MEISSNER 2013

Gedanken zur Lage der Bünde vor dem Hohen Meißner 2013 Alexej Stachowitsch (Axi) schrieb am 30.5.2009 zu den Auseinandersetzungen über das Meißnerlager

Lieber Empfänger dieses Schreibens, wer daran (und an den vorbereiten- spricht »man von „Radikalen“ oder den Veranstaltungen der Bünde) teil- „Extremen“. Als Beispiele mögen Hit- einige Male sind wir einander be- nehmen dürfe und wer auszuschlie- lers Nationalsozialisten (Nazis) in gegnet und konnten Meinungen aus- ßen wäre. Deutschland und Lenins und Stalins tauschen. Darunter auch solche über Kommunisten in Russland dienen. die Vorbereitungen für das im Okto- Konkret ging und geht es vor allem Beide vernichteten zur Machterhal- ber 2013 auf uns zukommende Meiß- um den sogenannten „Freibund“ und tung Millionen und Abermillionen ner-Jubiläums-Treffen und damit zu- einige andere, als ihm ähnlich „rechts- ihnen nicht genehmer Menschen. sammenhängende Fragen. Vor allem belastet“ eingestufte Bündigungen. Es ging es darum, wer daran teilnehmen wird behauptet, dass sie, insbesondere Soweit die Klarstellung, die ich dürfte und wer auszuschließen wäre. eben der Freibund, zu rechts-extre- deshalb für notwendig halte, weil es men Gruppierungen gehörten und bei ja genug Jüngere gibt, die diese Syste- Ich habe inzwischen viele Briefe zu uns also nichts zu suchen hätten. me nicht am eigenen Leib erfahren diesem Thema geschrieben und muss- und erduldet haben. Hinzu kommt te feststellen, dass immer wieder Rück- Wenn dem so wäre, stimme ich auch, dass gerade Jüngere häufig eher fragen kamen, weil den Empfängern ihrem Ausschluss zu. zu extremen Denk- und Handlungs- meine Haltung dazu nicht genügend weisen neigen als Ältere, was aber klar oder begründet erschien. Deswe- Aber so einfach scheint mir die nicht die Regel sein muss. gen jetzt meine etwas umfangreichere Lage nicht zu sein. Zu klären ist Darstellung. vorher vor allem die Frage, was man Deswegen bemühen sich radikale unter „Demokratie“ versteht, die man Parteiführer auch besonders um jün- Zunächst zur Person: zu schützen vorgibt. Meine Meinung gere Menschen, also z. B. auch um ist die: Jugendbünde. Ich bin, wie Du weißt, als Sohn einer alteingesessenen russischen Gefährlich sind also nicht die Rech- Demokratisches Bewusstsein Adels-Familie 1918 in / ten oder die Linken, soweit sie zur Schweden geboren, da in Russland Unbeschadet geschichtlicher Ent- erwähnten demokratischen Zusam- die kommunistisch-bolschewistische wicklungen verstehe ich unter Demo- menarbeit bereit sind, sondern die Revolution ausgebrochen war und kratie das tolerante Zusammenwirken Extremen oder Radikalen. Und unsere Familie verfolgt wurde. Nach von bewahrenden, also konservati- dazwischen gibt es die vielen Gleich- Flüchtlingsjahren durch Europa bin ven, Kräften mit progressiven, also gültigen oder Uninteressierten und ich dann ab 1922 in Österreich aufge- fortschrittlichen, Kräften, beide zum auch Suchenden, um die dann ge- wachsen, also in einem Land und bei Wohl des gemeinsamen Staates. Je worben wird. Und gerade die Extre- einem Volk, dem ich in tiefer Zunei- nach den errungenen Mehrheiten stel- men/Radikalen versuchen mit beson- gung verbunden bin und dessen len dabei die einen oder die anderen derer Intensität zu werben. Wenn also Staatsbürger ich im Jahr 1935 werden die entsprechenden führenden Kräfte heute z. B. zu Aktionen gegen „rechts“ durfte. in der Regierung, im Parlament usw. oder „links“ aufgerufen wird, verbin- Keine Seite will dabei die andere det sich damit entweder Unkenntnis 1929 wurde ich in Mit- beseitigen oder vernichten, sie sind oder eine bewusste Täuschung, wenn glied eines bündisch orientierten Pfad- beide auf eine, manchmal auch nicht klar gesagt wird, dass es dabei finderbundes. Ich bereiste viele Län- schwierige, Zusammenarbeit angewie- nur gegen die Radikalen und Extre- der, hielt mich aber ab etwa 1960 sen. So ist die Situation in den men, nicht aber gegen Konservative vorwiegend in Deutschland auf und parlamentarischen Demokratien und oder Progressive gehen kann! Ich bin konnte die bündische Jugend in ver- auch in den konstitutionellen Monar- sehr besorgt über die zunehmende schiedenen Formen gründlich erle- chien, z. B. in England oder den Verwischung dieser Unterschiede! ben. skandinavischen Staaten. Nach der 1976 gründete ich den „Jungen- historischen Sitzanordnung heißen Ich sprach gerade von den Unent- bund Phoenix“, dessen Bundesfüh- die Konservativen bis heute die „Rech- schlossenen oder Gleichgültigen und rer ich bis heute bin. ten“, die Progressiven die „Linken“. diese sind meist sogar die Mehrheit. (Wobei es auch Zwischenformen gibt.) Diese sollte man nicht in die Hände Bünde vom Meißnerfest 2013 der Extremen fallen lassen. Und sol- Versuchen aber Kräfte, ob von rechts che, die sich gerade bemühen, aus ausschließen? oder von links, nicht nur die parla- den Fängen der Extremen zu entkom- Im Zusammenhang mit den erwähn- mentarische Mehrheit zu erringen, men, sollte man nicht abschrecken, ten Vorbereitungen für das Meißner- sondern zusätzlich Andersdenkende sondern ihnen helfen. Sie aber von Jubiläum wurden die Fragen gestellt, auszuschalten oder gar zu beseitigen, vorneherein abzulehnen, halte ich für

12 MEISSNER 2013 unklug. Für Gläubige ist das un- nicht Schuld auf sich laden will. Wie ob Deutschland das Land Österreich christlich und für Nachdenkende ein- wenig christliches Denken und Emp- durch den Einmarsch der fach unüberlegt. Dass ein Ringen um finden kommt da zu Tage! vergewaltigt, oder ob die Mehrheit Suchende und Zweifelnde schwierig der Österreicher den „“ ge- sein und auch misslingen kann, ist wollt hätte. (Ernsthafte Historiker sa- Zum Freibund mir durchaus bewusst, aber es sollte gen heute, dass bei einer durch Hitler versucht werden. Ich glaube nicht, Die Angelegenheit „Freibund“ ver- verhinderten Volksabstimmung 1/3 für dass ein einfaches Vorladen vor ein folge ich schon mit Aufmerksamkeit den Anschluss und 2/3 für die Selb- Tribunal mit peinlicher Befragung aus- seit 1988. Damals erklärten mir füh- ständigkeit gestimmt hätten. Ich war reicht, da sind intensives Gespräch rende Mitglieder (und, wie ich glau- damals schon österreichischer Soldat und Zuwendung erforderlich. be, ernsthaft), dass sie sich zwar und kann das gefühlsmäßig etwa be- nicht von ihrer Heimatverbunden- stätigen). Nun war Hitler ja selbst Man kann diese meine Überlegun- heit, wohl aber vom Rechtsextremis- österreichischer Abstammung und gen natürlich für Theorien eines leicht- mus abgewendet hätten, um ein Bund zahlreiche österreichische „Nazis“ be- gläubigen „Idealisten“ halten, aber ein im Sinne der Bündischen Jugend zu gingen in der Folgezeit viele Gräuelta- Kämpfer für das, was ich als gerecht sein. Dass die rechtsextreme Szene, ten. Ich will also nicht alle Österrei- ansehe, war ich immer – und will es aus der sie kamen, sie gerne wieder cher als Unschuldslämmer darstel- auch bleiben. zurückhaben möchte, ist mehr als len. Und heute erklären 67% der Man sollte sich davor hüten, mit verständlich – und wir erleichtern ihr Befragten, dass sie stolz darauf seien, sturer Abweisung gerade das zu be- die Verwirklichung dieser Absicht, Österreicher zu sein. Wie ist es dann schädigen, was man als Gerechtigkeit wenn wir dem Freibund nur die zu erklären, dass es im heutigen und auch als Demokratie ansieht. kalten Schultern zeigen. Wir würden Deutschland so schwer zu sein Soweit also das eher Grundsätzliche. damit gerade den Rechtsextremismus scheint, sich zu seinem Land zu Und jetzt zu Konkreterem. fördern, statt ihn zu bekämpfen. bekennen?

Nicht nur im christlichen Sinne, Zunehmende Politisierung Ich kann und will hier keine Unter- sondern auch in ethischer Denkweise suchungen dieses Phänomens anstel- Mir macht die offensichtlich zuneh- soll man Suchende nicht abstoßen, len, aber etwas stimmt da einfach mende Politisierung, besonders bei sondern zu gewinnen versuchen. Die- nicht. So sehr es falsch ist, übertrie- den Vorbereitungen zum Meißner- sen Mut sollten wir aufbringen – und benen Patriotismus zu verströmen, so Treffen 2013, Sorgen. zwar gegen alle extremen Bestrebun- ist andererseits sein Fehlen ebenso gen, kämen sie nun von rechts oder bedenklich (Fußballwelt-Meister- Nun war ich bei der entsprechen- von links. Und unsere Burgen und schaften scheinen da eine Ausnahme den Versammlung des RJB nicht dabei sonstigen Begegnungsstätten sollten zu sein). Warum führe ich hier das (ich war im Ausland), aber da wurde Menschen zusammenführen und sie alles an? Einfach weil es, meiner bereits um Posten und Einflüsse ge- aneinander wachsen lassen und sie Meinung nach, auch mit unserer Fra- rungen und es erfolgten schon Festle- nicht voneinander abkapseln. ge nach Freibund und Ähnlichem zu gungen. Sollte das nicht stimmen, tun hat: Wieso? bitte ich um Vergebung. Das aber scheint gerade in Deutsch- land heute Probleme zu bereiten. Nun, weil ich mich frage, warum Ein bekannter und achtenswerter man in Deutschland Vieles nicht sa- bündischer Treffpunkt soll angeblich Denn was darf man eigentlich sagen gen oder tun darf, was in der Mehr- eine „Burg gegen rechts“ werden und und tun, um nicht gleich als Links- zahl anderer demokratischer Länder Stephan Sommerfeld, der meiner Mei- oder Rechtsextremer angesehen zu eine Selbstverständlichkeit wäre? nung nach auf Burg Ludwigstein her- werden? Dazu fällt mir folgende Bege- vorragend wirkt, macht man Vorwür- benheit ein: Ich will versuchen, nur einige Bei- fe, dass er sich dem Freibund ge- spiele anzuführen, die die „rechte“ genüber nicht genügend abweisend Stolz auf sein Vaterland Szene betreffen. (Man könnte das für gezeigt hätte. „links“ ebenso tun.) Ich bitte dabei Vor einigen Jahren startete ein inter- diese Aussagen nicht mit meiner eige- Man kann also im Ring junger nationales Institut eine viele Länder nen Meinung einfach gleichzusetzen. Bünde (RjB) meiner Meinung nach umfassende Befragung, die lautete: Sie sind nur Beispiele. beginnende Bestrebungen feststellen, „Wer kann in den befragten Ländern die, wie mir scheint, nicht auf dem von sich sagen, dass er „stolz sei, Wie würde man heute in Deutsch- Grundsatz parteipolitischer Ausgewo- Bürger seines Landes zu sein?“ land jemanden einstufen, der z. B. genheit aufbauen. Folgendes sagt oder unterstützt: Ich weiß nicht, wie viele Länder 1. Ich liebe mein deutsches Vater- Das ist schade, denn ich hielt ei- befragt wurden, aber ich war ange- land. gentlich den Ring junger Bünde für nehm überrascht zu erfahren, dass 2. Der Holocaust ist unentschuldbar, ein Forum der Zusammenarbeit und Österreich mit etwa 67% der Befrag- aber Lenin und Stalin haben viele nicht für einen parteipolitischen ten an der Spitze stand. Ausgerechnet Millionen unschuldiger Menschen Kampfring. Ich würde mich einerseits Österreich! (Deutschland rangierte mehr umgebracht als Deutschland. am liebsten von dieser ganzen Ent- ganz weit unten). Nun hatte ja auch Man darf das nicht gegeneinander wicklung einfach abwenden – aber Österreich eine nicht ganz saubere aufrechnen, aber man sollte das das darf man nicht tun, wenn man Weste, als es 1938 um die Frage ging, auch nicht verschweigen.

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3. Die in Deutschland lebenden Mus- Wir haben mit der jugendbewegt- schaft und Hass schüren, statt Ein- lime sollten mithelfen, dass in bündischen Tradition ein wichtiges sicht und Versöhnung zu erreichen! ihren Heimatländern den Christen Erbe zu hüten und zu entwickeln. Wo diejenigen Freiheiten zugestanden Gefahren zu erkennen sind, müssen Gewiss: Alles Eintreten für das Gute werden, die Muslime bei uns ha- wir sie ansprechen und warnen. Und trägt auch Risiken in sich und fordert ben. das versuche ich zu tun. Unsere ein ständiges Bemühen und den Mut 4. Wir ziehen bei Lagern u. a. natür- Burgen, unsere Treffen sollen der zur Tat. Dazu aber sollten wir bereit lich die deutsche Fahne auf. Begegnung und gegenseitiger Entwick- sein. 5. Ich halte Trauer über die verlore- lung dienen, also auch dem heilsa- nen deutschen Ostgebiete für ver- men Streiten, nicht aber der Abson- Und nun zur Klarstellung und zum stehbar, ohne dabei eine gewalttä- derung, nicht einer lieblosen Verun- hoffentlich versöhnlichen Schluss: tige Rückholung zu unterstützen. glimpfung oder ängstlichen Abschot- Niemanden von den mir bekannten 6. Gewisse äußere Formen, wie tung. Tun wir das nicht oder halten „Gegenspielern“ aus den Bünden hal- ordentliche Haltung bei Morgen- wir uns für zu schwach oder zu feige te ich für schlecht oder dumm! Ich runden u. ä., halte ich für sinn- dazu, wären wir keine würdigen Fort- achte sie. Ich meine nur, dass sie voll. (Hände in den Hosentaschen setzer dessen, was einst die Jugend- irren, und zwar sowohl in ihrem sind dabei z. B. nicht angebracht). bewegung begonnen hat. Verständnis von Demokratie als auch 7. Ich bin stolz auf unsere Bundes- in ihrer Verwischung der entschei- wehr und ihre Leistungen. Und mit „wir“ meine ich nicht nur denden Unterschiede zwischen „ein- 8. Wir singen gerne Volkslieder, lie- die Jungen dem Alter nach, sondern fach rechts oder links“ und den „Ex- ben Volkstänze und Volksbräuche, gerade auch die Gereiften, aber im tremen von Links oder Rechts“. Ich und auch alte Landsknechts- und Geist jung Gebliebenen, von welchen fürchte, dass dadurch mehr zur Ent- Soldatenlieder sind bei uns nicht es in einem alten Psalm heißt „Adler- zweiung beigetragen wird als zum verpönt. gleich wird meine Jugend neu“. Zusammenwirken, Bewahren und 9. Wir wissen, dass unsere Bundes- Fortschritt. Damit aber wird gerade hymne drei Strophen hat und Und damit steht für mich über das gefährdet, was man zu verteidi- nicht nur eine. Allem das christliche Liebesgebot, das gen vorgibt: Das demokratische Zu- 10. „Große Bundes-Feuer eröffnen wir nicht ängstliche Abschottung, son- sammenwirken aller Kräfte zum Wohl manchmal auch mit dem Lied dern mutige Zuwendung fördert. Oder des Ganzen! „Flamme empor!“ fühlen wir uns schon so schwach, 11. Usw., usw. – beliebig fortsetzbar. ohnmächtig und bedeutungslos, dass Alexej Stachowitsch (Axi) wir uns verstecken müssten? Mit Phoenixhof, Mittelstraße 6, Wer zu dem allem „ja“ sagt, dürfte einer Ausgrenzung Irrender oder Su- 56414 Weroth in Deutschland sofort als „rechtsex- chender würden wir vor allem Feind- Tel. 06435-6670 ♠ trem“ oder zumindest als recht frag- würdig angesehen werden.

Wie aber würden Angehörige ande- rer Nationen ähnliche Fragen beurtei- len? Vermutlich viel „normaler’. Ich bin mir der innen- und außenpoliti- schen Schwierigkeiten im Zusammen- hang mit diesen und ähnlichen Fra- gen durchaus bewusst, aber es dürfte sich lohnen, darüber nachzudenken – oder soll schon jeder, der das wagt, sofort als „Rechtsextremer“ eingestuft werden?

Abschlussgedanken Auch wenn man über all diese Fragen noch viel mehr nachdenken und schreiben könnte, mag das hier Gesagte zunächst genügen, auch ge- nügen, um mich eventuell missgüns- tig in irgendeine Ecke zu schieben, in die ich aber sicherlich nicht gehöre: Ich bin kein Rechtsextremer und habe auch nicht die Absicht, je ein solcher zu werden. Aber ich will auch kein Duckmäuser sein, sondern meine Stimme immer dann erheben, wenn ich Gefahr zu sehen glaube.

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