Fundberichte aus Österreich Tagungsband 4 t 2016

Herausgegeben vom Bundesdenkmalamt

Fachgespräch

» Archäologie in Kartausen«

17. Oktober 2014, Mauerbach (Niederösterreich)

Martin Krenn und Nikolaus Hofer (Hrsg.)

Sigel: FÖTag 4, 2016 Wien 2016 Gratis-Download: http://www.bda.at

© 2016 by Bundesdenkmalamt Alle Rechte vorbehalten http://www.bda.at

Verlag: Ferdinand Berger & Söhne Ges.m.b.H., 3580 Horn http://www.verlag-berger.at

Herausgeber: Mag. Dr. Martin Krenn und Mag. Nikolaus Hofer Bundesdenkmalamt, Abteilung für Archäologie Hofburg, Säulenstiege, 1010 Wien [email protected] [email protected]

ISSN: 2410-9193

Redaktion: Mag. Nikolaus Hofer Bildbearbeitung: Stefan Schwarz Satz und Layout: Martin Spiegelhofer Layoutkonzept: Franz Siegmeth Covergestaltung: Franz Siegmeth Coverbild: Kartause Seitz, ehemalige Domus superior; Foto: Danijela Brišnik Druck: Ferdinand Berger & Söhne Ges.m.b.H., 3580 Horn Inhaltsverzeichnis

Martin Krenn 7 Fachgespräch »Archäologie in Kartausen« am 17. Oktober 2014 in Mauerbach (Niederösterreich)

Meta Niederkorn 9 silentium – Architektur der Stille

Julia Wilding und Iris Winkelbauer 15 Archäologische Forschungen in den Kartausen Aggsbach, Gaming und Mauerbach

Alfred Galik und Günther Karl Kunst 23 Archäozoologische Untersuchungen in der Kartause Mauerbach

Alfred R. Benesch 29 Kartäuserlandschaft Aggsbach – MeGKA. Die Klausurgartenanlagen der Kartause Aggsbach und ihre ›Reditierung‹

Laurent Auberson 41 Die ehemalige Kartause Oujon (Waadt, Schweiz). Eine landschaftsgeschicht liche und -archäologische Untersuchung

Elke Nagel 51 Grundrissdispositionen von Kartausen

Katarina Predovnik, Danijela Brišnik und Miha Murko 61 Archäologische Forschungen zu Kartausen in Slowenien

80 Abkürzungsverzeichnis

Fachgespräch »Archäologie in Kartausen« am 17. Oktober 2014 in Mauerbach (Niederösterreich)

Martin Krenn

Am 17. Oktober 2014 fand auf Einladung des Bundesdenkmal- amtes in Kooperation mit dem Institut für Urgeschichte und Historische Archäologie der Universität Wien in der Kartause Mauerbach ein Fachgespräch zum Thema »Archäologie in Kartausen« statt, das als Grundlage für die Ausarbeitung eines umfangreichen Forschungsprojektes zu den österrei- chischen Kartausen aus archäologischer Sicht gedacht war. Ziel war daher die Zusammenführung der bislang national und international nur verstreut vorhandenen Basisinforma- tionen zu diesem Fachbereich. Teilnehmer aus insgesamt acht europäischen Staaten (Niederlande, Deutschland, Schweiz, Polen, Slowakei, Un- garn, Slowenien und Österreich) fassten sehr konzentriert den aktuellen Wissensstand zu diesem Thema zusammen.1 In einem ersten Block wurde anhand von Einzelergebnissen zu den österreichischen Kartausen der nationale Stand der For- schung referiert. In einem zweiten, weitaus größeren Block wurden dann vergleichbare internationale Untersuchungen vorgestellt. Neben der Präsentation von Einzeluntersuchun- gen (Városlőd, Roermond, St. Johannisberg bei Freiburg im Breisgau und Oujon) standen hierbei Überblicksreferate im Vordergrund, die den jeweiligen nationalen Forschungs- stand aufzeigten (Slowakei, Slowenien und Polen). Ergänzt wurde der internationale Teil durch ein bemerkenswertes Referat von Elke Nagel (Technische Universität München) zu Grundrissdispositionen von Kartausen. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass hier erstmals eine internationale fachliche Zusammenkunft zu dem Thema »Archäologie in Kartausen« stattgefunden hat, wobei die komprimierte Form eines eintägigen Fachgesprä- ches eine konzentrierte Zusammenführung des Forschungs- standes ermöglichte.

Autor

Mag. Dr. Martin Krenn Bundesdenkmalamt Abteilung für Archäologie Hoher Markt 11, Gozzoburg 3500 Krems an der Donau [email protected]

1 Zusätzlich zu den in diesem Band veröffentlichten Beiträgen wurden folgende Vorträge gehalten: Artur Boguszewicz, Kartausen in Polen Petra Smetanova, Kartausen in der Slowakei László Gere und Márta Vizi, Die Ergebnisse der Ausgrabung im Kartau- senkloster in Városlőd Birgit Dukers, Archaeology and Building Archaeological research in the Charterhouse of Roermond Frank Löbbecke, Die Kartause St. Johannisberg bei Freiburg im Breisgau – vom Kloster zur Schule

FÖTag 4, 2016 7 silentium – Architektur der Stille

Meta Niederkorn

Der Titel einer Tagung, die im Jahr 2008 in Mauerbach statt- fand1, beschreibt die Kartause als Raum und das Tun der Menschen in diesem Raum. Das Thema ist seither in der For- schung – auch interdisziplinär – weiterhin aufgegriffen wor- den und bietet darin die Möglichkeit, den Bestand einer Kar- tause vor dem Hintergrund der Ordensregel einerseits und vor dem Hintergrund der Regional- und Landesgeschichte andererseits zu beleuchten. Rahmenbedingungen für das Leben im Kloster, das durch seine Existenz im Umfeld vielfältigen Einfluss ausübt, schafft die Architektur, die grundsätzlich so weit durch die Ordensregel bestimmt wird, als die Gebäude die vorgese- hene Lebensweise der Kartäuser in den Einzelzellen ebenso ermöglichen wie auch jene Räume vorhanden sein müssen, die von der Gemeinschaft genützt werden. Zentraler Raum ist die Kirche, die gleichzeitig auch die Schnittstelle in zwei- facher Hinsicht darstellt: Zum einen begegnen einander Chormönche und Laienbrüder in der Kirche; auch wenn sie nicht gemeinschaftlich sitzen. Zum anderen finden in der Kirche immer wieder Gottesdienste statt, zu welchen Laien Zutritt haben (müssen). Im Folgenden ist nun das Augenmerk darauf zu richten, Abb. 1: Darstellung einer Kartäuserkirche aus dem Liber Chronicarum wie die Ordensregel in den Gebäuden Mauerbachs realisiert (Schedel 1497, fol. 194 r). werden konnte und wie wiederum daraus ablesbar ist, wel- chen Einfluss die landesfürstlichen Stifter und deren Nach- folger auf Gebäude wie Leben der Kartause nahmen. Werden in der hoch- und spätmittelalterlichen Historio- graphie Bilder verwendet, so wird eine Kartause durch Mauer, Oberkirche und Unterkirche sowie Zellen charakterisiert. Damit wird einerseits die Abgeschlossenheit zum Ausdruck gebracht, die an sich ja für jedes Kloster im Sinn der Clausura beziehungsweise des Claustrum vorgesehen ist. Für die Kar- täuser spezifisch sind die Einzelzellen, die als Häuserzeile an- gezeigt werden. Die Kirche nimmt auch in der Darstellung bei Hartmann Schedel2 aus dem Jahr 1497 (Abb. 1) das Zentrum des Bildes ein. Sie hat keinen Turm, sondern lediglich einen Dachreiter, in dem sich die Glocke befindet. Ebenso charakte- ristisch für die Kartause ist hier die sogenannte Unterkirche, die kleinere Kirche, die in der Ordensregel der Laienbrüderkir- che entspricht. Die Errichtung der Kartause erfolgt den Con- Abb. 2: Darstellung der Errichtung einer Kartause aus der Vita Brunonis suetudines (Statuten) entsprechend durch die Brüder, wie (Blomevenna 1515). auch die Darstellung, die sich in der Vita des hl. Bruno von Peter Blomevenna findet (Abb. 2), illustriert. zum tatsächlichen Klosterleben vergehen unterschiedlich Die geographischen Bedingungen an den Orten, an wel- lange Zeiträume. Die Dauer hängt natürlich davon ab, wie chen Kartausen errichtet beziehungsweise gestiftet wur- rasch eine Stiftung tatsächlich realisiert werden kann und den, tragen diesem Ideal aus der Regel so weit Rechnung, als auch die Zustimmung seitens des Ordens erhält, wie groß die Gegebenheiten auch tatsächlich Grund und Boden dafür das Stiftungsgut ist und wie rasch daher die Gebäude am bieten.3 Vom Entschluss zur Errichtung eines Klosters bis ausgesuchten Ort errichtet werden können. Die Geschichte der Kartause Mauerbach spiegelt nicht nur wider, dass von den ersten Schritten, eine Kartause zu er- richten, bis zur Ausfertigung des feierlichen Stiftsbriefes, der 1 Ausstellung der Kartause Mauerbach, 29. bis 31. Mai 2008. den Stiftungsvorgang abschließt, rund drei Jahre vergehen. 2 Schedel 1497, fol. 194r. 3 Siehe den Beitrag von Elke Nagel in diesem Band. Johann von Viktring berichtet zum Jahr 1313, dass Friedrich

FÖTag 4, 2016 9 Meta Niederkorn

Abb. 3: 25. Mai 1317. Gerlach, Pfarrer von Traiskirchen, stiftet zu Mauerbach ein Siechenhaus mit sechs Priestern und einem Laienbruder aus dem Kartäuserorden.4 den Entschluss gefasst habe, eine Kartause zu errichten. Der Matthias9, Ferdinand II. im Jahr 162310 und in umfassender feierliche Stiftsbrief im Namen Friedrichs des Schönen und Form 162411 sowie Karl VI. 171412 belegt. Die Privilegienbestä- seiner Brüder, der Herzöge Albrecht, Heinrich und Leopold, tigung des Matthias Corvinus13 ist summarisch gehalten; sie wird 1316 ausgefertigt. In diesem Stiftsbrief wird bereits bestätigt alle Privilegien für die durch den Prior von Mauer- auch die »Zu-Stiftung« des Pfarrers Gerlach inkludiert und bach wie auch andere Prälaten erwiesene Akzeptanz seiner bestätigt (Abb. 3): Herrschaft. »auch han ich mîn grabnuste erwelt in demselben chloster ze Diese Reihe der Privilegienbestätigungen, die immer wie- Allerheiligen tal, dar ich mîn vorgenantes almusen gegeben der auch summarisch – vereinzelt auch mit vollständiger han, daz dieselben pruder und ir nachkomen Got ewichlich Aufnahme älterer Privilegien – ausgestellt werden, verdeut- umb mich pitten, als si fur îr gewizzen behalten wellen vor Got licht die Position eines Klosters; hier im Besonderen zwi- an dem Iungisten tage.«4 schen Kartause und Landesfürsten. Die Urkunden belegen Auch der Stifter, Herzog Friedrich der Schöne, findet in der – abgesehen von diesen Privilegien und deren Bestätigung Kartause, wie er es in seinem Testament 1327 vorsieht, seine – die Interaktion des Klosters mit dem Orden und zeugen in Grablege. Damit ist der Konvent für die Memorialliturgie großer Zahl von der Position der Kartause als Inhaberin der zugunsten Friedrichs verantwortlich. Friedrich macht aber Grundherrschaft. darüber hinaus den Konvent zusätzlich für die Verwaltung Hier werden auch die Grenzen zwischen Kartause und seiner gesamten Memorialstiftungen – also aller Stiftungen, Umfeld brüchig, könnte man meinen. 1712 wird dem Gene- die er im Hinblick auf Memorialliturgie in anderen Klöstern ralprior durch Papst Clemens XI.14 eine Bulle übermittelt, in und auch Stiften getätigt hat – zuständig. welcher der Verzehr von Fleisch innerhalb einer Kartause Der Urkundenbestand der Kartause zeigt, dass natürlich allen – vor allem ordensfremden – Geistlichen strikt unter- die Habsburger, wie es auch in anderen Orden üblich ist, die sagt wird. Da diese Bulle an den Generalprior adressiert ist, Privilegien und Freiheiten bestätigen. Solche Bestätigun- durch diesen aber allen Kartausen bekannt gemacht wer- gen sind von Rudolf IV. in Form einer Transsumpt aus dem den soll, wird die Bulle 1712 in der Apostolischen Kammer Jahr 1466, weiters von Albrecht V., Friedrich III.5, Albrecht VI., gedruckt und darin ausdrücklich festgehalten, dass diese Maximilian I., Ferdinand I. (1523)6, Maximilian II.7, Rudolf II.8, Littera allen Klöstern in allen Provinzen zu übermitteln sei. Dadurch kommt die Einbettung der Kartause in den Orden

9 27. April 1615: Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Mauerbach, Kartäuser (1266– 1759) 1615 IV 27, http://monasterium.net/mom/AT-HHStA/MauerbachO- 4 25. Mai 1317, Wien: Gerlach, Pfarrer von Traiskirchen, stiftet zu Mauer- Cart/1615_IV_27/charter [Zugriff: 16. 10. 2015]. bach ein Siechenhaus mit sechs Priestern und einem Laienbruder aus 10 26. Juni 1623: Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Mauerbach, Kartäuser (1266– dem Kartäuserorden. Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Mauerbach, Kar- 1759) 1623 VI 26, http://monasterium.net/mom/AT-HHStA/MauerbachO- täuser (1266–1759) 1317 V 25, http://monasterium.net/mom/AT-HHStA/ Cart/1623_VI_26/charter [Zugriff: 16. 10. 2015]. MauerbachOCart/1317_V_25/charter [Zugriff: 20. 10. 2015]. 11 9. Mai 1624, Wien: Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Mauerbach, Kartäu- 5 9. Juli 1443, Wien: große Privilegienbestätigung. Haus-, Hof- und Staatsar- ser (1266–1759) 1624 V 09, http://monasterium.net/mom/AT-HHStA/ chiv, Mauerbach, Kartäuser (1266–1759) 1443 VII 09, http://monasterium. MauerbachOCart/1624_V_09/charter [Zugriff: 16. 10. 2015]. net/mom/AT-HHStA/MauerbachOCart/1443_VII_09/charter [Zugriff: 16. 12 7. Juni 1714: Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Mauerbach, Kartäuser (1266– 10. 2015]. – 15. Jänner 1463: Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Mauerbach, Kar- 1759) 1714 VI 07, http://monasterium.net/mom/AT-HHStA/MauerbachO- täuser (1266–1759) 1463 I 15, http://monasterium.net/mom/AT-HHStA/ Cart/1714_VI_07/charter [Zugriff: 16. 10. 2015]. MauerbachOCart/1463_I_15/charter [Zugriff: 16. 10. 2015]. 13 6. August 1487: Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Mauerbach, Kartäuser 6 1. März 1523: Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Mauerbach, Kartäuser (1266– (1266–1759) 1487 VIII 06, http://monasterium.net/mom/AT-HHStA/Mau- 1759) 1523 III 01, http://monasterium.net/mom/AT-HHStA/MauerbachO- erbachOCart/1487_VIII_06/charter [Zugriff: 16. 10. 2015]. Cart/1523_III_01/charter [Zugriff: 16. 10. 2015]. 14 11. Mai 1712, Rom: Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Mauerbach, Kartäu- 7 23. September 1564: Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Mauerbach, Kartäuser ser (1266–1759) 1712 V 11, http://monasterium.net/mom/AT-HHStA/ (1266–1759) 1564 IX 23, http://monasterium.net/mom/AT-HHStA/Mauer- MauerbachOCart/1712_V_11/charter [Zugriff: 16. 10. 2015]. Papst Clemens bachOCart/1564_IX_23/charter [Zugriff: 16. 10. 2015]. XI. verbietet, dass irgendjemand geistlichen Personen gestatte, in Kartäu- 8 26. Mai 1598: Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Mauerbach, Kartäuser serklöstern Fleisch zu essen; die Absolvierung von der auf die Übertre- (1266–1759) 1598 V 26, http://monasterium.net/mom/AT-HHStA/ tung dieses Verbotes gesetzten Exkommunikation wird dem päpstlichen MauerbachOCart/1598_V_26/charter [Zugriff: 16. 10. 2015]. Stuhl reserviert.

10 FÖTag 4, 2016 silentium – Architektur der Stille

Gefahren-, aber auch als Schutzzone der Klausur der Chor- mönche anzusehen ist. Dort werden alle Aufgaben verrich- tet, die das Silentium beeinträchtigen, gleichwohl sie die Chormönche in der Einhaltung des Silentium und – den Con- suetudines entsprechend – auch darin unterstützen, ihre Tage zwischen geistlicher Lesung, Gebet, Meditation und Arbeit in ihren individuellen Werkstätten in den einzelnen Zellenhäusern zu verbringen. Schließlich ist die Kirche als ›Raum‹ im Raum der Kartause zu benennen. Hier werden die Messen gefeiert, hier wird zu manchen Zeiten gemeinsames Chorgebet gesprochen. Sehr genau regeln die Consuetudines, wann die Laienbrüder zum Gottesdienst der Chormönche zugelassen werden. Noch ge- nauer wird geregelt, in welchen Ausnahmefällen den Laien Zutritt zu den Gottesdiensten gestattet ist. Hier sind vor allem die Stifter, ihre Familie und all jene, die dazugehören, zu benennen. Durch Stiftungen gelangen aber auch – und zwar sowohl die memorialliturgischen Verpflichtungen als auch die Verwaltung von Grund und Boden betreffend – Personen in den Handlungsspielraum der Kartause, die nicht ausdrücklich über genealogische Verbindungen oder Funktion (Matthias Corvinus) dem sozialen Netzwerk des Landesfürsten angehören, sondern anderen verbunden sind, die aber ihrerseits sehr oft Schnittstellen mit Landesfürsten und vor allem Verwaltungsbehörden des Landes haben, ge- meinsame Schnittmengen aufweisen. Besonders trifft dies für die Universität Wien, aber auch für Bürger aus Wien zu. Zuletzt gilt es auf eine große Zahl von Wohltätern und Stif- tern hinzuweisen, die nicht den zuvor genannten Gruppen zuzuordnen sind, sondern jenen, die aus dem regionalen und gesellschaftlichen Umfeld der Kartause stammen. Dazu Blaeu Abb. 4: Wien und Umgebung (nach 1665, Band 25, Taf. 18a=3). Mauer- gehören auch Verwandte der in die Kartause eingetretenen bach (Pfeil) liegt – von Wien aus gesehen – hinter dem Wald und entspricht damit dem Ideal. Männer und vor allem natürlich jene, die über die Grund- herrschaft als Herren über benachbarte Grundherrschaften mit der Kartause zu tun haben. Das Netzwerk, das über den nochmals deutlich zum Ausdruck; gleichzeitig aber auch, Orden besteht, ist schließlich das dauerhafteste – solange dass man das ursprüngliche Propositum des Ordens auf- die Kartause Bestand hat. rechterhält, zumindest verzweifelt aufrechtzuerhalten ver- Gerade diese zahlreichen Begegnungen zwischen Prior sucht. Die Gefahr liegt auch nicht vorrangig in der Frage, und Prokurator, die aus diesen Handlungsspielräumen re- wie man Fleischverzehr durch ordensfremde Personen un- sultieren, machen es mitunter nötig, gezielt auf die eigent- terbinden kann; sehr viel größere Gefahr, und dies wird aus lichen Statuten hinzuweisen, die nicht nur für die Kartäuser, den Statuten – antiqua, nova, tertia compilatio – deutlich, sondern auch für die Räume der Kartause gelten, sofern sieht man im täglichen Kontakt zwischen Kloster und Welt.15 nicht explizit Ausnahmeregelungen durch den Orden oder Dieser wird mannigfach als Gefahr thematisiert, vorrangig den Papst in Einklang mit dem Orden getroffen wurden. Kar- im Zusammenhang mit Aufgabenbereichen verschiedener täuser-Prioren waren aufgrund ihrer Funktion als Visitato- Funktionsträger in der Kartause, in deren Tätigkeitsfeld sich ren durchaus öfters unterwegs; Reisekleidung, Verpflegung automatisch Kontakt zur Welt der Laien, die rund um das und vor allem Fortbewegungsmittel waren hier nicht selten Kloster leben, ergibt. ›Gefährdet‹ sind der Prior und der (für Gegenstand spezifischer Genehmigungen, die das Reisen er- die Wirtschaft verantwortliche) Prokurator, da beide für die leichtern sollten.16 Verwaltung der Kartause und die Wirtschaftsführung – auch Die Kartause, das »Kloster des Ordens der schweigenden der Kartause als Grundherrschaft – verantwortlich sind und Mönche«, wird in erster Linie als ›Platz‹ des Gebetes gewählt. daher naturgemäß mit Geldgeschäften zu tun haben. Die Kartause liegt zwar in der Nähe von Wien – »prope Vien- Die Stellung der Laienbrüder, die letztlich auch an der nam«, sagt der Anonymus Leobiensis –, sie liegt aber auch Schnittstelle zwischen Klausur und Welt stehen, da sie viele ›hinter dem Wald‹, von der Stadt aus gesehen (Abb. 4). Die- Aufgaben, die für die Aufrechterhaltung des geregelten Le- ses Gebet der Mönche manifestiert sich als allgemeiner Auf- bens vonnöten sind, zu erfüllen haben, wird hier deutlich trag des Gebetes für die Welt, im besonderen Fall als Gebet umrissen. Der Portarius – der Pförtner – entscheidet, wer Zu- für den Stifter. Allerdings bedeutet die Errichtung eines tritt zum Kloster bekommt. Klosters keineswegs ausschließlich für den Gründer und den Der Wirtschaftsraum zur Bewirtschaftung des Klosters und Versorgung der Mönche ist hier jener Raum, welcher als 16 20. Jänner 1320, Graz: König Friedrich III. erteilt der Kartause Mauerbach die Freiheit, dass der Prior derselben in Gaststätten des Klosters außer Wien überall mit vier Pferden freigehalten werden soll, wenn er an den 15 Kartäuserstatuten, Österreichische Nationalbibliothek, Wien, ÖNB Cvp königlichen oder herzoglichen Hof in Österreich oder Steiermark reist. 4737. Repertorium XIV/4, Bd. 2, fol. 39 Nr. 188.

FÖTag 4, 2016 11 Meta Niederkorn

Orden, der für dieses Kloster gewählt wurde, eine besondere Testament in der Priorenzelle in Mauerbach (»monasterio Situation. Immer ist durch die Errichtung eines Klosters auch Mawrbacensi […] in cella fratris Hugonis prioris«, 5. Oktober das unmittelbare Umfeld betroffen – und zwar der gesamte 1399), als er gleichzeitig Urkunden für das Kloster vidiert, er Raum, das sozioökonomische Umfeld des Hauses: Nicht nur stiftet auch seine Grabkapelle in Mauerbach; nach Leopold die Menschen, die schließlich sogar selbst den Weg in die Brenner soll diese im Kreuzgarten der Kartause errichtete Kartause finden, sondern auch alle diejenigen, die mit der Kapelle auch mit besonders kunstvollen Glasfenstern aus- Kartause wirtschaftlich zu tun haben, letztlich sogar ihren gestattet gewesen sein.22 Lebensunterhalt mit der Kartause ›verdienen‹, weil sie in Die Inventarisierung des Jahres 161523 bringt äußerst sum- deren Diensten stehen – sie alle sind von der Kartause ›be- marische Nachrichten zu den Büchern: troffen‹. Damit wirkt ein Kloster, ein absolut geschlossener »1000 alte Bücher, geschrieben und truckht. Und sich noch da- ›Raum im Raum‹ – in seiner Umgebung. rüber neue Bücher vor einigen Jahren per 400fl. gekauft […] so Die Kartäuser haben sich dem absoluten Schweigen ver- alles theologische Bücher sein. Die Bibliothek in dem Priorate pflichtet, um ihre gesamte Konzentration auf das Gebet, die hat 217 alte grose und claine Bücher, 315 grose und claine neue Verherrlichung Gottes, konzentrieren zu können. Die Inten- Bücher.« sität ihres Gebetes, das sie mit Ausnahme einer einzigen Beim Einfall der kriegerischen Scharen werden Bücher gemeinsamen Gebetszeit pro Tag immer allein in ihrer Zelle und anderes Inventar nahezu ausnahmslos verschleppt; verrichten, soll letztlich der gesamten Welt zugutekommen. nur wenige Bücher aus der ehemaligen Kartause haben sich Die Intensität des Gebetes und die damit verbundene über die Buchwanderung, als Geschenk und Unterstützung Spiritualität führen allerdings auch zu dieser radikalen Le- Mauerbachs anderen gegenüber, erhalten.24 Am Gebäude bensform. Ob zwischen der »Architektur der Stille«, dem richten die Kriegswirren schwere Schäden an. Baukonzept der Kartause, und den Anliegen des Stifters und Der bereits 1616 aus der Kartause St. Veit in Prüll stam- seiner Dynastie an das Kloster Konkurrenz entsteht oder ob mende Konventuale Georg Fasel wurde auf Anordnung des – und unter welchen Bedingungen – sich diese Gegensätze Melchior Klesl und Kaiser Matthias’ als Prior eingesetzt. Er vereinbaren lassen, spiegelt die Geschichte der Kartause sollte die Kartause im Sinn des Landesfürsten und des Bi- wider. Besonders deutlich wird dies in den Stiftungen. Wenn schofs von Wien leiten. Das verhindert aber nicht, dass es der Stifter Friedrich der Schöne die Kartause respektive den zwischen der Kartause und dem Offizial des Bischofs zu Prior zum Verwalter aller seiner Memorialstiftungen macht, Auseinandersetzungen im Hinblick auf die Pfarren kommt, so erhält diese damit einen Auftrag, der sich nicht nur auf da die Kartäuser ihre Exemtion auf diese ausdehnen.25 Zu- die gottesdienstlichen Leistungen, sondern auch auf die nächst verweist man die Ordensmönche wieder ins Klos- archivalische Verwaltung dieser Memorialstiftungen, die ter, wenn sie nicht eine ausdrückliche licentia vorweisen Friedrich getätigt hat, bezieht. können. Im Zusammenhang mit der Pfarre Stillfried wird schließlich die Exemtionsproblematik schlagend.26 Das um- fassende Bauprogramm, in der Planung unterbrochen durch Kloster und Bibliothek den Dreißigjährigen Krieg, wird ab 1627 neu angegangen. Der Umbau der Kirche wird in den Jahren 1628/1629 inten- Der Katalog des 15. Jahrhunderts ist nicht erhalten17, hinge- siviert und auch nach dem Tod des Priors Georg Fasel (1631) gen sind Bücherstiftungen für das Mittelalter sowie auch intensiv fortgeführt. Kirche und Kapellen werden allerdings eine Notiz über eine Bücherschenkung nach Prag18 belegt. erst 1638, nach Abschluss der Bauarbeiten, die auch die Neu- Dass der Mediziner Nicolaus von Höbersdorf/Herbersdorf errichtung des Kaisertraktes und der Bibliothek umfassten, den Mauerbacher Prior Hugo – neben Berthold Stark von durch den Bischof von Passau geweiht. Basel, dem Leibarzt Herzog Albrechts V. – zum Testaments- Kaiser Ferdinand verpflichtete die Kartause auch, zur vollstrecker über sein Haus (Weihburggasse Nr. 10), das er »Wiederaufrichtung der Universität [...] jährlich 6 Gulden wie auch alle seine Bücher der medizinischen Fakultät ver- zu leisten«27; ab 1641 befreit der Rektor die Kartause von der macht19, einsetzt, belegt die Kontakte zwischen dem Gelehr- Zahlung. ten und dem Prior20. Der unter Georg Fasel begonnene und in der Hauptsache Leonhard Polczmacher, Doktor der Rechte, vermacht 1449 unter seinen Nachfolgern Jodocus Schubert und Johannes einen vergoldeten Silberbecher mit Deckel nach Mauerbach; IV. Werner fertiggestellte Neu-/Umbau28 schafft den Kartäu- der Becher hat Kelchform, was wohl auch die Wahl des Stü- sern neuen Raum; allerdings erleidet das Kloster nochmals ckes für die Kartause beeinflusst haben mag: »dedit Pecca- im Jahr 1683 im Zuge der zweiten Belagerung Wiens durch rium argenteum deauratum cum coopertorio in modum ca- die umherziehenden Streifscharen schwere Verwüstungen; licis formatum.«21 dieses Mal sichert der Konvent die Gebeine des Stifters in Besonderen Stellenwert nimmt die Kapelle des Leonhard einem Kristallschrein und nimmt diesen mit sich. Bis zur Schauer in den Handlungsspielräumen zwischen Kartause Beisetzung der Gebeine in der Herzogsgruft in St. Stephan und Kartäusern, dem Bistum Passau sowie der Universität (nach der Aufhebung 1782) bleiben die Gebeine in diesem Wien ein. Leonhard Schauer, der Offizial des Bischofs von Schrein. Passau und Rektor der Universität, errichtet nicht nur sein

17 Mairold 1984. – Niederkorn-Bruck 1999, 650 mit Anm. 34; 653 mit Anm. 22 Wiedemann 1873, 100. – Knall-Brskovsky und Neubarth 1999. 63–64, etwa zu Cod. 1843. – Knapp 2004, 54. 23 Wiedemann 1873, 112. 18 Edition in: Gottlieb 1916, 133–136. Notiz der entliehenen Bücher: ebd., 136: 24 Etwa Wien, ÖNB Cvp. »Libros de Murbach allatos.« 25 Kritzl 2011, 131. 19 Dazu Uiblein 1999, 82–83. 26 Kritzl 2011, 204. 20 Wiedemann 1873, 99. 27 Wiedemann 1873, 114. 21 Wiedemann 1873, 103. 28 Wiedemann 1873, 114, 116.

12 FÖTag 4, 2016 silentium – Architektur der Stille

Die Wiederbestiftungen und Privilegienbestätigungen Literaturverzeichnis sowie zahlreiche Schenkungen führen zu rascher Erholung Blaeu 1665: Joan Blaeu, Novus Atlas, Amsterdam 1665. in wirtschaftlicher Hinsicht. Die Kartause hat wieder Raum Blomevenna 1515: Peter Blomevenna, Vita beati Brunonis, Froben 1515. – aber auch neuen Raum für verstärkte Interaktion zwischen Gottlieb 1916: Theodor Gottlieb, Mittelalterliche Bibliothekskataloge Öster- dem Orden der schweigenden Mönche und dem Umfeld. reichs, Deutschlands und der Schweiz I. Niederösterreich, Wien 1916. Knall-Brskovsky Neubarth Ulrike Knall-Brskovsky Karl Sieht man das Archivinventar des 18. Jahrhunderts durch, so und 1999: und Neubarth, Baugeschichte der Kartause im 17. und 18. Jahrhundert. In: Kartause bestätigt sich in den Schlagworten bereits das hoch diffe- Mauerbach. 1314 bis heute, ÖZKD 53/2–4, 1999, 453–491. renzierte Spektrum dieser Interaktion. Von allen Grund und Knapp 2004: Fritz Peter Knapp, Die Literatur des Spätmittelalters in den Län- Boden betreffenden Lemmata über Privilegien sowie Stiftun- dern Österreich, Steiermark, Kärnten, Salzburg und Tirol von 1273 bis 1439. Band 2. Die Literatur zur Zeit der habsburgischen Herzöge von Rudolf IV. bis Albrecht gen und Schenkungen von Personen verschiedenster sozia- V. (1358–1439), Geschichte der Literatur in Österreich von den Anfängen bis ler Zuordnung finden sich hier Quellen, die die Einbindung zur Gegenwart 2/2, Graz 2004. der Kartause in das sozioökonomische Umfeld belegen. Alle Kritzl 2011: Johannes Kritzl, »Sacerdotes incorrigibiles«. Die Disziplinierung Stiftungen sind mit Memorialleistungen verbunden, wie es des Säkularklerus durch das Passauer Offizialat unter der Enns von 1580 bis 1652 im Spiegel der Passauer Offizialatsprotokolle, Diss. Univ. Wien, 2011. etwa auch eine Nachricht über naturwissenschaftliche Ins- Mairold 1984: Maria Mairold, In Mauerbach geschrieben. In: Mauerbach trumente belegt. Johann Bartholomeus Penz vermacht der und die Kartäuser, Analecta Cartusiana 110, 1984, 18–32. Kartause seine Instrumentensammlung29, wofür sich das Niederkorn-Bruck 1999: Meta Niederkorn-Bruck, Zur Wissenschaftspflege in der Kartause Mauerbach. In: Kartause Mauerbach. 1314 bis heute, ÖZKD Kloster zu einer monatlichen Gedenkmesse verpflichtet, wie 53/2–4, 1999, 646–656. 30 das Archivinventar berichtet: Pärr 2011: Nora Pärr, Maximilian Hell und sein wissenschaftliches Umfeld im Das Stifft ist schuldig wegen der von dem Joanne Bartholo- Wien des 18. Jahrhunderts, Diss. Univ. Wien, 2011. Proetel Katrin Proetel maeo Penzen zu dem Stifft verschafften Instrumenten für 2000: , Großes Werk eines »kleinen Königs«. Das Vermächtnis Friedrichs des Schönen zwischen Disposition und Durchführung. dem [sic!] selben monathlich mit einer hl. Mess eingedenck zu In: Michael Borgolte (Hrsg.), Stiftungen und Stiftungswirklichkeiten, Berlin seyn, welches Herr Praelat Benedictus auf sein guttes Gewissen 2000, 59–77. und Verantwortung genohmen, als der Testament Extract von Schedel 1497: Hartmann Schedel, Liber Chronicarum, Nürnberg 1497. Uiblein 1999: Paul Uiblein, Die Universität Wien im 15. und 16. Jahrhundert. 22ten Maii sub No. 97, 98 fasc. 148. In: Ders., Die Universität Wien im Mittelalter, Schriftenreihe des Universitäts- 1670 werden die Prioren von Mauerbach, Gaming und archivs 11, Wien 1999, 75–100. Aggsbach in den Prälatenstand erhoben31, wogegen so- Wiedemann 1873: Theodor Wiedemann, Geschichte der Kartause Mauerbach, wohl das Bistum als auch der Prior der Kartause Buxheim Berichte und Mitteilungen des Altertumsvereines zu Wien XIII, 1873, 69–130. im Namen des Generalpriors 1686 vergeblich protestieren. Erst 1722 kommt es zur offiziellen Genehmigung, unter der Voraussetzung, dass sich der Prior als »Prior et Praelatus« Abbildungsnachweis bezeichnet. 1739 besichtigt Marquard Herrgott die Grabstätte des Abb. 1: Bayerische Staatsbibliothek München, BSB 2 Inc.c.a. 3536 n, fol. 194r Stifters32; für seine weiteren Forschungsarbeiten an den Ur- Abb. 2: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0128-6-943 [Zugriff: 14. 2. 2016] kunden werden die Privilegien nach Wien, wohl in den Mau- Abb. 3: http://monasterium.net/mom/AT-HHStA/ MauerbachOCart/1317_V_25/charter erbacher Hof, verbracht. Abb. 4: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Austria_Lazius_1662_ Atlas_Blaeuw.jpg [Zugriff: 13. 2. 2016]

Autorin

ao. Univ. Prof. Mag. Dr. Meta Niederkorn Universität Wien Institut für Geschichte Universitätsring 1 1010 Wien [email protected]

29 Pärr 2011, 91. 30 Wien, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, HS. R 162 fol. 22r. 31 Wien, Haus-, Hof- und Staatsarchiv. – Bisher kein Regest zur Urkunde: Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Mauerbach, Kartäuser (1266–1759) 1670 VI 17, http://monasterium.net/mom/AT-HHStA/MauerbachOCart/1670_ VI_17/charter [Zugriff: 19. 10. 2015]. In der Narratio wird auf »Devotion, Treu und Eyffernauch angenehmb und erspriessliche dienste« verwiesen. In der Dispositio der Urkunde werden nochmals »ihre unterthenigiste dienste, welche sy zu des gemeinen wesens nuzen und wollfarth […] experi- enz [die sie] erzaigt« haben, herausgehoben. 32 Siehe auch: Proetel 2000.

FÖTag 4, 2016 13

Archäologische Forschungen in den Kartausen Aggsbach, Gaming und Mauerbach

Julia Wilding und Iris Winkelbauer

Archäologische Forschungen in den Aggsbach niederösterreichischen Kartausen – ein Überblick In den Jahren 2008 bis 2010 fanden in der Kartause Aggs- bach aufgrund der geplanten Errichtung eines Meditations- Julia Wilding gartens drei Grabungskampagnen im Bereich des großen Kreuzganges statt.12 Dabei konnten neun Mönchszellen, die Die Klostergemeinschaften der drei Kartausen Aggsbach, Totenkapelle, das Parlatorium und der gesamte Kreuzgang Gaming und Mauerbach wurden 1782 aufgelöst, als sie der freigelegt werden.13 kirchenpolitischen Reform von Kaiser Joseph II. zum Opfer Durch die Grabungen wurden drei Hauptbauphasen fest- fielen.1 Die Nachnutzung gestaltete sich in jeder Kartause an- gestellt (Abb. 1). Das gesamte Eremitorium wurde in der ders und beeinflusst die rezente archäologische Forschung. Gründungsphase in einem Zug errichtet. Die mittelalter- In Aggsbach wurde die Klosterkirche zur Pfarrkirche um- lichen Zellen wurden mittig durch eine Tür vom Kreuzgang gestaltet.2 Die Anlage wurde kurze Zeit staatlich verwaltet3, aus betreten. In den Garten gelangte man sowohl vom bald danach jedoch verkauft; die Mönchszellen wurden noch Kreuzgang als auch von der Zelle aus. Die Zellen wurden im 18. Jahrhundert abgebrochen4. Heute entsteht anstelle durch einen offenen Kamin oder einen Kammerofen beheizt. des großen Kreuzgangs ein Meditationsgarten, der auf den Quadratische Ofenfundamente befanden sich mittig an der Strukturen der klosterzeit lichen Zellen aufbaut.5 Zellenwand. Die Zellen waren zweigeschoßig.14 Gaming verfiel nach der Aufhebung mehr und mehr. In einer Umbauphase des späten 16. Jahrhunderts wurde Von 1782 bis 1825 wurde der Grundbesitz vom Staat ver- der Innenraum der Zellen durch die Errichtung von Innen- waltet. Danach ging die Kartause in Privatbesitz über und mauern dreigeteilt.15 wurde 1915 vom Benediktinerstift Melk erworben. Nach Im 17. Jahrhundert fanden ebenfalls umfangreiche Um- dem 2. Weltkrieg bewohnten russische Besatzungssoldaten bauarbeiten statt. Mehrere Zellen im Nord- und im Osttrakt zehn Jahre lang die Gebäude. 1983 wurde der Besitz an den wurden abgerissen. Der Ausgang in den Garten erfolgte jetzt Architekten Walter Hildebrand verkauft, der die Anlage re- über einen Begleitgang zum Kreuzgang. In Zelle 2 konnte am staurierte und revitalisierte.6 Heute befinden sich eine Au- Ende dieses Ganges eine gemauerte Latrine nachgewiesen ßenstelle der Franziskanischen Universität von Steubenville werden. In ihr wurden Glas, teilweise sehr qualitätvolle Ke- (Ohio, USA), ein Hotel, ein Restaurant und ein Museum in ramik, Reste von Muscheln, Fischen und sieben Schildkröten- den Klostermauern. Die ehemaligen Mönchszellen werden panzer dokumentiert. Eine Besonderheit stellt ein klappba- seit dem 18. Jahrhundert als private Einfamilienhäuser ge- res Toilettebesteck aus Bein dar.16 nutzt.7 Im Vorraum wurden die hölzernen Stiegenanlagen durch Die Räumlichkeiten der Kartause Mauerbach beherberg- eine aus Ziegeln gemauerte Treppe mit Holzstufen ersetzt. ten ab 1783 ein Spital, weshalb viele bau liche Veränderungen Der Raum unter der Treppe wurde abgetieft und als Vor- durchgeführt wurden.8 Im 2. Weltkrieg diente die Kartause ratskammer verwendet. Die offene Feuerstelle wurde durch als Lazarett.9 Von 1946 bis 1961 wurde sie als Obdachlosen- einen Kachelofen ersetzt, der vom Vorraum aus beheizt wur- asyl genutzt.10 1962 ging der Besitz an den Bund über und de.17 wurde 1984 dem Bundesdenkmalamt übergeben.11 Seither Im Sommer 2014 fand eine neuerliche baubegleitende wird die Anlage restauriert. Ausgrabung im Bereich des kleinen Kreuzganges statt. Dabei konnten Mauerzüge und Fundmaterial vom 14. Jahr- hundert bis heute dokumentiert werden.18 Bevor in Aggsbach gegraben wurde, fand 2003 eine geo- physikalische Prospektion im Bereich des Eremitoriums und der Klosterkirche statt. Dabei wurden die Strukturen des Benesch Hildebrand 1 Aggsbach: u. a. 2010, 4. – Gaming: 2008, 10. – Mau- großen Kreuzgangs, mehrerer Zellen, der Friedhofskapelle erbach: Jaritz 1999, 384. 2 Benesch u. a. 2010, 6. 3 Thir 2014, 17. 4 Benesch u. a. 2010, 6. 5 Siehe den Beitrag von Alfred R. Benesch in diesem Band. 12 Benesch u. a. 2010, 5. 6 Hildebrand 2008, 10–11. 13 Benesch u. a. 2010, 5. – Krenn und Fettinger 2010. 7 Hofer 2009, 265. 14 Benesch u. a. 2010, 7–11. 8 Fahringer 1999, 393. 15 Benesch u. a. 2010, 10. 9 Fahringer 1999, 399. 16 Benesch u. a. 2010, 10–11. 10 Fahringer 1999, 399. 17 Benesch u. a. 2010, 10–11. 11 Fahringer 1999, 399. 18 Fettinger 2014, 16.

FÖTag 4, 2016 15 Julia Wilding und Iris Winkelbauer

Abb. 1: Phasenplan der Kartause Aggsbach auf Grundlage der Grabungen 2008 bis 2010. und des Parlatoriums sichtbar. Die Interpretation der Radar- wurden. Die Knochen werden in das späte Mittelalter be- daten ergab ebenfalls drei Bauphasen. Durch die Grabungen ziehungsweise in die frühe Neuzeit, also in die Klosterzeit, konnten die Ergebnisse der geophysikalischen Untersu- datiert.23 chung verfeinert werden.19 Die zwei Aufschlüsse von 2007 und 2009 stellen die einzi- gen archäologischen Maßnahmen in Gaming dar. Gaming Mauerbach Im September 2007 wurden bei Bauarbeiten in Hof 3 zwei Mauern aufgedeckt, die jedoch schon alt gestört waren. Zu In Mauerbach fanden die umfangreichsten archäologischen Datierung und Funktion konnten keine Aussagen gemacht Untersuchungen statt. 1984 wurde ein kleiner Bereich im werden.20 Bibliothekshof ergraben.24 1993 wurden Teile des Osttrakts Im September 2009 kamen bei Fußbodenarbeiten in inklusive einer Zelle untersucht.25 Von Herbst 1996 bis 2008 einer ehemaligen Mönchszelle Keramik und Tierknochen fanden jährlich Grabungskampagnen in den folgenden zum Vorschein, woraufhin das Bundesdenkmalamt verstän- Bereichen statt: Südtrakt, Osttrakt, Westtrakt, Nordtrakt, digt wurde. Das Fundmaterial stammte aus einem 1 × 1 m Kreuzgarten und Nordtrakt des Prälatenhofs. Dabei konn- großen und 0,50 m tiefen Ziegelschacht (Abb. 2, 3) in der ten Teile der spätmittelalterlichen Klosteranlage und der Nordostecke des Raums. Der Fußboden über dem Schacht frühneuzeit lichen Bauphase vor dem barocken Umbau im war bereits vollständig entfernt und durch eine Schotter- 17. Jahrhundert dokumentiert werden (Abb. 4).26 schicht ersetzt worden. Aufgrund der fortgeschrittenen Im Februar 2008 fanden im Bereich des südöstlichen Baumaßnahmen war es nicht möglich, den Befund regulär Kreuzgartens geophysikalische Messungen statt, die von der zu dokumentieren. Bei dem Schacht könnte es sich um eine Firma ArcheoProspections durchgeführt wurden. Die Ergeb- Kühlvorrichtung handeln, wie sie auch in der Kartause Aggs- nisse wurden 2013 in Form einer Diplomarbeit an der Univer- bach gefunden wurde.21 sität Wien vorgelegt.27 Die gefundene Gefäßkeramik zeigt mehrheitlich schlichte Bei den Grabungen 1997 und 1998 wurden 27 Individuen Gebrauchsformen. Der hohe Anteil an Kachelfragmenten geborgen, die im Rahmen einer anthropologischen Bearbei- wird im Gegensatz dazu als Hinweis auf eine gehobene tung28 auf Sterbealter, Geschlechtsverteilung und Krank- Wohnkultur gedeutet. Eventuell wurde hier ein Kachelofen heiten untersucht wurden. Aufgrund der Lage und des Be- zumindest teilweise entsorgt. Das Keramikmaterial ist sehr stattungsritus konnten die Bestattungen in zwei Gruppen homogen und wird in die Zeit um 1500 datiert.22 unterteilt werden. Die Toten der ersten Gruppe werden als An Tierknochen wurden Überreste von Rind, Schaf be- ziehungsweise Ziege, Rothirsch, Reh und Gans gefunden. Die hohe Dichte an Arbeitsspuren an den Knochen könnte 23 Hofer 2009, 268. darauf hinweisen, dass die Tierreste als Nahrung genutzt 24 Melzer 1984. 25 Sauer 1993. 26 Kreitner 1997. – Kreitner 1998. – Kreitner 1999. – Kreitner 2000. – Art- ner und Kreitner 2001. – Kreitner 2002. – Kreitner und Fragner 2003. – Kreitner u. a. 2004. – Krenn und Schön 2006. – Krenn und Schön 2007. 19 Reinberger 2006, 24–29. – Krenn und Schön 2008. 20 Unveröffentlichtes Protokoll, Archiv Bundesdenkmalamt. 27 Brüstle 2013. 21 Hofer 2009, 265–266. 28 Die hier präsentierten Ergebnisse sind eine Zusammenfassung des 22 Hofer 2009, 267. unveröffentlichten Berichts: Leeb 2014.

16 FÖTag 4, 2016 Archäologische Forschungen in den Kartausen Aggsbach, Gaming und Mauerbach

Abb. 3: Lage des Ziegelschachts in der Kartause Gaming.

Auflassung im Zuge der Reform Josephs II. im ausgehenden 18. Jahrhundert umfasst. Ein Aspekt, der wegen des vorgegebenen zeit lichen Rah- mens von drei Jahren im Projekt leider ausgeklammert wer- den muss, ist die Nachnutzungsphase der Kartausen. Vor allem die Kartause Mauerbach wurde nach der Aufhebung des Klosters 1782 lange als Versorgungshaus und chirurgi- sches Hilfskrankenhaus genutzt, was sich natürlich auch im Befund und im Fundmaterial niederschlägt und daher bei der Auswertung berücksichtigt werden soll, um Fehlinter- pretationen entgegenwirken zu können. Abb. 2: Ziegelschacht, Kartause Gaming. Neue Überlegungen in der Kirchen- und Klosterarchäolo- gie sollten über die bis dato im Zentrum der Forschungen stehenden individuellen Monumente hinausreichen. So »Mönche« interpretiert, da sie in den Bereichen des kleinen werden zunehmend Perspektiven archäologischer Studien Kreuzgangs und des mittelalterlichen beziehungsweise ba- zu Veränderung und Komplexität von religiösen Landschaf- rocken Chors aufgefunden wurden. Die Verstorbenen ruh- ten forciert und Wechselbeziehungen zwischen religiösen ten auf einfachen Holzbrettern. Eine dendrochronologische und profanen Schauplätzen berücksichtigt. Die Archäologie Bestimmung der Holzreste datiert die Gräber in die Zeit vom gibt neue Einblicke zu der Form des mittelalterlichen Glau- späten Mittelalter bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts. bens und seinem Ausdruck durch Material und verkörperte Die Skelette, welche in der Laienkirche begraben wurden, Praktiken.29 Somit wird in diesem Projekt mit den zu unter- werden der Gruppe B, den »Stiftern«, zugeordnet. Sie wur- suchenden Klöstern, eingebettet in ein System von Sakralem den zumeist in Holzsärgen bestattet. Ein Toter lag in einer und Profanem, ein in der jüngsten archäologischen Kloster- gemauerten Gruft. Alle Bestattungen werden aufgrund forschung von Roberta Gilchrist geforderter holistischer An- dendrochronologischer Untersuchungen in die Klosterzeit satz aufgegriffen. (17. Jahrhundert) datiert. Im Fokus des Projektes steht die jeweilige Kartause mit Das durchschnittliche Sterbealter beider Bestattungs- Blick nach innen und außen, wobei sie zugleich als Kontakt- gruppen lag bei ca. 37 Jahren. Die Geschlechtsbestimmung und Exklusionsraum zwischen der monastischen Innenwelt ergab hauptsächlich männ liche Individuen. Bei fünf Bestat- und der profanen Außenwelt fungiert. Diese Abschottung tungen war keine Bestimmung des Geschlechts möglich. und gleichzeitige Interaktion soll auf sozialer, religiöser, kul- tureller, politischer und wirtschaftlicher Ebene untersucht werden. Ausblick: Archäologisches Forschungs- projekt zu den Kartausen im heutigen Österreich Forschungsfrage

Iris Winkelbauer Im Zentrum steht die jeweils zu untersuchende Kartause (Mauerbach und Aggsbach) mit ihrer inneren Struktur – Forschungsobjekte – zeit liche und räum liche dem Laienbruder- und dem Mönchsbereich. Sie stellt einen Einordnung abgegrenzten Raum dar, der sich aber für einen Austausch nach innen und außen öffnet (als Schnittstelle fungieren Die Kartausen Mauerbach und Aggsbach bieten sich auf- beispielsweise der Prior, die Klosterangestellten oder Gäste). grund der umfangreichen archäologischen und bauhistori- Dabei tritt die Kartause mit ihrer Umwelt, der profanen und schen Untersuchungen in den 1990er- und 2000er-Jahren geistlichen Welt, sowie der Natur in Kontakt (Abb. 5). Ein- als Forschungsobjekte an. Gaming soll in bescheidenem flüsse aus der profanen Welt finden unter anderem durch Maß ebenfalls für bestimmte Fragestellungen herangezo- Kriege, Architektur und Kunst sowie die Dorf- und Stadtge- gen werden. meinschaft im unmittelbaren Umfeld und in entfernteren Zeitlich wird die Laufzeit der Klöster von der Gründung der Kartause Mauerbach Anfang des 14. Jahrhunderts bis zur 29 Gilchrist 2014, 235.

FÖTag 4, 2016 17 Julia Wilding und Iris Winkelbauer

Abb. 4: Archäologisch unter- suchte Areale in der Kartause Mauerbach.

Gebieten statt. Hinzu kommen Wirtschaftsflächen des Klos- Weiters fehlen Untersuchungen zum Verhältnis zwischen ters und der Import beziehungsweise Export von Gütern. Individuum und Gemeinschaft innerhalb einer Kartause. Im geist lichen Bereich sind Einflüsse der übrigen europä- Dieses zu erforschen ist vor allem beim Kartäusereremi- ischen Kartausen, des Generalkapitels, der Visitatoren, aber tenorden, der in seinen Klöstern das Einsiedler- und Ge- auch anderer Orden und Weltgeist licher zu erwarten. Dem- meinschaftsleben miteinander verbindet, von besonderem entsprechend soll die jeweils zu untersuchende Kartause Interesse. Zudem sind vergleichende Studien innerhalb der auch in einen Vergleich mit anderen bereits archäologisch Kartäuserarchäologie nur in geringen Ansätzen vorhanden. untersuchten und vorgelegten Kartausen sowie mit den Erstrebenswert ist dabei nicht nur ein Vergleich der Kartau- Strukturen der profanen Welt treten. sen untereinander, sondern auch ein Vergleich hinsichtlich Ein weiterer wichtiger Faktor sind natür liche, nicht vom unterschiedlicher und gemeinsamer Ausstattungselemente Mensch gesteuerte Einflüsse wie Flut, Erdbeben oder Feuer. mit adeligem/bürger lichem Befund- und Fundmaterial. Mauerbach beispielsweise wurde durch das »Erdbeben von In diesem Projekt soll sich die Forschungsarbeit daher auf Neulengbach« 1590 stark in Mitleidenschaft gezogen, ein drei Themenblöcke und die daraus resultierenden Fragen Ereignis, das mit Sicherheit auch weitreichende Konsequen- konzentrieren. Die drei Blöcke werden unter Berücksichti- zen für die Wirtschaft und die Lebensumstände im Kloster gung zweier Ebenen untersucht (Abb. 6). Sie basieren auf hatte und einer genauen Untersuchung bedarf. dem erweiterten Motivationsmodell der menschlichen Be- Die Betrachtung des aktuellen Forschungsstandes zeigt, dürfnishierarchie von Abraham Maslow.31 Die zwei Ebenen dass in der österreichischen Kartäuserarchäologie grundle- sind miteinander eng verwoben und die einzelnen Bedürf- gende Forschungsarbeiten bis heute fehlen. Eine Analyse der nisse stehen in Abhängigkeit zueinander. Auf der ersten ergrabenen Daten ist bisher nicht erfolgt und es fand noch Ebene werden folgende physiologische Existenz- und darü- keine archäologische Auswertung in Hinblick auf das Wir- ber hinausgehende Grundbedürfnisse berücksichtigt: 1. Er- ken der Klostergemeinschaft im Klosterraum statt, wobei nährung, 2. Wasser, 3. Wärme (Unterkunft, Heizen, Kleidung) der Terminus »Klosterraum« hier als Sammelbegriff sowohl und 4. Sicherheit (Gesundheit und Schutz in Form von Ruhe, von geistigem Vermächtnis als auch von materiellen Hin- terlassenschaften eines Klosters verstanden werden soll.30 31 Maslow 1943. Hierbei handelt es sich um eine dynamische Annahme des Modells. Es unterliegt einer allgemeinen sozialpsychologischen Verständ- nistheorie. Dabei greift Maslow einen holistisch-dynamischen Ansatz 30 Winkelbauer 2013, 13. auf, der auch für dieses Projekt gefordert wird.

18 FÖTag 4, 2016 Archäologische Forschungen in den Kartausen Aggsbach, Gaming und Mauerbach

Abb. 5: Die jeweilige Kar- tause und ihre Interaktio- nen mit der profanen und geistlichen Außenwelt.

FÖTag 4, 2016 19 Julia Wilding und Iris Winkelbauer

Abb. 6: Die Themenblöcke A bis C in Abhängigkeit zu Bedürfnisebene 1 und 2.

Licht, Medizin und Hygiene). Die zweite, wesentlich komple- Raumvorstellung zum Tragen.33 Die raumsoziologische Aus- xere Ebene umfasst erweiterte Bedürfnisse wie soziale und wertung der Befunde erlaubt es, diese in Relation zum Klos- Individualbedürfnisse (5. Gemeinschaft, Rückzug, Wissen, terraum mit all seinen archäologisch auswertbaren Quellen Besitz etc.) sowie Selbstverwirklichung und Transzendenz zu setzen. (6. Religiosität, Sepulkralkultur, Liturgie und Mystifizierung Außerdem werden die Bauelemente der jeweils zu un- etc.32). Die Kartäuser weihen ihr Leben dem Gebet und der tersuchenden Kartause einer architektursoziologischen Auf- Suche nach Gott. Im Gegensatz zu Gemeinschaften der nahme unterzogen. Für diese Untersuchungen gilt, dass sie profanen Außenwelt wird die Erfüllung dieses Bedürfnisses »Zusammenhänge von gebauter Umwelt, sozialem Handeln anderen gegenüber in den Vordergrund gestellt. Dennoch und den dominanten Sozialstrukturen unter Berücksichti- können sich die Kartäuser nicht den Existenz- und Grundbe- gung der ökonomischen und politischen Voraussetzungen« dürfnissen entziehen und müssen für ihre Erfüllung sorgen. erfassen. »Untersuchungsfelder sind weiterhin die Struktu- Die Bedürfnisse der ersten und der zweiten Ebene sind ren des Bauprozesses, der Partizipation und der jeweiligen mit einem oder mehreren der folgenden Themenbereiche in Eigentumsverhältnisse«.34 Diese Definition konzeptualisiert Bezug zu setzen: landwirtschaftliche und gewerbliche Pro- die Architektur als die materielle, gebaute Umwelt und duktion sowie Standort, Landschaft und Architektur. kann laut Bernhard Schäfers als Teilbereich und zugleich als Themenblock A behandelt die Ver- und Entsorgung im Korrektiv der Raumsoziologie aufgefasst werden.35 Somit Kloster – den umfangreichsten Forschungspunkt des Pro- stehen sowohl die Bauweise, die Einflüsse, denen die Ele- jektes. Eine zentrale Frage für einen Austausch nach innen mente unterliegen, als auch die Beziehung zueinander im und außen stellt die Versorgung des Klosters mit Materiel- Vordergrund. Für Heike Delitz ist eine Aufgabe der Architek- lem und dessen Entsorgung dar. Themenblock B beschäftigt tursoziologie, die Veränderungen im Sozialen »im Spiegel« sich mit dem Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft, der Veränderungen der Architektur zu untersuchen.36 Daher während in Themenblock C zum einen die zu erforschenden werden mit diesem Ansatz vornehmlich Fragen zu Raum- Kartausen Mauerbach, Aggsbach und Gaming einander ge- funktionen und den Veränderungen, denen sie sowohl in genübergestellt werden, zum anderen – ganz im Zeichen nutzungstechnischer als auch in zeit licher Hinsicht unter- des Verhältnisses zwischen innen und außen – ein Vergleich liegen, beantwortet. Aber auch Fragen sozialer Natur (zum der klösterlichen Kartäusergemeinschaft mit der adeligen/ Beispiel, wer die Bauten nutzte) können mittels dieses archi- bürgerlichen Gesellschaft der nahe gelegenen Zentren an- tektursoziologischen Ansatzes beantwortet werden. gestrebt wird. Die landschaftsarchäologischen Auswertungen basieren auf dem Konzept von zwei Perspektiven, die eingenommen werden.37 Mit Hilfe der ethischen Perspektive werden ar- Methoden chäologische Strukturen im physischen Raum untersucht. In der emischen Perspektive werden Text- und Bildquellen als Durch die Auseinandersetzung mit den Themenblöcken Basis für eine Interpretation der sozialen Situation verwen- Ver- und Entsorgung sowie Individuum und Gemeinschaft det. Somit ist die Landschaft mit Bedeutung aufgeladen, können sowohl einzelne Bereiche der Kartausen punktuell existiert physisch (von der Natur geschaffen und sowohl beleuchtet als auch größere Zusammenhänge erfasst wer- wissentlich als auch unwissentlich von der Gemeinschaft den. Diese Analysen erfolgen unter Berücksichtigung me- geformt) und als Konzept ihrer Bewohner.38 Mit diesem thodischer Ansätze aus der Raumsoziologie, die Architektur Ansatz werden vornehmlich Fragen zum Standort und zur und Landschaft einbindet, der material culture studies sowie Landschaft beantwortet. der Naturwissenschaften. Zusätzlich soll ein Vergleich von In einer Gesellschaft verwendete materielle Dinge sind archäologischem Quellenmaterial mit historischem Text- aus dem Kontext des Handelns heraus zu verstehen. Der und Bildmaterial angestrebt werden. gesellschaftliche Alltag wird daher sowohl von materiellen Nach einer Befunderfassung und -einordnung werden Dingen als auch vom Handeln und Wissen geprägt. Die Ver- die Ergebnisse einer raum- und architektursoziologischen bindung von Materiellem und Immateriellem ist als etwas sowie landschaftsarchäologischen Erforschung unterzo- gen. Dabei kommt eine relationale, handlungstheoretische

33 Löw 2001, 131. 34 Schäfers 2010, 29. 32 Becker und Reinhardt-Becker 2001, 115–121. Transzendenz beschreibt die 35 Trebsche u. a. 2010, 9–16. Suche nach Gott als eine das individuelle Selbst überschreitende Dimen- 36 Delitz 2009, 55. sion. Vergleiche hierzu Niklas Luhmann: Gott als Beobachter zweiter 37 Doneus und Kühtreiber 2013. Ordnung. 38 Doneus und Kühtreiber 2013.

20 FÖTag 4, 2016 Archäologische Forschungen in den Kartausen Aggsbach, Gaming und Mauerbach

Gleichzeitiges aufzufassen.39 Objekte stehen daher in stän- Die angewandten Methoden lassen ferner aufgrund diger Interaktion mit den unterschiedlichsten Bereichen des guten Vergleichsmaterials und der überregionalen Ver- des Alltages und fungieren als Determinanten für das Ver- gleichsstudien neue Forschungsergebnisse erhoffen. Ein halten von Personen, Gemeinschaften und letztlich sozialen weiterer innovativer Ansatz besteht in der theoriebasierten Schichten.40 Auswertung archäologischer Klosterkomplexe in Österreich. Die Aufnahme und Bearbeitung des Fundmaterials ori- Es wird eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit an- entiert sich an den Methoden der material culture studies. gestrebt, um Forschungsergebnisse in Vergleich zu setzen, Mit dieser Untersuchung werden Fragen zu Produktion, Nut- Zusammenhänge oder Divergenzen zu finden oder For- zungs- und Sozialfunktion, Bedeutung und Symbolgehalt schungslücken zu ergänzen. Manche Fehlstellen können der Objekte beantwortet. Der symbolische Gehalt lässt sich jedoch weder durch archäologische noch durch schrift liche nur im Kontext erfassen und ist in Raum und Zeit wesent- oder bild liche Quellen geschlossen werden. lichen Veränderungen unterworfen.41 Dadurch ergeben sich Damit nehmen wir vielfältige Perspektiven auf, wie sie weiterführende Analysen, die zeigen, welchen Veränderun- auch in einer aktuellen Debatte unter anderem von Achim gen die Objekte innerhalb der Kartausen unterliegen und Landwehr in der Kulturgeschichte gefordert werden. Wis- wie sich die Objekte im Vergleich zur materiellen Ausstat- senschaften mit ähn lichen Fragerichtungen und Problem- tung der bürger lichen/adeligen Gesellschaft darstellen. stellungen sollen zusammengebunden werden, um daraus Weitere Analysen beziehen sich auf einen Vergleich von neue Synergieeffekte zu gewinnen. Grenzüberschreitungen Schrift- (Statuten, Inventarlisten, Rechnungsbücher) und sollen hier ermöglicht werden.42 Bildquellen (Plandarstellungen und Zeichnungen) mit dem ausgewerteten archäologischen Quellenmaterial. Dabei wird auf bereits von Historikern und Kunsthistorikern ausge- Literaturverzeichnis wertetes Material zurückgegriffen. Im Zentrum steht dabei Artner und Kreitner 2001: Gottfried Artner und Thomas Kreitner, Ein die Beantwortung der Frage, ob die durch archäologische Kurzbericht über die archäologischen Untersuchungen 2001 in der Kartause Quellen erarbeitete Lebensweise die in den Consuetudines Mauerbach, NÖ. In: Barbara Wewerka u. a., Bericht zu den Ausgrabungen des geforderten Verhaltensstrukturen widerspiegelt. Damit soll Vereins ASINOE im Projektjahr 2001, FÖ 40, 2001, 515–517. Becker Reinhardt-Becker Frank Becker Elke Reinhardt- herausgefunden werden, ob eine Diskrepanz zwischen ide- und 2001: und Becker, Systemtheorie. Eine Einführung für die Geschichts- und Kulturwissen- alen Forderungen und den reellen Bedingungen in der Kar- schaften, Frankfurt/Main 2001. tause besteht. Außerdem benötigt man Texte und Bilder für Benesch u. a. 2010: Alfred Benesch, Martin Krenn und Ute Scholz, Die landschaftsarchäologische Auswertungen. Cartusia Portae Beatae Mariae Virginis in Aggsbach, Archäologie Österreichs 21/2, 2010, 4–17. Um das Fragenkonvolut der Themenblöcke beantworten Brüstle 2013: Anna Katharina Brüstle, Archäologische Prospektion mit zu können, sind außerdem naturwissenschaftliche Analy- Bodenradar. Fallstudie Mauerbach, unpubl. Dipl. Univ. Wien, 2013. sen nötig. Erste Auswertungen, die die Archäozoologie und Delitz 2009: Heike Delitz, Architektursoziologie. Einsichten. Soziologische Anthropologie betreffen, sind bereits erfolgt. Weitere Unter- Themen, Bielefeld 2009. Doneus und Kühtreiber 2013: Michael Doneus und Thomas Kühtrei- suchungen im Bereich der Archäobotanik und Archäozoolo- ber, Landscape, the Individual and Society. Subjective Expected Utilities in a gie sind im Zuge dieses Projektes vorgesehen. Vor allem im Monastic Landspace near Mannersdorf am Leithagebirge, Lower Austria. In: Bereich der Ernährung können solche Untersuchungen zu Natascha Mehler (Hrsg.), Historical Archaeology in Central Europe, The Socie- ty for Historical Archaeology. Special publication 10, Rockville 2013, 339–364. wichtigen neuen Erkenntnissen führen. Fahringer 1999: Karl Fahringer, Alten und Elenden ihr trauriges Daseyn et- was milder zu machen. Der besondere Fall des Versorgungshauses Mauerbach. In: Kartause Mauerbach. 1314 bis heute, ÖZKD LIII/2–4, 1999, 393–399. Ziele und innovative Aspekte Fettinger 2014: Brigitte Fettinger, Bericht zur Grabung Kartause Aggsbach 2014, unpubl. Grabungsbericht, 2014. Gilchrist 2014: Roberta Gilchrist, Monastic and Church Archaeology, Annual Ein wichtiges Ziel des Forschungsprojektes ist es, sowohl im Review of Anthropology 43, 2014, 235–250. Zuge der systematischen Auswertung der Themenblöcke A Hahn 2014: Hans Peter Hahn, Materielle Kultur. Eine Einführung, Berlin 2014. Hildebrand 2008: Walter Hildebrand, Kartause Gaming, Gaming 2008. und B unter Berücksichtigung neuer Ansätze in der archäo- Hofer 2009: Nikolaus Hofer, Ein spätmittelalterlicher Fundkomplex aus der logischen Forschung Einzelbereiche der Kartause und des ehemaligen Kartause Marienthron in Gaming, Niederösterreich, FÖ 48, 2009, Klosterraumes zu beleuchten als auch mit den vergleichen- 265–272. Jaritz Gerhard Jaritz den Studien in Themenblock C größere Zusammenhänge zu 1999: , Die Kartäuser von Mauerbach und ihre Geschich- te. Spirituelles Leben auf materieller Basis. In: Kartause Mauerbach. 1314 bis erfassen. heute, ÖZKD LIII/2–4, 1999, 375–384. Ein weiteres Ziel besteht darin, in der sehr stark histo- Kreitner 1997: Thomas Kreitner, KG Mauerbach, FÖ 36, 1997, 23. risch und kunstgeschichtlich beziehungsweise theologisch Kreitner 1998: Thomas Kreitner, KG Mauerbach. Ein Vorbericht über die archäologischen Untersuchungen der Jahre 1996 bis 1998 in der Kartause geprägten internationalen Gemeinschaft der Kartäuser- Mauerbach, NÖ. In: Martin Krenn u. a., Bericht zu den Ausgrabungen des forschung innovative Ansätze aus Sicht der Archäologie zu Vereins ASINOE in den Projektjahren 1997 und 1998, FÖ 37, 1998, 342–397. liefern, um einerseits eine breitere Basis in der Kartäuserfor- Kreitner 1999: Thomas Kreitner, Vorbericht über die archäologischen Martin Krenn schung zu schaffen und andererseits neue Perspektiven für Untersuchungen in der Kartause Mauerbach 1999. In: u. a., Bericht zu den Ausgrabungen des Vereins ASINOE im Projektjahr 1999, FÖ 38, die Beantwortung einzelner Fragestellungen zu eröffnen. 1999, 401–408. Somit liefern regionale Studien in Österreich wichtige Im- Kreitner 2000: Thomas Kreitner, Ein Vorbericht über die archäologischen pulse für die europäische Kartäuserforschung beziehungs- Ausgrabungen im Jahr 2000 in der Kartause Mauerbach, NÖ. In: Martin Krenn u. a., Bericht zu den Ausgrabungen des Vereins ASINOE im Projektjahr weise -archäologie. 2000, FÖ 39, 2000, 207–213.

39 Hahn 2014, 9. 40 Samida u. a. 2014, 316–320. 41 Samida u. a. 2014, 316–320. 42 Landwehr und Stockhorst 2004, 7–26.

FÖTag 4, 2016 21 Julia Wilding und Iris Winkelbauer

Kreitner 2002: Thomas Kreitner, Ein Vorbericht über die Grabungstätigkeit Thir: Karl 2014 Thir, Der heilige Bruno, die Kartäuser und die Kartause Aggs- des Jahres 2002 in der Kartause Mauerbach, NÖ. In: Barbara Wewerka u. a., bach, Aggsbach 2014. Bericht zu den Ausgrabungen des Vereins ASINOE im Projektjahr 2002, FÖ 41, Trebsche u. a. 2010: Einleitung. Architektur versus Raumsoziologie. In: Peter 2002, 24, 363–371. Trebsche, Nils Müller-Scheesel und Sabine Reinhold (Hrsg.), Der gebaute Kreitner und Fragner 2003: Thomas Kreitner und Brigitta Fragner, Raum. Bausteine einer Architektursoziologie vormoderner Gesellschaften, KG Mauerbach, FÖ 42, 2003, 20–21. Tübinger Archäologische Taschenbücher 7, Münster-New York-München- Kreitner u. a. 2004: Thomas Kreitner, Wolfgang Breibert, Doris Schön Berlin 2010, 9–28. und Mariella Stoilova, KG Mauerbach, FÖ 43, 2004, 25–26. Winkelbauer 2013: Iris Winkelbauer, Studien zum ehemaligen Krenn und Fettinger 2010: Martin Krenn und Brigitte Fettinger, KG Aggs- Prämonstratenser(-innen)kloster Pernegg im Waldviertel (Niederösterreich). bach, FÖ 49, 2010, 261–263. Band 1–2, unpubl. Dipl. Univ. Wien, 2013. Krenn und Schön 2006: Martin Krenn und Doris Schön, KG Mauerbach, FÖ 45, 2006, 27. Krenn und Schön 2007: Martin Krenn und Doris Schön, KG Mauerbach, FÖ 46, 2007, 23. Abbildungsnachweis Krenn und Schön 2008: Martin Krenn und Doris Schön, KG Mauerbach, FÖ 47, 2008, 26–27. Abb. 1–3: Martin Krenn, Bundesdenkmalamt Landwehr und Stockhorst 2004: Achim Landwehr und Stefanie Stock- Abb. 4: Mauerbach 1999, 403 (siehe Literaturverzeichnis) horst, Einführung in die Europäische Kulturgeschichte, Paderborn 2004. :Leeb Antonia 2014 Leeb, Anthropologische Untersuchung der Individuen aus Abb. 5–6: Iris Winkelbauer der Kartause Mauerbach, Niederösterreich, unpubl. Bericht, 2014. Löw 2012: Martina Löw, Raumsoziologie7, Frankfurt/Main 2012. Maslow 1943: Abraham H. Maslow, A Theory of Human Motivation, Psycho- logical Review 50/4, 1943, 370–396. Autorinnen Mauerbach 1999: Kartause Mauerbach. 1314 bis heute, ÖZKD LIII/2–4, 1999. Melzer Gustav Melzer 1984: , KG Mauerbach, FÖ 23, 1984, 334. Mag. Julia Wilding Reinberger Clemens Reinberger 2006: , Auszug aus den neuen Forschungs- Friedmanngasse 42/25 ergebnissen zur Architektur der aufgehobenen Kartause Portae Beatae Mariae 1160 Wien Virginis zu Aggsbach, Analecta Cartusiana 243, 2006. Samida Stefanie Samida Manfred K. H. Eggert Hans Peter u. a. 2014: , und Mag. Iris Winkelbauer Hahn (Hrsg.), Handbuch Materielle Kultur. Bedeutungen. Konzepte. Diszipli- Lissen 27 nen, Stuttgart 2014. 3508 Paudorf Sauer Franz Sauer 1993: , KG Mauerbach, FÖ 32, 1993, 616. [email protected] Schäfers 2010: Bernhard Schäfers, Architektursoziologie. Grundlagen. Theoretische Ansätze. Empirische Belege. In: Peter Trebsche, Nils Müller- Scheesel und Sabine Reinhold (Hrsg.), Der gebaute Raum. Bausteine einer Architektursoziologie vormoderner Gesellschaften, Tübinger Archäologische Taschenbücher 7, Münster-New York-München-Berlin 2010, 29–40.

22 FÖTag 4, 2016 Archäozoologische Untersuchungen in der Kartause Mauerbach

Alfred Galik und Günther Karl Kunst

Geschicht licher Kontext und archäologi- der Kartause Mauerbach. 1782, im Jahr der Auflösung, lebten scher Hintergrund dort der Prälat, 18 Chormönche und sechs Laienbrüder.5 Die strikten Speisevorschriften schrieben völlige Absti- Die Kartause Mauerbach befindet sich heute etwas au- nenz von ›warmblütigen‹ Tieren vor. Somit durften keine ßerhalb Wiens, inmitten einer ruhigen und beschaulichen Haustiere, wohl aber Fische verzehrt werden. Andere ›kalt- Landschaft im Wienerwald. Sie wurde von Friedrich dem blütige‹ Tiere waren Fischen in ›anatomischer‹ Weise ähn- Schönen als erster Kartäuserkonvent in Österreich im Jahr lich, zum Beispiel mit Schuppen bedeckt, oder sie lebten in 1316 gestiftet1 und durchlief eine wechselvolle Geschichte. ähn lichen ökologischen Nischen wie der Fisch – also im Was- Im Spätmittelalter und im 16. Jahrhundert geplündert und ser.6 Wasservögel, aber auch Biber, Fischotter oder Seehunde verwüstet, erblühte die Kartause im 17. Jahrhundert wieder. galten als Vertreter der Klasse der Aquatilia und waren 1782 kam es zur Schließung unter Kaiser Joseph II. Danach vom Verbot ausgenommen.7 Der Verzehr von Schildkröten war der Gebäudekomplex Kriegsspital, Armenhaus und Ob- wurde unter Papst Hadrian VI. (1522–1523) als »vivae vocis dachlosenheim. Nach Abschluss der Renovierungs- und Res- oraculo« ebenfalls erlaubt.8 In den katholischen Gebieten taurierungsarbeiten erstrahlt er in neuem Glanz und beher- Süddeutschlands und in Österreich ist der Konsum dieser bergt unter der Verwaltung des Bundesdenkmalamtes ein Tiere durch historische Aufzeichnungen und Kochrezepte Ausbildungszentrum und Restaurierungswerkstätten. gut belegbar.9 Die Restaurierung und der Wiederaufbau begannen 1996. Dabei wurden von dem Sozialprojekt ASINOE bau- begleitende archäologische Maßnahmen durchgeführt.2 Das archäozoologische Fundmaterial Das heutige Erscheinungsbild entspricht jenem der baro- cken Kartause, die in den Jahren 1620 bis 1640 über dem Ein großer Teil des archäozoologischen Fundmaterials aus mittelalterlichen beziehungsweise frühneuzeit lichen Bau den Ausgrabungen 1996 bis 2002 stammt aus dem 19. und neu errichtet wurde. Teile der mittelalter lichen Kirche und 20. Jahrhundert oder aus vermischten und chronologisch des Klosters wurden als Fundamente für das barocke, deut- nicht gut auflösbaren Fundkontexten. Sie repräsentieren lich größere Kloster verwendet. Im Zuge dieser Baumaß- sowohl Abfall, der Haustiere enthielt, als auch Abfall aus nahmen konnte sich in zahlreichen Planierungsschichten, dem klösterlichen Leben der Mönche. Die vorliegende Zu- Gruben oder Latrinen viel Abfall ansammeln, aus dem die sammenfassung konzentriert sich auf einige Fundkontexte, archäozoologischen Reste stammen.3 die sicher datierbar sind. Die spezifischen Funde daraus enthielten vorwiegend oder fast ausschließlich sogenannte ›aquatische‹ Tierarten. Die Studie inkludiert weiters zwei Das Leben der Kartäuser mittelalter liche Strukturen, die im 17. Jahrhundert bei Bau- maßnahmen Umlagerungen erfuhren und deren Sedimente Die Kartäuser folgten einer Kombination aus eremitischer, auch für archäobotanische Untersuchungen flotiert und zönobitischer und kontemplativer Lebensweise, die sich in nass gesiebt worden sind. Die Funde aus den Kontexten entsprechender architektonischer Umsetzung im Kloster werden als »Probe A, B, C, D und E« bezeichnet (siehe Tab. 1). niederschlägt. Erst aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts Probe A (Fundnummer/Fnr. 801) entstammt einer Schutt- stammen Textquellen zu den Vorschriften für das Leben in schicht unter einem Treppenaufgang nahe der Kirchenost- der Klostergemeinschaft.4 Wochentags hatten die Mönche wand. Probe A wird um 1600 datiert und erbrachte rund 550 außer beim Gebet und während der Gottesdienste kaum von Hand aufgesammelte Knochen. Die nachweisbaren Tier- Kontakt zueinander. So erfolgte die Zuteilung der Speisen in arten sind Biber, Fisch und vor allem Schildkröte. Die Schild- die Zellen durch spezielle Durchreichen. An Sonntagen voll- krötenreste repräsentieren hauptsächlich die Europäische zog man gemeinsames Speisen im Refektorium mit Gesprä- Sumpfschildkröte, wobei neben Panzerteilen auch andere chen und einem anschließenden Spaziergang. Der Anzahl Skelettelemente nachweisbar sind. Unter den Fischresten der Zellen nach lebten wahrscheinlich bis zu 20 Brüder in befanden sich unter anderem Knochen eines großen Hechts und eines Hausens.

1 Jaritz 1999. 5 Galik und Kunst 2004, 225. 2 Kreitner 1999. – Kreitner 2000. 6 Mayerhofer und Pirquet 1923, 867–872. 3 Galik und Kunst 1999. – Kunst und Galik 2000. – Galik und Kunst 7 Mayerhofer und Pirquet 1923. – De Grossi Mazzorin und Minniti 1999. 2004. 8 De Grossi Mazzorin und Minniti 1999, 48. 4 Parisse 1994, 416. – Barber und Thomas 2002, 61. 9 Kunst und Gemel 2000.

FÖTag 4, 2016 23 Alfred Galik und Günther Karl Kunst

Die sehr sorgfältig mit der Hand aufgesammelte Probe B (Fnr. 848) stammt aus einer Kanalverfüllung und wird ebenfalls um 1600 datiert (Abb. 1). Sie enthielt hauptsäch- lich Fischreste, die nicht nur numerisch, sondern sogar ge- wichtsanteilig überwiegen. Neben einer Ansammlung von Kabeljauknochen mit Hack- beziehungsweise Schnittspuren konnten zahlreiche Knochen von Störartigen und Welsen nachgewiesen werden. Vom Blässhuhn wie auch von Land- und Sumpfschildkröten liegen viele Knochen verschiedener anatomischer Positionen vor. Als Besonderheit fallen 13 Klap- pen der im Meer lebenden Teppichmuschel, die teilweise auch paarig gefunden wurden, auf. Die Probe C (Fnr. 540) stammt aus einer Planierungs- schicht in einem kleinen Hof der Kartause, der durch einen Turm begrenzt war. Die Fundvergesellschaftung wurde kurz Abb. 1: Funde aus Probe B mit zahlreichen Fisch-, Schildkröten- und Vogel- vor oder während der Umbauphase im 17. Jahrhundert abge- knochen sowie Muschelschalen. lagert, als das Gelände in diesem Bereich noch nicht über- baut war. Darüber wurden Abfallschichten aus dem 19. Jahr- hundert eingebracht. Ein Steinboden des 19. Jahrhunderts plettieren das Fundensemble. Ähnlich wie in Probe D wur- versiegelte schließlich die darunterliegenden Schichtpakete. den auch hier Biberknochen mit Hackspuren, kleine Nage- Die Probe C enthielt mehrere Tausend Knochen der Sumpf- tiere und Reste einer sehr jungen Katze geborgen. schildkröte, wobei alle anatomischen Elemente entspre- chend ihrer Häufigkeit im Skelett sowie verschiedene Alters- stadien nachweisbar waren. Taphonomische Überlegungen Im nordöst lichen Teil des zentral angelegten Kreuzgar- tens förderte ein Grabungsschnitt wichtige architektoni- Die archäozoologischen Funde aus den Proben verteilen sche Strukturen zutage. Dabei konnte ein Teil einer vorba- sich inhomogen und weisen eine hohe Variabilität in der rocken Mönchszelle angeschnitten und eine zugehörige, 1,5 Fundzusammensetzung auf. Die Abfallentsorgung spielte × 1 m große Latrine ausgegraben werden. Die Sedimente der im Kloster sicherlich eine große Rolle und die aufgegebe- Probe D (Fnr. 2161) wurden flotiert und bei einer Maschen- nen vorbarocken Strukturen wurden in den Umbauphasen weite von 1 mm nassgesiebt (Abb. 2). Sie enthielten unter zur Deponierung von Müll genutzt. Die Besonderheit von anderem nahezu vollständig erhaltene Keramikgefäße, die Funden aus Umbruchphasen für deren Interpretation ergibt an den Beginn des 17. Jahrhunderts datiert werden. Das Ge- sich daraus, dass der geborgene Abfall nur indirekt mit dem schirr repräsentiert wahrscheinlich den Hausrat, welcher Leben in der späteren (umgebauten) barocken Kartause zu der angeschlossenen Mönchszelle zuzuordnen ist und bei tun hat. Die Proben A und C wurden nahe den Gebäuden des den Umbauarbeiten zwischen 1620 und 1640 in der Latrine Konvents und der Kirche gesammelt, also in einem Bereich, entsorgt wurde.10 Das archäozoologische Fundmaterial be- der im vorbarocken Kloster Refektorium und Küche enthielt. steht überwiegend aus kleinen Knochenfragmenten von Die Proben D und E stammen aus der Peripherie der Kartause, Säugetieren, Schildkröten und Fischen. An Knochen des Bi- jenen Bereichen, wo die Mönche ihr Leben verbrachten. Die bers konnten Hack- und Zerlegungsspuren nachgewiesen Probe B erweckt den Eindruck einer einmaligen Einfüllung. werden, womit das einzige hier verspeiste Säugetier nach- Die zusammengehörigen Muschelklappen, die Laufknochen gewiesen ist. Die Schädelfragmente einer jungen Katze, wie vom Blässhuhn und Reste sehr großer Fische deuten auf auch die Reste kleiner Nagetiere, sind wohl nicht als Nah- die Entsorgung von Speiseabfall hin11, der möglicherweise rungsreste ansprechbar. Die vielen Fischknochen sind meist von einem großen Festmahl stammt. Die Proben A und C unbestimmbare Flossenstrahlen- und Grätenfragmente. enthielten zwar viele Schildkrötenreste, es ist aber schwie- Neben Resten mariner Plattfische konnten auch hier zahlrei- riger nachzuweisen, dass sie Speiseabfall repräsentieren. che Skelettelemente von Sumpfschildkröten nachgewiesen Die Dominanz der Panzerteile und die Unterrepräsentierung werden. der rest lichen Knochen könnte die Probe A auch als Zuberei- Im Fundament einer der barocken Zellen entlang des tungs-/Speiseabfall kategorisieren, da der Panzer beim Ko- nördlichen Kreuzganges wurde eine Grube angetroffen, aus chen zerfällt, während die postkranialen Knochen im Fleisch der die Probe E (Fnr. 2413–2415, Fundament Zelle 2, nördlicher verblieben. Die Probe C enthielt Sumpfschildkrötenreste, Abschnitt) als Sedimentprobe entnommen, flotiert und nass deren knöcherne Überreste sich ausgewogen verteilen. Sie gesiebt wurde. Mög licherweise handelte es sich hier eben- repräsentieren wahrscheinlich einen Entsorgungsvorgang falls um eine Latrine, deren Verfüllung in die erste Hälfte von Tieren, die beim Transport oder während der Aufbewah- des 17. Jahrhunderts datiert wird. Abgesehen von minerali- rung eingingen und ungenießbar wurden. sierten archäobotanischen Überresten enthielt die Probe Die Verteilungen in den Proben D und E unterscheiden eine Vielzahl kleiner Fischreste inklusive Otolithen und Ei- sich durch die Reichhaltigkeit an sehr kleinen Knochen, die schalenfragmente. Unter den Fischknochen konnten sowohl sicherlich nicht nur durch die Bergungsmethode zu erklären Süßwasser- (etwa Karpfen und Hecht) als auch Meeresfische ist. Die tierischen Funde in Probe D können als kontinuier- nachgewiesen werden. Sumpfschildkrötenknochen kom- lich akkumulierter Speiseabfall interpretiert werden, obwohl keine Verdauungsspuren an den Knochen aus der Latrine

10 Ähn liche Prozesse werden von Rosello-lzqierdo u. a. 1994 sowie Van Neer und Ervynck 1996 für klöster liche Latrinen diskutiert. 11 Speiseabfall sensu stricto nach Gautier 1987.

24 FÖTag 4, 2016 Archäozoologische Untersuchungen in der Kartause Mauerbach

Abb. 2: Funde aus Probe D mit Fisch-, Schildkröten- und Biber- knochen. erkennbar waren. In einer mittelalter lichen Zelle konnte handeln – können auch die saisonale Verfügbarkeit und die ein Herd nachgewiesen werden, der passend zum Kochge- soziale Strukturierung im Kloster für die Variabilität in der schirr aus der Latrine auf Speisenzubereitung hinweist. Für Tierartenzusammensetzung innerhalb der hier vorgestell- das 17. Jahrhundert fanden sich keine Hinweise mehr auf das ten Proben verantwortlich sein. Historische Aufzeichnungen Vorhandensein von Herden in den Mönchszellen. aus der Kartause Santa Maria degli Angeli (Rom) beschrei- ben für die Jahre 1801 bis 1809 eine deut liche saisonale Ver- sorgung mit Tieren wie Fischottern, Vögeln, Schildkröten Versorgung mit Nahrung und und Fröschen.14 Speisevorschriften Manche der in den verschiedenen Proben belegten Tierar- ten muten für zentraleuropäische frühneuzeit liche Befunde Die archäozoologischen Faunenvergesellschaftungen sind recht eigenartig an. Die Europäische Sumpfschildköte ist sicherlich durch die Klosterregeln wie auch durch die räum- aus zahlreichen prähistorischen Fundstellen Österreichs be- liche Verteilung in der Kartause beeinflusst. Obwohl nach kannt, wogegen die heutigen Populationen einen frag lichen den Ernährungsvorschriften keine Knochen von Haussäuge- autochthonen Status besitzen.15 Nach einer längeren Lücke in tieren im Speiseabfall der Kartäuser vorhanden sein dürften, der Überlieferung treten Sumpfschildkrötenreste dann wie- konnte eine kleine Anzahl dieser Knochen nachgewiesen der in größerem Umfang ab dem 17. Jahrhundert vor allem in werden. In anderen, hier nicht vorgestellten Proben aus der Wien, Niederösterreich und der Steiermark in Erscheinung.16 Klosterzeit bilden sie sogar die Mehrzahl. Für die Interpre- Theoretisch könnten die Sumpfschildkröten in Mauerbach tation ergibt sich daraus die Frage nach der Einhaltung der auch aus natür lichen Beständen der weiteren Umgebung Speisevorschriften. Nach einem Bericht aus dem Jahr 1656 stammen, allerdings hätte eine intensive Ausbeutung wohl lebten 40 Diener im Konvent.12 Möglicherweise wurden die bald das Aussterben dieser Art zur Folge gehabt. Histori- Speisegebote auch für Laienbrüder nicht so streng ausge- sche Quellen belegen umfangreiche Importe und Einkäufe legt und diese durften manchmal Fleisch zu sich nehmen. von Sumpfschildkröten aus Ost- und Südeuropa.17 Die Land- Für die Dienerschaft und die Gäste kann ohnehin ange- schildkröten stammen sicherlich aus Südeuropa. Sie werden nommen werden, dass sie von den Speisevorschriften aus- in der Literatur häufig vernachlässigt, da die historischen genommen waren.13 Die fünf ausgewählten Proben zeigen Quellen nicht zwischen Sumpf- und Landschildkröten un- jedenfalls ein deutliches Übergewicht von Fisch und ›Fisch- terscheiden. In Mauerbach befand sich im Außenbereich Substituten‹, obwohl die Fundverteilungen in den Proben ein Schildkrötengarten mit Teichanlagen. Wolf Helmhardt sehr unterschiedlich sind. Zumindest können die Proben A von Hohberg erwähnt in seiner erstmals 1682 in Druck ge- bis E in das erste Viertel des 17. Jahrhunderts datiert werden gebenen Georgica curiosa zu den Sumpfschildkrötenteichen, und repräsentieren daher nur einen kurzen Ausschnitt aus dass diese einerseits als dekoratives Element, andererseits der Klostergeschichte. Nachdem bisher nur Proben aus der auch für die Haltung, gelegentlich sogar Zucht von Sumpf- frühbarocken Umbauphase der Kartause zur Verfügung schildkröten genutzt wurden. Die Kartäuser konnten wahr- standen, können derzeit nur wenige Aussagen zur zeit- scheinlich keine Sumpfschildkröten im großen Stil züchten, lichen Entwicklung des Ernährungsverhaltens in Mauerbach doch eigneten sich derartige Anlagen sicher zur Haltung getroffen werden. Neben taphonomischen Aspekten – teil- und ›Aufbewahrung‹ von Sumpf- und Landschildkröten, wie weise dürfte es sich ja um die Reste einzelner Mahlzeiten

14 De Grossi Mazzorin und Minniti 1999. 15 Kunst und Gemel 2000. 12 Jaritz 1999. 16 Kunst und Popovtschak 2013. 13 Barber und Thomas 2002, 61. 17 Kunst und Gemel 2000.

FÖTag 4, 2016 25 Alfred Galik und Günther Karl Kunst

dies auch aus den erhaltenen zeitgenössischen Ansichten tenknochen nachgewiesen werden, die allerdings zwischen der Kartause Mauerbach hervorgeht. Ein historisches Doku- sehr großen Mengen anderer Knochen, meist von den wich- ment vom Mai 1686 erwähnt den Transport von 472 Schild- tigsten Haustieren, verstreut waren.21 kröten; 1782, als die Kartause aufgelöst wurde, waren noch Die Nachweisbarkeit solcher ›Fastenspeisen-Tiere‹ ist oft 60 Tiere vorhanden.18 Eine vorläufige biometrische Analyse selbst in einem Kloster nicht immer möglich. Die Aussage- der Sumpfschildkröten ergab eine beacht liche Größenvari- kraft der Funde hängt sehr stark von der räum lichen und ation, obwohl nur in der Probe C in größerem Umfang juve- auch chronologischen Auflösung der Proben ab. Idealerweise nile Individuen nachweisbar waren, die eventuell den Import sollten der soziale Hintergrund der Klosterbewohner und die dieser Altersgruppe bestätigen könnten. Zeit der Fundanreicherung gut definiert sein. Ervynck disku- Der Nachweis von Meeres- und Süßwasserfischen, wie tiert ausführlich die methodischen Probleme, die entstehen, zum Beispiel des Kabeljaus oder der Störartigen, zeigt, dass wenn man Speiseabfall aus klöster lichem Zusammenhang die Mönche in der Kartause teilweise von Fischlieferungen von ›säkularem‹ Abfall anderer Herkunft zu unterscheiden abhängig waren (siehe Tab. 1). Seit dem Mittelalter besaß versucht.22 Ein gut eingrenzbarer kontextueller Rahmen und das Kloster Fischereirechte an der 10 km nördlich entfernt eine knappe zeit liche Eingrenzung sind daher für derartige gelegenen Donau, von der sicherlich Welse, Störartige und Analysen unerlässlich, selbst in einem Kartäuserkloster. andere Flussfische angeliefert wurden. Karpfen und andere Mittelalterliche und neuzeit liche archäozoologische Funde Süßwasserfische wurden in den nahen Fischteichen, von aus Kartausen sind aus La Cartuja (Sevilla)23, Santa Maria welchen einer heute noch existiert, kultiviert. Die Fundhäu- degli Angeli (Rom)24 und dem Charterhouse (London)25 be- figkeit der Fische ist in den Proben ebenfalls unterschiedlich schrieben worden. In allen Studien wurden auch historische und kann mit den bereits diskutierten taphonomischen und Dokumente herangezogen, sofern diese sich mit der Ge- kontextuellen Argumenten begründet werden. Der einzige schichte der Klöster und der Speisegewohnheiten beschäf- bisher vorliegende kleine Heringswirbel ist sicherlich nur tigen. Eine weitere Arbeit über die Rolle von Fisch in der Ge- durch die Anwendung feiner Grabungs- und Bergungsme- meinschaft der Kartäuser von El Paular (Spanien) basiert auf thoden nachweisbar geworden und stammt aus dem flo- der Auswertung von Archivalien.26 Das Paulanerkloster von tierten Anteil der Probe E. Die Verzerrung zu großen Fischen Trinitia dei Monti (Rom) hat besondere Relevanz, weil hier hin, wie sie in den Proben A und B zu bemerken ist, konnte viele Schildkrötenreste in einem Klosterkontext angetroffen auch in anderen Kartausen beobachtet werden und kann wurden.27 vielleicht mit dem hohen sozialen Status der Mönche und Mauerbach und die beiden Klostergemeinschaften in einer guten Versorgungslogistik begründet werden.19 Rom sind bislang die wenigen Beispiele für archäozoologi- sche Fundkontexte, die einen hohen Anteil von Fisch und Fisch-Substituten aufweisen. Die Funde von Santa Maria Vergleich mit anderen Klöstern degli Angeli werden in das 17. und 18. Jahrhundert datiert und erbrachten 216 bestimmbare Wirbeltiere und Muscheln. Tierknochenfunde aus mittelalterlichen und neuzeit lichen Fischotter und Fische (53 % und 22 %) sind die Hauptkom- Klostergrabungen traten in den letzten Jahren verstärkt in ponenten, gefolgt von Haustierknochen (15 %). Schildkröten das Interesse der archäozoologischen Forschung. Sie bieten und Blässhuhn sind nur in geringer Anzahl nachweisbar. Die die Möglichkeit, die Ernährungsweisen von Menschen zu re- vielen Otterreste, hauptsächlich Langknochen, zeigen mit konstruieren, deren sozialer und geistiger Hintergrund größ- vielen Zerlegungsspuren ein ähnliches Bild wie die Biberkno- tenteils bekannt ist. Für diese Fragestellung bietet sich ein chen aus den Proben D und E in Mauerbach. Reste des Fisch- interdisziplinärer Zugang an, da sich die schrift lichen und ar- otters liegen auch aus hier nicht näher vorgestellten Fund- chäozoologischen Überlieferungen hervorragend ergänzen. zusammenhängen aus Mauerbach vor. Die Reste aus Trinita Sie können Aufschluss über die Speisevorschriften geben, dei Monti werden in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts die sich in der Zusammensetzung des Abfalls abzeichnen datiert und von Land- und Sumpfschildkrötenresten, Fischen sollten. Die meisten der Speisevorschriften verlangen eine und Mollusken (jeweils 38,4 %, 17,2 % und 42,3 %) dominiert. temporäre oder permanente Abstinenz vom Fleischkon- Sumpfschildkröten wurden ebenfalls gehalten und haben sum ›warmblütiger‹ Landtiere. Die Fastenvorschriften soll- sich hier wahrscheinlich auch fortgepflanzt. In La Cartuja ten eigentlich eine totale Absenz dieser Tierknochen in den stammen die Tierreste aus einer Senkgrube des 16. Jahrhun- Fundkontexten der Kartause bedingen. Der Anteil an Fasten- derts und bestehen hauptsächlich aus Resten mariner Fische speisen, wie beispielsweise Fisch, ist kaum vom Abfall, der sowie einigen Vogel- und Säugetierknochen.28 Der spezielle sich vor oder nach den Fastenzeiten ablagerte, zu trennen. Bedarf an Fischen wird von der gesellschaftlichen Stellung Besonders in Gesellschaften, die nur zeitweise fasteten, wie der Kartäuser und vielleicht auch der Besucher abgeleitet. es die katholischen Laien bis vor gar nicht allzu langer Zeit Der Verzehr von Schildkröten ist nur historisch überliefert. regelmäßig praktizierten. Im 18. Jahrhundert wurden in El Paular Sumpfschildkröten in Eine zeitlich vergleichbare Fundzusammensetzung speziellen Teichen gehalten und den Gästen serviert. Unter stammt aus der »Alten Aula« in der Alten Universität in Wien. den Funden der mittelalterlichen bis frühneuzeitlichen Lon- Der Abfall wird ebenfalls an den Beginn des 17. Jahrhunderts datiert und wurde unter ähn lichen Umständen wie die Pro- ben aus Mauerbach, nämlich während einer Umbauphase, abgelagert.20 Hier konnten Fisch- wie auch Sumpfschildkrö- 21 Kunst und Gemel 2000. 22 Ervynck 1997. 23 Rosello Izquierdo u. a. 1994. 24 De Grossi Mazzorin und Minniti 1999. 25 Barber und Thomas 2002. 18 Fahringer 1994. 26 Bielza 1996. 19 Rosello Izquierdo u. a. 1994. – De Grossi Mazzorin und Minniti 1999. 27 De Grossi Mazzorin und Minniti 1999. 20 Adam und Kunst 1999. 28 Rosello Izquierdo u. a. 1994.

26 FÖTag 4, 2016 Archäozoologische Untersuchungen in der Kartause Mauerbach

der Ernährung der mittelalter lichen und barocken Kartäuser in Mauerbach können noch nicht getroffen werden, obwohl dies ein lohnendes Forschungsziel wäre. Dies wäre von der Verfügbarkeit von Tierknochenproben, welche eine größere zeit liche Tiefe repräsentieren, abhängig. Veränderungen an den Tieren, wie sie beispielsweise anhand biometrischer Analysen an Karpfen aus dem flämischen Benediktinerklos- ter Ename33 festgestellt wurden, konnten ebenfalls noch nicht untersucht werden. Die Proben geben zwar nur einen kurzen, aber sehr wichtigen Einblick in die Geschichte der Kartause Mauerbach. Sie zeigen die Möglichkeiten auf, wel- che archäozoologische Materialien bieten können. Die durchgehende Nachweisbarkeit der Fisch-Substitut- Tierarten in Mauerbach ist wohl das auffälligste Merkmal. Diese Fastenregeln waren weiter verbreitet, als man sie ar- chäologisch nachweisen könnte. De Grossi Mazzorin und Minniti argumentieren, dass besonders die Armut die Mön- che dazu veranlasst habe, Fische, Mollusken und Schildkrö- ten zur Aufbesserung ihrer Nahrung zu verwenden. Heute werden Land- und Sumpfschildkröten im Mittelmeerraum kaum noch verzehrt, sie gelten hier in weiten Teilen als min- derwertige Speise. Das ist sicherlich nicht mit der Situation im 17. Jahrhundert in Mauerbach oder anderen zentraleuro- päischen Kartausen vergleichbar, wo man Meerestiere, be- stimmte Fische, Land- und auch Sumpfschildkröten impor- Abb. 3: Figür liche Darstellung eines Putto mit Schildkröte und Krebs über tieren musste und diese als spezielle und luxuriöse Speisen dem Adlertor der Kartause Mauerbach. angesehen wurden. Die Proben A bis E entsprechen einer Phase von großem Wohlstand und Reichtum der Kartause, die durch deren barocken Umbau ihren Ausdruck fand. Die doner Kartause (1370–1538) variieren die Fundquantitäten Bedeutung der Speisevorschriften beziehungsweise der in Abhängigkeit von den Bereichen im Kloster, in denen die Tiere spiegelt sich auch in den Plastiken über dem Haupt- Proben genommen wurden. Es lassen sich zwei Abfallkate- eingang der Kartause wider (Abb. 3). Dies spricht dafür, gorien unterscheiden: Eine Kategorie mit sehr vielen Fisch- dass man sich dieser Tiergruppen als Nahrungsmittel nicht knochen entspricht dem Speiseabfall der Mönche, während schämte, sondern diese Eingang in das klöster liche Leben die andere Kategorie Abfall von Bewohnern der Kartause, die und Selbstverständnis gefunden hatten. Solange keine ar- nicht an die Speisevorschriften gebunden waren, darstellt.29 chäozoologischen oder historischen Dokumente für den In Österreich existieren bisher keine archäozoologischen Verzehr von Schildkröten oder anderen »Aquatilia« deutlich Untersuchungen zu den beiden anderen ehemaligen Kar- vor 1600 vorliegen, ist zu vermuten, dass diese Art der ›medi- tausen Aggsbach und Gaming. Bei archäologischen Unter- terranen‹ Ernährung sowohl beim Klerus als auch unter den suchungen in Aggsbach wurden aber unter anderem Reste Laien im Zuge der Gegenreformation, einer entscheidenden von Schildkröten und Fischen geborgen.30 Sondierungen im religiösen wie politischen Bewegung in Österreich und an- Zisterzienserkloster Neuberg erbrachten Nachweise von deren katholischen Ländern im 17. Jahrhundert, aufgekom- Sumpfschildkröten und Fischen, zusammen mit sehr vie- men ist. Das noch nicht untersuchte archäozoologische len Haustierknochen, aus einem Küchenbefund des 17. und Material aus weiteren Untersuchungen und Ausgrabungen 18. Jahrhunderts. Rechnungsbücher aus dem Kloster belegen in Mauerbach bietet jedenfalls das Potenzial, die regionale aber den massiven Import von Sumpfschildkröten, marinen diachrone Entwicklung der Ernährung der Kartäusermönche und terrestrischen Mollusken, Krabben und Krebsen.31 Ein La- und der übrigen Bewohner im Kloster untersuchen zu kön- trinenbefund aus dem Chorherrenstift in St. Pölten aus dem nen. 15. Jahrhundert erbrachte ebenfalls eine sehr hohe Anzahl an Fischfunden, aber auch an Haussäugetieren und Nagern.32

Conclusio

Aus den ersten sechs Jahren der baubegleitenden archäolo- gischen Untersuchungen im Zuge der Renovierungsarbeiten in der Kartause stammen einige kontextuell und chronolo- gisch gut abgrenzbare frühneuzeit liche Tierknochenproben. Aussagen zu Langzeitentwicklung und Veränderungen in

29 Barber und Thomas 2002. 30 Benesch u. a. 2010. 31 Zeiringer 1991. – Kunst und Gemel 2000. 32 Galik u. a. 2011. 33 Van Neer und Ervynck 1996.

FÖTag 4, 2016 27 Alfred Galik und Günther Karl Kunst

Galik und Kunst 2004: Alfred Galik und Günther Karl Kunst, Dietary Probe A Probe B Probe D Probe E habits of a monastic community as indicated by animal bone remains from Early Modern Age in Austria. In: Sharyn J. O’Day, Wim van Neer und Anton NISP Gew. NISP Gew. NISP Gew. NISP Gew. Ervynck, The zooarchaeoology of ritual, religion, status and identity, Oxford Mammalia 313,64 4,7 2004, 224–232. indet Galik u. a. 2011: Alfred Galik u. a., Die tierischen Überreste aus einer Hauskatze 9 3 17 3,2 spätmittelalter lichen Latrine im Augustiner Chorherrenstift in St. Pölten. In: Ronald Risy Kleinsäuger 70,2280,52 , Da steh i drauf! St. Pölten Domplatz 2010. Eine archäologische Zwischenbilanz, St. Pölten 2011, 91–103. 134133782 87 Biber , , , Gautier 1987: Achilles Gautier, Taphonomic groups. How and Why?, Vögel 10,7 Archaeo-Zoologia 12, 1987, 47–51. Blässhuhn 32 12,7 Hohberg 1701: Wolfgang Helmhard Hohberg, Georgica Curiosa. Adeliges Land- und Feldleben, Nürnberg 1682 [Nachdruck 1701]. Schildkröten 535 10,77 71 43,19259,35 0,6 Jaritz 1999: Gerhard Jaritz, Die Kartäuser von Mauerbach und ihre Geschich- 744 Stör te. Spirituelles Leben auf materieller Basis. In: Kartause Mauerbach. 1314 bis Karpfenartige 316 heute, ÖZKD LIII/2–4, 1999, 375–384. Kreitner Thomas Kreitner Flussbarbe 2 1999: , Ein Bericht zum gegenwärtigen Stand der bauarchäologischen Untersuchungen 1996 bis 1999 in der Kartause Mauer- Karpfen 40 5 29 bach. In: Kartause Mauerbach. 1314 bis heute, ÖZKD LIII/2–4, 1999, 411–430. Schleie 1 Kreitner 2000: Thomas Kreitner, Ein Vorbericht über die archäologischen Rotauge 1 Ausgrabungen im Jahr 2000 in der Kartause Mauerbach, NÖ. In: Martin Krenn Aland/Orfe 51 u. a., Bericht zu den Ausgrabungen des Vereins ASINOE im Projektjahr 2000, FÖ 39, 2000, 207–213. 1 Hasel Kunst und Galik 2000: Günther Karl Kunst und Alfred Galik, Tierreste aus Gründling 1 der Kartause Mauerbach als Zeugnisse einstiger Ernährungsgewohnheiten. In: Elritze 1 Kartause Mauerbach. 1314 bis heute, ÖZKD LIII/2–4, 1999, 671–681. Kunst und Gemel 2000: Günther Karl Kunst und Richard Gemel, Zur Forelle 1 Kulturgeschichte der Schildkröte unter besonderer Berücksichtigung der Be- 144146 Hecht deutung der Europäischen Sumpfschildkröte Emys orbicularis (L.) in Österreich, Wels 76 1 Stapfia 69, 2000, 21–62. Kunst Popovtschak Günther Karl Kunst Michaela Hering 1 und 2013: und Popovtschak, »Rund ums Essen«. Bioarchäologische Quellen, Beiträge zur Kabeljau 70 Mittelalterarchäologie in Österreich 29, 2013, 119–127. 33 Plattfisch Mayerhofer und Pirquet 1923: Ernst Mayerhofer und Clemens Peter Scholle 1 Pirquet (Hrsg.), Lexikon der Ernährungskunde, Wien 1923. Parisse Michel Parisse Seezunge 2 1994: , Zwischen actio and contemplatio. Die Orden im 12. Jahrhundert. In: André Vauchez und Odilo Engels (Hrsg.), Machtfülle Steinbutt 5 des Papsttums. 1054–1274, Die Geschichte des Christentums 5, Freiburg 1994, Tab. 1: Faunistisch-archäozoologische Fundübersicht der Proben A, B, D und E. 391–433. Roselló Izquierdo u. a. 1994: Eufrasia Roselló lzquierdo u. a., La Cartuja/ Spain. Anthropogenic ichthyocenosis of culinary nature in a paleocultural context, Offa 51, 1994, 323–331. Van Neer und Ervynck 1996: Wim van Neer und Anton Ervynck, Food rules Literaturverzeichnis and status. Patterns of fish consumption in a monastic community (Ename, Belgium), Archaeofauna 5, 1996, 155–164. Adam und Kunst 1999: Angelika Adam und Günther Karl Kunst, Aspekte Zeiringer 1991: Johann Zeiringer, Nahrung und Speisen im Cistercienserstift der Tierknochenauswertung in einem urbanen Milieu am Beispiel der Grabung Neuberg/Mürz. Eine volkskund liche Untersuchung anhand der Küchenrech- Wien/Alte Aula, Beiträge zur Mittelalterarchäologie in Österreich 15, 1999, nungen des 17. und 18. Jahrhunderts, unpubl. Diss. Univ. Graz, 1991. 157–176. Barber und Thomas 2002: Bruno Barber und Christopher Thomas, The London Charterhouse, MoLAS Monography 10, London 2002. Abbildungsnachweis Benesch u. a. 2010: Alfred R. Benesch, Martin Krenn und Ute Scholz, Die Cartusia Portae Beatae Mariae Virginis in Aggsbach, Archäologie Österreichs Günther Karl Kunst 21/2, 2010, 4–17. Abb. 1, 3: Rudolf Gold Bielza 1996: Jesús M.a Bielza, El pescado en la dieta de los Cartujos de El Abb. 2: Paular en el siglo XVI., Archaeofauna 5, 1996, 65–77. De Grossi Mazzorin und Minniti 1999: Jacobo de Grossi Mazzorin und Claudia Minniti, Diet and religious practices. The example of two monastic Autoren orders in Rome between the XIVth and the XVIIIth centuries, Anthropozoologica 30, 1999, 33–50. Mag. Dr. Alfred Galik Ervynck 1997: Anton Ervynck, Following the rule? Fish and meat consump- Österreichisches Archäologisches Institut tion in monastic communities in FIanders (Belgium). In: Guy de Boe und Frans Franz-Klein-Gasse 1 Verhaeghe (Hrsg.), Environment and Subsistence in Medieval Europe, Papers 1190 Wien of the »Medieval Europe Brugge 1997« Conference 9, Zellik 1997, 67–81. [email protected] Fahringer 1994: Karl Fahringer, Eine so gute Gelegenheit. Die Aufhebung und der Kartause Mauerbach. Ein »Tagebuch«, Mauerbacher Beiträge 3/4, Mauer- Veterinärmedizinische Universität Wien bach 1994. Institut für Anatomie, Histologie und Embryologie Galik und Kunst 1999: Alfred Galik und Günther Karl Kunst, Weitere Veterinärplatz 1 Tierknochenuntersuchungen in der Kartause Mauerbach. In: Thomas Kreitner, 1210 Wien Vorbericht über die archäologischen Untersuchungen in der Kartause Mauer- [email protected] bach 1999. In: Martin Krenn u. a., Bericht zu den Ausgrabungen des Vereins ASINOE im Projektjahr 1999, FÖ 38, 1999, 409–412. Dr. Günther Karl Kunst Universität Wien VIAS Althanstraße 14 1090 Wien [email protected]

28 FÖTag 4, 2016 Kartäuserlandschaft Aggsbach – MeGKA Die Klausurgartenanlagen der Kartause Aggsbach und ihre ›Reditierung‹

Alfred R. Benesch

Einleitung soll individuell nachvollziehbar werden. MeGKA liegt im Be- reich der ehemaligen Kartäuserzellen und des großen Kreuz- In der ca. 400 Einwohner zählenden Ortschaft Aggsbach gangs unter Einbeziehung der umgebenden Landschaft, mit Dorf liegt am Rand des Dunkelsteinerwaldes, im engen folgenden Gestaltungselementen in Bezug auf die barocke Wolfsteinbachtal, Österreichs jüngste Kartause (seit 1373), Bauphase: ca. 1,5 km von der Donau entfernt. t ein grün berankter Großer Kreuzgang zur Erschließung, Im Gegensatz zu Mauerbach und Gaming existiert der genau im Verlauf des historischen Kreuzgangs; Klausurtrakt mit Zellen und Großem Kreuzgang seit Ende t ›Meditationszellen‹ exakt auf den Standorten der ehe- des 18. Jahrhunderts nicht mehr. An seiner Stelle liegt eine maligen Zellenhäuser, aus bau lichen Elementen mit Be- ca. 6.500 m2 große Gartenfläche, die als Grünland-Park ge- rankung als ›grüne Architektur‹ konstruiert; widmet ist (Abb. 1). Gemeinsam mit dem von der Pfarre ge- t darin jeweils ›Besinnungsstelen‹ mit Kartäusertexten nutzten Bereich rund um die Kirche ist der Garten öffentlich und dazugestellten philosophischen Thesen; zugänglich, während der gesamte süd liche Teil der Kartause t die zentrale Gartenkapelle genau über deren Relikten, in- (ehemaliger Wirtschaftstrakt) verschlossen – in Privatbesitz mitten der zentralen Wiesenfläche; – ist. In den letzten 15 Jahren wurde eine schrittweise Revita- t eine Holzterrasse als Ruhe- und Veranstaltungsplatz am lisierung der ›Aggsbacher Kartäuserlandschaft‹ eingeleitet, Beginn des »Höhen-Rundweges«; ausgehend von den bis dato verbliebenen, typischen Ele- t der »Höhen-Rundweg« entlang der umfassenden Wehr- menten jener von Kartausen geprägten Kulturlandschaften mauer und den Türmen, oberhalb des Gartens, mit Ruhe-/ im direkten Umfeld. Im 21. Jahrhundert soll damit das ehe- Aussichtspunkten; malige Kartäuserzentrum Aggsbach als bedeutendes kultur- t thematische Gestaltung der einzelnen ehemaligen Zel- historisches Landschafts- und Bauensemble wieder sichtbar lengärten (Grundausstattung: ein Pfarr- und ein Selbst- und belebt, der bedeutende ›monastische Landschaftsraum‹ versorgungsgarten), mit Obstgehölz- und Weinsamm- in der Wachau um ein weiteres, entdeckbares Kulturdenk- lung von Originalpflanzen aus der früheren Pariser malensemble bereichert werden. Kartause (collection fruitière du Jardin du Luxembourg); t neues Brunnenbecken und Eingangsportal; t »Langsames Licht«/Installationen (Lichtprojekt Wachau Meditationsgarten »MeGKA« und die von Siegrun Appelt); Kartäuserlandschaft Aggsbach t wieder sichtbar gemachter Grundriss des Kleinen Kreuz- ganges, mit neuem Krieger-Gedenkmal. Der öffentlich erschlossene Teil der Kartause Aggsbach soll Die außerhalb des Claustrums liegenden Elemente der als ›kultur-touristisches Gesamtangebot‹ revitalisiert und Kartäuserlandschaft sind weitere Bezugspunkte der Kar- vermittelt werden, mit einem ›sakralen‹ Bereich (Kartause täuserkultur und wurden bereits teilweise wieder zugäng- mit Kirche, Sommerrefektorium, Relikt Kleiner Kreuzgang, lich und nutzbar gemacht: das »Untere Haus« (ehemaliger Sakristei und Kapitelsaal; MeGKA; Kreuzweg/Kalvarienberg) Wirtschaftshof, privat), die Hammerschmiede (revitalisiert) und einem ›profanen‹ Anteil (Kartäusermuseum; Hammer- und der vorgelagerte (Fisch-)Teich, der Steinstadel (Minerali- schmiede; Mineralienzentrum Steinstadel; Fischteich; Ta- enzentrum), die Taverne (Gasthaus Lechner), das Schiffmeis- verne; Shop im Kapitelsaal). Aggsbach kann so als Baustein terhaus (privat), der Weinkeller (privat) und der Kreuzweg. des Weltkulturerbes Wachau am rechten Donauufer und wichtige touristische Destination am Jakobsweg zwischen Melk und Göttweig positioniert werden. MeGKA ist dabei Schrittweise transdisziplinäre ein Bindeglied zwischen den einzelnen baulichen Elementen Realisierung des MeGKA und gleichzeitig eigenständiger Garten-Kultur-Raum. Die besondere naturräumliche Lage der Kartause und Um MeGKA zu realisieren, waren nicht nur zahlreiche deren ›Stimmung in Abgeschiedenheit‹ sowie das Credo der Schritte in der Grundlagenforschung mit interdisziplinärer klöster lichen Ordensgemeinschaft der Kartäuser sollen hier Erarbeitung der Naturraum-, Kultur-, Bau- und Gartenge- vermittelt werden. Leitbild ist der »Kartusianische Weg«, die schichte, Prospektion mit Grabungen, Analysen und Schluss- Lebensweise der Kartäuser, symbolisch und als spirituelle folgerungen, sondern auch eine transdisziplinäre Ausein- ›Gegenwelt‹ zum Alltag der Besucher und Besucherinnen andersetzung bei Planung und Umsetzung mit zahlreichen erlebbar. ›Beschauung‹ als Hauptziel des Kartäuserlebens daraus folgenden Projektadaptierungen und -ergänzungen

FÖTag 4, 2016 29 Alfred R. Benesch

Abb. 1: Situation der Gärten und Freiräume Ende des 20. Jahrhun- derts. notwendig: 2003 eine erste archäologische Prospektion1, ternationalen Kartäuserforschungskongressen vorgestellt, 2005 bis 2006 die Grundlagenforschung und Entwurfspla- 2010 ermöglichte eine Exkursion zur Grande Chartreuse und nung im Sinn eines Parkpflegewerkes2, 2007 die Ergänzung anderen Kartausen mit teilweise säkularen Nachnutzungen um ein touristisches Gesamtkonzept3 beziehungsweise der (Süddeutschland, Schweiz und Frankreich) die Justierung Abschluss einer Arbeit zur Baugeschichte4, 2008 bis 2010 und Verbesserung der Entwicklung anhand internationaler gezielte archäologische Grabungen5, 2008 zugleich der Be- Beispiele. ginn der Hangabsicherung, -freistellung, -neubepflanzung und -pflege, 2011 die Versetzung und Neugestaltung des Kriegerdenkmals, 2012 bis 2015 schließlich Bauen und Pflan- Gestalterische Konzeption des MeGKA zen – über alle Jahre in enger Abstimmung mit dem Bundes- denkmalamt zur denkmalpflegerischen Optimierung des Neue, zeitgenössische Gartenkultur aus der alten, unsicht- Projektes. baren (wieder) zu erschaffen – samt inniger (Wieder-)Ver- Die transdisziplinäre Arbeit begann 2006 mit Bildung schmelzung mit dem Umfeld zur ›Kartäuserlandschaft einer Arbeitsgemeinschaft zum Projekt, bestehend aus Aggsbach‹, um diese (wieder) erkennbar zu machen – ist Ziel Dorferneuerung Aggsbach-Dorf, Marktgemeinde Schönbü- für den nächsten ›Lebensabschnitt‹ des Ensembles (Abb. 2). hel-Aggsbach, Pfarrgemeinde Aggsbach (Grundstückseigner Im MeGKA sind alle eingeladen, selbst nachzuempfin- und Verwalter ist die Diözese St. Pölten), Verein der Freunde den, was es mit der Hauptintention des Kartäuserlebens auf der Kartause Aggsbach sowie ARGE zur Renovierung Ham- sich hat: ›In sich zu gehen‹, darüber hinaus ins Spirituelle zu merschmiede und Steinstadel Pehn. In zahllosen Diskus- gelangen, Wege der Meditation kennenzulernen. Die Neu- sionsrunden, Begehungen und Beschlüssen wurden die gestaltung setzt auf der im doppelten Sinn ›unsichtbaren‹ rechtlichen Grundlagen, die komplizierte Finanzierung, alle Kartäuserlandschaft im Unter-/Hintergrund auf. Die un- Gestaltungsdetails und Umsetzungsschritte abgestimmt, terirdisch verbliebenen, teilweise ergrabenen, historischen sodass für die Gemeindebürger und -bürgerinnen ebenso Relikte dienen als baulich-physische Anknüpfungspunkte, wie für künftige touristische Nutzungen eine funktionsfä- um die Geschichte und alle daraus resultierenden, aus den hige und erhaltbare Kartäuserlandschaft entwickelt wer- Artefakten ableitbaren ›Geschichten‹ zu ›erzählen‹. Der den kann. Unzählige freiwillige Arbeitsstunden folgten bei über jahrhundertelanges Wirken der Kartäuser dem Ort der tatkräftigen Realisierung, mit weiteren Kooperations- eingeprägte Genius Loci soll so in maximaler emotionaler partnern wie zum Beispiel der Gartenbauschule Langenlois, Authentizität verstärkt, das ›kartusianische Wesen‹ direkt dem Jardin du Luxembourg (Paris) oder der Cimbria Heid in die Gegenwart transferiert, zeitgenössisch gestalterisch GmbH. 2006, 2011 und 2014 wurde das Projekt bei den In- generiert, kommuniziert, les-, erleb- und erfahrbar gemacht werden. Anders als bei den meisten Bauprojekten ist dem- nach archäologische Prospektion hier keine Zeit und Budget ›fressende‹, verordnete Notwendigkeit, sondern vielmehr 1 Georadarprospektion von Clemens Reinberger (vgl. Reinberger 2007). 2 Büro land.schafft©, Meditationsgarten Kartause Aggsbach, Melk 2006. erwünschte, ›tiefschürfende‹ Voraussetzung, um die Projek- 3 Dr. Wolfgang Sovis Unternehmensberatung, Dr. Hartmut Prasch – Cultur- tion des Unsichtbaren in die Gegenwart zu ermöglichen. Consult, DIDr. Alfred R. Benesch – land.schafft, Kartäuserland Aggsbach. Die bei den Grabungen vorgefundenen ehemaligen Touristische Rahmenplanung – Museumskonzept, Stockerau 2007. Grundrisse der barocken Kartausenphase wurden vermes- 4 Reinberger 2007. 5 Siehe Übersicht bei Benesch u. a. 2010. – Krenn u. a. 2008. – Blesl u. a. sungstechnisch exakt an die Oberfläche projiziert. Nach 2009. – Krenn und Scholz 2009. – Krenn und Fettinger 2010. dem Gestaltungsprinzip der arte povera (italienisch: »arme

30 FÖTag 4, 2016 Kartäuserlandschaft Aggsbach – MeGKA

Abb. 2: Übersichtsskizze zum Ge- staltungskonzept MeGKA (ohne Maßstab).

Kunst«) wurde mit zeitgenössischen Materialien und Ar- der Kartausenkonzeption erscheinen, als Symbol der ere- beitstechniken (Beton, Stahl, Stein, Pflanzen) ein den Kar- mitischen Grundphilosophie. Die geologische Besonderheit täuserprinzipien entspringendes Erscheinungsbild evoziert von Aggsbach, die unmittelbar in der Kartause verlaufende – einfach und nützlich, von nichts ablenkend. Neue, ›rekons- sogenannte Diendorfer Störung (überregionale tektonische truierte‹ Hochbauten sollten hier ganz bewusst keinen Platz Verschiebungslinie mit beidseitig aneinander entlangdrif- mehr finden und den Gartenraum durchbrechen. Zu Räu- tenden geologischen Untergründen) und die in diesem Zu- men geformte Vegetation soll – auf darunter verschwinden- sammenhang auftretenden besonderen Gesteinsformatio- den ›Architekturträgern‹ – die historische Klausur erfühlbar nen werden so sichtbar (der »Steinstadel« vermittelt dazu machen, ohne die aktuelle Gartensituation grundlegend zu professionell die geologische und mineralogische Vielfalt). ändern. Die früheren, barocken Baukubaturen wurden daher Bei der Bepflanzung wird zwischen Hang- und ehemaliger proportional zu ›grüner Architektur‹ transformiert, mittels Zellen-Garten-Zone differenziert. Der felsige Hang wurde einfacher Rankgerüste/Spanndraht-Treillagen, mit dichtem von dem Robinien-Aufwuchs (einem invasiven Neophyt) und Kletterpflanzenbewuchs, dreidimensional als Innen- und den Verwitterungskrusten weitgehend bereinigt, ingenieur- Außenräume mit entsprechenden Oberflächen (Stein und biologisch mit Pflanzen gesichert und punktuell mit kartäu- ›Grün‹) erfassbar gemacht. ser- und standortbezogenen Pflanzen neu besetzt (Rosen, Die archäologische Prospektion und Auswertung in enger Nelken, Federgräser, Berg-Steinkraut etc.). Die Zellen wurden Zusammenarbeit mit dem Bundesdenkmalamt und die Dis- jeweils individuell mit unterschied lichen Kletterpflanzen kussionen darüber haben Veränderungen des baulichen De- berankt, ihre Gärten mit veredelten Kartäuser-Obstbäu- tailkonzeptes mit sich gebracht: Die Treillagen wurden nicht, men und -Weinstöcken aus der ehemaligen Kartause Paris wie ursprünglich geplant, auf Punktfundamenten gegrün- (einem europäischen Zentrum der Obstbaumzucht, heute det, sondern auf – an Ort und Stelle – gegossene Betonele- Jardin du Luxembourg) im Sinn der Selbstversorgungs- mente gesetzt, die exakt über den alten Bauresten auf einer Gartenkultur ausgestattet. Die ersten neu gestalteten Zel- Schotter-Pufferschicht – wie ›Sarkophagdeckel‹ – liegen. So lengärten sind jener für die Pfarre (christ liche Symbol- und kann die konservatorische Erhaltung des Bodendenkmals Schmuckpflanzen für Kirche) und ein Selbstversorgungs- optimiert und gleichzeitig eine gestalterische Neuakzentu- garten, dessen Ausstattung und Pflanzenbeete sich auf das ierung mit durchlaufendem, ca. 0,20 m hohem Betonsockel Mittelalter beziehen (ausschließlich mit Archäophyten, also erreicht werden. Sonst wurde keine Oberfläche versiegelt; Arten vor 1492; historisches und aktuelles Hochbeet, Rasen- Vegetation dominiert das Erscheinungsbild (Wiese, Rasen, bank, Wasser-Grand). So kann und soll MeGKA zu einem For- Schotterrasen) neben den begehbaren Innenraumflächen schungslabor für die Geschichte der Kartäuser(garten)kultur aus wassergebundenen Schotterdecken. Die Grabungen be- und gleichzeitig zu einem für alle praktisch anwendbaren wirkten eine Remodellierung des gesamten Geländes, das ›Selbstversuchsraum‹ auf der Suche nach der inneren Stille in Anpassung an die unterschiedliche Tiefenlage der histo- werden, gespeist aus der unsichtbaren, wieder greifbar ge- rischen Relikte als gleichmäßige ›schiefe Ebene‹ wiederher- machten Kartäuserlandschaft Aggsbach. gestellt wurde. Die steile Hangzone erhielt dagegen eine gezielte Überarbeitung, einerseits für eine bessere Erschlie- ßung mit Rundweg entlang der Oberkante, andererseits zur Freistellung der eindrucksvollen Felsformationen. Nach dem Vorbild der naturräumlichen Lage der Grand Chart- reuse soll nämlich der felsige Untergrund wieder als Teil

FÖTag 4, 2016 31 Alfred R. Benesch

Abb. 3: Übersicht der Grabungsergebnisse von 2008 bis 2010 mit Überlagerung der geplanten Überdeckung aus Beton (ohne Maßstab). Zusammenschau der Kartäusergarten- entwicklung in Aggsbach

Zur Aggsbacher Kartäuser-Gartenkulturgeschichte, die sich über ca. 640 Jahre in vier Phasen gliedern lässt, können ge- genwärtig anhand der Quellenlage und der Erkenntnisse aus der archäologischen Prospektion die nachfolgend ange- führten Schlussfolgerungen gezogen werden (Abb. 3).6

I. Phase (bis um 1700)

Zur ersten Phase nach der Gründung des Klosters sind prak- tisch keine Quellen für die Gartengeschichte vorhanden und daher kaum Aussagen möglich. Die archäologischen Grabungen haben die bisherige Aggsbacher Kartausenge- Abb. 4: Grabung im Garten der Zelle 2/B (Ansicht von Norden). Südlich der schichte jedoch revidiert:7 Der gesamte Zellentrakt wurde ab Zelle liegender Teil mit erkennbaren Beetstrukturen und Abbruchhorizont 1370 in einer einzigen Bauphase errichtet, mit ursprünglich unter aktueller Grasnarbe sowie Schwelle des Seitengangs. 13 Zellen (beziehungsweise zwölf Zellen und einem Neben- gebäude), also einer dementsprechend dichten Bebauung unten). Die Klosteranlage der Gründerzeit war bereits mit der Flächen und klein(st)en Zellengärten. dem ›vollen kartusianischen Bauprogramm‹ ausgestattet Alle überlieferten Darstellungen zeigen nur die spätere und fällt, ausgehend vom Stiftungsvermögen, mit einer Peri- barocke Ausbauphase mit neun Zellen und Gärten. Die ode der relativen Prosperität und Blüte von ca. 1420 bis 1500 Gartenlandschaft davor ist durch die darüberliegenden Ab- zusammen (optimale Voraussetzungen für hohe Gartenkul- bruchhorizonte weitgehend ausgelöscht worden und (vor- tur). Spätestens in Zusammenhang mit der Ausbreitung des erst) nicht lesbar beziehungsweise fast ohne Relikte. Das hat Protestantismus in der Wachau folgte darauf eine Periode eine abschließende, genauere gartenarchäologische Erkun- des Niedergangs. Die Wirtschaftslage verbesserte sich erst dung des Gartens der Zelle 2/B im Jahr 2010 gezeigt (siehe gegen 1600 im Zuge der Gegenreformation. Damals wurde die innere Struktur der vorhandenen Zellen durch Einziehen von Innenwänden im Erdgeschoß dreigeteilt8, folglich auch 6 Im Detail siehe Benesch 2008. – Zur ausführ lichen Kartausengeschichte: Rossmann 2000. – Zum Kontext der österreichischen Klostergartenkul- tur: Benesch 2009. 7 Blesl u. a. 2009. 8 Krenn und Scholz 2009, 469.

32 FÖTag 4, 2016 Kartäuserlandschaft Aggsbach – MeGKA

Abb. 5: Links: Hoch- oder Tiefbeet (?) beziehungsweise Terrarium (?) des 17. Jahrhunderts aus gemauerten Natursteinen. Rechts: Beeteinfassung des 17. Jahr- hunderts aus Ziegelsteinen mit zum Gebäude anschließender ›Scherbenpflasterung‹. die Außenraumstruktur schrittweise verändert (räum liche zäunte Obstbaumwiese, die noch auf Fotos des 19. Jahrhun- Beziehung ›Innenhaus/Außenhaus‹). derts an dieser Stelle vorhanden ist (gegenwärtig Parkplatz). Die bislang erste Erwähnung der Gärten im Kloster ist Der Kartausensüdtrakt, der säkulare Bereich mit großem nach dieser ersten großen Umbauphase zu datieren und Garten, ist auf allen Darstellungen offenbar bewusst ›abge- besagt, dass im Oktober und November 1635 bis zu drei schnitten‹. Es kann aber im Vergleich mit den anderen ös- Tagwerker »[…] in dem Garten gearbeitet haben […]«.9 Das terreichischen Kartausen angenommen werden, dass dort bezieht sich allerdings mit großer Wahrscheinlichkeit auf bis spätestens Ende des 17. Jahrhunderts ›säkularisierte Zier- den säkularen beziehungsweise wirtschaft lichen Teil und gärten‹ für repräsentative Zwecke angelegt wurden, nicht entspricht der Ordensregel, der zufolge einer der Patres für zuletzt aufgrund der neuen gesellschaftlichen Position des ›den‹ Garten verantwortlich ist. Unter seiner Anleitung – im Priors (1670 Erhebung in den niederösterreichischen Präla- Sinn eines ›Gartenmanagements‹ – wurden die Arbeiten tenstand, mit Sitz und Stimme im Landtag = ›Prälatenbank‹). von Laien ausgeführt; der Klausurtrakt mit den ›privaten‹ Dieser steigende Repräsentationsbedarf brachte allerdings Zellengärten der einzelnen Kartäuser war nicht für ›Auswär- wieder wirtschaftlichen Niedergang mit sich – einer der Pri- tige‹ zugänglich. Für die erste Phase ist auch der weitläufige oren wurde sogar wegen Verschwendung abgesetzt. (Wein-)Gartenbesitz im Gebiet der Wachau dokumentiert Welche Relikte hat die Barockzeit im Klausurgartentrakt und teilweise nachvollziehbar.10 hinterlassen? Bei der flächigen Grabung 2010 im Zellen- Nach der Mitte des 17. Jahrhunderts ermöglichte der garten 2/B wurde keinerlei Fundmaterial geborgen, doch weitere Aufschwung unter anderem die Renovierung der fanden sich dem 17. Jahrhundert zuzuordnende Beetstruk- Stiftskirche (ab 1673). Die Struktur des Zellentraktes änderte turen (ohne Einfassungen) räumlich zentriert in der relativ sich in dieser zweiten Umbauphase grundsätzlich: Teilweise schmalen, L-förmigen Gartenfläche (optimierte Konfigura- wurden alte Zellen geschleift (vier Zellen im Nord- und im tion/Lage zur Reduktion der Beschattung und für gute Er- Osttrakt) und samt ihrer Gartenmauer abgerissen, er wurde schließung zur Bewirtschaftung; Abb. 4). Eine Nord-Süd ge- auf insgesamt neun Zellen reduziert. Die zugehörigen Zel- streckte Beetform befand sich im Nordostteil, eine L-förmige lengärten wurden zum Teil vergrößert (über alte Zellen im Südteil. Letztere erinnert an einen Rest jener für das Mit- hinweg) beziehungsweise erhalten. Parallel zum großen telalter typischen U-förmigen Pflanz- oder Hochbeet-Kons- Kreuzgang beziehungsweise zu den Garten(trenn)mauern truktion (Rasenbank) aus Holzabgrenzungen und umfasst entstanden Begleitgänge; aus dieser Zeit sind erstmals Kie- scheinbar eine zentral liegende Pflanzgrube (Solitärbaum selsteinpflaster als Beläge (Schwellen, Traufpflaster) bezie- mit Sitzplatz/Beet). hungsweise Rinnen für die Oberflächenwasserableitung im Der zweite gartenarchäologische Befund ergab sich im Gartenareal nachvollziehbar. östlichsten (Zellen-?)Garten. Zwischen der kleinsten Zelle Der neu gestaltete Zellentrakt ist in den drei einzigen (oder Nebengebäude) und der – den Hang abstützenden – Abbildungen aus diesem Zeitraum überliefert.11 Details sind Umfassungsmauer lagen parallel zu dieser zwei rechteckige darin nur auf Flächen außerhalb der Klostermauern zu er- Beeteinfassungen aus dem 17. Jahrhundert: Überreste eines kennen, so zum Beispiel der Bereich im Süden, zwischen großen, aus Natursteinen gemauerten Beets (ca. 3,16 × Zufahrt und Wolfsteinbach, eine gegen das Weidevieh abge- 1,41 m), das entweder wie ein neuzeitliches Hochbeet funkti- onierte oder wie jene bis dato in der Grand Chartreuse noch vorhandenen ›Tiefbeete‹, also in den Boden eingesenkte, 12 9 NÖ. Landesarchiv, KG St. Pölten 4/7, Kartause Aggsbach, Rechnungsbuch ausgemauerte Beete , jeweils um für den Gartenbau die 1635–1637, fol. 60. maximale Wärmesumme einfangen und speichern zu kön- 10 Siehe http://monasterium.net/mom/AggOCart/collection, Sammlung Aggsbach, Kartäuser (1281–1780) [Zugriff: 12. 10. 2015]. 11 Vedute von Georg M. Vischer in der Topographia Archiducatus Austria Inferioris Modernae, 1672. – Ölgemälde aus der Sammlung/Serie des Stif- 12 Zuletzt im Dokumentarfilm »Die große Stille« von Philip Gröning (2005) tes Klosterneuburg über verschiedene Kartausen, um 1700. – Ölgemälde festgehalten und in ihrer Nutzung dokumentiert. Die Mutter-Kartause liegt aus dem Museum der Kartause Aggsbach, Datierung unklar (ab 1750 zwar auf der montanen Stufe und Aggsbach deutlich tiefer (230 m Seehöhe), bis zweite Hälfte 18. Jahrhundert, offenbar Kopie des älteren Bildes der infolge der engen Tallage und der lokalen Inversion sind aber derartige das Klosterneuburger Serie). Kleinklima fördernde Anbaumethoden hier ebenfalls von Vorteil.

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nen. Die Konstruktion könnte aber auch als Frühbeet mit grundherrschaft licher Untertanen, mit Betonung des ›Zier‹- Glasabdeckung gedient haben oder wurde völlig anders Charakters. Eine ›schrebergartenartige‹ Nutzung zu Rekrea- genutzt, zum Beispiel als kleines Freilandterrarium für die tionszwecken ist wahrscheinlich, wie die bis dato geltende Haltung von Landschildkröten (in der Latrine von Zelle 7/H Sichtweise kartusianischer Gartenpraxis nahelegt: wurden sieben Panzer dieser Tiere gefunden13); denkbar »Ist der Mönch nicht besser als an stärker besuchten Orten, wäre auch die Spezialform eines kleinen Schneckengar- in der geheimen Ruhe des einsiedlerischen Gartens der Zelle, tens, denn bis zu Beginn der aktuellen Neugestaltung war durch den Umgang mit der Pflanzenwelt in Kontakt mit dem das massenhafte Vorkommen von Weinbergschnecken im Mysterium des Lebens und mit dem, der die Quelle davon ist? Garten auffällig (Abb. 5/links).14 Die zweite Beetfläche war [...] Das ständige Erleben dieser konkreten Abhängigkeit in mit liegenden Mauerziegeln abgegrenzt (ca. 2,35 × 0,95 m) Schlichtheit und Frieden Gott gegenüber, dessen ständiges und entsprach einer einfachen, zweckmäßigen Beeteinfas- Wirken durch die Gesetze der Schöpfung uns zu Hilfe kommt, sung. Zu der Zelle/dem Nebengebäude hin waren zahllose macht das Herz des Einsiedlermönchs – eines ganz einfachen Ton-/Dachziegelscherben wie eine gepflasterte Fläche aus- Gärtners – bereit für diese kind liche Haltung, die die Wurzel des gebreitet; diese Beetform und Oberflächenbefestigung ist Lebens des Getauften ist. Sollten wir hier das Geheimnis des erstaun licherweise fast ident in der Grand Chartreuse in den Sinns des Kartäusers für den Gartenbau suchen? Es ist jeden- 1950er-Jahren dokumentiert worden (Abb. 5/rechts).15 falls eine Schule der Demut.«17 Derartige Details sind den ersten überlieferten Kartau- Neben den neun Zellengärten gab es den großen, zwei- senabbildungen nicht zu entnehmen, die darin dargestellte teiligen Kreuzgarten innerhalb des großen Kreuzganges, mit Gartenstruktur wird allerdings durch die Grabungsergeb- Friedhof und Kapelle »Sancta Crucis« im Südteil (ca. 430 m2) nisse und spätere Ansichten bestätigt: Die neun Zellen sind beziehungsweise Wiese im Nordteil (ca. 320 m2), insgesamt nahezu identisch groß (durchschnittlich ca. 50 m2) bei glei- etwa 750 m2 Gartenfläche für die Gemeinschaft. Der kleine chem Grundriss (im Südtrakt spiegelbildlich zum Nordtrakt) Kreuzgarten mit ca. 100 m2 ist mit dem Abbruch des Klei- und haben ›Nebengebäude‹ in Form angegliederter Begleit- nen Kreuzganges um 1878 verschwunden und nun Teil des gänge (einer parallel zum großen Kreuzgang, der andere Kirchenvorplatzes/-hofes. Über seine ehemalige Gestaltung entlang der trennenden Gartenmauer zum Nachbargar- ist nichts bekannt, da dieser für die Klausur zentrale Garten ten), vermutlich für Gerätekammer, Lagerraum und Toilette auf keiner der überlieferten Ansichten oder Pläne dargestellt (neben der einzigen nachgewiesenen Abfallgrube wurde ist. auch ein Abwasserkanal gefunden16, zur Wasserversorgung Die ca. 1.650 m2 große, steil abstürzende Hangzone mit gibt es keine Hinweise). Die Zellengärten sind im Gegensatz anstehenden Felsen nördlich und westlich entlang der Zel- zu den Zellen unterschiedlich groß (durchschnittlich ca. 120 lengärten entspricht räumlich dem Vorbild in der Grand m2) und je nach Lage sehr verschieden konfiguriert: Die drei Chartreuse und kann als eigenständiger ›Hanggarten‹ an- im Nordtrakt entlang des Hanges sind deutlich größer (über gesprochen werden. Die ehemalige Nutzung ist unklar; 150 m2), während jene im Südtrakt noch den mittelalter- hier war jedenfalls ein baumbestandener Gartenraum (für lichen, kleinen Gartengrundrissen (um maximal 100 m2) ent- Obst-, eventuell auch Weinbau, oder ein Schneckengarten?) sprechen. Insgesamt gab es demnach ca. 1.100 m2 ›Privat‹- ebenfalls der Klausur zugeordnet. Die ursprüng liche Tro- Zellengärten, eine im Vergleich zu anderen Kartausen nicht ckensteinstützmauer entlang der Basis des Hanges enthält sehr große, doch angesichts der beengten Geländeverhält- interessanterweise im südexponierten Abschnitt etwa ein nisse sehr großzügige Grundfläche für die jeweils einem ein- halbes Dutzend kleiner Nischen (so viele wie die mittelalter- zigen Mönch vorbehaltenen Gärten. liche Zellenanzahl?), die wahrscheinlich zur Imkerei verwen- Neben diesen Zellengärten waren (im Gegensatz zu det wurden. In klimatisch benachteiligten Regionen (zum Mauerbach und Gaming) keine produktiven Wirtschaftsgär- Beispiel Schottland und Irland) sind derartige bee boles bis ten innerhalb des gesamten Klosterkomplexes vorhanden. Ende des 19. Jahrhunderts typische Elemente für die Platzie- Ein Schwerpunkt der für die Eigenversorgung relevanten rung witterungsgeschützter Bienenkörbe18 in Gärten, eine Wirtschaftsgärten ist rund um das nördlich davon liegende weitere das Lokalklima verbessernde Technik. ›Untere Haus‹ mit dem Wirtschaftshof und Nebengebäu- Insgesamt ergibt sich in Summe eine nachweisbare Gar- den sowie den zwei großen Fischteichen anzunehmen. tenfläche von ca. 1.850 m2 innerhalb der Klausur, mit dem Wie bei den anderen historischen und aktuellen Kartausen großen Hanggarten sogar ca. 3.500 m2. Dem stehen die zwi- konnten die Zellengärten nur sehr bedingt zur Eigenver- schen sakralem und säkularem Teil liegenden wirtschaft- sorgung des Konventes verwendet werden, da die jeweili- lichen Hof- und Freiräume (Prälatur-, Wirtschafts-, Vorhof, gen Zellenbewohner wahrscheinlich immer nach Lust und Hangflächen) gegenüber, die vermutlich keine Gartenge- Laune, nach ihren spirituellen Grundsätze und Vorlieben, staltung beziehungsweise -nutzung aufwiesen. Ein bis dato Gartenbau betrieben, mit Heilkräutern, Gemüse, Schmuck- vorhandener, eigenständiger säkularer Gartenbereich von blumen, Symbolpflanzen, Experimentierflächen, Obstgehöl- ca. 1.885 m2 (Prälatengarten) ganz im Süden war wahr- zen etc. Das Erscheinungsbild dieser Zellengärten ähnelte scheinlich für Repräsentations- und Rekreationszwecke vor- also vermutlich jenem der sogenannten ›Bauerngärten‹ gesehen. Im Verhältnis zum Klausurbereich, gemessen an der topographisch beengten Lage und der Gesamtfläche der Kartause, war dies ein außerordentlich ›luxuriöser‹ Baustein der Anlage, vermutlich ohne produktiven Charakter, der dem 13 Krenn und Scholz 2009, 470. – Siehe auch den Beitrag von Alfred Galik und Günther K. Kunst in diesem Band. 14 Die Kartäuser nutzten neben den belegten Fischen und Muscheln ebenso Schnecken für ihre Diät, eine verbreitete europäische Art ist sogar nach 17 Ein nicht genannter Kartäuser, zitiert in Pelt u. a. 2004, 95. Dieses Buch ihnen benannt (Monacha cartusiana). Zur Ernährungsweise siehe Be- wurde auf Vermittlung von Mag. Thir (Verein der Freunde der Kartause nesch 2012. Aggsbach) übersetzt, mitsamt dem darin enthaltenen historischen Text 15 Serou und Vals 2007. (Le Gentil 1704). 16 Krenn und Scholz 2009, 470. 18 Walker und Crane 2000.

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Abb. 6: Übersichtsplan der Kartause mit Verteilung der unterschied lichen Gartentypen. kartusianischen Bild von Einsamkeit und Bedürfnislosigkeit angestellt. Gartenbauliches Vorbild war höchstwahrschein- so gar nicht entspricht – wurde er vielleicht deshalb nie ab- lich das 1704 in der Kartause Paris von Frére Gentil heraus- gebildet (Abb. 6)? gegebene Lehrbuch Der einsiedlerische Gärtner, das die hohe Kunst von Wirtschaftsgärten mit ästhetischen Zielsetzun- gen im Sinn eines »Küchengartens« vereinte.21 Die Gestal- II. Phase (18. Jahrhundert) tung eines Zellengartens in der (städtischen) Kartause Paris, kurz vor deren Auflösung22, bestätigt die für Aggsbach in den In dieser gut dokumentierten Phase waren die Gärten der Ansichten nur schematisch angedeutete Gartengestaltung Klosteranlage sowie die Bauten in ihrer Hochblüte. Zur bis ›a la mode‹ selbst in den eremitischen Zellengärten – Kon- dahin überwiegend kontemplativen und spirituellen Funk- templation war offenbar im Angesicht zeitgenössischer tion der Gärten tritt (neben der wirtschaftlichen) die reprä- Gartenkunst möglich. Die am zeitgenössischen Gartenstil sentative, auch wenn diese (bewusst?) nicht sichtbar nach geschulten Gärtner hatten also indirekt Einfluss auf die Ge- außen dokumentiert wurde. staltung der Zellengärten? Die schriftlichen Quellen überliefern dafür notwendige Die damalige Besoldung der Gärtner zeigt, dass es ›Win- Arbeitsleistungen: Ab 1708 bis 1735 wird regelmäßig ein terpausen‹ gegeben hat, in denen die Gärtner ›arbeitslos‹ »Hofgärtner« beziehungsweise Gärtner als Angestellter er- waren (Glashäuser beziehungsweise ähn liche Winterkultu- wähnt19; die jüngere Vedute verzeichnet unter Punkt 35 in ren sind in Aggsbach bis dato nicht nachweisbar). Die Stel- der Legende sogar ein zugehöriges Wirtschaftsgebäude als lung des Gärtners gegenüber den übrigen Bediensteten ist »Repositorium hortensium«.20 Demnach war spätestens ab anhand der Jahresgehälter ablesbar. Demnach war der Gärt- ca. 1700 auch in der Kartause Aggsbach ein eigener Garten- nerstand hoch angesehen und für das Kloster von großer spezialist für Repräsentations-, aber auch Wirtschaftsgärten

21 Le Gentil 1704. Der Kartäusermönch bezieht sich darin explizit auf den 19 NÖ. Landesarchiv, KG St. Pölten 4/9, Besoldungsbuch der Klosterbediens- Küchengarten des französischen Königs Ludwig XIV. und dessen Gestal- teten des Klosters Aggsbach 1711–1735, fol. 27, fol. 28, fol. 28v. Siehe auch ter Jean-Baptiste de La Quintinie. bezüglich der Kostenangaben im Folgenden. 22 Historische Ansicht eines Zellengartens der Kartause Paris (1781), in: Pelt 20 Ölgemälde aus dem Museum der Kartause Aggsbach, um 1750. u. a. 2004.

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Bedeutung, da zeitweise die Entlohnung zum Beispiel gleich halber bekannt ist, da nicht selten ein schöner Spargelstamm hoch beziehungsweise sogar deutlich höher als die des »NÖ 10 bis 12 Loth wiegt. Hier standen ehemals die kleinen abge- Landschaftsmedicus zu Melkh« oder des Konventkoches ist, sonderten 18 Wohnungen der Carthäuser-Mönche […], die aber freilich etwa zu 50 % in Form von Nahrungsdeputaten. alle niedergerissen wurden, Erde aufgeschüttet und daraus ein Nach Aufhebung der Kartause 1782 erhielt die Klosterkir- Obst- und Küchengarten gebildet ward, die sich an das Schloß che einen Turm und wurde später zur Pfarrkirche. Das Klos- und Kirche anschließen […].« ter besaß zu diesem Zeitpunkt neben 68 Joch Äckern und Der eigenartige Verweis auf den Spargel, aber auch auf Wiesen 116 Tagwerk Weingärten und 1,5 Joch Küchengarten die Obstsorten lässt darauf schließen, dass die Gartenkultur sowie weitere in den übrigen Landesvierteln verteilte Wein-, der Kartäuser offenbar weitergegeben werden konnte – an- Obst- und Grasgärten.23 Der Aggsbacher Konvent umfasste ders sind die lokale ›Bekanntheit‹ des Spargels und dessen den Rektor, acht Patres, einen Laienbruder und einen Bruder komplizierter Kultivierung oder das Vorkommen »edler« ohne Gelübde, also insgesamt elf Personen, denen zwölf Obstsorten an diesem nicht begünstigten Talstandort inmit- Klosterbedienstete gegenüberstanden, darunter »der Gärt- ten des Dunkelsteinerwaldes nicht erklärbar.27 Eine Ansicht ner Johann Lampl aus Böhmen (53 Jahre)«, der nach Aufhe- von der Mitte des 19. Jahrhunderts überliefert den damali- bung »zu entlassen« ist.24 Mit Ende des Klosters verschwan- gen Zustand:28 Der große Wirtschaftsgarten im ehemaligen den die spirituellen, kontemplativen und repräsentativen Zellenbereich ist kreuzförmig in vier Felder aufgeteilt, mit Funktionen der Gärten mit einem Mal; für die Folgebesitzer zentralem Brunnen (kreisförmig aus Ziegeln gemauert, bei war nur mehr der ›Wirtschaftsfaktor‹ Garten relevant. den Grabungen teilweise freigelegt), begleitenden (Obst-?) Bäumchen (niedrige Halb- bis Viertelstämme), dazwischen linear als Einfassung der Felder Stauden (?); in den vier (Wie- III. Phase (19. bis Mitte 20. Jahrhundert) sen-?)Feldern stehen einzelne höhere (Obst-)Bäume sowie die Reste der damals vermutlich als ›Gartenpavillon‹ ge- In dieser Phase zerfällt die Kartäuserlandschaft, nur mehr nutzten, bei den Grabungen wieder gefundenen Friedhofs- Relikte sind als spezifisch ›kartusianisch‹ erkennbar. Der kapelle. gesamte Zellentrakt und der Große Kreuzgang wurden Diese Gartensituation zeigt in verblüffender Weise exakt im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts abgerissen; die neu jenes ›Kartusianische Gestaltungsprinzip‹, das im 1704 er- entstandene Fläche wurde in einen einzigen großen Wirt- schienenen Kartäuser-Gartenlehrbuch präzise als idealer schaftsgarten umgewandelt. Entwurf (inklusive Grundrissplan) beschrieben wird. Der Diese Phase konnte bei den Grabungen als deutlich Westteil dieses nach Kartäusermanier gestalteten Wirt- erkennbarer, die unteren Schichten stark überprägender schaftsgartens wurde damals am Fuß des Hanggartens of- Abbruchhorizont vorgefunden werden, der vor allem die fenbar auch für die Rekreation genutzt, wie ein Spielhaus westlichen Gartenteile unter sich begraben hat. Der Franzis- inklusive Bahn vermuten lässt. Ab 1876 wurde die Kartause zeische Kataster als erste planliche Darstellung der Kartause Sitz einer Waldbauschule des Niederösterreichischen Forst- weist hier bereits einen Obstgarten aus. Die Ausstrahlung schulvereins zur Ausbildung von Forstschutzpersonal und des Klosters auf die rundum liegende, weit gestreute ›Kar- technischem Hilfspersonal im Rahmen einjähriger Lehr- täuserlandschaft‹ ist noch gut erkennbar:25 Im Süden Wirt- kurse (mit Stipendien für Schüler aus der gesamten Monar- schafts- (unter anderem die Binderei) und Wohngebäude chie; bis 1906 insgesamt 820 Absolventen). Die Schuleinrich- (von Kleinhäuslern) mit zugeordneten Wirtschaftsgärten, tungen nutzten dabei wiederum die Hinterlassenschaften im Norden zwei große Fischteiche (der süd liche besteht der Kartäuser. Neben dem Forstgarten mit Exotenkultur bis heute), die anschließende Hammerschmiede mit dane- und botanischen Anlagen wurde in einem eigenen Bruthaus benliegenden Obstgärten, westlich davon das zugehörige mit Bruttrögen (der alte Kartäuser-Fischkalter?) Fischzucht Kohlemagazin (heute Mineralienzentrum Steinstadel) mit gelehrt.29 Nach 1900 ist die Entwicklung im Detail nicht be- großem Gemüsegarten, weiter im Norden das Wohn- und kannt, es gibt nur einzelne Blitzlichter zum jeweiligen Zu- Wirtschaftsgebäude des damaligen Schiffsmeisters und stand. Spätestens mit dem Ende der Monarchie wurden die die ehemalige Klostertaverne, beide von Wiesen und Wirt- Kartause beziehungsweise deren Reste jedenfalls zu einem schaftsgärten umgeben, im Nordwesten schließlich der Objekt der Kunstgeschichte, Teil der ›österreichischen Denk- Meierhof (das ehemalige Untere Haus) mit dem Pfarrhof; die mallandschaft‹, mit ausführlicher Beschreibung in einer der umgebenden Waldflächen werden teilweise als »Jungmais« ersten österreichischen Kunsttopographien.30 Gleichzeitig und »gemischtes schlagbares mittleres Laub- und Nadelholz« wurde der verbliebene Baudenkmalkomplex damit zum bezeichnet, somit als sehr offene, junge Waldbestände. touristischen Ziel und schrittweise in verschiedenen Touris- Wenig später ist eine Beschreibung der Gartennutzung um musführern beschrieben. 1837 überliefert:26 »[…] ist von einer hohen stellenweise mit, aber schon meh- rentheils verfallenen Thürmen besetzten Mauer umfangen, die auch die vor und hinter demselben gelegenen Gärten ein- schließt, in denen nicht nur gute und edle Sorten Obstes ge- troffen werden, sondern auch ein vorzüglicher Spargel wächst, der nicht allein wegen seiner Güte, sondern auch seiner Größe 27 Spargel steht im Übrigen an erster Stelle jener von Frére Francois le Gentil 1704 in Kapitel 21 seines Gartenlehrbuches angeführten Liste der »Gemüsekörner für den Gebrauch eines Hauses«; sein Anbau wird darin im Ablauf der Jahreszeiten detailliert erläutert. 23 Enne 1977, 29–33. 28 Ansicht der ehemaligen Kartause vom Kalvariberg, Aquarell in der 24 Enne 1977, 86–87. Sammlung der Österreichischen Nationalbibliothek III, 38, 158, erstes 25 Franziszeischer Kataster der Katastralgemeinde Aggsbach, V. O. W. W., Nr. Drittel 19. Jahrhundert. 5, 1821, Mautern 1822, inklusive Parzellenprotokoll. 29 Waldbauschule 1906. 26 Schweickhardt 1837, 117–128. 30 Kunsttopographie 1909.

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Abb. 7: Erscheinungsbild des MeGKA im Sommer 2015, kurz nach der Bepflanzung.

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IV. Phase (Mitte 20. Jahrhundert bis Gegen- ›Gartenreditierung‹ – unsichtbare Gar- wart) tenkultur und -kunst erfahrbar machen

In der jüngsten Phase hat sich seit den letzten Abbrucharbei- Die im Untergrund verborgene und in der Geschichte ver- ten in den Gärten nur mehr wenig verändert, was nicht nur gangene unsichtbare Gartenwelt/-kultur der Kartäuser ist Ansichten, sondern auch die Grabungsergebnisse bestäti- ein Mosaik unterschiedlichster Bruchstücke: Die einzelnen, gen. Errichtet wurden zum Beispiel ein in den 1970er-Jahren meist ›toten‹ Relikte der Existenz einstiger Gärten liegen für die Pfarre und ihren Blumenschmuck betoniertes kreuz- als mehr oder weniger zerstörte ›Geschichtsschichten‹ förmiges Beetgeviert im Süden des Wirtschaftsgartens, ein unter der gegenwärtigen, sichtbaren ›Landschaftsdecke‹ Rundpfad entlang der umfassenden Wehrmauer zur Aus- versteckt, nur durch archäologische Methoden und his- sicht auf die Kartause von oben, ein kleiner offener Holzpa- torische Quellenforschung wieder erkennbar, lesbar. Jene villon mit Natursteinpflaster im Südwesteck als Unterstand gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die zur jeweiligen für Abfalleimer und Geräte der Pfarre (2015 entfernt) sowie Zeitschicht gehörten, das jeweilige Weltbild, das soziokultu- ein alter Buchsbaumkreis an jener Stelle, wo nachweislich relle setting zur jeweiligen Gartenkultur können ebenso nur der historische Brunnen lag (bis 2003). über solche Grundlagenforschungen wieder nachvollzieh- Seit 1970 ist der süd liche Teil der Kartause Privatbesitz; bar werden; das aktive ›Schaffen‹, die dauernde physische die bauliche Substanz wurde durch umfassende Sanierun- – ebenso wie die regelmäßige spirituelle – Arbeit in einem gen auch im ehemaligen Klausurtrakt gerettet. Erst ab 2003 Garten, also die Realisierung von Gestaltungskonzepten im gab es eine eingehende Bearbeitung der Baugeschichte der Sinn eines andauernd notwendigen Erhaltungsaufwandes Kartause, unter anderem mit dem Ergebnis der Rekonstruk- (täglich, im Unterschied zu Gebäuden), sind ebenfalls nicht tion des baulichen Zustandes der Kartause zur Barockzeit mehr sichtbar und können stets nur teilweise anhand be- als dreidimensionales digitales Modell, das mittels Kame- stimmter Quellen rekonstruiert werden, der persönliche, rafahrt visuell durchschritten werden kann.31 Ein Vergleich spirituelle Anteil dieses Tuns hingegen niemals. Die kartusi- zwischen den Befunden der archäologischen Grabungen anischen Zellengärten sind zudem für die ›Außenwelt‹ völ- und jenen der Georadaruntersuchung von 2003 zeigt zwar lig unzugänglich, uneinsehbar, unsichtbar, nur der jeweilige teilweise gleiche Strukturen (teils in unterschiedlicher Lage), Zellenmönch in seiner Lebensspanne sieht und gestaltet jedoch völlig andere Datierungen und Schlussfolgerungen. diesen Garten, niemand sonst, außer der ihm nachfolgende, Bis 2012 war ein einfach gestalteter, extensiver Wiesengar- nächste Bruder; speziell bei den Kartäusern gibt es also eine ten mit verstreut stehenden Obstbäumen aus der Zeit nach extrem enge, meist jahrzehntelange ›Bindung‹ zwischen 1950 im Meditationsgarten vorhanden. Der Hanggarten war einer Person und ›ihrem‹ Garten beziehungsweise umge- bis 2008 dicht von wild aufkommenden Robinienbeständen kehrt dem Garten und ›seinem‹ Gärtner. überwachsen und zudem im oberen Teil mit Ziersträuchern Wie können solche unsichtbaren Gärten, die Gartenkul- (unter anderem Flieder, Rosen) bestanden, während im Un- tur der Kartäuser, deren ›Garten-Spiritualität‹, wie die dar- terwuchs fast flächendeckend eine spezielle Varietät von Im- aus resultierenden, lokalen Besonderheiten der Kartause mergrün die Böschung schützte. Aggsbach als historisches Bau- und Gartenensemble auf die Insgesamt vermittelt dieser einfache, umfriedete Garten denkmalpflegerisch und historisch ›wahrhaftigste‹ Weise als Zentrum der ehemaligen Klausurgärten immer noch vermittelt werden, unter Bewahrung der vorhandenen, eine große Ruhe und Entspannung, die jeden Besucher auf großteils unsichtbaren Relikte (Abb. 7)? das angenehmste und unwillkürlich umfängt. Seine unver- MeGKA soll keine ›Neuanlage‹ eines Gartens sein, keine änderte Abgeschlossenheit und Zurückgezogenheit las- ›Revitalisierung‹ oder ›Regenerierung‹ von in Relikten Be- sen diesen über 0,5 ha großen Gartenraum wie einen letz- stehendem, keine ›Rekonstruktion‹ bestimmter, überliefer- ten verbliebenen ›Kartäusergarten‹ erscheinen, der dank ter historischer Anlagen. Denn eine Wiederbelebung oder kontinuierlicher Gartennutzung in ähnlicher Form seit über Wiederherstellung alter Kartäusergartennutzungen sowie 150 Jahren existiert. Die Reste kartusianischen Wirkens lie- deren gartenkünstlerischer und -kunsthistorischer Qualitä- gen ganz nahe unter der Oberfläche verborgen und konnten ten ist mangels konkreter Gartenrelikte und -anhaltspunkte bei den Grabungen nur wenige Zentimeter unter der Wiese ohne klösterliches Umfeld mit kartusianischem Wirken als gefunden werden – ›besenrein‹ aufgeräumte Zellen und wichtigem ›lebendigem‹ Anteil nicht möglich. Gerade in so Kreuzgänge. Unter dem aktuellen Erscheinungsbild stapeln stark spirituell orientierten Gärten sind die lebendigen Kom- sich die vielen ›Geschichtsschichten‹, die sich in den vier ponenten, also die Pflanzen (und Tiere) sowie das Schaffen Phasen der seit 640 Jahren existierenden Gärten an- und und Existieren der Menschen (Gärtner, Kartäuser), Voraus- abgelagert haben. Ein idealer Ort für eine tiefer gehende, an- setzung für ›echte Gartenkunst‹. Die verbliebenen unbeleb- gewandte Erforschung der Kartäuser(garten)kultur und ein ten, originalen Anteile konnten dank der Grabungen genau darauf neu zu gründendes, spezielles Gestaltungs- und Nut- lokalisiert, zeit liche und stilistische Zuordnungen getroffen zungskonzept, das dem ›Geist‹ der Kartäuser gerecht wird. werden. Damit liegt das Wissen vor, um an den im Unter- grund vorhandenen, unsichtbaren, unbelebten ›historischen Rahmen‹ authentisch direkt anschließen zu können. Diese besonderen Standortqualitäten, der kartusianische Genius Loci, sollen – kombiniert mit den gegenwärtig vor- handenen Gartenelementen (extensive Wiese und Hang- zone, verbliebenes Pflanzenrepertoire) – mittels zeitgenös- sischer, gestalterischer Eingriffe möglichst hervorgehoben und gestärkt werden. Die Neuinterpretation des ehemali- 31 Reinberger 2007. Die Arbeit wurde mitsamt dem digitalen Modell von gen Klausurbereiches soll die historischen Bezüge der frü- der Gemeinde Schönbühel-Aggsbach zur Verwendung bei der Vermitt- lung in der Kartäuserlandschaft erworben. heren Bau-/Gartenensemble-Qualitäten wieder erkennbar

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machen, einen möglichst kontemplativ erfahrbaren Garten Benesch 2012: Alfred R. Benesch, Vom Maß der Speise. Lebens-Mittel aus den Gärten der Kartäuser. In: Walter Grond (Hrsg.), Draußen in der Wachau. Der entstehen lassen. Im MeGKA soll aus alter, nur teilweise etwas andere Reisebegleiter, Innsbruck 2012, 92–98. bekannter Gartenkultur eine neue, auf die alte so weit wie Benesch u. a. 2010: Alfred R. Benesch, Martin Krenn und Ute Scholz, Die möglich direkt aufsetzende, bewusst in zeitgenössischer Cartusia Portae Beatae Mariae Virginis in Aggsbach, Archäologie Österreichs Form gehaltene Gartenanlage erwachsen. Mit aktueller Gar- 21/2, 2010, 4–17. Blesl u. a. 2009: Christoph Blesl, Martin Krenn und Franz Sauer, Nieder- tenkunst, die an geistige Quellen anknüpft, in einer für die österreich. In: Bernhard Hebert und Nikolaus Hofer, Jahresbericht zur gegenwärtige Gesellschaft lesbaren Gestaltungssprache, Archäologischen Denkmalpflege 2009, FÖ 48, 2009, 16. um dieser die alte und die neue Gartenkunst zu vermitteln. Enne 1977: Franz Enne, Die Aufhebung der Kartause Aggsbach, Analecta Cartusiana 49, Salzburg 1977. Diese Form des bewussten, respektvollen, denkmalpflegeri- Krenn und Fettinger 2010: Martin Krenn und Brigitte Fettinger, KG Aggs- schen Umganges mit historischer Substanz (sowohl unbe- bach, FÖ 49, 2010, 261–263. lebte ›originale Anteile‹ als auch belebte, nicht mehr origi- Krenn und Scholz 2009: Martin Krenn und Ute Scholz, KG Aggsbach, nale) könnte als »Garten-Reditierung« bezeichnet werden. FÖ 48, 2009, 469–470. Krenn u. a. 2008: Martin Krenn, Horst Kalser und Doris Schön, KG Aggs- Analog zur Revitalisierung oder Regenerierung (der Wie- bach, FÖ 47, 2008, 17. derbelebung eines historisch nachvollziehbaren Garten- Kunsttopographie 1909: Die Denkmale des politischen Bezirkes Melk in Nieder- konzeptes, ausgehend von den vorhandenen Relikten, mit österreich, Österreichische Kunsttopographie III, Wien 1909. Le Gentil 1704: Francois le Gentil, Le jardinier solitaire. Dialogue contenant Betonung der lebendigen Anteile) beziehungsweise zur la méthode de cultiver les arbres fruictiers et potagers, Paris 1704. Rekonstruktion (im Sinn von Rückbau, ohne Berücksichti- Pelt u. a. 2004: Jean-Marie Pelt, Pauline Delafon, Jean-Noel Burte und gung der aktuellen lebendigen Anteile) könnte der Begriff Jean-Claude Mauget, Frére Francois le Gentil. Un jardin de chartreux. Le con- der »Reditierung« verwendet werden. Dieses neue Konzept seils de jardinage d’un chartreux de Vauvert. Histoire. Patrimoine, Savoir-faire, Grenoble 2004. denkmalpflegerisch begründeter Neugestaltung leitet sich Reinberger 2007: Clemens Maria Reinberger, Die Kartause Aggsbach. vom lateinischen Verb reddo mit über 30 ineinandergrei- Architekturhistorische Forschung und virtuelle Rekonstruktion, unpubl. Dipl. fenden Bedeutungen ab.32 Darunter ist die zeitgenössische Technische Univ. Wien, 2007. Rossmann 1976: Heribert Rossmann, Die Geschichte der Kartause Aggsbach Gestaltung einer historischen Gartenanlage zu verstehen, bei Melk in Niederösterreich, Analecta Cartusiana 29, München 1976. welche deren Artefakte beziehungsweise spätere, darüber- Rossmann 2000: Heribert Rossmann, Die Geschichte der Kartause Aggsbach. liegende lebendige Anteile nicht negiert, sondern vielmehr In: James Hogg u. a. (Hrsg.), Die Kartause Aggsbach, Analecta Cartusiana 169, zwingend an diese gestalterisch anknüpft, ohne dabei eine Salzburg 2000, 57–360. Schweickhardt 1837: Franz Xaver Schweickhardt von Sickingen, exakte oder – auf Zeitschichten bezogene – relative Nach- Darstellung des Erzherzogthums Oesterreich unter der Enns, Wien 1831–1841 bildung zu schaffen, um den ›Geist‹ der ehemaligen lokalen [Aggsbach Dorf: 1837]. Gartenkultur (im engeren Sinn eines Genius Loci), das Kon- Serou und Vals 2007: Robert Serou und Pierre Vals, Kartäuser. Vom Leben in der Wüste, Würzburg 2007, 78. zept des ehemaligen Gartenkunstwerkes wieder spürbar, Stowasser 1979: Der kleine Stowasser. Lateinisch-Deutsches Wörterbuch, Wien mit angemessener Vermittlung nachvollziehbar und erfahr- 1979. bar zu machen. ›Garten-Reditierung‹ ist der Versuch, Un- Waldbauschule 1906: Jahresbericht 1906 der Waldbauschule Aggsbach des sichtbares und Vergangenes wieder zugänglich zu machen, niederösterreichischen Forstschul-Vereines, nach dem 31jährigen Bestande der Schule am Schlusse des Schuljahres 1905/06, Melk 1906. Hilfe zu stellen, um sich ›im Kopf‹ zurückzubegeben in die Walker und Crane 2000: Penelope Walker und Eva Crane, The history of Bezugs-Gartenkultur, diese berichten zu lassen, ihr gleichzei- beekeeping in English gardens, Garden History 28/2, 2000, 231–261. tig damit Respekt zu erweisen, aus dieser hervorwachsend neue Gartenkunst gewähren zu lassen, im Sinn von Wieder- geben beziehungsweise Übersetzen der damals gedachten, Abbildungsnachweis gelebten, tatsächlich existierenden Gartenkultur. Abb. 1: Ansichtskarte, 2. Hälfte 20. Jahrhundert, ohne Angabe; © Archiv So sollen die verschwundenen und unsichtbaren Gärten Benesch der Kartäuser von Aggsbach als MeGKA Meditationsgarten Abb. 2, 4, 5, 7: Alfred R. Benesch, land.schafft ›reditiert‹ werden, aber auch andere historische Garten- Abb. 3: Plangrundlage: Mahowsky (Vermessung), Brigitte Fettinger (Gra- kunstwerke könnten auf diese Weise mit archäologischer bungsergebnisse); Bearbeitung: land.schafft Unterstützung wieder neu sprießen. Abb. 6: Plangrundlage: Reinberger 2007 (siehe Literaturverzeichnis); Bear- beitung: Alfred R. Benesch, land.schafft Literaturverzeichnis Autor Benesch 2008: Alfred R. Benesch, Eine Schule der Demut. Das cartusianische Gartengenie. Zur Gartenkultur der Kartäuser am Beispiel der Kartause Aggs- DI Dr. Alfred R. Benesch James Hogg bach. In: u. a. (Hrsg.), Internationale Tagung Kartause Aggsbach Büro land.schafft© und Kartause Mauerbach 28. 8.–1. 9. 2006, Analecta Cartusiana 210, Salzburg Abbé Stadler Gasse 7 2008, 127–173. 3390 Melk Benesch Alfred Benesch 2009: , Das kl-österreiche Österreich. Kloster-Garten- alfred.benesch@landschafft.net Landschafts-Reich? Zur klöster lichen Kulturlandschaftsforschung in Österreich. In: Hermann J. Roth, Joachim Wolschke-Bulmahn, Carl-Hans Hauptmeyer und Gesa Schönermark (Hrsg.), Klostergärten und klöster liche Kulturland- schaftsforschung. Historische Aspekte und aktuelle Fragen, München 2009, 221–254.

32 reddo: I.1. zurückstellen, -geben; 2. sich zurückbegeben, zurückkehren; 3. wieder (von sich) geben, aufsagen, vortragen, vorbringen, berichten; 4. herstellen, zu etwas machen; II.1. wiedergeben, erstatten, vergelten; 2. darbringen, erweisen; 3. abstatten, erstatten, geben, zahlen, büßen; 4. abliefern, zustellen, geben, zugeben, gewähren; 5. antworten, Bescheid erteilen; 6. wiedergeben, nachbilden, übersetzen (nach Stowasser 1979, 386).

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Die ehemalige Kartause Oujon (Waadt, Schweiz) Eine landschaftsgeschichtliche und -archäologische Untersuchung

Laurent Auberson

Die älteste auf dem Gebiet der heutigen Schweiz gegrün- Domus superior umfasst, der politischen Gemeinde Arzier dete Kartause gehört eindeutig zum Typus der »Urkartau- durch einen Abtausch abkaufte. Somit ist die Kantonsar- sen«, also jener Klostergründungen, die möglichst abseits chäologie zugleich Betreuerin des Ortes und Vertreterin des der Siedlungen erfolgten und mit einem weiten Gebiet aus- Besitzers. gestattet wurden, um dem Ideal der wirtschaftlichen Autar- kie nachkommen zu können (Abb. 1). Denn bei den frühen Kartausen gilt das Anliegen der ungestörten Stille, das sogar Die Kartause als Gebiet mehrmals in Urkunden zum Ausdruck kommt. Eine Beson- derheit der 1146 gegründeten Kartause Oujon ist zweifellos, Stifter der Kartause Oujon/Augio war Louis de Mont, Ange- dass die Gebäude gerade wegen ihrer Abgelegenheit nach höriger einer lokalen adligen Familie, die im 13. Jahrhundert der Aufhebung infolge der Reformation im Jahr 1537 keine zu den Lehensleuten der Savoyer zählte. Der Ort der neuen weitere Verwendung fanden. Diesem Umstand verdanken Gründung befindet sich auf dem bewaldeten, südöst lichen wir den seltenen Fall einer in ihrem mittelalter lichen Zu- Hang des Juras, in der Nähe der Dôle (1.677 m), eines der stand versiegelten Kartause, wobei die aufgehenden Gebäu- höchsten Gipfel der Jurakette. Oujon liegt im Schwerpunkt- demauern entweder gar nicht erhalten sind oder zum Teil gebiet der frühen Kartäusergründungen (französische noch unter der Erdoberfläche liegen. Ein Nachteil des frühen Alpen, Jura; Abb. 2). Verlassens der Örtlichkeiten ist hingegen das Fehlen jeg- Die Abgelegenheit ist aufgrund der Walddichte ausge- licher bild licher Darstellungen, von der schematischen Ve- prägt, aber doch auch gemäßigt, da die Passstraße (col de la dute auf dem Altar aus Buxheim und den späteren Karten Givrine) unweit verläuft. Diese verband das seit der Antike und Plänen abgesehen. dicht besiedelte Genferseegebiet mit der Grafschaft Bur- Archäologische Untersuchungen wurden in Oujon etap- gund und war deswegen namentlich für die Salzversorgung penweise vor allem seit den 1970er-Jahren durchgeführt (Salins) von großer Bedeutung. Die Kartause wurde in einer und zuletzt auch in einer Monographie veröffentlicht.1 Im Mulde auf über 1.000 m Seehöhe errichtet. Wesent lichen umfassten die Ausgrabungen den Bereich des Anhand der in den Urkunden enthaltenen topographi- kleinen Kreuzganges; von der übrigen Anlage der Domus su- schen Angaben konnte das geschenkte Gebiet (»eremus« perior sind fast nur die Umrisse bekannt. Geschweige denn – das eigentliche Herrschaftsgebiet der Kartause) ziemlich wurde die Domus inferior ausgegraben, die in den 1990er- genau rekonstruiert werden (Abb. 3). Im nordwest lichen Jahren, als das Publikationsprojekt bereits fortgeschritten Bereich dauerten die Grenzstreitigkeiten mit dem Nach- war, anlässlich von Begehungen völlig unerwartet zum Vor- bargebiet der Abtei Saint-Claude noch lange nach der Auf- schein kam. Von ihren Spuren im Gelände wurde lediglich hebung der Kartause an, deren recht liche Nachfolgerin die eine topographische Flächenaufnahme gemacht. Somit Republik Bern war. Das dadurch entstandene reichhaltige lässt sich zwar ein Gesamtbild der Baulichkeiten gewinnen, Kartenmaterial war für die Rekonstruktion des Gebietes von sichere Erkenntnisse über die Ausstattung und die genaue Oujon ebenfalls sehr hilfreich. Es handelt sich um mehrere Chronologie fehlen aber weitgehend. Umfassende Ausgra- Karten, die im Hinblick auf Verhandlungen über den Verlauf bungen sind unter anderem angesichts der fehlenden Be- der Grenze im Jura auf beiden Seiten erstellt wurden und drohung durch Neubauten in absehbarer Zeit kaum zu er- somit für die Geschichte mancher klösterlicher und welt- warten. licher Herrschaften von Interesse sind. Auf der bernischen Dieser Beitrag soll keine nochmalige Zusammenfassung Seite wurde eine Reihe von Karten um 1571 reingezeichnet der bisherigen Forschung darstellen, sondern auf die räum- (die Entwürfe sind ebenso vorhanden; Abb. 4). Die Verhand- lichen sowie landschaftsgeschicht lichen und -archäologi- lungen führten letztlich 1606 zu einem Schiedsspruch. Die schen Aspekte fokussieren, und zwar auch unter dem Ge- bedeutendsten Aussagen betreffen weniger die Baulichkei- sichtspunkt der Folgen für die heutige Gestaltung des Ortes ten (Oujon ist nur als Kirche mit abgebrochenem Glocken- als Denkmal.2 türmchen abgebildet) als das Herrschaftsgebiet und dessen Zum Schluss dieser Einleitung sei noch erwähnt, dass der Nutzung. Die Karte gibt nämlich nütz liche Hinweise auf Kanton Waadt 1953 das Waldgrundstück, das die ehemalige den (von Bern beanspruchten) Grenzverlauf. Nicht weniger wichtig sind aber die sorgfältig eingetragenen Alphütten oberhalb des Klosters, deren Namen nach der Aufhebung des Klosters von denjenigen der Gemeinschaften abgeleitet 1 Auberson u. a. 1999. 2 Zur Topographie der Kartause Oujon siehe: Auberson 1996. wurden, die sie gebaut oder erworben hatten beziehungs-

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Abb. 1: Luftaufnahme der Kar- tause Oujon (Domus superior) im heutigen Zustand. Unten (SE) der Bereich des kleinen Kreuzganges. Gut sichtbar ist die in Trocken- mauerwerk rekonstruierte Um- fassungsmauer um den großen Kreuzgang.

Abb. 2: Die ältesten Kartäuser- gründungen. Die Nummerierung entspricht der chronologischen Reihenfolge (16 – Oujon).

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Abb. 3: Das Herrschaftsgebiet (Eremus) der Kartause Oujon. Rot – Grenzverlauf des nach den Urkunden rekonstruierten Herrschaftsgebietes, schwarz – Grenzverlauf des Gebietes der heutigen politischen Gemeinde Arzier (wo von Rot abweichend). Das kleine Gebiet im Südosten (La Cézille) stellt eine spätere Erweiterung durch Schenkung von Ackerbauland im frühen 13. Jahrhundert dar. Weiß hervorgehoben sind die Orts-, Flur- und Flussnamen, die in den Urkun- den genannt sind. weise noch im Pachtverhältnis betrieben (zum Beispiel Cop- kretes Zeichen der territorialen Kontinuität ist ein Ausdruck pet, Nyon oder Genolier): Sie weisen auf die wirtschaftliche des Selbstbewusstseins der Gemeinde.4 Bedeutung der Bergweiden hin, die einen großen Bestand- Die Vorteile des weiten Herrschaftsgebietes der Kartause teil des Streitgegenstandes ausmachten.3 Oujon (etwa 80 km2) sind auffällig. Es hängt zusammen und Von der konkreten Markierung scheint sich ein Grenz- beinhaltet drei Höhenstufen: Ackerbauland in der Ebene (es stein erhalten zu haben (Abb. 5). Er steht auf der Flur Grande sind mehrere Scheunen belegt), Wälder und Wiesen. Somit Enne (siehe Abb. 3), unweit des Grenzverlaufs, den wir re- wurde die Kartause gemäß dem Ideal der wirtschaft lichen konstruiert haben. Das eingravierte schlichte Kreuz deutet Autarkie fast vollständig ausgestattet. Für die Weinversor- auf ein Klostergebiet hin. Erstaunlicher ist die späte Jahres- gung erhielt sie im frühen 13. Jahrhundert ein Rebgut ge- zahl 1668: Wir nehmen an, dass dieses Datum nachträglich schenkt, welches sich jedoch nicht an das bisherige Gebiet eingraviert wurde, und zwar zu einem Zeitpunkt, als die Ge- anschloss. Zudem gelangte die Kartause im gleichen Jahr- meinde Arzier zur Herrschaft über das eigene Dorf gelangte. hundert in den Besitz vereinzelter Scheunen außerhalb ihres Die Verewigung dieses wichtigen Ereignisses durch ein kon- geschlossenen Gebietes. Obwohl die Kartäuser immer und ausdrücklich um ihre Abschirmung bemüht waren, zog die Klostergründung eine

3 Zur Kartographie siehe: Auberson 2011. 4 Auberson 2011, 276–279.

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Abb. 4: Reingezeichnete Karte (eine von mehreren) für die Verhandlungen der Berner mit der Abtei Saint-Claude über den Grenzverlauf (Karte nach Westen ausgerichtet). Oujon steht unten rechts, von Alphütten umrandet; Saint-Claude oben links. Federzeichnung, um 1571. allmähliche Besiedlung dieser Höhenlandschaften nach wurde die Domus inferior angelegt, die hier an der Straße sich. Seit der Mitte des 13. Jahrhunderts waren die Kartäuser- gelegen eine ›Filterfunktion‹ erfüllte. Sie befindet sich an wie auch die Zisterzienserklöster wegen des schwindenden einem leichten Abhang mit Südblick gegen den Genfersee, Konversenbestandes zunehmend auf die indirekte Bewirt- ungefähr 1 km von der Domus superior entfernt (Abb. 6). schaftung durch Verpachtung angewiesen. Somit entstand Der Weg zur Domus superior ist hier buchstäblich als Hin- bei Oujon eine kleine Dorfgemeinschaft (Arzier), die 1304 aufsteigen aufzufassen. Das Kloster der Mönche wurde aber als solche von ihrem Lehnsherrn (der Kartause) durch einen nicht nur höher als die Domus inferior angelegt, sondern Freibrief anerkannt und 1306 vom Genfer Bischof zur Pfarrei auch, wie dies der Geländeschnitt zeigt, in einer vor Sicht ge- erhoben wurde. Da aber gleichzeitig die Wälder und Berg- schützten Mulde, wo das Klima merklich kühler und feuch- weiden auch von der anderen Seite – also von der reichs- ter ist. unmittelbaren Abtei Saint-Claude – her immer intensiver Die räum liche Gliederung der Domus superior ist kenn- bewirtschaftet wurden, kam es vermehrt zu Grenz- und zeichnend für die Grundsätze des Ordens (Abb. 7). Haupt- Nutzungsstreitigkeiten. sächlich geht es um die Trennung zwischen Räumen für die Einsamkeit und Räumen für die Gemeinschaft. Am gemein- schaftlichsten sind die Eingangsräume und der Westtrakt Die Kartause als Raum (hier eigentlich Südwesttrakt) des kleinen Kreuzganges (VI– IX, XI, XII), wo die Außenwelt bei besonderen Anlässen noch Das Herrschaftsgebiet der Kartause stellt die erste Ebene Zugang hatte. Eine höhere Stufe der Abgelegenheit stellt der der räumlichen Gliederung des Klosters dar. Innerhalb die- Bereich des kleinen Kreuzganges mit der west lichen Hälfte ses großen Raumes begegnen uns auf der nächsten Ebene des Kirchenraumes dar. Der Mönchschor und die um die Ga- die Gebäudegruppen: Domus superior und Domus inferior. lilea angelegten Mönchszellen sind der Bereich der größten Der Standort der beiden Anlagen entsprach in vorbild licher Abgeschiedenheit. In Oujon ist die Steigerung auch im Ge- Weise den Bedürfnissen der Mönche. Nahe der Gebiets- lände fassbar: Je höher, desto einsamer, wobei die Zelle mit grenze, südlich des Flurnamens La Conriéry5 (siehe Abb. 3), ihrem Oratorium den Höhepunkt bildete. Deswegen befand sich auch hier der Friedhof. Zwei Besonderheiten der räumlichen Gliederung der 5 Der Name stammt aus der correria der Grande Chartreuse. Domus superior von Oujon seien noch erwähnt. Erstens be-

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Abb. 5: Der einzige bekannte Grenzstein des ehemaligen Herrschaftsgebiets der Kartause Oujon auf der Flur Grande Enne. Die später eingemeißelte Jahreszahl 1668 erinnert an die Verselbständigung der Gemeinde Arzier und markiert die territoriale Kontinuität. gegnet uns hier ein bei Kartausen seltener Fall der Konver- Abb. 6: Die eigent liche Klosteranlage: topographisches Verhältnis zwischen sengasse (XVII), des engen Durchgangs entlang des West- Domus superior und Domus inferior (angegeben sind die Höhen; graue flügels des Kreuzganges. Interessanterweise führt dieser Flächen entsprechen dem heutigen Waldbestand). Unten: Geländeschnitt im nicht wie bei den Zisterziensern direkt in die Kirche, sondern selben Maßstab. in einen Vorraum (XVI). Der Hauptzweck dieses Durchgangs war die Abschirmung des Klausurbereiches. Katasterpläne sind aufgrund der hohen Lage und der dün- Zweitens lassen zwei Türöffnungen in der Mitte der nen Besiedlung für dieses Gebiet kaum vor dem 19. Jahrhun- Längswände der Kirche auf einen Kreuzganglettner schlie- dert vorhanden; sie stehen also fast alle im Zusammenhang ßen (Abb. 8). Diese geschickte architektonische Lösung er- mit der systematischen Erfassung der Gemeindegebiete im möglichte eine Trennung zwischen den beiden Hälften des neuen Kanton Waadt (seit 1803). Die Katasteraufnahme des Kirchenraumes (die durch eine Tür auch verbunden werden Gemeindegebietes von Arzier erfolgte in den Jahren 1809 konnten) und zugleich einen direkten Durchgang vom klei- bis 1812 (Abb. 10, 11). Auf dem betreffenden Blatt lassen sich nen zum großen Kreuzgang. kennzeichnende Flurnamen erkennen, welche auf die kar- täusische Vergangenheit hinweisen: Die bereits erwähnte »Conriéry« für das ganze Areal ungefähr zwischen Domus Altes Kartenmaterial und Rekonstruk- inferior und Domus superior, aber auch »Champ du Moulin« tionsansatz der Domus inferior (»Mühlacker«) und »La Reisse«. Letzterer stammt aus dem lateinischen resecare (»sägen«) und deutet auf ein meist mit Die Anlage der Domus inferior wurde unerwartet durch Mühlrad angetriebenes Sägewerk hin.7 Bemerkenswert ist Begehungen entdeckt, die unscharfe Gebäudeumrisse in hier vor allem, dass zur Zeit der Aufnahme von der entspre- Form von Anhöhen und Vertiefungen sowie die Umfas- chenden Anlage schon lange nichts mehr vorhanden war. sungsmauer (durch gewachsene Bäume hervorgehoben) Bei näherer Betrachtung kommen weitere aufschlussrei- erkennen ließen (Abb. 9). Die darauffolgende topographi- che Elemente zum Vorschein. Es sind sowohl zeichnerische sche Flächenaufnahme wurde dann durch Archivforschun- wie auch schriftliche Einträge. Beim Flurnamen La Reisse ist gen – vor allem in alten Karten und Planquellen – ergänzt. ein Bächlein oder Kanal eingezeichnet, der in eine dreieckige Über die Einzelheiten der verschiedenen Gebäude lässt sich Fläche mündet. Diese ist wegen der Beschriftung »vestige damit nicht viel sagen: Sicherlich muss es Wohnräume für d’étang« als ehemaliger Fischteich zu deuten. Der Kanal ver- die Laienbrüder und verschiedene Wirtschaftsgebäude ge- läuft durch einen kleinen Staudamm und dann nach Osten geben haben. Dass die Domus inferior auch eine eigene Kir- weiter talabwärts, wo er vermutlich ein Sägewerk antrieb. che hatte, lässt sich indirekt aus einem Hinweis in einer Ur- Somit ermöglichte die Gegenüberstellung der örtlichen kunde aus dem Jahre 1237 schließen, die einen »Altar in der Begehung und der Planquellen einen ersten Einblick in die Kirche des oberen Hauses« erwähnt.6 Für die ausführlichere Domus inferior von Oujon und Vergleiche mit ähnlichen und Deutung der gesamten Anlage erwiesen sich die Karten als zeitgleichen Anlagen wie zum Beispiel Montrieux, Bon-Lieu sehr hilfreich. oder Portes.8 Der Kanal ist vor Ort zum Teil noch gut erkenn- bar, ebenso der Teich mit dem Staudamm.

6 »[…] super sanctum altare superioris ecclesie domus.« Siehe Auberson u. a. 7 Bossard und Chavan 1986, 226. 1999, 183, Anm. 500. 8 Auberson u. a. 1999, 180–186, Abb. 86, Abb. 88, Abb. 89.

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Abb. 7: Die Domus superior. Der graue Raster markiert die mitt- lere Stufe der Abgeschiedenheit: west liche Hälfte der Kirche (I) und Bereich des kleinen Kreuzgangs (X).

Dem Katasterplan ist auch eine schrift liche Information von großer historischer Bedeutung zu entnehmen. Nördlich des Teichs, dem heutigen Weg entlang, fällt folgende Be- schriftung auf: »pâturage et masures du premier couvent d’Oujon« (»Weide und baufällige Häuser vom ersten Kloster Oujon«). Diese Bezeichnung bezieht sich auf die Gebäude B, F, G und H auf dem Plan Abb. 9. Dass diese Gebäudereste vor 200 Jahren leichter erkennbar waren als heute, versteht sich von selbst, zumal die Flur damals offenbar als Weide genutzt wurde und nicht wie heute von Wald überwuchert war. Viel wichtiger ist aber der Vermerk über ein vermeint- liches »erstes« Kloster. Da uns nichts zur Annahme veran- lasst, dass die Kartause verlegt wurde, scheint dies darauf hinzuweisen, dass die Domus inferior lange vor der Aufhe- bung des Klosters aufgegeben wurde. Diese späte Aussage ist umso erstaun licher, als die Domus inferior von Oujon in den mittelalter lichen Urkunden bis auf den indirekten und bereits angeführten Hinweis von 1237 nirgends erwähnt ist. Aus anderen Gründen (die noch erläutert werden) dürfen wir vermuten, dass die Anlage in den ersten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts aufgegeben wurde. Von der Domus inferior als solcher berichten auch die frühneuzeitlichen Quellen nicht9, geschweige denn gibt es ältere Bildquellen als den Plan von 1809/1812. Somit ist davon auszugehen, dass das Abb. 8: Der vermutete Kreuzganglettner, Trennung des Kirchenraumes und regionale kollektive Gedächtnis jahrhundertelang die weni- Verbindung zwischen dem Kreuzgang (rechts) und der Galilea. gen Überreste vor Ort in Zusammenhang mit der Kartause brachte – ein interessanter Fall von mündlicher Überliefe- genau zu datierenden Phasen Umbauten vorgenommen, die rung! Die Verwechslung der früher aufgegebenen Domus unter anderem von der Übernahme neuer, handwerk licher inferior mit einer ersten Klosteranlage ist die einzige auf Tätigkeiten zeugen:10 Einrichtung eines Backofens im West- diese lange Überlieferung zurückzuführende Verzerrung. trakt des Kreuzganges, Unterteilung desselben Gebäudes, Verschiedene Befunde führen zur Annahme, dass die Bau einer Schmiede vor dem Eingang des Klosters. All dies Domus inferior im frühen 14. Jahrhundert aufgegeben deutet darauf hin, dass die entsprechenden Arbeiten vorher wurde. Es lässt sich zuerst eine deutliche Abnahme der Er- an einem anderen Ort ausgeführt worden waren, nämlich wähnungen von Laienbrüdern in den Urkunden seit der in der Domus inferior. Nicht zuletzt helfen uns auch weitere Mitte des 13. Jahrhunderts feststellen, wobei dieser Tatbe- Urkunden, diesen Vorgang und die Beweggründe besser zu stand durch eine teils zufällige Quellenlage bedingt und verstehen. Der Freibrief, den die Kartäuser 1304 als Lehnsher- deswegen alleine nicht ausschlaggebend ist. Dafür gibt es ren der Dorfgemeinschaft Arzier erteilten11, beinhaltet Be- aber auch archäologische Hinweise. In der Domus superior stimmungen über die Wege, welche die Dorfbewohner beim wurden in späteren, nicht unbedingt zeitgleichen und nicht

10 Auberson u. a. 1999, 157–172. 11 Kommentierte Edition und französische Übersetzung von Jean-Daniel 9 Es sind vor allem Urkunden, die in Zusammenhang mit der Verpachtung Morerod in: Auberson u. a. 1999, 67–82 (samt Gründungsurkunde der und dem Verkauf der Klostergüter nach der Aufhebung 1537 stehen. Pfarrei).

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Abb. 9: Flächenaufnahme der Domus inferior. In der Südwest- ecke die Hauptstraße. A, B – Umfassungsmauern, C – Kanal, D – Teich, E – Mühle mit Sägewerk (?), F – Kirche (?), G, H, I – Wohn- und Wirtschaftsgebäude, K – Zehntenscheune (?). Etwa im Maßstab 1 : 3.500.

Holzen einschlagen mussten, um in genügendem Abstand sowie über – sozusagen – ihre Rezeptionsgeschichte. Die vom Kloster zu bleiben. Die Kartäuser legten offensichtlich älteste Darstellung stammt hier noch aus dem Jahr 1797, viel Wert auf das Vermeiden unnötiger Berührungen mit kurz vor dem Ende der Berner Herrschaft über das Waadt- der Außenwelt und auf die Bewahrung ihrer Stille, die von land (Abb. 12). Auf dem Plan sind Wälder und Weiden erfasst, der fortschreitenden Besiedlung (welche schlussendlich von und in dieser Landschaft erscheint das Gelände der ehema- ihnen selbst verursacht und in ihrem Interesse gefördert ligen Domus superior der Kartause vereinzelt als »Courtils wurde) zunehmend bedroht wurde. Die Domus inferior liegt d’Oujon« (»Gärten von Oujon«); da eine Bewirtschaftung als nahe einer nicht unbedeutenden Passstraße. Der Verzicht Gärten unwahrscheinlich ist, sind wir jedoch der Meinung, auf diese Anlage (als ständigen Wohnort für die Laienbrü- dass der (sehr häufige) Flurname »courtil« in diesem Fall der) und der gleichzeitige Rückzug in die einsamere, stillere eher im ursprüng lichen Sinn des lateinischen cortile (»Hof, Domus superior ist wohl als Schutzmaßnahme zu deuten, eingezäuntes Grundstück«) zu verstehen ist12; dies würde auf die dieser – verhältnismäßigen – Bedrängnis entgegenwir- die – im Gelände vielleicht damals noch leicht ablesbaren – ken sollte. Dies bedingte Umbauten, die sich in diesem Zu- Umrisse der Gebäude und insbesondere der Mönchshäus- sammenhang gut erklären. Den alten Katasterplänen entnehmen wir auch Aussagen über die rest liche Klosterlandschaft und die Domus superior 12 Bossard und Chavan 1986, 150.

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Abb. 10: Katasterplan von 1809/1812 mit dem Bereich der Domus inferior. chen und -gärten deuten. Dies bestätigt auch die Beschrif- tung des späteren Plans von 1809/1812, wo das Gelände der Domus superior den sehr kennzeichnenden Namen »Cham- brettes« (»Kämmerlein«) trägt (Abb. 13). Unter den mehre- ren mög lichen Bedeutungen dieses Flurnamens liegt der Zu- sammenhang mit Ruinen und Grundrissen älterer (antiker oder mittelalter licher) Gebäude am nächsten.13 Zur kartäusischen Landschaft von Oujon gehört auch das einzige Gebäude, das heute noch da steht, nämlich eine Scheune und Alphütte, die sogenannte »ferme de la Conriéry«14. Sie befindet sich auf einem Abhang außerhalb des eigent lichen Geländes der Domus inferior, unweit des Weges zum Kloster (siehe Abb. 6). Der schlichte Bau fällt mit seinen quadratischen Verhältnissen sofort auf, die im Gegensatz zu den typischen flachen, breiten Alphäusern des Juragebietes stehen und ihn zu einem Sonderfall in dieser Landschaft machen. Der Dachstuhl wurde mittels dendro- chronologischer Untersuchung in das Jahr 1525 datiert und ein spätgotisches Fenster war noch bis in die frühen 1970er- Abb. 11: Detailansicht aus dem Katasterplan von 1809/1812. Jahre in einer Fassade erhalten. Ob der ganze Bau spätmit- telalterlich ist und eine ältere, vielleicht aus leichtem Mate- spätes Baudatum lässt sich wegen der Lage außerhalb der rial erbaute Scheune ersetzt hat, können wir nicht sagen. Ein eigent lichen Domus inferior und im Sinn des Rückzuges und einer Verkürzung (für die Klostergemeinschaft) der Strecke zu den Vorräten durchaus erklären. Der Name der Domus inferior (Conriéry) hat sich auf dieses prägende Haus in Mas- 13 Bossard und Chavan 1986, 38. 14 Auberson u. a. 1999, 191–197. sivbauweise übertragen und bezeichnet auch die ganze Flur

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Abb. 12: Plan von 1797.

Abb. 14: Die Vertiefung im Gelände, in der noch Schnee liegt, markiert die alte Wegführung von der Domus inferior zur Domus superior.

Abb. 13: Katasterplan von 1809/1812. Der Bereich der Domus superior ist als »Chambrettes« bezeichnet. rundum, aber bezeichnenderweise gerade nicht die ehema- erlebbar. Ebenso hat sich wohl der Weg auf dem letzten Teil lige Anlage der Laienbrüder. der Strecke im Wald vor der Domus superior kaum verändert. Ein letzter, wichtiger Bestandteil dieser landschaftsar- In der Weide auf dem Abhang vor dem Waldrand ist aber chäologischen Untersuchung ist noch zu erwähnen: die die ursprüngliche Wegführung noch erkennbar, die einige alten Wege. In der Domus inferior sind sie vermutlich mit Meter abseits der heutigen verläuft (Abb. 14). den heutigen weitgehend identisch. Nach Verlassen der Hauptstraße ist der Eingang in den Eremus heute noch gut

FÖTag 4, 2016 49 Laurent Auberson

Denkmalpflegerische Aspekte einer Literaturverzeichnis mittelalter lichen Landschaft Auberson 1996: Laurent Auberson, Approche topographiqe d’un ensemble monastique du XIIe siècle. L’exemple de la chartreuse d’Oujon (Vaud), Pages Zum Schluss noch einige Äußerungen über die Erhaltung d’archéologie médiévale en Rhône-Alpes 3, 1996, 15–19. der Ruinen und ihre Erschließung für das Publikum. Bei der Auberson 2011: Laurent Auberson, La survivance des anciens monastères e e Domus superior, die – wie bereits berichtet – nur teilweise vaudois dans la cartographie du XVI au XVIII siècle. Avec une annexe: notice complémentaire sur le territoire de l’ancienne chartreuse d’Oujon et son durch Ausgrabungen erforscht worden ist, entschied sich die bornage, Revue historique vaudoise 119, 2011, 259–279. Kantonsarchäologie für die Gestaltung eines öffentlichen Auberson u. a. 1999: Laurent Auberson, Jean-Daniel Morerod u. a., Notre- archäologischen Gartens mit vergrabenen Mauerresten und Dame d’Oujon 1146–1537. Une chartreuse exemplaire?, Cahiers d’archéologie romande 65, Lausanne 1999. durch Anhöhen markierten Umrissen. Der Entschluss wurde Bossard und Chavan 1986: Maurice Bossard und Jean-Pierre Chavan, Nos nach einem wenig erfolgreichen Versuch gefasst, einen Teil lieux-dits. Toponymie romande, Lausanne 1986. der freigelegten Mauern zu konsolidieren und sichtbar zu halten. Die gewählte Lösung gibt ein einheit licheres Bild der Gesamtanlage, wobei zu beachten ist, dass das heutige Abbildungsnachweis Gehniveau nur in einem Teil des kleinen Kreuzganges dem André Locher ursprüng lichen entspricht; andernorts und vor allem um den Abb. 1: , www.swisscastles.ch Laurent Auberson Franz Wadsack großen Kreuzgang liegt das heutige Gelände viel höher, was Abb. 2, 6, 7: und Laurent Auberson Peter Albertin den Eindruck der Vertiefung in der Einsamkeit vermindert. Abb. 3: und Die ferme de la Conriéry wird immer noch als Alphütte Abb. 4: Archives cantonales vaudoises, Bq 2 betrieben und dabei kaum als mittelalterliches Baudenkmal Abb. 5, 14: Laurent Auberson wahrgenommen. Der Bereich der Domus inferior besteht Abb. 8: Franz Wadsack zum Teil aus privaten Grundstücken und wird in absehbarer Abb. 9: G. Nogara und R. Glutz, ETH Zürich, Institut für Denkmalpflege Zeit nicht ausgegraben. Ein ganzes archäologisches Areal ist Abb. 10, 11, 13: Archives cantonales vaudoises, Gb 223b heute dem überwuchernden Wald preisgegeben und es ist Abb. 12: Archives cantonales vaudoises, Gb 223a fraglich, ob es somit genügend geschützt ist. Mittelalterliche ländliche Siedlungen sind archäologisch nicht haufenweise belegt. Dieses zeitlich und räumlich genau abgegrenzte Autor Potenzial ist ein Unikum. Der bedrohte Weg, der heute nur Laurent Auberson noch als leichte Vertiefung in einer Weide erkennbar ist und Breitenaustrasse 171 den damals die Mönche so oft von der Domus inferior zur 8200 Schaffhausen Domus superior einschlugen, erinnert uns daran, wie vielfäl- Schweiz tig, aber auch empfindlich die Hinterlassenschaft der Kar- [email protected] täuser als Landschaftsgestalter ist.

50 FÖTag 4, 2016 Grundrissdispositionen von Kartausen

Elke Nagel

Architektur ist ein Zusammenspiel von Funktion und Form, cherche4. Vor Ort und im Nachgang erfolgte jeweils eine das nicht selten konkurrierende Ansprüche aus technischer systematische fotografische und zeichnerische Erfassung, und gestalterischer Sicht zu einem Ganzen vereinen muss. Letztere in Form von topografischen Karten, Geländeschnit- Klosterarchitektur wird um die Dimension des Geistigen ten, Grundrissen und Zeichnungen des Zellenhauses. Eine und die städtebaulichen Elemente der großräumigen Zo- strukturierte textliche Erfassung in Datenblättern sicherte nierung und Einfriedung erweitert. Die Erbauer eines Kar- die Vergleichbarkeit der Datensätze. täuserklosters schließlich mussten zusätzlich die Divergenz zwischen dem gemeinschaftlichen Leben der Kommunität und dem eremitischen Ordensgrundsatz in ein funktionie- Einordnung in den Forschungskontext rendes und zugleich den Ordensregeln entsprechendes Ge- füge verwandeln. Die ordensimmanente Problemantik der In mehreren Überblickswerken zum Kartäuserorden werden komplementären Ansprüche an die Bauwerke steigert sich auch die Ordenshäuser thematisiert, wobei die Betrachtung durch die ambitionierte Bauplatzwahl der frühen Kartausen jeweils bestimmten formalen Aspekten unterliegt und nur in hochalpinem Gelände zu einer komplexen architektoni- selten dem funktionalen architektonischen Gefüge gewid- schen Fragestellung. In der Analyse der Grundrissgefüge der met ist. Hervorzuheben sind die wertvollen Auflistungen mittelalterlichen Kartausen nehmen die Übersetzung der aller ehemals oder noch existenten Kartausen durch Dor- regulierten Lebensweise in das Bauprogramm und die Topo- landus5 (um 1640) und in moderner Zeit durch James Hogg6, grafie eine herausgehobene Stellung ein. einschließlich der Gründungs- und gegebenenfalls Schlie- Untersucht wurden ca. 140 Kartausen1 im mitteleuro- ßungsdaten. Unter den architektonischen Betrachtungen päischen Alpenraum, deren Gründungszeit zwischen 1100 sind vor allem die Überblickswerke zu den französischen und 16502 liegt. Die Parameter Gründungszeit, regionale Kartausen des 12. Jahrhunderts7, zu den ost- und zentraleu- Zugehörigkeit und topografische Lage sind demzufolge ropäischen Ordenshäusern8 sowie zu den provenzalischen universell auf alle Beispiele anwendbar. Zum Ausschließen Kartausen9 zu nennen. Als wertvolle Bildquelle diente, neben regionaler Traditionen oder kultureller Besonderheiten wur- den Ölgemäldezyklen der Grande Chartreuse und der Kar- den einzelne Referenzklöster in ausreichender Distanz rund tause Mauerbach, die Kupferstichsammlung aus der Kar- um das Untersuchungsgebiet einbezogen. Als Korrektiv für tause von Parkminster.10 die Veränderung der Ordenshäuser durch Um- und Wieder- Mangels normativer Schriften11 wurde die Systematik des aufbauten dienten publizierte archäologische Grabungsbe- Grundrissschemas anhand der überkommenen Bauten und funde nicht wiederaufgebauter Kartausen. Die Studie3 be- der historischen Abbildungen hinterfragt. Die Studie von rücksichtigt neben den Datensätzen, die in Forschungs- und Dokumentationsreisen empirisch durch die Dokumentation der überkommenen Bauwerke als Primärquelle gesammelt 4 Insbesondere erwiesen sich die Privatarchive der (heutigen) Besitzer wurden, auch die Ergebnisse der Literatur- und Archivre- und die kommunalen Archive in Frankreich und Italien als ergiebige und wertvolle Quellen für Grundrisse oder Ansichtszeichnungen. Auch das ordenseigene Archiv in der Grande Chartreuse erwies sich als hilfreich. Gesucht wurde aber auch in den Beständen der überregionalen Archive beziehungsweise Bibliotheken in Frankreich, Italien, Deutschland, Ös- terreich, England und der Schweiz. Die Literaturrecherche umfasste mit über 500 Titeln neben den weithin bekannten Überblickswerken zum Kartäuserorden und der Reihe Analecta Cartusiana auch Publikationen zu Einzelklöstern, Grabungsbefunden und bestimmten Aspekten der kartu- sianischen Lebensweise, Zeitschriften sowie vor Ort erhältliche kleinere Hefte zur regionalen Baugeschichte. 1 Die 140 dokumentierten Kartausen befanden sich zum Zeitpunkt der 5 Dorlandus 1644. Dokumentation zwischen 2006 und 2012 in höchst unterschied lichen 6 Hogg 1987. bau lichen Zuständen. Teils waren die Gebäude weitgehend vollständig 7 Aniel 1983. – Devaux 1998. erhalten, teils nach mehrfacher Zerstörung wiederaufgebaut, als Ruine 8 Zadnikar 1983. überkommen oder gänzlich abgegangen. In letzterem Fall konnte nur 9 Amargier u. a. 1988. noch der ehemalige Bauplatz dokumentiert und das Grundrissgefüge 10 Parkminster 1913. mittels Archivrecherche auf die topografischen Gegebenheiten übertra- 11 Die Ordensregel schreibt zwar den persönlichen Besitz und die in der gen werden. »Zelle« vorhandenen Gegenstände vor, ebenso die Art und Weise, wie die 2 Die Zeitspanne richtet sich nach dem Auftreten mittelalterlicher Baufor- Zelle in Stille und Einsamkeit zu bewohnen sei, jedoch wird die Bauweise men in den Klosterbauten. In der Regel wird der Beginn des 16. Jahrhun- und architektonische Gestaltung in keinem Abschnitt der Consuetudines derts als Ende des Mittelalters bezeichnet, doch finden sich die baulichen oder der späteren Ergänzungstexte erwähnt. Das häufig verwendete Merkmale in der Kartäuserarchitektur noch etwa ein Jahrhundert länger. Wort domus bezieht sich auf das gesamte Ordenshaus und nicht auf 3 Nagel 2013. – Alle im vorliegenden Beitrag angeführten Ergebnisse sind das einzelne Zellenhaus. Die eremitische Behausung wird stets als cella Teil der Dissertation und daher nicht einzeln als Zitate gekennzeichnet. tituliert, woraus keine Rückschlüsse auf eine etwaige Bauvorschrift als Ausschließlich Inhalte, die von anderen Quellen entnommen wurden, Einzelhaus abgeleitet werden können. Vgl. Hogg u. a. 1989; Nagel 2013, werden durch Zitate kenntlich gemacht. 20–23.

FÖTag 4, 2016 51 Elke Nagel

Abb. 1: Chartreuse de Sélignac. Die Module des Baukastensystems sind eingefärbt.

Jean-Pierre Aniel zur Distribution dreier unterschied licher der fünf Ursprungsprovinzen13 und der kursorischen Ermitt- Gebäudebereiche – namentlich Kirche, großer und kleiner lung der Kreuzgangverteilung für die restlichen Provinzen Kreuzgang – lieferte wichtige erste Anhaltspunkte und des Ordens wurde die von Aniel begonnene tabellarische eine mög liche Herangehensweise zur Typisierung kartusia- Analyse mit deutlich vergrößerter statistischer Masse fort- nischer Klosteranlagen.12 Seine Beschränkung des Untersu- geführt. Als Ergebnis zeigte sich weiterhin die absolute Do- chungszeitraums auf das 11. und 12. Jahrhundert reduzierte minanz von Typ A (102 Kartausen = 55 %), wohingegen sich die Anzahl der berücksichtigten Ordenshäuser erheblich Typ B hauptsächlich in den französischen und spanischen und weicht der Fragestellung nach einer architektonischen Provinzen halten konnte. Typ C, der zu den ursprünglichen Weiterentwicklung – kontinuierlicher oder sprunghafter Art drei Varianten gehört, wurde insgesamt nicht häufig genug – aus. Aniel determiniert insgesamt fünf Typen (Nomenkla- tatsächlich errichtet, um als repräsentativ anerkannt zu wer- tur A–E), wobei nur drei in der allerersten Gründungswelle den. Somit ergab sich zwar kein regelhafter Grundriss aus auftreten: Der sogenannte Typ A mit dem großen Kreuz- der Aniel’schen Typisierungsmethode, die flächendeckende gang vor der Kirchenapsis und dem kleinen Kreuzgang Untersuchung auf Distributionsschemata erwies sich den- neben dem Langhaus (zum Beispiel Chartreuse de Portes, noch keineswegs als ›Holzweg‹. Im Gegenteil erbrachte sie Chartreuse de les Ecouges), der sogenannte Typ B mit den den ersten Nachweis, dass die Topografie und die jeweils Kreuzgängen beidseits der Kirche (zum Beispiel Chartreuse spezifische Gründungssituation für die bauliche Ausprä- de Sylve-Benite, Chartreuse de Meyriat) und schließlich der gung entscheidend waren. sogenannte Typ C, dessen Kreuzgangverteilung genau um- gekehrt zu Typ A liegt (zum Beispiel Chartreuse de Durbon). Nach Aniel kamen die restlichen zwei Typen erst in der drit- Modulares Baukastensystem mit ten Ausbauphase hinzu. In der statistischen Auswertung Filterwirkung dominieren die Typen A und B deutlich (A 16 und B 9 von 34 untersuchten Kartausen; C, D und E je 2 sowie D’ 1 von Aus der schematischen Flächenstudie heraus wurden die 34 untersuchten Kartausen). Nach der empirischen und ar- architektonischen Parameter verfeinert und die Fragestel- chivalischen Sammlung von Grundrissen aller Kartausen

13 Ursprungsprovinzen: In der Literatur finden sich unterschied liche Auf- fassungen, ob es vier oder fünf Ursprungsprovinzen gab. Dom Devaux zählt in seinem Grundlagenwerk (Devaux 1998) fünf Provinzen, jedoch ohne explizite Nennung, J. Hogg hingegen nur vier in der Auflistung der Kartausen (Hogg 1987, 12–25). Ab 1301 zählen die Quellen einheitlich fünf 12 Für alle grundlegenden Angaben zur schematischen Typisierung in Provinzen im ursprüng lichen Verbreitungsgebiet des Ordens: Provincia diesem Absatz vgl. Aniel 1983, 25–27; für die Fortführung der von Aniel Gebenneis sive Cartusia, Provincia Provinciae, Provincia Burgundiae, begonnenen Typisierung vgl. Nagel 2013, 99–101. Provincia Lombardiae propinquoris und Provinvia Tusciae.

52 FÖTag 4, 2016 Grundrissdispositionen von Kartausen

Abb. 2: Gesamtansicht der in ein hochalpines Bergtal eingebette- ten Grande Chartreuse (Blick von Norden). lungen präzisiert. Neben der reinen Verteilung der Gebäu- Einsiedler zu einer Gemeinschaft und wird so zum transzen- deteile wurden auch die funktionale, die regulative und denten Zeichen der Überwindung des Paradoxons. die repräsentative Ebene einbezogen, woraus ein modula- Rein aus Sicht der eremitischen Anteile des kartusiani- res Baukastensystem mit Filterwirkung destilliert werden schen Ordenslebens ist das Zellenhaus als Herzstück zu ver- konnte (Abb. 1). stehen. Es steht beispielhaft für eine in sich abgeschlossene Pforte und Wirtschaftsbereich dienen der Versorgung der kontemplative Mönchswelt aus Haus und Garten und wäre Kommunität, sind für den größten Personenkreis zugänglich als Eremitage prinzipiell auch unabhängig von einem Klos- und folglich der Klausur vorgelagert. Sie haben zugleich eine ter einsetzbar. Aber diese Wohneinheit alleine reicht trotz abschottende Pufferwirkung gegenüber unautorisierten Be- aller Abgeschiedenheit, Ruhe und Einsamkeit nicht, um die suchern und fungieren als Schutzgürtel gegenüber Störun- Kartäuserregel zu erfüllen. Dem Erfordernis »solitudine« gen seitens der ›Außenwelt‹. steht das Verständnis einer »domus cartusiana«14 als Klos- Die Klosterkirche ist Mittel- und Schnittpunkt der beiden tergemeinschaft entgegen. Für das Kartäuserleben ist die Partitionen der Mönchsgemeinschaft. In der Regel wurde Gemeinschaft zwingend notwendig. Während das Zellen- sie in Form einer einfachen Saalkirche mit Lettner als litur- haus als Grundvoraussetzung eine immanente und selbst- gische Trennung errichtet. Der besondere architektonische erklärende Wichtigkeit aufweist, wird der große Kreuzgang Anspruch entsteht in einer Kartause auch nicht aus der durch die Ordensregel in seiner theologisch-soziologischen Masse der behausenden Mönche oder einer besonders am- Bedeutung erhöht. bitionierten Gestaltung, sondern aus der Funktion als or- ganisatorischer Schnittpunkt. Die direkte Erreichbarkeit für Patres und Fratres trotz deren Ankunft aus zwei vollkommen Wachstum des Ordens und getrennten Klosterbereichen ist eine Grundvoraussetzung. Gründungsaktivität Die Sakristei und häufig auch der Kapitelsaal sind der Kirche beigeordnet. Durch die Überlagerung der funktionalen, lokalen und Ähnlich komplex stellt sich die bauliche Situierung des liturgischen Aspekte mit der zeit lichen Dimension der kleinen Kreuzgangs als Zönobium mit Zugänglichkeiten Klostergründungen offenbarte sich eine Korrelation be- für Patres und Fratres dar. Hier tritt die Filterwirkung mit stimmter architektonischer Charakteristika mit Auf- oder dem schrittweisen Ausschluss von Personenkreisen zutage. Abschwungzeiträumen der Gründungsaktivität. Abhängig Refektorium und Kapitelsaal etc. wurden nur sonntags ge- vom (kirchen)politischen Umfeld veränderte sich neben der nutzt, waren aber dennoch wichtige Räume des Klosters, da Anzahl der Neugründungen auch deren Situierung deutlich. sie die Kommunität als Gemeinschaft der Mönche repräsen- Erstellt wurde eine Matrix zur Korrelation von Zeitstellung tierten, während der große Kreuzgang ausschließlich den und Topografie in Form einer Tabelle, der fünf verschiedene Patres vorbehalten war. topografische Kategorien zugrunde gelegt wurden. Diese Mit dem großen Kreuzgang beginnt die strenge Klausur unterscheiden sich durch den Grad der Weltabgewandt- und folglich die weitere Eingrenzung des Zutritts auf die heit, den Schutz durch Unzugänglichkeit, die Komplexität kleine Gemeinschaft der Patres. Technisch ist der Kreuzgang des Bauplatzes und die ambitiöse Versorgung der Mönche nicht mehr als ein Erschließungsgang und Versorgungs- mit allem Lebensnotwendigen. Als Kategorien wurden die weg, da er keiner liturgischen oder kontemplativen Aufgabe dient. Symbolisch aber verbindet der große Kreuzgang die

14 Vgl. Hogg u. a. 1989, 161–163, insbesondere Secunda pars Statutorum Antiquorum, XXII.6.

FÖTag 4, 2016 53 Elke Nagel

Abb. 3: Topografisches Höhen- schichtlinienmodell der Grande Chartreuse (Originalmaßstab 1 : 10.000).15

Abb. 4: Chartreuse de La Verne (Blick von Westen). hochalpine Extremlage, die alpine Lage ohne Kontakt zur starke Einfluss der Topografie und der lokalen Gegebenhei- Welt, die offene15Hanglage mit deut licher Distanz zur Welt, ten führte zu der Entwicklung des Gesamtgrundrisses als die siedlungsnahe Situierung und die Stadtlage festgelegt. übergeordnetes Schema mit höchstindividuellen bau lichen Die untersuchten Kartausen wurden klassifiziert und an- Detaillösungen, sozusagen einer typologischen Sequenz von schließend in der Reihenfolge der Gründung eingetragen. Einzellösungen. Aus der Addition der Erkenntnisse kristalli- Im Großen und Ganzen kann eine schrittweise Annäherung sierten sich sechs abgrenzbare typologische Phasen mit spe- des Standortes an die besiedelte Welt verzeichnet werden, zifischen Grundrissmerkmalen heraus. was zu Lasten der natür lichen Abschottung durch die kar- tusianische Wüste ging. Im Umkehrschluss gewannen die architektonischen Schutzmaßnahmen an Bedeutung. Der

15 Topografisches Modell auf Basis der topografischen Karte (Serie 25 bleue IGN France). Modellbau: Elke Nagel.

54 FÖTag 4, 2016 Grundrissdispositionen von Kartausen

Konsolidierungsphase (Kartausen mit Grün- dungsdaten zwischen 1115 und 1203)

In der ersten Blütezeit des Ordens wuchs die Anzahl der Or- denshäuser durch die hohe Gründungsaktivität rasch an. Insgesamt können im Untersuchungsgebiet 21 Kartausen18 mit gleichartigen Strukturmerkmalen19 und vier abwei- chende Grundrissgestaltungen vermerkt werden. Als Haupt- gestaltungskriterien fungieren Topografie und Umfeld des Bauplatzes, da sich die Klöster alle in hochalpinen, schwer zugäng lichen Lagen befinden und weder repräsentative noch fortifikatorische Ansprüche an die Architektur heran- getragen werden (Abb. 4, 5). Der durchschnitt liche Gesamt- flächenbedarf liegt bei ca. 10.000 m2. Zu Kontur und Anord- nungsprinzip der Einzelteile stellt sich die Frage, ob reiner Pragmatismus oder bewusste Komposition im Vordergrund standen. Meist zeigt sich eine strenge Grundrissform mit funktionaler Aneinanderreihung der Gebäudeteile zu einer langen, schmalen Kontur, die das topografische Relief des Tals konsequent umsetzte. Häufig finden sich Versprünge bei Situierung des Zellenhauses innerhalb des Gartens zur Optimierung der Lichtverhältnisse. Als markante Zahl für die flächenmäßige Entwicklung der Anlage wurde das Verhält- nis der Gesamtfläche des großen Kreuzgangs (durchschnitt- lich ca. 4.300 m2) zur ungenutzten Fläche des Kreuzgartens berechnet. In der Konsolidierungsphase ergab sich der Wert 4 : 1, das heißt, nur ein kleiner Teil der Gesamtkreuzgangflä- Abb. 5: Schematischer Grundriss der Chartreuse de La Verne (Originalmaß- che ist nicht unmittelbar einer bestimmten Nutzung zu- stab 1 : 1.000, verkleinert).16 zuweisen, der überwiegende Hauptteil dagegen dient als Grundfläche der Zellenhäuser und Gänge sowie als Zellen- gärten. Typologische Entwicklungsphasen16 Gründungsphase (Kartausen mit Gründungs- Adaptionsphase I (Kartausen mit Gründungs- daten zwischen 1084 und 111517) daten zwischen 1200 und 1340)

Als einzige Gründung erfolgte in diesem Zeitraum jene der Die Angliederung des Wirtschaftsbereiches (maison basse) Grande Chartreuse I (Abb. 2, 3), die aufgrund der erstmali- brachte neue bau liche und organisatorische Anforderun- gen Festlegung und Manifestation der Lebensweise zwar gen mit sich und ging mit der Aufgabe der vollkommen liturgisch und organisatorisch von höchster Bedeutung ist, abgeschiedenen Bauplätze zugunsten gemäßigterer Le- aufgrund der frühen Zerstörung der Ursprungskartause bensräume mit leichter sicherzustellender Versorgung der ohne Erkenntnisse zu deren Form und mangels Referenzbei- Gemeinschaft einher. 15 Klöster20 innerhalb des Untersu- spielen architektonisch jedoch nicht bewertbar ist. In erster chungsgebiets kennzeichnen diese Phase. Die Klostergrund- Linie ist festzuhalten, dass der Bauplatz in extremer Topo- risse verlieren die pragmatische Regelhaftigkeit und werden grafie und Abschottung durch die natür liche Wüste in einer durch scheinbar organisch gewachsene Strukturen abgelöst. schwer zugäng lichen Alpenregion bewusst gewählt wurde. Als Gesamtbild zeigt sich nach wie vor eine überwiegend funktionale Struktur mit dichten Baumassen, doch wird die innere Ordnung der linearen Reihung aufgebrochen. Erst- mals treten Achsverschneidungen zwischen Längsachse der Kirche und großem Kreuzgang ebenso wie asymmetrische Kreuzgangformen auf (Abb. 6, 7). Erste architektonische Raumordnungs-, Schutz- und Repräsentationsmaßnahmen, bedingt durch Annäherung der Bauplätze an die ›Welt‹, wer- 16 Zeichnung auf Basis der publizierten Grundrisse und historischen Dar- stellungen. Vgl. Parkminster 1913, Bd. 1, 113; Cartes de la Grande Chart- reuse; Grimaud 1979, 54; Aniel 1983, 28, Taf. XI. 17 Die Jahreszahlen umschreiben mit den Gründungsdaten der relevanten 18 Portes (1115), Sylve-Bénite (1116), Meyriat (1116), Durbon (1116), Les Ecouges Kartausen die Kernzeiträume, in denen bestimmte bau liche Charakteris- (1116), Arvières (1132), Montrieux-le-Vieux (1137), Vallon (1138), Vaucluse tika unterscheidbare Phasen markieren. Einzelne Merkmale der Phasen (1139), Val-Sainte-Marie (1144), Oujon (1149), Le Reposoir (1151), La Verne können bereits vorher auftreten oder länger gebräuchlich bleiben, doch (1170), Bonlieu (1171), Casotto (1171), Val-Saint-Hugon (1173), Pesio (1173), tritt der vollständige Satz der relevanten bau lichen Charakteristika nur Aillon (1178), Losa (1191), Sélignac (1200), Valbonne (I) (1203). bei Klöstern auf, die zwischen den beiden Daten gegründet wurden. 19 Zu den Einzelnachweisen der Grundrisse vgl. Nagel 2013, Katalogband. Hinzuweisen ist allerdings darauf, dass die Bauzeit in der Regel deutlich 20 Charakteristische Gründungen in den Kernprovinzen: Pomiers (1170), nach dem Gründungsdatum liegt, jedoch aufgrund der fehlenden Auf- Montebenedetto (1200), Montmerle (1210), Parma (1285), La Valsainte zeichnungen nicht näher gefasst werden kann. Spätere Veränderungen (1295), Genova (1297), La Part-Dieu (1306), Montebracco (1310), Monte di wurden, soweit sie erkennbar waren, berücksichtigt und die veränderten Pietro (1315), La Lance (1317), Maggiano (1314), Bonpas (1318), Bologna (1334), Teile folglich in der typologischen Einordnung negiert. Lucca Farneta (1338), Firenze Galluzzo (1341).

FÖTag 4, 2016 55 Elke Nagel

Abb. 6: Topografisches Höhen- schichtlinienmodell der Chartreuse de Pomiers (Originalmaßstab 1 : 10.000).21 den klar sichtbar. Topografie und regionales Umfeld können nicht mehr alleine die notwenige Abgeschiedenheit her- stellen. Als Folge steigt der Platzbedarf der Gesamtanlage erheblich an.21

Repräsentationsphase I (Kartausen mit Grün- dungsdaten zwischen 1340 und 1408)

Nach einem zwischenzeit lichen Rückgang der Gründungs- aktivität zeigt sich ca. 150 Jahre später eine zweite Blütezeit des Ordens: 14 Kartausen22 mit entsprechenden Struktur- merkmalen werden in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhun- derts gegründet. Erstmals werden sie oft als Doppelkartau- sen mit mehr als zwölf Zellenhäusern geplant. Insbesondere die vorgelagerten Ehrenhöfe und die Stifterflügel fallen so- fort als Neuerungen ins Auge (Abb. 8, 9). Mit durchschnitt- lich 18.500 m2 Gesamtfläche hat sich die Größe der Kloster- anlage im Vergleich zur Konsolidierungsphase annähernd verdoppelt. Diese Entwicklung beginnt bereits im 13. Jahr- hundert, der immense Anstieg der Gesamtfläche und die aufgelockerte Baumassenstruktur mit großen und zahlrei- chen inneren Freiflächen ohne versorgungsrelevante Nut- zung kann aber erst im 14. Jahrhundert beziffert werden, als sich wieder eine ausreichende Anzahl vergleichbarer Grund- risse auswerten lässt. Das Verhältnis der Gesamtfläche des Abb. 7: Schematischer Grundriss der Chartreuse de Pomiers (Originalmaß- großen Kreuzgangs (ca. 8.000 m2) zu jener des Kreuzgartens stab 1 : 1.000, verkleinert).23 beträgt nun 3 : 1, der Anteil der Freiflächen nimmt also zu. Neu ist auch der offenkundig gesamtplanerische Ansatz: Die etc. mehr auf. Der große Kreuzgang liegt fast immer vor der Grundrisse ähneln einander trotz großer regionaler Streu- Kirchenapsis, wodurch ein direkter Zugang zum Chor der ung stark und weisen keine Achsverdrehungen, Verschnei- Patres besteht. Teils bestehende Vorgängerbebauung und dungen von Gebäudeteilen oder irreguläre Außenkonturen Stifterwünsche nehmen an Bedeutung zu.23

21 Topografisches Modell auf Basis der topographischen Karte (Serie 25 bleue IGN France). Modellbau: Elke Nagel. 22 Charakteristische Gründungen in den Kernprovinzen: Pontignano (1343), Milano (1349), Villeneuve-lès-Avignon (1356), Pisa (1367), Asti (1387), Pavia (1396), Mantua (1408). Gründungen in den Referenzgebieten mit ent- sprechenden Charakteristika: Freiburg (1351), Tückelhausen (1351), London 23 Zeichnung auf Basis der publizierten Grundrisse und historischen Dar- (1370), Aggsbach (1380), Coventry (1381), Mount-Grace (1398). stellungen. Vgl. Parkminster 1913, Bd. 1, 29.

56 FÖTag 4, 2016 Grundrissdispositionen von Kartausen

Abb. 8: Großer Kreuzgang der Certosa di Pontignano (Blick von Süden).

ter und die Außenwirkung wichtiger werden. Die Kirchen werden als markantes Aushängeschild des monastischen Lebens in den Vordergrund gestellt. Gleichzeitig treten auch zinnenbewehrte Mauern, mächtige Toranlagen und Ähn- liches als fortifikatorische Maßnahmen auf (Abb. 10, 11).

Repräsentationsphase II (Kartausen mit Grün- dungsdaten zwischen 1585 und 1633)

Die jüngsten untersuchten Kartausen befinden sich in un- mittelbarer Nachbarschaft besiedelter Gebiete oder sogar innerhalb von Städten. Die zweite Repräsentationsphase schließt den Untersuchungszeitraum ab. Fünf Gründungen26 mit sehr ähn lichen Strukturmerkmalen ergeben ein gutes Bild (Abb. 12, 13). Durchschnittlich werden gut 20.000 m2 Gesamtfläche verbraucht, allein durchschnittlich 13.000 m2 für den großen Kreuzgang, wobei das Verhältnis zwischen genutzter und ungenutzter Fläche im Bereich des Kreuz- gangs immer noch konstant bei 3 : 1 verharrt. Das immense Anwachsen der Kreuzgangfläche zwischen dem 15. und dem 16. Jahrhundert lässt sich nur mit dem steigenden Abschot- tungsbedürfnis aufgrund der Einengung durch die angren- Abb. 9: Schematischer Grundriss der Certosa di Pontignano (Originalmaß- zenden Siedlungsgebiete erklären. Die architektonische Ge- stab 1 : 1.000, verkleinert).24 staltung der Kreuzgänge bleibt weitgehend gleich. Dennoch zeigt sich das Ende der mittelalter lichen Architektursprache klar in der kalkulierten Außenwirkung der Klöster, der Frei- Adaptionsphase II (Kartausen mit Gründungs- stellung der Kirchen und der Verwendung moderner Zier- daten zwischen 1450 und 1498)24 und Schmuckformen in den zönobitischen Bereichen. Die regelhafte Mönchszelle bleibt noch ein gutes Jahrhundert Politische Wirren und kriegerische Zeiten lassen die Grün- länger der mittelalter lichen Attitüde verhaftet, bis sie im Ba- dungsaktivität fast zum Erliegen kommen. Nur wenige Grün- rock27 ihre Gestalt und den Raumbedarf deutlich verändert. dungen25 lassen sich der zweiten Adaptionsphase zuordnen, noch dazu in nicht realistisch vergleichbaren Situierungen. Gemein haben die Klosteranlagen, dass der externe Betrach-

24 Zeichnung auf Basis der Luftbilder und historischen Darstellungen. Vgl. Parkminster 193, Bd. 3, 61; Cartes de la Grande Chartreuse; google maps 2011. 26 Charakteristische Gründungen in den Kernprovinzen: Lyon (1585), Turin 25 Charakteristische Gründungen in den Kernprovinzen: Padova (1449), (1612), Aix-en-Provence (1625), Bosserville (1632), Marseille (1633). Ferrara (1452), Savona (1480), Banda (1498). 27 Zum Beispiel Certosa di Padula.

FÖTag 4, 2016 57 Elke Nagel

Abb. 10: Das zinnenbewehrte Portal der Certosa di Padova.

Sonderzellen für Mönche mit Spezialaufgaben

Besondere Aufmerksamkeit verdienen die Sondergebäude oder Sondersituierungen für Mönche mit Spezialaufgaben, die sich nicht in das übergeordnete Schema integrieren las- sen: Zelle des Priors, Zelle des Prokurators, Noviziat und Zelle des Sakristans. Eine detaillierte Untersuchung der Sonder- zellen ist ein Desiderat, vor allem hinsichtlich der städtebau- lichen Situierung, der Gestaltung und des Zeitpunkts des mög licherweise regelhaften Auftretens. Hierfür müssten die Grundrisse nochmals unter Berücksichtigung dieser Fra- gestellung durchgesehen werden. Als Forschungsansatz soll hier nur die Fragestellung umrissen und mit einzelnen Bei- spielen28 illustriert werden. Zunächst gilt es anzumerken, dass bei weitem nicht alle Kartausen aufgabenbezogene Sonderzellen aufweisen, son- dern diese nur in Einzelfällen nachgewiesen werden können. Auch zeigt sich auf den ersten Blick keine Korrelation des Auftretens von Sonderzellen mit der zeitlichen Staffelung der Gründungen. Möglich ist, dass die Gründungssituation selbst – insbesondere die Person des Gründers – von Be- deutung ist. Zumindest handelt es sich bei den genannten Beispielen zumeist um Gründungen hoher kirch licher Wür- denträger, die selbst durch das stark hierarchisierte klerikale Abb. 11: Schematischer Grundriss der Certosa di Padova (Originalmaßstab 1 : System geprägt waren. Nicht selten entstanden die Sonder- 1.000, verkleinert).29 zellen aber wohl auch im Rahmen von Um- oder Wiederauf- bauten, zum Beispiel in Sylve-Bénite II und Valbonne, sodass ihre Ursprünglichkeit nicht zweifelsfrei nachgewiesen, son- 29Ist der Prior einer Kartause wirklich primus inter pares? In dern – vor allem bei der Letztgenannten – die Sonderstel- einzelnen Ordenshäusern legt die besonders große und de- lung im Ursprungszustand nur vermutet werden kann. korativer ausgestattete Zelle des Priors eine herausgehobe- nere Stellung nahe, beispielsweise in der Chartreuse de Val- bonne, wo die deutlich größere Zelle am Schnittpunkt von kleinem und großem Kreuzgang situiert ist. Die Lage mit Zu- gängen von beiden Kreuzgängen verhindert die Störung der

28 Die Liste der genannten Beispiele erhebt keinen Anspruch auf Voll- ständigkeit, sondern benennt nur exemplarisch die augenfälligsten 29 Zeichnung auf Basis der publizierten Grundrisse und historischen Dar- Sonderzellen; eine umfassende Auswertung der Grundrisse auf Basis der stellungen. Vgl. Parkminster 1913, Bd. 3, 83–84; Cartes de la Grande Chart- einschlägigen Publikationen steht noch aus. reuse; Kartausenzyklus Mauerbach, Grundriss in Monasticon IV/4, 276.

58 FÖTag 4, 2016 Grundrissdispositionen von Kartausen

Abb. 12: Die Kirche der Chartreuse de Lyon.

Zelle sogar gänzlich aus dem Kreuzganggefüge herausge- nommen. Im Fall der Chartreuse Sylve-Bénite II, eines deut- lich jüngeren, barocken Neubaus, befindet sich das Haus des Priors in der Südwestecke der Klausur mit Annexgang zum großen Kreuzgang. Auch hier gibt es eine externe Tür nach außen. In Coventry-Charterhouse schließlich ist das Priorat ein vollkommen frei stehendes Gebäude neben der Kirche ohne Verbindung zum Kreuzgang, wobei aufgrund des schlechten Erhaltungszustandes nicht geklärt werden kann, ob es sich um ein zusätzliches repräsentatives Gebäude des Priors handelte oder ob der Prior dort dauerhaft wohnte. Ein erstes Fazit könnte lauten, dass Priorzellen mindestens einen Raum mehr haben als die regelhaften Zellen und folg- lich größer sind. Sonst gibt es häufig ausgelagerte Räume als Priorat im Bereich des Zönobiums, die der Prior nicht selbst bewohnte, sondern nur für repräsentative Zwecke nutzte. Sakristanzellen zeichnen sich durch ihre Lage neben der Kirche/Sakristei, jedoch in der Regel nicht durch besondere Größe oder Ähnliches aus. Sowohl in der Chartreuse de Abb. 13: Schematischer Grundriss der Chartreuse de Lyon (Originalmaßstab 1 Valbonne wie auch in der Certosa di Genova liegt die Zelle : 1.000, verkleinert).30 neben der Sakristei, mit direktem Zugang. In Villeneuve-lès- Avignon befindet sich die Zelle am Schnittpunkt von klei- nem und großem Kreuzgang. Der Prokurator benötigte eine vereinfachte Zugänglich- keit seiner Zelle für die Überwachung der Wirtschaftsgüter sowie des Betriebes der Brüdergemeinschaft. In der Kartause Ruhe im Kreuzgang und den Zutritt nicht der Gemeinschaft Ittingen findet sich ein schönes Beispiel mit einem Fenster der Patres angehöriger30Personen zum Kreuzgang. Besucher ›nach draußen‹ in den Wirtschaftshof zur Beaufsichtigung. können, soweit für die Amtsausübung notwendig, im äuße- Die Situierung in den beiden provenzalischen Kartausen Vil- ren Bereich der Priorzelle in gesonderten Räumen empfan- leneuve-lès-Avignon und Valbonne ist ähnlich, da beide die gen werden. Somit wird auch die Integrität der eigentlichen Zelle des Sakristans aus dem Kreuzganggefüge aussondern Mönchszelle des Priors nicht verletzt. In der Chartreuse de und zum Ehrenhof hin orientieren. In der Certosa di Pontig- Villeneuve-lès-Avignon findet sich sogar ein eigener Hof nano befindet sich die Prokuratorzelle im Bereich des klei- des Priors mit der Zelle an der Westseite der Kirche, an der nen Kreuzgangs. Somit werden die anderen Zellenmönche Schnittstelle zwischen Klausur und Pforte. Hier wurde die nicht durch das extracurriculare Verlassen der Zelle durch den Sakristan gestört. Bei der Betrachtung der Grundrisse fallen immer wieder Sonderbauten auf, deren Nutzung es zu ergründen gälte. In 30 Zeichnung auf Basis der publizierten Grundrisse und historischen Dar- stellungen. Vgl. Parkminster 1913, Bd. 1, 75; Cartes de la Grande Chartreuse; der schweizerischen Kartause La Part-Dieu finden sich bei- Kartausenzyklus Mauerbach. spielsweise zwei abgeschieden stehende Zellen, die Prior

FÖTag 4, 2016 59 Elke Nagel

und Prokurator, aber möglicherweise auch dem Noviziat zu- Literaturverzeichnis zuordnen sein könnten. In der Chartreuse de Valbonne wird Amargier u. a. 1988: Paul Amargier, Régis Bertrand, Alain Girard und die Zelle im nordöst lichen Eckturm in einem historischen Daniel le Blévec, Chartreuses de Provence, Aix-en-Provence 1988. Plan als Noviziat bezeichnet. Auch die Frage der Arrestzellen Aniel 1983: Jean-Pierre Aniel, Les Maisons de Chartreux. Des origines a la stellt sich immer wieder, insbesondere da sich in der Char- Chartreuse de Pavie, Bibliothèque de la Société Française d’Archéologie 16, treuse de Villeneuve-lès-Avignon eine explizit als solche Paris 1983. Devaux 1998: Dom Augustin Devaux, L’architecture dans l’Ordre des Char- bezeichnete Zelle findet, deren durchgängige Bausubstanz treux, Analecta Cartusiana 146, Sélignac 1998. belegt, dass sie bereits im Mittelalter als Sonderzelle errich- Dorlandus 1644: Pierre Dorlande, Chronique ou Histoire Generale de l’ordre tet worden ist. sacré des Chartreux, Tournay 1644. Grimaud 1979: Pierre Grimaud, La Chartreuse de la Verne, Paris 1979. Hogg 1987: James Hogg, Die Ausbreitung der Kartäuser, Analecta Cartusiana 89, Salzburg 1987. Zusammenfassung Hogg u. a. 1989: James Hogg, Alain Girard und Daniel Le Blèvec, The Evolu- tion of the Carthusian Statutes from the Consuetudines Guigonis to the tertia compilation, Analecta Cartusiana 99, Salzburg 1989. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Disser- Monasticon: James Hogg und Gerhard Schlegel (Hrsg.), Monasticon tation der Verfasserin viele Erkenntnisse über die bau liche Cartusiense, Bd. 1–4, 2004–2011. Entwicklung und die typologische Formierung kartusiani- Nagel 2013: Elke Nagel, Die Klausur der Kartäuser. Typologie und Grundriss- organisation der großen Kreuzgänge im Spannungsverhältnis zwischen scher Klosteranlagen geliefert hat. Die schrittweise Verlage- Ordens idealen und ört licher Lage, Analecta Cartusiana 297, Salzburg 2013. rung der Bauplätze – sozusagen der ›Weg ins Tal‹ – und der Parkminster 1913: Maisons de l’Ordre des Chartreux, Montreuil-sur-Mer- maßgeb liche Einfluss der Topografie prägten die Bauweise Tournai-Parkminster 1913–1919. Zadnikar Marijan Zadnikar der Ordenshäuser. Die regelhafte Gestalt veränderte sich 1983: , Die Kartäuser. Der Orden der schweigen- den Mönche, Köln 1983. in sechs typologischen Phasen von höchst pragmatischen Lösungen zum Überleben in extremen Alpenregionen zu repräsentativen Klosteranlagen mit großem Flächenbedarf. Abbildungsnachweis Einzig das Zellenhaus als Herz des eremitischen Lebens blieb Abb. 1: Vorlage: googlemaps® 2011 und historische Abbildungen; Grafik: Elke bis weit nach dem Ausklang des Mittelalters unverändert. Nagel Brüche in der regelhaften Gestaltung durch Sonderzellen Abb. 2, 4, 5, 7–13: Elke Nagel fallen in einzelnen Kartausen deutlich ins Auge. Die Erfor- Abb. 3, 6: I. Mühlhaus schung ihrer Provenienz und Entwicklung steht noch aus und könnte weitere Aufschlüsse über die architektonische Manifestation der kartusianischen Lebensweise ergeben. Die paradoxe Gleichzeitigkeit von Gemeinschaft und Autorin Eremitenleben, Repräsentation und Abschottung sowie Dr. Ing. Elke Nagel M.A. letztlich wirtschaftlichem Überleben und strengster Kon- Wolfskehlenweg 15 templation führte zu der kulturgeschichtlich bedeutsamen 73269 Hochdorf Entwicklung regelhafter, architektonisch entworfener Indi- Deutschland vidualwohnungen innerhalb eines größeren baulichen Kon- [email protected] textes.

60 FÖTag 4, 2016 Archäologische Forschungen zu Kartausen in Slowenien

Katarina Predovnik, Danijela Brišnik und Miha Murko

Einführung Hermann[us] / Comes Cili / e · fundator / hui[us] dom[us], wel- che innerhalb der Kartause Pletriach und in der naheliegen- Auf dem Gebiet des heutigen Slowenien bestanden im Mit- den Kirche hl. Oswald in Javorovica aufgefunden wurden, telalter vier Kartausen, je zwei in den historischen Ländern wird ein Zusammenhang mit dem Stiftergrab vermutet. Steiermark und Krain (Abb. 1). Die steirischen Kartausen sind Es wurde überlegt, ob der Ziegelboden mit seinem Deko- sehr früh gegründet worden: die Kartause Seitz (Žiče, auch rationsschema mit heraldischen Porträts und der Stifterin- Žička kartuzija1; Ordensname »Domus Vallis sancti Joannis«) schrift vielleicht sogar die Rolle einer Grabplatte erfüllt hat.4 um 1160, womöglich schon nach 1151, und die Kartause Gai- rach (Jurklošter; Ordensname: »Domus Vallis sancti Mauri- tii«) um 1170. Sie zählen somit zu den historisch und kunst- Kartause Seitz historisch wichtigsten Anlagen dieses Ordens. Im Land Krain wurde als erste die Kartause Freudental (Bistra; Ordensname Die Reste der Kartause Seitz befinden sich in einem schma- »Domus Vallis jocosae«) um 1260 von Herzog Bernhard und len Tal des Baches Žičnica südwestlich von Slovenske Kon- seinem Sohn Herzog Ulrich III. von Spanheim gestiftet. Erst jice, im Gebiet der Streusiedlung Stare Slemene. Das Tal um 1403 erfolgte seitens des Grafen Hermann II. von Cilli die verläuft in West-Ost-Richtung in einer Länge von ca. 6,6 km Gründung der jüngsten und heutzutage einzigen noch wir- und mündet nahe dem Dorf Žiče/Seitz in die Ebene von Dra- kenden Kartause in Slowenien, der Kartause Pletriach (Ple- vinjska dolina/Dravinja-Tal ein. Vor dem Auslauf verengt sich terje; Ordensname »Domus Throni sanctissimae Trinitatis«). das Tal und bildet auf den letzten 1.000 m Länge eine Klamm Alle vier Baukomplexe stehen wegen ihres Alters, ihrer namens Sotensko. Am Nordufer des Žičnica erhebt sich der historischen Bedeutung und ihrer bau- beziehungsweise Bergkamm von Konjiška gora mit seinem höchsten Gipfel, kunsthistorischen Qualität schon lange im besonderen dem Stolpnik (1.012 m Seehöhe), während die Hügel an der Fokus der Forschung und Denkmalpflege. Obwohl sie im Südseite nur ca. 600 m Seehöhe erreichen. Die Hänge sind 20. Jahrhundert bereits weitgehend in ruinösem Zustand sehr steil, der Talboden liegt in 300 m bis 400 m Seehöhe. waren, wurden fachgerechte archäologische Methoden und Die Talbodenbreite beträgt zumeist weniger als 100 m, nur Ansätze erst in den 1990er-Jahren zu ihrer Erforschung und an zwei Stellen bis 200 m. Der Žičnica wird von drei zusam- denkmalpflegerischen Behandlung herangezogen. menfließenden kleinen Bächen geformt und die ehemalige Im Folgenden werden die archäologischen Forschungs- Domus maior der Kartause wurde direkt am Zusammen- ergebnisse in den Kartausen Seitz und Gairach näher dar- fluss zweier von diesen, Soješka voda und Kumenska voda, gestellt. In der Kartause Freudental gab es bisher keine erbaut; ca. 100 m weiter östlich davon fließt noch Štabrška derartigen Forschungen, obwohl der teilweise erhaltene voda hinzu (Abb. 2). Die entlegene und in sich geschlossene Baukomplex im 20. Jahrhundert restauriert wurde. In Plet- Lage entspricht also hervorragend den Bedürfnissen und riach wurden beim Wiederaufbau der Kartause nach 1900 Gewohnheiten des Kartäuserordens. und später bei den Restaurierungsarbeiten in der alten go- Die Klosteranlage, die ehemalige Domus maior, blieb – ab- tischen Kirche zwar einige Befunde entdeckt, jedoch nicht gesehen von einigen Wirtschaftsbauten – im Ruinenzustand archäologisch dokumentiert. So konnte zum Beispiel der erhalten. Die Ordenskirche war dem hl. Johannes dem Täufer alte Lettner, welcher bei der Barockisierung der Kirche nach gewidmet und dieses Patrozinium gab im Mittelalter so- der Übernahme des Klosters durch die Jesuiten an die West- wohl der Kartause selbst als auch dem Bach (heute Žičnica) wand verschoben worden war, wieder an seine Originalpo- und dem ganzen Tal, in dem sich einst das Gebiet der der sition versetzt werden.2 Im Kirchenchor wurden südöstlich Kartause zugehörenden Wüste erstreckte, ihre Namen. des Hauptaltars einige Mauern entdeckt, die als Reste des Ungefähr 1,6 km östlich der Domus maior, im heutigen Ort Stiftergrabes gedeutet werden. Graf Hermann II. von Cilli Špitalič, stand ehemals die Domus minor der Kartause. Vom starb 1435 zwar in Preßburg, seine Leiche wurde aber nach mittelalterlichen Baukomplex ist heute nur noch die Kirche Pletriach überführt und dort in der Ordenskirche »vor dem hl. Maria (heutiges Patrozinium: Mariä Heimsuchung) erhal- Hauptaltar« beerdigt.3 Auch für einige keramische Boden- ten, welche ursprünglich als Brüderkapelle (Ecclesia minor) fliesen mit dem Cillier Wappen und solche mit der Inschrift innerhalb des Unteren Hauses der Kartause erbaut worden war. Auch der heutige Ortsname erinnert noch an das ehe-

1 Die Kartausen werden im Folgenden mit den in der deutschsprachigen Fachliteratur etablierten deutschen Namen bezeichnet. Der slowenische Name wird nur bei Erstnennung in Klammern angeführt. Bei den ande- ren Ortsnamen werden die slowenischen Formen verwendet. 2 Zadnikar 1972, 349–354. 3 Der Grabort wird in der Pletriacher Handschrift Nr. 146 genannt. Vgl. Zadnikar 1972, 355–356; Mlinarič 1982, 124. 4 Predovnik 2001. – Dazu auch Božič 2001.

FÖTag 4, 2016 61 Katarina Predovnik, Danijela Brišnik und Miha Murko

Abb. 1: Kartausen auf dem Gebiet des heutigen Slowenien.5 malige Kloster: Er wird5nämlich von dem einstmals dort be- schließlich Papst Alexander III. (1159–1181) seine Bitte an den stehenden Hospital abgeleitet.6 Kartäuserorden unterstützte.9 Der ursprüng liche Besitz umfasste das Žičnica-Tal samt Hängen bis zu den Bergkämmen hinauf. In den folgenden Geschichte Jahrzenten begüterten vor allem der Sohn des Stifters, Otto- kar IV. von Traungau (Markgraf 1164–1180, Herzog 1180–1192), Die Kartause Seitz, die erste Kartause außerhalb der Grün- Ulrich II., Patriarch von Aquileia (1161–1182), und das Bistum dungsländer des Ordens (Frankreich und Italien)7 und zu- Gurk die Kartause.10 1182 wurde das Kerngebiet der Kartause gleich die erste innerhalb des Heiligen Römischen Reiches, durch eine Schenkung Herzog Ottokars I., welche unter ande- wurde um 1160 im süd lichen Teil der Steiermark gegründet.8 rem das Dorf Žiče mit allem Zugehör umfasste, um ein Stück Ihr Stifter, der steirische Markgraf Ottokar III. (1129–1164), Flachland nach Osten erweitert. Vor 1187 erhielt die Kartause hatte zwar in der Umgebung von Slovenske Konjice um- noch einen weiteren, im Westen unmittelbar an das Kernge- fangreiche Besitzungen, konnte aber keine für die Kartäuser biet angrenzenden Besitzkomplex um Rove, der ehemals im geeignete Einöde innerhalb derselben finden. Deswegen Besitz des Bistums Gurk gewesen war. Dieser umfasste das musste er einen Teil seines dortigen Grundbesitzes mit sei- Tal des Rover Baches mit mehreren Dörfern, welches durch nem Ministerialen Leopold von Gonobitz tauschen, um das den Talpass nahe Sojek vom Žičnica-Tal abgetrennt ist. Eine schmale, in sich geschlossene, damals noch dicht bewaldete genaue Beschreibung dieses Kernbesitzes wird in einer 1207 und unbesiedelte Tälchen südlich des Berges Konjiška gora von Herzog Leopold VI. von (1195–1230) ausge- zu erwerben. Er versuchte zunächst vergebens, die ›schwei- stellten Urkunde gegeben. genden Mönche‹ auf seinen Ländereien anzusiedeln, bis Wie bei frühen Kartausen üblich, wurden auch in Seitz zwei getrennte Klöster für Mönche und Brüder gegründet. Ein erster Hinweis darauf stammt aus dem Jahr 1177, als Papst Alexander III. eine Urkunde an den Seitzer Konvent erstellte. Er wollte die Mönche aufmuntern, die Ordensdis- ziplin einzuhalten und die Schwierigkeiten zu ertragen. Der 5 Kartengrundlage: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Relief_map_ Papst hatte sich persönlich bei Herzog Ottokar I. für die Kar- of_Slovenia.png [Zugriff: 28. 12. 2015]. tause eingesetzt und bat ihn, beim Ausbau der »Häuser« 6 Als ältester schrift licher Beleg für das Vorhandensein eines Hospitals im Unteren Haus galt lange eine Urkunde Herzog Ottokars I. aus dem Jahr 1185 (Zadnikar 1972, 148; Mlinarič 1991, 52), die aber jüngst als spätere, vor 1274 entstandene Fälschung identifiziert wurde: Hausmann 2007, 154–156, 165–168. – Vgl. Oter Gorenčič 2009, 290 (mit Literaturangaben). 7 Innerhalb der heutigen Staatsgrenzen war sie eigentlich erst die zweite, da bereits 1146 die Kartause Notre-Dame d’Oujon in der Schweiz gegrün- 9 Die angeblich 1165 erstellte Gründungsurkunde ist zwar eine Fälschung det wurde; vgl. Oter Gorenčič 2009, 291. – Siehe auch den Beitrag von aus dem ersten Viertel des 13. Jahrhunderts, doch scheinen die Angaben Laurent Auberson in diesem Band. über die Gründungsumstände und die zugeteilten Besitzungen wahr- 8 Zur Geschichte der Kartause Seitz liegt umfangreiche Literatur vor. Siehe heitsgetreu zu sein. Allem Anschein nach war die Kartause Seitz anfangs vor allem: Mayer 1983; Zelko 1984; Bernhard 1987; Mlinarič 1991; Haus- nur unzureichend dotiert; dies bestätigt auch eine Urkunde Papst Alex- mann 2007. – Graf Ottokar III. dürfte die Kartause schon 1151 gegründet anders III. aus dem Jahr 1177. Ihr drohte vielleicht die Gefahr, in ähnliche haben, da aber der Ausbau der Klosteranlage zur Zeit der Ankunft des Schwierigkeiten zu geraten wie die Kartause Gairach, die 1199 vom ersten Priors Beremund und seines Konvents im Jahr 1160 noch nicht Generalkapitel aufgelöst und von den Gurker Chorherren übernommen vollendet war, siedelten sich die Kartäuser zunächst in dem nahe liegen- wurde. Die gefälschte Gründungsurkunde sollte die Kartause Seitz gegen den Ort Konjice an. Vgl. Bernhard 1987, 5–6; Hausmann 2007, 141–142, ein solches Schicksal sichern; siehe Hausmann 2007. 156–157. 10 Bernhard 1987. – Mlinarič 1991, 47–55. – Hausmann 2007.

62 FÖTag 4, 2016 Archäologische Forschungen zu Kartausen in Slowenien

Abb. 2: Kartause Seitz. Zustand im 18. Jahrhundert (nach Maisons 1919, 129). noch mehr Hilfe zu leisten.11 Daraus lässt sich erahnen, dass Beschluss, dass alle Kartausen römischer Obedienz »charita- zu dieser Zeit in beiden Häusern gebaut wurde. tiva subsidia« für die Renovierung des schon stark veralteten Die erste indirekte schriftliche Erwähnung der Marien- Seitzer Klosters beitragen sollten.15 Danach erfolgte ein um- kirche beziehungsweise der Brüderkapelle im Unteren Haus fangreicher Umbau des Oberen Hauses. Am besten wird dies stammt aus dem Jahr 1257, unmittelbar wird sie jedoch erst in der Gotisierung der Mönchskirche ersichtlich, doch stam- 1485 erwähnt.12 Der Ausbau der beiden Häuser war sehr auf- men ungefähr aus dieser Zeit auch andere Bauten, wie der wändig und dauerte mehrere Jahrzehnte lang. Es wird ver- Umbau der Ottokarkapelle und des Kapitelsaals, der heute mutet, dass am Anfang die Wohn- und Wirtschaftsbauten, noch im Ruinenzustand erhaltene kleine Kreuzgang mit an- vielleicht sogar der kleine Kreuzgang, aus Holz erbaut wur- liegenden Räumlichkeiten, die Friedhofskapelle im großen den. Nur die beiden Ordenskirchen wurden schon sehr bald Kreuzgang, das sogenannte Gotische Haus südlich der Kir- nach der Gründung qualitätvoll aus Stein erbaut, offenbar che, der West liche Wirtschaftstrakt sowie ein außerhalb des unter Aufsicht französischer Baumeister. Die Einweihung Klosters stehendes, 1467 erbautes Gästehaus (Gastuž). der Mönchskirche hl. Johannes der Täufer im Oberen Haus Das Untere Haus wurde im Lauf des 15. Jahrhunderts auf- (Ecclesia maior) wird laut schrift licher Überlieferung und Or- gegeben. Wann genau die Brüder ins Obere Haus übersie- denstradition allgemein in die Zeit um 1190 datiert.13 delten, bleibt unklar. Die Erbauung des Gästehauses und von Die Stifterfamilie der Ottokare hatte sich die Kartause Wirtschaftsbauten im Oberen Haus bezeugt, dass wenigs- Seitz für ihre letzte Ruhestätte ausgewählt. Sowohl der Stif- tens seit Mitte des 15. Jahrhunderts mehrere Aktivitäten und ter selbst, Markgraf Ottokar III., als auch seine Gattin Kuni- Funktionen des Unteren Hauses in die unmittelbare Nähe gunde und sein Sohn, Herzog Ottokar I., wurden dort begra- der Mönche übertragen wurden. Was eigentlich das Verlas- ben, wahrscheinlich in der Sakristei im süd lichen Anbau an sen des Unteren Hauses verursachte, ist ebenso eine offene die Ecclesia maior.14 Frage, obwohl am häufigsten die Türkengefahr als der ent- Eine Blütezeit erlebte die Kartause Seitz im 14. und 15. Jahr- scheidende Faktor angeführt wird.16 In diesem Zusammen- hundert, mit einem Höhepunkt zwischen 1391 und 1410, als hang steht auch der Ausbau der Umfassungsmauer des sie anlässlich der Teilung des Ordens wegen des Schismas Oberen Hauses in wehrhafter Form mit Wehrtürmen und in der katholischen Kirche zum Sitz des Generalkapitels rö- Wehrgängen (Abb. 3).17 mischer Obedienz wurde. 1397 fasste das Generalkapitel den Die Wirren der Zeit der Osmaneneinfälle sowie auch die Reformation haben das Ordensleben in der Kartause Seitz stark betroffen. Nach 1565 erlosch es sogar für einige Zeit 11 »vobis in faciendis domibus vestris consilium conferat et auxilium oppor- und wurde erst nach 1595 wieder erneuert. tunum.« Vgl. Zadnikar 1972, 147; Mlinarič 1991, 48; Oter Gorenčič 2009, 1782 wurde die Kartause Seitz im Rahmen von Reformen 289–290. Kaiser Josephs II. aufgelöst und danach vom Staat verwaltet. 12 1257: »per priorem Vallis Sancti Johannis fratrem Wernherum Domua noue apud sanctam Mariam.« 1485: »capella gloriosae virginis Marie in hospitali Als im Jahr 1786 der nahe liegende Markt Slovenske Konjice/ nuncupata.« Vgl. Mlinarič 1991, 75, 212; Oter Gorenčič 2009, 290. Gonobitz niederbrannte, gab der damalige Pfleger der Kar- 13 Beziehungsweise zwischen 1182 und 1194. Vgl. Zadnikar 1972, 148–149; tause den Bewohnern die Erlaubnis, sich die Baumaterialien Hogg 1983, 64; Mlinarič 1991, 54; Oter Gorenčič 2009, 303–304; Höfler 2010, 352, Anm. 5. 14 Dieses Gebäude wird deswegen Ottokarkapelle genannt. 1827 wurde die barocke Grabplatte mit einer Reliefdarstellung des Stifters, Markgraf 15 Zadnikar 1972, 151, 290. – Mlinarič 1991, 150. Ottokars III., beziehungsweise der Stiftungslegende entfernt und mit- 16 Diese Meinung vertrat auch Ivan Zelko, der aber die Übersiedlung der samt den Gebeinen nach Stift Rein übertragen. Vermutlich hat sich die Brüder erst nach 1487 datierte und mit dem überlieferten osmanischen mittelalter liche Grabplatte mit Reliefdarstellung Herzog Ottokars I. in Überfall um 1491 in Verbindung brachte: Zelko 1984, 76. der Kirche hl. Heinrich in Areh am Bachern erhalten. Vgl. Posch und Saria 17 Den großen runden Wehrturm hat der Prior Mattheus (1531–1540) erbaut: 1969; Zadnikar 1972, 204–210; Šoštarič 1995, 179–183. Zadnikar 1972, 155.

FÖTag 4, 2016 63 Katarina Predovnik, Danijela Brišnik und Miha Murko

Abb. 3: Kartause Seitz. Ehemalige Domus superior (Ansicht von Südosten, 2013). für den Wiederaufbau der Häuser aus der verlassenen Klos- che Strebepfeiler besaß22, war die Kirche ursprünglich nicht teranlage zu beschaffen.18 So wurden damals der große und gewölbt. Der einfache rechteckige Bau fügte sich mit ebenso der kleine Kreuzgang weitgehend abgebaut, während die gerade abgeschlossenen Anbauten – Sakristei im Süden und Kirche und die Wirtschaftsbauten noch in Gebrauch blieben. Kapitelsaal im Norden – zu einem T-förmigen Grundriss zu- Ebenso blieb die Wehrmauer mit Türmen erhalten. sammen, was eine Besonderheit der frühen kartäuserischen Die ehemalige Ordenskirche wurde bis 1818 für liturgi- Baukunst ist.23 Das romanische lagige Mauerwerk besteht sche Zwecke weiter genutzt, und zwar bis 1797 als Pfarrkir- sowohl aus großformatigen Marmorquadern (untere Partie che, danach als Filialkirche der Pfarre in Črešnjice und seit der Westfassade) als auch aus mittel- bis kleinformatigen 1808, als die Pfarre in Špitalič bei der ehemaligen Ecclesia quaderhaften Bruchsteinen. Die Fassaden waren nicht ver- minor gegründet wurde, als Filialkirche dieser Pfarre.19 Nach putzt, sondern mit einem dekorativen plastischen Fugen- 1818 begann der rasche Verfall des Gebäudes; um 1840 stürz- netz versehen, das teilweise noch erhalten ist. ten die Gewölbe ein, bis 1867 sogar ein Teil der Nordwand.20 Von der romanischen Architekturplastik blieben nur ein Von 1828 bis zum Zweiten Weltkrieg war die zerfallende An- mit einer Reihe sternförmiger Motive verziertes Gesims an lage im Besitz der Familie von Windischgrätz, welche noch der Westfassade sowie eine mit einer Volute verzierte Kon- bis Ende des 19. Jahrhunderts die ehemaligen klösterlichen sole über dem Westeingang erhalten. Vermutlich gab es ur- Fischteiche und die Glashütte instand hielt.21 sprünglich drei solche Konsolen, die ein Pultdach über dem Westportal trugen.24 Der Haupteingang in der Westwand ist schwer beschädigt, das Portal nicht mehr erhalten. Das ro- Erhaltene Bauten manische Portal ist aber beim gotischen oder später beim barocken Umbau der Kirche sicherlich durch ein neues er- Aus der ersten Bauphase ist heute nur noch die ehemalige setzt worden.25 Ecclesia maior, die Ordenskirche hl. Johannes der Täufer, mit der Sakristei und dem Kapitelsaal als teilweise rekonstru- ierte Ruine erhalten (Abb. 4). Im Einklang mit den frühen Ordensregeln war die Kirche ein einfacher Baukörper ohne 22 Diese Strebepfeiler haben keinen Bezug zu den späteren gotischen architektonische Betonung des Chors und mit geradem Gewölbeansätzen und sind eindeutig mit der romanischen Südwand bündig (Badovinac 2009, 23–24). Es gibt aber keinerlei Spuren einer Chorabschluss. Obschon die Südwand von Anfang an einfa- romanischen Wölbung, weswegen die Frage, warum die Strebepfeiler überhaupt erbaut wurden, offen bleibt. Stopar 1999 meint, dass dies aus statischen Gründen – wegen des gegen Süden abfallenden Gelän- des – geschah, während Oter Gorenčič 2009, 292–294 meint, dass der ursprüng liche Bauplan eine Wölbung voraussah, aber aus unbekannten Gründen noch während des Baus geändert wurde. 23 Zadnikar 1972. – Zadnikar 1983. 24 Im Lapidarium des Oberen Hauses wird dazu noch ein Fragment eines romanischen Portalgewändes aufbewahrt, das mit einer Volute, Rosetten und einem kreuzartigen Muster verziert ist. Der ursprüng liche Standort ist unbekannt. Vgl. Oter Gorenčič 2009, 294–296. 18 Zelko 1984, 45. 25 Der Fußboden und somit auch die Portalschwelle lagen in der romani- 19 Zadnikar 1972, 238. – Zelko 1984, 50–51. schen Bauphase etwa 0,70 m unter der heutigen Oberfläche. Das Boden- 20 Zelko 1984, 52–53. niveau inner- und außerhalb der Kirche wurde später mehrmals erhöht. 21 Curk u. a. 2008, 428. Vgl. Murko und Vinder 2014.

64 FÖTag 4, 2016 Archäologische Forschungen zu Kartausen in Slowenien

Abb. 4: Kartause Seitz. Ehemalige Ecclesia maior mit der sogenann- ten Ottokarkapelle (Ansicht von Südosten, 2013).

Das Innere der Kirche war spätestens seit 1321 durch einen der Žičnica.31 Die Klosteranlage erreichte in den darauffol- Lettner in den Mönchs- und Brüderchor geteilt.26 Deswegen genden Jahrzenten ihren endgültigen Umfang, was mit der wurden auch getrennte Eingänge nötig. Neben dem West- Aufgabe des Unteren Hauses und den Bedürfnissen der dort- eingang gab es noch vier – allerdings nicht gleichzeitige hin übertragenen Wirtschaftstätigkeiten in Zusammenhang – Eingänge in der Nordwand. In der Südwand, neben dem steht. Auch später, nach der Wiederbelebung der Kartause Chor, befindet sich der Durchgang zur ehemaligen Sakristei im 17. Jahrhundert, wurden einige Wirtschaftsbauten neu beziehungsweise Ottokarkapelle.27 errichtet oder umgebaut. Diese blieben am besten erhalten Beim gotischen Umbau um 1400 wurde die Kirche erhöht und wurden teilweise noch im 20. Jahrhundert bewohnt be- und mit neuen gotischen Fenstern sowie einem Kreuzrip- ziehungsweise genutzt. pengewölbe und einem Dachreiter ausgestattet. Die Strebe- Der Aufschwung des Ordenslebens und die relativ güns- pfeiler wurden zwar erhöht, aber nicht strukturell genutzt, tige Wirtschaftslage im 17. Jahrhundert brachten auch da die gotischen Gewölbeansätze nicht mit ihnen überein- Baueingriffe an der Kirche, die im barocken Stil umgebaut stimmen. Der Chor wurde nach innen polygonal abgeschlos- wurde, mit sich. 1640 wurden zwei Seitenkapellen im Wes- sen und eine Westempore mit Zugang von Norden erbaut. ten an die Südfassade gebaut. Die Kirche bekam eine neue Nur geringste Spuren von Verputz und Malereien sowie Westempore und in diesem Zusammenhang wahrschein- Fensterverglasung der Gotik sind erhalten geblieben.28 lich auch ein neues, barockes Westportal. Die ganze Kirche Auch der Kapitelsaal wurde zu dieser Zeit erneuert und wurde damals innen und außen verputzt.32 ein Treppenturm außen an die Kirche gebaut. Die Sakristei, die schon 1348 einen polygonalen Chorabschluss und ein Gewölbe erhielt29, wurde im frühen 15. Jahrhundert um zwei Archäologische Forschungen im Oberen Haus Etagen erhöht und mit einer in die Südostecke des Kirchen- chors eingebauten Wendeltreppe versehen. 1421 erfolgte die Seit 1957 finden im ehemaligen Oberen Haus Konservie- Einweihung des Allerheiligen-Altars im Erdgeschoß und des rungs- und Restaurierungsarbeiten statt, die aber wegen Hl.-Anna-Altars im 1. Obergeschoß.30 mangelnder Finanzierung mehrmals unterbrochen wur- Aus der Mitte des 15. Jahrhunderts stammen das Refekto- den. Zuerst leitete Jože Curk (Denkmalamt Celje) die Arbei- rium, die anliegenden Keller, die Friedhofskapelle im großen ten, seit 1963 dann Marijan Zadnikar (Denkmalamtzentrale Kreuzgang (Abb. 5) und einige Wirtschaftsbauten westlich Ljubljana) und schließlich (seit 1980) Bogdan Badovinac der Kirche mitsamt dem Gästehaus auf dem anderen Ufer (Denkmalamt Celje).33 Das ganze Areal wurde zunächst vom Bewuchs befreit; danach folgten das Entfernen des Ruinen- schutts, die Konservierung und der Wiederaufbau bezie- hungsweise die Instandsetzung einzelner Bauten. 26 Damals wurden unter dem Prior Petrus II. zwei Altäre auf dem Lettner eingeweiht. Vgl. Stegenšek 1909, 189; Mlinarič 1991, 85. – Seine ehe- malige Lage belegen die zugemauerten Spuren des Zugangs und der Verankerung mit der Süd- und der Nordwand sowie eine Piscine in der Nordwand. Vgl. Zadnikar 1972, 196–198; Badovinac 2009, 26. 31 Die Bauzeit ist durch zwei Bauinschriften mit den Jahreszahlen 1467 27 Badovinac 2009, 24–26. und 1469 belegt. Vgl. Stegenšek 1909, 199–200; Zadnikar 1972, 218–224; 28 Badovinac 2009, 27–28 Mlinarič 1991, 208. 29 Zadnikar 1972, 150–151. – Mlinarič 1991, 86. 32 Stopar 1999, 501. – Badovinac 2009, 29. 30 Stegenšek 1909, 192, 204. – Badovinac 2009, 28. 33 Badovinac 2009, 29–33 (mit Literaturangaben).

FÖTag 4, 2016 65 Katarina Predovnik, Danijela Brišnik und Miha Murko

Abb. 5: Kartause Seitz. Ehemalige Domus superior. Großer Kreuz- gang mit gotischer Friedhofska- pelle (Ansicht von Süden, 2013).

Am Anfang stand vor allem die Ordenskirche mit der gen Klosterfischteiche unternommen wurden.35 Wichtiger Ottokarkapelle und dem kleinen Kreuzgang im Fokus der noch: Seit 1999 finden geophysikalische Prospektionen und Denkmalpfleger, seit den 1980er-Jahren wurde dann aber archäologische Ausgrabungen im Rahmen geplanter denk- den besser erhaltenen Wirtschaftsbauten und der Um- malpflegerischer Bodeneingriffe inner- und außerhalb der fassungsmauer mit Wehrtürmen mehr Aufmerksamkeit Klosteranlage statt. Bislang wurden allerdings noch keine geschenkt. Das Projekt wurde von Anfang an als eine rein systematischen Flächengrabungen durchgeführt; die aus- kunst- beziehungsweise architekturhistorische Aufgabe ver- geführten archäologischen Grabungen wurden unmittelbar standen, weshalb kein Archäologe bei dem Abtragen der Ru- durch Restaurierungsarbeiten und Fragestellungen ange- inen und der Suche nach den (teilweise) vergrabenen Mau- regt und limitiert. Größere Teile der Anlage sind jedoch mit ern und Fußböden hinzugezogen wurde.34 Erst seit Mitte Prospektionsmethoden erfasst worden. der 1990er-Jahre bestand seitens der Archäologie größeres In den Jahren 1999 und 2000 wurden geophysikalische Forschungsinteresse sowie seitens der Denkmalpflege mehr Prospektionen inner- und außerhalb der ehemaligen Domus Verständnis für die Integration fachgerechter archäologi- superior der Kartause Seitz unternommen (Abb. 6/A–F, scher Untersuchungen in das Projekt der Restaurierung und blaue Schraffur).36 Untersucht wurden der Eingangsbereich, Wiederbelebung der ehemaligen Kartause Seitz. So wurde der Wirtschaftsbereich südlich der Kirche, das Kircheninnere die Kartause Seitz zum Thema eines Magisterstudiums an und die Ottokarkapelle, der Hof im großen Kreuzgang und der Abteilung für Archäologie der Philosophischen Fakultät der vermut liche Wirtschaftsbereich südwestlich davon der Universität Ljubljana, in dessen Rahmen auch archäo- sowie der ehemalige Klostergarten. logische Geländebegehungen sowie die mikrotopographi- 2006 wurden Bohrungen in der ehemaligen Kartause sche Aufnahme des großen Kreuzgangs und der ehemali- durchgeführt, um Informationen zu den geologischen und geomechanischen Eigenschaften sowie zum archäologi- schen Potenzial des Untergrundes zu erhalten (Abb. 6, rote

34 Keine Aufmerksamkeit wurde etwa den Kleinfunden geschenkt. Die erhaltene Fotodokumentation des Informations- und Dokumentations- zentrums (INDOK) des slowenischen Kulturministeriums bezeugt, dass sich beim Wegräumen des Ruinenschutts im Bereich der Kirche und des kleinen Kreuzgangs des Oberen Hauses in den 1960er- und 1970er-Jahren Kleinfunde fanden, die jedoch nicht aufgehoben – geschweige denn dokumentiert und ausgewertet – wurden. Einige Scherben wurden auch in den 1990er-Jahren bei konservatorischen Eingriffen an den Wirt- 35 Das eigent liche Thema dieses Aufbaustudiums war die ehemalige Kar- schaftsbauten ans Licht gebracht, darunter ein fast vollständig erhalte- täuserlandschaft. Siehe Predovnik 1997; Predovnik 1998. ner Doppelhenkeltopf mit durchlochtem Boden (Blumentopf oder Sieb) 36 Die Untersuchungen wurden von der Abteilung für Archäologie der und Bruchstücke mehrerer engobierter, braun und grün bemalter Teller Philosophischen Fakultät der Universität Ljubljana ausgeführt (Leitung: mit transparenter Glasur (wahrscheinlich 17./18. Jahrhundert) sowie ein Branko Mušič). Dabei wurden mehrere Methoden eingesetzt, und zwar Dutzend Fragmente von Ofenkacheln aus dem 15. bis 17. Jahrhundert. Georadarprospektion (Messgerät: GSSI SIR 3), geoelektrische Kartierung Die Funde wurden an der Abteilung für Archäologie der Philosophischen mit Twin-probe-array (Messgerät: Geoscan RM 15), Magnetometrie Fakultät der Universität Ljubljana dokumentiert, blieben aber unver- (Messgerät: Fluxgate gradiometer FM36) sowie Messung der elektrischen öffentlicht. Einige Kleinfunde stammen auch aus den archäologischen Leitfähigkeit und der magnetischen Suszeptibilität (Messgerät: Geonics Geländebegehungen, die 1996 und 1997 seitens der Abteilung selbst EM-38). Vgl. Mušič 1999a; Mušič 1999b; Mušič 2000; Mušič 2001a; ausgeführt wurden. Mušič 2001b.

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Abb. 6: Kartause Seitz. Ehemalige Domus superior. Situationsplan der archäologisch untersuchten Bereiche. Blaue Schraffur – geophysikalische Vermessun- gen, rote Punkte – Bohrungen, grüne, rosafarbige und gelbe Schraffur – Sondagen, Ausgrabungen und Begleitung der Bauarbeiten (Aufnahme 2013).

Punkte).37 Zehn Bohrungspunkte wurden so ausgewählt, dass Der Eingangsbereich die wichtigsten Bereiche des Architekturkomplexes erfasst werden konnten. Die Auswertung der erhaltenen Kernstre- 1999 wurde der Hof hinter dem einstigen Haupteingang in cken zeigte, dass die archäologischen Schichten im Bereich die Kartause mit Georadar vermessen (Abb. 6/A).39 Dabei des großen Kreuzgangs deutlich tiefer reichen als im Südteil wurde der Verlauf einiger der teilweise im Gelände noch der Anlage.38 Das verwundert selbstverständlich nicht, da das sichtbaren Mauern des ehemaligen Eingangstraktes doku- Areal der Kirche und des kleinen Kreuzgangs in den 1950er- mentiert und in einer Tiefe von bis zu 0,5 m im Süden und und 1960er-Jahren vom Ruinenschutt befreit wurde, wobei gegen Norden ansteigend ein steingepflasterter Boden ent- teilweise sogar das – vermutlich – spätmittelalterliche Bege- deckt. Dieser Befund wurde mittels archäologischer Test- hungsniveau erreicht und präsentiert wurde. Hinter der Ost- grabung in demselben Jahr bestätigt. Eine Sondage von ca. wand der Kirche wurde in der Nordecke, beim polygonalen 8 × 2,5 m Größe wurde direkt im Eingangsbereich angelegt Chorabschluss des Kapitelsaals, in einer Tiefe von 3,30 m bis (Abb. 6/1).40 Zwei Begehungsflächen wurden dokumentiert: 3,50 m eine Schicht von Mörtelbröckchen ausgebohrt. Sie ist Der obere, jüngere Bodenbelag war mit Mörtel errichtet womöglich am Boden der Baugrube entstanden und zeigt worden (maltast tlak), während der untere aus Kieselsteinen so vielleicht die Tiefe der Fundamente an. gelegt und mit dem Georadarbefund ident war. In dem Ru- inenschutt des westlich des Eingangs, entlang des Baches Soješka voda, liegenden Gebäudes wurden Reste des ehe- maligen barocken Haupteingangsportals gefunden. Im fol- genden Jahr wurde diese Sondage noch etwas gegen Osten erweitert, wobei der Eingang zum Wirtschaftsgebäude öst- lich des Haupteingangs freigelegt wurde.41 37 Großbohrer mit Kerndurchmesser von 125 mm. Die Bohrungen erreichten eine Tiefe von 3 m bis 5 m. Die Untersuchung wurde als Kooperation zwischen dem Slowenischen Institut für Baubetrieb und dem Denkmal- amt Celje unternommen, eine Geologin und ein Archäologe interpretier- 39 Mušič 1999a. ten die Befunde. Im Folgenden werden nur die archäologischen Ergeb- 40 Die archäologischen Sondagen wurden anlässlich der Restaurierung des nisse dargestellt. Vgl. Krempuš 2007a. sogenannten Unteren (südlich der Ordenskirche stehenden) Wirtschafts- 38 Am Nordrand der Kartause reichen sie sogar bis in 2,80 m, bei der Fried- traktes und der Rekonstruktion der lokalen Straße unternommen; siehe hofskapelle bis in 1,80 m Tiefe. Rund um den kleinen Kreuzgang und die Brišnik 1999. Wenn nicht anders angegeben, wurden die Grabungsarbei- Kirche reichen die anthropogenen Ablagerungen bis in maximal 1,65 m ten vom Denkmalamt Celje ausgeführt. Tiefe. 41 Mirković 2000.

FÖTag 4, 2016 67 Katarina Predovnik, Danijela Brišnik und Miha Murko

Abb. 7: Kartause Seitz. Ehemalige Domus superior. Interpretationsplan der geophysikalischen Vermessungen 1999 und 2000 (nach MUŠICˇ 1999b und MUŠICˇ 2001a).

Im Jahr 2000 wurde noch die äußerste Südwestecke kapelle angebauten Sakristei44 erfasst wurden (Abb. 6/C, 7)45. dieses Eingangshofs mit Georadar vermessen (Abb. 6/B, 7), Weiters wurde noch eine Quermauer erkannt, die von der wobei offenbar die Fortsetzung der Steinbodenpflasterung Westfassade der Kirche gegen Süden verlief, und zwar in die sowie Reste der Umfassungsmauer und der an sie gelehn- Richtung der Ecke zwischen dem barockzeit lichen öst lichen ten Bauten entdeckt wurden.42 Der Bereich direkt westlich Teil und dem älteren westlichen Teil, dem sogenannten Go- davon, an der Außenseite der Umfassungsmauer, wurde vor- tischen Haus des Unteren Wirtschaftstraktes.46 läufig als Graben interpretiert. Die Restaurierung dieser zwei Gebäude gab den Anlass für archäologische Ausgrabungen, die aber von eher bescheide- Der Wirtschaftsbereich südlich und westlich der Kirche nem Umfang blieben. In den Jahren 1999 und 2000 wurden Sondagen außen entlang der Nord- und der Westfassade Georadarprospektionen wurden 1999 im Hof südlich und des Bautraktes ausgeführt (Abb. 6/3). Zunächst wurde nach westlich der ehemaligen Ecclesia maior ausgeführt, wobei Baureste der zwei Seitenkapellen43 und der an die Ottokar-

44 Laut Badovinac 2009, 29 mit Anm. 30 wurde dieser polygonale Sakristei- anbau zwischen 1782 und 1808 erbaut, als die ehemalige Ordenskirche Sitz einer Pfarrei war. 45 Mušič 1999b. 42 Mušič 2001a. 46 Eine Quermauer, die den Hof südlich der Kirche vom Eingangsbereich 43 Die Kapellen wurden im Jahr 1640 erbaut und vermutlich zwischen 1782 westlich der Kirche abschloss, ist auch auf einer alten Graphik abgebildet, und 1840 abgebrochen, als die Kirche noch liturgischen Zwecken diente. jedoch etwas weiter östlich verlegt und in Form eines Bretterzauns, der Die Durchgänge in der Südwand des Kirchenschiffs wurden damals auf einem niedrigen Erdwall (oder Fundamentmauer?) errichtet wurde wieder zugemauert. Vgl. Stegenšek 1909, 204; Zelko 1984, 50–51. (siehe Abb. 2).

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des auf Reihen von 8 cm bis 10 cm starken Holzpfählen, die in den Untergrund aus sandigem Lehm eingetrieben wurden. Das zweiräumige Erdgeschoß des Gotischen Hauses wurde vier Jahre später wegen Sanierungsarbeiten komplett ausgegraben. Zur gleichen Zeit wurden auch neue Kanalisa- tions- und Entwässerungsleitungen entlang der Süd-, der Ost- und der Nordfassade des Unteren Wirtschaftstraktes – mit einer Verlängerung bis zum Oberen Wirtschaftstrakt – verlegt (Abb. 6/6a–c). Dabei wurden sowohl archäologi- sche Grabungen als auch eine Begleitung der Bauarbeiten durchgeführt.50 Im östlichen Raum 1 des Gotischen Hauses (Abb. 6/5a) wurde der originale Estrichboden entdeckt. Er wurde nach dem Anbau des östlich davon stehenden barocken Gebäu- des weiter genutzt und nur im Bereich des durchbrochenen Durchgangs in der Ostwand teilweise dem niedrigeren Be- gehungsniveau des barocken Anbaus angepasst. Im Ostteil des Raums 2 des Gotischen Hauses (Abb. 6/5b) fanden sich Abb. 8: Kartause Seitz. Sogenanntes Gotisches Haus in der ehemaligen Reste eines Holzbaus mit Fundamenten aus Trockenmauer- Domus superior. Fundament des Holzhauses mit Balkeneinlage und Estrich- werk und eingelegten Holzbalken (Abb. 8). Der Boden inner- boden sowie dem darauf erbauten Kalkbrennofen in der südöst lichen Ecke halb dieses Baus wurde mit einem qualitätvollen Mörteles- des Raums 2 (Aufnahme 2007). trich versehen. Die mit einem behauenen Eckstein versehene Nordwestecke dieses Gebäudes wurde außen beim Aushub des Leitungskanals gefunden (Abb. 6/6c). Auf diesem Estrich dem Originalniveau der Begehungsfläche im Hof und der wurde nach dem Abtragen des Gebäudes ein gemauertes Originalhöhe des – wegen Aufschüttung des Hofs teilweise Objekt errichtet, in dessen Innenraum Holzasche und Mar- versunkenen – Kellerportals des barockzeit lichen Wirt- morbröckchen lagen. Deswegen wurde es als Kalkbrennofen schaftshauses gesucht. Die originale Steinschwelle wurde interpretiert. Die Trennwand zwischen den beiden Räumen gefunden, es scheint aber, dass der Hof damals keinen be- des Gotischen Hauses ruhte teilweise auf der unteren Stein- sonderen Belag besaß, sondern nur mit Bauschutt und Sand lage der abgetragenen Ostwand dieses Ofens. konsolidiert wurde. Darunter war entlang der Mauern eine Die ganze Bauabfolge wurde folgendermaßen interpre- Entwässerungsmulde aus größeren Kieselsteinen errichtet tiert: Der älteste Holzbau stammt noch aus der Gründungs- worden.47 zeit der Kartause.51 Er wurde später abgetragen und an sei- Bei der Fortführung der Grabungsarbeiten im Jahr 2000 ner Stelle ein Kalkbrennofen erbaut. Der Ofen, in dem Kalk wurde ein Teil der vorher schon mit Georadar entdeckten von höchster Qualität aus Marmor gebrannt wurde, stand Quermauer, die an das Gotische Haus gestellt worden war, womöglich in Verbindung mit den Bauarbeiten an der 1190 ausgegraben.48 Neben dieser wurde an der Ostseite noch ein eingeweihten Ordenskirche. Der nächste Baueingriff war die Mauerrest dokumentiert, der als Fundament einer Treppe Errichtung des Gotischen Hauses, dessen Ostraum im Erdge- gedeutet wurde. Westlich der Quermauer wurde entlang schoß mit einem Estrich versehen wurde. Im 17. Jahrhundert der Nordfassade des Gotischen Hauses ein Bodenbelag aus folgte der Anbau des neuen Wirtschaftstraktes im Osten. Die großen, in eine Lehmschicht eingebetteten Steinen gefun- alten, gotischen Eingänge in der Nordwand des Gotischen den. Dieser Begehungshorizont war jünger als die zwei ver- Hauses wurden vermauert und neue in der West- und der mauerten Eingänge, die an der Nordfassade entdeckt wur- Ostwand sowie in der Trennwand zwischen den beiden den. Darunter lag ein älterer Bodenbelag aus Kieselsteinen, Räumlichkeiten im Erdgeschoß durchgebrochen. der sich um das Haus erstreckte und einige Zentimeter unter Beim Ausheben des Leitungskanals nordwestlich des dem Nordportalschwellenniveau an das Haus lief. Ob er mit Gotischen Hauses (Abb. 6/6c) wurden die alten, teilweise dem beim Haupteingang entdeckten Kieselsteinboden kor- schon bei früheren Sondagen entdeckten Bodenbeläge im respondiert, ist nicht bekannt. Hofbereich sowie die Südwestecke des Refektoriums do- Im Jahr 2003 fand eine Testgrabung im Inneren des Un- kumentiert. Südöstlich des Unteren Wirtschaftstraktes, vor teren Wirtschaftsgebäudes statt (Abb. 6/4).49 Dabei wurde dem quadratischen Eckturm mit der sogenannten Äußeren eine 6,5 m2 große Fläche in der Südostecke des westlichen Kapelle (Abb. 6/6a), wurde eine Mauer angegraben, welche Raums im Erdgeschoß, neben einem tief anliegenden Bogen, von der Südostecke des Kapellenturms parallel zum Žičnica der die Südwand mit einer kurzen, parallel verlaufenden Bach geradlinig in Richtung Südosten verlief. Ebenso wurde Trennwand verbindet, ausgegraben. Es wurde festgestellt, eine 0,8 m dicke Escarpe entlang des Ufers des Kumenska dass die Südwand des Raums eine Verstärkung der älteren voda dokumentiert (Abb. 6/6b), die in einer Höhe von we- Mauer darstellte; das Gebäude wurde also an die schon be- nigstens 2,2 m erhalten war. Vor dem Eingang in die ehema- stehende Umfassungs- beziehungsweise Wehrmauer der lige Kapelle im Erdgeschoß des Eckturms wurde eine dünne Kartause angebaut. Im Gegensatz zur Wehrmauer mit tief Schicht aus Steinen und Mörtel gefunden, die als mit der reichendem Steinfundament ruhen die Mauern des Gebäu- Türschwelle korrespondierender Bodenbelag erkannt wurde.

47 Brišnik 1999. 50 Krempuš 2007b. 48 Mirković 2000. 51 Die Datierung ergibt sich aus der stratigraphischen Lage. Inner- oder 49 Novšak und Plestenjak 2003. außerhalb dieses Baus wurden keine Kleinfunde geborgen. Vgl. Krempuš 2007b.

FÖTag 4, 2016 69 Katarina Predovnik, Danijela Brišnik und Miha Murko

Die Kirche überein. Ein grau gefärbter, vermutlich ebenso barockzeit- licher Fußboden wurde ferner im Südwestteil des Kirchen- Der ganze Innenraum der Kirche und der Ottokarkapelle schiffs gefunden. wurde bereits zweimal mit Georadar vermessen (Abb. 6/D, Im Südteil der Ottokarkapelle lag ein 0,03 m bis 0,15 m 7).52 Die Ergebnisse sind einigermaßen vergleichbar und wer- dicker Mörtelestrich direkt unter einer dünnen rezenten den im Folgenden zusammengefasst. Schicht aus Bauschutt und Erde. Seine Errichtung wurde der Knapp unter der Oberfläche wurde eine deutliche Schich- gotischen Phase zugeschrieben, als die Kapelle den polygo- tung erkannt; mehrere lineare Anomalien in einer Tiefe von nalen Chorabschluss erhielt. 0,30 m bis ca. 1 m wurden als Mauern interpretiert. Inner- Nur in den Schnitten beiderseits der Westwand der Kir- halb der Kirche, ungefähr 13 m östlich der Westwand, wurde che wurde ein deutlich tiefer liegender Fußboden entdeckt, die Fundamentmauer des ehemaligen Lettners53 entdeckt. der anhand des erhaltenen Mauerwerks und der Pflaste- In der Nähe, westlich davon, wurde 2 m bis 3 m südlich der rung offenbar noch aus der romanischen Bauphase stammt Nordwand eine Anomalie entdeckt, die als Fundament des (Abb. 9). Er befindet sich ca. 0,70 m bis 0,80 m unter der heu- ehemaligen Altars vor dem Lettner zu deuten ist. Weitere tigen Oberfläche. Das Vergleichen der absoluten Höhen der Mauerreste liegen wahrscheinlich vor dem Westeingang; zwei Estriche inner- und außerhalb der Kirche zeigt, dass der womöglich sind sie mit einer ca. 5 m breiten Westempore Boden im Kircheninneren in der ersten Bauphase etwa 0,15 m verbunden.54 Im östlichen Teil des Kircheninneren wurde vor bis 0,20 m höher lag als außen. Es ist also wohl möglich, dass allem eine Querlinie am Übergang vom Kirchenschiff zum das – heute nicht mehr erhaltene – romanische Westportal Chor erkannt, möglicherweise eine Treppe oder das Funda- eine Stufe oder eine betonte Schwelle besaß. Ferner wird ment der ehemaligen Chorschranke. Davor erstreckte sich ersichtlich, dass der romanische Sockel an der Westfassade im Kirchenschiff eine größere Flächenanomalie, die aber südlich des Haupteingangs ca. 0,80 m hoch reichte; heute ist noch unerklärt bleibt. In der Ottokarkapelle konnte nur das er fast komplett mit späteren Aufschüttungen bedeckt. rezent verfüllte Zentralgrab der Ottokare erkannt werden. In den Schnitten innerhalb des Kirchenschiffs wurden ge- Im Jahr 2014 wurden archäologische Sondagen inner- mauerte Strukturen dokumentiert, die mit den Ergebnissen und außerhalb der Kirche unternommen. Ihr Ziel war es, An- der geophysikalischen Prospektionen in Zusammenhang gaben über die statische Festigkeit der Fundamentmauern stehen. Inmitten des Schiffs wurde 0,05 m unter der heuti- und einen Einblick in die archäologische Stratigraphie zu gen Begehungsfläche ein quer zur Hauptachse der Kirche gewinnen sowie die Ergebnisse der geophysikalischen Ver- verlaufendes, bis zu 0,20 m hoch erhaltenes Mauerfunda- messungen zu überprüfen (Abb. 6/7). Insgesamt wurden ment gefunden. Dabei handelte es sich höchstwahrschein- 13 Grabungsschnitte angelegt.55 Dabei wurden Mauern, Bo- lich um das Fundament des einstigen Lettners. Ungeklärt denbeläge, Aufschüttungen, Gräber, ausgemauerte Gräber bleibt die Funktion der gemauerten Struktur an der Nord- (Grüfte), Gruben und Pfostenlöcher entdeckt. Mauerreste, wand der Kirche; vielleicht handelte es sich um das Funda- gepflasterte Böden und Gräber wurden nicht entfernt, wes- ment eines Seitenaltars aus der barocken Bauphase oder halb der gewachsene Boden nicht in allen Schnitten erreicht aus der Zeit nach der Auflösung des Klosters.56 wurde und auch die stratigraphische Situation nicht voll- Die Fundamente der Südwand des Kirchenschiffs und der kommen geklärt werden konnte. Die Größe der einzelnen Südwand der Ottokarkapelle reichten bis 1,2 m tief unter die Schnitte betrug 2,2 m2 bis 7,5 m2. heutige Oberfläche. In diesem Bereich haben die jüngeren, Es wurden mehrere Bodenpflaster aus verschiedenen neuzeit lichen Aufschüttungen das Begehungsniveau um Bauphasen gefunden, darunter im Ostteil der Kirche ein 1 m erhöht. In dem Schnitt vor der Südwand der Ottokarka- Estrich mit rot gefärbter Oberfläche. Er lag nur einige Zen- pelle wurde ein Pfostenloch dokumentiert, das wahrschein- timeter tief unter der heutigen Begehungsfläche und wurde lich beim Anbau der Sakristei entstanden ist. vor der Nordwand im Kirchenschiff und vor der Ostwand im Gräber wurden nur außerhalb der Kirche entdeckt, und Chor dokumentiert. Es ist zwar nicht eindeutig, dass diese zwar nördlich, östlich und südlich von ihr. Im Schnitt außen zwei Befunde miteinander korrespondieren, wenn sie aber vor der Südwand wurden in einer Tiefe von 0,60 m aufge- zeitgleich sind, dann lag der Fußboden im Chor etwa 0,50 m reihte mensch liche Skelettreste entdeckt, vielleicht ein Teil höher als im Schiff. Der Höhenunterschied musste wohl mit eines spätmittelalterlichen Beinhauses.57 Drei Gräber wur- Treppen am Übergang vom Chor zum Schiff überwunden den hinter dem Chorschluss in einer Tiefe von 0,20 m bis werden; dies stimmt auch mit den Georadarergebnissen 0,30 m gefunden. Mehrere befanden sich auch im kleinen Kreuzgang, direkt vor der Nordwand der Kirche, in einer Tiefe von 0,60 m unter dem heutigen Begehungsniveau. Zwei die- ser Gräber waren mit Steinen ausgemauert. 52 Die erste Vermessung wurde im Jahr 2000 von der Abteilung für Archäologie der Philosophischen Fakultät der Universität Ljubljana Die Ergebnisse der geophysikalischen Untersuchungen durchgeführt (Mušič 2001a). – Eine zweite Georadarprospektion des konnten also mittels dieser Sondagen teilweise bestätigt Kirchenbodens fand im Rahmen eines internationalen Projekts zum werden, doch wurden auch viele andere Strukturen entdeckt Maierho- Thema »Revitalisierung der Kartause Seitz« 2005/2006 statt ( und neue Fragen aufgeworfen. Nur weitere Ausgrabungen fer u. a. 2009, 108, 110–112). Bei dieser zweiten Vermessung wurden die Radarmessspuren in zu großem Abstand zueinander angelegt, um einen von größerem Umfang könnten mehr Klarheit über die Bau- genaueren Einblick zu erhalten (Maierhofer u. a. 2009, 110, Abb. 16). entwicklung der Kirche, deren Aussehen und Bezug zu den 53 1328 wurde der Lettner mit zwei Altären erbaut. Vermutlich wurde er 1651 anderen Bauten und Bestandteilen der Klosteranlage sowie entfernt, mög licherweise jedoch bereits um 1400; vgl. Badovinac 2009, 26, Anm. 16. zum Vorhandensein der Gräber im Kircheninneren bringen. 54 Eine Westempore bestand schon in der gotischen Bauphase der Kirche; sie wurde 1640 durch eine neue, barocke Empore ersetzt. Vgl. Badovinac 2009, 27, 29. 56 1812 standen in der ehemaligen Klosterkirche zwei Seitenaltäre (Zelko 55 An fünf Stellen wurden Schnitte beiderseits der Kirchenwand angelegt. 1984, 51). Die Grabung wurde von der Firma PJP d.o.o. ausgeführt (Leitung: Miha 57 Diese Datierung geht aus dem stratigraphischen Bezug zum aufgehen- Murko Vinder Murko ). Vgl. und 2014. den gotischen Mauerwerk hervor.

70 FÖTag 4, 2016 Archäologische Forschungen zu Kartausen in Slowenien

untersuchten Fläche wurden negative Resistenzanomalien erkannt, die als Gruben einer bereits entfernten Anpflan- zung von Hainbuchen gedeutet wurden. Die Magnetomet- rie erbrachte ein fast senkrechtes Netz linearer Anomalien, die als Spuren der ehemaligen Parzellierung der Gartenan- lage gedeutet wurden. Diese Linien scheinen mit dem Ge- wächshaus in Verbindung zu stehen, da sie sehr ähnlich aus- gerichtet sind. Andererseits enthüllte die Vermessung der elektrischen Leitfähigkeit und magnetischen Suszeptibilität den Verlauf eines Infrastrukturobjekts (Wasserleitung?) in Nordwest-Südost-Richtung. Noch in demselben Jahr wurden zwei kleine Testgrabun- gen ausgeführt, um die angeführten Ergebnisse zu über- prüfen (Abb. 6/2).60 Die Sondage bestätigte den anhand der geoelektrischen Anomalien vermuteten Verlauf des Weges. Unter dem Rasen fand sich ein Weg aus Ruinenschutt, der in die Zeit vor der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts datiert wurde. Darunter wurde eine ältere Konstruktion entdeckt, die aus einem 3,5 m breiten, steingepflasterten Streifen be- stand, der alle 2,2 m bis 2,3 m durch querende Kanäle (Breite 0,20 m/0,50 m, Tiefe 0,15 m) unterteilt wurde. In diesen Ka- nälen befanden sich Holzreste. Laut der Ausgräberin ist die- Abb. 9: Kartause Seitz. Ehemalige Ecclesia maior. Mittelalterlicher Estrichbo- ses Objekt mit einem Holzlager in Verbindung zu bringen, den vor der Westfassade der Kirche (Aufnahme 2014). von dem die Einwohner aus der Umgebung berichtet hatten. Allem Anschein nach stammen alle ausgegrabenen Struktu- Die gewonnenen Informationen werden jedoch bei einer ren erst aus der Zeit nach der Auflösung der Kartause. Ob die genaueren Auswertung der schon vorhandenen Georadar- vermutliche Parzellierung tatsächlich dem barocken Kloster- daten und der Planung weiterer Forschungen im Rahmen garten zuzurechnen ist, bleibt offen.61 der bevorstehenden Restaurierung und Präsentation des Kirchenbaus sehr hilfreich sein. Archäologische Forschungen im Unteren Der grosse Kreuzgang Haus in Špitalicˇ

Im Hof des großen Kreuzgangs sowie im Bereich südlich Der einzige erhaltene Baukörper des Unteren Hauses der und südwestlich von diesem wurden im Jahr 2000 eine Ver- Kartause Seitz ist die ehemalige Ecclesia minor, die heutige messung mit Georadar und eine geoelektrische Kartierung Pfarrkirche Mariä Heimsuchung (Abb. 10). Der einschiffige durchgeführt (Abb. 6/E, 7).58 Baureste wurden in einer Tiefe Bau besitzt einen etwas schmäleren, gerade abgeschlosse- von 0,30 m bis 0,80 m dokumentiert. Neben den Mauern nen Chor mit betontem Triumphbogen. Sowohl der Chor des Kreuzgangs selbst wurden viele andere Räumlichkei- als auch das Schiff sind gewölbt; das Kreuzrippengewölbe ten erkannt, die aber noch nicht näher interpretiert werden wird außen von einfachen Strebepfeilern gestützt. Die Kir- konnten. Besonders interessant ist ein größerer quadra- che wurde in qualitätvollem Quadermauerwerk erbaut und tischer Raum im Südwesten des untersuchten Areals, der reich mit Architekturplastik ausgestattet, die stilkundlich wahrscheinlich eine Bodenpflasterung aufweist. Im Hof des der Spätromanik bis Frühgotik zugeordnet wird. Im Ver- Kreuzgangs wurde ein Netzwerk schwacher linearer Ano- gleich zur Ecclesia maior zeigt sich die Brüderkirche als deut- malien aufgefunden, die vorläufig als Gartenpfade gedeutet lich prachtvoller und stilistisch fortgeschrittener. Besonders werden. auffällig ist das dreifach gestufte Hauptportal62 mit je drei eingestellten Säulen und einem rundbogigen Tympanon Der Klostergarten mit Reliefdarstellung des Agnus Dei. Die Säulen an der lin- ken Seite zeigen reich verzierte Blattkapitelle, während die- Im Jahr 2000 wurde der Bereich der ehemaligen Gartenan- jenigen an der rechten Seite kelchförmige Knospenkapitelle lage östlich der Kartause untersucht. tragen, die auch an dem Südportal, den Triumphbogensäu- Zunächst wurde eine geophysikalische Vermessung auf len und den Gewändesäulen der Sedilien im Altarraum vor- einer Fläche von ca. 0,5 ha ausgeführt (Abb. 6/F, 7).59 In der kommen. Mitte des untersuchten Areals wurde ein gepflasterter Weg erkannt, der ungefähr rechtwinklig zur Umfassungsmauer der Kartause verlief. Nördlich davon wurden die Ruinen 60 Die west liche Sondage (5 × 5 m) wurde wegen des zu groben Ruinen- eines kleineren Objekts festgestellt; wahrscheinlich handelt schutts bald aufgegeben, während die öst liche erfolgreich ausgegraben es sich um die teilweise noch im Gelände sichtbaren Reste wurde. Ihre Fläche betrug zuerst ebenfalls 5 × 5 m, später wurde sie im des ehemaligen Gewächshauses. Am öst lichen Rand der Südteil gegen Osten und Westen um je 2 m verlängert, erreichte also insgesamt 9 m Länge; siehe Mirković 2001. 61 Heute wird in diesem Bereich ein neuer ›Klostergarten‹ angelegt, der aber von der historischen Gartenanlage abweicht, da er den Verlauf des Weges aus der Zeit nach der Auflösung der Kartause als Hauptachse 58 Mušič 2001a. heranzieht. 59 Dabei wurden verschiedene geophysikalische Methoden angewandt. Vgl. 62 Es befindet sich nicht mehr in Originalposition: 1834 bis 1837 wurde es in Mušič 2000; Mušič 2001a; Mušič 2001b. die Westwand des neu erbauten Kirchturms eingebaut.

FÖTag 4, 2016 71 Katarina Predovnik, Danijela Brišnik und Miha Murko

Abb. 10: ŠpitaliCˇ. Ehemalige Ecclesia minor der Kartause Seitz (Aufnahme 2008).

Lange Zeit wurde vermutet, dass die Brüderkirche gleich- damals weggeschafft und beim Bau des Kirchturms wie- zeitig mit der Mönchskirche erbaut und ebenso um 1190 derverwendet.67 Viele Baureste wurden zwischen 1957 und eingeweiht wurde63, was aber jüngst infrage gestellt wurde. 1978 bei verschiedenen Bodeneingriffen im Rahmen von Mija Oter Gorenčič vermutet anhand neuerer Baubefunde Elektrifizierung und Verlegung von Wasserleitungen sowie und der stilkund lichen Auswertung64 eine Zweiphasigkeit beim Ausgraben der Gräber im Friedhof und der Instandset- der Kirche, wobei sie die frühgotische Architekturplastik in zung der Friedhofsmauer entdeckt. Der damalige Pfarrer zu die ersten Jahre des 13. Jahrhunderts datiert. Ihrer Meinung Špitalič, der Historiker Ivan Zelko, hat diese Befunde ausführ- nach haben die französischen Baumeister, welche beim Bau lich beschrieben und versucht, sie zu lokalisieren und einen des Oberen Hauses und der Ecclesia maior tätig waren, auch Situationsplan zu erstellen (Abb. 11).68 den Bau der Ecclesia minor begonnen oder wenigstens an- Zwischen 1965 und 1976 wurden unter dem heutigen geregt. Die Bauarbeiten an der Brüderkirche wurden dann Pfarrhaus sowie südlich und westlich davon Reste eines gro- für einige Jahre gestoppt, vielleicht wegen des Todes Otto- ßen Hauses von über 20 m Länge entdeckt. Das Haus war kars IV. von Traungau im Jahr 1192, da seine Unterstützung mit einem rot glasierten (bemalten?) Estrichboden versehen, für den Ausbau der Kartause entscheidend war. Erst nach der in einer Tiefe von 0,40 m bis 0,70 m unter der Oberfläche 1200 wurde der Bau der Ecclesia minor weitergeführt und erhalten war. Auf dem Fußboden fanden sich im Westteil vollendet, wahrscheinlich mit Unterstützung des Herzogs Ofenkachel- und Gefäßscherben sowie Baumaterialien wie Leopold VI. von Babenberg.65 Schiefer, Ziegel und Glasscherben. In diesem Bereich gab es Die anderen Teile des ehemaligen Baukomplexes des auch eindeutige Brandspuren. Anhand der Verteilung der Unteren Hauses in Špitalič sind fast spurlos verschwunden. Baureste zog Ivan Zelko den Schluss, dass dieses Gebäude Seitdem das Brüderhaus im 15. Jahrhundert verlassen wurde, ein Obergeschoß aufgewiesen hatte. Angesichts dessen sind alle Bauten mit Ausnahme der Kirche abgebaut wor- Größe und Ausstattung glaubte er zudem, dass es sich um den.66 Im Gelände ist keine Spur mehr davon zu erkennen, das ehemalige Hospital gehandelt habe. obwohl noch 1834 der damalige Pfarrer über »breite Ruinen« Im Gebiet südlich des Pfarrhofs und westlich der Kirche rund um die Kirche berichtete. Ganze Steinhaufen wurden wurden 1965 mehrere Mauerreste entdeckt, darunter einige mit teilweise erhaltenem Wandpflaster und ein mit Stein- platten bedeckter Entwässerungskanal, der in Richtung des

63 Stegenšek 1909, 175. – Zadnikar 1972, 240. Baches Žičnica verlief. Der Auslauf wurde einige Meter west- 64 Das Südportal mit frühgotischen Knospenkapitellen wurde an dieser lich der Brücke gefunden. Stelle sekundär eingebaut, wobei ein romanisch gestaltetes Rundbogen- Im Friedhof nördlich und östlich der Kirche kommen fenster teilweise überdeckt wurde. Auch an der Nordwand der Kirche immer wieder Mauerreste sowie romanische und gotische wurde nach der Entfernung des Wandpflasters eine zugemauerte Türöff- nung entdeckt, die aber mit dem Südportal nicht übereinstimmt. Architekturplastik zutage. Deswegen vermutete Zelko in 65 Oter Gorenčič 2009, 292–328. diesem Gebiet den Kreuzgang sowie eine gotische Kapelle 66 Einige Zeit blieb noch das dortige Hospital im Gebrauch, nach dem die spätere Ortschaft benannt wurde, wie es schon 1579 belegt ist (»die Kirche unterhalb des klosters Seiz, Spital genant«). Im Jahr 1610 lebten dort drei Familien. Bald danach (1627) durfte sich ein Steinmetz, der im Oberen Haus Bauarbeiten verrichtete, das nötige Baumaterial aus dem »Steinbruch« unter der Marienkirche zu Špitalič beschaffen; höchstwahr- 67 Zelko 1984, 67, 78. scheinlich handelte es sich um die Ruinen des ehemaligen Brüderhauses. 68 Zelko 1970. – Zelko 1984, 69–89. – Die folgende kurze Darstellung basiert Vgl. Mlinarič 1991, 384–385, 409, 503; Oter Gorenčič 2009, 290–291. auf seinen Ausführungen.

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Abb. 11: ŠpitaliCˇ. Ehemalige Domus inferior der Kartause Seitz. Situationsplan der in den 1960er- und 1970er-Jahren aufgefundenen Baureste sowie Ergebnisse der geoelektrischen Kartierung von 1998.69 beziehungsweise ein Oratorium direkt nördlich der 1843 er- manischen Truppen, der um 1491 stattfand.71 Bislang gibt es bauten Sakristei.69 aber keinen Beleg dafür, dass alle in Špitalič dokumentierten Auf dem Feld südlich der Kirche sind Bauern beim Ackern Brandspuren gleichzeitig sind, und noch weniger dafür, dass schon mehrmals auf Mauerreste gestoßen. Unter anderem sie aus dem späten 15. Jahrhundert stammen. wurde im Jahr 1978 18,50 m südlich des Kirchenchors ein In Špitalič sind bis dato keine archäologischen Ausgra- quadratischer, aus Stein gemauerter Schacht von 2 × 2 m bungen durchgeführt worden, obwohl das Potenzial für Größe und 2,60 m Tiefe gefunden, wahrscheinlich ein Brun- eine systematische Erforschung der ehemaligen Klosteran- nenschacht. Noch weiter südlich und östlich davon zeigten lage ohne Zweifel sehr beträchtlich ist. Da die Unteren Häu- sich infolge einer außergewöhnlichen Dürre im Juli 1976 ser von Kartausen europaweit ein eher schlecht bekanntes mehrere Bauten in Form von Bewuchsspuren. Diese wurden und wenig untersuchtes Phänomen sind, wäre ein gezieltes, teilweise überprüft – mit einer Probestange wurde nach umfangreiches Forschungsprogramm sehr wünschenswert. Mauern gesucht – und dokumentiert. Zelko meinte, dass diese in zwei Reihen um einen Hof verlaufenden Bautrakte die Wohnräume der Konversen beinhalteten. Die genaue Re- Eine Kartäuserlandschaft konstruktion der Anlage ist jedoch unklar und somit bleibt die Frage offen, ob das Untere Haus einen großen Kreuzgang Im Žičnica-Tal sind die wichtigsten Züge der ehemaligen Kar- mit individuellen Häuschen für die Brüder besessen hat oder täuserlandschaft erhalten. Sie blieb bis heute nur spärlich nicht. besiedelt, besonders das Gebiet zwischen dem ehemaligen Südlich der heutigen Mesnerei, also südwestlich der Kir- Oberen und Unteren Haus in Špitalič hat sein historisches che, wurden 1965 am Ufer der Žičnica Mauerreste im Aus- Bild weitgehend erhalten. maß von 28 × 7 m gefunden. Die Mauerstärken betrugen Eine Kartause umfasst eigentlich nicht nur den Baukom- 1,20 m, 0,80 m und 0,50 m. Etwas nördlich davon wurden plex des Klosters beziehungsweise im Mittelalter der zwei 1967 zwei Mühlsteine mit Brandspuren entdeckt. Dieser Bau getrennten Klosteranlagen für die Mönche und Brüder, son- ist also als eine Mühle zu deuten, die bei einem Schadfeuer dern sie ist eine »Wüste«, eine heilige Einöde, eine abgeson- untergegangen ist. Dasselbe Gebäude wurde offenbar bei derte, dem spirituellen Leben unterstellte und angepasste einer geoelektrischen Kartierung des Gebiets westlich der Landschaft.72 Innerhalb dieser Einöde entfaltet sich das Kirche im Jahr 1998 erschlossen (Abb. 11).70 Leben der Ordensgemeinschaft und sie muss von der Au- Auf einem großen Teil des beschriebenen Gebiets wurden ßenwelt streng abgegrenzt sein. Die Ordensregel aus dem Brandspuren erkannt. Zelko zog daraus den Schluss, dass Jahr 1227 verordnet, dass die Mönche außerhalb ihrer Wüste das ehemalige Untere Haus in einem Brand untergegangen keine Besitzungen haben dürfen (»extra suae terminos he- war, worauf die Anlage verlassen worden und die Brüder ins Obere Haus übersiedelt waren. Seiner Meinung nach ge- schah dies höchstwahrscheinlich bei einem Angriff von os- 71 Zelko 1984, 76 weist auf den Bericht von Paolo Santonino über seinen Aufenthalt in der Kartause Seitz im Jahr 1487 hin. Dort werden die Kon- versen nicht einmal erwähnt, was vielleicht ein Beleg dafür ist, dass sie damals noch getrennt im Unteren Haus lebten. Um 1491 wurde die Kar- tause von osmanischen Truppen angegriffen; der Prior und zwei Mönche wurden entführt. Bei diesem Anlass könnte das Untere Haus zerstört worden und aus Sicherheitsgründen die Übersiedlung der Brüder ins 69 Der Situationsplan ist sehr fehlerhaft, weshalb er nicht korrigiert und Obere Haus erfolgt sein. auch nicht georeferenziert, sondern einfach über das digitale Orthofoto 72 Mehr zu diesem Konzept und zur Klosterlandschaft der Kartause Seitz gelegt wurde. in: Predovnik 1997; Predovnik 1998. – Als die eigent liche Wüste galt im 70 Die Prospektion wurde von der Abteilung für Archäologie der Philosophi- Fall der Kartause Seitz nur das zur Gründungszeit erhaltene Kerngebiet schen Fakultät der Universität Ljubljana durchgeführt (Leitung: Branko des Žičnica-Tals zwischen Sojek und Sotensko und beiderseits bis auf die Mušič). Bergkämme hinauf.

FÖTag 4, 2016 73 Katarina Predovnik, Danijela Brišnik und Miha Murko

remi nihil omnino possideant«). Diese Regel wurde bald nicht Eine Sägewerkstatt befand sich zwischen der Kartause und mehr eingehalten und so haben sich bis zum 14. Jahrhundert Špitalič, eine andere stand direkt vor dem Eingang in die Tal- andere Begrenzungen durchgesetzt, nämlich die sogenann- enge von Sotensko.78 Im späten 16. und frühen 17. Jahrhun- ten »Termini possesionum«, die ein größeres Territorium dert war auch eine Klosterziegelei tätig.79 Wie lange sie in Be- umfassten, innerhalb dessen Grenzen eine Kartause ihren trieb war, ist nicht bekannt, ihr vermutlicher Standort wurde Grundbesitz haben durfte, sowie die »Termini spatiamen- jedoch 1965 entdeckt. In Špitalič wurde damals nordöstlich torum« (auch »Termini monachorum«), in deren Bereich die der Kirche ein 4 m langer Stapel von Ziegeln ergraben. Er Mönche ihre Spaziergänge und gelegentlichen Aufgaben war mit einer 0,50 m starken Erdrutschschicht bedeckt. Ivan außerhalb des Klosters verrichten durften.73 Zelko meinte, dass an dieser Stelle die ehemalige Klosterzie- Um ein regelgerechtes, der Welt entzogenes Ordensle- gelei bestanden habe, da sich in der unmittelbaren Nähe des ben einhalten zu können, musste eine Kartause sehr effizi- Fundorts ausreichende Tonablagerungen befänden.80 ent verwaltet und wirtschaftlich weitgehend selbstständig Die Kartause verfügte ferner über ihre eigene Glashütte, sein. In der ehemaligen Wüste der Kartause Seitz wird diese deren Tätigkeit laut schrift lichen Dokumenten zumindest Raumordnung klar ersichtlich. Das Obere Haus als spirituel- für die Zeitspanne von 1641 bis 1756 belegt ist.81 Die Anlage les Zentrum der Kartause steht an einem schwer zugäng- bestand aus dem Hüttengebäude und einem Wohnhaus lichen Ort in natürlich geschützter Lage. Der Zugang durch (»domus vitriaria«) für die Glasmeister, Gesellen und ihre das Tal führte durch das 1,6 km entfernte Untere Haus, den Familien, obschon nicht alle Angestellten dort wohnten. wirtschaftlichen Brennpunkt der Kartause. Der Zugang ins Weiters gehörten noch ein Stall und eine eigene Mühle Tal war von allen Seiten natürlich geschützt – durch einen dazu. Die Hütte produzierte vor allem Waldglas; neben ver- Talpass im Westen (Sojek), eine Talenge (Sotensko) im Osten schiedenen Flaschen, Trinkgläsern und Apothekengefäßen und die steilen Hänge im Norden und Süden. befanden sich in ihren Beständen im Jahr 1730 auch 6.000 Das schmale Žičnica-Tal bot nur sehr begrenzte Möglich- Fensterglasscheiben.82 Die bescheidenen Reste der Seitzer keiten für die Agrarwirtschaft, weswegen die nach 1182 er- Glashütte waren in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts worbenen Besitzungen außerhalb des Tals für den Bestand noch zu erkennen. Ivan Zelko berichtete, dass eine etwa 1 km und eine erfolgreiche Entwicklung der Kartause entschei- östlich der Kirche in Špitalič am rechten Ufer des Baches dend waren. Innerhalb der Wüste befanden sich mehrere Žičnica liegende Ackerflur »Glažuta« (abgeleitet von Glas- Meierhöfe in Kumno, Škedenj und südlich des Gasthauses hütte) genannt wird. Dort befanden sich Mauerreste und an der Straße nach Dramlje; weiters gab es im bis 1207 er- auch Glasscherben sollen in diesem Acker zu finden sein.83 worbenen Kerngebiet noch je einen Meierhof in Suhadol74 Das Wohngebäude der Glashütte sollte aber etwas höher und in Žiče75. Inwieweit die Meierhöfe auf verschiedene Tä- am Berg gelegen sein, vermutlich an der Stelle, wo heute der tigkeiten wie Getreideanbau, Viehzucht oder Weinbau spe- Bauernhof Plat (auch Na plati) steht.84 zialisiert waren, ist schwer zu beurteilen. Für den hohen Bedarf an Fisch haben die Mönche wenigs- tens in der Neuzeit mit eigenen Fischteichen vorgesorgt. Kartause Gairach Die vier Fischteiche entlang der Straße nach Špitalič, direkt neben der Kartause, bestanden schon im Jahr 1589.76 Ein wei- Die Reste der ehemaligen Kartause Gairach befinden sich terer Fischteich in der Nähe des Meierhofs von Kumno wird in einem schmalen Tal des Baches Gračnica südöstlich von Anfang des 19. Jahrhunderts als ehemaliger Klosterbesitz Celje, inmitten des Posavsko- beziehungsweise Kozjansko- erwähnt.77 Berglands. Der Talboden liegt auf ca. 320 m Seehöhe, wäh- Zudem gab es in der Neuzeit in der unmittelbaren Um- rend die umliegenden Bergspitzen zumeist über 700 m gebung der Kartause auch mehrere Handwerksbetriebe. Seehöhe erreichen. Die Lage war – der Raumlogik der Kar- täuser gemäß – verkehrsmäßig gut gewählt; das Tal war bis Ende des 19. Jahrhunderts von Westen – also aus Richtung Celje und Sanntal – nur schwer zu erreichen. Der Zugang 73 Im Fall der Kartause Seitz umfassten die Termini possessionum das von Osten war zwar einfacher, doch erstreckt sich in dieser Gebiet zwischen den Flüssen Drau (von Počehova bis Ptuj), Voglajna und Savinja, dann weiter bis Vitanje und über die Bachergebirge wieder an Richtung das Bergland von Kozjansko, wo es keine größe- die Drau (Mlinarič 1991, 56–57). ren Siedlungsagglomerationen und auch keine wichtigen 74 Suhadol ist eine Streusiedlung, deren Einzelhöfe in einem Hochtal Durchfahrtsstraßen gab und gibt. Wichtig ist jedoch, dass zwischen Škedenj und Žiče verstreut sind. Ein Hof in Suhadol ist zumin- dest seit 1589 belegt, als der damalige Oberverwalter der Kartausen Seitz und Gairach, Otolino Scazuola, dort wohnte (Mlinarič 1991, 327). Die genaue Lage dieses Wirtschaftshofes entspricht wahrscheinlich jener des Bauernhofs Suhadol Nr. 15, der traditionell mit dem Vulgo-Namen 78 Zelko 1984, 46. »Grajski« (die von der Burg) bezeichnet wird. Im Jahr 2005 wurde dort 79 Vor 1570 wurden die Ziegel noch aus Slovenska Bistrica (Windisch Feist- bei Bauarbeiten im Hinterhof eine Fundamentmauer von ca. 1 m Breite riz) angeschafft, für das Jahr 1605 ist aber ein »filius lateristae in Monaste- angegraben und teilweise zerstört; auch früher sollen alte Mauern im rio Saitz« belegt. Vgl. Stegenšek 1909, 248; Zelko 1984, 89. Boden aufgefunden worden sein. Vgl. Firšt 2005. 80 Zelko 1984, 89–90. 75 Zelko 1984, 45–46. 81 Minařik 1966, 65–76. – Zelko 1984, 101–107. – Mlinarič 1991, 507–510. – 76 Mlinarič 1991, 317. – Diese Fischteiche wurden im Jahr 2003 mit Georadar Die Herstellung von Pottasche ist jedoch schon früher bezeugt, da 1543 in untersucht, um das Vorhandensein von Kanälen, etwaigen Barrieren der Gülteinlage der Kartause unter Einkommen aus den Wäldern auch 81 zwischen den Zuchtbecken und Ähn lichem aufzuspüren. Die Prospektion Fuhren Salz (Pottasche?) aufgelistet werden. Laut einigen Angaben soll wurde von der Firma Geoinženiring d.o.o. durchgeführt (Leitung: Marjeta es tatsächlich noch eine zweite, »alte« Glashütte geben, und zwar auf Car). Die aufgeschütteten Bereiche zwischen den einzelnen Teichen dem Berg Konjiška gora oberhalb des Oberen Hauses der Kartause; siehe wurden ebenfalls gemessen, die Ergebnisse waren jedoch unklar. Nur die Mlinarič 1991, 253, 507 mit Anm. 2 und 3. Lehmschichten der einstigen Teichböden wurden einigermaßen sicher 82 Mlinarič 1991, 508. in einer Tiefe von 1,1 m bis 3 m erkannt; vielleicht waren sie mit hölzernen 83 Zelko 1970, 73. – Später wurde diese Anlage in eine Mühle umgewan- oder aus Lehm erbauten Barrieren versehen. Vgl. Car und Štiglic 2003a; delt. Die Angaben konnten vor Ort nicht überprüft werden. Siehe auch Car und Štiglic 2003b. Minařik 1966, 75; Zelko 1984, 98–101. 77 Zelko 1984, 43. 84 Zelko 1984, 100–101. – Mlinarič 1991, 507.

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sich das Tal in etwa 1,5 km Luftlinie nordöstlich von Jurklošter ten könnten. Marof (auch Pristavica), wo sich übrigens auch ausbreitet und es dort in der Umgebung von Mrzlo Polje und ein Fischteich befindet, ist aber im 16. Jahrhundert eindeutig Marijina vas für die Agrarwirtschaft geeignetes Land gibt. als ein Meierhof des Klosters belegt.89 Die neue Ordenskirche wurde am 7. November 1227 dem hl. Mauritius geweiht. Im selben Jahr kaufte Herzog Leo- Geschichte pold VI. dem Bistum Gurk noch die ehemaligen Kartäuserbe- sitzungen südlich von Gračnica mitsamt Marijina vas ab und Die erste Gründung der Kartause Gairach erfolgte um 1170, schenkte sie dem Konvent anlässlich der Kirchenweihe.90 sehr bald nach der Gründung der Kartause Seitz.85 Der Stif- Die neue Gründung war viel erfolgreicher als die erste. ter war Bischof Heinrich I. von Gurk (1167–1174), welcher Das Kloster erfreute sich in den folgenden drei Jahrhunder- einen eher bescheidenen Teil des umfangreichen Besitzes ten einer Reihe welt licher und kirch licher Wohltäter, die für seiner Diözese in der Untersteiermark für das neue Kloster eine ausreichende wirtschaftliche Grundlage des Klosterle- bestimmte. Der Grundbesitz reichte nicht aus und das Or- bens sorgten.91 Unter ihnen waren Ulrich I., Bischof von Gurk, densleben konnte nicht aufrechterhalten werden, weshalb Herzog Bernhard von Spanheim, seine Söhne Ulrich III. und die Kartause schon 1199 nach Entschluss des Generalkapitels Philipp, Erzbischof von Salzburg, sowie später vor allem die aufgelöst wurde. Grafen von Cilli, Hermann I., Hermann II. und Friedrich II. Vor Über den Besitz, die genaue Lage und die Bebauung der 1373 ließen die Cillier, wohl Hermann I. selbst, eine Kapelle Kartause Gairach im 12. Jahrhundert ist fast nichts bekannt. am Klosterfriedhof von Gairach erbauen; wahrscheinlich Es bleibt unklar, ob sie schon damals auf demselben Ort er- handelte es sich um die Friedhofskapelle im Hof des gro- baut wurde wie die spätere Anlage, da sich diese Stelle in- ßen Kreuzgangs, die heute nicht mehr steht. Katharina, die nerhalb der Traungauer Herrschaft Laško/Tüffer befand.86 Es Witwe Hermanns I., stiftete 1401 einen Altar im Kreuzgang, ist also wohl möglich, dass die ursprüng liche Domus maior während Friedrich II. seine Frau Veronika von Dessnitz einige etwas weiter nordöstlich davon stand. Die Domus minor be- Jahre nach ihrem Tod, wahrscheinlich im Jahr 1428, in diesem fand sich vermutlich im Bereich der Streusiedlung Marijina Kloster bestatten ließ.92 vas/Mariendorf, etwa 2 km östlich von Jurklošter. Der Orts- 1471 wurde die Kartause Gairach von osmanischen Trup- name ist wahrscheinlich aus dem – für die Kartäuser üb- pen heimgesucht und verwüstet. Deswegen suchte 1476 lichen – Marienpatrozinium der Konversenkapelle abgelei- der damalige Prior beim Generalkapitel des Ordens für die tet. Nach der Auflösung der Kartause gründete die Diözese Mönche um die Erlaubnis an, im Fall der Gefahr das Kloster Gurk im ehemaligen Unteren Haus ein Chorherrenstift; die verlassen zu dürfen.93 dortige Propstei bestand bis kurz nach 1223. Baureste oder Die Krisenzeit des 16. Jahrhunderts brachte auch für andere archäologisch fassbare Spuren sind unbekannt. Gairach den Zerfall der Ordensdisziplin. Die Inspektions- Die Neugründung der Kartause Gairach erfolgte im Jahr kommission des Erzherzogs Karl II. von Habsburg stellte bei 1209. Der neue Stifter war Herzog Leopold VI. von Baben- ihrem Besuch vom 10. bis 14. Juni 1569 fest, dass es in Gairach berg. Die Babenberger waren als Herzöge von Steiermark keine Kartäusermönche mehr gab. Alles war verlassen, die und Erben der Traungauer seit 1192 im Besitz der Herrschaft Wirtschaftsanlagen – darunter sechs Fischteiche – waren Laško. Leopold VI. kaufte dem Bistum Gurk etwas Land nörd- leer und dem Verfall übergeben. Auf dem Meierhof in Marof lich von Jurklošter ab und fügte es dem für die Kartause aus- gab es damals nur noch wenig Vieh. Im Jahr 1593 übernahm gesonderten Grundbesitz der Herrschaft Laško hinzu. Somit der Jesuitenorden für kurze Zeit die Kartause. Schließlich verschob sich der territoriale Schwerpunkt der Kartause Gai- wurde laut einem Vertrag zwischen dem Kartäuserorden rach deutlich nach Westen, was aufgrund der Beschreibung und dem Erzherzog Ferdinand beschlossen, Gairach dem Je- der Grenzen in der erhaltenen Gründungsurkunde vom suitenkolleg in Graz zu überlassen. Dies geschah 1595, und 9. September 1209 klar zu erkennen ist.87 Das Gebiet um Ma- bis zur Auflösung des Jesuitenordens in 1773 blieb die ehe- rijina vas war nämlich zu dieser Zeit noch fest in den Händen malige Kartause in dessen Händen.94 der Gurker Chorherren. Die Klosteranlage wurde anschließend samt dem Grund- Das Obere Haus wurde diesmal sicherlich an der heuti- besitz zuerst vom steiermärkischen Studienfond und dann gen Stelle errichtet, während die Lage des neuen Unteren vom Staat verwaltet, bis sie letztendlich 1870 an Privatbesit- Hauses unbekannt ist. Als eine Möglichkeit kommt der zer verkauft wurde. 1780 bis 1796 wurden die zerfallenden 1,5 km nordöstlich der Hauptanlage gelegene Weiler Marof Klostergebäude mit Ausnahme der Kirche, des Nordteils des (Meierhof) in Betracht, als zweite die Stelle des heutigen Westtraktes und der Umfassungsmauer mit einem Eckturm Dorfes Jurklošter etwa 1 km südwestlich davon. Angesichts abgebaut. Direkt an die ehemalige Ordenskirche wurde des nach Westen verlegten Besitzschwerpunktes, welcher damals ein Herrenhaus angebaut und die Kirche selbst nun gegen Laško tendierte, scheint die zweite Möglichkeit teilweise umgebaut (Abb. 12).95 Diese Bauarbeiten führten ebenso glaubhaft zu sein.88 Bisher gibt es keine archäologi- wahrscheinlich dazu, dass der ganze Bereich aufgeschüt- schen oder historischen Angaben, die diese Frage beantwor-

89 Mlinarič 1991, 264, 297. 85 Die Gründungsurkunde ist zwar nicht erhalten, Papst Alexander III. 90 Mlinarič 1991, 123–125. (1159–1181) hat sie aber im Jahr 1173 oder 1174 bestätigt und die Kartause 91 Mlinarič 1991, 109–134, 173–175, 218–232. unter seine Obhut gestellt. Zur Geschichte der Kartause Gairach siehe: 92 Veronika starb 1425 und wurde zunächst in Braslovče nahe der alten Mlinarič 1991; Rybář 2000. Cillier-Stammburg Žovnek (Sannegg) begraben. Ihr Leichnam wurde 86 Wenigstens war es so zur Zeit der zweiten Gründung, als die Babenber- später nach Gairach übertragen und dort entweder in der Friedhofska- ger die Herrschaft Laško innehatten (Rybář 2000, 38). Eine Kontinuität pelle oder im Kreuzgang vor dem »Cillier-Altar« bestattet. Zur Frage ihres der Lage vermutet andererseits Oter Gorenčič 2009, 79, 82–83; siehe Bestattungsorts innerhalb des Klosters siehe Mlinarič 1991, 224. auch Oter Gorenčič 2013, 52–54. 93 Mlinarič 1991, 190. 87 Mlinarič 1991, 118–120. 94 Mlinarič 1991, 287–345. – Rybář 2000, 57. 88 Zadnikar 1972, 268–270. 95 Rybář 2000, 66. – Siehe auch Zadnikar 1972, 271.

FÖTag 4, 2016 75 Katarina Predovnik, Danijela Brišnik und Miha Murko

Abb. 12: Kartause Gairach (Ansicht von Süden, 2012). tet und damit das Begehungsniveau außerhalb der Kirche welches aus dem kleinen Kreuzgang in die Kirche führte. An deutlich erhöht wurde. Weitere Umbaueingriffe folgten im der Außenseite dieser Wand konnte die ursprüng liche Bau- 19. Jahrhundert, besonders nach der Gründung der Pfarre weise dokumentiert werden: Das Mauerwerk war steinsich- in Jurklošter 1856 und wieder 1891, als die Kirche erneuert tig und mit plastischen Ritzfugen versehen. und neuromanisch ausgestattet wurde. Unter anderem Beiderseits des ehemaligen Chors stehen zwei viereckige wurde der Boden innerhalb des Kirchenbaus erhöht, um ihn Räume und alle bilden zusammen gegen Osten einen gera- dem schon früher angeschütteten Boden außerhalb dessel- den Abschluss, wie es bei den frühen Kartausen üblich war. ben besser anzupassen. Zur Zeit der Pfarrgründung wurde Der nördliche Raum wird als die einstige Sakristei, der süd- direkt östlich des Klosterareals auch ein neuer Friedhof an- liche als Kapitelsaal gedeutet. Beide wurden im 19. Jahrhun- gelegt.96 dert umgebaut und erhöht, sind aber im Erdgeschoß noch 1944 brannte das Herrenhaus nieder. In den 1960er-Jah- mittelalterlich, ebenso wie der längliche, tonnengewölbte ren wurde der südwest liche Teil des Komplexes abgebaut Raum im Westtrakt südlich der Kirche mit plastischen Ritz- und das Gelände eingeebnet. Nur der Nordteil mitsamt der fugen, welcher als ehemaliges Refektorium gedeutet wird. Kirche wurde erneuert. Neben den romanischen blieben auch mehrere (spät) gotische Bauelemente erhalten. So wurde in der Ostwand des ehemaligen Kapitelsaals ein sekundär eingebautes go- Erhaltene Bauten tisches Fenster und im Inneren desselben Raums eine goti- sche Wandnische entdeckt. Die Kirche selbst war mit einem Die erhaltenen Baureste lassen den Umfang der ehemaligen oktogonalen Dachreiter und einer Westempore im goti- Klosteranlage erkennen. Sie hatte einen viereckigen Grund- schen Stil ausgestattet. riss mit Ausmaßen von ca. 130 × 75 m. Am besten ist die im Kern noch romanische Kirche er- halten geblieben. Der einschiffige Bau hatte einen geraden Archäologische Forschungen Chorschluss.97 Das Langhaus und der etwas schmälere Chor sind beide mit einem Kreuzrippengewölbe versehen.98 Die Als erste Forschungsgrabung in der Kartause Gairach darf Rippen sind im Querschnitt quadratisch, die Gewölbefelder wohl die Suche nach dem Grab Veronikas von Dessnitz er- durch Gurtbögen getrennt. Im oberen Teil der Südwand sind wähnt werden. Bei der Renovierung der Kirche im Rahmen noch zwei zugemauerte romanische Fenster erhalten, unten der Pfarrgründung 1856 wurde auch der Bodenbelag ersetzt. ein ebenso vermauertes romanisches Rundbogenportal, Auf Wunsch des damaligen Bischofs von Lavant Anton Mar- tin Slomšek wurde bei diesem Anlass nach Veronikas Grab gesucht, selbstverständlich ohne Erfolg, da eine Laiin nicht 96 Zadnikar 1972, 275–278. – Rybář 2000, 66. innerhalb der Kartäuserkirche bestattet werden durfte. Eine 97 Im 19. Jahrhundert wurde der Triumphbogen mit einer Trennwand zweite Suche fand 1937 statt, als innerhalb der Kirche zwei verschlossen und damit das Langhaus, das heute noch als Kirche genutzt wird, vom ehemaligen Chor getrennt. Zur Beschreibung der erhaltenen Grüfte geöffnet wurden: eine vor dem Hauptaltar, die zweite mittelalter lichen Bauten siehe Zadnikar 1972, 274–288. neben dem Seiteneingang. Zwar wurden Skelettreste meh- 98 Da der gewölbte Kirchenbau keine Strebepfeiler besaß, wird vermutet, rerer Individuen gefunden, doch konnten die Grüfte wegen dass er ursprünglich eine Holzdecke aufwies. M. Oter Gorenčič meint, dass die Kirche eigentlich schon in der ersten Gründungsphase erbaut des Grundwassers nicht komplett untersucht werden. Die und dem hl. Johannes dem Täufer gewidmet wurde, während die Ge- zwei Deckplatten mit Grabinschriften wurden damals ent- wölbe zur Zeit der Neugründung (also 1209 bis 1227) eingesetzt wurden, fernt und sekundär als Gedenktafeln für die Gefallenen des wobei wegen der ausreichenden Mauerstärke des bestehenden Baus auf Ersten Weltkriegs verwendet. Wahrscheinlich handelte es die Strebepfeiler verzichtet wurde. Vgl. Oter Gorenčič 2009, 79, 82–83; Oter Gorenčič 2013, 52–54. sich um dieselben zwei Grabplatten aus dem 18. Jahrhun-

76 FÖTag 4, 2016 Archäologische Forschungen zu Kartausen in Slowenien

Abb. 13: Kartause Gairach. Geo- radarmessung 2008. Horizontal- schnitte von Georadarreflexionen in einer Tiefe von 1 m bis 1,5 m unter der heutigen Gelände- oberfläche. Blaue Schraffur – Grabungsareal 2013. dert, die schon 1856 dokumentiert und von Ignacij Orožen einzelnen Mönchszellen ist klar ersichtlich. Drei Zellen im 1881 veröffentlicht worden waren.99 Osttrakt und mindestens fünf im Südtrakt sind besonders Seitdem gab es bis zum Anfang des 21. Jahrhunderts kei- gut erkennbar. Jedes Mönchshäuschen hatte einen fast qua- nen Versuch mehr, die unterirdisch erhaltenen materiellen dratischen Grundriss im Ausmaß von ca. 6–7,5 × 6–6,5 m und Überreste der ehemaligen Kartause zu erforschen. Nur das war durch einen ca. 1,5 m bis 2 m breiten Seitengang mit dem aufgehende Mauerwerk wurde dokumentiert und analy- Hintergarten verbunden. Innerhalb der östlichen Häuschen siert, wobei klar wurde, dass neben der Ordenskirche auch sind weitere Mauern vorhanden, was auf eine Innenraum- einige andere Bauten des ehemaligen zönobitischen Teils aufteilung schließen lässt. Der Hof des großen Kreuzgangs der Kartause teilweise erhalten sind. hatte eine Länge von ca. 64 m (von der Ostwand der Kirche Im Jahr 2008 wurde vom Denkmalamt Celje eine geo- aus gemessen) und eine Breite von ca. 24 m im Osten bis we- physikalische Prospektion des ganzen Areals der Kartause nigstens 29 m im Westen. Die Innenbreite des Kreuzgangs innerhalb der Umfassungsmauer beauftragt.100 Alle zugäng- betrug ca. 1,5 m. Die frei stehende Kapelle im Hof des großen lichen, meist mit Gras und einzelnen Bäumen bewachse- Kreuzgangs ist ein einfacher Baukörper mit einem quadra- nen Flächen wurden mit dem Georadar GSSI SIR3000 mit tischen Schiff und einem Fünfachtelschluss. Zumindest der 200-MHz-Antenne vermessen. Dabei zeigte sich, dass die Chor war gewölbt, da seine Ecken außen mit Strebepfeilern Mauerreste in einer Tiefe von 0,20 m bis 0,30 m – nur an eini- verstärkt sind. Im Chor ist wahrscheinlich noch das Altarfun- gen höher aufgeschütteten Stellen bis zu 0,50 m – beginnen dament erhalten. Höchstwahrscheinlich ist dieses gotische und generell bis 2,5 m, lokal sogar mehr als 3 m tief reichen. Bauwerk mit der Kapelle ident, welche die Grafen von Cilli Es ist also mit einem recht guten Erhaltungszustand der Ar- vor 1373 in Gairach gestiftet haben. chitektur zu rechnen. Die Resultate der Vermessung waren Wie die vermutlichen Quermauern und andere Baureste sehr gut, sind aber bisher noch nicht genau interpretiert und im Hof des großen Kreuzgangs sowie die Bauten südlich auch nicht veröffentlicht worden. davon zu deuten sind, bleibt bislang offen. Die Qualität der Das ganze Areal ist übersät mit Bauresten aus verschie- Georadarmessungen wird sicherlich noch eine genauere denen Bauphasen (Abb. 13). Südlich der Kirche liegen Reste Interpretation der Resultate als bisher ermöglichen und es von um einen Arkadenhof angelegten Bautrakten mit dich- sind noch weitere Prospektionen geplant. Ob es dadurch ter Innenraumaufteilung, welche als Herrenhof des späten möglich wird, die Hauptentwicklungsphasen des Komplexes 18. Jahrhunderts zu deuten sind. Östlich der Kirche und des (Kartause – Jesuiten – Herrenhof) klar zu differenzieren, ist teilweise erhaltenen kleinen Kreuzgangs erstreckt sich der jedoch fraglich. Was die evident der Kartause zugehörigen große Kreuzgang. Sein Grundriss mit der Friedhofskapelle Baustrukturen angeht, ist aufgrund der Georadarvermes- und einigen anderen Baustrukturen im Hof sowie mit den sung momentan nur eine Ausbauphase klar zu erkennen, über deren Datierung aber nicht einmal spekuliert werden kann. Im Sommer 2013 wurden wegen eines geplanten Anbaus 99 In einem Grab wurde 1755 Marie Franziska Khuen, Ehefrau des Richters an das Pristava (Meierhof, Gutshof) genannte Wirtschafts- Stephan Michael Khuen, begraben, während in dem anderen drei Söhne des Johannes Peter von Modersheim, Pfleger zu Gairach, beigesetzt gebäude südlich der ehemaligen Ordenskirche archäolo- wurden, welche 1702 einer Dysenterie-Epidemie erlagen. Vgl. Orožen 1881, 306–307; Rybář 2000, 49–50. 100 Die Vermessung wurde von der Firma Gearh d.o.o. ausgeführt (Leitung: Branko Mušič); siehe Mušič und Mori 2008.

FÖTag 4, 2016 77 Katarina Predovnik, Danijela Brišnik und Miha Murko

Abb. 15: Kartause Gairach. Ausgrabungen 2013. Steinmauern des Herrenhofs, darunter mittelalter liche Mauerreste (Aufnahme 2013).

Schlusswort Abb. 14: Kartause Gairach. Ausgrabungen 2013. Mittelalter liche Pfostenlö- cher im Ostteil des Grabungsareals (Aufnahme 2013). Abschließend kann man feststellen, dass die bisherigen ar- chäologischen Forschungen in den slowenischen Kartausen gische Grabungen unternommen.101 Dabei wurde eine 11 trotz reger Tätigkeit in den letzten 15 Jahren eher bescheiden × 15 m große Fläche untersucht (Abb. 13, blaue Schraffur), und unzureichend waren. Die verspätete Einbeziehung der wobei das gefundene Mauerwerk nicht entfernt, sondern Archäologie in die Erforschung der Kartausen ist einerseits im Boden belassen wurde. In diesem Bereich hatte schon die mit der zöger lichen Entwicklung der slowenischen Archäo- Georadarvermessung das Vorhandensein gemauerter Ob- logie des Mittelalters und der Neuzeit103, andererseits mit jekte aus mehreren Bauphasen gezeigt, obschon diejenigen der lange bestehenden Auffassung, dass die Bauforschung aus der Zeit nach dem Ende der Jesuitenherrschaft am bes- ohne Archäologie auskommen könne, zu begründen. Die ten ersichtlich waren. Beseitigung von Ruinenschutt und die Suche nach vergra- Die Ausgrabung erbrachte folgende Ergebnisse: Als erste benen Mauern, die vor Jahrzehnten im Rahmen der Konser- anthropogene Aktivität wurde die Einebnung des Geländes vierungs- und Restaurierungsarbeiten ohne jegliche Doku- erkannt. Die stratigraphisch früheste Besiedlungsphase ist mentation unter der Leitung von Kunsthistorikern oder gar durch mehrere Pfostenlöcher und größere Gruben belegt; ohne professionelle Beaufsichtigung stattfanden, können eigentlich wurden zwei oder gar drei Phasen solcher Objekte selbstverständlich nicht als Archäologie bezeichnet werden. dokumentiert (Abb. 14). Aufgrund der limitierten Grabungs- Die Lage hat sich zum Glück in den letzten Jahren geän- fläche und der dichten späteren Bebauung in Stein konnten dert. In den Kartausen Seitz und Gairach sind präventiv- und die Grundrisse der Holzbauten nicht rekonstruiert werden. rettungsarchäologische Forschungen zum integralen Be- Eine der größeren Gruben war mit Lehm verfüllt. Sie wurde standteil der laufenden denkmalpflegerischen Behandlung von einer Steinmauer überdeckt und nur ein schmaler, recht- geworden. So wichtig dies für die Planung der Renovierung winklig abgeschlossener Teil konnte dokumentiert werden. und Revitalisierung der Anlagen auch sein mag, reicht es Die vorläufige Interpretation lautet, dass diese Baureste doch nicht aus. Die endgültige Bearbeitung der erstellten aus dem späten 12. oder frühen 13. Jahrhundert stammen. archäologischen Dokumentation und besonders der Klein- Sie gehören entweder der ersten Kartäusersiedlung an oder funde in Bezug zu den stratigraphischen Kontexten sowie (beziehungsweise und) belegen den Beginn des Ausbaus eine umfassende Auswertung und Interpretation aller bis- der zweiten Kartause um 1209.102 Es folgten drei Phasen von her gewonnenen Ergebnisse stehen noch aus. Die archäo- Steinbauten, wahrscheinlich mittelalterlich und frühneu- logischen Daten wurden noch nicht veröffentlicht und sind zeitlich. Die dokumentierten Mauerteile waren zu kurz, um nur in schwer zugäng licher ›grauer Literatur‹ in Form vorläu- die Baugrundrisse rekonstruieren zu können. Darauf folg- figer Fachberichte erhältlich. ten die massiv ausgebauten und gut erhaltenen Reste des Die bisherigen Bodeneingriffe und Aufnahmen haben Herrenhofs aus dem späten 18. Jahrhundert, welche schon das Potenzial für eine gezielte, systematische archäologi- mit dem Georadar klar erfasst worden waren (Abb. 15). Zwei sche Erforschung der zwei Kartausen eindeutig bewiesen. Räume und ein Teil des Verbindungsgangs des ehemaligen Um nur die wichtigsten bisherigen Ergebnisse aufzuzählen: Südtrakts, unter denen zwei aus Stein erbaute Entwässe- die Entdeckung der mittelalterlichen Holzbauten, welche die rungskanäle verliefen, wurden ausgegraben. Das Gebäude bislang nur vermutete ›hölzerne Bauphase‹ in beiden Kar- wurde wenigstens einmal umgebaut, bis es schließlich nach tausen zu bestätigen scheinen; Einblicke in die komplexe dem Brand im Zweiten Weltkrieg niedergerissen und das stratigraphische Entwicklung der zwei Baukomplexe sowie Gelände eingeebnet wurde. wertvolle Angaben für die Rekonstruktion des ursprüng- lichen Aussehens der Ecclesia maior der Kartause Seitz; der mithilfe von Georadarmessungen erschlossene Grundriss der Kartause Gairach; die von Ivan Zelko dokumentierten 101 Die Ausgrabungen wurden von der Firma PJP d.o.o. durchgeführt (Lei- tung: Miha Murko); siehe Murko und Arh 2013. 102 Nur wenige Kleinfunde wurden aufgefunden. Die Auswertung ist noch nicht beendet, weshalb die Datierung der einzelnen stratigraphischen Kontexte und Phasen einigermaßen spekulativ ist. 103 Mehr dazu: Predovnik und Nabergoj 2010; Predovnik 2013.

78 FÖTag 4, 2016 Archäologische Forschungen zu Kartausen in Slowenien

Bodenfunde im Gebiet des ehemaligen Unteren Hauses der Hogg 1983: James Hogg, Appendix ad Tom. III Propaginis S. O. Cartusiensis Brit- ish Library London Add. Ms. 17090 Dom Georgius Schwengel I. Pars, Analecta Kartause Seitz in Špitalič und vieles mehr. cartusiana 90, Salzburg 1983. Eine Intensivierung und Vertiefung der archäologischen Krempuš 2007a: Robert Krempuš, Stare Slemene. Zgornji samostan Žičke kar- Tätigkeit im Sinn einer gezielten und geplanten Erforschung tuzije (EŠD 692). Spremljava vrtanja in opis ter arheološka interpretacija jeder wäre daher für die Zukunft sehr wünschenswert. Dabei vrtin [Stare Slemene. Oberes Haus der Kartause Seitz (EŠD 692). Begleitung] des Bohrens sowie Beschreibung und archäologische Interpretation der sollten vor allem folgende Fragen in Betracht gezogen wer- Bohrkerne], unpubl. Bericht, Celje 2007. den: Wie verlief die Bauentwicklung der einzelnen Teile der Krempuš 2007b: Robert Krempuš, Stare Slemene. Zgornji samostan Žičke kar- beiden Klosteranlagen? Sowohl in Seitz als auch in Gairach tuzije (EŠD 692). Poročilo arheološkega nadzora [Stare Slemene. Oberes Haus der Kartause Seitz (EŠD 692). Bericht über die archäologische Begleitung), liegt diese mit Ausnahme der stehenden Bauten noch voll- unpubl. Bericht, Celje 2007. kommen im Dunkeln. Wann wurden die zwei Kreuzgänge in Maierhofer u. a. 2009: Christiane Maierhofer, Jens Wöstmann, Matthias der heute sichtbaren Form in der Kartause Seitz beziehungs- Röllig, Christian Köpp und Kerstin Borchardt, Non-destructive testing weise in der Kartause Gairach erbaut? Wie waren der Hofbe- of walls and ground of the Carthusian Monastery at Žiče. In: Mateja Golež (Hrsg.), Revitalization of the Carthusian Monastery at Žiče, Ljubljana 2009, reich und der vermutliche Friedhof im großen Kreuzgang ge- 101–117. staltet, welche Bestattungsrituale waren üblich, wo, wie und Maisons 1919: Maisons de l’Ordre des Chartreux. Vues et notices IV, Montreuil- wann wurde überhaupt bestattet, gab es gesonderte Areale sur-mer-Tournai-Parkminster 1919. Mayer 1983: Erwin Mayer, Die Geschichte der Kartause Seitz, Analecta für Laienbestattungen (Frauen, Kinder)? Wie wurde die Was- cartusiana 104, Salzburg 1983. serversorgung und -entsorgung in verschiedenen Zeitepo- Minařik 1966: Franc Minařik, Pohorske steklarne [Die Glashütten von chen gelöst? Wie hat sich die materielle Kultur der Kartäuser Pohorje], Maribor 1966. Mirković 2000: Olivera Mirković durch die Jahrhunderte entwickelt? In welchem Zusammen- , Žička kartuzija 2000. Preliminarno poročilo [Kartause Seitz 2000. Vorbericht], unpubl. Bericht, o. O. 2000. hang stand sie mit der gleichzeitigen materiellen Kultur der Mirković 2001: Olivera Mirković, Vrt Žičke kartuzije. Preliminarno poročilo Laien? Wo genau befanden sich die zwei Häuser zur Zeit der [Der Garten von Kartause Seitz. Vorbericht], unpubl. Bericht, o. O. 2001. ersten Gründung der Kartause Gairach? Mlinarič 1982: Jože Mlinarič, Kartuzija Pleterje 1403–1595 [Kartause Plett- riach 1403–1595], Pleterje 1982. Ein wahrer archäologischer Schatz sind die offenbar noch Mlinarič 1991: Jože Mlinarič, Kartuziji Žiče in Jurklošter. Žička kartuzija ok. in beträchtlichem Ausmaß erhaltenen Reste des Unteren 1160–1782, Jurkloštrska kartuzija ok. 1170–1595 [Die Kartausen Seitz und Gai- Hauses der Kartause Seitz in Špitalič; ihre Erforschung würde rach. Kartause Seitz ca. 1160–1782, Kartause Gairach ca. 1170–1595], Maribor einen wichtigen Beitrag zu einem generell nur schlecht er- 1991. Murko und Arh 2013: Miha Murko und Monika Arh, Poročilo o arheoloških forschten Thema leisten. Und schließlich soll noch ein wei- izkopavanjih na območju predvidene gradnje zahodnega prizidka pristave v teres Forschungsthema erwähnt werden, das in der Vergan- Jurkloštru [Bericht über die archäologischen Ausgrabungen im Bereich des genheit zwar schon angesprochen, jedoch noch lange nicht geplanten Westanbaus an die Meierei in Jurklošter], unpubl. Bericht, Slovens- ka Bistrica 2013. ausreichend bearbeitet worden ist, und zwar die Erkundung Murko und Vinder 2014: Miha Murko und Jasna Vinder, Poročilo o der Kartäuserlandschaften mit den Ansätzen und Methoden arheološkem izkopu testnih sond za potrebe ocene statične ustreznosti der Landschaftsarchäologie. Die Entwicklung von Ferner- temeljev zidov cerkve svetega Janeza Krstnika v Kartuziji Žiče [Bericht über die kundungsmethoden eröffnet hier viele neue Möglichkeiten. archäologische Sondage für die Bewertung der statischen Angemessenheit der Fundamente der Hl.-Johannes-der-Täufer-Kirche in Kartause Seitz], un- publ. Bericht, Slovenska Bistrica 2014. Mušič 1999a: Branko Mušič, Poročilo o geofizikalnih raziskavah na lokaciji Literaturverzeichnis Kartuzija Žiče. I – delno poročilo [Bericht über die geophysikalischen Un- tersuchungen der Fundstelle Kartause Seitz. I. Teilbericht], unpubl. Bericht, Badovinac 2009: Bogdan Badovinac, The importance of preliminary Ljubljana 1999. Mušič 1999b: Branko Mušič research from the viewpoint of conservation in the process of the revitalization , Poročilo o geofizikalnih raziskavah na lokaciji of St. John the Baptist’s church in the Carthusian monastery at Žiče. In: Mateja Kartuzija Žiče. II – delno poročilo [Bericht über die geophysikalischen Un- Golež (Hrsg.), Revitalization of the Carthusian Monastery at Žiče, Ljubljana tersuchungen der Fundstelle Kartause Seitz. II. Teilbericht], unpubl. Bericht, 2009, 23–33. Ljubljana 1999. Mušič 2000: Branko Mušič Bernhard 1987: Günther Bernhard, Die Geschichte der Kartause Seitz im , Poročilo o geofizikalnih raziskavah na lokaciji: Mittelalter, unpubl. Diss. Univ. Graz, 1987. Žički samostan. Parkovna ureditev med samostanom in Gastužom [Bericht Božič 2001: Dragan Božič, Herman II. Celjski, Jernej Pečnik in pleterska kar- über die geophysikalischen Untersuchungen der Fundstelle Kartause Seitz. tuzija [Hermann II. von Cilli, Jernej Pečnik und die Kartause von Pleterje]. In: Die Parkanlage zwischen dem Kloster und dem Gasthaus], unpubl. Bericht, Alenka Klemenc (Hrsg.), »Hodil po zemlji sem naši ---«. Marijanu Zadnikarju Ljubljana 2000. Mušič 2001a: Branko Mušič ob osemdesetletnici [Festschrift Marijan Zadnikar], Ljubljana 2001, 207–218. , Poročilo o geofizikalnih raziskavah na lokaciji Brišnik 1999: Danijela Brišnik, Poročilo o sondažnih arheoloških izkopavan- Žički samostan. Parkovna ureditev med samostanom in Gastužom. Dodatek jih na lokaciji Žiče Stare Slemene, EŠD 692 [Bericht über die archäologische [Bericht über die geophysikalischen Untersuchungen der Fundstelle Kartause Sondage der Fundstelle Žiče Stare Slemene, EŠD 692], unpubl. Bericht, Celje Seitz. Die Parkanlage zwischen dem Kloster und dem Gasthaus. Anhang], 1999. unpubl. Bericht, Ljubljana 2001. Mušič 2001b: Branko Mušič Car und Štiglic 2003a: Marjeta Car und Rudi Štiglic, Poročilo o georadar- , Poročilo o geofizikalnih raziskavah na lokaciji skih preiskavah na območju samostanskih ribnikov pri Žički kartuziji, I. faza Žički samostan [Bericht über die geophysikalischen Untersuchungen der [Bericht über die Georadar-Prospektion im Bereich der Klosterteiche bei der Fundstelle Kartause Seitz], unpubl. Bericht, Ljubljana 2001. Mušič Mori 2008: Branko Mušič Matjaž Mori Kartause Seitz, I. Phase], o. O. 2003. und und , Poročilo o georadar- Car und Štiglic 2003b: Marjeta Car und Rudi Štiglic, Poročilo o georadar- ski raziskavi. Lokacija Kartuzija Jurklošter [Bericht über die Georadar-Prospek- skih preiskavah na območju samostanskih ribnikov pri Žički kartuziji, II. faza tion. Fundstelle Kartause Gairach], unpubl. Bericht, Ljubljana 2008. Novšak Plestenjak 2003: Rachel Novšak Ana Plestenjak [Bericht über die Georadar-Prospektion im Bereich der Klosterteiche bei der und und , Žička Kartause Seitz, II. Phase], o. O. 2003. kartuzija. Spodnji gospodarski objekt 2003. Poročilo o izvajanju zavarovalnih Curk u. a. 2008: Jože Curk, Polona Vidmar und Sašo Radovanović, arheoloških raziskav na lokaciji Žička kartuzija, spodnji gospodarski objekt 9.0 Samostani na Slovenskem do leta 1780 [Die Klöster in Slowenien bis 1780], [Kartause Seitz. Unteres Wirtschaftsgebäude 2003. Bericht über die archäo- Maribor 2008. logischen Sicherungsgrabungen an der Fundstelle Kartause Seitz, unteres Firšt 2005: Srečko Firšt, Suhadol 15. Nekdanja pristava žičkega samostana Wirtschaftsgebäude], unpubl. Bericht, Celje 2003. Orožen 1881: Ignacij Orožen [Suhadol 15. Der ehemalige Wirtschaftshof des Seitzer Klosters], o. O. 2005. , Das Bisthum und die Diözese Lavant 4/2. Das Hausmann 2007: Friedrich Hausmann, Die »Gründungsurkunde« Dekanat Tüffer, Marburg 1881. Oter Gorenčič 2009: Mija Oter Gorenčič und weitere Urkunden für die Ausstattung der Kartause Seitz. Eine , Deformis formositas ac formosa wissenschaftsgeschicht liche und kritische Untersuchung, Archiv für Diploma- deformitas. Samostanska stavbna plastika 12. in 13. stoletja v Sloveniji [Defor- tik, Schriftgeschichte, Siegel- und Wappenkunde 53, 2007, 137–174. mis formositas ac formosa deformitas. Klösterliche Bauplastik aus dem 12. Höfler 2010: Janez Höfler, Rezension zu: Mija Oter Gorenčič, Deformis for- und 13. Jahrhundert in Slowenien], Ljubljana 2009. Oter Gorenčič 2013: Mija Oter Gorenčič mositas ac formosa deformitas. 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FÖTag 4, 2016 79 Katarina Predovnik, Danijela Brišnik und Miha Murko

und Denkmäler der babenbergischen Frühgotik], Zbornik za umetnostno Abbildungsnachweis zgodovino Nova vrsta 49, 2013, 29–70. Posch Saria 1969: Fritz Posch Balduin Saria und und , Das Herzogsgrab zu Abb. 1: Karte: Geologicharka, Creative Commons Attribution-ShareAlike 3.0 St. Heinrich am Bachern, Zeitschrift des historischen Vereins für Steiermark Licence; Bearbeitung: Katarina Predovnik 60, 1969, 127–144. Zadnikar Predovnik 1997: Katarina Predovnik, Svet puščave. Materializacije kartuzi- Abb. 2: Maisons 1919, 129, nach 1972, 159 (siehe Literaturverzeich- janske duhovnosti [Die Welt der Wüste. Materialisierungen der kartäusischen nis) Spiritualität], Poligrafi 2/7–8, 1997, 145–174. Abb. 3, 4, 12: Danijela Brišnik Predovnik 1998: Katarina Predovnik , Die Kartause Seitz. Natür liche und Abb. 5: T. Šoba ideologische Momente in der Genese einer Kulturlandschaft. In: Konrad Spindler (Hrsg.), Mensch und Natur im mittelalter lichen Europa. Archäolo- Abb. 6: Foto: Sinergise d.o.o. und Geodetska uprava Republike Slovenije, Miha Murko gische, historische und naturwissenschaft liche Befunde. Akten der Akademie Geodis; Bearbeitung: Friesach »Stadt und Kultur im Mittelalter«, Friesach (Kärnten), 1.–5. September Abb. 7: Vorlage: Mušič 1999b, Abb. 2 und Mušič 2001a, Abb. 41 (siehe Litera- 1997, Schriftenreihe der Akademie Friesach 4, 1998, 261–278. turverzeichnis); Bearbeitung: Miha Murko Predovnik 2001: Katarina Predovnik , Versuch einer Rekonstruktion des Abb. 8: Robert Krempuš Grabes Hermanns II. von Cilli in Pleterje. In: Rolanda Fugger Germadnik Miha Murko (Hrsg.), Die Grafen von Cilli. Ausstellungskatalog Regionalmuseum Celje 1999, Abb. 9, 14, 15: Celje 2001, 67–71. Abb. 10: Kaktus999, www.wikipedia, public domain Predovnik 2013: Katarina Predovnik , Transcending disciplinary boundaries. Abb. 11: Orthofoto: © 2013 Sinergise d.o.o. und Geodetska uprava Republike Historical archaeology as a problem child. The case of . In: Natascha P. Požauko Zelko Mehler Slovenije, Geodis; Plan: , nach 1984, Buchumschlag (siehe (Hrsg.), Historical Archaeology in Central Europe, Rockville 2013, Literaturverzeichnis); Geoelektrik: Branko Mušič; Bearbeitung: Miha Murko 69–93. Branko Mušič Miha Murko Predovnik und Nabergoj 2010: Katarina Predovnik und Tomaž Nabergoj, Abb. 13: Plan: ; Bearbeitung: Archaeological research into the periods following the Early Middle Ages in Slovenia, Arheološki vestnik 61, 2010, 245–295. Rybář 2000: Miloš Rybář, 800 let Jurkloštra [800 Jahre von Gairach], Laško 2000. Autorinnen und Autor Šoštarič 1995: Mirko Šoštarič, Tri cerkve. Areh. Bolfenk na Pohorju [Bei den drei Kirchen. Areh. Bolfenk am Pohorje], Časopis za zgodovino in narodopisje Dr. Katarina Predovnik Nova vrsta 31/1, 1995, 177–186. Univerza v Ljubljani Stegenšek 1909: Auguštin Stegenšek, Umetniški spomeniki lavantinske Filozofska fakulteta škofije 2. Konjiška dekanija [Kunstdenkmäler des Bistums Lavant 2. Dekanat Oddelek za arheologijo Gonobitz], Maribor 1909. Aškerčeva 2 Stopar 1999: Ivan Stopar, Paralipomena k ecclesii maior žičke kartuzije. 1000 Ljubljana Prispevek k romanski podobi Žičke kartuzije ob njeni predvideni predstavitvi Slowenien [Paralipomena zur ecclesia maior der Kartause Seitz. Ein Beitrag zum roma- katja.predovnik@ff.uni-lj.si nischen Bild der Kartause Seitz bei ihrer beabsichtigten Präsentation]. In: Jadranka Šumi (Hrsg.), Raziskovanje kulturne ustvarjalnosti na Slovenskem. Danijela Brišnik Šumijev zbornik, Ljubljana 1999, 495–517. Javni zavod Republike Slovenije za varstvo kulturne dediščine Zadnikar 1972: Marijan Zadnikar, Srednjeveška arhitektura kartuzijanov in Območna enota Celje slovenske kartuzije [Die mittelalter liche Kartäuserarchitektur und die slowe- Glavni trg 1 nischen Kartausen], Ljubljana 1972. 3000 Celje Zadnikar 1983: Marijan Zadnikar, Die frühe Baukunst der Kartäuser. In: Slowenien Marijan Zadnikar und Adam Wienand (Hrsg.), Die Kartäuser. Der Orden der [email protected] schweigenden Mönche, Köln 1983, 51–137. Zelko 1970: Ivan Zelko, Sledovi srednjeveškega Špitaliča pri Konjicah [Die Miha Murko Spuren des mittelalter lichen Orts Špitalič nahe Slovenske Konjice], Kronika Javni zavod Republike Slovenije za varstvo kulturne dediščine 18/2, 1970, 71–75. Center za preventivno arheologijo Zelko 1984: Ivan Zelko, Žička kartuzija [Kartause Seitz], Ljubljana 1984. Poljanska 40 1000 Ljubljana Slowenien [email protected]

Abkürzungsverzeichnis

Bd. = Band Ders. = Derselbe Dipl. = Diplomarbeit Diss. = Dissertation ebd. = ebenda FÖ = Fundberichte aus Österreich o. O. = ohne Ort ÖZKD = Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege Univ. = Universität unpubl. = unpubliziert

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