Alfred-Maurice de Zayas. A Terrible Revenge: The of the East European Germans, 1944-1950. New York: St. Martin's Press, 1994. xi + 179 S. $15.95, paper, ISBN 978-0-312-12159-4.

Reviewed by Rainer Ohliger

Published on HABSBURG (February, 1997)

Mehr als 50 Jahre nach dem Ende des Zweiten Der Autor ist amerikanischer Weltkriegs und dem Verschwinden der sozialisti‐ Staatsbürger und ausgebildeter Jurist, der in schen Regime in Ostmitteleuropa normalisieren New York als Rechtsanwalt arbeitete, bevor er sich die Beziehungen Deutschlands zu seinen sich nach einem einjährigen Aufenthalt an östlichen Nachbarn Schritt für Schritt. der Universität Tübingen entschloss, Diese gegenseitige Annäherung steht aller‐ seine Anwaltskarriere zu unterbrechen, um an dings unter dem Vorzeichen der Erinnerung an der Historischen Fakultät der Univer‐ den von Deutschland verursachten Krieg und sei‐ sität Göttingen eine Dissertation zum ne Auswirkungen und Folgen. Einem Teil dieser Vertriebenenproblem zu schreiben, womit er of‐ Folgen widmet Alfred-Maurice de Zaya sein Buch fenbar sein Lebensthema fand. Er wurde 1977 mit A Terrible Revenge. Der Autor schildert das der Arbeit Nemesis at Potsdam. The Anglo-Ameri‐ Schicksal der Flüchtlinge und Vertriebenen cans and the Expulsion of the Germans. Back‐ aus den ehemals deutschen Ostgebieten (Schlesi‐ ground, Execution, Consequences[2] promoviert, en, Ostpreussen, Vorpommern und Ostbranden‐ die 1980 auf Deutsch erschien und--un‐ burg) sowie der deutschen Minderheiten in den gewöhnlich für historische oder sozial‐ ostmittel- und osteuropäischen wissenschaftliche Dissertationen, wenn man ein‐ Ländern (Polen, Tschechoslowakei, Ungarn, mal vom Goldhagen Phänomen absieht--sich Jugoslawien, Rumänien und der UdSSR). Das in Deutschland zu einem Bestseller entwickelte, Buch ist die überarbeitete und erweiterte der bereits acht Aufagen, die letzte 1996, erlebte. englische übersetzung der 1986 erschienen‐ Als Kenner der Materie beriet der Autor sowohl en deutschen Fassung mit dem lakonischen Titel den Bayrischen Rundfunk als auch den Anmerkungen zur Vertreibung der Deutschen aus Südwestfunk für seine Dokumentatio‐ dem Osten,[1] das in der Bundesrepublik bislang nen zum Thema Flucht und Vertreibung und ar‐ drei Aufagen erlebte. beitete am Bildband Flucht und Vertreibung mit. [3] Seine Bücher brachten ihm Un‐ H-Net Reviews terstützung und wohlwollende Vorworte zukünftiges Leid und Unheil verhindern bundesdeutscher konservativer Politiker ein, er könnten (S. 147) geriet allerdings mit seinen Arbeiten auch in die Ordnet man A Terrible Revenge in das bishe‐ Gefechtslinien der Auseinandersetzungen um die rige öuvre des Autors ein, so ist es mehr eine Ostpolitik Willy Brandts und Walter Scheels, in Nachschrift bzw. eine po‐ der Vertriebene und ihre Fürsprecher als pulärwissenschaftliche Abfassung seines Gegner dieser politischen Verhandlungen Verrat wissenschaftlichen Werkes, insbesondere seiner deutscher Interessen witterten, die Dissertation. De Zayas bietet seinen Lesern in Befürworter jedoch einen notwendigen sechs Kapiteln einen knappen Ueberblick Schritt zur Normalisierung des über die Vorgeschichte von Flucht und Ver‐ Verhältnisses zwischen der Bundesrepublik treibung (The Germans of East Central Europe; Deutschland und ihren östlichen Nachbarn The Expulsion Prehistory: Interbellum Years and sahen. World War II), die politischen Hintergründe Dass sieben Jahre nach dem Ende des Ost- (War and Flight),ihren Verlauf (Allied Decisions West-Konfikts und sechs Jahre nach der deutsch- on Resettlement, Expulsion and Deportation), und deutschen Vereinigung die Interpretation von das Schicksal der Vertriebenen nach der Vertrei‐ Flucht und Vertreibung deutscher bung in den Aufnahmegebieten (The Expellees in Bevölkerung in der Nachkriegszeit ein bis Germany - Yesterday and Today). Die deutsche heute sensibles und umstrittenes Thema sind, Ostkolonisation des hohen Mittelalters als auch zeigte jüngst erst wieder das zähe Rin‐ die Peuplierungspolitik im 18. Jahrhundert, die gen um die deutsch-tschechische Erklärung, u.a. von deutschsprachigen Kolonisten getragen die von der unterschiedlich gelagerten histori‐ wurde, werden knapp und präzise darge‐ schen Erinnerung beider Länder stellt, um zu verdeutlichen, wie die ur‐ überschattet wurde, nämlich einer Op‐ sprüngliche ethnische Heterogenität ferperspektive auf beiden Seiten, die wenig Raum Ostmittel- und Südosteuropas zustande kam, für die Rolle der Täter liess. die im 20. Jahrhundert einer zunehmenden Ho‐ De Zayas schreibt also zu einem Thema, das mogenisierung gewichen ist. Kultur- und geistes‐ neben dem Holocaust zumindest zentral für geschichtliche Leistungen bedeutender Ostdeut‐ das Selbstverständnis und die politische scher (Ostdeutschland hier im historischen Sinne) Identität der alten Bundesrepublik war und werden herausgehoben, um den Verlust deutlich darüber hinaus über ein Thema, das zu machen, den Flucht und Vertreibung bewirk‐ mit dem kriegerischen Konfikt im zerfallenen Ju‐ ten (sieht man einmal von dem Lapsus ab, dass goslawien eine überaus aktuelle Brisanz ge‐ der Geburtsort Caspar David Friedrichs, Greifs‐ wonnen hat. Dass der Krieg auf dem Balkan, der wald in Vorpommern, fälschlicherweise den erneut Massenvertreibungen in Europa ehemals deutschen Ostgebieten zugeschlagen auslöste, Anstoss zur vorliegenden engli‐ wird, tatsächlich aber auch heute noch ein schen Aufage des Buches gab, wird schon im Un‐ Teil des vereinigten Deutschlands ist). tertitel (The Ethnic Cleansing ...), mehr aber noch Die Entwicklungen der Zwischenkriegszeit im Text deutlich, in dem der Autor in seinem Re‐ und der Zeit des Zweiten Weltkrieges, die der Au‐ sumee das Gedenken an die Vertreibung der deut‐ tor als Vorgeschichte der Vertreibung deutet, wer‐ schen Minderheit Jugoslawiens nach 1945 an‐ den in erster Linie unter den Auswirkungen des mahnt, um so Lehren aus der Geschichte zu zie‐ Versailler Vertrags und der Nichtbeachtung des hen, die gegenwärtiges und Selbstbestimmungsrechts der Völker geschil‐

2 H-Net Reviews dert. Dieses Selbstbestimmungsrecht sei nach tisch zu zügeln, so lange der aussenpoliti‐ 1918 grob fahrlässig verletzt worden, indem sche Druck dieses zuliess. es Deutschland und insbesondere den Deutschen Folgt man de Zayas Interpretation, sind alle in Oberschlesien und im Sudetenland, die wider Katzen des Nationalismus nachts auf einmal grau, Willen in Polen bzw. der Tschechoslowakei leben die des deutschen allerdings noch ein wenig grau‐ mussten, vorenthalten worden sei. Eine Interpre‐ er. Ohne die Auswirkungen des Versailler Ver‐ tation, die sich sehr stark an die zeit‐ trags für die politische öfentlichkeit genössischen politischen Debatten der Wei‐ der Weimarer Republik und des "Dritten Reichs" marer Republik anlehnt, aber neuere und nicht unterschätzen zu wollen, ist eine Reduktion mehr ganz so neue sozialgeschichtliche Deutun‐ der komplexen sozialen und politischen Probleme gen, die die Kontinuitäten spezifsch deut‐ hierauf doch zu einseitig. Das Argument hat in scher Entwicklungen aus dem 19. Jahrhundert etwa die Ueberzeugungskraft wie die Interpretati‐ heraus betonen (Sonderweg) oder aber das span‐ on des Autors, dass das Attentat auf den nungsreiche Wechselverhältnis von Staats‐ österreichischen Thronfolger im Juni 1914 nation, ethnischer Minderheit und "Mutterland," in Sarajewo den casus belli dargestellt habe (S. wie es z.B. Rogers Brubaker[4] analysiert, aussen 14). Vierzig Jahre nach der Fischerkontroverse vor lässt. In diesem Blick werden die Deut‐ über die Ursachen des Ersten Weltkriegs schen, insbesondere die jenseits des Staatsterrito‐ und drei Jahrzehnte nach dem Siegeszug der Sozi‐ riums dann allein zu Opfern einer verfehlten in‐ algeschichte ist es für Historiker nicht mehr ternationalen Politik erklärt ("The frst vic‐ legitim, so stark zu vereinfachen bzw. einem Ein‐ tims of the war were the Volksdeutsche, ethnic zelereignis solch herausgehobene Bedeutung bei‐ German civilians, resident in and citizens of zumessen. Poland," S. 21). Die politische Mobilisierung und Bevor der Autor die Vertreibungen und ihre Radikalisierung der deutschen Minderheiten in Begleitumstände selbst schildert, deutet er Ostmitteleuropa und die daraus resultierenden die aussenpolitischen Zusammenhänge der Konfikte lassen sich jedoch ohne das politische unmittelbaren Nachkriegszeit, in die die Vertrei‐ Einwirken von deutscher Seite und die Nationali‐ bungen nach seiner Ansicht einzuordnen seien. sierung der deutschen Minderheiten nicht Zentral sei das Versagen der Westalliierten Gross‐ erklären. Auch ist die Aussage, dass die Ra‐ britannien und USA gewesen, die sowjetischen dikalisierung unter nationalistischen Vorzeichen Expansionsbestrebungen auf den Konferenzen in Ostmittel- und Mitteleuropa in der Zwischen‐ von Jalta und Potsdam nicht nachhaltig Einhalt kriegszeit allgegenwärtig war, nur ein geboten hätten und so die politische und schwaches Argument, um den deutschen Anteil moralische Verantwortung für die an der Vorgeschichte der Vertreibung zu verklei‐ völkerrechtswidrigen Vertreibungen nern. trügen. Eine These, auf der auch schon die Gerade das vom Autor gewählte Beispiel Dissertation des Autors beruhte. Immerhin wird der Tschechoslowakei der Zwischenkriegszeit zuvor auf immerhin anderthalb Seiten (S. 27-29) greift zu kurz, da--die ethnopolitisch aufgeheizte erwähnt, dass es eine revisionistische, ex‐ Atmosphäre dieser Zeit in Rechnung ge‐ pansionistische und letztlich mörderisch stellt--das Land es noch vergleichsweise gut ver‐ Aussenpolitik von Seiten Nazi-Deutschlands gege‐ stand, bei der Etablierung des neuen National‐ ben hatte, die von 1938 bis 1945 andauerte und staats nationale Leidenschaften, die zu ethnischen die zur Vorbedingung der Vertreibungen wurde, Auseinandersetzungen führten, demokra‐ ohne die dieses Unrecht nicht zu erklären

3 H-Net Reviews ist. Allerdings bleibt dieser kausale Zusammen‐ tschechischer, polnischer oder russischer Seite zu hang, ohne den die Vertreibungen der Jahre 1945 kontrastieren, um so das Spannungsgefecht auf‐ bis 1947 nicht zu verstehen sind, deutlich unter‐ zuzeigen, in dem sich die Vertreibung der Deut‐ belichtet, was den analytischen Wert des Buches schen ereignete und zu erklären, dass sich stark mindert und den Verdacht entstehen damit durchaus auch historiographische Debatten lässt, dass es sich um ein geschichtsrevisio‐ verbergen, die schon bei der Wortwahl für nistisches Werk handelt, das einen nur eindimen‐ die Ereignisse (Umsiedlung, sionalen Blickwinkel hat. Bevölkerungstransfer, Zwangsmigration, Die Schrecken der Vertreibungen mit all ih‐ Vertreibung) anfangen und bis heute in den politi‐ ren grausamen Begleiterscheinungen wie Verge‐ schen Alltag ausstrahlen. Ausserdem kommt so‐ waltigungen, Plünderungen, Mord und La‐ wohl die Quellenkritik der zum Teil mit fast gerhaft werden im Detail durch eine über 50jährigem Abstand erhobenen Interviews Seiten reichende Aneinanderreihung von Augen‐ als auch die Einordnung dieser individuellen zeugenberichten und reichhaltige Bebilderung Zeugnisse in überindividuelle Zusam‐ durch Fotos veranschaulicht, ohne dem Leser da‐ menhänge sehr kurz. bei etwas von den Grausamkeiten der Ereignisse Anerkennung verdient, dass der Autor auf die zu ersparen. Die Darstellung dieser Ereignisse ba‐ Unterschiede zwischen deutschen siert auf Dokumenten im Bundesarchiv in Ko‐ Staatsbürgern des ehemaligen Deutschen blenz bzw. in Freiburg (zu denen der Verfasser of‐ Reichs und den deutschen Minderheiten in Ost‐ fensichtlich teilweise erst durch die Intervention mitteleuropa bzw. Osteuropa eingeht, also jener des damaligen Bundesministers für inner‐ Bevölkerung die seit dem Ende des 19. Jahr‐ deutsche Beziehungen Heinrich Windelen Zugang hunderts erst als "Auslandsdeutsche" und sodann erhielt) und auf Zeitzeugeninterviews, die der als "Volksdeutsche" in den Blick des nationalisie‐ Verfasser Anfang der 90er Jahre selbst durch‐ renden deutschen Nationalstaats geriet, auf den geführt hat, u.a. mit Vertriebenen, die nach sie sich insbesondere seit dem Untergang der Do‐ der Vertreibung in die USA auswanderten und naumonarchie politisch und kulturell mehr und dort eine neue Heimat fanden. In dieser alltagsge‐ mehr ausrichtete. Insbesondere am Beispiel der schichtlichen Wendung der Arbeit liegt eine Sudentendeutschen (S. 85-94) und der Banater Stärke, aber zugleich auch eine der Schwaben (S. 5-6, und S. 95-110) zeigt der Autor Schwächen des Buches. die besondere Problemlage dieser Minderheiten So waren die Uebergrife der Soldaten der Ro‐ auf, die über Jahrhunderte zur ethnischen ten Armee gegenüber der deutschen Zivil‐ Pluralität Ostmittel- und bevölkerung, insbesondere die Vergewalti‐ Südosteuropas beigetragen und ihre deutli‐ gung von Frauen ein in der west- und ostdeut‐ chen Spuren hinterlassen hatten. schen Historiographie unterbelichtetes oder gar Wünschenswert wäre allerdings gewe‐ verschwiegenes Thema, das erst in den letzten sen, aufzuzeigen, dass gerade die deutschen Min‐ Jahren durch jüngere Historikerinnen an die derheiten in den ehemals habsburgischen Landen öfentlichkeit gebracht wurde (ähnlich eine durchaus unterschiedliche Behandlung im wie die Verbrechen der deutschen Wehrmacht ge‐ Verlauf der Vertreibungen der Nachkriegszeit er‐ genüber der Zivilbevölkerung an der fuhren. Während sich Jugoslawien mit aller Ostfront). De Zayas vertut leider die Chance, diese Rigidität und Brutalität seiner deut‐ zum Teil bewegenden und beindruckenden Doku‐ schen Minderheiten nahezu komplett entledigte, mente bzw. Interviews mit Aussagen von z.B. vertrieb Ungarn nur die nicht magyarisierten Deutschen, während Rumänie auf eine

4 H-Net Reviews planmässige Vertreibung der Sie‐ (Vertreibung) bzw. Eugen Lemberg (Integration) benbürger Sachsen und Banater Schwaben etabliert worden.[6] Die mehrbändigen Er‐ verzichtete, allerdings einen Teil der ar‐ gebnisse der von Schieder bearbeiteten Forschun‐ beitsfähigen deutschen Bevölkerung gen sind u.a. als Documents on the Expulsion of der Sowjetunion zu Zwangsarbeiten the Germans from Eastern-Central Europe ins überliess, einen anderen Teil zu internen Englische übersetzt worden. Das For‐ displaced persons machte. Hätte der Autor schungsinteresse hält bis in die Gegenwart hier diferenziert, wäre eine elegante Ueber‐ an, wie jüngere Publikationen u.a. von Bade, leitung zum seit Ende der 70er Jahre aktuellen [7] Benz,[8] Frantzioch,[9] Lehmann[10] oder Thema der Zuwanderung von Aussiedlern (ethnic Lüttinger[11] zeigen, die allerdings hinsicht‐ German immigrants) in die Bundesrepublik ge‐ lich der erfolgreichen Integration der Vertriebe‐ lungen. Zwar spricht der Verfasser kurz die Tatsa‐ nen in die bundesdeutsche Gesellschaft ein detail‐ che an (S. 143-44), dass es seit 1950 eine Zuwande‐ lierteres, diferenzierteres und skeptischeres Bild rung von über zwei Millionen Aussiedlern in zeigen als de Zayas, der seinen Lesern die gerade die Bundesrepublik gegeben hat (S. 144; von Lüttinger relativierte These der erfolg‐ tatsächlich waren es bis einschliesslich 1993 reichen Integration der ersten Generation von sogar drei Millionen), die er als delayed expellees Vertriebenen anbietet. bezeichnet (eine Bezeichnung, über die sich Dass die beiden abgedruckten Interviews mit streiten liesse), doch wird dem Leser nicht klar, Kindern von Vertriebenen (S. 140-42) alles andere wie es einem Teil der deutschen Minderheiten ge‐ als repräsentativ für diese Generation lang, trotz Flucht und Vertreibung in ihren Sied‐ sind, erwähnt de Zayas nicht. Der Drang der lungsgebieten zu verbleiben, um hernach zu Aus‐ heutigen jungen Deutschen nach Osten und der siedlern zu werden. Bezug zur verlorenen Heimat der Eltern oder De Zayas hat den Anspruch, mit seinen Publi‐ Grosseltern ist in der Regel weitaus weniger aus‐ kationen eine Forschungslücke, insbesonde‐ geprägt als die Interviews glauben machen re für den englischsprachigen Raum zu wollen. Eine Identität sozusagen von Ver‐ schliessen, die, so der Autor, durch Desinteresse triebenen zweiter oder dritter Generation ist doch oder gar bewusstes Verschweigen der Wahrheit eher die Ausnahme als die Regel im heutigen bzw. politische Interessen entstanden sei (S. 33). Deutschland. Dieses Konstrukt ist aber wohl Dieser Anspruch hält einer kritischen nötig, um die politischen Aussichten, die der Prüfung kaum stand. Die wissenschaftlichen Autor im Epilog seiner Arbeit skizziert, und ausserwissenschaftlichen Arbeiten zum The‐ schlüssig erscheinen zu lassen. Er hält ma Flucht und Vertreibung sind mittlerweile Legi‐ friedliche territoriale Veränderung zuguns‐ on, füllen ganze Bibliotheken und dicke Bi‐ ten Deutschlands und auf Kosten Polens bzw. bliographien. Verwiesen sei z.B. auf die von Ger‐ Russlands durchaus für möglich (und trud Krallert-Sattler herausgegebene fast 1000sei‐ auch wünschenswert), sofern Polen bzw. tige kommentierte Bibliographie zum Russland dafür ökonomisch kompen‐ Flüchtlings- und Vertriebenenproblem.[5] siert werden. Der Rezensent kann dazu die ironi‐ Auch ist die wissenschaftliche Erforschung der sche Bemerkung nicht unterdrücken, dass Vertriebenenthematik in der alten Bundesrepu‐ zur Besiedlung der dann hinzu- bzw. wiederge‐ blik bereits in den 50er Jahren mit staatlicher Un‐ wonnenen Territorien wohl eine zweite Zwangs‐ terstützung unter der ägidie solch re‐ migration nötig wäre, um Teile der nommierter Historiker und Soziologen wie Theo‐ bundesdeutschen Bevölkerung dazu zu be‐ dor Schieder, Werner Conze oder Hans Rothfels wegen, die gewohnten sozialen und wirtschaftli‐

5 H-Net Reviews chen Sicherheiten gegen eine neokoloniale Exis‐ ger der Geschichtsrevisonisten, die 1986 den An‐ tenz in Pommern oder Ostpreussen einzutau‐ lass für den bundesdeutschen Historiker‐ schen. Schon die deutsch-deutsche Vereinigung streit lieferten. Die zentrale Bedeutung, die einer des Jahres 1990 zeigte, dass das Migrationspoten‐ der Protagonisten dieses Streits, der verstorbene tial sich in Ost-West-Richtung und nicht umge‐ Andreas Hillgruber, den Soldaten/Opfern der Ost‐ kehrt realisierte. front als identifkatorisches Moment für die Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Deutschen beimass, liegt auf der gleichen Linie das Buch zwar über die Betrofenenschilde‐ wie de Zayas Darstellung. Es überrascht da‐ rungen landsmannschaftlicher Darstellungen hin‐ her nicht, dass de Zayas 1987 in der zweiten Auf‐ ausgeht, allerdings ist der Grundtenor des Buches lage der deutschen Version des rezensierten Bu‐ ähnlich revisionistisch gestimmt wie bei Pu‐ ches anerkennende Worte für die revisionis‐ blikationen dieser Interessenvertreter. Es bringt tischen Wortführer des Historikerstreits seine Schwierigkeiten mit sich, wenn die Ge‐ fand. Wenn diese Geschichtsschreibung aus der schichte von Flucht und Vertreibung aus ihrem Perspektive der Opfer von der Mehrzahl der zeitgeschichtlichen Kontext, ihrer Vorgeschichte seriösen Historiker auch abgelehnt wird, so und ihrem Ursachengefecht herausgelöst bleibt sie doch als soziales Phänomen wird und dabei die Opferperspektive im Vorder‐ erklärungsbedürftig. Hier trefen sich grund steht. Dies mag einer legitimatorischen wiederum Goldhagen und de Zayas, so unter‐ oder apologetischen ausserwissenschaftlichen Ge‐ schiedlich ihr Thema, so diametral entgegenge‐ schichtsschreibung zugestanden werden, ist aber setzt ihre Sicht auf deutsche Täter und Op‐ gemessen am Standard der etablierten Profession fer auch sein mag. Beide nämlich operieren nicht vertretbar. bewusst mit einer akzentuierten Täter-Op‐ fer-Dichotomie, die das Leid der Opfer bzw. die Der Erfolg der Bücher von de Zayas in Grausamkeit der Täter zum zentralen Mo‐ Deutschland bedarf allerdings der ment der Narration erhebt. Mag dies auch eine er‐ Erklärung. Er ist u.a. darauf greifende Form historischer Präsentation zurückzuführen, dass der Autor aus‐ sein, so ist doch Skepsis angebracht, ob sie die spricht, was einem Teil der (west)deutschen Komplexität und Widersprüchlichekit öfentlichkeit in den Nachkriegsjahrzehnten historischer Entwicklungen und Erfahrungen zu zum (stillschweigenden) Grundkonsens wurde: erfassen vermag. nämlich, dass auch oder vielleicht sogar ins‐ besondere die Deutschen zu Opfern des National‐ Endnoten: sozialismus geworden seien. Sei es als [1]. Alfred-Maurice de Zayas, Anmerkungen Flüchtlinge oder Vertriebene, sei es als zur Vertreibung der Deutschen aus dem Osten Kriegsheimkehrer aus der deutschen Wehrmacht, (Stuttgart: Kohlhammer, 1993). sei es als Zivilist bombardierter und [2]. Alfred-Maurice de Zayas, Nemesis at Pots‐ zerstörter Städte. Der Autor bedient dam: The Anglo-Americans and the Expulsion of damit ein Legitimationsbedürfnis nach ei‐ the Germans. Background, Execution, Conse‐ ner anderen, teilnehmenden, identifkationsstif‐ quences (London: Routledge, 1977); German: _Die tenden und nicht rein analytischen Historiogra‐ Anglo-Amerikaner und die Vertreibung der Deut‐ phie. Statt der Bereitschaft, den analytischen, ge‐ schen. (München: Beck, 1977). wiss auch kalt-sezierenden Blick der Sozialwis‐ [3]. Frank Grube und Gerhard Richter, Eds., senschaften zu wagen, wird vom Leser Empathie Flucht und Vertreibung: Deutschland zwischen eingefordert. De Zayas stellt sich damit in das La‐

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1944 und 1947 (Hamburg: Hofmann und Campe, [11]. Paul Lüttinger, Integration der Ver‐ 1980). triebenen: Eine empirische Analyse (Frankfurt: [4]. Rogers Brubaker, National Minorities. Na‐ Campus, 1989). tionalizing States, and External Homelands in the Copyright (c) 1997 by H-Net, all rights reser‐ New Europe, in Dädalus no. 124 (Spring ved. This work may be copied for non-proft edu‐ 1995), pp. 107-32; jetzt auch in cational use if proper credit is given to the re‐ überarbeiteter und erweiterter Form als Be‐ viewer and to HABSBURG. For other permission, standteil von Nationalism Reframed. Nationhood please contact and and the National Question in the New Europe . (Cambridge/UK: Cambridge University Press, 1996). [5]. Gertrud Krallert-Sattler, Kommentierte Bi‐ bliographie zum Flüchtlings- und Vertriebe‐ nenproblem in der Bundesrepublik Deutschland, in österreich und in der Schweiz (Wien: Braumüller, 1989). [6]. Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte, Ed., Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa bearbeitet von Theodor Schieder 5 vols. (Berlin: Bernard & Gräfe, 1953- 1961) und Eugen Lemberg et. al., Eds.,: Die Vertriebenen in Westdeutschland. Ihre Eingliede‐ rung und ihr Einfuss auf Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und Geistesleben. 3 vols. (Kiel: Ferdinand Hirtl, 1959). [7]. Klaus J. Bade, Ed., Neue Heimat im Wes‐ ten: Vertriebene -Flüchtlinge - Aussiedler (Münster: Westfälischer Heimatbund, 1990). [8]. Wolfgang Benz, Ed., Die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten: Ursachen, Ereignisse, Folgen (Frankfurt: Fischer, 1995). [9]. Marion Frantzioch, Die Vertriebenen: Hemmnisse, Antriebskräfte und Wege ihrer Integration in die Bundesrepublik Deutschland (Berlin: Reimer, 1987). [10]. Albrecht Lehmann, Im Fremden unge‐ wollt zuhaus: Flüchtlinge und Vertriebene in Westdeutschland 1945-1990 (München: Beck, 1991).

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Citation: Rainer Ohliger. Review of de Zayas, Alfred-Maurice. A Terrible Revenge: The Ethnic Cleansing of the East European Germans, 1944-1950. HABSBURG, H-Net Reviews. February, 1997.

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