Nº33 bwv 102 «herr, deine augen sehen nach dem glauben»

bwv 228 «fürchte dich nicht» «lamento sopra la morte ferdinandi III», johann heinrich schmelzer «fürchte dich nicht», johann christoph bach

bwv 69a «lobe den herrn, meine seele» BWV 102 «Herr, deine Augen sehen nach dem Glauben» 01 1. Chor – herr, deine augen sehen nach dem glauben...... 05:46 02 2. Rezitativ (Bass) - wo ist das ebenbild, das gott uns eingepräget...... 00:59 03 3. Arie (Alt) – weh der seele, die den schaden nicht mehr kennt...... 05:13 04 4. Arioso (Bass) – verachtest du den reichtum seiner gnade...... 02:51 05 5. Arie (Tenor) – erschrecke doch, du allzu sichre seele...... 03:40 06 6. Rezitativ (Alt) – bei warten ist gefahr...... 01:13 07 7. Choral – heut lebst du, heut bekehre dich...... 02:41 ...... 22:26

Johann Sebastian Bach 08 Motette «Fürchte dich nicht», BWV 228...... 09:03

Johann Heinrich Schmelzer 09 Lamento sopra la morte Ferdinandi III...... 06:50

Johann Christoph Bach 10 Motette «Fürchte dich nicht»...... 05:46

2 (1685–1750) j.s. bach-stiftung st.gallen (schweiz), www.bachstiftung.ch BWV 69a «Lobe den Herrn, meine Seele» 11 1. Chor – lobe den herrn, meine seele...... 05:13 12 2. Rezitativ (Sopran) – ach, daß ich tausend zungen hätte...... 00:56 13 3. Arie (Tenor) – meine seele, auf, erzähle...... 05:50 14 4. Rezitativ (Alt) – gedenk ich nur zurück...... 01:26 15 5. Arie (Bass) – mein erlöser und erhalter...... 03:06 16 6. Choral – was gott tut, das ist wohlgetan...... 00:56 ...... 17:30

Liveaufnahmen BWV 102...... 23. August 2019, Kirche St. Mangen (SG), Schweiz BWV 228 und die Stücke von J. H. Schmelzer und J. Chr. Bach ������������������������������������������������������������������������22. November 2019, Ev. Kirche Trogen (AR), Schweiz BWV 69a...... 25. August 2017, Ev. Kirche Trogen (AR), Schweiz

j.s. bach-stiftung st.gallen (schweiz), www.bachstiftung.ch 3 das aufführungsprojekt der j. s. bach-stiftung: eine leben­ dige werkpoetik jenseits von systematik und chronologie Anselm Hartinger

Eine Gesamtdarbietung sämtlicher Bachkanta­ werken wie Facebook und Youtube. Dank die- ten, realisiert von der Ostschweiz aus und do- ser Online-Aktivitäten ist es der J.S. Bach-Stif- kumentiert in Live-Einspielungen mit variabler tung gelungen, eine Fangemeinde aufzubauen, Zusammenstellung ohne thematische Klam- die sich über die ganze Welt erstreckt. mer? Chor & Orchester der J. S. Bach-Stiftung, die Unsere CD-Edition verfolgt in der Tat einen unter der Leitung von Rudolf Lutz auftreten, ungewöhnlichen Weg, der eng mit der Auffüh­ bestehen aus Berufsmusikern aus der ganzen rungstätigkeit der J. S. Bach-Stiftung St. Gallen Schweiz, Deutschland und Österreich, die in verbunden ist. Diese 2006 vom Unternehmer der historischen Musizierpraxis zu Hause sind Dr. Konrad Hummler gegründete Stiftung be- und diese undogmatisch in den Dienst einer zweckt die Verbreitung des Vokalwerks von modernen und vitalen Interpretation stellen. Bach samt seiner Aufzeichnung in Bild und Ton. Das Orchester verfügt über zwei verschiedene Mit einem Rhythmus von einer Kantate pro Stammbesetzungen, die je nach Erfordernis Monat dürfte das Vorhaben 2027 seinen Ab- der Werke ergänzt werden. schluss finden. Von zentraler Bedeutung für Das unverwechselbare Konzertformat der die J.S. Bach-Stiftung ist die Verbreitung mit- J. S. Bach-Stiftung beruht auf einer theologisch- hilfe der 2019 lancierten Plattform Bachipedia musikalischen Werkeinführung mit Rudolf (www.bachipedia.org) und auf sozialen Netz- Lutz und den Theologen Karl Graf (bis April

4 2018) und Niklaus Peter (seit August 2018) und das erklärte Ziel, den neben den bekannten einer doppelten Kantatenaufführung mit einer Passionen sowie wenigen zugkräftigen Einzel­ eingeschalteten Reflexion über den Kantaten- werken kaum bekannten Schatz der Bach’schen text. Während die Werkeinführungen musik­ Kirchenkantaten umfassend zu heben und mit ana­­lytischer Natur sind, versuchen die Refe- modernen medialen Vermittlungsformen für renten – Persönlichkeiten mit verschiedensten neue Hörerschichten und ganz besonders die kulturellen, wirtschaftlichen oder politischen nächsten Generationen zu erschliessen. Dies be- Hintergründen – jeweils, den Kantatentext deutet zunächst, die verlorene Einbettung der aus subjektiver und dezidiert heutiger Sicht zu Kantaten in ein seit dem 18. Jahrhundert nicht beleuchten. Die einzeln veröffentlichten DVDs der länger existentes gottesdienstliches Konzept fortlaufenden Kantatenreihe enthalten jeweils­ der wechselseitigen Beleuchtung von Liturgie, einen gesamten Konzertabend samt Werkein- Lesetexten und «Hauptmusik» (Kantate) nicht führung und Reflexion. Auf den mehrmals im im Sinne einer musealen Rekonstruktion wie- Jahr erscheinenden CD-Editionen­ sind hinge- derherzustellen, sondern nach innovativen gen ausgewählte Höhepunkte der Auffüh- Formen einer wirkungsvollen wie würdigen rungstätigkeit zusammengestellt, die an die Präsentation dieser Meisterwerke zu suchen. Stelle äusserlicher Ordnungskriterien musikali- Dem dient eine ungewöhnlich differenzierte sche Resonanzen und spannungsvolle Werk- Herangehensweise, die für jedes Einzelwerk die kontraste setzen. angemessene Interpretation und Besetzung Hinter dem Konzept der J. S. Bach-Stiftung erarbeitet und dabei auch die quellenmässig steht der Wunsch nach einer zeitgemässen An­ offenen Fragen und belegbaren Alternativfas- näherung an das heute weder im Gottesdienst sungen und Umsetzungsvarianten offensiv noch im Konzertsaal wirklich heimische Kan- angeht und einbezieht. Voraussetzung dafür tatenœuvre des grossen Thomaskantors. Es ist ist ein ebenso wertschätzender wie souveräner

5 Umgang mit dem musikalischen Material, der Weg der gesprächsweisen Neuaneignung in die starre Treue zu einem vermeintlichen Urtext Reflexionen und Workshops werden sie zu- durch das Bemühen um eine lebendige Klang- gleich in bewusst kontroverser Weise für heute rede als bestmögliche Umsetzung des Textes aktualisiert und zur Diskussion gestellt. ersetzt. An die Stelle von wissenschaftlichen­ Wie die Aufführungsreihe generell die Rolle Dogmen und marktgängigen Standardisierun­ des komponierenden Musikers Bach betont gen tritt die Suche nach im Variantenreichtum und die Ausführenden sich eher als neugierige der barocken Aufführungspraxis angelegten Werkzeuge des Stückkonzepts denn als deu- und für die konkrete Aufführungssituation je- tende Interpreten im romantischen Sinne ver- weils überzeugenden Lösungen, wobei ein stehen, so soll auch jede unserer Kantaten- Schwerpunkt auf einer selbstbewussten und kompilationen für sich selbst reden. Daraus präsenten Continuoausführung liegt, die viel resultiert ein natürlicher Spannungsbogen, der mit der improvisationsbasierten Herangehens­ die grossen und bekannten Kantaten ebenso weise des Aufführungsleiters­ Rudolf Lutz zu wie die kleineren Schätze ins rechte Licht tun hat. Sie verdankt ebenso wie die spezifische setzt. Die in den Booklets beigegebenen Kom- Darbietungskultur des Vokalensembles und mentare lenken das Augenmerk auf Beson- Orchesters dem Ausbildungsstandard der re- derheiten der Bach’schen Kompositions- und nommierten Schola Cantorum Basiliensis Ent- Vertonungskunst, während die Gespräche mit scheidendes. Rudolf Lutz den analytischen Hintergründen Diese musikalischen Kompetenzen flies- der Zusammenstellung Nachdruck verleihen. sen in ein Gesamtkonzept ein, das die lange geschmähten barocken Kantatenlibretti in ihrer poetischen Qualität und theologischen Inspi- rationskraft für Bach ernst nimmt. Auf dem

6 7 die sechs «marx’schen kantaten» von 1830 und das bachbild des 19. jahrhunderts Anselm Hartinger

Unser heutiges Bachbild beruht auf einer unter mit BWV 71 nur eine einzige Kantate ständig verfeinerten Kenntnis seines über- aus seiner Mühlhäuser Frühzeit. Und da auch lieferten Œuvres und seiner rekonstruierba- in Bachs Schülerkreis nach 1750 die Tasten- ren Lebensumstände – und bleibt dennoch spieler dominierten, wurde seine Rezeption vielfach den Wahrnehmungsmustern seiner weitgehend von der Orgelkunst sowie den Wiederentdeckung im romantischen Zeit­ Präludien und Fugen des «Wohltemperier- alter verpflichtet. Langlebige Klischees des ten Klaviers» bestimmt – seit der Erstausga- «bescheidenen Kirchenmannes» und «welt- be von 1802/03 ergänzt durch die nunmehr fremden Orgelspielers» rühren ebenso daher, als A-cappella-Kompositionen verstandenen wie sich die tradierte analytische Fokussierung Motetten. Weder im gottesdienstlichen Le- auf Fuge und Kontrapunkt sowie die auffüh- ben präsent noch in Druckausgaben verfüg- rungspraktische Dominanz grossbesetzter bar waren hingegen bis weit ins 19. Jahrhun- Chorsätze und instrumental bestimmter dert die Kantaten und Passionen – umso Klangvorstellungen wesentlich der selektiven mehr mussten einzelne Editionsvorhaben Repertoireaneignung und begrenzten Verfüg- das klingende Bild des Thomaskantors be- barkeit seiner Werke vor 1900 verdanken. stimmen. In diesem Sinne bestärkte der 1821 Tatsächlich beförderte Bach kaum eines vorgelegte Erstdruck der Kantate «Ein feste seiner Werke zu Lebzeiten zum Druck – dar- Burg» (BWV 80) den Eindruck einer von

8 Bach angeführten «tönenden Phalanx des gehe nicht ins Gericht» (BWV 105) gehörten Protestantismus», was durch die Verkür- vier von sechs Kantaten dem Themenkreis zung der Kantate auf die Tuttisätze in den von Busse, Todesfurcht und göttlicher Straf- darauf gestützten Darbietungen nochmals drohung an. Der die Ausgabe beschliessende zugespitzt wurde. Actus tragicus «Gottes Zeit» (BWV 106) war Die 1830 von dem Berliner Publizisten, sogar ein Begräbnisstück; einzig die 1724 zum Komponisten und Jugendfreund Mendels- Sonntag Misericordias komponierte Kantate sohns, Adolph Bernhard Marx (1795–1866), «Du Hirte Israel, höre» (BWV 104) bildet in in zwei Bänden als «Kirchen-Musik von Joh. Text und Musik lichtere Züge aus. Sebastian Bach» vorgelegten sechs Kantaten Welche Leitfunktion diese bei Simrock in prägten darum auf Jahrzehnte hinaus das Bonn als Partitur, Klavierauszug und Chor- verfügbare Repertoire an Bach’schen Sakral- partitur gedruckte Ausgabe angesichts sonst stücken. Die überwiegend nach Berliner mühsam zu erstellender Aufführungsmate- handschriftlichen Quellen erstellte Edition, rialien entfaltete, wird nicht nur durch die die auf den Bedarf der neuen Singakademien dominierende Rolle dieser sechs Kantaten mit ihren ambitionierten Laiensängern bei- im Umfeld Mendelssohns sowie im Bachdis- derlei Geschlechtes zielte, präferierte in ih- kurs der Zeit belegt, sondern auch durch den rer Auswahl den ernsten und endzeitlichen Umstand verdeutlicht, dass selbst Thomas- Zug der Bach’schen Musik – mit «Nimm von kantor Moritz Hauptmann seine 1843 wieder uns, Herr, du treuer Gott» (BWV 101; in der beginnenden Bachaufführungen in der Leip- Ausgabe als «Litanei von Martin Luther» be- ziger Stadtkirchenmusik fast ausschliesslich zeichnet), «Herr, deine Augen sehen nach auf diese (überdies noch drastisch gekürz- dem Glauben» (BWV 102), «Ihr werdet wei- ten) Kantaten gründete, obwohl er in seiner nen und heulen» (BWV 103) sowie «Herr, Thomasschule auf die seit 1750 dort befindli-

9 chen Originalstimmensätze des Bach’schen Choraljahrgangs hätte zurückgreifen kön- nen. Von einer bei Bach noch selbstverständ- lichen Beziehung der Kantaten auf das Evan- gelium des jeweiligen Sonntags war dabei keine Rede mehr; BWV 104 etwa wurde von Hauptmann auch zu Weihnachten und Os- tern aufgeführt, der Actus tragicus gar als Passionsersatz. Marx’ Edition gehört so zwar zu den ver- dienstvollen Bachbemühungen des 19. Jahr- hunderts, seine Hoffnung allerdings, die Kantatenauswahl könne «für den Gottesdienst in der evangelischen Kirche … von der aus- gebreitetsten Anwendbarkeit» sein, sollte sich nicht erfüllen. Dass der Verleger Simrock seiner Ankündigung die durchschaubar ver- kaufsorientierte Fehleinschätzung zugrun- de legte, «die Besetzung und Ausführung dieser Kantaten ist sehr leicht, und man wird mit gutem Muth und Eifer ohne grosse Mühe die grössten Meistersätze gut singen lernen», mag ihren Teil dazu beigetragen haben.

10 anselm hartinger im gespräch mit rudolf lutz

anselm hartinger: Dass Komponisten die Ton- emotionale Ladung der g-Moll-Tonalität, die arten ihrer Werke planvoll auswählen, darf je nach Einsatzgebiet unterschiedlich ausfal- man annehmen. Wie aber steht es da bei Bach, len kann. In der Kantate BWV 102 spüren wir was ist dir in der Analyse und Aufführungs- ebenso wie im «Deposuit» der Es-Dur-Früh- situation aufgefallen? fassung des Magnificat sowie der Orgel­ fantasie BWV 542 Pathos und Heftigkeit; g-Moll rudolf lutz: Tonarten bei Bach sind ein viel- kann aber auch verschattet tragische Stim- schichtiges und spannendes Thema. Dabei mungen freisetzen. B-Dur evoziert gedämpf- geht es sowohl darum, welche Tonart er wählt, te Helle und Gelassenheit, E-Dur hingegen als auch um die Frage, wie er sich in diesen hochgespannte Freude. Je mehr Vorzeichen Tonarten dann entwickelnd bewegt. es gibt, umso eindeutiger scheint mir der ge- Zunächst einmal ist Bach ein exemplari- meinte Affektbereich hervorzutreten – die sches Beispiel für eine klug affektbezogene Randbereiche des Tonartenzirkels entspre- Tonartenwahl, für die es im Barock ja eine chen so den Grenzzonen der Empfindung, von einzelnen Autoren auch ausformulierte, wobei fis-Moll eine Art Übergangszone be- in jedem Fall aber praktisch verbindliche schreiben könnte. Generell stehen die B-Ton- Charakteristik gab. Ich denke an die noch für arten auch im Moll-Bereich eher für leidende einen Brahms prägende Schwere des c-Moll, Betrübnis, während den «gekreuzten» Affekte etwa in Bachs Passacaglia, aber auch an die der aktiven Zerknirschung und Verzweiflung

11 zugeordnet sind. Strategische Neuüberlegun- den textbezogenen Kantaten kann man jedoch gen können natürlich die Tonartencharakte- genau studieren, welches Mass an Heftigkeit ristik zuweilen auch aushebeln – etwa wenn einer modulatorischen Bewegung innewohnt; Bach den figurierten Choral «O Mensch, be- Bach trifft hier permanent Entscheidungen, wein dein Sünde groß» beim Übergang von die manchmal erwartbar sind, nicht selten aber der Johannes- zur Matthäuspassion von Es- auch verblüffen. Dabei hat jede Tonart spezi- Dur nach E-Dur rückt oder wenn das Magni- fische Haupt- und Nebenfreunde, die ihr von ficat auch mit Blick auf die Trompeten nach Natur aus näher oder ferner stehen. Ich würde D-Dur versetzt wird. das mit Zimmern und Etagen in einem mehr- Ich habe den Eindruck, dass Bach seine stöckigen Gebäude vergleichen. Bach kennt die Kom­positionsarbeit in der Regel mit den Ein- Wege zu all diesen Zimmern, und er agiert dabei gangssätzen beginnt und er hier dann auch wie ein inspirierter Schlossführer, der genau die affektmässige Grundentscheidung trifft; weiss, wie er Spannung hineintragen kann und bei den Schlusschorälen der Kantaten – die ja welche Stimmung jedem Raum angemessen öfters nicht zum tonalen Ausgangspunkt zu- ist. Ein Aufstieg zur lichtdurchfluteten Do- rückkehren – geht es dann eher um die ge- minante bringt Helligkeit und Ausblick; ein wünschte Lage und Höhe des Liedsatzes, die ja verfrühter Abstieg zur Subdominante kann über die emotionale Wirkung mitentscheidet. hingegen den gemütlichen Weinkeller in einen Was mich aber ganz besonders interes- staubigen Kohlenbunker oder gar ein finste- siert, sind die harmonischen Verläufe inner- res Verliess verwandeln. Die von Bach meis- halb einer gewählten Tonart. Es gibt stärker terlich beherrschte Enharmonik funktioniert schematisierte Gattungen wie etwa Concerti, dabei wie ein Dietrich, mit dessen Hilfe man die mit ihrer strukturellen Weiträumigkeit aus- durch verborgene Türen plötzlich in fernlie- geglichenen Landschaften ähneln. Vor allem in gende Gemächer gelangen kann.

12 Ein eigenes Feld sind die Rezitative, die im Grunde gar keine Tonart haben und bei Bach häufig dissonant einsetzen. Sie sind ge- wissermassen Transitstrecken, die den Über­ gang hin zum stabileren Feld einer folgen- den Arie organisieren. Da in ihnen in der Regel die entscheidenden Debatten und Selbstbe- fragungen ausgetragen werden, müssen sie sich zuweilen durch heftige Gewitter hin- durchkämpfen, die einen unendlich reich- haltigen Analysestoff hergeben.

13 HERR, DE 01 1. Chor »Herr, deine Augen sehen nach dem Glauben! INE AUG Du schlägest sie, aber sie fühlens nicht; EN SEHEN du plagest sie, aber sie bessern sich nicht. Sie haben ein härter Angesicht denn ein NACH Fels und wollen sich nicht bekehren.« DEM GLA 02 2. Rezitativ — Bass Wo ist das Ebenbild, das Gott uns eingepräget, UBEN wenn der verkehrte Will sich ihm zuwider leget? BWV 102 Wo ist die Kraft von seinem Wort, Kantate zum 10. Sonntag wenn alle Besserung weicht aus dem Herzen fort? nach Trinitatis Der Höchste suchet uns durch Sanftmut zwar zu zähmen, Textdichter ob der verirrte Geist sich wollte noch bequemen; Jeremia 5, 3 (Satz 1); doch, fährt er fort in dem verstockten Sinn, Römerbrief 2, 4–5 (Satz 4); so gibt er ihn ins Herzens Dünkel hin. Johann Heermann (Satz 7); Anonym (Sätze 2, 3, 5, 6; 03 3. Arie — Alt Herzog Ernst-Ludwig Weh der Seele, die den Schaden von Sachsen-Meiningen) nicht mehr kennt und, die Straf auf sich zu laden, Erstmalige Aufführung störrig rennt, 25. August 1726, Leipzig ja von ihres Gottes Gnaden Selbst sich trennt. 14 04 4. Arioso — Bass Der Gott, der ehmals gnädig war, »Verachtest du den Reichtum seiner Gnade, kann leichtlich dich vor seinen Richtstuhl Geduld und Langmütigkeit? führen. Weißest du nicht, daß dich Gottes Wo bleibt sodann die Buß? Güte zur Buße locket? Es ist ein Augenblick, Du aber nach deinem verstockten der Zeit und Ewigkeit, und unbußfertigen Herzen häufest dir der Leib und Seele scheidet; selbst den Zorn auf den Tag des Zorns verblendter Sinn, ach kehre doch zurück, und der Offenbarung des gerechten daß dich dieselbe Stund nicht finde Gerichts Gottes.« unbereitet!

05 5. Arie — Tenor 07 7. Choral Erschrecke doch, Heut lebst du, heut bekehre dich! du allzu sichre Seele! Eh morgen kömmt, kanns ändern sich; Denk, was dich würdig zähle wer heut ist frisch, gesund und rot, der Sünden Joch. ist morgen krank, ja wohl gar tot. Die Gottes Langmut geht auf einem So du nun stirbest ohne Buß, Fuß von Blei, dein Leib und Seel dort brennen muß. damit der Zorn hernach dir desto Hilf, o Herr Jesu, hilf du mir, schwerer sei. daß ich noch heute komm zu dir und Buße tu den Augenblick, 06 6. Rezitativ — Alt eh mich der schnelle Tod hinrück, Bei Warten ist Gefahr; auf daß ich heut und jederzeit willt du die Zeit verlieren? zu meiner Heimfahrt sei bereit.

15 Solisten Sopran...... Ulrike Hofbauer Alt...... Margot Oitzinger Tenor...... Raphael Höhn Bass...... Matthias Helm

Orchester der J. S. Bach-Stiftung Violine...... Renate Steinmann, Monika Baer Viola...... Susanna Hefti Violoncello...... Martin Zeller Violone...... Markus Bernhard Traversflöte...... Tomoko Mukoyama Oboe...... Andreas Helm, Ingo Müller Fagott...... Susann Landert Orgel...... Nicola Cumer

Leitung & Cembalo ...... Rudolf Lutz

16 17 einführung zur kantate bwv 102 «herr, deine augen sehen nach dem glauben» Anselm Hartinger

Die Kantate BWV 102 gehört zu jenem Jahr- Erstdrucks von Adolf Bernhard Marx 1830 gang von 1726, der auf Dichtungen des Mei- wurde und so für manche Quellenprobleme ninger Herzogs Ernst Ludwig zurückgeht bei Bach im 19. Jahrhundert steht. und auch Kompositionen von Bachs dortigem Der Orchestersatz des Eingangschores ver- Verwandten Johann Ludwig Bach einbezog. knüpft im Wechselspiel von Streichern und Gemeinsam ist diesem Typus, dass die Kan- Oboen elegische Grundierung und federnde taten je von einem Dictum aus dem Alten Stringenz. Das Vorspiel kulminiert in krei- und Neuen Testament ausgehen, was am senden Repetitionen, die in eine Tutti-Invo- 10. Sonntag nach Trinitatis mit seinem Evan- kation «Herr» leiten, aus der sich im Alt die gelium von der Zerstörung Jerusalems (Lk 19, eindringliche «Deine Augen 41–48) eine besonders düstere Aura herauf- sehen nach dem Glauben» herausschält. Nach beschwor. Da Bach drei Sätze daraus als Par- einer abgewandelten Wiederholung dieses odievorlagen für seine Messen in F-Dur und Ablaufs werden die nächsten Textglieder – g-Moll (BWV 233/235) heranzog, dürfte er das abgerissene «Du schlägest sie» und das diese Kantate besonders wertgeschätzt ha- dem Bass anvertraute «Aber sie fühlen es ben. Zudem ist eine von seinem Sohn Carl nicht» – in den konzertanten Drive eingefügt. Philipp Emanuel in Hamburg bearbeitete Eine Ritornell-Passage mündet in eine schein- Fassung überliefert, die zur Grundlage des bar neue Musik, die jedoch aus dem Motiv

18 «Du schlägest sie» abgeleitet wurde und jetzt traulich wirkt, obwohl die vom Verlust des als Vokalfuge mit bogenförmiger Themen- Göttlichen im dünkelhaften Menschendasein gestalt und getupften Oboenschlägen daher- redende Selbstbefragung schonungslos bleibt. kommt. Nachdem die über eine Stimmpaar- Die Arie Nr. 3 gibt sich als f-Moll-Lamento, Passage angesteuerte Wiederkehr des A-Teils das als nahezu stillstehendes «Adagio»-Trio («Herr, deine Augen») aufgrund ihres brem- von Oboe, Alt und Continuo der Klage über senden Orgelpunkts trügerische Schlusswir- die unbussfertigen Seelen Ausdruck ver- kung suggeriert hat, lässt Bach eine neuerliche leiht. Bereits der erste Einsatz beider Ober- Fuge über das noch fehlende Textglied «Sie stimmen ist heftig dissonant; die Continuo- haben ein härter Angesicht» folgen, die in ihrer stimme besteht fast nur aus Seufzerketten. planvollen Kontrapunktik und textdeutenden Der Mittelteil («und die Straf auf sich zu la- Strenge schulmässig fugenartig wirkt. Da sich den») beginnt energischer, lässt jedoch in die harmonischen Härten des Themas unbarm- den melodischen Abrissen und greulich ge- herzig durch die Stimmen ziehen, berührt die weiteten Sprüngen das «von Gott getrennt Musik schmerzlichste Affektbereiche, ehe das sein» derart «störrig» hervortreten, dass nicht Orchester die diesmal echte Reprise einläutet. wenige Kirchenbesucher am Ohr und Ver- Dieser in jeder Hinsicht reife Kantatenchor stand ihres Kantors gezweifelt haben mögen – gerät gerade in solistischer Chorbesetzung insbesondere wenn man die nicht gleich- unglaublich schillernd und zwingend; ange- schwebende Stimmung der im hohen Chorton sichts solchen Ringens um die irrenden Welt­ stehenden Orgel einrechnet, die ein transpo- kinder wirkt der plötzliche Dur-Schluss auf niertes Akkordspiel im kaum erträglichen «Glauben» wie eine unwirkliche Epiphanie. es-Moll verlangte. Es folgt ein nach B-Dur versetztes Bassre- Nach dieser düsteren Szene mobilisiert das zitativ, das nach dem kolossalen Eingang zu- nach Es-Dur gerückte Arioso für Bass, Strei-

19 cher und Continuo dank der tänzerischen der Tonart durch eine bewegliche Flötenkan-

3⁄8-Bewegung einige Leichtigkeit, obwohl der tilene über einer Basslinie gemildert wird, die Satz motivisch dicht gearbeitet ist und der durch den Zusatz «piano sempre e staccato» von Bach feinsinnig als Folge von Fragen delikat gestaltet werden soll. Spätestens beim präsentierte Text an einer vorwurfsvollen Einsatz der Tenorstimme stürzt jedoch er- Haltung festhält: «Verachtest du den Reich- neut ein Terror der Drohungen auf die «allzu tum seiner Gnade, Geduld und Langmütig- sichre» Seele ein, wobei das «Erschrecken» keit?» Wie in einem Dialog mit verteilten in bildhaften Abreissungen gezeichnet wird Rollen wird danach mit Güte zur Umkehr und auch die Gestik der Flötenstimme sich geworben, wobei das zur «Buße locken» mo- in den Intervallen verhärtet. Die schwer ver- tivisch dem «Du schlägest sie» des Eingang- ständliche Passage «Denk, was dich würdig schores verdächtig nahe steht. Nach einer zähle der Sünden Joch» meint offenbar die weiteren rhetorischen Pause scheint dann Aufforderung, durch tätige Reue in Gottes der Stab endgültig gebrochen – doch ge- Augen zu bestehen – das verstörende poeti- währt die Rückkehr des Eingangsteils dem sche Bild, dass Gottes Langmütigkeit mit ei- Sünder eine letzte Frist, die der nun über- nem «Fuß von Blei» gehe, «damit der Zorn nehmende Sonntagsprediger gewiss wort- hernach dir desto schwerer sei», evoziert lange mächtig ausdeutete. Dass Bach in seinem vor allen Bremspedalen das furchterregende überzeichneten Arioso möglicherweise die Potential entfesselter himmlischer Räumpan- Karikatur eines allzu selbstgerechten Kan- zer. zelpolterers vorlegte, lässt sich dem Hörein- Auch das Rezitativ Nr. 6 ist in trübes c-Moll druck nach keineswegs ausschliessen. getaucht. Kaum wird eine haltende Stütze Der zweite Kantatenteil beginnt wieder- greifbar; zum paarigen Trauerläuten der um mit einer g-Moll-Arie, wobei das Pathos Oboen spricht der Alt davon, wie rasch die

20 Zeit der Busse der unvorbereiteten Todes- stunde weichen kann. Und selbst der exquisit harmonisierte Schlusschoral führt dieses «Heu- te noch» mit totentanzartigen Bildern fort; selbst der Verweis auf Jesus als helfenden Grund aller Busse vermag in der zweiten Strophe die Szenerie nur wenig aufzuhellen. Wenn es das Ziel vormoderner Theologie war, einen ohnehin geängsteten Menschen voll- ständig zu brechen, dann scheint es hier er- reicht – wirkt doch das gesamte Libretto der Kantate «Herr, deine Augen» wie ein peini- gendes Verhör durch gleich drei allwissende Kriminalbeamte. Dass selbst die grössten Bachfreunde des 19. Jahrhunderts so etwas angesichts der «herrlichen Musik» als «ver- ruchte deutsche Kirchentexte» (Zelter) emp- fanden, kann man ihnen nur bedingt ver- übeln.

21 FURCHTE 08 Johann Sebastian Bach DICH NI Motette «Fürchte dich nicht», BWV 228 CHT Fürchte dich nicht, ich bin bei dir, weiche nicht, denn ich bin dein Gott! Ich stärke dich, ich helfe dir auch, ich erhalte dich durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit.

Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöset, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein. Fürchte dich nicht, du bist mein!

BWV 228 Herr, mein Hirt, Brunn aller Freuden, Motette du bist mein, ich bin dein, niemand kann uns scheiden. Textdichter Ich bin dein, weil du dein Leben Jesaja; Paul Gerhardt (1653) und dein Blut mir zugut in den Tod gegeben. Erstmalige Aufführung Du bist mein, weil ich dich fasse Ungesichert; womöglich und dich nicht, o mein Licht, 4. Februar 1726, Leipzig aus dem Herzen lasse. (zur Beerdigung von Laß mich, laß mich hingelangen, Susanna Sophia Winckler) da du mich und ich dich lieblich werd umfangen. 22 09 Johann Heinrich Schmelzer 10 Johann Christoph Bach «Lamento sopra la morte Ferdinandi III» Motette «Fürchte dich nicht»

Fürchte dich nicht, denn ich hab‘ dich erlöst, ich hab‘ dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein. Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.

O Jesu du, mein Hilf und Ruh, ich bitte dich mit Tränen: Hilf, dass ich mich bis ins Grab nach dir möge sehnen.

23 Chor der J. S. Bach-Stiftung Sopran...... Lia Andres, Felicitas Erb, Simone Schwark, Noëmi Sohn Nad, ���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������Alexa Vogel, Mirjam Wernli Alt...... Laura Binggeli, Antonia Frey, Liliana Lafranchi, Damaris Rickhaus, ������������������������������������������������������������������������������������������������������������ Simon Savoy, Lea Pfister-Scherer Tenor...... Zacharie Fogal, Raphael Höhn, Tobias Mäthger, Sören Richter, �������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� Nicolas Savoy, Walter Siegel Bass...... Fabrice Hayoz, Grégoire May, Daniel Pérez, Retus Pfister, Jonathan Sells, Tobias Wicky

Orchester der J. S. Bach-Stiftung Violine...... Eva Borhi, Peter Barczi Viola...... Matthias Jäggi Violoncello...... Maya Amrein Violone...... Markus Bernhard Oboe...... Katharina Arfken, Philipp Wagner Taille...... José Manuel Cuadrado Sánchez Fagott...... Susann Landert Cembalo...... Jörg-Andreas Bötticher Orgel...... Nicola Cumer

Leitung ...... Rudolf Lutz

24 einführung zur motette bwv 228 «fürchte dich nicht» Anselm Hartinger

Der Entstehungsanlass der Motette «Fürchte und Klaus Hofmanns zufolge aber fraglich. dich nicht» BWV 228 ist nicht gesichert. Im In ihrer auf achtstimmigen Doppelchor und Unterschied zu den für den Leipziger Gottes­ simultane Behandlung von Spruchtext und diensteingang und das Kurrende-Singen der Kirchenlied gestützten Faktur steht die Mo- Thomaner bestimmten Motetten und Hymnen tette in der für Bach prägenden Thüringer des altehrwürdigen «Florilegium portense» Tradition. Dass der Singchor durch Streicher (1603–1621) waren Bachs neue Motetten Ge- und Holzbläser verstärkt wurde, lässt sich auf­ legenheitswerke, die wohl überwiegend mit grund der auf Partiturabschriften begrenzten Trauerfeiern zu tun hatten – ohne dass sich Überlieferung nicht beweisen; doch öffnet dies mit Ausnahme von «Der Geist hilft un- diese für BWV 226 und weitere Parallelstücke ser Schwachheit auf» BWV 226 (1729; zum belegte Praxis eine Tür für die von Rudolf Begräbnis des Schulrektors Ernesti) bisher Lutz eingerichtete Fassung, die sich überdies konkretisieren liess. Eine Beziehung zum auf Spuren einer Generalbassbegleitung im Begräbnis der Leipziger Patrizierin Susanna Chorbass stützen kann. Die dem Cembalo Sophia Winckler (1726) wurde aufgrund der übertragene Intonation haucht dabei der alten Gemeinsamkeit von Motettentext und Lei- Idee Arnold Scherings, die in den Leipziger chenpredigt (Jesaja 43, 1) lange angenommen, Kirchen vorhandenen und in den Kantaten- bleibt neueren Recherchen Daniel Melameds aufführungen nur ausnahmsweise geforder-

25 ten Cembali seien für die Motettenbegleitung dich nicht» folgt der Umschlag in den zweiten bestimmt gewesen, unerwartetes Leben ein… Werkteil, der beide Chöre zu einer vierstim- Die Motette beginnt mit einem von bei- migen Einheit verschmilzt. Mit dieser Kon- den Bässen angestossenen Dialog, der die zentration korrespondiert eine Ausweitung Zusage «Fürchte dich nicht» mit einer motivi- der satztechnischen Kunst, da Bach eine aus- schen Energie versieht, die das gesamte Stück gedehnte Doppelfuge der drei Unterstim- über anhält und zweimal rahmend wieder- men («Denn ich habe dich erlöset, ich habe kehrt. Dieser gestische Zuspruch ist auch dem dich bei deinem Namen gerufen») mit dem Eingangsmotiv selbst eingeschrieben, des- zeilenweisen Vortrag der Choralstrophen sen engschrittiger Nachsatz «Ich bin bei dir» «Herr, mein Hirt, Brunn aller Freuden» und wie eine Antwort auf die vom Tonsprung «Du bist mein, weil ich dich fasse» im Sopran «nicht» ausgelöste Frage wirkt. kombiniert. Diese Verbindung von meditati- Nach dichten Chorwechseln über «Wei- ver Ruhe und polyphoner Beweglichkeit che nicht, denn ich bin dein Gott» triumphal kulminiert in einer achtstimmigen Schluss- einsetzend und daher noch heute bei den gruppe, die trotz ihrer Kürze die Kernbot- grossen Thomanern äusserst beliebt ist die schaft mit maximaler Trostkraft bekräftigt: durch die Stimmen geführte Koloratur «Ich «Fürchte dich nicht, du bist mein!» stärke dich». Sie geht in ein verhaltenes Kon- Ob Bach das Werk an dieser Stelle mit ei- zertieren über, das den prophetischen Text nem transponierten «B-A-C-H» im ersten Bass wie einen Vorhang erst nach und nach ent- persönlich signiert hat, sei dahingestellt – hüllt und dabei in steter kontrapunktischer welches Geschenk er mit dieser Motette je- Verdichtung zusehends ausschmückt («Ich doch allen künftigen Sängern und Hörern stärke dich, ich helfe dir auch, ich erhalte dich»). machte, wird noch durch eine Leipziger Re- Auf eine neuerliche Akklamation «Fürchte zension von 1837 belegt. Diese beschreibt zu-

26 nächst das aufgrund der grotesk fehlerhaften ich sage dir, heute wirst du mit mir im Para- Komposition eines jungen Nachwuchston- diese sein» (Luk 23, 43) auf eine von Bildern setzers drohende Scheitern der musikalischen des Kreuzesopfers getragene Trauermusik. Vesper in der Thomaskirche, ehe sie Bachs Das für vierstimmiges Streicherconsort be- Motette als wahre Qualitätsmarke hervor- stimmte Lamento des Wiener Geigers und Vi- hebt: «… die Zuhörer verbissen oft Lachen, zekapellmeisters Johann Heinrich Schmelzer oft runzelten sie die Stirn, oft litten sie an (ca. 1623–1680) entstand hingegen als Gedenk­ Ohrenzwang, so dass sie sich gewiss bald stück für den 1657 verstorbenen Kaiser und entfernt hätten, wenn ihnen nicht Vater Bach bedeutenden Musiker Ferdinand III. Im trau­ in den Weg getreten wäre, mit seinem welt- rig-gespannten h-Moll gehalten, ist es mit berühmten Troste: ‹Fürchte dich nicht, ich schmerzlichen Intervallen und redenden Kla- bin bei dir! Denn ich habe dich erlöset.›» getopoi («Trauerläuten») durchsetzt und bil- Dem Umkreis der von Johann Sebastian det dabei einen noblen persönlichen Tonfall Bach gesammelten Kompositionen seiner Vor- aus. Beide Stücke werden auf dieser CD als fahren gehört die fünfstimmige Motette Bonustracks mit eingespielt. «Fürchte dich nicht» seines Eisenacher Onkels Johann Christoph Bach (1642–1703) an – ein Meister, den Bach als «grossen ausdrücken- den Componisten» wertschätzte. Auch sie kombiniert einen Spruchchor mit einem im Diskant angesiedelten Choralvortrag. Diese fünfte Strophe aus Johann Rists Passionslied «O Traurigkeit, o Herzeleid» deutet ebenso wie der verheissende Textschluss «Wahrlich,

27 LOBE 11 1. Chor »Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiß nicht, DEN HE was er dir Gutes getan hat.« RRN, MEI 12 2. Rezitativ — Sopran NE SEELE Ach, daß ich tausend Zungen hätte! Ach wäre doch mein Mund von eitlen Worten leer! Ach, daß ich gar nichts redte, als was zu Gottes Lob gerichtet wär! BWV 69a So machte ich des Höchsten Güte kund; Kantate zum 12. Sonntag denn er hat lebenslang so viel an mir getan, nach Trinitatis daß ich in Ewigkeit ihm nicht verdanken kann.

Textdichter 13 3. Arie — Alt Johann Oswald Knauer, Meine Seele, 1720/1721 auf! erzähle, Textdichter Nr. 1 was dir Gott erwiesen hat. Psalm 103, 2 Rühme seine Wundertat, Textdichter Nr. 6 laß, dem Höchsten zu gefallen, Samuel Rodigast, 1675 ihm ein frohes Danklied schallen.

Erstmalige Aufführung 15. August 1723, Leipzig

28 14 4. Rezitativ — Tenor 16 6. Choral Gedenk ich nur zurück, Was Gott tut, das ist wohlgetan, was du, mein Gott, von zarter Jugend an darbei will ich verbleiben. bis diesen Augenblick Es mag mich auf die rauhe Bahn an mir getan, Not, Tod und Elend treiben: so kann ich deine Wunder, Herr, so wird Gott mich so wenig als die Sterne zählen. ganz väterlich Vor deine Huld, die du an meiner Seelen in seinen Armen halten. noch alle Stunden tust, Drum laß ich ihn nur walten. indem du nie von deiner Liebe ruhst, vermag ich nicht vollkommen Dank zu weihn. Mein Mund ist schwach, die Zunge stumm zu deinem Preis und Ruhm. Ach sei mir nah und sprich dein kräftig Hephata, so wird mein Mund voll Dankens sein!

15 5. Arie — Bass Mein Erlöser und Erhalter, nimm mich stets in Hut und Wacht! Steh mir bei in Kreuz und Leiden, alsdenn singt mein Mund mit Freuden, Gott hat alles wohl gemacht.

29 Solisten Sopran...... Mirjam Berli Altus...... Alex Potter Tenor...... Raphael Höhn Bass...... Dominik Wörner Chor der J. S. Bach-Stiftung Sopran...... Lia Andres, Susanne Seitter, Noëmi Tran-Rediger, Anna Walker, Maria Weber Alt...... Jan Börner, Antonia Frey, Lea Pfister Scherer, Alexandra Rawohl, Damaris Rickhaus Tenor...... Clemens Flämig, Raphael Höhn, Christian Rathgeber, Nicolas Savoy Bass...... Daniel Pérez, Philippe Rayot, Oliver Rudin, Tobias Wicky, William Wood Orchester der J. S. Bach-Stiftung Violine...... Renate Steinmann, Monika Baer, Claire Foltzer, Elisabeth Kohler, ...... Marita Seeger, Salome Zimmermann Viola...... Susanna Hefti, Matthias Jäggi, Martina Zimmermann Violoncello...... Martin Zeller, Hristo Kouzmanov Violone...... Markus Bernhard Flauto dolce...... Annina Stahlberger Tromba...... Lukas Gothszalk, Bruno Fernandes, Alexander Samawicz Timpani...... Reto Baumann Oboe...... Katharina Arfken, Philipp Wagner, Natalia Herden Fagott...... Susann Landert Orgel...... Nicola Cumer Cembalo...... Thomas Leininger Leitung ...... Rudolf Lutz 30 einführung zur kantate bwv 69a «lobe den herrn, meine seele» Anselm Hartinger

Die zum 12. Sonntag nach Trinitatis 1723 tigkeit und Durchhörbarkeit aus, und auch erstaufgeführte Kantate BWV 69a gehört zu die in betont solistischem Duktus gehaltenen den Schöpfungen aus Bachs ersten Leipziger Singstimmen heben zunächst in koloratur- Kantoratsmonaten, mit denen sich der neue betonten Stimmpaaren an, die mehr gelöstes Amtsinhaber als ambitionierter Kapellmeis- Frohlocken als repräsentatives Skandieren ter präsentierte. Dass sie nach 1740 auch zur verkörpern. Aus einer ersten schlanken Zu- Festkantate für den alljährlichen Ratswechsel sammenführung erwächst eine ausgedehnte umgearbeitet wurde, passt zum rauschen- Vokalfuge, die sukzessive im Orchester auf- den Erscheinungsbild dieser mehr als nur ge- registriert wird und nach einer krönenden wöhnlichen Sonntagsmusik. Ihr Eingangschor Tutti-Passage unmittelbar in eine verinner- ist als weiträumiges vierchöriges Concerto lichte zweite Fuge mit zarten Seufzerabstie- über den bekannten Psalmvers «Lobe den gen («und vergiß nicht») überführt wird. Herrn, meine Seele» ausgearbeitet; drei Wie Bach hier auf delikate Weise die Ensem- Trompeten und Pauken, drei Oboen mit Fa- blegruppen sowohl miteinander verzahnt als gott, ein Streichorchester sowie vier Sing- auch farblich heraushebt und er in aller Kom- stimmen verleihen dem Satz beträchtlichen plexität den antreibenden Grundgestus «Lobe Glanz. Trotz dieser Klangfülle zeichnet sich den Herrn» auch motivisch im Gespräch hält, das Orchestervorspiel durch federnde Leich- ist von grosser Meisterschaft. Angesichts die-

31 ser Stilhöhe scheint es fast selbstverständlich, genden 9⁄8-Gestus einbettet, wird eine innere dass die von Beginn an aufeinander bezoge- Freudigkeit bezeugt, die normalen Sterblichen nen Fugenthemen dann auch simultan durch- kaum zuteil wird. «Meine Seele, auf, erzähle, geführt werden und dabei noch Raum für was dir Gott erwiesen hat» – mit diesen ei- wuchtige Rufe und ein abschliessendes Or- nem edel-heroischen Kopfmotiv zugewiese- chester-Dacapo bleibt. Dass sich in der ra- nen Worten wird der Akt des Singens selbst santen Satzmaschinerie dreimal kurzlebige zum Lobopfer der «frohen Lippen»; dass Bachs Einklangsparallelen zwischen benachbarten geniale Klangidee in der Ausführung 1723 Singstimmen finden, ist dem einen oder an- womöglich nicht zur perfekten Wirkung deren Tonsatzpedanten doch tatsächlich kam, könnte ihn um 1727 zu einer etwas rou- aufgefallen… tinierteren Umbesetzung mit Violine und Im folgenden Sopranrezitativ wünscht sich Oboe motiviert haben. die verzückte Singstimme, zum Lobe des Im folgenden Rezitativ blickt der Alt in Höchsten «tausend Zungen» zu haben und verinnerlichter Weise auf die «von zarter Ju- nie mehr den so geheiligten Mund für «eitle gend an» erwiesenen Wohltaten zurück. Zwar Worte» zu benutzen. Den ganzen Satz durch- sei der Mensch aus sich heraus gar nicht fä- zieht eine Aura der inspirierten Dankbarkeit hig, die göttliche Liebe angemessen zu erwi- und des geistlichen Verliebtseins. Diese ge- dern, doch vermag es die Nähe des Höchsten, heimnisvoll verwandelte Rede wird in der diese Schwäche ereignishaft zu überwinden. Tenorarie unmittelbar Gestalt; indem Bach Dass der Librettist hier geschickt die Evan- eine Blockflöte und eine Oboe da caccia zu gelienerzählung von der Heilung des Taub- einer aussergewöhnlichen Klangmischung stummen (Mk 7, 31) einflicht, der auf Jesu Zu- aus seligem Kindsein und knorriger Wärme spruch «Hephata!» («Öffne dich!») gesund zusammenführt und er dies in einen wie- wird, bindet neben dem verkündigenden

32 Mund auch das lauschende Ohr in das Lob- Für den energisch nach G-Dur gerückten werk der Kantate ein. Ausführende und Zu- Schlusschoral griff Bach auf einen Kantional- hörer werden so zu verbundenen Akteuren satz zurück, der bereits 1714 die Weimarer eines heilsamen Vorgangs, dessen sanft flies- Kantate «Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen» sendes Arioso-Finale das alte Bibelwort in ei- (BWV 12) abgeschlossen hatte und der trotz nen beflügelnden Lebensvorsatz verwandelt. seiner eher tiefen Lage gelöste Zuversicht ver­ Nach so viel Demut folgt mit der Arie Nr. 5 strömt. Warum er dabei auf die wahrschein- ein Exempel der Kräftigung, das aus dem Ge- lich der Violine zugedachte Obligatstimme fühl des Behütetseins resultiert. Ihrer in einen verzichtete, wissen wir nicht; in der umgear- kantig punktierten Menuett-Duktus geklei- beiteten Fassung als Ratskantate BWV 69 deten Bitte «Mein Erlöser und Erhalter, nimm disponierte Bach einen anderen Schlusscho- mich stets in deine Hut» ist trotz der verschat- ral mit Trompeten und Pauken. teten h-Moll-Tonalität die absehbare Erhörung einkomponiert. Hier tritt ein geläuterter und darum selbstgewisser Mensch in den Ring, der um die künftigen Herausforderungen von «Kreuz und Leiden» weiss, aus Gottes «wohl gemachtem» Lebensplan jedoch die Gewissheit des Bestehens ableitet. Dem Streichersatz ist dabei emblematisch eine Oboe d’amore bei- gesellt; dem bodenständigen Trutz der Vo- kalpartie konnte nur ein Bass die nötige So- norität verleihen.

33 the performance project of the j. s. bach foundation: a dynamic interpretation of bach’s vocal oeuvre beyond the conventions of classification and chronology Anselm Hartinger, translation by Alice Noger-Gradon

Is it possible to perform Bach’s complete can- is the publication of recordings and other ma- tata oeuvre in Eastern Switzerland, document terials on its Bachipedia platform, which was the concerts in live recordings and release them launched in 2019, and on social media net- in diverse CD compilations free of a fixed works such as Facebook and YouTube. Thanks framework? to this online presence, the J.S. Bach Founda- With its CD series, the Foundation indeed tion has succeeded in building a substantial pursues an unorthodox practice – one that is fan community throughout the world. closely linked to the concert activities of the The Choir and Orchestra of the J. S. Bach J. S. Bach Foundation of St. Gallen. The Foun- Foundation, which performs under the baton dation, established in 2006 by entrepreneur Dr of Rudolf Lutz, is made up of professional Konrad Hummler, strives to raise the profile musicians from Switzerland, Germany and of Bach’s vocal works through concert perfor- Austria; all ensemble members have exten- mances as well as audio-visual and sound re- sive experience in historical performance cordings. At a pace of one cantata performance practices and are committed to realising a per month, this extraordinary undertaking is modern and dynamic interpretation of Bach’s expected to conclude in 2027. A central com- cantatas. The group comprises two regular ponent of the J. S. Bach Foundation’s activities formations that are expanded or reduced

34 ­according to the particular demands of the is at the heart of the J. S. Bach Foundation’s un- concert programme. dertaking. This is partly because the cantata The distinctive concert format of the J. S. oeuvre no longer has a home in contemporary Bach Foundation features a workshop cover- church services or in modern concert halls, ing musical and theological background infor- but also because it is generally overshadowed mation – presented by conductor Rudolf Lutz by Bach's Passion compositions and a few and theologians Karl Graf (until April 2018) popular, large works. It is thus the Founda- and Niklaus Peter (since August 2018) – that is tion’s declared mission to elevate the appre- followed by two performances of the selected ciation of Bach’s church compositions and, by cantata, with a reflective lecture given in be- means of modern media, to make his vocal tween. While the introductory workshops are oeuvre available to new audiences – in par- analytical in nature, the reflective lectures – all ticular, the next generation. delivered by personalities from cultural, busi- Such an ambitious undertaking demands ness and public life – illuminate the cantata a performance concept worthy of these mas- text from a subjective and decidedly modern terpieces, one that eschews attempts at a mu- perspective. Each DVD recording features a seum-like reconstruction of the original per- complete cantata concert including the intro- formance setting: namely, a church service ductory workshop and reflective lecture, while based on interweaving liturgy, readings and the CD recordings, released several times per cantata – a format that was abandoned year, group the cantatas in engaging compila- in the 18th century. The Foundation’s uncon- tions based on their musical associations rath- ventional approach facilitates a modern inter- er than on outside criteria. pretation of each work and actively addresses The desire to enable a contemporary ex- the issues raised by the surviving score, veri- ploration of the master’s cantata compositions fied alternate versions and the performance

35 context. This approach is underpinned by a lectures and workshops also promotes their respectful but confident treatment of the mu- discussion in a contemporary – and intention- sical material that abandons rigid adherence ally provocative – context. to the supposed “original text”; academic dog- Just as the concert cycle emphasises the ma and traditional conventions are eschewed role of Bach as composer, and the performers in favour of a fresh textual interpretation that function as inquisitive conveyors of a musical considers both the rich variety of baroque concept rather than as interpretive artists in a ­per­formance practice and the contemporary Romantic sense, it is equally the Foundation’s setting. The result is an audible “continuo aim that each CD compilation speaks for it- line” in the Foundation’s concert cycle that re- self. The cohesive recordings give rise to a nat- flects the improvisation-based approach of the ural artistic tension that illuminates not only artistic director, Rudolf Lutz, and that draws the great and well-known cantatas, but also on the distinctive style of the vocal ensemble throws into relief the smaller jewels of Bach’s and orchestra, whose performance culture is sacred oeuvre. All CD booklets include pro- decisively influenced by the renowned educa- gramme notes that address particular ele- tional standards of the Schola Cantorum Basil- ments of Bach’s compositional artistry as well iensis. as discussions with Rudolf Lutz that shed This outstanding musicianship underpins light on the theoretical background to each an overarching concept that pays earnest at- cantata compilation. tention to the long-derided libretti of the Ba- roque, in regard to both the poetic quality of the texts and their importance as a source of theological inspiration for Bach. The practice of exploring the texts anew in the reflective

36 the six “marx cantatas” of 1830 and the perception of bach in the 19th century Anselm Hartinger, translation by Alice Noger-Gradon

Today, our perception of Bach is informed by printed in his lifetime, BWV 71, from his early an ever-expanding understanding of his sur- career in Mühlhausen, is the only cantata. viving oeuvre and of the world he lived in – Moreover, following his death in 1750, key- and yet many of our notions about the master board players dominated among the students remain shaped by ideas that emerged during of Bach. As a result, his reception was largely the Bach Revival of the Romantic period. shaped by his organ music and the preludes Abiding clichés of Bach as the “modest man and of The Well-Tempered Clavier, of the church” and as the “unworldly organ not to mention the motets, which, since their virtuoso” find their roots in that era; similarly, first publication in 1802/03, have been treated today’s analytical focus on his counterpoint as a-cappella compositions. The cantatas and and , not to mention a performance , by contrast, were neither performed practice dominated by large choral settings in church services nor made available in print and an instrument-based sound ideal, can be until well into the 19th century; as such, those traced back to the performance of a limited works that were published had an even greater repertoire and the scant availability of his impact on how Bach’s music was perceived. compositions in print before 1900. Indeed, the first publication in 1821 of the Indeed, Bach himself rarely sought to have cantata “Ein feste Burg” (A mighty fortress, his work published: of the few compositions BWV 80) served to reinforce the notion of

37 Bach leading a “musical phalanx of Protes- dem Glauben” (Lord, thine eyes look after tantism”; performances based on this edition, true believing, BWV 102), “Ihr werdet weinen reduced to the tutti movements, further en- und heulen” (Ye will be weeping and wailing, trenched this interpretation. BWV 103) and “Herr, gehe nicht ins Gericht” In 1830, then, when Adolph Bernhard (Lord, bring thou not into judgement BWV Marx (1795–1866), a Berlin editor, composer 105). The cantata concluding the edition, the and early friend of Mendelssohn, published Actus tragicus “Gottes Zeit” (“God’s own time” six Bach cantatas in two volumes as “church BWV 106) was a funeral composition; only “Du music by Joh. Sebastian Bach”, these works Hirte Israel, höre” (Thou guide of Israel BWV determined the available repertoire of Bach’s 104), written in 1724 for the Second Sunday sacred oeuvre for many decades to come. The after Easter, featured a lighter tone in music edition, compiled primarily from hand-written and text. sources available in Berlin, aimed to suit the The edition, printed by Simrock in Bonn, needs of the new Singakademien – ambitious comprised a score, piano reduction and vocal amateur choirs comprising members of both score, but not a set of full performance parts, sexes – and gave preference to works treating as these are much more involved to prepare. the more earnest and eschatological themes Its influence is proved not only by the domi- of Bach’s oeuvre. Indeed, four of the six can- nant role that these six cantatas played in tatas addressed themes of penance, fear of Mendelssohn’s circles and the contemporary death, and threat of divine punishment: discourse on Bach, but also by the fact that “Nimm von uns, Herr, du treuer Gott” (Take even Thomascantor Moritz Hauptmann, when from us, Lord, thou faithful God BWV 101; he reintroduced Bach’s music to Leipzig’s described in the edition as a “Litany by Martin church services in 1843, performed almost Luther”), “Herr, deine Augen sehen nach exclusively these cantatas – in a drastically

38 truncated form – although he would have had access to the original parts of Bach’s chorale cantatas that had been archived at the Thomas­ schule since 1750. Moreover, the relationship between the cantatas and their relevant Sun- day gospel readings, an inherent link in Bach’s day, was no longer of interest: BWV 104, for instance, was performed by Hauptmann at Christmas and Easter, and the Actus tragicus even as an ersatz Passion. Although Marx’s edition belongs to the more commendable efforts of the 19th century Bach Revival, his hope that the selection of cantatas “would be suitable for the broadest use in services of the Protestant church” never came to fruition. Perhaps Simrock’s assertion that “the ensemble requirements and perfor- mance of these cantatas is very simple, and, with good courage and determination, singers can well learn the largest of the great set- tings” – a transparently sales-oriented error of judgement – played its own part in this out- come.

39 anselm hartinger in discussion with rudolf lutz Translation by Alice Noger-Gradon

anselm hartinger: As a rule, composers select charged G minor, which, depending on how the key for a work with a clear intent. What it is used, can evoke different moods. Indeed, is Bach’s approach, and what have you dis- we experience pathos and fury in cantata covered about this facet of his work in your BWV 102 – or in the Deposuit setting of the analyses and performances? Magnificat (original version in E-flat major) and the organ Fantasia and Fugue BWV 542; rudolf lutz: The use of keys in Bach’s oeuvre in other settings, however, G minor evokes a is a complex and fascinating topic – both in darkly tragic mood. B-flat major, for its part, regard to his choice of keys and the harmonic evokes a subtle brightness and serenity, and development within them. E major, by contrast, exuberant joy. To my First, Bach’s music is exemplary for a dis- mind, the higher the number of sharps or flats cerning, affect-based choice of key; indeed, in a key signature, the more clearly its intended several authors in the baroque period assigned affect comes to the fore – as such, the most specific, nearly binding characteristics to distant keys in the circle of fifths correspond each individual key. Take the grave C minor to extremity of emotion. From this stand- of, for instance, Bach’s Passacaglia – a key point, F-sharp minor could be described as that was perceived as heavy and severe even a kind of transitional zone. In general, the well into Brahms’ day – or the emotionally flat keys, also in their minor modes, tend to

40 be associated with melancholy and distress, concerto that are more schematic and that, while sharp keys are assigned to an active through their structural expansiveness, re- sense of remorse and despair. On occasion, semble balanced landscapes. Indeed, it’s par- strategic revisions will necessitate a change of ticularly in the strongly text-based cantatas key character. For instance, when Bach reused that we can study the power of modulatory the figured chorale “O Mensch, bewein dein shifts; in this regard, Bach is continually taking Sünde gross” from the St John Passion in the harmonic decisions – sometimes predictable, St Matthew Passion, he transposed it from yet frequently astonishing. Every key has its E-flat major to E major; when revising the main and lesser relatives, which by nature Magnificat, he shifted from E-flat to D major – are closer or more distant – we can perhaps also to accommodate the trumpets. compare them to the rooms and floors in a I have the impression that Bach generally multi-storey building. Bach, for his part, began his compositional work with the intro- knows the pathways to every room, and he ductory movements – and that this is where leads us through them like a virtuoso palace he also made his fundamental decision re- guide with a talent for generating suspense and garding affect. In the closing chorales of the mood. An ascent to a light-flooded dominant cantatas, which are frequently in a different may lead us to a bright vista, while a premature key to the opening movement, it seems Bach descent to the subdominant can transform an was more concerned with register and range, inviting wine cellar into a dusty coal store or which naturally also influence the emotional even a gloomy dungeon. In such settings, impact of the music. Bach’s skill in enharmonic transformation What particularly interests me, however, functions like a skeleton key, allowing us to is the harmonic development within a chosen pass through secret doors into far-off rooms. key. There are musical genres such as the Distinct from this are the recitatives, which

41 in principle have no key and often commence on a dissonance; in a way, they function as transit routes to the more harmonically stable setting of the aria that follows. Because these movements are generally rich in theological soul-searching and debate, they often battle their way through hefty storms that supply a wealth of fascinating material for analysis.

42 43 introduction to cantata bwv 102 «herr, deine augen sehen nach dem glauben» Anselm Hartinger, translation by Alice Noger-Gradon

BWV 102 belongs to the cantata cycle of 1726 of the work’s first publication in 1830 by Adolf that employs poetry by the Meiningen duke Bernhard Marx and thus represents the myriad Ernst Ludwig and that also includes various problems surrounding original Bach sources compositions by Bach’s relative Johann Ludwig in the 19th century. Bach, who lived in Meiningen. A common The orchestral prelude of the introductory feature of these cantatas is their basis in two chorus, with its alternating string and oboe Bible dictums, one each from the Old and New figures, combines an elegiac undertone with Testament; in the case of BWV 102 – com- light, compositional rigour. Culminating in posed for the Tenth Sunday after Trinity – the circling, repetitive phrases, the prelude leads gospel on the destruction of Jerusalem (Luke directly to a tutti invocation of the word “Herr” 19:41–48) made for a particularly grim setting. (Lord), from which the alto part emerges in The fact that Bach later reused three move- a powerful continuation of the line, “Deine ments of this cantata in his masses in F major Augen sehen nach dem Glauben” (thine eyes and G minor (BWV 233/235) suggests that he look after true believing). After a modified was quite partial to this work. Moreover, Bach’s repeat of this passage, the next phrases of the son in Hamburg, Carl Philipp Emanuel, also text – the abrupt call of “Du schlägest sie” wrote an arrangement of the cantata. Indeed, (Thou smitest them) and the bass response of it was this latter version that formed the basis “Aber sie fühlen es nicht” (but they do not

44 feel it) – are woven into the driving, concer- of soloists, is extraordinarily dazzling and tante music. A ritornello passage then flows compelling; in light of the struggles to save into what appears be the presentation of a new the errant children of this world, the sudden theme, but is actually a further development major cadence on the word “Glauben” (be- of the previous “Du schlägest sie” motif that lieving) has the effect of an illusory epiphany. is now expanded into a vocal fugue of arched After this colossal opening movement, thematic phrases accompanied by staccato the bass recitative in B-flat major is more sub- oboe beats. Following a transitional section dued, although the soul-searching libretto featuring vocal pairings on the theme of the on the conceited human’s loss of godliness A section (“Herr deine Augen”) in which the retains its merciless tone. The ensuing aria decelerating effect of the pedal point suggests then presents itself as a lamento in F minor a false sense of conclusion, Bach then com- that, in a static adagio setting for oboe, alto mences a new fugue on the remaining line of and continuo, expresses sorrow and grief the text (“Sie haben ein härter Angesicht” – over the unrepentant soul. From the very first Their countenance is more obstinate); the entry, the upper voices strike a dissonant tone; well-planned counterpoint and text-based the continuo, for its part, is composed pri- stringency provides a textbook example of marily of sighing figures. The middle section fugal composition. Here, the harmonic severity of the aria opens on a slightly more energetic of the theme marches mercilessly through the note “und die Straf auf sich zu laden” (And voices to realise music of most painful affect pain itself inviting), yet the fragmented me- ere the orchestra announces what is this time lodic figures and painfully augmented leaps a genuine reprise of the A section. The effect of give such “störrig” (headstrong) voice to the this thoroughly sophisticated cantata chorus, notion of being separated from God that no few especially when performed by an ensemble churchgoers must have doubted the hearing

45 and sanity of their cantor – particularly when preacher of the day no doubt expounded upon we consider the different tuning of the organ, at length in the ensuing sermon. Indeed, when in high choir pitch, that would have required listening to this rather exaggerated arioso, the chordal accompaniment to be transposed the idea that Bach was proposing a caricature to the almost unbearable key of E-flat minor. of a rather self-righteous pulpiteer cannot be After this gloomy scene, the E-flat major entirely dismissed. arioso for bass, strings and continuo embodies a The second part of the cantata opens with certain lightness with its dance-like 3⁄8-metre, another aria, this time in G minor, whose pathos despite the motivic density of the movement is somewhat tempered by the flowing flute and Bach’s decision to retain the accusatory cantilena over a bass line that calls for a delicate tone, skilfully depicted as a series of questions: interpretation in view of the score indication “Verachtest du den Reichtum seiner Gnade, of “piano sempre e staccato”. Nonetheless, with Geduld und Langmütigkeit?” (Despisest thou the entry of the tenor voice at the latest, a the richness of his mercy, his patience and frightful threat crashes down upon the “allzu forbearance?). Akin to a dialogue with various sichre Seele” (all too trusting soul); here, the roles, the errant souls are extended a benevo- words “Erschrecke doch” (Be frightened yet) lent invitation to repent; here the motif for are interpreted in abrupt, vivid phrases, the words “zur Busse locket” (to repentance while the gesture of the flute part becomes in- calleth) is suspiciously similar to the “Du creasingly rigid in its intervallic leaps. The schlägest sie” theme of the opening chorus. cryptic passage “Denk, was dich würdig After a further rhetorical pause, the extended zähle der Sünden Joch” (Think what it once lifeline seems irredeemably revoked, yet the will cost thee) appears to intimate the active return to the opening section grants the sin- repentance required to be worthy in God’s ner one final grace period – a notion that the eyes – the disturbing poetic image that God’s

46 patience proceeds with a “Fuss von Blei” investigators. That even the greatest Bach (foot of lead) “damit der Zorn hernach dir admirers of the 19th century considered the desto schwerer sei” (So that his wrath at last libretti of this glorious music to be “appalling on thee much graver be) evokes – long before German church texts” (Zelter) can hardly be the momentum can be slowed – the terrifying held against them. potential of an unleashed celestial bulldozer. Set in the equally solemn key of C minor, recitative no. 6 offers scant refuge: set to a toll- ing funeral-bell figure in the oboe parts, the alto soloist recounts how quickly the time for repentance can give way to the unforeseen hour of death. And the danse-macabre imagery of the exquisitely harmonised closing chorale, too, sustains this sense of urgency (“Heute noch” – even this day); even the reference to Jesus in the second verse as a worthy reason for all penance only slightly brightens the scene. If the aim of early modern theology was to completely break the spirit of the already fearful human soul, it seems to have achieved its purpose here. Indeed, the entire libretto of the cantata “Herr, deine Augen” (Lord, thine eyes) comes across as a brutal interrogation by no less than three omniscient criminal

47 introduction to motet bwv 228 «fürchte dich nicht» Anselm Hartinger, translation by Alice Noger-Gradon

The exact occasion for the composition of was long assumed due to similarities between “Fürchte dich nicht” (Fear thou not, BWV 228) the motet text and the funeral sermon (Isaiah is not certain. Unlike the motets and hymns 43:1); recent research by scholars Daniel of the venerable “Florilegium portense” col- Melamed and , however, has lection (1603–1621) that were used as proces- called this connection into question. sionals in Leipzig’s church services and for The motet, composed in the Thuringian the Currende (street-choir) performances of tradition that so profoundly influenced Bach, is the St Thomas singers, Bach’s new motets set for an eight-voice double choir and simul- were occasional works that are believed to taneously treats a gospel text and a church have been composed for funerals, although hymn. Because the original score has not sur- to date this assumption has been verified vived, it is unclear whether Bach intended the only for “Der Geist hilft unser Schwachheit vocal parts to be doubled by strings and winds. auf” (The Spirit doth our weakness help, Nevertheless, because this was a common BWV 226), which was composed in 1729 for practice for Bach, as seen in BWV 226 and other the funeral of Johann Heinrich Ernesti, rector related works, for our recording, conductor of the Thomasschule. A connection between Rudolf Lutz chose to include an instrumental BWV 228 and the 1726 funeral for Susanna accompaniment with a continuo part based Sophia Winckler, a noblewoman of Leipzig, on the lowest choir voice. Indeed, the inclu-

48 sion of a harpsichord also breathes new life into so to speak, gradually lifts the curtain on the an old idea of musicologist Arnold Schering, prophetic text while continually enhancing its who conjectured that the harpsichords in import through additional layers of contra- Leipzig’s churches, although rarely used in puntal density (“Ich stärke dich, ich helfe dir cantata performances, were there for the pur- auch, ich erhalte dich” – I strengthen thee, I pose of accompanying motets. also help thee, I uphold thee). Following a The motet opens with a dialogue initiated renewed acclamation of “Fürchte dich nicht”, by the bass groups of each choir that furnishes the second part of the work melds both choirs the assurance of “Fürchte dich nicht” (Fear have in one four-voice entity. The resulting con- thou none) with a motivic energy throughout centration of vocal parts goes hand in hand the work and that recurs twice as a framing fig- with a further display of compositional art- ure. This gesture of assurance is also composed istry: Bach combines an extended double into the opening motif itself, followed closely fugue in the three lower voices (“Denn ich by the phrase “Ich bin bei dir” (I am with thee), habe dich erlöset, ich habe dich bei deinem which appears to answer the question suggested Namen gerufen” – for I have now thee deliv- by the intervallic leap on the word “nicht” (not). ered, I have thee by thy name now called) with After dense choral exchanges on the text a line-for-line presentation of the two hymn of “Weiche nicht, denn ich bin dein Gott” verses “Herr, mein Hirt, Brunn aller Freuden” (waver not, for I am thy God), a coloratura on and “Du bist mein, weil ich dich fasse” (Shep- the words “Ich stärke dich” (I strengthen thee) herd, Lord, fount of all pleasure and Thou art is passed from voice to voice; this passage, mine, for I shall clasp thee) in the soprano thanks to its triumphant style, remains highly voice. This union of meditative calm and poly­ popular among the Thomas singers to this day. phonic motion culminates in an eight-voice It then flows into a more subdued section that, closing section, which, despite its brevity, maxi­

49 mises the powerful solace of the composition’s nicht”, a five-voice motet by his Eisenach uncle, central message: “Fürchte dich nicht, du bist Johann Christoph Bach (1642–1703), whom Bach mein!” (Fear have thou none, thou art mine!) admired as a “great expressive composer”. Whether Bach personally signed this sec- Like BWV 228, this motet also unites a gospel tion of the work by inserting a transposition text sung by the choir with a chorale presen- of his B-A-C-H motif in the first bass part is a tation in the descant voice. Both this fifth matter of conjecture – the gift he made with verse of Johann Rist’s Passion hymn “O Trau- this motet to all future singers and audiences, rigkeit, o Herzeleid” (O grief, o woe) and the by contrast, is documented in a Leipzig review promise contained in the closing line of the of 1837 that opened with a description of a gospel text “Wahrlich, ich sage dir, heute wirst vesper service in the St Thomas church that du mit mir im Paradiese sein” (Truly I tell you, was nearly ruined by the grotesquely incom- today you will be with me in paradise, Luke petent composition of a young composer. The 23:43) are suggestive of a funeral work borne reviewer then singles out Bach’s motet as a by images of the crucifixion. This composition true sign of quality: “… the listeners often sti- is featured on our CD as a bonus track, to- fled laughter, furrowed their brows, suffered gether with a Lamento by the Viennese violinist earache; no doubt they would have soon de- and Vice Kapellmeister Johann Heinrich Schm- parted had not Father Bach stepped in with elzer (approx. 1623–1680). Written for a four-part his world-famous words of comfort: Fürchte string ensemble, the Lamento was composed dich nicht, ich bin bei dir! Denn ich habe dich in memory of Kaiser Ferdinand III, a respected erlöset. (Fear have thou none, I am with thee, musician who died in 1657. Set in the poignant for I have now thee delivered).” key of B minor, the work is replete with heart- Among Bach’s collection of works by his rending intervals and desolate, funeral-bell forefathers is another setting of “Fürchte dich figures and imbued with a noble, personal tone.

50 introduction to cantata bwv 69a «lobe den herrn, meine seele» Anselm Hartinger, translation by Alice Noger-Gradon

Cantata BWV 69a, first performed on the ever, the instrumental overture is feather-light Twelfth Sunday after Trinity in 1723, numbers and transparent in sound; the vocal ensemble, among those compositions written during too, opens with pairings of soloistic, colora- Bach’s first months in Leipzig that served to tura phrases that embody relaxed rejoicing assert the new Thomascantor’s ambitions as more than ceremonial chanting. After this Kapellmeister. With its laudatory style and opening section, the four voices briefly come brilliant sound, the cantata was no ordinary together before commencing a broad vocal Sunday music, and it is unsurprising that fugue that is successively enhanced by instru- Bach later reworked it after 1740 as a festive mental entries; a crowning tutti-passage then cantata for the annual council elections. leads directly into a second, more introspec- The introductory chorus is set as an expansive, tive fugue, whose gently sighing, descending four-ensemble concerto on the well-known theme is set to the text of “und vergiss nicht” psalm verse “Lobe den Herrn, meine Seele” (and do not forget). The compositional quality (Praise thou the Lord, O my spirit); the scoring of this setting is stellar: Bach delicately inter- for three trumpets and timpani, three oboes weaves the various ensemble lines while none- and bassoon, a string ensemble and a four-part theless showcasing their individual timbres, choir lend the movement considerable bril- and despite the complexities of the setting, liance. Despite this full orchestration, how- the underlying motif “Praise the Lord” is sus-

51 tained throughout. In view of this stylistic to mere mortals. “Meine Seele, auf, erzähle, mastery, it seems almost a matter of course that was dir Gott erwiesen hat” (O my spirit, rise the two related fugue themes are then presented and tell it, all that God hath shown to thee) – simultaneously, with compositional scope still with these words, set to a nobly heroic head remaining for declaratory calling phrases and motif, the act of singing from “frohen Lip- a closing orchestral da-capo section. That three pen” (joyful lips) becomes itself a sacrifice of brief passages of parallel unisons in neigh- thanksgiving; that Bach’s inspired combina- bouring voices are to be found among the rac- tion of timbres possibly failed to achieve the ing machinery of this setting, has, however, intended effect in the 1723 performance might not escaped the notice of the odd composi- explain why he used a more typical combina- tional pedant. tion of violin and oboe when later reworking In the following soprano recitative, a setting the movement around 1727. suffused with inspired gratitude and ecclesi- In the following contemplative recitative, astical love, the enraptured vocalist wishes for the alto reflects on the many blessings received “tausend Zungen” (one-thousand tongues) to from God “von zarter Jugend an” (from ten- praise God and to never again to use a mouth der childhood on). Although we humans are thus purified to utter “eitle Worte” (empty inherently incapable of adequately returning words). In the following tenor aria, this mys­ God’s love, the proximity of the Highest helps teriously transformed speech takes on concrete to overcome this failing. Because the librettist form: in a gently rocking 9⁄8-setting, Bach em- deftly weaves in the gospel story of the deaf ploys an unusual timbral combination of re- and mute man (Mark 7:31) who is healed corder and oboe da caccia, thus uniting blissful when Jesus cries “Hephata!” (Be opened!), the innocence with a gnarly warmth to realise a proclaiming mouth and the listening ear, too, music that radiates an inner joy rarely granted are incorporated in this laudatory music. Per-

52 formers and listeners alike thus become party an earlier Weimar cantata, “Weinen, Klagen, to this purification, and the gently flowing Sorgen, Zagen” (weeping, wailing, grieving, arioso finale transforms the old Bible verse fearing; BWV 12, 1714), which, despite its low into an inspiring resolution to lead a good life. register, exudes an aura of serene hope. It is not After this display of humility, the aria ex- known why Bach removed the original obbli- emplifies how strength can be drawn from gato part (which was probably for violin); when experiencing divine love and protection. Set in he revised the cantata again for the council minuet style with edgy dotted rhythms, the elections (BWV 69), he selected another chorale music, despite its muted key of B minor, an- entirely and included trumpets and timpani. ticipates a favourable response to the soloist’s request of “Mein Erlöser und Erhalter, nimm mich stets in deine Hut” (My redeemer and sustainer, keep me in thy care and watch). Here, an enlightened and self-assured soul steps into the ring, who, fully aware of the challenges of “Kreuz und Leiden” (cross and suffering) that lie ahead, is confident of per- severing thanks to God’s righteous plan. In this setting, the string ensemble is enhanced by the warmth of the oboe d’amore; for the grounded, defiant nature of the solo part, only a sonorous bass will suffice. For the closing chorale, an energetic setting in G minor, Bach revived a cantional setting from

53 54 Aufnahme und Bearbeitung/Recording and editing Texte (CD-Booklet)/Texts...... Anselm Hartinger, Rudolf Lutz Übersetzungen /English translations...... Alice Noger-Gradon Layout-Design /Layout design...... Studio Silvio Seiler / Graphik und Design GmbH Aufnahmelokalitäten /Recording locations...... Kirche St. Mangen (SG), Schweiz �������������������������������������������������������������������������������������������������������������Ev. Kirche Trogen (AR), Schweiz Fotografien /Photography...... Jelena Gernert, Schweiz Produktion/Production...... GALLUS MEDIA AG, Schweiz Tonmeister /Recording supervisor...... Stefan Ritzenthaler Produzentin /Producer...... J. S. Bach-Stiftung, St. Gallen (Schweiz)

English translations of cantata text excerpts from Z. Philip Ambrose, J.S. Bach: the Extant Texts of the Vocal Works in English Translations with Commentary Volume 1: BWV 1–200; Volume 2: BWV 201–(Philadelphia: Xlibris, 2005), reproduced with kind permission of the author.

Copyright ...... © 2020, J. S. Bach-Stiftung, St. Gallen (Schweiz), www.bachstiftung.ch

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