Tages-Anzeiger – Montag, 17. Februar 2014 21 Farb-Wüstling James Ensor Kultur & Gesellschaft konnte es knallig und subtil. Ihm ist im Kunstmuseum Basel eine prächtige Schau gewidmet. 22

Chinesische Der Tod ist keine Metapher Triumphe Seit über zwanzig Jahren schreibt an seinem Rock-’n’-Roll-Leben. Aber erst jetzt legt der kalifornische Musiker mit dem Album «Benji» sein autobiografisches Meisterwerk vor. An der 64. Berlinale wurden die Preise verliehen. Der Goldene Bär ging an Von Christoph Fellmann «Schwarze Kohle, dünnes Noch ist die Fassungslosigkeit zu spü- ren, die Mark Kozelek ergriff, als die Eis». Die Schweiz ging Nachricht kam. Nicht in der Musik, den auch nicht leer aus. Arpeggios der Gitarre und auch nicht im Gesang, der protokollarisch bleibt. Viel Von Christoph Schneider, Berlin mehr in der Art, wie sich die Textzeilen Die internationale Jury der 64. Berliner gegen den Fluss der Melodie stemmen, Filmfestspiele hat nicht getan, was von wie sie zu lang werden oder zu kurz blei- ihr erwartet wurde, und vergab am ben und wie sie sich nicht reimen. Es ist, Samstag den Goldenen Bären für den als sei der Bericht unredigiert geblieben, besten Film an den chinesischen Wett- ein Notfall. Der Bericht über eine Cou- bewerbsbeitrag «Schwarze Kohle, dün- sine zweiten Grades, die, bevor sie die nes Eis» (Originaltitel: «Bai Ri Yan Huo») Nachtschicht im Krankenhaus antrat, im von Diao Yinan. Sie entschied sich für Garten den Kehricht verbrannte, dabei die dunkle Seite des Kinos. Denn es han- eine Gasflasche übersah und in Flam- delt sich da um ein äusserst düsteres, men aufging. Sie war 35, und «du ziehst morbides Drama, das in Dreck und Kälte nicht zwei Kinder gross, bringst den spielt: eine fast surreal verwinkelte Ge- ­Abfall raus und stirbst», wie Kozelek in schichte, in der Leichenteile über die «Carissa» singt. nordchinesische Provinz verteilt werden Carissa, so hiess die Verwandte, und und ein Menschenauge in einer Nudel- sie lebte bis letzten Sommer in Wads- suppe schwimmt. Ein zartes Frauenwe- worth, Ohio, wie Mark Kozelek in Inter- sen in einer schäbigen Wäscherei ent- views bestätigt hat. Er habe sie kaum ge- puppt sich als eine Art schwarze Witwe. kannt, und auch im Song erzählt er, wie Liebe äussert sich mordend. Und einem er sich an sie erinnert als ein Mitglied schwermütigen Polizisten (Liao Fan, der der Familie, das man auf Beerdigungen an dieser Berlinale den Silbernen Bären trifft und dessen Namen man vergessen als bester Darsteller erhielt) kommt die hat. Und doch scheint ihr Tod die Tür letzte Illusion abhanden, es könne so et- aufgestossen haben zu diesem Album, was geben wie eine Harmonie von Zart- zu den elf neuen Songs von «Benji». Es heit und Unschuld. Herzenswärme er- ist der Bericht eines 47-jährigen Musi- zeugte dieser Film in Berlin nicht. kers, der beschliesst, sich den Tod etwas «Sieger der Herzen» bei Publikum genauer anzusehen, und der sich dabei und Kritik war ja eher Richard Linklaters­ selbst begegnet. vollendetes Langzeitprojekt «Boyhood» – eine Geschichte, in der wir ein Kind Krebs und Kugelhagel aufwachsen sehen, und ein Film, der Das Album ist nicht einfach. Es brüskiert auch das Erwachsenwerden eines jun- mit autobiografischen Details, die man gen Hauptdarstellers dokumentiert (TA so genau nicht hätte kennen wollen, und vom 15. 2.). Der texanische Regisseur er- notiert auch den Kitsch und die Platti- hielt dafür den Silbernen Bären für die tüden, auf die nun mal stösst, wer nach beste Regie. einem Halt sucht oder Sinn. Und es ster- Der Grosse Preis der Jury ging an ben Menschen. Sofort in einer Stich- «The Grand Budapest Hotel» von Wes flamme oder qualvoll an Krebs, im Ku- Anderson, dem zweiten Texaner. Festi- gelhagel eines Amoklaufs oder am Küh- valdirektor Dieter Kosslick, souverän lerrost eines Trucks. Aber weil Mark wirblig, bedankte sich im Namen des ab- ­Kozelek dabei nie Seelenschau betreibt, wesenden Regisseurs, der ausrichten sondern immer Reportage, rühren diese liess, der Preis bedeute ihm unglaublich Lieder doch an in ihrem Unterfangen, viel, weil es sein erster sei aus echtem dem Sterben irgendetwas abzuringen, Edelmetall. Ein sympathischer Moment, das wenigstens mit Trost zu umschrei- fast so sympathisch wie die reizende ben wäre. «Benji» ist die prekärste, aber Schockiertheit und Freude, mit der die auch die beeindruckendste Platte seiner Schauspielerin Haru Kuroki für ihr Spiel über 20-jährigen Karriere. im japanischen Wettbewerbsfilm «Chii- Mit den , die bis sai Ouchi» («Das kleine Haus», Regie: 2001 sechs Platten aufnahmen, schnup- Yoji Yamada) den Silbernen Bären als perte Mark Kozelek an so etwas wie beste Darstellerin entgegennahm. Und Ruhm. Die Band aus San Francisco galt auch die Jury-Entscheidung des Alfred- mit Alben wie «I» (auch: «Rollercoaster») Er hörte Led Zeppelin und erkannte sich als Melancholiker: Mark Kozelek. Foto: PD Bauer-Preises «für einen Spielfilm, der oder «Old Ramon» als die beste Adresse neue Perspektiven eröffnet», hatte doch jenes lang gezogenen Indierocks, den absurde Tod der Cousine zweiten Gra- Gitarre zu spielen, und wie die weit ab- etwas einnehmend Skurriles: Diesen Bä- man Slowcore nannte. Doch nachdem Das ist eine Recherche des; das Petting des Pennälers zu «Dogs» gespreizten Zeige- und Mittelfinger auf ren gewann der 91-jährige Franzose die Band sich aufgelöst hatte, ging Koze- von Pink Floyd; die Breaking News über einen Nerv schlugen und zuletzt aufs Alain Resnais («Aimer, boire et chanter») lek mehr und mehr als ein Faktotum darüber, wie sich so ein das neueste Schulmassaker; die kumpel- Hirn. Im Verlaufe des Songs sterben – eigentlich ein Sieg für den altmodi- durch die Szene, das, unter eigenem Leben formt. Und wie hafte Liebe des Sohnes zum Vater und auch Micheline selbst, eine Obdachlose schen Charme des Theaters. ­Namen oder als , weiterhin seine Angst vor dem Tod der Mutter; das aus Kozeleks altem Quartier, sowie seine Es war an der 64. Berlinale im Übri- viele Konzerte spielte und viele Platten die Lebenden dann zu frittierte Hühnchen, das zu Grossvaters Grossmutter, die ihn eben noch in eine gen auch die Schweiz sehr erfolgreich. aufnahm – und dessen Laune sich dabei Sterbenden werden. Abdankung auf den Tisch kommt; die Vorführung von «Benji» mitgenommen «Der Kreis» von Stefan Haupt (TA vom zusehends verschlechterte. ersten Akkorde auf der Gitarre; das Ba- hatte, des erfolgreichen Kinderfilms von 12. 2.) gewann – jeweils in der Kategorie Bis er klugerweise beschloss, darüber weil alles voll ist. Dies ist vermutlich der nale wie das Drama: beides nur ein wei- 1974 um einen streunenden Hund. Dokumentarfilm – den Berliner «Teddy zu singen. «Ich glaube, mir sind einfach erste Rocksong über den Neid unter terer Anlass, die Würde zu bewahren. Ein frühes Kinoerlebnis steht auch im Award» als auch den Publikumspreis in die Metaphern ausgegangen», sagte Rockmusikern; doch Kozelek erzählt da- Zentrum von «I Watched the Film ‹The der Berlinale-Sektion «Panorama». Mark Kozelek kürzlich an einem seiner rin auch über einen Besuch bei dem Die Freunde des Vaters Song Remains the Same›». Hier erzählt seltenen Pressetermine. Seither hat er Mann, der ihm 1991 den ersten Platten- Mark Kozelek tut es, indem er kunstlos Kozelek zur knisternden Super-8-Gitarre Alle Preise: www.kultur.tagesanzeiger.ch ein paar der ehrlichsten – und: komischs- vertrag gab, über den neuen Freund sei- und in vielen Details von all dem erzählt. nun vom Begräbnis seiner Grossmutter, ten – Songs über das Leben als Rockmu- ner Schwester oder über seinen Vater, Man könnte es schamlos nennen, wie er weiter vom Tod eines Jugendfreundes siker geschrieben. In «Track Number 8» der wiederum seiner Freundin einen über Carissa singt und davon, der Gro- und davon, wie er sich im Konzertfilm Das Gedicht sang er darüber, wie es sich anfühlt, Flirt mit dem hübschen Personal bei teske ihres Feuertodes wenigstens den von Led Zeppelin, eben in «The Song Re- einen mittelmässigen Song zu veröffent- «Panera Bread» erklären muss. Sinn eines Songs abzuringen. Und man mains the Same», als Melancholiker er- lichen. «Sunshine in Chicago» porträ- In einem einzigen langen Erzählstrom hätte recht, würde er in den anderen kannte. Darauf folgt mit «Richard Rami- Totentanz tierte seine nicht mehr besonders at- gehen auf «Benji» die Geschichten durch- zehn Songs denn das tun, was Lieder- rez Died Today of Natural Causes» ein traktiven Fans – genauer: Typen in Turn- einander und verknüpfen sich immer macher halt tun – über die Liebe singen, schnell und hart gespielter Talking Schweigt, schweigt, schweigt, schuhen –, und «The Moderately Talen- neu – die Fernsehnachrichten des Tages, das Leben auf der Strasse und die kor- Blues, der erstaunt zur Kenntnis nimmt, Gekommen ist die letzte Not, ted Yet Attractive Young Woman vs. The die Neuigkeiten aus der Familie, die Er- rupte Regierung. Hier aber wird deut- dass Ramirez, 11-facher Vergewaltiger Ich bin bei euch, ich bin der Tod. Exceptionally Talented Yet Not So At- innerungen an die Jugend. Die Musik lich, Song für Song, dass «Carissa» nur und 13-facher Mörder, am 7. Juni letzten Und was ihr tragt in eurer Brust, tractive Middle Aged Man» benannte das trägt sie in den ältesten und einfachsten der Affekt ist, der Kozelek hineinführt in Jahres an Leberversagen starb. Ich spiel’s euch auf zur letzten Lust. schäbige Ressentiment des alternden Folk-Formeln heran – gerade so, wie das dieses Album. In diese autobiografische «Richard Ramirez ist tot, aber 1983 Ihr habt getanzt ein Leben lang, Sängers gegenüber der jungen, weibli- Meer am Strand ein bisschen Wasser Recherche darüber, wie sich in der Fa- war er sehr lebendig», singt Kozelek, So tanzt auch jetzt beim letzten Gang, chen Konkurrenz. versickern und ein paar Wrackteile milie, beim ersten Gefummel, im Kino und wieder scheint er um Fassung zu So tanzt und tanzt und tanzt. stranden lässt. Die akustische Gitarre und vor der Stereoanlage so ein Leben ringen. Das Schlagzeug knebelt den Und hebt das Bein zum letzten Schritt, Der neidische Rockmusiker spielt in stoisch zerlegten Akkorden, ge- formt. Und wie diese Lebenden dann zu Rhythmus noch eine Weile weiter, und und tanzt allein, tanzt alle mit, Auch auf «Benji» gibt es nun einen sol- legentlich kommen Chorgesänge dazu, Sterbenden werden. die Gitarre fragt mit einer dreckigen Und tanzt hinein, zur letzten Ruh, chen Song, in dem Kozelek weder sich ein Klavier oder das Schlagzeug von Da sind zum Beispiel die Freunde des kleinen Blues-Figur: Warum stirbt der Auch du und du und du. noch die Musikerromantik schont. In Steve Shelley (Sonic Youth). Vaters: Jim Wise, der sich und seine Frau 13-fache Mörder eines natürlichen Todes «Ben’s My Friend» erzählt er von Ben Es ist erschütternd gut, wie diese Lie- erschiessen wollte und der jetzt allein in und die zweifache Mutter verbrennt vor Hans Wahl (1902–1973). 1940 erhielt Gibbard, dem Sänger von The Postal Ser- der die ewige Blues- und Folk-Tradition seinem Haus auf sein Urteil wartet. Oder ihrem Haus? Die Antwort: Das alles hat der Schaffhauser Dichter den Buchpreis vice, einer in den USA erfolgreichen autobiografisch überschreiben. Und um- Brett, ein einfaches Gemüt und vermut- keinen Sinn und ist noch nicht einmal der Schweizerischen Schillerstiftung. Band. Und er verschweigt nicht die Eifer- gekehrt, wie sie so das Leben des Musi- lich der letzte Mensch, der Schlaghosen- ein Skandal. Der Song bricht ab. Akutes Sein Sohn, Hans-Peter Wahl, hat zwei sucht, die in ihm hochkommt, als er ein kers und der Familie Kozelek in eine Ge- jeans trug: Gerade ein Drittel von «Mi- Notenversagen. Kassetten mit Werken seines Vaters Konzert seines Freundes besucht und schichte – oder: einen Mythos – einwe- cheline» braucht Mark Kozelek, um von herausgebracht, zu erhalten über vor der Halle keinen Parkplatz findet, ben, der viel älter und grösser ist. Der Bretts eigenwilligem Stil zu erzählen, die Sun Kil Moon: Benji (Caldo Verde) Tel. 044 930 53 40.