue Nachricht; leider, wir bedauern Dann erteile ich zu einer Zwischenbemerkung das das sehr. Dennoch werden wir natürlich auf europäischer Wort dem Kollegen Dr. Diether Dehm, Die Linke. Ebene über die Digitalsteuer neu sprechen und darüber nachdenken müssen, ob wir es nicht hinbekommen, we- Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): nigstens in Europa eine gemeinsame Lösung zu finden. Vielen Dank, Herr Präsident. – Einem Punkt kann ich Keine Sorge: Auch dieses Problem werden wir angehen, zustimmen: Ob die Mehrwertsteuersenkung beim Gast- sobald wir mit diesem Steuerhilfegesetz fertig sind. wirt hängen bleibt oder das Bier 7 Cent billiger wird, ist (Beifall bei der CDU/CSU) hier nicht die große Frage. Aber die Kollegin Wagenknecht hat hier Amazon genannt. Sie haben sich hingestellt und gesagt, Sie hätten das gar nicht verstan- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: den. Dann will ich es Ihnen noch einmal sagen: Der Der nächste Redner ist der Kollege Bernhard Daldrup, Mitnahmeeffekt bei Amazon, die hier keine Steuern zah- SPD. 21012 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Montag, den 29. Juni 2020

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) (Beifall bei der SPD) ihre Wirkung entfalten, jedenfalls eine ganz andere und (C) sehr viel bessere als die kurzfristige Abschaffung des Bernhard Daldrup (SPD): Solis; das wissen, glaube ich, alle. Die Einkommensgrup- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kol- pen, die von der Abschaffung des Solis profitieren wür- leginnen und Kollegen! Zunächst: Ich komme aus dem den, brauchen diese Entlastung zum gegenwärtigen Zeit- Kreis Warendorf. Der letzte Test bei mir ist von gestern, punkt nicht. 10 Uhr: negativ. Ich könnte heute also sogar in Bayern einreisen, vielleicht gemeinsam mit Herrn Brinkhaus. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Christian Dürr [FDP]: Jeder, der Einkommensteuer zahlt, (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE zahlt das!) GRÜNEN]: Schauen wir mal!) Wir wissen auch: Untere und mittlere Einkommen pro- Aber ich will an dieser Stelle auch eines sagen – Kolle- fitieren prozentual am meisten von der Senkung der gin Arndt-Brauer hat dazu schon einiges gesagt –: Die Art Mehrwertsteuer. Einfach nur die Steuersenkung für die und Weise, wie mit den Betroffenen hier umgegangen Tüte Milch – wie heute Morgen im Fernsehen gesche- wird, ist ein bisschen wohlfeile Kritik. Ich will deutlich hen – aufzuzählen, ist das, was man eine Milchmädchen- sagen: Im Kreis Warendorf und auch sonst hat sich Politik rechnung nennt; die passt nämlich nicht. niemals mit den Bedingungen bei Tönnies einfach so ab- gefunden. Das ist nicht der Fall, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD) Ich nehme jedenfalls zur Kenntnis, dass Die Linke offensichtlich nicht einverstanden ist mit einer Mehr- und es ein bisschen wohlfeil, das jetzt zu behaupten. 2016 wertsteuersenkung, und das ist schon ein – jedenfalls ist unter sehr deutlich damit begonnen für mich – bemerkenswerter Vorgang. worden, und ich hoffe, dass all diejenigen, die es damals nicht wollten, jetzt aber dabei sind, wenn (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wenn seine Initiativen dazu einbringt. Sie es auf Dauer machen! – [DIE LINKE]: Dauerhaft! – Weitere Zurufe (Beifall bei der SPD) von der LINKEN) Wegen der Fundamentalkritik, die hier zu einem Teil jedenfalls geäußert worden ist, will ich als Sozialdemo- – Erwischt, Leute! Ich merk’s! Erwischt! Genau so ist es. krat und Mitglied der Großen Koalition – es ist auch nicht (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) immer so einfach – Ihnen gerne einmal etwas schildern, (B) was man nicht jeden Tag erfährt. Eine ganze Reihe von Wir reagieren mit vielen Maßnahmen für Familien in (D) Bürgerinnen und Bürgern kommt jetzt zu mir und sagt: Es der Coronakrise, angefangen vom Elterngeld über den ist gut, dass ihr Sozis in dieser Regierung seid. Es ist gut, Kinderzuschlag bis zur Entschädigung für Verdienstaus- dass ihr für soziale Ausgewogenheit bei den unterschied- fall, um nur einige zu nennen. Der Kinderbonus ist ein lichen Geschichten sorgt. – Wenn es darauf ankommt, zusätzliches Element, nicht das einzige. Der Kinderbonus wissen die Menschen nämlich, dass sie auf uns zählen dürfte für rund 18,3 Millionen Kinder ausgezahlt werden. können, dass sie uns vertrauen können. Das hat ein biss- Aber: Von den 11,2 Millionen Steuerpflichtigen mit Kin- chen mit Glaubwürdigkeit in der Politik zu tun. dern werden nur rund 2 Millionen diesen Kinderbonus nicht in Anspruch nehmen können, weil sie den Kinder- (Beifall bei der SPD) freibetrag weiterhin in Anspruch nehmen werden. Der Von der befristeten Senkung der Umsatzsteuer über Kinderbonus ist mithin eine Hilfe für Familien mit Kin- den Kinderbonus, die Entlastung von Alleinerziehenden dern, die diese Hilfe auch tatsächlich brauchen; und das bis zu diversen steuerlichen Maßnahmen, die schon an- ist gut so. gesprochen worden sind, hat dieses Paket bei diesem Ge- setzgebungsverfahren, über das wir konkret reden, ein (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Volumen von ungefähr 28,5 Milliarden Euro allein in der CDU/CSU – Christian Dürr [FDP]: Aber diesem Jahr. Es ist Teil eines Paketes von 130 Milliarden Ihre Kollegin hat das Gegenteil gesagt!) Euro, das wir in dieser Größenordnung bisher nicht hat- Darüber hinaus fördern wir berufstätige Alleinerzie- ten. hende. Eine alleinerziehende Kassiererin mit 1 750 Euro Unsere Antwort auf die Krise lautet eben nicht: „Gürtel brutto und einem Kind erhält dadurch 463 Euro mehr im enger schnallen“, sondern wir erhöhen die Kaufkraft der Jahr, und der Kinderbonus kommt obendrauf. Das sind Bürgerinnen und Bürger, wir verschaffen Unternehmen konkrete Hilfen. benötigte Liquidität, wir geben Anreize für Investitionen, wir geben der wirtschaftlichen Erholung den notwendi- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: gen Schub, und zwar jetzt, weil es jetzt nötig und drin- Herr Kollege Daldrup, der Kollege De Masi würde gend erforderlich ist. Genau so ist es, und es ist auch gerne eine Zwischenfrage stellen. wirtschaftspolitisch richtig.

(Beifall bei der SPD) Bernhard Daldrup (SPD): Die kurzfristige Senkung der Mehrwertsteuer bringt Ich mache es auch durchgehend zu Ende. Danke, keine 20 Milliarden Euro in den Wirtschaftskreislauf und wird Zwischenfragen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Montag, den 29. Juni 2020 21013

(A) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Beifall bei der LINKEN) (C) Keine Zwischenfrage. Insofern, finde ich, ist es etwas unredlich, unsere Posi- (Christian Dürr [FDP]: Ich hätte die gerne ge- tion hier so darzustellen. Ich will nur darauf hinweisen, hört!) dass auch der Sachverständige Professor Dullien vom gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Bernhard Daldrup (SPD): Konjunkturforschung genau diese Position der Linken in der Anhörung im Finanzausschuss vertreten hat und Ich will zum Schluss, weil das ein paarmal gesagt gesagt hat, es hätte wesentlich zielgenauere Maßnahmen worden ist, noch auf die Kommunen eingehen: Die beste gegeben, Maßnahme zur Konjunkturbelebung besteht in der Stär- kung der Kommunen. Deswegen werden wir die Minder- (Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Das war der Ein- einnahmen der Kommunen – sowohl beim Kinderzu- zige! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: schlag als auch bei der Mehrwertsteuer – nicht den Was haben die anderen Experten denn gesagt?) Kommunen anlasten. Die 911 Millionen Euro werden in diesem Jahr vollständig vom Bund übernommen. Das ist, um die Nachfrage zu stützen, zum Beispiel eine Verlän- glaube ich, eine vernünftige Lösung. gerung des Kinderbonus – da wären wir doch sofort dabei gewesen – oder mehr Hilfen für Selbstständige auch zum (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Lebensunterhalt. Das sollten wir fairerweise in der De- Neben der Tatsache, dass wir Ausfälle bei der Gewer- batte auch erwähnen, statt sich hierhinzustellen und zu besteuer in Höhe von rund 12 Milliarden Euro je zur sagen, dass ausgerechnet Die Linke, die gegen diese Er- Hälfte durch Bund und Länder erstatten wollen, wollen höhung damals gekämpft hat, das hier ablehnen würde. wir gleichzeitig auch das Grundgesetz ändern, um sowohl Das ist wirklich großer Quatsch. dieses Geld zielgerichtet bei den Kommunen ankommen (Beifall bei der LINKEN) zu lassen als auch die Hilfen bei den Entlastungen von den Sozialausgaben wirksam werden zu lassen. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Das ist eine Debatte, die wir nicht heute führen können, Herr Kollege Daldrup, wenn Sie mögen, haben Sie das sondern die wir am kommenden Donnerstag führen wer- Wort. den. Ich hoffe, dass all diejenigen, die immer sagen: „Es muss konkret bei den Menschen ankommen“, bei den erforderlichen Grundgesetzänderungen auch dabei sind. Bernhard Daldrup (SPD): Ich mache es ganz kurz. – Lieber Kollege De Masi, es (B) Herzlichen Dank. ist kein großer Quatsch, sondern das ist Ihre Haltung. (D) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Er hat es doch erklärt!) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Das kann ich ja nicht ändern – Nummer eins. Liebe Kolleginnen und Kollegen, da wir für dieses Gesetz relativ wenig Beratungszeit hatten, bin ich bei (Zurufe von der LINKEN) der Zulassung von Zwischenbemerkungen, auch wenn es ein Montagvormittag ist, großzügig und erteile das – Wird ja so vorgetragen. Wort zu einer Zwischenbemerkung dem Kollegen Fabio Nummer zwei. De Masi, Die Linke. (Zuruf von der LINKEN: Wer hat die 3-Pro- Fabio De Masi (DIE LINKE): zent-Erhöhung gemacht?) Vielen Dank Herr Präsident, dass Sie das zulassen. – Ja, wer hat die 3-Prozent-Erhöhung gemacht? Jetzt will Kollege Daldrup, ich will einfach nur darauf hinweisen, ich euch etwas sagen, Leute. Ihr beklagt euch permanent wie es wirklich war: 2007 hat die SPD im Wahlkampf und, wie ich finde, häufig zu Recht darüber, an Vergan- 0 Prozent Erhöhung der Mehrwertsteuer versprochen und genheit erinnert zu werden. Ich kenne die SPD, fast hätte die Union 2 Prozent; heraus kamen 3 Prozent. Wir haben ich gesagt, seit 1863. heftig dagegen gekämpft. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Wir können gerne einmal schauen, ob ihr noch jede Ent- Wir haben jetzt, bei dieser Gelegenheit, gesagt, dass wir scheidung, die ihr in der Vergangenheit getroffen habt, bezweifeln, ob eine Senkung der Mehrwertsteuer im sel- für richtig haltet. Das kann ja sein. Bei dieser Frage holt ben Umfang in die Preise weitergegeben wird wie die ihr immer diesen alten Hut hervor. Erhöhung, die dann ja gegen Ende des Jahres stattfindet. Deswegen haben wir gesagt: Wenn man das schon Jetzt ist die doch Kernfrage: Machen wir das Richtige, macht – das können Sie in unserem Antrag nachlesen –, was jetzt hilft? Da darf man nicht auf eine einzelne Mehr- dann muss man es entweder dauerhaft tun, oder aber man wertsteuermaßnahme schauen, sondern muss ein Paket muss gezielt die Nachfrage stützen, damit nicht die Ama- von 130 Milliarden Euro in der Gesamtwirkung betrach- zons und Co diese Mehrwertsteuersenkung einsacken, ten. Und es muss jetzt wirken. Deswegen ist es so ge- aber die Erhöhung dann in die Preise weitergeben. macht worden, und deswegen ist es auch richtig so. 21014 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Montag, den 29. Juni 2020

Bernhard Daldrup (A) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten bestärkt gefühlt, dieses Gesetzgebungsverfahren so (C) der CDU/CSU) weiter voranzubringen. (Beifall bei der CDU/CSU) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Damit erteile ich das Wort als voraussichtlich letztem Es ist über die Evidenz von Untersuchungen gespro- Redner in dieser Debatte dem Kollegen Fritz Güntzler, chen worden. Es gab kaum Mehrwertsteuersenkungen. CDU/CSU. Es gab einmal eine in Großbritannien in der Zeit der Finanz- und Wirtschaftskrise. Dort haben die Wissen- (Beifall bei der CDU/CSU) schaftler, die Volkswirte nachweisen können, dass an- fänglich fast alles an die Verbraucherinnen und Verbrau- cher weitergegeben wurde und es dann ein wenig Fritz Güntzler (CDU/CSU): abgenommen hat. Also: Dort gab es den Erfolg. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Es ist eine Ehre, in Natürlich, lieber Herr Kollege Bayaz: Wir treffen im- der Debatte über ein so wichtiges Steuergesetz zuletzt zu mer Entscheidungen unter Unsicherheit; es gibt nicht die sprechen. Diesen Hinweis muss ich mir aber erlauben, sichere Entscheidung. Wir haben aber in der Abwägung Herr Kollege Glaser: Wir sprechen hier über ein Steuer- festgestellt, dass es eine gute Entscheidung ist, die viele paket, das wir heute beschließen wollen, mit einer Ent- Chancen birgt. Und diese Chancen wollen wir nutzen. lastungswirkung von immerhin über 50 Milliarden Euro Wir hoffen, dass sich die Unternehmerinnen und Unter- für die Menschen in unserem Land. Ich finde, damit set- nehmer bewusst sind, dass ein Großteil dort ankommen zen wir ein stolzes Signal. soll, wo wir es auch sehen wollen. Aber selbst wenn es bei den Unternehmern und Unternehmerinnen landen (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. sollte, bleibt es im Wirtschaftskreislauf; die Volkswirte Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]) nennen das „Multiplikatoreffekt“. Also: Wir haben da- Das Paket, das der Koalitionsausschuss am 3. Juni be- durch auch neue Effekte. schlossen hat und das 57 Punkte enthält, hat drei Kern- Natürlich gibt es diese Amazons. Da müssen wir, lieber botschaften: die Coronafolgen bekämpfen, den Wohl- Kollege Dehm, auch noch mehr machen. Wir sind ja stand sichern und die Zukunftsfähigkeit unseres Landes dabei, im europäischen Kontext – Frau Kollegin stärken. Dafür setzen wir mit diesen 50 Milliarden Euro Tillmann hat das angesprochen – einiges zu tun. Wenn den richtigen Impuls. Das ist Geld, das den Bürgerinnen es überhaupt so sein sollte, dass es Mitnahmeeffekte bei und Bürgern, den Unternehmern und Unternehmen zugu- Amazon gibt, kommt das ja nicht nur dort an. Es gibt (B) tekommen wird. Ich will hier auch keinen Widerspruch viele Unternehmen gerade auch im Mittelstand, die das (D) zwischen Bürgerinnen und Bürgern und Unternehmen nutzen können, um ihre Liquidität oder ihre Eigenkapi- gelten lassen; denn die Unternehmen und die Unterneh- talbasis zu stärken. Von daher ist das auch eine gute mer schaffen Arbeitsplätze für viele Bürgerinnen und Lösung, meine Damen und Herren. Bürger in unserem Land, und es ist auch gut so, meine Damen und Herren, dass dies so ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU) In der Anhörung haben das übrigens auch, lieber Herr Ein Kernstück unseres Paketes ist die heute schon oft Kollege Dürr, die Vertreter von acht Spitzenverbänden angesprochene Mehrwertsteuersenkung von 19 auf der deutschen Wirtschaft begrüßt und sogar gesagt: Das 16 Prozent bzw. von 7 auf 5 Prozent im ermäßigten kann einen wichtigen Impuls für den Binnenkonsum dar- Steuersatz für ein halbes Jahr. Wir haben damit übrigens stellen. – Ich glaube, Sie waren gar nicht da, Herr Dürr. den niedrigsten Mehrwertsteuerregelsatz in der ganzen Dann lassen Sie es sich bitte von Ihren Kollegen berich- Europäischen Union. Ich finde, auch das ist ein klares ten. Signal. Das ist mit die größte Steuersenkung der Nach- kriegszeit, die wir jetzt durchführen. (Christian Dürr [FDP]: Ich hörte ja trotzdem zu! Das geht heute sogar digital!) Nun wird viel debattiert darüber, welche Wirkung die- se Mehrwertsteuersenkung erzielen wird. Ich bin froh, Das liegt übrigens auch schriftlich vor; das könnte ich dass es trotz der Schnelligkeit bei der Beratung, die der Ihnen auch zustellen. – Von daher steht auch die Wirt- Herr Präsident eben schon angesprochen hat, ein geord- schaft hinter dieser Mehrwertsteuersenkung. netes Verfahren gab. Wir haben eine Sachverständige- Deshalb, meine Damen und Herren, sollten wir das nanhörung gehabt. Kollege De Masi hat gerade einen jetzt auch zügig umsetzen. Wir haben damit administra- Sachverständigen zitiert. Mir fielen viele andere ein, die tive Aufgaben zu erfüllen; das ist gar keine Frage. Das genau das Gegenteil gesagt haben. Ich habe das Gefühl, weiß ich auch als Steuerberater. Aber in der Abwägung dass jedenfalls manche, die hier heute gesprochen haben, ist das, glaube ich, eine kluge Lösung. bei dieser Anhörung nicht zugehört haben; denn die über- wiegende Mehrheit – ich würde sagen, zu 99 Prozent – Letzte Bemerkung: Vorhin ist gesagt worden: Wir dis- der Sachverständigen – und das waren nicht nur die Sach- kutieren an diesem Punkt in der Gegenwart. – Ja, wir verständigen, die sich die Union „ausgesucht“ hat – war müssen auch Steuerpolitik für die Zukunft machen. Von der Auffassung, dass wir mit dieser Mehrwertsteuersen- daher ist es wichtig, dass wir auch zu einer Modernisie- kung den richtigen Impuls setzen. Wir haben uns danach rung des Unternehmensteuerrechts kommen. Darum ist Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Montag, den 29. Juni 2020 21015

Fritz Güntzler (A) es richtig, dass über den Einkommensteuertarif debattiert Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der (C) werden muss. Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzei- chen. – Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt (Beifall des Abg. Christian Dürr [FDP]) dagegen? – FDP und AfD. Wer enthält sich? – Die Linke Diese Aufgaben sollten wir jetzt angehen. Wir werden und Bündnis 90/Die Grünen. Mit diesen Mehrheiten ist auch dafür vielleicht noch in dieser Großen Koalition der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen. gute Lösungen finden. Wir kommen zur (Christian Dürr [FDP]: Aber nicht nur in der dritten Beratung Wirtschaftsförderung, im Gesetzblatt muss das passieren!) und Schlussabstimmung. Ich bitte alle diejenigen, die – Sie wollten ja nicht mitmachen, lieber Herr Dürr. dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist (Christian Dürr [FDP]: Damals wolltet ihr ja dieser Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition ge- nicht mal den Soli abschaffen!) gen die Stimmen von AfD und FDP bei Enthaltung von Linken und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Mit Ihnen hätten wir vielleicht schon viel mehr erreicht. Jetzt stimmen wir über die drei Entschließungsanträge Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit für ein gutes ab. Paket. Zur Abstimmung steht zuerst der Entschließungsan- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) trag der FDP auf Drucksache 19/20440. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Die FDP. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Damit schließe ich die Aussprache. (Amira Mohamed Ali [DIE LINKE]: Wir auch!) Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak- – Bitte? tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Umsetzung steuerlicher (Amira Mohamed Ali [DIE LINKE]: Wir auch! Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise. Dafür!) Mir liegt zur Abstimmung eine Erklärung nach § 31 – Überraschend! unserer Geschäftsordnung des Kollegen Dr. Eberhard (B) Brecht vor.1) (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU (D) und der SPD) Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei- ner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 19/20332, Die Konstellation ist überraschend, aber: FDP und Linke. den Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen auf der Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist Drucksache 19/20058 in der Ausschussfassung anzuneh- dieser Entschließungsantrag bei Enthaltung von Bünd- men. nis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von FDP und Die Linke mit den übrigen Stimmen des Hauses abge- Es liegen drei Änderungsanträge der FDP-Fraktion lehnt. vor, über die wir zuerst abstimmen. Wir stimmen nun ab über den Entschließungsantrag Änderungsantrag auf der Drucksache 19/20437. Wer der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 19/20459. stimmt für diesen Änderungsantrag? – FDP und AfD. Wer stimmt dagegen? – Die übrigen Fraktionen. Enthal- (Christian Dürr [FDP]: Da sind wir leider nicht tungen? – Keine. Dann ist der Antrag abgelehnt. dabei!) Änderungsantrag auf der Drucksache 19/20438. Wer – Ich frage ja erst noch. Langsam, langsam! Keine stimmt für diesen Antrag? – FDP und AfD. Wer stimmt Deals! – Wer stimmt für den Entschließungsantrag der dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist dieser Ände- Fraktion Die Linke auf der Drucksache 19/20459? – rungsantrag gegen die Stimmen von FDP und AfD mit Die Linke. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – den Stimmen des übrigen Hauses abgelehnt. Bündnis 90/Die Grünen enthält sich. Die Linke stimmt dafür. Der Rest des Hauses lehnt den Entschließungsan- Nun stimmen wir über den Änderungsantrag auf der trag ab. Drucksache 19/20439 ab. Wer stimmt für diesen Ände- rungsantrag? – Wiederum die beiden Fraktionen FDP und Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion AfD. Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 19/20460. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält (Christian Dürr [FDP]: Ich kann ja nichts dafür, sich? – Dann ist dieser Entschließungsantrag gegen die dass die Nasen da drüben mitmachen!) Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Wer stimmt dagegen? – Die übrigen Fraktionen. Damit ist Linken mit den Stimmen des übrigen Hauses abgelehnt. auch dieser Antrag abgelehnt. Wir setzen die Abstimmungen zu der Beschlussemp- fehlung des Finanzausschusses auf der Drucksache 1) Anlage 2 19/20332 fort. 21016 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Montag, den 29. Juni 2020

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Be- Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe d (C) schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak- die Ablehnung des Antrags der Fraktion der AfD auf der tion der FDP auf der Drucksache 19/20050 mit dem Titel Drucksache 19/20071 mit dem Titel „Arbeitnehmer, „Neustart für Deutschland – Entlasten, investieren und Kleinunternehmer, Freiberufler, Landwirte und Solo- entfesseln“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung Selbständige aus der Corona-Steuerfalle befreien und des Ausschusses? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält gleichzeitig Bürokratie abbauen“. Wer stimmt für diese sich? – Dann ist diese Beschlussempfehlung bei Enthal- Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer tung der AfD gegen die Stimmen der FDP mit den Stim- enthält sich? – Dann ist diese Beschlussempfehlung ge- men des übrigen Hauses angenommen. gen die Stimmen der AfD mit den Stimmen des übrigen Hauses angenommen. Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ab- lehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf der Drucksache 19/20051 mit dem Titel „Steuererklärungs- Damit sind wir am Schluss der heutigen Tagesordnung. verpflichtung für Kurzarbeit verhindern – Progressions- vorbehalt für 2020 aussetzen“. Wer stimmt für diese Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- Beschlussempfehlung des Ausschusses? – Die Koali- tags auf Mittwoch, den 1. Juli 2020, 13 Uhr, ein. tionsfraktionen und die AfD. Wer stimmt dagegen? – FDP und Die Linke. Wer enthält sich? – Bündnis 90/ Die Sitzung ist geschlossen. Die Grünen. Dann ist die Beschlussempfehlung mit den genannten Mehrheiten angenommen. (Schluss: 12.31 Uhr)

(B) (D) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Montag, den 29. Juni 2020 21017

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Entschuldigte Abgeordnete

Abgeordnete(r) Abgeordnete(r)

Bülow, Marco fraktionslos Vogt, Ute SPD Busen, Karlheinz FDP Weinberg, Harald DIE LINKE Dörner, Katja BÜNDNIS 90/ Ziegler, Dagmar SPD DIE GRÜNEN Zimmermann, Pia DIE LINKE Esdar, Dr. Wiebke* SPD

Gabelmann, Sylvia DIE LINKE * aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes Herzog, Gustav SPD Höhn, Matthias DIE LINKE Anlage 2 Kamann, Uwe fraktionslos Erklärung nach § 31 GO Korkmaz-Emre, Elvan* SPD des Abgeordneten Dr. Eberhard Brecht (SPD) zu Korte, Jan DIE LINKE dem von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Kuffer, Michael CDU/CSU Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Be- wältigung der Corona-Krise (Zweites Corona- Launert, Dr. Silke CDU/CSU Steuerhilfegesetz) Miazga, Corinna AfD (Tagesordnungspunkt 1 a) (B) (D) Müller (Chemnitz), Detlef SPD TOP 1 Müller-Gemmeke, Beate BÜNDNIS 90/ Die im Zweiten Gesetz zur Umsetzung steuerlicher DIE GRÜNEN Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Coronakrise vor- gesehene befristete Absenkung der Umsatzsteuersätze Nölke, Matthias FDP von 19 auf 16 bzw. von 7 auf 5 Prozent bis zum 31. De- zember 2020 ist nicht zielführend. Einem überschaubaren Pellmann, Sören DIE LINKE konjunkturellen Impuls stehen sowohl Steuerminderein- Pilger, Detlev SPD nahmen aufseiten des BMF als auch der unverhältnismä- ßige Erfüllungsaufwand der Wirtschaft gegenüber. Der Post, Florian SPD von der Bundesregierung genannte Erfüllungsaufwand von 247,1 Millionen Euro ist mindestens um einen Fak- Remmers, Ingrid DIE LINKE tor 10 zu niedrig angesetzt. Sarrazin, Manuel BÜNDNIS 90/ Ich werde – trotz schwerer Bedenken – dem Gesetz DIE GRÜNEN meine Zustimmung geben. Dies begründe ich einerseits mit der Tatsache, dass der Gesetzentwurf eine Reihe wei- Schneidewind-Hartnagel, BÜNDNIS 90/ terer Beiträge zur Konjunkturbelebung und zur sozialen Charlotte DIE GRÜNEN Abfederung der Coronalasten enthält, andererseits mit dem Umstand, dass die Umsatzsteuerabsenkung ein Be- Ulrich, Alexander DIE LINKE standteil des im Koalitionsausschuss geschnürten Pakets Vogler, Kathrin DIE LINKE zur Überwindung der Coronafolgen ist, dessen Infrage- stellung sehr viele andere Maßnahmen gefährden würde. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co. KG, Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333