Aussteiger Hans, Carla, Tina

„Benzin undRECHTSEXTREMISMUS Streichholz“ Erstmals gewähren drei Aussteiger einen Einblick in die Neonazi-Szene. Mit Mühe entkamen sie einer kriminellen Schattenwelt, in der bierselige Glatzen und glühende Hitler-Verehrer dem Germanenkult frönen. Jetzt müssen sie sich vor Gericht für etliche Straftaten verantworten.

ie Schatten der Vergangenheit Decke, die jene Rußspuren verbergen, „Schrecklich“ findet Carla, 36, jene Zeit. hängen immer noch in der Woh- die die Öllampen rechts und links vom Hit- Ihre Tochter Tina, 17, „will mit dem ganzen Dnung. Da ist der drei Quadratmeter ler-Relief hinterlassen haben. Im Schlaf- Scheiß nichts mehr zu tun haben“. Hans, große schwarze Sternenhimmel im Wohn- zimmer, wo heute das Filmplakat des Ta- 24, der Kopfmensch, sucht vergeblich nach zimmer, wo früher die Hakenkreuzfah- rantino-Klassikers „From Dusk Til Dawn“ einer Erklärung, die irgendwie wissen- ne an die Wand gemalt war. Da sind hängt, prangten früher Hitler, Heydrich schaftlich klingt: „Damals kamen wohl die beiden schneeweißen Kleckse an der und Heß. Benzin und Streichholz zusammen.“ We-

Das rechte Geflecht stärkt. Die kürzlich von Innenmi- nister Otto Schily verbotene, mili- Die NPD wurde am 28. November 1964 in Günter Deckert, verurteil- tante Skin-Bewegung „Blood and Hannover gegründet. In der Führungsebene ter Holocaust-Leugner, ver- Honour“ (Blut und Ehre) durfte sammeln sich etliche Mitglieder der 1952 ver- stärkte die NPD ihre aus- sich auf der Großkundgebung botenen „Sozialistischen Reichspartei“, die länderfeindliche Politik. „2. Tag des nationalen Wider- sich offen auf die NSDAP berufen hatte. In den achtziger Jahren stands“ in Passau darstellen. In den sechziger Jahren steigt die Mitgliederzahl verübten NPD-Mitglieder Mittlerweile versucht sich Voigt an- der NPD auf 28000 an. Wahlerfolge von bis zu Anschläge, erstmalig wird gesichts des drohenden NPD-Ver- 9,8 Prozent verhelfen der NPD zum Sprung in ein Berufsverbot gegen ei- bots von den gewaltbereiten Un- sieben Landesparlamente. 1969 wird die Nach- nen Funktionär der Partei terstützergruppen zu distanzieren. wuchsorganisation „Junge Nationaldemokra- verhängt. Skinheads Die Mitgliederzahl ist wieder auf

ten“ (JN) gegründet, heute mit 350 Mitgliedern schützten Mitte der achtzi- AP rund 6000 angestiegen. Andere der größte und aktivste Zusammenschluss jün- ger Jahre den Landespar- Deckert Organisationen der Neonazi-Szene gerer Rechtsextremisten. teitag in Nordrhein-West- werden von der NPD weiter unter- 1970 machte die NPD Schlagzeilen, als 14 falen. Unter dem Einfluss der JN und bestärkt stützt. So erhielt die Vorsitzende der „Hilfs- Mitglieder wegen des Verdachts auf Bildung vom heutigen Parteivorsitzenden Udo Voigt organisation für nationale politische Gefan- einer kriminellen Vereinigung verhaftet wurden. wird die Zusammenarbeit mit Skins und neo- gene und deren Angehörige e. V.“ (HNG) in Die Mitgliederzahl sank kontinuierlich. Unter nazistischen „freien Kameradschaften“ ver- Passau einen „Solidaritätspreis“ in Höhe von

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gen möglicher Racheakte aus der Szene Offen sprechen die drei auch über die Mit der totalen Hingabe, die früher der hat der SPIEGEL die Namen der Ausstei- finstere Faszination der Glatzen und ihrer braunen Szene galt, widmen sie sich jetzt ger verändert. Einpeitscher. Sie fühlten sich aufgehoben ihrem Ausstieg. Über die Internet-Home- Es ist noch kein Jahr her, dass die Toch- und zugehörig. Vor allem aber glaubten sie page „nazis.de“, einer Selbsthilfe-Seite, ha- ter, die Mutter und deren Verlobter im in- sich anderen Menschen überlegen. Farbi- ben sie Unterstützung gefunden. neren Zirkel der deutschen Neonazi-Szene gen brüllten Mutter und Tochter „Nigger“ Carla sitzt vor dem Computer und be- steckten: Sie fuhren mit Schläger-Skins auf hinterher, im Supermarkt nahm Hans kei- antwortet unermüdlich elektronische Post. Demonstrationen, erlebten bedingungslo- ne Cornflakes-Packung, die zuvor eine Eine jüdische Briefpartnerin aus dem sen Führerkult und nahmen an konspirati- Ausländerin berührt hatte. Internet hatte soeben Zweifel an Carlas ven Sonnenwendfeiern teil. Sie fachsim- Die Geschichte der drei Aussteiger illu- Ausstiegswillen geäußert. Da stürzt der pelten mit verurteilten Straftätern und striert, wie schnell der Einstieg in die Sze- Rechner ab. Carla ist aufgelöst. Weint. Sie führenden Neonazis über das „Vierte ne vollzogen ist, wie umfassend sich das schüttelt den Kopf und verflucht mit trä- Reich“. Mutter und Tochter schändeten ei- braune Netz eines Lebens bemächtigt. nenerstickter Stimme die Technik. nen jüdischen Friedhof. Die üblichen Erklärungsmuster reichen Carla weint oft. Wegen der Erinnerung Bald schon stehen sie in Mainz vor Ge- dabei nicht aus, das Phänomen Rechtsex- an das, was sie gemacht hat, aus Enttäu- richt. Auf einen Anwalt verzichten sie, ver- tremismus zu entschlüsseln. Denn das Trio schung über die Zweifel an ihrem Ausstieg, teidigen könne man ihre Straftaten nicht. mag zwar nicht in Musterfamilien groß ge- beim Gedanken an eine mögliche Haftstra- Carla, Tina und Hans sind Aussteiger, die worden sein, aber keiner von ihnen kommt fe. „Gleichgültig“ sei sie gewesen, „das war die rechte Szene aus eigenem Antrieb ver- aus dem sozialen Elend. Sie stammen aus mein größter Fehler“. Aber sie war auch lassen haben. der Mitte der deutschen Normalität. neugierig, auf diese geheimnisvolle Son- Im SPIEGEL berichten die drei erstmals „Wir waren keine Opfer von irgendwel- nenwendfeier zum Beispiel, mit der alles von Zirkeln und Ritualen, die der Öffent- chen Umständen“, erklären Carla und begann. lichkeit bislang verborgen waren; sie er- Hans übereinstimmend. In ihrem Leben zählen aus einer Welt, in der Anführer und sei zwar einiges schief gelaufen, so Carla, Ein krasses Abenteuer Ideologie des mörderischen Nazi-Systems „aber es gab genug Situationen in denen in einem Gewirr von Gruppen und Grüpp- ich hätte sagen müssen: ‚Horch mal, du bist Endlich war es so weit: Hüttenbauen im chen verehrt und verbreitet werden. 35 Jahre alt. Stopp!‘“ Wald, Lagerfeuer, im Freien kampieren mit Sie erlebten die Nähe zwischen der NPD, ihrer Jugendorganisation „Junge Na- tionaldemokraten“ (JN) und gewaltberei- ten Skins. Diese symbiotische Beziehung zwischen der vermeintlich biederen Partei und militanten, neonazistischen Skingrup- pen wie „Blood and Honour“ (Blut und Ehre), mittlerweile in Deutschland verbo- ten, veranlasst die Innenminister von Bund und Ländern, ein Verbot der NPD zu prüfen. Das Trio hatte Zugang zu streng abge- schirmten Organisationen wie der „Hilfs- organisation für nationale politische Ge- fangene und deren Angehörige“ (HNG) oder der „“, beide als ein- getragene Vereine steuerbegünstigt. In der Artgemeinschaft predigt der einschlägig vorbestrafte Neonazi Jürgen Rieger, 54, die artgleiche Vermehrung.

2000 Mark. Die HNG ist als eingetragener Ver- REUTERS ein ein Sammelbecken von Neonazis aller NPD-Aufmarsch in (1998) Schattierungen. Vorsitzende der braunen Orga- nisation ist Ursel Müller, die 1999 mit ihrem Als Beginn der Zeitrechnung gilt „nicht die Ge- organisation verboten. Ihr gehörten nach Mann Curt wegen „Aufstachelung zum Rassen- burt eines Christus“, sondern „die Hochblüte eigenen Angaben 100 Mitglieder an, die sich hass“ auf Bewährung verurteilt wurde. In ihren des Gestirnheiligtums Stonehenge“. Die Or- nicht nur als „Musikbewegung“ verstanden, „HNG-Nachrichten“ ruft sie Leser dazu auf, ganisation hat bundesweit 1000 Anhänger, sondern als rassistische Eliteorganisation. Urteile gegen „national denkende Menschen von denen ein großer Teil aus der ehemaligen Zu illegalen Konzertveranstaltungen von möglichst lückenlos zu dokumentieren. Um die und aktiven Neonazi-Szene stammt. Die Artge- „Blood and Honour“ pilgerten bis zu 2000 Verantwortlichen später einmal zur Rechen- meinschaft war Mitorganisator der jährlichen Skinheads. Gelegentlich traten Skingruppen schaft ziehen zu können“, brauche man mög- „Hetendorfer Tagungswoche“, einem zen- wie der „Weisse Arische Widerstand“ lichst viele Informationen. tralen Treffen von Rechtsextremisten in der (WAW) auch als Musikband auf. Am Ein anderes Netzwerk der rechtsextremen Sze- Nähe von Celle. 5.Dezember 1996 wurde ein Tonträger der ne ist „Die Artgemeinschaft-Germanische Ein weiterer Multiplikator in der Szene ist die WAW beschlagnahmt, auf dem Glaubensgemeinschaft wesensgemäßer Le- rechtsextreme Skin-Bewegung mit gut 9000 unverhohlen der Holocaust geleugnet wurde: bensgestaltung e. V.“ Die völkisch geprägte Anhängern. In ihren Reihen hat die inter- „Wo sitzen Deuschlands schlimmste Feinde? Vereinigung wird von dem einschlägig bekann- national operierende Gruppierung „Blood and In der Jüdischen Gemeinde! Die widerwär- ten Neonazi Jürgen Rieger aus an- Honour“ Kultstatus. Seit dem 14. September tigen Krummnasen mit ihrem Märchen vom geführt. sind der deutsche Ableger und seine Jugend- Vergasen.“

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der versprochenen Geländeübungen und Orientierungsmärsche waren sie in einer versoffenen Horde gelandet, die mit selt- samen Heldentaten wie dem „Kekswich- sen“ prahlte. Dabei stellen sich Skins um einen Keks auf, onanieren um die Wette und zielen mit ihrem Sperma auf das Knab- berwerk. Wer als Letzter kommt, muss un- ter dem Johlen der anderen den Keks ver- tilgen. Vielleicht gaben die Skins auch ein- fach nur an. Es war Hans, der die Frauen zum Blei- ben bewog. Mit seinem korrekten Scheitel und dem Bärtchen unter der Nase sah er aus wie ein Überbleibsel aus der Hitlerzeit – sauber, anständig, ganz anders als die tumben Skins. Hans wusste mehr, hatte schon viel bes- sere Sonnenwendfeiern erlebt, mit der Art- gemeinschaft zum Beispiel, einem rechts- extremen Zirkel, dessen Mitglieder sich dem germanischen Glauben und „Härte und Hass“ gegen ihre Feinde verschrieben haben. Hans schwadronierte von Kader- organisationen und versprach, wonach sich Carla und Tina gesehnt hatten: „Ein kras- ses Abenteuer.“

Bei den Altnazis So albern der Kitschkult im Wald anmute- Neonazis bei Sonnenwendfeier*: Galaxie in Hakenkreuzform te, so schwer war es gewesen, an eine Ein- ladung zu kommen. Die Teilnahme an je- national gesinnten Aktivisten. Aufgeregt Honigtrunk erst nach Entfachen des ger- ner Sonnenwendfeier war für Mutter und machten sich Carla und Tina auf den manischen Feuers, aber daran hielt sich Tochter Teil des Verbotenen, das sie ge- Weg Richtung Pirmasens zu ihrer ersten keiner der zwei Dutzend Anwesenden. sucht hatten. Konspirativ wurde der Ort in Sonnenwendfeier. Den Veranstaltungsort Befremdet gingen die Neulinge in den der Szene gehandelt. Er war geheim für kannten, so ihr Eindruck, nur Eingeweih- Wald, um Holz zu sammeln. Dabei beglei- Außenstehende und somit wichtig. te, schließlich vermuteten sie: Dort treffen teten sie die abschätzigen Blicke der Älte- Carla und Tina stellten zuvor ihre Zu- sich die Spitzen der nationalen Bewegung. ren. In Erwartung großer Abenteuer hatten verlässigkeit unter Beweis – bei Ursel und Die Sonnenwendfeier, auf der einst Kel- Carla und Tina T-Shirt, Jeans und Turn- Curt Müller aus Mainz-Gonsenheim. Die ten und Germanen die längste Nacht des schuhe angezogen. Die Männer wünsch- beiden Altnazis führen neben ihrer Gärt- Jahres begingen, hatte im Mythenmix der ten sich dagegen ein deutsches Mädel sitt- nerei die größte legale Neonazi-Vereini- Nationalsozialisten ihren festen Platz. Qua- sam im Kleid. gung, die Hilfsorganisation für nationale si religiöser Feuerzauber, weihevolle Sprü- Herbi, der seine Jünger stocknüchtern in che und dramatische Kranzverbrennungen Erinnerung hat, mühte sich mit Hans, der zu Ehren der Parteimärtyrer sollten vor al- Feier etwas Würde zu verleihen. Das fiel lem die Hitlerjugend in den Bann des Brau- nicht leicht nach all dem selbst gepansch- nen ziehen. ten Met, wie er das Gebräu aus billigem Umso gewaltiger war die Enttäuschung Wein und Honig nannte. für Carla und Tina. Statt gestählter Kämp- Der Hobby-Germane, der fest daran fer trafen sie angetrunkene Skins und ki- glaubt, die Galaxie sei wie ein Hakenkreuz chernde Mädchen von der rechtsradikalen geformt, wies Carla in die „heilige“ Zere- „Jungen Landsmannschaft Ostpreußen“. monie ein. Sie bekam ein weißes Bettlaken, Zeremonienmeister war Wilhelm Her- angeblich vor drei Wochen geweiht. Wi- bi, den viele nur „Feld-, Wald- und Wie- derstrebend streifte Carla das Tuch über. sen-Nazi“ nannten, obwohl er mal NPD- Nur in diesem Aufzug, bedeutete ihr Her- Landesvorsitzender von Rheinland-Pfalz bi, dürfe sie die Feuersprüche aufsagen. war. Herbi will von Auschwitz nichts wis- Mit drei anderen Frauen, für jede Him- sen: „Das, was eine Anne Frank, ein Si- melsrichtung eine, gruppierte sie sich um mon Wiesenthal oder ein Ellie Wiesel mit- das aufgeschichtete Holz. Weihevolle Re-

gemacht haben, waren geregelte Lagerauf- den wurden vorgetragen, dann waren die AP enthalte in einer schlechten Zeit. Da gab es Frauen an der Reihe. „Ich bin der Norden Der Ex-NPD-Funktionär und Rechts- Betten und Decken.“ und bringe das Feuer“, rief die erste. Die anwalt Jürgen Rieger gilt als wichtigs- Mutter und Tochter traten eher schüch- anderen folgten. Das Feuer wurde entfacht, ter Verteidiger von Rechtsextremisten. tern in den Kreis der Metseligen. Zwar hat- die alkoholisierte Schar lallte ein paar Lie- Wegen Körperverletzung und Verwen- te es geheißen, es gebe den betäubenden der. Das Besäufnis nahm seinen Lauf. dung verfassungsfeindlicher Symbole Mutter und Tochter fühlten sich unwohl. selbst mehrfach verurteilt. * 1997 im niedersächsischen Hetendorf. Enttäuscht wollten sie aufbrechen. Statt

44 der spiegel 39/2000 Deutschland politische Gefangene und deren An- ihrem öden Leben anbot. Mit 16 experi- gehörige e. V. mit über 500 Mitgliedern. mentierte sie mit Drogen. Als ihre beste Die HNG betreut so genannte nationale und einzige Freundin an einer Überdosis Gefangene wie den skrupellosen Polizis- Heroin starb, suchte Carla Trost in einer tenmörder Kay Diesner, den Brandstifter Brieffreundschaft zu einem sechs Jahre äl- von Solingen, Christian Reher, oder den teren Mann in München. Dass er NPD- berüchtigten Hardcore-Skin Christian Hehl. Funktionär war, störte die 18-Jährige nicht. Der eingetragene Verein schickt den In- Der Brieffreund bot das Ticket in die haftierten direkt in die Zelle seine „Nach- Freiheit. richten der HNG“. Das Blättchen bietet 1983 heiratete sie den Nationalisten und frische Informationen aus der Szene und zog nach München. Dort, in der Wohnung gibt Mitgliedern Tipps für den korrekten des NPD-Mannes, stand sie später zum ers- Briefwechsel mit Gefangenen. Die Um- ten Mal in ihrem Leben unter der Reichs- sorgten bedanken sich artig – „Heil Dir, kriegsfahne.

liebe Ursel“ – mit ein paar Zeilen für die KOEHLER J. Die große Freiheit war es nicht. Ihr Mann Leserbriefseiten. Ex-Rechtsanwalt Manfred Roeder wur- jobbte als Bote, Carla faltete in der NPD- Das Haus der Müllers gleicht einem Hit- de 1982 als Terrorist zu 13 Jahren Haft Geschäftsstelle Flugblätter und verschickte ler-Museum. Der Führer hängt als Bleistift- verurteilt. Dennoch wurde er nach die „Deutsche Stimme“, Hauspostille der zeichnung über der Küchentür, gleich drei seiner Freilassung von der Führungs- NPD. Die Miete bezahlte ihr Großvater. Die Holzbüsten stehen im Regal. Horst Wessel, akademie der 1995 als Parteiversammlungen ödeten sie an. der Barde Adolf Hitlers, ziert den Klo-Ein- Referent eingeladen. Er rief 1998 zum Zur Enttäuschung ihrer Freunde brach- gang. Stolz verkündet Ursel Müller, diese „Umsturz auf der Straße“ auf. te Carla noch 1983 eine Tochter zur Welt – Dinge seien schon lange ihr Eigentum. Tina. Dennoch gewann ihr Vater einen pro- Für Ideologie ist Curt zuständig. Seine minenten Taufpaten: Günter Deckert, in- Briefe schmückt er mit Stempeln wie „Po- teten für sie immer Lügen und Gewalt, zwischen mehrfach verurteilter Holocaust- litisch Verfolgter der Demokratie“, „Neo- manchmal sogar Tod. Leugner und früherer Chef der NPD. nazi. Betrachten wir das Wort als Ehre“ Im Glauben, eine Halbwaise zu sein, Carlas Traum von der glücklichen Fa- oder „Das Dogma Auschwitz musst Du wuchs sie nahe Mainz bei ihrer Mutter und milie währte im deutschnationalen Milieu glauben, sonst legt man Dich in Daumen- einem ältlichen Universitätsprofessor auf. nicht lange. Der Ehemann verlangte Ge- schrauben“. Ursel, offizielle Chefin der Bei einem Autounfall sei ihr Vater gestor- horsam, wurde handgreiflich und drohte HNG, übernimmt dagegen den mütterli- ben, erzählte die Mutter, eine Oberstudi- schon mal dem Kind. Sie klammert sich an chen Part. Weihnachten, so erzählt man enrätin. Ihre ganze Kindheit hindurch er- den Traum von der Familie, er bleibt im- sich, soll sie schon mal Plätzchen in Ha- fuhr Carla nicht, dass jener greise und un- mer öfter fort von zu Hause. kenkreuzform backen. zugängliche Professor ihr Vater ist. Carla bringt ein zweites Kind zur Welt, Bei den Müllers finden Tochter Tina und Wie viele Kinder, die ohne Vater auf- endlich einen Sohn. Doch als der Säugling Mutter Carla, wonach sie ihr Leben lang wachsen, wollte das Mädchen schon früh den plötzlichen Kindstod stirbt, ist die Ehe gesucht hatten: eine Familie, ein Zuhause. ihren Mann stehen, spielte Fußball und endgültig zerrüttet. Die dritte Schwanger- Vertrauensvolle Beziehungen hatte Carla baute Baumhäuser. Carla begeisterte sich schaft, Folge einer Vergewaltigung in der bis dahin selten erlebt. Bindungen bedeu- für alles, was sich als Fluchthelfer aus Ehe, bricht Carla ab. Sie lässt sich scheiden, tritt aus der NPD aus, kehrt mit ihrer Tochter Tina nach Mainz zu ihrer Mutter zurück und stürzt sich in ihr nächstes Abenteuer. Die eben noch folgsame Frau eines Deutschnationa- len verliebt sich in einen GI, einen Hispano-Amerikaner. Gemeinsam wollen sie in die USA auswandern. Doch Tochter Tina darf wegen des ge- teilten Sorgerechts nicht mit. Carla ent- scheidet sich, ohne Kind nach Amerika zu gehen. Sie verliert das Sorgerecht. Ihre Tochter muss wieder nach München zie- hen, wo sie ihr Vater bald darauf in ein Heim steckt. Vorerst genießt Carla das Leben inmitten der GIs. Sie lebt in Wohnwagenparks, robbt bei Überlebenskursen durch den Schlamm und tobt sich aus. Doch die Sehnsucht nach der Tochter wird stärker. Sie will zurück. 1993 quittiert ihr neuer Ehemann den Dienst in der US-Army und folgt Carla nach Deutschland. Die nächste Katastro- phe bahnt sich an. Zwar kann sie endlich ihre Tochter besuchen, aber der Gatte hängt an der Wasserpfeife, versackt, bis Carla ihn 1995 aus der gemeinsamen Woh-

DER RECHTE RAND * 1991 bei einem „Rudolf-Heß-Gedenkmarsch“ in Bay- Hitler-Verehrer Curt, Ursel Müller*: „Heil Dir, liebe Ursel!“ reuth.

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An diesem Donnerstag stehen sie vor ei- nem mächtigen Stahltor, bewehrt mit einer grünen Sichtblende und Stacheldraht auf der Mauer. Gelegentlich schießt Ursel Mül- ler mit einem Eimer Wasser aus der Burg und verscheucht die „Systempresse“. Ein kleiner Schaukasten mit dem Bild des Hit- ler-Stellvertreters Rudolf Heß signalisiert den beiden Besucherinnen, dass sie richtig sind. Zwar bleibt das Tor verschlossen, aber ein Winken aus dem Festungsfenster macht Mutter und Tochter Hoffnung. Sie schreiben Briefe – und Müllers ant- worten tatsächlich. Das Tor sei vormittags für ein paar Stunden geöffnet, sie könnten ja mal vorbeischauen. Zwischen Mutter und Tochter entbrennt vor dem zweiten Besuch ein heftiger Streit. Wer darf das T- Shirt mit dem Aufdruck „Ein Herz für Deutschland“ tragen? Tina gewinnt. Wenig später stehen sie im Müllerschen Gärtnereibetrieb. Die HNG-Chefin bindet Verbotene Wiking Jugend (1994): Folkloristisches braunes Weltbild Blumen, gibt sich herzlich und vermittelt den beiden das Gefühl, sie prüfe die Gesin- nung wirft. Fortan kämpft sie um das Sor- hard Frey, die „National-Zeitung“. Die Sol- nung der Neuzugänge. Die Frauen bestehen gerecht für ihre Tochter. datenporträts finden sie spannend. die ersten Tests. Auch als Ursel Müller mit Tina hat unterdessen eine neunjährige Plötzlich fallen ihnen Zeitungsberichte Schändungen jüdischer Friedhöfe prahlt, Heimkarriere hinter sich. Ein Aufenthalt über kriminelle Ausländer auf. Berichte zeigen Mutter und Tochter keine Abscheu. bei Pflegeeltern scheitert an der Tabletten- aus der geheimnisvollen Welt der Neona- Ursel Müller, im Mai 1999 wegen Auf- sucht der Ersatzmutter, die auch Carlas zis finden sie so aufregend, dass Mutter stachelung zum Rassenhass auf Bewährung Briefe aus der Neuen Welt abgefangen hat. und Tochter Kontakt in die rechtsextreme verurteilt, nennt dagegen die Erinnerungen Wieder landet sie im Heim. Ihr Vater be- Szene suchen. der Frauen „Märchen“. Zu Friedhofs- sucht sie selten. Am 20. April 1999, Führers Geburtstag, schändungen aufzurufen „würde mir nie Carla erhält 1997 das Sorgerecht zurück. fahren sie nach Mainz-Gonsenheim. In der in den Sinn kommen“, lässt sie den SPIE- Mutter und Tochter gewöhnen sich schnell Gegend ist Carla aufgewachsen. Und jeder GEL wissen. wieder aneinander. Die Mittdreißigerin Einheimische weiß, dass hier die Müllers Die ebenso kalte wie herzliche Alte wird und der Teenager geben sich jene Gebor- wohnen. Von denen heißt es, sie begrüßten schnell zu einer Art Ersatzmutter. Carla genheit, die beide vermisst haben. und verabschiedeten gleichgesinnte Gäste hilft ihr beim Putzen. Sie fühlt sich ernst Das Leben gewinnt an Ordnung. Tina zackig mit erhobenem rechtem Arm, was genommen, fühlt sich wichtig, wertvoll, ak- geht auf die Realschule, Carla arbeitet bei Ursel Müller bestreitet. zeptiert. Edeka, gibt in der Nachbarschaft Nachhil- Die Frauen haben den Eindruck, dass fe in Englisch und putzt bei ihrer Mutter. Ursel Müller spürt, sie wollen mehr als Doch wieder droht die Langeweile. Als Ideologie und Herzlichkeit. Nach gut drei müssten sie ihre Jugend nachholen, suchen Monaten ruft Ursels Bekannter Wilhelm Mutter und Tochter das Abenteuer, das Herbi an und lädt zur Sonnenwendfeier, Schräge, das Ausgeflippte. Sie hängen in auf der „im Schweiße des Angesichts ge- Mainz mit US-Soldaten herum. Dass Far- schuftet wird“, bevor das Feuer brennt. bige darunter sind, stört sie nicht. Sie probieren verwegene Rollen aus und Rede im Feuerschein rasieren sich die Schädel – so wie Demi Moore. Die Hollywood-Schauspielerin Die Einladung hatte zu viel versprochen – mimt im Film „Die Akte Jane“ einen weib- bis auf Hans. Er war keiner von diesen lichen GI, der sich in der Machowelt der Proll-Glatzen, sondern diente bei der Bun- US-Armee behauptet. Ab sofort ziehen sie deswehr und arbeitete an seinem Bild als im gefleckten Kampfdress der Army durch künftiger Ideologe der neonazistischen Be- die Gegend und züchten sich Muskeln an. wegung. Bei den Jungen Nationaldemo- Doch die Rollenspiele enden so abrupt, kraten in Hessen war er zum Beisitzer in wie sie begonnen haben. Kleinste Bege- den Landesvorstand aufgerückt. Seine ge- benheiten ändern ihre Haltungen radikal. schliffene Rede im Feuerschein beein- Nach einem missglückten Flirt mit einem druckt die Frauen.

schwarzen Soldaten entdecken Mutter und M. SCHRÖDER / ARGUS Die Vergangenheit mutete Hans stets Tochter ihre Abneigung gegenüber allem Friedhelm Busse wurde 1971 aus der märchenhaft und abenteuerlich an. Sein Nichtdeutschen. NPD ausgeschlossen, nachdem er Großvater erzählte Heldengeschichten vom Fernsehdokumentationen über Hitlers deren Legalitätskurs für gescheitert Krieg und erklärte den Antisemitismus auf Wehrmacht wirken wie eine Einstiegsdro- erklärt hatte. Vielfach verurteilt, über- die katholische Art: „Die Juden haben un- ge. Im Frühjahr 1999 erinnert sich Carla nahm Busse 1988 den Vorsitz der FAP. seren Herrgott ans Kreuz genagelt, die wer- an ihre Zeit in der NPD-Zentrale in Mün- Bezeichnete Hitler als den „größten den ihr Fett schon wegkriegen.“ chen. Sie lesen die Hauspostille des rechts- Staatsmann des Jahrtausends“. Wenn der Junge Hans mit Freunden extremen Verlegers und DVU-Chefs Ger- Spielzeugarmeen bewegte, kommentierte

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te abgebildet. Hans ist zufrieden, schließ- lich hatte er sich ohne Scheu den Kame- ramännern und Fotografen gestellt. „Bes- ser, die nehmen mich als so einen Hauer von Skin“, denkt er. An die Bierbäuche der Glatzen mit den gewaltigen Tätowierungen kann sich Hans dennoch nicht gewöhnen. Auch andere Na- tionale versprechen Wehrsportübungen und Zeltlager, dabei wollen sie nur saufen. Er wird von den Kameraden verhöhnt, weil er sich wäscht und nicht mittrinkt. Notgedrungen akzeptiert er die Bande, weil sie für Präsenz auf den Straßen sorgt. Dass sie ihn als „Scheitel“ verlachen, ihn verprügeln, als sich versehentlich in der Mannheimer „Schmuckerstube“ ein Schuss aus seiner Schreckschusspistole löst, nimmt er hin. Denn inzwischen hat auch Hans seine Clique gefunden, die JN. Mit ihnen begeht der Szene-Lehrling seine erste Straftat. Im

VERSION August 1998 bepflastert er mit drei NPD-Aufmarsch in Leipzig (1998): Saufgelage statt Wehrsportübungen Jungnationalen die Rheinpromenade in Worms mit JN-Propagandamaterial. Opa fachkundig das Kampfgeschehen: Ma- schreibt dem DVU-Parteichef Frey einen Plötzlich fahren vier Polizeiautos und schinengewehre nannte er „Hitlersensen“ Brief, in dem er sein „Entsetzen“ mit- zwei Busse vor. Hans springt in eine Hecke. und die Gasmaske, prahlte er, habe er da- teilt. Beeindruckt hält der Hauptschüler Als seine Kameraden verhaftet werden, er- mals in zehn Sekunden aufgesetzt. wenig später Freys Antwortschreiben in hebt er sich: „Hallo, ich bin auch noch da“, Das folkloristisch braune Weltbild präg- den Händen. ruft er, um nicht als Feigling zu gelten. te die Kinderzeit. Ein Jägerfreund des Va- Hans machte den Hauptschulabschluss, Die Beamten erweisen sich als harmlos. ters nannte den Hochsitz „Wolfsschanze“, eine Dreher- und Bäckerlehre und ver- Nach einer Nacht auf dem Revier werden andere besiegelten das Ende eines Halalis suchte sich als Rodeoreiter in einer Show- den Jungnazis die JN-Aufkleber wieder mit Bierflaschen, die als Hakenkreuz auf- truppe. Die „National-Zeitung“ begleitet ausgehändigt. Die Ermittlungsbehörden gestellt wurden. Zum Abschied ließen die ihn. Im Werbeprospekt aus einem rechts- dürfen nur ein Exemplar beschlagnahmen. Weidmänner Hermann Göring hochleben. extremen Versandhandel wurde er auf den Auf dem Rückweg verkleben sie die restli- Fasziniert studierte der dickliche Hans mit nationalen Liedermacher chen Sticker. 14 die „National-Zeitung“. aufmerksam. Hans bestellte eine CD. Durch die JN lernt er einstige Kader der Als der damalige Bundeskanzler Helmut Rennicke, ehemaliges Mitglied der heu- verbotenen „Freiheitlichen Deutschen Ar- Kohl während der Zwei-plus-Vier-Ver- te verbotenen Wiking Jugend, ist der neue beiterpartei“ (FAP) kennen. Auf einer Un- handlungen endgültig auf die ehemaligen Barde der Bewegung, den alle kennen, garnfahrt trifft er erstmals einen der Wich- Ostgebiete verzichtet, empört er sich. Hans vom Nachwuchsskin bis zum Altnazi. Hans tigen im braunen Netzwerk: Friedhelm schrieb dem braunen Sänger und fragte, Busse, 71, Ex-FAP-Chef, bis zu seinem Par- wie er der nationalen Sache dienen könne. teiausschluss 1971 Mitglied der NPD, ver- Wieder kam die Antwort prompt. In ei- urteilt wegen Volksverhetzung, Sprengstoff- nem Laden in Ludwigshafen könne er sich und Waffenbesitz und Weiterführung einer informieren und gleich für die NPD-Demo verbotenen rechtsextremen Organisation. anmelden, am 1. Mai 1998 in Leipzig. Der grauhaarige Altnazi ist eine Legen- Der erste Kontakt mit der Szene ist ein de, weil er Adolf Hitler die Hand geschüt- Schock für Hans. Ein wuchtiger Glatzkopf telt haben will. Der eifrige Junge kommt stellt sich ihm in den Weg: Christian Hehl, an. Busse verkauft Hans eine Jubiläums- 30, wegen Körperverletzung und Volksver- ausgabe von Hitlers „Mein Kampf“ für 70 hetzung mehrfach verurteilter Neonazi. Mark, dafür mit Widmung: „Ohne Mut kei- Der Schläger darf sein eigenes Geschäft be- ne Freiheit! Keine Freiheit ohne Mut!“ treiben, bis der Szene-Treffpunkt auf Druck Am 3. Mai 1999 tritt Hans den Wehr- einer Bürgerinitiative geschlossen wird. dienst an; in Kniebundhose, hellbraunem In „Hehls World“ gibt es alles, was Glat- Hemd, mit Kartenmeldetasche und einem zen glücklich macht: einschlägige T-Shirts, Hitlerbart unter der Nase meldet er sich in Musik, Messer und vor allem Termine. Ein- der Klotzberg-Kaserne in Idar Oberstein. geschüchtert meldet sich Hans für die Leip- Es dauert ein halbes Jahr, bis die Truppe,

PANORAMA / NDR PANORAMA ziger Demo an. die Verteidigungsminister Rudolf Scharping Der 30-jährige Christian Hehl ist zen- Seine Vorstellungen von der Szene sind für ihr erbarmungsloses Vorgehen gegen al- trales Bindeglied zwischen Hooligan- rührend. Weil er sich zu Hause angelesen les Braune lobt, erkennt, dass sie einen be- und Neonazi-Szene. Der Mitbegründer hat, dass die Nationalen sauber und or- kennenden Neonazi an der Waffe ausgebil- der Hool-Truppe „The Firm“ reist als dentlich sind, kommt er wie Haiders Berg- det hat. Erst als Hans am 13. September auf Schläger von Demo zu Demo, ein bub zum Bus, in weißem Hemd und Trach- der Stube zu laut über „Judenschweine“ Hakenkreuz-Tattoo verdeckt er mit tenjanker. Die bierseligen Skins johlen. herzieht und einen Obergefreiten für die Pflaster, um nicht belangt zu werden. In der „Bild am Sonntag“ wird der or- JN werben will, wird gegen ihn ein sie- dentliche junge Mann auf einer halben Sei- bentägiger Arrest verhängt. Vereidigt wur-

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Tina und Hans ihre erste gemeinsame Straftat. Sie setzen sich ins Auto und fahren nach Worms. An der historischen Stadt- mauer parken sie Carlas Wagen. Hans, als zu behäbig für die Aktion befunden, muss auf dem Beifahrersitz ausharren. Carla und Tina schleichen sich langsam Richtung Judengasse durch die Nacht. Ihr Ziel ist die Synagoge von Worms. Während die Mutter zur Spraydose greift, steht die Tochter Schmiere. „Juda verrecke“, „Deutschland erwache“, Hakenkreuze und Wolfsangel werden auf die Nordwand der Synagoge gesprüht. Einmal in Fahrt be- schmiert Carla auch das benachbarte Ra- schi-Haus, ein Gemeindezentrum. Gut einen Monat später, nach einem An- griff „linker Zecken“ auf das Auto des hes- sischen JN-Vize Frank Ludwig, unterneh- men sie eine Vergeltungsaktion. Sie ver- lassen eine Geburtstagsparty und fahren zum Sitz der Antifa im Stadtzentrum von

STADTARCHIV WORMS STADTARCHIV Gießen. Sie sprühen derart auffällig Ha- NS-Parole an der Wormser Synagoge: Spraydose aus dem „Sondereinsatz-Koffer“ kenkreuze ans Haus, dass eine Polizei- streife sie abgreift; die Nacht verbringen sie de er zuvor dennoch, auf die freiheitlich- Bei einer Vernehmung durch den Bttr- auf der Wache. Für diese Tat müssen sie demokratische Grundordnung. Am 11. No- Chef, 2./BeobPzArtLehrBtl 51 am 05.05.99 sich vor Gericht verantworten. vember 1999, sechs Monate nach seinem gaben Sie an, dass Sie gemeinsam Nur drei Tage später sind sie auf dem Dienstantritt, schreibt Brigadegeneral Axel mit Gleichgesinnten Ausbildungen wie Weg nach Biblis. Sie wollen zum Konzert Bürgener, einen Brief an Hans. z. B. Zeltlager oder Anschleichen, sowie Dem „Herrn Gefreiten“ wird mitgeteilt, Bekämpfen eines MG-Nestes nachemp- dass er wegen „Gefährdung der militäri- funden haben (ohne Waffeneinsatz). Sie schen Ordnung“ fristlos aus der Bundes- haben mehrmals an Demonstrationen wehr entlassen wird. Das Dokument führt wie z. B. gegen die Wehrmachtsausstel- detailliert auf, wie offen der Neonazi seit lung teilgenommen. Dienstantritt seine verfassungsfeindliche Grundeinstellung offenbarte: Die große Liebe In einem Gespräch mit BttrChef, 2./Be- obPzArtLehrBtl 51 am 03.05.99 gaben Sie Als die Sonnenwendfeier steigt, dient Hans an, dass Sie aktives Mitglied der Jung- noch in Idar-Oberstein. Ihm gefällt zwar organisation der Nationaldemokrati- nicht, dass ihm Carla an diesem Abend sei- schen Partei Deutschlands seien und nen Schlafsack entwendet und er in Herbis ihren politischen Werdegang innerhalb Auto übernachten muss. Doch er findet der Partei auf Landesebene suchen. Gefallen an der burschikosen Frau – seine Sie befürworten und bejahen die Wiking- erste große Liebe. Jugend, Ihre Mitgliedschaft sei an deren Hans wird den Müllers vorgestellt. Die Verbot gescheitert. Zur Zeit ist ein Ver- HNG kannte er nur vom Hörensagen. Das fahren nach §86a StGB ( Verwenden von nationalsozialistische Mausoleum in Gon- Kennzeichen verfassungswidriger Orga- senheim beeindruckt ihn. Im „kleinen nisationen) gegen Sie anhängig. Walhall“, einer Art Bar im Wohnhaus, darf er eine echte Hakenkreuz-

fahne bewundern. Und von WIND AGENTUR Curt Müller kann er noch Geschändeter jüdischer Friedhof in Alsheim viel über den Nationalsozia- „Wir haben Gärtnerarbeiten gemacht“ lismus lernen. Carla und Tina wollen von Frank Rennicke. Doch sie werden von auch dazugehören. Mit der Polizei gestoppt. In ihrer Montur glei- arischblond gefärbten Haa- chen sie so sehr der SA, dass sie wieder auf ren, Braunhemd und Sprin- der Polizeiwache landen: wegen Verstoßes gerstiefeln marschiert Tina gegen das Uniformierungsverbot. fortan in die Schule. Abends Drei Tage später, Hans ist krank und bringt sie mit ihrer Mutter übernachtet in der Klotzberg-Kaserne in Aufkleber an Laternenmas- Idar-Oberstein, folgt die letzte Straftat. ten und Eingangstüren an. Wieder wollen sie sich Ursel Müller be- Die Aufkleber, auch größere weisen, die für den Hass in ihren Köpfen mit dem Motiv Rudolf Heß, sorgte. Carla und Tina schreiten zur Tat:

ARCHIV INFOLADEN GIEßEN gibt es kostenlos bei Müllers. „Wir wollten ein Fanal setzen!“ Nazi-Schmierereien in Gießen In der Nacht zum 26. Au- Vorher hatten sie in der Szene gehört, „Hallo, ich bin auch noch da!“ gust 1999 begehen Carla, was es bei der Schändung von jüdischen

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Anfang Dezember fahren beide Richtung Harz, um an einer Julfeier, der Winter- sonnenwende, teilzunehmen. Geladen hat- te die Artgemeinschaft. In diesem Zirkel verkehren die vermeintlichen Vordenker der rechtsextremen Bewegung. Der ein- getragene Verein beruft sich auf die „germanischen Sittengesetze“. Angeführt vom Hamburger Neonazi-Anwalt Jürgen Rieger, wird das „Sittengesetz unserer Art“ postuliert, dass die „gleichgeartete Gatten- wahl, die Gewähr für gleichgeartete Kin- der“ und „Härte und Hass gegen Feinde“ vorschreibt. Unter dem Deckmantel religiöser Ver- anstaltungen trifft man sich im Verborge- nen. Mitglieder der Artgemeinschaft er- halten folkloristisch klingende Einladun-

VERSION gen: „Am Sonnabend Abend findet unser Frank Rennicke ist der Barde der Be- bunter Abend um den Metkessel mit Sin- wegung. Der Ex-Funktionär der Wi- gen, Volkstanz und spontanen Beiträgen king Jugend beglückt die rechte Szene von Gefährten statt.“ Wohin die Mitglieder seit 1985 mit nationalem Liedgut. Weil fahren müssen, erfahren sie erst nach ihrer er auch Chansons von Reinhard Mey verbindlichen Anmeldung. singt, gilt er als Schlüsselfigur für den Das rechtsextreme Pärchen kommt spät Einstieg in die rechte Szene. in dem ostdeutschen Wintersportort an. Noch auf dem Parkplatz der Ferienanlage streiten sie sich. Carla will das verhasste Friedhöfen zu beachten gilt: immer Hand- Kleid nicht anziehen. Doch sie fügt sich. schuhe anziehen, dazu Gummistiefel und Der Saal des Gasthofs ist gut gefüllt. Papieroveralls, wie Lackierer sie benutzen, Etwa 150 Anhänger des neofaschistischen aus dem Baumarkt. Nach der Tat sofort Germanenkults haben sich versammelt. Als beseitigen und schweigen. erstes kommt den beiden der ehemalige In der Nacht zum 28. September 1999 Rechtsterrorist Manfred Roeder entgegen. setzen sich Mutter und Tochter wieder ins Auch Steffen Hupka, 85, ist dabei. Der Auto. Erneut fahren sie Richtung Worms. NPD-Funktionär, Ex-Führungskader der Kurz hinter einer ehemaligen Tankstelle verbotenen „Nationalistischen Front“ parken sie das Auto auf einem Feld- (NF), ist direkt nach dem Fall der Mauer weg. Handschuhe an, Spraydose aus dem nach Quedlinburg in den Ostharz gezogen. „Sondereinsatz-Koffer“, der immer im Auto Er koordiniert die neofaschistischen Akti- liegt, und los. Carla klettert auf die fast zwei vitäten in Sachsen-Anhalt. Meter hohe Mauer des jüdischen Friedhofs Auf einem Stuhl sitzt eine alte Frau, der in Alsheim, zieht ihre Tochter Tina, sie artig die Hand geben. Florentine Rost die Knieprobleme hatte, in der Dunkel- van Tonningen, 84, eng befreundet mit der heit hoch. Tochter Heinrich Himmlers, Gudrun Bur- Sie stürzen 35 Grabsteine um, einige zer- witz. Auf Wunsch erzählt sie Anekdoten brechen. Während Tina weiter Gräber von Himmler. schändet, sprüht Carla mit schwarzer Far- Die leise sprechende Frau war mit Mei- be „Juda verrecke“, „Deutschland erwa- noud Marinus van Tonningen verheiratet, che“, „Zion stirb“, ein Hakenkreuz und Sturmbannführer der Waffen-SS und im andere Symbole der rechten Szene an die Dritten Reich Präsident der niederlän- Friedhofsmauer. Wenig später verschwin- dischen Nationalbank. In ihrer Villa trafen den Turnschuhe und Spraydose im Rhein. sich über Jahre die verbliebenen Getreuen Der einsetzende Regen beruhigt sie. des verstorbenen deutschen Neonazi- Hans wird über die Aktion unterrichtet: Führers Michael Kühnen. Van Tonningen „Wir haben Gärtnerarbeiten gemacht.“ kümmert sich in den Niederlanden, wie Zwar sorgt er sich, weil der Tatort zu nah an Ursel Müller in Deutschland, um die so ge- der Wohnung der inzwischen regional be- nannten politischen Gefangenen. „Con- kannten Rechtsextremisten liegt. „Wir sind sortium de Levensboom“ heißt ihre Or- doch voll im Fahndungsraster der Polizei“, ganisation. denkt der Neonazi. Allerdings beruhigt auch Carla und Hans plaudern mit Hans-Jür- ihn der Regen, der die Spuren verwässern gen Hertlein, Landesführer des „Stahl- soll. Ein Irrtum, wie sich bald herausstellt. helm“ in Rheinland-Pfalz. Die Organisa- Hans, mittlerweile aus der Bundeswehr tion ruft in ihrem Kampfblatt „Frontsol- entlassen, widmet sich als Arbeitsloser dat“ dazu auf, für „die neue Zeit zu kämp- noch intensiver der Bewegung. Noch ein- fen“, in der Deutschland wieder eine sou- mal taucht er mit Carla, die inzwischen veräne Regierung habe. ahnt, dass die Straftaten auch zu Strafen Wenig später unterhält sich Hans mit führen, in die Welt der Neonazis ein. Jürgen Mosler, 44, Ex-Generalsekretär der

60 der spiegel 39/2000 Deutschland verbotenen FAP. Auch Frank Rennicke zu seinem Vater. Sie probieren eine Bezie- noch. Weder seine Verlobte noch deren fehlt nicht in diesem illustren Kreis. hung auf Distanz. Wieder kippt die Stim- Tochter will er belasten. In einem Hinterzimmer bieten Antiqua- mung bei Carla und Tina. Eben noch mit Er gibt zu, zu wissen, wer den jüdischen riate und Devotionalienhändler ihre Waren Begeisterung in der Neonazi-Szene, wollen Friedhof in Alsheim geschändet hat, nur feil. Unter der Hand werden auch indizier- sie jetzt von all dem nichts mehr wissen. Namen will er nicht nennen. Während Car- te Musikkassetten verkauft, etwa vom Doch Hans vermisst Carla. Nach einem la die Nacht in einer Zelle verbringt, wird „Weißen Arischen Widerstand“ (WAW). Be- Silvesterbesäufnis mit heftigem Streit ver- Tina nach Hause geschickt. Erst am nächs- vor der Kessel mit dem süffigen Honigtrank söhnen sie sich wieder. Hatte Hans seiner ten Morgen, ohne zu wissen, ob Tina sich vom Zeremonienmeister Rieger durch das Lebensgefährtin bisher mit der Glorifizie- zu ihren Taten bekannt hat oder nicht, dreimalige Leeren eines Methorns freigege- rung des Nationalsozialismus zu einem beichtet auch Carla. ben wird, müssen die Gäste den „Auftanz“, simplen Weltbild mit Überlegenheitsga- Der schweigende Hans wird mit der Be- eine Art Polonaise, absolvieren. rantie verholfen, setzt sie ihm jetzt mit boh- merkung entlassen, er werde noch von der renden Fragen zu. Warum die Nazis Polizei hören. Nach gut zwei Wochen will Der Ausstieg Bücher verbrannten, will Carla wissen, er sich dort freiwillig gemeldet und darauf wenn die Bewegung so toll gewesen ist? gedrängt haben, auszusagen. „Dann habe Am nächsten Morgen brechen beide, auf ich halt erzählt, wie das mit der Synagoge Drängen von Carla, wieder Richtung Das Urteil in Worms war“, erklärt Hans mit leiser Mainz auf. Auf erbauliche Vorträge muss Stimme. Hans verzichten. Carla plagen mittlerwei- Am Morgen des 24. Februar, um sieben Die Ermittler erfahren von ihm auch le Alpträume. Sie wird das Gefühl nicht Uhr, steht die Polizei vor ihrer Tür. Tina Hintergründe aus der rechten Szene, die los, abgehört zu werden. Zu Ursel Müller und Hans werden in getrennten Fahrzeu- nicht für die Straftaten relevant waren. Mit und der HNG war sie schon nach den gen nach Mainz aufs Polizeirevier gebracht. dieser Aussage ist Hans zum Verräter ge- Straftaten auf Distanz gegangen. Langsam Carla muss während der folgenden Haus- worden. Alle drei verzichten auf einen bröckelt der Spaß am nationalen Wider- durchsuchung in der Wohnung bleiben. Ei- Handel mit der Staatsanwaltschaft – Wis- stand und die Motivation, sich den Regeln gentlich ist sie erleichtert. sen gegen ein mildes Urteil –, hoffen aber, der Bewegung zu unterwerfen. „Mir hat Während Tina im Mainzer Polizeipräsi- dass ein Geständnis nicht von Nachteil ist. dann auch meine Musik gefehlt. Ich hab öf- dium vernommen wird, überlegt die Mut- Vier Tage nach der Hausdurchsuchung schreiben Mutter und Tochter einen Brief an die jüdische Gemeinde in Mainz und entschuldigen sich für ihre Taten. Carla gibt den Brief persönlich ab. Der ange- richtete Sachschaden, so erfahren sie im Juli dieses Jahres durch die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft aus Mainz, beträgt 20000 Mark. Es droht eine Haftstrafe von bis zu fünf Jahren. Auf einen Anwalt für den bevorstehenden Prozess am Jugend- schöffengericht in Mainz verzichten sie, „weil die Taten, die wir begangen haben, nicht zu verteidigen sind“. Hans, dem die Abkehr von der Szene schwerer fällt („Das waren ja meine Freun- de“), schreibt seinen Entschuldigungsbrief erst Ende März. So wie er sich früher die antisemitische Ideologie seines Idols Julius Streicher erarbeitet hat, erliest sich Hans nun seine Kritik am eigenen Weltbild. So wie er früher antisemitische Propaganda verbreitet hat, will er jetzt mit seinem Wis- sen über die Mechanismen und die Dyna- mik der rechtsextremen Bewegung berich- ten. Er sieht sich schon als Anlaufstelle für Journalisten. „Jeder kann bei uns seine Meinung frei Neonazi-Utensilien von Aussteiger Hans: Für die Taten entschuldigt äußern. Voraussetzung ist allerdings: Sie entspricht der von uns veröffentlichten“, ter an die Red Hot Chilli Peppers gedacht. ter, alles auf ihre Kappe zu nehmen, um lautet einer der Stempel auf den Briefen Das kannste alles nicht mehr hören“, denkt der Tochter die Zukunft nicht zu verbau- Curt Müllers, die er den dreien immer sich Carla. en. Sie hat Angst, dass Tina nach einer noch hinterherfaxt. Er fordert die aus- Immer häufiger kommt es zum Streit mit Verurteilung keine Lehrstelle bekommt. geliehenen Bücher von den ehemaligen Hans. Nachdem sich Carla ihrer Tochter Tina will erst mit Rücksicht auf Carla HNG-Mitgliedern ein. Doch das eine, anvertraut hatte, rückte sie ihre alten CDs nicht aussagen, packt dann doch aus, nach- das sie ihm noch nicht zurückgeschickt ha- und Bücher wieder nach vorne ins Regal. dem ihr die vernehmende Beamtin gesagt ben, lagert in der Asservatenkammer der Kurz vor Silvester kommt es zum Eklat mit hatte, sie wisse ohnehin schon alles. Un- Polizei. Es ist ein in Neonazi-Kreisen be- ihrem Verlobten, der inzwischen allein der terdessen ist auch ihre Mutter auf dem Weg liebtes Buch: „Gedenkstätten der Opfer Szene die Treue hält. zu ihrem Verhör. Schon auf der Fahrt zum des Nationalsozialismus“. Die aufgeführ- Carla nimmt die Heß-Plakate und Präsidium will sie alles erzählen. Nur Hans, ten Adressen dienten als Wegweiser für Führerbilder ab, stopft die antisemitischen der inzwischen auf das Polizeirevier in Attentäter. Carolin Emcke, Hetzschriften in einen Koffer. Hans zieht Mainz-Lerchenberg verlegt wurde, zögert Christoph Mestmacher

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