Corona Magazine #355 (12/2020)

Verlag in Farbe und Bunt Beschreibung & Impressum

Das Corona Magazine ist ein traditionsreiches und nicht- kommerzielles Online-Projekt, das seit 1997 die Freunde von Science-Fiction, Phantastik, Wissenschaft, Kunst und guter Unterhaltung mit Informationen und Hintergründen, Analysen und Kommentaren versorgt. Seit dem Wechsel zum Verlag in Farbe und Bunt erscheint es im zeitgemäßen E-Book-Gewand. Ab 2021 wird die Erscheinungsweise auf vierteljährlich (jeweils im März, Juni, September und Dezember) festgelegt.

Autoren Uwe Anton, Reiner Krauss (Wisser), Bettina Petrik, Thorsten Walch, Reinhard Prahl, Alexandra Trinley, Oliver Koch, Andreas Dannhauer, Lieven L. Litaer, Birgit Schwenger, Sven Wedekin, Kai Melhorn, Armin Rößler, C. R. Schmidt, Bernd Perplies, Hermann Ritter, Carsten Schmitt, Hartmut T. Klages, Frank Stein, Bastian Ludwig, Peter R. Krüger, Jacqueline Mayerhofer, Lujayne Sealya, Eric Zerm, Ansgar Imme, Jens Krohnen, Michael Kleu, R. J. DeWinter, Tim de Sade, R. M. Amerein, Michael Wilhelm, Pia Fauerbach, Mark Kammerbauer & Brandon Q. Morris

Herausgeber & Chefredakteur Der Verleger, Medienjournalist & Autor Björn Sülter schreibt Romane (Beyond Berlin, Ein Fall für die Patchwork Kids), Biographien (Hallo, Herr Kaiser! Das Leben ist wilder,

2 als man denkt) & preisgekrönte Sachbücher (Es lebe Star Trek, Die Star-Trek-Chronik), ist Chefredakteur von SYFY.de und mit Kolumnen und Artikeln aktuell bei Serienjunkies, in der GEEK! oder im FedCon Insider vertreten. Dazu präsentiert er seine beliebten Podcasts Planet Trek fm und Der dreiköpfige Affe, ist Herausgeber und Chefredak- teur des Printmagazins TV-Klassiker und als Hörbuchspre- cher (Der Earl von Gaudibert, Dunkle Begegnungen, Star Trek - The Next Generation: Q sind herzlich ausgeladen) und Moderator aktiv. Er lebt mit Frau, Tochter, Pferden, Hunden & Katze auf einem Bauernhof irgendwo im Nirgendwo Schleswig-Holsteins.

Ausgabe #355, Dezember 2020

1. Auflage, 2020 ISBN 978-3-95936-265-8 © Dezember 2020 / Alle Rechte vorbehalten.

3 in Farbe und Bunt Verlag Björn Sülter Am Bokholt 9 | 24251 Osdorf www.ifub-verlag.de / www.ifubshop.com

Herausgeber & Chefredakteur | Björn Sülter E-Book-Satz | Reiner Krauss Lektorat | Bettina Petrik & Heike Brand & René Spreer Support | Pia Fauerbach Cover | EM Cedes Cover-Foto | Copyright by CBS

Corona Webseite | www.corona-magazine.de Kontakt | [email protected]

Weitere Kontaktmöglichkeiten/Webseiten [email protected] http://www.ifub-verlag.de/ https://www.ifubshop.com/

Nachdruck und Vervielfältigung, auch einzelner Artikel oder Auszüge, ist nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages gestattet. Für unverlangt eingesandte Manuskripte, Fotos und Zeichnungen kann keine Gewährleistung übernommen werden. Namentlich gekennzeichnete Beitrage geben nur die Meinung des Verfassers wieder und stimmen nicht zwangsläufig mit den Ansichten der Redaktion und des Herausgebers überein.

4 Editorial: Lange Leitung

Liebe Leserinnen und Leser, das aktuelle Magazin hatten nicht nur Sie und meine flei- ßige Redaktion, sondern auch ich schon eine Weile früher erwartet. Doch kam mir als letztem und somit verantwortlichem Glied in der Produktionskette leider immer wieder mein, durch die immer noch wütende Pandemie, stark veränder- tes Arbeitsleben des Jahres 2020 dazwischen. Die »lange Leitung« bis zur Veröffentlichung nehme ich somit voll auf meine Kappe und gelobe Besserung. Dank meiner umtriebigen Helfer ist es nun aber doch noch gelungen, wenigstens vor Jahresende diese vierte Aus- gabe des aktuellen Kalenderjahres an den Start zu bringen:

5 Allen Beteiligten sei an dieser Stelle nochmal ein dickes Dankeschön ausgesprochen! Für 2021 planen wir übrigens mit einer neuen (und festen) Erscheinungsweise: Sie lesen uns dann vierteljähr- lich, immer im März, Juni, September und Dezember. Auch stehen einige spannende neue Ideen für das Magazin an. Sie dürfen gespannt sein. Wir freuen uns schon! Bis dahin werden wir jedoch noch einiges zu überstehen haben, klopft doch just der zweite, große Lockdown des Jahres an unsere Türen; ausgerechnet vor Weihnachten. Es bleibt uns jedoch die Zuversicht, dass 2021 nur besser werden kann. Was wir Ihnen von Herzen wünschen: Bleiben Sie derweil gesund und uns gewogen und verleben Sie trotz allem ein möglichst angenehmes Weihnachtsfest und einen (diesmal eher stillen) Jahreswechsel.

Ihr Björn Sülter Herausgeber & Chefredakteur

6 Termine: Treffen sie uns!

Die Corona-Pandemie macht auch vor unseren Messe- plänen seit rund einem Jahr nicht halt. Aus diesem Grund bitten wir leider an dieser Stelle um Geduld, bis neue und verbindliche Termine kommuniziert werden können. Wir alle hoffen auf 2021!

7 Tipps fürs Lesevergnügen

»Ich habe gar keinen eBook-Reader« ist eine häufig gehörte Aussage, wenn es darum geht warum ein phantastisch interessierter Mensch noch kein neues Corona Magazine gesehen und gelesen hat.

Beispielsweise sind Kindle Paperwhite und Tolino tolle eBook-Reader, sie können tausende von Büchern in einem schmalen, robusten Gerät mitnehmen und dank mattem eInk-Display und dezenter Hintergrundbeleuchtung sowohl in der Sonne am Strand als auch abends, ohne Taschen- lampe, im Bett lesen.

Jede Ausgabe ihres Corona Magazines kann ganz selbstver- ständlich auch auf ihrem Smartphone, iPhone oder Compu- ter geschaut und gelesen werden. Hier haben sie gar die volle Farbkraft unserer Bilder in den Beiträgen.

Wie das geht? Amazon-Kunden installieren sich idealer- weise die Kindle-App oder schauen im Browser selbst, genau wie beim Tolino webreader. Windows 10 und Apple 8 Mac Nutzer können ein lokales eBook ganz einfach im Brow- ser wie Edge, Chrome, Firefox mit EPUB-Erweiterung (Add- on) öffnen.

Schauen sie uns somit in Zukunft auf vielen Geräten und sagen sie es allen weiter, die noch nicht wussten wie sie uns lesen können und freuen sie sich somit auf ein Magazin von und in »Farbe und Bunt«.

Kindle-App für Windows und iOS https://www.amazon.de/kindle-dbs/fd/kcp

© Amazon

Tolino webReader https://mytolino.de/tolino-webreader-ebooks-online- lesen/

9 © myTolino

Ihr Reiner Krauss Autor und eBook-Gestaltung

10 Podcast Deep Inside

Wir machen Licht! Das Corona Magazine präsentiert mit Deep Inside einen eigenen Podcast zu all den Themen, die uns und Sie bereits seit über zwanzig Jahren interessieren. Von phantastischen Geschichten, Romanen, Sachbüchern oder Hörerlebnissen bis hin zu den Bereichen Wissenschaft, Kunst oder Popkultur deckt Gastgeber Reiner Krauss (Wisser) alle Bereiche der Phantastik mit spannenden Gästen ab.

Via Anchor:

11 https://anchor.fm/deep-inside-by-corona-magazine

Via RSS-Feed: https://rss.acast.com/deep-inside

Via Soundcloud: https://soundcloud.com/user-104747826

Und auf der Homepage: http://corona-magazine.de/der-podcast/

12 Podcast Planet Trek fm

Ein weiterer Podcast, der vom Verlag in Farbe und Bunt präsentiert wird, ist seit 2017 Planet Trek fm von und mit Björn Sülter. In bisher über 50 Ausgaben bespricht der Moderator und Gastgeber mit seinen illustren Gästen wie den Autoren und Übersetzern Christian Humberg, Mike Hillenbrand oder Claudia Kern alle Themen rund um Trek, die uns Fans ohne- hin im Kopf herumschwirren. Neben übergeordneten Themen gibt es auch immer fri- sche Besprechungen aktueller Serienepisoden; kritisch, humorvoll, aber immer fair.

Via Webpage: http://www.planettrekfm.de

13 Via Soundcloud: https://soundcloud.com/user-412263487

Via RSS-Feed: https://rss.acast.com/planet-trek

14 Topthema Im Grenzland einer Utopie: Roddenberrys Visionen und andersdenkende Trekkies von Thorsten Walch

Star Trek-Schöpfer Eugene Wesley »Gene« Roddenberry (1921-1991) und der afro-amerikanische Menschenrechtler und Baptistenpastor Dr. Martin Luther King (1929-1968) waren Zeitgenossen. Doch sie hatten noch eine andere Gemeinsamkeit: Beide Männer hatten einen Traum, dessen Essenz trotz der unterschiedlichen Schwerpunkte ihres Schaffens doch in vielerlei Hinsicht die gleiche war.

Zwei Männer und zwei Frauen

Leider ist nicht überliefert, ob die beiden genannten Herren sich jemals persönlich begegnet sind.

Doch Nichelle Nichols, die legendäre Darstellerin der Lt. Nyota Upenda Uhura aus der klassischen Star Trek-Originalserie Raumschiff Enterprise, hat King einmal persönlich getroffen. Gern erzählt sie auf Conventions und in Interviews davon, wie hoch der berühmte Bürgerrechtler die Serie geachtet und sie dazu überredet hat, ihre Mitwirkung in Star Trek nicht nach der ersten Staffel zu beenden. Die Mitwirkung in jener Science-Fiction-Show, in

15 der es neben weißen Amerikanern auf den Posten des Captains und des Bordarztes und einem Schotten im Maschinenraum auch einen außerirdischen Ersten Offizier, einen japanischen Steuermann, einen russischen Waffenoffizier und eben einen – zudem auch noch weiblichen – afro-amerikanischen Kommunikationsoffizier auf der Brücke des Raumschiffs zu sehen gab. Und das in einer Zeit, in der man Menschen dieser Ethnien allgemein entweder als Feinde oder bestenfalls als Dienstpersonal ansah und Frauen gerade erst mit dem organisierten Kampf für ihre Gleichstellung begonnen hatten.

»Mum, komm schnell! Im Fernsehen ist eine schwarze Lady, und sie ist kein Dienstmädchen!«, rief ein damals 11-, vielleicht 12-jähriges afro-amerikanisches Mädchen namens Caryn Elaine Johnson erfreut durch das ganze Haus in New York City. Das Mädchen wurde später unter seinem Künstlernamen Whoopi Goldberg ein Weltstar und spielte eine wichtige Rolle in der zweiten Star Trek-Serie Raumschiff Enterprise – Das nächste Jahrhundert (1987–1994) – die der weisen und geheimnisvollen Guinan.

Leider erlebte King den weltweiten Siegeszug der von ihm gewissermaßen protegierten Serie nicht mehr – am 4. April des Jahres 1968 wurde er in Memphis, Tennessee von dem mehrfach vorbestraften, polizeibekannten Rassisten James Earl Ray erschossen. Ein paar Tage zuvor, am 29.03.1968, war mit der Episode Ein Planet, genannt Erde gerade die zweite Staffel der Serie Raumschiff Enterprise (1966–1969) zu Ende gegangen.

Wir haben einen Traum

16 Doch der vielzitierte Traum von King lebte auch nach seinem Tod weiter und ging auch in dem Star Trek-Universum, das Roddenberry weiterentwickelte, auf. Der Traum davon, dass irgendwann einmal alle Menschen gleich sein würden, ungeachtet ihrer Hautfarbe, ihrer Herkunft, ihres Bildungsstandes und ihrer Religion. Mit letzterer, das weiß man, hatte der überzeugte Atheist Roddenberry seine Probleme. Doch ging es ihm dabei weniger um den persönlichen Glauben oder die Spiritualität eines jeden Einzelnen, sondern um die vielen Gräueltaten, die auch Ende der 1960er-Jahre schon/noch im Namen verschiedener Weltreligionen begangen wurden.

Roddenberry konnte die viele Ungerechtigkeit auf der Erde freilich ebenso wenig ändern wie der verstorbene King. Doch Roddenberry vermochte von einer Zukunftswelt im 23. Jahrhundert zu erzählen, in der sein und auch Kings Traum wahr geworden war – jedenfalls auf der Erde. Dort hatte man den viele Jahrhunderte währenden Nationalismus mittlerweile überwunden, und einzelne Staaten gab es nur noch dem Namen nach. Sie alle unterstanden einer demokratisch gewählten Weltregierung. Statt auf Kriegstechnologien hatten sich die Menschen nach einem verheerenden Atomkrieg im frühen 21. Jahrhundert, den die Menschheit nur mit Mühe und Not überleben konnte, auf den Ausbau der Raumfahrtwissenschaften konzentriert und schließlich die Warp-Technologie entwickelt, die ihnen Flüge zu anderen, weit entfernten und ebenfalls bewohnten Sternen ermöglichte.

17 Der Rest der Geschichte ist hinreichend bekannt: Die Serie und die zehn Jahre nach dieser gestartete Kinofilm-Reihe wurden im Nachhinein ein ungeheurer Erfolg. Und die Fans der Serie, die sich stolz »Trekkies« nannten (und damit als erste Fangemeinschaft einer Science-Fiction-Serie einen Eintrag im renommierten Oxford English Dictionary erhielten), versuchten, Roddenberrys Philosophie in das wahre Leben zu übertragen und dort auszuüben, so gut es eben ging. Viele bahnbrechende Entwicklungen, unter vielem anderen die heutigen Handys und Smartphones, gingen aus dem Grundgedanken der Serie Raumschiff Enterprise hervor, die im Lauf der Jahre dank weiterer Fernsehserien und Filme zu einem gewaltigen Franchise heranwuchs. Doch das war leider nicht das Ende der Geschichte.

Das wird man ja wohl noch sagen dürfen …

Star Trek war immer ein Kind seiner Zeit und setzte in seiner Handlung unterschiedliche Schwerpunkte. Da die reine Schilderung einer friedlich gewordenen Galaxis zumindest allein naturgemäß nicht für spannende Unterhaltung ausreichte, beleuchtete man in der Serie von Anfang an die nach wie vor bestehenden Konflikte der Wirklichkeit auf metaphorische Weise. Wurde in der klassischen Originalserie vorwiegend der Kalte Krieg zwischen den beiden damaligen Supermächten thematisiert, ging es in Das nächste Jahrhundert oftmals um die immer weiter voranschreitende Automatisierung, während man in Star Trek: Deep Space Nine (1993–1999) den niemals völlig überwundenen Faschismus

18 thematisierte. So widmete sich jede der neuen Serien den zentralen Themen ihrer jeweiligen Entstehungszeit.

Nachdem es eine ganze Weile den Anschein gemacht hatte, dass die (reale) Menschheit wirklich mit kleinen Schritten auf eine Zukunft à la Star Trek zugegangen sei, wendete sich das Blatt ausgerechnet mit Beginn des neuen Jahrtausends. Plötzlich gewannen überall auf der Welt radikale Ideologien, die viele Leute für längst überwunden gehalten hatten, wieder zunehmend an Kraft; plötzlich war wieder verstärkt die Rede von »uns« und den »anderen«, die nicht zu »uns« gehören – oftmals ohne klar zu definieren, warum und weshalb.

Als sei diese Entwicklung per se nicht schon bedrohlich genug, kristallisierte sich in der Star Trek-Fanszene ein ebenso belastendes wie merkwürdiges Phänomen heraus: Auch unter den Trekkies gab es plötzlich Leute, die besagten extremen Ideologien nicht abgeneigt schienen; der Autor dieses Artikels nennt sie nachfolgend hin und wieder die »andersdenkenden« Trekkies. Während der Großteil der Fans der Meinung war, dass dergleichen nicht mit der Roddenberry’schen Philosophie vereinbar sei, glaubten die andersdenkenden Trekkies, durchaus positive Entsprechungen bezüglich der jeweiligen aktuellen Situation im Star Trek-Universum gefunden zu haben. War etwa die Sternenflotte nicht auch manchmal ziemlich rigoros gegen Eindringlinge von außen vorgegangen, die die Föderation zu unterwandern drohten? Und trat man Meinungen, die gegen das Oberkommando gerichtet waren, nicht auch in der Welt von James T. Kirk () und Jean-Luc Picard (Patrick Stewart) recht entschieden

19 entgegen? Schließlich hatte dieser Arterhaltungstrieb ja nichts mit Extremismus zu tun. Natürlich war man gerade als (andersdenkender) Trekkie ja kein Faschist, aber …!

Sachlich betrachtet jedoch hinken alle diese Vergleiche, gerade in Bezug auf die Philosophie von Star Trek. Roddenberry hatte bereits in den 1960er-Jahren bei der Konzipierung der klassischen Originalserie sehr klar Stellung bezogen, welche Haltung in ihr transportiert werden würde. Natürlich lassen sich manche Episoden unterschiedlich interpretieren und auf die eine oder andere Weise betrachten, doch zur Unterstützung von extremistischen Ideologien taugt keine einzige der darin getroffenen Aussagen.

Bele jagt Lokai

Eins der offenkundigsten und am meisten bezeichnenden Beispiele für die Haltung gegenüber dem Faschismus im Star Trek-Universum ist die Episode Bele jagt Lokai, Folge Nummer 15 der dritten Staffel der klassischen Originalserie. Die Crew der Enterprise nimmt das verletzte humanoide Alien Lokai (Lou Antonio) vom Planeten Cheron an Bord, dessen Haut auf der linken Körperseite schwarz und auf der rechten weiß ist. Einige Zeit später kommt das Alien Bele (Frank Gorshin) an Bord des Schiffs, dessen Körper ebenfalls eine schwarze und eine weiße Seite hat. Allerdings ist Beles Haut rechts schwarz und links weiß. Im Lauf der Handlung muss die Enterprise-Crew erkennen, dass Beles Volk das von Lokai seit Jahrtausenden grundsätzlich allein wegen des geringfügigen Farbunterschieds unterdrückt und jagt. Am bitteren Ende

20 bleibt die Erkenntnis, dass der unsinnige Krieg den Planeten Cheron schon lange verwüstet und unbewohnbar gemacht hat.

Deutlicher kann man es eigentlich nicht ausdrücken, oder? Die Gründe für den Faschismus in dieser Folge sind absolut nichtig und liegen in der Fehlannahme begründet, die unterjochte Gruppe nähme den Unterdrückern etwas weg und auch umgekehrt. »Ganz so einfach ist es in der Wirklichkeit aber nicht!«, argumentieren besagte andersdenkende Trekkies da natürlich und nennen vielerlei Gründe dafür, warum in der Vergangenheit bis in die Gegenwart hinein bestimmte kulturelle und gesinnungsmäßige Gruppen ausgegrenzt und angegriffen werden. Haltbar ist spätestens auf den zweiten Blick keiner dieser Gründe. Oder ist es etwa wirklich so gefährlich und bedrohlich, dass es unter Menschen mehr als nur eine einzige Hautfarbe gibt?

Vier Lichter … oder fünf …?

Auch in Das nächste Jahrhundert bezogen die Macher deutlich Position. Eine der eindringlichsten Folgen zum Thema Faschismus, diesmal mit Fokus auf dessen unmenschliche Methodik, ist die Doppelfolge Geheime Mission auf Celtris Drei – Teil 1 und Teil 2, die die zehnte und elfte Episode der sechsten Staffel darstellt. Picard gerät darin in die Fänge des sadistischen cardassianischen Gul Madred (David Warner), der ihn sowohl körperlich als auch seelisch foltert, um an geheime Informationen zu gelangen. Da Folter ein fester Bestandteil der cardassianischen

21 Methodik ist, bringt Madred gar seine kleine Tochter zu einer der unmenschlichen Sitzungen mit. Eins der Ziele ist das Brechen von Picards Willen: Ihm werden vier Lichter gezeigt, und der Folterer besteht darauf, es handle sich um fünf. »Ich sehe vier Lichter!«, brüllt ihm der Captain nach seiner Befreiung am Ende der Folge mit brechender Stimme ins Gesicht.

Aha, liebe andersdenkende Trekkies ... Ihr denkt, es würde gar nicht sonderlich schaden, wenn in diesem und auch in allen anderen Ländern der freien Welt eine Regierung an die Macht käme, die »härter durchgreift« als es die aktuelle Politik tut? Die »den anderen« nicht mehr alles durchgehen lässt und »da anpackt, wo es nötig wäre«? Darf man sich das Ganze in etwa so vorstellen wie in dieser Folge? »Das sind schließlich die Cardassianer in der Serie, und da schwingt jede Menge echte Hollywood-Dramatik mit!«, sagen einige von euch. Nein, die gezeigten Methoden sind allesamt echt und finden bis heute in totalitären Staaten auf dieser Welt ihre Anwendung. Staaten, denen ihr in euren Denkmustern zuweilen Vorbildcharakter zugesteht.

Schuldfragen

Eine der erschütterndsten Anklagen von Faschismus und Extremismus findet sich in Deep Space Nine. Die 19. Folge der ersten Serienstaffel, Der undurchschaubare Marritza wird mitunter sogar von Lehrpersonal zur Veranschaulichung der Thematik herangezogen. Auf der Station will sich ein liebenswerter älterer Cardassianer gegen eine Erkrankung behandeln lassen. Es

22 stellt sich heraus, dass der vermeintliche kleine Beamte Aamin Marritza (Harris Yulin) in Wahrheit der gesuchte Kriegsverbrecher Gul Darhe’el ist, der im cardassianischen Konzentrationslager Gallitep unvorstellbare Gräuel an den bajoranischen Insassen begangen hat. Zuletzt kommt jedoch die Wahrheit ans Tageslicht: Der Mann war in Wirklichkeit nur ein kleiner Beamter in dem gefürchteten Lager. Seit er die dortigen Schrecken miterlebt hat, will er an Stelle des bereits toten Lagerleiters für dessen Verbrechen büßen.

Hier bedarf es wohl keines weiteren Kommentares, höchstens jenem, dass jeder »andersdenkende« Trekkie die Folge dringend nachholen sollte, falls er sie noch nicht kennt, oder einfach wieder einmal die DVD hervorholen.

Der »Spaß« am Krieg

Das Tötungsspiel ist erneut eine Doppelfolge; sie beinhaltet die Episoden Nr. 18 und 19 der vierten Staffel von Star Trek: Raumschiff Voyager (1995–2001). In diesen haben die kriegerischen Hirogen die Crew der Voyager gefangengenommen und lassen die Mitglieder mit gelöschtem Gedächtnis unter anderem in einer Holodeck-Simulation des von den Nazis besetzten Frankreich agieren. Selbst die hartgesottenen Hirogen müssen dabei schließlich erkennen, dass Krieg alles andere als nur ein Spiel ist.

Obwohl der Actionfaktor in Das Tötungsspiel natürlich eine Rolle spielt, behandelt die Folge auch einen anderen Aspekt: den Fehler, Krieg, Faschismus und auch

23 Extremismus nicht ernst genug zu nehmen, nur weil der letzte Ausbruch möglicherweise schon eine relativ lange Zeit zurückliegt. Man mag aus seinen Fehlern lernen können, zu jeder Zeit. Ob man das allerdings auch wirklich getan hat, ist und bleibt eine andere Frage; ebenso, ob dergleichen in den Augen mancher wirklich eine Glorifizierung verdient.

Keine Unterschiede

Natürlich widmete man sich der schwierigen Thematik auch in der fünften Star Trek-Serie Star Trek: Enterprise (2001–2005). In In sicherem Gewahrsam, Folge 21 der ersten Staffel, treffen Captain Jonathan Archer (Scott Bakula) und seine Crew auf das menschenähnliche und äußerst totalitäre Volk der Tandaraner, das sämtliche Angehörige der Suliban in Internierungslager steckt, unabhängig davon, ob diese zur gefährlichen Terrororganisation Cabal gehören oder lediglich harmlose Zivilisten sind.

In dieser Episode geht es im Großen und Ganzen um das Thema »Verallgemeinerung«. Sind alle Angehörigen einer Minderheit, einer Gruppe, eines Volkes, einer Ethnie Feinde, weil es eine gewalttätige Fraktion unter ihnen gibt? Gibt eine derartige Fraktion irgendjemandem das Recht dazu, Generalverdacht auszusprechen und sämtliche Zugehörige zu hassen, zu bekämpfen und auszugrenzen oder, schlimmer noch, auslöschen zu wollen? Wie allein schon die Bezeichnung »Suliban« verheißt, stellte man hier eine Metapher zu den damaligen Taliban her – und packte damit ein heißes Eisen an.

24 Schlachtvieh

Wie Negativität in beide Richtungen vonstattengehen kann, ist in Star Trek: Discovery (seit 2017) gut an der Figur des Kelpianers Saru (Anthony Rapp) zu erkennen. Die Kelpianer sind ein Volk mit naturgegebener Dauerangst. Dies rührt daher, dass sie auf ihrer Heimatwelt Kaminar als Nahrungsquelle für die ihnen überlegenen Ba’ul quasi gezüchtet und ab einem bestimmten Alter »geerntet« werden. Saru ist diesem Schicksal nur durch seinen Weggang zur Sternenflotte entkommen. In der Folge Donnerhall aus der sechsten Episode der zweiten Staffel kehrt Saru nach vielen Jahren »offworld« auf seinen Heimatplaneten zurück und muss erkennen, dass sein Volk den jetzigen Aggressoren und Unterdrückern einmal haushoch überlegen gewesen ist und durch dessen schnelleren technischen Fortschritt nun gewissermaßen die Quittung für sein früheres Verhalten erhält.

Haben einstige Unterdrückte das Recht dazu, bei passender Gelegenheit ihrerseits ihre früheren Unterdrücker zu unterdrücken? Schaut man genauer hin, erkennt man auch hier ziemlich viele Parallelen zur Wirklichkeit und kann, wenn man dazu geneigt ist, lernen, dass auch bei ungleichmäßiger Verteilung von Kräften eine gesunde Mitte entstehen kann, wenn man sich entsprechend bemüht.

Aufstand der Sklaven

Offene Sklaverei ist glücklicherweise bis auf wenige schlimme Ausnahmen in den meisten Ländern dieser Welt in der heutigen Zeit kein Thema mehr. Doch bedeutet das

25 Ende der Sklaverei nicht automatisch auch das Ende von Ausbeutung, auch nicht in der vermeintlich positiven Star Trek-Zukunftswelt. Bereits in den beiden ersten Folgen der bislang noch neuesten, diesjährigen Star Trek-Serie Star Trek: Picard, Gedenken und Karten und Legenden wird dies thematisiert. Nach einem Aufstand der Androiden nach dem Vorbild des verstorbenen Lt. Commander Data (Brent Spiner) ist die Erschaffung jeglicher künstlicher Lebensformen in der Sternenflotte verboten. Nur ungenügend stellt man sich dabei die Frage, ob der verheerende Aufstand der Androiden nicht auch durch die Unterschätzung von deren Fähigkeit zu empfinden und durch ihre Ausbeutung mitverursacht worden sein kann.

Die Parallelen liegen auch hier auf der Hand: Zwar gibt es in der realen Welt (noch) keine Androiden, dafür aber Ausbeutung. Und insbesondere die Verfechter von Ideologien, denen mitunter auch genannte andersdenkenden Trekkies zugetan sind, setzen sich mehr oder weniger offen für eine Fortsetzung von Ausbeutung ein, auch wenn das Ganze meist andere und weit klangvollere Namen als »moderne Sklaverei« trägt.

Andersdenkende Trekkies

Dies waren nur ein paar Beispiele dafür, wie Star Trek in all seinen Inkarnationen Stellung zum Thema Extremismus und auch Faschismus bezieht. Verständnis für derartige Ideologien findet sich nirgends, es sei denn, jemand möchte sich etwa die Vorgehensweise der Cardassianer mit aller Macht schönreden.

26 In Star Trek geht es seit jeher um ein friedvolles Miteinander. Dass dieses selbst unter den besten Voraussetzungen niemals ohne Konflikte stattfinden kann, war auch Roddenberry, King und all ihren Nachfolgern klar. Die Frage lautet stets: »Wie dann?« Durch die Unterdrückung derjenigen, die diese Konflikte real oder auch nur vermeintlich verursachen? Oder nicht viel eher durch eine sinnvolle Auseinandersetzung mit den Problemen, die mit diesen Konflikten einhergehen? Die Fähigkeit, Kritik zu üben ist wertvoll und sollte auch bei passenden Gelegenheiten angewendet werden. Doch die Kunst des Kritisierens besteht in der Sachlichkeit, nicht in Ausführungen, die unpassende Vergleiche anstellen.

Nein, nicht alle Menschen denken so. Aber zumindest Trekkies sollten es tun, denn diese Fan-Bezeichnung beinhaltet vieles, was auch in der realen Welt außerhalb der Fernsehbildschirme, Kinoleinwände oder Buchseiten Relevanz besitzt. Toleranz und Sympathie für Ideologien der Ausgrenzung und Unterdrückung jedoch ganz sicherlich nicht.

In diesem Sinn: Live Long And Prosper!

27 Echo Station – Die Star-Wars-Ecke

Ressortleiter Reiner Krauss

Herzlich willkommen zu dieser Rubrik im Corona Magazine, die ganz in der Tradition unserer Star-Trek-Ecke Unendliche Weiten das andere große Sternenfranchise beleuchten wird.

Federführend ist in diesem Bereich unser Redakteur Reiner Krauss, den Sie bereits von seinen kenntnisreichen und spannenden Wissenschaftsartikeln kennen. Wir wünschen gute Unterhaltung!

28 Spotlight: Künstler auf die Bühne – Filmlocation und die Restauration von »Lars Homestead«

von Lujayne Sealya (Jasmine Messerle)

Kennen Sie sie? Die faszinierende Art von Künstlern aus dem Fandom, die man auf diversen Events das ganze Jahr über trifft und deren Kreationen einen auch auf den virtuellen Tummelplätzen wie Facebook oder Instagram immer wieder zum Staunen bringen? Die Autorin dieses Artikels findet, es gibt da draußen sehr viele talentierte Cosplayer, Propmaker, Sammler, Fotografen, Designer, Zeichner, Illustratoren, Autoren etc., die ihre Leidenschaft mit sehr viel Herzblut pflegen, und einige davon stellt sie Ihnen in dieser Interview-Reihe des Corona Magazine vor!

29 Neben einem Interview mit einem der Hauptverantwortlichen des diesmal thematisierten Projekts finden Sie in diesem Artikel anschließend sogar die dazugehörigen Reisetipps!

Tatooine – fiktiver Schauplatz des »Lars Homestead«

Thomas Schuster, ein Kamerad der Austrian Garrison der 501st Legion, trifft man auf Events in seinem filmakkuraten Tusken-Räuber- und -Kostüm, und er ist auch in Sachen Charity sehr engagiert. Was ihn aber besonders macht: Zusammen mit seinem Team von Discover Tatooine hat er es sich zum Ziel gesetzt, die -Filmkulissen in Tunesien für die kommenden Generationen zu schützen und zu erhalten. Welchen besonderen Stellenwert Tunesien alias Tatooine innehat, lässt sich leicht aufzählen: Das bombastische Finale der Skywalker-Saga wurde mit den letzten Minuten von Star Wars: Der Aufstieg Skywalkers (2019) vor dem sogenannten berühmten »Lars Homestead« beendet. Luke Skywalkers (Mark Hamill) Blick zu den zwei Sonnen Tatooines, begleitet von John Williams' Soundtrack-Stück Binary Sunset ist wohl eine der legendärsten Szenen der gesamten Filmgeschichte. Und genau an diesem Ort wurde am 22.03.1976 die erste Szene in der Geschichte von Star Wars gedreht. Aus diesen Gründen ist die domförmige Kinderstube von Skywalker seit jeher ein Pilgerort für Star Wars-Fans aus der ganzen Welt, und Schuster hat einiges dazu zu erzählen.

Jasmine Messerle (JM): Hallo, Thomas! Wie kamt ihr denn auf die Idee, eine Filmkulisse mitten in der Sahara zu renovieren?

30 Thomas Schuster (TS): Dane Braun, unser Tunesien-Experte, besuchte dieses einzigartige Land bereits mehrere Male. Zusammen mit seinen Freunden von Star Wars Tunisia war er bereits Teil von mehreren Projekten, sei es nun eine Dokumentation für RTL, das von Pharrell Williams gepushte Video Happy (we are from Tatooine) oder die Förderung des Save Mos Espa-Projekts, das die berühmte Filmkulisse vor einer tonnenschweren Wanderdüne bewahrte. Leider schenkten die lokalen Behörden einer anderen, einer unscheinbaren kleinen Filmkulisse in der Salzwüste Chott El Djerid nicht so viel Aufmerksamkeit – nämlich dem »Lars Homestead«. Die Wiege von Star Wars, die zuletzt 2012 von Fans renoviert worden ist, war während Brauns Expeditionen in einem sehr schlechten Zustand.

JM: Warum ist es für euch vor allem so wichtig, das Lars Homestead in Stand zu halten?

TS: Am 22.03.1976 starteten die Dreharbeiten in der Salzwüste Chott El Djerid in der Nähe von Nefta. Die Sets wurden von John Barry und seinen Handwerkern gebaut, und für die erhielt er später zusammen mit Norman Reynolds und Leslie Dilley auch einen »Oscar«. Lars Homestead gilt somit als die Wiege von Star Wars. Nach den Dreharbeiten 1976, im Laufe der folgenden Jahre, wurde die aus Hasendraht gefertigte Kuppel vollständig zerstört und hinterließ nur einen Krater. Im Jahr 2000 kehrte Lucasfilm an exakt die gleiche Stelle zurück und baute auf Bitten des Star Wars-Archäologen David West Reynolds Lars Homestead am Geburtsort von Star Wars wieder auf. Nun

31 liegt es an den Star Wars-Fans, die Holzkonstruktion aus dem Jahr 2000 für kommende Generationen zu bewahren.

© Star Wars Fans Nürnberg e.V. | Lars Homestead, Chott El Djerid, Tunesien

JM: Wer gehört alles zum Renovations-Team von Discover Tatooine?

TS: Unser Team besteht aus Braun und seiner Frau Iness Brouk, die aus Tunesien stammt und uns sprachlich immer zur Seite steht. Ich persönlich kümmere mich derzeit um die Öffentlichkeitsarbeit. Bei den Projekten vor Ort unterstützen uns regelmäßig Fans aus aller Welt, hauptsächlich natürlich aus Tunesien.

JM: Wie sah denn das Set aus, als ihr in der Wüste ankamt?

32 TS: Als wir »Lars Homestead« erreichten, war es in einem sehr schlechten Zustand. Auf der linken Seite des Eingangs klaffte ein riesiges Loch. Die gesamte linke Seite des hölzernen Bodenrings war vom Wasser in den Wintermonaten unterspült worden, was die Stabilität der gesamten Holzkonstruktion gefährdet hat. Die unteren Fassadenteile waren durch das Salzwasser der Wintermonate erodiert. Und die vielen Löcher an der oberen Fassade, entstanden durch kletternde Star Wars-»Fans«, rundeten das schlechte Gesamtbild ab.

JM: Wie viel Planung war notwendig, um ein derartiges Renovationsprojekt zu verwirklichen?

TS: Braun hat die Langzeitplanung übernommen. Durch seine leitende Position in der Rebel Legion hatte er die notwendigen Connections, um ein ehrenamtliches Renovationsteam aufzubauen. Seine Frau war als unsere Sprach- und Kulturexpertin dabei, was vor allem bei der schwierigen Suche nach Baumaterial dringend notwendig war. Bei einem Besuch vor Ort haben wir die Schäden aufgezeichnet. Nach zwei Tagen hatten wir die notwendigen Baumaterialien zusammen, und es ging an die Arbeit.

33 JM: Wie habt ihr die Kuppel bei euren Arbeiten geschützt?

TS: Das wichtigste Ziel war, die Statik der Holzkonstruktion wiederherzustellen. Dafür wurde der herabgesackte hölzerne Fundamentring angehoben und mit Ziegelsteinen gestützt. Diese Steine sind nicht so anfällig für die winterliche Bodenerosion. Da die Kuppel in den Wintermonaten oft im Salzwasser steht, war es uns ein großes Anliegen, auch die untere Fassade wiederherzustellen. Da wir bei unseren Besichtigungen immer wieder auf rostige Drahtgitter gestoßen sind, haben wir die untere Fassade der Kuppel diesmal mit einem Kunststoff-Armierungsgewebe unterlegt. Die Test-Zone auf der Rückseite der Kuppel hat die letzten beiden Jahre gut überstanden. Auch Löcher wurden mit Verputz gestopft, und mit lokalem Sand haben wir die Fassade an die umliegenden Farbtöne angepasst. Eine vollständige Fassade 34 ist wichtig, um die Holzkonstruktion vor den bis zu 50 Grad hohen Temperaturen sowie dem Salzwasser in den Wintermonaten zu schützen.

JM: Es muss sicher ein Wahnsinnsgefühl sein, wenn man sich im filmakkuraten Tusken-Räuber-Kostüm an einem Original-Star Wars-Drehort befindet …

TS: Nun, bei der Kuppel selbst braucht man kein Kostüm. Der abendliche Blick zum Sonnenuntergang und in die unendlichen Weiten der Wüste ist der heilige Gral für Star Wars-Fans. Natürlich war es mir aber ein besonderes Anliegen, mein Kostüm mitzuführen. Vor allem in der Star Wars-Schlucht nördlich von Tozeur konnte sich das Kostüm vollständig entfalten. In der Schlucht konnte man an jeder Ecke eine andere Szene von Krieg der Sterne (1977) nachstellen und miterleben. Ein fantastisches Gefühl.

35 JM: Was sind die Pläne von Discover Tatooine für die Zukunft?

TS: Abgesehen von neuen Renovierungsprojekten ist es nun vor allem wichtig, Öffentlichkeitsarbeit zu leisten. Während Länder wie Irland oder Jordanien den Wert von Star Wars erkannt haben und ihre Drehorte auch schützen, werden die Pop-Kulturschätze in Tunesien noch immer stiefmütterlich behandelt. Es gilt nun, Tunesien zu beweisen, dass Star Wars seinen Ursprung in Chott El Djerid hat und dass die großartigen Filmkulissen und Drehorte von Fans in aller Welt geschätzt werden. Erste Erfolge haben wir bereits erzielt, als wir 2019 vom Star Wars-Prequel-Produzenten Rick McCallum in sein Büro eingeladen wurden. Dieser war begeistert, dass sich Fans um seine ehemaligen Kulissen kümmern. Auch Lucasfilm

36 wurde bereits auf Tunesien aufmerksam und lud uns zur Star Wars Celebration nach Chicago ein, wo wir zwei Vorträge halten durften. Je bekannter eine Filmkulisse wird, umso besser steht es um ihre Erhaltung. Das hat auch Save Mos Espa gezeigt. Nun gilt es, auch unbekannte Orte wie das Lars Homestead oder die Chalmuns Cantina in Ajim vor dem Verfall zu bewahren.

Die Redaktion bedankt sich herzlich für das Interview!

Wer jetzt Lust verspürt, die surreal-wunderschönen Landschaften Tunesiens auf den Spuren von Star Wars selbst zu entdecken, findet nachstehend Informationen zu den Film-Locations in Tunesien samt exakter Ortsangaben. Der Text stammt von Schuster und Messerle, die Fotos stammen von Braun und Schuster.

01 – Tosche Station/

Location: Sidi Jemour mosque (auch bekannt als »Jemour« bzw. »Jmour«) Set: Tosche-Station/Anchorhead/Mos Eisley GPS-Koordinaten: 33.831462, 10.748124 (geeignet zur Google Earth-Suche)

37 Betreten Sie Mos Eisley, wie es einst Skywalker in seinem tat. Die seitlichen Mauern der Moschee »Sidi Jemour« lassen einen sofort erkennen – man befindet sich in Mos Eisley. Doch auch ein Spaziergang zum Meer schadet nicht: Blickt man nun auf die Moschee, so erhebt sich vor einem die Tosche-Station, bekannt aus den gestrichenen Szenen von Krieg der Sterne. An dieser Stelle fand am 04.04.1976 der letzte Drehtag mit Garrick Hagon (Biggs Darklighter), Anthony Forrest (Fixer) und Koo Stark (Camie Loneozner) statt. Der Zustand der Moschee ist noch immer sehr gut, da sie von den religiösen Einheimischen gehegt und gepflegt wird. Lediglich eine neu errichtete Mauer trennt einen vom Eingang zur Tosche-Station. Alle anderen Bereiche sind außerhalb der Gebetszeiten jederzeit begehbar, und von der Plattform hat man denselben Ausblick zum türkisfarbenen Meer, wie ihn 1976 auch Hamill genoss.

38 02 – Ben Kenobis Haus

Location: Fischerhütte am Strand des Golf von Gabès; 4 km nördlich von Ajim Set: Ben Kenobis Haus GPS-Koordinaten: 33.740877, 10.734922

Auf dem Weg von Sidi Jemour nach Ajim sollte man auf alle Fälle bei dieser kleinen unscheinbaren Fischerhütte stehenbleiben. Denn Fans der »non CGI«-Star Wars-Filmen wird sie sich sofort als das Haus von Ben Kenobi (Alec Guinness) offenbaren. Im Film scheint es, als würde sich die Hütte inmitten einer unendlichen Wüste befinden. (Indiana Jones und der Tempel des Todes) erreichte diese Illusion durch eine entsprechend tiefe Kameraposition.

39 Leider wurde die legendäre Außenaufnahme 1997 durch ein digitales Bild ersetzt. Die innen stattfindenden Szenen von Kenobis Haus wurden in England aufgenommen. Der Zustand der Hütte ist sehr gut. Die Fassade wurde erst kürzlich von Fans geflickt. Lediglich ein Fenster kam in den letzten Jahrzehnten dazu.

03 – Chalmuns Cantina/Mos Eisley

Location: Ajim auf der Halbinsel Djerba Set: Chalmuns Cantina, Start Millennium Falke, Stormtrooper Checkpoint GPS-Koordinaten: 33.724005, 10.750008 (Cantina), 33.723675, 10.749219 (Checkpoint/Start des Falken)

Die Szenen in Mos Eisley wurden zwischen 02.04. und 03.04.1976 aufgenommen. Einheimische wurden damals als 40 Jawas, Tusken-Räuber, Piloten oder Roboter engagiert, um Leben auf die Straßen von Mos Eisley zu bringen. Das Gebäude der Cantina wurde 1976 um einen erweiterten Eingang ergänzt. Dieser ist schon seit Jahrzehnten nicht mehr vorhanden. Auf der kleinen Terrasse links neben dem Eingang stand 1976 der Taurücken. Die Cantina selbst dient derzeit als Lagerraum für die hiesige Baustelle. In Ajim ist gerade das Suchen von Analogien der Reiz. Bestand die Gegend 1976 fast ausschließlich aus kuppelförmigen Bauten, so sind diese in den letzten 42 Jahren durch den modernen Baustil ersetzt worden. Trotzdem lassen sich rund um die Chalmuns Cantina legendäre Szenen wie der Start des Millennium Falken nachstellen. Einen Häuserblock südwestlich der Cantina findet man diesen berühmten Straßenzug. Das hohe linke Gebäude und die Kuppel am Ende des Straßenzuges sind noch im selben Zustand wie 1976. Die lange rechte Mauer wurde in den letzten Jahrzehnten um zusätzliche Elemente erweitert. In dieser Straße fielen auch zum ersten Mal in der Geschichte von Star Wars die berühmten Worte »These aren't the droids you're looking for!«. Leider wurde die Cantina noch immer nicht renoviert. Selbst Teile des Dachs sind bereits eingestürzt. Der Zustand wurde vom Discover Tatooine-Team im Jahr 2018 mit einer Drohne aufgenommen und an die entsprechenden lokalen Behörden weitergegeben. Lokale Star Wars-Fans haben das Gebäude mit Airbrush-Markierungen (»Star Wars Filming Location«) versehen, um Einheimische auf die Wichtigkeit der alten Bäckerei hinzuweisen.

41 04 – Untere Mos Espa-Sklavenquartiere/Darth Vaders Geburtshaus

Location: Ksar Medenine in der gleichnamigen Stadt Set: Untere Mos Espa-Sklavenquartiere, Darth Vaders Geburtshaus GPS-Koordinaten: 33.347530, 10.492246

Bei ihrem Besuch der alten Originaldrehorte in Tunesien mussten McCallum, Gavin Bocquet (Der Sternwanderer) und Reynolds vielerorts feststellen, dass diese 20 Jahre nach der Produktion bis zur Unkenntlichkeit modernisiert worden waren. Doch als sie die sogenannten Ksars in Medenine und Hadada besuchten, wirkte es vor ihren Augen, als würde Mos Espa aus dem Boden schießen. Der kleine Innenhof an der nördlichen Mauer des Ksar Medenine wird

42 umgangssprachlich auch oft als »Skywalker-Gasse« bezeichnet. An den beeindruckenden Gebäuden erkennt man noch immer die Bohrlöcher, an denen 1997 die Rohre und Verblendungen angebracht waren. Da Teile der Kammern noch als Unterkunft oder Lagerräume verwendet werden, haben die Einheimischen die futuristischen Türen und Verblendungen entfernt. Die berühmte braune Tür am Ende der Gasse kennzeichnet Darth Vaders Geburtshaus, in dem Anakin seine Freunde von einem Sandsturm bewahrt. Vom quadratischen Touristen-Ksar führt eine Treppe auf das Dach, von wo aus man einen fantastischen Ausblick auf die Skywalker-Gasse hat. Die dritte Gebäudereihe, die man im Film sieht, wurde später mit Hilfe von CGI ergänzt.

05 – Obere Mos Espa-Sklavenquartiere

Location: Hotel Ksar Hadada in der gleichnamigen Stadt Set: Obere Mos Espa-Sklavenquartiere, Vorlage für Anakins Podracer-Bauplatz GPS-Koordinaten: 33.100163, 10.314130

43 Die ursprünglichen Kornspeicher des Ksar Hadada sind bereits mehrere hundert Jahre alt. In den 1970er-Jahren wurden Teile des Ksar zu einem Hotel umgebaut. Im Dezember 1995 machte sich Reynolds mit McCallum zum Location-Scouting nach Tunesien auf und zeigte dem Team das Hotel, in dem schließlich 1997 gedreht wurde. Seit 1998 wird Ksar Hadada nicht mehr als Hotel genutzt. Ab diesem Zeitpunkt verfiel das Hotel, und viele Star Wars Fans haben die Set-Elemente abmontiert. Erst 2005 wurde das Hotel von einem neuen Eigentümer renoviert. Dieser verlangt nun 2,5 Dinar Eintritt inklusive Führung und Getränk, was umgerechnet ca. 0,8 € sind. Mit diesem Geld hält er das Hotel in Stand. Rechts vom Eingang kommt man zu den Getreidespeichern des UNESCO-Weltkulturerbes. Links vom Eingang kommt man zum Innenhof, der als Vorlage für Anakins Podracer-Bauplatz gedient hat. Dieser wurde in der Wüste nördlich von Nefta nachgebaut. 44 Folgt man dem linken Gang bis ans Ende, kommt man zu der Stelle, an der Qui-Gon Jinn (Liam Neeson) mit Shmi Skywalker (Pernilla August) über die Geburt Anakins spricht und später Obi-Wan Kenobi (Ewan McGregor) über das Komlink kontaktiert. Der Anblick der renovierten bemalten Bögen ist beeindruckend, auch wenn diese in den letzten Jahren um zusätzliche Elemente erweitert worden sind. Ein Teil einer Verblendung ist noch erhalten, die gerne bei Führungen gezeigt wird. Alle anderen wurden leider gestohlen.

06 – Tataouine (Namensursprung Tatooine)

Location: Beliebiges Ortsschild in der Stadt Tataouine Set: Namensvorlage für den Planeten »Tatooine« GPS-Koordinaten: 33.100163, 10.314130

45 Der Ort Tataouine inspirierte Lucas zur späteren Namensgebung seines Wüstenplaneten. Zunächst wollte Lucas diesen übrigens Utapau nennen. Inspiriert durch die Stadt Tataouine nannte Lucas in seinem vierten Entwurf den Planeten dann schließlich Tatooine. Südlich von Tataouine befindet sich auch das Ksar Ouled Soltane, welches jedoch nicht, wie oft vermutet, als Drehort gedient hat, sondern lediglich als Inspiration für CGI-Effekte. Ortsschilder und Wegweiser sind bei den Fans beliebte Fotoobjekte. Vor dem Hotel Sangho Privilege wird derzeit an einer dem Lars Homestead ähnlichen Kuppel gebaut. Seit 2013 ist die Stadt auch bekannt für den nach ihr benannten 14-Meter-Dinosaurier Tataouinea hannibalis.

07 – Lars Homestead (Innenbereich)

Location: Hotel Sidi Idriss in Matmata Set: Lars Homestead (Innenbereich) GPS-Koordinaten: 33.542828, 9.967242

46 Am 01.04.1976 fanden die Dreharbeiten im Hotel Sidi Idriss statt. Shelagh Fraser (Tante Beru Lars) stieß an diesem Tag zum Team dazu. Das Hotel wurde mit zwei Tanks, Spielzeug, Abwasserrohren, Teilen einer Flugzeugküche und anderen Materialien umgebaut. Das Hotel besteht aus fünf Löchern, von denen einige als Hotel dienen. Im Hotelteil, der auch heute noch für Übernachtungen gebucht werden kann, fand am 01.04.1976 auch das berühmte Abendessen der Filmcrew statt. Im Loch 4 wurden auch Jahrzehnte nach dem Dreh noch die Kulissen vom Lars Homestead erhalten, welche im Jahr 2000 für die Dreharbeiten zu Star Wars: Episode II – Angriff der Klonkrieger (2002) renoviert worden sind. Bereits im Jahr 1995 renovierte der französische Star Wars-Fan Philip Vanni die berühmte Deckenbemalung des Esszimmers, da diese zwischenzeitlich leider wieder

47 übermalt worden war. Im Jahr 2000 kehrte das Filmteam für Star Wars: Episode II an diese legendäre Stelle zurück. Barrys Set-Elemente waren größtenteils noch vorhanden. Der Rest wurde mit Referenzfotos von 1976 wiederhergestellt. Lucas konnte sich leider nicht mehr gut an den damaligen Dreh erinnern und glaubte, dass die Deckenbemalung des Esszimmers falsch sei. Mit Referenzfotos aus 1976 wurde ihm das Gegenteil bewiesen. Somit wurde Vannis Werk von 1995 für den Film verwendet. 2016 haben die Kollegen von Star Wars Tunisia aus Eimern und Rohren einen Vaporator in der Mitte des Innenhofes nachgebaut. Bei einer Voranmeldung an der Hotelrezeption bekommt man auch ein Mittagessen mit einheimischen Köstlichkeiten im legendären Esszimmer aus Star Wars: Episode II und Krieg der Sterne ermöglicht. Selbst die blaue Bantha-Milch, welche schon Gareth Edwards (Godzilla) einst bei seiner Tour genoss, darf nicht fehlen. Hierfür sollte man eine Tube Lebensmittelfarbe im Reisegepäck haben. Der Blick aus dem und in den Innenhof gehört zu den traumhaftesten Momenten einer Star Wars-Tunesien-Reise. Auch die Treppe hinab in die legendäre Küche ist zu besichtigen. Gedreht wurde diese Szene allerdings in England. Auch in diesem Hotel wird 1 Dinar Eintritt verlangt, wodurch sichergestellt wird, dass dieses Set auch künftigen Generationen Freude bereiten kann.

08 – Landspeeder-Piste

Location: Die Straße P16, die durch das Chott El Djerid führt Set: Landspeeder Aufnahmen

48 GPS-Koordinaten: 33.931998, 8.471654

Das Chott El Djerid bietet ein beeindruckendes Panorama. Die endlose Weite, gepaart mit den Rottönen des mit Salz überzogenen Sandes, bleibt einem unvergessen. Die Straße P16 führt von Matmata nach Tozeur. Hier kann man richtiggehend mitverfolgen, wie die Vegetation dem Wüstensand weicht. Auf der linken Seite der Straße erstreckt sich eine Salzwüste, während auf der rechten Seite noch teilweise Grasbüschel erkennbar sind. Diese Grasbüschel sah man auch in der Szene, als Skywalker in Krieg der Sterne durch die Wüste Tatooines glitt. Diese wurde im März 1976 gedreht. In den Sommermonaten, bei bis zu 50 °C, verschwinden auch die letzten Pflanzen.

09 – Star Wars-Schlucht

49 Location: Star Wars-Schlucht neben der Moschee »Sidi Bouhlel« Set: Wegen der schier unendlichen Masse an Star Wars-Sets, die mit ihr in Zusammenhang stehen, wird diese Schlucht auch unter dem einfachen Namen »Star Wars-Schlucht« geführt. Skywalker und C-3PO () finden hier beispielsweise R2-D2 (Kenny Baker), und Skywalker wird von den Tusken-Räubern attackiert. Weitere Szenen: Ankunft von Ben Kenobi, verletzter C-3PO, die Tusken-Räuber attackieren Skywalker; Mos Eisley-Panorama, die Tusken-Räuber entdecken Luke im Landspeeder; die Jawas erbeuten R2-D2, die Jawas tragen R2-D2, Skywalker und Kenobi entdecken tote Jawas; R2-D2 wird in den Sandkriecher gesaugt, Ben und Luke finden die Sandkriecher-Reste und die toten Jawas. GPS-Koordinaten: 34.032132, 8.282715

50 Die Dreharbeiten für die Schlucht-Szenen fanden zwischen 26.03. und 31.03.1976 statt. Guinness und seine Frau stießen in diesen Tagen zum Drehteam hinzu. Das Equipment wurde damals von Eseln in die Schlucht getragen. Das Sandkriecher-Set musste später von der Chott El Djerid-Salzwüste zu seinem Standort bei Sidi Bouhlel gebracht werden, was sehr heikel war, da es zuvor bereits von einem Sturm weggeblasen worden war. Da das auffällige Set auch von Militärtrucks begleitet wurde, äußerte der angrenzende Staat Algerien seine Bedenken. Libyen schickte gar Kontrolleure. Auf dem Parkplatz vor der Moschee Sidi Bouhlel kann man seinen Mietwagen an exakt der gleichen Stelle abstellen, an der auch 1976 der Sandkriecher stand. Von dieser Ebene aus startet man die Wanderung durch die Schlucht. An der linken Seite des Parkplatzes führt ein steiler Weg hinauf zur Moschee Sidi Bouhlel. Hält man sich bei der Moschee weiter links, kann man an der oberen Klippenkante entlanggehen, um schlussendlich zum berühmten Mos Eisley-Aussichtsfelsen zu gelangen. An zwei Stellen muss man ca. zwei Meter hohe Klippen überklettern. Deswegen ist festes Schuhwerk gefragt. Da der Ausblick selbst in den USA gedreht und später durch Matte Painting ersetzt wurde, kann man nur durch diese Klettertour jenen Ausblick genießen, den Kenobi, Skywalker, C-3PO und R2-D2 im Jahr 1976 hatten. Ca. 20 Meter hinter dem Ausblickfelsen befindet sich jene Stelle, wo die Tusken-Räuber den Landspeeder erblicken. Der Ausblick in die grasbewachsene Schluchtenkurve ist ein beeindruckendes Gefühl. Der Abstieg in die Schlucht sollte jedoch erst bei der Moschee Sidi Bouhlel erfolgen. Der

51 Einstieg in die Schlucht ist auch direkt vom Parkplatz möglich. Zu Beginn erblickt man die Jawa-Höhle und den Jawa-Felsen. An dieser Stelle erbeuten im Film die Jawas R2-D2. Geht man weiter in die Schlucht hinein, eröffnet sich einem eine beeindruckende Landschaft aus Gräsern und Palmen inmitten von zwei gewaltigen Felswänden. Das nächste Ziel ist die Höhle, vor der Lukes Landspeeder von den Tusken-Räubern inspiziert wird. Davor liegen die legendären abgerundeten Felsen, vor denen Luke von Kenobi erweckt wird. Gegenüber offenbart sich R2-D2s Versteck. Hier lässt sich die non-CGI-Variante der Höhle erleben. Man bekommt den gleichen Blick auf die Landschaft, den auch R2-D2 hat. Blickt man weiter in die Schlucht hinein, sieht man bereits die berühmten Felsen des Tusken-Räuber-Überfalls. Ausgehend von den Tusken-Räuber-Überfall-Felsen sieht man die Erhöhung, von wo aus Kenobi seinen berühmten, mehrfach ausgetauschten Schrei los lies. Die Schlucht offenbart in der Tat eine Filmszene nach der anderen und entführt einen in eine andere Welt. Steigt man weiter in die Schlucht ein, kommt man übrigens zu Harrison Fords Bazooka-Felsen aus dem Film Jäger des verlorenen Schatzes (1981).

10 – Darth Mauls Landung im 's Neck

Location: Camel's Neck zwischen Ong Jmal und der Stadt Nefta Set: Darth Mauls Landung GPS-Koordinaten: 34.016040, 7.912437 (4WD Fahrzeug empfohlen)

52 Wenn es eine Landschaft gibt, die wirklich an den Wüstenplaneten Tatooine erinnert, dann die rund um den sogenannten Camel's Neck. Unendliche flache Landschaften treffen auf beeindruckende Felsformationen und riesige Sanddünen. Am Camel's Neck angekommen gilt es, diesen zu erklimmen. Vom Camel's Neck aus kann man auf die zwei langgezogenen Erhebungen blicken, die auch in den Szenen mit (Ray Park) in Star Wars: Episode I – Die dunkle Bedrohung (1999) zu sehen waren. Hier entließ der dunkle -Lord seine DRK-1-Droiden in die Wüste von Tatooine. Der Camel's Neck-Felsen selbst diente auch als Drehort für den Film Der Englische Patient (1996).

11 – Royal Starfighter/Qui-Gon vs. Darth Maul/Podracer Bauplatz

53 Location: Ong Jmal Windfelsen-Feld, 15 km nördlich von Nefta und nur eine Düne neben Mos Espa Set: Naboo Royal Starfighter, Qui-Gon Jinn vs. Darth Maul, Anakins Podracer-Bauplatz GPS-Koordinaten: 33.995750, 7.848382

Wie wichtig es ist, die Filmkulissen in Tunesien zu beschützen, zeigt das Schicksal des kleinen Mos Espa-Sets. Basierend auf der Vorlage des Ksar Hadada wurde mitten in der Wüste ein beeindruckendes Set erstellt, vor dem Anakin seinen Podracer zusammenbaute. Leider wurde dieses Set bereits von einem Jahrzehnt von einer Wanderdüne erdrückt und somit komplett zerstört. Die Ruinen findet man am Ende des berühmten Windfelsen-Feldes, an dem 1997 das Naboo Royal Starfighter-Set gebaut wurde. Die Rampe des königlichen Schiffes wurde zwischen wunderschönen, vom Wind

54 geformten Sandsteinformationen aufgebaut. Das Schiff selbst wurde später mittels CGI dazugesetzt. Weiter wurden mehrere pneumatische Rampen am Feld verteilt, um die beeindruckenden Sprünge im Kampf zwischen Jinn und Maul zu ermöglichen.

12 – Ong Jmal Mos Espa

Location: Ong Jmal (in Google Maps bereits als »Mos Espa« geführt) Set: Mos Espa GPS-Koordinaten: 33.994343, 7.842749

Wollten Sie schon immer einmal durch die Straßen von Mos Espa laufen, Früchte in Jiras Geschäft kaufen, Wattos Schrottplatz erkunden oder wie Sebulba im Café einkehren? Im legendären Mos Espa-Set in der Wüste Tunesiens kann man dies jederzeit tun.

55 Das Filmteam erschuf einst für Star Wars: Episode I eine beeindruckende Stadt inmitten der riesigen Sahara-Dünen. Für das Set mussten 50 Tonnen Material mit einem russischen Frachtflugzeug nach Tozeur transportiert werden. Um Kosten zu sparen, wurden die Sets nur bis zur Höhe der Schauspieler gebaut. Türrahmen, Rohre und Dekorationen wurden denen vom Lars Homestead nachempfunden. Während der Dreharbeiten im Juli 1997 beschädigte einer der heftigsten Regenfälle seit Jahren die mühevolle Arbeit des Produktionsteams. Wie schlimm dieser Sturm ausgefallen ist, lässt sich in der Dokumentation The Beginning: Making 'Episode I' (2001) sehen. Wie es der Zufall so will, traf Lucas dieses Schicksal auch 1976 bei den Dreharbeiten zu Krieg der Sterne. Im September 2000 kehrte das Filmteam für Star Wars: Episode II an das Filmset zurück, das inzwischen zu einer Touristenattraktion geworden und laut Bocquet zwischen 1997 und 2000 auch erweitert worden war. Lediglich die Fassadenfarbe und die Requisiten mussten erneuert werden. Die über 20 Gebäude des großen Mos Espa-Sets sind gut erhalten. Nicht zuletzt wegen Rettungsaktionen wie Save Mos Espa, die dafür sorgen, dass eine ankommende Wanderdüne mit Hilfe von Baggern entfernt wird. Zwischen Oktober 2016 und Oktober 2017 wurden sogar Sanitäreinrichtungen und Solarpaneele für die duzenden Touristen gebaut. Die neuen Gebäude wurden durch die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) unterstützt. Die Gruppe Save Mos Espa stellte 2015 und 2016 sogar Pläne für zukünftige Museen vor. Dieses Set ist jedenfalls in guten Händen.

56 Derzeit wird auch an einem Zaun gebaut, da bereits dutzende von Händlern in den Gebäuden des Sets wohnen und kochen, wodurch bereits einige Teile der Sets beschädigt wurden. Es hat aber auch seinen eigenen Charme, wenn man durch Mos Espa streift und wie im Film von Händlern angeworben wird. Die Straßen von Mos Espa sind belebt, wenn auch nur durch Touristen, und man bekommt das Gewühl, als befinde man sich tatsächlich in einem Marktgebiet auf einem fremden Planeten. Man kann die Gebäude betreten, die teilweise sogar über ein Dach verfügen. Neben Wattos Geschäft führt ein Torbogen zu seinem damaligen Schrottplatz. Ein großes turbinenartiges Teil steht noch vor Ort. Kleinere Schrottteile wurden nach außen gezogen, um die Quad- und Kameltouren nicht zu stören. Diese Röhren dienen ebenfalls einigen Einheimischen als Schlafplatz. Die legendäre Podrace Viewing Platform sowie die kleineren Set-Elemente wurden jedoch alle von einem der Gegenwart namens Kamel Souilah in die weite Welt verteilt.

13 – Watto in Real Life

Location: Antiquitätengeschäft von Kamel Souilah Set: Mos Espa Podrace Viewing Platform GPS-Koordinaten: 33.870114, 7.883794

57 Das Team von Discover Tatooine hat unter anderem das Geheimnis der verschollenen Podrace Viewing Platform gelüftet, auf der Natalie Portman (Thor) einst das Podrennen verfolgte. Der Antiquitätenhändler Souilah in Nefta, der 1997 auch einige Komparsen-Rollen in Star Wars: Episode I übernommen hatte, machte nach dem Dreh das Geschäft seines Lebens. Für einen kleinen Beitrag kaufte er 1997 von den lokalen Behörden den Schrott, der nach dem Dreh in der Wüste übrig geblieben war. Dieser Schrott bescherte ihm und seiner Familie ein sorgloses Leben. Die Podrace Viewing Platform wurde von ihm sorgsam zerlegt und gemeinsam mit anderen Requisiten bereits vor

58 1999 als Containerladung für 5.000,00 Dollar in die USA verschickt, was 1999 dem durchschnittlichen Jahreseinkommen eines Tunesiers entsprach. Zum Vergleich: Viele Leute dort verdienen heutzutage nur € 35,00 pro Monat. In der Zwischenzeit hat Souilah natürlich alle transportablen Requisiten verkauft. Lediglich die Tanks von Wattos Schrottplatz sind übrig. Auf Nachfrage zeigt Souilah auch noch seinen größten Schatz: In einer Kammer hat er noch eine der Originaltüren aus Mos Espa. Dieses Original ist für 1.000,00 € zu haben. Sämtliche Türen, die heute noch in Mos Espa zu besichtigen sind, sind lieblose Holztüren.

14 – Die Dünen von Tatooine

Location: Dune De Sable, abseits der Straße P3 Set: Landeplatz der Droiden-Rettungskapsel, Sandtrooper »durchkämmen« die Wüste GPS-Koordinaten: 33.871125, 7.759225 (4WD empfohlen)

59 Zwischen 23.03. und 25.03.1976 wurde in den Sanddünen in der Nähe von Nefta gedreht. Die Krayt-Drachen-Gebeine wurden in England abgenommen, für die Drehs nach Tunesien gebracht und danach in der Wüste zurückgelassen. Durch die Wanderdünen ist es Jahrzehnte später natürlich unmöglich, diese Knochen aufzuspüren und auf ein Foto zu bekommen. Im April 1995 schaffte es Reynolds jedoch, die Gebeine des Krayt-Drachen abzulichten. Wahrscheinlich werden sie eines Tages wieder durch den Wind freigelegt. Heutzutage versuchen oft Berberkinder, Fälschungen der Fiberglasknochen an Touristen zu verkaufen. Die sechs Sandtrooper, die damals durch Einheimische gespielt wurden, bekamen 8.500,00 Dinar (damals ca. 7,00 Dollar) für ihre Arbeit. Bei den Temperaturen, die dort herrschen, nur ein kleiner Trost. Oft findet man in der Wüste noch Grasbüschel, die jedoch in den Sommermonaten bei Temperaturen um die 50 °C verschwinden. Auch für den

60 Dreh im März 1976 mussten viele der Grasbüschel entfernt werden. Der Ausblick in die Wüste ist ein beeindruckendes Erlebnis. Die endlose Weite sorgt sofort für ein richtiges Tatooine-Feeling. In dieser Gegend landeten die Droiden mit ihrer Rettungskapsel und trugen ihre Streitereien über den Weg aus. Auch die Sandtrooper suchten in den endlosen Weiten der Sahara nach den Droiden.

15 – Lars Homestead – Die Wiege von Star Wars

Location: 3 Kilometer abseits der Straße P3 Set: Lars Homestead, Sandkriecher GPS-Koordinaten: 33.842857, 7.778948

Das Lars Homestead ist das Highlight einer jeden Star Wars-Tunesienreise. Am 29.03.1976 wurde die im Interview

61 bereits beschriebene Traumszene gedreht. Die zweite Sonne wurde in der Nachproduktion ergänzt. Die schnell untergehende Sonne machte den Dreh sehr schwer. Es dauerte drei Tage, bis die legendäre Szene im Kasten war. Auch als Star Wars-Tourist sollte man sich mehre Tage Zeit nehmen, um auch wirklich in den Genuss eines schönen Sonnenuntergangs zu kommen. Nach den Dreharbeiten 1976 wurde die aus Hasendraht gefertigte Kuppel vollständig zerstört und hinterließ nur Krater. Im Jahr 2000 kehrte Lucasfilm, geführt durch den Archäologen Reynolds, an den Geburtsort von Star Wars zurück. Es ist Reynolds und seiner Überzeugungskunst zu verdanken, dass das Lars Homestead von Bocquets Set-Bauteam an exakt der gleichen Stelle wiedererrichtet werden konnte. Die stabile Holzkonstruktion aus dem Jahr 2000 ist noch immer erhalten. Die Fassade wurde im Jahr 2012 von Save the Lars Homestead und im Jahr 2018 von Discover Tatooine renoviert. Für die Dreharbeiten im Jahr 2000 wurde die Kuppel mit einer saubereren Fassade als 1976 erstellt, da die Kuppel im zeitlichen Filmverlauf neuer ist. Hinter der Kuppel findet man die Reste der ehemals runden Hydrokultur-Gartenabdeckung, die in Skizzen auch oft als Abdeckung des Droiden-Ölbad-Raumes genutzt wird. Rund um die Kuppel wurden in den 1970er-Jahren Krater ausgehoben, die die Schnittstelle zum Hotel Sidi Idriss bilden. Diese wurden im Jahr 2000 wieder in Form gebracht und erstrahlen bei den heutigen Sonnenuntergängen noch in ihrem vollen Glanz. Wenn man Star Wars hautnah erleben möchte, so fährt man abends zu Kuppel, lässt Binary Sunset aus einem

62 Bluetooth-Lautsprecher erklingen und genießt den einzigartigen Sonnenuntergang in den unendlichen Weiten der tunesischen Wüste. Dieser Moment wird unvergessen bleiben.

Weiterführende Informationen zum Thema: https://www.facebook.com/DiscoverTatooine - Facebook-Seite Discover Tatooine https://www.youtube.com/channel/UC_NjDBh0AcwIvcfoVci UIBg/ - YouTube-Kanal Discover Tatooine

Newsdroide: Die -Filme – Kontroversen um die Kuschelkrieger von Thorsten Walch

Der neunte und abschließende Teil der (bisherigen) Star Wars-Saga, Star Wars: Der Aufstieg Skywalkers (2019), sorgte in der Fan-Welt für Kontroversen; ebenso, wie es zuvor bereits sowohl der Vorgänger-Film Star Wars: Die letzten (2017) als auch Solo: A Star Wars Story (2018) getan hatten. Dergleichen (Fan-)Tumulte sind in der Anhängerschaft des einst von George Lucas (Strange Magic) ersonnenen Sternenmärchens nichts Neues: Für einen der ersten davon sorgte bereits 1978 das Star Wars Holiday Special, das der Star Wars-Schöpfer heute gern höchstpersönlich aus der Zeitlinie eliminieren würde. Ähnlich erging es den beiden eigentlichen ersten Spin-offs der Star Wars-Saga, wenngleich die Unstimmigkeiten in der 63 Fanszene damals nicht ganz so hohe Wellen schlugen wie im Fall der vorgenannten Beispiele. Die Rede ist von den TV-Filmen aus den Jahren 1984 und 1985, in denen die sogenannten Ewoks vom idyllischen Waldmond im Vordergrund der Handlung stehen. Auch diese Werke polarisieren bei manchen Fans der Saga bis heute, mehr als dreißig Jahre nach ihrer Veröffentlichung im US-TV beziehungsweise in den deutschen Kinos.

Solo für die Ewoks

Der Entstehungsgeschichte der Fernsehproduktionen Ewoks – Die Karawane der Tapferen (1984) und Ewoks – Kampf um Endor (1985), die hierzulande seinerzeit, wie damals üblich, in den Kinos gezeigt wurden, hat der Verfasser dieses Artikels bereits ausführlich behandelt, nämlich in seinem Buch Es lebe Star Wars – Die Erfolgsgeschichte aus einer weit, weit entfernten Galaxis (2019). Erschienen ist dieses übrigens genau wie das vorliegende Corona Magazine beim Verlag in Farbe und Bunt.

Nur so viel zur Auffrischung: Obwohl Lucas während der Dreharbeiten zu Star Wars: Episode VI – Die Rückkehr der Jedi-Ritter (1983) wiederholt erklärt gehabt hatte, die Saga nach diesem damals abschließenden Film zu den Akten zu legen, gab er dem ersten Ewoks-Film seinen Segen. In Interviews erklärte er einst, dies sei hauptsächlich deshalb geschehen, weil er fand, die Ewoks hätten in Die Rückkehr der Jedi-Ritter zu wenig Raum erhalten. Sicherlich spielte auch der Umstand eine Rolle, dass sich Plüschspielzeuge der pelzigen Gesellen damals recht gut verkauft hatten.

64 Da Lucas das schon erwähnte Holiday Special noch immer schwer im Magen lag, wollte er bei dem Ewoks-Film deutlich mehr involviert sein als bei erstgenanntem, gedachte aber nicht, selbst Regie zu führen; diesen Job übernahm John Korty (Ms. Scrooge – Ein wundervoller Engel).

Kurz vor Thanksgiving 1984 (in den USA ein fast gleichwertig hoher Feiertag wie Weihnachten) kam The Adventure (der erst später in Star Wars: Ewok Adventures – Caravan Of Courage umbenannt wurde) ins US-Fernsehen. Summa summarum ein jahreszeitlicher knuffiger Kinderfilm, dessen einziger echter Star Wars-Bezug aus den bepelzten Protagonisten bestand und der ansonsten ein ausgesprochener Märchenfilm war.

Die weltraumreisende Familie Towani stürzt im Film auf dem Waldmond Endor ab, und der trollartige Gorax entführt die Eltern Jeremitt (Guy Boyd) und Catarine (Fionnula Flanagan), aus denen er sich Suppe kochen will. Die beiden Kinder, die kleine Cindel (Aubree Miller) und der Früh-Teenager Mace (Eric ) werden hingegen von den freundlichen Ewoks gerettet, allen voran der schon aus Star Wars: Episode VI bekannte Wicket (Warwick Davis). Nachdem Wicket und ein paar der anderen Ewoks bruchstückhaft die Sprache der Kinder gelernt haben, gehen alle zusammen auf eine Reise, um die Eltern zu befreien. Auch die anderen Ewoks wurden allesamt von kleinwüchsigen Schauspielern dargestellt; ein Teil von ihnen war ebenfalls bereits in Star Wars: Episode VI mit dabei gewesen.

65 Der Film wurde ein ordentlicher TV-Erfolg in den USA und wurde sogar für den »Emmy« nominiert. In Deutschland kam er fünf Monate nach seiner US-Ausstrahlung in die Kinos, was damals wie erwähnt öfter bei aufwändigen Fernsehproduktionen der Fall war (z. B. Kampfstern Galactica).

Aufgrund des Erfolgs von Die Karawane der Tapferen beschloss man recht bald, einen zweiten Ewoks-Solo-Film folgen zu lassen. Da der erste wie gesagt im Wesentlichen ein Kinderfilm gewesen war, sollte der zweite zwar nach wie vor für junge Zuschauer geeignet sein, aber eine Spur düsterer daherkommen.

Fast genau ein Jahr nach dem ersten Streifen kam im November 1985 Kampf um Endor ins US-Fernsehen; dieser legte eine andere Gangart ein. Gleich zu Beginn wird fast die komplette Familie Towani aus dem ersten Film (Jeremitt wurde nunmehr gespielt von Paul Gleason) von gewalttätigen und monströsen Marodeuren vom Planeten Sanyassa getötet, die von dem bösen König Terak (Carel Struycken) regiert werden. Teraks Helferin ist die menschlich aussehende Hexe Charal (Siân Phillips). Die beiden sind auf der Suche nach der Energiezelle des Raumschiffs der Towanis und nehmen viele der überlebenden Ewoks gefangen.

Einzig die kleine Cindel und ihr Ewok-Freund Wicket können in den Endor-Wald entkommen. Hier findet sie der ebenfalls dort gestrandete alte Einsiedler Noa Briqualon (Wilford Brimley) und nimmt sie auf. Noa unterstützt Cindel, und gemeinsam können sie die Ewoks befreien. Gemeinsam mit

66 ihnen besiegen sie Terak und seine Truppen, und Noas Raumschiff wird mit der Energiezelle wieder flott gemacht. Gemeinsam verlassen Noa und Cindel Endor. Auch der zweite Film wurde recht erfolgreich, wenngleich er für die Allerkleinsten definitiv zu finster war. Diesmal dauerte es deutlich länger, bis der Film in die deutschen Kinos kam – das war erst fast ein Jahr nach der amerikanischen TV-Premiere der Fall.

Das Ende der Geschichte ist schnell erzählt: Zwar hätte es noch einen dritten Ewoks-Film geben sollen, doch wurde dieser aus den unterschiedlichsten Gründen nicht realisiert. Dafür entstand bereits ab September 1985 eine insgesamt 35-teilige Zeichentrickserie (Die Ewoks), die jedoch mit den beiden Filmen nichts mehr zu tun hatte und die die Krieger aus dem Endor-Wald als eine Art Pendant zu den erfolgreichen Glücksbärchis zeigte.

Karawane der Tapferen und Kampf um Endor sind hierzulande auf Videokassette und später auf DVD erschienen und gelten seitdem als ein fester Bestandteil der Star Wars-Saga, mit dem die Fans sehr glücklich sind ... Nun, eigentlich eher nicht.

Kampf um … die Ewoks

Zumindest in der ersten Zeit nach dem Erscheinen der beiden Ewoks-Filme wurden nur wenige kritische Stimmen laut. Sicher, bei keinem der beiden Werke handelte es sich um einen vollwertigen Star Wars-Film, sondern bestenfalls um eine kleine Beigabe zur Saga, und überhaupt blieben es eben Kinder- beziehungsweise Jugendfilme. Aber sie hatten

67 gezeigt, dass Lucas auch nach Star Wars: Episode VI das Franchise nicht voll und ganz aufgegeben zu haben schien, und das ließ eine gewisse Hoffnung keimen, dass es vielleicht doch eines Tages eine Weiterführung der Saga geben würde.

Im Lauf der folgenden Jahre jedoch wurde diese Hoffnung immer unwahrscheinlicher, und während die drei Star Wars-Filme Pflichtprogramm für Videoabende bei Fans wurden und auch nach langer Zeit nichts an ihrem Kultstatus kratzen konnte, gerieten die Ewoks-Filme mehr oder weniger in Vergessenheit und landeten in diversen Ablagen unter »D« wie »Da war doch mal was«.

So richtig los gingen die Ewok-Kontroversen erst, als Star Wars zuerst durch die (Wieder-)Aufführung der Special Edition und danach durch die Prequel-Trilogie wieder in alle Munde geriet. Die Ewoks-Filme wurden auf einer gemeinsamen DVD im Frühjahr 2005 herausgebracht, und es dauerte nicht allzu lange, ehe gewichtige Fragen in der Star Wars-Fanszene aufkamen.

Eine davon betraf die Darstellung der Ewoks in den beiden Filmen selbst. War das Leben der Ewoks in Star Wars: Episode VI auf relativ steinzeitlichem Niveau präsentiert worden und erschienen sie einem dort trotz ihrer Freundlichkeit nicht wie ein sehr fortschrittliches Volk, hatten sie in den beiden späteren Filmen doch offenbar in vielerlei Hinsicht dazugelernt. Zwar waren sie noch immer ein Naturvolk, doch besaßen sie zwar primitiv anmutende doch nützliche technische Errungenschaften. Sie hatten

68 auch Spinnereien wie die Anbetung eines goldenen Gottes mittlerweile überwunden.

»Klarer Fall!«, argumentierten nun einige den Filmen wohlgesonnene Fans. Die Ewoks hatten natürlich einiges von den Mitgliedern der Rebellenallianz gelernt, die sich ja auf Endor aufgehalten und von dort die Zerstörung des zweiten Todessterns in die Wege geleitet hatten. Und schon war die Kontroverse da, denn: Das war schlichtweg unmöglich. Laut der offiziellen Chronologie der Saga nämlich spielen Karawane der Tapferen und Kampf um Endor vor Star Wars: Episode VI!

Dies warf natürlich mehrere inhaltliche Fragen auf. Die wichtigste: Wenn die Ewoks, hauptsächlich Wicket, bereits Kontakt zu Menschen gehabt und von Cindel sogar ansatzweise ihre Sprache gelernt hatten, warum war dann in Star Wars: Episode VI hiervon nichts mehr zu bemerken? Einige Fans argumentierten, dass die Towanis möglicherweise nicht das gebräuchliche »Galactic Basic«, in dem sich sowohl Angehörige des Imperiums als auch der Rebellenallianz verständigen, gesprochen haben könnten, sondern eine der anderen Sprachen des Star Wars-Kosmos; etwa die Handelssprache Bocce.

Wie aber sollten davon Angehörige eines Naturvolks wissen, das nur eine Art von Menschen je kennengelernt hat? Wicket, der in den beiden Ewok-Filmen als sehr clever und gewandt dargestellt wird, hätte in einem solchen Fall mit ziemlicher Sicherheit versucht, bei seiner ersten Begegnung mit Prinzessin Leia (Carrie Fisher) in dieser Sprache zu kommunizieren. Mit ebensolcher Sicherheit hätte die

69 Prinzessin ihn verstanden, und selbst wenn nicht, hätte spätestens C-3PO (Anthony Daniels) den Braten gerochen. Mit anderen Worten: Nein, es ist wenig wahrscheinlich, dass die beiden TV-Filme tatsächlich zwischen den Episoden Star Wars: Episode V – Das Imperium schlägt zurück (1980) und Star Wars: Episode VI oder auch Krieg der Sterne (1977) und Star Wars: Episode V angesiedelt sind.

Ein weiterer Punkt, der dagegen spricht, ist die Präsenz des Imperiums auf Endor. Zwischen Star Wars: Episode V und Star Wars: Episode VI liegen verschiedenen Angaben zufolge einige Monate, bestenfalls ein Jahr. Da in Star Wars: Episode VI deutlich geschildert wird, dass die imperiale Basis auf Endor in relativer Nähe zum Ewok-Dorf liegt, hätte man zu dem Zeitpunkt, zu dem die beiden Ewoks-Filme spielen, dort mit Sicherheit davon gewusst beziehungsweise den Aufbau mitbekommen, ganz abgesehen von eventuellen Speeder-Bikes-Patrouillen in den Wäldern. Hinzu kommt, dass die Sanyassaner unter König Terak nicht ohne weiteres auf Endor hätten landen können, wenn es sich um eine vom Imperium zumindest überwachte Welt handelt. Dies wird in den beiden Filmen übrigens ebenso wenig erwähnt wie die Rebellenallianz.

Das Ganze kurzerhand dadurch zurechtzubiegen, dass man behauptet, die Ewok-Filme spielten einige Zeit nach Star Wars: Episode VI, funktioniert ebenso wenig: Zum einen hätte es dann Hinterlassenschaften sowohl der Rebellenallianz als auch des Imperiums auf Endor geben müssen. Beides ist aber im Ewok-TV-Kosmos nicht präsent (im Gegensatz zur Ewoks-Zeichentrickserie, in der die

70 imperialen Sturmtruppen gleich mehrmals Gastauftritte hatten).

Zum anderen ist da wieder das Sprachparadox: Wicket hätte mit Sicherheit ein paar Brocken Basic aufgeschnappt, sprachbegabt wie man ihn nun einmal schildert. Die Schlange biss sich somit in den Schwanz. Alles in allem wurden damals also mehrere Logiklöcher gefunden, über die sich wunderbar in den damals populären Internet-Foren zum Thema Star Wars diskutieren ließ.

Es hätte zu dieser Zeit bei Weitem Wichtigeres in der Star Wars-Fanszene zu diskutieren gegeben, gar keine Frage. Nüchtern gesehen handelte sich bei den Werken eben um Kinderfilme, bei denen man sich von Seiten der Macher wahrscheinlich schlicht und ergreifend keine größeren Gedanken über die genaue Einpassung in den Franchise-Kanon gemacht hatte. Aber eingefleischte Fans lieben nun einmal solche Diskussionen; schließlich muss alles seine Ordnung haben, auch in einem so wilden Universum wie dem von Star Wars.

Die kleine Cindel tauchte dann auch prompt in den Romanen des sogenannten früheren »Erweiterten Universums« (EU) der Star Wars-Saga auf. In der Trilogie Die schwarze Flotte von Autor Michael P. Kube-McDowell, die zwölf Jahre nach Star Wars: Episode VI spielt und die den Kampf der Helden des Franchise gegen das kriegerische Volk des Yevethaner schildert, ist die mittlerweile erwachsene Cindel als Journalistin auf dem Planeten .

71 Damit schlug man übrigens eine Brücke zur Karriere von Kinderstar Miller, die als 5- und 6-jährige einst Cindel spielte. Statt eine Schauspielkarriere anzustreben, wurde Miller nach ihrem College-Abschluss im Jahre 2000 Journalistin und ist bei einem lokalen Nachrichtensender in Chico, Kalifornien tätig. Allerdings ging auch dieser (Roman-)Auftritt von Cindel davon aus, dass die Ewok-Filme zwischen Star Wars: Episode V und Star Wars: Episode VI angesiedelt sind, was – wie Sie bereits erkannt haben –einfach nicht möglich ist.

Noch eine ganze Weile gab es im Star Wars-Fandom vielerlei Theorien, die Licht in das Ganze bringen sollten. Eine davon etwa lautete, dass die beiden Ewoks-Filme in Wahrheit in einer fernen Vergangenheit spielten, in der weder das Imperium noch die Rebellenallianz Endor schon entdeckt gehabt hatten, und der gezeigte Wicket und seine Familie wären die Vorfahren der Ewoks in Star Wars: Episode VI.

Der ganze Spuk fand ein recht abruptes Ende, als die Walt Disney Company Ende 2012 Lucasfilm Ltd. aufkaufte. Die beiden Ewoks-Filme waren einst im Auftrag des Medienunternehmens CBS realisiert worden, das damals mit zusammengearbeitet hatte, welches seinerseits die Star Wars-Filme produziert hatte. Zum Zeitpunkt der Übernahme jedoch arbeiteten CBS und die 20th Century Studios nicht mehr zusammen. Vermutlich ist dies einer der Gründe dafür, dass die beiden Ewoks-Filme kein Bestandteil des Lucasfilm-Gesamtpaketes waren, das damals an Disney ging. In anderen Worten: Man besaß bei Disney die Rechte für die beiden Ewoks-Filme nicht. Dies ist übrigens bis heute so geblieben: Die beiden

72 Filme sind nicht im Programm des hauseigenen Streaming-Dienstes Disney+ enthalten und auch nicht mehr auf DVD, geschweige denn Blu-ray erhältlich. Glücklich der Fan, der sich die Werke damals gekauft hat, da sie heutzutage zu ausgesprochenen Fantasie-Preisen gehandelt werden.

Aus diesem Grund löste man damals das Ewok-Paradox auf recht pragmatische Weise: Man ordnete die beiden Filme dem vorgenannten Erweiterten Universum zu, bestehend aus Romanen, Comics und Computerspielen, die eine völlig andere Fortsetzung der Star Wars-Saga schilderten als die später offiziellen Disney-Sequels, und erklärte sie weiter den inzwischen unkanonischen sogenannten Legends zugehörig. Somit befinden sich die Ewoks in bester Gesellschaft von fantasievollen Schöpfungen wie Luke Skywalkers Ehefrau Mara Jade oder Han und Leias Zwillingen Jacen und Jaina.

Alles in allem zeigt das Beispiel des »Ewok-Aufstandes« jedenfalls, wie wichtig die Star Wars-Saga für ihre Fans ist und welchen großen Wert diese auf Kontinuität in ihrem Lieblingsuniversum legen.

73 Kommentar: Die Magie des Machbaren – Wo die Fiktion aufhört und die Wissenschaft beginnt

von Sven Wedekin

»Jede hinreichend fortgeschrittene Technologie ist von Magie nicht mehr zu unterscheiden.« Dieses Zitat des berühmten Science-Fiction-Schriftstellers Arthur C. Clarke ist wahrscheinlich den meisten Genrefans geläufig. Es erinnert einen daran, dass der Unterschied zwischen in der Realität möglicher Technologie und Zauberei vor allem eine Frage der Perspektive ist.

Aus der Sicht eines Neandertalers wäre ein gewöhnliches Smartphone ein Wunder. Egal wie viel Zeit sich ein Mensch der Neuzeit nehmen würde, er wäre niemals in der Lage, dem Neandertaler verständlich zu machen, wie ein solches Gerät funktioniert, wie es möglich ist, die Stimme eines 74 Menschen, der sich vielleicht tausende Kilometer entfernt befindet, aus einem Kasten zu hören, der kaum größer ist als eine Handfläche. Es würde den geistigen Horizont eines Urmenschen weit überschreiten, und jeder entsprechende Versuch wäre von vornherein zum Scheitern verurteilt. Letztlich wäre ein Smartphone für jemanden, für den ein Faustkeil den Höhepunkt menschlichen Erfindergeistes darstellt, reine Magie.

Doch was bedeutet das für den heutigen Menschen?

Theoretisch könnte gleichsam der Mensch heutzutage jederzeit ein Funksignal einer außerirdischen Zivilisation empfangen, das der Erde in Sachen Evolution so weit voraus ist, dass der Mensch die Funktionsweise dieser Technologie einfach nicht verstehen kann. Dieses Verständnis würde noch weiter erschwert, wenn die Fremden physikalische Zusammenhänge kennen würden, von denen selbst der moderne Mensch absolut keine Ahnung hat. Diese Wesen mögen dazu in der Lage sein, das Universum bis ins subatomare Detail hinein zu manipulieren und dadurch die Naturgesetze, zumindest bis zu einem gewissen Grad, auszuhebeln.

Fantasy vs. Science-Fiction

George Lucas (Willow) hatte solche Überlegungen ganz sicher nicht im Kopf, als er das Drehbuch für Krieg der Sterne (1977) verfasste. Seine Intention war es, einen reinen Fantasyfilm zu realisieren, der sich nicht um Naturgesetze scheren sollte. Einen Film, der – anders als etwa die Handlung von Der Herr der Ringe – im Weltraum spielt.

75 Dadurch begründete Lucas ein neues Genre, das vom Fandom gern mal »Space-Fantasy« bzw. Weltraumoper genannt wird.

Leider wird das Star Wars-Franchise selbst heute noch oft dem Science-Fiction-Genre zugeordnet, weil die Unterschiede zwischen diesen Genres, zumindest auf den ersten Blick, fließend sind. In der Science-Fiction werden technische und gesellschaftliche Entwicklungen der Gegenwart weiter gedacht und in die Zukunft projiziert. Dadurch erheben entsprechende Autoren den Anspruch, die Weitsicht zu besitzen, die die Voraussetzung für eine halbwegs glaubwürdige Beschreibung der Zukunft ist und dank derer man sich mehr oder weniger darauf verlassen kann, dass die dargestellte Welt zumindest im Bereich des Möglichen liegt. Doch in Wahrheit ist es so, dass solche Spekulationen auf sehr wackligen Beinen stehen. Niemand kann die Zukunft wirklich mit absoluter Gewissheit vorhersagen. Kein Mensch in der Mitte des 18. Jahrhunderts hätte beispielsweise vorhersagen können, wie sehr die Erfindung der Dampfmaschine die ganze Welt verändern und dass sie eine völlig neue Ära der Menschheitsgeschichte einläuten würde, die noch dazu eines Tages eine Gefahr für das Überleben der Spezies hervorbringen würde – Stichwort Klimawandel. Insofern ist der Unterschied zwischen Space-Fantasy und Science-Fiction doch nicht ganz so groß, wie es auf den ersten Blick scheint. Denn wo ist der Unterschied zwischen einer hochspekulativen Zukunftsvision und einer rein fiktiven Fantasiewelt, wie man sie in Star Wars sieht?

76 Auf den ersten Blick ist die Sache klar: Bei Star Wars werden die Naturgesetze ebenso ignoriert wie die Grenzen des technisch Machbaren. Beim Star Trek-Franchise (seit 1966) geschieht dies zwar auch, aber aus irgendeinem Grund gilt Roddenberrys kultiges Franchise offiziell als sogenannte Hard Science-Fiction und nicht als Fantasy. Leider wird nur ein Bruchteil der Technologien, die der geneigte Fan von Film- und TV-Inkarnation der beiden Franchises kennt, in der Wirklichkeit je umsetzbar sein. Der Warpantrieb ist ebenso absurd wie der Hyperraumantrieb, Phaserkanonen ebenso wie das Lichtschwert. Der Realisierung all dieser Erfindungen schieben die Naturgesetze einen Riegel vor. Sie sind für den Menschen ebenso unmöglich wie es ein handtellergroßes Gerät, mit dem man mit einem anderen Menschen sprechen kann, der auf der anderen Seite der Erdkugel lebt, eben einst für einen Neandertaler war.

Wo das Mögliche beginnt und das Unmögliche aufhört

Der menschlichen Fantasie sind bekanntlich keine Grenzen gesetzt, was leider oft dazu führt, dass man sich in unrealistischen Träumereien verliert und zu glauben beginnt, dass buchstäblich alles möglich ist. Man vergisst seine Grenzen und reagiert dann umso enttäuschter, wenn man bemerkt, dass eben nicht alle Hoffnungen und Wünsche Realität werden können. Aber woher nimmt man die Gewissheit, welche Hoffnungen für immer unmöglich sein werden und welche nicht?

Gewiss sagt der Naturwissenschaftlicher, was prinzipiell unmöglich ist, wird es auch immer bleiben, ganz egal, was

77 für Fortschritte der Mensch noch machen wird. Nur ist es so, dass sich die Erkenntnisse darüber, was prinzipiell nicht möglich ist, immer weiter verschieben. Im 19. Jahrhundert hielt man es für ausgeschlossen, dass Menschen jemals das Gravitationsfeld der Erde verlassen und mit Raumschiffen ins All vorstoßen könnten. Natürlich wusste man damals noch nichts über die technischen Voraussetzungen, die nötig waren, um dies zu leisten. Man konnte es noch nicht wissen. Ebenso wenig wussten selbst die klügsten Köpfe der Wissenschaft, dass es jemals gelingen könnte, Atome zu spalten. Genauer gesagt wusste man vor 200 Jahren noch nicht einmal mit absoluter Sicherheit, dass es Atome überhaupt gibt, geschweige denn, wie man die in ihnen schlummernden Energien nutzbar machen könnte.

Bereits heute hat der Mensch es geschafft, die Natur bis zu einem gewissen Grad zu manipulieren und ihr seinen Willen aufzuzwingen. Manche Forscher sind optimistisch, dass es eines Tages möglich sein könnte, Antimaterie in industrieller Massenproduktion herzustellen. Verrückte Aussichten, wenn man bedenkt, was für technische Implikationen ein solcher Fortschritt mit sich brächte. Und was für außergewöhnliche Leistungen der Mensch in den nächsten 200 Jahren zu vollbringen im Stande sein wird. Leistungen, die gläubige Menschen heutzutage höchstens Gott zutrauen würden.

Ist der Himmel die Grenze?

Selbstverständlich sind sämtliche Spekulationen darüber, wozu der Mensch in Zukunft alles fähig sein wird, trotzdem

78 ebenso realistisch oder eben unrealistisch wie die in Star Trek gezeigten Visionen. Doch sie erinnern daran, dass man sich nie sicher sein kann, was der menschliche Geist zu erreichen imstande ist. Natürlich stellt sich dann die Frage, welche Leistungen etwaige außerirdische Zivilisationen, die dem Menschen womöglich um Millionen Jahre voraus sind, schon erreicht haben. Falls diese – wie obenstehend bereits vermutet – genau wissen, wie das Universum funktioniert, könnten sie aus der Perspektive des Menschen geradezu gottähnliche Fähigkeiten entwickelt haben. Sie könnten in der Lage sein – und das sei an dieser Stelle nur als ein Beispiel unter vielen genannt –, Maschinen zu entwickeln, die die Grenze zwischen Technologie und Biologie überwunden haben. Die über eine künstliche Intelligenz verfügen und theoretisch jedes erdenkliche Problem lösen, die jede Frage beantworten könnten; der allwissender Supercomputer Deep Thought aus Douglas Adams' Per Anhalter durch die Galaxis (1979) lässt grüßen.

Man kann diesen Gedankengang noch weiterspinnen: Viele Physiker vertreten heute die Meinung, dass es außerhalb des Universums noch eine Unzahl weiterer Universen mit jeweils anderen physikalisch Gesetzen geben könnte. In den meisten von ihnen mag Leben in jeglicher Form unmöglich sein, in anderen jedoch könnte es unvorstellbar andersartige Wesen geben. Und da diese in einem Kosmos mit anderen physikalischen Voraussetzungen existieren, wären sie zu Dingen fähig, die für den Menschen, in seinem Universum mit den darin gegeben Naturgesetzen, wahrhaftig unmöglich sind.

79 Für den Menschen wären solche Wesen in gewisser Weise allmächtig, da diese nicht an die Grenzen dieser Welt gebunden sind. Sie könnten gar dazu in der Lage sein, künstliche Universen mit wieder anderen Naturgesetzen zu erschaffen.

Damit kommt der Autor dieses Artikels wieder zu der eingangs zitierten Erkenntnis von Clarke. Solange der Mensch selbst nicht den Endpunkt der technischen Evolution erreicht hat (falls es einen solchen überhaupt gibt), kann er letztlich nur raten, was möglich ist und was nicht. Man sollte daher die Flinte nicht zu schnell ins Korn werfen, wenn man über künftige Entwicklungen nachdenkt. Wenn der Mensch sich vorher nicht selbst auslöscht, mag er in Millionen von Jahren etwa dazu fähig sein, neue Formen künstlichen Lebens zu erzeugen und den Verlauf der Evolution nach Gutdünken zu beeinflussen. Er wäre vielleicht nicht einmal mehr den Gesetzen von Raum und Zeit unterworfen. Diese künftigen Menschen – oder das, was immer sich aus ihnen entwickelt hat – werden womöglich selbst Universen im Labor erschaffen, und sie werden dann von deren Bewohnern als Götter verehrt werden.

Es steht nicht fest, ob es wirklich jemals so weit kommen wird. Aber der Mensch hat es selbst in der Hand, wenn er das Reale mit dem Möglichen verbindet.

80 Rezension: : Staffel 1 von Jacqueline Mayerhofer

© Peter Gludovatz/JM

Knapp ein Jahr ist es bei Erscheinen dieser Ausgabe des Corona Magazine bereits her, dass der Zuschauer in den Genuss der ersten Star Wars-Live-Action-Serie The Mandalorian kam, die am 12.11.2019 gestartet ist … zumindest international. In Europa lief die Space-Western-Reihe von Jon Favreau (Iron Man) und Dave Filoni (Avatar – Der Herr der Elemente) bekanntlich erst im Zuge des Starts des Streaming-Portals Disney+ im März 2020 an.

81 Doch wer kennt es mittlerweile nicht, das ikonische Duo, bestehend aus dem Mandalorianer Din Djarin (Pedro Pascal) und seinem Schützling, genannt »The Child« (der innerhalb der Fangemeinde weiterhin liebevoll als »Baby « bezeichnet wird)?

Staffel 1 des Projekts kam so gut an, dass bereits am 30.10.2020 der Start von Staffel 2 angekündigt wurde. Diesmal fand die Ausstrahlung auch weltweit gleichzeitig auf Disney+ statt, wodurch dem europäischen Raum nicht erneut Spoiler-Gefahr drohte.

Wer noch nicht eingestiegen ist, bekommt nachstehend die Gelegenheit, sich mit einem Episodenguide die Zeit zu vertreiben und damit schon mal sämtliche Erinnerungen an die acht Folgen der ersten Staffel aufzufrischen.

Folge 1: Der Mandalorianer (The Mandalorian)

Mandalorianer und Kopfgeldjäger Djarin verdient sich fünf Jahre nach dem Fall des Imperiums seinen täglichen Sold mit Aufträgen, die er über die Gilde erhält, der er angehört. Als »Mando« von Gildenoberhaupt (Carl Weathers) eines Tages an einen Imperialen weitergeleitet wird, erhält er einen Auftrag der besonderen Sorte: Der Serien-Protagonist soll auf dem Planeten Arvala-7 eine wichtige Person aufspüren. Dank der Hilfe eines Feuchtfarmers namens (Nick Nolte), einem Ugnaught, erreicht Djarin seinen Zielort, kämpft sich zusammen mit einem Attentäterdroiden IG-11 (Taika Waititi) durch ein Banditenlager und stößt schließlich auf sein Auftragsziel: ein fünfzig Jahre altes Kind, das der

82 gleichen Spezies wie der von Jedi-Meister Yoda angehört. Da IG-11 das Kind töten will, entschließt sich Djarin, den Droiden zu zerstören und das Kind in seine Obhut zu nehmen.

Fazit: Ein gelungener Serienstart, der dem Zuschauer nicht nur die dank Boba (Jeremy Bulloch) und (Temuera Morrison) bereits aus den Star Wars-Kinofilmen bekannte Coolness der Mandalorianer präsentiert, sondern gleichzeitig mit einem Kindercharakter besticht, der sich von der ersten Sekunde an in die Fanherzen geschlichen hat. Das Setting ist vertraut, und die gesamte erste Episode fühlt sich einfach so richtig nach Star Wars an.

Folge 2: Das Kind (The Child)

Als Djarin mit dem Kind zu seinem Raumschiff zurückkehrt, muss er sich erst einmal gegen Kopfgeldjäger zur Wehr setzen, nur um dann festzustellen, dass Jawas die Razor Crest zerlegt haben. Nachdem er dabei scheitert, die Jawas an der Flucht mit den Teilen zu hindern, sucht er erneut Kuiil auf, der einen Deal mit den Jawas vorschlägt. Zusammen mit dem Kind machen sich die beiden zu den Dieben auf und handeln aus, dass Mando ihnen im Tausch für seine Schiffsteile ein Ei besorgen soll. Einen Kampf mit einem Schlammhorn scheint Djarin zu verlieren, das Kind sorgt jedoch mit der Macht dafür, dass die Bestie aufgehalten wird. Djarin nutzt diese Gelegenheit und tötet diese. Ramponiert und erschöpft kehrt er zurück, übergibt den Jawas das Ei und baut schließlich mit Kuiil zusammen das Schiff wieder zusammen. Der Ugnaught lehnt das Angebot

83 des Helden allerdings ab, mit ihm zu reisen, und die beiden verabschieden sich als Freunde.

Fazit: Auch diese Folge spart nicht mit Action. Djarin ist zwar weiterhin ein eher wortkarger Held, dennoch bekommt man in Form des Kindes eine Überraschung präsentiert. Mando befindet sich offensichtlich in Begleitung eines Mitglieds einer machtintensiven Spezies. Und obwohl das Kind sein Auftragsziel darstellt, hat es seine ganze Kraft dafür aufgebraucht, um den einsamen Kopfgeldjäger zu retten. Eine ergreifende, spannende Folge. Gänsehaut garantiert!

Folge 3: Der Fehler (The Sin)

Djarin kehrt zusammen mit dem Kind nach Nevarro zurück, um es dem Imperialen zu übergeben. Als Bezahlung erhält er eine gewisse Menge Beskar, Mandalorisches Eisen, aus dem Mandalorianer ihre Rüstungen fertigen. Djarin sucht das Versteck seiner mandalorianischen Kameraden auf und lässt sich neue Teile für seine Beskar’gam (in der Mandalorianischen Sprache Mando’a steht das Wort für »Eiserne Haut«) schmieden. Entgegen der Vorschriften der Kopfgeldjägergilde erkundigt er sich nach dem Kind und beschließt schließlich, es aus den Klauen der Imperialen zu befreien. Nur mit Hilfe seiner mandalorianischen Kameraden, die in diesem Zuge ihre Präsenz auf Nevarro offenbaren, kann er gegen Gildenoberhaupt Karga und die anderen Kopfgeldjäger an- und mit dem Kind entkommen.

Fazit: Eine Folge, die die Herzen von Mandalorianer-Fans höherschlagen lässt. Nicht nur, dass man Djarins Stamm in

84 Aktion sieht, außerdem kann man erleben, wie mächtig Mandalorianer im Team sind und wie episch ein Kampf gegen diese hartgesottenen Krieger aussehen kann. Gleichzeitig lässt sich erkennen, dass Mandos Herz doch weicher ist, als es ihm selbst wohl lieb ist. Ein Held, der mit einem sympathischen Charakter besticht.

Folge 4: Die Zuflucht (Sanctuary)

Djarin und das Kind fliehen zusammen auf den dünnbesiedelten Planeten Sorgan, wo sie vorerst untertauchen wollen. Dort trifft Djarin auf (Gina Carano), eine alderaanische Ex-Schocktrupplerin, die sich nun als Söldnerin verdingt. Als Einheimische Djarin um Hilfe dabei bitten, gegen regelmäßigen Banditeneinfall vorzugehen und ihm im Gegenzug eine Unterkunft bieten, nimmt er dieses Angebot an. Zusammen mit Dune lehrt Mando die Einheimischen das Kämpfen und die Tatsache, dass sie sich genau so einem imperialen AT-ST werden stellen müssen. Gemeinsam schaffen sie es, die Banditen zu vertreiben. Djarin möchte das Kind auf dem Planeten zurücklassen, da es sich unter den Einheimischen wohlfühlt, als es jedoch von einem Kopfgeldjäger der Gilde beinahe erschossen wird, erkennt der Held, dass sein Schützling nur an seiner Seite sicher ist. Zusammen fliegen sie wieder von Sorgan weg.

Fazit: Diese Folge führt nicht nur mit Dune einen starken Frauencharakter ein, wie es ihn wesentlich öfter geben sollte, sondern zeigt in Verbindung mit der Witwe Omera (Julia Jones) auch, dass Djarin mit der Tatsache kämpft,

85 seinen Helm nie absetzen zu dürfen und in ihrer Gegenwart weich zu werden scheint. Die beiden Figuren verbindet ein scheinbar romantisches Knistern; es hätte der Folge allerdings definitiv nicht geschadet, dieses wegzulassen. Man weiß auch so, dass Mando trotz seiner Rüstung kein Herz aus Stahl hat.

© Disney+/Lucasfilm Ltd.

Folge 5: Der Revolverheld (The Gunslinger)

Wieder einmal ist ein Kopfgeldjäger der Gilde hinter Djarin her, der das Kind in seinen Besitz bringen möchte. Mando kann ihn zwar unschädlich machen, muss aber auf dem Planeten Tatooine landen, um die Razor Crest zu reparieren. In der Kantine von Mos Eisley trifft er auf einen anderen Kopfgeldjäger namens Toro Calican (Jake Cannavale), der in die Gilde aufgenommen werden will und Djarin um Hilfe bei seinem Versuch bittet, die Elitesoldatin Fennec Shand (Ming-Na Wen) zu ergreifen. Für eine Belohnung in Höhe des gesamten Kopfgelds willigt Mando ein.

86 Nur mit Mühe gelingt es den beiden, Shand festzunehmen. Als Djarin nach einer Transportmöglichkeit sucht, besticht Shand Calican mit der Information, dass der Mandalorianer viel mehr wert ist als sie, da er ein Verräter der Gilde ist. Calican tötet Shand und möchte Djarin sowie das Kind der Gilde ausliefern – und muss dafür selbst mit dem Leben bezahlen.

Fazit: In dieser Folge darf der Zuschauer aus der Perspektive des wohl coolsten Mandalorianers überhaupt – und zusammen mit dem wohl süßesten Baby der fiktionalen Galaxis – Mos Eisley einen Besuch abstatten, dessen Kantine man schon aus Krieg der Sterne (1977) kennt. Wieder einmal zeigt sich in dieser Folge zudem, wie raffiniert Djarin als Krieger ist und wie er über jede Gefahr triumphiert.

Folge 6: Der Gefangene (The Prisoner)

Djarin erhält von einem alten Weggefährten den Auftrag, zusammen mit vier Begleitern einen Twi’lek aus einem Gefängnistransporter der Neuen Republik zu befreien. Die Crew – bestehend aus Mando, den Söldnern Xi’an (Natalia Tena), Burg (Clancy Brown) und (Bill Burr) sowie dem Droiden Zero (Richard Ayoade) – infiltriert den Transporter, schaltet sämtliche Droiden aus und befreit den Gefangenen. Als sich Djarins Zwangsgefährten jedoch gegen ihn stellen, zeigt er erst so richtig, was passiert, wenn man sich mit Mandalorianern anlegt und setzt die Feinde einen nach dem anderen schachmatt. Am Ende stellt sich heraus, dass sein Auftraggeber ihn ebenso hintergehen möchte, doch Djarin gelingt es, diesem

87 die Neue Republik auf den Hals zu hetzen und ihn somit mit seinen eigenen Mitteln zu schlagen.

Fazit: Eine der actionreichsten und definitiv coolsten Folgen der ganzen Staffel. Untermalt von grandiosen Lichteffekten innerhalb des Raumschiffs zeigt Djarin, was er wirklich draufhat. Das Sprichwort: »Leg dich nicht mit Mandalorianern an!« (auf Mando’a: »Ke nu jurkadir sha Mando'ade!«) offenbart sich in Folge 6 erst so richtig. Auch ist auffällig, dass Mando bei keiner drohenden Gefahr auch nur ansatzweise zusammenzuckt, wenn es allerdings um das Kind geht, sieht die Sache vollkommen anders aus.

Folge 7: Die Abrechnung (The Reckoning)

Djarin erhält von Gildenoberhaupt Karga eine Nachricht mit der Bitte, zurück nach Nevarro zu kehren, um dem imperialen Auftraggeber, der immer noch hinter dem Kind her ist, die Stirn zu bieten. Erst wenn dieser Mann Geschichte ist, sind Mando und sein Schützling frei. Außerdem lockt Karga mit dem Angebot, Djarin nicht mehr länger von der Gilde verfolgen zu lassen. Da der Held keine Wahl hat und das Kind sonst nie in Sicherheit sein würde, rekrutiert er Dune von Sorgan und anschließend Kuiil von Arvala-7. Kuiil hat inzwischen IG-11 repariert und umprogrammiert, der fortan als Beschützer des Kindes dient. Nach ihrem Treffen mit Karga und anderen Gildenmitgliedern wird die Gruppe von Mynocks angegriffen. Das machtintensive Kind heilt die Wunden von Karga, der daraufhin gerührt verrät, dass es sich bei dem Ganzen eigentlich um eine Falle für Djarin gehandelt hat.

88 Karga macht nun mit ihnen gemeinsame Sache, während Kuiil mit dem Kind zurück zur Razor Crest kehrt. Da jedoch alles aus dem Ruder läuft, weil (Giancarlo Esposito) auftaucht und seine eigenen Leute – inklusive des imperialen Auftraggebers – tötet, stecken Djarin, Karga und Dune bald in einer Kantine fest, umzingelt von Sturmtruppen. Kuiil wird auf der Flucht getötet, und das Kind gerät in imperiale Gefangenschaft.

Fazit: Folge 7 stellt genau genommen den ersten Teil eines Zweiteilers dar. Ein ums andere Mal beweist The Mandalorian, wie gelungen die erste Staffel ist und besticht mit atemberaubenden Actionszenen, Charakterisierungs-Vertiefungen und viel Emotionalem, das auf die Tränendrüse drückt. Außerdem wird in Folge 7 offenbart, dass Mandalorianer nicht über eine Rasse, sondern über ein Kredo definiert werden.

Folge 8: Erlösung (Redemption)

IG-11 bringt das Kind wieder in seinen Besitz und eilt Djarin, Dune und Karga zu Hilfe. Vor der Kantine entbrennt ein Kampf gegen sämtliche Sturmtruppen und Gideon. Djarin wird dabei schwer verletzt und muss erkennen, dass die ihm verhassten Droiden in Form von IG-11 diesmal doch seine Rettung sind. Die Gruppe flieht in die unterirdischen Gänge. Es stellt sich heraus, dass die dort versteckten Mandalorianer fast alle getötet worden sind. Nur die Waffenschmiedin ist noch anwesend und meint, dass Djarin nun zusammen mit dem Kind einen eigenen Clan mit zwei Mitgliedern darstellt. Sie

89 bleibt zurück, während Mando mit seiner Crew auf einer Fähre durch eine Kanalisation aus Lavaflüssen flieht. Da der Ausgang von imperialen Truppen umstellt ist, leitet IG-11 seine Selbstzerstörung ein, um die anderen zu retten. Beinahe am Ziel angelangt erscheint jedoch Gideon in seinem TIE-Jäger und beschießt die Gruppe. Djarin gelingt es mit seinem neuen Jetpack, den Feind flugunfähig zu machen und die Gefahr zu neutralisieren. Schließlich verabschiedet sich Mando mit dem Kind von Karga und Dune, die auf Nevarro bleiben, und fliegt von dem Planeten weg. Wie sich herausstellt, hat jedoch auch Gideon überlebt und sich mit einem Dunkelschwert aus den Trümmern seines TIEs befreit.

Fazit: Folge 8 stellt ein grandioses und würdiges Finale einer inzwischen bestens etablierten neuen Star Wars-Serie dar, das noch viel mehr verspricht. Mando wird darin nicht nur offiziell zum Adoptivvater des Kindes, sondern zeigt sogar Mitgefühl mit IG-11, obwohl die Gründe für seinen Droidenhass fest in seiner Vergangenheit verankert sind. Rührend, spannend – genial!

90 © Disney+/Lucasfilm Ltd.

Wer sich nach dem Genuss dieses Artikels gleich den Trailer zur zweiten Staffel ansehen will, folgt am besten untenstehendem Link. In diesem Sinne: Das ist der Weg!

Weiterführende Informationen zum Thema: https://www.youtube.com/watch?v=eW7Twd85m2g&ab_c hannel=StarWars – Trailer The Mandalorian, Staffel 2

91 Rezension: Star Wars: Vader – Dunkle Visionen von Daniel Pabst

Wiedersehen mit dem Hauptschurken

Darth Vader ist der »Auserwählte« im Star Wars-Franchise. Er ist Dreh- und Angelpunkt der sogenannten »Skywalker-Saga«. Das steht außer Frage. Im Zuge der Kinofilme erlebt der Zuseher die Transformation des machtaffinen Anakin Skywalker (Hayden Christensen) zu (David Prowse/James Earl Jones) und erfährt von dessen furchtlosem Wirken. Selbst nach seinem Tod wirkt Vaders Einfluss fort: So dient er (Adam Driver) als böses Vorbild, welches für diesen aber unerreicht bleiben wird.

Der Comic Star Wars: Vader – Dunkle Visionen (2019) zeigt, wie Vader bei einigen für Star Wars-Fans unbekannten Figuren einen bleibenden Eindruck hinterlässt. In fünf eigenständigen Geschichten schlägt der dunkle Lord zu, präsentiert seine Macht auf verschiedenste Weise und bietet damit ein Psychogramm, das die Charakterzüge Vaders aus den bekannten Kinofilmen umfassend erweitert.

Dunkle Visionen beinhaltet fünf Comic-Ausgaben, in denen jeweils eine »Horror«-Geschichte über Vader erzählt wird. Erschienen ist der Band in deutscher Sprache bei der Panini Verlags GmbH.

92 Der Autor des Werks ist Dennis Hopeless (Amazing Spider-Man), auch als Dennis »Hopeless« Hallum bekannt. Für die Farben zuständig waren Paolo Villanelli, Brian Level, David Lopez & Javi Pina, Stephen Mooney und Geraldo Borges. Das Artwork wurde gestaltet von Arif Prianto, Jordan Boyd, Muntsa Vicente, Lee Loughridge und Marcio Menyz. Als Redakteur dieser Ausgabe zeichnete Jürgen Zahn verantwortlich, Chefredakteur war Jo Löffler, und der Übersetzer war Justin Aardvark. Das Lettering übernahm Rowan Rüster, und für die Grafik zuständig war Markus Janda.

93 Jede der fünf »Visionen« erzählt wie erwähnt eine andere eigenständige Geschichte, in die andere Figuren und Themen Einzug hielten. So veranschaulichen die Comics beeindruckend jeweils einen anderen Aspekt des dunklen Sith-Lords. Die Leserinnen und Leser können verfolgen, wie Darth Vader sich als Held, Piloten-Ass, verehrter Liebhaber, angsteinflößender Vorgesetzter und (Albtraum-)Monster präsentiert. Diese Entscheidung der Comic-Gestalter, in jeder Vision ein neues Abenteuer darzustellen, gestaltet sich als sehr interessant. Langeweile kommt so in keiner Sekunde auf. Die Blickwinkel der unbekannten Figuren auf Vader sind wie ein Kaleidoskop, durch das man Charakterzüge des Sith-Lords erkennen kann, die sich von denen aus den Filmen, Serien und aus sonstigem Material unterscheiden.

Bei diesen düsteren (Märchen-)Visionen aus dem Star Wars-Universum stehen die Bilder und starken Momente im Vordergrund. Ob nun der dunkle Lord in der Dunkelheit der Galaxis tatsächlich, wie auf der Comic-Rückseite prophezeit wird (»In absoluter Schwärze wird die Dunkelheit zum Licht«), durch seine Handlungen seine Umgebung erhellt, diese Einschätzung bleibt – ähnlich wie bei einem Märchen – den Leserinnen und Lesern überlassen. Auch kann sich der Star Wars-Fan selbst fragen, ob diese erzählten »Visionen« sich in die Star Wars-Saga tatsächlich einfügen oder letztlich auch insgesamt Fiktion bleiben.

Der Zeichenstil ist in seiner Form, auch im Vergleich zu anderen Star Wars-Comics, atemberaubend. Beachtet man, dass jede »Vision« im Schnitt 24 Seiten beinhaltet, schmälert dies keinesfalls den Lesegenuss. Jedes Bild ist

94 geprägt von einem eigenen Zeichenstil, wobei es schwerfällt, einen Favoriten unter den einzelnen Stilen auszuwählen. Den Bildern wird gerne fast eine gesamte Seite gewidmet, oder es wird auf den Panelrand verzichtet, sodass der Comic sehr lebendig und unmittelbar wirkt. Man erhält den Eindruck, dass man sich wie in einem Film mitten drin in der fiktiven Comic-Situation befinden würde. Als Zusatz ist am Ende des Comics jeweils das passende Cover der fünf Visionen abgedruckt worden.

Auch die Textgestaltung überzeugt vollends. In drei Geschichten sind Textblasen eingefügt worden, die die Gedanken dreier Figuren wiedergeben, sodass besonders viel Nähe zu den Erlebnissen erzeugt wird. Die Enden der »Visionen« kommen mal überraschend und hinterlassen Staunen, mal gestalten sie sich ähnlich wie erwartet, hinterlassen aber auch den Wunsch, die Geschichte auf ein Neues zu lesen.

Fazit

Dunkle Visionen überzeugt! Nicht nur die vielfältigen, actiongeladenen Storys brillieren, sondern auch der jeweilige Zeichenstil. Dunkle Visionen sollte auch Nicht-Darth-Vader-Fans und Personen, die mit Star Wars eigentlich nicht besonders viel zu tun haben, bleibende Freude bereiten.

Dennis Hopeless/Brian Level Star Wars: Vader – Dunkle Visionen Stuttgart, Panini Verlags GmbH 2019, 128 Seiten

95 Rezension: Star Wars: Meistgesucht – Die Vorgeschichte zu Solo von Frank Stein

Ergänzung zum Film

Han Solo (Harrison Ford), der charmante Schurke, ist der vielleicht beliebteste Held der Star Wars-Saga. Wie so vieles andere war er in Krieg der Sterne (1977) eben einfach da, mit einem haarigen Riesen als Kumpel, einer raketenschnellen Rostlaube von einem Schiff und der Behauptung, den Kossal-Flug in weniger als 12 Parsecs geschafft zu haben (hä?). Und das Publikum liebte ihn, so wenig man im Laufe der Filme auch über ihn erfuhr. Der Film Solo: A Star Wars Story (2018) füllte bei den Fans (zumindest bei jenen, die zuvor das sogenannte »Expanded Universe« ignoriert hatten) zahlreiche Wissenslücken. Star Wars: Meistgesucht – Die Vorgeschichte zu Solo (2018) ist der Prequel-Roman zu diesem Streifen.

Zu Beginn von Solo gehört ein junger Han (Alden Ehrenreich) zu einer Gossengang auf seiner Heimatwelt Corellia. Er leidet unter den Launen seiner Chefin Lady Proxima (Linda Hunt), einem eklig weißen, mit schmutzigem Schmuck behängtem Wasserwurm, und er liebt eine junge Diebin namens Qi'ra (Emilia Clarke), die ebenfalls zu der Bande gehört. Beide träumen davon, von Corellia zu fliehen, was ihnen auch gelingt, allerdings müssen sie einen hohen Preis dafür zahlen, der sie beide verändern wird. Aber stimmt das hier Erzählte auch?

96 Meistgesucht, ein Roman von Rae Carson (die bis dato zwei Fantasy-Trilogien und Kurzgeschichten verfasst hatte, unter anderem für Star Wars – From a Certain Point of View und Star Wars – Canto Bight), lässt den Leser Solo und Qi'ra bereits ein paar Wochen vor der Handlung des Films kennenlernen. Es zeigt sich, dass die Sehnsüchte der beiden, die später ihr Handeln bestimmen sollen, bereits existieren. Solo etwa träumt davon, irgendwann Corellia zu verlassen und mit einem eigenen Raumschiff, das vor allem schnell sein soll, die Galaxis zu bereisen. Qi'ra wünscht sich Freiheit, Luxus und das Ohr der Mächtigen, vielleicht sogar selbst

97 Macht. In der Kanalisation, in den Reihen der »Weißen Würmer« wollen die beiden jedenfalls nicht alt werden.

Doch jeder Traum beginnt klein, und so gilt es zunächst für die beiden Figuren, die anfangs als Rivalen auftreten, einen Job für Lady Proxima zu erledigen. Beiden wird dafür – unabhängig voneinander – ein Posten als Unterführer in der Gang versprochen, der mit einigen Privilegien einhergeht. Allerdings läuft dieser Job gründlich schief! Ein wertvolles Objekt soll im Zuge einer Auktion den Besitzer wechseln. Lady Proxima will mitbieten. Doch eine der Parteien legt eine absurd hohe Summe auf den Tisch, eine andere wird wütend darüber; es kommt zu einer Schießerei, und plötzlich sind Solo und Qi'ra – schon bald begleitet von ihrem technikaffinen Rodianer-Freund Tsuulo – auf der Flucht, im Gepäck das wertvolle Objekt.

Damit beginnt eine Jagd quer durch Coronet, die Hauptstadt von Corellia. Verfolgt wird die Gruppe unter anderem von Lady Proximas Leuten, die sie für Verräter halten, von einem Verbrechersyndikat, das das Objekt haben möchte, und vom Imperium, dem es gestohlen wurde. Nur indem die drei jungen Gauner zusammenarbeiten und indem jeder seine Stärken einbringt – Qi'ra ist die Planerin, Solo der spontan Improvisierende und Tsuulo das Technikgenie –, können sie überleben und darauf hoffen, aus diesem Schlamassel wieder herauszukommen.

Das Ganze liest sich wirklich flott und kurzweilig, ist aber einmal mehr ein sehr kleines Abenteuer. Man hat hier drei junge Erwachsene, die sich durch die Gossen einer Großstadt schlagen, deren Grenzen sie erst ganz am Schluss

98 kurz verlassen. Der »MacGuffin« des Romans, das Auktionsobjekt, wird zwar als durchaus mächtig dargestellt, aber unterm Strich hat er keine Auswirkungen auf die Galaxis oder die Filmsaga. Dafür musste die Autorin sorgen. Storytechnisch bleibt Meistgesucht also ganz bei sich und ohne jeden Einfluss auf das Gesamtbild.

Was im Roman geboten wird, ist dafür eine vertiefende Charakterisierung von Solo und Qi'ra – und ein paar Einblicke in das Leben auf Corellia im Allgemeinen beziehungsweise auf das bei den Weißen Würmern im Speziellen. Da man als Fan von Solo diesen Charakter bereits leidlich kennt, gibt es hier wenig neue Erkenntnisse. Interessanter ist da das Innenleben von Qi'ra, die bemerkenswert spröde und abweisend dargestellt wird. Man merkt ihr das Leben auf der Straße an, das sie misstrauisch gegenüber vermeintlichen Freunden gemacht hat. Und da ihr zudem die Leichtigkeit im Wesen fehlt, von der Solo stets profitiert, wird es für sie auch nicht leichter, sich zu öffnen.

Für Fans des Expanded Universe aus Prä-Disney-Zeiten ärgerlich ist zweifellos die Neuausrichtung in Solos Lebenslauf. Schon der Film Solo erzählte vieles ja anders, als man es bisher etwa aus der Han-Solo-Trilogie von Ann C. Crispin kannte. Diese Abweichungen setzen sich bei Meistgesucht natürlich fort. Aber diese Änderungen betreffen ja nicht nur Solo, sondern auch viele andere Figuren und ihre Entwicklungen in der Star Wars-Saga. Insofern muss jeder Fan für sich entscheiden, ob er offen dem neuen Kanon gegenüber ist

99 oder lieber an den alten Geschichten festhält (für letztere Fans ist dieser Roman definitiv nichts.)

Positiv hervorheben möchte der Autor dieses Artikels am Ende noch das Covermotiv von Florian Nicolle. Dessen schmutziger Stil passt sehr gut zu einem Leben am Rande der Gesellschaft. Darüber hinaus trifft der Künstler Han und Qi'ra (beziehungsweise die Schauspieler Ehrenreich und Clarke) sehr gut.

Fazit

Meistgesucht erzählt ein kleines, flottes Abenteuer aus Solos frühen Jahren, das kurz vor dem Film Solo angesiedelt ist. Die Handlung an sich bleibt sehr lokal und ohne Folgen für die Saga, allerdings werden die Charaktere Solo und Qi'ra vertieft, wobei vor allem das Innenleben von Qi'ra interessant ist und ein paar ihrer späteren Entscheidungen um eine zusätzliche (nicht unbedingt positive) Dimension erweitert. Ein rundum unterhaltsamer, wenngleich nicht spektakulärer Young-Adult-Roman für Fans von Solo, die verschmerzen können, dass hier nicht ein junger Ford gemeint ist.

Star Wars: Meistgesucht – Die Vorgeschichte zu Solo Rae Carson Panini Verlags GmbH (2018) 336 Seiten ISBN: 978-3-8332-3637-2

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101 Blue Box – Die Doctor-Who-Ecke

Ressortleiter Peter R. Krüger

Herzlich willkommen zu einer weiteren Rubrik im Corona Magazine, die die zahlreichen Fans von Doctor Who zu ihrem Recht kommen lässt. Neben Star Trek, Star Wars und Perry Rhodan laden wir damit eine weitere starke Fangruppe zu uns ein. Einsteigen und anschnallen!

Kolumne: Hinter der blauen Tür – Folge 2: Der Doktor und das liebe Vieh? von Peter R. Krüger

Was dem Motorradfahrer die Harley-Davidson, ist dem Doctor Who-Fan Peter Davison (Per Anhalter durch die Galaxis): glänzender Kult einer Ära, der man gerne etwas Wehmut entgegenbringt. 102 Der gemeine Biker träumt von spiegelndem Chrom, dem satten Sound eines V-2-Shovelhead-Motors, dazu die freie Landstraße unter den Rädern und auf beiden Seiten der Straße saftige Weiden, auf denen Rinder grasen. Der Doctor Who-Fan erinnert sich da eher daran, dass Rinder auch mal einen Doktor brauchen. In diesem Fall einen Veterinärs-Azubi. Denn Davison wurde einem Millionenpublikum sowohl in Großbritannien als auch in Deutschland vor allem erst einmal durch seine Rolle als Tristan Farnon in der Serie Der Doktor und das liebe Vieh bekannt. 1978 in Großbritannien gestartet nahm nur ein Jahr später das ARD die Serie in sein Programm auf. Ganze drei Jahre lief die Reihe zunächst, bevor sie vorerst beendet wurde und Davison frei war, um den sehr beliebten Tom Baker (Das Labor des Grauens – The Freakmaker) als Doctor abzulösen.

Hierzulande war das keine große Sache, denn Doctor Who (seit 1963) sollte in Deutschland anno 1981 noch keine Rolle spielen. Überhaupt sah es in Deutschland genretechnisch zu dieser Zeit noch etwas anders aus. Doctor Who war praktisch nicht existent, genauso wenig wie die teuerste Science-Fiction-Serie ihrer Zeit, Kampfstern Galactica (1978–1980). Über insgesamt drei Kinofilme zu dieser durfte man sich als deutscher Fan zwar freuen, doch die Synchronisation der Serie selbst und deren Ausstrahlung sollte noch bis 1989 dauern.

Harleys fuhren damals im Übrigen auch nur wenige Biker, um noch einmal den Vergleich zu bemühen; zu teuer und zu reparaturbedürftig. In dieser Branche konnten sich die Japaner damals ihren teils guten aber auch teils schlechten

103 Ruf aufbauen. Nämlich einerseits zuverlässige Maschinen zu bauen, die aber allesamt Kopien von »echten« Motorrädern zu sein schienen.

Was aber hat Doctor Who mit Harley-Davidson zu tun?

Bis auf die Ähnlichkeit der Namen Davidson und Davison natürlich genaugenommen gar nichts. Und nicht einmal diese Ähnlichkeit wäre überhaupt zustande gekommen, wenn sich der junge Schauspieler Peter Moffett einst zu Beginn seiner Schauspielkarriere nicht den Künstlernamen »Peter Davison« zugelegt hätte, um nicht mit dem damals bereits renommierten Schauspieler und Regisseur Peter Moffatt verwechselt zu werden. Vermutlich ein weiser Entschluss, denn sowohl in Der Doktor und das liebe Vieh, als auch in Doctor Who arbeiteten beide Männer schließlich zusammen; Moffatt als Regisseur und Moffett als Schauspieler. Da macht sich die Verwechslungsgefahr bezüglich einer traditionsreichen Motorradschmiede doch viel besser, oder?

104 Vertrauen Sie mir, ich bin ein Doctor!

Das Schicksal geht manchmal seltsame Wege. Im Fall von Davison ganz besonders interessante Wege, zumindest, was seine beiden wohl bedeutendsten Serien angeht.

Der Doktor und das liebe Vieh musste aufgrund von nicht vorhandenem verfilmbarem Material wie erwähnt zunächst eingestellt werden; die Serie basiert auf den Erzählungen des britischen Veterinärs James Alfred Wight, der diese Geschichten unter seinem Pseudonym James Herriot veröffentlichte. Zu diesem Zeitpunkt trat der damalige (neue) Produzent der Serie Doctor Who, John Nathan-Turner, an Davison heran und bot ihm die Rolle der Titelfigur an. Davison übernahm bekanntermaßen die Rolle für drei Staffeln, wollte sich aber nicht vollends auf diese Figur festlegen lassen und verließ die Produktion wieder, um dann, im Jahr 1985, womit weiterzumachen? Genau. Mit Der Doktor und das liebe Vieh! Für weitere vier Jahre spielte Davison dann die Rolle des Farnon. Zwar nicht die ganze Zeit, aber immerhin wirft diese Entscheidung eine Frage auf, die an dieser Stelle zwar nicht beantwortet werden kann, über die sich aber spekulieren ließe. War es für Davison vielleicht nur ein Vorwand, zu sagen, man wolle sich nicht auf eine Rolle festlegen lassen?

105 Bakerman is breaking Bad

Es ist bekannt, dass Baker seinerzeit zwar selbst verkündet hatte, aus der Serie auszuscheiden, doch weiß man auch, dass es hinter der Kamera ganz schön brodelte. Bei der Zusammenarbeit mit dem vorherigen Produzenten der Serie, Graham Williams (Super Gran) verlief alles noch recht normal. Baker hatte inzwischen die Figur des Doctors so sehr vereinnahmt, dass er selbst entschied, wie der Doctor agieren würde. Wegen dieser Einstellung geriet er dann mit dem Nachfolger John Nathan-Turner aneinander, schmiss das Handtuch und wurde von Davison ersetzt.

Dessen Nachfolger, Colin Baker (A Christmas Carol), der allerdings nicht mit Tom Baker verwandt ist, hatte nun das Pech, nicht nur die schrecklichste Garderobe von allen Doctors zu erhalten, sondern auch noch nach nur zwei Staffeln ausgetauscht zu werden. Den vorerst letzten Doctor, Sylvester McCoy (Sense8), ereilte schließlich nach nur drei Staffeln das schrecklichste Schicksal aller bisherigen Doctors: Mit ihm wurde die ganze Serie für lange Zeit zu Grabe getragen.

106 Colin Baker war seinerzeit mit der Absicht angetreten, länger den Doctor darstellen zu wollen als sein Namensvetter, der bis heute den Rekord von sieben Staffeln hält. Und auch McCoy hätte die Rolle sicher gern noch etwas länger übernommen. Ein Anzeichen dafür ist seine kurze Wiederkehr in dem später produzierten Streifen Doctor Who – Der Film von 1996.

Vor diesem Hintergrund muss man sich tatsächlich die Frage stellen, ob nicht vielleicht doch mehr hinter den Kulissen geschehen ist. Immerhin hat Davison seine Rolle in Der Doktor und das liebe Vieh im Nachgang für sieben Staffeln behalten. Und das sogar über ganze zwölf Jahre hinweg (1978–1990).

Timelash in good old Germany

107 Die Ausstrahlung von besagten Episoden fand in Deutschland erst statt, kurz bevor Doctor Who im Heimatland Großbritannien eingestellt wurde. Schlechtes Timing, könnte man sagen. Nachdem schließlich der siebte und anschließend der sechste Doctor im heimischen TV gezeigt worden war, durfte man das Jubiläumsspecial zum zwanzigjährigen Bestehen der Sendung (1983) in Deutschland gar erst im Februar 1995 sehen. Zu der Zeit waren längst alle Messen gesungen. Kein Fernsehstudio wollte sich da mehr an die abgesetzte britische Serie wagen. Den Film von 1996 schließlich konnte man sich ab 1998 als Videokassette ausleihen oder kaufen.

Doctor Peter bleibt der Serie gewogen

Anders als Tom Baker, der die Serie wie erwähnt eher unfreiwillig verließ und zumindest zeitweilig nicht gut auf Doctor Who zu sprechen war, steht Davison der Serie bis heute treu zur Seite. Von Auftritten auf Charity-Veranstaltungen wie BBC Children in Need über Convention-Besuche bis hin zu dem sehr sehenswerten Kurzfilm The Five(ish) Doctors Reboot (2013), den er zum 50-jährigen Jubiläum inszenierte, leistete Davison bereits viel. Als fünfter Doctor ist er nicht nur in Großbritannien noch heute sehr beliebt.

Der unermüdlichen Arbeit der Pandastorm Pictures GmbH und der polyband Medien GmbH ist es zu verdanken, dass die Fans heutzutage nach und nach auch tatsächlich in den (synchronisierten) Genuss der klassischen Folgen des fünften Doctors und von weiterer Doctors der klassischen Ära kommen können.

108 Festzuhalten bleibt auf jeden Fall, dass die neue Serie, die seit 2005 läuft – in der erstmals Christopher Eccleston (Thor – The Dark Kingdom) dem Doctor neues Leben einhauchte –, ihren Kultstatus den Doctors der klassischen Ära zu verdanken hat.

Doch Doctor Who beeinflusst weiterhin nicht nur die Jugend Großbritanniens und Fans auf aller Welt. Einen Blick über den Tellerrand gibt es in der nächsten Ausgabe. Reisen Sie mit dem Autor dieses Artikels, wenn es nächstes Mal heißt: Hinter der blauen Tür – Folge 3: Bunt ist das Dasein und granatenstark!

News: Der TARDIS-Ticker – Doctor-Who-Neuigkeiten von Peter R. Krüger

Staffel 12 von Doctor Who auf Deutsch

109 Wie man der Homepage der polyband Medien GmbH entnehmen kann, werden deutsche Doctor Who-Fans ab dem 25.09.2020 endlich die langersehnte zwölfte Staffel auf DVD und Blu-ray erwerben können. Seit 23.07.2020 ist die Staffel bereits auf FOX zu sehen. Zehn neue Folgen erwarten Whovians, und man darf davon ausgehen, dass einige spannende Überraschungen auf der Veröffentlichung enthalten sind. Unter anderem wird der aktuelle Doctor (Jodie Whittaker) neben Nikola Tesla und Mary Shelley einen beliebten Charakter früherer Staffeln treffen, der zudem auch in der Ableger-Serie Torchwood (2006–2011) einige Abenteuer bestehen durfte. Richtig, die Rede ist von John Barrowman alias Captain Jack Harkness.

Staffel 13 von Doctor Who vorerst auf Eis gelegt

Aufgrund der aktuellen Lage rund um das Virus SARS-CoV-2 mussten weltweit viele Film- und Fernsehproduktionen vorübergehend eingestellt werden. Das trifft auch die Produktion der 13. Staffel von Doctor Who. BBC Wales-Direktor Rhodri Talfan Davies dazu: »Es kommt auf das Social Distancing an. Eine Produktion wie diese, die gleichzeitig hunderte von Leuten beschäftigt, Freelancer und alles, kann meiner Meinung nach nicht die derzeitigen Standards eines sozial distanzierten Umfelds erfüllen. Es hängt also davon ab, wann man glaubt, dass das Social Distancing enden wird.« Derzeit ist es also keine Frage, ob es mit der Serie weitergehen wird, sondern wann.

Weihnachtsspecial von Doctor Who im Kasten

110 Trotz des Wermutstropfens der Verzögerung der 13. Staffel von Doctor Who (seit 1963) gibt es eine weitere gute Nachricht. Das diesjährige Weihnachtsspecial Revolution of the Daleks ist komplett abgedreht und wird zum Jahreswechsel 2020/2021 in Großbritannien erscheinen. Der deutsche Erscheinungstermin steht allerdings noch nicht fest.

Doctor Who für die Ohren

Big Finish produziert bereits seit Jahren Doctor Who-Hörspiele mit den Stimmen der Originalschauspieler. Nun haben sich die Macher etwas Besonderes einfallen lassen. Das neue Hörspielabenteuer Doctor Who: Time Lord Victorious – Echoes of Extinction wird in einer limitierten Doppelalbum-LP-Version veröffentlicht. Jede LP beinhaltet ein Abenteuer; beide können in beliebiger Reihenfolge gehört werden und gehören doch zusammen. Der Clou dabei ist, dass die Doppelalbum-LP jeweils ein Abenteuer mit dem achten Doctor (Paul McGann) und dem zehnten Doctor (David Tennant) beinhalten wird. Geplanter Veröffentlichungstermin im englischsprachigen Raum ist der 27.11.2020.

Doctor Who als Comic

Doctor Who: Time Lord Victorious ist nicht nur der Titel des zuvor genannten Hörspiels, sondern auch der neuen Comic-Serie aus dem Hause Titan. Jody Houser (Autorin) und Roberta Ingranata (Zeichnerin) sind die Köpfe hinter dem Comic-Projekt. Insgesamt vier Cover-Motive sind für

111 die Ausgabe Nr. 1 vorgesehen, und Cover A stimmt den Leser schon einmal darauf ein, sowohl den zehnten als auch den neunten und den achten Doctor wiederzusehen. Ein Auftritt von Rose scheint darüber hinaus ebenfalls vorzukommen. Geplanter Veröffentlichungstermin im englischsprachigen Raum ist der 02.09.2020.

Christopher Eccleston kehrt zurück

Nur eine Staffel lang hatte Christopher Eccleston (28 Days Later) einst den Doctor verkörpert, damit aber der Serie eine Art von neuem Auftrieb gegeben, der bis heute anhält. Hinter den Kulissen gab es jedoch Unstimmigkeiten, und Eccleston verließ nicht nur Doctor Who, sondern beteiligte sich fortan auch an keinem weiteren Engagement hierzu. Nun gaben aber die BBC und Big Finish Productions bekannt, dass der charismatische Schauspieler für eine Reihe von Hörspiel-Abenteuern in seine Rolle als neunter Doctor zurückkehren wird. Möglicherweise ist dies ein erster Schritt in die richtige Richtung, und Fans der Serie können darauf hoffen, Eccleston auch im Zuge eines Specials wieder in seiner Rolle sehen zu dürfen. Dies jedoch ist noch absolut ungewiss.

112 © BBC

DVD-Rezension: Doctor Who – Kinda – Ein Klassiker aus der Ära des fünften Doctors von Peter R. Krüger

Aus dem Hause Pandastorm Pictures GmbH kommt seit diesem Jahr das Abenteuer Doctor Who – Kinda sowohl als DVD und Blu-ray als auch als edles Mediabook in limitierter Auflage.

113 Worum geht es?

Die TARDIS landet auf dem Dschungelplaneten Deva Loka. Der Doktor (Peter Davison) und Adric (Matthew Waterhouse) gelangen in die Station einer irdischen Expedition, die eine Besiedelung des Planeten vorbereiten soll. Die scheinbar wilden Ureinwohner sind allerdings gar nicht fasziniert von den irdischen Plänen und versuchen, die Besucher mittels ihrer mentalen Kräfte in den Wahnsinn zu treiben. Eine böse, fremde Macht namens Mara schleicht sich dabei in die Träume von Tegan (Janet Fielding). Besessen von dieser Macht hilft sie Mara bei ihrem perfiden Plan, sich an den Ureinwohnern zu rächen …

114 Die Geschichte wird in vier Episoden zu je 25 Minuten erzählt und geizt nicht mit Ideen. Für die heutigen Sehgewohnheiten mag einem einiges etwas einfach erscheinen, jedoch ist unschwer zu erkennen, dass Stab und Crew hier mit viel Liebe zum Detail gearbeitet haben, um Kinda zu einer außergewöhnlichen Folge zu machen.

115 Wer in den Genuss des limitierten Mediabooks kommt, den erwartet neben der Bonusdisc auch, wie bei Mediabooks üblich, ein schön gestaltetes Booklet mit sehr interessanten Informationen zur Folge. Als kleines Extrabonus wurden einige Tricks neu digital erstellt; der Vergleich lohnt sich in jedem Fall. Die Originalfassung hat natürlich ihren eigenen Charme, aber die digitalen Tricks wurden so liebevoll gestaltet, als gehörten sie von Anfang an in die Szenen hinein.

Fazit

Ein sehr sehenswertes und tiefgründiges Abenteuer mit dem fünften Doctor.

116 DVD-Rezension: Doctor Who – Animated Double Feature Collection – Auf der Suche nach der Unendlichkeit und Dreamland: Invasion der Area 51 von Peter R. Krüger

Endlich, zehn bis zwölf Jahre nach dem eigentlichen Erscheinen, dürfen Doctor Who-Fans auch die beiden animierten Abenteuer des zehnten Doctors im Heimkino erleben.

Bereits 2007 ging die BBC mit The Infinite Quest (Auf der Suche nach der Unendlichkeit) für zwölf Wochen im Kinderprogramm auf Sendung, mit jeweils dreieinhalb Minuten Sendezeit. Dreamland (Dreamland: Invasion der 117 Area 51) wurde im Jahr 2009 dann weniger zerstückelt, war aber auch über mehrere Wochen hinweg auf Sendung. Die polyband Medien GmbH hat es den Doctor Who-Fans im August 2019 sodann ermöglicht, diese beiden Geschichten des zehnten Doctors in Form der Doctor Who – Animated Double Feature Collection endlich auch in Synchronfassung erleben zu können.

In Auf der Suche nach der Unendlichkeit reisen der Doctor und Martha Jones, die 2007 die Begleiterin des Doctors war, durchs Weltall, um den Verbleib des Raumschiffes Unendlichkeit zu klären. Das machen sie natürlich aus gutem Grund. Denn ein Fiesling sucht ebenfalls nach dem Schiff und will sich dessen Macht aneignen, um sich seinen Herzenswunsch erfüllen zu können.

118 Dreamland: Invasion der Area 51 versetzt den Doctor in die 1950er-Jahre. Passend zur großen Zeit der UFO-Sichtungen und Invasionsfilme. Und genauso passend ist auch das Abenteuer in dieser Episode, in dem es um »typische« Außerirdische in den USA geht.

Beide Folgen haben sehr unterschiedliche Animationsstile, was sicherlich auch auf den zeitlichen Abstand der Episoden zurückzuführen ist. Während im ersten Abenteuer noch die damalige Begleiterin Jones (in der Realserie gespielt von Freema Agyeman) mit von der Partie ist, reist der Doctor im zweiten Abenteuer zwar allein in die Vereinigten Staaten, erhält dort aber Unterstützung von der Barkeeperin Cassie (gesprochen von David Tennants späterer Frau Georgia Moffett) und deren indianischem Freund Jimmy.

Die deutsche Synchronisation

Natürlich hat polyband hier wieder wie gewohnt hervorragende Qualität abgeliefert. Doch muss an dieser

119 Stelle leider auf einen traurigen Umstand hingewiesen werden. Deutsche Fans der Reihe Doctor Who (seit 1963) haben im Laufe der Zeit die Stimme von Philipp Brammer (Scooby-Doo) als die Stimme des zehnten Doctors – Tennant – kennengelernt. Doch bei dieser Veröffentlichung müssen sie sich plötzlich an die Stimme von Peter Flechtner (: A Star Wars Story) gewöhnen. Hintergrund hierfür ist eine Tragödie: Brammer kam bei einer Klettertour auf dem Edelweißlahner im Jahr 2014 ums Leben. Um einen Ersatz zu finden, wurde auf Flechtner zurückgegriffen, den Fans der Serie bereits kennen. Seine Stimme war nämlich sowohl in Doctor Who als auch später in dem Torchwood-Ableger als die des unsterblichen Captain Jack Harkness (John Barrowman) zu hören. Und Flechtner hat in beiden Folgen ganz hervorragende Arbeit geleistet, die die von Brammer sicher nicht vergessen machen wird (und auch nicht soll), was einen hervorragenden Ersatz darstellt.

Beide Folgen sind unbedingt als spannende Familienunterhaltung anzusehen und können von Jung und Alt gleichermaßen genossen werden.

120 Feature: Fez off – Die Gallifrey Geeks im Talk um relative Dimensionen. Folge 1: Exterminieren! Oder: warum die Daleks trotzdem immer verlieren von Peter R. Krüger

Bereits in Ausgabe 02/2020 hat der Autor dieses Artikels ein recht umfassendes Interview mit vier Fans der Serie Doctor

121 Who (seit 1963) führen können. Dabei handelte es sich um Monique Gilling und Heng Wanger aus Luxemburg, Markus von Känel aus der Schweiz und Achim Ahnert aus Deutschland.

Für die gegenständliche Artikel-Reihe haben sich diese vier Fans und der Autor dieses Artikels nun erneut zusammengetan und wollen zukünftig im Corona Magazine Ausgabe für Ausgabe ein paar Fragen zu ihrem Lieblings-Franchise nachgehen, die zu einer kurzen Diskussion einladen. Dabei darf jeder seine Meinung kundtun, aber auch ein Veto einlegen, falls er der Ansicht von einem anderen der »Gallifrey Geeks« widerspricht.

Der schmissige Name der Reihe, Fez off – Die Gallifrey Geeks im Talk um relative Dimensionen stellt ein kleines Wortspiel mit Doctor Who-Bezug dar: »Face off« bedeutet so viel wie Hosen runter, raus mit der Sprache. Und ein Fez ist schlicht cool! Es kann losgehen …

122 Peter R. Krüger (PK): Fez off: Seit fast 60 Jahren versuchen die Daleks, die Erde zu zerstören. Was meint ihr, warum der Doctor sie immer wieder davon abhalten kann?

Heng Wanger (HW): Die Daleks kennen nur Hass. Sie können zwar langfristig perfekte Pläne entwerfen, sind aber in der jeweiligen Situation durch ihren Hass oft zu emotional und machen Fehler, zu denen sie vom Doctor quasi gedrängt werden, da der Doctor die Schwächen der Daleks ganz genau kennt.

Achim Ahnert (AA): Hengs Meinung bringt es auf den Punkt. Der zentrale Dreh- und Angelpunkt ist der Hass, und der macht die Daleks blind, was der Doctor stets geschickt auszunutzen weiß. Und außerdem macht es dem Doctor einen Heidenspaß, diese garstigen schleimigen und zappeligen Seesterne auf das untere Niveau zu befördern, wo sie in der Evolutionsstufe eigentlich hingehören.

Markus von Känel (MK): Der ultimative Hass ist offenbar tatsächlich der zentrale Antrieb und macht die Daleks in entscheidenden Momenten blind für die Schachzüge des Doctors, mit denen sie dann regelmäßig mattgesetzt werden.

123 Aber ich möchte Heng in einem Punkt widersprechen: Wären die Pläne der Daleks tatsächlich soo genial, wäre die ganze Sache wahrscheinlich schon in den 1960er-Jahren geregelt worden. Die Menschheit gäbe es dann nicht mehr, der Doctor wäre eventuell geschlagen worden, und die Daleks würden seinen Namen kennen. Aber: Ätsch, lange Nase; dem ist nicht so. Ehrlich gesagt tun mir die Daleks zwischendurch fast leid. Da kommen sie mit einem Riesenkonstrukt von Plan um die Ecke, und wir wissen bereits: Am Schluss geht es in die Hose.

Monique Gilling (MG): Hengs Aussage stimme ich zu. Die Daleks sind immer so auf eine Sache fixiert, dass sie den Doctor quasi »vergessen«. Somit hat der Doctor es fast immer geschafft, die Daleks zu zerstören! Die Betonung liegt hier auf »fast« ... Denn es überlebt immer ein Dalek (mal sichtbar, mal unsichtbar). Man könnte beinahe denken, dass das vom Doctor so gewollt ist!

AA: Ich habe kein Veto, nur noch eine kleine Ergänzung: Mal ganz nüchtern betrachtet vermasselt der Doctor den Daleks doch deshalb immer wieder aufs Neue die Tour, weil die

124 Doctor-Väter – zuletzt Russell T Davies und Steven Moffat – dankenswerterweise wissen, was der Doctor und seine Getreuen (die Whovians, nicht die Companions) wollen. Dass die sich stets darüber freuen, wie grandios die Daleks mit ihren groß angelegten Plänen scheitern.

PK: Das lief doch für die erste Runde schon mal ganz gut. Grundsätzlich kann ich den Meinungen hier nur zustimmen, möchte aber Achims Ergänzung selbst noch um eine Aussage von Chris Chibnall erweitern, der ja mit dem Neujahrsspecial 2019 Tödlicher Fund klargemacht hat, dass auch er um die Wichtigkeit von beliebten Gegnern des Doctors weiß. Die erste Folge von Fez off schließen wir also mit der Erkenntnis ab, dass Hass kein guter Ratgeber ist.

125 Unendliche Weiten – Die Star-Trek- Ecke

Ressortleiter Thorsten Walch

NEWS#1: TrekMinds – Star Trek News 12/2020 von Thorsten Walch

Star Trek: Lower Decks

Am 06.08.2020 startete die satirische Animationsserie Star Trek: Lower Decks von Mike McMahan (South Park) auf CBS All Access in den USA; die erste Staffel ist mittlerweile bereits beendet. Ab 22. Januar startet sie auch hierzulande

126 endlich auf Deutsch; auf Amazon Prime! Die zweite Staffel ist bereits in Arbeit.

Konzepte für gleich drei eventuell kommende Star- Trek-Kinofilme

Für eventuelle zukünftige Star-Trek-Kinofilme liegen gerüchteweise gleich mehrere Konzepte for.

Zum einen gibt es da Noah Hawleys Star Trek, das zur Zeit »auf Eis« liegt. Der geplante 14. Star Trek-Kinofilm unter der Federführung von Produzent und Regisseur Hawley (Lucy in the Sky) wurde bei Paramount Pictures aktuell in den Pausenstatus versetzt; der Grund dafür ist wohl ein Wechsel im Führungsstab der Gesellschaft, die nunmehr von Emma Watts geleitet wird. Dies bedeutet jedoch nicht zwangsläufig das Aus für Hawleys Projekt, in dem Hawley noch unbestätigten Gerüchten zufolge eine neue Crew und ein neues Raumschiff fernab bekannter Charaktere etablieren möchte. Hierzu soll bereits ein Drehbuch existieren.

Dann gibt es da ja schon länger Quentin Tarantinos Idee zu einer Fortsetzung der Raumschiff Enterprise-Episode Epigonen. Auch diese Filmidee von Tarantino (From Dusk Till Dawn) ist angeblich nicht völlig vom Tisch, obwohl Tarantino selbst nicht für die Regie des Films zur Verfügung stehe. Basierend auf seinem Entwurf existiert aber ein von Mark L. Smith (Séance) verfasstes Drehbuch, in dem sich die Crew angeblich in einem Gangstersetting aus den 1930er-Jahren

127 wiederfinden soll. Dies klingt wirklich ganz verdächtig nach der Episode Epigonen aus der klassischen Originalserie.

Nicht zuletzt existiert eine Idee des Produzenten von Star Trek II: Der Zorn des Khan (1982). Auch Robert Sallin, der anno 1982 den seinerzeit zweiten Star Trek-Kinofilm produzierte, danach jedoch nur noch sporadisch an die Öffentlichkeit trat, hat sich mit einer Filmidee an Paramount gewandt. Worum es in seiner Idee geht, ließ er freilich nicht verlauten, doch äußerte er, dass es sich um eine Geschichte aus dem bekannten Franchise-Kanon drehen würde, wie es sie in dieser Form noch nie bei Star Trek zu sehen gegeben habe. Noch allerdings existiert das Ganze ausschließlich im Kopf von Sallin, der auf eine Einladung zu Paramount und die Möglichkeit hofft, seine Idee vorzustellen.

Kate Mulgrews Rückkehr als Janeway

Nach Jean-Luc Picard (Patrick Stewart) wird mit Kathryn Janeway (Kate Mulgrew) in naher Zukunft eine weitere ikonische Star Trek-Figur zurückkehren. Welchen Rang Janeway tragen wird, ist noch unklar, aber sie wird eine Rolle in der neuen Serie Star Trek: Prodigy spielen, die gegenwärtig von CBS in Zusammenarbeit mit dem Kinder-TV-Sender Nickelodeon produziert und ab 2021 zu sehen sein wird. Einziger kleiner Wermutstropfen: Ein richtiges Wiedersehen wird das Ganze nicht werden, jedenfalls nicht im klassischen Sinn. So wie das diesjährige Lower Decks ist Prodigy eine Animationsserie, die sich im Gegensatz zu erstgenannter Reihe vorwiegend an ein junges Publikum richten wird. Es

128 geht in der neuen Serie um eine Gruppe Jugendlicher, die sich eines ausgemusterten Sternenschiffs bemächtigen und damit auf eine Abenteuerreise durch die Star Trek-Galaxie gehen. Dementsprechend wird Mulgrew ihre berühmte Serienfigur lediglich sprechen und nicht selbst darstellen. Bisher unbekannt ist, welche Größe ihre Rolle letztlich haben wird. Mulgrew war zuletzt in der Frauengefängnisserie Orange Is The New Black (2013–2019) sowie in der Thriller-Serie Mr. Mercedes (2019) zu sehen.

Kommt CBS All Access als Paramount+ nach Deutschland?

Seit Ende September macht die Meldung die Runde, dass der US-Streamingdienst CBS All Access (der im Produktionsland USA alle Star Trek-Serien veröffentlicht) ab dem kommenden Jahr unter dem Namen Paramount+ auch nach Deutschland kommen werde. Momentan steht jedoch noch nicht fest, was dies für die deutsche Veröffentlichung von Star Trek: Discovery (seit 2017), Star Trek: Picard (seit 2020) und Lower Decks, und für die Veröffentlichung von allen anderen kommenden bzw. bereits existierenden Inkarnationen des Franchise bedeuten wird. Und ob diese dann künftig nicht mehr bei Netflix und Amazon Prime Video zu sehen sein werden. Die Redaktion des Corona Magazine wird Sie auf dem Laufenden halten.

William Shatner sings the Blues

Umtriebig wie eh und je veröffentlicht Ur-Captain Kirk William Shatner, mittlerweile stolze 89 (!!!) Jahre alt, Ende

129 November ein neues Album mit seinen berühmten Sprechgesängen. Auf The Blues intoniert er auf diese Weise Blues-Klassiker mit Begleitung von Stars aus dieser Musikrichtung, wie etwa Ritchie Blackmore (Deep Purple), die Band Canned Heat oder Tyler Bryant.

Staffel 3 von Star Trek: Discovery seit 15./16.10.2020 bei Netflix

Nachdem bis vor kurzem noch kein genauer Starttermin bezüglich der dritten Staffel von Discovery auf CBS beziehungsweise Netflix festgestanden war, wurde dieser Mitte September offiziell bekanntgegeben. Seit dem 15.10.2020 (in den USA) beziehungsweise dem 16.10.2020 sind die neuen Folgen nunmehr zu sehen. Der Titel der ersten Folge, deren beide erste Minuten während der New York Comic Con Anfang Oktober vorab gezeigt wurden, lautet That Hope Is You, Part 1 (Ein Zeichen der Hoffnung, Teil 1). Die zweite und die dritte Episode heißen Far From Home bzw. People of Earth (deutsche Titel bei Redaktionsschluss noch nicht bekannt). Besonders interessant klingt der angekündigte Titel der siebten Folge aus Staffel 3, die am 26.11.2020 bzw. 27.11.2020 zu sehen sein wird: Dieser soll Unification III lauten. Unification I und II (Wiedervereinigung? Teil 1 und Teil 2) bildeten bekanntermaßen die berühmte Doppel-Episode aus der fünften Staffel von Raumschiff Enterprise – Das nächste Jahrhundert im Jahr 1991, in der Leonard Nimoy seinen Gastauftritt als Botschafter Spock hatte. Was genau die angekündigte Discovery-Episode damit zu tun haben wird, steht noch in den sprichwörtlichen Sternen.

130 Insgesamt wird die dritte Staffel von Discovery 13 Episoden umfassen, die – diesmal ohne Pause – bis zum 07./08.01.2021 im Wochenrhythmus veröffentlicht werden sollen. Ausführliche Episodenguides der neuen Folgen werden ab der nächsten Ausgabe hier im Corona Magazine zu finden sein.

Nicht-binärer und Transgender-Charakter bei Star Trek: Discovery mit an Bord

In Sachen Diversität wird Discovery ab Staffel 3 eine Vorreiter-Stellung im Franchise übernehmen: Mit Blu del Barrio als die nicht-binäre Adira und Ian Alexander als der Transgender-Charakter Gray (beide Darsteller sind bekannt aus der Netflix-Serie The OA) stoßen zwei neue wiederkehrende Gastfiguren zur Besetzung, durch welche der heutigen Zeit auf interessante Weise Reverenz erwiesen wird. Die genauen Aufgaben der Figuren in der Serie und der Umfang ihrer Rollen waren bei Redaktionsschluss jedoch noch nicht bekannt.

Star Trek: Discovery bleibt noch für »… Jahre über Jahre …« erhalten

Während eines Interviews im Podcast TV’s Top 5 von The Hollywood Reporter sprach der Star Trek-Hauptveranwortliche Alex Kurtzman (The Amazing Spider-Man 2: Rise of Electro) vor kurzem über die weitere Planung des Franchise bis zum Jahr 2027. Da hieß es:

131 »Ich sage ganz ehrlich, dass noch Jahre über Jahre für Star Trek: Discovery kommen werden.« Kurtzman sprach auch über die anderen bereits veröffentlichten und noch geplanten Projekte, die aus Star Trek ein umfangreiches Gesamtuniversum machen sollen.

Sektion 31-Serie kommt

Obwohl eine ganze Weile nichts zum geplanten Spin-off zu der nach wie vor geheimnisvollen »Sektion 31« zu hören gewesen ist, wird weiterhin fleißig an der Serie gearbeitet. Martial-Arts-Spezialistin Michelle Yeoh (Die Mumie: Das Grabmal des Drachenkaisers) wird darin bekanntlich als die aus dem Spiegeluniversum stammende Imperatorin Philippa Georgiou zu sehen sein, die als Agentin der Geheimdienstorganisation auf der richtigen Seite tätig ist. Wann mit dem Start der neuen Serie zu rechnen sein wird, steht derzeit noch nicht fest; es könnte jedoch unter Umständen bereits 2021 soweit sein.

Sonequa Martin-Green zum zweiten Mal Mutter

Die Darstellerin der Commander Michael Burnham, Sonequa Martin-Green, und ihr Ehemann Kenric Green (The Walking Dead) wurden am 20.07.2020 zum zweiten Mal Eltern. Die kleine Saraiyah Chaunté Green hat mit dem 2015 geborenen Kenric Justin Green II. bereits einen sicherlich stolzen großen Bruder.

Kurzrezension Devil’s Revenge (aka The Tomb)

132 Vor einem knappen Jahr war in der News-Sparte des Corona Magazine von einem neuen Horrorfilm mit dem Titel Devil’s Revenge zu lesen, der pünktlich zur Halloween-Saison 2019 erschienen war und der den damals bereits stolze 88 Jahre alten Shatner sowie »Seven of Nine« Jeri Ryan im Kampf gegen versehentlich erweckte Dämonen zeigt. Das Drehbuch stammt von Maurice Hurley, der bereits Drehbücher für Das nächste Jahrhundert (1987–1994) schrieb. Leider kam es in der Folgezeit nicht zu einer deutschen Veröffentlichung des Streifens. Der durchaus auch sehr am Horror-Genre interessierte Autor dieser Kolumne besorgte sich daher die Import-DVD des Films und wirft abschließend einen kurzen Blick auf das Werk. Getrieben von seinem waffenbesessenen, fanatischen Vater (Shatner) ist der Abenteurer Sergio (Jason Brooks) auf der Suche nach einem geheimnisvollen Relikt. Durch dieses ist seine Familie bereits in der Zeit der spanischen Eroberer unter einen Todesfluch geraten, der regelmäßig Begegnungen mit Dämonen bewirkt. Sergio findet das Relikt in einer Höhle, kann es jedoch aufgrund besagter Dämonen nicht bergen, da diese einen seiner beiden Begleiter töten. So stachelt ihn sein Vater dazu an, das Ganze zusammen mit seiner Frau Susan (Ryan) und seinen Kindern Dana (Ciara Hanna) und Eric (Robert Scott Wilson) noch einmal zu versuchen. Wird es der Familie dank der Kraft der Liebe gelingen, das todbringende Dämonen-Relikt zu bergen? Oliver Kalkofe und Peter Rütten wären von dem Film vermutlich hell begeistert. Ebenso wirr, wie die Inhaltsangabe sich liest, ist auch der Film selbst. Merkwürdige Traumsequenzen und haushohe, völlig unnachvollziehbare Sprünge in der Handlung … Dämonen,

133 die aussehen wie Skeletor aus He-Man – Im Tal der Macht (1983–1985) mit Hörnern auf den Köpfen … Und ein Shatner, der mit verzerrtem Gesicht Hasstiraden zwischen den Zähnen hervorquetscht, und der in Actionszenen (in denen er mit einer Art Elefantenschießgewehr auf Dämonenjagd geht) von einem Stuntman gedoubelt wird, der nicht einmal die gleiche Haarfarbe hat wie der Meister. So etwas muss man erst einmal sacken lassen. Von Grusel ist da natürlich nirgendwo auch nur ansatzweise eine Spur. Aber das bedeutet nicht, dass der Streifen deswegen nicht amüsant wäre, zumindest auf seine Weise. Man muss eben nur gern Trash mögen, dann bereut man den Kaufpreis für die DVD (unter 10,00 €) auch definitiv nicht. Devil’s Revenge, inszeniert von Jared Cohn (Alien Predator), erschien beim Label MVD Visual und kann als regionalcodefreie DVD und Blu-ray im entsprechenden Handel bestellt werden.

Star-Trek-Darsteller: – Zwischen Comedy und Ernst von Thorsten Walch

Wenn diese Ausgabe des Corona Magazine erscheint, dauert es nur noch wenige Tage, ehe die dritte Staffel von Star Trek: Discovery (seit 2017) ihre weltweite Premiere bei CBS All Access in den USA und bei Netflix in Deutschland feiern wird. Aus diesem Grund soll in dieser Kolumne eine

134 weitere Darstellerin aus der sechsten Serie des Star Trek-Franchise vorgestellt werden. Tig Notaro war in bislang fünf Folgen der zweiten Staffel von Discovery als die ebenso zynische wie energische Commander Jett Reno zu sehen. Die Chefingenieurin der gestrandeten USS Hiawatha wird in Bruder, der Eröffnungsfolge von Staffel 2, von der Crew der Discovery gerettet und an Bord gebracht und hatte bislang eher den Status eines wiederkehrenden Gastcharakters. Dies jedoch könnte sich in der dritten Staffel ändern, da Commander Reno eins der zeitreisenden Crewmitglieder ist, die sich ins 31. Jahrhundert aufgemacht haben. Die Darstellerin der Figur, Notaro, kann bei alledem weit mehr als nur Star Trek.

Wahrhaft komisch

Mathilde O’Callaghan Notaro wurde am 24.03.1971 in der Stadt Jackson im US-Bundesstaat Mississippi geboren. Den Spitznamen »Tig« (was unter anderem »Klebestreifen» bedeutet) erhielt sie in ihrer Kindheit von ihrem Bruder, mit dem zusammen sie bei ihrer alleinerziehenden Mutter aufwuchs. Als diese nochmals heiratete, zog die Familie nach Texas um. Die junge Tig war nicht eben eine fleißige Schülerin: Nach der 9. Klasse verließ sie die High School ohne Abschluss, da sie, wie sie selbst betont, lieber ihre Klassenkameraden mit Comedy-Einlagen erheiterte anstatt zu lernen. Bereits zu dieser Zeit hatte sich herauskristallisiert, dass die Stärken der jungen Frau eindeutig im Bereich des Komödiantentums lagen. Nach einer kurzen Tätigkeit in der Musikbranche in Denver, Colorado, beschloss sie schließlich,

135 Stand-up-Komikerin zu werden und zog aus diesem Grund nach Los Angeles.

Durchstart als Stand-up-Komikerin

Nach anfänglichen Auftritten in verschiedenen Comedy-Clubs, bei denen Notaro ihre offen gelebte Homosexualität zu einem Teil des Programms machte, sah man sie ab den frühen 2000er-Jahren öfters im Fernsehen. Den Anfang machte 2004 Presents. Es folgten eine Episode der Fernsehserie Dog Bites Man (2006), der Fernsehfilm Held Up (2008) sowie vier Folgen der Serie In The Motherhood. Zwischen 2007 und 2010 sah man Notaro in insgesamt neun Folgen der auch hierzulande gezeigten Sitcom Das Programm, 2012 im Fernsehfilm Susan 313 sowie in einer Folge der Comedy-Serie Das Büro. In der Zwischenzeit trat Notaro jedoch weiterhin als Stand-up-Komikerin auf, recht häufig zusammen mit dem ebenfalls ziemlich bekannten Comedian Kyle Dunnigan. 2011 veröffentlichte sie das Album Good One mit einem Best-of ihrer Nummern.

Ein Schicksalsschlag

Im Jahr 2012 hatte Notaro eine schwere persönliche Krise zu meistern, als man bei ihr Brustkrebs diagnostizierte. Sie entschloss sich zur Flucht nach vorn und baute ihre Erkrankung bereits einen Tag nach der Diagnose in ihr Comedy-Programm ein. Der Komiker und Produzent Louis C.K. bat Notaro, eine Aufzeichnung des vielbeachteten

136 Auftritts als Album veröffentlichen zu dürfen, wozu Notaro schließlich ihre Zustimmung gab. Das noch im gleichen Jahr veröffentlichte Album Live wurde ein Verkaufsschlager und erhielt gar bei den »Grammy Awards« 2014 eine Nominierung als »Best comedy album«, bekam die Auszeichnung jedoch leider nicht. In der Folgezeit mussten Notaro beide Brüste amputiert werden, und sie entschied sich gegen die kosmetische Wiederherstellung. Die beiden Filmemacherinnen Kristina Goolsby und Ashley York begleiteten sie während ihrer Krankheit filmisch und machten aus diesen Aufnahmen den Dokumentarfilm Tig, der 2015 beim Sundance Film Festival uraufgeführt wurde.

Über den Berg

Glücklicherweise konnte Notaro den Kampf gegen den Krebs gewinnen und nahm schon bald danach ihre Tätigkeit als Komikerin und Schauspielerin wieder auf. In der Komödie In a World ... – Die Macht der Stimme (2013) spielte sie die Rolle der Cher (allerdings nicht als die gleichnamige Sängerin und Schauspielerin), während sie im Fernsehen in zwei Folgen der Serie Inside (2013) mitwirkte. 2014 wurde ein sehr umtriebiges Jahr für Notaro: Nach einem Auftritt in einer Episode von Suburgatory sowie in dem TV-Film Ashes sah man sie in der Rolle der Careen im Psychothriller Kidnapped – Die Entführung des Reagan Pearce, in einer kleineren Rolle in der Romantikkomödie Mädelsabend – Nüchtern zu schüchtern! sowie bis 2015 in fünf Folgen der Dramedy-Serie Transparent, in der es um die Trans-Frau Maura geht. Von 2014 bis 2017 hörte man

137 ferner in fünf Episoden der Zeichentrickserie Clarence Notaros einprägsame Stimme.

Eine eigene Serie

2015 erhielt Notaro mit One Mississippi ihre eigene TV-Serie, die hierzulande beim Streaming-Dienst Amazon Prime Video veröffentlicht wurde. Im Wesentlichen spielte Notaro darin sich selbst und verarbeitete ihren Umgang mit dem Tod nahestehender Personen, die eigene Sterblichkeit sowie familiäre Problemen auf zynisch-bissige Weise. Die Serie brachte es auf 12 Episoden in zwei Staffeln bis 2017. Notaro schrieb auch die Drehbücher zu dieser Serie, was sie bereits seit 2004 für viele ihrer eigenen sowie für anderweitige Produktionen getan hatte.

Willkommen an Bord!

Nach der kleinen Rolle der Sharon in der Kinokomödie Plötzlich Familie von 2018 beamte Notaro ab 2019 schließlich an Bord der USS Discovery, wo sie den Trekkies als ein Commander, der dem legendären Dr. Leonard McCoy (DeForest Kelley) charakterlich nicht ganz unähnlich ist, hoffentlich noch lange erhalten bleiben wird. Nach Ende der Dreharbeiten von Discovery war Notaro ebenfalls 2019 in der kleinen Rolle der Kate Mounier in dem Science-Fiction-Streifen Lucy in the Sky zu sehen, der von Noah Hawley inszeniert wurde. Trekkies werden bei diesem Namen hellhörig werden: Hawley soll angeblich gerade den nächsten Star Trek-Kinofilm vorbereiten …

Privatsache – kapiert?

138 Seit Oktober 2015 ist Notaro mit der ebenfalls als Schauspielerin tätigen Stephanie Allynne (Pacific Rim 2: Uprising) verheiratet. Im Juni 2016 kamen die Zwillingssöhne der beiden im kalifornischen Venice Beach zur Welt, wo die Familie auch lebt.

Live Long And Prosper, tapfere Tig!

Lieblingsfolge: Star Trek: Voyager 6x12: Blink of an Eye – Ein absolutes Highlight von Björn Sülter

Wie gut kann eine Episode sein, in der Neelix Kaffee einschenkt, Naomi Wildman einen Aufsatz schreibt und der Doktor einen Sohn zeugt? Einfache Antwort: exzellent.

Star Trek: Voyager präsentiert dem Fan mit Blink of an Eye (Es geschah in einem Augenblick) ein absolutes Highlight bezüglich ungebrochenem Forscherdrang, Glauben und Inspiration.

Was passiert?

Die Crew der USS Voyager untersucht einen ungewöhnlichen Planeten und wird im Orbit durch ein Partikelfeld gefangen gehalten. Die Anwesenheit des Schiffs

139 stört jedoch die Gravitation des Planeten, wodurch es immer wieder zu Erdbeben auf der Oberfläche kommt. Seven of Nine stellt fest, dass die Zeit auf der Oberfläche im Vergleich zu der Zeit außerhalb des Planeten extrem schnell vergeht. Die Voyager wird durch ihre Anwesenheit über die Jahrhunderte zu einer Art Gottheit und zum Antrieb für wissenschaftlichen Fortschritt.

Böses Plagiat oder Auge zudrücken?

Um gleich zu Beginn mit einem Vorurteil aufzuräumen, das man über die Jahre aus diversen Ecken mehrfach vernehmen konnte: Nein, diese Episode ist sicher kein Plagiat. Dass sie sich auf ein Konzept stützt, welches durchaus nicht neu ist, bleibt aber unbestritten.

Vor vielen Jahren erzählte die Episode Wink Of An Eye (Was summt denn da?) der Serie Raumschiff Enterprise (1966–1969) von aggressiven Außerirdischen, deren Zeitwahrnehmung sich vom Rest des Universums unterschied. Der damals beteiligte Produzent Gene L. Coon war zuvor auch an der Serie The Wild Wild West beteiligt gewesen. Dort hatte es ebenfalls eine sehr ähnliche Thematik in der Episode The Night of the Burning Diamond gegeben.

Dass nun gerade Coon diese Idee auch bei Star Trek einbrachte, war ganz sicher schon damals kein Zufall. Doch auch der Autor der genannten The Wild Wild West-Episode bediente sich bereits prominent: nämlich bei keinem geringeren als H. G. Wells und seiner Kurzgeschichte Der

140 neue Beschleuniger. Diese Liste ließe sich beliebig fortführen.

Somit kann man sagen: Voyager-Autor Michael Taylor hat sich hier durchaus einer bereits oft variierten Grundidee bedient – was er dann daraus gemacht hat, ist in diesem Fall aber von größerer Bedeutung.

Forscherdrang

Die Episode beginnt als reine Forschungsmission. Die Crew entdeckt einen interessanten Planeten und wirft sich ein wenig sorglos ins Abenteuer. Kaum im Orbit fallen die Triebwerke aus, und man ist vorerst gefangen. Echte Forscher gehen eben nie den leichten Weg. Schade, dass das Schiff durch seine Anwesenheit auch für Probleme auf dem Planeten, genauer gesagt für Erdbeben zu sorgen scheint. Doch auch für die Crew droht Gefahr, sollte es nicht gelingen, den Antrieb wieder in Gang zu bringen. Viel Ärger also für einen derart kleinen Abstecher …

Äußerst positiv ist anzumerken, dass Chakotay dennoch nicht in seinem Enthusiasmus zu stoppen ist und sich brennend für die Zivilisation auf dem Planeten interessiert, deren Bevölkerung – wie Seven herausfindet – durch ein Zeitdifferential einer deutlich schnelleren Zeitwahrnehmung unterliegt. Eine Sekunde auf der Voyager könnte einen Tag auf dem Planeten bedeuten: eine Chance, die Entwicklung einer Kultur im Zeitraffer zu begutachten. Hier bleiben Forscherdrang und Begeisterungsfähigkeit auch unter Druck und in Gefahr intakt; eine schöne Vision.

141 Wimpernschläge

Die Entwicklung des Planeten wird anhand einer immer wiederkehrenden Szenerie gezeigt. Zuerst gibt es nur Lehmhütten, einen Opferaltar und Einheimische in Tierfellen, die Früchte für ihre Götter bereitlegen, und die das mit einem Erdbeben gerade am Himmel erschienene Objekt (die Voyager) als neue Gottheit ansehen. Sofort passen sie ihren Glauben an die Situation an, bauen einen weiteren Altar und preisen den neuen Stern am Himmel.

Wenig später erlebt der Zuschauer die gleiche Szenerie erneut: Die Lehmhütten sind Burgen gewichen, statt Fellträgern sind Mönche und altmodisch gekleidete Zivilisten zu sehen. Ein sogenannter Protektor plant die Kontaktaufnahme mit dem Himmelsschiff; ein kleiner Heißluftballon soll einen Brief mit der Bitte, die Beben einzustellen, zum Schiff transportieren. Statt einer Gottheit sieht dieser Mann in der Erscheinung nun ein Wesen, das eventuell wie er eine Art Beschützer darstellt.

Ein paar Jahrhunderte später sind Städte entstanden, Verkehrsnetze und ein riesiges Teleskop, mit dessen Hilfe zwei Forscher immer noch daran arbeiten, Kontakt mit dem Himmelsschiff aufzunehmen. Per Funk senden sie Primzahlen und mathematische Konstanten. Eine schöne Spiegelung der Versuche der Menschheit, außerirdisches Leben auf uns aufmerksam zu machen.

Nach einigem amüsanten Geplänkel, in dem der Zuschauer erfährt, dass es in der Kindheit der beiden Figuren sogar Sammelbilder vom Himmelsschiff gegeben hatte, ergänzen

142 sie letztlich noch einen persönlichen Funkspruch. Sie möchten den potenziellen Bewohnern des Himmelsschiffes einfach gerne »Hallo« sagen. Nachdem es Seven gelingt, das Zeitdifferential auszugleichen, vernimmt man auf dem Schiff tatsächlich die Nachricht. Sie beginnt mit den Worten: »Liebe Freunde im Himmelsschiff!«

Aktiv werden

Für die Führungscrew ist das natürlich der Moment, sich näher mit dem Thema zu befassen – zusätzlich zu den akuten Problemen, die sie selber umtreiben.

In einer Besprechung kommt sofort die Oberste Direktive auf den Tisch. Tuvok mahnt zur Vorsicht, doch Tom Paris widerspricht: Der Schaden sei längst entstanden, und der erste Kontakt bereits geschehen. Er plädiert für eine offizielle Kontaktaufnahme. Letztlich überwiegt aber die Sorge, man könnte das Glaubenssystem der Kultur nachhaltig stören und weiteren Schaden anrichten.

Eine Zwischenlösung wird gefunden: Der Doktor soll für nur drei Sekunden Voyager-Zeit auf den Planeten beamen. Er würde somit rund zwei volle Tage dort sein und könnte in dieser Zeit sicher wichtige Informationen sammeln. Nebenbei ist nur er in der Lage, sich und seine Holomatrix sofort an die Anatomie der Bewohner anzupassen.

Doch wie das eben leider so mit Kompromissen ist, gehen diese auch gerne mal schief. Der Re-Transfer misslingt, und der Doktor ist nicht mehr am vereinbarten Ort aufzufinden. Kunststück, wenn man das Zeitdifferential bedenkt. Kaum

143 wird er sich rund um die Uhr über einen Zeitraum von Wochen oder Monaten am gleichen Ort aufgehalten haben. Und nach fünf Minuten Voyager-Zeit wäre schließlich bereits ein gutes halbes Jahr für den Doktor vergangen … Die rettende Idee lässt jedoch nicht lange auf sich warten: Die Crew weiß um die Leidenschaften ihres Mediziners, sucht nach Opernhäusern und entdeckt, dass sich das kulturelle Zentrum an einer bestimmten Küste erstreckt. Dort lässt sich sein Transmitter auch tatsächlich orten; einen Beam-Vorgang später liegt der Doktor dem verdutzten Captain überschwänglich in den Armen. Neue Kleidung, neue Stirn und viel zu erzählen: Ist das noch das gleiche Hologramm?

Irgendwie schon; und doch nicht. Drei Jahre hat der Doktor auf dem Planeten verbracht und hat doch immer die Hoffnung auf Rettung behalten: Er musste ja nur gen Himmel blicken und sah das Himmelsschiff, sein Zuhause. Eine tolle kleine Idee, die zu einem wunderschönen Dialog führt. Und für den Doktor bot dieser verlängerte Besuch auf dem Planeten eine wundervolle Chance, eine ganz andere Facette der Existenz zu kosten. Toll gemacht!

Der Doktor hat einen Krieg durchlebt, Freunde gefunden, den Frieden begrüßt und scheint sich am Ende gar mit einer Frau eingelassen zu haben. Er wird sicher noch viel über seine Zeit zu berichten haben.

Doch für den Moment belässt er es bei kleinen Häppchen: Die Voyager hat seit jeher Erfindungen begünstigt, die Religion beeinträchtigt und war sogar Pate für Spielzeuge. Inzwischen hat sich ein wahrer Wettlauf entwickelt: Wer

144 würde es zuerst zum Himmelsschiff schaffen? Dass dabei einige Gruppen eher auf einen friedlichen Besuch, andere jedoch auf den Einsatz von Waffen setzen würden, beunruhigt alle durchaus.

Mit den Informationen des Doktors wird eilig ein neuer Versuch gestartet, den Orbit zu verlassen. Schwere Beben auf der Oberfläche führen jedoch zum Abbruch. Die Crew muss weiter warten.

Klopf, klopf

Die Perspektive wechselt erneut: Eine Raumkapsel mit zwei Astronauten ist auf dem Weg zum Himmelsschiff. Offenbar ist den beiden das Konzept des zeitlichen Differentials noch nicht bekannt – als sie die Schwelle überschreiten, hören sie den Funk von unten nur noch als schrillen Ton und wissen nichts damit anzufangen. Uneinig, wie nun vorzugehen ist, wird das unbekannte Schiff schließlich doch betreten.

Die Szenen, bevor die beiden Figuren sich mit der Zeit auf dem Schiff synchronisieren können, sind ansprechend umgesetzt worden. Erstarrte Crewmitglieder, die mitten in der Bewegung verharren, kennt man zwar bereits aus anderen Serien und Filmen – dennoch arbeitet diese Darstellungsform auch hier die fremdartige und erstaunliche Erfahrung für die beiden Besucher angemessen heraus.

Die Leiterin der Mission überlebt den Eintritt in die neue Zeitebene nicht, so muss der verbliebene Pilot namens Gotana-Retz den offiziellen Erstkontakt mit Captain Janeway herstellen. Gut, dass der sympathische Mann äußerst

145 hilfsbereit und unaufgeregt mit den schockierenden Enthüllungen umgeht. Er versteht schnell, dass er in sein altes Leben nie wird zurückkehren können und willigt ein, der Crew bei ihrer Abreise zu helfen.

Leider schreitet die Entwicklung auf der Oberfläche rasant voran. Man muss sich vorstellen, welchen Eindruck die gescheiterte Mission zum Schiff dort hinterlassen haben wird. Vielleicht konnte man sogar verfolgen, dass die Raumfähre ins Himmelsschiff hineinflog und nie mehr jemand herauskam? Erst sind Warp-Signaturen zu erkennen, dann folgen Waffen, die auf die Voyager abgefeuert werden – und diese werden von Minute zu Minute besser und stärker. Gotana-Retz beschließt, zurückzukehren. Der Doktor beichtet ihm unter vier Augen noch von seinem Sohn – und dass er nach ihm forschen möge, obwohl dieser inzwischen natürlich lange tot sei. Die Logik dieser Information mal nicht hinterfragt, ein herrlicher Moment. Schade, dass es nie weiter thematisiert wurde. Dass zuerst niemand Gotana-Retz bei dessen Eintritt in die Atmosphäre glauben will, ist eine amüsante Randnotiz; am Ende scheint er jedoch Erfolg zu haben. Der Beschuss endet, zwei Flugobjekte tauchen auf und hieven die Voyager aus dem Orbit. Eine holographische Projektion von Gotana-Retz besucht die Brücke der Voyager ein letztes Mal und verabschiedet sich.

In einer wunderschönen letzten Einstellung sieht man eben jenen Gotana-Retz als sehr alten Mann an genau der Stelle sitzen, die so oft den Fortschritt der Kultur gezeigt hatte. Inzwischen hat man sich zu einer hochtechnisierten Welt entwickelt. Gotana-Retz blickt gen Himmel. Dort, wo

146 jahrhundertelang eine der wichtigsten Inspirationsquellen seines Volkes gewesen war, leuchtet nun ein letztes Mal dieses sagenumwobene Himmelsschiff auf – bevor es für immer verschwindet.

Was macht den Menschen zu einem Forscher?

Wenn man bedenkt, welche Faszination der Mond auf die Menschen der Erde ausgeübt hat und welche technischen Entwicklungen er zutage gefördert hat, kann man sich gut den Einfluss eines solchen leuchtenden und nicht zu erklärenden Sterns am Himmel vorstellen. Schön beschreibt die Episode die sich wandelnde Sichtweise von purer Götterverehrung über ein sich langsam entwickelndes Verständnis bis hin zu einer rein wissenschaftlichen Sichtweise und dem Streben, diesen Ort zu erreichen und zu erforschen.

Und genau wie sich die Crew der Voyager überhaupt erst in dieses Abenteuer stürzt, lassen die Bewohner des Planeten nie locker. Der Drang, etwas Neues zu entdecken und zu verstehen ist die wichtigste Triebfeder der Menschheit und wird hier schön auf diese Spezies übertragen.

Eine fast noch schönere Spiegelung dieses Wunsches, Neues zu entdecken, arbeiten die Autoren in die Geschichte des Doktors ein. Dieser führt als Hologramm auf der Voyager ein durchaus limitiertes Leben, auch wenn er durch den Einsatz seiner Crewmitglieder und den Einsatz des mobilen Emitters bereits in der Lage ist, deutlich über seine ursprüngliche Programmierung hinauszuwachsen. Aufgrund eines technischen Defekts erhält er in dieser Folge dennoch die

147 Chance, etwas zu durchleben, was ihm ansonsten bisher nicht möglich gewesen ist. Er schließt neue Freundschaften, findet eine Partnerin und führte ein scheinbar vollkommen normales Leben. Dass er dieses Leben so abrupt zurücklassen muss, ist natürlich durchaus ein Schlag; dennoch hat er hier ein Geschenk erhalten, das ihn als Individuum komplettiert und weiterentwickelt haben dürfte. Er hat das Neue nicht im Weltraum oder der Forschung gefunden, sondern in sich.

Und so ist es mit allem im Leben: Der Mensch lebt, er lernt, er sucht. Und jede Erfahrung, alles Neue macht ihn reicher. Dazu muss man weder Astronaut noch Wissenschaftler sein; es reicht, Mensch zu sein und nie aufzuhören, mit Offenheit und ohne Scheuklappen durch das Leben zu gehen. Denn dieses bietet unglaublich viel; sogar unten auf der Erde.

Fazit

Voyager glänzt erneut mit einem spannenden (wenn auch nicht neuen) Science-Fiction-Konzept, welches hier zudem in eine warmherzige, humorvolle und zum Denken anregende Abhandlung über das Forschen und Streben nach höheren Zielen eingebettet wurde. Und obwohl außer dem Doktor niemand dauerhaft von den Geschehnissen geprägt werden dürfte, bleibt eine magische Dreiviertelstunde Star Trek, die inhaltlich und in der Umsetzung ohne Einschränkung überzeugen kann.

148 Special: Hinter den Kulissen – Eine Reise durch die Welt von Star Trek von R.J. DeWinter

Star Trek – die Legende.

An dieser Stelle beginnt die Redaktion des Corona Magazine mit einer Artikelserie, die sich Staffel für Staffel durch das Star Trek-Universum bewegen und allerhand spannende Hintergrunddetails bieten wird.

Den Anfang machen jedoch nicht die erste Staffel der klassischen Serie, sondern eine allgemeine Besprechung der Serie selbst sowie deren Hauptfiguren.

Allgemeines

1966 flimmerte erstmals die wunderschöne USS Enterprise über die Bildschirme – das neueste, schnellste und modernste Schiff der Sternenflotte … korrekt? Leider nicht ganz. Fans lieben zwar dieses Schiff, aber es war tatsächlich ein ganz normales Schiff der Flotte, ein »Arbeitstier«, das von Wissenschaftsmissionen bis hin zu Kampfeinsätzen alles erledigen konnte, womit die Sternenflotte es beauftragte. Auch im Dialog in der Serie wurde niemals gesagt, die Enterprise wäre irgendwie etwas Besonderes. Zwar genoss sie einen guten Ruf in der Flotte, aber sie war weder das neueste noch das technisch am besten ausgestattete Schiff. Als die erste Episode ausgestrahlt wurde, war die Enterprise bereits 20 Jahre alt und war erst unter Captain Robert April

149 im Einsatz gewesen (2245-2250), dann unter Captain Christopher Pike (2250-2265). Als sie 2285 zerstört wurde, zählte sie stolze 40 Jahre. Man vergleiche das nur mit der USS Enterprise NCC-1701-D, die nur etwa sieben Jahre bis zu ihrer Zerstörung existiert hat!

Die klassische Serie hatte Budgetprobleme; und das Budget war der Grund, warum Spock (Leonard Nimoy) der einzige permanente Außerirdische (oder Halbaußerirdische) der Serie war. Das Budget war auch schuld, dass Hikaru Sulu (George Takei) in einer der ersten Episoden fast auf einem eisigen Planeten erfror – die Shuttlebucht war noch nicht fertiggestellt. Es lag am Budget, warum die Hintergrundmusik auf Geigen verzichtete – man griff auf Viola-Spieler zurück, die nicht so viel kosteten wie Geiger. Und was die großen Monitore über den Schaltpulten auf der Brücke betrifft, die immer wieder wechselnde astronomische Objekte zeigen … Auch das war eine Frage des Budgets. Sie waren als echte Monitore geplant gewesen; wie sich jedoch herausstellte, wäre laut den damaligen Gewerkschafts-Bedingungen und auch wegen der begrenzten Möglichkeiten der Spezialeffekte ein eigenes Team aus Projektionsspezialisten nötig gewesen. Das hätte zu viel gekostet, und da die Monitore ohnehin nur ein Hintergrunddetail waren, zeigten sie nur statische Bilder an.

Unvergessen bleibt die Szene in Implosion in der Spirale, als Leonard McCoy (DeForest Kelley) die Uniform von James T. Kirk (William Shatner) zerreißt, als er ihm das Gegenmittel für das Psi-2000-Virus spritzen will. Dies war tatsächlich unbeabsichtigt: Shatners Oberteil zerriss wegen des extrem

150 niedrigen Kostüm-Budgets. Spitze Zungen behaupten, deshalb habe man ihn auch so oft oben ohne gesehen.

Die Sternenflotte selbst hatte keine Budgetprobleme – aber geldlos war die Föderation damals noch nicht. Quer durch die klassische Serie wird immer wieder von Geld gesprochen; Spock nennt sogar die exakte Summe, die die Sternenflotte in seine Ausbildung investiert hat. Die Idee, dass die Menschheit der Zukunft ohne Geld auskommt, stammt aus einem beiläufigen Satz aus Star Trek IV: Zurück in die Gegenwart (1986). Erst Raumschiff Enterprise – Das nächste Jahrhundert (1987–1994) greift diese Idee konsequent auf und macht sie zu einem zentralen Aspekt der Menschheit der Zukunft. Die klassische Serie brach mit den damaligen Standards. Wer in den 1980er-Jahren oder später geboren ist, für den ist kaum zu ermessen, wie revolutionär die Vielfalt der Rollen auf der Enterprise war. Es war eine Sensation: Sulu war zwar in San Francisco geboren, er war also Amerikaner, aber er war kein wandelndes Stereotyp – er musste weder mit asiatischem Akzent sprechen (wie damals üblich) noch war er in asiatischen Kampfkünsten bewandert; zudem gebrauchte er einen normalen Degen und kein Katana. Laut Takei wollte damals fast jeder in Hollywood bei Star Trek mitmachen, weil die Serie so progressiv war.

Ein weiteres Beispiel dafür ist Nyota Uhura (Nichelle Nichols) als vierte in der Kommandokette (nach Kirk, Spock und Montgomery Scott); man sah sie in einer Rolle, die keine typisch »schwarze Rolle« war wie damals üblich. Sie saß direkt hinter dem Captain, war also oft mit im Bild. Eine radikale Entscheidung für die damalige Zeit, die aber leider

151 nicht konsequent weiter verfolgt wurde – andere NBC-Serien wie I Spy (1965–1968) oder Julia (1968–1971) machten weit mehr aus ihren farbigen Rollen. Dennoch war Uhuras Wirkung nicht zu unterschätzen. Auch Whoopi Goldberg (Ghost – Nachricht von Sam) saß beispielsweise als Kind vor dem Fernseher und schaute sich Star Trek an. Als sie Uhura sah, rief sie zu ihrer Mutter: »Mama, komm schnell, da ist eine schwarze Frau im Fernsehen und sie ist keine Dienstmagd!« Uhura inspirierte Goldberg, Schauspielerin zu werden. Auch Dr. Mae C. Jemison, die erste afroamerikanische Astronautin der NASA und späterer Gaststar in der Folge Riker : 2 = ?, wurde durch Uhura inspiriert, Astronautin zu werden. Jemison kontaktierte gar Houston einmal mit dem Spruch: »Ruffrequenzen offen!«

Die Serie spricht das Thema Rassismus ganz unverblümt an. Speziell Spock wurde bei seinem eigenen Volk das Opfer von Ausgrenzung – und wie man später sieht, wurde er bei seiner Geburt sogar von seinem eigenen Vater abgelehnt. Selbst Kirk und McCoy sparen nicht mit Bemerkungen über sein Blut, seine Ohren oder seine Logik, wenngleich dies nur neckend gemeint ist. In Portal in die Vergangenheit wird es jedoch selbst Spock einmal zu viel, und er packt McCoy und pinnt ihn gegen eine Wand. Spock dürfte von seiner Biographie her der tragischste Charakter der Brückenbesatzung sein; dazu später mehr. Folgen wie Pokerspiele (darin speziell Stiles’ Rassismus gegenüber Spock, weil Romulaner ähnlich aussehen wie Vulkanier), Schablonen der Gewalt (die »Nazi-Folge«) und Bele jagt Lokai (unerbittliche Verfolgung wegen der

152 Hautfarbe) verdeutlichen das Thema Rassismus ganz direkt – ein Lehrstück für das damalige Publikum.

Beim Thema Rassismus bekommt die Serie sehr gute Noten, beim Thema Sexismus leider nicht. Frauen waren für gewöhnlich (aber nicht immer!) Assistentinnen in Minirock und Stiefeln; trotz allem Fortschritt wurden sie oft als Wesen simplen Gemüts dargestellt. Als schwache Wesen, die die Hilfe von Männern brauchen. Weibliche Gaststars wurden in knappste Kostüme gesteckt, und ihre Rolle in der jeweiligen Episode drehte sich fast immer in irgendeiner Form um Beziehungen und Sex. Und das lag zu einem guten Teil an Gene Roddenberry selbst.

Zwar sagte Roddenberry einst, er habe ein 50/50-Geschlechterverhältnis an Bord herstellen wollen, aber NBC habe sich dem entgegengestellt, und er habe mit Mühe noch eine Frauenquote von 30 % retten können. Wie so vieles andere war das eine reine Behauptung – es gibt in den UCLA-Archiven nur ein einziges entsprechendes Memo, und auf diesem bittet NBC sogar um mehr weibliche Rollen, weil das Network wollte, dass die Serie auch für weibliche Zuschauer interessant wird.

Edward Gross und Mark A. Altman zitieren Spock-Darsteller Nimoy in ihrem Buch The Fifty-Year Mission: The Complete, Uncensored, Unauthorized Oral History of Star Trek (2016) wie folgt: »Roddenberry wollte Frauen mehr als Dekoration als aus einem Gleichstellungs-Gedanken heraus, und er wollte sie mit großen Rehaugen und dicken Brüsten. Sein Interview mit Denise Crosby (die in Das nächste Jahrhundert die Rolle

153 der Tasha Yar gespielt hat) zeigt, dass ihr Aussehen mehr oder weniger ihr einziger Daseinszweck in der Serie war; einer der Gründe, warum sie so früh aus der Serie ausgestiegen ist. Der Feminismus stammte primär von den Drehbuchschreibern und weniger von Roddenberry. Die Frauen in Star Trek waren für ihn großbrüstige Sexobjekte im Minirock, Spielzeug für die Jungs. Das korrigierte er jedoch nach und nach, weil ihn viele Leute hinter den Kulissen darauf hinwiesen.«

Als Star Trek: Discovery (seit 2017) und Star Trek: Picard (seit 2020) erschienen und eine dunklere Seite der Föderation zeigten, wünschten sich viele Fans ihr gewohntes »Heile Welt«-Star Trek zurück. Ein objektiver Blick offenbart jedoch, dass die Föderation in jeder Serie allerhand dunkle Aspekte hat. Dies gilt insbesondere auch für die klassische Serie: - Captain Ronald Tracey (Morgan Woodward) in Das Jahr des roten Vogels, einer der »erfahrensten Männer der Sternenflotte«, bringt auf Omega IV viele tausend Menschen um. - Der Leiter der Station in Kennen Sie Tribbles? ist ein unerträglicher Karrieremensch, den sogar Kirk offen verachtet. - Garth von Izar (Steve Ihnat) aus Wen die Götter zerstören ist ein berühmter Captain, dessen Taten auf der Sternenflottenakademie gelehrt werden; er ist nun größenwahnsinnig und vergleicht sich mit Alexander dem Großen, Gaius Iulius Caesar, Napoleon Bonaparte und Adolf Hitler.

154 - Die Bergmänner in Horta rettet ihre Kinder sind nicht gerade Musterbeispiele für eine erwachsen gewordene Menschheit, wenn man ehrlich ist. - Der Historiker John Gill (David Brian) erweckt Nazi-Deutschland auf einem fremden Planeten wieder zum Leben. - Dr. Richard Daystrom (William Marshall), der »Steve Jobs des 23. Jahrhunderts«, baut einen Computer, der außer Kontrolle gerät – und kurz danach gerät Daystrom selbst außer Kontrolle und wird durch Spocks Nackengriff außer Gefecht gesetzt. - Dr. Tristan Adams (James Gregory), der »mehr für die Humanisierung von Gefängnissen und die Behandlung von Gefangenen getan hat, als der gesamte Rest der Menschheit in vierzig Jahrhunderten geschafft hat«, foltert heimlich seine Patienten.

Natürlich ist die Serie aber insgesamt durchaus optimistisch, was die Zukunft der Menschheit betrifft. Sie zeigt Neugier auf das Unbekannte, Toleranz gegenüber allem Fremden, eine vereinte Menschheit, die gemeinsam die Sterne bereist. Und viele ihrer Zuschauer inspirierte sie zu einer Karriere als Wissenschaftler, als Ärzte, als Ingenieure, als Astronauten.

Zu den Hauptcharakteren

Da ist zum einen natürlich Kirk.

Shatners besondere Art zu sprechen ist zurecht berühmt geworden. In einigen Folgen spricht er abgehackt, so als wäre jedes Wort ein eigener Satz; dann spricht er plötzlich

155 ganz schnell und verwandelt den Rest des Satzes in ein einziges langes Wort. Das. Ist sehr. Faszinierend. Zu hören. Wennmanstartrekschaut. Aber woran liegt das? Shatner redet doch sonst nicht so? Viele Fans überrascht es zu hören, dass das Ganze an dem Chaos am Set lag. Drehbücher wurden oft in letzter Minute umgeschrieben, teilweise sogar erst, während die Szene bereits gedreht wurde. Und Shatner ist nicht so gut wie seine Kollegen, sich neuen Text zu merken. Die spezielle Sprechweise entspringt also seinem Bemühen, sich an den neuen Text zu erinnern – und den Rest der Zeile spricht er rasant, um noch rechtzeitig fertig zu werden; denn die Episoden durften nicht zu lang werden. Shatner selbst witzelte später, diese Sprechweise stamme aus seiner Zeit am Theater, in der das das einzige Mittel war, ein Publikum wach zu halten.

Kirk hat den Ruf, mit der halben Galaxis geschlafen zu haben. Ein objektiver Blick offenbart jedoch etwas anderes: In 79 Folgen schläft Kirk mit exakt vier Frauen. Geküsst hat er natürlich sehr viel mehr, und auch verflossene Liebschaften sah man so einige.

Auch für seine liberale Auslegung der Hauptdirektive ist Kirk sehr bekannt. Aber auch hier sagt der objektive Blick: In vielen Fällen muss er die Einmischung anderer geradebiegen (oder lindern). In anderen Fällen will er andere (wie z. B. die Klingonen) von einer Einmischung abhalten. In wieder anderen findet er eine überzeugende Rechtfertigung, warum er die Hauptdirektive beugen muss. Nur selten, wie beispielsweise

156 in Die Stunde der Erkenntnis, bricht er die Hauptdirektive ganz bewusst (hier damit sich das Volk überhaupt erst weiterentwickeln kann, weil das durch ihren Gott Vaal verhindert wird).

Als Star der Show (er bekam 5.000,00 Dollar pro Folge, Nimoy bekam 1.250,00 Dollar, der Rest der Darsteller nur rund 825,00 Dollar) hatte Shatner das Gefühl, seine Kollegen an die Wand spielen zu müssen; er stahl Dialogzeilen und Kamerazeit. Entsprechend mochten ihn seine Kollegen nicht sonderlich, und bei den meisten dauerte es Jahrzehnte, bis sie ihre Streitigkeiten mit ihm beilegen konnten. Shatners Bedürfnis, stets im Rampenlicht zu stehen, wirkte sich auch auf Gaststars aus: Yvonne Craig (Batman), die grünhäutige Marta aus Wen die Götter zerstören, wurde von ihm an den Schultern gepackt und auf dem Set herumgeschoben, damit er besser im Bild zu sehen war. Ein pikantes Detail ist, dass Craig am Ende von einem der Drehtage mal einen Raum betrat, in dem Shatner ohne sein Toupet saß.

Der Name Kirk leitet sich vom schottischen Wort für »Kirche« ab. Kirk und Schwester Christine Chapel (Majel Barrett) haben also beide »kirchliche« Namen. In den 1970er-Jahren besaß Shatner einen roten Dobermann, den er auf den Namen »Kirk« taufte.

Aber auch Kirks Erster Offizier Spock ist wesentlich für die Handlung.

157 Spock stammt aus einer angesehenen Familie; man könnte ihn wohl als aristokratisch bezeichnen. Sein Vater Sarek (Mark Lenard) ist ein angesehener Astrophysiker und Föderationsbotschafter, der Spock jedoch bereits bei seiner Geburt als »zu menschlich« ablehnt. In Weltraumfieber sagt Spock, das große Anwesen, auf dem die Hochzeitszeremonie stattfindet, sei schon seit über zweitausend Jahren im Besitz seiner Familie. Zudem wohnt T’Pau (Celia Lovsky), eine der mächtigsten Personen auf Vulkan, der Hochzeit bei, was Spocks Familienstatus noch einmal zusätzlich unterstreicht. Dennoch war Spock als Halb-Vulkanier seit seiner Kindheit das Opfer von Rassismus, Spott und Ausgrenzung. Erstmals hört der Zuschauer dies aus dem Mund seiner Mutter Amanda Grayson (Jane Wyatt) in Reise nach Babel; die Zeichentrickfolge Das Zeitportal vertieft das. Als er aufwuchs, hatte Spock keine Freunde. Zwar entschied er sich für die vulkanische Lebensart, aber Folgen wie Falsche Paradiese zeigen, dass Spock eine Menge Selbsthass verbirgt. Später wurde Spock zu einer Art Legende bei den Vulkaniern – T’Pring (Arlene Martel) sagt, sie verspüre nicht den Wunsch, Lebensgefährtin einer Legende zu werden. Insgesamt ist Spocks Biographie so durchwachsen, dass er die wohl tragischste Figur der gesamten Brückenbesatzung ist.

Spocks Persönlichkeit ist eine Hommage an Roddenberrys früheren Chef, den LAPD Chief William H. Parker.

Nimoys Vater hatte einen Friseurladen in Boston, und einer der beliebtesten Haarschnitte dort war der Spock-Schnitt.

158 Nimoys letzter Tweet, bevor er starb, lautete: »Ein Leben ist wie ein Garten. Vollkommene Augenblicke kann man haben, aber nicht bewahren, außer in der Erinnerung. Lebt lange und in Frieden.« Ruhe in Frieden, Freund.

Nicht zuletzt spielte auch Schiffsarzt McCoy eine große Rolle.

Was Technologie betrifft, ist McCoy recht ambivalent – einerseits empfindet er zu viel Technik als entmenschlichend (er hat insbesondere Probleme mit dem Transporter), gleichzeitig betrachtet er die Medizin des 20. Jahrhunderts als barbarisch.

McCoy grummelt sehr viel. Über den Transporter, über Supercomputer, über Spock, über widerspenstige Patienten etc. Er würde Kirk in die Hölle und zurück folgen, aber erstmal wird kräftig darüber gegrummelt.

Das berühmte Zitat »Ich bin ein Doktor und kein ...« stammt ursprünglich aus dem 1933er-Film The Kennel Murder Case. Dort grummelt der Gerichtsmediziner ständig, er sei ein Arzt und kein Reporter, kein Detektiv, kein …

Kelley wollte ursprünglich Arzt werden, was durch die Weltwirtschaftskrise jedoch vereitelt wurde. Er sagte einmal: »Ich wollte Arzt werden und konnte es nicht – aber dann bin ich der berühmteste Arzt in der ganzen Galaxis geworden.«

159 Als Mensch war Kelley sehr privat und zurückgezogen; er machte sich auf Star Trek-Conventions rar und gab kaum Fernsehinterviews. Er schloss sich auch niemals dem typischen Hollywood-Lifestyle an. Er war ein sehr kollegialer, umgänglicher Mensch und galt als der beliebteste Kollege in der klassischen Serie – er war der einzige, der zu keinem Zeitpunkt mit irgendjemandem Streit hatte.

Leider war er auch der allererste der Hauptbesetzung, der die Fans verließ. Am 11.06.1999 verschied er an einer schweren Krebserkrankung. Er war der einzige, der das 21. Jahrhundert nicht mehr erlebte.

In den Fan-Herzen wird er auf ewig weiterleben.

160 Phantastisches Sehen

Ressortleiterin Bettina Petrik

Rezension: The Expanse – Staffel 2

von R. M. Amerein

Inhalt

161 Rund 200 Jahre in der Zukunft hat sich die Menschheit im gesamten Sonnensystem ausgebreitet. Das Terraformingprojekt auf dem Mars ist im vollen Gange, dort hat sich eine eigene Zivilisation gebildet, die sich von der Erde losgesagt hat. Außerdem gibt es die Gürtler, die auf Raumstationen am Asteroidengürtel leben und ebenfalls eine autonome Gesellschaft bilden. Das in Staffel 1 aufgetauchte Proto-Molekül wird schnell zum Zentrum des schwelenden Konflikts zwischen diesen Fraktionen.

In der ersten Staffel wurden mehrere Erzählstränge gegen Ende zusammengeführt. Zu Beginn der zweiten schließt sich der Ermittler Josephus ›Joe‹ Aloisus Miller (Thomas Jane) der Crew der Rocinante an. Gemeinsam versuchen sie, die brodelnden Gemüter zu beruhigen. Offenbar sind sie die einzigen, die gewillt sind, das Proto-Molekül zu zerstören und damit den Kampf um die Vorherrschaft dieser Superwaffe zu unterbinden und einen Krieg zu verhindern. Das geheimnisvolle Molekül wird weiterhin von allen Beteiligten unterschätzt. Erst im Lauf der Serie stellt sich heraus, zu was es in der Lage ist und dass die Frage, wer davon profitiert, im Grunde irrelevant scheint.

162 © Amazon Prime

Zusätzliche Fakten

Zunächst wurde die Serie auf Syfy und Netflix ausgestrahlt. Als Syfy keine vierte Staffel im Programm aufnehmen wollte, wurde die Serie für Amazon weiter produziert. Die bisherigen Staffeln sind in Deutschland auch nur über Amazon Prime Video zu sehen. The Expanse basiert auf einer Buchreihe zweier Schriftsteller, die unter dem Pseudonym James S. A. Corey veröffentlichen. Beide sind auch Mitproduzenten der Serie. Ein Vergleich zwischen Buch und Serie wird hier nicht gezogen.

Meinung

163 Während man in der ersten Staffel ein erstes Bild vom Setting und den Charakteren erhalten hat, werden diese Eindrücke nun deutlich vertieft. Auch neu eingeführte Protagonisten fügen sich fließend in das Geschehen ein und binden den Zuschauer an sich. Bestehende Charaktere erhalten mehr Tiefe. Dadurch ist auch mehr Verständnis für die Motivationen und Reaktionen auf verschiedene kritische Situationen vorhanden. Je nachvollziehbarer ein Mensch ist, desto eher holt er den Zuschauer ab, und das gelingt The Expanse ganz hervorragend.

© Amazon Prime

Das Hauptaugenmerk liegt in dieser Staffel auf dem Konflikt zwischen den drei großen Fraktionen, denn auch 200 Jahre in der Zukunft ist die Machtgier groß, und ein Krieg scheint ständig in greifbarer Nähe. Hervorzuheben sind erneut die verschiedenen Plotstränge. Neben der Crew der Rocinante gibt es mit Chrisjen Avasarala (Shohreh Aghdashloo) einen Einblick in den Schauplatz auf der Erde und mit der Einführung von Roberta ›Bobbie‹ W. Draper (Frankie Adams)

164 erfährt der Zuschauer deutlich mehr über die Marsianer und ihre Kultur. Auch hier werden, ähnlich wie in Staffel 1, etliche Stränge zusammengeführt. Alles ist miteinander verbunden, und wenn man das merkt, hat man manchmal so richtige Aha-Erlebnisse.

Ungeachtet dessen, dass die erste Staffel schon ein Erfolg war, setzt die Fortsetzung noch einen drauf. Alles, wofür eine zweite Staffel da ist – nämlich Erhaltung der Spannung, mehr Storytelling und weitere Überraschungen sowie Vertiefung der Charaktere, ist gegeben. Weiterhin wird hier also eine klare Serien-Empfehlung ausgesprochen.

Weiterführende Informationen zum Thema: https://www.amazon.de/gp/video/detail/B07NJ2T2QZ/ref= atv_dp_season_select_s2

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166 Kommentar: Rosemaries Baby oder: Mehr als nur ein Horrorfilm von Sabine Walch

Wer kennt ihn nicht, einen der Horrorklassiker schlechthin: Rosemaries Baby – ein US-amerikanischer Gruselfilm von Roman Polanski (Tanz der Vampire) aus dem Jahre 1968. Die Vorlage dazu bildete Ira Levins gleichnamiger Roman.

Der Film beginnt, als Rosemarie (Mia Farrow, Hannah und ihre Schwestern) und Guy Woodhouse (John Cassavetes, Teufelskreis Alpha), ein junges kinderloses Ehepaar, eine Wohnung für sich suchen. Zu diesem Zweck besichtigen sie im Zentrum von New York eine Mietwohnung im siebten Stock des Bramford-Hauses. Rosemarie gefällt die geräumige Wohnung sehr gut, während Guy weniger begeistert ist. Edward »Hutch« Hutchins (Maurice Evans, Planet der Affen), ein Freund der beiden, kann nichts Gutes über das Haus berichten, sei es doch in der Vergangenheit dort zu einigen mysteriösen Todesfällen gekommen. Trotzdem nehmen die beiden Verliebten letzten Endes die Wohnung.

Gerade eingezogen, trifft Rosemarie in der Waschküche eine junge Frau in ihrem Alter. Die ehemals drogensüchtige Terry (Victoria Vetri, Flucht nach San Diego) erzählt ihr, dass sie im selben Stock bei einem älteren Ehepaar wohnt. Minnie (Ruth Gordon, Harold und Maude) und Roman Castevet (Sidney Blackmer, Die oberen Zehntausend) habe sie viel zu verdanken, da diese sie von der Straße geholt hätten und wie eine Tochter behandeln würden. Sie zeigt Rosemarie einen wunderschönen Anhänger, den sie von den Castevets

167 geschenkt bekommen hat, der aber mit einem stinkenden Kraut gefüllt ist.

Die neue Bekanntschaft währt nicht lange, da Terry bei einem Sturz aus dem Fenster ums Leben kommt. Die Polizei versucht, bei einer Zeugenbefragung Näheres über die Todesursache zu erfahren – hierbei treffen Rosemarie und Guy auf die sonderbaren Castevets.

Obwohl Guy weniger begeistert ist, nimmt das Paar eine Einladung der neugierigen Nachbarn an. Entgegen seiner anfänglichen Vorbehalte freundet sich Guy jedoch mit den beiden an, wohingegen Rosemarie die aufdringliche Minnie unangenehm ist.

Guy, der sich bisher mehr schlecht als recht als Schauspieler verdingt hat, bekommt eine begehrte Rolle, als der ursprünglich dafür vorgesehene Schauspieler unerwartet erblindet. Aufgrund dessen hat er allerdings nicht mehr viel Zeit für seine Frau, der er vorschlägt, nun doch ihr lang ersehntes Kind zu bekommen. Ein romantisches Abendessen der beiden wird von Minnie gestört, die Mousse au Chocolat vorbeibringt. Obwohl die Schokoladencreme Rosemarie nicht schmeckt, isst sie ein wenig davon. Da ihr jedoch schlecht davon wird, legt sie sich zum Schlafen hin.

Der folgende »Traum«, in dem Rosemarie vor den Augen ihres Mannes, der Castevets und weiterer Personen von einem dämonischen Geschöpf vergewaltigt wird, lässt sie am nächsten Morgen mit blutigen Kratzspuren an ihrem Körper aufwachen. Guy erklärt ihr lachend, dass sie bewusstlos war und er ihre fruchtbaren Tage nicht verstreichen lassen wollte, so dass er Geschlechtsverkehr

168 mit ihr gehabt habe. Rosemarie ist entsetzt, unternimmt aber nichts weiter.

Bei einer Untersuchung ihres Frauenarztes Dr. Hill (Charles Grodin, Liebling, hältst Du mal die Axt?) erfährt sie, dass sie schwanger ist. Ab hier spitzen sich die Ereignisse immer weiter zu, bis Rosemarie letzten Endes den »Antichrist« zur Welt bringt.

Auch wenn man Rosemaries Baby einfach nur als Horrorfilm konsumiert, hat dieser Klassiker auch heute nichts von seinem Reiz verloren. Doch die Geschichte bietet wesentlich mehr als das und muss im Kontext der damaligen Zeit gesehen werden. Und da fängt der Horror erst richtig an. Die Geschichte beginnt wie so viele Liebesgeschichten: Ein junges gutaussehendes Paar, verliebt und auf der Suche nach einem Nest für ihre zukünftige Familie, findet eine tolle Wohnung. Er ist ein junger aufstrebender Schauspieler und sie die treusorgende Ehefrau, die ihn schmückt und umsorgt.

In einer Zeit, in der der Feminismus in den Kinderschuhen steckte und die Bewegung erst langsam Fahrt aufnahm, zeigt Rosemaries Baby hintergründig den wahren Horror in einer Gesellschaft, in der Frauen allenfalls Beiwerk zum Mann sind.

Aufgrund der allgemeinen Sozialisierung empfindet man es auch jetzt noch als vollkommen normal, wenn sich Guy beim Abendessen mit Roman Castevet über seine Karriere unterhält, während Rosemarie beim Geschirrabräumen hilft. Es sind Kleinigkeiten, die einem ins Auge springen und sich im Verlauf der Handlung immer weiter subsumieren. Sei es, dass Rosemarie stets auf das Wohl ihres Gatten als treusorgende Ehefrau bedacht ist oder Guy ihr fortwährend

169 vorschreibt, was sie tun soll, zum Beispiel, als sie den besagten Anhänger, gefüllt mit Tanniswurzeln, von Minnie Castevet erhält und diesen zur Seite legt. Guy erklärt ihr, dass man das, was man geschenkt bekommt, auch tragen sollte. Fortan trägt Rosemarie den verhassten stinkenden Anhänger.

Als Guy ihr endlich den ersehnten Wunsch nach einem Kind erfüllen will (er selbst hat aufgrund der neuen Rolle kaum noch Zeit für sie), wollen beide dies mit einem romantischen Essen und nachfolgendem Sex besiegeln. Die aufdringliche Minnie bereitet für die beiden eine mit Betäubungsmittel manipulierte Schokocreme als Nachtisch, die aber Rosemarie nicht schmecken will. Auf ihren Protest hin bringt Guy sie dazu, die Creme zu essen. Da sie nicht das gesamte Dessert verspeist, ist sie nur zum Teil betäubt. Somit bekommt sie bruchstückhaft mit, dass sie in die Wohnung der Castevets gebracht wird, um dort von einem teuflischen Wesen vergewaltigt zu werden. Diese Episode nimmt sie allerdings als Traum wahr.

Für unser heutiges Verständnis wird anschließend durch Guys Reaktion dem Fass der Boden ausgeschlagen, als Rosemarie ihn nach ihrem Aufwachen auf die blutigen Kratzspuren an ihrem Körper anspricht. Er antwortet lachend, dass er die fruchtbare Nacht nicht verstreichen lassen wollte und sich daher an ihrem bewusstlosen Körper ausgelassen habe. Rosemarie ist zwar sichtlich getroffen, mehr allerdings tut sie nicht.

Uns lässt diese grausame und herzlose Geste heute sprachlos schlucken. Für die damalige Zeit war ein solches Verhalten allerdings »normal«. Vergewaltigung in der Ehe gab es nicht. Das Gesetz sprach von Vergewaltigung nur, wenn es sich um eine Frau handelte, die nicht die eigene

170 Ehefrau war (in Deutschland wurde die Vergewaltigung in der Ehe erst 1997 unter Strafe gestellt). Und auch dann noch war das Opfer eigentlich der Täter, indem die Frau angeblich die Vergewaltigung herausgefordert habe.

Im weiteren Verlauf verliert Rosemarie immer weiter die Kontrolle über ihr Leben. Anstelle ihres eigenen Gynäkologen wird sie dazu gebracht, zu der von den Castevets empfohlenen Koryphäe, Dr. Sapirstein (Ralph Bellamy, Die Glücksritter) zu gehen, welcher ihr alle bisher verschriebenen Medikamente verbietet und sie anweist, die von Minnie zubereiteten Kräuter zu sich zu nehmen.

Wir sehen, dass Rosemarie sich wie ein Tier in einem Käfig ihrem Schicksal fügt, ohne Anstalten zu machen, diese Szenerie zu verlassen. Und wir fragen uns natürlich: »Blöde Kuh, wieso haut sie nicht einfach ab?« Ja, auch das war zu dieser Zeit so gut wie unmöglich. Eine Frau konnte nicht so einfach ihre Sachen packen und abhauen, selbst wenn sie es gewollt hätte.

War die Frau vormals abhängig davon, was ihre Eltern, explizit der Vater, erlaubten und geboten, ging dieses Recht der Bestimmung über ihre Person mit der Heirat auf den Mann über. Hysterische Frauen konnten entmündigt werden und wurden oftmals in die Psychiatrie eingewiesen. Frauen durften bis 1962 kein eigenes Bankkonto eröffnen, wenn der Mann es nicht erlaubte. Bis 1977 durften sie nur berufstätig sein, wenn es ihre Pflichten als Ehefrau und Mutter nicht beeinträchtigte.

Rosemarie zeigt, als ihr die gesamte Umwelt diktiert, was sie tun und lassen soll, doch noch ein bisschen Selbstbestimmung, indem sie sich die Haare schneiden lässt. Aus dem Bob wird ein Pixie-Cut, ein extremer fransiger

171 Kurzhaarschnitt, was natürlich den Unmut von Guy erregt. Nicht so sehr, weil dieser Schnitt sehr burschikos ist, sondern weil sie damit selbst über ihren Körper bestimmt. Guy spricht von dem größten Fehler, den sie je begangen hat.

Doch dieser kurze Triumph währt nicht lange.

Rosemarie wagt nochmals, die Führung über ihr eigenes Leben wiederzuerlangen. Sie läuft fort, vertraut sich ihrem ursprünglichen Gynäkologen an und erzählt ihm in unbedarfter Weise ihre Vermutungen und Erlebnisse, weil sie hofft, dass wenigstens er sie versteht und beschützt. Damit hat sie sich aber leider den Falschen ausgesucht. Dr. Hill, wie es auch der Großteil der Gesellschaft bei ihren Erzählungen tun würde, hält Rosemarie für hysterisch, was schwangeren Frauen per se nachgesagt wird. Er informiert ihren Mann, sodass Rosemarie zurückgebracht werden und im »Schutz« der satanischen Sekte die teuflische Brut gebären kann.

Das Ende des Films ist nicht weniger verstörend. Rosemarie findet ihr Baby, nachdem ihr erklärt wurde, es sei tot, in einer schwarzen Wiege im Kreise der Satanisten in der Wohnung der Castevets, die sie über eine verborgene Verbindung zur eigenen Wohnung betritt. Sie platzt in eine Babyparty der teuflischen Art und bemerkt den entstellten Säugling. Entsetzt über ihren monströsen Nachwuchs könnte man jetzt mutmaßen, dass sie sich abwendet und geht. Aber weit gefehlt. Innerhalb weniger Minuten, eine tolle schauspielerische Leistung von Mia Farrow, entwickelt sie sich von der unterwürfigen jungen Frau zur bestimmenden Mutter. Als das Baby zu schreien beginnt, geht sie auf die Wiege zu und erklärt, dass es zu heftig

172 gewiegt wird. Sie tritt an die Wiege und schaut mit verzücktem Blick hinein. Damit endet der Film.

Der Schrecken von Rosemaries Baby geht weit über die plakativen Horrorelemente hinaus. Das Selbstverständnis, mit dem die junge Frau in ihren Rechten und ihrer Selbstbestimmung unterdrückt und zum Schweigen gebracht wird, indem andere über ihren Körper bestimmen und sie diskreditieren, das ist der wahre Horror. Von ihr wird verlangt, ganz die Frauenrolle zu erfüllen, welche ihr von der Gesellschaft vorgeschrieben wird. Egal, ob sie vergewaltigt wird, sie hat das als »normal« hinzunehmen. Egal, was sie gebiert, sie hat es zu lieben – da sie eine Frau ist, hat sie gleichzeitig Mutter zu sein. Alles andere wird nicht akzeptiert und als »verrückt« deklariert. Genau so wurden Frauen in den 60er Jahren behandelt, und vieles davon hat leider bis in die heutige Zeit überdauert.

Wenn man somit Rosemaries Baby nicht allein als Horrorklassiker betrachtet, sondern ebenfalls als Studie über die Zeit, in der er erschien, kommt man nicht umhin zu erkennen, wie aktuell der Film auch heute noch ist.

Perlentaucher-Reihe: Die große persönliche Akte X-Rückschau – Staffel 4, und der Blick in den Abgrund von Eric Zerm

173 Im September 1995 startete mit der Folge »Kontakt« im deutschen Fernsehen die zweite Staffel der Serie Akte X: Die unheimlichen Fälle des FBI. Für das Corona-Magazine ist das Anlass genug für eine ausführliche und auch persönliche Rückschau auf diesen modernen Serien-Klassiker und auch dafür, die Serie Staffel für Staffel – mit Stift und Notizblock bewaffnet – mal wieder anzusehen. In Staffel 4 streut die Serie weitere Anzeichen für einen großen Plan der Verschwörer, nur um das dem Publikum bis dahin vertraute Weltbild von Akte X dann mit dem furiosen Dreiteiler »Redux« durch den Schredder zu jagen und neu zusammenzusetzen. Zudem testet die Serie weiter ihre Grenzen aus: Die vierte Staffel enthält die bis dahin drastischsten Folgen. Worum gehts? Was ist die Wahrheit? Zu welchem Zweck wollen die Verschwörer Bienen einsetzen? Welche Ziele verfolgt man in Russland, und basiert Fox Mulders Glaube an Außerirdische am Ende nur auf einer großen Lüge, dem größten Ablenkungsmanöver in der Geschichte der Menschheit? In der Serien-Rahmenhandlung geschieht in Staffel 4 eine ganze Menge, ohne dass das Publikum oder die Protagonisten Fox Mulder (David Duchovny) und Dana Scully (Gillian Anderson) daraus wirklich schlau werden. Das Ganze wird aber furios erzählt. Der Zweiteiler »Tunguska « greift das Element des intelligenten schwarzen Öls aus der dritten Staffel (»Der Feind 1« und »Der Feind 2«) wieder auf und zeigt davon ganz neue Aspekte. Offenbar stammt eine viel ältere Form dieser intelligenten Substanz aus einem Meteoriten, der am 30. Juni 1908 über Sibirien niedergegangen ist und damals verheerende Zerstörungen verursacht hat. Ein Bote bringt einen Stein, der diese Substanz enthält (und den er offenbar

174 in Sibirien gestohlen hat) in die Vereinigten Staaten. Ausgangspunkt einer atemlosen Hetzjagd, die Fox Mulder bis in die Weiten Sibiriens führt. Dort wird er Gefangener in einem Straflager. Die Herren dieses Lagers missbrauchen die Häftlinge als Versuchsobjekte, lassen sie in den Felsen nach Steinen mit dem schwarzen Öl graben und setzen sie dem intelligenten Öl aus, um dann ein Antiserum an ihnen zu testen. Mit dem Finale der Episode »Leonard Betts«, die bis zu diesem Zeitpunkt eine »gewöhnliche« Mutant-der-Woche–Episode zu sein schien, schlägt die Rahmenhandlung dann eine Richtung ein, die das Publikum damals kalt erwischte. In Scullys Kopf wächst ein nicht operierbarer Krebs-Tumor, offenbar eine Folge ihrer Entführung in Staffel 2. Die Suche nach dem wahren Grund für die Erkrankung und die Suche nach einem Heilmittel wird damit ein wichtiges Element der zweiten Staffelhälfte, das geschickt mit der Verschwörungs-Handlung verknüpft wird. In der Folge »Memento mori« sucht Dana Scully wieder die Frauen aus der Doppelfolge »Die Autopsie«/»Der Zug« (Staffel 3) auf, die – wie sie – scheinbar von Außerirdischen entführt wurden. Schockiert erfährt sie, dass die meisten von ihnen inzwischen an Krebs verstorben sind. Auch Betsy Hagopian, die im damaligen Zweiteiler noch behandelt wurde, hat es nicht geschafft. Fox Mulder dringt wiederum mit Hilfe der Einsamen Schützen heimlich in eine Forschungsklinik ein, in der sich scheinbar die meisten der Frauen wegen Unfruchtbarkeit behandeln ließen. Dort stößt er auf Hybrid-Klone, die – so sieht es aus – mit Hilfe der Eizellen der Frauen gezüchtet wurden. Zudem sieht er

175 Behälter mit darin treibenden Körpern, die wie die Behälter in der Folge »Das Labor« (Staffel 1) aussehen. In der Hoffnung, Scully helfen zu können, lässt sich Director Skinner (Mitch Pileggi) auf einen Handel mit dem Raucher (William B. Davis) ein. In der Folge »Der Pakt mit dem Teufel« muss er seinen Teil des Handels erfüllen und Spuren eines geheimnisvollen Bienen-Überfalls beseitigen … ohne dass er am Ende etwas Greifbares in die Hände bekommt.

©: FOX / Netflix / Pro7 Im Finale von Staffel 4 und im Übergang zu Staffel 5 stellt Serienschöpfer Chris Carter seine Serien-Mythologie mit dem Dreiteiler »Gethsemane«/»Redux I«/»Redux II« (die damalige Spielfilmfassung aus diesen drei Episoden heißt schlicht »Redux«) dann komplett auf den Kopf. Sind die Außerirdischen am Ende nur ein gewaltiger Schwindel, um von viel grausameren Wahrheiten abzulenken?

176 In den Einzelfolgen zeigt Akte X in Staffel 4 erneut eine gewaltige Bandbreite. Insgesamt wirkt die Stimmung aber gedrückter als bisher. »Ein unbedeutender Niemand« ist die einzige Folge, in der wieder der besondere Humor durchblitzt, der in Staffel 2 und Staffel 3 die Drehbücher von Darin Morgan ausgemacht hat. Dafür hat die Staffel mit »Blutschande« (»Home«) eine der drastischsten Folgen der ganzen Serie. Die Drehbuchautoren Glen Morgan und James Wong sowie Regisseur Kim Manners bedienen darin auf ihre eigene Art das Subgenre des Hinterwäldler-Horrors. Die degenerierte Sippe der Peacocks, durch Inzucht, die sich über Generationen erstreckte, körperlich und geistig völlig entstellt, zieht eine blutige Spur durch das Provinz-Kaff Home in Pennsylvania, als der örtliche Polizist Andy Taylor (Tucker Smallwood) sowie Fox Mulder und Dana Scully den Tod eines völlig entstellten Säuglings untersuchen. In der wohl heftigsten Szene der Folge fallen die Peacocks wie wilde Bestien über Taylor und seine Frau her, während im Hintergrund Johnny Mathis' Song »Wonderful, Wonderful« aus dem Autoradio säuselt. Auch die Folgen »Hexensabbat« und »Leonard Betts« sind wenig zimperlich. Die Episoden »Unruhe« und »Unsichtbar« bedienen wiederum das Thriller-Genre. In »Unruhe« jagen Mulder und Scully einen geisteskranken Serientäter, der der festen Überzeugung ist, Menschen von »Heulern« befreien zu müssen, die deren Handeln steuern (indem er ihnen mit einem langen Stahldorn durchs Auge ins Gehirn sticht). In »Unsichtbar« wird das Leben eines Generals von einem Veteran aus dem Vietnamkrieg bedroht, der sich vor anderen Menschen scheinbar unsichtbar machen kann. In den Folgen »Die Sammlung« (»Paper Hearts«) und »Dämonen« (»Demons«) wird Fox Mulder mit seinen eigenen inneren Dämonen

177 konfrontiert, »Mutterkorn« und »Todes-Omen« erzählen (neben den oben schon genannten Mythologie-Folgen) wiederum Ereignisse, die Scully sehr nahe gehen. Erwähnenswertes: Als die vierte Staffel von Akte X entstand, war Produzent Chris Carter sehr stark in die Entwicklung seiner neuen Serie Millennium eingebunden. Die erste Millennium-Folge »Der jüngste Tag« (im Original ohne Titel) lief auf FOX am 25. Oktober 1996, genau drei Wochen nach »Herrenvolk«, der ersten Folge der vierten Staffel von Akte X. Millennium und Akte X teilen sich dasselbe Serien-Universum, haben aber andere Schwerpunkte. Nach dem Ende von Millennium sollte Hauptdarsteller Lance Henriksen als Frank Black in der Akte X-Folge »Millennium« in der siebten Staffel noch einen letzten Auftritt haben. Nachdem die von Glen Morgan und James Wong entwickelte Science-Fiction-Serie Space: Above & Beyond (Space: 2063) nach nur einer Staffel abgesetzt worden war, kehrte das Autoren-Duo wieder zu Akte X zurück. Mehrere der Hauptdarsteller aus Space haben in der vierten Akte X-Staffel Gastauftritte: Tucker Smallwood (Commodore Ross in Space) als Dorfpolizist Andy Taylor in »Blutschande«, Kristen Cloke (Shane Vansen) als Melissa Reidal in der tragischen Sekten-Folge »Rückkehr der Seelen« (»The Field Where I Died«), Morgan Weisser (Nathan West) in »Gedanken des geheimnisvollen Rauchers« (»Musings of a Cigarette-Smoking Man«) als Lee Harvey Oswald und Rodney Rowland (Cooper Hawkes) als trauriger getrennter Ehemann Ed Jerse in der Folge »Mutterkorn« (»Never Again«). In der Originalfassung von »Unruhe« werden die deutschen Wurzeln des Serientäters Gerry Schnauz (Pruitt Taylor Vince) 178 deutlicher als in der synchronisierten Fassung. Im Zentrum seiner Obsession steht tatsächlich der deutsche Begriff »Unruhe«. »Hexensabbat« ist eine Art Remake der Folge »Satan« aus Staffel 2. Statt in einer Schule geht es nun in einer Klinik um drastische Teufels-Rituale. In der Doppelfolge »Tunguska« taucht der Mörder Alex Krycek (Nicolas Lea) wieder auf, den der Raucher im Finale von »Der Feind« in Staffel 3 in einem Raketensilo zurückgelassen hatte. Er wurde von schwer bewaffneten Nationalisten befreit. Vergleichbare Gruppen greift die Serie später wieder auf. Eine solche Gruppe verübt im ersten Akte X-Kinofilm von 1998 auch einen verheerenden Anschlag, der ein ganzes Gebäude zerstört. Das Schicksal, das Krycek in »Tunguska« erwartet, lässt einem das Blut in den Adern gefrieren. Dr. Charne-Sayer (Jessica Schreier) hat – so wird in der Doppelfolge »Tunguska« angedeutet – offenbar eine Affäre mit einem der Verschwörer, dem »Well-Manicured Man« (John Neville). Sie wird als Expertin für das Variola-Virus beschrieben, das Pocken-Virus. Im Laufe der Staffel wird klar, dass Pocken im großen Plan der Verschwörer scheinbar eine wichtige Rolle spielen. In der Episode »Der Pakt mit dem Teufel« werden Menschen von aggressiven Bienen angegriffen, die offenbar das Pocken-Virus übertragen. Mit dem Tunguska-Meteoriten gelangten, so heißt es in der Doppelfolge »Tunguska«, scheinbar Fragmente des Mars auf die Erde. Dieser Gedanke wird später in der Serie wieder aufgegriffen.

179 Eine sehr emotionale Mulder-Folge ist »Die Sammlung«. Hier wird Fox Mulder mit dem Serienkiller John Lee Roche (Tom Noonan) konfrontiert, dem es gelingt, bis in seine Träume vorzudringen. Roche suggeriert Mulder, dass dessen Erinnerungen an das Verschwinden seiner Schwester Samantha falsch sind, dass in Wirklichkeit Roche Samantha damals entführt hat und nicht Außerirdische. Dasselbe suggeriert die Folge auch dem Publikum, indem sie eine alternative Version jener Momente zeigt, nach denen Samantha vor vielen Jahren verschwunden war. In »Dämonen« wird Mulder noch weiter durch die Mangel gedreht. Er unterzieht sich einer drastischen Therapie, um Zugang zu verborgenen Erinnerungen zu bekommen. Er will endlich erfahren, was damals wirklich geschehen ist. Dabei erinnert er sich an einen heftigen Streit zwischen seiner Mutter und seinem Vater … und auch an den Raucher als jungen Mann. Hier legt die Serie darüber hinaus weitere Indizien dafür, dass in Wirklichkeit der Raucher Mulders Vater ist. »Dämonen« legt schon eine Art Grundstein für den Dreiteiler »Redux«, in dem Mulders Welt komplett aus den Angeln gehoben wird. Im Zweiteiler »Tempus Fugit« hat die beliebte Figur Max Fenig (Scott Bellis) aus der Episode »Gefallener Engel« aus Staffel 1 den zweiten und letzten Auftritt. Der Zweiteiler »Tempus Fugit« greift auch viele bekannte UFO-Motive aus der ersten Staffel wieder auf. Zeitverlust, helles Licht, ein Körper, der von einem scheinbaren Kraftfeld angehoben wird, und Strahlungsverbrennungen, die scheinbar von einem UFO-Wrack verursacht werden. Ein sehr tragisches Ende nimmt in »Tempus Fugit« die Figur Agent Pendrell (Brendan Beiser), den das Publikum seit

180 Staffel 3 kennt. Er wird in einer Bar, in der Kollegen zu Beginn der Folge Dana Scullys Geburtstag gefeiert haben, angeschossen und erliegt wenig später seinen Verletzungen. Sehr wichtige Scully-Folgen sind »Mutterkorn«, »Memento mori«, »Todes-Omen« und natürlich der Dreiteiler »Redux«. Dana Scullys bedrückende Traurigkeit in »Mutterkorn« ist eine direkte Folge des Finales von »Leonard Betts«. In jener Folge verfolgte sie mit Mulder einen besonderen Mann, der es offenbar auf Menschen mit Krebsgeschwüren abgesehen hat und der auch die besondere Fähigkeit hat, Krebszellen in einem Menschen zu erspüren. Als er Scully angreift, fällt einer der schockierendsten Sätze der ganzen Serie: »Es tut mir leid, aber Sie haben etwas, das ich brauche!« Diese Äußerung geht Scully nicht mehr aus dem Kopf. In ihrer niedergedrückten Stimmung stellt sie auch ihre Arbeit mit Fox Mulder in Frage und stürzt sich in »Mutterkorn« in Philadelphia in eine Affäre mit dem ebenso einsamen wie deprimierten Ed Jerse. In »Memento mori« wird die schlimme Ahnung schließlich zur Gewissheit. Sie hat einen Gehirntumor, der nicht operiert werden kann. Ein Element dieser Episode greift die Serie in Staffel 5 im Zweiteiler »Emily« wieder auf. Fox Mulder erfährt in der Forschungsklinik, dass allen entführten Frauen sämtliche Eizellen entnommen wurden, wodurch sie unfruchtbar wurden. Er sagt seiner Partnerin, die gerade von ihrem Krebs erfahren hat, in »Memento mori« aber nichts davon. In »Todes-Omen« wird Scully dann erstmals mit ihrem möglichen baldigen Lebensende konfrontiert. Sie sieht eine Geistererscheinung, die bis dahin nur Menschen erschienen ist, die wenig später tot waren. Am Ende des Mittelteils von »Redux« bricht sie dann zusammen.

181 In »Redux« lernte das Publikum Scullys Bruder Bill Scully (Pat Skipper) kennen, einen Marineoffizier. Im Laufe des Dreiteilers geraten Bill Scully und Fox Mulder heftig aneinander. Bill Scully macht Mulders Handeln für die Krankheit Danas und für den Tod von Danas und seiner Schwester Melissa verantwortlich. In »Redux« wird die besondere Beziehung zwischen dem Raucher und Fox Mulder weiter vertieft. Als der Raucher Mulder vorübergehend für tot hält, sucht er dessen Appartement auf. Schwermütig nimmt er ein altes Foto an sich, das den jungen Fox mit dessen Schwester Samantha zeigt. Am Ende des Dreiteilers gibt der »erste Elder« (Don S. Williams) den Befehl, den Raucher zu eliminieren … und der Schütze scheint erfolgreich zu sein. Chief Blevins (Charles Cioffi), der am Ende des »Redux«-Dreiteilers ermordet wird, ist eine Figur aus der allerersten Akte X-Folge »Gezeichnet«. In seinem Büro erhielt Dana Scully ihren Auftrag, Fox Mulders Arbeit wissenschaftlich zu begleiten. In »Redux« stellt sich heraus, dass Blevins schon seit Jahren Geld von einem Biotechnologie-Unternehmen namens Roush erhalten hat. Der Name des Unternehmens taucht zu Beginn der sechsten Staffel wieder auf. Persönliche Highlights: Die Mythologie-Folgen erreichen mit »Tunguska«, »Memento mori«, »Tempus Fugit«, »Der Pakt mit dem Teufel« und dem »Redux«-Dreiteiler ein neues Level. »Tunguska« ist ein atemloser Bio- und Verschwörungs-Thriller, und die Serie geht hier auch im Action-Bereich an die Grenzen des damals in einer TV-Serie Möglichen. »Memento mori« wiederum kombiniert sehr gut schwermütige und spannende Momente. Bei »Der Pakt 182 mit dem Teufel« steht zum zweiten Mal Skinner im Mittelpunkt, der sich durch sein Tun dem Krebskandidaten ausliefert, was dieser natürlich sofort nutzt, um Skinner noch stärker unter Druck zu setzen. »Tempus Fugit« ist wie ein großes Puzzle aufgebaut, und gemeinsam mit dem Publikum versuchen Fox Mulder und Dana Scully zu ergründen, was in der Nacht eines tragischen Flugzeugabsturzes wirklich geschehen ist. Die Stärke von »Tempus Fugit« ist zudem, dass dieser Zweiteiler zwar Teil der Serien-Mythologie ist, aber auch für sich alleine funktioniert. Im »Redux«-Zweiteiler werden die beiden zentralen Helden der Serie und auch das Publikum dann gnadenlos durch die Mangel gedreht. Es wimmelt von falschen Spuren und unerwarteten Wendungen. Das wird noch dadurch verstärkt, dass »Redux« nicht linear erzählt wird, sondern auf mehreren Zeitebenen und mit Rückblenden, die Ereignisse, deren Bedeutung man schon zu kennen glaubte, wieder in einem neuen Licht darstellen. So spielen sich zum Beispiel die Ereignisse des mittleren Drittels WÄHREND der Rahmenhandlung des ersten Drittels ab. Im letzten Drittel geht es dann um nichts Geringeres als um Scullys Überleben. Fox Mulders Weltbild wird durch die Ereignisse des Dreiteilers komplett aus den Angeln gehoben, und er verliert seinen Glauben an Dinge, die er bisher für wahr gehalten hat. Bei den Einzelfolgen schimmert »Gedanken des geheimnisvollen Rauchers« wie eine ganz besondere Perle. Eingebettet in eine Rahmenhandlung, während der der Raucher die Einsamen Schützen abhört, erfährt das Publikum, wer dieser Mann eigentlich ist. Im Laufe von gut 40 Minuten sieht das Publikum den Raucher als jungen Mann bei zentralen Ereignissen der amerikanischen 183 Geschichte. Anfang der 1960er Jahre war er als Soldat Stubengenosse von William Mulder und wurde dann von einem reaktionären General dafür rekrutiert, Präsident John F. Kennedy zu töten. Später räumt er auch den unliebsamen Bürgerrechtler Martin Luther King aus dem Weg und wird dann eine Art Vollstrecker der UFO-Verschwörer. Dabei träumt er eigentlich von einem Leben als Schriftsteller, hat aber als Autor Raul Bloodworth mit seinen wilden Jack Colquitt-Thrillern bei den Verlagen kein Glück. Am Ende scheint es dann doch mit der Schriftsteller-Karriere zu klappen, und der Raucher ist schon drauf und dran, seinen Auftraggebern für immer Lebewohl zu sagen und endlich das Rauchen aufzugeben. Aber es klappt eben doch nicht, und er bleibt der zynische Raucher, der die Welt nach seinen Vorstellungen gestalten will. Ein echter Nervenzerrer ist »Unruhe«. Im Finale der Folge ist Dana Scully dem geisteskranken Gerry Schnauz völlig ausgeliefert, weil er sie an einen Zahnarzt-Sessel gefesselt hat. Ihr bleibt nur die Möglichkeit, beruhigend auf ihn einzureden und Zeit zu gewinnen, aber das funktioniert nicht gut, weil sie ihn nicht von der Wahnhaftigkeit seines Tuns überzeugen kann. Auf der anderen Seite der Stil-Bandbreite steht »Ein unbedeutender Niemand« (»Small Potatoes«), eine Episode, die das FBI-Duo Mulder und Scully in den unglaublichsten Situationen zeigt. Der von Darin Morgan gespielte Verlierer Eddie van Blundth hat durch eine körperliche Anomalie die Fähigkeit, wie jeder beliebige Mensch aussehen zu können, und er nutzt diese Möglichkeit, um Frauen zu verführen, die in ihm jeweils ihren Ehemann oder größten Schwarm sehen. Für die nerdige Amanda Nelligan (Christine Cavanaugh) verwandelte er sich sogar in … und allein der 184 Blick Scullys, als Amanda von ihrem Luke erzählt, ist unbezahlbar. Später schlüpft van Blundth sogar in die Rolle Fox Mulders, nicht ohne dessen Single-Wohnungs-Chaos mit einem sarkastischen »Und wo soll ich hier schlafen?« zu kommentieren und Mulders Anrufbeantworter abzuhören. Dieser enthält die Nachricht einer Sex-Hotline und eine Nachricht der Einsamen Schützen, die glauben, herausgefunden zu haben, wer Kennedys Mörder war. Am Ende sagt von Blundth Mulder sehr direkt, was er von dessen Lebenswandel hält: »Ich bin der geborene Verlierer, aber Sie … Sie sind es freiwillig.« Fortsetzung folgt …

Perlentaucher: Fringe – Grenzfälle des FBI von Thorsten Walch

Es war einmal eine Serie mit dem Titel Akte X – Die unheimlichen Fälle des FBI (Autorenkollege Eric Zerm hält gerade Rückschau auf diese Serie hier im Corona Magazine). Akte X war höchst erfolgreich und brachte es zunächst auf satte 9 Staffeln zwischen 1993 und 2002 sowie einen erfolgreichen Kinofilm im Jahr 1998. 2008 folgte ein weiterer, nicht mehr ganz so erfolgreicher Kinofilm, und 2017 und 2018 gab es gar zwei weitere Kurzstaffeln im Mini-Format. Der Rest ist nachzulesen bei Eric Zerm. Worum es hier gehen soll, ist eine Serie, die zumindest zu Beginn

185 mehr oder weniger offen im Fahrwasser der Akte X daherkam, wenngleich man durchaus andere Schwerpunkte in ihr setzte. Dann aber wagte Fringe, wie diese Serie hieß und hierzulande in Anlehnung an das Vorbild den Untertitel Grenzfälle des FBI erhielt, etwas bis dahin kaum Bekanntes: Das komplette Genre wurde kurzerhand gekippt, und was wie eine modernere Version der X-Akten begonnen hatte, entwickelte sich plötzlich zu – einer dystopischen Science-Fiction-Serie. Aber immer der Reihe nach! J.J. Abrams: Geliebt und gescholten! Der mittlerweile 54-jährige amerikanische Film- und Fernsehproduzent, Regisseur, Drehbuchautor und auch Komponist Jeffrey Jacob Abrams, kurz »J.J.« oder auch »JJ« geschrieben, ist ohne jede Übertreibung eine der umstrittensten Personen in der gesamten Unterhaltungsbranche. Es scheint kaum in der Mitte liegende Meinungen über ihn zu geben: Entweder wird er offen verehrt oder gehasst. Die Liste des Schaffens von J.J. Abrams ist lang: Er schrieb die Drehbücher zu Filmen wie In Sachen Henry mit Harrison Ford in der Hauptrolle (1991) oder Armageddon – Das jüngste Gericht mit Bruce Wills (1998) und inszenierte den dritten Teil der Mission-Impossible-Filmserie mit Tom Cruise (2006). Hauptsächlich bekannt geworden war er jedoch als Showrunner mehrerer Fernsehserien: Nach dem Coming-Of-Age-Drama Felicity mit der jungen Keri Russell in der Haupt- und Titelrolle (1998 bis 2002) hatte er seine größten Erfolge mit der ungewöhnlichen Spionageserie Alias – Die Agentin (2001 bis 2006) sowie dem zum polarisierenden Kultklassiker gewordenen Lost (2004 bis 2010) gefeiert. 2009 und 2015 hatte Abrams dann sowohl

186 Star Trek als auch Star Wars wiedererweckt/ruiniert (je nach Sichtweise …), doch vorher … kam Fringe, um das es hier gehen soll. Während die Idee zu Alias von Abrams allein gestammt hatte, war er im Falle von Lost Teil eines dreiköpfigen Teams von Ideengebern gewesen, zu dem auch seine beiden Kollegen Damon Lindelof und Jeffrey Lieber gehörten. Bei Fringe gab es erneut ein Dreierteam, diesmal neben Abrams auch der jetzige Star-Trek-Showrunner Alex Kurtzman sowie Roberto Orci, der mehrere Scripts zu Alias geschrieben hatte und später auch am Star-Trek-Reboot mitarbeiten sollte. Alle drei steuerten auch Drehbücher zur ersten Staffel der neuen geplanten Serie Fringe bei.

©: Warner Bros. / Bad Robot Production

187 Das neue Akte X (???) Auf den ersten Blick las sich das Serienkonzept zu Fringe wirklich wie eine Nachahmung der X-Files. Alle Passagiere eines in Boston gelandeten Passagierflugzeuges sind auf mysteriöse Weise durch einen unbekannten Erreger ums Leben gekommen. Als sich John Scott, der Kollege und Beziehungspartner von FBI-Agentin Olivia Dunham, ebenfalls infiziert, erbittet sie die Hilfe des genialen Wissenschaftlers Dr. Walter Bishop. Dummerweise jedoch befindet sich dieser seit einem grauenhaften Laborunfall mit Todesfolgen in einer Nervenheilanstalt. Um Bishop für die Ermittlungen freizubekommen, benötigt Olivia die Hilfe von Bishops Sohn, dem Abenteurer Peter. Dieser befindet sich im kriegsgebeutelten Irak, wo er undurchsichtigen Geschäften nachgeht. Peter Bishop willigt schließlich ein, für die Ermittlungen als Vormund für seinen Vater zu fungieren. Diese führen zum Multi-Konzern Massive Dynamic, der von Dr. Bishops einstigem Partner, dem geheimnisvollen William Bell, gegründet und nunmehr von der nicht weniger enigmatischen Nina Sharp geleitet wird. Nach Beendigung der Ermittlungen erhält das unfreiwillige Dreierteam ein Angebot: Gemeinsam mit ein paar weiteren Kollegen sollen sie die Fringe-Division des FBI bilden, welche die sich häufenden Fälle mit grenzwissenschaftlichem Hintergrund untersuchen soll. Geleitet wird diese Abteilung von dem strengen Special Agent Phillip Broyles, der persönlichen Groll gegen Olivia hegt … Das Serienkonzept erhielt grünes Licht von Warner Bros. Television, die sie für die ihr unterstellten Sender realisieren wollte. Unterstützung sollte dabei von J.J. Abrams' eigener 188 Firma Bad Robot Productions kommen. Als Olivia Dunham castete man die gebürtige Australierin Anna Torv (geb. 1979), die man aus kleineren Rollen in australischen Fernsehserien wie Young Lions (2002) oder McLeods Töchter (2004) sowie der BBC-Produktion Mistresses – Aus Lust und Leidenschaft (2008) kannte. Die Rolle des Peter ging an den Kanadier Joshua Jackson (geb. 1978), der zuvor in Filmen wie Mighty Ducks – Das Superteam (1992) und den beiden Fortsetzungen von 1994 und 1996 sowie den Horrorstreifen Scream 2 (1997) und Shutter – Sie sehen dich (2008) mitgewirkt hatte. John Noble (geb. 1948), ebenfalls Australier, erhielt die Rolle des zerrissenen Dr. Walter Bishop. Er hatte 1988 eine der Hauptrollen in der populären australischen TV-Serie SOS – Hills End antwortet nicht gespielt und war seitdem in US-Serien wie Time Trax – Zurück in die Zukunft (1993) oder All Saints (1998 bis 2004) in einem wiederkehrenden Gastpart zu sehen gewesen. Als desillusionierter Herrscher Denethor in Der Herr der Ringe: Die zwei Türme (2002) und Die Rückkehr des Königs (2003) war er auf der großen Leinwand präsent gewesen. Für die tragende Nebenrolle des Agent Broyles verpflichtete man Lance Reddick (geb. 1962), bekannt aus Filmen wie Roland Emmerichs Godzilla (1998) oder dem Thriller Sag‘ kein Wort (2001) und TV-Serien wie The West Wing – Im Zentrum der Macht (1999) und The Wire (2002 bis 2008) wo er als Lt. Daniels eine der Hauptrollen verkörpert hatte. Jasika Nicole (geb. 1980), die man in Serien wie Criminal Intent – Verbrechen im Visier (2005) und Filmen wie Dance! Jeder Traum beginnt mit dem ersten Schritt (2006) gesehen hatte, spielte die junge und dienstbeflissene Junior Special Agent Astrid Farnsworth, deren Vornamen Dr. Bishop stets von »Asterix« bis zu »Estrich« verdrehte. Blair Brown (geb.

189 1946), die in den 70er-Jahren Gastauftritte in vielen bekannten Serien wie Detektiv Rockford – Anruf genügt (1975) oder Kojak – Einsatz in Manhattan (1976) gehabt und 2000 im Science-Fiction-Drama Space Cowboys mitgewirkt hatte, spielte Nina Sharp. Kirk Acevedo (geb. 1971), bekannt unter anderem als Miguel aus der Gefängnisserie Oz – Hölle hinter Gittern (1998 bis 2003), spielte Olivias Ermittlungspartner Charlie Francis. Mark Valley (geb. 1964), bekannt aus Emergency Room – Die Notaufnahme (2000 bis 2003) und 4400 – Die Rückkehrer (2004) war der damalige Real-Life-Ehemann von Hauptdarstellerin Anna Torv und spielte den wiederkehrenden Gastpart des Special Agent John Scott. Last not least war Seth Gabel (geb. 1981), bekannt als Jeremy aus der Serie Dirty Sexy Money (2007 bis 2008) ebenfalls in einer Gastrolle als Special Agent Lincoln Leigh zu sehen. Für den kurzen Auftritt des mysteriösen Dr. William Bell, einst Dr. Bishops Partner und bester Freund und nunmehr Firmengründer von Massive Dynamic, dachte man sich etwas ganz Besonderes aus: Ihn spielte (während der ersten Serienstaffel lediglich in einem Cameo am Ende der Abschlussfolge) kein geringerer als Leonard Nimoy (1931 bis 2015), der ikonische Darsteller des Mister Spock aus der klassischen Star-Trek-Originalserie. Bis heute ranken sich Gerüchte darum, ob hier die Henne oder das Ei zuerst dagewesen war: Hatte der damals bereits 78-jährige Nimoy dem Auftritt in Fringe nur deshalb zugestimmt, weil Produzent Abrams bereits an seinem Star-Trek-Reboot arbeitete, oder hatte Nimoy wegen seiner Rolle in der Serie ein (vor-) letztes Mal die spitzen Ohren des Vulkaniers angelegt …? Es gibt unterschiedliche Versionen.

190 Die Serie Fringe (das Wort bedeutet übrigens sowohl »Rand« oder »Grenze« als auch »abseitig« oder »extrem« und bildet als »Fringe Science« den englischen Begriff für das deutsche »Grenz-« oder »Para-Wissenschaft«) erlebte seine TV-Premiere mit dem anderthalbstündigen Pilotfilm Flug 627 am 9. September 2008 beim US-Sender Fox. Hierzulande mussten die Zuschauer bis zum 16. März 2009 warten, ehe ProSieben mit der Ausstrahlung der ersten Staffel begann. Hüben wie drüben war die Serie zwar kein absoluter Straßenfeger, doch waren die Quoten dank des noch immer an Mystery-Stoffen interessierten Publikums recht gut und stabil. Während der ersten Staffel war die stilistische Ähnlichkeit mit den nun bereits mehrmals angesprochenen X-Files noch recht groß: Das Team untersuchte einen Mann, der Frauen Blitzschwangerschaften binnen weniger Stunden aufbürdete, einen anderen, der Katastrophen präzise voraussehen konnte, oder von der Krankheit Bellinische Lymphosemie betroffene Frauen, die mittels hochgradiger Ionenstrahlung geheilt werden sollten. Allerdings verzichtete man in Fringe bis zum Schluss völlig auf die bei Akte X vordergründige UFO-Thematik. Bei alledem gab es bereits Andeutungen einer übergeordneten Handlung: In deren Mittelpunkt stand das »Schema«, wie man das zyklische verstärkte Auftreten grenzwissenschaftlicher Phänomene nannte, sowie die kahlköpfigen, übermenschlich begabten und offensichtlich zeitreisenden »Beobachter«, die bei genauer Betrachtung häufig im Hintergrund der Episoden in Erscheinung traten und deren Absichten erst einmal ebenso unbekannt blieben wie ihre Herkunft. Gegen Ende von Staffel 1 wurden die 191 Andeutungen über den weiteren Verlauf der Serie jedoch konkreter, und diese endete mit einem ausgesprochenen Kanonenschlag: Zum einen fanden die Zuschauer durch die Augen von Olivia heraus, dass diese Dr. Walter Bishop bereits seit ihrer Kindheit kannte. Damals war sie eine Testperson für das von Bishop und Dr. Bell entwickelte Medikament Cortexiphan, das verborgene Kräfte des Menschen wecken sollte. Und der andere Ausblick offenbarte recht deutlich J.J. Abrams Liebe zu Star Trek: In einer Episode der klassischen Originalserie (Mirror, Mirror – Ein Parallel-Universum aus der zweiten Staffel) ging es um ein Spiegel-Universum, das unserer eigenen Welt zwar sehr ähnlich ist, dessen Entwicklung jedoch eher negativ verlief, was sich auf die Parallel-Persönlichkeiten der Hauptcharaktere auswirkte. Diese Idee wurde bei Star Trek bekanntermaßen in mehreren Episoden der Nachfolgeserien Deep Space Nine, Enterprise und in jüngster Zeit auch Discovery nochmals aufgegriffen – und von den Machern der Serie Fringe ebenso. Dr. Walter Bishop, so erfuhren wir in der letzten Folge von Staffel 1, hatte einst besagtes Spiegeluniversum entdeckt und einen Zugang dorthin geschaffen, um seinen todkranken kleinen Sohn Peter dadurch zu retten. Allerdings hatten sich die Dinge vollkommen anders entwickelt als von Walter geplant. Das Spiegeluniversum Entsprechend drehte sich die Handlung der zweiten Staffel der Serie, in den USA ab Herbst 2009 und hierzulande ab Frühjahr 2010, in erster Linie um besagtes Spiegeluniversum. Zunächst erhielt der Zuschauer diverse Einblicke in diese andere Welt, wo die Luftschiff-Technologie verfeinert worden war und verschiedene historische

192 Ereignisse entweder gar nicht oder in stark abweichender Form stattgefunden hatten. Der trottelig-liebenswerte Dr. Bishop unserer Seite des Spiegels war dort der machtgierige Verteidigungsminister, der von den Serienhelden von dieser Seite den Namen »Walternate« (in der deutschen Fassung »Walternativ«) erhielt. Statt des FBI gab es im Spiegeluniversum die schlagkräftige Fringe-Division, bestehend aus einer deutlich tougheren Version von Olivia Dunham unter dem Kommando eines noch strengeren Agent Broyles. Zu ihrem Team gehörten Agent Lincoln Leigh sowie Charlie Francis, der in »unserer« Realität im Verlauf der ersten Staffel ums Leben gekommen war. Nur eine Entsprechung von Peter Bishop gab es nicht, was im Lauf der zweiten Staffel aufgeklärt wurde und aus Spoiler-Gründen an dieser Stelle nicht weiter behandelt werden soll. Ferner ging es um die Auswirkungen, die Dr. Bishops Cortexiphan-Experimente an Kindern hatten und die das bis dahin gute Verhältnis zwischen Olivia und Bishop spalteten. Neben der an Star Trek angelehnten Hauptthematik gab es auch reichlich Referenzen an den Urban-Fantasy-Klassiker Wintermärchen (A Winter’s Tale) des Autors Mark Helprin, der Anfang der 80er-Jahre erstmals erschien und 2014 mit unter anderem Colin Farrell und Jennifer Connelly verfilmt worden war. Obwohl es auch in Staffel 2 Episoden mit der althergebrachten Monster-der-Woche-Thematik gab, etwa über einen unterirdisch lebenden Wurm-Mutanten oder einen Erreger, der Infizierte zu Staub verfallen lässt, eignete sie sich definitiv nicht mehr für Gelegenheitszuschauer. Am Ende von Staffel 2 erhielt Leonard Nimoy als Dr. Bell nach vorherigen Kurzauftritten auch eine wichtige Rolle in den Geschehnissen.

193 Wie nicht anders zu erwarten, spielten sowohl Staffel 3 ab 2010 beziehungsweise 2011 als auch Staffel 4 2011/2012 sowohl in unserem eigenen als auch im Spiegeluniversum. Dabei vermischten sich die Ereignisse in unserer und der parallelen Welt zunehmend, und mitunter trafen die unterschiedlichen Inkarnationen der Hauptfiguren in mal mehr, mal weniger friedvoll-kooperativer Weise aufeinander und offenbarten dabei mitunter höchst unerwartete Facetten ihrer selbst. Wesentliche Punkte der Handlung waren unter anderem der in künstlichen Bernstein eingeschlossene New Yorker Central Park, in dem ein Tor zwischen den unterschiedlichen Dimensionen geöffnet worden war, eine mächtige Maschine zunächst unbekannter Funktionsweise, die »Walternativ« entwickelte, sowie ein mysteriöses (deutschsprachiges!) Buch mit dem Titel »Die ersten Menschen«, in dem der Verfasser Sam Weiss eine menschliche Hochzivilisation auf der Erde vor dem Jura-Zeitalter (… das real vor etwa 145 Millionen Jahren endete …) beschrieb – all das schien mit einer geplanten Veränderung der Zukunft beider Universen zusammenzuhängen. Zudem kehrte als Schmankerl für die Fans auch der ominöse Dr. William Bell noch einmal in die Serienhandlung zurück, allerdings in ganz anderer Weise als zu erwarten. Obwohl die Handlung der Story-Arc alles andere als unkompliziert daherkam, war sie bei entsprechender Aufmerksamkeit des Betrachters keineswegs verwirrend. Bis heute kann dieses Vorgehen nur als Vorbild für so manchen modernen Serienmacher gelten, der im Verlauf übergeordneter Handlungen den Zuschauer allzu oft ziemlich überfordert. Auch die Darsteller der Serie erbrachten zunehmend Spitzenleistungen. Da war es ein ausgesprochener Jammer, dass die Einschaltquoten der

194 Serie sowohl in den USA als auch bei uns bestenfalls ein Mittelmaß erreichten. Genrewechsel Die fünfte und letzte Staffel von Fringe wartete noch einmal mit einem Höhepunkt auf: Wie schon eingangs angedeutet, änderte die Serie ihr Genre. Aus der übersinnlichen Agentenserie wurde eine dystopische Science-Fiction-Serie. Erneut soll auch an dieser Stelle wenig vom Plot verraten werden, um Lesern, die die Serie bisher nicht kennen, ihre Spannung zu erhalten. Nur soviel: Aufgrund von Umständen, die sich am Ende der vierten Staffel entspannen, war es in der fünften Staffel zu genau der Zukunft gekommen, die die Helden verzweifelt hatten verhindern wollen, und spielte nun im Jahr 2036. Die Welt stand unter nunmehr unter der Herrschaft der »Beobachter«, die eine zwar friedliche, dafür aber totalitäre Gesellschaft etabliert hatten. Um diese Zukunft ungeschehen zu machen, müssen Olivia, Peter und Dr. Bishop zunächst ihre Erinnerungen an ihre eigene Welt wiederfinden. Hilfe erhalten sie dabei von einem Mann, der in einer anderen Realität selbst zu den Beobachtern gehörte – Donald alias »September« … Am Ende der fünften und letzten Staffel blieben keine Fragen offen, obwohl man sie aufgrund des nachlassenden Erfolges auf lediglich 13 Episoden verkürzt hatte. Dennoch wirkte die Handlung hier nicht gestaucht oder gehetzt, sondern beendete konsequent die Geschichte, die sich während der vergangenen fünf Jahre kontinuierlich aufgebaut hatte. Zwar wäre eine Fortsetzung der Serie danach theoretisch möglich gewesen, da man sich einige dramaturgische Hintertürchen offengelassen hatte, doch 195 kam es dazu leider nicht. J.J. Abrams, Alex Kurtzman, Roberto Orci und alle anderen der Serienverantwortlichen widmeten sich fortan Star Trek, Star Wars und anderen Projekten aller Art. Was übrig blieb, war ein in sich abgeschlossener Meilenstein fantastischer TV-Unterhaltung, der nicht nur durch seine spannende und bestens durchdachte Gesamthandlung punktete, sondern auch durch ebenso realitätsnahe wie liebenswerte Charaktere, die man nach der letzten Folge schmerzlich vermisste. Die Serie ist mittlerweile neben gelegentlichen Wiederholungen im Free-TV auch auf DVD und BluRay für das Heimkino erhältlich und kann etwa bei Amazon Prime kostenpflichtig »ge-bingewatched« werden. Freunden gut gemachter Mystery-Unterhaltung mit einem ordentlichen Sci-Fi-Anteil, wie es sie in dieser Kombination nicht allzu oft gibt, sei Fringe – Grenzfälle des FBI jedenfalls wärmstens empfohlen.

Perlentaucher: von Thorsten Walch

Horror hat sich in den letzten Jahren zu einem ausgesprochenen Mode-Genre im fantastischen (Streaming-) Fernsehen gewandelt: Nachdem The Walking Dead seit 2010 die Zombies salonfähig machte und endzeitliche Geschichten mit ihnen gar mit psychologischem Anspruch versah, hob American Horror Story ein Jahr später 196 den bis dahin oft als »simpel gestrickt und brutal« verschrienen Bereich auf eine weitere Stufe. Hier zeigte man, dass Horror nicht nur allein aus magenfeindlichem Splatter bestehen muss, sondern durchaus auch mit gekonnter Darstellung und reichlich Atmosphäre zu glänzen versteht. Es folgte eine Vielzahl neuer Horrorserien sowohl im linearen als auch Streaming-Fernsehen, die je nachdem mal mehr, mal weniger erfolgreich zu sehen sind. Zu den ausgesprochenen Anfängen des modernen Horror-TVs gehört jedoch eine Serie, die in der heutigen Zeit fast vergessen ist und ihre größte Geltung unter den (im wahrsten Sinne des Wortes) eingefleischten Fans des Genres genießt: Die Rede ist von Masters Of Horror, die zwischen 2005 und 2007 die Zuschauer des US-Senders Showtime 26 Folgen lang in einer Art unterhielt, die bis dahin bestenfalls in Filmen ohne Jugendfreigabe geboten worden war. Hierzulande schaffte es Masters Of Horror zumindest hauptsächlich aus diesem Grund nicht ins Fernsehen und wurde stattdessen zunächst auf DVD und einige Zeit später beim Streaming-Anbieter Maxdome veröffentlicht. Dennoch gilt die Serie als ein moderner Klassiker des Fernseh-Horrors und ist dem Autor einen »Perlentaucher« wert. Absolut kein Schlafwandler Der amerikanische Drehbuchautor, Filmproduzent und -regisseur Mick Garris (Jahrgang 1951) schaffte es niemals, die Erfolgsleiter so hoch wie etwa Steven Spielberg hinaufzuklettern. Allerdings konnte Mick Garris besagtem Starproduzenten Mitte der 80er-Jahre das Drehbuch für die Episode Der Hellseher in dessen Anthologienserie Unglaubliche Geschichten verkaufen, das mit dem 197 damaligen Tanz-Star Gregory Hines adaptiert wurde. Prompt erhielt das Drehbuch 1986 den renommierten Edgar Allan Poe Award. Vermutlich deshalb beauftragte Spielberg Mick Garris mit dem Drehbuch für den von ihm produzierten Fantasy-Film Das Wunder in der 8. Straße, der 1987 herauskam. Garris wurde anschließend leidlich Genre-bekannt, so schrieb er die Drehbücher für Filme wie Die Fliege 2 (1989) oder Hocus Pocus (1993), und als Regisseur inszenierte er Critters 2: Sie kehren zurück (1988) oder die TV-Produktion Psycho IV (1990), in der Horror-Ikone Anthony Perkins in einem seiner letzten Filmauftritte nochmals als Norman Bates zu sehen war. Einigermaßen bekannt wurde Garris jedoch erst 1992 durch den bizarren Film Stephen Kings Schlafwandler, für den der berühmteste Horrorautor der Gegenwart höchstpersönlich das Drehbuch schrieb, basierend auf einem unveröffentlichten Roman. Der ebenso brutale wie skurrile Streifen mit Alice Krige (die Borg-Queen aus Star Trek: Der erste Kontakt [1996]) in der weiblichen Hauptrolle wurde nach seiner Videoveröffentlichung 1993 in Deutschland auf den Index jugendgefährdender Medien gesetzt, was dem an und für sich eher durchschnittlichen Film große Popularität unter Horror-Fans bescherte. Erst 2018 hob man die Indizierung des Films auf. Als Regisseur drehte Mick Garris danach hauptsächlich weitere Stephen-King-Verfilmungen vorwiegend fürs Fernsehen, darunter die TV-Mehrteiler The Stand: Das letzte Gefecht (1994) und The Shining (1997), zuletzt Bag Of Bones (2011) mit Ex-007 Pierce Brosnan in der Hauptrolle. In den frühen 2000er-Jahren war Mick Garris allerdings auf eine neue Idee gekommen. Meister des Horrors

198 Eine Weile hatte es in der Fantastik-Szene den Anschein, als sterbe das Horror-Genre gefühlte drei Male pro Jahr. »Der Horror ist tot, es lebe der Horror!« war insbesondere nach der Jahrtausendwende immer wieder einmal zu hören. Die besagte Idee von Mick Garris mochte vage von der erfolgreichen Serie Tales From The Crypt: Geschichten aus der Gruft inspiriert worden sein, die von 1989 bi 1996 in 93 Folgen sieben Staffeln lang zu sehen war. Hierfür hatten erfolgreiche Hollywood-Regisseure wie Robert Zemeckis (Zurück in die Zukunft), Richard Donner (Lethal Weapon) oder Russell Mulcahy (Highlander) mitunter äußerst blutige Horrorgeschichten mit hohem Sex-Faktor inszeniert, in denen ansonsten aus dem Kino bekannte Stars wie Tom Hanks und Whoopi Goldberg oder auch Rockstar Meat Loaf die Hauptrollen spielten. Da die Serie auf dem Pay-TV-Sender HBO gezeigt wurde, unterlag sie nicht den Beschränkungen der amerikanischen Fernsehpolitik. Allerdings präsentierten sich die meisten Tales From The Crypt eher augenzwinkernd und nicht allzu ernst gemeint. Garris‘ eigene Serienidee sollte sich davon unterscheiden: Er wollte bekannte Regisseure des Horror-Genres für seine Reihe gewinnen, die »Meister des Horrors« (was schließlich bekanntermaßen auch der Serientitel wurde), und in Sachen Gore-Faktor sollte seine eigene Serie alles bisher Dagewesene übertreffen. Interessenten fand Garris schließlich in Tom Rowe und Lisa Richardson vom US-Sender Showtime, der bereits seit 1976 besteht und damit zu den ältesten Kabelfernsehsendern Amerikas gehört. Es gelang Garris, große Namen für seine Serie an Land zu ziehen (was vielleicht damit zusammenhing, dass der Horror gerade wieder einmal gestorben war, wie anfangs angedeutet, wer weiß …?): Don Coscarelli (bekannt durch seine Filmreihe Das

199 Böse), Stuart Gordon (Re-Animator), Tobe Hooper (The Texas Chainsaw Massacre), John Carpenter (The Fog: Nebel des Grauens) oder Dario Argento (Phenomena) klangen wie ein »Who Is Who« des unheimlichen Genres. Sie alle erhielten den Auftrag, je einstündige Episoden der neuen Serie zu inszenieren und sich in Sachen Gore, Splatter und auch Sex nicht lumpen zu lassen, da auch für Showtime als Kabelfernsehsender keine dementsprechenden Beschränkungen galten. Angesichts der Genre-Regiegrößen wollte man sich in Sachen Schauspieler jedoch größtenteils auf mehr oder weniger bekannte TV-Gesichter beschränken. Heftige Geschichten Bereits in der ersten, am 28. Oktober 2005 kurz vor Halloween auf Showtime gesendeten Episode ging es zur Sache: Incident On And Off A Mountain Road (auch für die spätere deutsche Veröffentlichung auf DVD beließ man die Originaltitel der Episoden) erzählte von einer jungen Frau, die vor ihrem von Survivaltraining besessenen Prepper-Ehemann in eine entlegene Gegend flüchtet und hier in die Hände eines deformierten Serienmörders fällt. Dieser jedoch hat die Rechnung ohne die zwangsweise erlangten Fertigkeiten seines Opfers gemacht. In einer kleinen Rolle wirkte Angus Scrimm mit, den Fans aus Coscarellis Das Böse kannten. Summa summarum war die Folge eine Art Gedankenspiel à la »Was wäre, wenn Jason Vorhees einmal an das falsche Opfer gerät?« Für Folge 2, H.P. Lovecraft’s Dreams In The Witch , adaptierte Stuart Gorden erneut eine Geschichte des klassischen Horrorautors, in der ein junger Student sich einer mörderischen Hexe und ihres Dieners, einer Ratte mit einem menschlichen Gesicht, erwehren muss. Trotz einiger

200 Brutalität war die Folge eher bizarr statt wirklich gruselig. Dance Of The Dead von Tobe Hooper hingegen war eine splatterige Endzeitgeschichte basierend auf einer Vorlage von Richard Matheson (I Am Legend) und präsentierte in einer kleinen Nebenrolle »Freddy Krueger« Robert Englund. Ein wahres Horror-Meisterwerk hingegen war die Folge Jenifer des für seine künstlerischen italienischen Giallo-Filme bekannten Dario Argento: Eine im Gesicht schrecklich entstellte junge Frau wird von einem Polizisten vor versuchtem Mord gerettet und erweist sich als wahrhaft männerfressende Sirene. In seiner eigenen Inszenierung Chocolate erzählt Garris von einem auf Diät befindlichen jungen Mann, der empathisch den Geschmack der von anderen gegessenen Schokolade wahrnehmen kann. Joe Dantes Homecoming zeigte eine völlig andere Spielart der Zombie-Thematik, während John Landis' sarkastische Deer Woman mehr oder minder das Tierhorror-Subgenre auf die Schippe nahm. von John Carpenter hingegen, wo man Norman Reedus (Daryl aus The Walking Dead) in einer seiner ersten Rollen sehen konnte (sein Gegenspieler war der Deutsche Udo Kier), war so etwas wie eine Alternativ-Version seines Films Die Mächte des Wahnsinns (1994). Fair-Haired Child über eine von einem seltsamen Paar entführte jugendliche Außenseiterin ließ die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit offen, während Sick Girl erneut eher eine Horrorkomödie war: Die eine Hälfte eines weiblichen Paares ist eine besessene Insektologin und hält ein monströses Krabbelviech in der gemeinsamen Wohnung versteckt. Larry Cohens Pick Me Up hingegen zeigte, wie die Begegnung zweier Serienkiller verlaufen kann. Haeckel’s Tale wiederum basierte auf einer Kurzgeschichte von Clive Barker (Hellraiser) und erzählte 201 eine düstere Zombie-Geschichte im späten 19. Jahrhundert. In der gleichen Zeit ist auch Imprint des japanischen Regisseurs Takashi Miike (Battle Royal) angesiedelt, die 13. und letzte Folge der ersten Staffel von Masters Of Horror: Hier versucht ein amerikanischer Journalist, eine junge Frau in Japan aus den Klauen eines mörderischen Sektenkultes zu befreien. Bis auf wenige Ausnahmen war jede einzelne Folge deutlich härter und brutaler als gar mancher Kino- oder auch Heimkinofilm mit FSK-18-Freigabe. Für die (Splatter-) Trickeffekte der ersten Staffel war übrigens Gregory »Greg« Nicotero verantwortlich, der an einer Vielzahl von Filmen aus den unterschiedlichsten Genres (Predator, James Bond 007: Casino Royale, Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels) in dieser Funktion mitgearbeitet hat. Seit 2010 versieht er die Serie The Walking Dead mit Effekten und Masken und fungiert auch als Regisseur und ausführender Produzent. Doch zurück zu Masters Of Horror: Trotz des Splatter-Faktors bemühte man sich jedoch ebenso um Spannung, Atmosphäre und vor allem natürlich Grusel, was wie bereits erwähnt in Staffel 1 insbesondere Giallo-Meister Argento gelungen war. Obwohl der ganz große Super-Erfolg späterer Genre-Serien ausblieb, waren die Quoten von Masters Of Horror doch hoch genug, dass es für eine zweite Staffel ausreichte. Runde zwei Staffel 2 startete fast auf den Tag genau ein Jahr nach der ersten am 27. Oktober 2006 auf Showtime USA. Ein Teil der Horror-Regiegrößen, die bereits Folgen der ersten Staffel inszeniert hatten, steuerte hierfür eine zweite bei. Den Anfang machte Tobe Hooper mit The Damned Thing: Texas 202 Horror basierend auf einer Geschichte des klassischen Gruselautors Ambrose Bierce, in dem ein texanischer Kleinstadtsheriff erneut mit einem namenlosen Schrecken aus seiner Kindheit konfrontiert wird. In Family Psycho von Regisseur John Landis hingegen muss ein frischvermähltes Paar erkennen, dass der vermeintlich freundliche Nachbar ihrer neuen Wohnung ein psychopathischer Serienkiller ist. The V-Word, inszeniert von , erzählt von zwei halbwüchsigen Jungen, die auf der Suche nach Unterhaltung in ein vermeintlich verlassenes Leichenschauhaus einbrechen. hingegen war von Brad Anderson inszeniert worden, der 2004 Regie beim Psychothriller Der Maschinist mit Christian Bale (Batman Begins) geführt hatte. In seiner Masters-Of-Horror-Episode blieb er seinem Stil treu: Ein Qualitätskontrolleur entwickelt nach dem Tod seines Sohnes ein Supergehör und wird fortan von vielerlei verborgenen Geräuschen gequält. Pro-Life wiederum stammte von Horror-Ikone John Carpenter und variierte Roman Polanskis Klassiker Rosemaries Baby: Eine junge Frau wird durch die Vergewaltigung durch einen Dämon schwanger und will abtreiben. Ihr bigotter Vater und ihre Brüder wollen dies jedoch um jeden Preis verhindern. Pelts stammte von Dario Argento, konnte seiner Staffel-1-Folge Jenifer jedoch nicht im Entferntesten das Wasser reichen: Ein skrupelloser Pelzhändler (gespielt vom schauspielernden Rockstar Meat Loaf) gerät in Besessenheit von einem Mantel, den er aus den gestohlenen Fellen »magischer« Waschbären genäht hat. The Screwfly Solution, inszeniert von Joe Dante, basierte auf einer Kurzgeschichte der bekannten Science-Fiction-Autorin James Tiptree, Jr. (dieses Pseudonym verwendete die Psychologin Alice Sheldon). Die

203 Hauptrollen spielten Sängerin Kerry Norton und Altstar Elliott Gould (Unternehmen Capricorn): Eine unerklärliche Häufung brutaler Sexualverbrechen auf der ganzen Welt erweist sich als Folge eines Ausbruchs tödlicher Viren, der im Zusammenhang mit einer südamerikanischen Insektenart zu stehen scheint. Valerie On The Stairs hatte erneut Showrunner Mick Garris inszeniert. Ein desillusionierter junger Schriftsteller wird in seiner neuen Mietwohnung mit seinen überaus bizarren Nachbarn konfrontiert (unter anderem Christopher Lloyd, bekannt aus Zurück in die Zukunft) und macht die Bekanntschaft einer rätselhaften jungen Frau. Right To Die von Rob Schmidt (unter anderem der Regisseur des Slasher-Films Wrong Turn) erzählte die Geschichte eines Ehepaars, das einen schweren Autounfall überlebt: Während der Mann nahezu unverletzt davonkommt, ist seine Frau bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Als ihr Überleben als Pflegefall in Aussicht gestellt wird und ihr Ehemann in einen Gewissenskonflikt gerät, geschieht Furchtbares. We All Scream For Ice Cream wurde von Regisseur Tom Holland (Psycho II) inszeniert: In der splatterigen Geschichte geht es um einen mörderischen als Clown verkleideten Eisverkäufer, der seine kindlichen Opfer auch als Erwachsene noch immer jagt; zumindest leise Ähnlichkeiten mit Stephen Kings ES inbegriffen. The Black Cat basiert (allerdings vage) auf der berühmten Schauergeschichte von Edgar Allan Poe, der in der Episode unter der Regie von Stuart Gordon von Jeffrey Combs (Star Trek: Deep Space Nine und Enterprise) dargestellt und von der titelgebenden schwarzen Katze bedroht wird. des ungarisch-stämmigen Regisseurs Peter Medak (Das Grauen, Species II) basierend auf der Kurzgeschichte von Bentley

204 Little spielte mit der äußerst provokanten Idee, George Washington sei in Wahrheit ein perverser Kindermörder gewesen. Den Abschluss der zweiten Staffel von Masters Of Horror schließlich bildete des japanischen Regisseurs Norio Tsuruta (Ring Zero). Ein in Japan lebender Amerikaner wird durch schicksalhafte Ereignisse eingeholt, die mit dem Tod seines jüngeren Bruders durch Ertrinken in dessen Kindheit zu tun zu haben scheinen. Das Ende Schon während der Ausstrahlung von Staffel 2 stand fest, dass es keine weiteren Folgen mehr geben würde. Zwar brachte Masters Of Horror alles in allem ordentliche Quoten, doch auch mitunter ziemlichen Ärger aufgrund ihrer (für damalige Zeiten) heftigen Brutalität ein: Die Episode Imprint von Takashi Miike etwa wurde nicht ausgestrahlt und erst im Nachhinein auf DVD veröffentlicht, da man sie nach Ansicht der Showtime-Verantwortlichen aufgrund ihres »drastischen und verstörenden Inhalts« nicht senden konnte; in der Tat ist diese Folge bis heute auch für abgebrühte Zuschauer schwer verdaulich. Ansonsten verlor Staffel 2 gegenüber Staffel 1 kaum an Qualität. Showrunner Mick Garris wechselte nach dem Ende von Staffel 2 zum Sender NBC, wo er ab 2008 die Nachfolgeserie Fear Itself: Bis aufs Blut produzierte. Das Konzept war de facto das Gleiche wie für Masters Of Horror, und die Regisseure John Landis, Stuart Gordon, Brad Anderson und Rob Schmidt inszenierten jeweils eine der insgesamt 13 Episoden. Zwar war auch Fear Itself zweifellos harter Stoff, doch unterlag NBC sehr viel strengeren Reglements als Showtime, was etwa Nacktheit in den Folgen betraf. Nach nur einer Staffel, bestehend aus erneut 13 Folgen, kam das Aus für Fear Itself:

205 Die Quoten waren ungenügend, und die Serie wurde beendet. Obwohl ihr Splatter-Faktor nicht ganz so groß ist wie der von Masters Of Horror, schaffte auch sie es nicht ins deutsche Fernsehen und wurde stattdessen hierzulande auf DVD veröffentlicht. Ein moderner Horror-Klassiker Man muss schon ein Freund des Horrors der härteren Gangart sein, wenn man sich die Masters Of Horror zu Gemüte führen will – da beißt die sprichwörtliche Maus keinen Faden ab. Vermutlich aus diesem Grund war die Erstveröffentlichung der Serie auf DVD hierzulande auch sehr stark gekürzt, was ihr unter den Genre-Fans wenig freundliche Kritiken einbrachte. Seit 2018 sind jedoch vom Label Splendid Film GmbH teilweise minimal gekürzte Versionen der insgesamt 26 Episoden von Masters Of Horror in einer ihrer Zeit entsprechenden, summa summarum recht ordentlichen Bild- und Tonqualität auf insgesamt 8 BluRay-Discs erhältlich: einzeln sowie in zwei Staffel- und einer Gesamtbox jeweils je nach Episode mit FSK: 16 oder FSK: 18-Freigabe. Trotz besagter kleiner Kürzungen meint der Verfasser: Das, was man zu sehen bekommt, reicht nach wie vor vollkommen auch für hartgesottene Fans aus.

Perlentaucher: Earth 2 – Die Ausnahmeserie aus den 1990ern von Peter R. Krüger

206 Steven Spielbergs Firma Amblin Entertainment hat 1994 im Auftrag von Universal Television eine Science-Fiction-Serie geliefert, die in ihrer Art und Weise nicht nur anders war, sondern ihrer Zeit auch weit voraus.

Zwar liegt der Erscheinungstermin dieser DVD-Box bei Pandastorm Pictures auch schon wieder fast 10 Jahre zurück, doch diese Serie ist es wert, über 25 Jahre nach ihrer Erstausstrahlung erneut auf sie aufmerksam zu machen.

Im Jahre 2184 ist es kaum noch möglich, auf der Erde zu leben, weshalb sich die Menschen auf nahen Raumstationen drängen und dort ihr Dasein fristen. Die Kinder leiden am sogenannten Syndrom, einer Krankheit, die aufgrund des Mangels einer natürlichen Umgebung ausgelöst wird und den Kindern eine Lebenserwartung von etwa 8 Jahren lässt. Grund genug für die Mutter des Jungen Ulysses, Devon Adair, eine Reise über 22 Jahre im Kälteschlaf zu planen, um 250 Familien, rund 1.000 Personen, darunter ein Großteil von Kindern mit eben jenem Syndrom, zu einem lebensfähigen Planeten zu bringen. Der Planet heißt G 889 – genannt Earth 2.

207 Die Regierung scheint mitzuspielen, doch nur einen Tag vor dem Start wird eine vorbereitete Nachricht entdeckt, in der die Rede davon ist, dass das Kolonistenschiff einem tragischen Unfall zum Opfer gefallen ist und niemand überlebte. Kurzerhand entschließt sich Adair dazu, sofort zu starten, auch ohne offizielle Genehmigung. 22 Jahre später erreichen sie G 889, doch das Vorhutschiff muss eine Bruchlandung hinnehmen. Auf G889 – Earth 2 – gelandet, müssen die 17 Menschen versuchen, ihre Vorräte einzusammeln und den eigentlichen Landepunkt des Kolonistenschiffs erreichen – New Pacifica. Doch G 889 beherbergt so einige Überraschungen. Fremde Wesen, übernatürliche Ereignisse, Intrigen und Menschen, die dort lange vor den Kolonisten abgesetzt wurden.

208 Earth 2 weiß mit einigen Klischees zu brechen und den Zuschauer zu überraschen. Dabei wird hier eine eher westernartige Stimmung heraufbeschworen, weil sich der Treck innerhalb der 22 Folgen auf sein gesetztes Ziel – New Pacifica – zubewegt, wie man es aus alten Western kennt. Nur sind hier keine Indianer und Desperados unterwegs, die im Revolverduell erschossen werden. Hier gilt es, eine ganz neue Welt zu erkunden, die der unseren sehr ähnlich und doch ganz anders ist. Die Kreaturen sind so dargestellt, dass man schnell ein ganz bestimmtes Bild von ihnen hat, das jedoch in den meisten Fällen nicht zutrifft. Die größte Stärke liegt aber darin, dass die Menschen lernen müssen, als Gruppe zu agieren und dass ihnen eine starke Frau vorsteht, die meist kluge, manchmal auch emotionale Entscheidungen trifft, die dafür sorgen, dass die Schwierigkeiten in der Regel mit Verstand gelöst werden. Nicht umsonst heißt es zum Schluss der Serie, dass »sich zu verteidigen« nicht gleichzustellen ist mit »sich den Weg freischießen«.

209 Die Serie war mit diesem Konzept ihrer Zeit weit voraus. Weder war das Publikum an starke Frauen in Führungsrollen gewöhnt (Star Trek: Voyager setzte erst 1995 eine Frau auf den Stuhl des Captains – nicht ohne Murren in der Fangemeinde), noch an Science-Fiction-Western ohne regelmäßiges Totschießen. In der Folge sank der Marktanteil der Serie bei NBC von 21 % auf niedrige 9 %, was Earth 2 nach nur einer Staffel den Todesstoß versetzte. Das allerdings nicht gleich. Sowohl NBC als auch Universal wollten der Serie noch eine Chance geben, und so wurde der Produzent ausgewechselt. Der neue Mann sollte das

210 Konzept überarbeiten. Was dabei herauskam, überzeugte die Studios aber nicht. Neue Hauptrollen, ein starker männlicher Anführer, übermenschliche Kräfte und ganz andere Spezies auf dem Planeten als die bisherigen. Nachdem NBC daraufhin die ganze Serie eingestampft hatte, zeigte zwar UPN vorübergehend Interesse. Als sie jedoch das neue Konzept sahen, brachen sie die Verhandlungen ab, und Earth 2 blieb bei nur einer einzigen Staffel.

Die Serie lässt aufgrund der ausbleibenden Fortsetzung einige Fragen offen, doch kann man das Ende durchaus akzeptieren. Inhaltlich werden dem Zuschauer hier 22 gute Episoden einer nicht alltäglichen Science-Fiction-Serie geliefert. Bild und Ton sind in guter DVD-Qualität, wobei das Bild an wenigen Stellen leider etwas grobkörnig ist. Das tut dem Gesamteindruck aber keinen wirklichen Abbruch.

Fazit Damals seiner Zeit voraus, ist Earth 2 heute eine Science-Fiction-Serie mit angenehmer Erzählstruktur. Spannend und dennoch ruhig erzählt. Die Synchronisation ist passend, und die DVD Box kommt in einem wertigen Schuber daher. Empfehlenswert für Science-Fiction-Fans, die auch mal etwas anderes als Raumschlachten sehen möchten.

211 DOOM Annihilation von Peter R. Krüger

Dieser Film ist gruselig. Wirklich richtig gruselig … schlecht! Kurzum: Lassen Sie bloß die Finger davon, Sie können Ihre Lebenszeit besser nutzen. Möchten Sie aber noch wissen, warum von diesem Werk abgeraten wird, dann versuche ich an dieser Stelle, wenigstens einigermaßen objektiv zu bleiben.

212 Es ist stark zu vermuten, dass die Universal Studios sich von diesem Titel einiges erhofft haben. Und wenn man ehrlich ist, war der DOOM-Film mit Dwayne Johnson und Karl Urban zwar keine Horror-Offenbarung, aber doch zumindest unterhaltsam. Besonders die Egoshooter-Szene, die als Hommage an den als Vorlage genutzten Spieleklassiker DOOM erinnert, hat einen ganz besonderen Charme.

Leider geht es aber hier um DOOM Annihilation, und man könnte unken, dass hiermit die Filme zur Spielserie zu Grabe getragen, also ausgelöscht wurden.

213 Annihilation, Baby!

Erstaunlicherweise sind es nicht die Schauspieler, die hier besonders negativ auffallen, sondern das Ganze drumherum. Gummimasken, Plastikwaffen, billige CGI-Tricks, gähnend langweilige, weil absolut vorhersehbare Story, und selbst der Splatterfaktor lockt niemanden hinterm Ofen vor, weil man sowas anderswo einfach viel besser, viel schockierender, viel intensiver präsentiert bekommt. Dabei hätte der Film vielleicht wenigstens einigermaßen gut werden können, zeigte er doch am Anfang noch etwas Potential. Das wurde aber mit dem ersten Gang durchs Höllenportal über Bord geworfen. Dieser Film hat gleich einen ganzen Korb goldener Himbeeren verdient, weil selbst die Mockbuster aus dem Hause Asylum besser sind.

Holen Sie lieber einen alten Horrorklassiker aus ihrem Schrank. Wenn Sie gerne Metal hören, dann empfehle ich definitiv die kanadische Thrash-Metal-Band »Annihilator«. Ähnlicher Name, viel besseres Programm.

Vielleicht spielen Sie auch eine Runde DOOM auf ihrem PC oder der Konsole zu den Klängen dieser Metal-Band. Passt alles gut zusammen und kann eine Menge Spaß machen. Egal, was auch immer Sie mit Ihrer Zeit anfangen, ersparen Sie sich diese 93 Minuten Lebenszeit, die Ihnen niemand je wieder zurückgeben wird!

214 Sagen Sie nicht, man hätte Sie nicht gewarnt.

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217 Phantastisches Spielen

Special: Spiel doch einfach mit dir selbst! von Peter R. Krüger

Nein, dieser Artikel wird kein Leitfaden dafür werden, um seinen eigenen Körper zu erkunden. Dafür ist das Corona Magazin nicht die richtige Lektüre. Dennoch kann man sich – gerade in Zeiten der Kontaktbeschränkungen aufgrund der Viruspandemie – die Zeit mit Brettspielen hervorragend auch im sogenannten Solomodus vertreiben.

Langeweile war vorgestern

Manch einer kennt das noch. Aus Mangel an Mitspielern zieht man sein aktuelles Lieblingsspiel aus dem Schrank und tut so, als würde man gegen jemand anderen spielen. Das geht bei Mensch, ärgere dich nicht genauso wie bei Monopoly, Spiel des Wissens, Trivial Pursuit und und und … Für eine gepflegte Runde Schach wurde sogar der Schachcomputer erfunden, der einen Gegner aufgrund einprogrammierter Algorithmen simuliert. Angehende Schachweltmeister vertreiben sich durchaus gerne die Zeit mit ihren stummen Computergegnern. Aber wenn wir ehrlich sind, waren diese Runden alleine nicht die Erfüllung. Man konnte sich zwar darüber freuen, 218 dass man sich selbst ausgetrickst hatte oder eben nicht wirklich verloren hat, weil man ja auch den Sieger des Spiels selbst gespielt hat, aber im Endeffekt kamen solche Runden nie wirklich über das Niveau von Übungsspielen hinaus.

Wenn Sie jetzt glauben, dass es im Bereich des phantastischen Spiels nicht einfach sein wird, ein Spiel zu finden, das einem alleine viel Spaß bereiten kann, dann sind Sie auf dem Holzweg.

Kooperation war gestern

Bereits die guten alten Vertreter des Kooperationsspiels konnte man hervorragend auch alleine spielen. Man nahm sich einfach noch eine Figur mehr und legte los. Das Spiel spielte ohnehin gegen die Spieler. Da konnte man also gut und gerne auch mal alle Mitspieler allein vertreten und simultan handeln. Ein guter Kandidat dafür ist das altehrwürdige »Der Herr der Ringe«-Brettspiel von Rainer Knizia aus dem Jahre 2000.

219 In Kooperationsspielen mussten sich die Spieler aufeinander verlassen können und ein gemeinsames Ziel verfolgen. Hier konnte man sich also nicht einmal selbst beschummeln, weil man eben nicht gegen sich selbst spielte. OK, wer schummeln will, der findet immer einen Weg. Darum geht es aber nicht.

Solospiel ist heute

In der Spielewelt hat sich einiges getan, und die Variante »Solospiel« ist mittlerweile längst nicht mehr so ungewöhnlich, wie es das noch vor einigen Jahren war. Dabei gibt es hier ziemlich ausgetüftelte Mechanismen, die einem das Solospiel nicht nur zu einer spannenden Herausforderung machen können, sondern auch den Reiz erhöhen, ein solches Spiel immer wieder alleine zu spielen, selbst, wenn vielleicht Mitspieler zur Hand wären. 220 Überall ist es zu hören und zu lesen, die Pandemie hat uns alle im Griff. Und begeisterte Brettspieler wissen, dass es schwierig bis unmöglich ist, derzeit mit Freunden am Tisch zu sitzen, um gemeinsam zu spielen. Zu nahe sitzt man, kann den Abstand während des Beugens über das Spielbrett nicht ausreichend einhalten, und mit Masken spielen … bei aller Liebe zum Spiel, das geht bestenfalls beim absoluten Lieblingsspiel bei gut gelüfteten Räumen unter Einhaltung aller Hygienevorschriften.

Doch wie funktioniert das mit dem Solospiel? Gibt es dafür besondere Regeln, oder werden die Punkte anders gezählt? Die wichtigste Frage ist aber:

Macht Solospiel überhaupt Spaß?

Bereits in den vergangenen Ausgaben des Corona Magazines habe ich einige wenige Spiele auf den Solomodus testen dürfen (Fallout/Gaia Project). Zu der Zeit erst noch, als kleine Besonderheit, um sich mit den Regeln vertraut zu machen (Fallout), beim zweiten Spiel dann schon, weil meiner Spielgruppe durch den Virus ein Strich durch die Rechnung gemacht wurde (Gaia Project). Jetzt soll das Thema aber ganz bewusst angegangen und Spiele insbesondere wegen ihres Solomodus auf Herz und Nieren und natürlich auf den Spielspaß hin getestet werden. Dazu wurde einige Spieleverlage kontaktiert, um eine gute Bandbreite an Spielen in diesen Vergleich aufzunehmen, die nicht nur solo spielbar sind, sondern auch noch die

221 Phantastik thematisieren. Hauptaugenmerk liegt hier auf dem Bereich Science Fiction. Es gibt aber auch einen Ausreißer. Folgende Kandidaten treten den gemeinsamen Test an:

- Under Falling Skies (Heidelberger Spieleverlag / kostenloses Spielprequel) - Gaia Project (Feuerland Spiele / Nachtest zum Artikel in CM 06/2020) - Fallout (Asmodee / bereits in CM 12/2019 getestet. Jetzt im Solofokus) - Scythe (Feuerland Spiele / inkl. Erweiterung »Invasion aus der Ferne«) - Terraforming Mars (Schwerkraft Verlag) - Ein Fest für Odin (Feuerland Spiele)

Eines kann hier schon vorweg festgehalten werden. Alle Spiele sind trotz der ähnlichen Voraussetzungen grundverschieden zu spielen und vermitteln jeweils ein ganz unterschiedliches Spielgefühl. Doch der Reihe nach.

Rezension: Under Falling Skies (Heidelberger Spieleverlag)

222 Dieses Spiel macht den Anfang aus einem ganz bestimmten Grund. Der Heidelberger Spieleverlag hat diese Version nämlich als kostenlosen Download bereitgestellt, was es interessierten Spielern ermöglicht, nicht nur dieses Spiel, sondern Solospiele überhaupt ohne nennenswerte Kosten testen zu können. Ein unschlagbarer Vorteil und ein perfekter Einstieg für diesen Artikel. Ein paar Halmafiguren oder andere Marker sollte jeder irgendwie im Hause haben und dazu noch sieben Würfel in drei verschiedenen Farben. Sollte es an den Farben hapern, geht auch alles einfarbig. Man muss sich dann eben nur merken, welcher Würfel und welcher Marker wofür steht.

223 Under Falling Skies erzählt in der Downloadversion die Vorgeschichte zum eigentlichen, gleichnamigen Spiel, das im Herbst 2020 veröffentlich werden soll. Zwei Bögen mit den benötigten Karten muss man sich ausdrucken und bekommt dazu noch eine Spielanleitung von übersichtlichen 6 Seiten Umfang. Das Prinzip ist schnell erklärt. Außerirdische greifen die Erde an, und der Spieler ist nun gefragt, um die Invasion aufzuhalten. Doch mit jeder Aktion, die er macht, riskiert er das schnellere Voranschreiten der Aliens. Sein Weg zum Sieg ist also auch der Weg zur Niederlage. In diesem Spiel werden sieben (selbst ausgedruckte) Karten in Reihe gelegt. Die beiden untersten stellen Räume dar, die

224 man ausgraben muss, um seine Aktionen voranzubringen, während die oberste Karte das Mutterschiff der Aliens darstellt, welches die heimische Stadt angreift. Mit nur drei Zügen pro Runde ist die Spielmechanik sehr übersichtlich, die Spannung aber dennoch hoch, denn es gilt, hier die richtige Strategie herauszufinden, um die Invasion zu stoppen.

Under Falling Skies ist von vornherein als Solospiel ausgelegt, das bedeutet, dass es hier keine Mehrspielervariante gibt. Altgediente Zocker mögen sich hier ein wenig an »Space Invaders« erinnert fühlen und liegen damit nicht ganz falsch. Anders als in dem alten Computerspielklassiker gewinnt man hier aber das Spiel, indem man seine Forschung vorantreibt.

Im Herbst dieses Jahres ist dann die Veröffentlichung des eigentlichen Spiels »Under Falling Skies« geplant, welches mit einem richtigen Kampagnenmodus und einigen anderen Goodies daherkommen soll.

225 Fazit für Under Falling Skies: Wer ein Solospiel probieren möchte, sich aber vor den Kosten eines vollwertigen Spiels scheut, hat hier eine gute Möglichkeit, sich an das Thema heranzutasten. Die kommende Veröffentlichung des vollständigen Spiels verspricht zudem, das Erscheinungsbild der heimisch ausgedruckten und zusammengewürfelten Spielmaterialien professioneller zu ersetzen.

Einschätzung: Ideal für Solospiel-Einsteiger

226 Rezension: Gaia Project (Feuerland Spiele)

Der Test von Gaia Project war gerade erst in der letzten Ausgabe des Corona Magazines, insbesondere auch in der Solovariante. Grundlegendes zum Spiel wurde dort bereits berichtet, also warum taucht das Spiel hier erneut auf?

Einfach deshalb, weil das Spielprinzip auch nach den Testspielen weiter lockte. Andere Völker spielen, andere Gegner ausprobieren. Den Fokus auf verschiedene Entwicklungen legen. Tatsächlich entfaltet Gaia Project sein volles Potential erst nach dem dritten oder sogar vierten Spieldurchlauf, wenn man selbst regelsicher ist, die Mechanik besser versteht und auch die möglichen Optionen des automatischen Gegners einschätzen zu können beginnt. 227 Hat Feuerland Spiele mit wirklich ausreichend Sortiertüten für Ordnung im Karton gesorgt, so lässt sich hier noch mehr ein Sortiereinsatz über Zubehöranbieter empfehlen, um beim Spielaufbau und auch während des Spiels Zeit zu sparen. Das Material ist so schneller zur Hand, die benötigten Kleinteile übersichtlich sortiert.

Fazit für Gaia Project: Dieses Spiel ist ein Schwergewicht unter den Brettspielen, das muss einem klar sein. Doch die Einarbeitungszeit lohnt für alle, die sich gerne mit Planetenbesiedelung, Forschung und Entwicklung in bester Aufbaustrategiemanier beschäftigen. Und je öfter man es spielt, desto mehr Spaß hat man hier.

Einschätzung: Spannend und umfangreich.

Rezension: Fallout (Asmodee)

228 Der zweite Kandidat in der Wiederholung. Getestet in der Ausgabe 12/2019, hier nun erneut auf dem Solo-Prüfstand.

Ganz eindeutig ist die Brettspielvariante genau das Richtige für einsame Helden im Ödland der Postapokalypse. Die Stimmung des PC/Konsolen Vorbilds wird hier eindeutig gut eingefangen, und mit der Möglichkeit, verschiedene Missionen mit verschiedenen Helden zu spielen und dazu noch immer wieder andere Entscheidungen treffen zu können und auch zu müssen, bietet Fallout wirklich Langzeitspaß mit viel Abwechslung.

Fazit für Fallout: Ob als Vaultbewohner, Supermutant, Mitglied der stählernen Bruderschaft oder einer der anderen Charaktere, dieses Spiel verbreitet genau die richtige »Mad

229 Max«-Stimmung. Durch seinen modularen Spielaufbau und die Konsequenzen der eigenen Entscheidungen im Spiel eröffnen sich hier enorm viele Möglichkeiten im Spielaublauf, so dass keine zwei Runden genau gleich ablaufen.

Einschätzung: Sehr flexibel.

Rezension: Scythe (Inkl. Erweiterung »Invasion aus der Ferne« / Feuerland Spiele)

Der erste Neutest eines Vollpreistitels in diesem Artikel. Scythe ist groß, vielfältig und bietet viele Möglichkeiten, sich im imaginären Osteuropa der 1920er Jahre auszutoben. 230 Aber es ist auch erstaunlich einfach, die Regeln zu lernen.

Die Geschichte zum Spiel ist schnell erzählt. Der erste Weltkrieg ist vorbei und Osteuropa geschwächt. Fünf Nationen (plus zwei weitere in der Erweiterung »Invasion aus der Ferne«) versuchen, die Vorherrschaft zu erlangen – und auch die Kontrolle über die »Fabrik« im Herzen des Spielfeldes. Hier werden jedoch keine Truppenverbände aufeinander gehetzt, sondern übergroße Kampfläufer, sogenannte Mechs, ins Feld geführt. Diese haben dann auch, ganz Steampunk-Like, das Aussehen von bewaffneten Riesentraktoren, Spinnenmaschinen oder großen Feldarbeitern. Aber obwohl es sich zunächst nach einem Kampfspiel anhört, sind bewaffnete Konflikte nicht das Hauptaugenmerk in Scythe. Und genau das macht es gleich viel interessanter.

231 Denn das Spiel ist theoretisch sogar ganz ohne einen einzigen Kampf zu gewinnen. Im Mehrspieler-Spiel wird das vermutlich keine echte Option sein, doch im Solospiel ist das tatsächlich möglich. Denn selbst, wenn der sogenannte Automata, also der automatische Gegner, in seinen Zügen auch durchaus mal darauf aus ist, unsere Truppen oder Bauern zu vernichten, ist es möglich, mit gut überlegten Spielzügen dieser Bedrohung aus dem Weg zu gehen und dennoch seine Ziele zu verfolgen. Wer indes aber auf Krawall gebürstet ist, der kann natürlich auch mit seinen Mechs losstürmen und den Gegner vom Brett fegen. Allerdings sind aggressive Strategien kein Garant dafür, das Spiel zu gewinnen. Denn obwohl der Spielablauf leicht verständlich und einfach zu lernen ist, ist das Meistern des Spiels keineswegs so simpel. Zehn verschiedene Erfolge kann man im Spiel zu erreichen versuchen, und wer als erstes sechs Erfolge errungen hat, der beendet die Partie. Danach geht es ans Auszählen, und hier können sich schlechte Entscheidungen doch noch bemerkbar machen. Im Mehrspieler-Spiel wird das sicher eine noch größere Tragweite haben als im Solospiel. Dennoch bietet Scythe hier verschiedene Schwierigkeitsgrade des Automata an und kann es dadurch einem einzelnen Spieler schon recht schwer machen, das Spiel zu gewinnen.

232 Neben der Kampfaktion muss man Bauern erzeugen, diese richtig einsetzen, um Baumaterialien zu erhalten, und auch seine eigene Nation weiterentwickeln. Aber auch Forschung benötigt Materialien, die durch die Bauern erwirtschaftet werden. Die Mechs fallen auch nicht aus den Bäumen, also wird es doch schon recht anspruchsvoll, sich den nächsten und übernächsten Zug zu überlegen. Dadurch, dass man in jedem Zug andere Optionen auswählen muss als im vorherigen, muss man hier tatsächlich etwas vorausschauender agieren. Denn nur mit den richtigen Materialien lassen sich alle Möglichkeiten ausschöpfen. Ressourcen abbauen, Gebiete erobern, Geld erwirtschaften, Macht steigern, Beliebtheit erringen und einen erheblichen Vorteil aus der Fabrik für seine Nation mitnehmen. Die Möglichkeiten sind vielfältig und machen Scythe zu einem

233 spannenden Strategiespiel mit einem gut ausbalancierten Aufbauanteil.

Die Erweiterung »Invasion aus der Ferne« fügt dem Hauptspiel dann noch zwei weitere Nationen hinzu, die ihren Teil vom Kuchen abhaben wollen. Überhaupt hat jede Nation ihre eigenen Stärken, die es gut auszuspielen gilt. Mit einer Spielzeit von 60 bis 90 Minuten ist eine Partie auch relativ überschaubar, und das Spiel lädt durch sein doch recht einfaches Spielprinzip dazu ein, nochmals zu spielen. Abwechslung bringen hier auf jeden Fall die fünf, mit Erweiterung sogar sieben unterschiedlichen Nationen, deren Stärken ganz verschiedene Schwerpunkte haben. Und dadurch, dass zu dem wichtigen Nationstableau auch ein zufällig gezogenes Spielertableau zum Einsatz kommt, liegen

234 auch die Schwerpunkte jeder Nation immer wieder ein klein wenig anders.

Fazit für Scythe: Dieses Spiel macht sehr viel richtig und bringt deshalb auch eine gute Portion Freude an den Spieltisch. Im Mehrspielermodus sicher noch um einiges brisanter, weil sich dann eben mehr Spieler um die Ressourcen und um die Fabrik streiten werden. Im Solomodus aber auf jeden Fall als Perle zu bezeichnen. Auch das Spielmaterial ist sehr liebevoll gestaltet. Karten, Holz- und Kunststofffiguren sowie Marker und Geldstücke bauen an sich schon eine schöne Spielwelt auf. Mit den schnell zu lernenden Regeln, die anfangs komplizierter aussehen, als sie tatsächlich sind, bringt Feuerland mit

235 Scythe ein wirklich schönes Aufbaustrategiespiel auf den Spieltisch.

Einschätzung: Stimmungsvolle Spielwelt

Rezension: Terraforming Mars (Schwerkraft Verlag)

Dieses Spiel hat den deutschen Spielepreis 2017 nicht umsonst gewonnen. Die Thematik klingt schon recht schwerwiegend. Aus dem Mars soll eine blühende Landschaft werden, Sauerstoffgehalt und Temperatur müssen angehoben, Ozeane und Wälder erschaffen werden. Dahinter stecken große Konzerne, die natürlich nicht nur aus reiner Menschenliebe den Mars umformen, sondern 236 damit auch Profite machen wollen. Und diese Konzerne werden von den Spielern, in diesem Test jedoch nur ein Konzern von einem Spieler dargestellt.

Hat man sich in das Regelheft eingelesen, stellt man fest, dass das Spiel alles andere als kompliziert ist. Also, zumindest, was den Spielablauf an und für sich angeht. Eine Runde hat hier nämlich nur vier übersichtliche Phasen, die schnell verstanden und unkompliziert abzuhandeln sind. Doch Moment – unkompliziert sind hier – wie bereits erwähnt – nur die Regeln. Die Entscheidungen, die man treffen muss, um aus dem Mars eine grüne Welt werden zu lassen, können dann doch ganz schön knifflig werden. Man muss Entwicklungen kaufen, um sie einsetzen zu können. Das ist noch nicht so teuer. Der Einsatz der Karten kann

237 dann aber doch schnell ins Geld gehen. Wer sich hier vertut, dem fehlen dann plötzlich wichtige Ressourcen, um den Planeten weiter umwandeln zu können. Läuft die Strategie jedoch gut, kann man sich, insbesondere im Solospiel, darüber ärgern, dass man pro Generation (also pro Zug) nur zwei Aktionen durchführen kann. Der Solomodus wartet in diesem Spiel nicht mit einem automatischen Gegner auf, sondern gibt dem Spieler vor, in wie vielen Generationen (Runden) er es schaffen muss, den Mars zu terraformen. Und die vorgegebenen 14 Runden sind schon eine ziemlich harte Vorgabe für den Anfang. Tipp: In der Lernphase und zum Einstieg sollte man sich erstmal 20 Generationen (Runden) Zeit geben, denn gerade in den ersten Spielen fängt das Spiel gerade an, Spaß zu machen … und dann ist es vorbei.

238 Im Endeffekt versucht man hier jedes Mal, sein Gesamtergebnis innerhalb der 14 (oder eben 20) Runden zu steigern. Der Spaß liegt hier eindeutig darin, einfach zu versuchen, das Beste aus der kurzen Spielzeit herauszuholen. Trotz mehrerer spannender Solorunden ist es mir selbst bislang noch nicht gelungen, den Mars in nur 14 Generationen (Runden) vollständig umzuwandeln. Doch Spaß macht es allemal, und jedes neue Spiel verlockt dazu, seine Strategie anhand des gezogenen Konzerns und der Entwicklungskarten anzupassen und zu überdenken.

Fazit für Terraforming Mars: Abgesehen von »Under Falling Skies«, das aktuell nur in der Vorabversion erhältlich ist, sind die Regeln für »Terraforming Mars« in diesem Spielespecial am einfachsten zu erlernen. Generationsmarker vorziehen, vier Karten ziehen, bis zu vier dieser Karten kaufen, dann zwei Aktionen ausspielen und anschließend Einnahmen einheimsen, um die nächste Runde zu beginnen. Das ist einfach, schnell und dennoch spannend. Mit rund 60 Minuten Spielzeit muss man für eine Solopartie rechnen. Das ist ziemlich schnell und kurzweilig. Und genau deswegen darf man hier gerne seinem Spieltrieb nachgeben und gleich noch eine weitere Partie spielen. Die verschiedenen Stärken der spielbaren Konzerne und die immense Anzahl an Forschungskarten garantieren für Abwechslung und Wiederspielbarkeit ohne Langeweile.

239 Wer keine Aliens jagen, sondern neuen Lebensraum erschaffen will, ist hier hervorragend aufgehoben.

Einschätzung: Leichter als Pfannkuchen essen … und spannender.

Rezension: Ein Fest für Odin (Feuerland Spiele)

Kommen wir zum Abschluss der Testreihe und zum Ausreißer der getesteten Spiele. Warum Ausreißer? Eigentlich nur deshalb, weil »Ein Fest für Odin« keinen

240 Science Fiction-Hintergrund hat, sondern sich eher mit trinkfreudigen Wikingern beschäftigt, die dem Spieler die Haare vom Kopf futtern und die letzten Fässer Met wegtrinken. Klingt lustig? Ist es auch irgendwie. Jedenfalls solange es einem gelingt, die Bande Runde für Runde mit einem Festgelage zu Ehren des Wikingergottes Odin zufriedenzustellen. Dazu muss der Spieler seine Speisekammer gut füllen und die Züge nutzen, um möglichst viele unterschiedliche Lebensmittel parat zu haben, wenn die Wikingerbande das nächste Fest feiern will.

Eine gute Idee ist es, sich möglichst früh damit zu beschäftigen, Schafe und Rinder zu züchten. Die geben

241 einem später enorme Vorteile, brauchen aber jeweils zwei Runden, bevor sie sich vermehrt haben. Bevor man aber für Unmut an seiner Festtafel sorgt, weil es nicht genug Nahrung gibt, kann und sollte man in Boote investieren. Davon gibt es drei verschiedene. Mit am besten sind die, mit denen man eine Horde Wikinger losschicken kann, um sich irgendwo anders anzusiedeln. Auf Nimmerwiedersehen! Und unsere Festtafel ist sogleich etwas kleiner geworden. Am Ende werden Punkte gezählt. Es gibt also in diesem Sinne keinen Sieg, aber man kann sich im Laufe der Spiele steigern und seine Strategie ausbauen.

Fazit für Ein Fest für Odin:

242 Keine Science Fiction und eigentlich auch keine Fantasy. Gehört dieses Spiel überhaupt dazu? Ja, warum denn nicht? Das Szenario, das hierbei bemüht wird, handelt zwar von Wikingern (und in der Erweiterung kommen noch Norweger dazu), aber das Spiel ist derart aufgebaut, dass man genausogut von einer Horde Barbaren oder Thorwaler oder einem beliebigen nordisch anmutenden Fantasyvölkchen sprechen könnte. Letztlich ist das Spiel spaßig und im Kern eine sehr gut durchdachte Wirtschaftssimulation, ohne Bezug zur heutigen Realität. Mit dem Wikingerszenario eröffnet sich hierbei ein Rahmen, der sowohl im Solo- als auch im Gruppenspiel für einigen Spaß sorgt.

Zum Abschluss

Ein Solospiel kann durchaus viel Spaß machen, und alle hier vorgestellten Spiele haben sehr gute Solospielmechanismen. Manche zählen Punkte, andere setzen Ziele, aber allesamt wissen sie auch einzelne Spieler zu unterhalten. An dieser Stelle wäre vielleicht eine Rangliste interessant, aber offen gesagt, man kann hier kein Spiel schlechter bewerten als eines der anderen. Der Clou hierbei ist, dass sich die Spiele nicht wirklich miteinander vergleichen lassen und jedes einem anderen Prinzip folgt. Wer sich also vorstellen kann, auch mal alleine ein Spiel zu spielen, dem können alle Spiele aus diesem Test

243 uneingeschränkt empfohlen werden. Hier sollte der persönliche Geschmack entscheiden. Wer sich jedoch noch nicht an ein Solospiel herangewagt hat oder es sich nicht recht vorstellen kann, hierbei Spaß zu haben, dem sei als günstigste Variante »Under Falling Skies« zum Einstieg ans Herz gelegt. Alle anderen Kandidaten erweitern das Spielerlebnis, kosten aber auch ein wenig was. Dafür erhält man aber wirklich tolle Spiele, die man dann irgendwann auch wieder mit anderen Spielern zusammen erleben kann.

Ordnung in den Boxen

Mehrere Spiele in diesem Test kommen in der Originalversion mit ausreichend Klemmtütchen daher, um das üppige Material sortiert zu halten. Das ist gut.

Wer hierbei aber ein wenig mehr haben möchte, dem sei angeraten, im Spielezubehör nach Ordnungssystemen zu suchen. Hier gibt es verschiedene Anbieter, die entweder Schaumstoffeinsätze, Kunststoffboxen zum Selbstbasteln oder sogar Holzboxen – ebenfalls zum Selbstbasteln – anbieten. Meist sind diese Einsätze so gut gestaltet, dass nicht nur das jeweilige Grundspiel seinen Platz darin findet, sondern auch noch eventuell vorhandene Erweiterungen. Als Beispiel dienen die folgenden beiden Fotos für Terraforming Mars:

244 Und für die Legendary Box des Spiels Scythe:

245 Beide Inlays bieten genug Platz, um das jeweils gesamte Spiel unterzubringen und stets sortiert zu halten. Freilich ist das nicht notwendig, sondern soll nur noch ein kleiner zusätzlicher Tipp sein.

Dem Spielspaß steht mit diesen Brettspielen also nichts mehr im Weg. Vertreiben Sie sich die Zeit mit ein paar guten Spielen. Und wenn man wieder näher zusammenrücken kann, lohnt es sich in jedem Fall, alle hier vorgestellten Spiele gemeinsam mit seinen Freunden zu erleben.

Dem Spielspaß steht mit diesen Brettspielen also nichts mehr im Weg. Vertreiben Sie sich die Zeit mit ein paar guten Spielen. Und wenn man wieder näher zusammenrücken kann, lohnt es sich in jedem Fall, alle hier vorgestellten Spiele gemeinsam mit seinen Freunden zu erleben.

Rezension: Zombicide: Invader – Dark Side von Frank Stein

Durch die Straßen und Einkaufszentren moderner Großstädte sowie die Felder und Hütten einer Fantasy-Welt hat uns die Zombie-Plage schon verfolgt. Nun treten die ersten Infektionen im All auf und verwandeln die eigenbrötlerischen Xenos auf dem Bergbauplaneten PK-L7

246 in eine rasende Brut, die alles Leben – vor allem das der menschlichen Minenarbeiter – auslöschen will. Zum Glück gibt es die harten Jungs und Mädels des Green Squads, die mit ihren – natürlich grünen – Power-Rüstungen und dicken Waffen dem Problem entgegentreten, tief in der Dunkelheit unter der Oberfläche des Planeten.

Zombicide: Invader – Dark Side ist ein Science-Fiction-Ableger der erfolgreichen Brettspielreihe Zombicide, die – entwickelt von Guillotine Games und herausgebracht von CoolMiniOrNot – 2012 während eines Kickstarter-Crowdfundings das Licht der Welt erblickte. Zombicide war so erfolgreich, dass es gleich zwei Nachfolge-Grundspiele Zombicide 2: Toxic Mall und Zombicide 3: Rue Morgue plus einiger Erweiterungen nach

247 sich zog. Als das moderne Setting ausgereizt war, wechselte man 2015 mit Zombicide: Black Plague in eine fiktionale Mittelalterwelt. 2017 gab es auch hierzu einen Nachfolger namens Green Horde, der dem Horror typische Fantasy-Elemente – vor allem Orks – hinzufügte. Ein Jahr später, im April 2018, folgte mit Zombicide: Invader dann der nächste Streich, der Wechsel in ein Setting, das optisch schwer an Warhammer 40.000 erinnert, geht es doch um harte Marines, die sich mit Kettensägenschwertern und fetten Wummen gegen fiese Aliens zur Wehr setzen. Im Rahmen dieses Crowdfundings, das immerhin knapp 18.500 Backer anlocken und gute 3,3 Millionen Dollar einnehmen konnte, wurde auch Dark Side vorgestellt, ein voll kompatibles, aber eigenständig spielbares Erweiterungs-Set, also das, was die Green Horde-Box für Black Plague war. Nun ist das Spiel übersetzt auch hierzulande als Einzelwerk erschienen. Das Spielmaterial Zunächst einmal bemerkt man, dass sich die Optik gewandelt hat. Bislang fiel Zombicide durch seine deutlich übertriebene Comic-Grafik auf, die allem Zombie-Horror ein wenig die Blutrünstigkeit nahm und so für eine Altersempfehlung ab 14 sorgte. Dark Side wird mittlerweile sogar mit dem Label »ab 12« verkauft, was nicht zuletzt daran liegen dürfte, dass der Zombie-Aspekt nur noch ein Feigenblatt ist, der das Alien-Survival-Spiel darunter kaum verbergen kann und will. Ja, die Xenos sind laut Story irgendwie infiziert worden und darum durchgedreht. Visuell bekommt man aber ganz normale und keineswegs untote oder halb verweste Alienmonster geboten. Viecher wie diese kennt man aus jedem Kreaturenbuch eines 248 Science-Fiction-Rollenspiels. Oder aus Spielen wie dem bereits genannten Warhammer 40.000. Oder aus den Alien-Kinofilmen (die allerdings kein 12-Jähriger schauen darf). Also obwohl die Optik dank Künstlern wie Adrian Smith sichtbar realistischer daherkommt, wirkt die Metzelorgie sehr viel »jugendfreier« als die Knochen-und-Eingeweide-Schlachtplatte früherer Zombicide-Inkarnationen. Anspruchsvoll bleibt das kooperative Spielgeschehen trotzdem, sodass die Altersempfehlung schon deshalb sinnvoll ist.

Mit einem Tutorial, das noch einfach ist, geht es los. Beim Unboxing erwarten einen – im durchaus positiven Sinne – keine Überraschungen. Das Spielmaterial wirkt wie immer hochwertig. Praktische Plastiktableaus unterstützen das Charaktermanagement, Ausrüstungskarten mit passend militaristischen Illustrationen werten die Helden auf, und

249 die Spielmarker bestehen aus fester Pappe. Die neun doppelseiten Kartenteile sind diesmal ziemlich düster gehalten, zeigen sie doch unterirdische Abbaustollen und industrielle Fertigunterkünfte mit Metallgitterböden und schummriger Beleuchtung (wie es sich halt für ein Alien-Setting gehört). Das bietet jetzt kein optisches Feuerwerk auf dem Spieltisch, sieht aber sehr atmosphärisch aus. Dazu passen auch die Miniaturen, die das Kernstück des Spiels sind. Sechs Helden in Power-Rüstungen, eine mobile Waffenplattform (Verfechter-Bot) und ein Geschütz auf Dreibein wollen für Ordnung sorgen. Ihnen gegenüber stehen blutrote 64 Xenos, die sich – typisch für Zombicide – in Minen-Arbeiter (= Schlurfer), Minen-Jäger (= Läufer), Minen-Berserker (= Fettbrocken) und ein mächtiges Minen-Monstrum unterteilen. Alle Minis sind schön detailreich und sehen viel besser aus als die Zombies vor Jahren beim ursprünglichen Zombicide. Trotzdem sind die Helden nicht ganz leicht auf dem Spieltisch zu unterscheiden: Es sind halt alles Soldaten in Rüstung mit dicker Knarre. Hier hätte man noch ein wenig an den Posen oder Charakereigenheiten schrauben können. So muss man sich primär auf die Farbringe an der Base verlassen, wenn man wissen will, wer wer ist. Diese Farbringe hätten übrigens etwas knalliger ausfallen können. Gerade blassgrün und grau sowie dunkelviolett und schwarz sind bei etwas schlechterer Beleuchtung nur schwer zu unterscheiden. Das Spiel im Allgemeinen …

250 So ein paar Xenos können Marines doch nicht erschüttern! Am Spielkonzept hat sich auch in dieser neusten Inkarnation von Zombicide nichts geändert. Vor dem Spiel wählt man sich eine Mission (von zehn) aus, die entweder einzeln oder als Kampagne gespielt werden können, wobei die Kampagne ein rein narratives Element ist. Jede Partie fängt trotzdem immer bei Null an. Erfahrung und Ausrüstung können nicht mitgenommen werden. Die Mission bestimmt den Aufbau des Spielfelds und legt die Ziele fest. Gespielt wird stets mit dem ganzen Green Squad, egal ob ein Spieler oder sechs am Tisch sitzen. Die Mühe, verschiedene Spielerzahlen auszugleichen, haben sich die Designer nicht gemacht. Alle Soldaten besitzen leicht unterschiedliche Fähigkeiten, die man sinnvollerweise taktisch nutzt. So kann das einzige nichtmenschliche Mitglied der Truppe besonders gut in den finsteren Stollen sehen, eine Soldatin ist auf das Suchen von Ausrüstung spezialisiert, und eine

251 weitere vermag auch in der eigenen Zone Fernkampfangriffe durchzuführen (normalerweise verboten), ohne dabei ihre Kollegen abzuknallen (sehr praktisch). Jedes Mitglied des Teams erhält noch Pistole und Elektroschlagstock (völlig unpassend »Viehtreiber« genannt), dann kann es losgehen. Gespielt wird – wie seit dem ersten Zombicide – in Runden, die in drei Phasen aufgeteilt sind: eine Spielerphase, eine Xeno-Phase und eine Endphase. In der Spielerphase darf jeder Spieler (im Uhrzeigersinn vom Startspieler ausgehend) all seine Überlebenden (in beliebiger Reihenfolge) drei Aktionen ausführen lassen. Dazu zählen die typischen Dinge, die es in jedem Dungeon-Crawler gibt: Bewegen, Angreifen, Raum durchsuchen, Ausrüstung tauschen usw. Die Angriffswerte werden dabei durch die getragenen Waffen bestimmt. Mit einer vorgegebenen Anzahl Würfel muss man einen festgelegten Zielwert erreichen; jeder Erfolg ist ein Treffer, der (meist) einen Xeno tötet. Also auch wenn im Spielverlauf eine Gegnerwelle über einen hinwegschwappt: Mit Glück und einem gut geölten Schnitter-Schwert kann man bis zu 6 der geifernden Kreaturen mit einer Aktion (!) fällen.

252 Ein Veteran mit 20 Kills. Weitere taktische Elemente sind beispielsweise Türen, die geschlossen werden können und Xenos eine Runde lang aufhalten (während diese das Schott in Metallsplitter zerschreddern). Beliebt sind auch seismische Granaten, die ganze Zonen verheeren, alle Figuren dort töten und die gefürchteten Zugangsschächte der Xenos zum Einsturz bringen. Das macht natürlich einen Heidenlärm, aber auch Lärm ist mitunter ein taktisches Element, etwa um Xenos in eine falsche Richtung zu locken. Gerade wenn so ein schweres Minen-Monstrum (der dickste Brocken des Spiels) durch die Stollen stapft, ist man froh, wenn man mal in der falschen Richtung ein Glöckchen läuten kann (Lärmplättchen haben kleine Glockensymbole). Apropos herumstapfen: In der Xeno-Phase steuert das Spiel die Gegner. Jeder Xeno auf dem Spielplan wird einmal

253 aktiviert und darf entweder angreifen, wenn er sich in einer Zone mit einem Helden befindet, oder er bewegt sich eine Zone auf die nächstbesten Helden zu. Am Anfang sieht das alles noch ganz beherrschbar aus, aber spätestens nach fünf bis sechs Runden wird es dann eng. Denn nach der Aktivierung erfolgt die Brut, das heißt: Auf jedem der drei bis vier auf dem Spielplan verteilten Brutplättchen tauchen Xenos auf – und das meist nicht zu knapp. Was genau erscheint, entscheidet eine gezogene Xeno-Karte und das Level der Helden. Denn diese erhalten Erfahrungspunkte für jeden Abschuss und steigen damit bis zu dreimal auf (von Stufe blau über gelb und orange bis rot). So erhalten die Soldaten zwar neue Fähigkeiten, aber gleichzeitig werden auch die Gegner immer zahlreicher und lästiger. In der Endphase werden alle Lärmplättchen entfernt, und der Startspielermarker wandert einen Spieler nach links. Das wird so lange fortgesetzt, bis entweder die Siegbedingungen für die Mission erfüllt sind – oder diejenigen für eine Niederlage eintreten (meist der Tod der Helden). … und im Speziellen

254 Gruppenbild mit Robo und Kanone. So weit, so allgemein bekannt – zumindest, wenn man bereits andere Zombicide-Spiele gespielt hat. Doch wie jede Inkarnation hat auch Dark Side einige Eigenheiten, die zum Teil schon angedeutet wurden. Zum einen herrscht in allen Stollen auf dem Spielbrett Dunkelheit. In dieser können selbst Soldaten in Power-Rüstungen rein gar nichts sehen (weil die nämlich ihre Helme alle am Gürtel tragen statt auf dem Kopf, die Seppel). Das macht die Durchquerung der Tunnel ziemlich gefährlich, denn Xenos lassen sich erst bekämpfen, wenn sie mit einem in der gleichen Zone stehen. Ein armer Tropf, wer zu diesem Zeitpunkt noch seinen miesen Startkarten-Viehtreiber als einzige Nahkampfwaffe in der Hand hält. Taschenlampen und Prototypen-Waffen sorgen hier für Abhilfe, weil sie die

255 Sichtlinie wieder auf Normalniveau anheben, aber die muss man erst mal finden beziehungsweise einsammeln. Unerfreulich sind auch die Schächte, die das Minen-Monstrum überall gräbt. Daraus können nicht nur weitere Xenos auftauchen – diejenigen, die sich in einer Zone mit einem Schachtausgang befinden, sind obendrein um einen Punkt schwerer zu verletzen. So braucht man plötzlich für einen läppischen Arbeiter eine schwere Waffe, die zwei Schaden anrichtet, und einen Berserker, der plötzlich drei Schadenpunkte aushält, bekommt man nur mit einem gezielten Treffer und etwas Würfelglück in den Griff. An dieser Stelle möchte ich nochmals auf den Wert der seismischen Granate hinweisen. Auf der Habenseite stehen der Verfechter-Bot und das Demolier-Geschütz, deren eigenwillige Namen nichts daran ändern, dass sie höchst effektiv gegen Xenos vorgehen und den Helden durchaus den Hintern retten können. Das Demolier-Geschütz steht zwar unbeweglich auf jedem Spielplan und will daher geschickt genutzt werden, aber der Verfechter-Bot ist eine solide Feuerunterstützung, die auch in der Finsternis der Stollen funktioniert. (Gibt ja sowas wie Infrarot-Sensoren, die bestimmt auch in den Helmen der Soldaten drin sind, aber die tragen ihre Helme ja am Gürtel …)

256 Das Green Squad steht (in einer Solo-Partie) kurz vor dem Sieg. Eine Anmerkung noch zur Spielerzahl: Zombicide: Invader – Dark Side ist für ein bis sechs Spieler gedacht, wobei das Spiel grundsätzlich nach oben offen skalierbar ist. Allerdings muss man je nach Spielerzahl ein paar taktische Nachteile in Kauf nehmen. Wie oben geschrieben, aktiviert jeder Spieler all seine Helden in beliebiger Reihenfolge, bevor der Spieler zu seiner Linken dran ist. Das heißt, wenn man allein spielt, kann man alle sechs Soldaten völlig frei agieren lassen (was gerade in brenzligen Lagen extrem wichtig ist). Spielt man zu zweit, muss zunächst einer drei Helden, dann der nächste drei Helden aktivieren. Noch schlimmer wird es zu dritt. Da existieren drei Aktivierungsblöcke zu je zwei Helden. Bei mehr als sechs Spielern wird es dann maximal unflexibel, weil die Aktivierungsreihenfolge der Figuren von der Sitzreihenfolge am Tisch festgelegt wird. Das erhöht den

257 Schwierigkeitsgrad merklich. (Um hier für Fairness zu sorgen, empfehle ich die Hausregel, dass alle Spieler nach dem Startspieler einer Runde in beliebiger Reihenfolge dran sind, bis jeder seine Helden aktiviert hat.) Fazit Zombicide: Invader – Dark Side ist ein missionsbasiertes Miniaturenspiel, das vor allem Hobbytaktiker anspricht. Durch die militaristische Optik hat es weniger vom klassischen Zombie-Überlebenskampf und erinnert mehr an den Konflikt zwischen Colonial Marines und Aliens (siehe der Action-Kracher von James Cameron Aliens – Die Rückkehr aus dem Jahr 1986). Jede Mission ist eine Herausforderung, die kluge Planung, etwas Glück und durchaus auch ein wenig Frustrationstoleranz erfordert. Das Zombicide-Feeling beschränkt sich hier auf den reinen (und sehr gelungenen) Spielmechanismus. Aber ob die Xeno-Brut jetzt infiziert ist oder nicht, ist ziemlich egal. Man sieht es den Figuren jedenfalls nicht an. Was im Umkehrschluss das Spiel für alle attraktiv macht, die mehr Spaß an zünftigem Alien-Geballer haben als an schlurfenden Untoten. Zombicide: Invader – Dark Side Brettspiel für 1 bis 6 Spieler ab 12 Jahren Raphaël Guiton, Jean-Baptiste Lullien, Nicolas Raoult CMON/Asmodee 2020 EAN: 4015566601390 Sprache: Deutsch

258 Preis: EUR 89,95

Rezension: Fallout Shelter – Das Brettspiel von Bernd Perplies

Die Bomben sind gefallen, doch in 500 Metern Tiefe liegt euer VAULT-TEC-Vault, eine fröhliche und florierende Gemeinde – zumindest bis zum plötzliche Ableben eures Aufsehers. Jetzt liegt es an euch, für Sicherheit und Produktivität zu sorgen und eure Bewohner glücklich zu machen, denn wer die Wahl zum neuen Aufseher gewinnen will, braucht die höchste Zufriedenheit. Wer jetzt denkt: »Wie bitte? Ein heiteres Brettspiel über das Leben in einem Atombunker nach einem Nuklearschlag? Das ist doch krank!«, der kennt offensichtlich Fallout nicht. Das Videospiel aus dem Jahr 1997 verstand es geradezu meisterhaft, die Ödnis und das Leid nach einem Atomkrieg zu vermitteln und mit seinen 1950er-Jahre-Retrofuturismus-Elementen dennoch für einen gewissen, leichtherzigen Bruch mit dem Schrecken zu sorgen. Dieser »schwarze Humor« wurde zum Markenzeichen des gesamten Fallout-Franchises, und so darf man weder Fallout Shelter, das Brettspiel, noch das App-Game, auf dem es basiert, allzu ernst nehmen. Wer das tut, sollte lieber etwas anderes spielen.

259 Fallout Shelter basiert, wie gesagt, auf der gleichnamigen Free-to-Play-Handy-App aus dem Jahr 2015 (später auch für Windows und Konsolen erhältlich), die eigentlich als Werbemittel für das »große« Videospiel Fallout 4 programmiert wurde, sich aber zu einem veritablen Hit in der Community entwickelte. In der App ist es die Aufgabe des Spielers, den eigenen Vault auszubauen, Bewohner anzulocken, Ressourcen zu produzieren und das alles gegen Feinde aus dem Ödland zu verteidigen, um möglichst langfristig möglichst hohe Zufriedenheitswerte zu haben. Wie so viele Free-to-Play-Spiele hat es praktisch kein Ende und baut darauf, dass der Spieler immer mehr will und immer mehr optimiert (woraufhin er dann vielleicht ein paar echte Euro für In-App-Käufe mit Bonusmaterial ausgibt).

260 Der Spielaufbau für eine Partie mit drei Spielern. Das Brettspiel kommt da deutlich kleiner daher und verschiebt auch den Fokus etwas. Hier ist der letzte Aufseher eines schon mit sechs Räumen ausgebauten Vaults gestorben, und jeder Spieler mimt einen Anwärter auf die Nachfolge. Um sich zu beweisen, gilt es, ein eigenes Stockwerk in der Tiefe auszubauen und dabei möglichst viel Zufriedenheit zu sammeln. Zufriedenheit bekommt man durch den Bau neuer Räume, wenn die eigenen Vault-Bewohner Freizeiteinrichtungen nutzen dürfen, und durch den Sieg über Eindringlinge. Dabei wetteifern die verschiedenen Spieler um knappe Ressourcen und um die besten Räume und Ausrüstungsgegenstände, die in einer Auslage erworben werden können.

261 Gespielt wird in Runden, die relativ flott vonstatten gehen. Zu Beginn jeder Runde (die erste ausgenommen) wird gewürfelt, ob irgendwelche Gefahren – von der Maulwurfsratte über Feuer oder Stromausfall bis zu den fiesen Leuchtenden Rad-Skorpionen – in den Räumen auf jedem Stockwerk erscheinen. Dann werden die eigenen Bewohner platziert. Anfangs sind es nur zwei, aber man kann in mehreren Räumen neue rekrutieren – bis zu einer maximalen Zahl von sieben. Indem man seine Figuren in Räumen platziert, erhält man die Ressourcen Wasser, Nahrung und Energie, die gebraucht werden, um beispielsweise neue Räume zu bauen, Ausrüstung zu erwerben oder eben neue Bewohner zu rekrutieren. Nachdem alle Figuren platziert wurden, werden sie wieder zurückgenommen, und die nächste Runde beginnt.

Unsere Vault-Bewohner – in dynamischen Posen.

262 Ein kleines taktisches Zusatzelement in diesem klassischen Worker-Placement-Mechanismus ist das Trainieren von Bewohnern. Typisch für Fallout ist die Attributsleiste »S.P.E.C.I.A.L.«, die für Werte wie (C)harisma oder (I)ntelligenz steht. Trainiert man eine Figur in einer Runde in einem Wert und setzt man sie danach auf ein Raumfeld, das den entsprechenden Buchstaben aufweist, bekommt man die Belohnung (Ressourcen oder neue Bewohner) doppelt! Das lohnt sich nicht immer, weil man ja durch das Trainieren auch eine Platzierung verliert, aber manche Felder zweifach werten zu lassen, kann schon recht hilfreich sein – vor allem bei der Rekrutierung weiterer Figuren. Gefahren werden mit einem Würfelwurf bezwungen, der durch Ausrüstung modifiziert wird und gegen einen Zielwert ausgeführt wird. Erreicht man den Wert, ist die Gefahr gebannt, und man wird belohnt. Ansonsten bleibt die Gefahr, und die eigene Figur ist verletzt und fällt einstweilen aus. Glücklicherweise gibt es auch Krankenzimmer, die solche Verletzungen heilen können. Das ist meist kein Problem, weswegen man vor Kämpfen, sofern es nicht gerade gegen Rad-Skorpione geht, nicht zurückschrecken muss.

263 Ein Spielerbereich nach einigen Spielrunden. Eine Partie endet, sobald ein Spieler seinen sechsten Raum gebaut hat oder der Gefahrenstapel leer ist. Danach wird geschaut, wer die meiste Zufriedenheit sammeln konnte. Der Spieler wird unter dem Jubel aller Vault-Bewohner zum neuen Aufseher gekürt. Abschließend noch ein Wort zum Spielmaterial. Das dürfte jedem Fallout-Fan die Freudentränen in die Augen treiben. Das beginnt bei der wunderschönen geprägten Spielschachtel in Gestalt einer Tin-Box (Blech-Brotdose). Das passt nicht nur perfekt zur App-Vorlage, sondern auch zur Atmosphäre von Fallout. Pedanten mögen sich darüber ärgern, dass sich so eine Dose schlecht in einem Brettspielregal unterbringen lässt, weil sie eben nicht den Standardboxenmaßen entspricht. Aber der Rest dürfte begeistert sein. Diese Begeisterung hält auch an, wenn man ins Innere schaut. Zum einen befindet sich ein Plastik-Inlay 264 in der Box, worin sich nicht nur sämtliche Spielmaterialien absolut sauber verstauen lassen, die Aussparungen für die Spielkarten sind sogar absichtlich etwas größer, damit die Karten mit Sleeves hineinpassen. (Was oft genug bei Brettspiel-Inlays nicht der Fall ist.) Die Spielkarten sind liebevoll bebildert, die Vault-Bewohner als 7 unterschiedliche Miniaturen ausgeführt (die den Posen der S.P.E.C.I.A.L-Attribute entsprechen), und die Gefahren sind sogar auf Klarsichtkarten gedruckt, sodass man sie auf Räume legen kann und es den Eindruck erweckt, als befände sich die Gefahr plötzlich in dem Raum. Das ist schon fast mehr Liebe zum Detail, als bei diesem kleinen »Zwischendurchspiel« gerechtfertigt gewesen wäre. Beide Daumen hoch dafür!

Das Ende einer 2-Spieler-Partie. Es war ein Kopf-an-Kopf-Rennen.

265 Der einzige Wermutstropfen ist der Preis. Knappe vierzig Euro kostet das Spiel bei vielen Händlern. Das scheint mir für das, was es an Spielspaß letztlich bietet, doch etwas zuviel zu sein – und ist womöglich Lizenzgebühren und dem wertigen Spielmaterial geschuldet. Ein bisschen Suchen zahlt sich hier aus, denn bis zu 20% Rabatt sind dann doch drin, und in dem Fall lohnt sich das Ganze definitiv. Fazit Fallout Shelter – Das Brettspiel ist ein leichtgewichtiges, flottes Worker-Placement-Spiel mit großartigem Spielmaterial und einem eingängigen Spielmechanismus. Das Suchtpotenzial ist natürlich geringer als bei dem App-Game, dafür kommt man hier viel schneller zum Sieg als bei dem zeitaufwändigen Videospiel. Für eine Partie zwischendurch, die wenig Vorbereitung und Regelstudium erfordert, ist das Spiel auf jeden Fall immer gut. Für Fallout-Fans uneingeschränkt zu empfehlen (sofern ihnen klar ist, dass sie keine Umsetzung des eigentlichen Rollenspiels kaufen). Doch auch Nicht-Fans können zuschlagen, sofern sie Lust auf ein kleines, feines Worker-Placement-Spiel haben – und die schwarzhumorige Prämisse kein Problem für sie ist. Fallout Shelter – Das Brettspiel Brettspiel für 2 bis 4 Spieler ab 14 Jahren Andrew Fischer FFG/Asmodee 2020 EAN: 4015566028838

266 Sprache: Deutsch Preis: EUR 39,99

Rezension: Res Arcana von Oliver Adam

Dämpfe vernebeln das Labor des Alchimisten, im heiligen Hain zerreibt eine Druidin Kräuter, und in den Katakomben beschwört eine Nekromantin einen Knochendrachen. In der Welt von Res Arcana verkörpern zwei bis vier Spieler ab zwölf Jahren alchemistische Magier, die magische Essenzen und Gegenstände nutzen, um Artefakte zu fertigen, Fähigkeiten zu aktivieren und uralte Monumente und Orte der Macht in Besitz zu nehmen. Für erfolgreiche Aktionen gibt es Siegpunkte, und am Ende gewinnt der Magier, der zuerst zehn Siegpunkte erreicht.

267 Zunächst soll ein Blick auf das beeindruckende Spielmaterial geworfen werden. Das Grundspiel bietet bereits zehn verschiedene Magierkarten zur Auswahl – vom Alchimisten über den Heiler bis hin zum Nekromanten –, aus denen die Spieler ihren Charakter auswählen können. Dabei bieten diese sehr unterschiedliche Fähigkeiten, die das eigene Spiel stark beeinflussen. 40 Artefaktkarten und acht Plättchen der magischen Gegenstände zeigen eine breite Palette von magischen Effekten und besonderen Kreaturen, die im Laufe des Spiels beschworen werden können. 150 Essenzmarker aus Holz verkörpern die Ressourcen Tod, Ruhe, Leben, Elan und Gold. Zehn Monumentkarten bringen neben Siegpunkten oft auch besondere Effekte und sind daher für den Sieg besonders wichtig. Die anderen Siegpunktebringer sind fünf Orte-der-Macht-Plättchen, die beidseitig bedruckt

268 sind, sodass jede Partie mit einer anderen Kombination ausgestattet ist. Alle Karten und Plättchen sind sehr stimmungsvoll illustriert und gliedern sich perfekt in die Thematik ein. Die Karten sind von hoher Materialqualität und sehr haptisch. Bei anderen Spielen muss man immer wieder die dünnen Spielertableaus kritisieren, bei Res Arcana bekommt man perfekte Karten und Plättchen auf dickem Karton. Ganz besonders lobend erwähnen möchte ich die großartige Boxeneinlage, die alle Komponenten perfekt schützt und für die Ressourcen ein durchdachtes Sortierkästchen bietet, das direkt aus der Box auf den Spieltisch gestellt werden kann. In Sachen Material und Ausstattung zaubert sich Res Arcana auf alle Fälle schon mal in die Champions League der Zauberwelt.

269 Zauberhaftes Material perfekt sortiert. Kann das Spielgefühl von Res Arcana das hohe Niveau der Spielkomponenten halten? Der Autor Tom Lehmann ist bekannt für Spiele, bei denen Engine-Building und Deckbau einen hohen Stellwert besitzen. Und Engine-Buliding, also der Aufbau von Produktionsketten, die ineinandergreifen und zunehmend Ressourcen produzieren, findet sich in Res Arcana in starkem Maße wieder. Der Aspekt Deckbau, also die sukzessive Erweiterung eines Kartendecks, ist im Grundspiel dagegen nicht präsent. Der Spielaufbau von Res Arcana geht sehr schnell. Jeder Spieler wählt aus zwei zufällig gezogenen Magierkarten eine aus. Zusätzlich erhält man ein Kartendeck aus acht zufälligen Artefaktkarten, drei davon auf der Hand, die restlichen im Nachziehstapel. Im Lauf des Spiels ändert sich dieses Kartendeck nicht mehr, das heißt, man bestreitet das gesamte Spiel mit diesen acht Karten. Das vermittelt eine gewisse Planungssicherheit, gleichzeitig kann aber der Zufallscharakter dazu führen, dass man von Beginn an mit einem suboptimalen Deck versumpft. Bei den Testrunden ist dies zwar nie geschehen; allein die Möglichkeit finde ich allerdings bedrohlich. Der Autor hat am Ende der Anleitung in den Spielvarianten einen Draft-Mechanismus als Lösung hierfür eingebaut, bei dem die Spieler zu Beginn die Artefaktkarten reihum nacheinander auswählen. Das ist sicherlich der spannendere Ansatz, der das Spiel jedoch auf eine deutlich komplexere Ebene hebt und eine gewisse Erfahrung der Teilnehmer erfordert. Darüber hinaus wählt jeder Spieler aus den acht offen ausliegenden magischen Gegenständen noch einen aus, der verschiedene zusätzliche Effekte erlaubt. In der Spielmitte wird nun der allgemeine

270 Vorrat vorbereitet. Dazu zählen fünf Orte der Macht, zwei aufgedeckte und acht verdeckte Monumente sowie die Holzessenzen.

Die Magierkarten im Grundspiel. Jede Spielrunde von Res Arcana besteht aus drei Phasen: In der Ertragsphase erhalten die Magier neue Essenzen, die sie zur späteren Aktivierung der magischen Effekte benötigen. Einige Karten und Plättchen der Auslage zeigen ein Handsymbol, und daneben ist abgedruckt, welche Essenzen der Spieler in welcher Menge nehmen kann. Die Aktionsphase ist das Herz des Spiels. In ihr führen die Spieler reihum so lange jeweils eine Aktion aus, bis alle Spieler gepasst haben. Folgende Aktionen stehen zur Verfügung: - Ein Artefakt kann von der Hand in die Auslage ausgespielt werden, wobei die Ausspielkosten bezahlt werden müssen. - Abwerfen eines Artefaktes von der Hand (dieses wird unter den Nachziehstapel gelegt) für zwei Essenzen oder ein Gold.

271 - Die Fähigkeit einer bereits ausgespielten Komponente nutzen, die noch nicht erschöpft wurde. Über diesen Weg gelangen die Magier an die meisten Ressourcen. - Ein Monument oder einen Ort der Macht in Besitz nehmen und hierfür die Ressourcen bezahlen. Über diesen Weg werden die meisten Siegpunkte generiert. - Ein Spieler kann passen und seinen magischen Gegenstand mit einem anderen noch verfügbaren aus der Mitte austauschen. Nachdem alle gepasst haben, folgt die Siegphase, bei der überprüft wird, ob ein Spieler die erforderlichen zehn oder mehr Siegpunkte erreicht hat. Wenn dies der Fall ist, gewinnt der Magier mit den meisten Siegpunkten. Andernfalls startet eine neue Runde mit der Ertragsphase. Die größte Einstiegshürde besteht im Verständnis der Symbole auf den Karten sowie den Synergieeffekten zwischen den Karten. Beim ersten Spiel läuft der Auftakt daher noch etwas zäh. Sobald nach ein oder zwei Runden die Zeichensetzung verstanden wurde, spielt sich Res Arcana aber sehr flott und flüssig. Anfängern wird der Einstieg durch nummerierte Startersets erleichtert, die gut aufeinander abgestimmt sind und die Komplexität flach halten. Sehr spannend ist der minimalistische Ansatz, da jeder Magier über ein rollierendes Kartenset von nur acht Karten verfügt, das nicht durch neue Karten ergänzt wird. Man muss also das Beste aus den verfügbaren Mitteln herausholen.

272 Res Arcana ist im Kern ein effizienzorientiertes Karten- und Ressourcenmanagementspiel. Eine Partie dauert normalerweise zwischen vier und sechs Runden (eine Spielstunde), und wenn die Spieler einigermaßen erfahren sind, entwickelt sich ein Wettrennen, das Fehler kaum verzeiht. Wer einmal im Hintertreffen ist, hat kaum Möglichkeiten, das wieder aufzuholen. Dabei steuern die zufällig verteilten Karten sehr stark den Weg, den man als Magier eingehen muss, um eine Chance zu haben (Ausnahme: Drafting-Option). Interaktion findet allenfalls beim Wettlauf um Monumente oder Orte der Macht statt. Im Spielsystem wurde als interaktives Element die Ressource Leben eingebaut, die durch verschiedene Karten aufgebraucht wird – bei den Testspielen war dieser Faktor jedoch irrelevant. Das Experimentieren mit den synergetischen Effekten von Karten, Orten, Gegenständen und Monumenten macht auf alle Fälle sehr viel Spaß, und es gibt bereits im Grundspiel sehr viel zu entdecken. Ich bin schon gespannt auf die bereits angekündigte Erweiterung, die noch weitere Optionen ins Spiel bringen wird. Fazit Res Arcana besitzt eingängige Regeln und ist schnell gespielt. Hervorragende Spielmaterialien mit sehr thematischen Illustrationen bilden das Fundament für ein überzeugendes Karten- und Ressourcenmanagementspiel, dessen Komplexität nicht auf den Regeln, sondern auf den vielfältigen Karteneffekten und deren Synergien beruht. Durch die kurze Spieldauer müssen die Spieler sehr effizienzorientiert vorgehen, um bei dem spannenden Wettrennen um Siegpunkte nicht ins Hintertreffen zu 273 geraten. Der vorhandene Glücksanteil durch die zufällig verteilten Kartendecks kann durch einen optionalen Drafting-Mechanismus reduziert werden. Die Karten zeichnen teilweise den optimalen Spielweg vor, sodass man sich nach einigen Spielen etwas mehr Varianz wünscht (die mit der ersten Erweiterung bereits auf dem Weg ist). Also ran an die Zauberstäbe und rein in den absolut überzeugenden Magierwettstreit! Res Arcana Kartenspiel Tom Lehmann, Julien Delval Sand Castle Games / Asmodee 2019 EAN: 0850004236147 Sprache: Deutsch Preis: 34,95 Euro

274 Phantastisches Lesen

von Alexandra Trinley

PERRY RHODAN: Das gestohlene Sternenrad von Alexandra Trinley

Bleisphäre, Sternenrad, und die Staubfürsten im Dyoversum – in dieser Kolumne geht es um die Bände 3074 bis 3085. Der Zyklus hat sich mittlerweile über enorm weit auseinanderliegende Schauplätze ausgebreitet. Die Galaxis Ancaisin gehört zum Galaxiengeviert, dem Herkunftsort der goldhäutigen, vierhändigen Cairaner, wo es Abyssale Triumphbögen gibt und Vektormaterie, die anfangs wegen ihres Aussehens Graue Materie hieß. Diese überaus gefährliche Waffe führt der Kandidatin Phaatom Nahrung zu, damit sie zur Chaotarchin aufsteigen kann. Dieser Schauplatz spielt indirekt eine Rolle, weil er die Ursache für

275 die Präsenz der vierhändigen Fake News-Spezialisten in der Milchstraße ist. Wovor die Cairaner fliehen: Die Kandidatin Phaatom ist eine Materiesenke, also ein negativ ausgerichtetes Bewusstseinskollektiv, das sich durch Vernichtung ausbreitet. Ihr Erstarken würde das Galaxiengeviert vernichten, und die Kosmokraten, die Ordnungsmächte des Kosmos, stehen ihr entgegen. Ein klassischer Konflikt der RHODAN-Serie, wie er auch in der diesjährigen Miniserie MISSION SOL zum Tragen kam. Doch was wird daraus? In nur 15 Bänden ist das Zyklusfinale fällig, und eine bunt gemischte Vielzahl von Protagonisten tummelt sich an diversen Orten. Quo Vadis, Mythos-Zyklus? Zugegeben: 100 Bände in einem Komplettzyklus sind schwerer in einen Zusammenhang zu setzen als die üblichen 12 Bände einer Miniserie, die Hauptserie wird stets schwächer durchstrukturiert sein als ihre Trabanten. Allerdings geht die explizit angestrebte neue Bodenständigkeit der Hauptserie zu Lasten der Spannung, weil die übergreifende Handlung allzu oft auf der Stelle zu treten scheint. Würde es Abhilfe schaffen, wenn die Protagonisten bei ihren lokal begrenzten Abenteuern mehr Überblick hätten, damit es in der Folge für den Leser leichter ist, den Gesamtkonflikt im Kopf zu behalten? Zusätzlich vermag das Verhalten der Figuren die Phantasie nicht zu binden, es ist, so als ob nicht nur die Leser im Unklaren wären, wo ihre Reise hinsoll, sondern auch sie. Nie zuvor war die Handlung so panoramisch aufgefächert, die Binnenhandlungen so plastisch, das Personal zu breitgestreut, doch die Agenda bleibt unklar.

276 Hinterlässt die Kommunikationsproblematik der Pandemie ihre Spuren? Die Exposés der Serie werden von zwei Expokraten geschrieben, das sind Wim Vandemaan und Christian Montillon, danach gehen sie, um Datenblätter bereichert, an die Autoren. Wenn es nun derart anstrengend ist, als Leser den Überblick zu behalten, sei die ketzerische Frage gestellt, ob der Einzelautor gründlich genug durchgestaltet, was die Materialmenge vorgibt. Während der Perry Rhodan Online Woche hat Wim Vandemaan einmal mehr sein enzyklopädisches Gedächtnis unter Beweis gestellt. Das ist eine schöne Sache. Allerdings kann man als simpler Leser neben Brotberuf und Alltag keine ebenso detailreiche Erinnerungskultur pflegen. Und wenn sogar die Verfasserin einer regelmäßigen Kolumne immer wieder die Perrypedia bemühen muss, so lässt sich Kritik an der Übersichtlichkeit anbringen. Das Gute: Man hat definitiv damit begonnen, die Fäden zusammenzuführen. Völker vom Zyklusanfang treten wieder auf, Worte schaffen Anspielungen, die einen echten Masterplan im Zykluszusammenhang nahelegen. Wir sind gespannt.

277 ©: Pabel-Moewig Verlag (alle Coverbilder) Der Doppelroman um Arkon (PR 3074 und 3075) In Uwe Antons Doppelroman Der imaginäre Imperator. Sie stoßen nach Arkon V vor – es ist ein Akt der Verzweiflung (PR 3074) und Die Warnung der Signatin. Gefährliche Experimente der Naats – die Bleisphäre reagiert (PR 3075) versucht das parapsychisch begabte Geschwisterpaar Dancer und Schlafner, gemeinsam mit dem scheinbaren Roboter TARA-Psi in die Bleisphäre vorzustoßen, die sich um das Arkon-System gebildet hat und an der das Sternenrad der Cairaner auftaucht. Die Bleisphäre, das ist ein linsenförmiges Kraftfeld von silbrig-bleigrauer Farbe, das weder optisch noch mit Messgeräten zu durchdringen ist

278 und das komplette Arkon-System inklusive des äußersten Planeten umschließt. Die Wolke aus Eis- und Felsbrocken driftet nicht auseinander, in ihrer Nähe kommt es zu Realitätssprüngen und Phasen von schnellen Zustandswechseln, was von arkonidischen Wissenschaftlern die Bezeichnung Realitätsgezeiten erhielt. Atlan, der als Mascant des arkonidischen Imperiums agiert, also den höchsten Adelsrang unter dem Imperator innehat, mischt an anderer Stelle mit. Es geht um das Messingimperium und die Kristallbaronien, um die Naats, die Akonen und Báalol und viele andere. Atlan hat eine Enkelin, Jasmyne da Ariga, deren Lebensgeschichte interessante Unregelmäßigkeiten aufweist und die kräftig mitmischt. Spätestens an dieser Stelle wird dem geneigten Leser dieser Kolumne klar, dass wir mit diesem Handlungsabschnitt tief im Insiderwissen rund um das Arkonidenvolk angekommen sind. Die seit jeher für Feudaldenken und Intrigen berüchtigten Arkoniden haben Fraktionen, die sich nun an der Bleisphäre rund um ihr ehemaliges Heimatsystem versammeln, und es gibt Interessenkonflikte. Natürlich ist Uwe Anton durch seine jahrzehntelange Beschäftigung mit den weißhaarigen Rotaugen ganz besonders für einen Roman dieser Art geeignet, und natürlich gibt es keinen Autor der Serie, der so hingebungsvoll Panoramen aufbaut wie er. Ebenso selbstverständlich sind die wunderschöne Sprache und die anschauliche Bilderzeichnung des Doppelromans. Es passiert auch ungeheuer viel – eigentlich. Was der Autorin dieser Kolumne nicht gefiel, war die Unkonturiertheit der Hauptpersonen, deren Interessen und Persönlichkeiten den Handlungsfortschritt hätten 279 zusammenbinden sollen. Nun kamen Dancer und Schlafner über einen Gastroman in den Zyklus, in dem wir ihre Lebensgeschichte kennenlernten und ihre Parakräfte, von denen ihre aktuellen Namen stammen. Inzwischen hat sich das Geschwisterpaar auf die Seite Perry Rhodans geschlagen, aber nicht so wirklich entwickelt. Sie bräuchten einen Konflikt oder ein Temperament, das ihnen echtes Leben einhaucht. Angelegt sind sie als ein bisschen böser und gewaltbereiter als die Guten. Das bleibt allerdings ganz arg zahm. Witzig sind sie auch nicht. Und die Arkoniden sind zu sehr in ihre jeweiligen Interessengruppen eingebunden, um Charisma zu entfalten. Deshalb durchläuft man mit ihnen die ganze Bandbreite des Arkon-Panoramas, ohne ergriffen zu werden. Immerhin wurde die Natur der Bleisphäre durch die statische Handlungsführung sinnlich fassbar gemacht. Je weiter der Aufbruch ins Innere der Bleisphäre voranschreitet, desto flüssiger wird die Schreibweise auch wieder.

280 Arndt Ellmer: Inmitten der Lichtfülle (PR 3076) Die Bände 3075 und 3076 überschneiden sich ein Stück weit, und haben auch dieselben Hauptfiguren. Am Ende des Vorgängerbandes taucht das Sternenrad auf, und nun werden wir Augenzeugen seiner spektakulären Ankunft. Und es kracht auch so richtig, als das Riesending an der Bleisphäre auftaucht. Arndt Ellmer lässt erst einmal den Raum erbeben, Hyperstürme toben … und dann kommt das Ereignis. Der Gigant trifft ein, mit dem der cairanische Friedensbund zu siegen hofft. Das besonders Erstaunliche daran: Inmitten der Lichtfülle. Im Zentrum der cairanischen Macht – terranische Mutanten versuchen zu infiltrieren ist der Erstling des Autors seit fünf

281 Jahren. Ellmer war schwer erkrankt, so dass man sich nicht gewundert hätte, wenn dieser erste Roman nach der langen Pause ein wenig schwächer geworden wäre. Das Gegenteil ist der Fall. Trotz der weiterhin nur mäßig lebhaften Hauptpersonen entfaltet sich ein spannender und kurzweiliger Roman, weil um Dancer und Schlafner herum alles in Bewegung ist. Das Sternenrad der Cairaner, das sich nahe der Bleisphäre manifestiert hat und das schon beim Raptus Terra, dem Verschwinden von Erde und Mond zu Zyklusbeginn, eine Rolle spielte, hat einen Durchmesser von 41,66 Lichttagen. Es enthält ein System aus zwei Sonnen mit insgesamt fünf Planeten, das ein 50 Meter durchmessendes Weißes Loch umkreist. Das wird von einer transparenten Sphäre umgeben, aus dem seine Materie- und Energieströme austreten und einen weißen Schirm bilden, der das ganze System umgibt und an ein sich drehendes Rad erinnert. Daher der Name. Auf der Hauptwelt des Sternenrads, Ecaitan, leben verschiedene Milchstraßenvölker im Rahmen eines Forschungsprojekts: Sie sollen nach Abzug der Cairaner den Frieden bewahren. Die cairanische Kosmopsychologin und Agentin des Panarchivs Dupa Emuladsu hat einen Sohn, und in diesem Szenario aus Völkergemisch und Mutter-Sohn-Geschichte kann sich Arndt Ellmer voll entfalten. Es gibt witzige Dialoge und spannende Alltagsgegenstände des Perryversums. Verena Themsen führt in Unter dem Weißen Schirm. Die Cairanerin fürchtet um ihren Sohn – und muss die Terraner jagen (PR 3077) die Geschichte der kleinen Familie weiter und ergänzt viele weitere Informationen rund um das 282 ungewöhnliche Artefakt der Cairaner. Die friedliebende und wohl schon verblichene Superintelligenz HATH’HATHANG kommt ins Spiel, und es entsteht eine Verbindung zwischen der Erschaffung des Sternenrads, seiner jetzigen Verwendung und der Flucht der Cairaner vor der Kandidatin Phaatom. Sehr interessant auch die Enzephalotronik als Steuerzentrum des Weltenrads. Von ihr werden wir in PR 3083 deutlich mehr erfahren. Themsen, ebenfalls als Arkon-Spezialistin bekannt, verwendet viel Energie auf die Personenzeichnung. Das Geschwisterpaar gewinnt nun doch Konturen, und ein kleiner Junge macht nicht das, was Eltern sich unter Karriere vorstellen.

Im Dyoversum (PR 3078 – 3081)

283 Wir erinnern uns: Auf der Suche nach der echten Erde samt Mond, die Perry Rhodan nach dem an Bord der RAS TSCHUBAI erlebten Zeitsprung von knapp 500 Jahren zu Zyklusbeginn nicht mehr im vollständig abgeriegelten Solsystem vorfand, kamen unsere Helden in ein Paralleluniversum, ein sogenanntes Dyoversum, das als Zwilling zu unserem entstand und mit ihm in einer engen Wechselbeziehung steht. Die Abenteuer im Dyoversum sind als Vierteiler in den Mythos-Zyklus eingebettet. Da dort der überlichtschnellen Raumfahrt große Hindernisse entgegenstehen, ist das Dyoversum räumlich begrenzt: Es sind nur die Topsider in erreichbarer Nähe, aggressiv wie eh und je, wenn auch matriarchalisch, und Erde samt Mond sind ziemlich einsam. Das verschafft ihnen Zeit für sich selbst. Weil die entführte Erde in den vergangenen Jahrhunderten ihre eigene Entwicklung durchlief, trifft Rhodans Plan, Terra zurückzuholen, keinesfalls auf ungeteilte Begeisterung. Mit dem aktuellen »Quartett«, wie die Vierteiler in Absetzung zu den traditionellen und zuletzt heftig kritisierten »Viererblöcken« getauft wurden, liegt der dritte Teil vor, ein vierter ist für die Bände 3090 bis 3093 geplant. All diese Quartette werden von exakt zwei Autoren geschrieben, die sich dabei besonders gründlich aufeinander einstellen können, was für mehr Geschlossenheit sorgen soll. Wobei das erste Quartett dann von Exposéautor Christian Montillon allein verfasst wurde. In Solsystem (PR 3050) Luna (PR 3051) Terra (PR 3052) und Mars (PR 3053) erzählte er von Rhodans Ankunft in der anderen Hälfte des Dyoversums, wo er den alten Weggefährten Homer G. Adams trifft, das zu einer hochgradig eigenaktiven KI 284 entwickelte Mondgehirn NATHAN, das sich eine Menge Kinder geschaffen hat, und die veränderte Gesellschaftsstruktur der Erde. Die innige Nichtbeziehung des Finanzgenies Homer G. Adams mit einer Sterblichen schafft es, ohne Klebrigkeit auszukommen. Das zweite Quartett verfasste Montillon gemeinsam mit Susan Schwartz. Die Romane »Zeut« (PR 3062), »Ceres« (PR 3063), »Ferrol« (PR 3064) und »Beteigeuze« (PR 3065) führen uns durch das Solsystem des Dyoversum, in dem vernichtete Planeten wie Pluto und Zeut noch existieren, das also eine interessante Topologie aufweist. Wir treffen auf Cairaner. Die Goldhäutigen sind überall, und sie verstecken sich. Der Konflikt mit den Topsidern wird gelöst. Nun liegt das dritte Quartett vor, und der Raum der Handlung dehnt sich aus – das muss so sein, wenn Perry Rhodan dabei ist. Unsere Helden erkunden die fremde Hälfte des Dyoversums. Pluto (PR 3078) beginnt bereits am Rand des Sonnensystems an einem Planeten, der als Gestänge weiterexistiert. Ausgangspunkt der Handlung ist die sogenannte Tastung, die während der Zeit der Erde im Zwillingsuniversum zweimal auftrat, und zwar in Abständen von 177 Jahren. Falls ein regelmäßiger Rhythmus vorliegt, steht die nächste Tastung an. Dieses Berührtwerden, das jeder einzelne ganz persönlich empfindet, kennen wir als Kontaktnahme einer Superintelligenz. Doch welcher? Im Dyoversum gibt es keine Superintelligenzen. Rhodan macht sich auf den Weg, und nach einigen Erlebnissen findet er ein unbekanntes Volk. Yenren (PR 3079) spielt auf einer bis dato unbekannten Wüstenwelt, deren Zivilisation Susan Schwartz sehr liebevoll gestaltet hat. Die Yenranko sind grazile Reptiloide mit 285 silbrigen Schuppen, an deren Größe und Glanz man ihr Alter ablesen kann. Die großen, linsenförmigen Augen sitzen in einem vorn verlängerten, recht menschlichen Gesicht mit flachen Zügen. Eine durchsichtige Wischhaut verhindert, dass Sand in die Augen gelangt. Häute zwischen den Fingern befähigen sie, sich zum Schutz vor Sandstürmen schnell in der Erde einzugraben. Die Hornhaut an Arm- und Kniegelenken hilft ihnen, in den niedrigen Gängen ihrer Wohnhöhlen voranzukommen. Sie verstehen sich gut mit den Terranern, und sie kennen die Tastung ebenfalls. Gut als Einzelroman zum Reinschnuppern zu lesen und sehr empfehlenswert ist Sternfinder (PR 3080). Er erzählt die Geschichte des Raumschiffs CHYLLITRISS, dessen Jülziish-Besatzung bei einem aufopferungsvoll durchgehaltenen Generationenprojekt in eine tragische Situation kommt. Perry Rhodan erfährt von ihrem Schicksal auf der Jülziish-Hauptwelt Gatas, das im zweiten Zweig des Dyoversums als lebensfeindliche Ödwelt existiert. Horror (PR 3081) knüpft schließlich bewusst an die gleichnamige Hohlwelt im Meister der Insel-Zyklus an, von der aus damals der Aufbruch nach Andromeda startete. Die Begegnung mit den Staubfürsten bekommt stetig steigende Relevanz. Sind sie der Schlüssel zur Heimkehr? Die vier Romane zeichnen sich weniger durch Actionhöhepunkte aus als durch Begegnungen mit fremden Orten und Zivilisationen. Sie erinnern an frühe Romane von PR 900, als die kosmische Ebene ausgeprägt war und die Handlungsführung simpler als heute. Aquamarin-Stelen bilden Orientierungspunkte. Besonders wichtig sind die Begegnungen mit den geheimnisvollen Staubfürsten, die sich als eine Art Pfleger des Dyoversums entpuppen. Diese 286 wiederum interessieren sich sehr für Rhodans Begleiter Iwán/Iwa Mulholland, jenes doppelgeschlechtliche Wesen, das Männern als Mann und Frauen als Frau erscheint. Er bekommt einen neuen Titel: Geiststreiter. Mehr darüber werden wir wohl im vierten Quartett erfahren.

Die drei Haluter (PR 3082 bis 3085) Immer noch sind Dancer, Schlafner, Chione McCathey, Lionel Obioma und der TARA-Psi – ein Terraner, dessen Bewusstsein in einem Roboterkörper sitzt – im Sternenrad verschollen. Da treffen an der Bleisphäre 300 große Haluterschiffe ein, um die Flotten der Galaktiker zu verstärken. Sie bringen mit der Intervalldopplerkanone eine neuartige Waffe mit, die den Augenraumern der Cairaner

287 gefährlich werden kann - und sie bringen sich selbst mit. Wie Michelle Stern in PR 3085 denken lässt: Jeder Haluter ist eine Armee für sich. Tatsächlich sind die schwarzen Riesen von Halut in besonderer Weise prädestiniert für ein für sie durchaus unterhaltsames Himmelfahrtskommando: Diese dreieinhalb Meter großen und vierarmigen Wesen schauen aus drei glühenden roten Augen in die Welt. Sie können ihren Körper zur Dichte von Terkonitstahl verhärten, so dass sie im Vakuum überleben und dickste Stahlwände durchschlagen können – und den Durchgang durch den Weißen Schirm an einer im Vorfeld geschwächten Stelle zu überleben. Ihre Spezies hat eine Doppelnatur: Ursprünglich durch Genmanipulation als Kampfmaschinen geschaffen, machte eine frühere Menschheit, die Lemurer, sie durch Bestrahlung friedlich. So kamen die eingeschlechtlichen Riesen als gütige Wissenschaftler und Helfer mit ausgeprägten Mutterinstinkten in die Serie. Sie brauchen aber regelmäßige Phasen der Wildheit, die sogenannte Drangwäsche, um ihre Balance zu halten. In den Bänden, die ihre Expedition beschreiben, hatte jeder der Autoren genug Gelegenheit, ihre diversen Fähigkeiten und Charakterzüge zum Tragen kommen zu lassen. Kai Hirdt legt in Ein kalkuliertes Risiko. Fünf Flotten belauern sich beim Sternenrad – Krieger und Spione streiten für Arkon (PR 3082) besonders viel Wert auf strategische Erwägungen. Bei ihm beginnt die Expedition: Bouner Haad, Kro Ganren und Madru Bem, drei Haluter aus Icho Tolots Schule, durchdringen den Weißen Schirm und beginnen mit der Erforschung der Bleisphäre. Haad hat, ungewöhnlich für einen Haluter, auch eine Mutantengabe: Als Parapassant 288 kann er Materie sowie Energieschirme passieren und dabei andere mitnehmen. Sobald die qualvolle Passage hinter ihnen liegt, erfahren die drei Haluter – und wir mit ihnen – viel über den inneren Aufbau des Sternenrads. Es kann Planeten transportieren! Der titelgebende Handlungsstrang spielt jedoch unter Arkoniden, ergo einem weiten Netz aus strategischen Erwägungen, Verrat und Zufällen. Das Sternenrad hat in die Schlacht eingegriffen und in einem Moment 39 große Arkonidenraumer zerstört. Das reicht, um einen Oberbefehlshaber zu ruinieren – oder ganz hoch steigen zu lassen, wenn die Gerüchte einen günstigen Verlauf nehmen. Die Flotten mehrerer Völker stehen um die Bleisphäre. Kann man den großen Knall vermeiden, und ist es sinnvoll, ihn zu vermeiden? Michael Marcus Thurners Die drei Haluter. Eine gemischte Truppe im Einsatz – ein erbarmungsloser Jäger ist auf ihrer Spur (PR 3083) und Uwe Antons Brigade der Sternenlotsen. Ein Konstrukteur des Sternenrads – er erzählt die Geschichte eines ungeheuren Verrats (PR 3084) muss man zueinander in Beziehung setzen, um die Relevanz der Geschehnisse zu erfassen. Verfolgt von einer Jägerin, erleben unsere Helden eine unheimliche Reise ins Innere einer Enzephalotronik, die auf das »menschliche Element«, das Individuum, nicht verzichten kann und es dabei in ein Gestänge zwängt, das jede Individualität zerstört. Die Cairaner zeigen im Umgang mit den einzupassenden Galaktikern und Posbis eine sachliche Grausamkeit, die jeden ihrer Friedensschwüre ad absurdum führt. Bouner Haad schickt seine Gefährten weiter. Von einer Ahnung getrieben, bewegt er sich durch die Anlage und 289 findet ein von einer Flüssigkeit namens Bendo gefülltes, zwei Meter hohes Gefäß namens Bendoleath. Darin steckt ein Benshér. Diese geschuppten Wesen gelten als tot – und dieser bezeichnet sich selbst als tot, er braucht das Bendo zum Leben. Trotzdem soll der Haluter ihn aus der Flüssigkeit holen. Haad tut das. Mit seinem neuen, todgeweihten Freund beginnt eine weitere Phase der Flucht, denn er hat eins der vier Wesen erwischt, die für die Steuerung des Sternenrads unverzichtbar sind. Der Folgeband ist wesentlich ruhiger. Im Stil einer klassischen Lebensgeschichte erfahren wir von der Entstehungsgeschichte des Sternenrads, und wie es durch einen Verrat, der zutiefst humanistischen Prinzipien verpflichtet zu sein scheint, zur Vernichtungswaffe in den vier Händen der cairanischen Friedensfreunde wird. Von den Grausamkeiten im Innern kommt wenig zur Sprache, wohl aber geht es um persönliche Machtkämpfe und Beziehungsnuancen. Michelle Stern setzt die Geschichte fort mit Der verurteilte Planet. Die Cairaner lassen die Maske fallen – eine Welt wird dem Tod überlassen (PR 3085). Sie knüpft am ehesten an Verena Themsen an mit der feinen individuellen Zeichnung der Charaktere. Die Cairaner demonstrieren die Fähigkeit des Sternenrads, zur Strafe Planeten zu versetzen, und tatsächlich stiften sie Frieden, weil die Zusammenarbeit der Galaktiker mit dieser Untat so richtig in Schwung kommt.

290 Ausblick Die Milchstraßenebene wird weitergeführt. Arndt Ellmer verfasste Aipus Spur. Eine Cairanerin in Nöten – Haluter und Terraner erkunden das Sternenrad (PR 3086). Oliver Fröhlich erzählt Lausche der Stille! Die Geschichte des Bergs – der zu den Sternen reisen wollte (PR 3087). Der entführte cairanische Junge Aipu rangiert als Hauptperson. Den spektakulärsten Roman dieses Abschnitts verfasste Michael Marcus Thurner mit Gucky kehrt zurück. Der Mausbiber kämpft sich durch – es geht um die THORA (3088). Wir sind gespannt!

291 Kai Hirdt verfasste Das Atlan-Update. Der Mascant findet eine neue Bestimmung – der Plan der Cairaner bringt eine Bedrohung (PR 3089). Nachdem der unsterbliche Arkonide sich sehr veränderte, seit er sich für schuldig an Guckys Tod halten musste, und dieses Anderssein in seiner Umgebung wiederholt auffiel, ist eine neue Bestimmung für ihn sicher eine sinnvolle Lösung. Und danach beginnt das vierte Quartett im Dyoversum. Mit Band 3100 beginnt der neue Zyklus. Er soll im Zeichen der Chaotarchen stehen, jedenfalls geben sie ihm den Namen. Lese- und Hörproben der Romane finden sich auf der Verlagsseite https://perry-rhodan.net/für-einsteiger/unsere-produkte

292 Comic-Kolumne: Große Erwartungen ... nur zum Teil erfüllt

von Uwe Anton

Wenn heutzutage die Comic-Fassung eines Klassikers erscheint, wird sie meistens modernisiert, der heutigen Zeit angepasst. Das ist mitunter dringend nötig und geboten, manchmal nimmt es aber auch seltsame Auswüchse an. Man könnte fast glauben, wenn man heute einen Film über die zwölf Aufgaben des Herkules dreht, muss die Hauptdarstellerin eine rebellische Frau sein, die Zeus mal so richtig zeigt, wo der Hammer hängt, und ihn vom Thron stößt. Ganz ähnlich ergeht es auch der Comic-Neufassung von Die Insel des Dr. Moreau von H. G. Wells, einem Roman, der vor ziemlich genau 125 Jahren erstmals veröffentlicht wurde. Es ist nicht so einfach, so ein Buch in die Gegenwart

293 zu versetzen, nicht zuletzt wegen der Glaubwürdigkeit: Heute gibt es einfach keine kleinen unentdeckten Inseln mehr, auf denen ein genialer, wenn auch ein wenig verrückter Wissenschaftler seine bahnbrechenden Experimente unbemerkt von der Öffentlichkeit durchführen könnte. Ebenso gibt es heute keine genialen Wissenschaftler mehr, die etwa wie bei Robert A. Heinlein ihre Mondraketen unbemerkt von der Öffentlichkeit und in Heimarbeit auf dem Hinterhof zusammenbasteln. Die Gegenwart holt selbst die utopischsten Denkmodelle ein, und Originale, die früher wahrhaft brisante Themen aufs Tapet gebracht haben, sind so oft durchgenudelt worden, dass sie heute als Abklatsch ihrer selbst angesehen werden.

©: Panini 294 So strandet also kein Edward Prendick als Schiffbrüchiger auf der besagten Insel, sondern eine Ellie Prendick, die das fragile Gefüge durch ihre bloße Anwesenheit durcheinanderbringt, aber auch durch ihre Taten – und ihr Geschlecht. Als Frau hinterfragt sie die Aktivitäten des ehrenwerten Doktors, der wohl das Gute will, aber durch seine Hybris das Böse schafft, und setzt eine Handlungskette in Gang, an deren Ende so ziemlich alle Hauptpersonen tot sind. Eine Frau ist ja auch viel einfühlsamer als ein Mann, der schon mal ordentlich zupackt, und bringt Verständnis für die gequälten Kreaturen auf, die nicht unbedingt im Reagenzglas, doch zumindest auf dem Operationstisch entstehen. Wobei der Kern der Geschichte heute in der Tat vielleicht aktueller denn je ist. Letzten Endes fragt man sich aber: Was soll das? Wieso dieser Geschlechterwechsel, der der Geschichte an sich wirklich keine neuen Impulse gibt? Grafisch ist das alles schön in Szene gesetzt von Gabriel Rodriguez, der als Zeichner von Joe Hills Locke & Key bekannt wurde: Etwa sechzig Comicseiten, die eine eindringliche, auf das Wesentliche reduzierte Fassung der Geschichte präsentieren. Sie packt den Kern des Buches, zeigt die Umgebung und die neu geschaffenen Wesen vielleicht sogar etwas zu gefällig. Mehr ist inhaltlich leider nicht drin. Das könnte eine schöne, wenn auch etwas schmale Broschüre oder – vergrößert – ein etwas dickeres Album sein. Ein typischer Fall von Denkste. Panini veröffentlicht diese Neufassung, genau wie der amerikanische Lizenzgeber IDW, im amerikanischen Comicbook-Format, in dem sechzig Seiten aber höchstens ein etwas dickeres Heft ergeben. Doch man weiß sich zu helfen: Man packt noch ein paar

295 Titelbilder und Rodriguez' Originalzeichnungen drauf, die in wunderschönem Blau zeigen, wie wichtig die Arbeit eines guten Tuschezeichners (Rodriguez selbst) und Koloristen (Nelson Dániel) ist. Sechzig blauweiße Seiten, die eigentlich niemand sehen will (eine oder zwei Beispielseiten hätten hier wirklich gereicht), aber den Umfang mal eben verdoppeln und es ermöglichen, dieses Abenteuer in einem wohlfeilen Hardcover für 25 Euro zu präsentieren. Solch ein »Erfindungsreichtum« ist bei allen Qualitäten und allem guten Willen der Verfasser einfach nur noch ärgerlich. Aber wie sagen Schiffbrüchige seit jeher? Geld stinkt nicht, Dr. Moreau!

296 ©: Marvel

Hat er es noch drauf? Kriegt Garth Ennis es noch hin, eine neue Story mit dem Punisher Frank Castle zu verfassen, dem Protagonisten einer seiner besten und bekanntesten Serien aus alten Zeiten? Im Gegensatz zu Preacher ist sie ja nicht abgeschlossen. Der Punisher gehört dem Verlag Marvel und wird munter und mit wechselndem, meist geringerem, Erfolg von anderen Autoren fortgesetzt. Wollte Ennis es sich einfach noch einmal beweisen, falls er das überhaupt nötig hat, hatte er die Idee zu einer vielversprechenden Handlung, oder hat man ihm ein Angebot gemacht, das er einfach nicht ablehnen konnte? Wie dem auch sei, mit Punisher: Soviet (Russische Sünden) kehrt Ennis nach Jahren zu einem seiner beliebtesten Stoffe zurück. Der Punisher ist beunruhigt, zumindest beeindruckt. Die Straßen sind mit Leichen von Mitgliedern der russischen Mafia gepflastert, aber nicht er hat sie umgebracht, und das macht ihn besorgt. Ein Nachahmungstäter? Ein anderer Mann, der vor nichts zurückschreckt, mit einer Mission? Schon bald hat er die Spur des anderen »Bestrafers« aufgenommen. Es ist der Afghanistan-Veteran Valery Stepanovich, der eine ganz ähnliche Geschichte wie Castle selbst hat, nur viele Jahre später, der alles verloren hat und die Schuldigen (und alle anderen in ihrem Dunstkreis und darüber hinaus) nun zur »Rechenschaft« zieht. Frank Castle hat einen Seelenverwandten gefunden, doch dessen Geschichte verläuft etwas anders (und wesentlich kürzer) als die seine. Manche Äußerlichkeiten stimmen überein: Opfer mit abgeschlagenen Unterarmen und -schenkeln,

297 unvorstellbare Grausamkeiten, kaltblütige, menschenverachtende Gewalttaten. Was will der Autor uns damit sagen? Dass die Menschen sich nie ändern und die Schrecken des Krieges niemals enden? Dass sich gewisse Muster ewig wiederholen werden? Als ob wir das (als langjährige Punisher-Leser und auch sonst) nicht längst wüssten! Ob nun Vietnam oder Afghanistan, Krieg ist die Hölle. Nett, dass Garth Ennis uns noch einmal darauf hinweist. Eine Geschichte mit dem Punisher kann er zwar noch immer erzählen, aber nach irgendeiner Weiterentwicklung der Figur oder auch nur überraschenden Wendungen sucht man vergeblich. Er spult seine Geschichte glatt und gefällig herunter, und der Leser muss sich eingestehen: Der Punisher ist auserzählt und fristet sein Leben nur noch in permanenten Wiederholungen, deren Qualität die der großartigen Ennis-Erzählungen früherer Zeiten bei weitem nicht mehr erreichen. Das trifft auch zu, wenn Garth Ennis noch einmal persönlich zur Feder greift und aus irgendeinem Grund eine eigentlich völlig überflüssige Ergänzung hinzufügt, die letzten Endes leider nicht mehr ist als ein Wiederkäuen alter Themen.

298 ©: Egmont Ehapa

Versucht Egmont mit hochwertigen und preiswerten Alben, mit seinem Imperium der Maus (oder Ente) nun nach der Befriedung des Heftmarkts auch in diesen Bereich vorzudringen? Bei guten Geschichten wären deutsche Schauplätze natürlich ein Renner, und so verschlägt es Donald Duck (mitsamt seinen Neffen und seinem Onkel) in den ersten beiden Ausgaben nach München und Berlin. Allerdings konnte keins der beiden Debutalben überzeugen oder Lust auf mehr machen. Sowohl Donald Duck in München als auch … in Berlin entstammen der hierzulande eher ungeliebten italienischen Produktion. Die Abenteuer im Land der Weißwürste hat der argentinisch-spanische Zeichner Urios ersonnen, der auch schon in den 80er und 90er Jahren an den Abenteuern aus Onkel Dagoberts

299 Schatztruhe beteiligt war. Die Geschehnisse auf dem Brandenburger Tor und an der Berliner Mauer wurden sogar vorab in einem Lustigen Taschenbuch (und in drei strunznormalen Micky Maus-Heften) geschildert, was bei den Entenfans auch nicht für Begeisterungsstürme sorgen wird, da man in diesen unseren Landen gerade auf die Taschenbücher doch eher etwas verächtlich hinabschaut. Und das, so beweist die »Jagd durch Berlin« wieder einmal, keineswegs zu Unrecht: Die Zeichnungen sind eher bescheiden und sehr grob gehalten, die Handlung versprüht den Reiz eines zu lange gebratenen und daher zähen Enteninnenfilets in verkochter Orangensauce. Da ist nichts originell, witzig, spritzig; eine simple Geschichte wird simpel und mit den erwarteten Ingredienzen abgespult. Auch im Münchener Abenteuer kommt, abgesehen von einigen Dümmlichkeiten, kein echter Lokalkolorit rüber. Do legst di nieda! Aber anders, als der Klappentext es meint. Sogar die Panzerknacker tauchen hier als das auf, für was sie sich ausgeben: als dümmliche und gar nicht lustige Clowns. Die Zeichnungen sind vielleicht einen Deut besser, aber weit davon entfernt, den Band in irgendeiner Hinsicht retten zu können. Das alles wirkt gezwungen, bekannt, ausgelutscht, wie von der Stange. Ente, bleib bei deinem Braten. Bei den Tollsten Geschichten von Donald Duck zum Beispiel, von denen gerade das 400. Heft erschienen ist. Der harte Fan findet da zwar auch etwas zum Meckern, aber die bunte Zusammenstellung weist immer wieder einige kleine, moderne und ältere Perlen auf, die gelegentlich sogar lustig sind. In Entenhausen machen Donald, Dagobert und die Neffen auf jeden Fall mehr Spaß als in München oder Berlin.

300 ©: DC

Hill House Comics ist ein neues Sublabel beim amerikanischen Verlag DC, bei dem vorerst ein gutes halbes Dutzend Horrorserien angekündigt sind, die zum Teil von Joe Hill geschrieben, zum Teil von ihm »überwacht«, also herausgegeben werden. Die erste davon, das siebenteilige Basketful of Heads, liegt mittlerweile gesammelt als Hardcover vor. Getextet hat die Serie Stephen Kings Sohnmann persönlich, gezeichnet wurde sie von Leomacs; das ist der 1972 in Rom geborene Massimiliano Leonardo, der mit der Serie Lucifer schon einige Erfahrungen auf dem amerikanischen Markt gewinnen konnte. 301 Featuring incredible artwork, verkündet der Klappentext stolz. Und hier fangen die Probleme mit der Wahrnehmung schon an. Denn so unglaublich sind diese Zeichnungen gar nicht. Man könnte sie als strikt und halbwegs solide bezeichnen. Es fällt auf, dass manche Gesichter gar nicht »ausgemalt« wurden, nur als Umrisse zu sehen sind, ein irritierender und gewöhnungsbedürftiger Effekt. Und alles, was eine Comicseite außergewöhnlich macht, ganz zu schweigen von »unglaublich«, sucht man vergebens. Leomacs zieht seine Seiten kompetent, aber auch ziemlich einfallslos runter. Das gilt gewissermaßen auch für Joe Hills Story. Den »Korb voller (sprechender) Köpfe« sammelt June Branch, die auf Brody Island in Schwierigkeiten gerät, als ihr Freund, der Deputy Liam, entführt wird und plötzlich vier flüchtige Strafgefangene hinter ihr her sind. Durch Zufall findet sie eine alte Wikinger-Axt, mit der man ganz prima Menschen enthaupten kann, wonach die Köpfe dann jedoch gewissermaßen weiterleben, klug vor sich hin quasseln und ihre eigenen Ziele verfolgen. Joe Hill packt alles in die Story hinein, was ihm in den Sinn kommt: Drogengeschäfte, Geheimnisse der Vergangenheit, jede Menge Andeutungen. Keiner ist, wer er zu sein scheint, jeder hat etwas mit dem schmutzigen Drogenspiel zu tun, und irgendwann werden die Enthüllungen einfach nur noch unglaubwürdig. Aber am Ende wird alles gut: June bekommt doch noch völlig unerwartete Hilfe, die Axt (und die Köpfe) landen auf dem Meeresgrund, und die Sonne geht auf. Wie sie es früher oder später immer tut … Nun ja. Mit June Branch wird der Leser keine Sekunde lang warm, auch wenn sie eine taffe Frau ist, wie sie heutzutage in solchen Serien einfach vorkommen muss. Dafür stolpert

302 sie dann doch mehr oder weniger unbeholfen durch die Handlung, die sie anfangs so gar nicht verstehen will. Und die beiden Hauptbestandteile der Serie – die magische Axt und das Drogenkartell auf der kleinen Insel – wollen einfach nicht so recht zusammenpassen. Darüber hinaus kommt dem Leser das eine oder andere Setting, die eine oder andere Charakterisierung der Figuren irgendwie bekannt vor. Joe Hill vertraut hier Mustern, die man aus schon anderen seiner Stories und Romane kennt, und sei es nur eine Brücke, die eine symbolische Rolle spielt. »Die ersten vier Hefte schrieben sich praktisch von allein«, führt Hill in einem kurzen Nachwort aus. Genau diesen Eindruck erweckt der Comic: als hätte Hill einfach mal drauflos geschrieben und vier Ausgaben lang eine Geschichte entwickelt, ohne genau zu wissen, wie er sie dann beenden soll. Das Buch ist allerdings hervorragend produziert: ein wohlfeiles Hardcover mit tollem Schutzumschlag, dem obligatorische Abdruck der Variant-Cover und ein wenig Zusatzmaterial. Leider ist das Innere nicht genauso hochwertig wie das Äußere.

303 ©: DC

Ausgabe 44 der Batman Graphic Novel Collection bei Eaglemoss, Neal Adams Teil 3, ist gewissermaßen ein Ende und ein Anfang zugleich. Die Batman Graphic Novel Collection erscheint vierzehntäglich und zielt auf den Abonnenten-Markt ab, ist aber auch in Comic-Fachgeschäften erhältlich. Die von Panini betreute Reihe präsentiert Batman-Geschichten unterschiedlichsten Alters und unterschiedlichster Qualität, von Klassikern wie Moores Killing Joke und Millers Rückkehr des Dunklen Ritters bis hin zu einigermaßen abgeschlossenen relativ neuen Stories aus den Originalserien Batman und Detective Comics. Die Hardcover sind im Originalformat gehalten, also 304 dem der amerikanischen Comic-Books, und machen sich nicht schlecht im Regal – jedenfalls wesentlich besser als Hefte. Wie der Titel schon verrät, ist der vorliegende Band der dritte mit den klassischen Batman-Geschichten des vor kurzem verstorbenen Autors Denny O'Neil und des Zeichners Neal Adams. Und das ist auch der Haken an der Sache, denn dieses Material ist nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland in letzter Zeit so oft durchgenudelt worden, dass man die Texte fast schon singen kann. Was nicht heißen soll, dass die Geschichten eine weitere Ausgabe nicht verdient hätten. Denn sie sind wahrhaft ikonisch. Mit diesen Stories, den letzten, die Neal Adams Anfang der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts für Batman gezeichnet hat, nahm eine Entwicklung das Ende, die der Zeichner wenige Jahre zuvor eingeleitet hatte. Er holte Batman heraus aus der Nische der Bedeutungslosigkeit, in die der Verlag DC ihn bugsiert hatte, aus der Ecke für den eher harmlosen Kinderkram, die lustigen, »humorvollen« und letzten Endes unerträglichen Stories, die sich voll und ganz an der Fernsehserie orientierten, die damals immerhin für einiges Aufsehen sorgte, und gab ihn der Nacht zurück. Denn das ist Batman: ein Geschöpf der Nacht, rätselhaft, bedrohlich, geheimnisvoll. Damit begann eine Entwicklung, die bis heute anhielt. Auch wenn diese Comics fast 50 Jahre alt sind – Batman wird hier mit einer Meisterschaft dargestellt, die später kaum noch erreicht wurde. Die erste Seite vom Originalheft 251 fängt mehr von der Stimmung ein, die Batman auszeichnet, als es Generationen von Zeichnern vor und nach Neal Adams vollbracht haben, manche Darstellungen des

305 Fledermausmannes sind einfach ikonisch. Hier zeigt sich eine Kreativität, wie man sie zuvor und danach nur selten gesehen hat, und die Stories sind für die Zeit ihrer Entstehung durchaus hart und verspielt zugleich. Wer würde sich heutzutage trauen, einen missgebildeten Jungen mit Flossen statt Armen und Beinen zu zeichnen, wie Adams es in der ersten Geschichte des Buches getan hat? Und wenn Adams' Freund und Kollege Bernie Wrightson ihm die Idee für eine Geschichte gibt, kann er sich auch darauf verlassen, in dieser Story mitzuwirken (wie in der Halloween-Geschichte). Nach fast fünfzig Jahren hat Batman von Neal Adams nichts von seiner Wucht verloren, seiner graphischen Kraft, seinem Einfallsreichtum. So gesehen ist auch die neuerliche Veröffentlichung dieser Geschichten ihr Geld mehr als nur wert.

H. G. Wells/Ted Adams/Gabriel Rodriguez Die Insel des Dr. Moreau Panini, Stuttgart 2020, unpaginiert (etwa 128 S.), 25,00 €

Garth Ennis/Jacen Burrows Punisher Soviet: Russische Sünden Panini, Stuttgart 2020, unpaginiert (etwa 136 S.), 17,00 €

Sune Troelstrup/Flemming Andersen etc. Donald Duck in Berlin Francesc Bargadà Studios/Urios Donald Duck in München Egmont Comic Collection, Berlin 2020, jeweils 48 S., jeweils 9,99 €

306 Joe Hill/Leomacs Basketful of Heads DC Comics, Burbank 2020, unpaginiert (etwa 184 Seiten), € 24,99

Denny O'Neil/Neal Adams Batman Graphic Novel Collection 44 – Neal Adams Teil 3 Eaglemoss, La Garenne Colombes 2020, unpaginiert, € 13,99

Interview: »Arndt Ellmer ist ein Meister des sich langsam anschleichenden Horrors« Im Gespräch mit Torsten Low über die Großen Alten von Alexandra Trinley

Der Verleger Torsten Low hat Arndt Ellmers Romane zu den Großen Alten als Taschenbuch veröffentlicht. Diese drei Horrorromane in der Tradition Lovecrafts haben eine lange und interessante Geschichte. Das Interview führte Alexandra Trinley.

AT: Torsten, auf Cons trifft man dich unweigerlich im »Vorsicht, bissiger Verleger«-Shirt an. Beschreibe deinen Verlag in drei Sätzen. TL: Wir machen deutschsprachige Phantastik in allen Spielarten, bevorzugt für Erwachsene. Mein ganz persönliches Steckenpferd ist dabei die phantastische 307 Kurzgeschichte, von der sich die Publikumsverlage mittlerweile fast komplett verabschiedet haben. Leider, wie ich sagen muss – denn meiner Meinung nach bildet die phantastischen Kurzgeschichte den Ursprung der moderne Phantastik und hat einen höheren Stellenwert verdient.

AT: Nun hast du Arndt Ellmers »Große Alte« als Taschenbuch herausgebracht. Mit diesem Thema haben wir uns auf dem GarchingCon 2015 kennengelernt. Ich erspähte die Anthologie »Klabauterkatze«, der Ellmers gleichnamige Story den Titel gab und die ich schon länger hatte erwerben wollen, und dann unterhielten wir uns, mit Pausen, mehrere Stunden lang. Wie entstand deine Verbindung zu diesem Autor? TL: Das ist echt eine ganz witzige Geschichte. Ich komme ja aus der ehemaligen DDR und bin ursprünglich mit Jules Verne, Lem und Asimov und den sozialistisch angehauchten Utopien ostdeutscher und osteuropäischer Schriftsteller aufgewachsen. Horror hatte in der DDR keinen sonderlich guten Stand, abgesehen von einigen Klassikern (»Frankenstein«, »Dracula«) war zumindest mir dieses Subgenre komplett unbekannt. Bei meinem ersten Ausflug in den Westen habe ich dann ein paar Groschenhefte mitgenommen. John Sinclair und Perry Rhodan. Nach der Wende hab ich mich natürlich sofort umgeschaut, was es sonst noch so aktuell gab – und wurde direkt Abonnent von Dämonenland und wenig später von Perry Rhodan. Und ich lernte Arndt Ellmer als Autor lieben. Als ich dann 1996 im Meet-and-Greet bei Arndt Ellmer saß, stellte ich ihn die Frage, die mich damals sehr stark bewegte: »Was du für ›Perry‹ so schreibst, ist ja eigentlich

308 ganz nett. Aber wann schreibst du eigentlich mal wieder was über die Großen Alten?«

Foto: Torsten Low

AT: Wie das weiterging, beschreibst du in deinem »Verlagsgeplauder«-Videoclip. (Link im Anschluss, Anm. d. Red.) Hat sich dein Zugang zur Phantastik verändert, seit die DDR Geschichte ist? TL: Ja, ganz drastisch sogar. Ich meine, es gab bei uns damals auch Phantastik. Nur, diese war komplett anders. Dystopien und Horror waren Mangelware (wenn man mal von Klassikern absieht). Bei Fantasy hatte ich das Gefühl, alles abseits von Sagen, Märchen, Fabeln und Geschichten für Kinder galt als Eskapismus und war deswegen in Bibliotheken und Buchhandlungen absolute Mangelware. Auch Military SF war eher selten, dafür stand die (meist positive) Entwicklung des Menschen und der Gesellschaft

309 (meist in Richtung des Kommunismus) im Vordergrund. Die Welt der Phantastik wurde nach der Wende einfach vielfältiger und bunter. Dazu gehört auch, dass explizit die dunkleren Farben der Phantastik stark Einzug hielten.

AT: Wie kamst du zur »Klabauterkatze«? TL: Wir hatten 2009 mit den »Metamorphosen« unseren ersten Band »Auf den Spuren H. P. Lovecrafts« herausgegeben – ohne damals zu wissen, dass dieses Buch der Startschuss für eine unserer besten Kurzgeschichten-Reihen sein sollte. Als wir uns dann entschieden, einen Nachfolger zu bringen, fiel mir eben dieses Gespräch aus dem Meet-and-Greet mit Arndt Ellmer ein. Ich schrieb Arndt eine Email und nahm darauf Bezug: »Als wir uns in Garching 1996 getroffen haben, fragte ich dich, wann du eigentlich mal wieder was über die Großen Alten schreibst – und du antwortetest mir damals, dass es aktuell keine Verlage mehr gäbe, die sich für diese Art von Geschichten interessierten. Heute hat sich die Lage geändert – es gibt einen Verlag. Meinen! Lieber Arndt, ich will eine cthuluide Geschichte zum Thema ›Fundstücke des Grauens‹ von dir! Wärst du dabei?« Wenige Stunden später kam eine Antwort, bestehend aus einem einzigen Wort: »JA!« So bekam ich Arndt und seine Geschichte.

AT: Auf jenem GarchingCon 2015 hast du mir begeistert von den Großen Alten erzählt, und wie viel dir daran liegt, die drei Heftromane als Taschenbuch zu veröffentlichen. Was ist der Grund für dieses Interesse? TL: Ich habe den Cthulhu-Mythos ursprünglich über die Geschichten von zwei Autoren erkundet. Der eine war

310 Wolfgang Hohlbein mit seinem »Hexer«, der andere war Arndt Ellmer mit der »Großen Alten«-Trilogie. Wegen dieser beiden Autoren habe ich überhaupt erst zu Lovecraft gefunden, habe später dann Derleth, Smith und Lumley gelesen. Und nicht zuletzt war es genau diese Verbindung, die mich dazu gebracht hatte, bei den »Metamorphosen« zuzuschlagen. Mir wäre als Leser ein unheimlich spannender Mythos mit unheimlich interessanten Ausprägungen entgangen, wenn ich diese Bücher nicht gelesen hätte. Der Hexer wurde in den letzten Jahren wiederholt neu aufgelegt, mittlerweile gibt es sogar verschiedene Hörbuchfassungen. Arndts Zyklus jedoch wurde vergessen. Ich fand, es war an der Zeit, anderen Lesern die Möglichkeit zu geben, den Mythos ähnlich kennenzulernen, wie ich ihn kennengelernt habe.

AT:Ich wiederum Ellmer zwei Jahre später, also 2017. auf den 2. Perry Rhodan Tagen in Osnabrück und erzählte ihm von unserem Gespräch. Er hat mir einen Kaffee gekauft und mir seinerseits berichtet, wie interessant dein Angebot für ihn war, und wie er jene Mail schrieb, die nur das Wort »JA!« enthielt. Nun sorgte seine schwere Erkrankung, von der er sich inzwischen gut erholt hat, für weitere Verzögerungen. Ab wann habt ihr ernsthaft an der Publikation weitergearbeitet? TL: Wirklich ernst wurde es Anfang diesen Jahres. Da unterschrieb Arndt den Vertrag – und erst dann konnte ich endgültig loslaufen. Und dann ging alles Schlag auf Schlag. Ich gebe zu, ich habe die Situation auch ein wenig ausgenutzt.

311 AT: Ausgenutzt? TL: Mhh, das kann man jetzt vielleicht falsch verstehen. Aber als im März das Pandemie-Thema aktuell wurde, wurde quasi von einem Moment auf den nächsten die Basis unseres Verlages komplett zerstört. Wer uns kennt, weiß: Wir sind Vagabunden, Con-Junkies, Messe-Hopper. Bei der Preisverleihung für den BuchmesseCon-Sonderpreis nannte uns der Laudator Tom Daut die »Kelly-Family der deutschen Phantastik«, weil wir als Familienunternehmen auf fast allen wichtigen Phantastik-Events waren. Ich liebe es, am Stand zu stehen und mit den Besuchern über Bücher zu ratschen. Und all das war von einem Tag auf den anderen vorbei. Ich gebe zu, ich bin am Anfang in ein verdammt tiefes Loch gefallen – wie wahrscheinlich fast jeder, der in ähnlicher Weise betroffen war und ist. Dieses Buch jedoch war in gewisser Weise schon immer mein Traum. Sollte ich mir meinen Traum jetzt durch äußere Umstände kaputtmachen lassen? Also zogen wir es durch – ignorierten, dass es eigentlich keine vernünftige Möglichkeit geben würde, das Buch auf einer Veranstaltung zu präsentieren und machten das, was wir am besten konnten: ein geiles Buch. Getreu unserem Motto »Hier ist gute Phantastik zu Hause!«

312 AT: Was sieht man auf dem Titelbild? TL: Das Titelbild ist natürlich eine ganz klare Reminiszenz an das Titelbild von »Dämonenland« 120. Die beiden jungen Frauen, die von einem Shoggothen angegriffen werden, waren auch beim Original schon abgebildet. Zusätzlich sieht man auf der linken Seite steile Klippen, von Wellen umtost – ein Hinweis darauf, dass diese Geschichte an der Küste spielt, wie ja viele Geschichten des Mythos auch. Auf der rechten Seite sieht man Cthuga, den Feurigen, einen der Großen Alten.

313 AT: Gehen wir den Klappentext durch. Die Geschichte spielt 1926 A.D. und 66 Jahre später, grässliche Ungeheuer suchen England heim. Woran bemerkt man sie? TL: Eigentlich spielt sie sogar 1926, wird im zweiten Teil 66 Jahre später fortgesetzt und findet weitere 66 Jahre später im Jahre 2058 ihren Abschluss. Ja, woran bemerkt man sie eigentlich. Zunächst mal durch die Abwesenheit von etwas. Beispielsweise der Abwesenheit bestimmter Menschen. Oder Tiere. Oder auch der Abwesenheit bestimmter … mhh … Körperteile an Tieren, beispielsweise Kühen. Ja, viel mehr möchte ich dazu eigentlich nicht sagen. Nur so viel: Arndt Ellmer ist ein Meister des sich langsam anschleichenden Horrors.

AT: Leider kenne ich kaum etwas von Lovecraft, auf dessen Chulthu-Mythos die Romane zurückgreifen. Cthuga, der Feurige, der Jüngste der Großen Alten, ist der kanonisch oder neu erfunden? TL: Als ich den Roman das erste Mal las, wusste ich noch nicht so viel über den Mythos. Und ich nahm Cthuga so hin, wie er von Arndt beschrieben wurde. Erst später erfuhr ich, das bereits von Derleth ein Cthugha entwickelt wurde, ein alles verzehrendes Flammenwesen. Meines Wissens nach gehört er zu den eher unbekannteren Großen Alten, der den Menschen ab und an wohlgesonnen scheint, was aber eher seiner Feindschaft zu Nyarlathotep zu verdanken ist, den er wohl immer wieder behindern möchte, wo es nur geht. Nun, Arndt Ellmers Cthuga möchte den Menschen ebenso helfen, und auch da hat man bis zuletzt das Gefühl, dass es nicht allein aus reiner »Menschenfreundlichkeit« geschieht.

314 AT: Was sind die typischen Ingredienzien eines Lovecraft-Romans? Schleimspuren, Parallelwelten, menschenähnliche Echsen? TL: Tentakelwesen, eine Architektur, die für unsere Sinne seltsam verdreht und verbogen ist und keine rechten Winkel zu kennen scheint, das namenlose Grauen, welches sich langsam anschleicht und oftmals nicht wirklich sichtbar wird. Und nicht zuletzt das, was für mich gleichzeitig faszinierend wie auch abstoßend ist. Lovecraft rührt in seinen Geschichten an unseren Urängsten, lässt uns gruseln über das Fremde. Und wenn man diese Geschichten bewusst liest, lässt es – zumindest mich – gleichzeitig gruseln, wie schnell der Mensch durch diese Angst jegliches rationale Denken ablegen kann. »The oldest and strongest emotion of mankind is fear, and the oldest and strongest kind of fear is fear of the unknown«, so schreibt er in seinem Essay über die unheimliche Literatur. »Das älteste und stärkste Gefühl ist Angst, die älteste und stärkste Form der Angst, ist die Angst vor dem Unbekannten.« Da ist verdammt viel dran, nicht wahr?

AT: Ist der Roman nicht auch eine Art Fan-Fiction? TL: Nun ja – theoretisch hast du recht. Praktisch mag ich diese Bezeichnung in Verbindung mit dem Cthulhu-Mythos nicht. Fan-Fiction hat für mich den schlechten Beigeschmack von teilweise sehr unprofessionellen Hobbyautoren, die damit auch Urheberrechtsverletzungen begehen (während Lovecraft selbst äußerst großzügig mit seinen eigenen Werken umging und andere ermutigte, sich Ideen aus

315 seinen Geschichten und dem Mythos auszuleihen und in eigene Geschichten einzubauen). Ziemlich sicher ist, dass weder Lovecraft noch der Mythos heute diese Bedeutung hätten, wenn nicht schon zu Lebzeiten andere Autoren seinen Mythos aufgegriffen und erweitert hätten und das auch noch nach seinen Tod getan hätten. Nun waren es jedoch nicht irgendwelche Hobby-Schreiber, sondern durchaus anerkannte Autoren, die sich auch abseits des Mythos einen Namen gemacht haben. Als Beispiel: Howard schrieb einerseits Kurzgeschichten im Mythos, andererseits bekannte und erfolgreiche Fantasy wie »Conan der Barbar« oder »Solomon Kane«. Aber ja, der reinen Definition nach wäre es schon ein Art Fan-Fiction.

AT: Ellmers Geschichte endet im Jahre 2058. Da gibt es eine Armee von Protoplasmawesen, den Shoggothen. Wie kann ich mir solche Wesen vorstellen? TL: Zellhaufen von etwa fünf Metern Durchmesser aus schwarzer, gallertartiger Masse, die einen erbärmlichen Gestank verströmen. Mit Tentakeln. Vielen Tentakeln. Hab ich schon die Tentakel erwähnt?

AT: Äh! Gehört dieses alte England eigentlich auch in die Kategorie »Steampunk«? TL: Definitiv nicht. Das England aus dem ersten Teil entspricht dem England unserer Welt des Jahres 1926. Halt nur mit Shoggothen.

316 Das England des zweiten Teils entspricht demnach auch jenem England unserer Welt des Jahres 1992. Mit Shoggothen. Und mit Cthuga. Bei dem England des dritten Teils war ich damals ein wenig enttäuscht. Ich meine, es war 1992, ich war gerade mal siebzehn, die Welt schien im Aufbruch, alles im Wandel. Als SF-Begeisterter erwartete ich mir 2058 einfach eine andere Welt als die, die Arndt Ellmer im Roman schilderte. Nicht falsch verstehen – ich liebte den Roman. Aber ich fand das geschilderte England so … altmodisch, so technisch rückständig. 2058 klang für mich nach Zukunft. Ich hatte auf Lufttaxis und Beamen, auf Replikatoren und Städte der Zukunft, auf ein rasend schnelles weltweites Informationsnetz und überall erreichbare Kommunikatoren, auf Weltraumkreuzfahrten und auf den Sieg über den Welthunger gefreut. Ein wenig Hauch von Perry Rhodan. Arndts Schilderung der Zukunft war für mich damals ein wenig … ernüchternd. Heute weiß ich es besser. Ich meine, wir haben 2020. Bis zu Arndt Ellmers Zukunftsvision aus dem dritten Teil bleiben uns popelige 38 Jahre. Die ersten 28 Jahre haben wir verschwendet und von all den oben genannten Punkten ist maximal das weltweite Informationsnetz und der Kommunikator Realität geworden. Und beim Internet gibt es gerade in Deutschland noch mehr als genug Regionen, in denen das »rasend schnell« ein Traum geblieben ist. Und die Kommunikatoren sind auch nicht überall erreichbar. Und wenn ich aktuell – in Zeiten des Brexits – nach Großbritannien schaue und mir vorstelle, was manchen Regionen im Norden Englands oder in Wales in den nächsten Jahren und Jahrzehnten wohl noch bevorstehen mag, war Arndts Vision des

317 heruntergekommenen Fischerdorfs wohl näher an der Zukunft des Jahres 2058 dran, als ich mit meinen von Star Trek und Perry Rhodan geprägten Vorstellungen.

AT: Das Taschenbuch hat eine edle Aufmachung, und wer es nicht besser weiß (oder das Nachwort liest) wird den Dreierroman für eine Einheit halten. Findest du trotzdem typische Merkmale des Heftromans daran? TL: Nun, eines der typischen Merkmale ist der Umfang. Man muss halt auf ca. 56 engbedruckten Heftromanseiten die Story zu einem befriedigenden Abschluss bekommen haben. Gleichzeitig muss man bei einem Mehrteiler wie diesen hier genügend Elemente offenlassen, dass ein Nachfolger schlüssig wirkt. Das ist auf jeden Fall erfüllt. Beides. Zudem muss man sagen, dass viele Serien heute einen für Heftromane verdammt hohen Qualitätsstandard haben. Für Perry Rhodan oder auch Maddrax schreiben heute unwahrscheinlich gute Autoren, die man auch aus anderen Zusammenhängen kennt. Beispielsweise Oliver Plaschka, Robert Corvus oder Andreas Eschbach. Im Vergleich dazu gab es in den Heftromanen der 70er, 80er oder 90er nur wenige Heftromanautoren, die mich so sehr begeistert hätten, dass ich sie heute sofort mit einer Geschichte in meinen Verlag hätte haben wollen. Arndt Ellmer ist einer dieser wenigen.

318 Foto: Arndt Ellmer

AT: Zur Zeit ist Arndt Ellmer sehr glücklich damit beschäftigt, endlich seine Umzugskisten auszupacken und sein Arbeitszimmer zu gestalten. Werdet ihr aus seinem Fundus an Manuskripten noch weitere Publikationen machen? TL: Ich bin aktuell in einen sehr regen Emailkontakt mit Arndt Ellmer. Wir schicken uns eigentlich fast jeden zweiten Tag eine Email – und ja, weitere Publikationen sind dabei auch immer wieder ein Thema. Ich bin da für unwahrscheinlich viel offen. 319 Ich weiß beispielweise ziemlich genau, was in der einen Umzugskiste war. Und nein, ich verrate es nicht. Aber die Ellmer-Fans werden garantiert begeistert sein, das kann ich euch schon jetzt versichern.

AT: Danke für die Auskünfte. TL: Habe ich noch die Möglichkeit für ein, zwei abschließende Sätze?

AT: Gern! TL: Eine internationale Studie hat festgestellt, dass Vielleser durchschnittlich 21 Prozent mehr verdienen. Also – lest mehr Bücher. Und zwar nicht nur die wirklich phantastischen (in mehrerlei Hinsicht) Bücher aus dem Verlag Torsten Low, sondern auch aus anderen Verlagen. Denn es gibt unwahrscheinlich viele aktive deutschsprachige Kleinverlage, die richtig tolle Bücher machen. Und genau die brauchen jeden einzelnen Verkauf. Damit sie auch morgen noch richtig tolle Bücher machen können. Vielen Dank für das Interview.

Torsten Low hat die Entstehungsgeschichte der Publikation auch in einem »Verlagsgeplauder« auf YouTube erzählt https://youtu.be/7XY8yh1EU84

Arndt Ellmer: In den Fängen der GROSSEN ALTEN https://www.verlag-torsten-low.com/de/Romane-SF-Horror- Fantasy/Horror/in-den-faengen-der-grossen-alten-arndt-ell mer.html

320 Arndt Ellmer in der Perrypedia https://www.perrypedia.de/wiki/Arndt_Ellmer

Rezension: Die Star-Trek-Chronik 1: Star Trek Enterprise von Uwe Anton

Star Trek: Enterprise (2001 – 2005) war die fünfte und letzte Real-TV-Fernsehserie, bevor das Franchise eine lange Pause einlegte, die erst von Star Trek Discovery (2018) beendet wurde. Wegen zurückgehender Zuschauerzahlen (und damit Werbeeinnahmen) wurde die Serie bereits nach vier statt (wie geplant und bei den drei Vorgängerserien auch umgesetzt) sieben Staffeln eingestellt. Sie ist die chronologisch früheste Star Trek-Serie; die ersten Folgen spielen im Jahr 2151, etwa jeweils 100 Jahre nach der ersten Begegnung der Menschheit mit den spitzohrigen Vulkaniern und vor der Fünf-Jahres-Mission des legendären gleichnamigen Schiffs von Captain Kirk, die dann doch nur drei TV-Jahre währte. Eine ausführliche Betrachtung der Serie legt nun das Autorenteam Prahl/Sülter/Walch vor, von Ausführungen über die Entstehung bis hin zu Informationen über die beruflichen Aktivitäten der Stars nach deren Ende. Rückgrat des Buches ist natürlich der Episodenführer. Nach mitunter durchaus ironischen Einführungen zu jeder Folge geben die Autoren angenehm kurz den Inhalt wieder, finden dafür aber umso ausführlicher mehr oder weniger kritische, aber 321 auch lobende Worte zu den einzelnen Episoden. Bei diesen Einschätzungen scheint das Konfliktpotenzial unter den drei Star Trek-Experten eher gering, die Übereinstimmung der Ansichten eher groß zu sein. Bei aller unendlicher Mannigfaltigkeit in unendlicher Kombination sind die Kollegen Prahl und Walch nur selten anderer Meinung als Kollege Sülter, der die Kritiken zu den Folgen verfasste, scheuen sich aber nicht, sich gegebenenfalls zu Wort zu melden, falls es an Konsens mangelt. Natürlich kommt es bei der Diskussion von 98 Episoden mitunter zu ähnlichen Formulierungen und ähnlicher Kritik. Das ist jedoch kein Manko; was will man von einem Episodenführer auch anderes erwarten? Den Verfassern merkt man ihre Liebe zu Star Trek Enterprise durchgehend an, aber sie schrecken nicht davor zurück, Wiederholungen bei den Strickmustern einzelner Folgen aufzuzeigen, auf serienimmanente und logische Fehler aufmerksam zu machen und Mist zu nennen, was Mist ist. Sie berücksichtigen auch formale Kriterien und sparen vom Schnitt bis zur Musik nichts aus – und loben, wo es etwas zu loben gibt. Auch bei einem solchen Sachbuch sind manche Punkte subjektiv. Die Verfasser stören sich z.B. nicht daran, dass der Hund des Captains die Reise mitmacht und bei einer Außenmission auf einem unerforschten Planeten einfach mal als erster aus dem Landeboot in einen Wald rennt und an einen Baum pinkelt. Vernachlässigt Captain Archer seine Sorgfaltspflicht gegenüber seinem vierbeinigen Schutzbefohlenen hier nicht ganz gewaltig? Wer weiß, was im Unterholz auf Hundi lauert? Und wo, bitte schön, soll der niedliche Porthos eigentlich an Bord des Schiffes sein

322 kleines und großes Geschäft erledigen? Ein vollautomatisches Hundeklo wird meines Wissens jedenfalls nie gezeigt. Ganz pfiffig ist das schulnotenähnliche Bewertungssystem, bei dem man auf zuvor erklärte Bildsymbole zurückgreift. Auch auf Porthos: Die Folgen, die sein Abbild ziert, sind z.B. cool (also gut). Die Gestaltung des Buches ist allerdings leider nicht besonders übersichtlich. Der Verlag muss bei den nächsten Episoden-Führern dringend den Satz verbessern, sonst kommt der Leser sich vor wie in einer Star-Trek-Folge mit dem Titel Verloren in der Bleiwüste. Star Trek Enterprise ist ein Sachbuch, dem es gelingt, jede Menge Fakten und Informationen auf eine Art und Weise zu vermitteln, die Spaß macht und interessant zu lesen ist. Cool, die Herren! Dafür gibt es allemal einen Porthos.

Infos Reinhard Prahl/Björn Sülter/Thorsten Walch Osdorf 2020, in Farbe und Bunt Verlag, 534 S., € 14,80

323 Rezension: Firefly: Die glorreichen Neun

von Bernd Perplies Eigentlich ist Jayne Cobb kein Mensch, der für seine Selbstlosigkeit bekannt ist. Aber auch der raubeinige Söldner hat in jungen Jahren mal eine Frau geliebt, und als sich diese alte Flamme plötzlich bei ihm meldet und ihn um Hilfe bittet, fackelt er nicht lange, sondern packt sein geliebtes Sturmgewehr Vera ein und zieht los – die ganze Crew der »Serenity« im Schlepptau. Sie ziehen in einen Kampf, der auf den ersten Blick aussichtslos erscheint. Auf den zweiten übrigens auch. Und den dritten. Shiny. Die Geschichte von der unschuldigen Gemeinschaft, die von einer Verbrecherbande bedroht wird und Hilfe durch eine Gruppe rechtschaffener Außenseiter erhält, war schon nicht neu, als sie 1960 von Regisseur John Sturges in dem heute als Klassiker geltenden Western Die glorreichen Sieben 324 verarbeitet wurde (den dieser Firefly-Roman offensichtlich zitiert). So war schon der eben genannte Streifen bloß eine Adaption des japanischen Samuraifilms Die sieben Samurai von Akira Kurosawa aus dem Jahr 1954. Und auch in den Folgejahrzehnten sollte das Motiv der Wenigen gegen Viele zum Schutz Wehrloser immer wieder aufgegriffen werden. Etwa in Vier Fäuste für ein Halleluja (1971) mit Bud Spender und Terence Hill. Oder in der Firefly-TV-Episode Leichte Mädchen (2002), in der die ehemalige Companion Nandi ihre alte Freundin Inara Serra bittet, ihr lauschiges Bordell gegen einen fiesen Großgrundbesitzer und seine Leute zu verteidigen.

325 ©: Panini

Gerade vor dem Hintergrund dieses letzten Beispiels hat man auf den ersten Seiten des vorliegenden Romans ein wenig das Gefühl, dass es sich Autor James Lovegrove sehr leicht gemacht hat. Eine alte Freundin, die ein Besatzungsmitglied der »Serenity« anfleht, eine Gruppe Wehrloser gegen Finsterlinge zu verteidigen? Das klingt in der TV-Episode und im Roman – der übrigens zwischen der TV-Serie und dem Kinofilm Serenity – Flucht in neue Welten (2002) angesiedelt ist – sehr ähnlich. Doch natürlich hat der Roman deutlich mehr Raum als die Fernsehfolge, was sich in zusätzlichen Komplikationen und Verstrickungen – und dem einen oder anderen Perspektivenwechsel – niederschlägt. So bleibt der Leser nicht ausschließlich bei Malcolm Reynolds und der »Serenity«-Crew, sondern erlebt auch einige Momente etwa aus der Sicht von Huckleberry U. Gillis, dem Bürgermeister der Kleinstadt Coogan's Bluff, die im Visier der grausamen Bande der Scourer unter ihrem unmenschlichen Anführer Elias Vandal steht. (Das sorgt übrigens später für ein kleines Plotproblem, denn die Entwicklung von Gillis passt nicht so ganz zu den Szenen aus seiner eigenen Sicht.) Aber nochmal einen Schritt zurück. Jayne Cobb, der nicht nur das Cover des Romans ziert, sondern auch der eigentliche Protagonist der Geschichte ist, erhält zu Beginn eine Wave von einer gewissen Temperance McCloud, die auf der öden Staubkugel Thetis lebt. Wie sich herausstellt, handelt es sich dabei um seine ehemalige Partnerin und Geliebte Temperance Jones, mit der er in seiner Frühzeit Gaunerjobs durchgezogen hat – bevor sie ihn vor dreizehn 326 Jahren sitzen ließ. Doch ungeachtet seiner Wut auf sie ist seine Liebe nach wie vor größer, und er überzeugt die Crew der »Serenity«, mit ihm nach Thetis zu fliegen, um für miese Bezahlung einen viel zu gefährlichen Auftrag zu übernehmen: Temperance gegen Elias Vandal und seine Bande zu helfen, der sich den Planeten Siedlung für Siedlung mit brutaler Gewalt einverleibt. Obwohl der Captain (wie so oft) erstmal dagegen ist, fliegen sie am Ende natürlich doch – und Jayne erwartet auf Thetis nicht nur der Kampf seines Lebens, sondern auch eine alte Freundin, die eine dreizehnjährige Tochter hat … Humor, Soap-Elemente, Action und Gewalt. Lovegroves Roman hat alles, was man von einer zünftigen Firefly-Folge erwartet, und fühlt sich dabei atmosphärisch sehr richtig an. Auch die Charaktere trifft Lovegrove ausnehmend gut. Sowohl in der Sprechweise als auch im Handeln erkennt man sie gleich wieder – was auch daran liegen mag, dass sich der Autor nicht zu schade ist, ein paar gelungene Phrasen aus der TV-Serie zu klauen und sie den Helden erneut in den Mund zu legen. Nur die Gewalt sticht an zwei bis drei Stellen etwas unschön (und auch mal etwas klischeehaft) hervor. Hier hat man das Gefühl, als habe Lovegrove die Schraube etwas anziehen wollen, um vor allem den Antagonisten entsprechend hassenswert zu präsentieren. Andererseits hatte auch Joss Whedons TV-Serie ihre dornigen Momente (wir erinnern uns an einen Mal, der auch mal einen Gegner durch eine Raumschiffturbine tritt). Der Showdown bietet am Ende eine zünftige Massenschießerei, hakt für mich aber trotzdem im Detail, weil er den »Mythos« Elias Vandal zu gründlich zerlegen will

327 und zudem eine eher nutzlose Kavallerie ins Spiel bringt. Das ist allerdings Kritik auf hohem Niveau. Unterm Strich ist James Lovegrove auf den 320 Seiten eine sehr flotte und unterhaltsame »Doppelfolge« gelungen, die sich nahtlos zwischen TV-Serie und Kinofilm einfügt und jedem Firefly-Fan wärmstens empfohlen werden kann. (Außerdem hat das Buch ein extrem schickes Cover! Allein dafür muss man es als »Browncoat« eigentlich besitzen.) Fazit Der Roman Die glorreichen Neun bietet gelungene Firefly-Unterhaltung, die man am liebsten an zwei bis drei Abenden in einem Rutsch durchlesen möchte. Setting und Charaktere sind perfekt getroffen, allerdings stolpert der Plot an ein paar Stellen kurz über seine eigenen Füße. Darüber kann man hinweglesen, man hätte sich diese Momente aber etwas eleganter gewünscht. Alles in allem eine kurzweilige, stilistisch gut getroffene »Lost Episode«, die nach der TV-Serie die Abenteuer von Malcolm Reynolds & Co weitererzählt und Lust auf mehr macht. Firefly: Die glorreichen Neun Film-/Serien-Roman James Lovegrove Panini Books 2019 ISBN: 978-3-8332-3780-5 320 S., Paperback, deutsch Preis: EUR 15,00

328 Rezension: Alan Lee ist Mit dem Hobbit unterwegs

von Birgit Schwenger Das Skizzenbuch des bekannten Tolkien-Illustrators ist in einer exquisiten Buchausgabe in der Hobbit Presse von Klett-Cotta erschienen Nachdem John Howe bereits mit Reise durch Mittelerde im letzten Jahr einen prächtigen Bildband zu den Schauplätzen des Hobbit und des Herrn der Ringe in der Hobbit Presse veröffentlicht hat, legt Alan Lee nun mit einem nicht minder schönen Skizzenbuch nach. Lee, der gemeinsam mit Howe, beides ausgewiesene Tolkien-Kenner, als Conceptual Designer maßgeblich an der Entstehung der Herr-der-Ringe- und Hobbit-Trilogie von Peter Jackson beteiligt war, konzentriert sich dabei auf den Hobbit, für den er bereits eine wunderschöne illustrierte Ausgabe schuf. Im Gegensatz

329 zu Howe, der sich in seinem Buch auf Reisen durch Mittelerde begibt und dieses durch Bilder zum Leben erweckt, gibt Lee Einblick in die kreativen Prozesse seiner Arbeit und konzentriert sich auf seine persönlichen Gedanken und Abenteuer, die ihn dabei begleitet haben. In insgesamt sieben Kapiteln widmet sich Lee in chronologischer Reihenfolge der Reise »Dorthin und wieder zurück«: Von Beutelsend durch die Leeren Lande und das Nebelgebirge führt er die Leser durch das Wilderland und den Düsterwald bis hin zur Seestadt, Thal und Erebor, dem Einsamen Berg. Bilbos Haus und das Auenland sind so schön und gemütlich, dass man gar nicht weg möchte, schon gar nicht auf eine abenteuerliche Reise zu einem gefährlichen Drachen! Eine Vielzahl von Entwürfen zeigt, wie viel Arbeit in der detailreichen Ausgestaltung der Figuren und Orte steckt. Für die Häuser in Hobbingen ließ sich Lee z. B. von den strohgedeckten Häusern Devons und anderen ländlichen Gebieten Englands inspirieren. Eine weitere Quelle, um seine Phantasie für den kreativen Erschaffungsprozess anzuregen, sind Waldspaziergänge, was gerade beim Hobbit naheliegt. Seine Arbeitsweise beschreibt der gebürtige Engländer als Abfolge mehrerer Schritte: Mit ersten Bleistiftstudien zu Teilaspekten eines Werks beginnt er, sich ein Bild zu machen, anschließend folgen Recherchen im Internet oder in Fachbüchern über geeignete Kostüme, Waffen, Landschafts- oder Architekturbeispiele. Fotos sieht er als nützlich an, betont aber, dass wir Dinge anders sehen, wenn wir sie detailliert gezeichnet haben, als wenn sie fotografiert worden sind. Es ist das intensive Betrachten, dass einen die Dinge wirklich sehen und erfassen lässt, ist Lee überzeugt. Seine Vorlage dabei ist natürlich immer der Text selbst, der die Bilder in 330 seiner Phantasie entstehen lässt. Manchmal sind es auch reale Orte, die er vor Augen hat, wie z. B. Bowerman’s Nose, eine Felsformation in der Nähe seines Wohnorts, die er in die Trollhügel aus dem Hobbit verwandelt hat.

©: Klett-Cotta Bruchtal empfindet der Zeichner als Einladung, »seine eigene Version einer idealen Lebensweise zu erschaffen«. Er beschreibt die Schwierigkeit, eine gleichwertige Bildsprache zu finden, um das Alter, die Größe und den Stil der Geschichte auszudrücken, die der Autor mit seinen Worten – und in Tolkiens Fall auch mit seinen eigenen Bildern – erzählt. Unter den Konzepten und Entwürfen, die in den Filmen keine Verwendung fanden, sind auch Zeichnungen für ein Vogelhaus und eine Bibliothek in Bruchtal. Lees

331 Skizzen kommen den Bildern, die mancher sich von einem Paradies voller Frieden, Musik und Büchern macht, schon sehr nahe. Eines der neuen Gebäude, das für Eine unerwartete Reise entworfen wurde, ist die Kammer, in der sich die Mitglieder des Weißen Rates in Bruchtal treffen. Bei den Orks konzentrierte sich Lee vor allem auf die Orte, an denen sie leben, um diese noch bedrohlicher und gefährlicher zu machen. Allein acht Seiten sind Beor, seinen Tieren und seinem eigentümlichen Haus gewidmet. »Der Düsterwald (…) ist Tolkiens Version der geheimnisvollen Wälder der europäischen Romantik und des Märchens«, schreibt Lee, in denen jeder unweigerlich den Weg verlieren und sich verirren wird. Gleichzeitig beschreibt er, wie aus einem Geflecht von Wurzeln und Zweigen in seinem Kopf dieses Labyrinth aus Bäumen, dieser imaginäre Wald entstanden ist. Rhosgobel, die Heimstatt Radagsts, des braunen Zauberers, ist ein weiteres kunstvolles Meisterwerk aus den Federn von Alan Lee und John Howe. Für Lee war es wichtig, dass das Haus die Persönlichkeit und die Geschichte seines Bewohners widerspiegelt. Doch galt es, nicht nur lebenswerten Orten, sondern auch verstörenden und gefährlichen wie Dol Guldur, das Reich des Nekromanten, für das Lee eine ganz andere Bildsprache verwendet hat, Gestalt zu verleihen: Alles ist »geprägt von scharfen, kantigen Linien, verwittertem Stein und rostigem Metall (…)«. Als Fest für den Zeichner rühmt Lee die Szenen mit den Spinnen im Düsterwald, die er für eine der besten Stellen des Buches überhaupt hält. Die Hallen des Elbenkönigs ließen den Illustratoren viel Freiraum bei der Gestaltung, da Tolkien keine detaillierte Beschreibung des Elbenreiches im Hobbit liefert. Eins von Lees Lieblingssets war das Haus des Bürgermeisters von Seestadt, was 332 vielleicht auch der Grund ist, warum Howe und er einen kleinen Cameo-Auftritt als musikalische Herolde in Seestadt erhielten – und dafür sogar ihre Instrumente selbst designten. Natürlich dürfen auch die Entwürfe für Thal und das unterirdische Zwergenreich von Erebor nicht fehlen, wobei Lee mit besonderem Interesse an den Zeichnungen von Smaug gearbeitet hat, da er für Drachen seit vielen Jahren eine besondere Liebe hegt. Lee schreibt, dass er auch nach all den Jahren immer noch tiefen Respekt vor Tolkien hat und jedes Mal beim Lesen der Geschichte eine tiefe Freude empfindet. Das sieht man seinen Zeichnungen und Bildern an! Er schafft das Kunststück, in Bildern und Worten gleichermaßen zu erzählen. Peter Jackson urteilt über das Werk des Illustrators: »Alan Lees Werk hat eine eigene Schönheit und Poesie. Seine Kunst hat das eingefangen, was ich mit den Filmen zu erreichen hoffte.« Die in der Hobbit Presse im September 2020 erschienene Ausgabe vereint hunderte Zeichnungen und Entwürfe, die für die Verfilmung des Hobbits entstanden sind, und begleitet den schöpferischen Prozess von der ersten Idee bis zum fertigen Werk. Das Buch enthält außerdem einige neue Farbillustrationen, die Lee extra für dieses Buch geschaffen hat. Die Übersetzung aus dem Englischen stammt von Helmut W. Pesch, dem bekannten Tolkien-Experten und Autoren. Weiterführende Informationen https://www.amazon.de/Mit-dem-Hobbit-unterwegs-Skizze nbuch/dp/3608983716/

333 https://smile.amazon.de/Reise-durch-Mittelerde-Illustration en-Beutelsend/dp/3608985646/

Rezension: Mikkel Robrahn lässt in Hidden Worlds: Der Kompass im Nebel die spanische Inquisition gegen die Welt der Magie antreten von Birgit Schwenger

Vor vielen Jahrhunderten ist es der Kirche gelungen, das Portal zum mythischen Avalon zu verschließen. Elfen, Zwerge und andere Fabelwesen sind seitdem in unserer Welt gestrandet und suchen den Weg zurück durch das Portal zu der sagenumwobenen Insel. Doch die Kirche kennt keine Gnade: Ihre Inquisitoren machen Jagd auf die letzten, im Jahr 2019 noch verbliebenen magischen Wesen in der Welt der Menschen. Von all dem hat der junge Elliot jedoch keine Ahnung, als er in der schottischen Hauptstadt Edinburgh seinen Job bei einem Burgergrill verliert. Da sein Vater nach einem Unfall arbeitsunfähig ist und seine Mutter die Familie bereits kurz nach Elliots Geburt verlassen hat, folgt der junge Mann dem Rat seines Vaters und wird bei einem alten Bekannten der Familie, Theodore, dem Inhaber eines Kilt-Shops, vorstellig. Dieser ist bereit, ihn einzustellen, verlangt jedoch, bevor er ihm mehr über seine Arbeit erzählt, seine Unterschrift unter einen Vertrag, der Elliot zu seinem großen Erstaunen zum Angestellten des

334 Merlin-Centers, des Kaufhauses für das Phantastische macht. Er muss einwilligen, »seine Dienste in Merlins Erbe zu stellen, das Phantastische zu schützen, seine Geheimnisse zu wahren und gegen seine Feinde zu verteidigen.« Kurz darauf findet er sich nach einem Teleportationszauber inmitten der schottischen Highlands wieder und betritt das unglaubliche Kaufhaus, in dem es Zaubererbedarf aller Art gibt: neben Tränken, Artefakten, Büchern, Besen und anderen Transportmitteln auch Fabelwesen und magische Waffen. Elliot wird der Abteilung für Fabelwesen zugewiesen, die der Buffalome Gerry leitet, der, halb Bison, halb Mensch, mit einer Körpergröße von 2,50 m einen nachhaltigen Eindruck auf Elliot macht.

335 ©: FISCHER New Media

Gleich an seinem ersten Tag handelt sich Elliot jedoch einen Verweis ein, als ein Unglück passiert und ein kleines Elfenmädchen fast von einer Herde Gnolle, hyänenartigen Pferden, gefressen wird. Dummerweise ist sie die Tochter einer der reichsten Elfenfamilien der Welt, den Le Flamencs, die man sich besser nicht zu Feinden macht. Er lernt auch die Elfe Soleil Boulanger kennen, die in der Abteilung für magische Waffen arbeitet, und erfährt, dass es seiner Mutter gelungen sein soll, die Avalon-Formel zu entschlüsseln, die angeblich das Portal zur Welt der Magie

336 wieder öffnen kann. Offenbar hat sie seinen Vater und ihn verlassen, um sie vor der Inquisition zu beschützen, die ihr auf den Fersen war und sie auf Lebenszeit in ihr Gefängnis in Rom gesperrt haben soll. Elliots Neugier ist geweckt: Er will mehr über Avalon herausfinden und deckt sich mit Büchern aus dem Merlin-Center ein, die ihm schnell klarmachen, dass seine Mutter ihm längst alle Hinweise hinterlassen hat, die er braucht, um die Formel zu finden und das Portal nach Avalon wieder zu öffnen. Gemeinsam mit Soleil lässt er sich auf ein gefährliches Abenteuer ein, das den Untergang der magischen Welt zur Folge haben könnte.

Nach der gemeinsamen Buchveröffentlichung von Viggo: A PietSmiet Story von Mikkel Robrahn und PietSmiet 2019 ist am 26. August 2020 Robrahns erster Roman im Fischer Verlag erschienen. Auf 352 Seiten lässt Robrahn den jungen Schotten Elliot den Kampf gegen die heilige Inquisition wagen, was für einen Fantasy-Roman, der in unserer Zeit spielt, doch ein eher ungewöhnliches Unterfangen ist und schon allein damit für Witz und Spannung sorgt. Genau wie die Leserinnen und Leser muss sich auch Elliot schon einmal allein daran gewöhnen, dass – ähnlich wie bei Harry Potter, aber doch anders – eine magische Welt in der unseren existiert, quasi im Untergrund, unbemerkt von den meisten Menschen. Elliots Wissensdurst, mehr über diese andere Welt herauszufinden, macht es auch den Lesern leicht, mehr darüber zu erfahren, zumal Robrahn das Ganze mit kleinen, lustigen Anspielungen auf das Genre spickt. So erfährt man z. B., dass das Ungeheuer von Loch Ness Martyn heißt und schon immer das Rampenlicht gesucht hat, und dass der Weltumsegler Charles Dewwyn, Sohn

337 einer Elfe und eines Hochseekapitäns, auf seinen Reisen zahlreiche fabelhafte Lebewesen wie den dreiköpfigen Affen – Monkey Island lässt grüßen – und Nixen entdeckt hat. Das alles ist sehr kurzweilig und amüsant zu lesen, allerdings dauert es ein bisschen, bis die Geschichte an Fahrt aufnimmt und sich die Ereignisse schließlich fast ein bisschen überschlagen. Vermutlich liegt das zum Teil auch daran, dass der Verlag sich mit dem Buch eher an jüngere Leser richtet – es ist als Fischer Kinder- und Jugendbuch veröffentlicht worden. Das soll aber keinesfalls heißen, dass es für ältere Leser nicht lesenswert ist. Es bietet im Vergleich nur nicht die Tiefe und Handlungsdichte, die man von anderen Fantasy-Werken gewohnt ist. Aber was nicht ist, kann ja noch werden: Hidden Worlds ist als Reihe konzipiert, d. h. man darf gespannt sein, was Elliot und seine Freunde im zweiten Band erwarten wird.

Rezension: Nachbarn von Peter R. Krüger

In der Science-Fiction tummelt sich nun ein Geschwisterpaar im Jahre 2320. In genau 300 Jahren sucht nämlich die siebzehnjährige Bren ihre Schwester Cay. Dafür kommt sie extra vom Mars zur Erde, die nun aber etwas anders aussieht, als wir es heute gewohnt sind. Die Städte liegen inzwischen unter riesigen Glaskuppeln, weil die Atmosphäre inzwischen ziemlich giftig geworden ist. Kein Wunder also, dass die beiden Geschwister davon träumen, sich ein Leben auf dem Mars zu verwirklichen. Denn auf beiden Planeten müssen sie unter einer Kuppel leben. Und

338 wenn der Mars die bessere Option ist, dann macht das schon mal neugierig. Als Bren dann jedoch auf der Erde ankommt, ist ihre Schwester nicht da. Und nicht nur das, sie ist verschwunden. Klar, dass sich Bren auf die Suche nach ihrer Schwester macht. Erster Anhaltspunkt ist die Wohnung der Schwester und natürlich die Nachbarn, die etwas über ihren Verbleib wissen könnten. Viel mehr soll vom Inhalt nicht preisgegeben werden, denn schöner ist es, diese Geschichte selbst zu erkunden und Bren auf ihrer Suche als Leser zu begleiten. Nele Sickel hatte in der Vergangenheit bereits einige interessante Kurzgeschichten geschrieben und tritt mit Nachbarn nun ihr Debut als Romanautorin an. Erschienen ist das rund 250 Seiten starke Buch im Talawah Verlag. Der Schreibstil ist flüssig und gut zu lesen und der Geschichte an sich kann man sehr gut folgen. Alles in allem ein Roman, der nicht nur Science-Fiction-Fans für eine Weile ins vierundzwanzigste Jahrhundert entführen kann.

339 ©: Talawah Verlag

340 Werbung

341 Kurzgeschichte des Monats

Liebe Kurzgeschichten-Freunde, heute haben wir die Siegerstory unserer Themenrunde „Diebe“ im Angebot: „Erntezeit“ von Samuel Sommer, der damit sein Debüt im Corona Magazine feiert.

Herzlichen Glückwunsch und wieder einmal besten Dank an alle anderen Autoren fürs Mitmachen. Allen Lesern wünschen wir viel Vergnügen bei der Lektüre und freuen uns genauso wie unsere Autoren über Rückmeldungen – ob per E-Mail oder in unserem Forum unter dem Dach des SF-Netzwerks (www.sf-netzwerk.de).

Die nächsten Themen unseres regelmäßigen Story-Wettbewerbs lauten „Narren“ (Einsendeschluss: 1. Mai 2021) und „Alle Wege führen nach Rom“ (Einsendeschluss: 1. November 2021).

Wer Interesse hat, sich mit einer bislang unveröffentlichten Kurzgeschichte (Science-Fiction, Fantasy, Horror, Phantastik – keine Fan-Fiction) zu beteiligen, die einen Umfang von 20.000 Zeichen nicht überschreitet, schickt seine Story (möglichst als rtf-Datei, bitte auf keinen Fall als pdf) rechtzeitig per E-Mail an die Kurzgeschichten-Redaktion, die unter [email protected] zu erreichen ist.

Die nach Meinung der Jury (meistens) drei besten Geschichten werden im Corona Magazine veröffentlicht.

342 Armin Rößler

343 Kurzgeschichte: Erntezeit von Samuel Sommer

1 »Nicht so schnell, Muru!«, warnte Dom das Kind, während er sich den Schweiß aus dem Gesicht wischte und für einen Moment die Augen schloss. Es war ein verflixt heißer Erntetag und alle würden froh sein, wenn die Arbeit getan war. Entgegen der Warnung sauste Muru weiter um die Arbeiter herum, die alle entlang der vom Traktor gezogenen Furche die an die Oberfläche gerüttelten Kartoffeln in braune Säcke füllten. Kurz hinter Muru liefen die Kinder von Ann und Mat, beide beinahe zu alt zum sorglosen Herumtoben und nächstes Jahr vielleicht schon unter den Helfern. »He, alter Mann. Keine Müdigkeit vortäuschen.« Jemand pikte ihn freundschaftlich in die Seite, und Dom blickte in das Gesicht seiner wunderbaren Frau. »Ich bin nicht alt«, brummte er. Seitdem er dieses graue Haar hatte, machte es ihr anscheinend Freude, ihn mit seinem Alter aufzuziehen. Er tat dann immer so, als fühle er sich in seiner Ehre gekränkt, aber eigentlich war das gar nicht so. Er warf einen letzten Blick den weiten Hang hinunter, der voller Äcker, Wiesen und Felder war, die bis an die ersten Fachwerkhäuser von Niederfluss grenzten, ihrem Heimatdorf. Dann widmete er sich wieder dem Aufsammeln der Töften. Als der Sack annähernd voll war, band Dom ihn mit dem Geschick vieler Jahre mit einem blauen Band zu und schulterte den Sack, um ihn zum Wagen zu bringen.

344 »Nicht alleine!«, protestierte seine Frau, als sie sah, dass er das schwere Ding einmal mehr ganz alleine schulterte. »Ich bin alt«, entgegnete er. »Aber nicht zu alt für einen Sack Kartoffeln.« Seine stämmigen Beine brachten ihn sicher zu dem großen Wagen, und mit Schwung beförderte er den Sack zu den anderen. Wie immer staubte es ordentlich. Beinahe dreißig Säcke hatten sie bereits sorgfältig auf dem Wagen gestapelt. Vorne, ganz obenauf, saß der kleine Tom und freute sich mit einem glucksenden Lachen über jeden Sack, der seine Burg vergrößerte. Dom machte eine Grimasse, und das Kind fing darauf wieder an zu kichern. In dem Alter waren sie noch leicht zu beeindrucken. Es war das jüngste seiner Enkelkinder. Insgesamt sieben Stück waren es mittlerweile, und wenn es gut lief, dann würden auch noch ein paar mehr hinzukommen. Er hoffte es zumindest. Man konnte nie genug Helfer haben. Von der dem Kartoffelacker gegenüberliegenden Weide kam der verzweifelte Schrei eines Karabi-Rindes zu ihnen herüber. Der alte Bulle versuchte erneut erfolglos, eine seiner Frauen zu besteigen, aber offenbar war niemand in rechter Stimmung heute. Alle Arbeiter auf dem Feld blickten kurz auf und beobachteten das Spektakel mit grinsenden Gesichtern. »He, Paps. Wann schlachten wir den alten Bullen endlich und du kaufst dir einen neuen. Einen, der nicht so alt ist?«, fragte sein ältester Sohn Darius. »Es kommt nicht auf das Alter an«, meinte Dom überzeugt. »Außerdem hat er ab und an ja noch Glück. Ich gönne ihm noch ein oder zwei Jahre.«

345 »Irgendwann ist er zu alt, um ihn noch an den Schlachthof zu verkaufen.« »Dann ist das eben so. Wir sind doch hier nicht in den Kernwelten«, meinte er. Auf anderen Planeten mochten Geld und Gewinn wichtiger sein als alles andere, aber hier war das nicht der Fall. Er war ja auch nicht ausgewandert, weil ihm solche Dinge wichtig waren. Er war ausgewandert, weil er mit seinen eigenen Händen ehrliche Arbeit machen wollte. Die beste Entscheidung seines Lebens. Seit dreißig Jahren war er hier glücklich. Da die Arbeiter die komplette Reihe aufgelesen hatten, warf Dom wieder den Traktor an. Hinten angehängt war ein spezieller Pflug, der durch Drehen des bepflanzten Damms die Kartoffeln an die Oberfläche förderte. Als die Kinder bemerkten, dass es eine weitere Runde mit dem Traktor gab, kamen sie laut schreiend angelaufen und setzten sich zu ihrem Großvater auf die beiden Plätze links und rechts von ihm. Dabei quetschten sich zwei oder drei Kinder auf den Platz, der eigentlich für eine Person vorgesehen war. Dom begann lächelnd, den Pflug zu senken, und all seine Helfer kamen heran, um die nächsten Säcke zu füllen. Schlussendlich arbeiteten sie bis in den späten Nachmittag hinein. Zwischendurch gab es belegte Schwarzbrote mit Marmelade, und alle saßen gemeinsam auf dem Berg aus gefüllten Säcken und ließen es sich gutgehen. Vito und Carla, ihre neuen, aber stets hilfsbereiten Nachbarn, erzählten von Vitos Zeit bei den Sternenkriegern, und auch wenn Dom die Geschichten schon einige Male gehört hatte, verloren sie einfach nie ihre Wirkung, und Vito vollbrachte das Kunststück, sie immer wieder aufregend und spaßig zu erzählen. Die Augen der Kinder füllten sich dann mit Sehnsucht, und sie schienen sich zu fragen, ob sie wohl

346 eines Tages auch zu den Sternen und fremden Welten reisen könnten. Wenn man bedachte, wo genau ihre Heimat lag, dann war das wohl eher unwahrscheinlich. Und wenn sie wüssten, was sie dort draußen erwartete, dann würden sie wohl auch nicht mehr dorthin wollen. »Alles einpacken!«, rief Dom gegen halb sechs. Voller Stolz blickte er auf das abgeerntete Feld und einen vollgepackten Anhänger. Den Pflug würde er über Nacht hier stehen lassen. Jetzt galt es, den Anhänger an den Traktor zu kuppeln und die Kartoffeln noch heute einzukellern. Die Kinder nahmen wieder bei ihm auf dem Traktor Platz, während es sich die Helfer allesamt auf dem Säckeberg bequem machten. Sie waren alle gemeinsam hergefahren, und sie würden auch alle gemeinsam wieder zurückfahren. Genüsslich zuckelte Dom über die Feldwege und kam schließlich, in der Nähe des Dorfes, auch wieder auf gepflasterte Straßen. Keine fünfhundert Meter vor dem ersten Haus entfernt dröhnte ein Horn, durchdringend und tief, durch das gesamte Tal, und Dom bekam eine Gänsehaut. Alle Augen auf dem Wagen richteten sich gen Himmel, und am Horizont stieß ein schwarzer Klecks rasend schnell näher. »Sie kommen!«, brüllte Dom und trat das Gaspedal durch. Jetzt würde es auf jede Minute ankommen. Die Kinder schrien, die Erwachsenen blickten sich ängstlich in die Augen, und ein jeder, der religiös war, faltete die Hände zum stillen Gebet. Dom blickte sich um, und sein Blick begegnete dem seiner Frau. Eine unvergossene Träne schien in ihren Augen zu liegen, und wortlos teilte Dom ihr mit, dass sie sich keine Sorgen machen musste.

347 Das Horn erklang ein zweites Mal. In der Ferne sahen sie einige Menschen zwischen den Häusern herlaufen. Panisch und schnell. Hinein in die Bunker. Dom wusste, dass sie zu weit draußen waren. Sie würden es nicht rechtzeitig bis zu ihrem Haus schaffen. Trotzdem musste er es versuchen. Trotzdem musste er irgendwie alles geben, um seine Familie zu beschützen. Der Klecks am Himmel kam näher, das Röhren riesiger Aggregate drang an ihre Ohren, das Flimmern von Energiefeldern roch nach fremden Aggressoren. Das Raumschiff parkte über dem Ort, verdunkelte die Sonne, und aus verdeckten Luken sausten Gleiter zu ihnen herab. »Halt kurz an. Wir können es bis zum unserem Bunker schaffen!«, rief Vito. »Nein, du musst …!« »Halt jetzt an, du alter Narr!« Dom trat auf die Bremse, damit Vito und seine Frau absteigen konnten. Gemeinsam rannten sie über die Wiese der Schornsteinfegerfamilie und versuchten, irgendwie ihr Heim zu erreichen. Doch einer der Gleiter brauste aus dem Himmel. Ein Geschoss löste sich, wirbelte durch die Luft und traf die beiden Flüchtenden. Dom konnte sehen, wie sie sich in einem dichten Netz verfingen und durch lähmendes Gift ihre Bewegungen langsam erstarben. Der Gleiter landete, sammelte das Netz auf, und zusammen mit seiner Beute brauste er wieder zum Raumschiff empor. Dom war wie gelähmt. Sie hatten seine Nachbarn geholt. Die verdammten Diebe hatten seine Nachbarn geholt. Die Leute, die er seit drei Jahren kannte und schätzte. Die ihm jeden Sommer auf dem Feld geholfen hatten. »Dom! Fahr!«, kreischte sein Sohn und holte ihn wieder zurück in das Hier und Jetzt. Sein Fuß stieß herunter, und

348 der Traktor beschleunigte wieder. Die Kinder rechts und links von ihm weinten, während um sie herum Paraton-Gleiter niederstürzten und auf Menschenfang gingen. »Wir schaffen es!«, versicherte er seinen Kindern. »Wir schaffen es. Gleich sind wir in Sicherheit!« Dann zuckte etwas aus dem Himmel, und einer der Gleiter angelte sich Muru aus dem Sitz. Entsetzt starrte Dom auf die leere Fläche und begann zu schreien. »Nein. So nehmt doch mich. Nehmt doch bitte mich!«

2 »Nicht so schnell, Chara!«, murrte Elkon seine Kollegin an, während sie über den makellosen Flur schritten. Es war ein verflixt anstrengender Erntetag, und alle würden froh sein, wenn die Arbeit getan war. »Keine Müdigkeit vortäuschen«, meinte Chara nur und warf ihm einen dieser Blicke zu, die alles bedeuten konnten. »Niemand wird sich beschweren, wenn die Listen zwei Minuten später online sind«, sagte er. Er wusste, dass er damit recht hatte. Sie wusste, dass er damit recht hatte. Und dennoch würde es keinen Unterschied machen. Chara war immer mit vollem Einsatz bei der Arbeit, und es war ihr wichtig, dass alles zur vollsten Zufriedenheit der Administration gemacht wurde. Ein Lift brachte sie sieben Etagen nach unten, und sofort wurden sie von einem roten Warnlicht empfangen. Während der Ernte waren die unteren Ebenen immer auf Gefahrenstufe geschaltet, denn schließlich konnte man nie so genau wissen, was einen erwartete. Chara schnappte sich ein Pad von der Wand und loggte sich mit ihrem Daumenabdruck in das System ein.

349 Elkon nahm eine der nebenliegenden Waffen, während er darüber nachdachte, ob er sie heute vielleicht fragen sollte. Vielleicht war heute der Tag, an dem er es wirklich tun sollte. Sie war Single. Er war Single. Alles konnte passieren. Und so wie die Sache aussah, hegte sie durchaus Sympathien für ihn. Zumindest verstanden sie sich während der Arbeit ausgesprochen gut. Chara flitzte um die nächste Biegung und stoppte vor der großen Sicherheitstür. Rasch gab sie ihren Code ein, und das Schott zischte zur Seite. Ein unangenehmer Geruch wehte ihnen entgegen. »Ah, sie stinken heute aber besonders«, meinte Elkon. Er ekelte sich vor diesem Geruch. Man konnte nur hoffen, dass die Desinfektion alle Keime erwischt hatte und nicht irgendwelche Killer-Bakterien den Weg in das Schiff gefunden hatten. Zu ihrer linken war nun eine große Scheibe. Das Glas war nur in eine Richtung blickdurchlässig, und so hatten die Menschen auf der anderen Seite keine Ahnung, dass man sie bereits beobachtete. Die von den Gleitern gefangenen Individuen wurden entkleidet und schließlich auf Transportbändern durch die Desinfektionsduschen gefahren. Ein Scanner suchte weiterhin nach Waffen, die bei der Entkleidung entgangen sein konnten. Manche waren bewaffnet, wenn sie herkamen und hatten sich anscheinend geschworen, möglichst viel Schaden anzurichten. Das waren allerdings nur wenige. Die meisten zitterten wie Espenlaub, hatten Tränen in den Augen und schrien ihre Angst und ihre Wut heraus. Besonders die Kinder waren häufig Schreier. »Sieht gut aus!«, meinte Elkon mit einem prüfenden Blick. Da hatte es schon schlimmere Exemplare gegeben.

350 »Wir sind auf V-00 IX«, las Chara aus dem Protokoll vor. »Ungenehmigte Kolonie seit knapp hundert Jahren. Wird von Deserteuren bewohnt, die größtenteils während der großen Kalt-Offensive aus den Armeen der Administration getürmt sind!« Ihr Gesicht verzog sich abschätzig. Sie hatte kein Mitleid mit diesen Verrätern. Alle Menschen mussten ihren Teil zum Wohlergehen der Menschheit beisteuern, und diese dachten einfach, sie könnten sich davor drücken. Sie dachten, sie könnten sich dem einfach entziehen und am Ende des Universums ein neues Leben anfangen. Das war Pack, und sie hatten es nicht anders verdient. Gemeinsam mit Elkon schritt sie neben den Transportbändern her. Sie sahen zu, wie die besonders Aggressiven mit einem Sedativum beruhigt und schlussendlich zur Stempelung gebracht wurden. Durch eine weitere Sicherheitstür kamen sie zum ersten Mal in direkten Kontakt mit der Ernte. Von Angesicht zu Angesicht. Elkon entsicherte seine Waffe und versuchte, möglichst bedrohlich zu schauen, während Chara die eingebrannten Barcodes einscannte und mit der Datenaufnahme der Gefangenen begann. Viele der Daten waren bereits vorprogrammiert. Von welcher Welt. Von welchen Koordinaten. Anatomische Merkmale wie Größe, Geschlecht und ungefähres Alter waren während des Transportvorgangs automatisch erfasst worden. Nun galt es, nur noch ein paar Dinge zu ergänzen. Routiniert spulte Chara ihr Programm ab. »Und wie heißt du?«, fragte sie ein kleines Mädchen, während sie den Barcode an ihrer Schulter scannte. »Muru«, antwortete das Mädchen schüchtern. Ihre Augen waren gerötet, und es lag eine tiefe Angst darin.

351 Chara tippte den Namen ein und stellte einige Testfragen, um die geistige Gesundheit der Ernte zu testen. Für ihr Alter und den Umstand ihrer Erziehung war sie auf einem guten Niveau. »Was macht ihr mit mir?«, fragte Muru. »Du wirst in eine Schule kommen. Eine richtige Schule, nicht das, was du kennst. Dort wirst du lernen, wie du deine Fähigkeiten besser einsetzen kannst. Im Kampf gegen die Schwarzaugen brauchen wir alle Kräfte.« Muru sah sie verständnislos an. Natürlich. Wie sollte sie es auch verstehen? »Weißt du, eines Tages wirst du es verstehen. Deine Eltern oder Großeltern haben vor vielen Jahren eine böse Sache gemacht. Sie sind einfach abgehauen und haben sich nicht ihrer Verantwortung gestellt. Diesen Fehler müssen wir nun korrigieren. Wir brauchen jeden Mann.« »Wo ist meine Mama?« »Wenn sie nicht hier ist, dann ist sie zu alt.« Alte Menschen konnte man nicht mehr umerziehen. Das war schwierig und die Mühe meist nicht wert. Elkon räusperte sich hinter ihr. Er hatte recht. Sie durfte keine Zeit verschwenden. »Geh durch die Tür dort hinten. Da bekommst du etwas zum Anziehen!« Sie schubste die Kleine davon und widmete sich dem nächsten Objekt. Seltsam, dass ausgerechnet Elkon sie zur Arbeit antrieb. Normalerweise war es doch immer umgekehrt. Sie fragte sich, ob er sie wohl mal zu einem privaten Treffen einladen würde.

Es zitterte, als das Schiff aus dem Hyperraum austrat, und beinahe wäre der Teller mit Brei vom Tisch gefallen. Elkon

352 reagierte blitzschnell und fing ihn ab, bevor Schlimmeres geschehen konnte. »Gute Reflexe!«, kommentierte sie. Er grinste und schaute etwas betreten auf die Konzentratnahrung, die es als einzige an Bord des Schiffes gab. Er wünschte sich, ihr erstes Date hätte etwas glamouröser ausfallen können als in der vollbesetzten Bordkantine, aber solange sie auf Erntemission waren, würde es wohl ausreichen müssen. Er war schon froh genug, dass sie seiner Einladung überhaupt gefolgt war. Und er platzte beinahe vor Stolz. Es war das Beste, was ihm in den letzten Monaten passiert war. So hatte diese unselige Mission tatsächlich noch etwas Gutes gebracht. Gemeinsam saßen sie in der Kantine und taten so, als hätten sie diesen Moment nur für sich allein. All die anderen hungrigen Leute um sie herum existierten in diesem Moment nicht. Durch das große Panorama-Fenster konnten sie sehen, wie ihre Heimatwelt sich langsam in ihr Sichtfeld schob. Eine riesige grüne Kugel, deren majestätische Schönheit Elkon jedes Mal einen wohligen Schauer über den Rücken jagte. Es tat gut, wieder nach Hause zu kommen. Doch nicht weit von ihrer Heimatwelt entfernt dröhnte plötzlich ein Alarmsignal durchdringend und tief durch die Kantine. Elkon bekam eine Gänsehaut. Alle Augen in der Kantine richteten sich in den Weltraum und auf der Ekliptik stieg ein schwarzer Klecks rasend schnell näher. »Sie kommen!«, brüllte Elkon, und seine Hand fasste automatisch nach Chara. Leute schrien, blickten sich ängstlich in die Augen, und ein jeder wusste, dass er an diesem Ort nicht davonlaufen konnte.

353 »Sie werden uns nicht kriegen«, sagte Elkon, und er wusste nicht, ob er damit Chara oder sich selbst Mut machen wollte. »Vielleicht kommen sie nicht zu uns«, nickte Chara. Doch sie kamen. Der Aggressor zuckte aus dem Himmel und manövrierte sich genau über das Ernteschiff. Die Energie versagte, und es wurde völlig dunkel in der Kantine. Sobald das Licht ausging, wurde es seltsam still. Niemand sagte etwas, und alle lauschten in die Stille hinein. Vielleicht hatten sie ja alle Glück. Dann flammte ein Lichtkegel auf, und die erste Person verschwand. Dann weitere. Immer mehr. Wie ein diebisches Stroboskop. Und auf einmal bemerkte Elkon, dass er nicht länger Charas Hand hielt. Der Platz neben ihm war leer. Er begann zu schreien.

3 Khashnamph saß in der Zentrale seines Schiffs und überwachte mit seinen erweiterten, zerebralen Hirnstämmen die eingehenden Datenflüsse. Mehrere Tausend gleichzeitig. Sensoren überwachten den Weltraum außerhalb seines Schiffs. Automatiken steuerten das Schiff nach seinen Anweisungen. Künstliche Intelligenzen pflückten die zu holende Ernte von ihren Koordinaten und brachten sie in das Reservoir, wo Androiden sich um die weitere Abfertigung kümmern würden. Alles geschah mit genauer Präzision und exakt nach dem vordefinierten Muster. Nichts wurde dem Zufall überlassen. Alles wurde überwacht. Die gesamte Aktion dauerte drei Minuten siebenundvierzig Sekunden und war damit genau im Rahmen des geplanten

354 Zeitfensters. Eine Abweichung von fünf Sekunden wäre toleriert worden, aber alles andere hätte wohl einen Fehlschlag bedeutet. Khashnamph transferierte sein zentrales Bewusstsein durch die Lichtkanäle seines Schiffs in seinen Second Mobile Suite, und als die Sensoren des Androiden zum Leben erwachten, fühlte es sich beinahe an, als würde er die Augen seines wirklichen Körpers öffnen. Auf vier künstlichen Gelenken bewegte er sich durch den Bauch des Schiffs und machte sich an die Inspektion seiner Ernte. Säuberlich waren sie wie trocknende Wäsche an der Leine für ihn aufgeknüpft worden, niemand mehr bei Bewusstsein. Khashnamph stellte eine drahtlose Verbindung zu den Nähr-Maschinen her und empfing innerhalb von einer Sekunde alle relevanten Lebensdaten der Beute. Insgesamt vierhundert Individuen hatte er an Bord gebracht, einige davon eindeutig in einem nicht ausgewachsenen Zustand. Das ärgerte ihn. Immer häufiger trafen sie auf Rohmaterial, für das sie keine Verwendung hatten. Die Weibchen mussten geschlechtsreif sein, wenn man sie sofort einsetzen wollte. Sie hatten keine Zeit, lange zu warten. Das war nicht vorgesehen. Er duplizierte sein Bewusstsein in einen Memo-Mirror und betraute die Kopie seiner selbst damit, sämtliche Schiffssysteme entsprechend umzuprogrammieren, damit solch ein Fehler sich endgültig nicht wiederholen konnte. Es ging schließlich um das Überleben seiner Spezies, und da hatten sie keine Zeit, sich mit Fehlern herumzuplagen. Sein primäres Ich wanderte im künstlichen Körper weiter an seiner Ernte vorbei und begann mit der Zuteilung für entsprechende Aufgaben. Der

355 Hirnstamm der Probanden wurde angepasst und ihnen ihr ursprüngliches Bewusstsein geraubt. Dafür setzte er neue Befehlsroutinen in ihre Körper, damit sie sofort mit der effizienten Arbeit beginnen konnten. Der ganze Inspektionsgang dauerte nur fünf Minuten. Derweil ging das Schiff wieder auf Streamgeschwindigkeit und verließ die Milchstraße. Ihm war bewusst, dass diese Galaxis die Heimat aller Menschen war. Auch jener, die schon lange ihre Muttergalaxis verlassen hatten und etwas anderes geworden waren. Auch seine Vorfahren hatten einst so gelebt wie diese Menschen. Primitiv und umständlich. Er gab ihnen eine neue Aufgabe. Er gab ihnen ein besseres Leben. Ein notwendiges Übel in schwierigen Zeiten. Sie brauchten jeden Mann gegen die Aggressoren. Er loggte sich aus dem Suit aus und sackte wieder in seinen realen Körper zurück. Nährflüssigkeit sorgte für wohlige Wärme, und er absorbierte mit seinen Drüsen schmatzend die notwendigen Nährstoffe. Sein Körper hatte nur wenig Ähnlichkeit mit denen seiner Vorfahren. Als er aus dem Stream trat, hätte die Überraschung nicht größer sein können. Die Sensoren entdeckten den Feind sofort. Keine fünf Lichtjahre von der Mutterstation entfernt hallte ein Warnsignal durchgehend und tief durch das Schiff. »Sie kommen!«, stieß Khashnamph erschrocken hervor, während die Automatiken des Schiffs eine Fluchtroute programmierten. Jetzt kam es auf jede Sekunde an.

Ende?

*

356 Samuel Sommer, Jahrgang 1982, lebt und arbeitet im Siegerland. Im Berufsleben schubst er als Controller die Zahlen eines Industrieunternehmens von links nach rechts, in seiner Freizeit jagt er die Protagonisten seiner Space-Operas von einer Galaxis zur nächsten. Zuletzt erschien im März 2020 Space Vikings – Die Letzten Wikinger. Weitere Informationen zum Autor und seinen Büchern unter https://simongod.jimdo.com/

357 Phantastische Wissenschaft

Ressortleiter Reiner Krauss

Subspace Link – Neues aus dem All

Ein Blick über unsere Köpfe

Beiträge von Reiner Krauss und R. M. Amerein

Neue galaktische Ausblicke und spannende Berichte über uns …

… davon berichtet seit vielen Jahren Ihr Reiner Krauss, jetzt unterstützt ihn die neue Autorin R. M. Amerein mit weiteren spektakulären Beiträgen …

358 SpaceX Crew Dragon – Erfolgreiche Landung der Endeavour

©: NASA / SpaceX / Wasserung der Endeavour im Golf von Mexico Nach 62 Tagen an Bord der Internationalen Raumstation ISS sind die beiden SpaceX-Astronauten Bob Behnken und Doug Hurley zur Erde zurückgekehrt. Die historische Mission endete am 2. August 2020 mit einer sicheren Wasserung im Golf von Mexiko. Beide waren am 31. Mai mit der SpaceX-Mission »Demo-2« zur ISS gestartet – sie waren die ersten Astronauten, die das

359 SpaceX-Raumschiff Crew Dragon, das sie unterwegs auf den Namen Endeavour getauft hatten, geflogen haben. Die SpaceX-Kapsel Endeavour war rund zwei Monate lang an der ISS angedockt, während die Astronauten sie im All ausführlich testeten. Außerdem haben beide etwa 100 Stunden lang an wissenschaftlichen Experimenten auf der ISS gearbeitet und waren an Außenbordeinsätzen beteiligt. Es war die erste Wasserlandung von Astronauten seit dem Apollo-Sojus-Projekt im Jahr 1975 und eine Aufnahme erinnerte zudem auch an die Wasserung aus dem Jule Verne-Roman »Reise zum Mond«.

360 ©: NASA / SpaceX / Crew Dragon sicher gelandet Weiterführende Informationen zum Thema: Splashdown of SpaceX Demo-2 Crew Dragon https://youtu.be/OSGk4awVTkI

361 ©: NASA / SpaceX / FCS / Wikipedia / Jule Verne »Reise zum Mond« SpaceX Starship – der »schiefe Turm« von Boca Chica fliegt

©: SpaceX

362 SpaceX hat erneut einen weiteren Flug des Testvehikels Starhopper durchgeführt, das bei einem Start im August 2019 schon einmal 150 Höhenmeter erreichte und danach in den Ruhestand geschickt wurde. An den zwei SpaceX-Standorten in Florida (Cape Canaveral) und Texas (Boca Chica) entstehen weitere Testvehikel und die nächste Version SN6 hob ebenfalls erfolgreich ab. Der jüngst geflogene Prototyp SN6 ist noch weit von dem finalen Design entfernt, es handelt sich eher um eine Hülle, die wie ein Silo aussieht. Starhopper wird lediglich von einem Raptor-Triebwerk angetrieben, während das Starship insgesamt sechs davon nutzen soll. Auf Twitter erklärte Musk, dass für die weiteren Testflüge erneut solche Hüpfer geplant seien, bevor es dann deutlich höhere Flüge geben würde. Am Ende der Entwicklung stünde die Technik für die Besiedlung des Mars, gibt sich Elon Musk optimistisch. Weiterführende Informationen zum Thema: Flight SpaceX Starship Prototype (SN6) at Boca Chica, Texas https://youtu.be/MdAKrzOLQTg

Al Amal – die erste Marsmission der Vereinigten Arabischen Emirate

363 ©: Mitsubishi Heavy Industries / Jaxa / Sonde auf der Oberstufe der H-IIA Trägerrakete

Am 19. Juli 2020 um 23:58 Uhr war es endlich soweit – im Süden Japans startete die erste Marsmission der Vereinigten Arabischen Emirate. Der Name Al Amal bedeutet Hoffnung. Im Februar 2021 soll die Sonde, welche in Zusammenarbeit mit den USA erbaut wurde, ankommen und den Mars in einer Höhe von ca. 20.000 bis 43.000 km für zwei Jahre umrunden. Ihre Hauptaufgabe ist es, das Wetter und die Exosphäre zu beobachten und eine Antwort auf die Frage zu liefern, weshalb der Mars so trocken ist. Drei spezielle Instrumente sollen ihr dabei helfen: Eine Kamera mit sechs Farbfiltern, welche Bilder vom gesamten Planeten machen soll. Außerdem ein Infrarotspektrometer für Temperaturmessungen und ein UV-Spektrometer, um

364 Entweichraten von Wasser- und Sauerstoff aus der oberen Atmosphäre zu berechnen.

Whirlpool-Galaxie – erster extragalaktischer Planet entdeckt?

©: NASA, ESA, S. Beckwith (STScI), and The Hubble Heritage Team STScI/AURA Möglicherweise hat ein Astronomenteam des Harvard-Smithonian-Center for Astrophysics den ersten extragalaktischen Planeten entdeckt. Die herkömmlichen Methoden zum Nachweis von Exoplaneten funktionieren bei anderen Galaxien nicht, da die Sterne von unserer Warte aus zu dicht aneinandergedrängt sind. Allerdings gibt es nur eine niedrige Zahl von Himmelskörpern, die sehr hell im Röntgenspektrum strahlen. Mithilfe des NASA-Röntgenteleskops Chandra hat das Team die Verdunkelung einer der hellsten Röntgenquellen der 365 Whirlpool-Galaxie beobachtet. Bei M-51-ULS-1 soll es sich um einen Exoplaneten in der Größe von Saturn handeln, welcher vermutlich ein Schwarzes Loch oder einen Neutronenstern in Begleitung eines massiven Sterns umkreist. Die Zukunft könnte ähnliche Entdeckungen bringen, aktuell muss die Studie des Teams jedoch noch geprüft und veröffentlicht werden.

Die Sonne – 10 Jahre im Zeitraffer

©: NASA Schon seit zehn Jahren beobachtet das Solar Dynamics Observatory (SDO) der NASA unseren Heimatstern. In dieser Zeit wurden schon 20 GB an Daten gesammelt, die den Wissenschaftlern helfen, die Vorgänge des Gestirns und dessen Einflüsse auf unser Sonnensystem zu verstehen. Das

366 SDO schießt alle 0,75 Sekunden ein Bild unserer Sonne, auf denen auch die Korona sichtbar wird. Zu diesem Jubiläum hat die NASA ein Zeitraffervideo veröffentlicht, welches aus 425 Millionen Fotos besteht. Auch wenn die Instrumente des SDO durchgehend auf die Sonne ausgerichtet sind, wurden dennoch einige Momente verpasst. Schuld daran waren Mond und Erde, die sich zwischen Stern und SDO geschoben haben, oder technische Probleme. Weiterführende Informationen zum Thema: Zeitraffer-Video der Sonne – 10 Jahre https://youtu.be/l3QQQu7QLoM

Besuch von Komet Neowise

367 ©: NASA/Bill Dunford Der Komet Neowise wurde erst am 27. März 2020 vom Weltraumteleskop Wise entdeckt. Wenige Monate später, im Juli, kam er der Erde dann sehr nahe. Mit bloßem Auge konnte man den Schweifstern am Himmel entdecken, zunächst am frühen Morgen, im weiteren Verlauf auch abends und nachts. Die Beobachtungsbedingungen waren oftmals durch einen wolkenlosen Himmel ziemlich gut. Besonders prächtig war auch sein Schweif zu erkennen. Am 23. Juli 2020 war der Komet mit 103.000 km Abstand der Erde am nächsten. Weiterführende Informationen zum Thema: https://www.br.de/nachrichten/wissen/himmelsspektakel-u eber-franken-komet-neowise-zum-greifen-nah,S4K7Rht

Spotlight: Und ewig lockt der Mars von Reiner Krauss

Reisen zum Mars – der Mensch auf dem Weg zum roten Planeten

In Büchern und Filmen ist uns der Sprung zum roten Planeten Mars schon oft spannend gelungen, doch in der Realität sieht es noch nicht ganz so erfolgreich aus. Von 1960 bis 2016 wurden 45 Raumsonden zum Mars geschickt, davon waren 20 amerikanisch, 19 sowjetisch/russisch, drei europäisch, eine japanisch, eine

368 chinesisch (Sekundärnutzlast der russischen Marssonde Fobos-Grunt) und eine indisch.

Wir haben Erfolg und Misserfolg

Davon waren nur 18 erfolgreich – 14 amerikanische, eine sowjetische (Mars 5), zwei europäische (Mars Express, TGO) und eine indische. Die restlichen Missionen waren entweder nur Teilerfolge (beispielsweise Fobos 2, Schiaparelli) oder komplette Fehlschläge (z. B. Beagle 2, Mars Polar Lander, Mars Observer, Mars 96, Fobos-Grunt). Einige der in den 1960er und 1970er gestarteten Sonden erreichten nicht einmal die Erdumlaufbahn mangels damaliger Zuverlässigkeit der Trägerraketen. Medial erfolgreich waren in den 1970er-Jahren die beiden NASA Lander Viking 1 und 2 sowie in den 1990ern der erste Rover Mars Pathfinder und ab 2003 besonders die beiden Rover Spirit und Opportunity und der derzeit aktive Curiosity.

©: NASA / JPL / Rover-selfi von Curiosity

369 Wir sind wieder auf dem Weg

Derzeit befinden sich weitere Sonden auf dem Weg zum Mars, da der Abstand Erde Mars aufgrund verschiedener Umlaufbahnen um die Sonne in den nächsten Monaten am günstigsten ist. Dieses günstige Startfenster öffnet sich alle 26 Monate für etwa vier bis sechs Wochen. Ein Orbiter der Arabischen Emirate (El Amal; »Hope«), die NASA mit dem nächsten Marsrover, ein verbesserter Bruder des aktuell erfolgreichen Curiosity, Perseverance und erstmals dabei auch eine Kamera-Drohne, Ingenuity genannt. Die Europäer (ESA) in Zusammenarbeit mit Russland (Roskosmos) wollen mit ihrem ersten eigenen Rover Rosalind Franklin im Rahmen der ExoMars-Mission im Jahr 2022 den Mars erkunden. Aber auch China versucht sich erstmals am Mars. Noch dieses Jahr soll die Sonde Tianwen-1 mit dem Rover Yinghuo-2 die Oberfläche erkunden.

Wir üben für die Zukunft

Doch in Filmen haben wir längst den Mars bereist oder gar besiedelt. Orbiter, Lander und Rover – das kann doch nicht alles sein. Das dachte sich auch ein visionärer Raumfahrt-Pionier unserer Tage: Elon Musk (CEO SpaceX). Das 2002 gegründete private US-amerikanische Raumfahrt- und Telekommunikationsunternehmen SpaceX (Space Exploration Technologies Corporation) von Elon Musk arbeitet an neuen Konzepten und verfolgt das Ziel, Technologien zu entwickeln, die es der Menschheit

370 ermöglichen sollen, den Mars zu kolonisieren und das Leben auf anderen Planeten zu verbreiten. Bereits mit den Raketen Falcon 9 und Falcon Heavy gelang es zudem, die Zuverlässigkeit und erstmals Wiederverwendbarkeit von Raumschiffen zu ermöglichen und die Kosten der Raumfahrt deutlich zu senken. Für den Aufbruch zum Mars und einer möglichen bemannten Mission oder gar Besiedlung braucht es jedoch ganz andere Sternenschiffe, es braucht das Starship. Hierzu entwickelt die Firma SpaceX an den zwei Standorten in Florida (Cape Canaveral) und Texas (Boca Chica) derzeit Testvehikel, Starhopper genannt. Mit den ebenfalls neu entwickelten Raptor-Triebwerken gelangen schon erste Hüpfer, doch es soll bald viel weiter in den Orbit gehen. Im August 2020 erreichte ein Motor-Prototyp, laut Elon Musk, einen Brennkammerdruck von 330 Bar, mehr als jedes andere jemals getestete Flüssigkeitsraketentriebwerk bisher.

Wir bauen Starship

Im Comic »Tim und Struppi« reisen die beiden zum Mond mit einer Rakete, deren Design Elon Musk inspirierte. Dessen Rakete wird nun Starship genannt und von der Firma so vorgestellt: »Das Raumschiff Starship und die superschwere Rakete von SpaceX (Super Heavy, zusammen als Starship bezeichnet) stellen ein vollständig wiederverwendbares Transportsystem dar, das sowohl Besatzung als auch Fracht in die Erdumlaufbahn, zum Mond, zum Mars und darüber hinaus befördern soll. Starship wird die leistungsstärkste Trägerrakete der Welt sein, die jemals entwickelt wurde, mit

371 der Fähigkeit, mehr als 100 metrische Tonnen in die Erdumlaufbahn zu befördern.«

©: SpaceX / Starship-Prototyp in Boca Chica

Wir landen auf dem Mars

»Das Raumschiff wird mit 7,5 Kilometern pro Sekunde in die Marsatmosphäre eintreten und aero-dynamisch abgebremst werden. Der Hitzeschild des Fahrzeugs ist so ausgelegt, dass er mehreren Eintritten standhält, aber angesichts der Tatsache, dass das Fahrzeug so heiß in die Marsatmosphäre eintritt, erwarten wir immer noch eine gewisse Ablösung des Hitzeschilds (ähnlich dem Verschleiß eines Bremsbelags).«

372 ©: SpaceX / Marslandung – künstlerische Darstellung

Wir geben Schub

Angetrieben wird das spätere Starship von sechs Raptor-Triebwerken, drei optimiert für Flüge in der Erdatmosphäre, drei fürs Vakuum des Weltalls. Hinzu kommt die eigentliche Rakete, eine 68 Meter lange, 9 Meter im Durchmesser breite, wiederverwendbare Erststufe (genannt Super-Heavy), die mit bis zu 37 Raptor-Triebwerken den Koloss in den Orbit tragen soll. Als Treibstoff dient zukünftig tiefgekühltes Methan mit flüssigem Sauerstoff als Oxidator. Es soll ein Schub von 2500 kN für die Erststufe am Ende erreicht werden.

373 ©: SpaceX / Raptor-Triebwerk im Test

Die silbrige Hülle des Raumschiffs besteht aus rostfreiem Stahl. »Das könnte die beste Design-Entscheidung meines Lebens gewesen sein«, sagte Musk. Stahl kann bis zu 1500 Grad Celsius aufgeheizt werden, somit braucht die abgewandte Seite kein Hitzeschutz beim Wiedereintritt, während auf der heißen Seite eine dünne Schicht aus keramischen Kacheln genügt. Erst kurz vor der Landung solle sich das Raumschiff aufrichten, erneut seine Triebwerke zünden und dann, wie die Falcon 9, stehend landen. Die Raumfahrt soll damit revolutioniert werden und es zukünftig möglich machen, den Mars zu bereisen und darüber hinaus.

374 ©: SpaceX / Marskolonie mit Starship – künstlerische Darstellung

Weiterführende Informationen zum Thema: https://www.spacex.com/vehicles/starship/

Spotlight: Mars 2020 – auf zum roten Planeten von Andreas Dannhauer Wie vielleicht bekannt sein dürfte, ist die Umlaufzeit des Mars um die Sonne etwa doppelt so lang wie die der Erde. Das bedeutet, dass alle zwei Jahre die Erde den Mars sozusagen auf der Innenbahn überholt. Die perfekte Gelegenheit, ein Raumschiff oder eine Sonde zu unserem Nachbarplaneten zu entsenden, da Treibstoffverbrauch und

375 Reisezeit jetzt minimal sind. Gleich drei Länder und deren Raumfahrtagenturen nutzen diese Gelegenheit dieses Jahr. Hoffnung Der Newcomer unter den Raumsondenentsendern sind dieses Jahr die Vereinigten Arabischen Emirate. Im Bestreben, ihre Wirtschaft zu diversifizieren und unabhängiger vom Rohöl zu machen, haben die Emirate ein ansehnliches Raumfahrtprogramm aufgelegt. Die erste Sonde zum Mars heißt al-Amal, zu Deutsch Hoffnung. Sie wurde von einer japanischen MH-2A Rakete am 19. Juli erfolgreich auf den Weg gebracht. Man belässt es erst einmal bei einer Sonde, die den Mars umkreisen und Untersuchungen aus der Umlaufbahn machen wird. Mit an Bord des 1350 kg schweren Fluggerätes befinden sich drei wissenschaftliche Experimente, zwei Spektrometer für Infrarot- und Ultraviolettstrahlung und eine hochauflösende Kamera. Eigentlich nichts besonders Aufregendes, und deshalb gibt das Mohammed bin Rashid Space Centre auch zu, dass es sich eher um eine Demonstrationsmission handelt, die jungen Arabern Hoffnung auf Bildung und eine Zukunft nach der Ölförderung geben soll. Frage an den Himmel Gewohnt geheimniskrämerisch startete am 23. Juli ohne Ankündigung die Volksrepublik China mit einer Langer Marsch 5-Rakete ihre erste Marssonde Tianwen-1, zu Deutsch etwa mit »Frage an den Himmel« zu übersetzen. Die Chinesen gehen direkt in die Vollen. Neben einem Orbiter will man auch einen Lander einsetzen und einen Rover durch die marsianischen roten Wüsten fahren lassen. Etwas, was bisher nur der US-amerikanischen NASA

376 gelungen ist. Offensichtlich greift man auf die Erfahrungen des chinesischen Mondprogramms zurück. Mitte Februar soll die Sonde in den Marsorbit einschwenken und danach mit ihren Kameras und dem Bodenradar das vorgesehene Landegebiet für den Rover untersuchen, welches sich im Gebiet Utopia Planitia befindet. Mitte April soll dann die Landung mittels Hitzeschutzschild, Bremsfallschirmen und Bremsdüsen erfolgen. Der Rover soll mindestens 90 Tage aktiv bleiben und hat neben Kameras und Spektrometern zwei Bodenradare und eine Wetterstation an Bord. Die Gesamtmission hat das Ziel, die Topographie und die geologische Zusammensetzung der Marsoberfläche zu untersuchen, ausgewählte Regionen zu kartografieren, den Marsstaub genauer zu untersuchen, Wetterdaten zu sammeln, nach Wassereis zu suchen und die Wechselwirkung der Marsionosphäre mit dem Sonnenwind und dem Marsmagnetfeld zu beobachten. Durchhaltevermögen Deutlich offener bei Informationen an die Öffentlichkeit geht die NASA bei ihrem Rover Perserverance, zu Deutsch Durchhaltevermögen, vor. Im Moment da ich dies schreibe, hat die Atlas 5-Rakete gerade den Startturm verlassen und das Raumschiff in Richtung Mars geschossen. Perserverance ist der Bruderrover von Curiosity und mit diesem fast baugleich. Er wird ebenfalls mit dem Himmelskran auf der Oberfläche abgesetzt, besitzt einen Radioisotopengenerator für die Stromversorgung und ist damit unabhängig von der Sonneneinstrahlung. Das Jet Propulsion Laboratorium hat ihm allerdings verbesserte Räder spendiert, die den Schriftzug JPL in den Marssand drücken werden. Als Ziel ist der Krater Jezero vorgesehen, in dem sich einst ein See

377 befand. Wenn sich hier kein vergangenes mikrobielles Leben nachweisen lässt, wo dann? Die Suche nach früherem Leben ist die Hauptmission des Rovers. Neben diversen Kameras hat er dafür ein Bodenradar, ein Ultraviolett- und ein Röntgenspektrometer an Bord. Zum ersten Mal wird ein Landegerät ein Mikrofon auf dem Mars betreiben. Des Weiteren transportiert er ein Experiment namens MOXIE, welches testen soll, ob und wie man aus der dünnen CO2-Atmosphäre Sauerstoff gewinnen kann. Als weitere Technologiedemonstration wird der Rover einen Helikopter namens Ingenuity absetzen. Das erste Mal soll ein menschengemachtes Flugobjekt (MFO) in der Atmosphäre eines anderen Planeten als der Erde fliegen. Und als ob das noch nicht genug wäre, wird Perserverance auch noch Bodenproben erbohren und in kleinen Kapseln auf dem Boden für ein späteres Einsammeln zurücklassen. Eine noch nicht weiter geplante Mission soll diese Kapseln anfangs der 2030er-Jahre zur Erde bringen. ExoMars Die europäische Weltraumagentur ESA startete am … Ach nein, die Mission ExoMars wurde auf 2022 verschoben. Wünschen wir allen Sonden und Rovern Durchhaltevermögen, auf das sie Hoffnung geben mögen und einige Fragen an den Himmel beantworten werden. Weiterführende Informationen zum Thema: http://www.astronews.com/news/artikel/2020/07/2007-02 3.shtml http://de.wikipedia.org/wiki/Tianwen-1

378 http://www.youtube.com/channel/UCLA_DiR1FfKNvjuUpBH mylQ

Spotlight: Welt ohne Wasser: DUNE aus Sicht der politischen Ökologie von Mark Kammerbauer

Das Wechselspiel von Mensch und Umwelt steht im Mittelpunkt der politischen Ökologie. In unserer gegenwärtigen Welt sind es Konstellationen der Macht, die den Zugang zu Ressourcen wie Wasser bestimmen. Wasser ist Leben; zu wenig oder zu viel davon kann lebensgefährlich sein, so etwa im Fall einer Dürre oder einer Flut. Auch in der Science-Fiction spielt Wasser eine prominente Rolle. Szenarien der SF können darstellen, was passiert, wenn Planeten durch apokalyptische Hochwasser überflutet werden oder unter kilometerdickem Eis begraben sind. Wenn menschliche Zivilisationen solche extremen Umweltbedingungen ertragen müssen oder sogar dafür verantwortlich zeichnen, sind sie ohnehin gefordert, entsprechende Methoden und Instrumente zum Umgang damit zu entwickeln. In Frank Herberts Dune-Romanen bringt der Wassermangel die Menschen dazu, Wege zum Überleben in einer unwirtlichen Umwelt zu suchen und zu finden.

Dune – Wüstenplanet – Arrakis

379 Was passiert, wenn ein Planet kaum oder gar nicht über Wasser verfügt? Wie lassen sich die Folgen vom Blickwinkel der politischen Ökologie einordnen? In Frank Herberts Dune-Epos ist der Planet Arrakis von staubtrockenen Wüstenlandschaften umgeben. Für die galaxisweite, imperiale Hochkultur ein Hinterwäldlerplanet, ist Dune dennoch von höchster Bedeutung für die galaktische Politik. Er ist der einzig bekannte Planet, auf dem die wichtigste Substanz des Universums vorkommt: das Spice. Dieser unvorstellbar seltene Stoff hat lebensverlängernde Wirkung, kann körperliche Mutationen auslösen oder das Bewusstsein übernatürlich erweitern. Das Spice treibt den Dune-Kosmos buchstäblich an und damit seine politische Struktur. Herberts kosmischer Romanzyklus besticht dabei durch den tausende Planeten umfassenden, detailgenau dargestellten kulturellen und politischen Kontext. Ursprünglich als Fortsetzungsgeschichte im SF-Magazin Analog veröffentlicht, machten die Leser Dune mit der Zeit zu einem der meistverkauften SF-Romane aller Zeiten. Im Medium Film wurden Fassungen entweder nie verwirklicht (Jodorowsky), gelten als gescheitert (Lynch) oder können nur bedingt zufrieden stellen (SciFi-Channel). Eine neue Interpretation, diesmal vom stilsicheren Regisseur Denis Villeneuve, steht kurz vor seinem Kinodebüt. Dunes Popularität hängt jedoch eher davon ab, wie überzeugend Frank Herbert seine Geschichte in ihrem fiktiven politischen und ökologischen Raum spinnt: Zehntausende von Jahren in der Zukunft gehört die überlichtschnelle Raumfahrt zum Alltag. Große Häuser bekämpfen einander nach einem jahrhundertealten, feudalen Ehrenkodex. Sie sind alle in ein tödliches Spiel um galaktische, imperiale Macht verstrickt. Die politische Kontrolle über das Spice ist dabei

380 grundlegend und zielt unmittelbar auf das ökologische Herz des Wüstenplaneten ab. Der Haken: Wo es Wasser gibt, kommt Spice nicht vor. Arrakis ist eine Wüste genau aus dem Grund, weil es dort das Spice gibt.

Das Spice muss fließen

Das Spice kann nur auf Arrakis gewonnen werden. Für die Großen Häuser macht der Wassermangel die Herrschaft über den Planeten nicht gerade leicht, zudem ist die Förderung des Spice extrem gefährlich. Es ist ein Nebenprodukt des Lebenszyklus der auf dem Wüstenplaneten beheimateten Fauna – des kolossalen und tödlichen Sandwurms, auch Shai-Hulud genannt. Sie scheinen das Spice zu »schützen«, indem sie diejenigen angreifen, die es zu fördern suchen. Die Großen Häuser sind jedoch so gut wie ahnungslos, was die Wechselbeziehung zwischen Wasser, Spice und Sandwürmern betrifft. Sie demonstrieren auch eine chauvinistische Blindheit gegenüber der indigenen menschlichen Kultur. Die »Fremen« – Menschen, die vor langer Zeit nach Arrakis kamen, verehren die gigantischen Sandwürmer in durchaus religiöser Weise. Von der imperialen Zivilisation als Hinterwäldler verachtet, haben sich die Fremen an die Wüstenwelt angepasst, indem sie ihren Wasserverbrauch auf ein Minimum reduzieren. Sie tragen Distillanzüge, hochwertige Wasserrückgewinnungssysteme, die den letzten Tropfen Feuchtigkeit, den der menschliche Körper erzeugt, durch Pumpen und Filter laufen lassen und in Auffangtaschen speichern. Fremen atmen die trockene Wüstenluft durch einen Mundfilter ein und atmen durch einen Nasenschlauch aus, der die verbliebene Feuchtigkeit

381 auffängt. Und sie haben damit angefangen, dieses Prinzip auf ihre gesamte Welt auszuweiten. Wasser ist auf der Oberfläche unendlich rar, jedoch fangen es die Fremen Tropfen für Tropfen ein und speichern es in gewaltigen, unterirdischen Kavernen. Für sie ist das Wasser auch unendlich wertvoller als das Spice – nicht, weil es so rar ist. Sie haben einen Zweck dafür: Die Fremen wollen Arrakis einem Terraforming unterziehen. Trotz ihrer nahezu perfekten Anpassung an den extremen Wassermangel wollen sie den Wüstenplaneten in einen Garten Eden verwandeln. Die Fremen stammen von unterdrückten und versklavten Menschen ab, die auf Arrakis buchstäblich ausgesetzt worden waren. Nach und nach eigneten sie sich das Wissen an, um wirksam Wasser in der Menge zu speichern, die für eine radikale Transformation von Arrakis notwendig ist. Diese Sehnsucht nach Transformation kann man auch als Versuch werten, die Kontrolle über das eigene Schicksal zu gewinnen. Von der Not getrieben, die tödliche Auseinandersetzung mit der gefährlichen Umwelt zu überwinden, finden sich die Fremen jedoch in einem ganz anderen Kampf wieder, im galaxisweiten Konflikt um die Macht über die Spiceförderung. Der Erbe eines der Großen Häuser, Paul Atreides, verspricht den Fremen, ihnen beim Terraforming von Arrakis zu helfen. Im Gegenzug helfen sie ihm dabei, den Imperator zu stürzen. Dazu muss das Spice aufhören zu fließen, die Spiceförderung muss zum Stillstand gebracht werden.

Kosmischer Garten Eden

Die Fremen stehen vor einem Dilemma. Sobald sie ihre Abhängigkeit von der Wüste gegen die politische Kontrolle

382 über das Spice austauschen, können sie ihre Welt in einen Garten Eden verwandeln, an den sie sich nicht in extremer Weise anpassen müssen. Das alte Wissen darum, wie man auf Dune überleben kann, ist nicht mehr erforderlich. Die Fremen müssen nun, in gewisser Weise, keine Fremen mehr sein. Es ist eine traurige Ironie der Fremen-Rebellion unter Paul Atreides, dass sie gleichzeitig zum Niedergang der fremenitischen Lebensweise beiträgt. Die Fremen beenden die imperiale Ausbeutung von Arrakis, indem sie ihre reichhaltige Kultur der Anpassung an eine wasserlose Heimatwelt aufgeben. Sie ersetzen dabei lediglich eine bestehende Form des Mangels durch eine neue: Der Wassermangel weicht dem Verlust kultureller Identität. Die Fremen wurden ja erst durch den Wassermangel in eine zähe, stammesähnlich organisierte Gesellschaft transformiert, die die Leser so fesselt. Nun sind sie von der Verwandlung der Wüste in einen Garten Eden so besessen, weil Herbert sie so beschreibt und weil es seiner Geschichte nützt. Dune ist kein Dokument einer tatsächlich existierenden Kultur. Die Lektüre von Dune verweist dennoch auf offensichtliche Inspirationsquellen, etwa die Kultur der Beduinen, wie sie in den Geschichten eines Lawrence von Arabien popularisiert wurde. Dune ist also »nur« eine Geschichte. Aber sie ist eine Geschichte, die ein interessantes Licht auf die Struktur unserer Realität wirft.

Lehren aus Dune

Der Mangel an Wasser als Essenz des Lebens bedeutet eine Gefahr für das menschliche (Über-)Leben. Der Traum, die Wüste in ein blaugrünes Paradies zu verwandeln, ist dabei so alt wie die Menschheit selbst. Die Transformation der

383 Umwelt findet jedoch innerhalb eines politischen Kontextes statt, der die Kontrolle über die Umwelt und die Ausbeutung von Naturschätzen begründet. Die erzwungene Verwandlung dieses Kontextes hat einen hohen Preis, nämlich den Verlust der Kultur, der Identität sowie der Kapazität der Anpassung an die extrem trockene Umwelt. Lokale Methoden der Anpassung bleiben Außenseitern oft verborgen, selbst wenn sie nachhaltige Wege des Überlebens in einer lebensfeindlichen Umgebung eröffnen. Unser Dilemma besteht in einer Fehleinschätzung, welchen Wert solche Lebensweisen besitzen: Wenn man genug Wasser hat, verliert man den Sinn dafür, wie es ist, keines zu haben. Wenn der Wunsch, die Umwelt zu kontrollieren und zu transformieren, an der Wurzel dieses Dilemmas liegt, müssen wir uns vielleicht nochmal genau überlegen, wie sinnvoll das Ziel der Transformation ist. Das bedeutet nicht, dem Mangel den Vorzug zu geben oder Menschen in einem Zustand der Entbehrung gefangen zu halten. Es bedeutet, adaptive Methoden und Ansätze wertzuschätzen. Sie könnten dringend notwendig sein, wenn das Wasser anderswo rar wird. Aus dieser Sicht ist es bezeichnend, dass die Fremen sich auf eine Allianz mit genau dem Erben eines Großen Hauses einlassen, der den Versuch unternimmt, die politische Ökologie Dunes besser zu verstehen.

Ursprünglich auf Englisch erschienen in TOPOS Nr. 111 mk 25.09.2020 9200 Z.

384 Spotlight: Lebenszeichen aus den Wolken der Venus? von Brandon Q. Morris Unser heißer Schwesterplanet Venus besitzt auf seiner Oberfläche kaum das Potenzial für Leben – dafür sind Druck und Temperatur viel zu hoch. In meinem Roman »Clouds of Venus« macht ein NASA-Team trotzdem eine interessante Entdeckung. Daran musste ich denken, als ich eine neue Pressemitteilung der Universität Cardiff las. Die Astronomin Jane Greaves und ihre Kollegen haben über mehrere Jahre die Atmosphäre der Venus analysiert und sind dabei auf einen interessanten Stoff gestoßen: Monophosphan (ältere, aber chemisch inkorrekte Sammelbezeichnung: Phosphin).

385 © NASA / Wikipedia Auf der Erde ist Monophosphan, eine Verbindung aus Phosphor und Wasserstoff (PH3), ein Gas, das vorwiegend durch anaerobe biologische Quellen erzeugt wird. Die Bedingungen an der Oberfläche der Venus sind zwar lebensfeindlich, aber in der oberen Wolkendecke – etwa 53 bis 62 Kilometer über der Oberfläche – sind die Verhältnisse gemäßigt. Die Zusammensetzung der Wolken ist jedoch stark sauer, und unter solchen Bedingungen würde Monophosphan sehr schnell zerstört werden. Trotzdem fanden die Forscher eine spektrale Signatur, die einzigartig für Monophosphan ist, und ermittelten daraus eine Häufigkeit von 20 Teilen pro Milliarde in den Wolken der Venus. Das Gas muss also aus irgendeiner Quelle 386 kontinuierlich nachgeliefert werden. Die Autoren des Papers untersuchten denn auch verschiedene Möglichkeiten, wie das Monophosphan entstehen könnte, etwa durch Quellen auf der Oberfläche des Planeten, Einschläge von Mikrometeoriten, Blitze oder chemische Prozesse, die in den Wolken ablaufen. Letztendlich war das Team jedoch nicht in der Lage, die Quelle der Spuren eindeutig zu bestimmen. Keiner der bekannten chemischen Prozesse genügt jedenfalls, um ausreichende Mengen Monophosphan entstehen zu lassen. Die Autoren argumentieren vorsichtig, dass der Ausschluss bekannter chemischer Prozesse natürlich kein robuster Beweis für mikrobielles Leben sei und nur auf potenziell unbekannte geologische oder chemische Prozesse hinweise, die auf der Venus stattfinden könnten. Weitere Beobachtungen und Modellierungen wären erforderlich, um den Ursprung des Monophosphans in der Venusatmosphäre zu erforschen. Gleichzeitig zeigen sie in ihrem Paper aber auch Wege auf, wie Leben in den Wolken der Venus das Gas produzieren könnte.

387 © Nature / Universität Cardiff / Links: farbkodiert die Stärke des empfangenen Signals über die Venusoberfläche. Die rechte Darstellung zeigt, aus welcher Höhe das Signal kommt. Die Kurve hat ihren Peak bei 56 Kilometern über der Venusoberfläche Das Fragezeichen in der Überschrift scheint nach aktuellem Stand wichtig zu sein. Es gibt einige Probleme, die die Theorie der Forscher zu Fall bringen könnten. Erstens sind die Bedingungen in den Venuswolken, die zu 90 Prozent aus Schwefelsäure bestehen, ungeeignet für Leben, wie wir es von der Erde kennen. Man bräuchte also eine andere Biologie. Zweitens basieren die Annahmen auf Messungen u. a. der sowjetischen Wega 2-Sonde aus den 1980er-Jahren. Wega 2 hatte relativ wenig Phosphor auf der Venusoberfläche gefunden. Dafür fehlt aber noch eine unabhängige Bestätigung. Die Entdeckung ist trotzdem interessant, weil wir unsere heiße Schwester Venus in den letzten Jahrzehnten vernachlässigt haben. Zum Mars fliegen weitaus mehr Sonden. Die mögliche Entdeckung von Leben könnte damit Geld für eine Expedition dorthin lockermachen. Ob dann letztlich Leben gefunden wird, wird man sehen. Dabei erinnere man sich daran, dass auch auf dem Mars immer wieder Spuren (etwa von Methan) ausgemacht wurden, die zuerst an Leben denken lassen. Inzwischen geht man in diesen Fällen meist von abiologischen Ursachen aus. Über den Autor: Brandon Q. Morris ist Physiker und Science-Fiction-Autor. Unter hardsf.de schreibt er mehrmals wöchentlich über für SF-Leser interessante Wissenschaftsthemen aus Astrophysik und Kosmologie.

388 Phantastisches Hören

Na hör mal – Die Audible-Kolumne: Das Theater ex libris – mehr als nur ein Live-Hörspiel-Ensemble

von Reinhard Prahl Liebe Leserinnen und Leser, Hörbücher und Hörspiele sind etwas Wundervolles. Sie führen uns in spannende Welten des Rätselhaften und des Phantastischen. Die Stimmen der talentierten Sprecherinnen und Sprecher, die Musik der Komponisten und der intensive Klangteppich von begabten Sounddesignern erwecken eine Geschichte erst so richtig zum Leben und erzeugen unvergessliche Bilder in den Gehirnwindungen, die noch tage- und wochenlang nach dem Genuss eines guten Werkes in unseren Köpfen

389 herumspuken. Anbieter wie Audible ermöglichen es mit ihren leicht zu bedienenden Apps, unsere Lieblingsstücke quasi überall und auf jedem Endgerät jederzeit abrufen zu können. Egal ob auf der heimischen Couch, beim Bügeln oder abends im Bett. Wer sein Handy in der Hosentasche trägt, hat auch immer seine Alltime-Favorites dabei. Doch da draußen gibt es noch so viel mehr als ins aa- oder aax-Format gepressten Hörgenuss. Längst haben die Großen der Szene wie Oliver Rohrbeck, Jens Wawrczeck und Andreas Fröhlich (Die Drei ???) erkannt, dass man aus einem Hörspiel noch viel mehr herausholen kann. Live aufgeführt, vor einem leidenschaftlichen Publikum, bedarf es nicht viel, um eine tolle Atmosphäre zu erzeugen. Die 2014er-Tour Sinfonie der Angst war nicht nur eine Livelesung, sondern vielmehr ein unvergleichliches Event, das mir als Hörspiel- und Drei ???-Fan eine Gänsehaut nach der anderen über den Rücken jagte. Und da ich dank Justus Jonas, Peter Shaw und Bob Andrews nun so richtig auf den Geschmack gekommen war, wollte ich natürlich mehr. Doch woher nehmen und nicht stehlen?

390 Die Antwort liegt manchmal näher, als man glaubt. Einige Jahre später bekam ich eine Karte für eine Live-Lesung geschenkt, die auf der Burg Vischering in Lüdinghausen (NRW) stattfand. Als Gastgeber wiesen sich Christoph Tiemann und sein Theater ex libris aus, die auf der Bühne, unterstützt von atmosphärischen Bildern und mit grandioser Musik unterlegt, einen alten Fall der drei Detektive zum Besten gaben. Und der Terminus »zum Besten« war keineswegs untertrieben, wie sich bald herausstellen sollte. Statt zwar leidenschaftlichen, aber leider doch nur semiprofessionellen Sprechern präsentierte sich dem Publikum nämlich ein ebenso sympathisches wie routiniertes Profi-Ensemble mit einer riesigen stimmlichen und musikalischen Bandbreite. Die Drei, pardon, drei

391 Stunden vergingen wie im Flug und ich war mir sicher, dass ich das Theater ex libris nicht zum letzten Mal gesehen hatte. Die Verbindung von Visualisierung, Sounds, Musik und Livelesung, die Tiemann und seine Kolleginnen und Kollegen in ihren Auftritten erschaffen, gehört wahrscheinlich zum Ungewöhnlichsten und Besten, was es derzeit im Bereich des Live-Hörspiels zu erleben gibt. Dass dieses Lob nicht etwa übertrieben, sondern absolut gerechtfertigt ist, konnte das Team um Christoph Tiemann in den letzten Monaten mehrfach auf Facebook und Twitch unter Beweis stellen. Da die Künstler rund um den Moderator, Schauspieler, Kabarettisten und Liveperformer, wie viele andere auch, die ganze Härte der Corona-Krise zu spüren bekamen, verfiel man auf den Gedanken, einige Stücke live in den sozialen Netzwerken aufzuführen. Aus den angedachten rund einhundert Zuhörern wurden rasch sechshundert, die gebannt an den Lippen der bis zu fünf Sprecher klebten. Abgesehen von Klassikern wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde präsentierte das Theater ex libris auch eine Eigenproduktion namens Alarmstufe Mond, die nicht weniger als eine humorvolle Hommage an einige der größten Science-Fiction-Klassiker der Moderne darstellt. Das Stück ist gespickt mit coolen Sprüchen und einer so irrwitzig abgedrehten Handlung, dass man aus dem Lachen kaum herauskommt.

392 Doch genug des Lobs. Wer ist der Mann hinter ex libris? Was ist für ihn gute Science-Fiction und wie sieht er die Zukunft seiner Schöpfung? Diese Fragen und einige mehr hat mir Tiemann vor einiger Zeit im Interview beantwortet.

Im Gespräch mit Christoph Tiemann – über Live-Hörspiele, Facebook und die Zeit nach Corona

Reinhard Prahl (R.P.): Hallo Christoph, du bist Schauspieler, Kabarettist, Sprecher und Gründer des Theater ex libris. Ihr bringt seit zehn Jahren Live-Lesungen und Live-Hörspiele auf die Bühne. Abgesehen davon arbeitest du unter anderem für den WDR und hast dort für WDR 5 auch einige Radio-Features produziert. Die Hälfte davon befasst sich mit sehr nerdigen Themen wie Star Trek oder

393 Zukunftsträumereien. Wie kommt es zu diesem Schwerpunkt? Tiemann: Das ist ein ganz großes privates Interesse von mir. Ich bin ein großer Science-Fiction-Fan, obwohl es nur relativ wenig SciFi gibt, die mich wirklich mitreißen kann. Aber wie definiert man schon den typischen Fan, den Enthusiasten? R.P.: Da hake direkt einmal nach: Was würdest du denn als gute Science-Fiction definieren und wo ist dir das Genre vielleicht sogar narrativ zu oberflächlich? Tiemann: Für mich ist das gar nicht mal unbedingt eine Frage der Oberflächlichkeit, oder sogar des künstlerischen Anspruchs, sondern eher des persönlichen Geschmacks. Ich bin, wie viele von uns, über Star Trek zur Science-Fiction gekommen. Ich kann aber mit Space Operas trotzdem nicht allzu viel anfangen. Wenn Perry Rhodan beispielsweise zur Wega fliegt, wird mir das oft so megalomanisch, dass ich mich im Setting verliere. Die Geschichten beginnen immer sehr interessant, werden mir persönlich aber dann viel zu groß. Ich habe es später noch einmal mit Perry Rhodan: Neo versucht, doch das Gefühl blieb. Vielleicht ist es gerade das, was den meisten Lesern gefällt, mich interessieren aber eher Geschichten, die eine gar nicht mal so sehr veränderte Welt zeigen. Manchmal reicht es mir da schon, wenn nur ein Aspekt geändert und dadurch eine alternative Welt erschaffen wird. Ein gutes Beispiel dafür ist die schwedische Serie Real Humans, die mir sehr gefallen hat. Nicht, dass ich Space Operas nicht mögen würde. Aber wenn der menschliche hinter dem technologischen Faktor zurücksteht, verliere ich relativ schnell das Interesse.

394 R.P.: Diese Aussage ist im Zusammenhang mit deiner Stückeauswahl sehr interessant. Da finden sich Stücke wie Dr Jekyll and Mr. Hyde oder auch Dracula darunter, die thematisch in eine ähnliche Kerbe schlagen. Spielt dein persönlicher Geschmack da hinein? Tiemann: Wahrscheinlich ja, wenn auch nicht unbedingt bewusst. Die Geschichte um Dr. Jekyll, der zu Mr. Hyde wird, interessiert mich seit vielen Jahren, aber wir haben das Stück eigentlich überhaupt nicht im Programm. Ich habe immer das Gefühl, dass man Dr. Jekyll and Mr. Hyde nicht mehr so gut erzählen kann, weil eben jeder den Twist kennt. Selbst wer den Roman nie gelesen hat, weiß, wer Hyde ist. Deshalb stellt sich diese Frage in Filmen auch erst gar nicht mehr und das Ende der Geschichte wird an den Anfang gesetzt, um eine neue Erzählerperspektive zu erschaffen.

395 Wir fanden es bei Theater ex libris aber mal wieder interessant, die Story so vorzutragen, wie Louis Stevenson sie sich einmal ausgedacht hatte.

R.P.: Eure Aufführungen sind relativ musiklastig. Ihr verwendet zwar auch Soundeffekte, aber insgesamt doch recht sparsam. War das eine eher pragmatische Entscheidung oder von Anfang an so geplant? Tiemann: Als wir vor zehn Jahren die erste Veranstaltung konzipierten, kam mir der Gedanke, dass es zu trocken ist, das Ganze einfach nur vorzulesen. So kam relativ spontan dann die Musik mit dazu und wurde von der ersten Minute an zu einem wichtigen Mitspieler. Musik erwies sich als ein so großer »Brandbeschleuniger« der Emotionen und Stimmungen, dass wir schnell merkten, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Später kamen Geräusche dazu und dann Bilder, die wir im Hintergrund auf der Leinwand einblenden.

396 So haben wir einen neuen Stil kreiert, sozusagen eine ganz neue Form des Live-Hörspiels, worauf wir sehr stolz sind. R.P.: Ihr habt im Zuge der Corona-Krise mit großem Erfolg Dr. Jekyll and Mr. Hyde live über Facebook und Twitch aufgeführt. Über 600 Menschen haben zugeschaltet. Die Säle der Live-Veranstaltungen sind hingegen im Durchschnitt eher auf rund 250 Besucher ausgelegt. Wie sehr hat euch überrascht, dass so viele Menschen eingeschaltet haben? Tiemann: Wir waren total überrascht und haben uns sehr über die tolle Resonanz gefreut. Unser Wirkungskreis liegt ja normalerweise zwischen dem Münsterland und Niedersachsen. Daher fanden wir es toll, wie viele Menschen aus anderen Regionen, die noch nie von uns gehört hatten, dabei waren. Unsere Veranstaltungsorte sind bewusst auf eher kleinere Besucherzahlen ausgelegt, damit unsere Auftritte ein gewisses Maß an Intimität bewahren. Wir hatten zunächst ein wenig Sorge, dass der direkte Kontakt fehlen könnte. Wir sind aber nach den Vorstellungen noch eine ganze Weile online geblieben, um Fragen zu beantworten, und den zahlreichen netten Kommentaren zufolge haben viele Zuschauer unser Live-Hörspiel dann auch als sehr publikumsnah empfunden.

397 R.P.: Später habt ihr noch Sherlock Holmes, Der kleine Prinz und eure nerdige Eigenproduktion Alarmstufe Mond aufgeführt. Wie du selbst im Stream schon angedeutet hast, sind Facebookauftritte aber nicht wirklich ein zukunftsträchtiges Format, mit dem sich auch Geld verdienen lässt. Wie groß ist deine Sorge, dass potenzielle Zuschauer nun vielleicht gar nicht mehr in deine Vorstellungen kommen, weil sie das Theater ex libris ja nun schon mehrfach gesehen haben? Tiemann: Wir achten bei der Auswahl auf Stücke, die wir sonst nicht, oder nur selten im Programm haben. Außerdem haben wir uns nach dem Kleinen Prinzen eine Pause auferlegt. Alarmstufe Mond ist aus dem gleichnamigen Musical entstanden, für dass ich die Story geschrieben habe. Das Stück ist ein verrücktes Zitatefest für jeden SciFi-Fan. Die Geschichte greift das Flair von Filmen wie Reise zum Mond von 1950 oder Von der Erde bis zum Mond

398 von 1958 auf und führt dann mit einem Augenzwinkern bis in die heutige Zeit. R.P.: Viele der Geschichten, über die wir gerade sprechen, sind frei in der Public Domain zugänglich. Ist das für eine Theatergruppe wie ex libris nicht geradezu ein Geschenk? Tiemann: Absolut, weil man die Stoffe nicht nur lizenzfrei verwenden, sondern auch ohne Auflagen bearbeiten darf. Es ist beispielsweise immer wieder notwendig, Kürzungen vorzunehmen, unsere Auftritte sollen ja nicht länger als zwei Stunden werden. Bei den Drei ??? waren zwar Kürzungen erlaubt, nicht aber dramaturgische Bearbeitungen. Da ist es ein Segen, dass wir beispielsweise Dracula ein wenig an heutige Hörgewohnheiten anpassen konnten, ohne aber zu sehr in die Geschichte einzugreifen. R.P.: Zwei meiner Interviewpartner, Tommy Krappweis und Ivar Leon Menger schreiben beide für Audible Hörspiele und erzählten im Gespräch, dass sie eine angenehme künstlerische Freiheit genießen, die auf einem großen gegenseitigen Vertrauen basiert. Wäre es eine Option für dich, Hörspiele in Zusammenarbeit mit einem Streamingdienst oder einem ähnlichen Anbieter zu produzieren und digital zu vertreiben?

399 Tiemann: Ehrlich gesagt habe ich daran noch gar nicht gedacht. Ich bin eher immer etwas zögerlich in der Zusammenarbeit mit großen Institutionen und Firmen. Ich höre allerdings gerade Ghostbox und bin begeistert. Von daher könnte ich mir sehr gut vorstellen, mit Audible zusammenzuarbeiten. R.P.: Wir werden also vielleicht das Theater ex libris irgendwann nicht nur live auf der Bühne oder auf Facebook erleben dürfen, sondern auch jederzeit im heimischen Wohnzimmer als Download? Tiemann: Wir denken ernsthaft darüber nach, überlegen aber derzeit noch, was der geeignete Distributionsweg sein könnte. Ob CDs noch so verkaufsträchtig sind, dass sich die Produktion einer gewissen Auflage lohnt, glaube ich nicht unbedingt. Den Verkauf von USB-Sticks finden wir ebenfalls nicht ganz so prickelnd. So gesehen wäre Audible sicherlich

400 ein guter Mittelweg, den ich selbst auch viel nutze. Besonders schön ist, dass unsere Hörer unsere Werke nicht nur streamen, sondern stattdessen kaufen und behalten könnten. R.P.: Wie wird es mit dem Theater ex libris nach der Aufhebung der derzeitigen Einschränkungen weitergehen? Auf welche Geschichten dürfen wir uns live freuen? Tiemann: Wir haben vor Kurzem Die Schatzinsel von Robert Louis Stevenson Open-Air aufgeführt. Außerdem schaue ich mir derzeit auch intensiv die Romane von H. G. Wells an, den ich sehr verehre. Sicherlich ist Die Insel des Dr. Moreau oder Die Zeitmaschine eine Option für uns. Aber Wells hat noch wesentlich mehr verfasst. Mit steigendem Bekanntheitsgrad möchten wir aber auch immer mehr Eigenproduktionen aus dem SciFi- und Horrorgenre aufführen. R.P.: Vielen Dank für das Gespräch, lieber Christoph. Tiemann: Es war mir ein Vergnügen.

Perlentaucher: Raumschiff UX 3 antwortet nicht von Reinhard Prahl

Die altbekannten Hörspiellabels graben derzeit tief in ihren Archiven und veröffentlichen zahlreiche Hörspielklassiker neu. Zum Sammelsurium gehören auch einige Science-Fiction-Hörspiele der 1960er- und 1970er-Jahre.

401 Das von Bert Varell geschriebene Raumschiff UX 3 antwortet nicht gehört allerdings noch nicht dazu. Leider hat sich Europa, das bereits seit vielen Jahren zu Sony gehört, noch nicht erbarmt und seinen Fans eine Neuauflage des beliebten Stücks spendiert. Die Erstauflage entstand und erschien um das Jahr 1969 herum und wurde recht schnell unter Fans zu einem begehrten Sammlerobjekt.

Schnell erzählt

Die Geschichte der Space Opera ist recht schnell erzählt. Das Raumschiff UM 9 wird auf die Suche nach dem verschollenen schnellen Kreuzer UX 3 geschickt. Eine heiße Spur führt ins 52 Lichtjahre entfernte Raumgebiet der fremdartigen Uläer. Nach einem erfolgreichen Hyperraumsprung erreicht die Rettungsmission schließlich fremdes Territorium und muss sich fortan mit den feindseligen Aliens herumschlagen. Dabei kommt von Antimaterie-Abwehrschirmen bis Strahlenwaffen alles zum Einsatz, was das Genre-Herz begehrt. Die UM 9-Besatzung

402 muss eine ganze Menge Geschick und Kampfesmut aufbringen, um die Kollegen und Freunde der UX 3 schließlich aus den Klauen des fremden Planeten zu befreien. Eine wichtige Rolle spielt dabei der Funker Tuang-Yi (dass der Chinese allerdings mit erkennbar russischem Akzent spricht, nehmen wir einfach mal so hin). Die Uläer sind nämlich Telepathen und Yi ist der Einzige an Bord, der über dieses Talent verfügt. Alle Verhandlungsversuche scheitern jedoch und so führt letztlich eine ausgewachsene Schießerei in bester Westernmanier, der ein Gefangenenaustausch folgt, zur Rettung der gestrandeten Mannschaft. Bis die UM 9 allerdings auf der Erde landen kann, muss sich Commander Tex Terry noch mit einem seltenen Weltraumphänomen herumschlagen.

In der Kürze liegt die Würze

Das Hörspiel ist nur knappe 34 Minuten lang. Entsprechend straff und stringent gestaltet sich der kindgerecht und spannend konstruierte Plot. Die Geschichte setzt dabei auf Action und erinnert in ihren Grundzügen sowohl ein wenig an die Raumpatrouille Orion als auch an Perry Rhodan, der zum Zeitpunkt dieser Produktion bereits seit acht Jahren seine Leserschaft begeisterte. Als Interpreten sind einige der erinnerungswürdigsten EUROPA-Vertragssprecher zu hören, so unter anderem Hans Clarin als Commander Tex Terry oder Helmut Lange als Copilot Björn. Die Trägerin des Bundesverdienstkreuzes Ingrid Andree fungiert als einzige Frau an Bord.

Fazit

Zusammen genommen ergeben Story, Soundeffekte und Sprecher eine ansprechende Mischung, die den Hörer auf 403 einen kurzweiligen und unterhaltsamen Nostalgietrip führt. Prima ist, dass es sich nicht um eine Serie im eigentlichen Sinne handelt. Einzelveröffentlichungen wie die um die UX 3 wurden unter der Überschrift »EUROPA – Die Jugendserie – ein Weltraumabenteuer« zusammengefasst. Wie viele davon erschienen, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen, der Vorteil lag aber klar auf der Hand: Die meist jugendlichen Käufer waren nicht zwingend darauf angewiesen, am Ball bleiben zu müssen und konnten ihr Kaufverhalten nach dem spärlichen Taschengeld ausrichten. Wie oben bereits erwähnt, ist Raumschiff UX 3 antwortet nicht bislang weder als MP3 noch als CD erschienen und daher nur als Vinyl oder Musikkassette über den Gebrauchtmarkt beziehbar. Wer also einen Plattenspieler besitzt und Trips in die weit entfernte Zukunft der Kindheit liebt, ist hier mit einem Kauf bestens bedient.

404 Regisseur des Tons: Musikkomponisten des phantastischen Genres: Ennio Morricone

Von Pia Fauerbach

»Filmmusik braucht Raum, um sich entfalten zu können. Der Film muss der Musik Zeit geben, um sich zu entwickeln.« – Ennio Morricone.

405 by Georges Biard

Ennio Morricone wurde am 10. November 1928 in Rom geboren. Seine musikalische Karriere umfasst ein großes Spektrum an Kompositionen: von absoluter Konzertmusik bis hin zu angewandter Musik, wobei er als Orchestrator, Dirigent und Komponist für Theater, Rundfunk und Kino tätig war. Sein erstes Musikstück schrieb er im Alter von sechs Jahren.

1946 machte er sein Trompetendiplom, das Kompositionsdiplom erhielt er 1954 am Conservatorio di Santa Cecilia unter der Leitung von Goffredo Petrassi. Ende der 1950er-Jahre schrieb er seine ersten Konzertwerke und arbeitete dann als Arrangeur für die italienische Rundfunkgesellschaft RAI und RCA-Italien. Seine Karriere als

406 Filmmusikkomponist begann er 1961 mit dem Film Il Federale unter der Regie von Luciano Salce.

Im Jahr 1963 schrieb der Komponist gemeinsam mit Roby Ferrante die Musik für Ogni volta. Das Lied wurde von Paul Anka während des Festival di San Remo 1964 zum ersten Mal aufgeführt. Morricone arrangierte und dirigierte den Song. Weltweit gingen über drei Millionen Platten über den Ladentisch, allein eine Million Mal in Italien.

Gemessen an der Gesamtzahl von über 450 Kompositionen für Kino und Fernsehen, komponierte Morricone davon nur 35 Soundtracks für Western. Nach eigener Aussage waren das gerade mal 8 % Anteil seiner Werke. Diese machten ihn jedoch weltberühmt. Besonders durch die Zusammenarbeit mit seinem ehemaligen Schulkameraden, dem Regisseur Sergio Leone. Was John Williams für Steven Spielberg ist, war Ennio Morricone der Haus- und Hofkomponist für Leone.

Er vertonte die Streifen Für eine Handvoll Dollar (1964), Für ein paar Dollar mehr (1965), Zwei glorreiche Halunken (1966), Spiel mir das Lied vom Tod (1968) und Todesmelodie (1971). 1984 folgte dann noch das Drama Es war einmal Amerika.

407 Typische Klänge wie Peitschenhiebe, Glocken, Trillerpfeifen oder die Verwendung von italienischen Volksinstrumenten entstanden aus der Not eines sehr kleinen Filmbudgets. Die Vorgaben waren so eng gesteckt, dass man sich zur Aufnahme der komponierten Stücke kein vollständiges Orchester leisten konnte.

Da Leone der Musik immer mehr Raum gab als andere Regisseure, war die Zusammenarbeit mehr als kreativ. Die Zusammenarbeit endete abrupt, als Sergio Leone überraschend 1989 an den Folgen eines Herzinfarkts verstarb.

408 Der Track Die Ekstase des Goldes aus Zwei glorreiche Halunken ist eine der bekanntesten Kompositionen Morricones. In Jackass Number Two wird die Eröffnungsszene mit dem Musikstück unterlegt. Die Punkrock-Band The Ramones nutzte bei ihren Konzerten The Ecstasy of Gold als Schlussthema. Metallica verwendet den Track seit 1983 als einleitende Musik für ihre Konzerte. Ein instrumentales Cover von Metallica erschien 2007 auf dem Morricone-Tribute-Album We All Love Ennio Morricone. Die Metal-Version wurde für einen Grammy Award in der Kategorie Best Rock Instrumental Performance nominiert. 2009 sampelte Coolio das Thema für seinen Song Change. Der Soundtrack zu Spiel mir das Lied vom Tod ist mit mehr als 10 Millionen verkauften Exemplaren einer der meistverkauften Soundtracks weltweit. »Er ist nicht nur ein großer Filmkomponist, er ist ein großer Komponist.« – Giuseppe Tornatore

Morricone arbeitete mit vielen Regisseuren zusammen, u. a. Bernardo Bertolucci, Giuliano Montaldo, Lina Wertmuller, Giuseppe Tornatore, Brian De Palma, Roman Polanski, Warren Beatty, Adrian Lyne, , Margarethe von Trotta, Pedro Almodovar und Roland Joffé.

Neben den italienischen Western gehören Die Schlacht von Algier, Cinema Paradiso, Die Legende von 1900, Die Unbestechlichen, Es war einmal in Amerika und The Mission zu seinen bekanntesten Werken. Zu Morricones bekanntesten Kompositionen gehören The Ecstasy of Gold,

409 Se Telefonando, Man with a Harmonica, Here’s to You, die UK-Nr. 2-Single Chi Mai, Gabriel’s Oboe und E Più Ti Penso.

Von 1964 bis zur Auflösung 1980 war Morricone Teil der Gruppo di Improvvisazione Nuova Consonanza (G.I.N.C.), einer Gruppe von Komponisten, die avantgardistische freie Improvisationen aufführten und aufnahmen.

Seine absolute Musikproduktion umfasst über 100 Stücke, die von 1946 bis 2020 komponiert wurden.

Für die italienisch-französische Komödie Ein Käfig voller Narren und deren zwei Fortsetzungen erschuf Ennio Morricone ebenfalls die musikalische Begleitung.

1970 lieferte der Komponist das Titelthema The Men from Shiloh für die amerikanische Western-Fernsehserie Die Leute von der Shiloh Ranch.

410 In den Jahren 1974 – 1975 schrieb Morricone die Musik für die italienische Filmproduktion Spazio 1999, der zum Start von Mondbasis Alpha 1 gedreht wurde, während die Originalfolgen Musik von Barry Gray enthielten. 1977 entstand der Soundtrack zu John Boormans Exorzist II: Der Ketzer und Alberto De Martinos apokalyptischen Horrorfilm Inferno 2000 mit Kirk Douglas in der Hauptrolle. 1982 komponierte er die Filmmusik für John Carpenters Das Ding aus einer anderen Welt. Für die Fußball-Weltmeisterschaft 1978 arrangierte Morricone die offizielle Hymne. Und erhielt seine erste

411 Oscarnominierung für In der Glut des Südens von Terrence Malick, mit Richard Gere in der Hauptrolle. Bei der Oscar-Verleihung 1979 stellte er sich mit Jerry Goldsmiths The Boys from Brazil, Dave Grusins Der Himmel kann warten, Giorgio Moroders 12 Uhr nachts – Midnight Express (dem Gewinner) und John Williams’ Superman: Der Film im Wettbewerb. Für Red Sonja mit Brigitte Nielsen und Arnold Schwarzenegger in den Hauptrollen schrieb er 1985 ebenfalls die Musik. Der Film erhielt überwiegend negative Kritiken, an denen auch der Soundtrack nichts ändern konnte.

1987 schrieb Morricone zusammen mit den Pet Shop Boys: It Could’t Happening Here und erhielt eine erneute Oscar-Nominierung, diesmal für Mission. Erneut musste er sich aber geschlagen geben. Der Oscar ging an Herbie Hancocks und seine Musik zu Um

412 Mitternacht. Die Entscheidung darüber war umstritten, da es sich bei dem von Hancock bearbeiteten Soundtrack um nur um eine Bearbeitung handelte, nicht um die Komposition einer neuen Originalmusik. Der Soundtrack zu Morricones Mission verkaufte sich bereits mehr als 3 Millionen Mal. Morricones Frau Maria schrieb Texte als Ergänzung zu den Stücken ihres Mannes. Zu ihren Werken gehören die lateinischen Texte The Mission

1988 begann Morricone eine kontinuierliche und sehr erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem italienischen Regisseur Giuseppe Tornatore und gewann mehrere Musikpreise für seine Partituren zu Tornatores Filmen. So erhielt Morricone eine fünfte Oscar-Nominierung und eine Golden Globe-Nominierung für Malèna. Für Legend of 1900 erhielt er einen Golden Globe Award für die beste Originalpartitur. »Er hat kein Klavier in seinem Studio, ich dachte immer, dass man bei Komponisten am Klavier sitzt und versucht, die 413 Melodie zu finden. Bei Morricone gibt es so etwas nicht. Er hört eine Melodie, und er schreibt sie auf. Er hört die Orchestrierung komplett fertig.« – Berry Levinson Seit 1995 komponierte er die Musik für mehrere Werbekampagnen von Dolce & Gabbana. Die Werbespots wurden von Giuseppe Tornatore inszeniert. Mit Brian De Palma arbeitete der Komponist im Jahr 2000 an Mission to Mars bereits zum dritten Mal zusammen. Bereits die erste Zusammenarbeit an Die Unbestechlichen führten zur Oscar-Nominierung. In einem Interview mit The Guardian 2001 beschrieb Morricone die guten Erfahrungen, die er mit De Palma gemacht hatte: »De Palma ist köstlich! Er respektiert die Musik, er respektiert die Komponisten. Für Die Unbestechlichen war alles, was ich ihm vorschlug, in Ordnung, aber dann wollte er ein Stück, das mir überhaupt nicht gefiel, und darüber waren wir natürlich nicht einer Meinung. Es war etwas, das ich nicht schreiben wollte – ein Triumphstück für die Polizei. Ich glaube, ich habe dafür insgesamt neun verschiedene Stücke geschrieben, und ich sagte: ›Bitte nicht das siebte!‹, weil es das schlechteste war. Und raten Sie mal, was er gewählt hat? Das siebte. Aber es passt wirklich zum Film.« Während seiner Karriere in Hollywood war Morricone an zahlreichen Projekten beteiligt. Darunter das Gregory-Nava-Drama A Time of Destiny, Frantic von Roman Polanski (1988 – in der Hauptrolle Harrison Ford), Franco Zeffirellis Dramafilm Hamlet von 1990 (mit Mel Gibson und Glenn Close), der Kriminalfilm Im Vorhof der Hölle von Phil Joanou (1990, mit Sean Penn und Ed Harris), Rampage

414 (1987) von William Friedkin und das Liebesdrama Love Affair (1994) von Warren Beatty. Morricone komponierte seine Musik immer in Rom und lernte nie die englische Sprache. Auch wenn er auch in Hollywood sehr erfolgreich war, hatte er wenig Interesse an der Filmmetropole und legte wenig Wert auf deren Ansehen.

Im Jahr 2001 begann Ennio Morricone eine Periode intensiver Konzerttätigkeit. Er dirigierte seine Filmmusik und Konzertwerke für Symphonieorchester und polyphone Chöre in mehr als 100 Konzerten in Europa, Asien, den USA, Mittel- und Südamerika.

Während seiner langen Karriere hat Ennio Morricone auch viele Auszeichnungen erhalten. Neben dem Goldenen Löwen und dem Ehren-Oscar, die ihm 2003 verliehen wurden, erhielt er acht Nastri D’argento, fünf BAFTAs, sechs Oscar-Nominierungen, sieben David Di Donatellos, drei Golden Globes, einen Grammy Award und einen Europäischen Filmpreis. 2009 wurde Ennio Morricone vom damaligen französischen Staatspräsidenten in den Rang eines Ritters des Ordens der Ehrenlegion erhoben.

Morricone erhielt insgesamt 27 goldene und 7 platinierte Schallplatten, 3 goldene Platten und den Preis der Critica discografica für die Musik des Films Il Prato. Der Soundtrack von Zwei glorreiche Halunken wurde 2009 in die Grammy Hall of Fame aufgenommen. 2010 wurde Morricone mit dem Polar Music Prize ausgezeichnet.

415 Seine Musik wurde unzählige Male für das Fernsehen und in Filmen wiederverwendet. Besonders Quentin Tarantino setzte die Musik oft in seinen Filmen ein, so in Kill Bill (2003), Death Proof (2007), Inglourious Bastards (2009) und Django Unchained (2012). Aber wurde seine Musik auch u.a. bei Episoden der Simpsons und bei Die Sopranos eingesetzt.

2007 erhielt Morricone den Academy Honorary Award »für seine großartigen und facettenreichen Beiträge zur Kunst der Filmmusik«. Im gleichen Jahr gab er sein Konzertdebüt am 3. Februar 2007 in der Radio City Music Hall in New York City. Am Vorabend hatte Morricone während der Begrüßungszeremonie des neuen Generalsekretärs Ban Ki-Non ein Konzert mit seinen Filmthemen im Hauptquartier der Vereinten Nationen gegeben. 2009 plante Regisseur Quentin Tarantino ursprünglich, dass Morricone die Musik für Inglourious Bastards komponieren sollte. Aber aufgrund des straffen Drehplans Tarantinos und Morricones vollem Terminkalender konnte die Zusammenarbeit nicht stattfinden. Tarantino verwendete jedoch acht von Morricone komponierte Stücke für den Film, von denen vier auf der Tonspur enthalten waren. Die Stücke stammten ursprünglich aus Morricones Kompositionen für The Big Gundown, Revolver und Allonsanfàn. Im Jahr 2012 komponierte Morricone das Lied Ancora Qui mit dem Text der italienischen Sängerin Elisa für Tarantinos Django Unchained, ein Stück, das zusammen mit drei

416 bereits vorhandenen von Morricone komponierten Musikstücken auf dem Soundtrack erschien. Am 4. Januar 2013 überreichte Morricone Tarantino in einer besonderen Zeremonie, die als Fortsetzung des Internationalen Filmfestivals von Rom stattfand, einen Preis für sein Lebenswerk. 2014 wurde Morricone falsch zitiert, als er behauptete, er würde »nie wieder mit Tarantino arbeiten«. Der Komponist und der Regisseur arbeiteten wiederzusammen. Die The Hateful Eight-Komposition gewann 2016 einen Oscar in der Kategorie Beste Originalmusik.

Konzerte gab Morricone zudem ab 2011 in größerem Umfang. So ging er ab November 2013 auf Welttournee. Seine Europatournee wurde von Februar 2015 bis März 2015 mit 20 Konzerten in 12 Ländern fortgesetzt.

Um seine Musik für eine Live-Aufführung vorzubereiten, fügte er kurze Musikstücke zu langen Suiten zusammen. 417 Statt einzelner Stücke, bei denen das Publikum alle paar Minuten applaudieren müsste, hielt Morricone es für die beste Idee, eine Reihe von Suiten mit einer Dauer von 15 bis 20 Minuten zu schaffen, die eine Art Sinfonie in verschiedenen Sätzen bilden – abwechselnd erfolgreiche Stücke und persönliche Favoriten. Bei Konzertauftritten hatte Morricone etwa 180 bis 200 Musiker und Sänger unter seiner Leitung. »Filmmusik ist eine der wichtigsten Kunstformen des 20. Jahrhunderts und sie wird immer wichtiger.« Ennio Morricone im Interview mit Klassikinfo.de Ennio Morricone schrieb auch immer wieder komplette Kompositionen für Serien. Eine der in Deutschland bekannteren ist die für die Low-Fantasy-Produktion Das Geheimnis der Sahara von 1988 mit Andie MacDowell, Michael York und Ben Kingsley.

418 Außerdem erschuf er von 1985 bis 2001 die Filmmusik für die Mafia-Fernsehserie Allein gegen die Mafia Staffel 2 bis 10, einschließlich der Themen Droga e Sangue, La morale und L’immorale. Morricone arbeitete als Dirigent der Staffeln 3 bis 5 der Serie. Zudem war er musikalischer Leiter des Fernsehprojekts Die Bibel. Ende der 1990er-Jahre arbeitete er zusammen mit seinem Sohn Andrea an den Ultimo-Krimi-Dramen. Morricone lieferte 2006 die Streicherarrangements auf Steven Patrick Morrisseys Dear God Please Help Me aus dem Album Ringleader of the Tormentors. Im Jahr 2008 nahm der Komponist Musik für einen Lancia-Werbespot mit Richard Gere unter der Regie von Harald Zwart auf. Am 6. Juli 2020 verstarb der große Komponist im Alter von 91 Jahren an den Folgen eines Oberschenkelhalsbruchs. Er hinterlässt seine Frau Maria und seine vier Kinder Marco, Alessandra, den Dirigenten und Filmkomponisten Andrea und Giovanni Morricone, einen Filmemacher.

Quellen: https://www.klassikinfo.de/interview-mit-ennio-morricone- oscar-verleihung/ Adam Sweeting »Mozart of film music? The Friday interview«. Guardian. London. 23.02.2001 Jon Pareles, »The Maestro of Spaghetti Westerns Takes a Bow«. The New York Times. 28.01.2007

419 https://en.wikipedia.org/wiki/Ennio_Morricone http://www.enniomorricone.org/ https://www.imdb.com/name/nm0001553/?ref_=fn_al_nm _1

Phantastisches zur Mitternacht von Frank Hammerschmidt 2018 begann ich neben meinen Produktionen für die freie Szene wie den Zukunfts-Chroniken und den Scary Stories, auch an einer kommerziellen Hörspielreihe mitzuarbeiten, den Midnight Tales. Zu der Zeit waren bereits einige Folgen produziert und ich war sofort Feuer und Flamme. Das Konzept gefiel mir. Wie bei den großen Vorbildern Twilight Zone, Outer Limits oder Black Mirror sollte es hier Geschichten geben, die vielfältig sein und meistens zwar etwas Phantastisches zu bieten haben sollten, aber keinem bestimmten Genre zuzuordnen waren. Vor allem setzte das Team auf die großen Stärken der Hörspiele, mit denen wir aufgewachsen sind: kurz und knackig. Und abwechslungsreich. Endlich mal etwas vollkommen Neues auf dem deutschen Hörspielmarkt mit einem ganz eigenen Stil, dachte ich mir.

420 So sollte neben intelligenten und spannenden Krimis, Thrillern und Grusel auch Platz sein für Science-Fiction und sogar Fantasy. Das erste Hörspiel, das ich aus dieser Reihe zu hören bekam, war Morbide Rosen von Erik Albrodt, das ganz in der Tradition von Roald Dahl-Geschichten daherkam. Außerdem stammt eine Vielzahl der Geschichten von der Amerikanerin Julie Hoverson, die extra für diese Reihe von Thomas Rippert ins Deutsche übersetzt werden und in der es auch mal um ungewöhnliche Adaptionen eines Lovecrafts oder Poes geht. Christoph Piasecki, Kopf von Contendo Media, war eine bunte Vielfalt der Geschichten sehr wichtig und so holte er einige weitere Autoren ins Boot wie Marc Freund oder Thorsten Beckmann und einige mehr.

421 Meine erste Geschichte zu den Midnight Tales sollte Spurlos werden, die in den 1950er-Jahren beginnt, dann jedoch auch Züge einer Science-Fiction-Erzählung annimmt. Der kleine Sohn einer amerikanischen Familie verschwindet spurlos und es ist bis zum Ende nicht klar, ob er von Außerirdischen oder einem entkommenen Strafgefangenen entführt worden ist. Oder steckt doch etwas ganz anderes dahinter? Apropos Vielfalt. Es ist schön, dass ich mich bei dieser Reihe so richtig austoben kann. So gingen die nächsten Folgen von mir, Das Glücksdrachen-Tattoo und Hetzjagd, in vollkommen andere Richtungen. Während das Tattoo sich mit der mystischen Seite des gegenwärtigen Chinas auseinandersetzt, handelte die zweite Geschichte von der dunklen Vergangenheit des mittelalterlichen Frankreichs, in dem Hexenverfolgung und Lynchmord noch durchaus üblich waren.

422 Obwohl erst im März gestartet, hat die Serie in der Corona-Zeit richtig Vollgas gegeben, sodass sich Midnight Tales bereits dem ersten kleinen Jubiläum nähert. Im Oktober ist es dann soweit und ich kehre bei den Folgen 25 bis 28 mit einem Science-Fiction-Setting zurück. In der vierteiligen Dystopie Tote neue Welt (die ich im übrigen ca. ein Jahr vor der aktuellen Corona-Krise geschrieben habe) geht es um eine Gruppe Menschen, die an einem Experiment teilgenommen und sich für drei Jahre auf einer Forschungsstation auf Lanzarote haben »wegschließen« lassen. Nach dieser Zeit ist nichts mehr wie es war. Die Insel scheint menschenleer und die Vögel auf der Insel sind seltsam aggressiv geworden. Ein paar Anleihen an Hitchcocks Die Vögel seien mir da verziehen. Dort findet sich ein Motiv wieder, welches ich schon oft in Geschichten benutzt habe. Eine kleine Gruppe Menschen auf der Reise, die sich durch allerlei Ungemach durchkämpfen muss und dabei die wahre Freundschaft entdeckt. Sehr ausgeprägt war das auch in meiner Mole-Saga, doch ich schweife ab. Es bleibt auf jeden Fall super spannend und für reichlich Nachschub ist bereits gesorgt. Zu hören sind die Geschichten auf allen gängigen Streaming-Plattformen und als Download auf den verschiedensten Portalen wie iTunes, Amazon, Audible & Co. Riskiert doch mal ein Ohr!

423 Perry Rhodan – Auf die Ohren von Mario Staas Die Heftromanserie Perry Rhodan sollte eigentlich jeder Science-Fiction-Fan in Deutschland zumindest dem Namen nach kennen. Bücher, Comics, Bausätze und dergleichen sind nicht nur den Fans der Serie ein Begriff. Und natürlich gibt es auch hier Audio-Umsetzungen. Die ersten Versuche wagte im Jahre 1973/74 der EUROPA Hörspielverlag. Dort hatte man bereits sehr früh das Potential der Heftromane und Taschenbücher erkannt. Heikedine Körting, Mitgründerin und Mitinhaberin des Labels, führte wie bei fast allen Produktionen hier die Regie. Die Umarbeitung der Taschenbücher ins Hörspielformat geschah durch den Perry Rhodan-Autor Hans Kneifel. Für die damalige Zeit waren die drei LPs hochwertig eingesprochen und produziert. Die Titelbilder der Planetenromanausgaben ersetzte man durch optische Kracher von Johnny Bruck aus den Heftromanen. Die drei vertonten Romane waren Planet der Puppen von William Voltz sowie Aufruhr in Terrania und Der Mordplanet, beide von Hans Kneifel. Da offenbar die Verantwortlichen von EUROPA beim Titel Der Mordplanet einige Bauchschmerzen verspürten, änderte man ihn kurzerhand in Planet des Todes. Zudem schien bei der Planung und Gestaltung der Cover etwas schiefgegangen zu sein – beide Kneifel-Romane wurden auf den LPs und MCs als von William Voltz verfasst angegeben.

424 Mit einer Laufzeit von ungefähr 40 Minuten pro Folge bekamen die Perry Rhodan-Fans erstmals kräftig etwas auf die Ohren. Mit gemischtem Erfolg. Ja, sie sind aus dem Label EUROPA, was ja an sich schon für gehobenere Qualität bei Hörspielen steht. Allerdings scheint es, als sei trotz Werbung in den Heften aller Auflagen für das neue Produkt der Absatz nicht ausreichend gewesen, um eine Fortführung der Serie zu rechtfertigen. Die Seite www.hörspiele24.de legte die alten Klassiker als MP3-Versionen neu auf. Leider ist diese Seite nicht mehr erreichbar. Dafür jedoch kann man das Werk auf den einschlägigen Streamingdiensten wie z. B. Deezer ungekürzt genießen.

©: Pabel-Moewig / EUROPA Dass es lange Zeit keine Neuauflagen gab, lag unter anderem an einem Rechtsstreit mit einem der Musikkomponisten der alten Hörspiele, Carsten Bohn. Übrigens ist dies auch einer der Gründe, warum es die alten Fassungen der Drei ??? mit der alten Musik nicht mehr gibt.

425 Genießt man die Werke heute, wird man feststellen: Sie sind relativ ordentlich gealtert. Die Soundeffekte waren für die 1970er-Jahre typisch bemüht »spacig«, was aber zur Gesamtstimmung der Geschichten passt. Die Handlung an sich offenbart dann aber einige klar erkennbare Schwächen. Um ein Taschenbuch mit über 100 Seiten auf eine Hörspielhandlung zusammenschrumpfen zu lassen, bedarf es naturgemäß einiger Änderungen und Kürzungen. Dabei wurde leider auch etwas am logischen Zusammenhalt der Handlung gerüttelt, so dass es für Menschen, die die zugehörigen Romane oder Perry Rhodan an sich nicht kennen, schwer sein dürfte, dem Plot zu folgen. Hinzu kommt, dass manche Sprecher relativ ähnlich klingende Stimmen haben. So kann es schon vorkommen, dass der geneigte Hörer eine Rolle falsch zuordnet. Dennoch kann man den ersten Versuch, die größte Weltraumserie der Welt in ein Audio-Format zu bringen, als durchaus gelungen bezeichnen. Ob es Kindern, die ja als primäre Zielgruppe für Hörspiele gesehen werden, gerecht wird, darf man getrost bezweifeln. Eher dürften sich jugendliche Menschen angesprochen fühlen – und selbstverständlich auch jung gebliebene Zuhörer. Im Jahre 1983 gab es dann einen weiteren Versuch von EUROPA, Perry Rhodan als Hörspiel zu etablieren. Die ersten 19 Heftromane wurden von H.G. Francis zu Hörspielen umgearbeitet. Francis war damals bereits recht geübt in der Erstellung von Drehbüchern für dieses Medium, wodurch

426 der zweite Versuch dann auch viele Schwächen der vorherigen Hörspiele vermied. Es erschienen zwölf Folgen mit 38 bis 50 Minuten Spielzeit als Musikcassette (MC). Auch diese sind heute bei fast allen Streamingdiensten zu finden. Drei weitere bereits fertig geschriebenen Folgen, die die Heftromane bis einschließlich Nr. 27 umfassten, wurden nicht mehr vertont. Auch dieses Mal setzte man wieder auf die von der Heftserie bekannten Titelbilder von Johnny Bruck. Für die verschiedenen Rollen konnte man auf eine Riege erfahrener Sprecher setzen, die man zu Recht als erstklassig bezeichnen darf. So sprach zum Beispiel Uwe Friedrichsen den Titelhelden und Judy Winter die Arkonidin Thora. Alle Details zu diesen Werken hier aufzuführen, dürfte wohl den Rahmen sprengen – daher sei an dieser Stelle die Perrypedia erwähnt, die unter dem Stichwort Europa-Hörspiele (1980er) alle Details hervorragend zusammenfasst. Wer die ersten 20 Ausgaben der Drei ??? kennt und mag, dürfte sich bei diesen Perry-Hörspielen sofort heimisch fühlen. Teilweise wird die gleiche Musik, der gleiche Handlungsaufbau, werden die gleichen Sprecher verwendet. Das heißt dann auch, diesen Werken kann auch ein Hörer leicht folgen, der die Heftserie nicht kennt. Leider waren auch hier Streichungen und Komprimierungen der Handlung notwendig. Was beim Genuss der Werke jedoch kaum auffällt. Man darf sogar behaupten, diese Ausgabe von EUROPA kann man als »Kino für die Ohren«

427 bezeichnen. Leider war auch dieses Mal der Erfolg nicht ausreichend für eine länger andauernde Serie. Gründe kann man dafür viele suchen. Es wurde eigentlich nichts falsch gemacht. Durch die Straffung der Handlung hatte H.G. Francis viele nicht mehr zeitgemäße Ausdrücke und Technik streichen können. Leider sollte es bis 1998 dauern, bis ein neuer Versuch stattfand – den allerdings werde ich in der nächsten Ausgabe mit Folge 2 von »Perry Rhodan – Auf die Ohren« genauer beleuchten.

©: Pabel-Moewig / EUROPA

428 Phantastische Kunst

Interview mit einer phantastischen Künstlerin, Jacqueline Wagner: Harry Potter hat den Stein der Weisen, wir haben »Trulwer Stä« von Reiner Krauss

Steine bemalen, ein Hobby für immer mehr Menschen – überall in Deutschland. Auf Facebook gibt es längst viele Gruppen, in denen Menschen selbstbemalte oder gefundene Steine posten. Die Motivation der zahlreichen Steine-Gruppen ist immer die Gleiche: Menschen eine Freude bereiten. Ein neuer Trend: Steine bemalen und auslegen. Dazu hatte auch Jacqueline Wagner aus dem kleinen Ort Trulben im schönen Pfälzer Wald, gerade in Zeiten der Pandemie aufgerufen und viele sind gefolgt. Die junge Künstlerin zeigte hierbei viel Talent und tolle Ideen. Unlängst wurde zum Bemalen und Auslegen von Harry Potter-Steinen aufgerufen. Glücklicherweise konnte es gar zu einem persönlichen Gespräch dabei kommen, da wir uns kennen und schätzen gelernt haben. Fragen wir sie also einfach selbst, wie es zu all dem kam.

429 Reiner Krauss: Hallo Jacqueline und vielen Dank für Deine Zeit und die Vorstellung deines Hobbys. Zunächst erstmal die Frage, woher kommst Du, was machst Du sonst und seit wann bemalst du Steine und wie kam es dazu? Jacqueline Wagner: Hallo, mein Name ist Jacqueline Wagner, ich bin 26 Jahre alt, Sozialpädagogin und komme aus dem schönen Pfälzer Wald. In meiner Freizeit bin ich gerne in der Natur, am Lesen oder mit Freunden und mit dem Motorrad unterwegs. Nachdem die Corona-Pandemie sich auch in Deutschland ausgebreitet hat und Treffen mit Freunden seltener wurden, habe ich nach einer neuen Beschäftigung gesucht. Da ich einerseits etwas Kreatives und andererseits etwas für meinen Ort machen wollte, kam ich auf die Idee, Steine zu bemalen. Das dürfte so gegen Anfang April gewesen sein.

430 © JW / Jacqueline Wagner mit dem größten Stein »Gryffindor« Reiner: Ihr bekamt Berichterstattung gar in überregionaler Tageszeitung für eine Aktion in Zeiten des »Shutdowns« wegen der Corona-Pandemie. Was war die Idee und was hat dieses ausgelöst?

431 Jacqueline: Ich hatte damals von bemalten Steinen im Saarland – sogenannte »Saarsteine« – gehört und fand die Idee super. In meinem aktuellen Dienstort gibt es die Zweibrücker »Zweisteine«. Die Vorstellung, bunte Steine im Wald, auf Wanderwegen oder an öffentlichen Gebäuden zu finden, auf welchen kleine Bilder, Figuren oder Sprüche gemalt sind, hatte mich direkt begeistert. Mich hat es an Ostern erinnert, man läuft durch den Wald und findet statt kleiner bunter Eier kleine bunte, bemalte Steine. Jedes Mal, wenn ich spazieren oder wandern ging, freute ich mich, einen Stein zu finden und diesen an einen neuen Ort mitzunehmen. Reiner: Welche Farben verwendet man und wie wählt man passende Steine aus? Jacqueline: Ich habe mit Voll- und Abtönfarben angefangen. Diese hatte ich zufällig noch von einem alten Bastelprojekt zu Hause. Zusätzlich dazu habe ich mit weißem und schwarzem Eddingstift gearbeitet. Nachdem ich immer mehr Spaß am Bemalen gefunden hatte, habe ich mir Acrylstifte bestellt. Nach und nach habe ich dann immer wieder Acrylfarben in unterschiedlichsten speziellen Farben wie beispielsweise Lavendel oder Pastellblau nachgekauft. Reiner: Eine weitere Aktion sind Steine aus der phantastischen Welt Hogwarts und des Zauberschülers Harry Potter. Welche Motive sind dabei zustande gekommen? Jacqueline: Irgendwann kam ich an einen Punkt, an dem ich nicht mehr wusste, welche Motive ich noch malen sollte. Unterschiedlichste Tiere, Häuser und Landschaftsbilder hatte ich bereits zu genüge gemalt. Dann kam ich auf die

432 Idee, Harry Potter-Steine zu bemalen. Mein erstes Motiv war Harry selbst, danach sein Umhang mit entsprechender Krawatte und Hogwarts-Logo. Nachdem ich Gefallen an den themenbezogenen Steinen gefunden hatte, malte ich einen Stein vom Bahngleis 9¾. Darauf folgte Hermine, Hogwarts, ein Zauberspruch und diverse Filmzitate. Nicht immer sind alle Motive geglückt. Zum Beispiel habe ich versucht, einen Stein mit der Schneeeule Hedwig zu bemalen – ein Freund meinte daraufhin, der Stein sehe eher aus wie ein Herbert anstatt einer Hedwig. Aber naja, es freut sich bestimmt trotzdem jemand über den Fund. Reiner: Wo kann man sie überall finden? Jacqueline: Die Steine habe ich größtenteils in meiner Heimatgemeinde Trulben ausgelegt. Wer die Steine gefunden hat und an welchen Ort er diese gebracht hat, weiß ich aktuell nicht. Die einzige Möglichkeit, die Steine zu verfolgen, ist die Facebookgruppe #Trulwerstä. Findet jemand einen Stein oder bringt diesen an einen neuen Bestimmungsort, kann die Person dies in der Gruppe mit einem Foto festhalten. Einige Steine, wie beispielsweise den großen Gryffindor oder den Stein vom Bahngleis werde ich wohl behalten und auf meinem Balkon auslegen. Reiner: Warum gerade die Welt von Harry Potter? Jacqueline: Ich bin seit Jahren ein großer Harry Potter-Fan. Sowohl die Filme, Hörbücher als auch Bücher haben mich fast durch meine ganze Jugend begleitet. Als ich in der zweiten Klasse war – 2001 – kam der erste Harry Potter-Film in die deutschen Kinos und 2011 der letzte. Als Kind mit 7 Jahren ist man natürlich sehr begeistert von der magischen Welt und hofft insgeheim natürlich, auch einen Brief aus

433 Hogwarts zu bekommen. An den Festmahlen in der großen Halle teilzunehmen, am Wochenende zu Quidditchspielen zu gehen und spannende Zaubersprüche in der Schule zu lernen. Ja, die kindliche Fantasie ist eine schöne Sache – so begann meine Begeisterung für die Zaubererwelt rund um Harry Potter. Diese Begeisterung ist bis heute geblieben.

© JW / »Harry Potter-Steine« bald zu finden auf Wanderwegen im Pfälzer Wald Reiner: Was also sind jetzt »Trulwer Stä« und wie kam der Name auf Mundartdeutsch zustande? Jacqueline: »#TrulwerStä« sind speziell Steine, welche in meinem Heimatort oder den umliegenden Gemeinden gestaltet wurden. Der Name leitet sich aus dem Namen der Ortsgemeinde Trulben und dem Pfälzer Wort für Steine – 434 nämlich »Stä« ab. Zwischenzeitlich gibt es viele verschiedene Steine mit unterschiedlichsten Namen, beispielsweise die #Pfalzsteine aus Rheinland-Pfalz, #Berlinersteine aus der Hauptstadt oder #HamburgStones in der Hansestadt. Reiner: Wie viele Steine hast Du bis heute bemalt und wie viele sollen noch dazukommen? Jacqueline: Das ist eine gute Frage – ich habe zwar von jedem Stein ein Foto an seinem Auslegeort gemacht, aber nie mitgezählt. Schätzungsweise könnten es über 200 Steine sein. Wobei ich auch nicht alle ausgelegt habe. Ein paar meiner Kunstwerke liegen auf meinem Balkon oder bei Freunden und Bekannten im Garten. Tatsächlich muss ich gestehen, dass das Bemalen der Steine teilweise wie eine Sucht war. Meist habe ich abends vorm Fernseher oder bei Musik welche bemalt und dachte dabei häufiger »einer geht noch«. Heute male ich nicht mehr täglich, aber hoffe, noch lange Spaß am Bemalen von Steinen zu haben. Ich werde wohl noch solange malen, wie Leute weiter Freude am Aufspüren haben und ich weiter neue Motive finde. Reiner: Was rätst Du interessierten Lesern, die sich nun gerne selbst an solche Steine wagen wollen? Jacqueline: Ich würde allen Interessierten raten, festes Schuhwerk anzuziehen, raus zu gehen und auf Wald- oder Wanderwegen Ausschau nach »rohen« Steinen zu halten. Vielleicht findet der eine oder andere sogar, wenn er die Augen offenhält, bereits einen bemalten Stein. Nach einer schönen Wanderung nach Hause kommen und der Kreativität freien Lauf lassen. Falls jemand keine schöne Idee hat oder nicht gut zeichnen kann, kann ich raten, auf

435 Google den gewünschten Gegenstand der Zeichnung und den Zusatz »einfach malen« einzugeben – beispielsweise »Katze einfach malen«. Nur Mut, es ist noch kein Künstler gleich vom Himmel gefallen. Nicht jeder Stein muss ein Kunstwerk sein und Übung macht den Meister. Hat einer gar keine Lust, etwas zu malen, kann er auch einfach mit einem wasserfesten Stift einen schönen Spruch auf einen Stein schreiben. Zum Beispiel »happy day« oder im Sinne der Corona-Zeit »bleib gesund«. Reiner: Wunderbare Idee. Vielen Dank für Deine Zeit und Deine Auskunft. Weiterhin viel Freude mit diesem bunten Hobby. Was wünschst Du Dir für die Zukunft oder welche Wünsche sind gar zwischenzeitlich schon in Erfüllung gegangen? Jacqueline: Dankeschön. Ich hoffe sehr, dass ich mein Hobby einigen Interessierten näherbringen konnte, damit wir bald noch mehr bunte Steine im Wald finden können – am liebsten auch mit Harry Potter-Motiven. Dabei wünschte ich mir zuvor auch einen Brief aus Hogwarts inklusive Zugticket. Das habe ich zwischenzeitlich sogar bekommen, von Freunden als Geburtstagsgeschenk für Nerds … aber immerhin, vielleicht funktioniert es ja bei einer Backsteinmauer zwischen Gleis 9 und 10. Weiterführende Informationen zum Thema: Facebook-Gruppe »Trulwer Stä« https://www.facebook.com/groups/277209826621188

436 Phantastisches Fandom

Blicke auf OLYMP von Thorsten Walch

Zweierlei ist lange her: Zum einen meine ganz persönliche Zeit als Perry Rhodan-Leser. Angenehme Erinnerungen steigen in meinem Geist auf, wenn ich daran zurückdenke: Als etwa 10-jähriger stieg ich damals eher zufällig in den »Cappin«-Zyklus ein und lernte nicht nur Perry Rhodan und seine je nachdem mehr oder weniger dauerhaften Helfer kennen, sondern auch faszinierende Nebenfiguren wie den Cappin Ovaron oder den Zentaur Takvorian (der mich damals ungeheuer beeindruckte). Gewissermaßen brachte mich Perry Rhodan durch einen damaligen Briefclub gar in das Science-Fiction-Fandom, dem ich seitdem (wenn auch in der Beschäftigung mit anderen Franchise) verbunden geblieben bin. Viele Jahre blieb ich der Serie treu, aber: Irgendwann fehlte mir aus vielerlei Gründen einfach die Zeit dazu, Woche für Woche einen neuen Heftroman, dazu die Silberbände sowie die Spin-Off-Romane aus seinerzeit dem Heyne Verlag zu lesen. Bis heute bin ich der Serie jedoch in Interesse verbunden und bemühe mich, wenigstens die immer wieder einmal veröffentlichten Miniserien zu lesen, um mich nicht voll und ganz vom Perryversum zu verabschieden.

Das zweite, das lange her ist, sind Fanzines: Selbst langjähriger Mitarbeiter vieler davon und gar Herausgeber

437 eines recht langlebigen, vermisse ich sie, die von den Anhängern eines oder auch vieler Franchise herausgegebenen »Amateurmagazine«, deren Berichterstattung manchmal unvoreingenommener und vor allem von vorgefassten Meinungen losgelöster schien als in den »großen« und »echten« Genrezeitschriften, die es zumindest in den 1990er- und frühen 2000er-Jahren noch in deutlich größerer Anzahl gab als heute der Fall. Daher freute es mich außerordentlich, als Perry Rhodan-Expertin Alexandra Trinley mir kürzlich eine Ausgabe ihres eigenen neuen Fanzines zu lesen gab: Blicke auf OLYMP. Der oder das titelgebende »Olymp«, soviel wusste ich nicht zuletzt dank Kollegin Alexandras regelmäßiger Perry Rhodan-Kolumne im renommierten Corona Magazine (für das ich als Star Trek-Redakteur wie auch beispielsweise über Glanzstücke aus dem Horror-Genre schreibe), ist eine der von mir schon angesprochenen Miniserien innerhalb des Perryversums und erschien in insgesamt 12 Bänden von Januar bis Juni 2018. Mit »Olymp« ist bei Perry Rhodan nicht der mythologische Wohnsitz der Götter des alten Griechenlands gemeint, sondern die Welt der Freihändler: ein Planet der Wirtschaft eben. Vermutlich dürfte es kaum einen Leser dieser Rezension geben, der die Miniserie Olymp nicht gelesen hat, aus diesem Grund möchte ich auch auf eine Inhaltsangabe verzichten. Stattdessen widme ich mich lieber dem eigentlichen Subjekt dieses Artikels: dem Fanzine Blicke auf OLYMP.

Inhalt: Auf insgesamt 68 Seiten bekommt der Perry Rhodan-Fan eigentlich einen kompletten Werkstattband zu Olymp im Zeitschriftenformat geboten (eine elektronische Veröffentlichung von Blicke auf OLYMP gibt es nicht), der

438 alle Fragen rund um die Miniserie (die übrigens zumindest im E-Book-Format nach wie vor erhältlich ist) beantworten dürfte: Die sechs Autoren der zwölf Bände (von denen jeder zwei verfasst hat) kommen in Interviews, welche die Redakteurin mit ihnen geführt hat, zu Wort: Natürlich auch Uschi Zietsch, die nicht nur unter ihrem Pseudonym Susan Schwartz seit vielen Jahren zum regulären Autorenteam der Perry Rhodan-Heftserie gehört, sondern auch Olymp gestaltet und konzipiert hat, sowie Grafiker Gregor Sedlag über seine Arbeit an der Serie und andere illustre Persönlichkeiten aus dem Perryversum mehr. Auch gibt es einen Überblick von Alexandra Trinley über die bisherigen Perry Rhodan-Miniserien. Abgerundet wird das Ganze durch Fotos, Bilder und Illustrationen.

Bewertung: Sieht man davon ab, dass ich es sehr genossen habe, wieder einmal einen eher selten gewordenen Blick in das Perryversum zu werfen, finde ich selbst immer wieder die Entwicklung von gedruckten Fanzines erstaunlich: Von der Gestaltung her unterscheidet sich das farbig gedruckte Heft in keiner Weise von »echten«, professionellen Publikationen auf dem Zeitschriftenmarkt. Dennoch hat Blicke auf OLYMP den wunderbar Fan-gefärbten Beigeschmack behalten, der Fanzines von jeher ausgezeichnet hat. In anderen Worten: Schön zu sehen, dass es dergleichen auch in der heutigen Internet-Ära noch immer gibt und dass sich Menschen noch immer die entsprechende Mühe machen.

Für jemand, der die Miniserie Olymp (leider) noch nicht gelesen hat (wie mich …), macht das Heft natürlich auch immens gespannt darauf, trotz des einen oder anderen, bei

439 einem solchen Projekt natürlich unvermeidlichen Spoilers. Man merkt insbesondere in den Interviews den riesigen Enthusiasmus, mit dem die Autoren der Bände zu Werke gingen, und dieser wirkt schlicht und ergreifend ansteckend. Für mich als Leser hat das Ganze natürlich einen sehr nostalgischen Aspekt: Allein die Erwähnung von Namen wie Anson Argyris wecken Erinnerungen an selige Nachmittage auf der sommerlichen Parkbank, an denen man die damals brandneuen Hefte las. Sich dabei vorzustellen, dass es die Heftromanserie (beziehungsweise ein Spin-Off), um die es da geht, seit fast 59 Jahren (!) gibt, weckt schon eine gewisse Wehmut. Nicht vieles aus der »guten, alten Zeit« (die selbstverständlich längst nicht immer nur gut war!) hat bis heute überdauert. Und angesichts des schon angesprochenen Enthusiasmus steht freudig zu erwarten, dass sich hieran zumindest in absehbarer Zeit auch nichts ändern wird.

Um es resümierend zu sagen: Für den Leser, der Perry Rhodan aktuell verfolgt, ist Blicke auf OLYMP ein hochinteressantes Bonusheft zur Miniserie, das sicherlich so manchen Rückblick aus neuer Perspektive eröffnet. Für den gelegentlichen Zaungast im Perryversum wie den Verfasser dieser Rezension dagegen ist das Ganze eine Mischung aus Auf-den-neuesten-Stand-Bringer sowie ein oftmals melancholisch gefärbtes Lesevergnügen mit hohem Informationsgehalt. Übrigens: Mittlerweile befinden sich die beiden ersten Bände von Olymp bereits auf meinem E-Book-Reader und warten nur noch auf den bevorstehenden Urlaub.

440 Blicke auf OLYMP ist bereits im Mai 2020 im TCE (Terranischer Club Eden) erschienen und kann zum Preis von 8,50 € zuzüglich Versand im Clubshop bestellt werden.

Bestellung per Mail: [email protected] Postalische Bestelladresse: Kurt Kobler, Feuerwerkerstr. 44, 46238 Bottrop

441 Mitarbeit am Corona?

Gerne und jederzeit!

Sie schreiben gerne und gut? Bringen Ihre Gedanken zielsicher auf den kreativen Höhepunkt, neigen zu nächtlicher Selbstkasteiung, um fingernagelkauend und schlaftrunken die wichtigste Deadline überhaupt einhalten zu können? (Damit meinen wir unsere...)

Toll, wissen Sie was?

Auf Sie haben wir gewartet!

Das Corona Magazine ist ein Online-Projekt, das zu einer Zeit entstanden ist, als 14.4er Modems noch schnell schienen, 64 MB RAM noch wirklich viel waren und das Internet noch den Geist des kostenlosen Informationsaustauschs in sich trug. Zumindest letzteres haben wir aus unseren Anfangszeiten bis in die Gegenwart gerettet. Das Corona Magazine ist nicht-kommerziell. Wir verdienen vielleicht Geld, wir bekommen es aber nicht. Das gilt dann leider auch - und wie so oft - für unsere Autoren, Webmaster, Chefredakteure und das Lektorat.

Warum sollte dann irgendjemand auf die Idee kommen, bei uns mitzumachen?

442 Nun, abgesehen von einer gewissen Dosis Masochismus und der zumeist angeborenen Sehnsucht nach der großen oder kleinen Bühne, verbindet die Mitarbeiter des Corona-Projekts vor allem eines: Der Spaß an der Sache. Obwohl wir im ganzen deutschsprachigen Europa verteilt sind, sind unsere Treffen stets feuchtfröhlich, unsere Chats und Telefonate meist inspirierend (oder zumindest transpirierend) und die Diskussionen in unseren Mailinglisten sind, so denn das Gros der Redakteure mal aus dem Quark kommt, das reinste Paradebeispiel für den Aufbau eines gelungenen Networking. Denn egal in welche Stadt man kommt - ein Corona-Redakteur ist meist schon da.

Wer sind wir eigentlich genau?

Es gab Zeiten und Projekte, da waren wir ein äußerst kunterbunter Haufen. Inzwischen sind wir nur noch bunt. Unsere Redaktion setzt sich aus ehrenamtlich arbeitenden Journalisten, Redakteuren, Lektoren und einer Handvoll von Menschen zusammen, die genau so was unheimlich gerne geworden wären, wenn die Medienbranche nicht so eine Knochenmühle wäre. Das bedeutet für jeden Interessierten, dass er oder sie immer eine Chance hat, dieser Ansammlung an Individuen beizutreten - wenn er mag und kann.

Eine Mail an [email protected] mit einem netten Betreff, wie z.B. »Hallo, da bin ich!« und einer kurzen

443 Vorstellung der eigenen Person reicht da völlig.

Wir freuen uns auf Sie!

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