Rattenberg eine sterbende Stadt? – Entwicklungsmöglichkeiten für einen nachhaltigen Lebensraum

DIPLOMARBEIT

zur Erlangung des akademischen Grades

Magistra der Naturwissenschaften

Eingereicht bei

ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Ernst Steinicke

Institut für Geographie

Fakultät für Geo- und Atmosphärenwissenschaften

der Universität

von Lydia Binder

Innsbruck, April 2018

Kurzfassung

Rattenberg am kämpft seit Jahrzehnten mit rückläufigen Einwohner- und Einwohnerin- nenzahlen und auch die wirtschaftlichen Strukturen haben sich geändert. Dabei wird die Frage aufgeworfen, ob es sich bei Rattenberg um eine sterbende Stadt handelt. Diese Arbeit hat das Ziel demographische und sozioökonomische Veränderungen in den letzten Jahrzehn- ten und die derzeitige Situation darzustellen. Zudem sollen Entwicklungsmöglichkeiten für einen nachhaltigen Lebensraum aufgezeigt werden. Im ersten Teil werden die Entwicklung der Stadt, die Veränderungen und die derzeitige Situ- ation mit Hilfe offizieller statistischer Daten und Kartographie dargestellt. Der zweite Teil beinhaltet eine empirische Untersuchung der Rattenberger Bevölkerung mittels schriftlicher Befragung. Hierbei werden Hintergründe, Motive und Wünsche der Einwohner und Einwoh- nerinnen erhoben. Im dritten Teil der Arbeit wird ein theoretischer Hintergrund zu nachhal- tiger Entwicklung geliefert und infolgedessen bisherige Stadterneuerungsmaßnahmen auf- gezeigt. Abschließend folgt eine Darstellung von verschiedenen Entwicklungsmöglichkeiten für einen nachhaltigen Lebensraum in Rattenberg. Diese Arbeit gibt einen Überblick über die Veränderungen in den letzten Jahrzehnten und welche Möglichkeiten es gibt kleine Kommu- nen vor dem Sterben zu bewahren.

I Danksagung

An dieser Stelle möchte ich mich bei all jenen bedanken, die mich im Rahmen dieser Diplom- arbeit unterstützt haben.

Bedanken möchte ich mich bei Herrn Prof. Dr. Ernst Steinicke, dem Betreuer meiner Diplom- arbeit, der sich jederzeit mit meinen Anliegen befasste und mich mit Rat und Tat unterstütz- te.

Ebenso möchte ich mich bedanken für die zahlreichen Informationen von Herrn Bernhard Freiberger, Bürgermeister der Stadtgemeinde Rattenberg am Inn. Seine Informationen brachten oftmals Licht ins Dunkel und erleichterten meine Arbeit.

Ein großer Dank gilt auch Herrn DI Josef Wurzer, der mich ausführlich über die Stadterneue- rungsmaßnahmen in Rattenberg informierte.

Ohne die Unterstützung der Rattenberg Einwohner und Einwohnerinnen wäre diese Arbeit nicht möglich gewesen. Einerseits haben sie mich immer mit Hintergrundinformationen ver- sorgt und anderseits haben sie die Fragebögen sehr sorgfältig ausgefüllt. Somit ein großes Dankeschön!

Ich möchte mich auch bei meinen Freunden bedanken, die immer ein offenes Ohr für meine Anliegen hatten und mich in jeglicher Weise unterstützten.

Einen besonderen Dank möchte ich meinen Eltern aussprechen, die mir meine gesamte Aus- bildung ermöglicht haben und mich während des Studiums immer unterstützt haben.

II

Inhaltsverzeichnis

Kurzfassung ...... I

Danksagung ...... II

Abbildungsverzeichnis ...... VI

Tabellenverzeichnis ...... VII

1 Einleitung ...... 1

1.1 Zielsetzung ...... 2

1.2 Methodik ...... 3

2 Die Entwicklung von Rattenberg ...... 5

2.1 Besiedelung und Gründung der Stadt ...... 5

2.2 Rolle der Stadt für die Umgebung in den vorherigen Jahrhunderten ...... 5

3 Die Bevölkerung von Rattenberg ...... 8

3.1 Aktueller Bevölkerungsstand und Bevölkerungsentwicklung ...... 8

3.2 Natürliche Bevölkerungsbewegung ...... 10

3.2.1 Fertilität ...... 10

3.2.2 Mortalität ...... 11

3.2.3 Natürliches Bevölkerungswachstum ...... 11

3.3 Räumliche Bevölkerungsbewegung ...... 12

3.4 Die Bevölkerungsstruktur ...... 15

3.4.1 Die Altersstruktur ...... 15

3.4.2 Die Sexualproportion ...... 18

3.4.3 Staatsangehörigkeit ...... 19

3.4.4 Bildungsstand der Einwohner und Einwohnerinnen ...... 20

3.4.5 Erwerbsstruktur...... 22

3.4.6 Familienstand und Haushaltsstruktur ...... 23

III

4 Zur Wirtschaft in Rattenberg ...... 26

4.1 Sektoren und Arbeitsstätten in Rattenberg ...... 26

4.2 Gebäudenutzung in Rattenberg ...... 27

5 Zum Tourismus in Rattenberg ...... 35

5.1 Wintersaison ...... 35

5.2 Sommersaison ...... 37

5.3 Die Entwicklung des Tourismus ...... 38

6 Rattenberg als Wohnstandort ...... 41

6.1 Der Wohnungsmarkt in Rattenberg ...... 41

6.2 Nahversorgung ...... 43

6.3 Zentralität ...... 45

7 Empirische Untersuchung zum Thema Stadtleben ...... 48

7.1 Erstellung und Durchführung ...... 48

7.2 Auswertungsmethoden ...... 49

8 Auswertung der Daten ...... 51

8.1 Zusammensetzung der befragten Personen ...... 51

8.2 Wohnsituation ...... 52

8.3 Arbeits- und Ausbildungsort ...... 53

8.4 Zufriedenheit ...... 55

8.5 Versorgung ...... 57

8.6 Alltagsleben ...... 60

8.7 Schaffung eines nachhaltigen Lebensraumes ...... 63

9 Begriffsdefinition „Nachhaltige Entwicklung“ ...... 68

9.1 Das Drei-Säulen-Modell ...... 70

9.1.1 Ökologische Nachhaltigkeit ...... 70

9.1.2 Ökonomische Nachhaltigkeit ...... 70

IV

9.1.3 Soziale Nachhaltigkeit ...... 71

9.2 Umsetzung auf kommunaler Ebene ...... 72

9.3 Herausforderungen für Kleinstädte ...... 74

10 Entwicklungsmöglichkeiten ...... 77

10.1 Stadtplanung ...... 77

10.2 Bisherige Entwicklungsmaßnahmen ...... 78

10.3 Entwicklungsmöglichkeiten für einen nachhaltigen Lebensraum ...... 84

10.3.1 Neue Hotellerie mit Albergo Diffuso? ...... 84

10.3.2 nirunity Ownership ...... 88

10.3.3 Beitrag zum Klimaschutz ...... 89

10.3.4 Veränderung im Mobilitätsverhalten ...... 90

10.3.5 Regionale Kooperationen ...... 92

10.3.6 Kultur und Soziales ...... 95

11 Fazit ...... 97

Literaturverzeichnis ...... 102

Anhang ...... 115

Anhang 1 ...... 115

Anhang 2 ...... 116

Anhang 3 ...... 117

Anhang 4 ...... 118

Anhang 5 ...... 119

Eidesstattliche Erklärung ...... 124

V

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Bevölkerungsentwicklung der Stadt Rattenberg von 1869-2017 ...... 9 Abbildung 2: Natürliche Bevölkerungsbewegung in Rattenberg 1999-2016 ...... 12 Abbildung 3: Räumliche Bevölkerungsbewegung in Rattenberg 2002-2016 ...... 13 Abbildung 4: Veränderung der Bevölkerungszahl 2002-2016 ...... 14 Abbildung 5: Bevölkerungspyramide von Rattenberg – Bevölkerung 2017 ...... 16 Abbildung 6: Bildungsstand der Rattenberger Bevölkerung ...... 21 Abbildung 7: Bildungsstand der Rattenberger Bevölkerung 1971 und 2015 ...... 21 Abbildung 8: Pendler und Pendlerinnen der Stadt Rattenberg nach Entfernung ...... 23 Abbildung 9: Kernfamilie nach Familientyp ...... 24 Abbildung 10: Familien und Haushalte ...... 25 Abbildung 11: Sektorale Gliederung der erwerbstätigen Personen in Rattenberg ...... 27 Abbildung 12: Gebäudenutzung in Rattenberg 1974 ...... 30 Abbildung 13: Gebäudenutzung in Rattenberg 1997 ...... 31 Abbildung 14: Gebäudenutzung in Rattenberg 2017 ...... 32 Abbildung 15: Ankünfte und Übernachtungen der Wintersaison in Rattenberg ...... 36 Abbildung 16: Ankünfte und Übernachtungen der Sommersaison in Rattenberg ...... 38 Abbildung 17: Durchschnittliche Haushaltsgröße in Rattenberg und Österreich ...... 42 Abbildung 18: Nahversorgung im ländlichen und städtischen Raum ...... 43 Abbildung 19: Gründe für den Umzug nach Rattenberg ...... 53 Abbildung 20: Mobilitätsverhalten der Befragten ...... 55 Abbildung 21: Zufriedenheit der befragten Personen ...... 56 Abbildung 22: Ist eine gute Versorgung in der Stadt möglich? ...... 57 Abbildung 23: Kauf von Waren des täglichen Bedarfs nach Gemeinden ...... 58 Abbildung 24: Geschäfts- und Dienstleistungswünsche der befragten Personen ...... 59 Abbildung 25: Auswirkungen verschiedener Gegebenheiten auf das Alltagsleben ...... 60 Abbildung 26: Ist Rattenberg eine sterbende Stadt ...... 63 Abbildung 27: Wichtigkeit der verschiedenen Themenbereiche für einen nachhaltigen Lebensraum [1 bedeutet „sehr wichtig“, absteigend bis 7 „sehr unwichtig“] ...... 66 Abbildung 28: Säulen der Nachhaltigkeit ...... 69 Abbildung 29: Beteiligte Parteien am Agenda 21-Prozess ...... 73

VI

Abbildung 30: Herausforderungen an Kleinstädte ...... 75 Abbildung 31: Planung als Management-Tool ...... 77 Abbildung 32: Projekte in der Stadt Rattenberg von 2003-2018 ...... 83 Abbildung 33: Konzept „Albergo Diffuso“ ...... 85 Abbildung 34: Vorteile „Albergo Diffuso“ ...... 86

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Prozentuelle Veränderung der EW-Zahl von Rattenberg ...... 9 Tabelle 2: CBR und CDR in den Jahren 2001, 2011 und 2015 für Rattenberg ...... 10 Tabelle 3: Zuzüge und Wegzüge aufgelistet nach Altersgruppen 2006-2016 ...... 15 Tabelle 4: Herkunft der nicht-österreichischen Staatsbürger und Staatsbürgerinnen ...... 19 Tabelle 5: Anzahl der Gebäude nach Nutzung 1974, 1997 und 2017 ...... 28 Tabelle 6: Entwicklung der Übernachtungszahlen ...... 39 Tabelle 7: Anzahl der verschiedenen Haushaltsgrößen ...... 51 Tabelle 8: Altersverteilung der Befragten ...... 51 Tabelle 9: Höchster Bildungsabschluss der im Haushalt lebenden Person(en) ...... 52 Tabelle 10: Vorheriger Wohnsitz der Befragten ...... 52 Tabelle 11: Arbeits- bzw. Ausbildungsort der Befragten ...... 54 Tabelle 12: Durchschnittliche Zufriedenheit der Befragten...... 56 Tabelle 13: Durchschnittliche Häufigkeit der Einkäufe des täglichen Bedarfs ...... 59 Tabelle 14: Durchschnittliche Auswirkungen von verschiedenen Gegebenheiten auf das Alltagsleben ...... 61 Tabelle 15: Gründe für den Zu- bzw. Wegzug (N=28-33) ...... 64 Tabelle 16: Soziales Leben der befragten Personen ...... 65

VII

1 Einleitung

Rattenberg am Inn bietet mit seinen einzigartigen Merkmalen eine Grundlage für eine ge- nauere Untersuchung. Die Stadt hat seit geraumer Zeit mit rückläufigen Einwohner- und Einwohnerinnenzahlen1 und einer Veränderung der wirtschaftlichen Strukturen zu kämpfen. Im Stadtgebiet gab es in den letzten Jahrzehnten immer wieder Veränderungen, die das All- tagsleben prägten. Beispielsweise trat im Jahr 1996 die Umfahrung der Stadt in Kraft und daraus resultierte eine verkehrsberuhigte Zone im nahezu gesamten Wohngebiet. Neben der Veränderung der Verkehrssituation gab es auch weitere Erneuerungsmaßnahmen und ein Konzept zur Stadterneuerung sollte die Entsiedelung des Gebietes verhindern (vgl. Meze 1999, S.72f). Trotz der Bemühungen der Stadt konnten die rückläufigen EW-Zahlen nicht verhindert werden.

Im 21. Jahrhundert werden sich Kommunen und deren Bewohner und Bewohnerinnen ei- nem weiteren starken Wandel unterziehen müssen. Eine wichtige Aufgabe ist es, ein Be- wusstsein für Nachhaltigkeit zu schaffen. Der Umgang mit den natürlichen Ressourcen und auch der Schutz dieser werden an Bedeutung gewinnen. Ein Zusammenleben mit der Natur – im besten Fall im Einklang mit dieser – ist erstrebenswert. Mensch und Natur können nicht entkoppelt leben (vgl. Mauser 2011, S.1196).

Deshalb ist es von großer Bedeutung einen nachhaltigen Lebensraum zu schaffen. Ansatz- punkte für eine Veränderung sind die Kommunen. Rattenberg war in vergangenen Zeiten wirtschaftlicher Mittelpunkt der Umgebung und ein reges Leben fand in der Stadt statt. Die gut erhaltenen mittelalterlichen Bauten sollten weiterhin bestehen bleiben und mit Leben gefüllt werden. Eine nachhaltige Entwicklung ist deshalb unumgänglich, sodass das wertvolle kulturelle Gut Rattenberg an weitere Generationen weitergegeben werden kann.

Diese Arbeit bietet auch die Möglichkeiten vernetzt zu denken und die Umwelt unter ver- schiedenen Aspekten zu betrachten. Im AHS-Lehrplan findet man die Bildungs- und Lehrauf- gabe „Umweltkompetenz“, diese besagt (BMBWF o.J., S.1):

1 Im Folgenden wird Einwohner- und Einwohnerinnenzahl mit EW-Zahl abgekürzt. 1

 die Bedeutung der Wahrnehmung und Bewertung von Umwelt im weitesten Sinn für das menschliche Handeln erkennen  Kenntnis der Probleme des Umweltschutzes aus betriebs- und volkswirtschaftlicher Sicht unter Berücksichtigung technologischer Aspekte  Landschaften als Lebensräume ökonomisch und ökologisch einschätzen; Interessens- gegensätze bei der Nutzung von Räumen erkennen und somit auch die Notwendigkeit von Raumordnungsmaßnahmen begründen  Festigung der Erziehung zur globalen Verantwortung für die „eine Welt“

Ebenso steht die achte Klasse (AHS) unter dem Thema „Lokal – regional – global: Vernetzun- gen – Wahrnehmungen – Konflikte“ (BMBWF o.J., S.4). Ein Unterthema sind „Städte als Le- bensräume und ökonomische Zentren“ (BMBWF o.J., S.4).

1.1 Zielsetzung

Das Ziel dieser Arbeit ist es einerseits festzustellen, wie die derzeitige demographische und sozioökonomische Situation in Rattenberg aussieht, und andererseits einen Vergleich mit den Daten und Ergebnissen aus der Hausarbeit „Stadtgeographie von Rattenberg“ von Ange- lika Kössler (1977) und der Diplomarbeit „Die Stadterneuerung in Rattenberg am Inn und ihre Auswirkungen auf die ansässige Bevölkerung und Wirtschaft“ von Birgit Meze (1999) anzu- streben. Für die Vergleichsstudie werden Daten von Statistiken herangezogen und eine schriftliche Befragung der Haushalte in Rattenberg durchgeführt. Aus dem Vergleich soll im Folgenden hervorgehen, inwieweit die Stadterneuerungsmaß- nahmen aus den 1980er / 1990er Jahren (vgl. Meze 1999, S.73f) gefruchtet haben. Die Pro- zesse solcher Maßnahmen müssen ständig evaluiert und an neue Situationen angepasst werden. Deshalb ist ein weiteres Ziel dieser Arbeit, neue Entwicklungsmöglichkeiten und Maßnahmen aufzuzeigen, die im Kontext des 21. Jahrhunderts und einer nachhaltigen Ent- wicklung relevant sind.

In dieser Arbeit sollen die folgenden Fragen beantwortet werden:

 Welche Veränderungen gab es in Rattenberg in Bezug auf Bevölkerung und Wirt- schaft in den letzten Jahrzehnten? 2

 Wird Rattenberg als Wohn- und Wirtschaftsstandort immer unattraktiver?  Welche Anliegen hat die ansässige Bevölkerung in Bezug auf das alltägliche Leben und werden diese von der Gemeinde zum einen „gehört“ und zum anderen umge- setzt?  Welche Veränderungen und Verbesserungen sind in der Stadt Rattenberg möglich, um einen nachhaltigen Lebensraum zu schaffen?

1.2 Methodik

Die Forschungsarbeit ist in drei Teile gegliedert. Im ersten Teil der Arbeit wird ein Blick in die Vergangenheit geworfen und die Entwicklung von Rattenberg dargestellt. In weiterer Folge werden mit Hilfe offizieller statistischer Daten eine Analyse der aktuellen Situation und die Veränderungen in den letzten Jahrzehnten aufgezeigt. Dabei werden Themenbereiche be- trachtet, die für den Lebensraum Rattenberg von Bedeutung sind. Einerseits gehört hierzu eine genaue Betrachtung der Bevölkerungszusammensetzung und deren Entwicklung sowie andererseits wirtschaftliche Strukturen im kleinen Inn-Städtchen. Neben diesen beiden Be- reichen wird auch die Wohnsituation betrachtet. Durch Kartierung der Gebäudenutzung können Veränderungen im Stadtleben in den letzten 40 Jahren aufgezeigt werden. Dieser erste Teil soll eine Grundlage für die weiteren Untersuchungen liefern.

Der zweite Teil der Arbeit beinhaltet den empirischen Teil. Mittels einer schriftlichen Befra- gung der Rattenberger Einwohner und Einwohnerinnen werden Daten zu demographischen und sozioökonomischen Themen gesammelt. Es werden Hintergründe erforscht, die aus den statistischen Daten nicht hervorgehen, wie z.B. Gründe für den Zuzug nach Rattenberg, Ei- gentumsverhältnisse etc. Neben diesen zusätzlichen Informationen werden auch Wünsche und Anregungen erhoben, die nach Ansicht der Bewohner und Bewohnerinnen für eine Wei- terentwicklung der Stadt nötig sind.

Der letzte Teil liefert einen theoretischen Hintergrund zu nachhaltiger Entwicklung. Durch eine Literaturrecherche werden die Ideen dazu aufgezeigt. Dabei ist zu betonen, dass eine nachhaltige Entwicklung verschiedene Bereiche wie Ökologie, Ökonomie und Soziales bein- haltet. Ebenso wird darauf Bezug genommen, wie eine nachhaltige Entwicklung umgesetzt werden kann.

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Im Anschluss an diesen theoretischen Abschnitt folgt eine Darstellung der bisherigen Maß- nahmen zur Stadterneuerung in Rattenberg, diese werden in Hinblick auf Umsetzung und Nachhaltigkeit bewertet. Anschließend werden Entwicklungsmöglichkeiten aufgezeigt, die einen nachhaltigen Lebensraum in der Stadt schaffen können. In diesem Abschnitt werden die Vorschläge und Wünsche der Rattenberger Einwohner und Einwohnerinnen berücksich- tigt.

Im letzten Kapitel wird ein Resümee gezogen und ein Vergleich mit den Arbeiten von Kössler (1977) und Meze (1999) gezogen. Eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der Arbeit und abschließende Antworten auf die Fragestellungen bilden den Abschluss.

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2 Die Entwicklung von Rattenberg

Die Stadt Rattenberg befindet sich im mittleren Unterinntal und gehört zur Region 31. Rat- tenberg als „Inn-Salzachstadt“ (Kössler 1977, S.20) ist weit über die Grenzen Tirols hinaus bekannt. Doch wie kam es dazu, dass sich Menschen genau an dieser Stelle ansiedelten und welche Rolle spielte die kleine Stadt in der Vergangenheit?

2.1 Besiedelung und Gründung der Stadt

Das Gebiet von Rattenberg war anfangs für eine Siedlung nicht geeignet. Rattenberg wird im Norden vom Inn begrenzt und im Süden vom Burgberg (vgl. Schuster 1964, S.13). Der Inn strömte nahezu im rechten Winkel gegen den Berg. Viel Platz für einen Weg oder sogar eine Straße gab es nicht. Rattenberg konnte jedoch die besondere Lage nutzen und wurde zur Festung und Zollstätte an der Grenze zwischen Bayern und Tirol. Die Zollstätte bestand ab Mitte des 13. Jahrhunderts (vgl. Kogler 1929, S.1) und existierte, bis Rattenberg nicht mehr an der Grenze lag. Eine räumliche Ausdehnung war für die Stadt jedoch kaum / nicht mög- lich. Deswegen mussten die Rattenberger Bewohner und Bewohnerinnen auf die Nachbar- gemeinden für landwirtschaftliche Nutzungen usw. ausweichen. (vgl. Köfler 1964, S.3)

Die Entstehung der Stadt hängt zweifellos mit der Burg zusammen. Der Name stammt mit hoher Wahrscheinlichkeit von der bayrischen Grafschaft „Rapoto“, ein genauer Zeitpunkt kann jedoch nicht datiert werden (vgl. Köfler 1964, S.5). Erstmals urkundlich erwähnt wurde Rattenberg im Jahr 1074 n. Chr. (vgl. Kössler 1977, S.16). Rattenberg erhielt zugleich mit Kuf- stein am 7. Jänner 1393 von Herzog Stefan III. von Oberbayern das Stadtrecht (vgl. Kogler 1929, S.26) und behielt es bis heute.

2.2 Rolle der Stadt für die Umgebung in den vorherigen Jahrhunderten

Rattenberg spielte in den vergangenen Jahrhunderten eine große Rolle für die anliegenden Gemeinden, Tirol und sogar über die Grenzen hinaus. Eine Besonderheit ist sicherlich, dass die Stadt Rattenberg lange eine Grenzlage einnahm, sie lag zwischen Tirol und Bayern, Mehrmals wurde ihre Staatszugehörigkeit in den Jahrhunderten geändert (vgl. Kössler 1977, S.16). Sie profitierte von der wechselnden Zugehörigkeit, denn die jeweiligen Stadtherren 5

stärkten die Stadt militärisch und wirtschaftlich (vgl. Meze 1999, S.59). Als Grenzstadt hatte Rattenberg auch eine Zollstätte. Diese wurde 1257 erstmals im Zusammenhang mit der Burg genannt (vgl. Köfler 1964, S.5). Nicht nur die Zollstätte verhalf Rattenberg zu einem wirtschaftlichen Aufschwung, sondern auch die Verleihung des Stadtrechtes 1393 (vgl. Kapitel 2.1 Besiedelung und Gründung der Stadt, S.5). Durch das Stadtrecht wurden Rattenberg einige Privilegien zuteil. Die Stadt erhielt das Stapel-, Niederschlags- und Umschlagsrecht, aber auch das Gastgewerbe- und Handelsmonopol. Somit erlangte Rattenberg eine einzigartige Stellung in der Umgebung. (vgl. Meze 1999, S.59)

Rattenberg war ab dem 11. Jahrhundert bis zum Anfang des 16. Jahrhunderts schwer umkämpft (vgl. Köfler 1964, S.5-9). So wechselte die Herrschaft häufig. Anfangs gehörte die Stadt zu Bayern, wurde aber Ende des 13. Jahrhunderts an Albrecht von Österreich verpfändet (vgl. Kogler 1929, S.5). Die Stadt wechselte im folgenden Jahrhundert des Öfteren die Zugehörigkeit durch Tausch, Mitgift oder auch aufgrund kriegerischer Ereignisse. Durch den ständigen Wechsel der Zugehörigkeit und die gute strategische Lage der Stadt wurde sie stets zeitgemäß befestigt (vgl. Köfler 1964, S.7f). Nach einem Erbschaftsstreit in Bayern wurden am 02. April 1504 Rattenberg und an König Maximilian abgetreten (vgl. Kogler 1929, S.25).

Durch den entstandenen Silber- und Kupferbergbau in der näheren Umgebung erlebte Rattenberg im 15. Jahrhundert einen neuen Aufschwung in Handel, Gewerbe und Gastgewerbe erleben (vgl. Meze 1999, S.59). Diese Blütezeit spiegelt sich in einer Aufstellung der Betriebe von 1491 wider: Es gab in Rattenberg siebzehn Bäcker, acht Metzger und fünf Brauerein (Kössler 1977, S.18). Zu dieser besonderen Stellung verhalf auch das Handels- und Schankverbot in der Umgebung. Die Bergleute waren dazu gezwungen, ihre Lebensmittel in Rattenberg zu kaufen (vgl. Kössler 1977, S.18). Zusätzlich konnten die Rattenberger durch das Handels- und Schankverbot auf dem Land die Preise gegenüber anderen Städten deutlich reduzieren. Rattenberg besaß im Umkreis diese Monopolstellung und wurde als Rast- und Herbergsort für Händler attraktiv. (vgl. Kössler 1977, S.18)

Der Bergbau war ab dem 16. Jahrhundert nicht mehr ertragreich und verlor somit an Bedeutung (vgl. Kössler 1977, S.18f). Die Bergarbeiter verdienten weniger und blieben so als Kunden und Gäste in der Stadt aus. Die Wirtschaft in Rattenberg erlebte einen herben Rückschlag. Nicht nur ein Rückgang der Kunden- und Gästezahl, auch andere Ereignisse

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brachten die Wirtschaft ins Wanken. Im Lauf der Geschichte erlebte Rattenberg einige Überschwemmungen , Großbrände und Kriege. Ebenfalls ein harter Schlag für die Wirtschaft war der Verlust des Stadtzolles im Jahr 1766 (vgl. Köfler 1964, S.17). Aber Rattenbergs Bedeutung schwand nicht, denn die Stadt war aufgrund der Lage am Inn und an der Landstraße noch an die wichtigsten Verkehrsrouten angebunden (vgl. Kössler 1977, S.19).

Doch das Leben in Rattenberg änderte sich Mitte des 19. Jahrhunderts. 1858 wurde der Bau der „K.K. Nordtiroler Staatsbahn Innsbruck-Kufstein“ beendet und im selben Jahr eröffnet – ohne Haltestelle in Rattenberg (vgl. Köfler 1964, S.68). Die Rattenberger Bevölkerung war gegen den Bau der Bahn. Sie hat Angst, ihre Existenz zu verlieren. Die gewählte Führung der Bahn führte dazu, dass einige Gebäude in Rattenberg abgerissen werden mussten – so wurden die Befürchtungen einiger Rattenberger Einwohner und Einwohnerinnen wahr. Durch den Bahnverkehr kam der Güter- und Personenverkehr auf der Landstraße und per Schiff zum Erliegen (vgl. Köfler 1964, S.65ff). Viele Handwerker, Wirte und Fuhrleute waren zahlungsunfähig und verließen die Stadt. Die Rattenberger Bewohner und Bewohnerinnen bereuten, dass sie keine Haltestelle hatten – die nächste war in . Der einhellige Ruf nach einer Haltestelle wurde jedoch erhört und 1889 hielt der erste Zug (vgl. Köfler 1964, S.68).

Anfang des 20. Jahrhunderts entstand in Rattenberg ein neues blühendes Gewerbe. Der Glasveredelungsbetrieb der Kramsacher Glashütte übersiedelte 1918 nach Rattenberg (vgl. Kössler 1977, S.33). Auch wenn die Fertigung noch vor dem zweiten Weltkrieg eingestellt wurde, lebte dieses Gewerbe nach dem Krieg weiter. Drei Facharbeiter und Facharbeiterinnen des aufgelassenen Unternehmens gründeten drei Veredelungsbetriebe, welche in Folge Fachpersonal nach Rattenberg zog. (vgl. Kössler 1977, S.33f)

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3 Die Bevölkerung von Rattenberg

Um zu verstehen, wie es in Rattenberg heute aussieht, ist es von Bedeutung die Bevölkerung und andere Merkmale genauer zu betrachten. Die lung, -zusammensetzung und -bewegungen geben Aufschluss darüber, welche innerstädti- schen Entwicklungen vor sich gehen und welche Möglichkeiten es für die Zukunft gibt. Da eine Stadt nur existieren kann, wenn es auch Bewohner und Bewohnerinnen gibt, wird zu- erst dieser Bereich betrachtet. Die Gliederung für die folgenden Kapitel sind an die Gliederung von de Lange et al. 2014 an- gelehnt.

3.1 Aktueller Bevölkerungsstand und Bevölkerungsentwicklung

Rattenberg als kleinste Stadt Österreichs (Glasstadt Rattenberg 2017) weist in Hinblick auf die Bevölkerung interessante Merkmale auf. Die 0.11 km² große Stadt (Statistik 2002, S.92) wies um 1500 eine EW-Zahl von etwa 750 auf (Stops 1981, S.96). Seitdem wurde die Stadt von einigen Ereignissen erschüttert. Beispielsweise glich die Stadt nach der Eisenbahneröffnung 1858 immer mehr einer sterbenden Stadt (vgl. Stops 1981, S.123). Diese Tendenz setzte sich bis zum 20. Jahrhundert fort. Kössler (1977, S.55) schreibt in ihrer Hausarbeit „[…], die Bevölkerungszahl sinkt nämlich ständig“. Bei Betrachtung von Abbildung 1 (S.9) wird ersichtlich, dass die EW-Zahl von Rattenberg wirklich seit 1951 ständig sinkt. Vor dem zweiten Weltkrieg schien sich die EW-Zahl zwischen 700 und 750 eingependelt zu ha- ben. Der Rückgang der Einwohner und Einwohnerinnen 1939 hängt mit dem Beginn des zweiten Weltkrieges zusammen, da in dieser Zeit viele Männer Wehrpflichten nachzukom- men hatten. Der Ausreißer 1951 ist auf das Ende des Weltkrieges zurückzuführen. Ab diesem Zeitpunkt sinkt die EW-Zahl in Rattenberg stetig. Betrachtet man den Zeitraum von 1869 bis heute, so erkennt man eine rückläufige EW-Zahl – ohne Berücksichtigung des Ausreißers nach Ende des zweiten Weltkrieges. In Bezug auf die prozentuellen Veränderungen der EW- Zahl (vgl. Tabelle 1, S.9) ist ersichtlich, dass von 1991-2001 die höchste Wegzugrate seit

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1000

900 879 800 700

600

500

Zahlen -

EW 400 405 300 200 100 0 1869 1880 1890 1900 1910 1923 1934 1939 1951 1961 1971 1981 1991 2001 2011 2017

EW-Zahl

Abbildung 1: Bevölkerungsentwicklung der Stadt Rattenberg von 1869-2017 (Quelle: Statistik Austria 2017a)

1951 zu verzeichnen ist mit 17.11%. Hingegen ist der Wegzug von 2001-2011 stark gesunken. In diesem Zeitraum haben nur noch 6.19% die Stadt verlassen. In den darauf folgenden Jah- ren von 2011 bis 2017 haben nicht einmal mehr 1% der Bewohner und Bewohnerinnen Rat- tenberg verlassen.

Tabelle 1: Prozentuelle Veränderung der EW-Zahl von Rattenberg (Quelle: eigene Berechnung abgeleitet aus Statistik Aus- tria 2017a) Zeitperiode Veränderung der EW-Zahl (in %) 1951-1961 -15.24% 1961-1971 -12.48% 1971-1981 -9.51% 1981-1991 -10.85% 1991-2001 -17.11% 2001-2011 -6.19% 2011-2017 -0.98%

Welche Faktoren in Rattenberg für den starken Rückgang sorgen, werden in den folgenden Kapiteln genauer besprochen.

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3.2 Natürliche Bevölkerungsbewegung

Eine Ursache für den Bevölkerungsrückgang kann die natürliche Bevölkerungsbewegung sein. Diese setzt sich aus dem Saldo der Geborenen und Gestorbenen zusammen. Allgemein ist zu sagen, dass die Fruchtbarkeit in den letzten Jahrzehnten zurückgegangen ist und auch die Sterblichkeit stark abgenommen hat. Kennzahlen für eine genauere Betrachtung der na- türlichen Bevölkerungsbewegung sind Fertilität und Mortalität (de Lange et al. 2014, S.94).

3.2.1 Fertilität

Kennzahlen für die Fertilität sind beispielsweise die rohe Geburtenrate (CBR) oder die allge- meine Fruchtbarkeitsrate (GFR). Die GFR hat den Vorteil gegenüber der CBR, dass nur die Frauen im reproduktionsfähigen Alter (15-45 Jahre) betrachtet werden. Jahrgänge, die kei- nen Beitrag zur Fertilität leisten, werden ausgelassen. Der GFR wird wie folgt berechnet: 퐵 퐺퐹푅 = × 1000 (de Lange et al. 2014, S.94). Hierbei steht B für die Geburten und F15-45 퐹15−45 für die Frauen zwischen 15 und 45 Jahren. Im Jahr 2015 gab es in Rattenberg eine GFR von 55.56 (Berechnung nach Statistik Austria 2017b und Amt der Tiroler Landesregierung et al. 2016a, S.101). Im österreichischen Vergleich lag dieser Wert etwas höher. Denn in Öster- reich gab es im Jahr 2015 eine GFR von 51.32 (Berechnung nach STATcube 2017a und STATcube 2017b). In diesem Jahr gab es in Rattenberg eine höhere Fruchtbarkeitsrate und so auch im Vergleich mit ganz Österreich mehr Geburten. Trotzdem wird öfters die CBR herangezogen. Die Berechnung erfolgt analog zur GFR, nur wird hier statt F15-45 die gesamte Bevölkerung einbezogen. Aufgrund der unterschiedlichen Berechnung erhält man eine CBR von 12.11 für das Jahr 2015 (vgl. Tabelle 2).

Tabelle 2: CBR und CDR in den Jahren 2001, 2011 und 2015 für Rattenberg (eigene Erstellung aus den Daten des Amtes der Tiroler Landesregierung et al. 2002a, 2012a und 2016a) Jahr CBR CDR CBR (Bezirk Kufstein) CBR (Bezirk Kufstein) 2001 11.44 6.86 10.52 7.38 2011 7.41 9.88 9.78 7.17 2015 12.11 14.53 10.88 7.57

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3.2.2 Mortalität

Für eine genaue Betrachtung der natürlichen Bevölkerungsentwicklung braucht man neben der Fertilität auch die Mortalität. Hier betrachtet man ebenso die rohe Sterberate (CDR). Die 퐷 Berechnung erfolgt durch: 퐶퐷푅 = × 1000 (de Lange et al. 2014, S.104). Wichtig hierbei 푃 ist, dass D für die Sterbefälle und P für die mittlere Bevölkerung steht. Rattenberg hatte 2015 eine CDR von 14.53 (vgl. Tabelle 2, S.10). Im selben Jahr gab es in Österreich einen CDR von 9.63 (Berechnung nach STATcube 2017c und STATcube 2017d).

3.2.3 Natürliches Bevölkerungswachstum

Eine Kennziffer für das natürliche Bevölkerungswachstum ist die Geburtenüberschussrate (R). Diese Rate ergibt sich durch die Differenz der rohen Geburtenrate (CBR) und der rohen Sterberate (CDR). Resultiert ein negativer Wert, so nimmt die Bevölkerung in diesem Jahr ab. Berechnet man diese Rate für das Jahr 2001, erhält man eine Rate von 4.58 und für 2015 eine Rate von -2.42 (vgl. Tabelle 2, S.10). Das heißt, im Jahr 2001 wuchs die Bevölkerung in Rattenberg aufgrund der natürlichen Bevölkerungsbewegung und im Jahr 2015 ging sie zu- rück. Um die Entwicklungen der natürlichen Bevölkerungsbewegung zu veranschaulichen, ist die Geburtenbilanz zu betrachten. In Abbildung 2 (S.12) wird die natürliche Bevölkerungs- bewegung von 1999 bis 2016 aufgezeigt.

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12

10

8

6

4

2

0

Anzahl Personen Anzahl -2

-4

-6

-8

-10

1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016

Lebendgeborene Sterbefälle Geburtenbilanz

Abbildung 2: Natürliche Bevölkerungsbewegung in Rattenberg 1999-2016 (eigene Erstellung aus den Daten des Amtes der Tiroler Landesregierung et al. 2000a-2017a)

Seit 1999 hatte Rattenberg in vielen Jahren eine positive natürliche Bevölkerungsbewegung, das heißt, es gab mehr Lebendgeborene als Sterbefälle bzw. gleich viele Lebendgeborene als Sterbefälle in diesem Jahr (vgl. Abbildung 2). Dies würde bedeuten, dass die EW-Zahl Rat- tenbergs aufgrund der natürlichen Bewegungen zunehmen bzw. gleichbleiben hätte müssen (Jahre 1999-2007, 2012-2013 und 2016). Auch von 1961-1971 gab es in Rattenberg eine po- sitive Geburtenbilanz. In diesen Jahren kamen 76 Personen mehr auf die Welt als starben (Kössler 1977, S.55). Auch im Zeitraum zwischen 2001 und 2011 kamen 8 Personen mehr auf die Welt. Der starke Rückgang der Bevölkerung kann also nur in der Wanderungsbilanz be- gründet sein.

3.3 Räumliche Bevölkerungsbewegung

Die räumliche Bevölkerungsbewegung erhält man aus den Zu- und Wegzügen aus einer Ge- meinde. Da Rattenberg aufgrund der natürlichen Bevölkerungsbewegung in den Jahren 2002-2012 ein Plus von 8 Personen hatte, kann der Grund für die Abnahme der Bevölkerung nur in einer negativen Wanderungsbilanz liegen. Aus Abbildung 3 (S.13) wird ersichtlich, dass

12

in vielen Jahren zwischen 2002 und 2016 mehr Personen aus Rattenberg wegzogen als in die Stadt zuzogen. Auffallend sind die Jahre 2009-2012 und 2014-2015 – hier ist der Zuzug grö- ßer als die Abwanderung. Einen weiteren interessanten Aspekt findet man beispielsweise im Jahr 2013. In diesem Jahr verließen am meisten Personen Rattenberg (76 Personen) (Amt der Tiroler Landesregierung et al. 2014a, S.109). Betrachtet man die EW-Zahl Rattenbergs

100

80

60

40

20

Anzahl von Anzahl Personen 0

-20

-40 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016

Zuzüge Wegzüge Wanderungsbilanz

Abbildung 3: Räumliche Bevölkerungsbewegung in Rattenberg 2002-2016 (eigene Erstellung aus den Daten des Amtes der Tiroler Landesregierung et al. 2000a-2017a) 2013 mit 393 Personen (Amt der Tiroler Landesregierung et al. 2014a, S.80), wanderten in diesem Jahr 19.34% der Gesamtbevölkerung ab. Dies ist ein eher hoher Anteil. Generell ist zu sagen, dass es im Zeitraum von 2002-2012 eine negative Wanderungsbilanz von 23 Per- sonen gab. Diese Tendenz einer negativen Wanderungsbilanz ist für die kleine Stadt nicht neu. In den Jahren 1961-1971 verließen sogar noch mehr Menschen die Stadt. Es zogen 169 Personen aus Rattenberg weg (Kössler 1977, S.55). Betrachtet man die natürliche und räum- liche Bevölkerungsbewegung (vgl. Abbildung 4, S.14), erkennt man, dass es Jahre gab, in de- nen die Stadt die EW-Zahl erhöhen konnte. Jedoch gab es Jahre (2008 und 2013), in denen die Bevölkerung sehr stark abnahm. Insgesamt verringerte sich die Bevölkerungszahl von 2002-2012 um 15 Personen.

13

20 15 10

5 0 -5 -10 -15

Anzahl von Anzahl Personen -20 -25 -30 -35 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016

Veränderung der EW-Zahl

Abbildung 4: Veränderung der Bevölkerungszahl 2002-2016 (eigene Erstellung aus den Daten des Amtes der Tiroler Landesregierung et al. 2000a-2017a)

Von Interesse ist weiter, in welchem Alter die Personen Rattenberg verließen und in wel- chem Alter sie nach Rattenberg zogen. In Tabelle 3 (S.15) sind jene Altersgruppen markiert, in denen es die meisten Zu- bzw. Wegzüge aus Rattenberg gab. Bis auf eine Ausnahme wies die Altersgruppe von 15 bis 29 Jahren in den Jahren von 2006-2016 die größte Fluktuation auf. Junge Erwachsene verlassen in diesem Alter für ein Studium oder eine weiterführende Ausbildung Rattenberg um (eventuell) nach Abschluss des Studiums wieder in den Heimatort zurückzukehren.

14

Tabelle 3: Zuzüge und Wegzüge aufgelistet nach Altersgruppen 2006-2016 (eigene Erstellung nach STATcube 2017e und STATcube 2017f) 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 ZUZÜGE bis 14 Jahren 3 2 9 8 3 9 11 5 11 5 6 15 bis 29 Jahre 18 24 17 18 20 22 24 21 39 40 36 30 bis 44 Jahre 6 10 11 10 8 24 12 18 26 18 14 45 bis 59 Jahre 2 8 4 3 5 6 7 3 9 9 4 60 bis 74 Jahre 2 0 0 1 0 1 6 0 2 2 4 75 Jahre und älter 0 0 0 0 1 0 0 0 0 1 2

WEGZÜGE bis 14 Jahren 3 8 11 3 5 7 2 10 9 5 7 15 bis 29 Jahre 22 20 31 8 17 24 25 19 25 31 35 30 bis 44 Jahre 9 11 18 11 10 17 9 22 19 20 18 45 bis 59 Jahre 0 4 7 3 0 12 8 16 8 13 12 60 bis 74 Jahre 1 2 0 3 0 1 2 8 6 0 2 75 Jahre und älter 0 2 1 0 0 0 0 0 1 1 1

Kössler (1977, S.58) beschreibt, dass der Anteil an weiblichen Zuwanderern größer ist. Das hat sich seit den 1970er Jahren geändert – denn die Daten von STATcube 2017e und STATcube 2017f zeigen ein interessantes Ergebnis. Im Zeitraum von 2002-2016 kamen mehr Männer nach Rattenberg. Gründe für diesen Wandel sind auf den ersten Blick nicht zu er- kennen.

3.4 Die Bevölkerungsstruktur

Um Aussagen über die Veränderungen der EW-Zahl treffen zu können, findet man oftmals in der Zusammensetzung der Bevölkerung, also in ihrer Struktur, wichtige Hinweise. Merkmale, die in diesem Zusammenhang untersucht werden, sind: Geschlecht, Alter, Bildung, Erwerbs- tätigkeit usw. In den folgenden Kapiteln werden diese Merkmale genauer betrachtet.

3.4.1 Die Altersstruktur

Um den Altersaufbau der Bevölkerung zu einem bestimmten Zeitpunkt aufzeigen zu können, wird oftmals eine Bevölkerungspyramide herangezogen. Auf diese Weise wird der Altersauf- bau am anschaulichsten widergegeben. Die Altersstruktur einer Bevölkerung spiegelt Gebur- ten, Sterbefälle und Wanderungen wider. Außerdem können aus dieser Struktur auch zu- künftige Entwicklungen abgelesen werden. 15

Rattenbergs Bevölkerungspyramide (vgl. Abbildung 5) weist hier einige Besonderheiten auf. Allgemein ist zu sagen, dass die Bevölkerungspyramide unten schmaler wird. Dies ist even- tuell eine ungünstige Form für die Zukunft. Es könnte in einigen Jahren zu Problemen führen, da zu wenige Menschen in Rattenberg wohnen, um Familien zu gründen und so die EW-Zahl konstant halten zu können. Eine genauere Betrachtung der Pyramide zeigt, dass der soge- nannte „Pillenknick“ auch in Rattenberg zu erkennen ist. Vor allem durch die Anwendung der

-15% -10% -5% 0% 5% 10%

85 und älter 80 bis 84 75 bis 89 70 bis 74 65 bis 69 60 bis 64 55 bis 59 50 bis 54 45 bis 49 40 bis 44 35 bis 39 30 bis 34 25 bis 29 20 bis 24 15 bis 19 10 bis 14 5 bis 9 bis 4

Männer % Frauen %

Abbildung 5: Bevölkerungspyramide von Rattenberg – Bevölkerung 2017 (Quelle: Statistik Austria 2017c)

Anti-Baby-Pille seit Mitte der 1960er Jahre, kam es zu einem Geburtenrückgang bei den Frauen im Alter von 45-49 Jahren. Dieser Rückgang ist bis zu der Altersgruppe der 25-29- Jährigen zu erkennen. Ab dieser Altersgruppe findet man einen Geburtenzuwachs. Dieser Zuwachs könnte ein Echoeffekt auf die Babyboom-Generation sein (vgl. de Lange et al. 2014, S.57). Ein Echoeffekt tritt dann ein, wenn eine bevölkerungsstarke Generation – wie zum Beispiel die Babyboom-Generation (Ende der 1950er / Anfang der 1960er Jahre) – ein repro- duktionsfähiges Alter erreicht (vgl. de Lange et al. 2014, S.51). Die Zunahme der Bevölkerung im Alter von 20-29 Jahren kann so begründet werden. Ab 1997 ist ein starker Einbruch der Bevölkerungszahl zu erkennen.

16

Um die Altersstruktur der Stadt Rattenberg klar charakterisieren zu können, müssen speziel- le Kennziffern herangezogen werden. Für die Berechnungen wird die Bevölkerung Ratten- bergs in drei Gruppen eingeteilt (de Lange et al. 2014, S.51):

 0-14 Jahre (die „Jungen“, im Folgenden mit „J“ bezeichnet)  15-64 Jahre (die Erwerbstätigen, im Folgenden mit „E“ bezeichnet)  65 Jahre oder älter (die „Alten“, im Folgenden mit „A“ bezeichnet)

Von Interesse sind beispielsweise der Altenquotient, der Jugendquotient und der Altersin- dex. Das Interesse an diesen drei Kennzahlen ist deshalb so groß, weil sie verwendet werden können, um eine Aussage über die „Überalterung“ der Bevölkerung zu treffen. Definitionen und Berechnungen finden sich bei de Lange et al. (2014, S.52):

퐴 „Der Altenquotient [ × 100] bezeichnet das statistische Verhältnis von Per- 퐸 sonen im Renten- bzw. nicht mehr erwerbsfähigen Alter zu jenen im erwerbs- fähigen Alter [...]. 퐽 Im Jugendquotient[…] [ × 100] drückt sich das statistische Verhältnis der 퐸 jüngeren, noch nicht erwerbsfähigen Bevölkerung zur Bevölkerung im erwerbs- fähigen Alter aus. 퐴 Der Altersindex [ × 100] [Berechnung ohne x 100 in Literatur, Anmerkung 퐽 Autorin LB] setzt die Zahl der alten zu derjenigen junger Menschen in Bezie- hung.“

Mit Hilfe der Daten von Statistik Austria (2017c) können diese Kennziffern berechnet wer- den. Der Altenquotient in Rattenberg beträgt 28.62%, der Jugendquotient 14.49% und der Altersindex 1.98. Aus diesen Daten ist ersichtlich, dass viele Rattenberger Einwohner und Einwohnerinnen älter als 65 Jahre sind. Das Verhältnis zwischen „Alten“ und „Jungen“ zeigt auf, dass mehr ältere Personen in Rattenberg leben als junge. Dies könnte in Zukunft zu gro- ßen Problemen führen. Betrachtet man den Abhängigkeitsindex (Berechnung durch 퐴+퐽 × 100) (Bähr 2010, S.83) der Rattenberger Bevölkerung von 43.1%, so ist ersichtlich, 퐸 dass das Verhältnis der nicht erwerbsfähigen Bevölkerung zur Bevölkerung im erwerbsfähi-

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gen Alter nicht so schlecht steht (vgl. de Lange et al. 2014, S.52). Dieser Index zeigt auf, wel- che Herausforderungen an die erwerbsfähigen Personen gestellt werden. Läge hier ein Wert über 50% vor, würde dies bedeuten, dass mehr Personen nicht arbeiten. In den Regionen Westeuropas sind dies meist Personen im Rentenalter. Belastungen für die erwerbsfähige Bevölkerung resultieren also (besonders) in einer Notwendigkeit, die älteren Generationen mitversorgen zu müssen. Doch wie sieht es nun mit der „Überalterung“ der Einwohner und Einwohnerinnen von Rat- tenberg aus? Veyret-Verner veröffentlichte 1971 einen Vorschlag zur Bestimmung der „Überalterung“ einer Bevölkerung. Diese gilt als „überaltert“, wenn mehr als 15% der Perso- nen älter als 60 Jahre sind, das Durchschnittsalter über 35 Jahren oder der Altersindex über 0.4 liegt (Veyret-Verner zitiert nach de Lange et al. 2014, S.52). Das Durchschnittsalter der Rattenberger Bevölkerung liegt bei 41.87 Jahren (STATcube 2017b), somit also über dem Grenzwert nach Veyret-Verner. Der Altersindex wurde weiter oben schon berechnet (S.17) und liegt mit 1.98 über dem vorgegebenen Grenzwert. Für die Berechnung der Daten wurde in dieser Arbeit eine Anpassung der Definition von Veyret-Verner vorgenommen. Die Le- benserwartung der Bevölkerung ist gestiegen und auch das Empfinden, ab welchem Zeit- punkt ein Mensch als „alt“ gilt, hat sich verändert. Deshalb werden als Altersgrenze nicht die Personen ab 60 Jahre herangezogen, sondern jene ab 65 Jahren. Der Anteil der Einwohner und Einwohnerinnen über 65 Jahren liegt somit bei einem Wert von 20% (Statistik Austria 2017c). Nach den Kriterien von Veyret-Verner gilt Rattenberg einerseits also als eine „überal- terte“ Stadt. Auf der anderen Seite muss erwähnt werden, dass nahezu die Hälfte der Rat- tenberger Bevölkerung (48.64%) jünger als 40 Jahre ist (Statistik Austria 2017c).

3.4.2 Die Sexualproportion

Das Verhältnis der männlichen zur weiblichen Bevölkerung spielt ebenfalls eine Rolle bei der Beschreibung der Bevölkerung. Dieses Verhältnis wird als Sexualproportion bezeichnet, be- 푀 rechnet durch 푝 = × 100. In der Formel steht W für die Anzahl der weiblichen Bevölke- 푊 rung und M für die Anzahl der männlichen Bevölkerung. Ergibt der Wert p mehr als 100, be- deutet dies einen Männerüberschuss (vgl. Bähr 2010, S.82). Liegt eine unausgewogene Sexualproportion vor, kann es zu Problemen bei der Partner- und Partnerinnenwahl kommen. Gibt es beispielsweise mehr Männer als Frauen, so existieren weniger potenzielle Partnerinnen für eine Familiengründung. Insgesamt wohnen in Rattenberg (Stand 2016) 211

18

Männer und 194 Frauen (Amt der Tiroler Landesregierung et al. 2017a, S.89 – man erhält eine Sexualproportion von 108.76. Das bedeutet, in Rattenberg liegt ein Männerüberschuss vor, 52.1% der Rattenberger Bevölkerung sind also Männer. Dies ist im Vergleich zu Gesamt- österreich ungewöhnlich, denn hier lebten 2014 mehr Frauen als Männer mit 51 % (Bundesministerium für Bildung und Frauen 2015, S.13). Vor allem im Alter 20-39 Jahren, 55- 59 Jahren und 75-89 Jahren gibt es einen Männerüberschuss (vgl. Abbildung 5, S.16). Offen- sichtliche Gründe für diesen Überschuss in Rattenberg finden sich nicht. 1970 gab es noch eine etwas andere Verteilung, nämlich einen Frauenüberschuss von 53.3% (Kössler 1977, S.61). Dies deckte sich zu dieser Zeit auch mit den Werten in Gesamtösterreich.

3.4.3 Staatsangehörigkeit

Zum Thema Bevölkerungsstruktur gehört auch die Staatsangehörigkeit der Wohnbevölke- rung. Dabei wird zwischen autochthonen („Einheimischen“) und allochthonen („Fremden“) unterschieden (de Lange et al. 2014, S. 80). Das Interesse an Migrationen und vor allem ihre Auswirkungen wird von vielen Disziplinen der Wissenschaft geteilt. Denn hat ein großer An- teil der Bevölkerung einen Migrationshintergrund, hat dies Auswirkungen auf das alltägliche Leben. So werden beispielsweise neue Kulturen, Religionen, Sprachen und Traditionen in ein Land – oder im Fall von Rattenberg, in eine Stadt – gebracht. Im Jahr 2017 lebten in Ratten- berg 284 österreichische Staatsbürger und 121 nicht-österreichische Staatsbürger (Statistik Austria 2017c). Somit weist Rattenberg einen sehr hohen Ausländer- und Ausländerinnenan- teil von 29.9% auf. Die meisten nicht-österreichischen Staatsbürger und Staatbürgerinnen kommen aus nicht EU-Staaten (vgl. Tabelle 4). Diese machen einen Anteil von 51.2% aus (Statistik Austria 2017c).

Tabelle 4: Herkunft der nicht-österreichischen Staatsbürger und Staatsbürgerinnen (Quelle: Statistik Austria 2017c) Herkunft Anzahl in % EU-Staaten 59 48.8 darunter: Deutschland 41 21.5 Restliches Europa 28 23.1 darunter: Türkei 9 7.4 Serbien 1 0.8 Bosnien und Herzegowina 7 5.8 Afrika 4 3.3 Nordamerika 1 0.8 Asien (ohne Türkei und Zypern) 29 24.0

19

Ein besonders großer Anteil der Personen kommt aus Asien. Der Bürgermeister der Stadt meinte dazu: „[…] wir haben hier in Rattenberg einen Besitzer von 4 Gebäuden, die an nor- male Mieter nicht mehr zu vermieten sind, daher nimmt er zum überwiegenden Teil Flücht- linge als Mieter da diese nicht so anspruchsvoll sind.“ (Freiberger 2017a, Anhang 1, S.115). Somit ist dieser hohe Anteil mit den Krisen im Nahen Osten zu begründen, denn 15 Personen kommen aus Afghanistan und 9 aus Syrien (STATcube 2017b).

3.4.4 Bildungsstand der Einwohner und Einwohnerinnen

Nicht nur Alter, Geschlecht und Herkunft der Einwohner und Einwohnerinnen spielen eine Rolle für Städte und Gemeinden. Auch der Bildungsstand liefert oftmals Informationen dazu, welche Bedürfnisse die Bevölkerung hat. Vor allem entscheidet im heutigen Zeitalter der Bildungsstand mehr denn je über zukünftige Berufschancen. Betrachtet werden die Einwoh- ner und Einwohnerinnen von Rattenberg mit einem Mindestalter von 15 Jahren – Abschluss der Schulpflicht. Insgesamt kommen in Rattenberg 370 Personen in Frage (Statistik Austria 2017d). Der größte Anteil der Rattenberger Bevölkerung hat einen Lehrabschluss (29.7%), dicht gefolgt von den Personen mit Pflichtschulabschluss (vgl. Abbildung 6, S.21). Der hohe Anteil an Personen mit einem Pflichtschulabschluss liegt darin begründet, dass Schülerinnen und Schüler, die noch in einer Ausbildungsphase sind, auch mitgezählt werden. Ihr höchster Abschluss bis Vollendung der nächsten Ausbildung ist der Pflichtschulabschluss. Die Akade- mikerquote in Rattenberg liegt bei 16.4% (vgl. Abbildung 6, S.21). Männer und Frauen unter- scheiden sich hier nur um 0.6%.

20

Abbildung 6: Bildungsstand der Rattenberger Bevölkerung (Quelle: Statistik Austria 2017d) Im Vergleich mit dem Jahr 1971 hat sich einiges geändert (vgl. Abbildung 7). Deutlich zu se- hen ist, dass im Jahr 1971 die höchste abgeschlossene Ausbildung der Pflichtschulabschluss

60

50

40

30 1971 Prozent 2015 20

10

0 Hochschule Höhere Schule Mittlere Lehrausbildung Pflichtschule Fachschule

Abbildung 7: Bildungsstand der Rattenberger Bevölkerung 1971 und 2015 (eigene Erstellung nach Statistik Austria 2017d und Kössler 1977, S.70) war (56.8%). Heute ist dieser Anteil viel geringer. Die Bevölkerung strebt nach einer höheren Ausbildung. Starke Zunahmen sind im Besuch von Hochschulen und höheren Schulen zu ver- zeichnen. Die Abschlüsse von mittleren Schulen haben ebenso zugenommen. Ein erstaunli-

21

ches Ergebnis liefert der Abschluss der Lehrausbildung. Auch hier ist ein leichter Zuwachs von 1.8% zu verzeichnen.

Die Stadt Rattenberg ist ein Schulstandort. Es gibt eine Neue Mittelschule für die Stadt Rat- tenberg und die Gemeinden , und . So kommen täglich 255 Schüler und Schülerinnen nach Rattenberg (Statistik Austria 2017e). Im Jahr 2015 gab es in Rattenberg 40 Schüler, Schülerinnen und Studierende. 29 der 40 Personen pendelten dabei in andere Gemeinden, wobei die meisten Personen eine Gemeinde desselben Bezirks bevor- zugten. Eine Besonderheit Rattenbergs ist sicherlich auch, dass schon Kinder im Volksschulal- ter pendeln müssen. Damit sie nämlich eine Volksschule besuchen können, pendeln sie in die Nachbargemeinde Radfeld.

3.4.5 Erwerbsstruktur

Auch die Erwerbsstruktur einer Gemeinde liefert wichtige Informationen. Um das Ausmaß der Erwerbstätigkeit zu erfassen, werden oftmals Erwerbsquote und Arbeitslosenquote her- angezogen. Für die Erwerbsstruktur betrachtet man die Erwerbstätigkeit. Der Blick fällt hier auf die Gruppe der Erwerbspersonen und in welchem Verhältnis diese zur Gesamtbevölke- rung stehen. Im Jahr 2015 gab es in Rattenberg 236 Erwerbspersonen und 178 Nicht- Erwerbspersonen (Statistik Austria 2017f). Als Nicht-Erwerbspersonen gelten Personen unter 15 Jahren, Personen mit Pensionsbezug, Schülerinnen und Schüler, Studierende und sonstige Nicht-Erwerbspersonen. Um die Erwerbsquote zu berechnen, verwendet man den Anteil der Erwerbspersonen an der gesamten Bevölkerung (de Lange et al. 2014, S.73). Somit ergibt sich in Rattenberg eine Erwerbsquote von 57%. Von den Erwerbspersonen sind 215 erwerbs- tätig und 21 arbeitslos (Statistik Austria 2017f). Dies macht eine Arbeitslosenquote von 5.1% aus. Auffällig ist, dass mehr Männer als arbeitslos gemeldet sind als Frauen. Unter den 215 Erwerbstätigen sind 12.6% selbstständig oder helfen bei Familienangehörigen mit. Die restlichen Personen sind unselbstständig. Die wirtschaftliche Zugehörigkeit der Er- werbstätigen gibt einen guten Überblick, in welchen Branchen die Menschen arbeiten. Der größte Anteil (23.3%) der Rattenberger Bevölkerung ist im Bereich „Herstellung von Waren“ tätig, 16.7% im „Handel“ und 9.3% im Bereich „Beherbergung und Gastronomie“ (Statistik Austria 2017f). Die übrigen Erwerbstätigen teilen sich auf andere Bereiche auf.

22

Von großem Interesse ist, wie viele Personen tatsächlich in Rattenberg arbeiten. Laut Statis- tik Austria (2017e) arbeiteten von den 214 Erwerbstätigen 170 nicht in Rattenberg. Das heißt, 79.44% der Erwerbstätigen arbeiteten in anderen Gemeinden. Die meisten Auspend- ler und Auspendlerinnen sind in einer anderen Gemeinde des Bezirks Kufstein tätig (vgl. Ab- bildung 8). Auch wenn viele Rattenberger Bewohner und Bewohnerinnen die Stadt zum Ar- beiten verlassen, pendeln viele Personen täglich nach Rattenberg, um dort zu arbeiten. Ins- gesamt kommen täglich 300 Personen nach Rattenberg (Statistik Austria 2017e). Der Groß- teil kommt aus einer anderen Gemeinde des Bezirks Kufstein mit 250 Personen (vgl. Abbil- dung 8). Durch die guten Einpendler- und Einpendlerinnenzahlen wird ersichtlich, dass Rat- tenberg ein günstiger Arbeitsstandort ist.

300

250

200

150

100

50 Anzahl der Anzahl Pendler undPendlerinnen 0 Gemeinde des Bezirks Gemeinde eines anderes Bundesland Ausland Kufstein anderen Bezirks

Auspendler und Auspendlerinnen Einpendler und Einpendlerinnen

Abbildung 8: Pendler und Pendlerinnen der Stadt Rattenberg nach Entfernung (eigene Erstellung nach Statistik Austria 2017e)

3.4.6 Familienstand und Haushaltsstruktur

Ein letztes Merkmal, das die Bevölkerung beschreibt, ist der Familienstand und die Haus- haltsstruktur. Der Familienstand kann auch heute noch herangezogen werden, um Aussagen über die Fertilität treffen zu können. Durch eine Abnahme der Heiratsbereitschaft oder An- hebung des Heiratsalters kommt es zu weniger Geburten. Dies hat sowohl Auswirkungen auf die Haushaltsgröße als auch die Zusammensetzung der Haushalte und führt zu einem Rück- gang der natürlichen Bevölkerungsbewegung. All dies beeinflusst die Stadt. Gibt es mehr Ein- oder Mehrfamilienhaushalte, gibt es viele Kinder etc. Die Ansprüche der Menschen verän-

23

dern sich dadurch. Widergespiegelt wird dies beispielsweise in der Größe der Wohnungen, in der Kindergarten- und Schulnähe etc., um nur einige Beispiele zu nennen (vgl. de Lange et al. 2014, S.64). Galt früher noch eine Ehe mit Kindern als ein erstrebenswertes Lebensziel – und oftmals auch die einzige Form von Familie – hat sich dies in den letzten Jahrzehnten geändert. Neben der „klassischen“ Familie gibt es heute auch Lebensgemeinschaften, eingetragene Partner- schaften, Alleinerziehende, Paare mit oder ohne Kinder. Für diesen Zweck muss ein Begriff näher betrachtet werden, der Begriff „Kernfamilie“. In Statistik Austria (2017g) wird „Kern- familie“ wie folgt definiert:

„Eine Familie bilden Ehepaare und Lebensgemeinschaften mit oder ohne Kind bzw. Elternteile mit ihren Kindern. Kinder in Familien sind alle mit ihren beiden Eltern oder einem Elternteil im selben Haushalt lebenden leiblichen Kinder so- wie Stief- und Adoptivkinder, die ohne eigene Partnerin bzw. eigenen Partner und ohne eigene Kinder im Haushalt leben - ungeachtet ihres Alters oder Fami- lienstandes.“

Mutter in Ein-Eltern-Familie

Vater in Ein-Eltern-Familie

Lebensgemeinschaft mit Kind(ern)

Anzahl der Familien Lebensgemeinschaft ohne Kind(er)

Ehepaar mit Kind(ern)

Ehepaar ohne Kind(er)

0 5 10 15 20 25 30 35 40

Abbildung 9: Kernfamilie nach Familientyp (eigene Erstellung nach Statistik Austria 2017g)

Im Jahr 2015 lebten 275 Personen in einer Kernfamilie und 139 nicht (Statistik Austria 2017g). Insgesamt gab es in Rattenberg 103 Kernfamilien, wobei 83 Familien eine Paarfami- lie bildeten (vgl. Abbildung 9). Der Anteil der Ein-Eltern-Familien liegt in Rattenberg bei

24

19.42%. Hier wird ersichtlich, dass die „klassische“ Familie für viele Personen erstrebenswert bleibt.

Knapp über die Hälfte der Paarfamilien war kinderlos (53.49%). Auch wenn der Bund für das Leben noch eingegangen wird, entscheiden sich viele Paare auf Kinder zu verzichten. Unter den Kernfamilien haben 44.7% keine Kinder, 32% ein Kind und 18.4% zwei Kinder (vgl. Abbil- dung 10). Die restlichen 4.8% haben mehr als drei Kinder. Der Trend zum Verzicht auf Kinder ist ersichtlich.

2) Einschließlich eingetragene Partnerschaften. 4) Eine Familie bilden Ehepaare und Lebensgemeinschaften mit oder ohne Kind bzw. Elternteile mit ihren Kindern. Kinder in Familien sind alle mit ihren beiden Eltern oder einem Elternteil im selben Haushalt lebenden leiblichen Kinder sowie Stief- und Adoptivkinder, die ohne eigene Partnerin bzw. eigenen Partner und ohne eigene Kinder im Haushalt leben - ungeachtet ihres Alters oder Familienstandes.

Abbildung 10: Familien und Haushalte (Statistik Austria 2017g)

25

4 Zur Wirtschaft in Rattenberg

Aus dem vorherigen Kapitel wurde ersichtlich, dass viele Personen nach Rattenberg einpen- deln, um ihrer Arbeit nachzugehen. Für die Darstellung eines wirtschaftlichen Wandels und der aktuellen wirtschaftlichen Situation in Rattenberg werden in den folgenden Kapiteln die verschiedenen wirtschaftlichen Sektoren und die Gebäudenutzung in Rattenberg genauer betrachtet.

4.1 Sektoren und Arbeitsstätten in Rattenberg

Die erwerbstätigen Personen in Rattenberg sind hauptsächlich im Bereich „Herstellung von Waren“, „Handel“ und „Beherbergung und Gastronomie“ tätig (vgl. Kapitel 3.4.5 Erwerbs- struktur, S.22). Interessant ist jedoch auch, in welchen Sektoren die Rattenberger Bevölke- rung tätig ist. Dabei werden drei Sektoren betrachtet (Kulke 2009, S.22):

 Primärer Sektor (Urproduktion): Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischerei  Sekundärer Sektor (Verarbeitende Wirtschaft): Bergbau, Industrie, Handwerk  Tertiärer Sektor (Dienstleistungswirtschaft): Handel, Verkehr, Finanzwesen etc.

Die Bevölkerung Rattenbergs ist hauptsächlich im tertiären Sektor tätig (vgl. Abbildung 11, S.27). In Zahlen ausgedrückt bedeutet das, dass 66.9% der Rattenberger in diesem Sektor tätig sind. An zweiter Stelle liegt der sekundäre Sektor mit 32.1%. Kein Erwerbstätiger ist im primären Sektor tätig. Dies ist kein überraschendes Ergebnis, denn bezogen auf Gesamtösterreich ergibt sich das gleiche Bild. Österreich ist eine Dienstleistungsgesellschaft.

26

Primärer Sektor Sekundärer Sektor Tertiärer Sektor ohne Angabe

Abbildung 11: Sektorale Gliederung der erwerbstätigen Personen in Rattenberg (eigene Erstellung nach Statistik Austria 2017f) Rattenberg bietet vielen Personen einen Arbeitsplatz (vgl. Einpendler und Einpendlerinnen). Insgesamt gab es in Rattenberg 89 Arbeitsstätten (Stand 2011) (Statistik Austria 2017h). Die meisten Arbeitsstätten siedeln sich im Bereich des Handels (33 Arbeitsstätten) gefolgt vom Bereich Beherbergung und Gastronomie mit 16 Betrieben an. Hierbei ist zu erwähnen, dass es in Rattenberg vor allem Arbeitsstätten mit 0-4 unselbstständig Beschäftigten gibt. Diese Arbeitsstätten machen 76.4% aus. Arbeitsstätten mit mehr als 100 unselbstständig Beschäf- tigten gibt es in Rattenberg keine. Die drei größten Arbeitsstätten beschäftigen zwischen 20 und 99 Personen. Hier wird schon ersichtlich, dass Rattenberg eine Stadt mit vielen Kleinbe- trieben ist.

4.2 Gebäudenutzung in Rattenberg

Um die aktuelle wirtschaftliche Situation und den möglichen Funktionswandel darzustellen in Rattenberg, wird in diesem Kapitel die Gebäudenutzung betrachtet. Für die Darstellung eines möglichen Wandels dient ein Vergleich mit den Gebäudenutzungen aus dem Jahr 1974 (vgl. Abbildung 12, S.30) und 1997 (vgl. Abbildung 13, S.31) mit dem heutigen Stand (vgl. Abbildung 14, S.32). Damit dieser Vergleich möglich ist, wird die von Kössler (1977) einge- führte Klassifizierung weiterverwendet, die auch Meze (1999) als Grundlage diente. Dabei

27

werden die folgenden sechs Bereiche betrachtet: Gewerbe, Glasveredelung und –verkauf, Gastgewerbe, Handel und Dienste, öffentliche Einrichtungen und Wohnfunktion. In den früheren Arbeiten (vgl. Kössler 1977, Meze 1999) wurden die einzelnen Klassen nie genauer beschrieben. Damit eine ähnliche Zuordnung überhaupt möglich ist, muss jede Klas- se genau definiert werden:

 Gewerbe: Betriebe, die selbst Waren produzieren (Beispiel: Tischler stellt selbst Ti- sche her, ein Raumausstatter hingegen kauft die Stoffe, Tapeten und bietet dann ei- ne Dienstleistung an)  Glasveredelung und -verkauf: Betriebe bzw. Geschäfte, die selbst Glas veredeln und / oder verkaufen  Handel und Dienste: Geschäfte, die Waren zum Kauf oder Dienstleistungen anbieten  Öffentliche Einrichtungen: Einrichtungen, die von der Öffentlichkeit genutzt werden (z.B. Museum, Postamt, Schule etc.)  Wohnfunktion: Gebäude, die für das Wohnen verwendet werden

Eine tabellarische Darstellung bietet einen guten Überblick, was sich in der Stadt verändert hat:

Tabelle 5: Anzahl der Gebäude nach Nutzung 1974, 1997 und 2017 (Quelle: Meze 1999, S.88 und eigene Erhebung) Gebäudenutzung 1974 1997 2017 Gewerbe 8 4 1 Glasveredelung und –verkauf 12 18 16 Gastgewerbe 10 13 16 Handel und Dienste 34 47 40 Öffentliche Einrichtungen 92 6 9 Reine Wohnfunktion 24 17 20

In Rattenberg ist eine Abnahme im Bereich Gewerbe zu erkennen. Seit 1974 verringerte sich die Anzahl von acht Betrieben auf nur einen Betrieb. Hat sich im Zeitraum von 1974 bis 1997 die Anzahl halbiert, so ist diese in den letzten 20 Jahren um 75% zurückgegangen. Fand man 1974 in Rattenberg noch eine große Vielfalt an verschiedenen Betrieben (z.B. Fleischhaue- reien, Kunstschlosserei etc.) (vgl. Kössler 1977, S.41f), gibt es 43 Jahre später nur noch einen Töpferladen. Die damaligen Geschäfte waren alle Kleinbetriebe bzw. wurden sogar nur von

2 Anpassung der Angabe aus Meze 1999, S.88 da Unstimmigkeiten bei Darstellung in Kössler 1977 [Karte „Gebäudenutzung 1974 – Rattenberg] und Tabelle in Kössler 1977, S.41ff aufgetreten sind.

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einer Person geführt. Haben diese oder der/die Inhaber sich entschieden den Betrieb zu schließen oder sind in Pension gegangen, wurde der Betrieb aufgegeben. Nur sehr wenige Betriebe sind aus Rattenberg in das Umland übersiedelt. Beispielsweise hat ein Installateur die Stadt verlassen und sich in Kramsach angesiedelt. Der Hauptgrund für die Abnahme des Gewerbes in Rattenberg ist damit zu begründen, dass die Inhaber „weggestorben“ sind und die Nachfrage der Bevölkerung nicht mehr vorhanden war. So bemühte man sich auch nicht um eine Nachfolge. Die Glasveredelung und -verkauf spielt in Rattenberg eine wichtige Rolle. Glas hat in der Umgebung, vor allem in Kramsach und Rattenberg, eine lange Tradition. In der Stadt gab es lange Zeit eine Glasraffinerie, die nach dem zweiten Weltkrieg in Konkurs ging. Viele Fach- kräfte wurden so freigesetzt, welche sich in der Nachkriegszeit selbstständig machten. Nach der Gründung der Glasfachschule in Kramsach wagten die Absolventen und Absolventinnen den Schritt in die Selbstständigkeit und Einwanderer und Einwanderinnen aus dem Sudeten- land begründeten die Vielzahl an Glasveredelungs- und verkaufsbetrieben in Rattenberg (vgl. Huber 1979, S.4). Die Glasveredelung und der Verkauf von Glas breiteten sich seit den 1970er Jahren bis in die 1990er Jahre in Rattenberg aus. Nicht Unternehmensgründungen sind für diesen Zuwachs verantwortlich, sondern die Ausbreitung von alteingesessenen Fir- men in andere Gebäude ist der Hauptgrund (vgl. Meze 1999, S.88f). Hingegen ist die Anzahl der Gebäude, die für Glasveredelung und -verkauf genutzt werden, in den letzten 20 Jahren leicht zurückgegangen (von 18 auf 16). Das Glasgeschäft Kisslinger verwendet sieben Gebäu- de für die Herstellung von Glas und den Verkauf. Das Geschäft verwendet im Vergleich zu 1997 ein Gebäude weniger (vgl. Meze 1999, S.89). Aber auch Familie Schlenz hat sich in sechs Gebäuden angesiedelt. Aus Platzmangel mussten die Betriebe neue Gebäude kaufen, mieten bzw. pachten, damit sie den Umsatz noch weiter steigern konnten.

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Quellen: Meze 1999, S.89 und Land Tirol 2017a Abbildung 12: Gebäudenutzung in Rattenberg 1974

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Quellen: Meze 1999, S.90 und Land Tirol 2017a Abbildung 13: Gebäudenutzung in Rattenberg 1997

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Quellen: eigene Erhebung 2017 und Land Tirol 2017a Abbildung 14: Gebäudenutzung in Rattenberg 2017

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Das Gastgewerbe steigerte in den letzten 20 Jahren die Anzahl der genutzten Gebäude. Die Konditorei / Café Hacker vergrößerte und benutzt nun auch die beiden Nachbarsgebäude mit. Ein ähnliches Bild zeigt sich beim Café Lavazza, das auch einen kleinen Teil des Nach- barsgebäudes mitbenützt. Viele traditionelle Gasthöfe bestehen nun mehr als 43 Jahre und haben den Standort nicht gewechselt. Neben den traditionellen Gasthöfen und Cafés, die schon 1997 in Rattenberg ansässig waren, findet man heute noch ein Irish Pub und ein Café in der Hassauerstraße. Einige andere Cafés wurden in den letzten 20 Jahren aufgelassen. Auch das traditionelle Gasthaus „Post“ hat seine Türen geschlossen. An dieser Stelle hat sich eine Kramsacher Konditorei angesiedelt. Der Zuwachs der genutzten Gebäude ist damit zu erklären, dass sich zwei Betriebe in die Nachbarsgebäude vergrößert haben. Ein Großteil der Lokale befindet sich in der Südtirolerstraße direkt in der Fußgängerzone. Viele Touristen und Touristinnen nutzen somit die Cafés und Gasthöfe. Die Cafés und Gasthöfe haben sich auch in Richtung des (Massen-)Tourismus orientiert und bieten außer Kuchen und Getränken zu- sätzliche Leistungen (z.B. Verkauf von Tassen) an. Auch wenn Rattenberg ein beliebtes Aus- flugsziel für Touristen und Touristinnen ist und das Gastgewerbe vom Tagestourismus lebt, gibt es Restaurants in Rattenberg, die einen ausgezeichneten Ruf in der Umgebung haben und hauptsächlich von Einheimischen aufgesucht werden. Die genutzte Gebäudeanzahl im Bereich Handel und Dienste ging seit 1997 leicht zurück. Waren es 1997 noch 47 Gebäude, so sind es heute lediglich 40. Das ist ein Rückgang von 14.89%. Die angebotenen Dienstleistungen in Rattenberg (Kanzleien, Arztpraxen, Apotheke etc.) sind nach wie vor vorhanden (vgl. Kapitel 6.2 Nahversorgung, S.43). Doch das Angebot des Handels hat sich stark verändert. 1974 war der Handel noch auf die Versorgung der loka- len Bevölkerung ausgerichtet. So gab es verschiedenste Betriebe, welche die Bedürfnisse der Bevölkerung stillten. In Rattenberg gab es beispielsweise eine Drogerie, eine Wäscherei, eine Eisenwarenhandlung, zwei Schuhgeschäfte etc. (vgl. Kössler 1977, S.41ff). Es waren Geschäf- te, die eher auf die ansässige Bevölkerung ausgerichtet waren. Dieses Bild veränderte sich bis 1997. Damals fand man schon viele Geschäfte, die eine touristische Ausrichtung hatten (vgl. Meze 1999, S.91). Heute findet man das gleiche Bild vor. Viele der Geschäfte sind der Bevölkerung in den umliegenden Gemeinden gar kein Begriff mehr und sie wissen somit nicht, welche Waren und Dienstleistungen in Rattenberg angeboten werden. Vor allem gibt es einen häufigen Wechsel der Inhaber/Inhaberinnen und des Angebots. Die meisten Betrie- be befinden sich in der Südtirolerstraße. 1974 wurde das „Oberstadtl“, der westliche Teil der

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Südtirolerstraße, noch hauptsächlich zum Wohnen genutzt. Dieses Bild hat sich komplett verändert. Dort findet man heute hauptsächlich Geschäfte. Rattenberg konnte die Anzahl der öffentlichen Einrichtungen wieder etwas anheben. Neben dem schon lange vorhandenen Bezirksgericht und der NMS Rattenberg verfügt die kleine Stadt über zwei Museen. Zudem befindet sich im alten Klostergebäude eine öffentliche Bib- liothek. Wichtige öffentliche Einrichtungen wie das Postamt, die Kirchenbeitragsstelle und das Verkehrsamt sind nicht mehr in Rattenberg vorhanden. Die überörtliche Funktion Rat- tenbergs hat sich damit seit den 1970er Jahren stark verändert. Durch die Eröffnung der Mu- seen ist auch der Bereich der öffentlichen Einrichtung näher an eine touristische Orientie- rung gerückt. Die Anzahl der Gebäude, die nur eine reine Wohnfunktion aufweisen, erhöhte in den letzten 20 Jahren wieder leicht. Im Zeitraum von 1974 bis 1997 nahm die Anzahl der Gebäude um sieben ab. Jedoch änderte sich diese Situation etwas und es gibt nun insgesamt 20 Gebäude mit einer reinen Wohnfunktion. Davon befinden sich im Moment zwei Gebäude im Umbau. Die Zunahme an Gebäuden mit reiner Wohnfunktion ist damit zu begründen, dass viele Be- triebe und Geschäftslokale in abgelegenen Bereichen der Stadt heute nicht mehr existieren (vgl. Inngasse und südliche Bienerstraße). Die neu zur Verfügung stehenden Flächen wurden entweder in Wohnflächen umgewandelt oder stehen leer. Über den nun leerstehenden Ge- schäftslokalen befinden sich oftmals Wohnungen. Somit weisen diese Häuser eine reine Wohnfunktion auf. In Rattenberg gibt es Gebäude, die im Moment nicht genutzt werden, und also leerstehen. Neben dem Gasthof „Traube“, der schon 1997 leerstand (vgl. Meze 1999, S.92), steht auch das ehemalige Pfarrhaus in der Bienerstraße leer. Hier wird eine neue Verwendung gesucht, für den Gasthof „Traube“ gibt es ebenfalls Pläne einer Neunutzung.

Rattenbergs Wirtschaft entwickelte sich in den letzten 20 Jahren immer mehr in Richtung Tourismus. Vor allem der Handel orientiert sich stark am Tourismus und bietet hauptsächlich Souvenirs an. Betriebe und Geschäfte, die nur wenig mit dem Tourismus zu tun haben, sind in Rattenberg kaum mehr anzutreffen. Auch die steigende Anzahl an gastgewerblich genutz- ten Gebäuden spricht für eine Orientierung am Tourismus. Wies Rattenberg 1974 noch eine Vielzahl an verschiedenen Branchen auf, so sind 2017 Glasveredelung und -verkauf zusam- men mit dem Gastgewerbe vorherrschend.

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5 Zum Tourismus in Rattenberg

Die mittelalterliche Stadt zieht jedes Jahr viele Touristen und Touristinnen an. Vor allem viele Reisebusse fahren Rattenberg an. In der Adventszeit findet man auf dem ruhigen Advent- markt nicht nur Einheimische, sondern eben auch viele Touristen und Touristinnen, die den besonderen Charme Rattenbergs genießen möchten. Der Tourismus ist eine wichtige Ein- nahmequelle für die Stadt. Zu den wichtigsten touristischen Kennzahlen gehören die Ankünfte und Übernachtungen. In Österreich wird zwischen der Winter- und Sommersaison unterschieden. Der Wintertouris- mus hat in Tirol eine größere Bedeutung und bringt auch mehr ein. So war es zumindest in den letzten Jahrzehnten.

5.1 Wintersaison

Bevor die genauen Kennzahlen für Rattenberg untersucht werden, müssen zwei Begriffe geklärt werden. Ankunft und Nächtigung werden wie folgt definiert (Statistik Austria 2015, S.9):

 „Ankunft: Jede Person, die in einem gemäß Tourismus-Statistik-Verordnung definierten Beherbergungsbetrieb zumindest eine Nacht verweilt, wird als an- kommende Person (=Ankunft) erfasst. Es kann nur eine Ankunft je Person er- fasst werden, unabhängig davon, wie viele Nächtigungen der tatsächliche Aufenthalt umfasst. Jede Ankunft muss jedoch mindestens eine Nächtigung umfassen, somit der Tagestourismus ausgeschlossen ist.  Nächtigung: Unter Nächtigung ist jede Übernachtung zu verstehen, die eine Touristin oder ein Tourist in einem gemäß Tourismusstatistik definierten Be- herbergungsbetrieb tätigt. Pro Person wird die Anzahl der Nächtigungen ge- zählt. Jede Ankunft umfasst mindestens eine Nächtigung.“

Aus Abbildung 15 (S.36) ist ersichtlich, dass es ab der Wintersaison 2000/2001 einen deutli- chen Aufschwung in der Anzahl der Ankünfte gab. Ab diesen Zeitpunkt hielten sich die An- kunftszahlen auf einem ähnlichen Niveau bzw. konnten sogar noch erhöht werden, bis es in der Saison 2013/2014 zu einem starken Einbruch kam (Rückgang zum Vorjahr um 48.2%)

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(Amt der Tiroler Landesregierung et al. 2014b, S.39). Die Ankunftszahlen der Wintersaison haben sich nach diesem Einbruch wieder auf ein gleichartiges Ausmaß eingestellt wie in den Jahren vor dem Aufschwung 2000/2001. Auch bei den Übernachtungen kam es im Vergleich zur Vorsaison zu einer Veränderung von 32.2% (Amt der Tiroler Landesregierung et al. 2014b, S.39). Im selben Jahr kam es in ganz Tirol zu einem Rückgang der Übernachtungen. Dieser fiel zwar im Vergleich zu Rattenberg milder aus – nur ein Rückgang von 3.3% – trotz- dem ist hier ein Trend in ganz Tirol zu erkennen (Amt der Tiroler Landesregierung et al. 2014b, S.2). Der Rückgang wird mit fehlendem Schneefall, warmen Temperaturen und somit schneefreien Wiesen in tiefen Lagen begründet (vgl. Amt der Landesregierung et al. 2014b, S.2). Die beiden Kurven verlaufen großteils analog (vgl. Abbildung 15). Auffällig ist hierbei, dass die Anzahl der Übernachtungen in einigen Saisonen extrem erhöht war (vgl. Saison 2008/2009). Die Kurve der Ankünfte verläuft etwas glatter und die „Ausreißer“ sind nicht so extrem wie die der Übernachtungen.

1800 1600 1400 1200 1000 800 600 400 200

0

1989/1990 2003/2004 1974/1975 1979/1980 1984/1985 1994/1995 1999/2000 2000/2001 2001/2002 2002/2003 2004/2005 2005/2006 2006/2007 2007/2008 2008/2009 2009/2010 2010/2011 2011/2012 2012/2013 2013/2014 2014/2015 2015/2016 2016/2017

Anzahl der Ankünfte Anzahl der Übernachtungen

Abbildung 15: Ankünfte und Übernachtungen der Wintersaison in Rattenberg (eigene Erstellung aus den Daten des Amtes der Tiroler Landesregierung et al. 2000b-2017b und Tirol Atlas 2017a)

Die meisten Touristen und Touristinnen übernachteten in Rattenberg im Jahr 2016 zwei Nächte (Tirol Atlas 2017a). Somit lädt Rattenberg zu einem kurzen Stopp ein und nicht zu einer längeren Erholung. In der Wintersaison 2016/2017 gab es die meisten Übernachtungen von Besuchern und Besucherinnen aus dem Ausland (83.42%) (eigene Berechnung aus Daten des Amtes der Tiroler Landesregierung et al. 2017b, S.46). Die meisten Gäste kamen aus

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Deutschland gefolgt von den Niederlanden. In den Jahren seit der Saison 1999/2000 herrscht in Rattenberg ein ähnliches Bild. Die meisten Übernachtungen brachten Gäste aus dem Aus- land, wovon ein Großteil aus dem Nachbarland Deutschland kam (vgl. Amt der Tiroler Lan- desregierung et al. 2000b-2017b). Eine einzige Ausnahme findet man in der Saison 2008/2009. Hier gab es eindeutig mehr Übernachtungen von inländischen Gästen. In Zahlen ausgedrückt bedeutet dies 1043 Übernachtungen, im Jahr zuvor gab es nur 212 Übernach- tungen inländischer Gäste (Amt der Tiroler Landesregierung et al. 2008b, S.45 und Amt der Tiroler Landesregierung et al. 2009b, S.45). Der Wintertourismus in Rattenberg weist schon seit den 1970er Jahren leichte Schwankun- gen auf. Bei den Wintermonaten ist anzumerken, dass die Anzahl der Übernachtungen in den letzten 40 Jahren nur in wenigen Fällen über 1000 lag. Der Wintertourismus hat sich in den vergangenen Jahrzehnten positiv entwickelt. Die Ankunftszahlen blieben in etwa gleich, aber bei den Übernachtungen ist eine positive Tendenz zu erkennen.

5.2 Sommersaison

Der Sommertourismus ist in Rattenberg stärker einzuschätzen. Die Anzahl der Ankünfte und Übernachtungen liegt über denen des Winters. Beispielsweise wurden in den Sommermona- ten des Jahres 2011 1103 Ankünfte gezählt (vgl. Abbildung 16, S.38). Der Höchstwert der Wintersaison lag bei 662 Ankünften (Saison 2011/2012). Ab dem Jahr 2001 stiegen die An- künfte und Übernachtungen in der Stadt, bis es ab dem Jahr 2012 zu einem Absinken kam. Somit gab es in den Sommermonaten in Rattenberg ein ähnliches Verhalten wie in den Win- termonaten im selben Zeitraum. Der Anstieg der Übernachtungen vom Sommer 2001 auf den Sommer 2002 ist mit erhöhten Übernachtungszahlen aus Österreich, Deutschland, der Schweiz, dem Vereinigten Königreich und den Niederlanden zu begründen. Der Einbruch bei den Übernachtungen im Jahr 2014 und der einsetzende Trend zu niedrigeren Übernach- tungszahlen sind in Tirol nicht zu erkennen. In diesem Jahr gab es in Tirol ein Plus von 1.2% (Amt der Tiroler Landesregierung et al. 2015c, S.1). Der Rückgang in Rattenberg lässt sich mit 33.9% beziffern (Amt der Tiroler Landesregierung et al. 2015c, S.47). In den Sommermona- ten 2016 verbrachten die Urlauber und Urlauberinnen durchschnittlich 1.7 Nächte in Rat- tenberg (Tirol Atlas 2017a). Die meisten Übernachtungen (67.49%) wurden von Gästen aus dem Ausland getätigt, wobei Deutschland hier an erster Stelle steht (eigene Berechnung

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2500

2000

1500

1000

500

0

Anzahl der Ankünfte Anzahl der Übernachtungen

Abbildung 16: Ankünfte und Übernachtungen der Sommersaison in Rattenberg (eigene Erstellung aus den Daten des Amtes der Tiroler Landesregierung et al. 2001c-2006c und 2008c-2017c, Land Tirol o.J. und Tirol Atlas 2017a) nach den Daten des Amtes der Tiroler Landesregierung et al. 2017c, S.54). Im Gesamten war Österreich aber in vielen Jahren seit 2000 die stärkste Nation in Bezug auf Übernachtungen in Rattenberg. In den letzten 17 Sommern war Österreich zwölf Mal Nation Nummer Eins. Anders als in den Wintermonaten ist in der Sommersaison eine Änderung zu früheren Jahr- zehnten festzustellen. Seit 1975 sind die Ankunfts- und Übernachtungszahlen in Rattenberg bis zum Anfang der 2000er Jahre zurückgegangen. Im Jahr 1975 gab es in Rattenberg noch 2328 Übernachtungen und 1142 Ankünfte (Tirol Atlas 2017a). Diese Höchstwerte konnten seitdem nicht mehr erreicht werden. Der Sommertourismus pendelt sich nun eher auf einem Niveau ein, das auch in den 1990er Jahren erreicht wurde.

5.3 Die Entwicklung des Tourismus

Um die Entwicklung des Tourismus in Rattenberg besser erfassen zu können, werden die Übernachtungszahlen von 1971 und 2016 miteinander verglichen. Aus den Absolutzahlen (vgl. Tabelle 6, S.39) wird ersichtlich, dass der Tourismus in Rattenberg eine negative Ent- wicklung hinnehmen musste. Die Übernachtungszahlen gingen in diesen Jahren um 78.46% zurück. Dieser Rückgang lässt sich bedingt mit dem drastischen Rückgang an Betten begrün- den. Im Jahr 1975 standen in Rattenberg noch 185 Betten zur Verfügung. Im Jahr 2015 konn- ten nur mehr 37 Betten zur Verfügung gestellt werden (Tirol Atlas 2017a). Der Verlust von

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Betten ist mit der Schließung einiger Hotels (z.B. Gasthof Traube) zu begründen. Obwohl die Anzahl der gastronomisch genutzten Gebäude in Rattenberg zugenommen hat (vgl. Kapitel 4.2 Gebäudenutzung in Rattenberg, S.27), ist kein Anstieg der Bettenzahlen zu verzeichnen. Dies lässt sich damit begründen, dass keine neuen Übernachtungsmöglichkeiten geschaffen wurden, sondern Cafés eröffnet bzw. erweitert wurden.

Tabelle 6: Entwicklung der Übernachtungszahlen (eigene Erstellung nach Kössler 1977, S.48 und Tirol Atlas 2017a) Übernachtungen 1971 Übernachtungen 2016 Insgesamt 6380 1374 Inländer/Inländerinnen 606 426 Ausländer/Ausländerinnen 5774 948

Der Anteil der Inländer und Inländerinnen hat sich in diesen 45 Jahren auch stark geändert (vgl. Tabelle 6). Wurden 1971 nur 9.5% der Übernachtungen von Inländern und Inländerin- nen getätigt, so waren es im Jahr 2016 31.1%. Die Zusammensetzung der Herkunftsländer hat sich ebenfalls verändert. Bei den ausländischen Übernachtungen wiesen 1971 die meis- ten noch die Niederlande auf (36.56%), dicht gefolgt von der BRD mit 35.36%, mit großem Abstand folgten dann England (8.09%), Frankreich (3.6%), Schweiz (2.22%) und USA (1.54%) (Kössler 1977, S.48). Die übrigen 12.63% verteilen sich auf das restliche Ausland. Im Touris- musjahr 2016 fand man eine andere Situation vor. Der Großteil der ausländischen Übernach- tungen wurde von deutschen Touristen und Touristinnen (43.46%) getätigt, gefolgt von den Niederlanden (14.56%), der Schweiz (7.7%), dem Vereinigten Königreich (3.38%), Frankreich (2.32%) und den USA (1.69%) (eigene Berechnungen nach Tirol Atlas 2017a). 26.9% der Nächtigungsgäste kamen aus anderen Ländern. Auffallend ist, dass es im Jahr 1971 noch zwei „Topnationen“ mit der BRD und den Niederlanden gab. Alle anderen Länder waren im einstelligen Bereich zu finden. Im Jahr 2016 kristallisierte sich eine Dominanz von deutschen Touristen und Touristinnen heraus. Die Niederlande befanden sich abgeschlagen auf dem zweiten Platz. Die Übernachtungen von Touristen und Touristinnen aus dem Vereinigten Königreich3 und Frankreich gingen zurück, wohingegen es mehr Übernachtungen von Schweizern gab. Ebenfalls änderte sich der Anteil von Übernachtungen aus anderen Her- kunftsländern stark. Dies spricht dafür, dass es mittlerweile eine etwas größere Vielfalt an Touristen und Touristinnen in Rattenberg gibt.

3 In der Hausarbeit von Kössler (1977, S.51) wird nur England miteinbezogen. 39

Mit diesen Zahlen wird der Tagestourismus noch nicht erfasst. Auch wenn sich der Touris- mus in Rattenberg in den letzten Jahrzehnten etwas verändert hat, so ist die Stadt trotzdem noch ein wichtiger touristischer Zielort in der Umgebung. Viele Busreisende und Privatper- sonen besuchen Rattenberg nur für wenige Stunden. Auch der Rückgang der Übernachtun- gen (vgl. Tabelle 6, S.39) spricht dafür, dass viele Personen Rattenberg nur noch für kurze einen kurzen Aufenthalt nach Rattenberg kommen. Nichtsdestotrotz spielt der Tourismus in Rattenberg eine wichtige Rolle.

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6 Rattenberg als Wohnstandort

Die kleine Stadt am Inn hat in vergangen Zeiten viele Menschen angezogen und war ein be- liebter Wohnstandort. Doch wie sieht es im 21. Jahrhundert aus? Ist die Stadt noch attraktiv für die Menschen und bietet sie vor allem genügend Wohnraum?

6.1 Der Wohnungsmarkt in Rattenberg

Die EW-Zahl von Rattenberg hat zwar in den letzten Jahrzehnten abgenommen, nicht aber so die Anzahl der Wohnungen (Landesstatistik Tirol 2017a). Im Jahr 1961 gab es in Rattenberg 235 Wohnungen. Diese Zahl hat sich bis zum Jahr 2011 auf 272 Wohnungen erhöht. Es stellt sich die Frage, wo denn diese neuen Wohnungen entstanden sind? Denn die Anzahl an Gebäuden ist in Rattenberg nur um zwei gestiegen (Landesstatistik Tirol 2017b). In den späten 1980er und in den 1990er Jahren fand in Rattenberg eine Generalsanierung von Gebäuden statt. Beispielsweise konnte das erste generalsanierte Haus 1990 bezogen werden (vgl. Meze 1999, S.106). In den Jahren 1996 und 1997 folgten zwei weitere Gebäude. Vor der Generalsanierung gab es in diesen drei Gebäuden neun bewohnbare Wohnungen und danach vierzehn (vgl. Meze 1999, S.106f). Die neuen Wohnungen wurden durch Dachbodenausbauten oder Wiederbenutzung von bereits vorhandenen Wohnungen geschaffen. In den 1990er Jahren haben auch einige Privateigentümer Wohnungen saniert, vor allem nach der Eröffnung der Umfahrung der Stadt (vgl. Meze 1999, S.107f). Meze (1999, S.108) nahm in ihrer Arbeit an, dass durch diese Maßnahmen „der Trend zur Abnahme der Wohnfunktion“ gebremst oder sogar umgekehrt werden konnte. Doch die statistischen Daten aus Volkszählungen und Registerzählung sprechen zunächst dagegen. Im Zeitraum von 1991-2001 nahm die Anzahl der Wohnungen in Rattenberg um 19.53% ab (eigene Berechnung angelehnt an Landesstatistik Tirol 2017a). Erst im darauffolgenden Jahrzehnt von 2001-2011 konnte die Stadt die Anzahl der Wohnungen stark steigern, und zwar von 206 auf 272 Wohnungen (32.04%) (Landesstatistik Tirol 2017a). Der Grund für diese Zunahme ist, dass „[…] die Stadtentwicklung Rattenberg gegründet [wurde] und besondere Förderpro- gramme für Sanierungen in der Stadt wurden geschaffen. Daher stimmt es das [sic] mehrere große Häuser renoviert wurden und dadurch viele neue Wohnungen gebaut worden sind.“ (Freiberger 2017b, Anhang 2, S.116)

41

Im Jahr 2015 gab es 226 Privathaushalte in Rattenberg (Statistik Austria 2017g). Betrachtet man die Größen der Privathaushalte, ist Rattenberg eine Stadt der Singles. Denn knapp über die Hälfte der Privathaushalte besteht aus einer Person (Statistik Austria 2017g). Im Vergleich zu ganz Österreich – dort liegt der Anteil der 1-Personenhaushalte nur bei 37.2% (WKO 2017) – ist diese Zahl schon erheblich größer. Eine logische Schlussfolgerung daraus ist, dass die durchschnittliche Haushaltsgröße in Rattenberg unter dem Durchschnitt Österreichs liegt. In Rattenberg leben in etwa 1.83 Personen in einem Haushalt (Statistik Austria 2017g). Die Haushaltsgröße ist in Rattenberg seit den 1970er Jahren rückläufig (vgl. Abbildung 17). Im Vergleich zu ganz Österreich liegt Rattenberg schon seit über 25 Jahren unter dem Durchschnitt. Auffallend ist, dass der Abstand der beiden Durchschnittswerte immer größer wird. Dieser Trend verhält sich im Vergleich zu kleinen Gemeinden (< 1000 Einwohner und Einwohnerinnen) in ganz Österreich gegenläufig. Vor allem in kleinen Gemeinden leben nur ein Viertel der Einwohner und Einwohnerinnen in einem 1- Personenhaushalt. Doch die Stadt Rattenberg verhält sich eher wie eine Großstadt mit mehr als 100 000 Einwohnern und Einwohnerinnen. Denn dort leben nahezu die Hälfte der Personen in 1-Personenhaushalten (Statistik Austria 2013).

3,5

3,0

2,5

2,0 Rattenberg 1,5 Österreich

1,0

0,5

0,0 1971 1981 1991 2001 2011 2015

Abbildung 17: Durchschnittliche Haushaltsgröße in Rattenberg und Österreich (eigene Erstellung aus den Daten von Meze 1999, S.114; Statistik Austria 2017g; Statistik Austria 2004, S.197; Statistik Austria 2017i) Weiters fällt auf, dass in Rattenberg im Jahr 2011 272 Wohnungen zur Verfügung standen, aber es nur 214 Privathaushalte gab (Statistik Austria 2017j). Das Wohnungsangebot in der Stadt wird also nicht voll ausgenutzt. Wenn Personen nach Rattenberg ziehen wollen, sollte

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eine Möglichkeit zur Beziehung einer dieser Wohnungen bestehen. Natürlich gibt die Statis- tik nicht wider, in welchem Zustand oder wie groß diese Wohnungen waren und sind. Wei- sen die Wohnungen nicht heutige Standards auf, sind diese schwer zu vermieten und wer- den es ohne Sanierungsarbeiten auch bleiben.

6.2 Nahversorgung

Für einen Wohnstandort ist es von Bedeutung, dass sich die Einwohner und Einwohnerinnen gut versorgen können. Dabei spielt die Nahversorgung eine große Rolle. Der Begriff „Nahversorgung“ ist schwer abzugrenzen. Der Begriff wird vielfach verwendet und jede/r, die/der davon spricht, versteht darunter etwas anderes. Nähe wird von jedem Menschen anders empfunden und genauso verhält es sich bei der Versorgung. Eindeutig festzumachen ist, dass eine Unterscheidung zwischen dem ländlichen und städtischen Raum getroffen

Abbildung 18: Nahversorgung im ländlichen und städtischen Raum (Quelle: Schnedlitz et al. 2016, S.9) werden muss (vgl. Abbildung 18). Im ländlichen Raum werden andere Entfernungen als nah empfunden als in städtischen Räumen. Auch der Faktor Mobilität wird in beiden Räumen anders aufgefasst. In großen Städten gibt es ein breiteres Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln. Die Möglichkeiten diese zu nutzen, sind im städtischen Raum viel größer. Im ländlichen Raum fahren öffentliche Verkehrsmittel oftmals nur sehr unregelmäßig und ob

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es dann überhaupt Haltestellen in der Nähe gibt, ist eine andere Frage. Es ist also ersichtlich, dass Nahversorgung von jeder einzelnen Person abhängt und vom Gebiet, in dem sie wohnt. Welche Waren zum täglichen Bedarf gehören, ist ebenso von Person zu Person unterschiedlich. Unumstritten sind Lebensmittel. Lebensmittelgeschäfte haben neben der Versorgungsfunktion in kleinen Gemeinden auch eine soziale Aufgabe. Menschen treffen sich dort und können sich über Geschehenes austauschen. Vor allem für ältere Personen ist dies eine Möglichkeit soziale Kontakte zu pflegen und einmal das Haus zu verlassen (vgl. Schnedlitz et al. 2016, S.12). Eine weitere wichtige Rolle in Bezug auf Nahversorgung spielt die Erreichbarkeit. Mit zunehmendem Alter ist die Mobilität vieler Menschen eingeschränkt, doch sie sollten sich noch mit Waren des täglichen Bedarfs eindecken können. Im Weiteren wird folgende Definition von Nahversorgung verwenden: „Waren und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs, welche noch in Gehweite liegen“ (eigene Definition). Im Folgenden soll Rattenberg in Hinblick auf Lebensmittelgeschäfte, Bäckereien oder Bäckerei-Filialen, Fleischhauereien oder Fleischhauerei-Filialen, Arztpraxen und Apotheken untersucht werden. Diese fünf Einrichtungen sind die Eckpfeiler, die eine gute Nahversorgung darstellen. Im Jahr 2017 fand man noch drei dieser Eckpfeiler in Rattenberg: eine Bäckerei-Filiale, drei Ärzte und eine Apotheke (vgl. Abbildung 14, S.32). Das letzte Lebensmittelgeschäft namens „Gupf“ schloss im Jahr 2017 seine Türen. Die Versorgung mit Lebensmitteln direkt in Rattenberg ist nicht mehr möglich, jedoch gibt es in den Nachbargemeinden genügend Alternativen. Die nächstgelegene Möglichkeit befindet sich neben der Bundesstraße in Brixlegg. Vom Westeingang Rattenbergs braucht man zu Fuß zu diesem Supermarkt etwa fünf bis zehn Minuten. Ähnlich verhält es sich mit der Fleischhauerei. Wieder gibt es einige Möglichkeiten in den Nachbargemeinden Fleisch- und Wurstwaren zukaufen. Geht man über die Innbrücke Richtung Kramsach, gelangt man nach sehr kurzer Zeit zu einer Fleischhauerei. Möglichkeiten gibt es also auch in den Nachbargemeinden, jedoch sind einige dieser Geschäfte außer Gehweite. Und vor allem für die ältere Bevölkerung wird dies zu einem Hindernis. Das Lebensmittelgeschäft „Gupf“ bot nämlich auch einen speziellen Service an. Das Eingekaufte wurde direkt zur Wohnung geliefert, für ältere Menschen ein optimaler Service. Es entfiel das Tragen des (schweren) Einkaufs, der schon auf wenigen Metern zu einer enormen Last werden kann.

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Im Vergleich zum aktuellen Stand fand man 1974 noch alle fünf Eckpfeiler in Rattenberg. Es gab drei Geschäfte, in denen man Lebensmittel kaufen konnte, eine Bäckerei, zwei Ärzte, zwei Fleischhauereien und eine Apotheke (vgl. Kössler 1977, S.41ff). Dazu kamen noch eine Selcherei und eine Milchtrinkstube. In den 70er Jahren versorgten diese beiden Einrichtungen die Menschen auch noch mit Waren und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs. Somit ist diese beiden Beispiele etwas differenzierter zu betrachten. Die Milchstube bot neben Milch auch Butter und Käse an, welche in den 1970er Jahren oftmals auch außerhalb von Lebensmittelgschäften erstanden werden konntem. Das gleiche gilt für die Selcherei. Durch den Vergleich der beiden Jahre wird ersichtlich, dass es einen starken Rückgang der Versorgungsmöglichkeiten in Rattenberg gibt. Auch wenn im Jahr 2017 noch drei von fünf Eckpfeilern vorhanden sind, wird die Versorgungen des täglichen Bedarfs immer schwieriger. Vor allem verschwand ein wichtiger – wenn nicht der wichtigste – Eckpfeiler. Durch die fehlende Möglichkeit sich mit Lebensmitteln direkt in der Stadt einzudecken, hat der Bereich Nahversorgung in Rattenberg einen starken Einbruch zu verzeichnen. Positiv anzumerken ist jedoch, dass die Apotheke einen Junior-Chef hat und auch der langjährige Allgemeinmediziner der Stadt eine Nachfolgerin gefunden hat. Somit sind diese beiden Bereiche auch in den nächsten Jahren gesichert.

Abschließend ist zu sagen, dass die Nahversorgung in Rattenberg derzeit noch gesichert ist, auch wenn es Tendenzen gibt, dass diese sich in Zukunft verschlechtert. Trotzdem besteht für die Einwohner und Einwohnerinnen die Möglichkeit sich in den umliegenden Gemeinden zu versorgen.

6.3 Zentralität

Rattenberg hatte in den vergangen Jahrhunderten wichtige überörtliche Funktionen und somit auch eine wichtige Stellung unter den umliegenden Gemeinden. Durch die Grenzlage in früheren Jahrhunderten und das damit verbundene Zollrecht kam Rattenberg eine große Bedeutung zu. Das Stadtrecht schuf zusätzlich noch Monopolstellungen. Mit der Zeit gingen einige dieser wichtigen Funktionen verloren und auch Rattenberg als Zentrum der Umge- bung war Geschichte. Die Zentralität der kleinen Stadt nahm ab. Zentralität ist „die räumliche Konzentration von Einrichtungen und Diensten auf wenige zentrale Orte.“ (Tirol Atlas 2017b).

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Nicht jede Einrichtung wird in jeder Gemeinde vorkommen. Mit Hilfe des Begriffs „Zentrali- tät“ kann die Bedeutung einer Gemeinde / Stadt für die Region dargestellt werden (vgl. Tirol Atlas 2017b). In wirtschaftlicher Hinsicht ist durch den Abzug bzw. das Auflassen von ver- schiedenen Gewerben Rattenberg nicht mehr Mittelpunkt der Umgebung. Beispielsweise gibt es in Brixlegg verschiedenste Betriebe, die einen Namen über die regionalen Grenzen hinaus haben (Firma Giesswein, Firma Silberquelle, Montanwerk Brixlegg etc.). Rattenbergs einziger herausstechender wirtschaftlicher Zweig ist die Glasveredelung. Auch vom ehemaligen Durchzugsort mit einem regen Leben in den Gasthäusern und Unter- künften ist nicht viel geblieben. Der touristische Mittelpunkt der Umgebung ist Rattenberg heute nicht mehr. Vor allem Wintergäste ziehen die Nähe zu Pisten und Liften vor und ver- bringen somit die Urlaube in Reith i.A. oder . Einige öffentliche Ämter sind Rattenberg jedoch erhalten geblieben. Man findet weiterhin das Bezirksgericht und einen öffentlichen Notar. Zusätzlich gibt es die NMS Rattenberg. Als Schulstandort hat die Stadt also auch eine gewisse Bedeutung für die nähere Umgebung. Trotzdem lässt sich in den letzten Jahrzehnten ein Verlust der Zentralität feststellen. In der Vergangenheit befanden sich in Rattenberg noch weitere wichtige Einrichtungen neben den bereits genannten. Beispielsweise gab es das Verkehrsamt, die Kirchenbeitragsstelle und die Polizeiinspektion (vgl. Meze 1999, S.92 und Kössler 1977, S.41ff). All diese Einrichtungen fin- det man heute nicht mehr in Rattenberg. Die Polizeiinspektion übersiedelte 1988 von Rat- tenberg nach Kramsach. Eine weitere wichtige überörtliche Funktion nehmen die Banken in Rattenberg ein. Die „Sparkasse Rattenberg Bank AG“ und die Bankstelle der „Raiffeisen Bezirksbank Kufstein eGen“ sind in der Stadt angesiedelt. Die Sparkasse Rattenberg hat eine große Bedeutung für die Umgebung, da es verschiedene Zweigstellen gibt. Diese sind in Kramsach, Brixlegg, Alpbach, Reith i.A., Breitenbach und Münster (vgl. Sparkasse Rattenberg 2017). Das Vorhan- densein dieser Banken erleichtert den Alltag der Menschen. Vor allem der Sitz der Sparkasse in Rattenberg führt dazu, dass auch einige Personen aus dem Umland die Hauptzentrale auf- suchen. Wie schon öfters angesprochen spielt auch die Mobilität für die Zentralität eine wichtige Rolle. Rattenberg besitzt eine Bahnhaltestelle und ist mit dem Bus erreichbar. Die Möglich- keit die Stadt zu verlassen oder sie aufzusuchen, ist somit vorhanden. Ein kleines Manko ist auf alle Fälle, dass der Großteil der Stadt eine Fußgängerzone ist. So können Einwohner und

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Einwohnerinnen und auch Geschäftsinhaber und Geschäftsinhaberinnen nur zu bestimmten Zeiten direkt vor den Häusern parken. Autos müssen entweder außerhalb der Stadt geparkt werden oder in einer sehr kleinen Kurzparkzone.

Rattenberg hat zwar über die Jahrhunderte hinweg an Bedeutung verloren, trotzdem sind noch einige wichtige Einrichtungen in Rattenberg zu finden. Im Vergleich zu anderen Orten des Bezirks weist Rattenberg sicherlich keine sehr große Zentralität auf.

Rattenberg als Wohnstandort bietet den Menschen einiges. Wohnungen wären genügend vorhanden – es ist aber nicht klar in welchem Zustand diese sind. Auch die Nahversorgung ist in Rattenberg möglich. Durch die Größe der Stadt muss bedacht werden, dass die Entfernung zu den Supermärkten in den Nachbargemeinden (vgl. Beispiel in Kapitel 6.2 Nahversorgung, S.43) geringer ist als in anderen Gemeinden. Betrachtet man hier die Nachbargemeinde Kramsach und den Ortsteil Moosen, ist die Entfernung zum nächsten Supermarkt für die Einwohner und Einwohnerinnen dieses Ortsteils viel größer. Somit muss Rattenberg auch hier differenziert betrachtet werden. Die Zentralität der Stadt ist nicht sehr groß. Auch wenn Rattenberg eine Stadt ist, so liegt sie im ländlichen Raum. Sie wird nie Wichtigkeit erlangen wie Kufstein oder Schwaz. Trotzdem ist Rattenberg gut an das öffentliche Verkehrsnetz an- gebunden und die Mobilität der Menschen ist nicht eingeschränkt. Nichtsdestotrotz verlassen viele Einwohner und Einwohnerinnen die Stadt und nur wenige wollen sich in Rattenberg niederlassen. Diese Gründe müssen nun erforscht werden.

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7 Empirische Untersuchung zum Thema Stadtleben

Durch Auswertung der offiziellen statistischen Daten konnten einige Themenbereiche nicht ausreichend betrachtet werden. Die Bewohner und Bewohnerinnen der Stadt erhielten zu diesen Themen einen Fragebogen. Die Ergebnisse des ausgeteilten Fragebogens werden ausgewertet und analysiert. Die Bögen beinhalteten Fragen zu verschiedensten Themen, wie etwa Gründe für den Zuzug nach Rattenberg, Einstellungen und Meinungen zum Alltagsle- ben, und lieferten den Bewohnern und Bewohnerinnen Rattenbergs die Möglichkeit ihre Sichtweise darzulegen (vgl. Fragebogen, Anhang 5, S.119) Im folgenden Kapitel wird die Zusammensetzung der befragten Haushalte näher betrachtet. Infolgedessen werden einzelne Aspekte, welche für ein (nachhaltiges) Leben in der Stadt nötig sind, genauer betrachtet. Es soll in diesem Teil der Arbeit darum gehen, die Situation Rattenbergs besser zu verstehen und einen Eindruck zu erhalten, welche Wünsche die Ein- wohner und Einwohnerinnen haben.

7.1 Erstellung und Durchführung

Der empirischen Untersuchung liegt eine schriftliche Befragung der Rattenberger Bevölke- rung zugrunde. Bei der Erstellung des Fragebogens wurden verschiedene Aspekte beachtet. So wurden am Anfang allgemeine Fragen gestellt, die den Einstieg für die Befragten erleich- tern sollten. Die Fragen, welche von den befragten Personen als heikel eingestuft hätten werden können, wurden im Mittelteil bzw. am Ende des Fragebogens gestellt. Die Reihen- folge der Fragen ist nach verschiedenen Themenbereichen angeordnet – zum Beispiel „All- gemeine Informationen“, „Wohnort / Gründe für den Zuzug“, „Arbeit / Ausbildung“ usw. Nach einem Testlauf mit fünf Personen, um etwaige Ungenauigkeiten bei Fragestellungen zu beheben, wurden insgesamt 201 Fragebögen an Rattenberger Haushalte ausgeteilt. Das be- deutet, dass pro Haushalt nur ein Fragebogen auszufüllen war. Die Rücklaufquote betrug nur 18.9% (38 Fragebögen wurden ausgefüllt zurückgegeben).

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7.2 Auswertungsmethoden

Der Fragebogen enthielt verschiedenste Fragetypen (offene Fragen, Single-Choice-Fragen, Multiple-Choice-Fragen, Matrixfragen etc.). Je nach Fragentyp bedarf es einer anderen Me- thode, um diese Daten auszuwerten. Diese werden im Folgenden erläutert.

 Auswertungsmethode bei Auswahlfragen

Die Auswertung der Auswahlfragen erfolgt mit Hilfe des Tabellenkalkulationspro- gramms EXCEL. Zu den Auswahlfragen gehören Single-Choice-, Multiple-Choice-, so- wie Matrixfragen. Bei den Matrixfragen werden die verschiedenen Unterfragen jeweils einzeln betrach- tet. Die Multiple-Choice-Fragen (Mehrfachnennungen) könnten auf den ersten Blick zu Interpretationsschwierigkeiten führen. Da mehrere Nennungen möglich sind, ist auch eine Gesamtprozentangabe von über 100 möglich. Beispielweise wird in einer Umfrage erhoben, welche Internetseiten täglich besucht werden. Die Antworten werden auf die Stichprobenanzahl bezogen. Kreuzen bei einem Stichprobenumfang von 100 die Hälfte der befragten Personen eine Auswahlmöglichkeit an, so besuchen 50% diese Internetseite täglich. Zudem kann aber eine andere Website von 75 Perso- nen täglich besucht werden – also 75%. So kann es in einer grafischen oder tabellari- schen Darstellung auf den ersten Blick zu Ungereimtheiten kommen. Die Daten des Fragebogens werden kodiert, sodass eine statistische Auswertung er- folgen kann.

 Auswertungsmethode bei offenen Fragen

Eine Kodierung der Daten ist bei offenen Fragen nicht möglich. Deshalb werden die Antworten nach Häufigkeit der Aussagen untersucht, – zum Beispiel, wie oft ein Le- bensmittelgeschäft erwähnt wurde. Aufgrund der Häufigkeit können Tendenzen er- kannt werden. Neben dieser Methode wird bei anderen offenen Fragen unterschiedlich vorgegan- gen. Dabei werden in Schritt 1 verschiedene Kategorien erstellt und jede dieser Kate- gorien wird eine Farbe zugeteilt (Farbkodierung). In Schritt 2 werden in der Liste „Antworten“ die entsprechenden Aussagen den verschiedenen Kategorien zugeord-

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net und farblich markiert. In Schritt 3 werden die genannten Antworten paraphra- siert. Diese Methode ergibt einen besseren Überblick, welche Themen den Befragten wichtig sind.

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8 Auswertung der Daten

In den folgenden Kapiteln findet die Auswertung und Interpretation der Fragen statt. Ver- schiedene Fragen werden pro Kapitel betrachtet, die in einem Zusammenhang stehen. Die letzte Frage wird in diesem Kapitel nicht explizit betrachtet. Die Antworten auf die Frage werden im letzten Teil der Arbeit eingearbeitet.

8.1 Zusammensetzung der befragten Personen

In den 38 Haushalten, welche geantwortet haben, leben 72 Personen. Von diesen sind 40 weiblich (55.6%) und 32 männlich (44.4%). Betrachtet man die Zusammensetzung der Haus- halte (vgl. Tabelle 7) wird ersichtlich, dass die meisten Fragebögen von weiblichen Personen ausgefüllt wurden, die in einem Single-Haushalt leben. Neben der Größenzusammensetzung der Haushalte ist auch das Alter der befragten Personen von Interesse.

Tabelle 7: Anzahl der verschiedenen Haushaltsgrößen (Daten aus eigener Erhebung 2018) Haushaltsgröße Anzahl weiblich männlich 1-Personen-Haushalt 16 62.5% 37.5% 2-Personen-Haushalt 13 57.7% 42.3% 3-Personen-Haushalt 2 50% 50% 4-Personen-Haushalt 6 50% 50% keine Angabe 1 - -

Tendenziell ist zu sagen, dass die Altersverteilung der Personen, welche die Fragebögen aus- gefüllt haben, ausgeglichen erscheint (vgl. Tabelle 8). Einen genauen Rückschluss auf das Alter der befragten Personen kann nicht gezogen werden, da auch Mehrfachnennungen möglich waren. Eine genaue Altersangabe ist für die weiteren Betrachtungen nicht nötig und wurde deshalb auch im Fragebogen nicht genauer untersucht.

Tabelle 8: Altersverteilung der Befragten (Daten aus eigener Erhebung 2018) (N=36) Absolut Prozent über 60 Jahre 15 41.7 36 - 60 Jahre 14 38.9 19 - 35 Jahre 14 38.9 unter 18 Jahren 6 16.7

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Die befragten Personen sollten auch Angaben zum höchsten Bildungsabschluss geben. Unter den Befragten haben jeweils 37.8% einen Pflichtschulabschluss oder Hochschulabschluss und 24.3% eine Matura vorzuweisen (vgl. Tabelle 9).

Tabelle 9: Höchster Bildungsabschluss der im Haushalt lebenden Person(en) (Daten aus eigener Erhebung 2018) (N=37) Anzahl Pflichtschule 14 Matura 9 Hochschule 14 kein Abschluss 0 noch in Ausbildung 0

8.2 Wohnsituation

Rattenberg als eine sehr kleine Stadt bietet wenig Platz für Häuser und Wohnungen. Interes- sant ist sicherlich, was Menschen dazu bewegt, sich in Rattenberg niederzulassen. Die Be- fragten leben durchschnittlich seit 1995 in dem von ihnen bewohnten Gebäude, wobei eine Person schon seit 1960 und andere erst seit 2017 die Stadt als ihre Heimat bezeichnen kön- nen (Daten aus eigener Erhebung 2018). Viele der Befragten hatten auch schon zuvor ihren Wohnsitz in Rattenberg (60.5%) (vgl. Tabelle 10). Andere hingegen lebten vorher in anderen Gemeinden. Besonders auffällig ist, dass nur sehr wenige Personen aus den Nachbarge- meinden nach Rattenberg gezogen sind (15.8%). Die meisten zugezogenen Personen stam- men nicht aus nächster Nähe und wohnten zuvor in anderen Gemeinden des Bezirks, in an- deren Bezirken / Bundesländern oder sogar im Ausland.

Tabelle 10: Vorheriger Wohnsitz der Befragten (Daten aus eigener Erhebung 2018) (N=38) Absolut Prozent ebenfalls in Rattenberg 23 60.5 in einer anderen Gemeinde des Bezirks Kufstein 6 15.8 in einem anderen Bezirk 6 15.8 im Ausland 4 10.5 in Kramsach 3 7.9 in Brixlegg 2 5.3 in Radfeld 1 2.6 in einem anderen Bundesland 1 2.6

Die Gründe, welchen einen Umzug nach Rattenberg bewirkten, sind vielfältig. Der am häu- figsten genannte Grund, wieso Rattenberg als Wohnort auserkoren wurde, ist, dass viele der

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ich lebe schon immer in Rattenberg

weil mein/e Partner/in aus Rattenberg kommt

sonstige Gründe aufgrund guter Anbindungsmöglichkeiten (Zug, Autobahn,…) weil sich mein/unser Arbeitsplatz hier befindet

weil ich meine Kindheit in Rattenberg verbracht habe

aufgrund der ruhigen Lage weil in anderen Gemeinden keine Wohnung zu finden war aufgrund der guten Versorgung (Arztpraxis, Bank,…)

0 2 4 6 8 10 12 14 16

Abbildung 19: Gründe für den Umzug nach Rattenberg (Daten aus eigener Erhebung 2018)

heutigen Bewohner und Bewohnerinnen Rattenbergs schon immer in Rattenberg gewohnt haben (vgl. Abbildung 19). An der zweiten Stelle folgt „weil mein/e Partner/in aus Ratten- berg kommt“ – also aufgrund persönlicher Beziehungen. Neben diesen beiden häufigen Antworten gab es weitere Gründe, die für einen Umzug entscheidend waren (vgl. Abbildung 19). Auf den Punkt „sonstige Gründe“, der an dritter Stelle liegt, wird noch genauer einge- gangen. Die befragten Personen gaben Gründe wie günstige Wohnung, das Ambiente der Stadt oder die Nähe zum Arbeitsplatz an. Rattenberg ist eine Stadt des Eigentums, 65.8% besitzen das Haus oder die Wohnung, in dem / der sie leben. Nur 34.2% leben zur Miete in Rattenberg. Die meisten Personen zahlen Mie- ten zwischen 500 - 1000€ pro Monat (Daten aus eigener Erhebung 2018). Im Vergleich dazu sind in Tirol 53.5% Eigentümer und Eigentümerinnen des Hauses bzw. der Wohnung, in dem / der sie leben (Statistik Austria 2017k). In Rattenberg besitzen also überdurchschnittlich viele Einwohner und Einwohnerinnen die Häuser oder Wohnungen, die sie ihr Heim nennen.

8.3 Arbeits- und Ausbildungsort

Rattenberg dient vielen Personen als Arbeits- und Ausbildungsort. Trotzdem arbeiten viele Rattenberger Bewohner und Bewohnerinnen nicht in der Stadt und pendeln aus. Aus statis- tischen Daten (vgl. Kapitel 3.4.5 Erwerbsstruktur, S.22) geht hervor, dass ein Großteil der

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Erwerbstätigen in anderen Gemeinden arbeiten. Die schriftliche Befragung der Bevölkerung hat ergeben, dass bei nahezu der Hälfte der Rattenberger Haushalte mindestens eine Person in Rattenberg arbeitet oder sich ausbildet (46.7%) (vgl. Tabelle 11). Nichtsdestotrotz pendeln die meisten Personen der verschiedenen Haushalte aus Rattenberg aus, wobei Gemeinden des Bezirks Kufstein und andere Bezirke häufig als Arbeits- bzw. Ausbildungsort angegeben werden. Die Nachbargemeinden spielen für die Rattenberger Bevölkerung hierbei eine grö- ßere Rolle als andere Gemeinden des Bezirks (33.3% im Vergleich zu 30.0%).

Tabelle 11: Arbeits- bzw. Ausbildungsort der Befragten (Daten aus eigener Erhebung 2018) (N=30) Absolut Prozent ebenfalls in Rattenberg 14 46.7 in einer anderen Gemeinde des Bezirks Kufstein 9 30.0 in einem anderen Bezirk 9 30.0 in Radfeld 4 13.3 in Kramsach 4 13.3 in Brixlegg 2 6.7 im Ausland 2 6.7 in einem anderen Bundesland 0 0.0

Da aus diesen Daten hervorgeht, dass viele Rattenberger Einwohner und Einwohnerinnen die Stadt nahezu täglich zum Arbeiten bzw. für die Ausbildung verlassen müssen, stellt sich die Frage, wie sie die anderen Gemeinden erreichen. Aus Abbildung 20 (S.55) ist ersichtlich, dass viele Personen zu Fuß oder mit dem PKW zum Arbeits- bzw. Ausbildungsort gelangen. Diese beiden Antworten sind mit Abstand die meistgenannten. Die unbeliebteste – oder möglicherweise auch unbekannte – Möglichkeit zur Arbeit zu kommen, sind Fahrgemein- schaften. Neben diesen drei Möglichkeiten werden zudem öffentliche Verkehrsmittel und das Fahrrad genutzt.

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mit einem PKW

zu Fuß

mit öffentlichen Verkerhsmitteln

mit dem Fahrrad

mit einer gebildeten Fahrgemeinschaft

0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20

Abbildung 20: Mobilitätsverhalten der Befragten (Daten aus eigener Erhebung 2018)

8.4 Zufriedenheit

Aus der Arbeit von Meze (1999, S.77) geht hervor, dass es in den 1980er und 1990er Jahren noch einige Substandard-Wohnungen in Rattenberg gab. Aus diesem Grund wurden die Rat- tenberger Einwohner und Einwohnerinnen auch im Jahr 2018 zu der Zufriedenheit mit der Ausstattung und dem Zustand der Häuser / Wohnung befragt. Ebenfalls wurden die Perso- nen zum Thema Zufahrtsmöglichkeiten und Parkmöglichkeiten befragt. Denn durch die Ein- führung der verkehrsberuhigten Zone Mitte der 1990er Jahre wurden sowohl die Zufahrts- möglichkeiten zur und die Parkmöglichkeiten in der Stadt stark eingeschränkt. In Abbildung 21 (S.56) werden die relativen Häufigkeiten der Zufriedenheit zu verschiedenen Fragen an- gegeben. Ersichtlich ist, dass die Rattenberger Bevölkerung mit dem Zustand und der Aus- stattung sehr zufrieden ist, wohingegen bei den Fragen zu den Zufahrtsmöglichkeiten und den Parkmöglichkeiten der Bereich „zufrieden“ am stärksten ausgeprägt ist.

Um die durchschnittliche Zufriedenheit der Rattenberger Einwohner und Einwohnerinnen auf einen Blick zu erkennen, wurden die Mittelwerte berechnet. Die Aussagen „sehr zufrie- den“, „zufrieden“, „weder zufrieden noch unzufrieden“, „unzufrieden“ und „sehr unzufrie- den“ wurden mit den Werten 1-5 kodiert. In diesem Zusammenhang steht die Zahl 1 für „sehr zufrieden“ und 5 für „sehr unzufrieden“. Tabelle 12 (S.56) spiegelt die durchschnittli-

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Wie zufrieden sind Sie mit...

…dem Zustand Ihres Hauses/Ihrer 75,7 21,6 sehr zufrieden Wohnung?

… der Ausstattung Ihres zufrieden Hauses/Ihrer Wohnung (z.B. 73,0 21,6 Zentralheizung, WC,…)? weder zufrieden noch unzufrieden …den Zufahrtsmöglichkeiten zu 27,8 36,1 13,9 16,7 Ihrem Haus/Ihrer Wohnung? unzufrieden

…den Parkmöglichkeiten in der 13,9 38,9 13,9 25,0 sehr unzufrieden Stadt?

0% 50% 100%

Abbildung 21: Zufriedenheit der befragten Personen (Daten aus eigener Erhebung 2018) che Zufriedenheit der Bevölkerung wider. Alle Mittelwerte liegen zwischen 1.3 und 2.8. Das bedeutet, die Befragten sind „sehr zufrieden“ (im Fall von 1.3 und 1.4), „zufrieden“ (2.4) und „weder zufrieden noch unzufrieden“ (2.8). Aus der Auswertung dieser Daten geht hervor, dass die Befragten weitestgehend mit den Gegebenheiten in der Stadt zufrieden sind.

Tabelle 12: Durchschnittliche Zufriedenheit der Befragten (Daten aus eigener Erhebung 2018) Wie zufrieden sind Sie mit… (N=36-37) Durchschnitt  …dem Zustand Ihres Hauses/Ihrer Wohnung? 1.3 …der Ausstattung Ihres Hauses/Ihrer Wohnung 1.4 (z.B. Zentralheizung, WC,…)? …den Zufahrtsmöglichkeiten zu Ihrem Haus/Ihrer Wohnung? 2.4 …den Parkmöglichkeiten in der Stadt? 2.8

Wie schon erwähnt herrscht in nahezu der ganzen Stadt eine verkehrsberuhigte Zone mit beschränkten Zufahrtszeiten. Deshalb stellt sich die Frage, ob es einen Zusammenhang zwi- schen der Zufriedenheit der Zufahrtsmöglichkeiten bzw. den Parkmöglichkeiten und der Lage der Wohnung/des Hauses (innerhalb der Fußgängerzone oder außerhalb der Fußgängerzo- ne) gibt. Um diesen Zusammenhang untersuchen zu können, wurde der Pearson- Korrelationskoeffizient berechnet. Der Korrelationskoeffizient beträgt bei den Zufahrtmög- lichkeiten und der Fußgängerzone -0.058. Da dieser Wert nahe null liegt, kann kein Zusam- menhang zwischen der Lage der Wohnung/des Hauses und der Zufriedenheit mit den Zu- fahrtsmöglichkeiten festgestellt werden. Das gleiche Bild ergibt die Berechnung des Koeffi-

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zienten bei den Parkmöglichkeiten und der Fußgängerzone. Hier erhält man einen Koeffi- zienten von 0.012. Auch dies ist ein Wert nahe null und somit ist kein Zusammenhang fest- stellbar.

8.5 Versorgung

Für einen Wohnstandort ist es von großer Bedeutung, dass sich die Einwohner und Einwoh- nerinnen im eigenen Gemeindegebiet versorgen können. Wie in Kapitel 6.2 Nahversorgung (S.43) erläutert wurde, spielt die Nahversorgung eine wichtige Rolle. Der Komfort verschie- dene Geschäfte und Dienstleistungen in nächster Nähe zu finden, beeinflusst ebenfalls die Zufriedenheit der Bevölkerung. Wenn sich das Gefühl einer „Unterversorgung“ in der Stadt ausbreitet, könnte dies zu einer verschlechterten Haltung gegenüber der Stadt führen und in weiterer Folge zu einem Wegzug der ansässigen Bevölkerung. Nicht nur diese könnte beein- flusst werden, auch potenzielle neue Einwohner und Einwohnerinnen könnten das Interesse an Rattenberg verlieren. Die Rattenberger Bevölkerung hat eine geteilte Meinung zum Thema Versorgung (vgl. Abbil- dung 22). 18 Befragte gaben an, sich nicht gut in Rattenberg versorgen zu können. Dies ent- spricht 48.6% der Befragten. 43.2% haben das Gefühl sich gut in Rattenberg versorgen zu können. Der Unterschied zwischen diesen beiden Zahlen ist sehr gering. Trotzdem haben

20 18 18 16 16 14 12 10 8 6 4 3 2 0 Ja Nein keine Angabe

Anzahl der Antworten

Abbildung 22: Ist eine gute Versorgung in der Stadt möglich? (Daten aus eigener Erhebung 2018)

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mehr Personen das Gefühl sich nicht in Rattenberg versorgen zu können, deshalb ist es wich- tig zu wissen, wo vor allem Waren des täglichen Bedarfs erstanden werden. Der Kauf von Waren des täglichen Bedarfs, wie zum Beispiel Lebensmittel und Medikamen- te, kann nur in einem begrenzten Ausmaß in Rattenberg stattfinden. Die Bevölkerung muss auf andere Optionen zurückgreifen. Aus Abbildung 23 wird ersichtlich, dass wenige Personen täglich einkaufen, denn bei den Kategorien „in Rattenberg“ und „in anderen Gemeinden“ wurden keine Angaben getätigt. Nur ein geringer Prozentanteil (8.3%) tätigt täglich einen Einkauf in einer Nachbargemeinde. 72.2% der Befragten kaufen Waren des täglichen Bedarfs in einer Nachbargemeinde und dies mehrmals pro Woche. Andere Gemeinden sind für den Einkauf mehrmals pro Woche nicht beliebt (8.1%). Der Anteil der befragten Personen, die sich mehrmals pro Woche in Rattenberg versorgen, beträgt 31.0%. Einkäufe, die mehrmals im Monat stattfinden, werden in anderen Gemeinden (41.7%) getätigt.

in anderen Gemeinden 8,3 41,7 50,0

täglich

in einer Nachbargemeinde 8,3 72,2 19,4 mehrmals pro Woche mehrmals im Monat seltener

in Rattenberg 31,0 27,6 41,4

0% 20% 40% 60% 80% 100%

Abbildung 23: Kauf von Waren des täglichen Bedarfs nach Gemeinden (Daten aus eigener Erhebung 2018) Aus den Daten geht hervor, dass sich die Rattenberger Bevölkerung vor allem in den umlie- genden Gemeinden mit Waren des täglichen Bedarfs versorgt. Dies kann auch mithilfe der Mittelwerte gezeigt werden (vgl. Tabelle 13, S.59). Die Kodierung erfolgte wie folgt: 1 steht für „täglich“, 2 für „mehrmals pro Woche“, 3 für „mehrmals im Monat“ und 4 für „seltener“. Die Rattenberger Einwohner und Einwohnerinnen versorgen sich durchschnittlich am häu- figsten in den Nachbargemeinden und dies mehrmals in der Woche. Danach folgt die Ver-

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sorgung in Rattenberg, welche mehrmals im Monat stattfindet. Am seltensten versorgen sich die Bewohner Rattenbergs in anderen Gemeinden.

Tabelle 13: Durchschnittliche Häufigkeit der Einkäufe des täglichen Bedarfs (Daten aus eigener Erhebung 2018) (N=24-36) Durchschnitt  in einer Nachbargemeinde 2.1 in Rattenberg 3.1 in anderen Gemeinden 3.4

Die Personen wurden dazu befragt, welche Geschäfte und Dienstleistungen sie sich in Rat- tenberg wünschen (vgl. Abbildung 24). Die am häufigsten genannte Antwort der Befragten ist ein Lebensmittelgeschäft (31 Nennungen). Der zweite Wunsch, den die Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Befragung haben, ist eine Drogerie innerhalb des Stadtgebietes (sieben Nennungen). Die Einwohner und Einwohnerinnen von Rattenberg äußern zudem den Wunsch nach einem Schuhgeschäft (fünf Nennungen), einem Hotel (drei Nennungen), einem Postamt (drei Nennungen), einer Fleischhauerei (zwei Nennungen) und Geschäften, die für

Lebensmittelgeschäft Drogerie Schuhgeschäft Hotel Postamt Metzger Geschäft, das für Einheimische interessant ist Take Away Imbiss Kosmetikinstitut Parfümerie Wirtshaus Fachärzte Wochenmarkt kleines Hallenbad Sportgeschäft Bastelladen längere Öffnungszeiten Bibliothek 0 5 10 15 20 25 30 35

Abbildung 24: Geschäfts- und Dienstleistungswünsche der befragten Personen (Daten aus eigener Erhebung 2018)

Einheimische interessant sind (zwei Nennungen). Neben diesen mehrfach genannten Wün- schen gibt es Geschäfte und Dienstleistungen, die nur einmal genannt werden. Ein Lebensmittelgeschäft scheint für die Rattenberger Bevölkerung essentiell zu sein. Aus Abbildung 24 ist ersichtlich, dass der Wunsch nach einem Lebensmittelgeschäft in Ratten- berg eindeutig am stärksten ist.

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8.6 Alltagsleben

Das tägliche Leben in der mittelalterlichen Stadt wird von verschiedenen Gegebenheiten (z.B. Touristen und Touristinnen, Veranstaltungen etc.) beeinflusst. Ob die Auswirkungen dieser Gegebenheiten positiv oder negativ sind, wurden mit Hilfe des Fragebogens erhoben (vgl. Abbildung 25). Die Fußgängerzone in Rattenberg wird von 91.7% als positiv und sehr positiv aufgefasst. Niemand hat das Empfinden, dass sich die Fußgängerzone sehr negativ auf das Alltagsleben auswirkt. 54.5% haben das Gefühl, dass das Fehlen eines Lebensmittelgeschäftes negative Auswirkun- gen hat. Niemand ist der Meinung, dass dies positive Auswirkungen hat.

Die Fußgängerzone in Rattenberg 50,0 42,1 7,9

Veranstaltungen, die in der ganzen 27,8 55,6 11,1 Stadt stattfinden

Die Tagestouristen in Rattenberg 6,3 71,9 18,8 sehr positiv positiv

Wenige Parkmöglichkeiten in der Stadt 50,0 36,7 negativ sehr negativ Kein Sonnenlicht in den 21,4 53,6 17,9 Wintermonaten

Das Fehlen eines 51,4 48,6 Lebensmittelgeschäftes

0% 20% 40% 60% 80% 100%

Abbildung 25: Auswirkungen verschiedener Gegebenheiten auf das Alltagsleben (Daten aus eigener Erhebung 2018) Damit ein besseres Bild geschaffen wird, wie die Auswirkungen auf das Alltagsleben sind, werden abermals die Mittelwerte herangezogen (vgl. Tabelle 14, S.61). Den Ausprägungen „sehr positiv“, „positiv“, „negativ“ und „sehr negativ“ werden die Zahlen 1-4 zugeordnet. Die Fußgängerzone, die Veranstaltungen und die Tagestouristen und -touristinnen haben eine positive Auswirkung auf das Alltagsleben (Werte mit 1.6, 1.9 und 2.2). Das Thema „Wenige Parkmöglichkeiten in der Stadt“ hat einen Mittelwert von 2.5. Dies bedeutet, dass die weni- gen Parkmöglichkeiten negative Auswirkungen auf das alltägliche Leben haben. Die wenigen Sonnenstrahlen in den Wintermonaten haben durchschnittlich gesehen täglich negative Auswirkungen. Wie oben besprochen wird das Fehlen eines Lebensmittelgeschäftes als eine

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Einschränkung empfunden. Der Mittelwert liegt bei 3.5. Das heißt, er liegt genau zwischen „negativ“ und „sehr negativ“.

Tabelle 14: Durchschnittliche Auswirkungen von verschiedenen Gegebenheiten auf das Alltagsleben (Daten aus eigener Erhebung 2018) (N=28-38) Durchschnitt  Die Fußgängerzone in Rattenberg 1.6 Veranstaltungen, die in der ganzen Stadt stattfinden 1.9 Die Tagestouristen und -touristinnen in Rattenberg 2.2 Wenige Parkmöglichkeiten in der Stadt 2.5 Kein Sonnenlicht in den Wintermonaten 2.8 Das Fehlen eines Lebensmittelgeschäftes 3.5

Die befragte Bevölkerung äußert auch verschiedenste Verbesserungsmöglichkeiten für die Stadt. Die Antworten können in vier Kategorien eingeteilt werden:

 Geschäfte und Dienstleistungen  Park- und Zufahrtsmöglichkeiten  Veranstaltungen und Tourismus  Wohnqualität

Oft können die Aussagen nicht nur einem Thema zugeordnet werden. Deshalb kommt es in den Bereichen „Geschäfte und Dienstleistungen“ und „Veranstaltungen und Tourismus“ zu Überschneidungen.

Zum Thema „Geschäfte und Dienstleistungen“ äußern die befragten Personen, dass sie sich einen besseren Branchenmix wünschen und vor allem Geschäfte, die Einheimische mehr ansprechen. Dabei sollen „billige“ Souvenirläden, die auch auf der Straße ihre Produkte ver- kaufen, mehr in den Hintergrund treten. Wünschenswert sind ein Lebensmittelgeschäft und ein Wochenmarkt.

Die „Park- und Zufahrtsmöglichkeiten“ werden oftmals kritisiert. Die Befragten wünschen sich eine Verbesserung der Parksituation außerhalb der Stadt. Auf diesen Parkplätzen soll eine Verbesserung der Parkzeiten und eine andere Parkraumbewirtschaftung stattfinden. Ein Parkplatz mit Schrankensystem wird vorgeschlagen. Ebenfalls soll für die Rattenberger Be- völkerung mehr Parkmöglichkeiten zur Verfügung stehen, wie zum Beispiel mehr Garagen- stellplätze. Nicht nur die Anzahl der Parkmöglichkeiten spielt eine Rolle, auch der Preis soll vergünstigt werden. Neben den Parkmöglichkeiten werden ebenso die Zufahrtsmöglichkei-

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ten erwähnt. Eine allgemeine Verbesserung dieser und eine Verlängerung der Durchfahrts- zeiten werden gewünscht. Dies könnte beispielsweise mit einer Berechtigungskarte für Ein- wohner und Einwohnerinnen geregelt werden. Ein weiterer Vorschlag ist, die Innpromenade mit Hilfe einer Ampelregelung für den Verkehr freizugeben. Dabei muss beachtet werden, dass das unerlaubte Parken und Durchfahren weiterhin verhindert werden soll.

Im Bereich „Veranstaltungen und Tourismus“ gibt es verschiedene Ansichten. Die einen würden mehr Veranstaltungen im Stadtgebiet gutheißen, die anderen wünschen sich weni- ger Veranstaltungen. Die Veranstaltungen in der Adventzeit werden von einigen Personen als „zu viel“ empfunden. Auch Musikveranstaltungen in den Gastgärten werden nicht immer akzeptiert. Die befragten Personen schlagen vor, den Schlossberg intensiver als Veranstal- tungsort zu nützen, ebenso wie die „Oberstadt“. Der Schlossberg als Veranstaltungsort wür- de für die Bewohner und Bewohnerinnen weitere positive Effekte mit sich bringen. Die Lärmbelästigung innerhalb des Wohngebietes wird verringert und die Zu- und Abfahrtsmög- lichkeiten werden nicht eingeschränkt. Nicht nur Veranstaltungen für Erwachsene sind er- strebenswert, sondern auch für Kinder und Jugendliche, denn diese sind die Zukunft. Gene- rell soll die Stadt darauf achten, mehr qualitative Feste zu veranstalten. In den Wintermona- ten sollen mehr Touristen und Touristinnen in die Stadt kommen, damit nicht jedes zweite Kaffeehaus und Geschäft im Jänner geschlossen ist.

Die Kategorie „Wohnqualität“ hat einerseits mit Sauberkeit und andererseits mit der Gestal- tung der Stadt zu tun. Die gesamte Stadt soll sauber gehalten werden. Besonders erwähnt wird der Spielplatz. Dieser ist ein Treffpunkt und vor allem soll er auch ein Mittelpunkt für Kinder und Familien sein. Bemängelt werden Zigarettenstummel. Dieser Verunreinigungen sollen entfernt und bestenfalls verhindert werden. Die befragten Personen äußern weiter, dass der Sparkassenplatz freundlicher gestaltet werden könnte. Bis jetzt findet man dort nur Pflastersteine. Durch einige Bänke und Blumen kann eine Ruhezone geschaffen werden. Die- se Idee beschränkt sich nicht nur auf den Sparkassenplatz, sondern kann im ganzen Stadtge- biet angewandt werden. Um das Stadtbild weiter zu verbessern, sollen einige Gebäude sa- niert werden. Weitere Maßnahmen, um die Wohnqualität zu steigern, sind eine bessere Be- leuchtung am Abend, den Bahnsteig behinderten- und kindergerecht zu machen und den Lärm der Gasthäuser zu vermeiden bzw. die Sperrstunden zu kontrollieren.

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Die Bewohner und Bewohnerinnen sind auch dazu befragt worden, welche Auswirkungen die Verlegung der Bundesstraße auf das Stadtleben hat. Das Stadtgebiet wird seit Mai 1996 umfahren über den Stadtbergtunnel (Meze 1999, S.81). Zuvor verlief die B171 direkt durch die Stadt. 92.6% der Befragten sind der Ansicht, dass dies positive Auswirkungen auf das Stadtleben hat. Dies spiegelt auch die sehr positiven Auswirkungen der Fußgängerzone wi- der (vgl. Abbildung 25, S.60).

8.7 Schaffung eines nachhaltigen Lebensraumes

Die Rattenberger Bevölkerung wurde auch dazu befragt, ob sie das Gefühl hat, dass Ratten- berg eine sterbende Stadt sei. Unter dem Terminus „sterbende Stadt“ wird eine rückläufige EW-Zahl, weniger soziales Leben innerhalb der Stadt, ein Rückgang des Einzelhandels und noch mehr verstanden. Abbildung 26 zeigt, dass mehr als zwei Drittel der Befragten nicht das Gefühl haben, dass Rattenberg eine sterbende Stadt sei, trotzdem verlassen viele Personen die Stadt. Die Ursa- chen für den Wegzug werden im Folgenden vertieft.

13% 19%

68%

ja nein keine Angabe

Abbildung 26: Ist Rattenberg eine sterbende Stadt? (Daten aus eigener Erhebung 2018)

Die Rattenberger Bevölkerung wurde nach Gründen, die ausschlaggebend für den Zuzug in die bzw. den Wegzug aus der Stadt sind, befragt. Die Antworten wurden zu Kategorien zu- sammengefasst und in Tabelle 15 (S.64) dargestellt. Die Gründe für den Wegzug stimmen

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größtenteils mit den als „negativ“ bzw. „sehr negativ“ empfundenen Gegebenheiten überein (vgl. Kapitel 8.6 Alltagsleben, S.60). Die Befragten sehen auch in den wenigen Grünflächen, den hohen Wohnkosten und den wenigen Freizeitaktivitäten, die in Rattenberg betrieben werden können, einen Grund für den Wegzug.

Nach Meinung der Befragten ziehen das Stadtbild und die Atmosphäre der Stadt hingegen viele Menschen an. Ebenso sehen sie in der guten Verkehrsanbindung, den renovierten Wohnungen und der ruhigen Lage Gegebenheiten, die Menschen nach Rattenberg führen können. Auch der Aspekt, dass sich vieles in der Nähe befindet und zu Fuß erreichbar ist, spielt eine wichtige Rolle.

Tabelle 15: Gründe für den Zu- bzw. Wegzug (N=28-33) (Daten aus eigener Erhebung 2018) Gründe für den Zuzug Gründe für den Wegzug  Stadtbild (historisches Flair)  Wenig Sonne in den Wintermonaten  Atmosphäre der Stadt  Schlechte Parkmöglichkeiten  Gute Verkehrsanbindung  Beschränkte Zufahrtsmöglichkeiten  Vieles befindet sich in der Umgebung  Wenig Grünflächen/kein eigener Garten (Natur, Versorgungsmöglichkeiten, Ar- (Balkon) beit,…)  Vieles zu Fuß erreichbar  Keine Geschäfte für täglichen Bedarf  Renovierte und teilweise günstige Woh-  Nähe zum Arbeitsplatz nungen  Partner / Partnerin  Teure Wohnkosten (Miete, Hauserhaltung,…)  Ruhige Lage  Wenig Freizeitaktivitäten möglich  Liebe / Familiengründung

Ob eine Stadt lebendig wirkt, hängt oftmals vom sozialen Leben in dieser ab. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen der schriftlichen Befragung sollten angeben, wo sich das soziale Leben der Haushaltsmitglieder ereignet. Für 67.6% der Schwerpunkt des sozialen Lebens in der Gastronomie der Stadt (vgl. Tabelle 16, S.65). An der zweiten Stelle werden Freunde und Familie sowohl in Rattenberg und anderen Gemeinden (mit 56.8% und 54.1%) genannt. Dar- aus ist ersichtlich, dass die Einwohner und Einwohnerinnen von Rattenberg gerne ihre Frei- zeit in der Stadt verbringen.

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Tabelle 16: Soziales Leben der befragten Personen (Daten aus eigener Erhebung 2018) (N=37) Absolut Prozent Gastronomie in Rattenberg 25 67.6 bei Freunden/Familie in Rattenberg 21 56.8 bei Freunden/Familie in anderen Gemeinden 20 54.1 Vereine in Rattenberg 9 24.3 anderswo 9 24.3 Vereine in anderen Gemeinden 5 13.5 Gastronomie in anderen Gemeinden 4 10.8

Damit die Stadt weiterhin als lebendig angesehen wird, soll ein nachhaltiger Lebensraum geschaffen werden. Das bedeutet, die Stadt soll sich weiterentwickeln, sodass auch zukünf- tige Generationen noch denselben Standard – oder sogar einen besseren – erleben dürfen. Die Rattenberger Einwohner und Einwohnerinnen wurden befragt, was für einen nachhalti- gen Lebensraum wichtig sei. Ihnen standen sieben verschiedene Bereiche zur Antwort- Auswahl. Diese mussten sie von 1-7 reihen, wobei die Zahl 1 für „sehr wichtig“ steht. Aus den verschiedenen Reihungen wurden die Mittelwerte berechnet, damit ein besserer Über- blick entsteht, wo genau die Bereiche einzuordnen sind. In Abbildung 27 (S.66) werden die Mittelwerte auf einem Zahlenstrahl dargestellt.

Die befragten Personen sind der Meinung, dass „Revitalisierung und Nutzung bestehender Bausubstanz“ am wichtigsten einzuschätzen ist ( 2.2). Für die Schaffung eines nachhaltigen Lebensraumes ist für die Befragten die „Stärkung der lokalen Betriebe und Unternehmen“ an zweiter Stelle zu sehen ( 2.7). Mit etwas Abstand folgt die „gute Anbindung an die öffentli- chen Verkehrsmittel“ ( 3.5). Am neutralsten in Bezug auf die Wichtigkeit ist das „soziale Angebot“ einzustufen ( 3.8). Unter „soziales Angebot“ werden Vereine, Jugendzentren, Seniorenheime u.v.m. verstanden, also Orte, wo sich Menschen treffen und austauschen können. Nach diesen vier Bereichen folgen drei Bereiche, die als unwichtiger angesehen werden. Mit einem durchschnittlichen Wert von 4.7 sehen die befragten Personen den Bereich „sorgsa- mer Umgang mit Ressourcen“, dicht gefolgt von „bezahlbare erneuerbare Energien“ mit ei- nem Durchschnitt von 4.9 Am unwichtigsten für einen nachhaltigen Lebensraum sehen die Menschen die „Integration von Menschen mit unterschiedlichen Kulturen und unterschiedli- cher Herkünften“ ( 6.2).

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n-

r-

Revitalisierung und Nutzung bestehe Nutzung und Revitalisierung der Bausubstanz der

Integration von Menschen mit mit von Menschen unte Integration unterschiedlicher / Kulturen schiedlichen Herkunft

Verkehrsmittel Gute Anbindung an die öffentlichen an öffentlichen die Anbindung Gute

Bezahlbare erneuerbare Energien erneuerbare Bezahlbare

1 2 3 4 5 6 7

Soziales Angebot Soziales

lokaler Betriebe/Unternehmen lokaler

Sorgsamer Umgang mit Ressourcen mit Umgang Sorgsamer Stärkung Stärkung

Abbildung 27: Wichtigkeit der verschiedenen Themenbereiche für einen nachhaltigen Lebensraum [1 bedeutet „sehr wich- tig“, absteigend bis 7 „sehr unwichtig“] (Daten aus eigener Erhebung 2018)

Für die Schaffung eines nachhaltigen Lebensraumes ist es von Bedeutung, dass den Einwoh- nern und Einwohnerinnen sowie dem Gemeinderat bewusst ist, welche Merkmale Ratten- berg zu einer einzigartigen Stadt machen. Die befragten Personen geben an, dass vor allem das mittelalterliche Flair einzigartig ist. Dabei spielt das gesamte Stadtbild mit der histori- schen Bausubstanz eine große Rolle. Die Häuser, die unter Denkmal- und Ensembleschutz stehen (Bundesdenkmalamt o.J., S.53) und dadurch nicht baulich „verunstaltet“ wurden, schaffen eine besondere Atmosphäre in der Stadt. Obwohl man sich in einer Stadt befindet, kennt jeder jeden und man wird noch gegrüßt. Dies führt zu einer besonders heimeligen Atmosphäre. Ebenso ist das soziale Gefüge der Stadt einzigartig, denn es bietet einen besonderen Zusammenhalt zwischen den Einwohnern und Einwohnerinnen. Auch die Geschichte und das historische Erbe machen Rattenberg zu etwas Besonderem. Hervorzuheben ist hier der Schlossberg mit den verbleibenden Teilen der Burg. Die Rattenberger Bewohner und Bewohnerinnen finden vor allem in den Sommermonaten, dass ein italienisches Flair herrscht. Die vielen Cafés und die Kulisse vermitteln ein Gefühl,

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als wäre man in einem kleinen italienischen Ort. Durch die Schaffung eines besonderen Flairs in der Stadt, aber besonders durch die mittelalterliche Bausubstanz, finden in Rattenberg häufig Veranstaltungen statt, die über die Regionsgrenzen hinaus bekannt sind (z.B. Ratten- berger Advent). Einige Personen nennen auch die Glaskunst als ein einzigartiges Merkmal von Rattenberg. Jedoch wird dies – wie auch schon das italienische Flair – von wenigen Befragten genannt. Rattenberg präsentiert sich als Glasstadt (vgl. Glasstadt Rattenberg 2017). Interessanter- weise sehen nur wenige Bewohner und Bewohnerinnen der Stadt dies auch als einzigartiges Merkmal. Weiter macht die geringe Größe der Stadt Rattenberg zu einem einzigartigen Ort.

Diese Merkmale sollen in eine nachhaltige Entwicklung einbezogen werden. Die Alleinstel- lungsmerkmale sind wichtig für die Vermarktung der Stadt. Es sollen nicht nur Ideen von außen aufgegriffen, sondern authentische Merkmale der Stadt verstärkt werden. Dies kann das Erbe, die Identität und die Kultur bereichern. Denn eine Konzentration auf die Vorzüge einer Gemeinde lenkt im Allgemeinen von den Mängeln ab (vgl. Knox & Mayer 2009, S.116f).

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9 Begriffsdefinition „Nachhaltige Entwicklung“

Der Begriff „Nachhaltigkeit“ hat sich in unserem Alltagswortschatz verfestigt. Nachhaltigkeit wurde zu einem Modewort und trotzdem wissen viele Menschen nicht, was Nachhaltigkeit eigentlich genau bedeutet. Der Begriff wird vor allem in der Wissenschaft mit Umweltschutz und Klimawandel in Verbindung gebracht. Definitionen von Nachhaltigkeit gibt es einige. Doch die wohl anerkannteste ist die Definition des Brundtland-Berichts aus dem Jahr 1987. Dort wird nachhaltige Entwicklung wie folgt definiert (WCED 1987, S.43):

„Sustainable development is development that meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs.“

Sie ist eine Form der Entwicklung, welche die Bedürfnisse der heutigen Generationen befrie- digt, ohne den zukünftigen Generationen diese Möglichkeit der Befriedigung zu nehmen/zu verbauen. Huber (1995, S.10) interpretiert Nachhaltigkeit wie folgt: „[…] natürliche Ressourcen und Senken, die der Mensch nutzt, so zu bewirtschaften, daß [sic!] ihr Potential nicht beeinträch- tigt wird, auf Dauer erhalten bleibt und sich nach Möglichkeit sogar verbessert.“ Aus dieser Definition wird ersichtlich, dass nicht nur Bezug auf die Umwelt genommen wird. Nachhal- tigkeit bezieht den Menschen, die Natur und die Ökonomie mit ein. Ein Zusammenspiel von diesen drei Bereichen gilt als erstrebenswert. So sind ökonomische, soziale, kulturelle und demographische Problemfelder zu betrachten (vgl. Enquete- Kommission 1998, S.16). Auch wenn zu Beginn häufig nur die ökologischen Aspekte in einen Nachhaltigkeitsbegriff einbezogen worden sind, hat sich dies mit der Zeit geändert. Die Na- tur bietet den Menschen eine Lebensgrundlage, jedoch wird seit geraumer Zeit mit der Na- tur verschwenderisch umgegangen. Aufgrund von Konsum- und Produktionsmustern ge- fährden Menschen ihre Lebensgrundlage. In diesem Zusammenhang spielen auch viele As- pekte des Sozialen eine große Rolle. Um eine nachhaltige Entwicklung zu gewährleisten, müssen diese drei Dimensionen stark miteinander arbeiten (vgl. Enquete-Kommission 1998, S.18). Die nachhaltige Entwicklung erkennt, dass „[…] der Zusammenhang zwischen Ökono- mie und Ökologie die zentrale Wirkungskomponente im Verhältnis des Menschen zur Natur bildet.“ (Huber 1995, S.14). Würde eine eindimensionale Betrachtung verfolgt werden, bei-

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spielsweise wirtschaftliches Wachstum zu fördern, führt dies dazu, dass es zu negativen Ver- änderungen in den beiden anderen Dimensionen kommt bzw. kommen kann. Neben dem Begriff „Nachhaltigkeit“ soll ebenso der Begriff „Entwicklung“ näher beschrieben werden. Durch die Begrenztheit der Ressourcen ist es nicht möglich in großen Mengen und auf Dauer Gegenstände zu produzieren. Auch wenn sich die Menschheit immer auf der Su- che nach einem „Mehr“, „Höher“ oder „Besser“ befindet, ist es ein Ziel der Nachhaltigkeit, die Natur zu schützen. Damit dieses Ziel erreicht werden kann, muss es zu einer Reduktion des Verbrauchs von Energie und weiteren Ressourcen kommen. Somit darf Entwicklung nicht mit Wachstum gleichgesetzt werden (vgl. Müller-Christ 2001, S.544f).

NACHHALTIGKEIT

Ö Ö S K K O O O Z N L I O O A M G L I I E E E S

Abbildung 28: Säulen der Nachhaltigkeit (eigene Erstellung in Anlehnung an Land Tirol 2017b)

Daher ist ein Zusammenspiel aller drei Dimensionen von großer Bedeutung. Denn es muss eine Auseinandersetzung geben, die sich mit dem Thema befasst, dass wirtschaftliches Wachstum ausschlaggebend für einen gesellschaftlichen Fortschritt ist und die notwendigen Ressourcen für ein wirtschaftliches Wachstum begrenzt sind (vgl. Müller-Christ 2001, S.545). Ein sehr gängiges Modell, welches eine einfache Darstellung von nachhaltiger Entwicklung ermöglicht, ist das „Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit“ (Abbildung 28).

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9.1 Das Drei-Säulen-Modell

Wie im vorherigen Abschnitt erklärt, ist ein Zusammenspiel der drei Dimensionen Ökologie, Ökonomie und Soziales ein wichtiges Merkmal von nachhaltiger Entwicklung. Die grafische Darstellung (vgl. Abbildung 28, S.69) der Idee darf jedoch nicht dazu verleiten, jede Dimensi- on separat zu betrachten. Auch hier gilt ein Zusammenspiel aller drei Dimensionen, die zu einer nachhaltigen Entwicklung führen.

9.1.1 Ökologische Nachhaltigkeit

Das wichtigste Ziel der ökologischen Nachhaltigkeit ist „der Erhalt bzw. die Wiederherstel- lung der vielfältigen Funktionen der Natur zum Nutzen der Menschen“ (Enquete-Kommission 1998, S.20). Es muss den Menschen also klar werden, dass die natürlichen Ressourcen nicht unbegrenzt zur Verfügung stehen und man somit mit den Ressourcen verantwortungsvoll umgehen soll. Durch den Eingriff der Menschheit haben sich viele Ökosysteme stark verän- dert. Für alle Personen bedeutet dies:

„[…], die Belastbarkeit der Ökosystem nicht zu überschreiten, die natürlichen Le- bensgrundlagen zu erhalten und die Gesundheit des Menschen zu schützen. Da- mit ist der schonende Umgang mit Ressourcen ebenso erfaßt [sic!], wie der ver- antwortliche Umgang mit globalen und lokalen Senken, die räumliche Verteilung von Stoffen in der Umwelt und die möglichen humantoxischen und ökotoxischen Folgen, die auf anthropogene Risiken zurückgehen.“ (Enquete-Kommission 1998, S.25)

Besonders wichtig ist die Ursachenverhinderung, die die Natur verändert. Denn eine reine Bekämpfung der Auswirkungen wird keinen nachhaltigen Lebensraum schaffen.

9.1.2 Ökonomische Nachhaltigkeit

Neben der ökologischen Nachhaltigkeit wird im Drei-Säulen-Modell auch die ökonomische Nachhaltigkeit betrachtet. Ökonomische Nachhaltigkeit bedeutet: „So sollen die verfügbaren Ressourcen an Arbeitskraft und natürlicher Produktivität so eingesetzt werden, daß eine bestmögliche Versorgung der Bevölkerung mit Gütern und Dienstleistungen erreicht wird.“ (Enquete-Kommission 1998, S.26)

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Um das Problem der begrenzten Ressourcen zu umgehen, hat die Ökonomie schon immer Substitution betrieben. Verbrauchte natürliche Ressourcen (Naturkapital) können durch Re- alkapital (Infrastruktur, Anlagen etc.) oder Humankapital (Wissen, Erfahrung etc.) ersetzt werden. Welche Art von Kapital an die nächste(n) Generation(en) weitergegeben wird, ist nach diesem Prinzip nicht von Bedeutung. Es werden vor allem der Erhalt des Lebensstan- dards und eine Steigerung des Wohlstands verfolgt. Hierbei stellt sich die Frage, inwieweit eine Steigerung des Wohlstands unter Berücksichtigung der begrenzten Ressourcen möglich ist. (vgl. Müller-Christ 2001, S.546f) Wichtig ist, es eine Sicherung für zukünftige Generationen zu schaffen (vgl. Enquete- Kommission 1998, S.26). Das Ziel der ökonomischen Nachhaltigkeit ist die Stärkung der Wirt- schaftskraft. Eine positive Entwicklung kann durch verschiedene Innovationen, Förderungen von Forschung und Entwicklung usw. geschaffen werden. Dazu ist ein Umdenken und eine Veränderung der Produktions- und Konsumstile erforderlich, welche als nicht nachhaltig gel- ten. (vgl. von Hauff 2014, S.34)

9.1.3 Soziale Nachhaltigkeit

Die soziale Dimension der Nachhaltigkeit versucht eine solidarische Gesellschaft zu schaffen. Das Ziel dieser Dimension ist es, einen „gesellschaftlichen Zusammenhalt in Humanität, Frei- heit und Gerechtigkeit“ zu schaffen (von Hauff 2014, S.36). Eine sich ständig weiterentwi- ckelnde Gesellschaft, die ein friedliches Zusammenleben führen kann, braucht ein gesell- schaftliches Gleichgewicht zwischen dem Individuum und der Gruppe. Ein solches Gleichge- wicht kann durch gemeinsame Werte geschaffen werden, sozusagen nach dem Prinzip: „Die Starken helfen den Schwachen“ (Enquete-Kommission 1998, S.28). Bei der sozialen Nachhal- tigkeit geht es darum, Strukturen zur Entscheidungsfindung und Kooperation zu entwickeln bzw. zu verbessern, welche die Chancen von einzelnen Personen vergrößern, um die Konse- quenzen ihres Handelns zu erkennen. In diesem Zusammenhang spielt die Selbstverantwor- tung von jedem/jeder Einzelnen eine große Rolle und soll somit auch gefördert werden. Un- ter diesem Gesichtspunkt darf nicht vergessen werden, dass nicht nur das Individuum von Bedeutung ist, sondern auch das Gemeinwohl. Das Einstehen für andere, Verantwortungsge- fühl gegenüber anderen und zukünftiger Generationen und ein Zugehörigkeitsgefühl sind wichtige Bestandteile einer sozialen Nachhaltigkeit.

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9.2 Umsetzung auf kommunaler Ebene

Für das 21. Jahrhundert wurde auf der „Konferenz zu Umwelt und Entwicklung“ im Jahr 1992 ein Aktionsplan für das neue Jahrtausend diskutiert. Bei dieser Konferenz ging es um eine weltweite Zusammenarbeit. Die Ergebnisse wurden in der sogenannten „Agenda 21“ zu- sammengefasst. In dieser werden verschiedene Politikbereiche angesprochen, die gemein- sam an einer nachhaltigen Entwicklung arbeiten sollen. Die Agenda umfasst 40 Kapitel, wo- bei Kapitel 28 auf die Umsetzung auf kommunaler Ebene geht (vgl. Lötscher & Kühmichel 1998, S.135). Das Kapitel 28 mit dem Titel „Initiativen der Kommunen zur Unterstützung der Agenda 21“ geht auf die Ziele, Maßnahmen und Instrumente der Umsetzung ein (vgl. Bun- desministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit o.J., S.252f). Die Umsetzung auf kommunaler Ebene ist von großer Bedeutung, „da viele der in der Agenda 21 angespro- chenen Probleme und Lösungen auf Aktivitäten auf der örtlichen Ebene zurückzuführen sind“ (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit o.J., S.252). Die Ge- meinden sollen in einen Dialog mit den Einwohnern und Einwohnerinnen, den ansässigen Organisationen und der Privatwirtschaft treten und eine „kommunale Agenda 21“ beschlie- ßen (vgl. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit o.J., S.252). Die Umsetzung einer dieser Agenda erweist sich als äußerst schwierig. Beispielsweise gehen die Interessen der beteiligten Parteien auseinander, die Erarbeitung eines Planes erstreckt sich über einen langen Zeitraum u.v.m. (vgl. Lötscher & Kuhmichel 1998, S.135f). Der Erfolg neuer Ideen hängt maßgeblich davon ab, „inwieweit es gelingt, die entsprechenden Zielgruppen auf breiter Basis zu motivieren beziehungsweise zu integrieren und die Akzeptanz durch Bewusst- seinsbildung, vor allem aber durch den praktischen Nachweis der – auch wirtschaftlichen – Machbarkeit der Projektideen dauerhaft zu steigern.“ (Coy & Weixelbaumer 2009, S.12). In Abbildung 29 (S.73) wird das Zusammenspiel der verschiedenen Parteien, die am Agenda 21- Prozess beteiligt sind, dargestellt. Für eine Region ist von Bedeutung, dass sich die Gemein- den daran beteiligen. Es wird ersichtlich, dass die Bürger und Bürgerinnen wesentlich in die- sen Prozess eingebunden sind. Durch die Nutzung der regionalen und lokalen Potenziale kann eine Veränderung stattfinden – auch auf globaler Ebene. Zur Erreichung der Agenda 21-Ziele müssen die Gemeinden eingebunden werden. Erscheinen die Veränderungen auf kommunaler Ebene vorerst nur als sehr gering, so kann die Summe der Veränderungen in Gemeinden einen großen Unterschied ausmachen. Für eine erfolgreiche Einführung – und in weiterer Folge Umsetzung – muss eine neue Werteinstellung geschaffen werden. Die Men-

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Abbildung 29: Beteiligte Parteien am Agenda 21-Prozess (Quelle: Land Oberösterreich 2013, S.5) schen müssen daran glauben und hinter den Ideen stehen (vgl. Land Oberösterreich 2013, S.7f). Das Land Oberösterreich hat „Die 7 Prinzipien der Nachhaltigkeit“ veröffentlicht (vgl. Land Oberösterreich 2013, S.9). Diese sollen ein nachhaltiges Planen, Entscheiden und Han- deln erleichtern. Die Prinzipien lauten:

 Prinzip der regionalen Identität – durch Vertrautheit Identifikation schaffen  Prinzip der Natürlichkeit – im Einklang mit der Natur leben  Prinzip der Langfristigkeit – in Generationen denken  Prinzip des Vorrangs der Qualitäten – gut leben statt viel haben  Prinzip der Vielfalt – Vielfalt als Reichtum erkennen  Prinzip der Partnerschaftlichkeit – gemeinsam die Ziele erreichen  Prinzip der Nähe – am Menschen Maß nehmen (vgl. Land Oberösterreich 2013, S.8f)

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Diese sieben Prinzipien bieten einen guten Leitfaden für die nachhaltige Entwicklung. Wie genau die Umsetzung in einer Gemeinde aussieht, hängt stark von den Gegebenheiten vor Ort ab.

Im Jahr 1994 fand die Konferenz zum Thema „Zukunftsbeständige Städte und Gemeinden“ in Aalborg, Dänemark statt (Charta von Aalborg 1994, S.1). Lokale Regierungen sind am nächs- ten zu den Bürgern und Bürgerinnen und an den Stellen, an denen ökologische Probleme auftreten. Deshalb beschreibt die Charta von Aalborg Städte und Gemeinden als „key players in the process of changing lifestyles, production, consumption and spatial patterns“ (1994, S.1). Die Kommunen werden dazu aufgerufen, mit Hilfe der Bürger und Bürgerinnen, der Unternehmen und allen Interessensgruppen eine lokale Agenda 21 auszuarbeiten. Eine Ko- operation aller Akteure wird vorausgesetzt. Hervorgehoben wird, dass alle Beteiligten Zu- gang zu Informationen bekommen und an lokalen Entscheidungsprozessen teilnehmen (vgl. Charta von Aalborg 1994, S.4). Die Charta wurde von 80 europäischen Kommunen und 253 Vertretern und Vertreterinnen internationaler Organisationen, nationaler Behörden und wissenschaftlichen Institutionen unterzeichnet (Forer 2017, S.15). Wie in der Charta von Aalborg festgestellt wurde, haben Kommunen eine gute Ausgangslage zur Umsetzung der lokalen Agenda 21-Ziele. Wie genau dies aussehen soll, wird jedoch von jeder Stadt und Gemeinde selbst bestimmt – Herausforderungen inbegriffen.

9.3 Herausforderungen für Kleinstädte

Kleine Städte und Gemeinden sind oftmals besondere Gebiete. Sie haben einen eigenen Flair, eine eigene Identität und die Bewohner und Bewohnerinnen sind miteinander verbun- den. Kleine Gemeinden bieten Familien einen Rückzugsort und eine Möglichkeit sich vom Stress in großen Städten und den Alltagsbelastungen zu erholen. In der heutigen hektischen und globalisierten Welt können Kleinstädte traditionelle Lebensweisen, Handwerke und die regionale Küche fortführen. Viele Menschen leben in kleinen Städten oder Gemeinden, doch oft wird vergessen, dass auch diese Regionen Hilfe im Bereich Entwicklung brauchen. Diese (kleinen) Räume müssen erst in einer globalen Welt ihren „Platz finden“ und den Anschluss an Fortschritt und Zukunftsorientierung nicht verlieren. Kleinstädte haben viele Vorteile im Bereich Ökologie, Kultur und Wirtschaft und sie müssen diese verstehen zu nutzen. Dieses Vorhaben gestaltet sich jedoch schwierig, denn es gibt keine einheitliche Strategie für eine

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nachhaltige Entwicklung in Städten. Aufgrund der Vielzahl an verschiedenen Kleinstädten kann keine „Kompetentlösung“ gefunden werden (vgl. Knox & Mayer 2009, S.11).

Rattenberg als ehemalige mittelalterliche Grenzstadt hatte über Jahrhunderte den Vorteil ein wichtiger Punkt auf der Landkarte zu sein. Durch die Monopolstellung und das Verbot, dass es in den umliegenden Gebieten keine wirtschaftliche Betriebe und Gastronomie geben dürfe, herrschte in Rattenberg ein reges Leben. Dies zog natürlich viele Arbeitskräfte und Betriebe an. Die florierenden Zeiten hielten aber nicht ewig an. Schon mit dem Eisenbahn- bau Mitte des 19. Jahrhunderts verlor Rattenberg an Bedeutung. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges verließen immer mehr Personen Rattenberg. So beginnt eine Abwärtsspirale. Durch die Abwanderung der jungen Bevölkerung bleiben nur ältere Bevölkerungsgruppen in der Stadt zurück, welche an einem bekannten und traditio-

Abbildung 30: Herausforderungen an Kleinstädte (Quelle: Knox & Mayer 2009, S.13)

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nellen Leben festhalten. Sie sind meistens nicht so offen für neue Entwicklungen. Somit wer- den Veränderungen in der eigenen Gemeinde erschwert. Durch einen wirtschaftlichen Rück- gang und der eintretenden Globalisierung gehen viele regionale Besonderheiten verloren. Unter Umständen gerät mit der Zeit sogar die regionale Identität in Vergessenheit. (vgl. Knox & Mayer 2009, S.12)

Rattenberg gehört somit zu den schrumpfenden Kleinstädten. Diese weisen besondere Her- ausforderungen auf (vgl. Abbildung 30, S.75), einige treffen auf Rattenberg zu. In den letzten Jahrzehnten wurden einzelne öffentliche Einrichtungen in andere Gemeinden verlagert (z.B. Polizeiinspektion). Wirtschaftlich gesehen geht es dem Hauptwirtschaftssektor – der Glas- veredelung – in Rattenberg noch gut. Doch aufgrund von räumlicher Begrenztheit kann die- ser Sektor nicht weiter expandieren und auch Ansiedelungsmöglichkeiten für neue Betriebe sind in Rattenberg sehr beschränkt vorhanden. In Abbildung 30 (S.75) werden die Bereiche „Umwelt“ und „Kultur & Gemeinschaft“ genannt. Einige der aufgeführten Punkte treten in Rattenberg gar nicht bzw. nur teilweise auf. Rattenberg erkennt neben den schon genannten Herausforderungen auch noch weitere. Wie schon genannt ist jede Stadt ein Individuum und hat somit auch ihre eigenen Herausforderungen. Im Fall von Rattenberg sind diese:

 Keine bzw. geringe Möglichkeiten zur Wohnraumschaffung (Denkmalgeschützte Ge- bäude und keine freien Flächen)

 Keine bzw. geringe Möglichkeiten, um Unternehmen in Rattenberg anzusiedeln

 Starke Abwanderung

 Weiterentwicklung des Tourismus (mehr Übernachtungen, Ganzjahrestourismus etc.)

Nichtsdestotrotz gibt es Chancen für kleine Städte und Gemeinden wie Rattenberg. In einer stark globalisierten Welt, in der jeder Ort dem anderen ähnelt und in einer digital beschleu- nigten Welt suchen viele Menschen nach einer Identität und einem Zufluchtsort. Kleine Städ- te können durch Wiederentdeckung eigener Traditionen, durch lokale Geschäfte und regio- naler Bewirtung solche Orte für viele Menschen werden.

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10 Entwicklungsmöglichkeiten

Für einen nachhaltigen Lebensraum in Rattenberg sind eine ständige Weiterentwicklung und das Streben nach Verbesserung in den Bereichen Ökologie, Ökonomie und Sozialem von Be- deutung. Verschiedene Möglichkeiten können passende Gegebenheiten schaffen. In den folgenden Kapiteln werden die Stadtplanung im Allgemeinen, bisherige Maßnahmen und mögliche zukünftige Entwicklungsmöglichkeiten der Stadt aufgezeigt.

10.1 Stadtplanung

Alle Regionen der Erde werden von verschiedenen Faktoren beeinflusst. Veränderungen im Klima, Ressourcenschwund, Ernährungsunsicherheit und ökonomische Instabilität wirken sich auf Gemeinden und Städte aus. Somit wird eine Anpassung in den Lebensräumen des Menschen stattfinden, welche bewusst getroffen werden muss, sodass nachhaltiger Lebens- raum entstehen kann. Das bedeutet, dass Kommunen ökologisch sicher, ökonomisch ergie- big und sozial offen sind. Stadtplanung hat sich im letzten Jahrhundert eingebürgert. Vor

Abbildung 31: Planung als Management-Tool (Quelle: Land Oberösterreich 2013, S.10)

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allem ist Stadtplanung wichtig, damit nachhaltige Städte entstehen, die den Herausforde- rungen des 21. Jahrhunderts gewachsen sind. Planungsmaßnahmen müssen so getroffen werden, dass effektiv auf ein Ziel hingearbeitet wird (vgl. Abbildung 31, S.77). Oftmals haben sich in der Vergangenheit Planungssysteme nur in geringem Ausmaß an die neuen Heraus- forderungen angepasst. Um alle neuartigen Vorgänge bewältigen zu können, ist die Planung ein wichtiges Management-Tool (vgl. UN-HABITAT 2009, S.4).

Damit ein nachhaltiger Lebensraum entstehen kann, muss immer das „Ganze“ betrachtet werden. Die einzelnen Bereiche werden nicht isoliert betrachtet, sondern sollen in einem Zusammenspiel eine lokale Entwicklung fördern und gemeinsam ein Zukunftsprofil entste- hen lassen. Deshalb sollen alle Entscheidungen einem langfristigen Ziel dienen (vgl. Land Oberösterreich 2013, S.6).

Die Umsetzung der Ideen nach einem „Top-Down-Prinzip“ ist oftmals nicht zielführend. Die Bürger und Bürgerinnen sollen sich am Planungsprozess beteiligen und auch später noch ein wichtiger Bestandteil der Umsetzung sein. Einerseits können durch das präferierte „Bottom- Up-Prinzip“ Ideen der Bevölkerung gesammelt werden und anderseits wird die Akzeptanz erhöht. Die Gemeinden und Städte haben also den Auftrag, die Einwohner und Einwohne- rinnen aktiv einzubinden und einen Raum zu schaffen, in dem demokratische Entscheidun- gen getroffen werden können. (vgl. Land Oberösterreich 2013, S.6)

10.2 Bisherige Entwicklungsmaßnahmen

In der Stadt Rattenberg gab es in der Vergangenheit viele Bestrebungen Erneuerungsmaß- nahmen durchzuführen. Die Stadt gehörte zu einer der ersten Gemeinden, die an der „Fas- sadenerneuerungsaktion im Rahmen der Altstadterhaltung“ teilnahmen (vgl. Meze 1999, S.70). Durch diese Aktion konnten insgesamt 116 Fassaden an 72 Häusern saniert werden (vgl. Meze 1999, S.72). Die Sanierungen trugen dazu bei, dass das Stadtbild nachhaltig ver- bessert wurde. Aus diesem positiven Impuls und der guten Aufnahme der Bevölkerung folgte ein umfassenderes Konzept zur Stadterneuerung. Mit Hilfe des Landes Tirol entstand ein Gesamtkonzept. Dieses beinhaltete verschiedene Themenbereiche – eben nicht nur die Er- haltung der Bausubstanz. Das „Fortschreibungsstadterneuerungskonzept Rattenberg“ wurde

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1985 entwickelt (vgl. Meze 1999, S.72f). Dabei wurden folgende Punkte ausgearbeitet, die der Stadt zu einer positiven Entwicklung verhalfen (Meze 1999, S.73f):

 Die Wiederbelebung der alten Handwerksfunktionen  Der Aufbau eines entsprechenden Stadtgeschäfts- und Kulturzentrums  Die Abstimmung des Verkehrs auf die Größenverhältnisse der Stadt und die Bausub- stanz  Die Neuorientierung der Gastronomie vom Besuchertourismus auf eine längere Ver- weildauer der Gäste  Der Aufbau eines neuen und der Ausbau des bestehenden Kulturangebots  Der Aufbau eines kleinen Geschäfts-, Kongreß- und Bildungstourismus  Die Schaffung eines kleinen Veranstaltungszentrums  Die Schaffung neuer zeitgerechter Wohnungen für junge Familien  Die Neuorientierung des Handels auf neue Produkte neben den traditionellen Glasan- geboten

Diese Maßnahmen wurden in kurzfristige, mittelfristige und langfristige eingeteilt. Einige dieser Maßnahmen konnten umgesetzt werden, andere nicht.

Im Jahr 2003 schrieb der damalige Bürgermeister Franz Wurzenrainer ein Stadtentwick- lungskonzept aus. Die Planung führte „innovate“ durch. Im Gespräch mit DI Josef Wurzer, der am Planungsprozess und auch heute noch an der Stadtentwicklung in Rattenberg betei- ligt ist, konnten genauere Details zum damaligen Stadtentwicklungskonzept in Erfahrung gebracht werden4. Grund für die Ausschreibung war, dass Rattenberg vor dem Aussterben bewahrt werden sollte. Die Geschäftsflächen in den Erdgeschoßen brachten Umsatz, jedoch waren die Wohnungen darüber oftmals in einem desolaten Zustand. Anfangs wurde erho- ben, wie der Leerbestand aussah. Dabei kam heraus, dass viele Wohnungen leerstanden – teilweise auch ganze Häuser. Die früheren Maßnahmen zur Fassadenerneuerung waren ein guter erster Schritt, denn durch ein gutes Stadtbild konnte sich die Stadt von der besten Sei- te präsentieren. Daraufhin sollten noch weitere Maßnahmen ergriffen werden. Im Folgen- den wurde das „Was“ erhoben. Was braucht die Stadt, was fehlt der Stadt. Um dies zu erfah-

4 Das einstündige Interview fand am 23.02.2018 in Rattenberg statt. 79

ren, fand ein Bürger- und Bürgerinnenbeteiligungsprozess statt. Daraus wurde dann das „Stadtentwicklungskonzept“ erstellt. Die übergeordnete Ziele lauteten (innovate 2003, S.3):

 Rattenberg ist seiner Historie und Bausubstanz verpflichtet und setzt dies in passen- den, qualitativen Maßnahmen um.  Die Rattenberger und die in Rattenberg tätigen Unternehmer sind sich der Einzigar- tigkeit ihrer Stadt bewusst und handeln danach.  Rattenberg ist ein ganzjährig attraktiver Wohn-, Wirtschafts-, Kultur- und Touris- musstandort.  Rattenberg ist eine Marke.

Zur Umsetzung dieser Ziele wurden vier Handlungsbereiche festgelegt (innovate 2003, S.4):

 Handlungsbereich Wohnort  Handlungsbereich Wirtschaftsstandort  Handlungsbereich Kulturstandort  Handlungsbereich Tourismusstandort

Zu jedem dieser Bereiche wurden strategische Ziele definiert, die zu einer Erfüllung der übergeordneten Ziele führen sollten. Im folgenden Abschnitt werden wichtige Ziele vorge- stellt, die seit dem Jahr 2003 in Rattenberg verfolgt worden und/oder in Umsetzung sind.

Im Handlungsbereich Wohnort wird auf verschiedene Aspekte eingegangen. Rattenberg muss zu einem attraktiven Wohnort mit hoher Wohn- und Lebensqualität werden. Dafür sollen die räumlichen Voraussetzungen geschaffen werden. Ebenso von Bedeutung ist ein ausgewogener gesellschaftlicher und soziodemographischer Mix. Und insgesamt sollen mehr Ganzjahreswohnsitze geschaffen werden und langfristig eine EW-Zahl von 600 erreicht wer- den (vgl. innovate 2003, S.4). DI Wurzer erwähnte während des Gespräches auch, dass das Thema „Licht in Rattenberg“ eine große Rolle spielt. Dabei ist nicht nur das Licht in der Stadt, sondern auch die Belichtung der Wohnungen eine große Herausforderung. Die Lichtakade- mie Bartenbach plante damals ein Projekt zur Lichtbringung. Durch Spiegel am Schlossberg sollte Sonnenlicht in die Stadt gelangen. Dieses Projekt war zwar sehr medienwirksam, konn- te jedoch nicht umgesetzt werden. Die Situation in den Wohnungen hingegen wurde durch Lichthöfe eindeutig verbessert.

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Ziele für den Wirtschaftsstandort sind, Rattenberg zu einem dynamischen, innovativen Dienstleistungsstandort zu machen, wobei kleine und mittlere Unternehmen im Vorder- grund stehen. Dabei sollen auch neue Betriebe angesiedelt werden. Ein ausgewogener Bran- chenmix ist wünschenswert, vor allem sollen die Betriebe ganzjährig tätig sein. Ein wichtiger Punkt ist die Ergänzung und Erhaltung der Nahversorgung. (vgl. innovate 2003, S.4f) Als Kulturstandort müssen in erster Linie die räumlichen Voraussetzungen geschaffen wer- den, damit ein entsprechendes Kulturleben in der Stadt stattfinden kann. Die Rattenberger Bewohner und Bewohnerinnen müssen die Einzigartigkeit von Rattenberg erkennen und stolz darauf sein, in diesem Raum leben zu dürfen. Aus solch einem Bewusstsein kann ein vitales und innovatives Kulturleben in der Stadt entstehen, welches auch von Eigenaktivitä- ten geprägt ist. Die Stadt soll ein ausgewählter Kulturpartner für qualitative Veranstaltungen werden. Die Präsentation von Rattenberg als „Glasjuwel des Alpenraumes“ und eine Erarbei- tung der Marke Rattenberg wird gefördert. (vgl. innovate 2003, S.5) Der Handlungsbereich Tourismusstandort zielt darauf ab, die Art des Tourismus in Ratten- berg zu verändern. Es soll ein wertschöpfungsintensiver Tourismus angestrebt werden, nach dem Motto: „Weniger ist Mehr“. Ebenso bemüht man sich die Anzahl der Betten zu erhö- hen. Erstrebenswert sind für den Individualtourismus angepasste Unterkunftsformen, dabei sollen insgesamt 60 neue Betten entstehen. Damit eine Neuausrichtung des Tourismus mög- lich ist, muss der Souvenirlook der Stadt abgebaut werden. Die Gastronomie strebt in Rat- tenberg einen qualitativen Mix an, der für Gäste und Einheimische attraktiv ist. Generell soll die Infrastruktur auf den neuesten Stand gebracht werden. (vgl. innovate 2003, S.5)

Die ersten Initiativen zur Umsetzung dieser Ziele erfolgten in zwei Immobilien der Stadt – der „Post“ und dem „Malerwinkel“. Durch Gründung einer Gesellschaft wurde eine Umsetzung erst möglich. Die Gesellschaft plante die beiden Häuser nach den Ergebnissen des Stadtpla- nungskonzeptes. Dabei entstanden eine Ordination, Büros, Wohnungen, ein Restaurant, Veranstaltungsräumlichkeiten und das Stadtamt. Im Zuge des Umbaus des Malerwinkels wurde auch ein Lift auf den Schlossberg gebaut, der den Zugang erheblich erleichtert. Dies hat auch einen psychologischen Effekt. Denn die Besucher und Besucherinnen müssen nicht mehr einen Umweg außerhalb der Stadt nehmen, um auf den Schlossberg zu gelangen, son- dern können diesen direkt vom Zentrum aus besuchen. Durch den Bau des Liftes entstand eine Dachterrasse, die einen wunderschönen Blick über die Stadt erlaubt und heute für Ver- anstaltungen und Events (z.B. Hochzeitsfeiern) genützt wird.

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Ermöglicht wurden diese Maßnahmen durch die Förderungen des Landes Tirol und der Stadt Rattenberg. Im Zuge des Revitalisierungsprogrammes des Landes erhielten Eigentümer und Eigentümerinnen pro Wohnung 50.000€. Zusätzliche Zuschüsse wurden vom Gemeindeaus- gleichsfonds (GAF) für öffentliche Einrichtungen verwendet. Für die Post und den Malerwin- kel wurden insgesamt 6.2 Mio. € investiert – ohne die Fassadenrestaurierung (Wurzer Nagel o.J., S.9). Ohne Förderungen des Landes oder der Gemeinde sind Umbauten in der Stadt kaum bzw. nicht finanzierbar. In Abbildung 32 (S.83) sieht man die Lage der durchgeführten und geplanten Projekte in der Stadt Rattenberg. Es wurden 24 Gebäude bis dato umgebaut und revitalisiert. Weitere vier Projekte sind geplant, wobei bei einem dieser Projekte drei Gebäude involviert sein werden. Diese Gebäude sollen touristisch genutzt werden und die Hotellerie in Rattenberg verbes- sern. Anfang 2018 wurden diese Gebäude von einer Person gekauft und derzeit wird ein lo- gistisches Konzept erstellt, wie diese Gebäude miteinander in Verbindung gebracht werden können, da eine räumliche Entfernung besteht. Ebenfalls sollen die bestehende Gastronomie und die Veranstaltungszentren in diese Planung eingebaut werden.

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Abbildung 32: Projekte in der Stadt Rattenberg von 2003-2018 (Quelle: Wurzer Nagel o.J., S.29)

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Die Erfolge des Stadtentwicklungskonzeptes werden in stabilen EW-Zahlen und dem auch in Zukunft kaum noch verfügbaren Wohnraum sichtbar. Trotzdem muss für eine Stadt wie Rat- tenberg ständig geplant, gearbeitet und entwickelt werden. Weitere Projekte, nach Aussage des Bürgermeisters Freiberger, sind folgende (Freiberger 2018a, Anhang 3, S.117):

„Stadterneuerungsmaßnahmen finden heuer aufgrund der Radveranstaltungen nicht viele statt. Es werden nur 2 größere Gehsteige erneuert und 2 Wohnungen werden saniert. Die größten Herausforderungen für die nächste Zeit sind die 3 in Gemeindeeigentum befindlichen Häuser, die seit mehreren Jahrzehnten keine Sa- nierung mehr bekommen haben. Das wird sicher mehrere Jahre in Anspruch nehmen.“

10.3 Entwicklungsmöglichkeiten für einen nachhaltigen Lebensraum

Mit dem Stadtentwicklungskonzept werden Ziele definiert, die Rattenberg vor dem (Aus-)Sterben bewahren sollen. Trotzdem müssen solche Konzepte ständig erweitert und den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts angepasst werden. Rattenberg ist zwar eine kleine Gemeinde – nicht nur einwohnermäßig, sondern auch flächenmäßig – aber genau hier können Ideen umgesetzt werden.

In den folgenden Abschnitten sollen, basierend auf den bereits bestehenden Ideen, neue Vorhaben vorgestellt werden, die in Rattenberg umgesetzt werden könnten. Hier finden die Wünsche und Vorschläge aus der schriftlichen Befragung Berücksichtigung (vgl. Kapitel 8 Auswertung der Daten, S.51). Dabei werden die drei Bereiche der Nachhaltigkeit – Ökono- mie, Ökologie und Soziales – miteinbezogen. Die Ideen für eine weitere Stadtentwicklung in den folgenden Kapiteln stammen von der Autorin.

10.3.1 Neue Hotellerie mit Albergo Diffuso?

Rattenberg als kleine Stadt am Inn mit ihren Inn-Salzach-Häusern ist sicherlich für viele Ta- gestouristen und -touristinnen attraktiv. Der Tourismus in Rattenberg ist stark auf diese Ziel- gruppe orientiert. Wenige Menschen übernachten in Rattenberg. Einerseits fehlen Unter- künfte, andererseits auch die für Tirol oft notwendige Nähe zu Ski- und Wandergebieten. Trotzdem kann sich Rattenberg in Hinblick auf den Tourismus weiterentwickeln. Die lange

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Geschichte und die Inn-Salzach-Häuser des Städtchens sind eine Besonderheit. Durch eine Umorientierung – vom Massentourismus weg und hin zu einer neuen Generation von Touris- ten und Touristinnen – kann ein nachhaltiges Konzept in Rattenberg entstehen. Momentan wird an einem logistischen Konzept gearbeitet, damit ein neues Hotel in Rattenberg gebaut werden kann. Dies soll nicht nur einen wirtschaftlichen Vorteil bringen, sondern muss auch in das Stadtbild von Rattenberg passen. Die Bettenzahl wird mit diesem Projekt um 60 er- höht.

Diese neue Generation an Touristen und Touristinnen erhöht ihr Vorkommen am internatio- nalen Markt. Sie will nicht nur einen neuen Ort kennenlernen, sondern auch an diesem Ort leben. Sie möchte einen einzigartigen Urlaub an einem neuen Ort mit vielen neuen Erfah- rungen machen und die lokale Kultur erleben (vgl. IDEASS Italy o.J., S.3). Eine aus Italien stammende Idee, die in den 1980er Jahren entstanden ist und sich bis heute gut in Italien etabliert hat, ist das Konzept „Albergo Diffuso“ – deutsch: das ausgebreitete Hotel. Im Konzept sind die Schlafzimmer und Appartements nicht in einem einzigen Gebäude untergebracht, sondern im ganzen historischen Zentrum verteilt (vgl. Abbildung 33). Anders

Abbildung 33: Konzept „Albergo Diffuso“(Quelle: Albergo Diffuso 2017a) wie für klassische Hotels, die vertikal angelegt sind, ist dieses Modell horizontal ausgelegt und wird deshalb auch „horizontales Hotel“ genannt (vgl. Albergo Diffuso 2017b). Diese Art von Hotel bietet den Besucher und Besucherinnen ein besonderes Erlebnis, da sie direkt im Zentrum der Stadt untergebracht sind. In einem Gebäude werden Rezeption, ein Concierge, Restaurant, Gemeinschaftsräume und andere Annehmlichkeiten (z.B. Fitnessraum) unterge- bracht. Von hier aus wird das Management betrieben. Die Touristen und Touristinnen kön-

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