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Baumgarten und die Ajatollahs ISSN 2199-3572 Nr. 10 (26) Oktober 2016/ Elul 5776 – Tishrei 5777 RU NDSCHA U 3,70 € JÜDISCHEUNABHÄNGIGE MONATSZEITUNG · H EraUSGEGEBEN VON DR. R. KORENZECHER „Hate Speech“ gegen „Wir schaffen das!“ Jamim Noraim – Schimon Peres auf israelisch die hohen Feiertage des Jahres Wo bleiben Maas, Kahane, Die neue Rede von Rosch HaSchana und Schwesig und Co.? Benjamin Netanjahu die Feiertage vor der UNO des Monats Tischrej seite 18 seite 10-12 seite 39 KOLUMNE DES HERAUSGEBERS DR. R. KORENZECHER Tränen in den Augen – Wut im Bauch Liebe Leserinnen und liebe Leser, sein, dass es nur mir entgangen ist – aber in diesem Jahr ging mit dem Erscheinen der ich habe von Sigmar Gabriel noch nie ein neuen Ausgabe unserer JÜDISCHEN RUND- Klagelied über den Terror gegen Juden ge- SCHAU der Monat Elul und damit das alte hört. jüdische Jahr 5776 zu Ende. Nach Sonnen- „Er war ein Gewissen der Menschheit.“ untergang des 2. Oktober 2016 begann am GEORGES GOBET, AFP – ließ Manuel Valls, der Premierminister 1. Tag des Monats Tischrei das neue jüdische Frankreichs verlauten. Wie sich sein Ge- Jahr 5777. wissen anfühlt bleibt allerdings sein Ge- Allen jahrtausendealten Anfeindungen heimnis in Anbetracht der Tatsache, dass und Vernichtungsversuchen durch seine al- Jahr für Jahr immer mehr Juden Frank- ten und neuen Feinde zum Trotz folgen auch reich den Rücken kehren und Alija ma- in diesem Jahr Millionen Juden in Israel und chen, da sie ihres Lebens nicht mehr sicher in der ganzen Welt dem ewigen Brauch am sind und der französische Staat so gut wie Rosch-Haschanah-Fest, das in der Thora auch nichts gegen die wachsende, antisemiti- Jom Terua (Tag des Schofarblasens) genannt sche Gewalt unternimmt. wird, wie seit jeher den vertrauten Klang des „Die Welt hat einen großen Staatsmann, Widderhorns Schofar zu hören und für ihre Israel einen seiner Gründungsväter und Lieben und für sich ein glückliches, friedvol- Deutschland einen hochgeschätzten les und ein gesundes, kurzum ein süßes neu- Freund und Partner verloren.“ – bedauer- es Jahr zu erbitten. te Frank-Walter Steinmeier, dessen größte Die Redaktion und ich schließen uns aus Sorge noch vor wenigen Wochen 1.000 ganzem Herzen für unsere Leser und für uns neue Wohnungen in Ost-Jerusalem und alle diesen Wünschen an. Das Neujahrsfest Umgebung galt, statt demT error gegen Rosch Haschanah und die folgenden Tage bis Israel – den die deutsche Regierung durch Jom Kippur stellen für das gesamte jüdische großzügige Hilfsgelder an die „Palästinen- Volk neben der Hoffnung auf das Neue auch sische Autonomiebehörde“ mitfinanziert, eine Zeit der Rechenschaft und der Besin- die daraus den Hinterbliebenen von Ter- nung über das Bisherige, über das Versäumte roristen Rente zahlt. Um nur ein Beispiel und über das Erreichte dar. zu nennen. Auch wir, das Team der JÜDISCHEN RUND- „Ein Licht ist ausgegangen, aber die SCHAU, möchten den Jahresumbruch dazu Hoffnung, die er uns gegeben hat, wird für nutzen, uns rückblickend bei Ihnen, all unse- immer brennen........ Keiner hat über die ren Lesern und Freunden, auf das Herzlichste Jahre hinweg mehr dafür getan als Schi- für Ihre Treue und für Ihren mutmachenden mon Peres, die Allianz zwischen unseren Zuspruch, die Sie uns seit unserem ersten Er- beiden Ländern aufzubauen – eine unzer- scheinen vor über zwei Jahren bewiesen ha- Von Attila Teri ihn gar nicht existieren. Das werden wohl brechliche Allianz, die heute enger und ben, zu bedanken. nicht mal seine größten Widersacher in stärker ist, als sie jemals war“, sagte US- Vor allem Ihnen ist zu danken, dass un- Zugegeben, ich war schon immer nah am Frage stellen. Alles was er tat, sollte dem Präsident Barack Obama, der durch seine sere Leserzahl und unser Wirkungskreis in Wasser gebaut. So ist es kein Wunder, dass Überleben des jüdischen Volkes dienen. gesamte Amtszeit kaum eine Gelegenheit dieser Zeit stetig gewachsen sind. Unseren mich meine Gefühle übermannt haben, Wie immer, wenn es darum geht, ei- ausgelassen hat gegen die israelische Re- aufrichtigen Dank dafür möchten wir daher während der Beerdigung von Schimon nen toten (!) Juden zu betrauern, über- gierung verbal zu schießen. verknüpfen mit der Hoffnung, dass Sie uns Peres, der ich leider nur am Fernsehen aus schwemmte ein Meer von Beileidsbe- „Präsident Schimon Peres hat nie die auch im neuen Jahr 5777 und in der Zukunft der Ferne beiwohnen durfte.S till und leise kundungen und Huldigungen die Welt, Hoffnung auf den Frieden aufgegeben begleiten und uns mit Ihren Anregungen kullerten die Tränen über mein Gesicht. seitdem der letzte Gründervater Israels und nie aufgehört dafür zu arbeiten, und Ihrer aktiven Mitwirkung auch künftig Sie waren weit mehr als nur ein Zeichen seine Augen für immer schloss. Bei seiner diese Hoffnung zur Realität zu machen. wie bisher die Kraft geben, die wir für unsere des Abschieds von einem geliebten Men- Beisetzung, an der fast alle von der west- ... Wir können sein Andenken nur mit Arbeit brauchen. schen, der zu meiner Familie gehörte, lichen Hemisphäre teilnahmen, die Rang einem täglichen Einsatz für die Versöh- Gleichzeitig möchten wir auch für dieses obwohl ich ihm persönlich nie begegnen und Namen haben, ging es mit der Lob- nung ehren, indem wir seine Vision für Jahr das Versprechen abgeben, weiterhin mit durfte.E r begleitete mein ganzes Leben, hudelei weiter. Staats-, Regierungschefs eine Zweistaatenlösung erhalten und Schaffensfreude, Enthusiasmus und großem wie ein Vater, mit dem man alles teilt. und wichtige Persönlichkeiten saßen mit voranbringen.“ – erklärte die EU-Au- Engagement für Sie, für unsere Zeitung und Freude, Hoffnung,G lück, zugleich auch bedröppelten Gesichtern in der ersten ßenbeauftragte Federica Mogherini.D ie für die jüdische Sache tätig zu bleiben und Trauer, Verzweiflung und Angst. Dabei Reihe und hielten gefühlvolle Reden. An frühere Genossin der kommunistischen unsere Anstrengung gerade angesichts der habe ich nie in Israel gelebt und bin an sich sich wunderbare Gesten der Anteilnahme. Jugendorganisation Italiens gehörte in zunehmenden Feindseligkeit, der sich die Ju- „nur“ ein säkularer, ungarischer Jude, der Dennoch ertappte ich mich dabei, dass ne- jungen Jahren zu den Verehrern Jassir den in Israel und in vielen Teilen der übrigen in Budapest aufwuchs und seit 38 Jahren ben meiner Trauer, tief in meinem Bauch Arafats. Ich brauche nicht viel Fantasie Welt ausgesetzt sehen, in unserem gemein- in München, der ehemaligen „Hauptstadt langsam die Wut aufstieg, je länger die mir auszumalen, was sie mit „Voranbrin- samen Sinne noch zu verstärken. Seite 2 der Bewegung“ seinen Lebensmittelpunkt Zeremonie dauerte. Und das hatte einen gen“ tatsächlich meinen könnte: eine Österreich 3,70 €; Italien 3,70 €; Schweiz 4,60 CHF; hat. Doch mein Herz schlug schon immer guten Grund. Zweistaatenlösung, koste sie, was sie Luxemburg 3,80 €; Belgien 3,90 €; Niederlande im selben Takt mit Israel und ich fühlte „Ein unabhängiger Geist, eine Orientie- wolle und sei es am Ende die Vernich- 4,50 €; Slowakei 4,50 €; Slowenien 35 KN mich seit meiner Kindheit als Teil des jü- rung in unserer wechselvollen Geschichte, tung des einen, nämlich des jüdischen dischen Volkes. eine feste Größe in den Ambivalenzen von Staates. Es ist natürlich purer Zufall, Der Heimat dieses seltsamen und eigen- Politik, ein Richtungsgeber für Versöh- dass sie auch tatkräftig den Boykott von artigen Haufens, auch „das auserwählte nung.“ – beschrieb ihn Sigmar Gabriel, der israelischen Waren aus dem Westjordan- Volk“ genannt, widmete Schimon Peres vor vier Jahren bei seinem Besuch in Israel land unterstützt. Mehr zu ihrer „neutra- sein ganzes Leben. Mögen einige seiner noch meinte: „Ich war gerade in Hebron. len“ Haltung zum Nahostkonflikt war in Entscheidungen falsch gewesen, oder für Das ist für Palästinenser ein rechtsfreier der Dezember-Ausgabe 2015 der JÜDI- viele nicht nachvollziehbar sein, eines Raum. Das ist ein Apartheid-Regime, für SCHEN RUNDSCHAU zu lesen. steht fest: vermutlich würde Israel ohne das es keinerlei Rechtfertigung gibt.“ Mag Fortsetzung Seite 2 2 WELT № 10 (26) Oktober 2016 JÜDISCHE RUNDSCHAU Tränen in den Augen – Wut im Bauch Zum Tode von Schimon Peres „In vier Jahren der schrecklichsten der UN-Menschenrechtskommission les dafür tun, dass der jüdische Staat wie kaum jemand sonst dennoch vehe- Gewalt in Syrien, haben mehr als eine 57 Verurteilungen gegen Israel. Ha- vernichtet wird. Denn sie meinen es ment für den Frieden zwischen Juden Viertelmillion Menschen ihr Leben mas, Islamische Dschihad, Boko Ha- zumindest ehrlich. und Arabern ein. Die Erfüllung dieses verloren. Das ist mehr als das Zehnfa- ram, Hisbollah standen nie am Pran- Ob als oberster Waffenbeschaffer des Traumes war ihm zu seinen Lebzeiten che, mehr als zehn Mal so viele wie Is- ger, der sogenannte Islamische Staat jungen jüdischen Staates, Gründer des nicht vergönnt. Denn zum Frieden ge- raelis und Palästinenser, die ihr Leben einmal, und Iran in ganzen 4 Fällen. israelischen Atomprogramms oder als hören bekanntlich immer zwei. in einem ganzen Jahrhundert unseres Versteht man das bei der UN unter Friedenstifter und Vermittler zwischen „Die Araber verlangen gar nichts Konflikts verloren haben. Dennoch Verhältnismäßigkeit? den Welten – hatte der letzte alte Mann von Israel – außer seiner totalen Ver- verabschiedete diese Versammlung Wie soll ich bei so viel Heuchelei aus den Gründerjahren stets nur ein nichtung“, hat Schimon Peres einmal im vergangenen Jahr zwanzig Resolu- und Verlogenheit keine Magenkrämp- Ziel: das Beste für Israel zu erreichen. gesagt. Daran hat sich bis heute nicht tionen gegen Israel, aber nur eine zum fe bekommen? Mir persönlich sind die Mit Waffen und Worten. „Den Frieden viel geändert. Und so sind meine Trä- wilden Schlachten in Syrien.“ – be- Araber, die Schimon Peres verflucht kann man mit leeren Worten nicht ge- nen inzwischen vertrocknet, aber mei- klagte sich Bibi Netanjahu bei seiner und nach seinem Ableben Freuden- winnen, so wie man keinen Krieg ohne ne Wut bleibt. Solange bis die Welt es letztjährigen Rede vor der UN-Voll- tänze veranstaltet haben, erheblich Kanonen gewinnt.“ – lautete einer sei- endlich begreift, dass sie sich um le- versammlung.