Athen Und Jerusalem QUAESTIONES Themen Und Gestalten Der Philosophie 16 Winfried Schröder Athen Und Jerusalem
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WINFRIED SCHRÖDER Athen und Jerusalem QUAESTIONES Themen und Gestalten der Philosophie 16 Winfried Schröder Athen und Jerusalem Die philosophische Kritik am Christentum in Antike und Neuzeit frommann-holzboog Die QUAESTIONES werden herausgegeben von Eckhart Holzboog Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT Meinen Eltern Heinrich und Edith Schröder Bibliografi sche Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografi e; detaillierte bibliografi sche Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar. ISBN 978-3-7728-2567-5 © frommann-holzboog Verlag e. K. · Eckhart Holzboog Stuttgart-Bad Cannstatt 2011 Satz: Johanna Boy, Brennberg Druck: Offi zin Scheufele, Stuttgart Einband: Litges & Dopf, Heppenheim Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Inhalt I. Philosophie und Christentum: die ›abendländische Synthese‹ . 1 II. Die Wiederkehr der Verfemten . 13 1. Die Präsenz der antiken Christentumskritiker in der Neuzeit . 14 2. Schwierigkeiten mit der Spätantike . 47 III. Der Angriff auf die Heilige Schrift . 71 IV. Die philosophisch-theologischen Dissense . 85 1. Glaube . 87 a. ›Alogos pistis‹: ›blinder Glaube‹ . 88 b. ›Ut omnes unum sint‹: die Einheit im Glauben und die Intoleranz . 110 2. Wunder . 138 a. Wunder in der antiken Philosophie und im Christentum . 139 b. Argumente gegen den christlichen Wunderglauben . 154 3. Moral . .190 a. ›Vertus outrées‹: Armut, Demut und die andere Backe . 196 b. ›Fremde Gerechtigkeit‹ und ›leichte Entsündigung‹: der Wert moralischer Aktivität . 204 V. Schluss . 221 Bibliographie . 231 Register . 271 Sach- und Begriffsregister . 271 Bibelstellen . 277 Anonyme Schriften . 279 Mythologische, biblische und literarische Figuren . 280 Namenregister . 281 Abkürzungen K Kelsos: ’Alhqh.j lo,goj, hrsg. R. Bader. Stuttgart / Berlin 1940; an gege ben wer- den Buch- und Kapitelangaben von Origenes’ ›Con tra Cel sum‹. P Porphy rios: Contra Christianos. Die Fragmente werden nach der Har- nackschen Numerierung zitiert: Porphy rius. Gegen die Chri sten, 15 Bü- cher. Zeug nisse, Frag men te und Re fe rate, hrsg. A. von Harnack [Abh. der Königl. Preuß. Aka de mie der Wiss., Philos.-hist. Klasse, 1916, Nr.1]. Ber- lin 1916 [auch in: Klei ne Schrif ten zur Alten Kirche. Berliner Aka de mie- schrif ten 1908–1930. Mit einem Vor wort von J. Dummer. Leip zig 1980, S. 362–474]. P (M.) Die von Harnack in seine Sammlung aufgenommenen (mutmaß li chen) Porphy rios-Fragmente, die im ›Monogenes‹ (früher zumeist: ›Apokri ti kos‹) des Ma karios von Mag nesia überliefert sind. Angegeben wird Harnacks Nu merierung mit dem Zusatz »M.«, gefolgt von Buch- und Kapitel angabe des ›Mono ge nes‹ (hrsg. R. Gou let. Paris 2003). J Julian: Contra Gali laeos, hrsg. E. Masaracchia. Rom 1990. Zitiert wird die Nu me rie rung der Frag men te in dieser Ausgabe mit Angabe der Spanheim- schen Pa gi nie rung (so fern vorhanden). Bei den Briefen Julians wird zusätz- lich zu der Span heim schen Pa gi nie rung so wohl die Zählung von Bidez / Cumont (»B/C«) als auch die jenige von Wright (»W«) ange ge ben. ANRW Aufstieg und Nieder gang der römischen Welt, hrsg. H. Tem porini / W. Haase. Berlin / New York 1972ff. CCSL Corpus Christianorum. Series Latina. Turnhout 1954ff. CSEL Corpus scriptorum ecclesiasticorum Latinorum. Wien 1866ff. GCS Die griechischen christlichen Schrift steller der ersten [drei] Jahr hun der te. Leipzig [Berlin] 1897ff.; Berlin / New York 2001ff. PG Patrologiae cursus completus, series II: Ecclesia Graeca, hrsg. J. P. Migne. Paris 1857ff. PL Patrologiae cursus completus, series I: Ecclesia Latina, hrsg. J. P. Migne. Paris 1841ff. PTS Patristische Texte und Studien. Berlin / New York 1963ff. SC Sources chrétiennes. Paris 1943ff. I. Philosophie und Christentum: die ›abendländische Synthese‹ Die Synthese aus antiker Philosophie und Christentum gilt seit jeher als eine identi- tätsstiftende Besonderheit der westlichen Kultur. Tatsächlich ist es seit der Spätantike in mancher Hinsicht zu einer Verschmelzung dieser geistigen Welten – ›Athen‹ und ›Jerusalem‹1 – gekommen. Sie war zwar immer wieder umstritten und nicht selten dem Einwand ausgesetzt, sie bedrohe die Integrität der göttlichen Offenbarung, doch begannen bereits die frühen Kirchenväter, christliche Glaubensinhalte mit den Mit- teln philosophischer Begriffl ichkeit und Theorie zu erläutern, zu verteidigen oder zu begründen. Sie schufen damit ein für die folgenden Epochen verbindliches Modell für die Nutzung des formalen Instrumentariums und der Inhalte des Platonismus, später des Aristotelismus bis hin zu den Varianten zeitgenössischer Philosophie, an die Theologen heute anknüpfen. Die philosophische Theoriebildung wiederum voll- zog sich, seit das Christentum in der Spätantike die kulturelle Hegemonie errungen hatte, auf der Grundlage strikter religiöser Vorgaben. Die ihr durch Offenbarung und Dogmatik gesetzten Grenzen blieben lange – bis in das Zeitalter Kants und in man- chen Milieus weit darüber hinaus – bestehen. Schon in Anbetracht ihrer Dauerhaf- tigkeit ist diese am Anfang der christlichen Ära geschlossene Allianz von Religion und Philosophie ein im interkulturellen Vergleich singulärer Vorgang; man denke an den Abbruch der Rezeption der griechischen Philosophie im islamischen Mittelalter. Be- merkenswerter noch ist der Umstand, dass sie jene Krise überstand, die sie zu Beginn der Moderne aufs äußerste bedrohte: Das Christentum hat es anscheinend vermocht, die Transformation durch den Modernisierungsprozess der Aufklärung zu bestehen. Es hat sogar, so heißt es, Elemente aufgeklärter Rationalität in sich aufgenommen, und so sei unter den Bedingungen der in der Aufklärung beginnenden Moderne die 1 Tertullian prägte diese Formel in seinem Plädoyer für eine strikte Abgrenzung des Christentums von der Philosophie: »Was hat Athen mit Jerusalem zu schaffen, was die Akademie mit der Kir- che, was die Häretiker mit den Christen?«; De praescriptione haereticorum 7,9 [CCSL 1, S. 193]; vgl. W. E. Helleman: Tertullian on Athens and Jerusalem, in: Dies.: Hellenization revisited. Lan- ham 1994, S. 361–382; J. Gonzáles: Athens and Jerusalem revisited: reason and authority in Tertul- lian, in: Church history 43 (1974) S. 17–25. – Auch heute, und auch unter Philosophen, die mit dem Christentum sympathisieren, ist die Allianz, die das Christentum seit der Spätantike mit der Philosophie eingegangen ist, nicht unumstritten. P. van Inwagens Bedenken beziehen sich spe- ziell auf die dualistische, im weiteren Sinne platonische Metaphysik und ihre Konsequenzen für die Philosophie des Geistes; vgl. Dualism and materialism: Athens and Jerusalem?, in: Ders.: The possibility of resurrection and other essays in Christian apologetics. Boulder 1998, S. 53–68. 2 I. Philosophie und Christentum: die abendländische Synthese anfänglich in der Spätantike gestiftete Synthese aus Christentum und Philosophie bekräftigt und konsolidiert worden. Der Topos, dass das Erbe des seit der Patristik philosophisch ausformulierten Christentums und die säkulare Rationalität der Aufklärung, in der Impulse der vor- christlichen antiken Philosophie weiterwirkten, in der abendländischen Kultur zu einer Einheit gefunden haben, wirft jedoch Fragen auf. Verstehen wir die Wurzeln unserer Identität richtig, wenn wir uns von dieser Vorstellung leiten lassen? Zweifellos muss mit Blick auf das vormoderne Europa von einer historisch gewachsenen kultu- rellen Synthese jener beiden Traditionen gesprochen werden, deren Vitalität noch in manchen Sphären der modernen Gesellschaften des Westens zu beobachten ist. Un- ser Selbst- und Weltverständnis ist auch heute noch vielfach durch das Christentum geprägt, das die europäische Kultur mehr als eineinhalb Jahrtausende beherrscht hat. Viele Begriffe, mit denen wir es artikulieren, verdanken ihre Konturen in nicht gerin- gem Maße nach wie vor der christlichen Vorstellungswelt. Das Bewusstsein davon, in welchem Umfang religiöse Traditionen in konkreten Vorstellungen und Begriffen weiterwirken, ist unterschiedlich ausgeprägt und insgesamt im Schwinden begriffen. Der grundlegende Sachverhalt aber liegt so offen zutage, dass der Hinweis auf ihn im Grunde trivial ist. Doch liegt der kulturellen Synthese eine rational explizierba- re Verschmelzung von Ideen, Begriffsverständnissen, theoretischen und normativen Überzeugungen zugrunde, die es erlaubt, von einem homogenen Selbst- und Welt- verständnis des Okzidents zu sprechen, das ebenso durch das Christentum wie durch die Philosophie – in ihrer antiken und neuzeitlichen Gestalt – geprägt ist? Schließt diese kulturelle Synthese eine widerspruchsfreie Zusammenführung der aus den hete- rogenen Quellen – ›Athen‹ und ›Jerusalem‹ – stammenden theoretischen Gehalte ein, sind diese Traditionen überhaupt miteinander verträglich? Zweifel an diesem Topos wecken zwei durch mehrere Epochengrenzen voneinan- der getrennte philosophisch-theologische Konfrontationen. Zum einen passt nicht in das Bild einer Harmonie zwischen Christentum und Philosophie, dass, als sie in der Spätantike aufeinandertrafen, ein scharfer Gegensatz zwischen ihnen aufbrach. Die neue Religion aus dem Morgenland sah sich nicht nur mit kulturellen und po- litischen Widerständen, sondern auch mit einer entschiedenen philosophischen Op- position konfrontiert. Ihren refl ektiertesten Ausdruck fand sie in den antichristli- chen Schriften dreier Philosophen des 2. bis 4. Jahrhunderts: der Platoniker Kelsos, Porphyrios und des Philosophenkaisers Flavius