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»Greetings, Earthling. I am the Bishop of Battle, master of all I survey. I have 13 progressively harder 1 levels. Try me if you dare. Insert coin.«

Tatsächlich versucht das Spiel in mechanik, um einen Eintrag auf der How to understand… diesem Level 256 Grafiken (Früchte) weltweiten High-Score-Liste zu erlan- zu zeichnen und wiederholt diesen gen. Im Fall von Pac-Man ist es bisher Vorgang 256 Mal, ehe es diese Routine nur sechs Spielern gelungen, den ›Kill verlässt. Dies überschreitet die Anzahl Screen‹ zu erreichen und mit diesem der sich in der Grafiktabelle befindli- perfekten Spiel die Höchstpunktzahl chen Bilder, wodurch die Routine an von 3.333.360 Punkten.2 Kill Screen einer dafür nicht vorgesehenen Stelle In dem Spiel Donkey Kong (Ninten- den Speicher ausliest und diesen do, 1981) ist eine absolute Höchstpunkt- Jonas Hansen, Thomas Hawranke auf den Schirm zeichnet. Auch in zahl nicht bekannt. Noch im letzten Jahr den nachfolgenden Pac-Man-Spielen wurde ein neuer High-Score aufgestellt.3 taucht der ›Kill Screen‹ wieder auf. Diese Topposition wechselte in den letz- In Ms. Pac-Man (Bally Midway, 1982) ten 30 Jahren ständig zwischen den glei- In dem vier Episoden umfassenden Der ›Kill Screen‹ beschreibt einen wird der Hintergrund auf den Kopf chen vier Personen: Hank Chien, Billy Trash-Film Nightmares (Joseph Sargent, Softwarefehler, der durch das Spielen gestellt, in Jr. Pac-Man (Bally Midway, Mitchell, Tim Sczerby und Steve Wiebe.4 1983) sind es diese Worte des ›Bishop eines Computerspiels ausgelöst wird 1983) verschwindet das Labyrinth ganz In Donkey Kong haben die Spieler nur of Battles‹, die den jungen J.J. Cooney und es unspielbar macht. Der wohl und lässt die Spielfiguren in einem 22 Level, um so viele Punkte wie mög- herausfordern und verführen. Beses- bekannteste Fehler dieser Art ist in schwarzen, unbegrenzten Raum zurück. lich zu erreichen, bevor der ›Kill Screen‹ sen, die Maschine zu schlagen und das dem Computerspiel Pac-Man (Namco, Der ›Kill Screen‹ formuliert ein das Spiel beendet. Auch bei diesem 13. Level zu erreichen, bricht der Prot- 1980) zu finden. Das ungeplante erzwungenes Ende des Spielvorgangs. Spiel ist der Level-Counter für einen agonist nachts in die Spielhalle ein und Ende des Spiels (und somit den ›Kill Im Fall von Pac-Man bedeutet dies, Fehler in der Programmierung verant- stellt sich dem Kampf mit der Maschine. Screen‹) erreicht man durch das dass, obwohl die Entwickler kein wortlich. In Donkey Kong wird der Timer Nach einigen Anstrengungen gewinnt er erfolgreiche Absolvieren des 255sten Spielende definiert haben, dieses (die maximale Spielzeit für ein Level) diesen endlich und der Arcade-Automat Levels. Durch den zu jener Zeit erst durch die Benutzung des Spiels anhand des aktuellen Levels berechnet. zerfällt in seine Einzelteile. Die Zerstö- begrenzten Speicherbereich von 8 Bit definiert wird: das Erreichen des ›Kill Die Berechnung lautet wie folgt: rung der Maschine durch den Sieg des (ein Datentyp mit einem Wertebereich Screen‹. Mit diesem Ziel vor Augen Spielers wird hier überzogen darge- von 0 bis 255) kommt es durch den versuchen Spieler weltweit den ›Kill ((Level + 4)*10)*100 = Timer stellt und doch kann man in diesem Sprung von Level 255 auf 256 zu Screen‹ in unterschiedlichen Spielen filmischen Moment ein Phänomen aus einem Buffer-Overflow, der einen der 1980er Jahre mit der bestmög- den frühen Jahren der kommerziellen grafischen Fehler (Glitch) hervorruft lichen Punktzahl zu erreichen. Oft Computerspielentwicklung finden: den und nach dessen Erscheinen das Spiel trainieren sie hierfür jahrelang und ›Kill Screen‹. unlösbar wird. studieren jede Einzelheit der Spiel- 104 HOW TO UNDERSTAND… KILL SCREEN HOW TO UNDERSTAND… KILL SCREEN 105

Demnach funktioniert das Konzept ›Kill zur Folge, dass die Spieler nun empört Beide Beispiele vereint, dass sich das 1 Joseph Sargent: »The Bishop of Battle«, Screen‹ auf vielfache Weise. Den Fehler sind und das Spiel nicht mehr spielen. Interesse einer gesellschaftlichen Episode aus dem Film »Nightmares«, 1983. zu benutzen, ihn abzuwandeln oder Im Gegenteil: Spieler fordern sich her- Gruppe um den Fehler bildet. Anstatt 2 Twin Galaxies International Scoreboard, umzufunktionieren, sind Möglichkeiten, aus, trotz dieses Nachteils gegenein- den Fehler totzuschweigen, ist es die www.twingalaxies.com/scoreboard/ die auch jenseits der Spielhallen der ander anzutreten und die dominante Kommunikation und Diskussion, die pac-man/arcade/3365 (zuletzt gesehen achtziger Jahre funktionieren. Er kann Strategie zu besiegen. Im Internet wird ihn umdeutet oder aber, im Falle des am 11.10.2013). als subkulturelle Aneignung gelesen hierfür extra ein VASSAL-Modul5 ange- zweiten Beispieles, als Objekt im Kunst- 3 Hank Chien erreichte im November 2012 und verstanden werden, indem er legt, sodass dieses Spielen auch online raum lokalisiert. Der ›Kill Screen‹ als einen neuen Highscore von 1.138.600 komplexe, soziale Strukturen schafft, stattfinden kann. Ähnlich wie bei den künstlerische Strategie, als Methode und übertraf damit die beiden Favoriten die sich über ihre Interaktion mit dem Spielhallenautomaten der 1980er ist es kultureller Aneignung oder aber als Steve Wiebe (1.064.500) und Billy Mitchell In Level 22 erreicht ein Teilergebnis Fehler austauschen und verständigen. für die Entwickler nicht möglich, nach- universelles Deutungsprinzip lässt sich (1.062.800) um mehr als 70.000 Punkte. dieser Berechnung den Wert 260, was Als künstlerische Strategie kommentiert zubessern. Und so wird der Bruch in der somit im Sinne eines kulturtechnischen https‹://en.wikipedia.org/wiki/Hank_Chien somit um vier Einheiten größer ist als er die Mensch-Maschine-Interaktion, Mechanik und das damit verbundene Ansatzes lesen und benutzen. Der (zuletzt gesehen am 11.10.2013). der hierfür reservierte 8-Bit-Speicher- bricht die Ästhetik des Mediums auf und Verlieren zum Ziel – ein Ziel, das nicht Anreiz, den Fehler doch zu besiegen, 4 Chris R Psaros: The Donkey Kong World bereich von 256. Dies führt auch hier verschafft dem Benutzer eine Einsicht von Seiten der Designer definiert wurde, oder, im Falle der Spielhallenauto- Record: The Real History. From 1982 to Today, zu einem Buffer-Overflow, der zur Folge jenseits des Screens. Zwei Beispiele: sondern von den Spielern selbst. maten der 1980er Jahre, den Fehler http://donkeykongblog.blogspot.de/2011/12/ hat, dass die Spielzeit zu kurz ausfällt, für sich als konkretes Ziel zu nutzen, donkey-kong-world-record-history.html um das 22. Level zu schaffen (anstatt ist zugleich Beweis für die Interpre- (zuletzt gesehen am 11.10.2013). 2.600 nur noch 400 Millisekunden). 1. Der Hallifax-Hammer 2. Permanentes Verlieren tationskraft des Mediums Spiel: Der 5 VASSAL: Software zur Simulation von Die Spielfigur stirbt im reinsten Sinne kreative Prozess des Spielens liefert Brettspielen, entwickelt von Rodney Kinney. des Wortes in diesem ›Kill Screen‹. 2011 veröffentlicht der britische Spiele- Der in New York lebende Medienkünst- hierbei den entscheidenden Faktor, 6 : Lose/Lose, http://stfj.net/ Der ›Kill Screen‹ ist auf technologi- entwickler Martin Wallace eine Mischung ler Zach Gage muss vor der Benutzung den ›Kill Screen‹ an dieses Medium zu index2.php?project=art/2009/loselose scher Seite historisch zu verorten, wie aus Kartenspiel und CoSim (Confron- seines Spiels Lose/Lose explizit warnen: koppeln. Dessen Beschaffenheit impli- (zuletzt gesehen am 11.10.2013). die oben angeführten Beispiele zeigen. tation-Simulation). A few acres of snow »KILLING ALIENS IN LOSE/LOSE WILL ziert Freiräume für Interaktion, die Er beschreibt durch seine Existenz die thematisiert den Kampf um die koloni- DELETE FILES ON YOUR HARDDRIVE eine Umformulierung der Spielziele auf Entwicklung des Systems Computer- ale Macht zwischen Großbritannien und PERMANENTLY«.6 Das im Jahr 2009 Seiten des Nutzers zulässt. Eine solche spiel – und hiermit untrennbar ver- Frankreich im Nordamerika des 17. und erschienene Spiel ist ein Horizontal- Definition könnte, ganz im Sinne dieser bunden die Entwicklung rechnender 18. Jahrhunderts. Das Spiel gewinnt Shooter, in dem in klassischer Space- Ausgabe von off topic, dann wie folgt Systeme an sich. Gab es in den 1980er viele renommierte Preise und die Fan- Invader-Tradition Aliens von oben nach lauten: Nur derjenige, der am besten Jahren noch eine große technologische gemeinde wächst stetig. Ende 2011 wird unten herunterschweben und der Spieler verliert, gewinnt. Einschränkung bei der Entwicklung von dann in einem Internet-Forum behaup- die Aufgabe hat, diese vor der Kollision digitalen Spielen, so steht aus heuti- tet, dass eine dominante Strategie exis- zu zerstören. Zach Gage generiert seine ger Sicht dem Spiel ein über die Jahre tiert. Mit ihr wird das Spiel unspielbar, außerirdischen Horden auf Basis von Da- Abb. 1 Pac-Man ›Kill Screen‹ (Namco), exponentiell gewachsener Speicher da immer die gleiche Seite gewinnt, teien, die auf dem tatsächlichen Rechner http://en.wikipedia.org/wiki/File: und hohe Prozessorleistung zur Verfü- wenn sich der Spieler nur an diese Stra- existieren. Mit dem Abschuss der Aliens Pac-Man_split-screen_kill_screen.png. gung. Ein Buffer-Overflow passiert auch tegie hält. Die Mechanik ist somit gebro- werden unweigerlich die mit ihnen ver- Abb. 2 Ms. Pac-Man ›Kill Screen‹ (Bally Midway), heute noch, macht aber den Fehler vor chen. Martin Wallace schweigt erst, ver- knüpften Dateien gelöscht, was zum voll- http://donhodges.com/images/mspac/ allem auf der Softwareseite und somit sucht danach die Regeln nachzubessern ständigen Zusammenbruch des Rechners Ms_Pac-Man_Level_134.gif. in der Konzeption sichtbar. Der ›Kill und muss schließlich gestehen, dass der führen kann. Auch hier sorgt ein High- Abb. 3 Jr. Pac-Man ›Kill Screen‹ (Bally Midway), Screen‹ in Pac-Man hätte beispielswei- Fehler in der Mechanik irreparabel ist. Score für den nötigen Ansporn, um das Rekonstruktion. se durch ein klar definiertes Ende des Der Hallifax-Hammer, so der Name der Wagnis einzugehen und sich der zerstö- Abb. 4 Donkey Kong ›Kill Screen‹ (Nintendo), Spiels verhindert werden können. dominanten Strategie, hat jedoch nicht rerischen Herausforderung zu stellen. Rekonstruktion. Impressum off topic #5, 2014

Herausgeberin Kunsthochschule für Medien Köln

Redaktion Olivier Arcioli, Konstantin Butz, Jonas Hansen, Dirk Specht

Layout & Covergestaltung Katharina Mayer, Tina Rietzschel

Mit großzügiger Unterstützung des Vereins der Freunde der Kunsthochschule für Medien Köln

Dank an Andreas Altenhoff, Heike Ander, Lisa Bosbach, Daniela Kinateder, Karin Lingnau, Luis Negrón van Grieken, Anneka Metzger, Stephanie Sarah Lauke, Lasse Scherffig, Ruth Weigand

Gründungsmitglieder Echo Ho, Martina Höfflin, Christiane König, Anneka Metzger, Martin Rumori, Lasse Scherffig, Susanna Schoenberg, Peter Schuster, Stefanie Stallschus

Grafische Konzeption Patrick Arbeiter, Olivier Arcioli, Matthias Gerding, Andreas Henrich, Martina Höfflin, Katharina Huber, Qu Huijuan, Lisa Klinkenberg

Verlag Verlag der Kunsthochschule für Medien Köln Peter-Welter-Platz 2, D–50676 Köln [email protected], http://verlag.khm.de

Lektorat Redaktion ALUAN, Köln

Druck Asmuth Druck GmbH, Köln

Coverfotografie Katharina Mayer

Zu beziehen unter http://verlag.khm.de

Copyright 2014 Kunsthochschule für Medien Köln und die Autor_innen. Die Bildrechte liegen, wenn nicht anders erwähnt, bei den einzelnen Autor_innen.

Gedruckt auf Recyclingpapier Auflage 1.000 Exemplare ISSN 1867-5948 ISBN 978-3-942154-30-7