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Verwandlung : Black Swan von

Autor(en): Ranze, Michael

Objekttyp: Article

Zeitschrift: Filmbulletin : Zeitschrift für Film und Kino

Band (Jahr): 53 (2011)

Heft 312

PDF erstellt am: 23.09.2021

Persistenter Link: http://doi.org/10.5169/seals-864188

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Verwandlung black swan von Darren Aronofsky

Es beginnt mit der Erzählung eines Traums: Zu den sind harte Arbeit, Training ab sechs oder sieben Jahren, um Bildern einer tanzenden Ballerina berichtet eine Frauenstimme dem Körper beizubringen, so schöne Dinge zu schaffen. Später, im Off, sie sei einem Mädchen begegnet, das sich in einen wenn sie älter werden, haben sie oft mit Leiden zu kämpfen, Schwan verwandelte. Während sie darauf wartete, dass der die auf ihre Karriere zurückgehen. In einem gewissen Fluch brechen würde, habe sich ihr Prinz in die Falsche Sinn ist es ein Kampf gegen den Tod, weil es etwas so Künstliches verliebt. Das Mädchen habe sich das Leben genommen. Traum ist.» Ein Kampf gegen den Tod - denkbar, dass Darren und Wirklichkeit, das wird in diesem kurzen Prolog deutlich, Aronofsky den Worten Wisemans bedingungslos zustimmen werden sich von nun in Darren Aronofskys Drama über die würde. Krise einer Primaballerina mischen. Der Zuschauer ist Der Regisseur von black swan hatte zuletzt mit gewarnt. the wrestler die Körperinszenierungen seiner Hauptfigur Die Kunst des Balletts: Erst kürzlich spürte Frederick blossgelegt. Die Strapazen, die Mickey Rourke auf sich Wisemans Dokumentarfilm la danse - le ballet de nimmt, der bedingungslose Professionalismus, mit dem er l'opéra de paris nicht nur dem Funktionieren einer seiner Arbeit nachgeht, die psychischen Altlasten, die er mit altehrwürdigen Institution nach, sondern auch der Faszination des sich herumschleppt, aber auch der Erwartungsdruck, der Tanzes, der unermüdlichen Arbeit, die dahinter steht, der von aussen auf ihn einstürmt, erscheinen wie eine Blaupause körperlichen Präzision, dem emotionalen Einfühlungsvermögen der Leiden Natalie Portmans, die hier die Hauptrolle spielt. der Tänzer. Warum er den Film gemacht habe? «Um In Aronofskys neuem Film gerät nicht nur das von Wiseman zu verstehen, was Tanz ist: ein besonderes Verhältnis beschriebene Verhältnis zwischen Körper und Geist in Schieflage zwischen dem Körper und dem Gehirn. Alle Gesten der Tänzer - die Tänzerin droht am Konflikt zwischen Anspruch FILMBULLETIN 1.11 KINO IN AUGENHÖHE

und Wirklichkeit auch zu zerbrechen. Festgemacht wird Doch Nina ist nicht nur einem Konkurrenzkampf diese Krise an Peter Tschaikowskys Ballett «Schwanensee», ausgesetzt, in dem auch sexuelle Spannung mitschwingt. Der in dem ganz konkret der Kampf Gut gegen Böse ausgetragen grösste Leistungsdruck kommt von ihrer Mutter Erica. Sie wird. Die Kunst spiegelt das Leben. war früher selbst Tänzerin, hat es aber nie bis nach ganz Natalie Portman spielt Nina, eine junge Frau, die oben geschafft. Nun lebt sie nur noch für ihre Tochter, für ihr ganzes Leben dem Ballett gewidmet hat, die alles daran ihr Wohlbefinden, für ihre Karriere. Nacht für Nacht wartet setzt, einmal als Primaballerina im Rampenlicht zu Erica in der gemeinsamen kleinen Wohnung, die an einen stehen. Ein Traum, der nun wahr werden könnte. Am Lincoln schützenden Kokon erinnert, darauf, dass Nina nach Hause Center in New York will Chef-Choreograph Thomas Leroy kommt. Kaum öffnet sich die Tür, bombardiert sie sie mit Tschaikowskys Klassiker in einer bahnbrechenden Interpretation Fragen und Sorgen. Erica ist eine liebende und aufmerksame aufführen, ihn quasi neu erfinden - Nina erregt seine Mutter. Doch ihre Überfürsorglichkeit hat auch etwas Aufmerksamkeit. Für den Weissen Schwan Odette ist sie Beängstigendes und Verstörendes. Einmal sieht sie wie ein Schutzengel von der Grazie und Eleganz, von der Virtuosität und Technik Nina beim Schlafen zu - ein beklemmender Moment. her zweifellos die Richtige. Doch ist sie auch in der Lage, Irgendetwas stimmt hier nicht, und man wird fortan den den bösen Zwilling dieser Doppelrolle, den Schwarzen Eindruck nicht mehr los, als würde Erica das Scheitern ihrer Schwan Odile, adäquat zu interpretieren? Mit aller Bosheit, Tochter herbeisehnen. Skrupellosikeit und Verführungskraft, die diese Rolle erfordert? Wenn man über black swan schreibt, kommt einem «I want to see passion, seduction!» fordert Leroy. Er hat gleich the red shoes (1948) von Michael Powell und Emetic seine Zweifel. Und er hat eine Alternative. Aus San Francisco Pressburger in den Sinn. Auch dort ging es um den Zwiespalt ist Lily angereist, eine neue Tänzerin, die - analog zur zwischen Kunst und Leben, um die Wahl zwischen erforderten Bühnenfigur - das komplementäre Gegenstück zu Karriere und Liebe. Thomas Leroy, von Vincent Cassel als Nina bildet: selbstbewusst, unverklemmt, erfahren. Die arroganter, fordernder und kühler Machtmensch interpretiert, Unbeschwertheit, mit der sie mit ihrem Körper umgeht, steht könnte ein Doppelgänger von Anton Walbrooks Boris im starken Kontrast zu dem Schmerz, den Nina sich zufügt. Lermontov sein, der wiederum auf den russischen Impresario Nina verstümmelt ihren Körper, um sich selbst zu bestrafen. Sergej Pawlowitsch Diaghilew (1872-1929) zurückgeht. Leroy Das erinnert an die Rasierklingen, mit denen Mickey Rourke und Lermontov: zwei besitzergreifende Männer, die keinen in the wrestler das Blut spritzen lässt. Widerspruch dulden und bei der Verfolgung ihrer künstlerischen Ziele keinerlei Rücksichten auf andere nehmen. Die Figur der Nina hingegen zeigt deutliche Parallelen zu Moira

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Shearers Victoria Page, neurotischer zwar als die Vorgängerin nah an Natalie Portman heran. Die Kamera schlingert, und grausamer gegen sich selbst, doch was beide Frauen taumelt, torkelt, sie dreht sich mit ihr, eilt ihr voraus oder hinkt eint, ist ihr unermüdlicher Eifer, anderen zu gefallen. Ein hinterher - als sei sie durch ein unsichtbares Band mit der Eifer, der in die Katastrophe führt. Schauspielerin verbunden. Besser kann man das neurotische black swan fügt sich fast nahtlos in das Werk des Gefangensein Ninas in ihrem Körper nicht verdeutlichen. 1.969 geborenen Regisseurs. Bereits in seinem Regiedebüt PI Und Natalie Portman? Bislang war sie in ihren Filmen, hatte Aronofsky 1998 einen jungen Mann in den Mittelpunkt ihrer Jugend und Schönheit wegen, zumeist das unschuldige, der Erzählung gestellt, der über der Suche nach einem zerbrechliche Mädchen. Nun spielt sie, in ihrer wohl grössten mathematischen Schlüssel zur Erkenntnis der Welt verrückt körperlichen Herausforderung, virtuos einen getriebenen wird. In (2007) geht es darum, dass ein Mann Charakter, der seine Grenzen bedingungslos auslotet, sowohl nichts weniger als Raum und Zeit überwindet. Aronofskys physisch als auch psychisch. Darren Aronofsky hat Port- getriebene Figuren stecken sich stets Ziele, die zu gross für mans dunkle Seite hervorgeholt. Er hat sie in den Schwarzen sie sind. Das Scheitern ist vorprogrammiert. Schwan verwandelt. black swan stellt die zentrale Frage, ob sich Nina von ihrer Mutter lösen kann und sie einen Zugang zur Rolle der Michael Ranze Odile findet. Der Zuschauer sieht die Angst und den Druck auf ihrem Gesicht. Immer mehr verschwinden die Grenzen Stab Regie: Darren Aronofsky; Buch: Mark Heyman, Andrés Heinz, John McLaughlin; lesbische zwischen Wirklichkeit und Traum, Nina hat Visionen, Kamera: Matthew Libatique; Schnitt: Andrew Weisblum; Ausstattung: Thérèse DePrez; Phantasien. Sie fühlt sich verfolgt und droht, verrückt Kostüme: Amy Westcott; Musik: Clint Mansell zu werden. Aronofsky gibt gar nicht erst vor, eine psychologisch Darsteller (Rolle) Natalie Portman Vincent Cassel (Thomas Leroy), MilaKunis (Lily), Barbara korrekte Studie dieser Krise zu beschreiben. Er widmet (Nina), Hershey (Erica), Winona Ryder (Beth), Benjamin Millepied (David/Prinz), Ksenia Solo sich den physischen Details - gesplissene Zehennägel, (Veronica/kleiner Schwan), Janet Montgomery (Madeline/kleiner Schwan), Kristina zusammengewachsene Zehen, gebrochene Rippen, Anapau (Galina/kleiner Schwan), Sebastian Stan (Andrew), Toby Hemingway (Tom), Sergio Torrado (Sergio), Mark Margolis (Mr. Fithian), Tina Sloan (Mrs. Fithian) aufgekratzte Schulterblätter, Schmerzen, Blut. Immer näher rückt Produktion, Verleih immer mehr befinden wir uns im Fahrwasser the wrestler, Fox , , , ; eines Horrorfilms. Aronofsky findet drastische, verstörende, Produzenten: Mike Medavoy, Arnold W. Messer, Brian Oliver, Scott Franklin; USA zoio. Farbe; Dauer: Min. CH-Verleih: 20th nicht immer subtile Bilder für die Unsicherheit seiner no Century Fox, Genf Heldin. Sie sind in ihrer Exzessivität manchmal auch eine Zumutung. Matthew Libatique rückt mit seiner Kamera ganz

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