Das Wissen Der Anstaltspsychiatrie in Der Moderne
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DISSERTATION Titel der Dissertation Das Wissen der Anstaltspsychiatrie in der Moderne. Zur Geschichte der Heil- und Pflegeanstalten Am Steinhof in Wien Verfasserin Mag. phil. Sophie Ledebur Angestrebter akademischer Grad Doktorin der Philosophie (Dr. phil.) Wien, 2011 Studienkennzahl lt. Studienblatt: A 092 312 Dissertationsgebiet lt. Studienblatt: Geschichte Betreuer: o. Univ.-Prof. Dr. Mitchell G. Ash / Univ.-Prof. DDr. Gerd Müller Danksagung: Diese Arbeit nahm ihren allerersten Anfang bei einer Recherche für eine frühere Projektmitarbeit. In einem Gespräch erwähnte Dr. Brigitte Rigele, die jetzige Direktorin des Wiener Stadt- und Landesarchivs, die Neuaufnahme von Archivalien aus dem heutigen Otto Wagner-Spitals. Die zahllosen Laufmeter der Krankenakten erweckten augenblicklich mein Interesse. Ihr gilt somit mein allererster Dank. Bereits zu diesem frühem Zeitpunkt, im Jahre 2006, hatte ich die Möglichkeit beim Wiener Krankenanstaltenverbund ein Stipendium zu erlangen, auch hier bin ich zu großem Dank verpflichtet. Unterstützung bekam ich bereits seit meinem Studium von Professor Mitchell Ash. Er betreute schon meine Diplomarbeit und begleitete von Anfang an in unzähligen inhaltlichen und organisatorischen Hilfestellungen die vorliegende Arbeit – ihm gilt mein herzlichster Dank. Das maßgeblich von ihm initiierte, ab September 2006 an der Universität Wien verortete dreijährige Initiativkolleg `Naturwissenschaften im historischen Kontext´ ermöglichte mir weit mehr als den finanziellen Rahmen zum Verfassen dieser Dissertation. Die intensive fachliche Weiterbildung in Wissenschaftsgeschichte und -philosophie, die Unterstützung meines Zeitbetreuers Professor Gerd Müller, die vielen Colloquien, der intensive Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen des Doktoratsprogramms, und auch stete Zuspruch vor allem im `Eckzimmer´ unseres schönes Büros am Rooseveltplatz stellen wesentliche Eckpfeiler und mehr als bedeutende Momente der vorliegenden Arbeit dar. Mit unabgeschlossener Arbeit und vielen daraus hervorgegangenen, noch offen gebliebenen Forschungsfragen begann ich als wissenschaftliche Mitarbeiterin am DFG-Projekt `Kulturen des Wahnsinns´ an der Charité in Berlin. Zwar hat sich meine Zeit scheinbar halbiert, das Leben an zwei Orte aufgespalten, doch mein Interesse an der Psychiatriegeschichte vertiefte sich nur noch mehr. Ein Writing -up-fellowship am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte ermöglichte mir den Abschluss der vorliegenden Arbeit. Mein herzlicher Dank geht an dieser Stelle an Professor Hans-Jörg Rheinberger, die an der Abteilung III angesiedelte Arbeitsgruppe `Knowledge in the making´ und die dortigen Kolleginnen und Kollegen, die mir stets Anregung und Unterstützung boten. Viele hier ungenannt bleibende Freunde und Familienmitglieder haben mit großer Geduld und viel Wohlwollen mein Interesse und die nötige Ausdauer zum Verfassen der Dissertation unterstützt. Ihnen und vor allem meinen beiden – sei es nun dem Lauf der Zeit oder den arbeitsbedingten vielen Abwesenheiten geschuldet – mittlerweile recht selbständigen Kindern Katharina und Sebastian gilt mein tiefster Dank. S. L. 2 Inhalt 1. Einleitung 1.1. Die Insel der Unseligen 6 1.2. Das Wissen in der Praxis: Ansatz und Quellen 9 1.3. Untersuchungszeitraum und Kapitelfolge 18 2. Wissen und Räume. Zur Gründungsgeschichte der Heil- und 26 Pflegeanstalten Am Steinhof 2.1. Die Wiener Institutionen zur Versorgung psychisch Kranker während 27 des 19. Jahrhunderts und die Gründung der I. und II. Psychiatrischen Klinik 2.2. Die Reform des „Irrenwesens“ 42 2.3. Zählen und Bauen. Gefährlichkeit und Erblichkeit. Zur Frage der 52 steigenden Anzahl psychisch Kranker 2.4. Psychiatrische Polytechnik: Die Gründung einer modernen Anstalt 67 3. Anordnungen der Anstaltspsychiatrie: Rationalisierungstendenzen der Moderne 83 3.1. Von der äußeren und der inneren Ordnung: „Die Zukunft der Irrenpflege liegt in der Specialisierung der Anstalten“ 87 3.2. Das Sanatorium. Stationäre Behandlung der „Nervenkranken“ 105 3.3. „Die Beschäftigung der Geisteskranken ist ein wichtiger therapeutischer Faktor“ 109 3 3.4. „Irren wärter als Teil des Arzneiapparates“: Die historischen Lebens- und Arbeitswelten und die Bedeutung der Pflege in der `modernen Psychiatrie´ 114 3.5. Medizinisch-administrative Ambivalenzen: Die Aufgabenbereiche der Mediziner 126 3.6. Zur Materialität und Medialität von Krankenakten in der Anstaltspsychiatrie 138 3.6.1. Zu den Akten. Quellenmaterial und historische Analyse 140 3.6.2. Zum Aufzeichnen psychiatrischer Beobachtungen und ihrer strukturellen Bedeutung im Aufnahmeverfahren 146 3.6.3. Das Deckblatt der Krankenakte: Materielle Informationsspeicherung und Kodierung 150 3.6.4. Die „Kranken-Geschichte“ 157 3.6.5. Exkurs: Die Archivierung der Krankenakten: Produkte eines administrativen Vorgangs oder Sammeln psychiatrischer Verdatungen? 164 3.7. „Man sagt daher nicht mit Unrecht, dass bei der Behandlung der Geisteskranken die Anstalt selbst eine Medizin darstellt“: Zum Alltag 169 zwischen Überfüllung und mangelnden Ansehen der Anstaltspsychiatrie 3.8. Epistemische Räume: Die Verbindungen zwischen der (Anstalts-) Psychiatrie und der Rechtssprechung 186 3.8.1. Die biologistische Interpretation von Delinquenz und der kriminalistische Blick auf Geisteskrankheiten: „Verbrechen und Wahnsinn sind nicht contradiktorische Gegensätze“ 191 3.8.2. „Verbrecherische Irre“, „irre Verbrecher“ und „minderwertige Psychopathen“ 195 3.8.3. Die Frage der institutionellen Versorgung und die Forderung nach der Einführung der verminderten Zurechnungsfähigkeit 200 4 3.8.4. Exkurs: Der biopolitische Zugriff auf die „minderwertigen Psychopathen“: Der Ruf nach „sichernden Maßnahmen“ und die in diesem Zusammenhang gestellten eugenisch motivierten Forderungen 208 4. Wissen in Bedrängnis? Zu den Veränderungen in der Anstaltspsychiatrie während des Ersten Weltkrieges und der Nachkriegszeit 214 4.1. Öffentlich-rechtliche Erwartungen an die Psychiatrie? Die Entmündigungsordnung von 1916 215 4.2. Kriegsbedingte strukturelle Veränderungen und Versorgungskrise Am Steinhof 231 4.3. „Der Weltkrieg, der Kriegsausgang und die Psychiatrie“: Der Umgang mit der schwierigen Versorgungslage, die administrativen Änderungen Am Steinhof und die Hoffnungen auf einen Neubeginn 241 5. Einschluss- und Ausschlussverfahren der Anstaltspsychiatrie in den 1920er Jahren 256 5.1. Forderungen nach Reformen im „Roten Wien“ 256 5.2. Alkoholismus als der „wunde Punkt der Irrenpflege“ 261 5.3. Der Ausbau der offenen Fürsorge 282 5.4. Arbeitstherapie oder „Zimmer-Industrie“: Professionalisierung der Beschäftigungstherapie? 292 5.5. Fürsorge oder medizinische Behandlung. Der institutionelle Fokus auf die Epilepsie 299 6. Zusammenfassung 311 7. Quellen- und Literaturverzeichnis 325 8. Anhang 358 5 1. Einleitung 1.1. Die Insel der Unseligen „Da liegt sie, die Gartenstadt der Irrsinnigen, Zufluchtsort an dem Wahnsinn der Welt Gescheiteter, Heimstätte der Narren und Propheten. Goldregen leuchtet über weißem Kies, Kastanien haben festlich leuchtende Knospen angesteckt, und Lerchengeschmetter prasselt nieder aus blauen Lüften. Friedlich im Frühling und blau gebettet ist die Stadt mit dem lächelnden Antlitz und dem vergrämten Herzen. Die Häuser sind alle gleich gebaut und heißen „Pavillon“, haben römische Ziffern an der Innenseite und fest verschlossene Pforten.“ Joseph Roth, Kaffeehaus-Frühling. Ein Wien-Lesebuch Die psychiatrische Heil- und Pflegeanstalt Am Steinhof ist von Joseph Roth unter dem Titel die „Insel der Unseligen“ abhängig von der Perspektive als rettende Insel oder als ein von der Umwelt hermetisch abgeschlossener Ort beschrieben worden. 1 Die zeitgenössische Bedeutung und Umstrittenheit dieser Institution fand auch Eingang in literarische Werke wie Robert Musils unvollendeter Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“ und Thomas Bernhards „Wittgensteins Neffe“. Auch die bildende Kunst spielte Am Steinhof eine wichtige Rolle. Oskar Kokoschka portraitierte den nur wenige Jahre nach der Eröffnung der Anstalt dort internierten Schriftsteller Ludwig von Janikowski und Erwin Dom Osen fertigte Bilder von 1 Joseph ROTH, Kaffeehaus-Frühling. Ein Wien-Lesebuch. Hg. von Helmut PESCHINA (Köln 2001) 133f.; Ders., Werke I. Das journalistische Werk 1915 – 1923. Hg. von Klaus WESTERMANN (Köln 1989) 23f. 6 Patienten für den psychiatrischen Unterricht an.2 Vor allem aber sticht die herausragende Architektur ins Auge. Otto Wagner, der führende Vertreter der modernen Wiener Architektur, konzipierte sowohl die Pläne für die gesamte Anlage als auch die, am oberen Ende des Anstaltsgeländes gelegene, in Form eines Zentralbaus errichtete Kirche mit ihrer weithin sichtbaren goldenen Kuppel. Im Gegensatz zu den künstlerischen und den in den letzten Jahren vermehrt auch kunst- und architekturhistorischen Bezugnahmen auf die 1907 eröffneten und zu diesem Zeitpunkt größten und modernsten Anstalt für psychisch Kranke in Europa blieb diese Institution aus wissenschaftshistorischer Perspektive insbesondere für die ersten Jahrzehnte ihres Bestehens weitgehend unbeleuchtet.3 Doch besteht nicht nur ein Forschungsdesiderat zur Wiener Psychiatriegeschichte an sich. Vielmehr ist es genau jene in Literatur und Kunst vielfach und sehr unterschiedlich anklingende spezifische Situation dieser Anstalt in der wachsenden Großstadt Wien an der Wende zum 20. Jahrhundert, die ein solches Vorhaben als Herausforderung begreifen lässt.4 Bereits die Architektur der Anlage und ihrer Pavillons macht den Einfluss einer gestalterischen und auch segregierenden Moderne nach außen