INHALT

1. Einleitung ...... 3 1.1 Forschungsstand und Zielsetzung ...... 3 1.2 Biographien ...... 5 1.3 Ideologiekritik als überwiegende Betrachtungsweise des Werks von Guido List ...... 7 1.4 Rezeptionsforschung − Forschungslücken ...... 8 1.5 Guido List in der Literaturwissenschaft ...... 9 1.6 Zielsetzung ...... 11 1.7 Methode ...... 12 1.8 Was bringt eine werkmonographische Studie? ...... 15 2. Kurze Vorstellung von Guido List ...... 17 3. Landschaften wie Urkunden lesen (1877−1891) ...... 21 3.1 Journalistische Erfolge ...... 23 3.2 Literarische Gesellschaften ...... 25 4. Literarische Verarbeitung der Forschungsergebnisse (1888−1903) ...... 28 4.1 Der Roman – Carnuntum ...... 28 4.1.1 Exposition und Erzählstrategien ...... 31 4.1.2 Figurentypologie ...... 34 4.1.4 Aktualisierungen – Industrielle Gesellschaft...... 39 4.1.5 Okkulte Geheimbünde und Rituale – Erste ariosophische Ansätze ...... 41 4.2 Carnuntum und List – ein verhängnisvolles Verhältnis ...... 43 4.3 Vergleichende Analyse der Völkischen Forschungsberichte über Carnuntum – Guido Lists Der Wiederaufbau von Carnuntum und Heinrich Kirchmayrs Der altdeutsche Volksstamm der Quaden ...... 44 4.3.1. Carnuntum in der Geschichtswissenschaft ...... 45 4.3.2 Völkische Beschreibungen der Eroberung von Carnuntum ...... 47 4.4 Jung Dieter´s Heimkehr, eine Sonnwendgeschichte aus dem Jahre 488 n. Chr...... 49 4.5 Der Roman − Pipara ...... 51 4.5.1 Inhalt des romans ...... 53 4.5.2 Erzählstrategie ...... 53 4.6 Alraunenmären ...... 54 4.7 Epische und dramatische Werke – Suche nach einer geeigneten Form für ideologische Botschaften ...... 55 5. Lists völkisch-religiöse Dramen ...... 59 5.1 Ernst Wachlers Theaterreform ...... 60 5.2 Kombinatorik als „Forschungsmethode“ ...... 62 5.2.1 Die Erfindung der Tradition bei Guido List ...... 62 5.2.2 Historische Überlieferung über Vannius und den Stierfelsen und der Forschungsstand zu Lists Zeiten ………………………………………………………………………………………………………………64 5.2.3 Vannius und der Stierfelsen im Drama König Vannius – Auswählen, Missinterpretieren, Kombinieren ...... 66

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6. Frauenfiguren im Werk Guido Lists ...... 68 6.1 Romantische Germanenrezeption: der Germane und der Römer ...... 69 6.2 Mann−Frau Rollenverteilung und Kritik an der Industriegesellschaft ...... 70 6.3 Literarische Darstellung der Frau-Mann Rollenverteilung ...... 72 6.4 Hexendeutungen ...... 74 7. Der Jude als Auffresser aller Kulturvölker −Zum Antisemitismus bei Guido List ...... 77 7.1 Lists Antisemitismus und die Forschung ...... 78 7.2 Biographische Bemerkungen ...... 79 7.3 Literarische sadomasochistische Phantasien ...... 81 7.4 Antisemitische Weltanschauungsliteratur − Forderungen nach einer Revision der Verhältnisse ...... 82 7.5 Lists Antisemitismus und seine anderen Antiismen ...... 83 7.6 Theosophische Einflüsse und weitere Radikalisierung nach 1900 ...... 85 8. Schluss ...... 89 9. Ausblick ...... 95 Primärliteratur (Guido Lists Texte) ...... 96 Sekundärliteratur ...... 101

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1. EINLEITUNG

Guido List – für einige seiner Zeitgenossen „der Meister“, für andere ein verwirrter Autodidakt, für die meisten Menschen des 21. Jahrhunderts ein zu Recht vergessener Schriftsteller und Denker, für verschiedene zumeist obskure Gruppierungen ein Prophet, der auf seine Entdeckung wartet. Nicht nur seine Persönlichkeit, sondern auch seine Theorien sind voll von Widersprüchen. Seine Texte balancieren an der Grenze von Fiktion und historischer Darstellung, Roman und Geschichtsessay, Umwertung antiker Tradition und Prägung eines Neuheidentums. Guido List stellt einen recht eigenwilligen Autorentyp dar. Autoren wie er tauchen in jeder Zeitepoche auf, sie sind stark in ihre Epoche eingebunden, hängen viel von ihren Anhängern ab, produzieren oft künstlerisch wertlose Texte, bauen aber desto fleißiger und hartnäckiger ihren Persönlichkeitsmythos und sind in ihren Argumentationsstrategien äußerst kreativ. Die hier genannten Aspekte werden in dieser Arbeit beschrieben, spezifische Argumentationsweisen Lists werden erörtert, die Instrumentalisierung von literarischen Gattungen zu ideologischen Zwecken wird ausgewertet, die Kunst des Balancierens und der Kombinatorik und Missdeutung von scheinbar eindeutigen Phänomenen hervorgehoben – es wird Lists Suche nach einer geeigneten (literarischen) Form für seine Deutungen anhand von seinen eigenen Texten und den Texten seiner Anhänger, Freunde und Mitstreiter veranschaulicht. Die vernichtende Kritik der Werke Lists von seinen Zeitgenossen sowie die Nachwirkung und moderne Rezeption werden dabei nicht ausgeblendet. Die Tendenz, Lists Wirkung auf die nationalsozialistische Ideologie zu überschätzen, wird in dieser Arbeit erwähnt und es werden auch einige Thesen dieser Forschungsrichtung untersucht und mit Zitaten aus Lists Texten konfrontiert. Das Hauptanliegen dieser Arbeit liegt allerdings nicht in der Ideologiekritik. Es ist deshalb nicht das Ziel dieser Arbeit Hypothesen über die Wurzeln der NS-Ideologie im Armanentum zu widerlegen. Eher handelt sich um einen Versuch Lists spezifische Weltanschauung und Persönlichkeit im Kontext seiner Zeit zu untersuchen, aber auch die allgemeinen Mechanismen ähnlicher allumfassender Ideologien zu veranschaulichen.

1.1 Forschungsstand und Zielsetzung

Die Erforschung der Völkischen Bewegungen, in deren Paradigma auch das Werk und die Persönlichkeit Guido Lists fallen1, wird von der Disparatheit der politisch-sozialen und geistig-religiösen Strukturen um 1900 erschwert. Die Diversität der verschiedenen Strömungen, ihre Streitigkeiten, Spaltungen und widersprüchliche Thesen und Überschneidungen zur Politik, Religion und Literatur machen es unmöglich, die Völkische Bewegung als ein überschaubares Phänomen mit trennscharfen (seien sie literatur- oder geschichtswissenschaftlich) Begriffen und Definitionen zu erfassen. Als gemeinsames Merkmal der zersplitterten und ideologisch sehr unterschiedlich organisierten Völkischen Gruppierungen wird das Ziel der rassischen Erneuerung und „Wiedergeburt“ der Deutschen genannt. Deshalb wird von Uwe Puschner die Völkische Rassenideologie als

1 Guido List gilt dabei als Vorläufer und ideologischer Inspirator einiger bedeutender Persönlichkeiten der Völkischen Szene, vor allem sind Phillip Stauff und Lanz von Liebenfels zu nennen. Die Guido-von-List Gesellschaft versammelte viele namhafte Völkisch orientierte Persönlichkeiten, ihr Verzeichnis bietet eine gute Übersicht wichtiger deutscher und österreichscher Völkischer Vertreter.

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„Generalschlüssel zum Verständnis von Völkischer Weltanschauung und Bewegung“ betrachtet.2 Von diesem Standpunkt aus gesehen kann die um Guido List versammelte Gruppierung, die Guido-von-List-Gesellschaft, der Völkischen Bewegung zugeordnet werden, wobei allerdings, wie auch bei einigen anderen Völkischen Denkern, etwa Friedrich Lienhard, ein starker Nachdruck auf Religionsinhalte, vor allem auf “intuitives und individualisiertes“ Religions(selbst)verständnis, festzustellen ist. Es ist anzunehmen, dass sich eben dank diesem Aspekt die Anhänger verschiedenster ideologischer Strömungen wie der New-Age-Bewegung, die Neuheiden oder Rechtsextremisten mit Lists Weltanschauung identifizieren konnten und können. Die Widersprüchlichkeit und Uneindeutigkeit seiner Theorien wirkte sich auf sehr unterschiedliche Rezeption und Interpretation seiner Weltanschauung aus, die noch mehr als einhundert Jahre nach der Entstehung mit aktuellen Inhalten und Fragen kompatibel ist. Aus der ziemlich breiten Definition der Völkischen Bewegung ergibt sich eine weitere Schwierigkeit bei der Erforschung der einzelnen Völkischen Gruppierungen und Denker, die in der Suche nach einer angebrachten Forschungsmethode, bzw. Wissenschaftsrichtung besteht. Die meisten Völkischen Gruppierungen und Persönlichkeiten können religiös, politisch und einige auch literarisch definiert werden. Deshalb kann eine einzige Wissenschaftsrichtung die Völkische Bewegung in allen ihren Aspekten nicht komplex beschreiben. Bei der Erforschung der Völkischen überwiegt heute die Betrachtungsweise der politischen Ideengeschichte, bei der es aber immer wieder schwer fällt, die Grenzen zwischen deutsch-nationalen und radikal-völkischen Positionen deutlich zu markieren.3Die bisher vorliegenden Arbeiten zum Völkischen Denken untersuchen zumeist entweder geistesgeschichtliche Fragen oder sind ausschließlich auf die politischen Dimensionen und fatalen Folgen des Völkischen Diskurses fixiert. Außerdem wurden bis heute ganz wenige Protagonisten der Völkischen Bewegung bzw. einzelne bedeutende Agitationsverbände ausführlicher behandelt.4 In der letzten Zeit sind mehrere Publikationen entstanden, die diese Forschungsnische ausfüllen sollen. Junge Wissenschaftler, wie Stefanie v. Schnurbein, Gregor Hufenreuter, der eine Monographie über Philipp Stauff, den Präsidenten der Guido- von-List-Gesellschaft und Lists Nachfolger, publiziert hat,5 oder Felix Wiedemann, der die Völkische Ideologie in diskursiv angelegten Studien kontextualisiert,6 versuchen diese Forschungslücken zu füllen. Die Frage nach den Einflüssen der Völkischen Ideologie auf den Nationalsozialismus tritt indessen in den Hintergrund. Es werden die Anatomie der Völkischen Bewegungen, die Denkmuster und Rezeptionsmechanismen, synchrone und

2 Puschner, Uwe: Die Völkische Bewegung im wilhelminischen Kaiserreich. Sprache – Rasse – Religion, Darmstadt 2001, S. 16. Diese These ist aber ebenfalls zu präzisieren, Stefan Breuer zum Beispiel nimmt an, dass Volk und Nation bei den Völkischen weitaus höher als die Rassenlehren bewertet wurden. Im konkreten Fall Guido Lists werden die Prioritäten zusammen mit der dynamischen Entwicklung seiner oft widersprüchlichen Ideologie immer wieder neu definiert. Es wäre eine Vereinfachung, sein Gesamtwerk als rassistisch bzw. antisemitisch, nationalistisch oder religiös-okkult zu bezeichnen. Als Vorläufer und Inspirator der Völkischen hat er aber sicherlich einige wichtige rassistische Dogmen mitgeprägt. 3 vgl. Hartung, Günter: Völkische Ideologie, In: Hartung, Günter u. Orlowski, Hubert: Traditionen und Traditionssuche des deutschen Faschismus, Halle: Wissenschaftliche Beiträge der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg: 1987. 4 vgl. Schnurbein, Stefanie v., Ulbricht, Justus H. (Hrsg.): Völkische Religion und Krisen der Moderne. Entwürfe „arteigener“ Glaubenssysteme seit der Jahrhundertwende. Königshausen & Neumann, Würzburg: 2001, S. 34. 5 Hufenreuter, Gregor: Philipp Stauff. Ideologe, Agitator und Organisator im Völkischen Netzwerk des Wilhelminischen Kaiserreichs. Zur Geschichte des Deutschvölkischen Schriftstellerverbandes, des Germanen- Ordens und der Guido-von-List-Gesellschaft. Frankfurt am Main: 2011. 6 Wiedemann, Felix: Rassenmutter und Rebellin: Hexenbilder in Romantik, Völkischer Bewegung, Neuheidentum und Feminismus. Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg: 2007.

4 diachrone Gemeinsamkeiten Völkischer und nationalistischer Ideologien und auch aktuelle Identifizierungsmöglichkeiten erörtert, die darin die heutigen Menschen suchen. Diese Arbeit soll einen Beitrag zu dieser neuorientierten Forschung der Völkischen Bewegungen leisten. Die Situation eines Forschers, der sich mit Guido List befasst, ergibt sich aus dem oben erwähnten, da auch List als „Forscher“ und Literat nicht nur im Völkischen, sondern in sehr verschiedenen Kontexten auftaucht und schließlich heute als führender Theoretiker der neuheidnischen Bewegungen rezipiert wird. Deshalb könnte er von den Religionswissenschaftlern erforscht werden. Auf diesem Feld gibt es allerdings wenige Beiträge7, wobei einige nur einzelne Zitate von List und die einschlägigen Thesen ohne tiefere Kenntnis seiner Texte und seiner Weltanschauung verwenden. Guido List wird als Vorläufer der neuheidnischen Bewegungen erkannt, aber eine tiefere Analyse, die die ideologischen Gemeinsamkeiten und Unterschiede beschreiben würde, bleibt aus. Ferner ist allerdings ebenfalls nicht ohne Bedeutung, dass die Werke von Guido List sowie die Werke einiger anderen Völkischen Theoretiker, etwa von Ernst Tiede, Friedrich Bernhard Marby oder Lanz von Liebenfels, heute übersetzt und herausgegeben werden. Neulich (2012) ist beispielsweise eine englische Übersetzung des Buches Von der Deutschen Wuotanpriesterschaft von List als elektronisches Buch erschienen.8 In Österreich werden seine Werke vom Verlag Edition Geheimes Wissen in Graz herausgegeben9. Eine nicht zu übersehende Schwierigkeit bei der Erforschung von Lists literarischem Werk sind die verschiedenen bibliographischen Verzeichnisse seiner Werke, die oft nicht übereinstimmen. Die meisten Forscher weisen auf die Bibliographie von Nicolas Goodrick- Clarke hin, der die Bibliographie von Balzli übernimmt und diese nur mit dem Werk Tauf-, Hochzeits- und Bestattungsbräuche und deren Ursprung (1892) ergänzt.10 Österreichisches Biographisches Lexikonfügt noch viele weitere Werke (Zeizzoberg, Ellida, Der Lügenrächer)11 hinzu, andere werden dagegen in diesem Lexikon nicht erwähnt (unter ihnen auch der bekannte Roman Carnuntum). Umstritten ist Lists Autorschaft des Dramas Die Blaue Blume, das bei Brigitte Hamann und Wilfried Daim erwähnt wird. Diese Arbeit sollte unter anderem eine möglichst komplette und überprüfte Bibliographie der Werke von Lists liefern.

1.2 Biographien

Zur Person Guido Lists liegen zwar monographische Arbeiten vor, sie stammen aber zumeist von seinen Anhängern. Die meisten Artikel vor 1905, wie zum Beispiel der 1894

7 vgl. Baer, Harald: Arischer Rassenglaube − gestern und heute, Information Nr. 129, XI, Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, Stuttgart: 1995; Schnurbein, Stefanie v.: Religion als Kulturkritik, Neugermanisches Heidentum im 20. Jahrhundert, Carl Winter Universitätsverlag, Heidelberg: 1992; Schnurbein, Stefanie v.: Göttertrost in Wendezeiten - Neugermanisches Heidentum zwischen New Age und Rechtsradikalismus, Claudius Verlag, München: 1993; von Schmid, Georg / Schmid Otto Georg: Kirchen, Sekten, Religionen, Religiöse Gemeinschaften, weltanschauliche Gruppierungen und Psycho-Organisationen im deutschen Sprachraum. Ein Handbuch, Theologischer Verlag Zürich: 2003, Sünner, Rüdiger: Schwarze Sonne, Einfesselung und Missbrauch der Mythen in Nationalsozialismus und rechter Esoterik, Herder, Freiburg in Breisgau: 1999. 8 List, Guido, The german Wotan Priesthood. zu kaufen als Kindle book, 2012. 9 Erschienen sind bisher folgende Bücher: Alraunenmären, Der Übergang vom Wuotanismus zum Christentum, Die Rita der Ario-Germanen, Die Religion der Ario-Germanen, Der Wiederaufbau von Carnuntum. Mit zwei Landkarten aus dem Jahre 1567, Der Unbesiegbare, Das Geheimnis der Runen. 10 Goodrick-Clarke, Nicolas: Die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus, L. Stocker Verlag, Graz: 1997. 11 Zeizzoberg und Ellida werden ebenfalls in dem Kürschners deutscher Literatur-Kalender erwähnt: Kürschners deutscher Literatur-Kalender, Bd. 11, Leipzig: 1889, S. 197.

5 erschienene Text vom führenden Völkischen Autor Friedrich Lienhard mit dem Titel Guido List in Das Zwanzigste Jahrhundert12, betrachteten List als einen Schriftsteller. Auch der monographische Artikel mit dem Titel Guido List, Lebensbild eines Wiener Poeten aus dem Jahre 1905, erschienen in den Randglossen zur Deutschen Literaturgeschichte13 bezeugt, dass List um 1900 immer noch als Dichter rezipiert wurde, seine umfangreichen „Forschungsberichte“, die ihm den Ruhm unter den Völkischen bringen sollen, erschienen zumeist erst nach 1905. Die Studie von Lanz von Liebenfels mit dem Titel , ein moderner Skalde aus dem Jahre 190714 betrachtet List nicht mehr als Schriftsteller, sondern als Völkischen Forscher und Denker. Dies entspricht auch Lists Selbstpositionierung. Nach 1903 präsentierte sich List selbst nicht als Schriftsteller, sondern als „Prophet der armanischen Wiedergeburt. Er schrieb keine Romane und Dramen mehr. Seine Weltanschauung, die in den früheren Romanen verdeckt zum Ausdruck kam, versuchte er in seinen Forschungsberichten detailliert herauszuarbeiten und er wollte als Wegbereiter der armanischen Erneuerung wahrgenommen werden. Dieses Bild übernahm später auch sein Anhänger Johannes Balzli in der bekanntesten und am meisten zitierten Biographie mit dem Titel Guido v. List. Der Wiederentdecker uralter arischer Weisheit, die noch zu Lists Lebzeiten, im Jahre 1917, erschienen ist. Sie gilt als die wichtigste Quelle für die biographische Darstellung des Forschers Guido List, weil sein Nachlass verschollen ist. Es gibt nur wenige Briefe, die in verschiedenen Archiven in Österreich, Deutschland und Tschechien zerstreut sind. Da Balzli in seinem Werk auch ziemlich viele Dokumente aus dem „Archiv des Meisters“ und einige seine Texte und Vorträge15 abdrucken ließ, dient es als die wichtigste Quelle zu Lists Biographie und Gedankensystem. Es ist allerdings angebracht, sie mit einem kritischen Auge zu lesen, Balzli war schließlich sein begeisterter Anhänger und er unterstützte mit seiner Biographie eher die Selbstpositionierung seines „Meisters“ Guido List. Er übernimmt Lists rhetorisches Pathos, das Vokabular und prägt den Propheten-Mythos von List mit. Diese Biographie wurde in den 80er Jahren von Nicolas Goodrick-Clarke kritisch beurteilt, der viele Zeitdokumente versammelte und die Angaben verglich. Andere Kurztexte folgten nach dem Tod von List im Jahre 1919. Der damalige Vorsitzende der Guido-von-List-Gesellschaft Philipp Stauff schrieb eine Nachricht im Völkischen Blatt Münchener Beobachter (1919), Guido von List gestorben, und anschließend einen umfangreicheren Bericht Von unseres Meister Letzter Zeit, der als Anhang zur dritten Auflage der Rita der Ario-Germanen(das letzte vollständige Werk von List) 1920 erschienen ist. In diesem kurzen Artikel fasst Stauff die Weltanschauung Lists zusammen und auf deren Grundlage entwickelt er seine eigene Ideologie, die die Thesen von List weiterentwickelt und radikalisiert. Lists Freund Lanz von Liebenfels verfasste für die Zeitschrift für Menschenkenntnis und Schicksalsforschung den Artikel Guido von List, eine ariomantische Studie (1927). Zusammen mit diesem Artikel erschien in derselben Zeitschrift die Studie Guido von List, Der Skalde, Seher und Forscher von Arthur Wolf-Wolfsberg, die sich unter anderem mit Lists literarischem Frühwerk befasst. Im Jahre 1932, in dem der Prophezeiung von List zufolge die Ankunft desStarken von Oben zu erwarten war, erschien der Artikel Guido von

12 Lienhard, Fritz (d.i. Friedrich): Guido List, Das Zwanzigste Jahrhundert, 1894, S. 189-191. 13 E.H.: Guido List, Lebensbild eines Wiener Poeten, In: Anton Breitner (Hrsg.): Randglossen zur Deutschen Literaturgeschichte, Bd. 11, Wien: Adalbert della Torre, o.J., 1905, S. 1-58. 14 Liebenfels, Lanz von: Guido List, ein moderner Skalde, P. Zillmann, Gross-Lichterfelde: um 1907. 15 siehe Verzeichnis am Ende des Buches.

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List, der Völkische Philosoph und Prophet Augusts Horneffers, Mitglied des Vereins Deutsche Freimaurer16. Sämtliche biographische Texte über Guido List, verfasst von seinen Anhängern, hatten zum Zweck die Verbreitung von Lists Thesen unter den Völkischen, sie übernahmen seine Weltanschauung und sein Vokabular. Sie beinhalten eine ganze Reihe von Angaben über List, die nicht überprüft werden können und bieten eine einfältige Interpretation seiner Weltanschauung. Anderseits ist beispielsweise besonders Balzlis Monographie eine wichtige Quelle über Guido Lists Leben und Werk.

1.3 Ideologiekritik als überwiegende Betrachtungsweise des Werks von Guido List

Die bisherige Forschung zu Guido List war und ist zum größten Teil von der These über die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus geprägt. Die vorliegenden wissenschaftlichen Arbeiten über List haben viele ideologische Gemeinsamkeiten von Lists Ideen und deren Hitlers aber auch direkte persönliche Verbindungen der Mitglieder der Guido-von-List- Gesellschaft zu den Völkischen in Deutschland und zum nationalsozialistischen Milieu entdeckt.17 Da die Suche nach diesen Zusammenhängen sehr intensiv war, hat sie andere Aspekte der Weltanschauung von Guido List ausgeblendet oder zu einigen Missinterpetationen geführt, ein Beispiel dafür ist Lists These über den „Starken von Oben“, die in einen direkten Zusammenhang mit Hitlers Selbstwahrnehmung gebracht wurde.18 Die erste Analyse der gemeinsamen ideologischen Merkmale der Weltanschauung Guido Lists und des Nationalsozialismus wurde von Joachim Besser schon im Jahre 1949 veröffentlicht.19 In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts folgten mehrere Studien, die die okkulten Wurzeln zu belegen suchten. Im Jahre 1958 veröffentlichte der österreichische Psychologe Wilfried Daim sein berühmtes Buch Der Mann, der Hitler die Ideen gab. Jörg Lanz von Liebenfels,20in dem der der Einfluss von Guido von List und von Lanz von Liebenfels auf Nationalsozialisten analysiert wird. Das bedeutendste Buch, das in diesem Zusammenhang zu erwähnen ist, ist aber die Studie von Nicolas Goodrick-Clarke, Die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus aus dem Jahre 1985. Nicolas Goodrick-Clarke gelang es, das umfassende Werk Lists als ein in sich geschlossenes Weltanschauungssystem darzustellen. Er hat ebenfalls die möglichen Kanäle der Verbreitung der Ideen Lists in Deutschland identifiziert und das Spinnennetz der Verbindungen der Guido-von-List-Gesellschaft und der Völkischen in Deutschland beschrieben. Nicolas Goodrick-Clarke, erkannte den Einfluss der Ideen Guido Lists und ging deren Verbreitung und Nachwirkung nach. Er hat auch versucht, verschiedene Inspirationsquellen der Ideologie von List zu identifizieren und den Eklektizismus von List darzustellen. Er konzentrierte sich besonders auf die mittelalterlichen Männerbünde und Orden, wie z. B. die Templer, auf die sich im 18. Jh. Rosenkreuzer und Freimaurer beriefen, und deren systematische Ähnlichkeiten mit der von List vorgeschlagenen

16 Dr. August Horneffer, Philosoph, (geb. 5.7.1878 in Treptow a. d. Rega/Pommern − gest. 1955 in Berlin) aufg. 19.3.1911 Loge „Zum aufgehenden Licht an der Isar“ in München, Großschriftführer der Großloge Royal York, genannt „Zur Freundschaft“ in Berlin, leitete die Herausgabe des Bundesblattes „Am Rauhen Stein“ und überarbeitete die Fischer-Katechismen. Er war der erste Großredner der „Vereinigten Großloge der Freimauer von Deutschland“ und hielt bei deren Gründung am 19. Juni 1949 in der Paulskirche zu Frankfurt die Festrede. 17 Diese These hat auch Brigitte Hamann in ihrem bekannten Buch Hitlers Wien übernommen. 18 Hamann, Brigitte: Hitlers Wien: Lehrjahre eines Diktators, Piper München: 1997, S. 303. 19 Besser, Joachim: Der Okkultismus stand Pate. Hitlers geistige Herkunft, In: Archiv der unabhängigen Gesellschaft zur Pflege junger Wissenschaft und Kunst. Peine 1. Vierteljahr 1949. 20 Daim, Wilfried: Der Mann, der Hitler die Ideen gab. Jörg Lanz von Liebenfels. Isar, München: 1958.

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Gesellschaftsordnung und mit der Hierarchie innerhalb der Guido-von-List-Gesellschaft. Außerdem überprüfte und ergänzte er die biographischen Daten von Johannes Balzli. Seine Hauptthese, die Ideen von List und Liebenfels stellen die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus dar, ist allerdings umstritten. Der Titel des Buches ist deshalb in diesem Sinne ziemlich irreführend. Man kann mit Gregor Hufenreuters Behauptung übereinstimmen, dass es Goodrick-Clarke letztlich nicht gelungen ist, überzeugend zu belegen, dass die Ariosophie tatsächlich einen ernst zu nehmenden Einfluss auf den Nationalsozialismus ausübte.21Auch der Autor dieser Arbeit hält diese Hauptthese von Goodrick-Clarke für umstritten. Außer der ihm namentlich gewidmeten Studien erscheint der Name Guido List in vielen weiteren Artikeln und Handbüchern, die sich mit der intensiven Erforschung der Völkischen befassen, allerdings nur exemplarisch, meistens als Randerscheinung. Im Handbuch zur „Völkischen Bewegung“ 1871-1918 ist eine sehr kurze Biographie Lists zu finden, sonst wird immer wieder auf Goodrick-Clarke und sein berühmtes Buch Die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus hingewiesen.

1.4 Rezeptionsforschung − Forschungslücken

Aus der hier skizzierten Übersicht ergibt sich, dass Guido Lists Person, seine Ideologie und seine Werke jedenfalls keine echte Forschungslücke darstellen, da sein Name in den meisten Publikationen über „Hitlers Vätergeneration“22 in verschiedenen Kontexten auftaucht, es fehlt doch, wie bei den meisten Völkischen Persönlichkeiten, eine Gesamtdarstellung seiner Weltanschauung und der Entwicklung seiner Ideen, lückenhaft ist seine Wirkungsgeschichte bis 1945 beschrieben und fast unerforscht bleibt die zeitgenössische Rezeption. Die Rezeption zu seinen Lebzeiten und vor dem Zweiten Weltkrieg wird in Goodrick-Clarke untersucht, die Berliner Literaturwissenschaftlerin Stefanie v. Schnurbein lieferte in ihrer Dissertation eine Analyse der Verarbeitung oder Reinterpretation und Missinterpretation seiner Thesen, besonders in den neugermanischen Bewegungen nach 1945. Sie bezeichnet ihn zwar als Inspirator der Neugermanen, eine gründlichere Analyse der Parallelen und Unterschiede, beziehungsweise eine Analyse der etwaigen Identifizierung der modernen Gruppierungen und der Anpassung der Ideen von List an zeitliche Verhältnisse bleibt jedoch aus. Stefanie v. Schnurbein bewertet List als einen erfolgreichen Eklektiker, dessen Kunst vor allem in der Verschmelzung von bis dahin inkompatiblen Ideologien, von der Germanenreligion, dem Buddhismus, der Alchimie und den modernen Wissenschaftserkenntnissen bestand. Die Rezeptionsforschung konzentriert sich aber vor allem auf die Verbreitung der Ideen von List durch seine Anhänger und Epigonen; kritische Rezensionen und Kommentare in der zeitgenössischen Presse werden nicht untersucht. Eine komplexere Rezeptionsanalyse wird dabei zeigen, wie sich die Einstellung der Anhänger und Gegner während der Jahre entwickelt hat, man wird Lists Erfolgsgeschichte - das gegenseitige Beeinflussen des Autors durch nächste Anhänger und breites Publikum, das Lists Theorien stark geprägt hat, rekonstruieren können. Um ein Beispiel zu nennen: Eine mögliche Erklärung von Lists Wendung zum Okkulten und zur östlichen Religion nach 1903 ist (neben der

21 vgl. Hufenreuter, Gregor: Philipp Stauff / Ideologe, Agitator und Organisator im Völkischen Netzwerk des Wilhelminischen Kaiserreichs; zur Geschichte des Deutschvölkischen Schriftstellerverbandes, des Germanen−Ordens und der Guido-von-List-Gesellschaft, Peter Lang, Frankfurt am Main; Berlin; Bern; Wien [u.a.]: 2011, S. 20. 22 Wladika, Michael: „Hitlers Vätergeneration, Die Ursprünge des Nationalsozialismus in der k.u.k. Monarchie, Böhlau Verlag, Wien: 2005.

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Augenoperation) wahrscheinlich der Einfluss seines Mäzens, des Großunternehmers Friedrich Wannieck. Entscheidend war ebenfalls der Einfluss von Lanz von Liebenfels, der sich bemüht hat, List zu überzeugen, „folkloristische und germanenforschende Studien zu verfassen“, statt seine Erkenntnisse in literarischer Form zu übermitteln.23Diese Hypothese wurde zum ersten Mal von Wilfried Daim erwähnt und in dieser Arbeit wird auf sie näher eingegangen.

1.5 Guido List in der Literaturwissenschaft

Die Literaturwissenschaftler haben bisher Guido Lists Werk, bis auf vereinzelte Erwähnungen in völkisch-literarischen bibliographischen Handbüchern24 und eine Dissertation von Inge Kunz aus dem Jahre 196125 vermieden. Deshalb gibt es keine sekundären Quellen, die Guido List im literarischen Kontext einzuordnen versuchten. In den modernen literarischen Arbeiten zur Völkischen und Heimatliteratur findet Guido List keine Erwähnung, obwohl er, wie oben erwähnt, zu seinen Lebzeiten als literarischer Autor rezipiert wurde. Seine höchste Ambition war, einen riesigen literarischen Erfolg etwa wie Felix Dahn mit seinem Roman Kampf um Rom zu erleben. Wenn man Guido List als einen literarischen Autor betrachtet, bringt das natürlich die Frage, welche literarischen Vorbilder er hatte und ferner wie er im literarischen Kontext einzubetten ist. Dabei ist nicht zu vergessen, dass seine Texte stets an der Grenze zwischen Literatur und Pseudowissenschaft balancieren und somit verschiedenste Interpretationsmöglichkeiten eröffnen. List selbst zitierte oft deutsche Klassiker, Goethe, Schiller aber vor allem Scheffel, dessen Ideen er nach seinen Worten nahestände und dessen literarischen Stil er nachzuahmen versuchte.26 Dies entspricht seiner Arbeitsweise, die sich aus seinem kombinatorischen Talent ergibt, das in einen ausgeprägten Eklektizismus mündete. Guido List wird von den Literaturwissenschaftlern meistens als eine Marginalie, als ein eigenartiger esoterischer Germanenschwärmer betrachtet. Es gibt aber ein Instrumentarium zur Untersuchung der Heimat- und letztendlich auch der Völkisch orientierten Literatur. Die Kategorien für die literaturhistorische und ästhetische Zuordnung der literarischen Produktion der Völkischen, die als ein Abzweig und gleichfalls Fortsetzung der Heimatliteraturbewegung27 oder als präfaschistische Literatur bezeichnet werden28, sind im Allgemeinen verarbeitet29, so kann

23 vgl. Daim, Wilfired: Der Mann, der Hitler die Ideen gab. Jörg Lanz von Liebenfels. Isar, München 1958., S. 75. 24 Hubricht, Emil: Buchweiser für das Völkisch-religiöse Schrifttum, Th. E. Hubricht, Freiberg i. Sa: 1934; Rusten, Rudolf: Was tut not? / ein Führer durch die gesamte Literatur der Deutschbewegung, Hedeler, Leipzig: 1914. 25 Kunz, Inge, (1961): Herrenmenschentum, Neugermanen und Okkultismus. Eine soziologische Bearbeitung der Schriften von Guido List, unveröffentlichte Diss., Wien. 26 Besonders wichtig war für ihn Scheffels Arbeitsweise, die er übernahm, wie er im Vorwort zum Roman Carnuntum (1888) schreibt. Genauso wie Scheffel kombinierte auch List Formen der klassischen deutschen (hohen) Literatur mit kolportage-literarischen (populären) Elementen. Schillers politische Ideen und Goethes Faust analysiert er im Buch Rita der Ariogermanen. 27 Dohnke, Kay: Völkische Literatur und Heimatliteratur 1870-1918, In: Uwe Puschner, Walter Schmitz, Justus H. Ulbricht (Hrsg.): Handbuch zur „Völkischen Bewegung“ 1871-1918. Saur, München: 1999. 28 Ketelsen Uwe−K, Völkisch−nationale undnationalsozialistische Literatur in Deutschland 1890−1945,Sammlung Metzler Band 142, Stuttgart: 1976. 29 Die wichtigsten Beiträge zu diesem Thema: Ketelsen Uwe: Völkisch-nationale undnationalsozialistische Literatur in Deutschland 1890-1945,Sammlung Metzler Band 142, Stuttgart: 1976; Dohnke, Kay: Völkische Literatur und Heimatliteratur 1870-1918, In: Uwe Puschner, Walter Schmitz, Justus H. Ulbricht (Hrsg.): Handbuch zur „Völkischen Bewegung“ 1871-1918. Saur, München: 1999; Westenfelder, Frank: Genese, Problematik und Wirkung nationalsozialistischer Literatur am Beispiel des historischen Romans zwischen 1890

9 man auch Guido Lists literarische Werke anhand dieser schon bewährten Kriterien mit anderen Autoren vergleichen und seine Stellung im breiteren literarischen Kontext bestimmen. Seine Werke, die im Allgemeinen als Weltanschauungsliteratur zu bezeichnen sind, weisen in der frühen Phase viele Parallelen mit der Heimatliteratur, dem Professorenroman, dessen Hauptvertreter Felix Dahn als Vorbild für List galt, auf. In der späteren Phase wirft dann List den Schleier der literarischen Stilisierung ab und versucht seine Weltanschauung unvermittelt in pseudowissenschaftlichen Texten zu übermitteln. Es ist eines der Ziele dieser Arbeit, den Erfolg seiner Produktion auch aus literarischer Perspektive zu erklären und zu zeigen, wie seine oft radikalen Thesen in verschiedensten literarischen Formen oder auch durch sie verformt, funktionalisiert, umgedeutet oder auch radikalisiert werden. Von diesem Gesichtspunkt aus ist Lists Werk als eine intensive Suche nach einer geeigneten Ausdrucksform für seine Weltanschauung zu betrachten. Diese Arbeit kann allerdings nicht auf werkimmanenter Basis aufgebaut werden, sondern muss kontextuelle und intertextuelle Zusammenhänge rekonstruieren und die Erkenntnisse und Methoden anderer Disziplinen, besonders der Geschichtsschreibung, bzw. Ethnologie im Rahmen deren sich die Erforschung der Völkischen einer längeren Tradition erfreut, einbeziehen.30 Das intensive Suchen nach den Parallelen mit dem Nationalsozialismus führte unter anderem dazu, dass in allen hier erwähnten wissenschaftlichen und publizistischen Arbeiten vor allem das Spätwerk, d.h. Lists „esoterische“ Schriften, analysiert wurde, auf sein literarisches Frühwerk hat man nur verwiesen, wenn es eine Bedeutung für die einschlägige Argumentationsführung hatte. Eine Ausnahme stellt die unveröffentlichte Dissertation von Inge Kunz aus dem Jahre 1961 dar, die sich mit der Interpretation des literarischen Werks von List befasst hat.31 Über die dramatischen Werke von List und anderen Völkischen Autoren, also die so genannten Weihespiele, schreibt Stefanie von Schnurbein.32 Die Vernachlässigung des Frühwerks von List führte dazu, dass einige wichtige Aspekte seiner Persönlichkeit und Ideologie ausgeblendet wurden, so gibt es nur wenige Bemerkungen dazu, welche Stellung sein Werk im kulturellen Kontext im ausgehenden 19. Jahrhundert einnimmt. Man hat sich bisher kaum mit dem Autorentyp und Selbstpositionierung Guido Lists befasst, wobei es zu diesem Thema zahlreiche Äußerungen des Autors und auch seiner Gegner gibt, denn List versuchte immer wieder seine Thesen und seine Arbeitsweise zu erklären, zu verteidigen und dadurch auch popularisieren. Eine weitere Schwierigkeit bei der Erforschung der Ideenwelt von List, die sich aus einer statischen für die List-Forschung typischen Betrachtungsweise ergibt, besteht darin, dass die Ideen der Anhänger von List oft mit seinen eigenen Ideen identifiziert werden. Dies führt zu vielen Missinterpretationen seiner Texte. Die Ideen Lists wurden nämlich von seinen Nachfolgern, die berühmtesten waren Phillip Stauff oder Lanz von Liebenfels, noch weiter zugespitzt oder und im Einklang mit der Entwicklung der Jahre 1919 und 1920 radikalisiert.

und 1945, Frankfurt, Bern, New York, Paris: 1989; Gesa von Essen, Hermannsschlachten. Germanen− und Römerbilder in der Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts, Heilbronn: 2009. 30 Die wesentlichen theoretischen Arbeiten, die mit der vorliegenden Analyse der Werke Guido Lists zusammenhängen: Hamid Reza Yousefi/Hermann-Josef Scheidgen/Klaus Fischer/Heinz Kimmerle (Hg.), Wege zur Geschichte. Konvergenzen - Divergenzen - Interdisziplinäre Dimensionen, Nordhausen: 2010; Geus, Klaus: Geus, Klaus (Hrsg.): Utopien, Zukunftsvorstellungen, Gedankenexperimente, Literarische Konzepte von einer «anderen» Welt im abendländischen Denken von der Antike bis zur Gegenwart, Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien: 2011 31 Kunz Inge, (1961): Herrenmenschentum, Neugermanen und Okkultismus. Eine soziologische Bearbeitung der Schriften von Guido List, unveröffentlichte Diss., Wien. 32 Schnurbein, Stefanie v.: Religiöse Ikonographie: religiöse Mission: das Völkische Weihespiel um 1910, In: Kunst – Fest − Kanon, Inklusion und Exklusion in Gesellschaft und Kultur, Hrg. Hermann Hanuser und Herfried Münkler, Schliengen: 2004, S. 85-97.

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Ein Beispiel dafür ist das Frauenbild im Werk von List.33 Nach Lists Äußerungen waren die Frauen die Trägerinnen alter germanischer Weisheit, seiner Meinung nach sollten sie aber ihre Rolle im Haushalt behalten. Seine Position kann unter Umständen als relativ gemäßigt betrachtet werden. Erst bei seinen Anhängern und Nachfolgern tauchen misogyne und radikal anti-feministische Positionen auf. Lists Popularisatoren aktualisieren also seine Thesen im neuen Kontext und deuten sie im Rahmen ihrer eigenen Weltanschauung um. Auch der radikale Antisemitismus blüht erst bei seinen Nachfolgern Phillip Stauff und Lanz von Liebenfels auf.

1.6 Zielsetzung

Aus dem oben Erwähnten ergibt sich, dass Guido List besonders in der Erforschung der Kultur- und Ideengeschichte als eine Schlüsselperson, als Schöpfer der Ariosophie, der oft inkompatible philosophische Strömungen und Weltanschauungen in eine allesumfassende Ideologie zu verbinden wusste, oder als Inspirator und Urvater der rassistischen Wurzelideen, die später im Nationalsozialismus immens aufblühen sollen, betrachtet wurde. Auch für die historiographische Erforschung der Völkischen Bewegung ist Guido List besonders wichtig, denn unter seinen Anhängern findet man viele bedeutende Vertreter und Schlüsselpersonen (Philipp Stauff, Lanz von Liebenfels, Paul Zillmann u.a.) der Völkischen Bewegung in Deutschland. Diese Arbeit betrachtet List von einem unterschiedlichen Gesichtspunkt, sie befasst sich mit seinem Werk anhand der literaturwissenschaftlichen Forschungsmethoden, in dem die relevanten Erkenntnisse anderer Wissenschaftsrichtungen bei der Argumentation herbeigezogen werden. Eines der Ziele dieser Arbeit ist die Darstellung von Guido List als einen besonderen Autorentyp. Er ist ein Prototyp eines fleißigen Autodidakten, der die Sprache der Wissenschaft mit seinem eigenwilligen Vokabular verband. Gleichfalls wurde und wird List von seinen Anhängern als prophetischer Autor verehrt − diesen Mythos hat er selbst gewissenhaft mitgeprägt. Guido List ist außerdem ein österreichischer Vertreter der historischen Germanenromans und - dramas. Er weist auf Felix Dahns Werk explizit hin und vergleicht sich selbst mit ihm. Denn Guido List präsentierte seine Ideen in sehr unterschiedlichen literarischen Gattungen, zuerst implizit, mittelbar, in literarischen, später explizit, möglichst unmittelbar, in pseudowissenschaftlichen Texten, die den Eindruck eines mündlich gesprochenen Vortrags erwecken. Die Fragen nach der Rolle der literarischen Einkleidung bei der Verbreitung einer Ideologie tauchen bei der Analyse seiner Werke immer wieder auf. Da man aus seinem Spätwerk im Wesentlichen erkennt, welche Ideen präsentiert werden sollen, konzentriert man sich bei der Analyse der frühen Werke auf folgende Fragen: Wer ist der Ideenträger im literarischen Werk? Welche literarischen Strategien werden angewandt, um ideologische Thesen zu transportieren? Welche literarischen Elemente und wie werden sie genutzt, um die argumentativen Mängel eigener Theorien zu verhüllen? Gibt es besondere Genres, die dieses Vorhaben begünstigen? Mit diesen Fragen geht man natürlich immer wieder über die rein literaturwissenschaftlichen Fragen hinaus. Die Frage nach den Konzepten, die eine Ideologisierung der literarischen Texte fördert, ist eine Frage aus dem Bereich der Anthropologie und der Kulturwissenschaften. Zu diesen Zwecken können die Definitionen der Tradition, wie sie Jocelyn Linnekin und Erich Hobsbawm vorgelegt haben34, und der

33 Siehe Kapitel 6 dieser Arbeit. 34 Hobsbawm, Eric und Ranger, Terence: The Invention of Tradition, Cambridge University Press, Cambridge: 1983; Linnekin S., Jocelyn: Defining Tradition: Variations of the Hawaiian Identity, In: American Ethnologist. 10/2 (1983); Handler Richard und Linnekin S. Jocelyne: Tradition, Genuine and Spurious, In: Journal of American Folklore, 97/385 (1983).

11 kollektiven Identität, die Peter Berghoff in den Zusammenhang mit der Völkischen Ideologie gebracht und von diesem Gesichtspunkt analysiert wurde35, entlehnt werden. Die Konzepte der Tradition und kollektiven Identität haben ein großes Potential, um aufgrund einer allgemein vagen Begrifflichkeit leicht zur Ideologieverbreitung ausgenutzt zu werden. Schließlich sollen in dieser Arbeit im Vergleich mit anderen national und Völkisch orientierten Schriftstellern und Ideologen formale und inhaltliche Parallelen und diskursive Überschneidungen und Unterschiede zwischen Lists Ideen und den Gedankenwelten anderer Vertreter der Völkischen Publizistik gezeigt werden. Bislang hat man Lists Äußerungen zu verschiedenen Themen in vielen diskursiv orientierten Artikeln über die Völkischen herangezogen, wenn sie die jeweilige These unterstützen konnten. In dieser Arbeit soll man genau umgekehrt vorgehen, in dem zuerst Lists Äußerungen zum jeweiligen Thema (Frauenbild, Germanenbild, Katholizismus, Monarchie usw.) exzerpiert und zusammengefasst werden, erst dann werden sie mit anderen Völkischen Texten und den verbreiteten Thesen konfrontiert. Diese Vergleiche sollen zum besseren Verständnis der Vielfalt innerhalb der Völkischen Ideologieströmungen beitragen, denn die Unterscheide waren oft sehr subjektiv motiviert. Die Verbreitung der Völkischen Ideen und Thesen wurde durch die vielen Völkischen Zeitschriften und weitere Formate wie Flugblätter, Werbungen oder Jahresberichte und weitere Versammlungsberichte, die von den Völkischen Organisationen herausgegeben wurden, gesichert. Dies wurde noch durch eine doppelte bzw. mehrfache Mitgliedschaft verstärkt. Diese fungierte bei der Ideenverbreitung ebenfalls wie ein Katalysator. Eine solche Rolle spielte im Falle von Guido List die Guido-von-List-Gesellschaft, die die Völkischen aus Deutschland mit denen in Österreich verband. Obwohl diese Gesellschaft eine der wichtigsten Verbindungsglieder zwischen den österreichischen und deutschen Nationalisten und Okkultisten verschiedener Art war, wurde sie noch nicht monographisch bearbeitet. Dies liegt allerdings daran, dass dazu kein nennenswerter archivalischer Bestand existiert. Die im Bundesarchiv unter dem Namen Lists gelagerten Briefe enthalten keine Überraschungen, was die Gesellschaft oder List oder Stauff betrifft. Der List-Bestand im Archiv in Brünn (T29) enthält nur Manuskripte seiner literarischen Werke Carnuntum, Pipara, Jung Dieter´s Heimkehr und König Vannius. Wertvolle Informationen über Guido List und der Guido-von-List-Gesellschaft sind im Anhang „Mitteilungen der Guido List Gesellschaft“ in jedem Bandes der Reihe „Guido−List−Bücherei“zu finden, die von der Guido List Gesellschaft herausgegeben wurde. Eine monographische Studie zur Guido-von- List-Gesellschaft wird in dieser Arbeit nicht angestrebt, es werden aber zahlreiche Verbände, in denen List als aktiver Mitglied wirkte, erwähnt und vor allem zeitlich und ideengeschichtlich verortet.

1.7 Methode

Sowohl die literarischen Werke als auch die „Forschungsberichte“ von Guido List eignen sich für literarische textorientierte Analyse nicht, denn wenn auch einige von ihnen als Romane oder epische Gedichte bezeichnet werden, ist ihre Literarizität zu hinterfragen. Angesichts der ästhetischen Kriterien handelt es sich beim Werk von Guido List um wenig gelungene Versuche eines mittelmäßigen Dichters. Aus diesem Blickwinkel ist Guido Lists

35 Berghoff, Peter: Das Phantasma der kollektiven Identität und die religiösen Dimensionen in den Vorstellungen von Volk und Nation, In: Schnurbein, Stefanie v., Ulbricht, Justus H., Völkische Religion und Krisen der Moderne. Entwürfe ‚arteigener’ Glaubenssysteme seit der Jahrhundertwende Würzburg: 2001, 56- 74; Berghoff Peter: Der Tod des politischen Kollektivs: politische Religion und das Sterben und Töten für Volk, Nation und Rasse, Berlin: 1997.

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Werk heute uninteressant. Seine Versuche eigene Weltanschauung mit Romanen und Gedichten zu überliefern, sind für die literarische Qualität und den „Bogen“ der Werke destruktiv und die ständige Anspannung zwischen dem Vorhaben des Künstlers und des Ideologen führt in seinem Fall zur Zersetzung des Erzählungsvorgangs, wobei an diese leere Stelle nur ideologische Ausführungen treten. List, der Dichter, positioniert sich selbst als einen Fortsetzer von Johan Victor von Scheffel, leider fehlt ihm jene „leichte Feder“ und er vertieft sich oft in langweilige Beschreibungen des Lebens und der Religion der alten Germanen ohne jegliche Einbindung in den Aufbau der Geschichte oder des Romans. Interessant wird Lists Werk, wenn wir einzelne Diskursfelder seiner Texte identifizieren und sie in den Kontext seiner Zeit oder in den Kontext der neuheidnischen Religionen bzw. der New-Age-Bewegung setzen. Die Schwierigkeiten der Anwendung der diskursiven Analyse auf literarische fiktionale Texte werden teilweise von der Hybridität des Forschungsgegenstandes ausgeblendet. Wie schon gesagt, ist die Literarizität der Romane und Gedichte von List zu hinterfragen. Im diesem Sinne sind Lists Geschichts-Romane allgemein mit den Versuchen nationalorientierter Dichter vergleichbar, die versucht haben, die Geschichte des eigenen Volkes zu verschönern, wobei aber im Lists Fall sein Volk (Lists Armanen, Lists Germanen) erfunden ist. Folglich will List mit seinen Werken das Volksbewusstsein eines uralten „Volks“, der Armanen, (wieder) erwecken und stärken. Die zugegebene und in den Texten präsente Zweckmäßigkeit seiner literarischen Werke verengt im Wesentlichen ihre Interpretationsbreite. List nimmt eine gewaltige Aufgabe auf sich, er will die Mythologie dieses von ihm erfundenen Volkes neu erfinden (oder wiederentdecken – wie er und seine Anhänger behaupten). Literarische Form, so List, sollte ihm helfen, seine Weltanschauung klar und deutlich und dabei auf eine unterhaltsame Art und Weise einem möglichst breiten Publikum zu überliefern. Diesem Ziel entspricht auch die gewählte Kolportagen-artige Form seiner Romane. Seine literarischen Texte beinhalten zahlreiche konservative und Völkische Thesen die sowohl im Kontext seiner Werke als auch im zeitlichen Kontext verortet werden können. Bei der Verwendung ethnologischer Theorien, etwa der Tradition-Konzepte von Eric Hobsbawm oder Linnekin S. Jocelyne und enthüllt diese Analyse unter anderem auch allgemeine konservative Denkmuster und Argumentationsstrategien. Guido List, einer der produktivsten Kombinatoriker oft nicht kompatibler, von verschiedenen Kulturen entlehnter Ideen ist deshalb vor allem ein Autorentyp, literarisch mittelmäßig begabter, selbsternannter Prophet, poeta vates. Ausgegangen von den Entwicklungsphasen von List als Schriftsteller werden in der vorliegenden Arbeit zuerst „literarische“ und anschließend „pseudowissenschaftliche“ Werke auswahlweise vorgestellt. Allgemein gibt es nur wenig sekundäre Quellen zur Untersuchung der Völkischen Literatur. Grundlegender Text für die Gegenstandbestimmung ist Kay Dohnkes Aufsatz „Völkische Literatur und Heimatliteratur 1870−1918“36. Kay Dohnke erklärt überzeugend die allmähliche Entwicklung von der von Anfang an konservativen Heimatliteratur, die ihren Höhepunkt im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts erreichte, bis zur radikal Völkischen Literatur, die nichts mehr als Vehikel für die kulturellen Anliegen der Völkischen Autoren diente.37 Kay Dohnke erkennt die Bedeutung der gegenseitigen Beeinflussung der Autoren ihrer Anhänger und des (nicht zahlreichen) Publikums. Die Entwicklung des Werks von Guido List entspricht dem von Dohnke präsentierten Entwicklungsmuster. Angefangen mit ethnologischen Zeitungsartikeln über Naturphänomene Südmährens, über in Südmähren spielende historische Kolportagen- Romane, durch die das Völkische Gedankengut verbreitet werden sollte, bis hin zu radikalen

36 Dohnke, Kay: Völkische Literatur und Heimatliteratur 1870-1918, in: Uwe Puschner/Walter Schmitz/Justus H. Ulbricht (Hrsg.), Handbuch zur „Völkischen Bewegung“ 1871-1918, Saur, München 1999, S. 651-686. 37 Ibidem S. 667.

13 ideologischen Pamphleten, entspricht Lists Werdegang der allgemeinen Radikalisierung der Heimatliteratur. Die Werke der Völkischen sind nach Dohnke zumeist literarisch nicht interessant, deshalb findet eine Beschäftigung mit den Werken Völkischer Autoren nicht aufgrund ihres Eigenwertes, sondern wegen ihrer Bedeutung als sozialen und geschichtlichen Symptomen statt. Versteht man die Texte als Stellungnahmen ihrer Verfasser im allgemeinen zeitgenössischen Diskurs, kann man nicht nur die Entwicklung bis hin zur Blut-und-Boden Literatur betrachten, sondern auch sie im Rahmen der einzelnen Diskurse verorten, die wechselseitige Wirkung zwischen Ideologie und Kunstwerk oder die literarische Umsetzung der ideologischen Inhalte analysieren. Eine bemerkenswerte Publikation, die primär die literarischen Aktualisierungen des Germanenmythos im deutschen Kaiserreich behandelt, stammt von dem Historiker Rainer Kipper.38 Kipper positioniert zuerst historische Romane − in ihrer Stellung zwischen literarischer Fiktion und historischer Wirklichkeit − ein ideales Medium der Vermittlung von Mythen. In dieser Arbeit wird der Romanzyklus Gustav Freytags Die Ahnen (1872−1880), dessen Handlung sich vom vierten Jahrhundert bis 1848 spannt, und Felix Dahns Ein Kampf um Rom (1876), mit Blick auf Verfasser, Inhalt und Rezeption ausführlich dargestellt. Nach Kipper weist das Germanenbild Freytags durchaus ambivalente Züge auf − Freiheitsdrang und germanische Tüchtigkeit laden zur Identifikation ein, zugleich wird aber auch der Wandel in der Entwicklung zur heutigen bürgerlichen Gesellschaft deutlich, bei Dahn geht es um eine rassisch begründete Rangordnung der Völker mit klarer antirömischer Tendenz. Kipper untersucht summarisch weitere Romane und kann bei allen Autoren eine Verknüpfung aktueller politischer Vorstellungen und Ziele mit ihrem Germanenbild nachweisen. Referenzpunkte sind dabei Nation, Konfession oder Dynastie, sowie in den Reichsteilen, in denen die germanische Frühzeit tatsächlich Spuren hinterließ, und auch regionalgeschichtliche Bezüge. Die komparatistische Methode, die Rainer Kipper gewählt hat, eignet sich auch für Guido Lists literarische Werke, wenn man sie im damaligen Kontext positionieren und wenn man Schwerpunkte diskursiver Analysen finden will. Guido List wird zwar bei Kipper, erwähnt allerdings nur auf ein paar Seiten am Ende des Buches. Dabei wäre der Vergleich mit Dahn oder Freytag besonders fruchtbringend, denn es treten dabei wichtige Unterschiede ans Licht, die uns ermöglichen, Lists Werk im Paradigma der damaligen romantisch ideologischen Textproduktion aufzufassen. Diese Feststellungen zeigen auch, dass List von Anfang an (möglicherweise absichtlich) an der Grenze der Gattungen oszillierte und die Zwitterstellung des historischen Romans (und anderer Gattungen) auf eigenartige Art und Weise ausnutzte. Ob und inwieweit diese Instrumentalisierung des literarischen Genres erfolgreich war, zeigt diese Arbeit im ersten analytischen Teil zum dichterischen Werk von Guido List. Die Ausprägung des Germanenmythos und anderer Völkisch anmutenden stereotypen Vorstellungen bei Guido List ist im Gesichtspunkt der späteren Radikalisierung seiner Weltanschauung ebenfalls zu betrachten. Aus den oben genannten Gründen ist ebenfalls die diskursive Analyse der Werke von List sinnvoll, entscheidend ist aber die Identifizierung der relevanten Diskursfelder. Erstens wird in dieser Arbeit aus der gegenwärtigen Forschung zur Völkischen Bewegung herausgegangen, die in letzten Jahren forschungsrelevante diskursive Felder beschrieb und analysierte. Schwerpunkte liegen bei Themen, die aktuellen Diskursen (etwa Frauenemanzipation, Germanenmythos, Verschwörungstheorien, Antisemitismus…) zugeordnet werden können. Somit werden unter anderem Denkmuster und

38 Kipper, Rainer: Der Germanenmythos im Deutschen Kaiserreich: Formen und Funktionen historischer Selbstthematisierung, Dissertation, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen: 2002.

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Argumentationsstrategien enthüllt, die auch heute in national oder konservativ orientierten Texten verwendet werden. Zweitens wurden die Leitfäden, also Themen, die von List wiederholt und besonders intensiv behandelt wurden, im Kontext des Gesamtwerks von Guido List bestimmt. Wie erwartet, decken sich die inhaltlichen Schwerpunkte der Texte von List mit den ideologischen Schwerpunkten der Völkischen Bewegung von 1890 bis 1910. List als Völkischer Autor hat sich intensiv mit den Themen der Frauenemanzipation, der (jüdischen und auch jesuitischen) Weltverschwörung und der Unterdrückung des Intuitiven durch rationalistische Ideologien (Christentum oder Kapitalismus usw.) befasst. Da sich die Schwerpunkte der Texte von List mit den Schwerpunkten der jeweiligen Forschung überschneiden, können einzelne Thesen erfolgreich kontextualisiert und kritisch analysiert werden. Im ersten diskursiv analytischen Kapitel dieser Arbeit über das Frauenbild bei Guido List wird sein Frauenbild und seine Thesen über die Frauenrechtlerinnen und „weise Frauen“ im Kontext der Völkischen zumeist frauenemanzipationsfeindlichen Thesen verortet. Auf das Frauenbild und die Rolle der Frauen fokussiert die Erforschung der Völkischen Bewegungen seit Beginn der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts. Die innerhalb der ideologisch zersplitterten Völkischen Bewegung unterschiedlichen Frauen- und auch Hexenbilder beeinflussten sich gegenseitig und die von den Nationalsozialisten und später von den Neuheiden unterschiedlich rezipiert wurden, zeigt anschaulich, welche verschiedene Argumentationsstrategien die konservativen Denker gewählt haben − auch heute noch wählen − um den immer mehr aktuellen Mann-Frau-Rollenveränderungen zu trotzen. Im diskursiv analytischen Kapitel zum Bild des Juden in den Texten von Guido List werden Lists wenige antisemitische Texte genannt und kontextualisiert. Obwohl List nur sehr wenige kurze antisemitisch orientierte, aber zeitbezogen mittelmäßige Texte publizierte, gilt er heute für einige Wissenschaftler als der eigentliche Inspirator der nationalsozialistischen Judenpolitik. Zuerst werden Lists antisemitischen Thesen und ihr Ursprung identifiziert, was relativ einfach ist, denn List führt seine Quellen sorgfältig auf. Dann werden diese Thesen im Kontext der damaligen Diskurse verortet und möglicherweise wird auch ihr Fortleben und ihre Weiterentwicklung in den Texten von Lists Anhänger Philipp Stauff beschrieben. Es scheint, dass List in seinen antisemitischen Texte eher die unter der Völkischen verbreitete Thesen übernahm, manchmal nur ganze Seiten von anderen Autoren (Lanz von Liebenfels) zitierte, Lists eigene Interpretationsarbeit ist bei diesen Thesen im Vergleich zu anderen Themenbereichen bemerkenswert gering. Dieses Kapitel zeigt aber, wie sich Lists Weltanschauung unter dem Einfluss anderer Völkischen Denker entwickelte und schließlich zeigt sich an diesem Beispiel, wie schwierig und auch unmöglich es für List manchmal war die Thesen der anderen Denker in seine eigene Weltanschauung zu integrieren. Dabei zeigten sich Lücken an Lists Bemühungen eine allumfassende germanische Weltreligion zu schaffen.

1.8 Was bringt eine werkmonographische Studie?

Obwohl werkmonographische Studien oft nur einen getrennten und einseitigen Einblick in die Problematik bieten, ist eine biographische Untersuchung im Falle von Guido List wünschenswert, denn sie kann viele nachfolgend gestellte Fragen beantworten oder eingehender bearbeiten. Die biographischen Untersuchungen zur Völkischen Bewegung sind neben Studien zu Organisationen und ihrer Anhängerschaft Voraussetzung für eine „quellengestützte, quantifizierte und systematische Analyse unter sozial-, gesellschafts- und

15 mentalitätsgeschichtlichen Gesichtspunkten“39. Dank Untersuchungen einzelner Lebenswege und Ideenentwicklungen können spezifische soziale Bedingungen, Handlungsmuster und Parallelen von den persönlichen Aspekten getrennt und bearbeitet, bzw. in breitere Kontexte gestellt werden. Guido List ist als Forscher und Ideologe ein Inspirator der Völkischen Bewegung, er zeigte hingegen keinerlei organisatorisches Talent und Interesse an Organisationsfragen, womit er sich von den anderen Vertretern dieser Bewegung unterscheidet. Dies ergibt sich ebenfalls aus seinem spezifischen Selbstverständnis, denn er sah sich als einen Mystiker, der sich am liebsten mit einem kleinen Kreis von „Eingeweihten“ umgab, fand indes genug finanzielle und organisatorische Unterstützung um sich nur seiner Forschung widmen zu können. Er stellt innerhalb der Völkischen Bewegung einen sonderbaren Typ dar und er war sich dessen bewusst, denn auf seine Sonderstellung legte er in seinen Texten immer großen Wert. Folglich hat man ihn entweder grenzenlos verehrt oder seine Ideen und seine Person verspottet. Dem Spott musste er sich sein ganzes Leben stellen, in seinen Texten und in den Texten seiner Herausgeber oder Verehrer werden diese „Schulgelehrten und Materialisten, die (...) bei Entdeckung neuer Wahrheiten immer gegnerisch und immer im Irrtum sind“40,oft erwähnt, und zwar sowohl in den relativ gemäßigten frühen als auch in den ariosophischen späten Werken. Er selbst verlangte eine Sonderstellung, denn er glaubte, ein Seher unter den Blinden zu sein und wurde von seinen Anhängern entsprechend verehrt. Anhand seiner Person und Ideologie ist es möglich, die für ihn, und wie ich glaube auch für andere Autoren-Propheten, typische Arbeitsweise, die in dynamischer Bearbeitung verschiedener Quellen besteht, darzustellen und auch die Frontstellungen innerhalb der Völkischen nachzuzeichnen. Die vorliegende Arbeit soll zur Forschung der Völkischen Bewegung einen Beitrag leisten, indem sie die ideologische Dynamik und persönliche Entwicklung eines Inspirators der zuerst Völkischen sowie neuheidnischen und rechtsextremistischen Denker untersucht. Außerdem kann die Beschreibung seines Werdegangs einige Aspekte erörtern, die zum besseren Verständnis der religiösen und esoterisch alternativen Strömungen führen.

39 Puschner, Uwe: Die Völkische Bewegung im wilhelminischen Kaiserreich. Sprache – Rasse − Religion, Wiss. Buchges., Darmstadt: 2001, S. 280f. 40 Balzli, Johannes: Guido v. List / der Wiederentdecker uralter arischer Weisheit, sein Leben und sein Schaffen, Guido-von-List-Gesellschaft, Wien: 1917, S. 60.

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2. KURZE VORSTELLUNG VON GUIDO LIST

Wie schon erwähnt, wurde und wird das Werk von Guido List sowohl am Ende des 20. Jahrhunderts als auch am Anfang des 21. Jahrhunderts auf verschiedenste Weisen interpretiert, von einigen Neonazisten wird er verehrt, von den linksorientierten Aktivisten verachtet, von den begeisterten New-Age Okkultisten geliebt. Ebenfalls zu seinen Lebzeiten wurden Guido Lists Texte unterschiedlich aufgenommen, für damalige Akademiker waren sie keines Kommentars wert, auf der anderen Seite schuf er seine eigene armanische Mythologie, die für viele seiner Zeitgenossen viel Anziehungskraft besaß. Um seine Persönlichkeit hat sich eine große Gruppe von Anhängern gebildet, die ihn ökonomisch unterstützten und seinen Kult weiter verbreiteten. Aus heutiger Sicht scheint er ein Verwirrter zu sein, er hat aber mit seinen phantastischen subjektiven Erlebnissen und wissenschaftlichen Theorien viele bedeutende Persönlichkeiten überzeugt, die ihn auch nach seinem Tod weiterhin verehrten. Seine Biographie bringt unausweichlich die Frage: was war bei seinem Weg „nach oben“ ausschlaggebend? Wenn nicht sein literarisches Talent, war es seine Kunst gewisse Menschen zu begeistern, sein persönlicher Zauber, sein Geschäftsgespür oder traf er einfach den Nerv der Zeit? Guido Karl Anton List wurde am 5. Oktober 1848 in Wien geboren. Sein Vater, Karl Anton List, war ein geschätzter Lederwarenhändler und gehörte zu konservativen bürgerlichen Kreisen. Guido List erfuhr eine konservativ katholische Erziehung. Seine Kindheit erlebte er im zweiten Bezirk der Hauptstadt der habsburgischen Monarchie, im so genannten „Judenviertel“. Nach dem Wunsch des Vaters sollte er Kaufmann werden, aber seine Liebe zur Natur, zum Okkulten und zur Kunst gewann in seinem Leben die Oberhand. Vor allem die Familienausflüge in die Umgebung Wiens und nach Mähren beeindruckten den kleinen Jungen. Am liebsten wanderte er selbst durch die Landschaft, malte und hielt seine Eindrücke in Prosa und Gedichtform fest. Obwohl sich der Vater für seinen Sohn Guido eine Karriere als Geschäftsmann wünschte, unterstützte er ihn auch bei seinen künstlerischen Ambitionen. Sein erster Biograph Johannes Balzli berichtet sogar, dass „der Vater, ein guter Landschaftszeichner und Kunstkenner, die Anlagen des Knaben voll Verständnis pflegte41“. Doch als Guido den Wunsch Künstler zu werden äußerte, stieß er auf Widerstand bei seinem Vater, der wünschte, dass sein ältester Sohn seinen Beruf übernimmt. Guido musste sich deshalb fügen und Geschäftslehre studieren. Wie Guido List später in seinem Werk „Deutsch-Mythologische Landschaftsbilder“ berichtete, dank seiner Ausflüge und künstlerischer Versuche begann er in die Natur tiefer einzudringen. Die Natur zeigte ein anderes Bild ihrer Schönheit, immer sprach die Gottheit in ihr in andrer Sprache zu mir.42 Die Ausflüge sollen ihm einen Weg zur spirituellen Wahrnehmung eröffnet haben. Bedeutungsvoll war für ihn sein Erlebnis in den Katakomben unter dem Stephansdom im Jahre 1862. Seinem Bericht in den Deutsch-Mythologischen- Landschaftsbildern zufolge soll er gesehen haben, dass der Dom auf uralten heidnischen Grundmauern steht und seine Aufgabe sei es, die urreligiösen Wurzeln unserer Kultur ans Licht zu bringen. Vor einem Altar soll er auf die Knien gefallen sein und versprochen haben, dass er für Wotan, den höchsten Gott der Germanen, einen Tempel bauen würde.43 Die Handelslehre interessierte ihn nicht, neben den künstlerischen Ausweichnischen fand er eine bessere Alternative zur ungeliebten wirtschaftlichen Ausbildung im Sport.

41 Balzli, Johannes: Guido v. List / der Wiederentdecker uralter arischer Weisheit, sein Leben und sein Schaffen, Guido-von-List-Gesellschaft, Wien: 1917, S. 15. 42 List, Guido: Deutsch-Mythologische Landschaftsbilder, Band II, Verlag d. Verfassers, Wien: 1913, S. 642. 43 Ibidem, S. 592.

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Außer dem Malen und Dichten widmete er sich dem Theater, dem Alpinismus und dem Rudern. In den Jahren 1868-70 leitete er die private Bühne „Walhalla“. Obwohl Lists künstlerische Tätigkeit intensiv war, war es paradoxerweise seine sportliche Tätigkeit, die ihm verhalf, zum ersten Mal seine Thesen öffentlich zu präsentieren. Im Jahre 1871 trat er nämlich mit seinem ersten alpinen Aufsatz vor die Öffentlichkeit und wurde ein beliebter Mitarbeiter der „Neuen deutschen Alpenzeitung“. Er übernahm auch bereits 1871 das Sekretariat des „Österreichischen Alpenvereines“ und besorgte auch die Redaktion des Jahrbuches dieses deutschnational orientierten Vereines. In diesem Verein bekam er erste Kontakte zu deutsch-völkischen Kreisen. Er kam rasch in den Ruf eines einsamen Wolfes und begnadeten Mystikers mit einem Hang zu außergewöhnlichen Aktionen. Im Jahre 1874 soll er trotz starken Unwetters die Nacht der Sommersonnenwende in der Festung Geiselberg verbracht haben und dort Rituale ausüben. Damit soll er Interesse anderer ihm gleich gesinnter Ruderer erweckt haben, die mit ihm am 24. Juni 1875 im Boot von Wien nach Carnuntum ruderten um dort den 1500. Jahrestag des Sieges germanischer Stämme über die Römer zu feiern. Im Rahmen dieses Festes vergrub die Gruppe unter dem Heidentor acht Weinflaschen in Form einer Swastika (Hakenkreuz). Er meinte dazu, wenn man den „Zauberschleier des Daseins“ lüften wolle, müsse man einsame Stätten aufsuchen, an denen unbeeinflusst von der Hand des Menschen die Natur alleine waltet.44 Das Jahr 1877 brachte große äußere Veränderungen in Lists Leben. Der Vater von Guido List ist gestorben und er entschied sich das Familienunternehmen zu verlassen und dank eines kleinen Erbes als freier Journalist zu arbeiten. Schon im folgenden Jahr 1878 am 26. September heiratete er Helena Förster-Peters und bald bekamen sie eine Tochter. List musste sehr hart arbeiten, um die Familie finanziell abzusichern. Er selbst beschrieb diese Zeit später in den Deutsch-Mythologischen Landschaftsbildern als „eine schwere, schwere Zeit“45. In den folgenden Jahren entwickelte er eine feste Selbstüberzeugung von der eigenen Mission, die ihn materielle und familiäre Schwierigkeiten hinnehmen ließ. Mit diesen Worten beschreibt sie Johannes Balzli in seiner Biographie – harte Schicksalsschläge trafen ihn Schlag auf Schlag, aber gerade in diesen Nöten formulierte sich mehr und mehr, deutlicher und immer deutlicher die Mission, die von Jugend an, wenn auch nur dunkel gefühlt war. List musste aber tatsächlich sehr hart arbeiten und in dieser Zeit entwickelte er seinen eigenen Stil. Widerhall fand er in vielen verschiedenen Völkisch ausgerichteten Zeitschriften (Heimat, Deutsche Zeitung, Neue Welt oder Neue Deutsche Alpenzeitung). Seine zwischen 1879 und 1890 erschienenen Artikel beschäftigen sich hauptsächlich mit den Landschaften der Alpen und des Donauraumes, einschließlich der Volksbräuche oder Heraldik. Da er mit dem Dombaumeister von St. Stephan Friedrich von Schmidt befreundet war, regte es ihn wohl an, auch über architektonische Themen zu schreiben. Über die Jahre 1877 bis 1888 wird in den Biographien von List nicht viel berichtet. Balzli macht hier einen Schnitt und beginnt erst wieder mit dem Jahr 1888, in dem der Roman Carnuntum erschien und List einen wirklichen Erfolg im Völkischen Lager brachte. Mit diesem Roman soll sich in der Tat die von Guido List später formulierte Theorie des Primats der intuitiven Erkenntnis bestätigt haben. Johannes Balzli formuliert es folgendermaßen:

44 List, Guido: Deutsch-Mythologische Landschaftsbilder, Band II, Verlag d. Verfassers, Wien: 1913, S. 125. 45 Ibidem, S. 642-643.

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Die Duplizität der Entdeckungen kam auch hier in Erscheinung. Wenige Tage später nämlich als Carnuntum erschien aus der Feder von Prof. Kirchmayr das rein wissenschaftliche Werk „Das altdeutsche Volksstamm der Quaden“, ein Werk, das ganz den gleichen Stoff behandelt und zu den gleichen Resultaten kommt.46

Dank dieser Umstände fand List viele Leser unter den Deutschen im damaligen Brünn. Zum ersten Mal kamen der Verein „Deutsches Haus“ in Brünn und sein Präsident Friedrich Wannieck in Lists Leben vor. Denn eben dieser Verein war der Herausgeber des Werkes von Kirchmayr. Deshalb war Wannieck einer der ersten, die die „überraschende“ Übereinstimmung der beiden Werke bemerkt haben. Bald entwickelte sich ein reger Briefverkehr zwischen List und Wannieck, der später zu einem großzügigen Förderer und Gönner Lists wurde. Die Tatsache, dass Wannieck gerade den Völkischen Autor List förderte, passt allerdings nicht gerade in das Bild Wanniecks, das heute in Brünn gepflegt wird. Er wird als erfolgreicher Unternehmer mit ausgeprägtem sozialen Empfinden geschätzt, denn er bot seinen Arbeitern ein fortgeschrittenes System von sozial-, Krankenversicherung an und baute sogar eine Arbeiterkolonie für behinderte Arbeitnehmer seines Unternehmens, es waren viele Doppelhäuserder Kolonie Friedrichsruh, deren Backsteinfassaden und Lage oberhalb von Židenice / Schimitz sie in den Jahren 1898/1900 unübersehbar machten. Er war aber auch ein wichtiger Unterstützer der deutschen Kultur in Brünn. Zu diesem Bild passt kaum das emotional geladene Zitat von Leopold Pammer: „Der fanatische Deutschnationale Friedrich Wannieck aus Brünn holte ihn als Vortragsredner ebenso wie die Deutschvölkischen Vereine in Horn und Salzburg.“47Eine solche Bewertung von Wannieck wirkt unter Betrachtung der Umstände im damaligen Brünn als übereilt. Friederich Wannieck war in der Tat ein wichtiger Vertreter der Brünner Deutschen, die am Ende des 19. Jahrhunderts den Aufschwung des tschechischen Nationalbewusstsein mit Unruhe betrachteten und sich bemühten ihre eigene Position in Brünn zu behaupten. Deshalb auch prangte auf der Fassade des Deutschen Hauses die Aufschrift Der Stadt zur Ehr´, dem Deutschtum zur Wehr. Leider fehlt bis heute eine selbstständige Publikation über Friedrich Wannieck, die uns helfen könnte, die Aktivitäten Wanniecks quellengestützt zu beschreiben. Der Roman Carnuntum, ein historischer Roman aus dem 4. Jahrhundert n. Ch. beschreibt das Leben der alten Quaden und Markomannen in Carnuntum und die historische Schlacht der Römer mit dem germanischen Stammesverband der Markomannen im Jahre 375. Johannes Balzli fasst in seiner Biographie von List die Handlung des Romans in deutlich deutschnationalistischen Ton zusammen: Er schildert den Zusammenprall des verlotterten, sittlich in sich zusammengebrochenen Römertums mit dem gründenden sittenreinen und kraftstrotzenden Germanentum.48Lists Roman zufolge soll der Sieg der Markomannen die erste Bresche für die Befreiung der Germanen ins Imperium Roman um geschlagen haben. Die Auseinandersetzungen zwischen den kulturell-zivilisatorisch rückständigen Germanen und dem schon dekadenten Rom gipfelte in der Plünderung Roms im Jahre 410. Johannes Balzli vergleicht die Bedeutung der Schlacht mit der Schlacht im Teutoburger Wald, er schätzt sie sogar höher, denn sie ist bis heute entscheidend für das Schicksal Mitteleuropas.49 Das bestätigt nur, wie wichtig diese Entdeckung Lists und Kirchmeyers für die Völkischen Kreise war. Der Roman war mit seinen vielen

46 Balzli, Johannes: Guido v. List / der Wiederentdecker uralter arischer Weisheit, sein Leben und sein Schaffen, Guido-von-List-Gesellschaft, Wien: 1917, S. 22. 47 Pammer, Leopold: Hitler und seine Vorbilder, tredition, 2000-2007, zum Herunterladen: http://www.antifa.co.at/antifa/list.pdf, S. 2. 48 Balzli, Johannes: Guido v. List / der Wiederentdecker uralter arischer Weisheit, sein Leben und sein Schaffen, Guido-von-List-Gesellschaft, Wien: 1917, S. 23. 49 Ibidem, S. 24.

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Aktualisierungen unter anderem gegen das zeitgenössische politische System und gegen die katholische Kirche gerichtet. Außerdem, dass List im Deutschen Verein in Brünn sehr freundlich empfangen wurde, fand der Roman ebenfalls in der österreichischen pangermanischen Bewegung großen Beifall. Der Abgeordnete für die Deutschnationale Bewegung im Wiener Reichstag Georg von Schönerer, der gerade 1888 zu einer Kerkerstrafe verurteilt wurde und seinen Abgeordnetenmandat und Adelstitel verlor, und sein Gesinnungsgenosse Karl Hermann Wolf, begrüßten List als Anhänger ihrer Ideen. Bald wurden Lists Beiträge in der Wochenzeitung Ostdeutsche Rundschau regelmäßig abgedruckt. In den 1890er Jahren entwickelte List seine Theorien über die Religion, Wotanismus, der alten Germanen weiter und unter dem Einfluss von Schönerer rückten seine Theorien in die Nähe einer rassistischen Weltauffassung. Zu dieser Zeit präsentierte sich List als Schriftsteller, Dramatiker und Dichter. Zu seinen Werken aus dieser Zeit zählen der Roman Pipara, die Novelle Jung Diether´s Heimkehr, Dramen König Vannius, Der Wala Eweckung und Das Goldstück und die epische Dichtung Walkürenweihe. Diese produktive Zeit endet im Jahre 1902, als List in Folge einer Augenoperation für elf Monate erblindete. Das hinderte ihn allerdings nicht an weiterer Arbeit. Im Gegenteil, er entwickelte gerade jetzt seine Theorie über esoterische Deutungen der alten germanischen Symbole. In diesen „Tagen der Dunkelheit“ soll er zahllose Visionen über germanische Religion gehabt haben. 1903 versuchte er seine eigene Forschung auf dem akademischen Boden der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien zu präsentieren, er bekam aber seinen Text über die germanischen Symbole kommentarlos zurück. Er hatte allerdings einen starken Rückhalt bei verschiedensten, zumeist okkulten Verbänden in Wien, aber auch in ganz Deutschland und Österreich. Dank der Zeitschrift „Gnosis“, die im Jahre 1903 seinen Artikel Die esoterische Bedeutung religiöser Symbole veröffentlichte, kam er in Kontakt mit Franz Hartmann, Freimaurer und Begründer einer ganzen Reihe von deutschen und österreichischen theosophischen Gesellschaften. Es ist wahrscheinlich, dass Hartmann, selbst Unterstützer der später gegründeten Guido-von-List- Gesellschaft, einer von denen war, die Lists Interesse an Theosophie unterstützten. Nicolas Goodrick-Clarke spricht von mehreren Quellen der theosophischen Einflüsse auf List50: wichtige Rolle sollen dabei vor allem seine Anhänger und Freunde gespielt haben, die mit theosophischen und okkulten Kreisen Kontakt unterhielten, wie zum Beispiel Jörg Lanz von Liebenfels, Max Seiling, Friedrich Schwickert, Karl Heise, Friedrich Wannieck, Franz Hartmann und weitere. Sicher ist, dass List diese Einflüsse in seine Weltanschauung einarbeitete und neu kontextualisierte und nach 1903 unter anderem die Texte von Helena Petrowna Blavatsky auswahlweise zitierte. Am Anfang des Jahrhunderts erhielt List weitere Würdigungen seiner begeisterten Anhänger und Mäzene. Seine Förderer gründeten 1908 die Guido-von-List-Gesellschaft, der viele namhafte Esoteriker aus Österreich und Deutschland angehörten. In demselben Jahr erschien die durch diese Gesellschaft unterstützte Publikation Das Geheimnis der Runen, die bis heute in esoterischen Kreisen sehr populär ist. List gründete anschließend 1911 den „Hohen Armanen Orden“ (HAO) als inneren Zirkel der List-Gesellschaft, der allerdings nach wenigen Jahren zerfiel. Auf seiner Reise nach Brandenburg wurde ihm eine Lungenentzündung diagnostiziert und er starb in Berlin 1919.

50 Goodrick-Clarke, Nicolas: Die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus, L. Stocker Verlag, Graz: 1997, S. 49−55.

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3. LANDSCHAFTEN WIE URKUNDEN LESEN (1877−1891)

Als Guido List 1877 das Familienunternehmen verließ, um sich als freier Publizist und Schriftsteller zu behaupten, hatte er schon einige publizistische Erfahrungen hinter sich. Wie Johannes Balzli berichtet, trat er schon im Jahre 1871 mit seinem ersten alpinen Aufsatz vor die Öffentlichkeit51 und wurde Mitarbeiter der „Neuen deutschen Alpenzeitung.“ Bereits in demselben Jahr übernahm er das Sekretariat des „Österreichischen Alpenvereines“. Seit 1877 begann er regional historische Artikel zu veröffentlichen, die die Geschichte, Mythen und Sagen, die mit einzelnen Orten meistens in Niederösterreich und Südmähren verbunden waren, auf populäre Weise verarbeiteten. Zuerst publizierte er in der Neuen Deutschen Alpenzeitung, aber bald erschienen seine Texte auch in den Zeitschriften Heimat52und Deutsche Zeitung53, in Zeitschriften, deren Leser aus der österreichischen Mittelschicht stammten, liberal und deutschnational orientiert waren. In seinen regional historischen Artikeln54 definiert er zum ersten Mal seine Position sowohl gegenüber der Volksmasse (den Unwissenden) als auch gegenüber der akademischen Wissenschaft, die für seine ganze weitere Karriere unverändert bleibt. Diese Position ist ebenfalls für seine späteren elitär orientierten Theorien über die esoterische (für Wissende) und exoterische (für das Volk) Erkenntnis wichtig. Ebenfalls formulierte er schon damals die Grundsätze seiner Forschungsweise und seiner Weltanschauung, die auf Intuition bzw. Selbsterkenntnis beruhen. Er stilisierte sich in die Position eines intuitiven Forschers, der einsam und respektvoll zur Natur die Antworten auf die wichtigsten Fragen unseres Daseins nicht im Schatten der Bibliothek, sondern in der Landschaft sucht und dank seiner starken Intuition findet. Er meinte dazu, wenn man den „Zauberschleier des Daseins“ lüften wolle, müsse man einsame Stätten aufsuchen, an denen unbeeinflusst von der Hand des Menschen die Natur alleine waltet.55 Diese Methode definierte er als Natur wie Urkunde lesen. Johannes Balzli schreibt dazu:

Guido von List war nicht bloßer Naturfreund – der Altertumsforscher erwachte in ihm, und es entwickelte sich sogar seherisches Schauen. Er las in der Flur, wie andere in alten Urkunden lesen, und fixierte das Geschichtliche und Kulturhistorische in der Landschaft.56

51 List, Guido: Neujahr 1871 in den Alpen, Jahrbuch des Österreichischen Alpenvereins, 1871. 52„Die Heimat, illustriertes Familienblatt, das sich das bekannte deutschsprachige Musterbeispiel einer für den bürgerlichen Mittelstand gedachten Unterhaltungszeitschrift, „Die Gartenlaube", zum Vorbild nahm und den inhaltlichen Schwerpunkt auf Belletristik legte. Die Heimat erschien 1876−1901 und wurde danach unter dem Titel „Neue illustrierte Wochenzeitung" fortgesetzt (Herausgeber war anfangs Carl von Vincenti, 1882−1885 Ludwig Anzengruber). Bereits im ersten Jahrgang erschienen Erzählungen von Anzengruber, Peter Rosegger und Ferdinand Saar, dazu Lyrik von Eduard von Bauernfeld und Robert Hamerling.“ − Felix Czeike, Historisches Lexikon Wien, Verlag Kremayr & Scheriau, Wien: 1992-2004. 53„Deutsche Zeitung, Blatt von hohem Niveau mit ausführlichem Lokalteil, erschien ab 17. Dezember 1871. Bis 1873 schrieb Daniel Spitzer in der Deutschen Zeitung seine „Wiener Spaziergänge". Die Deutsche Zeitung war von den Liberalen als Organ des deutschen Nationalismus in Österreich gegründet worden und sollte der Neuen Freien Presse Konkurrenz machen. In der Zeit ihres Erscheinens wechselte die Deutsche Zeitung des Öfteren Eigentümer und politische Richtung. Vom 13. Juni 1886 bis 1. April 1887 war der großdeutsche Historiker Heinrich Friedjung Chefredakteur (ab 1882 redaktioneller Mitarbeiter). Als Friedjung von der antisemitischen Gruppe der Nationalliberalen zum Rücktritt gezwungen wurde, geriet die Zeitung unter Dr. Theodor Wähner ins antisemitische Fahrwasser und verlor viele Leser. Ab Juli 1894 galt die Deutsche Zeitung, die ab 1892 in der gleichen Druckerei hergestellt wurde wie das Deutsche Volksblatt (J. N. Vernay), als christlich soziales Organ und Sprachrohr von Karl Lueger. Am 24. November 1907 stellte sie das Erscheinen ein.“− Felix Czeike, Historisches Lexikon Wien, Verlag Kremayr & Scheriau, Wien: 1992-2004. 54 Siehe: Bibliographie von Guido List am Ende dieser Dissertation. 55 List, Guido: Deutsch-Mythologische Landschaftsbilder, Band I, Verlag d. Verfassers, Wien: 1913, S. 125. 56 Balzli, Johannes: Guido v. List / der Wiederentdecker uralter arischer Weisheit, sein Leben und sein Schaffen, Guido-von-List-Gesellschaft, Wien: 1917, S. 20.

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Diese Bemerkung verrät vieles über den Guido List-Kult. In den biographischen Artikeln über List und auch in der Biographie von Balzli finden wir immer wieder Hinweise auf das Intuitive, Seherische, womit übrigens später auch Lists Misserfolg an der Universität im Jahre 1903 entschuldigt wird. Die Intuition stellte nach List die tiefste Erkenntnis der Dinge (göttliche Offenbarung) dar, die erst später durch die Wissenschaft beschrieben werden kann. Demzufolge wünschte List von seinen Anhängern nicht als Wissenschaftler, sondern als außerordentlich begabter „Forscher“ bewundert zu werden. Seine Werke, obwohl sie im (pseudo)wissenschaftlichen Stil verfasst werden, sollten als Visionen gelesen werden, die rational nicht zu widerlegen sind. List beteuerte, dass auf dieser intuitiven Erkenntnis die heidnische arische Religion der Urgermanen beruhte. Er schätzte diese intuitive Erkenntnis höher als ein Wissen, das immer dieser Erkenntnis nachhinkt. Das folgende Zitat stammt aus dem Buch Urgrund, das die Weltanschauung Lists zu erklären versucht:

Es wurde schon oben gesagt, dass auf der intuitiven Erkenntnis [...] die arische Religion beruht. So lange die Religion lebendig bleibt und nicht in Symbolen und symbolistischen Zeremonien versinkt und endlich in starren Formelwesen erstirbt, so lange kann sie auch nicht von der forschenden, spekulativen Wissenschaft überholt oder widerlegt werden, denn alle intuitiv gefundenen Wahrheiten wurden, und werden auch fernerhin, von der Wissenschaft bestätigt, mag diese auch anfänglich so sehr sich dagegen auflehnen, oder gleiche Wahrheiten mit anderen Namen belegen. Immer wird die „göttliche Offenbarung“ – das intuitiv Erkannte – der Wissenschaft als „Glaube“ vorangehen, um von dieser als „Wissen“ bestätigt zu werden, trotz aller anfänglichen Leugnungs- und Widerlegungsversuche. Selbstverständlich sei hiermit die ehrliche Wissenschaft, nicht aber die Geschäftswissenschaft gemeint.“57

Neben der intuitiven Erkenntnis nahm List historische Quellen, Volkssagen und Märchen zur Hand, um sie in ein unentzifferbares Netz von Fiktion und historischen Belegen zu weben. Auf diese Weise sind zahlreiche Artikel über verschiedene Orte in Südmähren und in Niederösterreich entstanden (siehe Bibliographie am Ende dieser Dissertation). Aus der literarischen Hinsicht sind diese Artikel noch nie behandelt worden und in der allgemeinen Forschung zu Guido List finden diese Aufsätze nur wenig Eingang, dabei enthüllen sie sehr deutlich die wichtigsten Prinzipien der Selbstpositionierung, Selbstdurchsetzung und Argumentation nicht nur von List, sondern auch von vielen anderen selbsternannten Propheten. Beim Lesen dieser Artikel wird klar, dass List die Volkssagen und Mythen auf eine eigenartige Weise liest, er behauptet, dass die Mythen und Volkssagen von den meisten Menschen falsch verstanden werden und er derjenige ist, der sie teils durch historiographische Arbeit, teils dank seiner seherischen Begabung, entziffern kann. Da er die Mythen als tatsächlich geschehene Ereignisse las und ihre Fiktionalität bestritt, versuchte er die materiellen Belegen der mythischen Geschichten in der Landschaft, in den Hügeln, Wäldern, Flüssen und in den Orts- und Adelsnamen zu suchen. Außerdem bemühte er sich später aufgrund seiner Entdeckungen eigene Mythologie zu konstruieren und darauf die historische Identität einer uralten Religionsgemeinschaft, das Volk der Armanen, zu begründen. Als Bespiel dient der Aufsatz Eburodonum zu Wuothansthal, in dem er versuchte christliche Ortsnamen als ursprünglich arisch zu erkennen und in der Landschaft in der Umgebung der heutigen Gemeinde Adamov in Südmähren uralte natürliche Tempel der Armanen gefunden zu haben.58

57 Urgrund. Einführung in die Gedankenwelt des Wiener Forschers, Guido List Gesellschaft, Berlin−Lichterfelde, Berlin o.J. 1936 − Geleitwort Felix Havenstein, S. 11. 58 List, Guido: Deutsch-mythologische Landschaftsbilder. Bd. 1, Verlag ds. Verfassers, Wien: 1913, S. 147.

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3.1 Journalistische Erfolge

Die meist gelungenen Artikel aus der Zeit von ungefähr 1877 bis 1890 wurden 1891 im Sammelband Deutsch-Mythologische Landschaftsbilder (zweite Auflage im Jahre 1913) herausgegeben. Dieses Buch erschien nach Lists Durchbruch als Schriftsteller im Jahre 1888 und zählt zu seinen damals wie heute bekannten Werken. Balzli berichtet beispielsweise, dass es später zur beliebten Lektüre der Soldaten im Ersten Weltkrieg geworden ist.59 Seit 1891 erschienen Lists zahlreiche Artikel regelmäßig in der Ostdeutschen Rundschau. List hat seine Artikel dieser Zeitung entsprechend angepasst, neulich schrieb er literarische Kurzformen (Humoreske, Idyll, historische Novelle60) und auch antisemitische Pamphlete (wobei der Artikel Die Juden als Statt und Nation in der Ostdeutschen Rundschau 1893 und dann nochmals 1896 erschienen ist61). Im Jahr 1893 publizierte er ebenfalls viele Texte, die radikal antichristlich sind.62 Das Buch „Deutsch-Mythologische Landschaftsbilder“ zählt auch heute noch zu den bekanntesten und für Lists Anhänger wichtigsten Werken. Für viele ist dieses Buch eine unentbehrliche Einleitung in die Lehre ihres „Meisters“. Für Johannes Balzli, Lists Anhänger, Biograph und anerkannter Okkultist, war das Buch „das Lehr- und Lesebuch der deutschen Landschaft-Rune. Sie deuten schon hin auf die späteren Findungen, die aus der Tiefe von vielen Jahrtausenden das Ur-Weistum der Arier (Ario-Germanen) neu erstehen ließen. Die Deutsch-Mythologischen Landschaftsbilder sind die Grundlage und der Grundriss, auf dem der Meister das große Weltanschauungsgebäude in gigantischen Quadern errichtet hat.“63 In den heutigen neugermanischen Kreisen, vor allem in englischsprachigen Ländern, wird dieses Buch neben Das Geheimnis der Runen als wichtige Einleitung in Lists Weltanschauung und in die Ariosophie angesehen. Es gab allerdings schon damals ablehnende Kritiken meistens aus den Reihen der damaligen Altertumsforscher. Einer der bedeutendsten positivistischen Mythenforscher und Schriftsteller seiner Zeit, Ludwig Laistner, schrieb 1892 für die renommierte Zeitschrift „Zeitschrift für deutsches Altertum

59 Dies bezeugt zum Beispiel das folgende Brief von einem Soldaten aus dem Feldlazarett: „im Felde, 12. Hartungs 2030, Die Lektüre der „Deutsch Mythologischen Landschaftsbilder“, die ich mir im Feld hatte spenden lassen, und die mir die wenigen freien Stunden im Schützengraben verschönern und mich im Geiste in meine Geliebte deutsche Heimat versetze […] - Balzli, Johannes: Guido v. List / der Wiederentdecker uralter arischer Weisheit, sein Leben und sein Schaffen, Guido-von-List-Gesellschaft, Wien: 1917, S. 173. 60 Ostdeutsche Rundschau: Der Weinkellerschlüssel. Eine Humoreske aus der Cäsarenzeit, OR: 3.November − S 7, OR 4. November − S 12, OR: 6. November S. 5, OR 7. November S. 7, OR 8.November S. 7, 9. November S. 7, 10. November S. 7, 11. November S 12, 13. November S 5.,14. November S. 12., 16. November S. 7, 17. November S. 7, 18. November S. 12, 20. November S. 5, 1893; Donau Delawaren (eine Humoreske aus dem Donauruderleben), 26. Februar 1895 S. 1−3,Ein Idyll aus dem alten Wien, 30. Mai 1895, S. 1−3, Die Gründung des Klosters Cotwich. Historische Novelle aus dem elften Jahrhundert, 29. September S. 7, 1. Oktober S. 5, 2. Oktober S. 6, 3. Oktober S. 4, 4. Oktober, S.7, 5. Oktober S. 7, 6. Oktober S. 10, 8. Oktober S. 5, 10. Oktober S.5, 11. Oktober S. 7, 13. Oktober S. 7, 15. Oktober S. 5, 1895. 61 Ostdeutsche Rundschau: Die Juden als Staat und Nation, 12. Februar 1896, S. 1−2. 62 Ostdeutsche Rundschau: Allerseelen und der vorchristliche Totenkult des deutschen Volkes, 3. 11. 1893, Das Zwanzigste Jahrhundert: Von der Wuotanpriesterschaft, Das Zwanzigste Jahrhundert 4, S. 119−26, S. 242−51, S. 343−52, S. 441−51. 63 Balzli, Johannes: Guido v. List / der Wiederentdecker uralter arischer Weisheit, sein Leben und sein Schaffen, Guido-von-List-Gesellschaft, Wien: 1917, S. 27.

23 und deutsche Literatur“ eine kurze Rezension über Lists Sammelband64, in der er ihn als „Liebhaber mythologischer Dinge, der viel gesehen, viel gelesen und viel sinniert hat“ bezeichnet. Und er schreibt weiter „Leider will sich sein Pegasus dem Joche besonnenen fortschreitender Forschung ganz und gar nicht fügen und strebt mit ungeduldigem Flügelschlag der Sonne einer verjährten Lichtmythologie zu.“ Dieser Ton wiederholt sich dann bei meisten Kritikern von Lists Forscherversuchen. Laistners noch berühmterer Kollege, ebenfalls Autor vieler Rezensionen und Artikel in der Zeitschrift „Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur“, Prof. Rudolf Much65 bezeichnete Lists Forschungsversuche ohne zu zögern als „deutschtümelndes Gallimathias“.66 Es ist zu erwähnen, dass Much an der Wiener Universität im Jahr 1903 wirkte, als List seine Forschungsergebnisse zur Beurteilung an die Universität schickte und sie in einigen Tagen kommentarlos zurückbekam. Zu Muchs Schülern gehört unter anderen der bedeutende österreichische Mediävist, der stark nationalsozialistisch gesinnter Professor an der Universität in Kiel, Mitglied des SS-Ahnenerbe Otto Höfler, der Autor des bekannten Textes Kultische Geheimbünde der Germanen.67 Wie gesagt, erfreuten sich die Deutsch-Mythologischen Landschaftsbilder großer Beliebtheit des Völkisch orientierten Publikums, denn sie bestätigten auf pseudowissenschaftliche Weise ihre Interpretation der Geschichte. Bei der Lektüre dieser Texte wird unter anderem Lists Versuch deutlich, die ursprüngliche germanische Besiedlung der Wiener und südmährischen Landschaft zu belegen. Rainer Kipper identifiziert hinter diesen Bemühungen politisch-legitimatorische Reaktion, den damaligen Forderungen der slawischen Völker der Monarchie nach politischem Einfluss historisch „tausendjährig“ belegte Tatsachen entgegenzusetzen.68 Solche Bemühungen waren unter den völkisch- orientierten Österreichern recht häufig und gipfelten beispielsweise in Brünn in der Antikolonisationstheorie/Urgermanentheorie von Bertold Bretholz.69

64 Laistner, Ludwig: Guido List – Deutsch-Mythologische Landschaftsbilder, Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur, Heft IXI, 2. April 1893, S. 121. 65 Much Rudolf, Germanist. (1862 – 1936)stud. an der Univ. Wien klassische Philologie und Naturwissenschaft, schließlich Germanistik, 1887 Dr. phil., 1893 Habil. für germanische Altertumskunde und Sprachgeschichte, 1904 ao. Prof. und ab 1906 o. Prof. für diese Fächer sowie für skandinavische Sprachen und Literaturen an der Univ. Wien. Er gliederte seine philologischen Arbeiten in weite historisch−kulturgeschichtliche Zusammenhänge ein und legte seine sprachlichen, literatur- und religionsgeschichtlichen Untersuchungen als Teile einer umfassenden Altertumskunde an. Wichtig ist sein Kommentar zur „Germania“ des Tacitus dar. Dieser Kommentar baute auf den antiken wie auf den innergermanischen Zeugnissen zur germanischen Altertumskunde auf und fand die Angaben des Tacitus weitgehend bestätigt. In vielen Fällen vermochte er sie durch literarische und archäologische Zeugnisse zu ergänzen, in manchen zu berichtigen oder kritisch zu Recht zu rücken. 1909 begründete er gem. mit Meringer (s d.), Meyer−Lübke (s. d.) u. a. die Z. „Wörter und Sachen“. 1907 korr., 1912 w. Mitgl. der Akad. der Wiss. in Wien. 66 Hummel, Adrian: Guido List von: IN: Kühlmann, Wilhelm: Killy Literaturlexikon, Band 7,Walter de Gruynter, Berlin: 2010, S. 456. 67 Höfler, Otto: Kultische Geheimbünde der Germanen. Diesterweg, Frankfurt 1934 – nur Band 1 erschienen. ( Habilitationsschrift an der Universität Wien aus dem Jahr 1931 mit dem Titel Totenheer – Kultbund – Fastnachtsspiel.). 68 Kipper, Rainer: Der Germanenmythos im Deutschen Kaiserreich: Formen und Funktionen historischer Selbstthematisierung, Dissertation, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen: 2002, S. 337. 69 Bertold Breholtz (1862−1936) war Leiter im Brünner Stadtarchiv und später Direktor im Mährischen Landesarchiv. Er versuchte nachzuweisen, dass die Germanen ursprünglich auf dem böhmischen Gebiet zusammen mit den Slawen gelebt hätten, also nicht erst mit der Kolonisation gekommen wären. Auswahl von seinen Werken: Geschichte Mährens (1895), Geschichte Böhmens und Mährens (1921−25), Geschichte der Juden in Mähren im Mittelalter (1934). Seine Antikolonisationstheorie wurde Gegenstand mehrerer Polemiken, wobei sie von der tschechischen Historiographie eindeutig abgelehnt wurde. In dieser Polemik engagierte sich energisch Josef Pekař, der zu diesem Thema 1920-21 in der tschechischen Zeitung Lidové noviny neun

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Es wäre allerdings verfehlt List aufgrund der Deutsch-Mythologischen Landschaftsbilder als einen Verteidiger der österreichischen Monarchie zu betrachten. Seine Einstellung gegenüber der Monarchie war ambivalent. Einerseits zählten seiner Meinung nach Habsburger zu den Auserwählten, zu germanischen Helden und Trägern der alten germanischen Tugenden als Nachfolger der germanischen Könige. Andererseits kommen in den Texten der Deutsch-Mythologischen Landschaftsbilder alldeutscher Nationalismus und auch seine anti-christliche Position zum Ausdruck. Die Texte sind nicht nur gegen die slawischen Forderungen, sondern auch gegen die katholische Kirche gerichtet. Folglich versuchte List die Slawen als ein kulturloses Volk ohne Religion zu präsentieren70, dagegen standen die Armanen mit ihrer Kultur und mit ihrem komplexen Religionssystem. Die Christen (Römer) waren dann die eigentlichen Vernichter dieser uralten armanischen Weisheit (Wuotanismus). Politische Aspekte und die wenigen politischen Forderungen in seinen Texten sind als latente Äußerungen ohne Anspruch auf tatsächliches politisches Engagement zu betrachten. Er selbst hielt sich vor 1900 mit seinen Forschungen absichtlich außerhalb der politischen Szene und betrachtete die politischen Kämpfe und Auseinandersetzungen und das System der politischen Parteien als marginal auf dem Weg zum idealen armanischen Staatsystem, das er später in seinen Forschungsberichten detailliert beschrieb.71

3.2 Literarische Gesellschaften

Trotz der Natur eines „einsamen Wolfes“72 war List seit 1888 in mehreren Völkisch orientierten literarischen Vereinen aktiv. Im Mai 1891 trat List der literarischen Gesellschaft Iduna (Freie Deutsche Gesellschaft für Literatur) bei, die in den Jahren 1891-1902 eine gleichnamige Zeitschrift herausgegeben hat. Es ging um einen Kreis der Schriftsteller um Fritz Lemmermayer. Lemmermayer war in gewisser Weise Vermittler zwischen der alten Generation von idealistisch nationalistischen Autoren wie dem Dichter Fercher von Steinwand, dem Geschichtsschreiber Joseph Tandler, der Dichterin Auguste Hyrtl, Schriftsteller Ludwig von Mertens und der Dichterin Josephine von Knorr und der Gruppe junger Schriftsteller und Denker(Rudolf Steiner, Marie Eugenie delle Grazie und Karl Maria Heidt). Der Name Iduna war angeblich von List erfunden und verwies auf alte nordgermanische Gottheit der Jugend und Erneuerung. Zum Kreis gehörten auch Richard von Kralik und Joseph Calasanz Poestion (Übersetzer aus skandinavischen Sprachen). Die Gesellschaft war nach 1893 nicht mehr aktiv. Ein Teil der Iduna schloss sich 1896 mit Kralik dem „Verband katholischer Schriftsteller und Schriftstellerinnen Österreichs“ an. Ein anderer schloss sich im Jahre 1904 der „Wiener Schriftsteller-Genossenschaft“ an. List war ebenfalls in der Literarischen Donaugesellschaft tätig, die er im Jahre 1893 mit Fanny Wschiansky gründete. Zu dieser Zeit traf List wichtige führende Völkische Schriftsteller und Denker, so auch seinen späteren FreundFranz Xaver Kiessling73, Rudolf

kritische Aufsätze veröffentlichte, Bretholz verteidigte seine Theorien in den deutsch-böhmischen Zeitungen. Im Unterschied zu List erhielt Bretholz Unterstützung von mehreren österreichischen Historikern, unter ihnen auch vom Lists bedeutenden Kritiker Rudolf Much, Prof. an der Universität in Wien. 70 In anderen Texten von List sind aber die Slawen die eigentlichen Träger des Christentums, was nur darüber zeugt, wie flexibel er mit seinen Behauptungen war. 71 List, Guido: Das Armanentum der Armanenschaft I und II, Die Rita der Ariogermanen. 72 Ein von seinen Kollegen im Alpenverein erfundener Spitzname. 73 Kiessling Franz Xaver, Heimatforscher. * Wien, 4. 4. 1859; † Krems (N.Ö.), 20. 10. 1940.Wegen eines Augenleidens gezwungen, seinen Beruf als Ing. frühzeitig aufzugeben, widmete er sich dann der Heimatforschung. Sein besonderes Interesse galt den Bodendenkmälern des nordöstlichen Waldviertels. Daneben befaßte er sich auch mit mineralog. und volkskundlichen Problemen. Die bedeutendste Entdeckung K.s ist das „Plateaulehm-Paläolithikum“, eine steinzeitliche Kulturform, deren genaue zeitliche Einordnung

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Steiner (dessen Theorien er später ablehnte und ihn selbst „jüdischen Prophet“ nannte) oder Jörg Lanz von Liebenfels; intensivere Kontakte zu Jörg Lanz von Liebenfels sind allerdings erst nach 1899 festzustellen, nachdem Lanz das Kloster Heiligenkreuz verlassen hatte. Nachdem der Roman Carnuntum (1888) erschienen ist, wurde List vom Brünner Verlag Deutsches Haus angesprochen und ihm neue Publikationsmöglichkeiten angeboten. Diese Zusammenarbeit war für Lists weitere ideologische Entwicklung und auch für die weitere Orientierung des Verlages in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts ausschlaggebend. Guido List war der einflussreichste Autor des Verlages. Gleich seine erste Publikation in diesem Verlag waren die schon erwähnten Deutsch-Mythologischen Landschaftsbilder. Neben Guido List unterstützte Friedrich Wannieck, der Mäzen dieses Verlages, noch weitere Autoren. Darunter den Brünner evangelischen Pastor Gustav Trautenberger, dessen Werk Die Chronik der Landeshauptstadt Brünn das umfangreichste Projekt des Verlages darstellt. Trautenberger wurde ebenfalls beauftragt, einen Bericht über die Eröffnung des Deutschen Hauses zu erstellen, der unter dem Titel Festschrift zur Eröffnung des Deutschen Hauses in Brünn, am 17., 18. und 19. Mai 1891 im Jahre 1891 in diesem Verlag erschienen ist. Bedeutend war für den Verlag das Projekt der Weihnachtsgaben des Vereines Deutsches Haus, dessen Zweck es war, die Angehörigen des Deutschen Volkes in Mähren zum Bewusstsein von der Herrlichkeit ihres Volkstums zu führen. Als erste Weihnachtsgabe im Jahre 1894 war die Erzählung Königssühne des in Breslau habilitierten Anglisten und Germanisten Otto Luitpold Carl Jirzicek erschienen, der vier Jahre später in Völkisch orientierten Kreisen als Autor der Deutschen Heldensagen (1898) berühmt wurde. Im Jahr 1895 ist als Weihnachtsgabe das epische Gedicht von Guido List Walkürenweihe erschienen. Dieses einzige epische Gedicht von List übernimmt die archaisierende Form der germanischen epischen Heldensagen und versucht, ähnlich wie andere literarische Werke Lists, die Rolle der Quadenstadt Eburodonum (Brünn) und der Quaden zu verherrlichen. Die Absicht, Wanniecks Geschichtsbild entgegenzukommen, ist dabei offensichtlich. Im Jahr 1896 erschien als Weihnachtsgabe die Erzählung Ariogais, mit dem Untertitel Erzählung aus der Quaden Heldenzeit, von dem heute schon vergessenen Autor Josef Orel (1868−1907), einem Absolventen der Lehrerbildungsanstalt in Troppau. Was die Form und die Themen angeht, waren die Texte aus dieser Zeit von List und Orel zu dieser Zeit sehr ähnlich. Ihre Werke sind nicht nur thematisch, sondern auch stilistisch und lexikalisch verwandt. Beide versuchen die deutsche klassisch-romantische literarische Tradition mit Kolportage-artigen Elementen zu verbinden, anders gesagt die Literatur dem Volke zu übermitteln. Ihre Werke aus dieser Zeit sind zum größten Teil verwechselbar, beide schöpfen aus der germanischen Geschichte Brünns bzw. Südmährens, verwenden gleiche Metaphern und die gleiche Figurentypologie. Beide spielen mit der Identität ihrer Helden, die über fast übermenschliche Kraft und Eigenschaften verfügen. So werden beispielsweise die Haupthelden Ariogais in Ariogais und Erschantaug in Carnuntum von ihrer Schar für Halbgötter gehalten. Genauso wie in Lists Texten gilt auch bei Orel der Gott Wotan (Wuotan oder Wodan) als höchste Gottheit der alten Quaden. Auch bei Orel sind es die Quaden, die im Unterschied zu anderen germanischen Stämmen, die einen Klientelstaat

heute noch umstritten ist. Auch die „Wolfsbacher Kultur“, eine jungsteinzeitliche Sonderform aus der Umgebung von Drosendorf, verdankt ihm ihre Herausstellung. Auf volkskundlichem Gebiet ist K. eine umfassende Smlg. von Waldviertler Sagen zu danken. Die zahlreichen Arbeiten über Volksbräuche und Ortsnamen sind sehr subjektiv gefärbt. Seine Mineral. des Waldviertels ist als Materialquelle immer noch bedeutsam. 1884 gründete K. in Drosendorf das „Roland-Museum“, das vor dem Ersten Weltkrieg zu den größten Lokalmus. Österr. zählte, von dem aber heute nur mehr Restbestände im 1959 eröffneten „Städtischen K.-Museum“ in Drosendorf vorhanden sind. ÖBL 1815−1950, Bd. 3 (Lfg. 14, 1964), S. 329.

26 unter den Römern gründen, den Römern Widerstand leisten und so die künftige Eroberung Roms vorwegnehmen – dies scheint mit dem damaligen historischen (Selbst)Verständnis der Brünner Deutschen und des Vereines Das Deutsche Haus zu übereinstimmen. Als dann List im Jahre 1899 das Germanendrama König Vannius herausgibt, erscheint ein Jahr danach das Drama König Gabin von Josef Orel, das wiederum auf den Roman Carnuntum von List verweist. Dabei ist anzumerken, dass die Statuen dieser zwei Germanenkönige, Gabin und Vannius, am Haupteingang des Gebäudes des Deutschen Hauses standen und dass Wannieck in Vannius seinen heldenhaften Vorfahren sehen wollte. Es wird deshalb angenommen, dass die Dramen wahrscheinlich auf direkte Bestellung des Vereines oder Friedrich Wanniecks geschrieben wurden. Im nächsten Jahr, 1897, ist als Weihnachtsgabe des Vereines Deutsches Haus das Buch Eine mährische Gräfin von Hieronymus Lorm, mit dem bürgerlichen Namen Heinrich Landesmann, erschienen. Diese Erzählung sowie der greise Autor jüdischer Herkunft passen kaum in das bis jetzt präsentierte Bild des Verlages. Der Text ist keine Idealisierung der Tugenden der Deutschen Südmährens, er behandelt den Zerfall einer österreichischen adligen Familie, in der die Hauptheldin, Gräfin Beatrice von Martenegg, mit ihrem Pflichtideal den ungünstigen gesellschaftlichen Umständen trotzt. Wahrscheinlich war es eben das Motiv einer starken Frau, beziehungsweise einer „weisen Frau“, die als letzte die wahren Tugenden bewahrt, das einen vagen Zusammenhang mit der Frauenauffassung von Guido List (sein Roman Pipara aus dem Jahre 1895 baut auf einer ähnlichen Konstellation) und somit auch eine Verbindung zu Friedrich Wanniecks Weltanschauung zulässt. Sonst verbindet den Stil Lorms mit dem von List wohl nur eine Vorliebe für Typen anstatt von lebendigen Charakteren. Offensichtlich sollten mit Lorms Erzählung „Mährische Gräfin“ andere Mitglieder des Vereins angesprochen werden als die Bewunderer von Markomannen und Quaden. Im Jahr 1898 ist ein Erzählbuch von Josef Orel mit dem Titel Unter Altvaters Mantel, Schilderungen deutschen Landes und deutschen Lebens in Mähren erschienen. Dieser Text beschreibt das alltägliche Leben auf dem Lande in Mähren mit Verweisen auf lange germanische Tradition, die mit den mährischen Orten verbunden ist. Danach verschickte der Verlag als Weihnachtsgabe die beiden hier schon erwähnten Dramen König Vannius (1899) von Guido List und König Gabin (1900) von Josef Orel. Nach 1900 war der Verlag viel weniger aktiv, was von unterschiedlichen Ereignissen verursacht wurde. 1900 verließ der von Wannieck protegierte Pastor Gustav Trautenberger Brünn und starb 1902 in Zürich. 1902 erblindete Guido List infolge einer Augenoperation für elf Monate. In dieser Zeit wendete er sich verstärkt esoterischen Vorstellungen zu. Sein belletristisches Schaffen fand damit sein Ende, denn er widmete sich fortan ausschließlich seinen „Forschungsergebnissen“, die er nicht mehr in fiktionalen, weltanschauungs- literarischen Abhandlungen behandelte. In und über Brünn publizierte er nach 1900 nichts mehr. Ein anderer wichtiger Autor des Verlages, Josef Orel, konnte noch im Jahre 1901 seine Agneta, die Hexe von Ullerdorf. Ein Sang aus dem Bergwalde, als Weihnachtsgabe des Vereins „Deutsches Haus“ veröffentlichen. 1907 starb er und seine eventuelle Veröffentlichungen nach 1901 sind nicht bekannt. 1902 ist als Weihnachtsgabe des Vereines ein Sammelband Deutsches literarisches Jahrbuch des Vereines "Deutsches Haus" in Brünn. Mährische Dichter erschienen. Im Jahre 1903 wurde den Vereinsmitgliedern dann die Erzählung Die silberne Schlange von Ottokar Hans Stoklaska vergeben. Eine alte Stadtgeschichte. Weihnachtsgabe des Vereines "Deutsches Haus" in Brünn an seine Mitglieder. Die Reihe Weihnachtsgabe des Vereines Deutsches Haus in Brünn an seine Mitglieder erschien 1895 − 1908, danach ist sie nicht mehr nachgewiesen.

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4. LITERARISCHE VERARBEITUNG DER FORSCHUNGSERGEBNISSE (1888−1903)

4.1 Der Roman – Carnuntum

Wie schon erwähnt, bedeutete der im Jahre 1888 erschienene Roman Carnuntum für List einen wirklichen Durchbruch. Wie Johannes Balzli schreibt, soll er List mit einem Schlage in die Reihe der ersten Romanschriftsteller erhoben und weithin berühmt gemacht haben.74 Der Roman bedeutete für List ebenfalls eine Rettung aus einer langen finanziellen Krise, die nach dem Tod seines Vaters 1877, die Balzli „eine Initiation, nach der frohere und lichtere Jahre folgen sollten.“75nannte. Eine solche Interpretation verstärkte den listschen Mythus, nach dem List als ein typischer romantischer Autor-Held dargestellt wird. Dieser Vorstellung zufolge entstand Lists Kunst in tiefer materieller Not, die er bewusst gewählt hatte – er hatte ja selbst den Kaufmannstand verlassen. Folgerichtig wird bei Balzli vorausgesetzt, dass gerade nur in diesen Umständen ein „Meisterwerk“ entstehen konnte. Der Roman soll viele glänzenden Kritiken erhalten haben – unter ihnen auch eine von Friedrich Lienhard, einem bedeutenden Völkischen Autor, in der Zeitung „Das Zwanzigste Jahrhundert“.76 Für die weitere schriftstellerische Karriere von List war aber entscheidend, dass er durch diesen Roman die Aufmerksamkeit des damaligen Präsidenten des Vereines „Deutsches Haus“ in Brünn Friderich Wannieck auf sich gelenkt hatte. Wie schon erwähnt, wurde Wannieck wurde nämlich auf die Duplizität der Entdeckungen in diesem Roman von List und in dem vom Verein „Deutsches Haus“ herausgegebenen Werk des Wischauer Lehrers Heinrich Kirchmayr „Der altdeutsche Volksstamm der Quaden“ aufmerksam gemacht. Die Feststellung, dass die bis dahin nicht bekannten Forschungsergebnisse in einem „wissenschaftlichen Werk“ und in einem Roman von zwei verschiedenen Autoren, die keinen Kontakt unterhielten, übereinstimmen, wurde als deren unwiderlegbarer Richtigkeitsbeweis angesehen. Diese Betrachtungsweise verstärkte noch Lists Stilisierung als Prophet, Seher, der tiefere Zusammenhänge sieht als die Wissenschaft, die seine Thesen erst viel später nachweisen kann. Dieses Bild hat den Industriellen Friedrich Wannieck, der Interesse am Unerklärlichen und Okkulten hegte, so stark überzeugt, dass er List sein ganzes Leben lang großzügig unterstützte. Als Krönung seines jähen Erfolgs schrieb List 1889 eine Rezension zu Kirchmayrs Werk für die Zeitung „Tagesbote aus Mähren und Schlesien“, die mit einem triumphierenden Satz, der vieles über die weitere Entwicklung der listschen Weltanschauung verrät, beginnt:

„Es ist ein zwingendes Urgesetz, dass die echte und wahre Literatur eines sich kräftig fühlenden Volkes, bewege sie sich auf dem Gebiete der Dichtung oder dem der ernsten historischen Forschung, stets im innigen Zusammenhange mit dem steht und stehen muss, was die Edelsten und Besten dieses Volkes im mächtigen Herzensdrange erfüllt und erhebt; denn, wäre es anders, dann hätte eben ein solche Literatur ihr Ziel aus dem Auge verloren, dann wäre sie ein welkender Baum.“77

74 Balzli, Johannes: Guido v. List / der Wiederentdecker uralter arischer Weisheit, sein Leben und sein Schaffen, Guido-von-List-Gesellschaft, Wien: 1917, S. 22. 75 Ibidem, S. 22. 76 Gemeinsamkeiten zwischen List und Lienhard sind nicht schwierig zu finden, sie liegen nicht nur in der ähnlichen Lebenssituation der Autoren, beide lebten in Grenzlandregionen, sondern auch in ihrem literarischen Konservatismus. Beim Vergleichen zeigt sich allerdings ebenfalls deutlich, wie schematisch, flach und „unliterarisch“ Lists Texte im Vergleich zu anderen begabteren Autoren wirken. Zu Lienhards Grenzlandroman und möglichem Entwurf einer Vergleichsanalyse in: Mareček, Zdeněk: Emil Hadina (1885-1957) Zum literarischen Leben in der Provinz, unveröffentlichte Dissertation, Masarykova univerzita, : 2006, S. 244- 252. 77 Tagesbote aus Mähren und Schlesien, Nr. 282, 7.12.1889, S. 9.

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List feiert damit seinen eigenen Triumph und stellt gleichzeitig ein oppositionelles Bild zu einer Literaturströmung vor, die ihre Sendung z. B. in einem „interessenlosen Wohlgefallen“ sieht und damit „ihr Ziel [national bewusste Leser zu erziehen] aus dem Auge verloren hat“. Diese strenge Unterscheidung zwischen einer Völkischen „lebenskräftigen“ Literatur und einem kosmopolitischen modernen Schrifttum realisiert sich in sämtlichen nicht literarischen Texten von List und verrät seine künstlerische Mission; sein literarisches Schaffen wie auch sein Leben verstand er als einen Kampf, einen Kampf gegen die, um seinen eigenen Begriff zu verwenden, „Geschäftswissenschaft“ und alles Unreine und Nicht-deutsche, dessen Wurzel seiner Meinung nach nicht im Herzen, sondern in der niedrigen Geldsucht und Habgier zu suchen war. Obwohl es den Eindruck erwecken könnte, es handele sich hier um einen von den damaligen Stereotypen eines Juden, ist dies nicht der Fall. Wie in diesem Text gezeigt wird, ist Lists Kritik der Gewerbesucht nicht antisemitisch, sondern sozialgesellschaftlich (und teilweise auch autobiographisch) motiviert. Der Antisemitismus kommt erst in Lists Spätwerk als Nebenaspekt zur Geltung, der dann seine Nachfolger in den Mittelpunkt der Ariosophie rückten. In der erwähnen Rezension im Tagesboten macht List die Leser darauf aufmerksam, dass das Vorwort zu Kirchmayrs Werk vom damals nicht nur in Völkischen Kreisen berühmten Autor Felix Dahn stammt, der damit aus Breslau den Brünner Deutschen einen Gruß schicke. List zitiert aus diesem Vorwort, denn Felix Dahn gab ihm, wenn auch unabsichtlich, ein weiteres starkes Argument für seine eigene Forschungsauffassung. Dahn schrieb:

„Es versteht sich von selbst, dass bei einer Geschichtsschreibung, für welche die Quellen so spärlich fließen wie für die germanische Urgeschichte, für welche also der Ergänzung durch bloße Vermuthung so breiter Raum zugemessen werden muss, niemals zwei Forscher in allen einzelnen Ergebnissen übereinstimmen können.“78

Diese und ähnliche Aussagen interpretierte List als Rechtfertigungen für seine „intuitiven“ Methoden. Er selbst sah sich als Gegenspieler der akademischen Wissenschaftler, die ihn schließlich bei seinem Versuch, ein Hochschullehrer zu werden, abgelehnt hatten. Wie groß aber Lists Genugtuung nach dem unerwarteten Erfolg des Romans Carnuntum war, sieht man erst, wenn man die Entstehungsgeschichte des Romans kennt, die im „Vorwort des Verfassers“ zu diesem Roman gründlich beschrieben wird. Guido List plante ursprünglich einen wissenschaftlichen Bericht. An seinen Carnuntum-Forschungen arbeitete er spätestens seit 1875, als er diesen Ort besuchte und dort den Fall der Stadt Carnuntum in einem rauschhaften Zustand gesehen haben wollte. List beschreibt diese mehr als 12 Jahre dauernde Arbeit auf eine für ihn typische Weise: „Mit meinem Büchlein ging´s wie´s mit dem Samenkorn des Weinstocks geht: es währt lange bis es zum Weintrinken kommt.“79 Den Stoff für seinen Roman sammelte er lange und ging dabei von eigenen Visionen und von archäologischen, historiographischen und speläologischen Arbeiten der Autoren aus, die er im Vorwort namentlich aufzählt: Freiherr von Sacken, Friedrich Kenner, Anton Widder, Matthäus Much, Lambert Karner, Ignaz Spöttl. Es handelt sich überwiegend um sachliche speläologische und archäologische Berichte. Er kommentiert ihre Arbeiten folgendermaßen:

„Indes so begeistert ich auch von deren Entdeckungen und sonstigen Leistungen bin, so scheint es mir doch, als hätte sie bei der versuchten Erklärung das Glück verlassen, nur Dr. Much und I. Spöttl [...] wagten sich, und zwar mit Glück, auf das Gebiet der Speculation.“80

78 Dahn, Felix: Vorwort zu Kirchmayr, Heinrich: Der Altdeutsche Volksstamm der Quaden, S. VII−VIII. 79 List, Guido: Carnuntum, Historischer Roman. Grote, Berlin: 1888, Vorwort zum Roman, S. VII. 80 Ibidem, S. VIII.

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Aus der Verschmelzung von wissenschaftlichen Texten und eigenen Visionen entstand ein dichtes Netz für die mutigsten Spekulationen. List ging es vor allem darum, seine eigenen Erkenntnisse als objektiv und unanfechtbar darzustellen. Deshalb musste er einige Quellen systematisch ausschließen, es handelte sich überwiegend um die Berichte der römischen Geschichtsschreiber, die List dann einfach als Geschichtsfälscher brandmarkte. So schreibt er über Ammianus: „Erstaunlich ist es, wie weit es schon die Römer in der Kunst des Schönfärbens von Schlachtenbulletins gebracht hatten.“81 Wie dieses Zitat und andere Zitate zeigen, besaß List ein besonderes Talent, seine Thesen geschickt zu aktualisieren und sie damit dem Leser verständlicher zu machen – das ist ein wichtiger Aspekt seiner Argumentationsweise. Dieses Zitat ist wohl eine Anspielung auf die damaligen österreichischen Schlachtenbulletins – darunter kann man die Kritik der äußerst patriotischen Berichterstattung in österreichischen Zeitungen über den Deutschen Krieg von 1866 spüren.82 Dritte wichtige Quelle seiner Interpretationen und „Inspirationen“ waren die Volkssagen, die er als verschwommene Relikte einst tatsächlich geschehener Ereignisse interpretierte: "Das Volk in seinen Sagen bewahrt manch unschätzbare Erinnerung, die sich wie von selbst in den Rahmen fügt und das Bild vollendet.“83 Dies war für seine eigenartige Methode wichtig. List betrachtete später auch die germanische Mythologie als eine historische Quelle. Ähnlich wie Jörg Lanz von Liebenfels und andere Völkischen neigte er dazu, die mythische Vieldeutigkeit auf einen eindimensionalen Wahrheitsgehalt hin zu reduzieren. Mit einem fundamentalistischen Eifer versuchte er die Volkssagen und germanische Mythologie wortwörtlich zu interpretieren und diese Interpretation dann durch eigene pseudowissenschaftliche Forschungsergebnisse (oder umgekehrt) nachzuweisen. Aufgrund der Biegsamkeit der belletristischen Form, die die oben beschriebene Methode ermöglicht, hat sich Guido List schließlich entschieden, dass die Romanform für seine „Findungen“ geeigneter war als trockene Forschungsberichte. Bei der Suche nach einer geeigneten Form war, wie List berichtet, ein Zitat aus dem historischen Roman Ekkehard von Joseph Victor von Scheffel entscheidend:

„Schon wollte ich die Feder spitzen zu einer überaus gelehrten Abhandlung über Geschichtsfälschungen: schon lag der Plan fix und fertig in meinem Kopfe, wohl eingetheilt in absichtliche, unabsichtliche, systematische, politische, patriotische etc. Geschichtsfälschungen, als mir ein Buch in die Hände fiel, das mich vor solcher Unthat bewahrte. Es war mein Lieblingsbuch: Scheffels Ekkehard. Da steht deutlich auf der ersten Seite zu lesen: "Dies Buch ward verfasst in dem guten Glauben, dass es weder der Geschichtsschreibung noch der Poesie etwas schaden kann, wenn sie innige Freundschaft mit einander schließen und sich zu gemeinsamer Arbeit vereinen."84

Nicht nur dieses Zitat entlehnte List von Scheffel, sondern auch in seinen literarischen Stil ließ er sich von Scheffel beeinflussen. Eine lebendige, biedere und humorvolle Darstellung der Geschichte, die wegen einer gut pointierten Szene nicht davor zurückschreckt, die geschichtlichen Tatsachen auf ihre eigene Art darzustellen, ist für beide Autoren charakteristisch. Erst List bemühte sich allerdings, seine Leser davon zu überzeugen, dass die literarische Darstellung einem wissenschaftlichen Text gleichzusetzen und sogar übergeordnet ist, womit er einen festen Boden für seine eigenartigen Forschungen vorbereitet hatte. Der historische Roman sei für die Erkundung einer weit zurückliegenden

81 List, Guido: Carnuntum, Historischer Roman. Grote, Berlin: 1888, Vorwort zum Roman, S. VIII. 82 Vgl. Staggl, Andreas: Die Darstellung der Einigung Italiens in österreichischen Tageszeitungen, Akademische Schriftenreihe, Bd. V191404, GRIN Verlag, 2012, S. 20ff. 83 List, Guido: Carnuntum, Historischer Roman. Grote, Berlin: 1888, Vorwort zum Roman, S. VIII. 84 Ibidem, S. VIII.

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Epoche viel geeigneter als eine wissenschaftliche Studie, denn er könne die Forschungsergebnisse von einem viel breiteren Gesichtspunkt darstellen und beleuchten:

"Sicher ist es das Verdienst des historischen Romans, Licht über manche sonst dunkle Epoche unserer Vorzeit zu verbreiten, denn die Werke zu lesen, die Gelehrte für Gelehrte geschrieben, das ist nicht Jedermanns Sache. Darum sei nicht gesagt, dass der Roman leichtsinnig gearbeitet sein dürfe. Aber dort, wo das historische Bild eine Lücke weist, dort darf und muss er der alten Zeichnung folgend die Lücke ergänzen, und das ganze Colorit frischen. Der Verfasser des historischen Romans hat nicht unähnlich zu verfahren wie der Restaurator einer Alterthumsgegenstandes, der fragmentiert ist."85

In Carnuntum beschreibt List die angebliche Zerstörung der römischen Stadt gleichen Namens in Pannonien durch die Quaden und andere Stämme, indem er die Schlacht als eine Rachetat, eine Vergeltung für die meuchlerische Ermordung des Quadenkönigs Gambin (oder auch Gabin), schildert. Im Roman treten mehrere Hauptfiguren auf, von denen jede einen Typus verkörpert. Die gleichen Typen – teilweise sogar unter demselben Namen – erscheinen, wie später gezeigt wird, in seinen nachfolgenden literarischen Werken immer wieder. Die wichtigste Figur, deren Geschichte im Mittelpunkt des formal zersplitterten Romans steht, ist der geheimnisvolle Nachkomme des Gottes Wuotan, der in Carnuntum unter mehreren Namen und Verkleidungen auftritt: als Erschantaug (Raschwirkende) bewohnt er die unterirdischen versunkenen Schlösser (die Karsthöhlen) und mit seinen elf Gefolgsmännern zieht er durch das Quaden- und Römerland, um die Quaden zu ermutigen und den Römern Angst einzujagen. Als Austrorand (Schild des Ostarlandes) bewirbt er sich um die Königstochter der Quaden Gisahild, die er am Ende des Romans tatsächlich heiratet, nachdem seine Aufgabe, der er sein Leben geweiht hatte, die Zerstörung von Carnuntum, erfüllt wurde. Erschantaug nennt sich gelegentlich auch Wurmbrand86 (Drachentöter durch Feuer) und dank seinen Verkleidungen und den Geheimkorridoren kann er die germanischen Sklaven in Carnuntum ermutigen, ihre römischen Herren erschrecken und mit dem Quadenkönig Gambin Verhandlungen über die Vereinigung der germanischen Stämme unter seiner Führung führen. Folgerichtig ermöglicht diese Konstellation verschiedene schauderhafte sowie komische Szenen, die im Rahmen der, wie im folgenden Unterkapitel gezeigt wird, schematischen geschichtlichen Schilderung eine dynamische sowie dramatische Funktion erfüllen.

4.1.1 EXPOSITION UND ERZÄHLSTRATEGIEN

Die Exposition des Romans Carnuntum verrät Lists literarische Vorbilder und anhand ihrer Analyse kann deshalb deutlich gemacht werden, welcher literarischen Tradition das Frühwerk von List zuzuordnen ist. In der Exposition schildert List, getreu der romantisch- narrativen Tradition, die zauberhaften und geheimnisvollen Wälder Pannoniens. Zwei Männer pilgern durch den Wald und der erste, der sich später als Erschantaug erkennen lässt, beschimpft den anderen:

85 List, Guido: Carnuntum, Historischer Roman. Grote, Berlin: 1888, Vorwort zum Roman, S. VIII. 86 Im Buch Der Germanenmythos im Deutschen Kaiserreich: Formen und Funktionen Historischer Selbstthematisierung von Rainer Kipper (Gießen: 2000, S. 340) findet man dazu folgende Erklärung: „Wurmbrand heißt ein bekanntes, noch bestehendes österreichisches Adelsgeschlecht, das im 12. Jahrhundert erstmals urkundlich belegt ist. Gemäß einer volkstümlichen Überlieferung rührt sein Name daher, dass der Stammvater einen Lindwurm erlegt habe, indem er ihm einen brennenden Pfahl in den Rachen stieß. List bediente sich dieser Sage im Sinne seiner (…) Restaurationsarbeit. Zu den Gründungsmitgliedern der 1908 entstandenen Guido-von-List-Gesellschaft zählte ein Angehöriger der Familie, Wilhelm Reichsgraf von Wurmbrand-Stuppach auf Schloss Steyersberg.“

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"Beim flammenden Erichschwert! Man sollte Dich scheeren und im Sumpf versenken, wie ein verbuhltes Weib! Du − ein königsbürtiger Edling ließest feige den Jungfrauenraub geschehen!? Du − ließest es zu, dass König Gabins adle Tochter, die runengewaltige Gisahild gestohlen und als Sclavin verkauft ward!?"87

Schaut man sich die Expositionen in anderen historischen Romanen und Novellen der namhaften Autoren dieser Gattung an wie Adalbert Stifter, Carl Ferdinand Meyer, Gustav Freytag, Theodor Fontane und die des von List namentlich erwähnten Theodor Dahn (Kampf um Rom) und Joseph Victor von Scheffel (Ekkehard), findet man in den meisten Fällen die gleiche das romantische Instrumentarium verwendende Eröffnungsstrategie. Oft werden auch die gleichen romantisch klischeehaften Bilder verwendet: Nebel, Wolken, Mondschein, Wind, Schatten, Dunkelheit usw. Öffnet man den berühmtesten Roman des literarischen Vorbildes Lists, Felix Dahn, Kampf um Rom, findet man sogar die gleiche Exposition. Auch Dahns Roman beginnt mit der romantischen Schilderung einer Waldhöhe, auf der der Held sitzt, nachgrübelt, indem auf seine drei Auserwählten wartet, die er am abgelegenen Ort in seine geheimnisvollen Kriegspläne einzuweihen plant. Auch List beginnt mit einer romantischen Beschreibung eines geheimnisvollen dunklen Waldes. Auch bei List geht es dem Haupthelden darum, seinen Gefährten am abgelegenen Ort im Wald in seine geheimnisvollen Kriegspläne einzuweihen. Die Exposition des Romans Carnuntum scheint eine Variation auf das erste Kapitel im Kampf um Rom zu sein. Ob bewusst und bekennerhaft oder unbewusst und epigonenhaft, muss dahingestellt bleiben. Der im oben aufgeführten Zitat beschimpfte Mann ist Aisthmuth, der Nachkomme eines berühmten germanischen Königs. Erschantaug bietet ihm an, als letztes Mitglied seiner Schar (Wuotes Heer) beizutreten und seine Schuld im Kampf wieder gutzumachen. Damit ist die Schar bereit, der Kampf kann beginnen, und die ganze Exposition des Romans ist zu Ende – in ihr spiegelt sich schon die ganze Romanhandlung und -konstellation. Kurz gefasst: der städtische Römer wird als angreifender Räuber und der in der Natur und im Einklang mit der Natur lebende Germane als Rächer dargestellt, der sich dem lästerhaften Römer stellen und sich von der Fremdherrschaft befreien und den alten Ruhm der Germanen, seiner mythischen Vorfahren, wiederherstellen soll. Während die romantisch anmutenden Naturschilderungen als ein Charakteristikum der literarischen Gattung des historischen Romans des späten 19. Jahrhunderts zu sein scheinen, ist das zweite Merkmal der listschen Expositionen nur für ihn spezifisch. Es handelt sich um die Frauenraubszenen am Anfang jeden Romans, bzw. Dramas von ihm. Wie in anderen späteren Texten (Pipara, König Vannius, Frei durch den Tod) von List dient auch in Carnuntum der „(Jung)frauenraub“ als Konfliktauslöser. Der Verbrecher ist in der Regel ein Römer (in Carnuntum ein römischer Jude) und die Entführte ist in der Regel eine Königstochter (Gisahild in Carnuntum, Pipara in Pipara), bzw. Königstochter und Priesterin (Nana in König Vannius). Warum war für List diese Szene so interessant, dass er sie in der Exposition der meisten Romane und Dramen verwendete? Diese Frage kann anhand der Analyse der listschen Weltanschauung beantwortet werden, die auf der Erkenntnis beruht, dass das ursprünglich Germanische vom Christentum gewaltvoll unterdrückt worden sei. In den Frauenraubszenen wird somit die Geschichte der germanischen Unterdrückung nach List kurz und bündig zusammengefasst, das entführte Mädchen verkörpert das wehrlose, reine, aufrichtige Germanentum und der Entführer (Römer) kann als das expandierende aggressive Christentum identifiziert werden. Abgesehen von Lists Vorliebe für Frauenraubszenen in der Exposition entspricht die Erzähltechnik des Romans der üblichen konservativen literarischen Tradition des historischen Romans des 19. Jahrhunderts. Als auktorialer, mit Genets Terminologie

87 List, Guido: Carnuntum, Historischer Roman. Grote, Berlin: 1888, S. 5.

32 heterodiegetischer Erzähler erzählt List das Geschehene in der Vergangenheitsform, kommentiert es aber (un)parteiisch. Um die Grenze zwischen fiktional und faktual zu verwischen, verwendet er ebenfalls Fußnoten mit Verweisen auf geschichtswissenschaftliche, speläologische und andere Texte. Damit verschwimmt die Grenze zwischen Autor und Erzähler und die literarischen Texte werden durch diese Kommentare des Autors (nicht der Erzählers) zu unmittelbaren direkt an die Leser gerichteten Ansprachen. List lässt den Leser die Geschichte als ein taktisches Spiel, und zwar schrittweise wie ein rundenbasiertes Strategiespiel lesen. Ein Kapitel schildert die Situation in der Quadenstadt Stilifrieda, das nächste dann die Lage im römischen Carnuntum. Die literarische Technik in Carnuntum ist somit einer dramatisch episodenhaften Darstellung ähnlich – schnittweise folgt Bild nach Bild. List ist kein guter Erzähler, aber diese Technik ermöglicht ihm, der zersplitterten Geschichte teilweise dramatischen Schwung zu verleihen, wenigstens bis zum Ende des ersten Teiles, in dem diese schematische Strategie allmählich monoton und dem Leser lästig wird. Dies geschieht in den drei Endkapiteln des ersten Teiles, in denen die allmähliche Verlangsamung der zuerst dynamischen Erzählweise ihren Höhepunkt erreicht und in der List auf einmal die Erzählungsstrategie ändert. In einzelnen Kapiteln des zweiten Teiles des Romans werden nur noch einzelne Gestalten und Erscheinungen beschrieben. Die im ersten Teil schon spärliche Handlung wird bloße Beschreibung, List nennt es „Veranschaulichung“, der Romanaufbau zersplittert somit in einzelne kurze Erzählungen und Beschreibungen und der Roman wird damit oft zu einemvordergründig ideologischen Vortrag. Innerhalb dieser Beschreibungen werden noch grausame sadistische römische Gladiatorenkämpfe zur Beruhigung der Bevölkerung Carnuntums eingefügt und einer echten germanischen Weihnachtsfeier mit einem Weihnachtsbaum gegenübergestellt. Es fehlt schließlich nicht auch ein germanisches Menschenopferfest, bei dem der Jude Mardochan und sein Sohn, ein angeblich griechischer Philosoph Aristipp, geopfert werden. Diese Szenen werden, wie es für List charakteristisch ist, möglichst blutig sadistisch dargestellt. Im zweiten Teil des Romans wird deutlich, dass List ursprünglich einen wissenschaftlichen Bericht und keinen Roman vorbereitete. Die einzelnen Kapitel sind somit verstreute Darstellungen des Lebens der Germanen und der Römer, die weder episch zusammenhängen, noch einem künstlerischen Romanaufbauplan folgen. Der möglicherweise vorgesehene Versuch des Peripetie-Effekts, einer Vorbereitung vor dem großen Finale, dem Mord des Quadenkönigs und der Stadteroberung, ist missglückt. Ganz im Gegenteil verliert der Roman den dramatischen Bogen. Als dann endlich die Kampfszenen kommen, denen List sicherlich die Funktion der Katharsis bestimmte, ist der Leser so erschöpft, dass er kaum folgen kann. König Gambin wird nach den scheinbar erfolgreichen Verhandlungen von einem Sklaven der römischen Botschaft im Menschengewirre „meuchlerisch“ ermordet und Erschantaug bricht mit seinem Heer zur Schlacht auf. Trotz der Proteste der Königin nimmt die Königstochter Gisahild an der Schlacht als Kämpferin teil. Die Stadt Carnuntum soll niedergebrannt werden, deshalb zünden die Quaden und ihre Verbündeten Feuer an. Als die römischen Befehlshaber von weitem die dicken Rauchwolken sehen, jubelt das römische Volk, da sie annehmen, die Germanenstadt, Stilifrieda brenne. Dann aber kommt die grausame Rache, die Quaden stürmen die Festung, überraschen die betrunkenen und kampfunfähigen Römer und zerstören die Stadt und lassen sie brennen und in dem feierlichen Brand wird auch ihr ermordeter König verbrannt. In diesen Kampfszenen kehrt List zur ursprünglichen dramatisch-filmischen Erzählstrategie zurück. Er konzentriert sich dabei nicht auf die eigentlichen Kampfszenen, sondern er fokussiert auf den moralischen Verfall der verwöhnten und kampfunfähigen

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Römer, die völlig gelähmt herumirren. Die Schlacht beschreibt er letztendlich als eine von den Germanen durchgeführte Sonnwendfeier-Zeremonie, bei der der grausame Tod der Carnuntum-Bewohner als ein unvermeidbares Nebenereignis gilt.88Danach folgen mehrere Kapitel, die den Sieg der Germanen feiern und in denen der politisch-moralische Untergang der Römer und die barbarischen Plünderung der römischen Region durch die Slawen gezeigt werden. Im Endkapitel kehrt List zu seinem Haupthelden zurück, denn die Mission Erschantaugs, Carnuntum zu zerstören, ist endlich vollbracht, und als von Urdas Zauberriegel befreiter Mann, Austrorand, hält er um die Hand der Königstochter Gisahild an. Der Roman endet somit mit einer idyllischen Szene der königlichen Hochzeit in der Natur, die somit einen Bogen zur Roman-Exposition bildet.

4.1.2 FIGURENTYPOLOGIE

Lists Romane und Dramen weisen eine besonders konstante Figurentypologie auf– List verwendet in jedem Werk die gleiche Figurenkonstellation. Im Allgemeinen werden die germanischen Figuren von einem gemeinsamen Merkmal des von Felix Dahn propagierten tragischen Heroismus geprägt. Den tragischen Heroismus realisiert List auf eigene Weise in den vielen Gestaltenschicksalen, die ihre Liebe und Familie verlassen und ihr Leben und sich selbst einem höheren Zweck opfern (Erschantaug, Albruna, Juta, Wala) oder stolz den Heldentod sterben (Vannius und Nana in König Vannius, Pipara in Pipara, Wadal und Geretraut in Frei durch den Tod). Der starke Einfluss Dahns auf List kann nicht nur durch direkte Verweise, sondern auch durch die vielen gemeinsamen Charakteristika ihrer Werke nachgewiesen werden. Der Hauptheld in Carnuntum, Erschantaug, wird als ein tragischer Held dargestellt, der sich danach sehnt, mit der von ihm geretteten Königstochter Gisahild zusammenzuleben, aber sein privates Leben vorübergehenddem Ziel opfern muss, die Römer zu besiegen und das dämonische Carnuntum zu zerstören. Erschantaug verkörpert eine typisch listsche Führergestalt. Diszipliniert, seine Vision hartnäckig befolgend und listig. Er ist der eigentliche Schicksalslenker. Als Halbgott-Halbmensch jagt er den Römern Angst ein, er rettet die Königstochter Gisahild, ermuntert den Quadenkönig Gambin zur Hartnäckigkeit gegenüber den römischen Forderungen, organisiert die Germanen- Wiedervereinigung unter Gambin, wobei nur er weiß, wohin diese Schritte führen werden, nämlich zur Erfüllung seiner Aufgabe – zur Zerstörung von Carnuntum. Mit dieser Figur enthüllt List seine Geschichtsauffassung – alle Ereignisse werden vom in seinen versunkenen Schlössern lebenden Erschantaug inszeniert. Sogar der Quadenkönig ist nicht der Herr der Situation, er wird von Erschantaug dazu gedrängt, in den Krieg zu ziehen. Um seine Interessen besser durchsetzen zu können, entsteht unter seiner Führung ein okkulter Bund, Wuotes Heer, mit dem er die Quaden bei der Eroberung der Stadt Carnuntum anführt. Nur diese eingeweihten Krieger in Wuotes Heer kennen den eigentlichen Sinn der von Erschantaug inszenierten Ereignisse. Das historische Ereignis, die Eroberung der Stadt, ist somit nur ein Scheinbild, hinter dem sich die eigentliche Mission eines geheimen Bundes und von dessen Führer verhüllt. Auch Erschantaugs Wissen ist aber beschränkt. Nur eine einzige Gestalt kann die Ereignisse im vollen Umfang verstehen, es ist

88 Inge Kunz machte in ihrer Dissertation darauf aufmerksam, dass Lists Religions- und Rechtsauffassung, als dem menschlichen Leben überlegene Konstanten, der politischen Praxis der Nationalsozialisten, bzw. der totalitären Regimes ähnelt, sie legt gerade nahe, bei List die Wurzeln der Menschenverachtung im Nationalsozialismus zu suchen. Dies scheint aber als übertrieben, denn Lists Auffassung ist nur eine von vielen fundamentalistischen Rechtsauffassungen, die in der Geschichte und zu seiner Zeit immer wieder von verschiedensten Autoren von links und rechts formuliert werden und wurden. Seine Rechtsauffassung ist somit eher als ein von zeitgenössischen Ideologien zusammengeflochtenes Produkt als eine ursprüngliche eigenartige Ideologie anzusehen.

34 die Hochpriesterin Albruna, die eigentliche, nicht erkannte Mutter von Erschantaug, die mit den tiefsten Erdkräften verbunden ist. Diese Abstufung der Erkenntnis geht auf die prinzipielle, von Pythagoras stammende und von List auf eigene Weise interpretierte und stark propagierte, Unterscheidung zwischen der esoterischen und exoterischen Erkenntnis, wobei die erste für die eingeweihte Elite und die zweite für das Volk bestimmt ist. Die Geschichte wird nach List folgerichtig von ähnlichen okkulten Geheimbünden und ihren wissenden Mitgliedern gestaltet. Dieses Geschichtsbild ist für Lists weitere Karriere äußerst bedeutsam. Übrigens er selbst versuchte mehrere solche Geheimbünde zu gründen.89 Als ein typischer tragischer germanischer Held unterordnet Erschantaug seiner Lebensaufgabe alles, auch seine Liebe zu Gisahild. Als er sie rettet, in dem er sie aus dem römischen Lager zurückentführt, muss er sie wieder dem König Gambin übergeben, worauf in Carnuntum eine echte Germanenfeier stattfindet – mit Tänzen, Festzug der Zünfte90, Liedern, geopferten Pferden und Prophezeiungen. Bei dieser Feier tritt die typische Gestalt eines alten, wortkargen, biederen, meistens weiblosen oder frauenscheuen Helden mit einem Bart auf, der in Lists Romanen unter verschiedenen Namen erscheint.91 In Carnuntum treten gleich zwei solche Gestalten auf, die eine ist der alte Sänger Suntarolt, der Heldensagen singt, über die die Gesellschaft mit Staunen erfährt, das er sie selbst erlebt hat – hier projiziert List seine eigene Herangehensweise zu Mythen und Sagen. Die zweite Gestalt ist Randmar, ebenfalls ein erfahrener Krieger. Charakteristisch für diese geheimnisvollen Gestalten ist, dass sie jeden Satz mit demselben Aufruf beginnen – bei Randmar ist es "Römermord und Waldbrandt“, bei Suntarolt: „Blitz und Blaufeuer“ – das gleiche bei Wittig in König Vannius. Der von List beabsichtigte humorvolle Effekt dieser Aufrufe trägt zur Doppeldeutigkeit dieser Gestalten: am Anfang werden sie vom Leser als einfältige, komische Handwerker, Sänger oder Diener identifiziert, um sich später zum richtigen Zeitpunkt als germanische Helden und Träger der germanischen Weisheit zu entpuppen. Suntarolt der Hageskalde, dem List in Carnuntum (II. Teil) ein ganzes Kapitel widmet, verkörpert den schon bei Tacitus erwähnten germanischen Sängertypus. In der Anmerkung beruft sich List auf die folgende Beschreibung in der Germania:

"Diese sind es, die jede Schlacht eröffnen und immer im ersten Gliede stehen− ein wundersamer Anblick! Auch nicht einmal im Frieden mäßigt sich ihr Gesichtsausdruck zu größerer Milde. Keiner hat Haus und Hof, noch sonstiges Geschäft: wo sie hinkommen werden sie bewirtet, Verschwender fremden Gutes, Verächter des eigenen, bis endlich kraftloses Alter sie zu so eherner Tapferkeit unfähig macht."92

Von Tacitus inspiriert und auf eigenartige Weise aktualisiert, sind diese Gestalten ein wichtiges Charakteristikum der literarischen Werke Lists. Der Beschreibung bei Tacitus entsprechend sind sie zuerst mürrisch, komisch und bieder, sie werden von den anderen nicht ernst genommen, und schließlich überraschen sie ihre Genossen und die Leser mit tiefer Einsicht in die Weltordnung. Diese Charakteristik entspricht unter anderem auch dem listschen Eigenbild, der sich selbst als einen germanischen Skalden stilisiert hatte. Auch der Römer erhielt bei List seinen Typus, der in mehreren Romanen auftritt. Lists beliebte römische Gestalt, der man im Roman Carnuntum und auch im Drama König Vannius begegnet, ist die Römerfigur namens Petronius, ein Prototyp des einst braven, heute

89 Hoher Armanischer Orden, Litteraria sodalitas Danubiana. 90 List ist sich wohl bewusst, dass die Existenz der Zünfte bei den Altgermanen als ahistroisch angesehen werden kann, deshalb bemerkt er: "Es ist kein müßig Spiel der Phantasie, hier die Zünfte auftreten zu lassen." List, Guido: Carnuntum, Historischer Roman. Grote, Berlin: 1888, S. 238 91 In Carnuntum ist es Randmar und Suntarolt, in Pipara der Diener Kabold, in König Vannius der Schmied Wittig. 92 Zitiert nach List: List, Guido: Carnuntum II, Historischer Roman. Grote, Berlin: 1888., S 42.

35 von seinem alten Ruhm lebenden Römers. In Carnuntum findet sich folgende Beschreibung von Petronius:

„Mühselig, mit krampfhafter Anspannung aller Kräfte schritt der alte Centurio daher, die ungewohnte Last seiner Schlachtrüstung, welche er heute nach langen Jahren zur Feier des kaiserlichen Einzuges wieder angelegt hatte, drückte ihn fast zu Boden. Nach vieljähriger Ruhe, welche sie als Prunkstück und kostbares Heiligthum im Tablinium des Petronischen Hauses verträumt, war sie plötzlich hervorgesucht, sorgfältig gereinigt und an das längstentwöhnte Sonnenlicht getragen worden, um ihrem Herrn, den sie oft ins Schlachtfeld schützend begleitete, heute schmückend zum Feste folge. Mehr aber als Sonnenstrahl und Rüstung waren sich diese und die Person des tapferen Centurio entfremdet worden.“93

Anhand dieses Römerbildes werden ganz im Sinne der Tacitus-Rezeption die Tugenden eines wahren Germanen veranschaulicht, der ansässige und staatenbildende Germane wird mit dem kriegssüchtigen Römer verglichen, der nicht sät, sondern nur erntet; der feige und albern in einer zahlenmäßigen Überlegenheit den treuen, braven und stolzen Germanen versklavt, die Verehrung der Angst erweckenden römischen Götter wird einer geistvollen sanften Naturreligion entgegengestellt. Diese Oppositionen werden in Lists Texten aktualisiert, die Bezeichnung des Römers wird nicht nur historisch verstanden, sondern der Begriff bezeichnet im breiteren Sinne alle gefährlichen nomadenhafte Gruppen, die das reine ansässige Germanentum bedrohen. Dieser Ausgangspunkt mündete später in einen offenen Antisemitismus, im Rahmen dessen die Juden als das Vorbild eines nomadenhaften Volkes angesehen wurden und der von Lists Anhängern und Nachfolgern weiter zugespitzt wurde. Hier sind auch Parallelen zum ewigen Juden Ahasver festzustellen, der unstet wie der ewige Nomade herumziehen muss und der folgerichtig keine feste Beziehung zum Boden hat. In der Typologie der listschen Gestalten nehmen einen besonderen Platz die Frauengestalten ein, die entweder als naive, unschuldige Mädchen (Gisahild, Nana, Pipara) oder weise, die altgermanische Weisheit bewahrenden Priesterinnen (Juta, Albruna, Wala) dargestellt werden. Oft wird auch eine Entwicklung von dem naiven Mädchen, das allmählich ihre ungeahnten Fähigkeiten und Herkunft entdeckt und zu einer germanischen weisen Frau wird, gezeigt (beispielsweise Nana in König Vannius). In Carnuntum sind aber diese zwei unterschiedlichen Typen voneinander getrennt. Nur Gisahild, die Königstochter, erlebt eine Verwandlung von dem anfangs naiven Mädchen zur selbstbewussten Kämpferin, die an der Spitze des Heeres mit Erschantaug reitet. List sah in den Frauen die Bewahrerinnen uralter germanischer Weisheit und sprach ihnen eine besonders wichtige Rolle an der Seite des Mannes als „Heilsräthinnen“ zu. Mit seinem Frauenbild unterschied er sich deutlich von den meisten Völkischen Mitstreitern, die den Frauen weiterhin nur passive Rolle zugeordnet haben. Das von ihm geprägte Frauenbild trug übrigens im späten 20. Jahrhundert zur positiven Rezeption seiner Werke bei den Neuheiden bei, deshalb stellt es, von heute aus gesehen, ein wichtiges Aspekt seiner Weltanschauung, das in einem Sonderkapitel dieser Dissertation behandelt wird. Carnuntum unterscheidet sich von den nachfolgenden Werken dadurch, dass darin auch zwei Judengestalten auftreten. Der eine ist der angeblich griechische Philosoph Aristipp, der sich später als der Sohn des Sklavenhändlers und Entführers von Gisahild Mardochan (jüdischer Herkunft) entpuppt und der dann von Erschantaug gefangen und auf grauenhafte Weise geopfert wird. Die Beschreibung dieses Philosophen entspricht dem Vorbild eines Vertreters der als entleerte Argumentationskunst von List verschmähten Philosophie– betrunken erniedrigt Aristipp die Sklavinnen, mit einer krächzenden Stimme singt er zotenhafte Lieder und versucht die Flötenspielerin (eigentlich die entführte

93 List, Guido: Carnuntum, Historischer Roman. Grote, Berlin: 1888, Band I., S. 12−13.

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Königstochter Gisahild) zu vergewaltigen. Wenn es zur philosophischen Diskussion kommt, verwendet er ein paar abgedroschene Zitate und Witze, damit man ihn in Ruhe lässt. Sein Vater Mardochan, nachdem er als Menschenhändler überführt wird, wird vom Quadenkönig zum Tod verurteilt. In dieser Person kommt auch der latente zeitgenössische Antisemitismus mittels der damals verbreiteten stereotypen Darstellung des geizigen Juden bei List zum ersten Mal zur Geltung:

"Aus Gier nach Gold hatte er nicht nur den Menschenhandel in jene Form betrieben, wie ihn das Gesetz ermöglichte, sondern auch dieses noch umgangen, indem er Knaben und Mädchen stahl, um sie zu verkaufen. Was kümmerte ihn Alter, Volk, Stand und Schicksal der Unglücklichen, wenn nur der Goldschatz in seiner Truhe sich mehrte."94

Der Typ eines habgierigen Juden tritt allerdings in späteren Romanen von List nicht mehr auf. Im Allgemeinen kann man behaupten, dass explizit antisemitische Äußerungen in Lists Gesamtwerk (samt der pseudowissenschaftlichen Werke) sehr selten vorkommen. Die damals als typisch angesehenen jüdischen Merkmale, Habgier und Geldsucht, werden bei List viel öfter in der Kritik an der akademischen Wissenschaft beziehungsweise an den Industriellen (Kapitalisten) allgemein verwendet. Bei der typologischen Analyse von Carnuntum zeigen sich besonders deutlich die Quellen, mit denen List arbeitete und die Weise, wie er diese Quellen weiterverwendete. Es liegt auf der Hand, dass List die Germania von Tacitus unmittelbar rezipierte und Tacitus´ Germanenbeschreibungen möglichst treu literarisch verarbeitete, indem er zum Beispiel in der Gestalt der Germanenskalden alle bei Tacitus erwähnten Merkmale geltend zu machen versuchte. In den meisten Gestalten befolgte List die zu seiner Zeit geltenden Muster, er übernahm vieles von seinen literarischen Vorbildern, Felix Dahn, Joseph Victor von Scheffel, Jakob Grimm, Gustav Freytag usw. Eigenartig wurden nur die Frauengestalten verarbeitet. Das Thema der Frauenrolle am Ende des 19. Jahrhunderts war ihm von besonderer Wichtigkeit, er versuchte die von Jakob Grimm geprägte Vorstellung über die germanische „weise Frau“ zu aktualisieren und er projizierte in seine Frauengestalten sein eigenes Frauenideal. Dem germanischen Frauenideal widmete er einen ganzen Roman – Pipara. Im Allgemeinen treten die in Carnuntum entworfenen Gestaltentypen auch in seinen späteren Werken in verschiedenen Variationen auf. Die Wiederverwendung der gleichen Figurenkonstellationen zeugt darüber, dass List als literarischer Autor unkreativ mit schlichten und eingeführten literarischen Schemata arbeitete und vieles unverändert von anderen Autoren übernahm. Es ist nicht zu wundern, dass sich diese Arbeitsweise bald erschöpfte und dass List andere als belletristische Formen suchen musste, um seine Weltanschauung erfolgreich und effektiv übermitteln zu können.

4.1.3 TRIVIALLITERARISCHE ELEMENTE

Wie sich aus den vorangegangenen Kapiteln ergibt, werden Lists Romane als Trivialliteratur charakterisiert. Es sind vor allem die einerseits humorvollen und andererseits sadistischen Szenen, die an Kolportageliteratur denken lassen und in seinen Texten auch eine ähnliche Funktion erfüllen. Die komischen und sadistischen Szenen werden besonders im ersten Teil des Romans Carnuntum gehäuft. Das soll wahrscheinlich im Allgemeinen die oft langen Beschreibungen und spärliche Handlung beleben und dramatisch zuspitzen. In komischen Szenen werden meistens die Römer verspottet. Die Situation der demoralisierten Römer in Carnuntum wird beispielsweise bei der Ankunft des Kaisers Valentinian deutlich, der bei List als Verkörperlichung alter römischer Tugenden dargestellt wird – er bezeichnet sich

94 List, Guido: Carnuntum, Historischer Roman. Grote, Berlin: 1888, Band II, S. 95.

37 selbst mit einem Zitat von Friedrich dem Großen: "ich selbst bin der erste Diener meines Staates". Die Wehruntauglichkeit der Römer zeigt sich in einer komischen Szene, in der der Kaiser die Soldaten aufruft, sich vorzubereiten, damit er ihre Fähigkeiten im Lager und Brückenbau erproben kann. Die Reaktion wird von List entsprechend kommentiert: „Die obersten Würdenträger hätten kaum über ihr Todesurtheil mehr erschreckt sein können als über diesen kaiserlichen Befehl (…) erbleichend vermochten sie sich kaum zu fassen.“95 In kolportageartiger Form folgt dieser Szene eine besonders sadistische Szene. Maxmilianus, der junge Sohn des Prokonsuls Maximianus Mogetius Herenius, sagt noch während der Feier zu seinem Vater über die Sklavin namens India (die entführte Gisahild):

„Sie soll mein erstes Geschenk sein, das ich meinen Soldaten bieten werde! Es soll ein prächtiges Fest werden. Der Wein muß in Strömen fließen und dann, wenn bacchische Wuth die Kerle von Sinnen gebracht, dann überliefere ich die Verruchte persönlich der Meute! Um ihren zerfetzten Leichnam sollen sich dann noch obendrein die Hyänen und die Wölfe der Arena balgen!“96

Die sadistischen Darstellungen sind im ganzen literarischen Werk Lists zu finden und tauchen ebenfalls in seinen pseudowissenschaftlichen Werken auf. Keinesfalls handelt es sich allerdings um Lists Spezifikum, denn sie sind im ganzen Kontext der Völkisch- religiösen Literatur keine Seltenheit. Ein Beispiel sind die Werke von Jörg Lanz von Liebenfels. In seinem Werk Theozoologie (1905) findet man zahlreiche sexualpathologische Beschreibungen, etwa des Geschlechtsverkehrs von Menschen und „Buhlaffen“ bei den Ägyptern. Im Allgemeinen diente und dient der historische Roman vielmals als Medium für sexuellen oder grausamen Wünsche auf vergangene Epochen zu projizieren. Inge Kunz vermutet in ihrer Dissertation hinter diesen sadistischen Darstellungen psychische Probleme Lists und versucht mittels psychoanalytischer Herangehensweise seine Persönlichkeit zu analysieren. Dank dieser Herangehensweise entdeckte sie wichtige Zusammenhänge und psychologische Aspekte der Texte von List, auf der anderen Seite blieben dabei die strukturellen Elemente seines Werkes unberücksichtigt und die psychoanalytische Methode führte zu Verallgemeinerungen, die aus der heutigen Sicht schwer zu begründen wären. Es liegt eher an Lists mangelhaftem literarischem Talent, weswegen er hoffte, mit der Anwendung von diesen trivialliterarischen Elementen seinem Text Dynamik und Zugkraft zu verleihen. Infolgedessen wirkt jeder Versuch um eine gründlichere Beschreibung der Motivation der Handelnden oder der psychologischen Veranlagung des Autors sowie der Figuren künstlich. Außerdem sind die sadistischen Szenen ebenfalls im Rahmen der listschen Weltanschauung erklärbar. Zum Beispiel die besonders grauenhaften Opferszenen versteht er gemäß der in „Rita der Ariogermanen“ beschriebenen altgermanischen Rechtsordnung als Sühne für die Übeltaten, an deren Ende der Mensch mit dem Universum versöhnt werden soll. Somit wird die Grausamkeit als Reinigungsritual verstanden, die barbarische Gewaltsucht wird bei List mit einem höheren Zweck gerechtfertigt, ähnlich wie die Folter in Hexenprozessen. Sowohl bei List als auch bei seinen Lesern könnte man mehrere Gründe nennen, warum sich bei ihnen vor 1900 die Aufklärung in ihr Gegenteil verkehrt. List beschränkt sich allerdings nicht nur auf diese zwei auffälligsten trivialliterarischen Elemente. Selbst Erschantaug als Held, der sich in versunkenen Schlössern aufhält, trägt viele Merkmale eines Superhelden, der für die Kolportage kennzeichnend ist. Ähnlich den heutigen Heftromanhelden wie Superman, Spiderman oder Batman nimmt er verschiedene Gestalten und Namen an, seine halbgöttliche Herkunft ist von Geheimnissen umwoben − seine Mutter Albruna, von der er selbst nicht weiß, übt sonderliche Rituale im Mittelpunkt

95 List, Guido: Carnuntum, Historischer Roman. Grote, Berlin: 1888, Band II, S. 55. 96 Ibidem, S. 64.

38 der Erde aus, sein Vater soll der Gott Wuotan selbst sein. Aus den oben erwähnten Gestaltenbeschreibungen wird deutlich, dass viele listsche Gestalten bei nüchterner Betrachtung am Anfang des 21. Jahrhunderts als Karikaturen der nationalen, sozialen und kulturellen Stereotype wirken. Letztendlich weisen ebenfalls die Geheimbunde und geheime Rituale auf trivialliterarische Inhalte hin. Die trivialliterarischen Mittel beschränken sich allerdings nicht nur auf die inhaltliche Ebene, sondern sind auch auf der sprachlichen Ebene festzustellen. Die krassen Gegensätze zwischen der Sprache der hehren Helden und der komischen Figuren kopieren die übertriebenen Kontraste in der Personenkonstellation. Der gehobene Stabreimder Germanen macht die Dialoge in Anlehnung an Richard Wagners Musikdramen unerträglich pathetisch. Bei dem gespreizt wirkenden Adjektiv „adle“ statt des modernen „edle“ bleibt List dem Grimmschen Wörterbuch verpflichtet und verwendet die dort genannte archaische Form „adal“ (prosapia, d. h. Geschlecht, Sippe, Familie, die als etwas Heiliges galten). So ein scheinbar archaisierender Ausdruck („adle“) kontrastiert dann mit dem eigenartigen Schimpfwörtern der zahlreichen Sänger-, Diener- und Kriegergestalten97. List schreckt von solchen Mitteln der Kolportageliteratur nicht zurück, um seine Ideologie eingängiger, den Roman insgesamt lesbarer und außerdem das Figurengewirr und die komplizierten Beschreibungen übersichtlicher zu machen. Am Beispiel dieser trivialliterarischen Mittel wird deutlich gemacht, dass die gewählte belletristische Form List ermöglichte, die ideologieträchtige Botschaft mit solchen Kolportagemitteln zu beleben. Zahlreihe Richard-Wagner-Parodien zeugen davon, dass diese Mittel schon bei dem Vorbild Lists leicht von dem Pathos ins Lächerliche kippen können.

4.1.4 AKTUALISIERUNGEN – INDUSTRIELLE GESELLSCHAFT

Genauso wie im ganzen belletristischen Werk von List werden auch in Carnuntum historiographische Inhalte durch zeitgenössische Anspielungen aktualisiert. Ein besonderes Thema zu Lists Zeiten, das in seinen Romanen in zahlreichen Szenen behandelt wird, war die Frage der Frauenemanzipation und der Geschlechterrollen. Nach der feierlichen Begrüßung des Kaisers folgt eine Szene, die eine schlecht gelaunte Damengesellschaft der Hausherrin Valeria Agrippina in Persitylum des Hibernum Carnuntum gezeigt, die eigentlich bei den Festlichkeiten anwesend sein wollte, deren Mann ihre Anwesenheit aber als überflüssig untersagt hatte. Sie hat deshalb ihre Freudinnen eingeladen und ein Fest organisiert. List kommentiert die Situation folgendermaßen:

"Zu allen Zeiten haben arme mißhandelte, unverstandene Frauenherzen das Bedürfnis gefühlt, theilnehmenden Freundinnen ihr gequältes Gemüth zu offenbaren und in dieser Offenbarung Trost zu suchen."98

Die These über die erniedrigende Stellung der römischen Frauen und Sklavinnen und die sexuell-gewaltvolle Sucht der Römer wird an mehreren Stellen veranschaulicht. Sie entspricht wohl der über Jahrhunderte tradierten aus der Germania von Tacitus stammenden Opposition der römischen Frauenverachtung und der germanischen Frauenverherrlichung, auf die das Kapitel über Frauengestalten bei List noch näher eingeht. Auch in diesem Fall kommt es zu einer deutlichen Aktualisierung des Frauenbildes und zugleich wird Lists Position offenbar. Nicht nur die Frauen werden von Römern anders behandelt als von Germanen, sondern auch die römischen Frauen selbst unterscheiden sich wesentlich von den germanischen Frauen. Dies gilt aber nicht ausnahmslos, denn auch unter den römischen Frauen findet List eine „weise Frau“ (Livia in Carnuntum). Auch im Roman Pipara

97 Siehe die Charakteristiken im Kapitel über die Gestaltentypologie dieser Dissertation. 98 List, Guido: Carnuntum, Historischer Roman. Grote, Berlin: 1888, Teil I., S. 66.

39 beschränkt sich der Typus der weisen Frauen nicht ausschließlich auf das germanische Milieu. Die weise Frau wird bei List nicht durch die Rasse sondern durch ihre Verhaltensweise definiert. Diese Schlussfolgerung steht ganz im Gegensatz zu den extrem antisemitisch misogynen Ausrufen des Freundes von List, Jörg Lanz von Liebenfels, aber auch mit den Vorstellungen des wahrscheinlich bedeutendsten Nachfolgers von List Phillip Stauff, der versuchte, die germanischen Hausfrauen der emanzipierten Jüdinnen entgegenzusetzen.99 Auch die Situation der Deutschmährer, bei denen der Roman einen starken Beifall gefunden hat, wird in Carnuntum geschickt aktualisiert. List unterscheidet nämlich im Roman Carnuntum zwischen den freien Germanen (in Stilifrieda) und den versklavten (im römischen Milieu lebenden) Germanen (in Carnuntum). Zu Beginn des Romans sieht Erschantaug die versklavten Germanen mit den freien Germanen gleichberechtigt an, er glaubt an deren Freigeist und germanische Veranlagung und versucht sie zu einem Aufstand zu bewegen. Seine Bemühungen scheitern allerdings und die römischen Germanen werden schließlich zusammen mit der ganzen römischen Bevölkerung getötet, weil sie, so Erschantaug, innerlich verfault sind, weswegen sie ihre germanischen Tugenden völlig verloren hätten. Dies kann auch als ein Appell auf die verstreuten Auslandsdeutschen verstanden werden, die ihr Deutschtum trotz aller Schwierigkeiten aktiv zu erhalten haben, wenn sie auf eine künftige Rettung durch Vereinigung – in die List als Vertreter der Alldeutschen Ideologie glaubte – hoffen sollen. In der Kritik der Situation der versklavten Germanen spiegelt sich ebenfalls Lists scharfe Kritik an den zeitgenössischen Gesellschaftsverhältnissen und er zeigt damit so deutlich wie in keinem anderen späteren Werk seine eigene wirtschaftspolitische Einstellung:

„Wenn in einem Staate die eigentliche Basis des Nationalwohlstandes, die besitzende Mittelklasse, verarmt und mählig verschwindet, dafür aber einzelne Überreiche aus der Gesamtsumme des Volkes emporsteigen, wenn dem ungesunden Reichtum dieser Einzelnen ein ausgeplündertes Proletariat die Waage halten soll, dann tritt im Leben eines solchen Volkes eine jener Krisen ein, welche zu dessen Regeneration führt, sofern es noch Lebenskraft besitzt, oder es völlig vernichtet, wenn es diese bereits verpasst haben sollte. Carnuntum, wie überhaupt der ganze römische Koloss, befand sich in diesem Stadium vor der Krisis."100

Die kritische Position gegenüber der industriellen Gesellschaft zieht sich wie ein roter Faden durch das ganze Werk von List. Sie ist autobiographisch erklärbar, er selbst war ein Kaufmannssohn, lehnte aber seinen Beruf absichtlich ab und entschied sich als freier Schriftsteller zu leben. Diese biographische Angabe ist für seine moderne Rezeption bei den neuheidnischen Gruppen wichtig, denn die von Lists bevorzugte alternative, das Materielle ablehnende Lebensweise bietet dem postmodernen Menschen gute Identifizierungsmöglichkeiten. Die vom heutigen Gesichtspunkt linksorientierte Kritik der Industriellen wirkt in der sonst konservativ-monarchistischen Weltanschauung von List als ein Fremdelement, sie taucht trotzdem mit unterschiedlicher Intensität in seinem Gesamtwerk auf. Es war eine Sehnsucht nach dem status quo ante, nach der vorindustriellen

99 Im Jahre 1913 sprach Stauff zum Beispiel über die Notwendigkeit sich „einmal mit den Jüdinnen in der Frauenbewegung zu beschäftigen; was einem dort so übertrieben, unfähig und unvölkisch erscheinen muss, solange man seine eigene Mutter, Gattin, Schwester und deutsche Frau daraufhin ansieht, die aus Herz und Hirn auch in bitterster Not unmöglich den blühenden Unsinn gebären könnten.“ −Stauff, Philipp: Semi−Kürschner oder Literarisches Lexikon der Schriftsteller, Dichter, Bankiers, Geldleute, Ärzte, Schauspieler, Künstler, Musiker, Offiziere, Rechtsanwälte, Revolutionären, Frauenrechtlerinnen, Sozialdemokraten usw. jüdischer Rasse oder Versippung, die von 1813−1913 in Deutschland tätig oder bekannt waren. Berlin: 1913, S. XI. 100 List, Guido: Carnuntum, Historischer Roman. Grote, Berlin: 1888, Teil I., S. 95.

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Epoche. Es ist desto erstaunlicher, dass er von einem der reichsten Industriellen Österreichs Friedrich Wannieck und später von dessen Sohn systematisch und lebenslang gefördert wurde. Da bisher weder eine gründliche Biographie über Friedrich Wannieck noch über den Verein Deutsches Haus vorliegt, kann man Wanniecks Engagement in Völkischen und okkulten Kreisen kaum bewerten oder über dessen Motivierung spekulieren. Aus den wenigen Quellen über Friedrich Wannieck ist es allerdings bekannt, dass er sich für die Arbeiter in Brünn finanziell engagierte, in dem er für sie soziale Wohnungen mit Gärten bauen ließ und ihnen Kranken- und Sozialversicherung gewährte. Somit könnte man erklären, dass er Lists Kritik an reichen Industriellen tolerierte und ihnen im Wesentlichen zustimmte, da er sich selbst nicht als einen von ihnen sah. Diese und noch andere Aktualisierungen waren sicherlich ein wichtiger Bestandteil der literarischen und publizistischen Arbeiten von List. Seine Germanenforschungen wurden ja kaum als historische Berichte gedacht, es waren eher utopische Entwürfe einer zukünftigen idealen Gesellschaftsordnung. List wählte aus den Quellen absichtlich nur solche Angaben aus, die ein hohes Aktualisierungspotenzial aufwiesen. Erst im aktualisierenden Interpretationsprozess zeigte sich seine eigentliche Kreativität, mit der er scheinbar fremde Inhalte in einem mehr oder weniger konsistenten Bild zu gestalten vermochte. Es liegt auf der Hand, dass die weniger gelungenen Verschmelzungen von Aktuellem und Historischem von seinen Kritikern effektiv, oft mit Spott, aufgegriffen wurden und werden. Die Aktualisierungen stellen somit die eigentliche Stärke und gleichfalls die Schwäche seiner Weltauffassung dar, von seinen Anhängern wurde er wegen seiner Entdeckungen von aktuell−historischen Zusammenhängen besonders verehrt, während sie seinen Kritikern zur Zielscheibe der Kritik bzw. des Spottes wurden.

4.1.5 OKKULTE GEHEIMBÜNDE UND RITUALE – ERSTE ARIOSOPHISCHE ANSÄTZE

Der ursprüngliche Plan Lists einen wissenschaftlichen Bericht über archäologische Funde in Carnuntum zu schreiben hat sich, wie schon erwähnt, auf den Romanaufbau stark ausgewirkt. Besonders deutlich wird dies bei den vielen, im Rahmen des Romans überraschenden, ja störenden Beschreibungen von geheimen Ritualen, die in den versunkenen Schlössern von den weiblichen Priesterinnen abgehalten werden, anhand denen List das hierarchische Religionssystem der Germanen veranschaulichen möchte.101 In seinen Romanen beschreibt List eine altneue eigenartige Religion, die er später am Anfang des 20. Jahrhunderts Ariosophie nennt, deren Grundlagen aber im Wesentlichen tatsächlich schon in seinen publizistischen und literarischen Werken gelegt wurden. Die schematische Ideologie Lists kommt ebenfalls in diesem Fall zur Geltung. In Carnuntum gründen die Römer ihren eigenen okkulten Mysterienverein, die Brüder Milites Mithrae,102 der List als Vorbild eines sinnentleerten Kultes dient. In diesen römischen Mysterienkult soll der Soldat Equitius (einer der letzten braven Römern) von den lasterhaften Römern, Petronius und Licinius, eingeweiht werden – in der Tat kennen sie die Mysterien nur

101 Bei der Beschreibung der sonderlichen Rituale macht er den Leser darauf aufmerksam, dass "Das sich ergebende System dieser ganz eigenthümlichen Hierarchie soll in unserem Romane anschaulich gemacht werden.": List, Guido: Carnuntum, Historischer Roman. Grote, Berlin: 1888, Teil I., S. 118. 102 Es geht auf einen Verweis auf den Mithraismus, die römische Religion des 1.−4. Jahrhunderts, die mit dem in Carnuntum zum ersten Mal entworfenen listschen Germanenreligion viele wesentliche Gemeinsamkeiten aufweist – Mystherienrituale, Initiationsrituale, unterirdische Tempel, sieben Stufen der Erkenntnis, Sonnenkult usw. Der eigentliche Unterschied zur Germanenreligion, liegt nach List darin, dass diese im Römerreich als leere Religion praktiziert wurde, während die Germanen dieselbe Rituale mit Inhalt füllen konnten. Es liegt auf der Hand, dass List vom Mithraismus bei der Gestaltung seiner eigenen Germanenreligion stark beeinflusst wurde.

41 teilweise103 und wollen dadurch Equitius nur als Späher gewinnen. Auf der anderen Seite werden die Germanen Aistmuth von Erschantaug in wahre germanische Mystherien eingeweiht. Es geschieht mit dem für List so charakteristischen Pathos, mit Stabreim und Archaismen:

"Harre und höre! Wisse vorher noch Herians Wunsch. Gelobt du redlich mit reinem Ringeid heilig zu halten das Gelübde im Leben, ist Reichthum dein Loos: im späteren Alter wird eigen Dir erblich Haus und Hof mit Mann und Maus, mit golden behörnten Herden. Verletzt du das Gelöbnis, fährst Du zu Helias frostzitterndem Heim zu ewiger Knechtschaft und Klage. Ungeweigert und unbeweibt folge Du Wuotes Fährte, verlerne die Fragen Warum und Weshalb, Woher und Wohin. Harre Helians Heilrath, schaue und schweige, wache und wahre!“104

Es liegt auf der Hand, dass dieser Vergleich mit den römischen entleerten Riten wiederum die Reinheit, Echtheit und Tiefe der germanischen Riten betont. In Carnuntum wird die für Lists spätere Entwicklung so wichtige Lehre über die irdischen Einherier zum ersten Mal entworfen. Und zwar in einer der merkwürdigsten Szenen, die die Reise der höchsten Priesterin Albruna in die Mitte der Erde darstellt, wo sie Rituale durchführt, die eine Auferstehung – als ein Einherier– für den von ihr geliebten Azzo sichern wollen. In dieser Szene wird nochmals das Wichtigste der altgermanischen Lehre über die Wiedergeburt zusammengefasst:

"Er steht bis zum Dämmer der Götter! Nur eins seiner Blätter ist der einzelne Mensch, den welkend der Zeitsturm verwirbelt! Doch kehren die verwelkten Todten gleich knospendem Blattwerk wieder zu neuem Leben zurück, wenn sie aus deiner Schaumfluth den Trank des Vergessens getrunken."105

Die Lehre über die auf die Erde zurückkehrenden Einherier wird von List in nachfolgenden ideologischen Werken weiterentwickelt und sie kommt besonders in seinen Reden während des Ersten Weltkrieges zur Geltung, in denen er die Rückkehr der im Krieg getöteten Soldatenhelden und ein neues Zeitalter prophezeit. Dies ist ein gutes Beispiel für eine für List typische Aktualisierung der eigenen Religion für zeitgenössische Ereignisse. Diese Erwähnung in Carnuntum zeigt auch, dass die These über die irdische Walhall schon in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts entstanden ist. Seiner religiösen Geschichtsauffassung entsprechend akzentuiert List den Zusammenhang zwischen einem historischen Ereignis und religiösen Ritualen, somit sieht er im Carnuntum-Feuer das germanische Fest der Sonnenwende und gleichfalls die festliche Bestattung des ermordeten Königs Gabin im Feuer. Die detaillierte Beschreibung des Rituals dient wieder dazu, Lists Ideologie zu veranschaulichen. Bevor die Quaden die Stadt Carnuntum und mit ihr auch ihren König verbrennen lassen, führen sie mehrere Rituale durch, unter ihnen auch den Wechselsang, in dem List den eigentlichen Ursprung des Theaters sieht.

„Der Wechselsang ist, nebenbei bemerkt, der Uranfang aller dramatischen Darstellung, der Urtypus des deutschen Theaters. Irrthümlich suchte man diesen in den Klostermysterien des Mittelalters, doch diese hatten aus dem germanischen Heidenthum das Mysterienspiel übernommen und verchristlicht. Das altmythische Spiel, wie auch den altmythischen Tanz hatten sie als antichristlich verfolgt und geächtet.“106

103"Diese sacrale Handlung jedoch begleiteten sie mit einem Mienen- und Geberdenspiel, das nur zu deutlich zeigte, wie ihnen der Sinn der symbolischen Ceremonie nicht nur höchst gleichgiltig, sondern vollkommen fremd war." List, Guido: Carnuntum, Historischer Roman. Grote, Berlin: 1888, Band II., S. 21. 104 Nach dieser Rede sprechen sie gemeinsam das Gebet „Blut zu Blut“ aus − List, Guido: Carnuntum, Historischer Roman. Grote, Berlin: 1888, Band I, S. 171−2. 105 Ibidem, S. 274. 106 Ibidem, Band II, S. 260.

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List, genauso wie ein Teil der Völkischen und später auch die Nationalsozialisten, hielt das Theater für eine ursprünglich germanische Kunstform. Besonders am Ende des 19. Jahrhunderts wendete sich auch List dieser Kunstform zu, die er als eine geeignete Vermittlungskunstform seiner Weltanschauung sah, und er schrieb mehrere Theaterstücke. Wie später gezeigt wird, brachte diese Kunstform den ersehnten Erfolg nicht, List wechselte abermals seine künstlerische Strategie und schuf schließlich die eigenartige Gattung eines pseudowissenschaftlichen, oral-schriftlichen Berichtes. In Carnuntum zeigen sich aber ebenfalls die Prinzipien seiner später definierten Rechtsauffassung, die die römische Auffassung der Strafe ablehnt. Anstelle der Strafe (römisches Recht) steht im Mittelpunkt der listschen Darstellung des germanischen Rechts die Sühne, beziehungsweise das Menschenopfer, im Rahmen dessen die schwersten Verbrecher durch einen Opfertod, mit dem Schicksal versöhnt werden sollen – somit wird ihnen ein besseres Leben nach deren Wiedergeburt ermöglicht.107 So verurteilt der Quadenkönig den Entführer von Gisahild Mardochan mit den folgenden Worten:

„Da steht der Straßenräuber Mardochan, der Friedensbrecher der Landstraße. Er hat gegen den hochheiligen Hiermon, den Herrn der Heerstraßen auf Erden wie im Himmel gefrevelt, er sei diesem zum Sühnopfer geweiht. Thue mit ihm, wie es Brauch und Satzung fordert!“108

An diesem Beispiels zeigt sich, dass die von List entworfene „urgermanische Religion“, so wie er sie nach 1902 in seinen pseudowissenschaftlichen Werken definierte, schon in seinen ersten Werken enthalten ist und dass sich deren Prinzipien während der Zeit kaum verändert hatten. Darin liegt Lists Eigenart, trotz der umstürzenden Entwicklungen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, seine in den 70er und 80er Jahren festgelegten ideologischen Prinzipien starrköpfig zu bewahren sogar sie im Lichte der verschiedensten Ereignisse als immer wieder neu bestätigt zu präsentieren. Das bedeutete unter anderem, dass er mit seiner Kombinationskunst immer wieder neue Inhalte organisch verarbeiten musste.

4.2 Carnuntum und List – ein verhängnisvolles Verhältnis

Guido List kehrte zur Schlacht bei Carnuntum noch in späteren Texten zurück, er fühlte sich dem Ort Carnuntum tief verbunden, wie erwähnt, hatte List schon im Jahre 1875 am Heidentor aus acht leeren Weinflaschen ein Hakenkreuz ausgelegt und anschließend mit Rasenziegeln abgedeckt. Darüber berichtete er im Jahre 1881 in seinem Artikel „Carnuntum, zur Erinnerung an den 24. Juni des Jahres 1875.“109 Dieses Ereignis war wahrscheinlich auch Adolf Hitler bekannt. Darüber berichtet Brigitte Hamann in ihrem Buch Hitlers Wien. Nach Hamman behauptet die in Budapest geborene, in Wien aufgewachsene und anschließend in München als Buchhändlerin tätige Zeitzeugin Elsa Schmidt-Falk, die ebenfalls Anhängerin Lists war, in Gesprächen mit ihr habe Hitler bemerkt, wenn

107 Die Rita der Ario-Germanen. 3. unv. Aufl. mit Zugabe− Arbeiten von Freunden. Berlin−Lichterfelde, Guido von List-Verlag, [1920]. (1. Auflage: 1908), S. 132−135. 108 List, Guido: Carnuntum, Historischer Roman. Grote, Berlin: 1888, Band II, S. 197. 109 Später in Deutsch Mythologische Landschaftsbilder erschienen: List Guido, Deutsch-Mythologische Landschaftsbilder,Wien: 1913, Band II, S. 562−602.

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„Österreich einmal zu Deutschland gehöre, werde er jenes Hakenkreuz ausgraben lassen, das List und seine Freunde in einer weinseligen Johannisnacht aus leeren Weinflaschen unter dem römischen Heidentor bei Carnuntum zusammengelegt und unter einem Rasenziegel begraben hatten“110.

Und tatsächlich fanden 50 Jahre nach dem Erscheinen des Romans von List über Carnuntum umfangreiche Ausgrabungen in Carnuntum statt. Im Jahr 1900 erschien ein enges Heft von List mit dem Titel Der Wiederaufbau von Carnuntum, in dem er unter anderem einen Wiederaufbau der römischen –und als Gegenpol dazu – der germanischen Siedlung entwarf. Am 26. Juni 1911 war wiederum Carnuntum das Ziel eines Ausfluges einer unter der Führung Lists stehenden Gruppe, des HAO (Hoher Armanen Orden), die sich aus Mitgliedern der nach ihm benannten Gesellschaft zusammensetzte. Wie er berichtet, glaubte er zwar nicht, das von ihm gelegte Zeichen wiederzufinden, da er wusste, dass in der Zwischenzeit beim Heidentor Ausgrabungen stattgefunden hatten, er war aber überrascht, wie sich das Heidentor selbst verändert hatte:

„Es [das Heidentor] war um mehr als zwei Meter aus dem Schutte emporgewachsen, indem die Höhe – beziehungsweise Tiefe – der ursprünglichen Bodenfläche durch Wegräumung des Schuttes wiederhergestellt wurde ...“111.

4.3 Vergleichende Analyse der Völkischen Forschungsberichte über Carnuntum – Guido Lists Der Wiederaufbau von Carnuntum und Heinrich Kirchmayrs Der altdeutsche Volksstamm der Quaden

Der Erfolg des Romans Carnuntum bei den Deutschen in Brünn, gründete sich vor allem darauf, dass Lists Erfindungen mit den Forschungen des Wischauer Gymnasiumlehrers Heinrich Kirchmayr übereinstimmten. Liest man diese zwei Texte, Kirchmayrs Beschreibung der Eroberung von Carnuntum in seinem Geschichtsbuch Der altdeutsche Volksstamm der Quaden und Lists Beschreibungen im Roman Carnuntum und in seinem Bericht Der Wiederaufbau von Carnuntum, findet man mehrere Anspielungen auf die Hermannsschlacht im Teutoburger Wald. Im Text Der Wiederaufbau von Carnuntum von Guido List wird sogar die Carnuntumschlacht höher bewertet.112 Diese Gedanken waren aber nicht neu, die Hypothese, dass Carnuntum von Germanen erobert wurde, waren schon damals mehr als 30 Jahre alt. Im Jahre 1852 erschien die Studie von Eduard von Sacken, Die römische Stadt Carnuntum, ihre Geschichte, Ueberreste u. die an ihrer Stelle stehenden Baudenkmale des Mittelalters, wo über die Eroberung der Stadt Carnuntum durch die Quaden und Sarmaten berichtet wurde. Dies lässt vermuten, dass die österreichischen, bzw. südmährischen Völkischen Forscher des 19. Jahrhunderts versuchten, die Schlacht bei Carnuntum der Hermannsschlacht gleichzustellen, indem sie behaupteten, dieser Sieg hätte den Weg zur Eroberung Roms und zum Wiederaufschwung der Germanen und ihrer Kultur

110 Hamann Brigitte, Hitlers Wien. Lehrjahre eines Diktators, Taschenbuchausgabe, München: 1998, S. 303. 111 List Guido, Deutsch-Mythologische Landschaftsbilder,Wien: 1913,S. 598. 112 List, Guido: Der Wiederaufbau von Carnuntum, Irene Huber, Edition Geheimes Wissen, Graz 2010, S. 14: „Und das ist der leuchtende Vorzug des Sieges der Donaudeutschen bei Carnuntum über die Römer, vor dem Siege des Arminius in der Teutoburgerschlacht, dass der Tag von Carnuntum die Deutschen einigte und zur Machterkenntnis der Einigkeit führte, während die Teutoburgerschlacht die Zerklüftung der Deutschen gebar, an welcher Zerklüftung alle Siegesvorteile verloren gingen. Ja, wäre nach der Teutoburgerschlacht Rom nicht durch innere Wirren geschwächt gewesen, Deutschland wäre einer zweiten Varusschlacht erlegen. Tatsächlich hatte auch Deutschland damals Arminius Sieg nicht ausgenützt, es war ruhig auf seiner Bärenhaut liegen geblieben und hatte die kostbare Zeit mit innerem Gezänke vergeudet. Wie anders wurde dagegen der Sieg bei Carnuntum verwertet!“

44 geebnet.113Guido List plante später, Carnuntum und die nahe, uralte germanische Siedlung wiederaufzubauen, und hier einen Tempel der germanischen Kultur zu schaffen – er nannte es Bayreuth der Ostmark114. Der Vergleich Carnuntums und des Teutoburger Waldes erinnert an die Vereinnahmung der Hermannsschlacht durch den deutschen Nationalismus zu Beginn des 19. Jahrhunderts − auch hier wurde versucht, aufgrund geschichtlicher Ereignisse nationalistische Gefühle zu erwecken. Auch hier soll ein historisches Ereignis zum Symbol für das sich auf sich selbst besinnende Germanentum und das Erkennen der eigenen Macht, die durch die Vereinigung verschiedener Stämme entstand, stilisiert werden. Doch es gibt einen grundsätzlichen Unterschied zwischen dem deutschen Nationalismus am Anfang, und den Völkischen Kreisen in Wien am Ende des 19. Jahrhunderts, der im Weiteren erörtert werden soll. Die Versuche um eine politische Ausschlachtung der vermeintlichen Carnuntum- Eroberung gipfelten im Dritten Reich, als nach dem Anschluss Österreichs im Jahre 1938 Adolf Hitler auf der Stelle des alten Carnuntum umfangreiche Ausgrabungen finanziert und unterstützt hat. Er soll dem Gau Niederdonau umgehend einen Betrag von 2 Millionen Reichsmark zur Verfügung gestellt haben, welchem in den darauffolgenden Jahren ein weiterer Betrag in Höhe von 3 Millionen Reichsmark folgen sollte.115

4.3.1. CARNUNTUM IN DER GESCHICHTSWISSENSCHAFT

Bei der Analyse der Entstehung eines Völkischen Mythos muss man allerdings zuerst die am Ende des 19. Jahrhunderts als gültig angenommenen Tatsachen über die Stadt Carnuntum kennen. Die Vergleichsanalyse dieser Fakten mit den Angaben der hier analysierten Völkischen Texte aus dem 19. Jahrhundert steht am Anfang einer tieferen Analyse der Argumente Lists, der sich auf das Ursprüngliche, Wahre und Reine beruft. In den Schriftquellen wird Carnuntum zum ersten Mal im Zusammenhang mit den Kriegen gegen die Germanen im Jahr 6 n. Chr. genannt. Kaiser Augustus soll hier ein Winterlager unter dem Kommando von Tiberius errichtet haben lassen, also einen Stützpunkt gegen die Angriffe der germanischen Stämme, die nördlich der Donau im Bereich des heutigen Böhmen und Mähren siedelten. Dass die Siedlung für die Germanenkriege von großer Bedeutung war, beweist das schnelle Wachstum der Festung, in der bis zu 50 000 Soldaten Unterkunft gefunden haben sollen. Im Westen entlang der Limesstraße Richtung Wien entstand eine Zivilsiedlung. Unter Kaiser Hadrian wurde diese Siedlung zu einem Munizipium (Municipium Aelium Carnuntum). Hier befand sich auch der Sitz des Statthalters von Oberpannonien. Im Laufe des 2. Jahrhunderts vergrößerte sich Carnuntum kontinuierlich. Im Zuge der römischen Offensive gegen die germanischen Stämme nördlich des Donaulimes weilte der römische Kaiser Mark Aurel (161–180) für drei Jahre (171−173) in Carnuntum und verfasste hier einen Teil seiner Selbstbetrachtungen. Während der nachfolgenden Severerdynastie (193–235) erlebte Carnuntum eine wirtschaftliche Blütezeit, und dürfte zu dieser Zeit auch seine maximale Ausdehnung

113 List, Guido: Der Wiederaufbau von Carnuntum, Irene Huber, Edition Geheimes Wissen, Graz 2010, S. 14: „Die Deutschheit hatten erkannt, welche Macht in der Einigkeit liegt und von da ab beginnen die ersten Ansätze der deutschen Staatenbünde zum Zwecke des Landerwerbes für das raumfordernde Anwachsen des Volkes zum Zwecke, dem Drange der Deutschen nach dem Süden, die Tat folgen zu lassen. Mit dem Tage von Carnuntum beginnt die Völkerwanderung, Carnuntum wurde das gewaltige Völkertor, durch das sich vom 24. Juni 375 ab unaufhaltsam die deutschen Völker nach Italien ergossen.“ 114 Ibidem S. 16. 115 Kandler, Manfred: Guido List, Adolf Hitler und Carnuntum, IN: Altmodische Archäologie. Festschrift für Friedrich Brein, Forum Archaeologiae 14/III/2000 (http://farch.net).

45 erreicht haben. Damals bekam die Zivilstadt auch den Ehrentitel einer Colonia verliehen (Colonia Septimia Aurelia Antoniniana Carnuntum). In der Mitte des 4. Jahrhunderts dürfte Carnuntum von einer schweren Erdbebenkatastrophe heimgesucht worden sein, die große Zerstörungen hinterließ. Der römische Schriftsteller Ammianus Marcellinus beschrieb 375 die einst sehr reiche und repräsentative Provinzhauptstadt als verfallenes und schmutziges Nest. Um die Mitte des 4. Jahrhunderts oder bald danach wurde das sogenannte Heidentor errichtet, ein in suburbaner Lage im Südwesten Carnuntums gelegenes Bogenmonument116. Großes Interesse weckte Carnuntum erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die ersten sehr bescheidenen Ausgrabungen einsetzten – sie erschöpften sich eher im Sammeln einzelner Befunde und die Trümmer der Stadt wurden wieder zugeschüttet. Im Jahre 1852 erschien die oben genannte Studie von Eduard von Sacken, Die römische Stadt Carnuntum, ihre Geschichte, Ueberreste u. die an ihrer Stelle stehenden Baudenkmale des Mittelalters.117 Ab 1877 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges begannen großflächige archäologische Untersuchungen, die erst den Reichtum und das Ausmaß des Verfalls der Stadt zeigten, undverschiedene Vermutungen hervorriefen. Intensiv wurden die neuen Entdeckungen im deutschenBrünn verfolgt, das sich als Nachfolgestadt des germanischen Eburodunum aus der Zeit der Spätantike wahrnahm. Als über die Ausschmückung des Deutschen Hauses im Verein Deutsches Haus diskutiert wurde, wurde in einem der Entwürfe (Entwurf von den Schwestern Marie (1851−1896) und Sophie (1855−1896) Görlich, nach Heinrich Kirchmayr) die Abbildung der Eroberung der Stadt Carnuntum als Höhepunkt des Zyklus über die Urgeschichte der Germanen – genauer der Quaden vorgesehen.118 Das Geschwisterpaar illustrierte übrigens schon Kirchmayrs Buch Der altdeutsche Volksstamm der Quaden aus dem Jahre 1888. Seit den 1950er Jahren wurde die archäologische Erforschung der Zivilstadt forciert. In den Jahren 2005, 2006 und 2007 fanden weitere Grabungen statt und in jüngster Zeit (genauer am 30. 8. 2011) wurde eine Gladiatorenschule entdeckt. Aufgrund dieser Ausgrabungen vermuten viele Archäologen und Geologen, dass die Zerstörung der Stadt von einem Erdbeben verursacht wurde, denn die Schäden an den Trümmern einstiger römischer Gebäude sollen mehr den Folgen eines Erdbebens entsprechen, als denen eines militärischen Angriffs. Diese Erkenntnisse wurden allerdings noch nicht ganz und weltweit angenommen, zum Beispiel in der tschechischen bzw. englischen Wikipedia heißt es noch immer:

„Ve 4. století bylo město zničeno Germány. Ačkoli bylo zčásti obnoveno císařem Valentinianem, již nikdy nedosáhlo své bývalé důležitosti a slávy, a hlavním vojenským centrem provincie se stala nedaleká Vindobona. Carnuntum bylo definitivně zničeno v raném středověku nájezdem Maďarů.“119

Der Geschichtswissenschaftler Zdeněk Měřínský120 spricht nur vom Erdbeben als Ursache des Verfalls von Carnuntum, auf den Quadenkönig Gabin geht er gar nicht ein.

116 Mehr dazu in: Jobst, Werner, Das Heidentor von Carnuntum. Ein Führer, Verlag der , Wien 2002, S. 6−10 117 Sacken von Eduard, Die römische Stadt Carnuntum, ihre Geschichte, Ueberreste u. die an ihrer Stelle stehenden Baudenkmale des Mittelalters, Aus d. November Hefte des Jahrg. 1852 der Sitzungsber. d. philos. histor. Cl. d. Acad. d. Wiss. s.l. [ca. 1852], S. 21. 118 Mehr dazu: Cibulka, Pavel: Historicko-mytologické motivy výzdoby Německého domu v Brně, IN: Hlavačka, Milan: Paměť míst, událostí a osobností: Historie jako identita a manipulace. Historický ústav ČSAV, Praha 2011. 119„Im 4. Jahrhundert wurde die Stadt von den Germanen zerstört. Obwohl sie teilweise vom Kaiser Valentinian wieder aufgebaut wurde, hat sie nie ihre einstige Wichtigkeit und ihren Ruhm erreicht, und zum Militärzentrum der Provinz wurde das nahe Vindobona. Carnuntum wurde im frühen Mittelalter durch den Streifzug der Ungarn definitiv zerstört.“

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4.3.2 VÖLKISCHE BESCHREIBUNGEN DER EROBERUNG VON CARNUNTUM

Im Licht der erwähnten Tatsachen erscheinen zwei Völkische Forschungsberichte über Carnuntum, die beide auf ihre Weise den ruhmreichen Sieg der Germanen beschreiben. Das schon erwähnte Buch von Henrich Kirchmayr mit dem Titel Der uralte Stamm der Quaden stammt aus dem Jahr 1888. Heinrich Kirchmayr war ein alldeutsch orientierter Geschichtsschreiber, und diese Ideologie ist seinem Text anzumerken – sein Stil entspricht kaum den Erfordernissen an neutral-wissenschaftliche Texte, er wählt emotive Worte, bekennt sich offen zu seinen Sympathien für die Germanen und bedient sich vieler Stielmittel des künstlerischen und publizistischen Stils. Bei Heinrich Kirchmayr findet man folgende Beschreibung:

„In unwiderstehlichem Ansturm brachen zur Zeit der Ernte des Jahres 374 die Quaden und mit ihnen die angrenzenden Sermaten in zahlreichen Scharen über die Grenze; ihre erste That war die Eroberung und gründliche Zerstörung von Carnuntum, des Hauptwaffenplatzes und Ausgangsortes der Feldzüge der Römer gegen die Quaden.“121

Kirchmayr versucht, die historischen Ereignisse mit Abstand darzustellen. Umso komischer wirken Verbindungen wie: „in unwiderstehlichem Ansturm brachen die Quaden über die Grenze“ oder „in zahlreichen Scharen“. Aus diesen Beispielen wird klar, wie sehr Kirchmayrs Stil aus dem Belletristischen übernimmt. Der geschriebene Text wirkt infolgedessen wie ein leidenschaftlich vorgetragener mündlicher Text. Diese Wirkung wird sowohl durch rhythmische als auch melodische Mittel erreicht. Die Funktion dieser Mittel ist natürlich den Leseremotional einzubeziehen, das Mitgeteilte wird allerdings, sei es absichtlich oder nicht, durch diese Mittel verstellt. Er kann einfach seine Begeisterung nicht verbergen, das ist allerdings zu verstehen, denn die Entdeckung, dass die Eroberung Carnuntums durch die Quaden vielleicht den Weg nach Rom ebnete, musste bei den österreichischen Alldeutschen viel Aufsehen erwecken. Es bedeutete nämlich, dass sich ihre Ahnen am Kampf gegen das gehasste Römertum aktiv beteiligten, und sich dem allgemeinen Widerstand aller Germanen anschlossen. Wie erwähnt, diese Hypothese vertrat schon im Jahre 1852 der Archäologe und Kunsthistoriker Eduard von Sacken, der Wegbereiter der Carnuntum- und österreichischer Urgeschichtsforschung122. Es war also in wissenschaftlichen Kreisen nichts Neues – unter den Mitgliedern des Deutschen Hauses in Brünn, aber löste diese Hypothese eine Begeisterung aus. Aber schon damals stimmte an dieser Theorie etwas nicht, der römische Geschichtsschreiber von Pannonien und Noricum, Ammianus, erwähnte diese große germanische Schlacht überhaupt nicht. Kirchmayr blieb, was diesen Punkt angeht, nichts anderes übrig, als sich mit der Behauptung zufriedenzustellen, das Nichterwähnen der Eroberung wäre eine Folge der römischen Propaganda, die das Bild der Römer als Krieger nicht habe in Frage stellen wollte. Kirchmayr schreibt darum:

„Über die Einzelheiten der Einnahme der Stadt, ob der Angriff von der Land− oder Stromseite erfolgte, auf welche Weise die Quaden die thurmhohen Mauern erklommen, wie viele der ergrimmten Stürmer den Tod fanden, welche Schar zuerst die Zinnen erklomm, welche Scenen sich auf römischer Seite abspielten – darüber

120 Veber Václav, Hlavačka Milan, Vorel Petr, Polívka Miloslav, Wihoda Martin, Měřínský Zdeněk: Dějiny Rakouska, Lidové noviny, Praha: 2002. S.41. 121 Kirchmayr, Heinrich: Der altdeutsche Volksstamm der Quaden, Deutsches Haus in Brünn, 1888, S. 108. 122Bernhard-Walcher A.: Sacken Eduard Frh. von. In: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815 -1950 (ÖBL). Band 9, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 1988, S. 372.

47 fehlt es gänzlich an Nachrichten; der eifrig römisch gesinnte Ammianus, der sonst so ausführlich selbst die unbedeutendsten römischen Erfolge zu berichten weiß, fand dafür keine Worte.“123

Bei der Beschreibung der Einnahme der Stadt stimmt aber noch eine Sache nicht. Diesmal gibt Kirchmayr seine eigenen Zweifel teilweise zu, denn die Trümmer der Stadt entsprächen nicht so ganz der üblichen germanischen Eroberungsart:

„Neuere Forschungen ergaben, dass diese Zerstörung eine viel gründlichere war, als sie die Germanen jener Zeit, auch die in der Bezwingung fester Plätze im allgemeinen hervorragenden Quaden, sonst vorzunehmen pflegten.“124

Dies ist dabei auch eines der Hauptargumente der heutigen Archäologen und Geologen, wenn sie behaupten, die Stadt wäre von einem Erdbeben zerstört, nämlich die Trümmer der Gebäude bezeugen es. Wenn man sich dann die Beschreibung der Stadteroberung in Lists Bericht aus dem Jahr 1900 ansieht, stellt man fest, dass List dem Literarischen noch viel näher als Kirchmayr war. Dies wird besonders bei der Beschreibung der Stadteroberung deutlich, in der es an begeisterten Ausrufen und subjektiven Beteuerungen nicht mangelt:

„Das geschah am großen Hanstag 375 unserer Zeitrechnung, am Sommersonnwendtag oder am 24. Juni. Die Besatzung Carnuntums – es waren 30.000 Mann – vermochte den Sturm der racheglühenden Volkswut nicht standzuhalten, die Tore brachen, die Türme stürzten und über den Schutt ergoss sich wie ein flammender Lavastrom das Racheheer der Deutschen, furchtbar große Königsbuße nehmend für Königsmord. Die 30.000 Mann wurden erschlagen, Carnuntum versank in einem Meere von Blut und Feuer [...] Carnuntum war im Flammensee versunken; es war ein Sonnwendfeuer, das da die Deutschen entzündet hatten, wie vordem und nachdem kein ähnliches mehr zu den Sternen aufgelohet hatte.“125

Während Kirchmayr zugab, dass Nachrichten über die Einzelheiten der Eroberung fehlen, führt List genau die Anzahl der Römer auf, die Weise, auf die sie kämpften, und sogar den Tag, an dem es geschah. Der Unterschied der Datierung ist nur eine Kleinigkeit − bei Kirchmayr fand der Angriff 374 statt, bei List im Jahre 375. List muss bei seiner Beschreibung, die nicht als die eines Geschichtsschreibers, sondern eines „Sehers“ angesehen werden soll, auf die wissenschaftlichen Fakten keine Rücksicht nehmen, sein einziger Imperativ ist die Bemühung, die Eroberung möglichst dramatisch darzustellen, und das Interesse der Leser zu erwecken. Die faktische Richtigkeit scheint deshalb bei der Analyse seiner Werke unwichtig, aus literaturwissenschaftlicher Sichtweise sind besonders rhetorische und poetische Elemente zu untersuchen, mit denen er seine Leser in seine eigene imaginative Welt der alten Germanen hineinzog. Es muss allerdings immer berücksichtigt werden, dass List seine Werke oft zu eindeutigen politischen und ideologischen Zwecken oder als Berichte über seine eigene Forschung verfasste. Seine Werke sind demnächst als ein Musterbeispiel semi-literarischer Texte aufzunehmen, die sich literarischer Mittel bedienen um den Leser über die Wahrheiten des Verfassers, beziehungsweise seines Auftraggebers, zu überzeugen. Wie schon erwähnt, behält Carnuntum eine Schlüsselstellung in Lists Bemühungen um Verbreitung des Arianertums, da er immer wieder dorthin zurückkehrte, und sich sogar um den Wiederaufbau bemühte. Für List war Carnuntum nämlich das Symbol für das sich auf sich selbst besinnende und sich vereinigende (Ost)Germanentum, eine Parallele zu seiner Zeit, in der die die Germanen in ganz Europa verstreut waren. Das von einer politischen und

123 Kirchmayr, Heinrich: Der altdeutsche Volksstamm der Quaden, Deutsches Haus in Brünn, 1888, S. 108 124 Ibidem, S. 108. 125 List, Guido: Der Wiederaufbau von Carnuntum, Irene Huber, Edition Geheimes Wissen, Graz 2010, S. 13.

48 sozialen Krise erfasste Römertum konnte sich nach Lists Überzeugung nach dem Sieg der tapferen und sittenstrengen Germanen nicht mehr erholen. Carnuntum als Machtzentrum wurde von der Königsburg Stillfried (Stilifrieda), die nördlich der Donau ersetzt. Die Eroberung der Stadt stellte für List also einen Wendepunkt dar, einen der ersten Siege der Germanen über die Römer, der die künftigen Eroberungen Roms durch Alarich, Gesierich und Odoaker vorwegnahm. Später versuchte er den Ersten Weltkrieg auf gleiche Weise zu interpretieren, also als einen Wendepunkt, der bedeutete, dass die Übermacht des verhassten, entleerten Christentums zu Ende sei und vom lebenskräftigen Germanentum im Einklang mit der Harmonie des Universums abgelöst werde. Es ist dann nicht überraschend, dass Lists Ideen unter den hoffnungslosen Soldaten im Ersten Weltkrieg einen gewissen Beifall fanden, die späten Texte von Lists werden in folgenden Kapiteln dieser Arbeit analysiert.

4.4 Jung Dieter´s Heimkehr, eine Sonnwendgeschichte aus dem Jahre 488 n. Chr.126

Die erste Publikation von List, die vom Verlag des Brünner Deutschen Hauses herausgegeben wurde, war die stark antichristlich orientierte Novelle Jung Dieter´s Heimkehr. Diese im Jahr 1894 erschienene Erzählung über den christlichen Mönch Maurus, der als Diether seine germanischen Wurzeln wiederfindet, wird in mehreren modernen Texten und Übersichten über Guido List falsch als Roman bezeichnet. Es handelt sich um eine episodisch angelegte Novelle aus dem 5. Jahrhundert, die nur teilweise auf historisch belegte Ereignisse zurückgreift. Die Geschichte spielt in Burodun (heutiges Brünn). In diese Stadt kommt ein Kreuzträger und mehrere Germanen lassen sich enthaaren und taufen, um mit ihm die Gebeine des Heiligen Severin nach Chremisa (Krems) und später nach Rom zu begleiten. Dieser Schar schließt sich der junge Diether an, der in Burodun seine Verlobte, die Königstochter Kunna alleine lässt, die in Verzweiflung gerät. Die Germanen in Burodun sind unfähig zu handeln. Einer von ihnen, Radker, entscheidet sich, zusammen mit dem alten Skalden Babo, zum Radhost (Berg in den Beskiden) zu reiten, um Radkers Ahnen zur helfenden Tat zu erwecken. Außerdem schickt Babo seinen Jünger mit der Fiedel, der dem Zug folgen soll. Nach einem langen Weg sind die Mönche im Zug nach Chremisa erschöpft und ruhen sich aus. Maurus (der getaufte Diether) wirft sich stöhnend im fieberhaften Zustand zum Boden. Auf einmal hört er eine Stimme aus dem Wald die alte Sage über Nanna und Balder singen, die Stimme – dies ist der „Jünger“ von Babo – singt sie aber als eine Geschichte von Diether und Kunna. Da erwacht in Diether die Sehnsucht nach Kunna und es folgt ein Streit mit seinem Vorgesetzten, worauf ein Handgemenge entsteht. Diether besiegt darin mehrere Mönche, zieht den Vorgesetzten an seinem Bart, schreit dabei

„Wer unter Schilden geritten, pass nimmer zu Deiner Knechteslehre. Wer mir die linke Wange schlägt, dem reiche ich nicht die rechte zu neuem Schlage dar, sondern mit meinem Schwerte will ich´s ihm heimzahlen und ihm den Schädel zerspalten.“ und gibt sich auf den Rückweg nach Burodun. Indessen wird auf dem Hof des Königs Radmar auf der Spielberg Baldersfest gefeiert, zu dem unerwartet auch eine der Heilpriesterinnen des Spielbergs, Wala, erscheint und nach Kunna fragt. Der König schickt sie in eine Stube, in der Kunna sitzt und weint. Als Kunna von Wala die fröhliche Nachricht über Diether´s Heimkehr erfährt, reitet sie mit ihrem Vater, dem König, Diether entgegen. Indessen hat Diether im Walde ein Ross mit Waffen entdeckt – vom Babos Jünger vorbereitet – und er kommt als Held nach Burodun zurück. Als aber seine Geliebte Kunna

126 List, Guido: Jung Diether´s Heimkehr. Eine Sonnwend−Geschichte aus dem Jahre 488 n. Chr., Deutsches Haus, Brünn: 1894.

49 ihn begrüßt, sagt er, man solle ihn fortreiten lassen, denn man hätte ihm gesagt, er sei kein Findling, wie er gedacht hatte, sondern ein Liebeskind der Frau Königin Uta, also der Bruder von Kunna. Da kommt die Heilsrätin Wala und enthüllt ihm die Wahrheit:

„O, welch´ schändliches Schwatzmaul doch der schleichende Römling gewesen, den Donar schon darum gestraft für diese schandbare Lüge! (...)So, wisse, Diether, du galtest als Findling, aber nur ich kenne Deinen Vater, denn ich bin deine Mutter, dein Vater war König im Lande der Quaden und du sollst wieder König werden, wenn´s an der Zeit ist. (...) Denke der Sagen von Siegfried und Armin und allen anderen – waren sie nicht auch Findlinge gleich Dir?“127

Diether wird, nachdem Randmar gestorben ist, tatsächlich zum König von Burodun, der noch Jahrhunderte später besungen wird. Auch in dieser Novelle kommen alle Merkmale eines typisch listschen literarischen Textes zur Geltung. Zahlreiche Naturschilderungen (Wald im Mondschein und Nebel), filmische Szenenschnitte, rundbasierte Darstellung des Geschehenen, lange Gedichte mitten im prosaischen Text, übertriebene bis ins Komische oder ins Brutale gesteigerte Darstellung, ein Superheld, dessen Herkunft man nicht kennt, ein Findling. Im breiteren Kontext handelt es sich um eine in der deutschen Literatur und Mythologie oft wiederkehrende Konstellation von Figuren und Stilmitteln. List selbst machte später darauf aufmerksam, dass ein richtiger germanischer Held (Siegfried, Arminius, Helge) immer ein Findling (bei List steht „Koting“) gewesen sei, der im Rahmen einer dramatischen Verwicklung gezeugt würde. Der hohe Sinn dieses Brauchtums soll aber in der Absicht einer planmäßig vorbereiteten Zucht einer Edelrasse liegen.128 In dieser Erzählung kommen auch genau die gleichen Typen wie in Carnuntum vor: von der Heilpriesterin Wala über den trotzigen Radker bis zu dem Skalden Babo und seinem Jünger. Das Ende dieser Geschichte kann außerdem als eine freie Variation des Romans Carnuntum interpretiert werden, auch Erschantaugs Mutter ist eine Heilspriesterin (Albruna), seine Herkunft bleibt ihm aber letztendlich verhüllt. Anders ist es in Jung Diether´s Heimkehr; dem jungen Dieter wird am Ende der Geschichte seine Herkunft von seiner Mutter, der Heilpriesterin Wala, aufgeklärt. Sonst sind sich Erschantaug und Diether auffällig ähnlich: beide sind Findlinge, beide Söhne einer Heilpriesterin und eines Königs, beide heiraten die Königstochter und werden zu Königen. Dieses Beispiel zeigt, dass List nicht nur, was die Form angeht, sondern auch inhaltlich immer die gleichen Schemata anwendete, die er meistens der germanischen Mythologie oder Urgeschichte entliehen hatte. In dieser Novelle, sowie in vielen anderen Texten, realisiert sich Lists Geschichtsauffassung eines von unsichtbaren Eingeweihten geregelten Geschehens. Genauso wie in Carnuntum wird die Geschichte von einem geheimnisvollen Helden gestaltet, der zuerst als Stimme aus dem Walde erklingt, später als Reiter den Kämpfer Radker berät und schließlich Diether unerkannt das Weißross und die Waffen übergibt. Letztlich kommt hier ein neuer wichtiger Aspekt zur Geltung, List versucht hier explizit die germanische Urbesiedlung Mährens zu belegen, in dem er in Radhost die germanischen Ahnen (von Radker) schlafen. Rudolf Šrámek129 bezeichnet die Ableitung des Bergnamens von einem heidnischen lutizischen, d. h. westslawischen Gott als eine späte Konstruktion der sog. Nationalen Wiedergeburt. Radhošť sei Radhosts Berg, der ähnlich genannt wird wie Tuhošť bei Taus. Lists Versuch, den slawischen Gott Radegast zum germanischen Gott werden zu lassen, reagiert also eher auf die Funktion des Bergs in

127 List, Guido: Jung Diether´s Heimkehr In: List, Guido von: Alraunenmären, Irene Huber, Graz: 2008, S. 147. 128 List, Guido: Die Armanenschaft der Ario-Germanen, Selbstverlag, Wien/Leipzig: 1911, S. 31. 129 Lutterer Ivan, Majtán Milan, Šrámek Rudolf: Zeměpisná jména Československa : slovník vybraných zeměpisných jmen s výkladem jejich původu a historického vývoje, Mladá fronta, Praha: 1982, S. 253.

50 tschechischer Gesellschaft des 19. Jahrhunderts. Lists Versuche, die Überreste der germanischen Religion in Mähren auffindbar zu machen, sind in vielen Werken nachweisbar, wobei er besonders verwirrte Deutungen nicht scheute. List wollte den Slawen ihre eigenen heidnischen Kulte und Kultstätten nicht gönnen. Schließlich stellte er im Drama König Vannius (1899) die Slawen als Träger des Christentums vor, das die heidnische, germanische Religion verdrängte. Diese Novelle war für List selbst von größerer Bedeutung, denn sie erschien bald nochmals 1903 in seiner Sammlung „Alraunenmären.“ In der heutigen Rezeption seines literarischen Werkes spielt sie ebenfalls eine Rolle, sie wurde noch zusammen mit anderen Texten im Buch „Alraunenmären“ im Verlag Geheimes Wissen in Graz2008 neu aufgelegt. Die Sammlung „Alraunenmären“ ist somit das Einzige, was von dem ganzen literarischen Werk von List heute noch herausgegeben wird.

4.5 Der Roman − Pipara

Das Jahr 1895 brachte mehrere Veröffentlichungen von Lists Werken, darunter das epische Gedicht Walkürenweihe und den zweiten großen, zweibändigen Roman mit dem Titel Pipara. Die Germanin im Cäsarenpurpur über die römische Kaiserin Cornelia Salonina Augusta, die laut List die Tochter des Markomannenkönigs Attal gewesen sein soll. Dieser Roman soll, Johannes Balzli zufolge, einen großen Widerhall gefunden haben.130 Balzli begnügt sich mit dieser kurzen Bemerkung und gibt keine Verweise auf Kritiken oder Rezensionen zu diesem Roman an. In der Tat gab es nur kurze Artikel als Information über das Erschienen des Buches in mehreren österreichischen Zeitschriften und Zeitungen.131 Die Zeitung Tagesbote aus Mähren und Schlesien, die sonst über alle Veröffentlichungen von List berichtete, ließ diesen Roman unbemerkt. Der wahrscheinliche Grund dafür ist die Tatsache, dass dieser Roman, anders als andere Werke, in Leipzig herausgegeben wurde – er ist bei der konservativen Literarischen Anstalt August Schulze erschienen, die in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts neben klassischen Werken auch zeitgenössische Werke herausgab, darunter den konservativen Katholiken Richard Kralik oder den aus dem jüdischen Bürgertum stammenden Baudelaire-Übersetzer und Fin-de-Siècle-Lyriker Felix Dörmann132. In der Vorrede des Herausgebers wird, genauso wie in der Vorrede zu Carnuntum, die Gattung des geschichtlichen Romans, gegen seine Kritiker verteidigt. Mit besonderem Nachdruck werden die Vertreter der modernen Literatur kritisiert, die „dem geschichtlichen Roman allerlei Gefährliches nachsagen, welche allüberall Geschichtsfälschung zugunsten der Poetsterei wittern und daher die geschichtliche Erzählungsform als − Zweckdichtung verschreien.133“ Die Verteidigung der poetischen Herangehensweise zur Geschichte ist in mehreren Texten von und über List zu finden. Aus der scharfen Kritik am Modernismus wird deutlich, dass List und andere Völkische Schriftsteller ihr literarisches Schaffen als

130 Balzli, Johannes: Guido v. List / der Wiederentdecker uralter arischer Weisheit, sein Leben und sein Schaffen, Guido-von-List-Gesellschaft, Wien: 1917: S. 32. 131 Ein längerer Feuilleton mit dem Titel Guido List ist im Grazer Tagblatt erschienen: Grazer Tagblatt, 19. April 1896, S. 13; Der Roman wurde mit anderen Werken von List auch von der Zeitschrift Frauen-Werke, Zeitschrift zur Förderung und Vertretung der Frauenbestrebungen, empfohlen: 1894, Heft 5, S. 8. Kurze Information auch in: Vom Büchertisch, Marbuger Zeitung, 7. November 1895, S. 3. 132 So erschienen nebeneinander das Lustspiel „Kraka“ von Richard Kralik (1893), „Die Lösung der Judenfrage in humanitärster Weise“ von Etfra Kosmopolitus (1892), „Die Jüdische Moderne : Vortrag gehalten im Akademischen Vereine "Kadimah" in Wien“ von Nathan Birnbaum (1896) oder das Drama „Hanna“ von Felix Dörmann (1894). 133 List, Guido: Pipara, Vorrede zur zweiten Auflage, Wien: 1913, S. XIII.

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Alternative verstanden und zwar als Alternative sowohl zu modernen Literaturströmungen als auch zur offiziellen Forschung. Der zweite Punkt, den dieses Vorwort besonders betont, ist die Feststellung, dass die Hauptheldin des Romans, Pipara, eine Deutsch-Österreicherin war. Daraus wird klar, dass List die in Carnuntum entworfene Linie weiterverfolgte und die alldeutsche Ideologie in seinen Werken weiterhin historisch zu begründen suchte. Er wollte auch hier zeigen, dass die Ahnen der Deutschen der Ostmark genauso brav und tüchtig wie die Westdeutschen waren und sind. Der Roman wurde deshalb den Deutschen in Österreich, besonders denen in Mähren, gewidmet. Das wird deutlich gleich in der ersten Szene, die, wie bei List gewohnt, in Eburodonum, also dem heutigen Brünn in Südmähren, spielt. In der zweiten Auflage aus dem Jahre 1913 findet man neben der Vorrede des Herausgebers auch eine Vorrede von Guido List, in der die Entstehungsgeschichte des Romans gründlich beschrieben wird, womit man auch in diesem Fall explizite Anweisung bekommt, wie der Roman gelesen werden soll. In diesem Roman soll List eine weitere römische Geschichtsfälschung durchschaut haben, in dem er festgestellt hätte, dass die Kaiserin Cornelia Salonina und die armanische Königstochter Pipara eine einzige Person wären. In der Tat befasste sich mit dieser Frage die Geschichtsforschung schon seit Beginn des 19. Jahrhunderts – Lists Beitrag ist in dieser Hinsicht wahrhaftig gering, er entschied sich nur, die für seine Theorien vorteilhaftere Lösung zu wählen, und diese dann in einem Roman zu veranschaulichen. Von heute aus gesehen, scheint allerdings die von List gewählte Version falsch zu sein, denn die Kaiserin Cornelia Salonina soll aus Griechenland gestammt haben.134 Seine geschichtswissenschaftliche Entdeckung war allerdings nicht der einzige Beweggrund zu diesem Roman, List wollte darin vor allem das „von Tacitus in seiner Germania verherrlichte echte, reine, germanische Weib (...) den Archetypus [s]einer Dichtung“135 beleben. Sowie in der Vorrede des Herausgebers als auch in dieser Vorrede steht der deutsch- österreichische Patriotismus im Vordergrund. List erklärt hier, dass er sich mit diesem „hochpatriotischen Werk“ zu seinem Volk, zu den Deutsch−Österreichern bekenne:

„Ich bin ein Ario-Germane, ein Deutscher, ein Armanendichter – wenn schon eine noch nähere Bezeichnung nötig wäre – ein Ideal-Deutscher, der sich zu keiner politischen Partei bekennt und sich von keiner solchen, wie immer namenhabenden Partei als deren Anhänger reklamieren lässt. Als solcher Ideal-Deutscher vergesse ich aber niemals, daß ich Wiener, Deutschösterreicher, Markomanne bin, und ich glaube an den deutschen Volksgeist wie an einen Gott. Mein Deutschtum ist mir Religion!“

Der deutsch-österreichische Patriotismus ist für das ganze publizistische und literarische Frühwerk Lists kennzeichnend. Wie schon in der Analyse zu Carnuntum gezeigt wurde, wollte sowohl List als auch andere mit dem Brünner Verein Das Deutsche Haus verbundene Völkisch gesinnte Schriftsteller136 zeigen, dass die Deutsch-Österreicher nicht nur sprachlich, sondern auch historisch und kulturell dem großen deutschen Volk angehören, was sie bei zahlreichen geschichtlichen Gelegenheiten bewiesen hätten. Diese Einstellung war bei der positiven Rezeption seiner Werke in Brünn und damit auch für seine Karriere wohl entscheidend. Ohne finanzielle und moralische Unterstützung der Brünner Deutschen wäre List kaum zu einem bekannten Völkischen Denker geworden. Dessen war er sich

134 Klein, Brigitte: Tranquillina, Otacilia, Etruscilla, Salonina. Vier Kaiserinnen des 3. Jahrhunderts n. Chr. Saarbrücken: 1998, S. 178. 135 List, Guido: Pipara, Vorrede zur zweiten Auflage, Wien: 1913, XX. 136 Heinrich Kirchmayr, Otto Jiriczek, Josef Orel, Hieronymus Lorm, Max Kretzer, Ewald August König, Schulte von Brühl, Hertwig von Nostitz-Dczerviecky, Oskar Meding (Gregor Samarow) u.a.

52 völlig bewusst, weshalb er aus Dankbarkeit viele Ersterscheinungen dem Vorsitzenden des Brünner Vereines Das Deutsche Haus Friedrich Wannieck widmete und die angeblichen Vorfahren seiner Mäzene in seinen Romanen und Novellen als Helden erscheinen ließ.

4.5.1 INHALT DES ROMANS

Es handelt sich um ein biographisches Roman, der das Leben und den „Opfertod“ der römischen Kaiserin Cornelia Salonina Augusta, eigentlich der germanischen Königstochter Pipara aus Brünn, darstellt. Wie gewohnt, beginnt der Roman mit einem Frauenraub, diesmal mit der Entführung von Pipara durch die Römer während der politischen Verhandlungen mit ihrem Vater, dem Markomannenkönig Attal. Der Organisator der Entführung soll einer der wenigen tapferen Römer Gallienus sein, der für seine Begierde nach Frauen, egal ob Sklavinnen oder Adligen, bekannt war und der sich in Pipara verliebte. Das erfährt Galliena, die verlobte von Gallienus, und in ihrer Verzweiflung betrinkt und verführt sie ihren germanischen Sklaven, Kadolt. Pipara macht indessen Karriere, sie erhält eine neue römische Identität und wird zur römischen Hausherrin, und später zur Gemahlin von Gallienus. Die unglückliche Galliena aber enthüllt den Identitätsbetrug und vernichtet mittels Intrigen den guten Ruf des tapferen Kaisers Gallienus. Der Hass gegenüber Gallienus erreicht seinen Höhepunkt in der fünfzehnten Aventiure, in der Gallienus von einem Sklaven ermordet wird. Pipara tötet ohne zu zögern den Mörder und lässt seine Leiche hinter einem Pferd schleppen. Zum Schluss begeht sie selbst einen Selbstmord als Zeichen der Selbstopferung.

4.5.2 ERZÄHLSTRATEGIE

In diesem Roman wird die gleiche Erzählstrategie wie in Carnuntum verwendet. Wieder beginnt er mit einer romantisch anmutenden Beschreibung der Landschaft Südmährens. Meistens erzählt List die Geschichte als ein auktorialer, heterodiegetischer Erzähler das Geschehene in der Vergangenheitsform, kommentiert es und verwendet ebenfalls Fußnoten mit Verweisen auf geschichtswissenschaftliche und religiöse Texte. Auch deshalb wird die Grenze zwischen dem Autor und dem Erzählerundeutlich. Und wieder lässt er den Leser die Geschichte als ein rundenbasiertes Strategiespiel, lesen. Diesmal werden wechselweise einerseits die eigentliche Geschichte Piparas und andererseits Intrigen der verschmähten Galliena dargestellt. Im Hintergrund werden die Kriege des Kaisers Valerianus sowohl gegen die Goten als auch gegen seine innenpolitischen Gegner detailliert beschrieben. Die einzelnen Kapitel nennt List, inspiriert von den hochmittelalterlichen Heldenromanen, Aventiuren. Falls Carnuntum durch die gleiche Erzählstrategie einen gewissen dramatischen Schwung erhielt, ist dies in Pipara nicht der Fall. Aufgrund der völlig undramatischen und spärlichen Handlung, der oft langen geschichtswissenschaftlich fraglichen Beschreibungen zerfällt der Romanaufbau und der Roman besteht aus nur frei gefügten Episoden, in denen grundsätzlich der innenpolitische Verfall des römischen Reiches umfassend dargestellt wird. Sowie in Carnuntum wird auch in diesem Roman die gleiche schematische Figurentypologie verwendet. Da aber diesmal nur die römische Gesellschaft beschrieben wird, findet man germanische Typen nur unter den römischen Sklaven. Die typische germanische Frauengestalt verkörpert natürlich die Hauptheldin. Wieder erscheint hier die germanische Skaldenfigur, Kabold, ein früherer germanischer Held, heute ein harmloser Spaßmacher. Die Römergestalten werden genauso wie in Carnuntum in zwei Gruppen aufgeteilt, nämlich die wenigen Braven und die vielen Intrigenanten und Lasterhaften. Der römische Kaiser wird als „ein Steuermann am ruderlosen Wrack“ beschrieben. Es gehört zu Lists Vorhaben, die junge, reine Pipara in diesem verfaulten und intrigenhaften Milieu als

53 ein Leuchtturm der Ehrenhaftigkeit erscheinen zu lassen. Ihre Gegenspielerin ist die verschmähte Verlobte von Gallienus, Galliena. In der Gestalt der Pipara realisiert sich völlig der von Felix Dahn übernommene tragische Heroismus, sie ist eine wahre Heldin, die trotz der feindlichen Fremdeinflüsse ihre reine germanische Identität behält und schließlich durch Umstände zum Helden- und Selbstmord getrieben wird. Während List in Carnuntum, als seinem literarischen Debüt, sein mangelndes Talent durch kolportageähnliche Elemente zu kompensieren wusste, zeigte sich, dass sich seine schematische Arbeitsweise wenige Jahre später völlig ausgeschöpft hat. Das kann auch der Grund sein, warum List nach diesem Roman das prosaische Genre verließ und seine Weltanschauung kurz mittels dramatischer Werke und schließlich nur noch pseudowissenschaftlicher Texte vermittelte. Der Roman Pipara gilt somit als der letzte und weniger gelungene Romanversuch Lists.

4.6 Alraunenmären137

Das einzige literarische Werk Lists, das noch im 21. Jahrhundert herausgegeben wird, ist die Sammlung von mythischen Märchen und Novellen mit dem Titel Alraunenmären. Diese 1903 erschienene Sammlung enthielt ältere in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften publizierte Texte und die schon früher erschienene Novelle Jung Diether´s Heimkehr, weil List nach 1900 keine Prosa-Texte mehr schrieb – er widmete sich den Dramen und später nur noch seinen „Forschungsberichten“. Eben deshalb ist diese Sammlung heute interessant, weil in ihr viele sonst schwierig auffindbare Texte zu finden sind. Sie sind geschickt zusammengestellt, womit ein dramaturgischer Rahmen über alle Texte entstand, der für Lists literarisches Schaffen geradezu als repräsentativ anzusehen ist. Gleich in der ersten Erzählung, dem „Weihnachtsmärchen“, reist der germanische Skalde unfreiwillig in moderne Zeiten, weil er unbewusst eine Zeitmaschine, eine alte verwachsene Geisterkirche, betritt. Nach mehreren erfolglosen Versuchen, sein merkwürdiges Erlebnis niederzuschrieben und den modernen Menschen zu erklären, kehrt er in diese zeitlose Geisterkirche zurück, in der er verlassen in seinem Zimmerchen stirbt. Der Skalde, vor tausend Jahren von einem Quarx im Wald verhöhnt, in den modernen Zeiten von den herumirrenden Leuten unerhört, spiegelt treu Lists Selbstbild wider. Es liegt auf der Hand, dass sich List mit dieser einsamen, verkannten, romantischen Skaldengestalt identifizierte und mit dieser Erzählung nur weiter seinen Mythus des romantischen Dichters untermauern wollte. Die gleiche Skaldengestalt erscheint noch in mehreren in Alraunenmären enthaltenen Kurzerzählungen und verbindet somit die verschiedensten Texte der ganzen Sammlung. Am Ende dieser Erzählung folgt Lists Kritik der zeitgenössischen Literaturverhältnisse:

"Die "dankbare Nachwelt" aber benützte es, um dem "Unsterblichen", dem nun etliche Literaturhebräer Nekrologe schrieben (die Zeile um 10 Heller) und für den nun Sorge getragen ward, dass man ihn künftig im "Meyer" und auch im "Brockhaus" finde, die dankbare Nachwelt also benützte dieses zu spät eingelangte Honorar, um dem Unsterblichen", erst nach seinem Tode „Entdeckten" ein Denkmal zu errichten, bei dessen Enthüllung viel schöne Reden geredet wurden. Danach warten sie dreißig Jahre. "bis er frei wird", damit seine Werke in der "Universalbibliothek" erscheinen können und das hochgelobte Volk der Dichter und Denker des Unsterblichen Werke für zwanzig Pfennige erwerben könne."138

In keinem anderen Text zeigt sich besser Lists Verzweiflung und gekränkte Kritik des Literaturbetriebs seiner Zeit, gegen den er sein ganzes Leben lang kämpfte. Angenommen,

137 Erschienen bei der Österreichischen Verlagsanst., 1903. 138 List, Guido: Alraunenmären, Geheimes Wissen, Graz: 2008, S. 9.

54 dass er diesen kurzen Text als einen seiner letzten Prosa-Texte geschrieben hatte, wird hier auch der Grund offenbart, warum er nach 1900 als Literat fast keine neuen Texte schuf und sich nur noch der pseudowissenschafltichen Form widmete. Von den 20 in Alraunenmären enthaltenen Texten ist die Erzählung Der Weinkellerschüssel, eine Humoreske aus der Cäsarenzeit erwähnenswert, die ursprünglich in der Alldeutsch eingestellten Zeitschrift Ostdeutsche Rundschau139 im Jahre 1893 erschienen ist. Sie zeigt nämlich List als einen humorvollen, von der komplizierten Ideologie noch nicht belasteten Schriftsteller, der mit leichter Feder die Geschichte des Sklaven Musa und seines alten Herrn Liberius Papus beschreibt, in der diese zwei Gestalten bei einer kaiserlichen Feier in der Villa von Liberius ihre Rollen tauschen. Die wenigen Humoresken und Idyllen von List sind in der ersten Hälfte der 1890er Jahre entstanden, als List noch literarische Erfolge feierte und von seinem Ruhm profitieren wollte, weshalb er diese kurzen Texte an verschiedene Zeitungen verkaufte. Zu diesen zählt auch die ebenfalls in Alraunenmären erschienene, kuriose Neufassung von der alten Märe „Der Wiener Meerfahrt“, untertitelt „Eine Keller-Humoreske“, die er im niederösterreichischen Dialekt verfasste. Der letzte Text der Alraunenmären, Eine Zaubernacht140, erzählt Lists eigenes Erlebnis, wobei er von einer Göttin in der Nacht schließlich zum Skalden ernannt wird:

„Versäumt ist die Stunde um Tausend Jahre; doch wisse, gewährt sei Dein Wunsch. Aber das Volk der Deutschen bedarf des Skalden, drum kehre heim zur häuslichen Herde, wo Du wieder wirst finden Fensals Freuden; solches verheißt Dir die gütige Göttin. Hoffe und harre, singe und sage, wie Brage der Barde es preiswert getan!“

Diese Rede der Naturgöttin sieht schon seine nach 1903 folgende Karriere voraus. Seine Hoffnungen ein großer Schriftsteller zu werden, haben sich zwar nicht erfüllt, aber die Hoffnung auf neue Wiedergeburt der Deutschen ging doch nicht verloren und Guido List werde von der Göttin gesandt diese fröhliche Nachricht weiter zu verkünden, was er nach 1903 mit seinen umfangreichen pseudowissenschaftlichen Forschungsberichten fleißig tat.

4.7 Epische und dramatische Werke – Suche nach einer geeigneten Form für ideologische Botschaften

In allen seinem ersten und bekanntesten Roman Carnuntum folgenden Prosaschriftenist zu spüren, dass List diese Kunstform für sich schon erschöpft hatte. Der ursprüngliche künstlerische Elan wird in Pipara und anderen kürzeren Schriften schnell zur entleerter Routine, gegen die er anders so tüchtig zu kämpfen versuchte: die Texte werden nicht mehr von breiten Leserkreisen mit großer Begeisterung aufgenommen, und er sieht sich gezwungen, seine literarische Erfolgsstrategie zu ändern. Deshalb versuchte er ab Mitte der neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts seine Ideen auch zuerst mittels epischer Dichtungen und später auch dramatisch zu verbreiten. Mit seinen epischen und dramatischen Werken knüpfte er deutlich an die Tradition der von der Edda und altgermanischen Sagen inspirierten und an der Wende des 19./20. Jahrhunderts sehr populären Heldendichtungen, von Emil Engelmanns Altgermanischen Dichtungen bis zu Richard Wagners Opern und

139 Die Ostdeutsche Rundschau wurde von Karl Hermann Wolf, einem Redakteur Ernst Verganis, der im Streit das „Deutsche Volksblatt“ verlassen hatte, am 6.4. 1890 als Wochenblatt – mit der Unterstützung Georg Ritter von Schönerers − gegründet. Ab 1.10.1893, also in dem Jahr, in dem die Zusammenarbeit von List mit dieser Zeitschrift begonnen hat, erschien sie unter dem Titel „Deutsches Tagblatt – Ostdeutsche Rundschau. Hauptorgan der Deutschen in Österreich“, ab März 1903 unter dem Titel „Neues Deutsches Tagblatt“. 140 Aus dem Scheffeljahrbuche, 1893.

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Friedrich Hebbels Dramen an, verwendete dabei meistens die in seinen Prosaschriften entworfenen Schemata. Zwei epische Dichtungen, der kurze Ostaras-Einzug und die umfangreichere Dichtung Die Walküren-Weihe wurden in demselben Jahr veröffentlicht und können als Zwischenstufe zwischen Lists prosaischen und dramatischen Werken betrachtet werden. Ostaras-Einzug, vertont von Karl Sipek und mit dem Untertitel „melodramatische Dichtung“, wurde zusammen mit Lists Drama Der Wala Erweckung am 3. November 1895 in Wien aufgeführt. Die epische Dichtung Die Walküren-Weihe ist im Verlag Das Deutsche Haus in Brünn im Jahre 1895 erschienen und wurde den Mitgliedern dieses Vereins als Weihnachtsgeschenk zugeschickt.141 Im Folgenden wird nur die Dichtung Die Walküren-Weihe analysiert, da sie im Ganzen zeigt, wie List seinen schematischen Stil auf dem Feld der Poesie geltend zu machen suchte und wie seine Weltanschauung durch diese für ihn neuen literarischen Formen weitergegeben wurde, sich aber auch modifizierte. Die Walküren-Weihe greift die Sage von Ruodegar von Bechelaren, einer Figur aus der Nibelungensage, aus Vorlage des Wischauer Lehrers Heinrich Kirchmayr, des Autors der Schrift „Der altdeutsche Volksstamm der Quaden“, auf. Kirchmayr stellte fest, dass diese Sage – genauso wie auch andere deutsche Sagen –auf einer historischen Grundlage fuße und wollte beweisen, dass dieser mit einem Heer von 200.000 Mann bis vor Rom gezogen und dort umgekommen sei.142Der Markgraf Ruodegar von Bechelaren verwaltete laut Nibelungenlied das Gebiet östlich der Enns. Es handelt sich neben der Carnuntum−Sage wohl um einen weiteren Versuch der Brünner Deutschen, die Kampftüchtigkeit der Ostdeutschen anhand sagenhafter Figuren zu demonstrieren und ihr wahres und tapferes Deutschtum historisch zu belegen. Die Erzählweise und die Figurenkonstellation in der Walküren-Weihe entsprechen völlig dem in der Analyse des Romans Carnuntum veranschaulichten literarischen Muster. Der Hauptheld, Ruodegar, ist ein freiheitsdurstender, zwischen seiner verehrten Frau, Walpurga, und dem Krieg für die Germanenfreiheit zerrissener Skalde, der gegen das verhasste Römertum tüchtig kämpft und schließlich einen ruhmreichen Heldentod stirbt. Der Skalde Ruodegar erfüllt wieder alle Merkmale des von Tacitus beschriebenen Germanenskalden, dessen Aufgabe es ist, das Volk aufzumuntern und damit das Nationalbewusstsein zu bekräftigen:

"Der Skalde allen mit Warneworten, mit begeisterndem Sang kann Heilung hier schaffen. Entflammen das Volk zur befreienden Tat!“143

Seine Frau Walpurga ist wiederum eine der vielen für List typischen Frauenfiguren, der Heilsräthinnen, die dem Haupthelden Stütze leistet, zu der sich der Held in Not flüchtet. List versucht sich dem Pathos germanischer Heldenepik zu nähern und sie mit arteigenen ideologischen Inhalten zu füllen. Der ewige Feind der Deutschen, Rom, wird in diesem Werk dadurch mit besonderer Ausdrucksstärke dargestellt:

"Furchtlos steht einer Welt in Waffen

141 In dieser Reihe sind folgende Werke erschienen: 1894 − Jiriczek, Otto Luitpold: Königssühne; 1895 − List, Guido: Walkürenweihe; 1896−Orel, Josef: Ariogais: Erzählung aus der Quaden Heldenzeit; 1897 − Lorm, Hieronymus (Heinrich Landesmann): Eine Mährische Gräfin; 1898 − Orel, Josef: Unter Altvaters Mantel. Erzählung. 142 Kunz, Inge: Herrenmenschentum, Neugermanen und Okkultismus. Eine soziologische Bearbeitung der Schriften von Guido List, unveröffentlichte Dissertation, Universität Wien: 1961, S. 14. 143 Walkürenweihe, Epische Dichtung, Verlag Deutsches Haus in Brünn, Brünn: 1895, S. 6.

56 das edelstgefürstete aller Völker, Doch nimmermehr kann es bekämpfen die Tücke des schleichenden Giftes schlüpfriger Schlangen, die nagend und wühlend vom Wurzelmarke des mächtigsten Volkes schamlos sich mästen" (...) "Denn immer bleibt Rom doch Rom, und vor allem der würgendste Wolf, der gefährlichste Feind, der dräuenste Bedrücker des deutschen Volkes!“144

Dieser pathetische Stil ist im Kontext anderer Völkischen Texte keine Neuheit. Komisch wirken allerdings die in seinen früheren Romanen so romantisch anmutenden Naturbeschreibungen, die hier mit ausdrucksvollen poetischen Mitteln (starke Akzente, straffer Rhythmus, sehr expressive Metaphern und Vergleiche) charakterisiert werden:

"Dort ringen die Nixe und rasten nimmer, Graben die greulichen Wellenarme Tief ins Gestein, sie streben zu stürzen Den trotzigen Riff im rasenden Drängen, dazwischen zittern die unheimlich hohlen rollenden Wirbel gleich ruhlosen Augen, umrahmt von Brauen aus brandendem Gischt, Mit Blicken voll Hass, voll grollenden Grimmes Ob fruchtloser Arbeit, ob freudlosem Wirken, das sie heulend begleiten mit gurgelndem Gröhlen, dem sie grässlich gesellt das Tosen und Donnern, Wenn wuchtig der fürstliche Fels die Wellen niederwärts schmettert, die der Nix geschleudert Prahlend empor in walwilder Wut."145

Im Mittelpunkt der Geschichte steht, genauso wie in Carnuntum, die Zwangslage eines germanischen Helden, der einerseits ein ruhiges Familienleben führen will und andererseits sich verpflichtet fühlt, Freiheit für sein Volk zu erkämpfen. Die Selbstopferung für das eigene Volk ist in Lists literarischen Werken geboten. Ruodegar verlässt deshalb seine Frau Walburg (die in seiner Abwesenheit stirbt) und auch sein eben geborenes Kind und fährt nach Rom, um gegen Odoakar zu kämpfen, der ihn als Vasalen zu unterjochen sucht. Er will nämlich weder zum Vasallen von Odoakar noch zum römischen Herrscher werden, wie ihm seine Mitkämpfer raten, sondern seine Lebensaufgabe ist, gleich der Lebensaufgabe von Erschantaug in Carnuntum, die verhasste Stadt, in diesem Fall Rom, gänzlich zu vernichten, das heißt mit all seinen Reichtümern verbrennen zu lassen. Das Motiv einer absoluten Vernichtung, wahrscheinlich den germanischen Nibelungensagen entliehen, ist ein anderes Leitmotiv der literarischen Texte von List. Es steht wohl in Verbindung mit der damals verbreiteten Völkischen esoterischen These über verzauberte Orte, die als Zentren von Kräften angesehen wurden. Der Boden (Land) wird damit in den Rang einer religiösen Kategorie erhoben. Entsprechend der Völkischen Weltanschauung galten Carnuntum, Rom und andere römische Siedlungen dagegen als verflucht und zum Untergang verdammt. Nur so kann man das paradoxe Verhalten von Ruodegar in dieser Dichtung erklären, indem dieser den Plan seiner Ratgeber, die reiche Stadt Rom zu erobern und von da aus über das weite Reich zu herrschen, ablehnt und stattdessen eine gänzliche Vernichtung der Stadt samt ihrer Reichtümer verlangt. Schließlich soll der Unterkönig in Italien (Welschland) dem Oberkönig in Deutschland untergeordnet

144 Walkürenweihe, Epische Dichtung, Verlag Deutsches Haus in Brünn, Brünn: 1895, S. 4 und S. 57. 145 Ibidem, S. 2.

57 sein. Mit entsprechendem Pathos, das von vielen Stabreimen, archaisierenden Neologismen und einem straffen, melodielosen Rhythmus mitgetragen wird, verspricht Agilomar, der König in Burodum (heutiges Brünn), dem Haupthelden Ruodegar seine Unterstützung bei der Bekämpfung des verdorbenen wenn auch germanischen Königs in Rom:

"Denn sitzt auch gleich dort am Thron der Cäsaren, ein mächtger Germane als Thron− und als Kronherr, so ändert dies wenig am Wesen der Welt: denn immer bleibt Rom doch Rom, und vor allem der würgendste Wolf, der gefährlichste Feind, der dräunste Bedrücker des deutschen Volkes! Das edelstgefürstete aller Völker meine mannhaft stolzen Germanen, sie dürfen niemals dem Thronherrn vertrauen, der außerhalb Deutschlands des Edelvolks waltet: Geschweige den Sitz ihm gestatten zu Rom, weil dort selbst die würdigsten zu Römern verwelschen und so sich entfremden dem fürsterlichen Volke: drum rat ´ich zu Romfahrt, den Brandwolf zu bänd´gen in Fesseln zu flechten wie den listigen Loki. Nur ein Unterkönig soll walten in Welschland, gewaltig an Macht, an walkühnen Mannen, tüchtig im Rate, aber treu im Reiche. Das aus Deutschlands Gauen ein Oberkönig zusammenzuschweißen gewaltig gewillt ist. Willst du mein wackrer Gastfreund und König mein Wollen fördern zum Wohle der Völker, so ziehe nach Rom, zu zügeln den Raubwolf! Dein Harlungenland ich helf´s dir gewinnen, und Harlungenherrscher bleibst du für immer. doch zu Rom du gebeutst als Römergebieter nur im Namen des Oberkönigs, des Männergebieters im Märchenland!"146

Hier wird, ebenfalls wie schon in Carnuntum, deutlich, dass List nicht nur den zerstörerischen Einfluss der (römischen) Städte auf das Deutschtum akzentuierte, sondern damit implizit auch seine Kritik der zeitgenössischen entwurzelten städtischen Kultur äußerte. Tapfer im Kampf stirbt schließlich Ruodegar seinen Heldentod, da ihn seine inzwischen verstorbene Frau in die Walhalle ruft: „Im Moment des Zerstörungsrausches, im Anblick seiner vernichtenden Feinde, erreicht Ruodegar der ersehnte Todespfeil seiner Walburg“147(...) „mit langem innigen Kuss, Walburg ihn kürte zum Einherier Wuotans.“148 Die epische Dichtung Die Walküren−Weihe ist in vieler Rücksicht eine poetische Verarbeitung des gleichen Themas wie im Roman Carnuntum. Wie sich aus den oben angeführten Zitaten ergibt, brachte die poetische Form List keine neuen Inspirationen, außer dass er sich der in seinen Augen „ursprünglichen germanischen Skaldenkunst“ nähern sollte. Nach zwei dichterischen Versuchen, die wahrscheinlich ohne besondere Resonanz blieben, denn bei seinem eifrigen Biographen Johannes Balzli finden sie keine Erwähnung, verließ er wieder diese Form und widmete sich nur noch dramatischen Werken.

146 Walkürenweihe, Epische Dichtung, Verlag Deutsches Haus in Brünn, Brünn: 1895, S. 57. 147 Ibidem, S. 69. 148 Ibidem, S. 79.

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5. LISTS VÖLKISCH-RELIGIÖSE DRAMEN

List pries das Theater als eine ursprüngliche germanische Kunstform, denn − wie es in Carnuntum heißt − „der germanische Wechselsang sei der Uranfang aller dramatischen Darstellung.“149 Das Versepos und Drama boten seinen Aussagen die notwendige pathetische Prägung, mit Hilfe der ursprünglichen germanischen Mittel wie vornehmlich des Stabreims glaubte er sich noch mehr der reinen germanischen „skaldischen“ Kunst nähern zu können. Wie schon gezeigt wurde, trugen auch seine Romane mit ihrer geradezu szenischen Darstellungsweise deutlich erkennbare dramatische Züge. Genauso wie in seinen Romanen gibt List in den vielen Anmerkungen und dem Vorwort zu seinen Dramen eine genaue Anweisung, wie das Spiel aufgeführt und auch wie es verstanden werden soll. Er entwarf das Bühnenbild, wählte die Musik aus und gab die unentbehrlichen Verweise auf andere eigene Werke an. Er versuchte deutlich auf Richard Wagners Musikdramen anzuknüpfen, von diesem entlieh er sowohl die Technik des Leitmotivs (wie etwa der Hirthornruf als Motiv des Königs Vannius) als auch die religiöse Stimmung und das pathetische Vokabular. Diese Linie verfolgte ebenfalls Ernst Wachler, Gründungs- und Ehrenmitglied der Guido-von-List-Gesellschaft und eine der wichtigsten Persönlichkeiten der Völkischen Bewegung150, der Anfang des 20. Jahrhunderts das Völkisch-religiöse Theater theoretisch beschrieb und seine wichtigsten Grundsätze formulierte. Das erste Drama von List mit dem Titel Der Wala Erweckung151 entstand im Jahre 1894 und wurde am 3. November 1895 in Wien uraufgeführt. Diese Wiener Aufführung ist nicht nur die erste, sondern auch die letzte bekannte Aufführung dieses Dramas von List. List schrieb dabei noch fünf weitere Dramen,152 diese, wenn veröffentlicht, wurden allerdings als Lesedramen herausgegeben. Wie schon oben beschrieben, erfüllen diese Dramen die Anforderungen des von Ernst Wachler später definierten Völkischen Theaters. Stefanie von Schnurbein hat die wichtigsten Merkmale des Völkischen Theaters zusammengefasst,153 die aber erfolgreich auf das ganze literarische und dramatische Werk Lists anzuwenden sind. List ist mit seinen sechs Dramen ein Vertreter dieser innerhalb der Heimatkunstbewegung bedeutenden Theaterreform.154

149 List, Guido: Carnuntum, Historischer Roman. Grote, Berlin: 1888, S. 260. 150 Zu Ernst Wachler im allgemeinen: Puschner, Uwe: Ernst Wachler. In: Handbuch zur „Völkischen Bewegung“ 1871 − 1918. Hrsg. von Uwe Puschner, Walter Schmitz und Justus H. Ulbricht. München u.a. 1996, S. 931. 151 List, Guido: Der Wala Erweckung: Ein skaldisches Weihespiel. Zugeeignet dem "Bund d. Germanen" zur 1. Haupt-Versammlung am 2. u. 3. Julmond 2007, dt. Zeitrechnung 1894 n. Ch. 152 Die blaue Blume, Sommer-Sonnwend-Feuerzauber, König Vannius, Das Goldstück. 153 von Schnurbein, Stefanie: Religiöse Ikonographie − religiöse Mission. Das Völkische Weihespiel um 1910, In: Danuser, Hermann (Hrsg.); Münkler, Herfried (Hrsg.): Kunst − Fest − Kanon. Inklusion und Exklusion in Gesellschaft und Kultur. Ed. Argus,Schliengen: 2004, S. 85−97. 154 Weitere Vertreter dieser Theaterreform sind: Ernst Wachler, Ludwig Fahrenkrog, Ellegaard Ellerbeck (Gustav Leisner), Otto Borngräber, Josef L. Reimer, Georg Fuchs, Friedrich Lienhard, Karl Engehard, Ernst von Wolzogen u.a.

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5.1 Ernst Wachlers Theaterreform

Ernst Wachlers Theaterreform wandte sich besonders gegen das moderne naturalistische Theater und als Vorbild diente ihm die griechische Tragödie, er wollte übrigens beweisen, dass die Griechen und die Deutschen als Völker verwandt wären.155 Da das deutsche Volkunter Mangel eines altüberlieferten Volksglaubens, der im blutigen Siege des römischen Kirchentums ausgerottet würde, leiden soll, verlangte Wachler, dass die nationale große moderne Dramatik die vergessene Religion wieder beleben und somit Andacht und Kultur verbinden sollte. Das Theater würde damit zur nationalen Kultur beitragen, weil die dramatische lebendige, öffentliche, volkstümliche Form für alle Schichten zu dieser Aufgabe besonders geeignet sei. Wachler knüpfte bewusst an die Tradition des deutsch-nationalen Festspiels an, das im 19. Jahrhundert entstand. Eine direkte Inspiration waren für Wachler die frühen dramatischen Werke Wagners. Die späteren christlich beeinflussten Opern und besonders das Konzept des Gesamtkunstwerkes mit dem Primat des gesungenen Wortes lehnte er allerdings entschieden ab. Es empöre ihn, dass die reinen Worte durch Gesang bastardisiert werden. Diese ultrakonservativen Forderungen der reinen deutschen, gesprochenen Dramatik −mit Stefanie von Schnurbein gesagt − diese „Reinheitsphantasmen (...), „gehen (...) auf das für die Völkische Bewegung und Literaturwissenschaft konstitutive Rassedenken zurück“.156 Die von Wachler entworfenen Quellen des völkisch-religiösen Theaters sind Sagen und Märchen, vaterländische Geschichte, und das „althergebrachte Thun des Volkes“. Die Verwandtschaft von Wachlers Forderungen und Lists künstlerischen Ausgangspunkten ist nicht zu übersehen und nicht zufällig. Die dramatischen Werke Lists können ebenfalls als Musterbeispiele des von Wachler geforderten völkisch-religiösen Theaters angesehen werden. Genauso wie Wachler in Deutschland plante auch List 1900 eine österreichische Freilichtbühne im historischen Carnuntum zu gründen, das somit zum „Bayreuth der Ostmark“ werden sollte.157 Dieser Plan wurde allerdings nie realisiert. List ist im Jahre 1902 infolge eines Schichtstars fast erblindet und damit war auch seine Karriere als Dramatiker beendet, nach der Operation schrieb er nur noch pseudowissenschaftliche Studien. Ein wichtiges gemeinsames Merkmal der völkisch-religiösen Spiele nach Wachler ist die künstlerische Verarbeitung der damals populären „geomantischen Lehren“, die voraussetzen, dass sich an spezifischen Orten mystische Kräfte sammeln. Im Einklang mit dieser These verlangte Ernst Wachler, dass sein Theater auf der Stelle einer einstigen Heilstätte, gegründet sein soll. Das Bergtheater Thale entstand schließlich unter dem Namen „Grüne Bühne“ auf dem Hexentanzplatz im Harz, Sachsen-Anhalt, also an einem Ort, der in der deutschen Literatur von den Zeiten des Sturm und Drang über das ganze 19. Jahrhundert bis zu den Völkischen als Deutschlands Zentrum mystischer und mythischer Kräfte dargestellt wurde. Bei List lässt sich dies nicht nur auf dem schon erwähnten Fall von Carnuntum demonstrieren, sondern auch in vielen anderen Werken, deren Handlung am Ort

155 von Schnurbein, Stefanie: Religiöse Ikonographie − religiöse Mission. Das Völkische Weihespiel um 1910, In: Danuser, Hermann (Hrsg.); Münkler, Herfried (Hrsg.): Kunst − Fest − Kanon. Inklusion und Exklusion in Gesellschaft und Kultur. Ed. Argus, Schliengen: 2004, S. 86−7. 156 Ibidem, S. 87. 157 List, Guido: Der Wiederaufbau von Carnuntum, Irene Huber, Edition Geheimes Wissen, Graz 2010, S. 16.

60 von zahlreichen Naturobjekten wie Hügel, Karsthöhlen, Felsen, Waldtempel, mystische Steine, Auen usw. in ganz Niederösterreich und Mähren (Spielberg in Brünn, Adamstal, Radhošť (deutsch Radhoscht) usw.) spielt. Im Falle der mährischen Kultstätten wird ein besonderer Nachdruck darauf gelegt, dass die damals wie auch heute als traditionell slawische Kultstätten angesehenen Orte ursprünglich germanischen Göttern eingeweiht sein sollen und damit die Theorie über germanische Urbesiedlung Mährens bekräftigt sei. Ein weiteres inhaltliches Merkmal der völkisch-religiösen Dramen ist die Thematik der Wendezeiten, in der die Kritik an zeitgenössischen Verhältnissen als Untergang des Westens (Winter) und Hoffnung auf kommende neue Zeit (Frühling) implizit zum Ausdruck kam. Folgerichtig werden die völkisch-religiösen Romane, Novellen und Dramen mit Figuren aus der germanischen Mythologie und dem „Nibelungenlied“, die die gleiche Thematik behandeln, bevölkert. Sehr populär war beispielsweise die altgermanische Sage über Baldur und Nanna, in der Baldur getötet und später wieder lebendig wird. Die Sage wurde dann mit zeitgenössischen Inhalten aktualisiert, bzw. in dieses Muster eigene Figuren eingesetzt.158 Die Interpretation der eigenen Epoche als Wendezeit war ein gemeinsamer Ausgangspunkt der meisten Völkischen Denker, die im Entstehungsprozess ihrer Texte allerdings zu weit auseinander liegenden Ergebnissen gekommen sind. Dieses Muster greift List immer wieder auf. Im Roman Carnuntum wird die Zerstörung der gleichnamigen Stadt als ein riesiges Sommerwendfeuer dargestellt, in der Novelle Jung Diether´s Heimkehr bekehrt der Skalde den Diether mit der altgermanischen Sage über Nanna und Baldur (umbenannt als Kunna und Diether), im Drama König Vannius lässt die Königin Nana bei ihrem Selbstmord (List nennt es Selbstopferung) die ganze Stadt verbrennen, um dann später einen völlig neuen Anfang zu ermöglichen. Ähnlich den mythischen Germanenhelden zeichnen sich auch die Helden der völkisch- religiösen Dramen als tatkräftige Menschen aus. Mit den Worten von Kabold, einer Figur aus König Vannius, herb gesagt: „Drauf und dran, nicht lange denken, fragen, grübeln, sondern hauen, wohin man eben trifft.“159 Dieses Merkmal ist wohl der Germania von Tacitus entnommen, aber nicht ausschließlich, denn das Ethos eines aktiven, tatkräftigen Menschen mit „prometischer Schöpferkraft der eigenen Erkenntnis“ schöpft ebenfalls aus der deutschen romantischen Tradition und stellt so ein Gegenbild zu dem von seiner Umgebung determinierten Menschen, wie ihn der Naturalismus abbildete. Diese Heroisierung des großen aktiven Individuums erlaubt in den Völkischen Dramen allerdings keinerlei Entwicklung der Figuren. Sie handeln demnach stets nach den ihnen von Anfang an zugeschriebenen Charaktereigenschaften, die bereits durch Aussehen, Kleidung und 160 Namensgebung in den Regieanweisungen festgeschrieben werden. Die oben genannten Merkmale erfüllend, sind Lists Dramen eine bloße Fortsetzung der in seinem Romanwerk eingeführten Schemata und deshalb ist es kaum fruchtbringend deren tiefere Analyse vorzunehmen. Genauso wie in seinen Romanen verarbeitete List auch in seinen Dramen eklektisch die in der Völkischen Bewegung verbreiteten Topoi, bzw. füllte die populären Handlungsmuster mit niederösterreichischen und südmährischen Realien, um unter anderem seinen mährischen Förderern zu danken. In diesem Zusammenhang wird aber ein Aspekt besonders zugespitzt, nämlich die Neigung, altslawische Kultstätten als frühere germanische Naturtempel darzustellen und die Slawen letztendlich als Träger des Christentums zu präsentieren. Bei der Analyse dieses Vorgangs kann erfolgreich

158 Fahrenkrog, Ludwig: Baldur, Greiner und Pfeiffer, Stuttgart: 1908. 159 List, Guido: König Vannius, ein deutsches Königsdrama, Brünn: Deutsches Haus 1899, S. 45. 160 von Schnurbein, Stefanie: Religiöse Ikonographie − religiöse Mission. Das Völkische Weihespiel um 1910, In: Danuser, Hermann (Hrsg.); Münkler, Herfried (Hrsg.): Kunst − Fest − Kanon. Inklusion und Exklusion in Gesellschaft und Kultur. Ed. Argus, Schliengen: 2004, S. 95.

61 veranschaulicht werden, wie List mit den historischen Angaben aber auch mit regionalen Legenden umging und wie er sie seinen eigenen Vorstellungen anpasste. Dies wird demnächst am Beispiel des Dramas „König Vannius“ gezeigt.

5.2 Kombinatorik als „Forschungsmethode“

Die schriftstellerische Karriere Guido Lists ist ein gutes Beispiel, wie ein durchaus unbegabter Journalist zum berühmten Denker wurde. Dies hat er kaum seinem eklektischen Stil oder den hundertmal verarbeiteten Handlungsmustern zu verdanken, sondern seiner Fähigkeit verschiedene Traditionen zu kombinieren und dadurch die gewagtesten Phantastereien als wissenschaftliche Ergebnisse präsentieren zu können. Diese Strategie wird hier am Drama König Vannius veranschaulicht, das den Quadenkönig Vannius mit seinem „Klientelstaat“161 als einen Römerfeind und Kämpfer für die Freiheit der Quaden, der von seinen Neffen Vangio und Sido verraten wurde. Die Geschichte Südmährens und Niederösterreichs wird damit bewusst völlig missinterpretiert. Um zeigen zu können, wie List mit den damals überlieferten Angaben über diesen König arbeitet, folgt folgende methodologische Einführung.

5.2.1 DIE ERFINDUNG DER TRADITION BEI GUIDO LIST

Bei diesem Fälschungs- oder Missinterpretationsverfahren verwendete List möglichst uneindeutige Konzepte, um den Leser in das Netz seiner Konstrukte zu fangen. Einen großen Raum für Manipulationen bietet die Wahl der Traditionen, an die man anknüpft. Die Rolle der Tradition bei der Stärkung kollektiver beziehungsweise nationaler Identitäten ist unbestritten. Wenn man allerdings versucht, dieses Verhältnis näher zu beschreiben, begegnet man vielen terminologischen und logischen Schwierigkeiten. Allein der Begriff Tradition trägt verschiedene Bedeutungen und beinhaltet Paradoxe, auf die Anfang der 1980er Jahre die Arbeiten von Eric Hobsbawm und Roger M. Keesing aufmerksam gemacht haben. Eric Hobsbawm definierte das Paradox der Tradition im Jahre 1983: “Traditions which appear or claim to be old are often quite recent in origin and sometimes invented“162. Aber auch weitere Versuche den Begriff der Tradition zu definieren, stoßen auf diese Vielschichtigkeit von Bedeutungen. Jocelyn Linnekin und Richard Handler sprachen offen über „das Paradox der Tradition“, in dem sie feststellten, dass eine der wichtigsten Bedingungen der Überlieferung, der sog. Tradition, d. h. von Handlungsmustern, Glaubensvorstellungen und Überzeugungen, ihre permanent neue Interpretation darstellt.163 Dieses Konzept einer immer wieder neu zu interpretierenden Tradition ist für die Analyse der Vorgangsweise von List ausschlaggebend. Damit wird nicht gesagt, dass andere Konzepte nicht gültig seien, dieses Konzept ist allerdings für das Studium der zweckmäßigen Re−Interpretation der Geschichte geeignet, denn es ermöglicht diesen Prozess Schritt für Schritt zu beschreiben.

161 Das war schon zu Lists Zeiten bekannt und ist sogar bei Felix Dahn zu finden, den List so sehr bewunderte: Dahn, Felix: Geschichte der Völkerwanderung, Erstes Buch, Kapitel 5, zum Einsehen auf: http://gutenberg.spiegel.de/buch/82/13, 27.6.2013: Unstreitig sind hier nicht die in Mähren bis vielleicht Oberungarn seßhaften Quaden, sondern der unten näher zu erwähnende suebische Klientelstaat zu verstehen, nicht nur weil erstere Roms Grenze schwerlich berührten, sondern auch weil ein Hilfsbegehr doch nur an letztere füglich zu richten war. 162 Hobsbawm, Eric und Ranger, Terence: The Invention of Tradition, Cambridge: Cambridge University Press 1983, S. 1. 163 Handler Richard und Linnekin S. Jocelyne: Tradition, Genuine and Spurious, In: Journal of American Folklore, 97/385 (1983).

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Die Einstellung von Jocelyn Linnekin widerspricht in der Tat der allgemeinen Vorstellung über die Tradition als unbewegliche Gesamtheit von kulturellen Zeichen, im Gegensatz dazu stellt sich eine sich immer erneuernde Tradition, die die neuen Einflüsse der sozialen und historischen Entwicklung nicht unberücksichtigt lässt, sondern implizit verarbeitet. Damit kommt Linnekin zwangsläufig zu der Schlussfolgerung, dass die Vorstellung der Authentizität der Tradition ein Wunschbild sei. Die Tradition ist für Linnekin stets im Prozess der Erfindung (invention of tradition164). Wenn man diese Einstellung akzeptiert, wird die Erklärung des Prozesses der Traditionsbildung allerdings nicht einfacher. Eine der wichtigsten Fragen, die mit dieser Interpretation auftauchen, ist die nach dem „Agens“ der Erfindung. Wer und warum erfindet die Tradition? Es wird klar, dass die Tradition nicht in ihrer Gesamtheit immer neu erfunden, sondern nur teilweise re- interpretiert wird. Weder Nationalisten noch die Liebhaber der Volkskultur erfinden die Tradition im Ganzen, sondern sie „füllen“ sie mit dynamischem Inhalt und Interpretation165. Mit dieser Behauptung gelangt man zum zweiten Paradox der Tradition, die es zwar zum Teil a priori gibt, die aber gleichzeitig die Erfahrung des Individuums und der sozialen Gruppe prägt und zum Teil von diesen geprägt wird. Der amerikanische Ethnologe Geertz definierte dieses Paradox am allgemeinen Beispiel der kulturellen Kategorien und nannte es "intrinsic double aspect"166. Für die Interpretation der Völkisch orientierten Texte vom Ende des 19. Jahrhunderts ist dieses Konzept besonders aufschlussreich, denn in dieser unruhigen Zeit kam es zu einer starken Entfaltung der Prozesse, mittels denen die Tradition auf verschiedene ideologischen Weisen re-interpretiert wurde. Es handelte sich dabei um eine völlig neue Interpretation der Gesamtvorstellungen über die Geschichte und Gegenwart. Guido List selbst betonte die Gegenüberstellungder „toten“ christlichen Tradition und der „neuen lebendigen“ Tradition, die er zu entdecken versuchte. Für ihn und andere Völkischen Denker war äußerst wichtig, sich als Entdecker und nicht als Erfinder der uralten Tradition zu präsentieren. Der Titel der ersten Biographie von List von Johannes Balzli (Guido v. List: Der Wiederentdecker Uralter Arischer Weisheit) aus dem Jahr 1917 betonte diesen grundsätzlichen Aspekt der Völkischen Forschung. Die Tradition besteht aus den oben genannten Gründen aus mehreren Schichten. Das gemeinsame Kulturerbe ist der Grundstoff für die subjektive und objektive Definition der Ethnizität. Dieser Grundstoff ist in diesem Modell der Erfindung der Tradition als beständig angesehen. Aber die Auswahl der eine lebendige Tradition prägenden Elemente wird immer in der Zeit erstellt. Dieser Aspekt wird oft von den Nationalisten oder den Anhängern der Volkskultur zweckmäßig ausgenutzt. Für die Nationalisten oder die Anhänger der Volkskultur ist äußerst wichtig, als Sprecher einer ganzen Gruppe aufzutreten und für die Erhaltung der ursprünglichen kollektiven Vorstellungen zu kämpfen. Während die einen die Elemente zu politischen Symbolen umwandeln, halten die anderen die Tradition für ein authentisches Erbe als Grundlage für die ethnische Eigenständigkeit167. Im Fall der pangermanischen Bewegungen am Ende des 19. Jahrhunderts kann man über beide Beweggründe sprechen. Im Drama König Vannius von Guido List findet man Motive, die die Gegenüberstellung der Germanen und der anderen Völker − in diesem Fall sind es die

164 Linnekin S., Jocelyn: Defining Tradition: Variations of the Hawaiian Identity, In: American Ethnologist. 10/2 (1983), S. 241−252, hier S. 241. 165 Wagner, Roy: The Invention of culture, Englewoods Cliffs, Prentice Hall, New Jersey: 1975, S. 8−9. 166 Geertz, Clifford: Religion as a cultural system, In: Anthropological Approaches to the Study of Religion, Ed. Michael Banton. ASA Monographs, 3. London: Tavistock Publications 1966, 1−46, hier S. 8. 167 Linnekin S., Jocelyn: Defining Tradition: Variations of the Hawaiian Identity, In: American Ethnologist. 10/2 (1983), S. 241−252, hier S. 241.

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Römer (Germanen als ansässiges Bauernvolkim Gegensatz zu den anderen Völker wie den ausbeutenden Römern) − zum Ziel haben, gleichfalls finden wir hier politische Ideen und Symbole (Königsadler) und territoriale Ansprüche (Voraussetzung, dass die Germanen Südmähren früher als die Slawen bewohnten und danach eigentlich nie verließen). Die Bemühung sich durch eine neue erfundene Tradition von den anderen Völkern abzuheben bringt als Nebenproduktethnische Stereotype mit. Die ethnischen Stereotype sind wichtige Elemente, die zur Stärkung und Aufrechterhaltung der kollektiven oder ethnischen Identität beitragen. Man bringt ein Autostereotyp durch den vergleichenden Prozess mit den Anderen oder indirekt durch das Bild der Anderen hervor.168 Die Stereotype entstehen in den Kulturen, die oft anderen Kulturen begegnen, eben der Kontakt mit den Anderen ist die wichtigste Voraussetzung für ihre Entstehung. Diese Anmerkung ist äußerst wichtig beim Studium der deutschen Völkischen Bewegungen auf dem heutigen tschechischen Gebiet. Die Stereotype entstehen dabei selten als Ergebnis individueller Erfahrung, sie werden eher durch soziales Milieu vermittelt, und deshalb bleiben sie immun gegen rationale Kritik. Diese irrationale Ebene der Stereotype ist bei der Analyse der Werke von Guido List wichtig. Anhand dieser Erkenntnis können wir Lists Argumentation besser erklären, wenn er immer wieder behauptet, seine intuitiven Erkenntnisse seien Vorläufer der Erkenntnisse der akademischen Wissenschaft.169Die Stereotype, oder Merkmale des wahren Germanen, werden im Folgenden an konkreten Beispielen im ersten Akt des König Vannius beschrieben. Bei dem Versuch, die Frage zu beantworten, auf welche Weise List eine neue Tradition, eine neue Legende über den Stierfelsen (Býčí-Skála-Höhle), zu erfinden versuchte, wie er die historischen Erkenntnisse aber auch die damaligen stereotypen Vorstellungen (Klischees) manipulierte und in einem Drama umsetzte, muss man zuerst die Ausgangspunkte der Tradition, die List re-interpretierte, oder das gemeinsame Kulturerbe, wie sie Linnekin definiert, kennen. Man kann nicht sicher sein, was als ein Bild aus der Geschichte und was ein Produkt einer freien Fabulation verstanden werden soll. Außerdem ist es wichtig, die heute als historisch unbestritten akzeptierten Fakten über den König Vannius und über den Stierfelsen (Býčí-Skála-Höhle) zu erwähnen, aber man muss auch den Forschungsstand am Ende des 19. Jahrhunderts berücksichtigen. Denn nur anhand der Unterschiede zwischen den historischen oder damals als allgemein gültig nachgewiesenen Tatsachen und Lists Schlussfolgerungen kann man den Prozess der Entstehung einer künstlichen Re−Interpretation der Tradition bei List beschreiben.

5.2.2 HISTORISCHE ÜBERLIEFERUNG ÜBER VANNIUS UND DEN STIERFELSEN UND DER FORSCHUNGSSTAND ZU LISTS ZEITEN

Das Königreich von Vannius entstand als erstes Staatsgebilde auf dem slowakischen Gebiet im Jahre 20 oder 21 n. Chr. Es wird als Produkt der römischen Politik „divide et impera“ bezeichnet, denn Vannius wurde von den Römern (von Caesar Drusus) zum König (Rex) ernannt.170 Das Reich stellte eine Fortsetzung der römischen Politik dar, die schon im Reich des Marobuds praktiziert wurde. Das Reich wuchs zu einer großen politischen Macht auf dem Gebiet, Vannius kontrollierte die Bernsteinhandelswege – dazu baute er entlang der

168 Uhlíková, Lucie a Toncrová, Marta: Etnické stereotypy z pohledu různých vědních oborů. Sborník ze stejnojmenného semináře konaného dne 23. října 2000 v Brně. Brno: Etnologický ústav AV ČR 2001, S. 50. 169 z. B. List, Guido: Urgrund: Eine Einführung in die Gedankenwelt des Wiener Forschers Guido von List, Berlin, Lichterfelde: Guido List Gesellschaft, 1936. 170 Marsina, Richard: Pramene k dejinám Slovenska a Slovákov − Uzemie Slovenska pred príchodom Slovanov, Bratislava: Národné literárne centrum 1998, S. 28.

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Handelswege Festungswerke.171 Nach Rom führten die Quaden außer Bernstein auch Pelz, Honig, Getreide, Wachs, Eisen und Buntmetalle aus. Aus Rom erhielten die Quaden Luxuswaren. Neben dem Warenimport gab es auch antike philosophische Strömungen und die Religion, die in Vannius´ Königreich aus Rom Eingang fanden, also nicht zuletzt das Christentum. Im Jahre 51 wurde Vannius, ein sehr reicher Mann, von seinen hab− und machtgierigen Neffen Sido und Vangio und dem König der Hermunduren Vibilius vertrieben. Vannius musste nach seiner Niederlage im römischen Reich Zuflucht suchen, wo er auch starb. Unter Sido und Vangio zerfiel das Reich in viele kleinere unabhängige Gebiete, aber die Quaden besetzten zusammen mit anderen germanischen Stämmen neue südliche Gebiete. Tacitus berichtet, dass Sido und Vangio zwar dem römischen Reich treu geblieben, dass sie aber von den eigenen Untertanen gehasst wurden.172 Diese Kenntnisse stehen heute zur Verfügung, es ist allerdings sehr schwierig festzustellen, welche Dokumente Guido List zur Verfügung standen. Interessant ist allerdings, dass schon damals allgemein bekannt sein musste, dass Vannius mit den Römern eine fortdauernde Freundschaft unterhielt. Das bestätigt das folgende Zitat aus den Neueren Abhandlungen der Königlichen Böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften, aus dem Jahre 1791:

"...römische Soldaten, welche die Ufer der Donau in Pannonien besetzt hielten, und ... die gegen über wohnenden Quaden unter dem Vannius, der mit den Römern unter Tiberius und Klaudius eine von J. 20 bis 50 eine fortdauernde Bekanntschaft und Freundschaft unterhielt."173

Der Stand der damaligen Erkenntnisse über den Stierfelsen, der in diesem Drama eine wesentliche Rolle spielt, ist viel leichter festzustellen. Gewiss wusste List über die bronzene Statue eines Stiers, die von den Gebrüder Fenkel gefunden wurde. List kannte wahrscheinlich auch Wankels archäologischen Bericht über die Situation in der Höhle. Es handelt sich um einen Komplex von Höhlen und Gängen, aber der wichtigste Teil, mit dem sich Heinrich Wankel in seinen Bildern aus der Mährischen Schweiz und ihrer Vergangenheit detailliert befasste174, ist die Vorhalle. Wankel fand hier einen bronzenen Helm, bronzenes Zepterköpfchen, ein Schild, Wagenteile, eine Unzahl von Schmuckstücken, Ambosse, Hammer, Degen und Perlen. Außerdem fand er mehr als 40 Skelette. Er berichtete auch über einen Schatz, den er vergebens zu finden versuchte. Es ist ziemlich sicher, dass List Wankels Studie kannte, denn er verarbeitet die Angaben und Theorien Wankels im Drama. Wankel hat zum Beispiel viel Schmiedwerkzeug in der Höhle gefunden, das führte List dazu, Vannius in der Rolle eines Schmieds darzustellen und ihm damit ein wichtiges Merkmal des germanischen Helden zu verleihen. Der Schatz, den Wankel erfolglos suchte, wurde in König Vannius zum Schatz der Quaden, den die Verräter Sido und Vangio durch den Mord an Vannius erwerben wollten. Über die Entdeckungen Wankels musste also List sicherlich Bescheid wissen. Wankel nahm an, dass diese Überreste von einer altslawischen Beerdigung eines reichen Mannes zeugen. Die Höhle war von vielen Legenden umwoben, man nahm aber meistens an, dass sie als eine Kultstätte der Slawen zur Huldigung des Gottes Svantovít (Witislaw) diente. Die heutige Interpretation geht davon aus, dass sich hier eine Kultstätte befand. Dabei wird der Schmied als Priester angesehen, der aus dem Stein das Eisenerz gewinnt. Es ist überraschend, wie sehr sich diese moderne

171 Marsina, Richard: Pramene k dejinám Slovenska a Slovákov − Uzemie Slovenska pred príchodom Slovanov, Bratislava: Národné literárne centrum 1998, S. 153. 172 Ibidem, S. 153. 173 Über das erste Datum zur slawischen Geschichte und Geographie, In: Neuere Abhandlungen der Königlichen Böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften, Band 1 , Praha: 1791, S. 365−70, hier S. 367. 174 Wankel, Heinrich: Bilder aus der Mährischen Schweiz und ihrer Vergangenheit, Wien: Adolf Holzhausen, 1882.

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Interpretation der Interpretation von List in König Vannius nähert, es ist aber eher ein zufälliger Zusammenhang, was im Folgenden auch belegt wird. Die oben aufgeführten Erkenntnisse, die durch mündliche oder schriftliche Überlieferung erhalten wurden, standen also List sicherlich zur Verfügung. Demnächst wird beschrieben, wie diese Angaben anhand germanischer Ideologie weiter missinterpretiert oder gar ausgelassen wurden.

5.2.3 VANNIUS UND DER STIERFELSEN IM DRAMA KÖNIG VANNIUS – AUSWÄHLEN, MISSINTERPRETIEREN, KOMBINIEREN

Das Drama König Vannius beginnt in der Schmiede in der Stierfelsen−Höhle, wo der alte Schmied Wittig Ketten schmiedet. Vannius kommt und greift nach dem Hammer. Er ruft: „Ich wüsste besseres aus solch gutem Eisen zu schmieden als Ketten.“175 Der Schmied ist zuerst misstrauisch und nennt Vannius Milchbart. Der Schmied ist wieder der oben mehrmals beschriebene Typ des biederen misstrauischen, aber treuen Germanen, wie sich später zeigt. Vannius schmiedet sehr geschickt eine Schaufel. Auf die Frage Wittigs, wozu die Quaden jetzt Schaufel brauchen und nicht Schwerter, erwidert Vannius: „Die mögen sie sich vom Römer holen. Spaten brauchen sie jetzt, und mehr als Schwerter [...] Spaten und Grabzeug brauchen jetzt die Quaden um ihr Herrenrecht zu erzwingen.“176 Plötzlich hören sie einen weiblichen Aufschrei und Vannius läuft davon um die Angreifer abzuwehren. Es sind die Römer, „Heiltumsschänder“ genannt, der Petronius und sein Bruder Marinius. Bald führt sie Vannius an den Ketten, die Wittig geschmiedet hat. Vannius und seine Gefährten fesseln die Römer zum Amboss. Es kommen die Frauen und eine von ihnen, Nana, dankt Vannius. Er erwidert: „Du mir? – Ich bitte dich thue das nicht! – Danken, mir danken! That ich denn mehr als meine Pflicht?“177 Vannius erklärt dann vor den Quaden, die nach dem Aufschrei zugelaufen sind, dass die Quaden Spaten brauchen, um Wälle zu bauen und ihre Frauen und Kinder zu schützen. Er überzeugt sie und Nana kommt und nennt ihn „stolzer König“. Sie gibt Vannius einen Helm mit Adlerflug, Schwert, Schild und Purpurmantel. Vannius erhebt die Schaufel und ruft: „Dies Grabscheit aber sei das Königszepter!“. Der erste Akt endet mit dem Ruf: „Heil Vannius, heil der Quaden König, heil – heil – heil!.“178 Lists Auswahl der Motive für seine Geschichte richtete sich streng nach den ideologischen Kriterien seiner Zeit. Er verschweigt, dass Vannius von den Römern eingesetzt wurde und macht ihn zu ihrem Feind. Die Tatsache, dass Vannius Nachfolger von Marbod war, unter dessen Regierung, wie erwähnt, ebenfalls ein Klientelstaat der Römer entstand, ist aber für List sehr wichtig. Die Gegenstände, die ihm Nana am Ende des ersten Aktes schenkt, kommen von Marbod und Nana, die später zur Königin wird, ist mit Marbod verwandt. Wie in dem Roman Carnuntum versucht List auch hier nachzuweisen, dass der Kampf gegen die Römer von allen germanischen Stämmen geführt wurde und dass auch die Germanen in Mähren und Österreich zum Zerfall des Römischen Reiches beigetragen haben. Die Festungen, die Vannius baute, um die Handelswege nach Rom zu schützen, werden bei List zu Ringwällen gegen die Römer. Die Stierfelsen−Höhle mit der tatsächlich entdeckten Kultstätte wird zur Wuothanshöhle mit der Kultstätte dieses Gottes. Interessant ist Lists Umgang mit den Realien des ganzen Adamsthales. Schon in Deutsch- Mythologischen Landschaftsbildern deutet List völlig falsch die Ortsnamen:

175 List, Guido von: König Vannius, ein deutsches Königsdrama, Brünn: Deutsches Haus, 1899, S. 2. 176 Ibidem S. 5. 177 Ibidem S. 13. 178 Ibidem S. 25−26.

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Da wölbt sich die Wuotanshöhle und dort oben die Frouwagrotte: heute freilich heißt erstere Becziskala oder Bycziskala, letztere die Evagrotte. Hier ward (...) Woutan und Frouwa durch Adam und Eva ersetzt. Der die Germanen verdrängende Slawe änderte wieder die Namen: er nannte die Adamshöhle Becziskala nach dem gurgelnden (slawisch: ebčite) Geräusche ihrer unsichtbaren Wasser. Spätere Forscher nannten sie Bycziskala, das heißt Stierfelsenhöhle, nach einer hier gefundenen kleinen Bronzefigur, welche einen Stier darstellte, und gründeten darauf einen slawischen Stierkultus.179

In diesem Absatz wird klar, dass List ein wirklich starker und beeindruckender und skrupelloser Ideologe war. Zuerst erfindet er eine eigene Theorie der Entstehung der Namen von Adamov und der Eva-Höhle (Jáchymka) – sie sollen nach den biblischen Figuren benannt worden sein. Dabei handelt es sich um eine klare historische Fabulation, denn Adamov wurde nach dem Besitzer der damaligen Eisenhütte Adam Joseph von Liechtenstein benannt. Außerdem wird damit behauptet, dass die Slawen von Anfang an Christen waren, nie erwähnt er im Zusammenhang mit den Slawen ihren eigenen heidnischen Kult. Die Slawen waren also für List die Träger der von ihm verhassten christlichen Religion. Dann stellt er fest, dass die Eva−Grotte und das Adamsthal von Slawen umbenannt wurden, und dass sie also ursprünglich Wuotansthal und Frouwagrotte hießen. List balanciert geschickt zwischen historischen Fakten und seiner Fabulierungskunst und er konnte wohl am Ende den damaligen Leser, die Brünner Deutschen, über seine Wahrheit überzeugen, weil auch der Leser diese Argumente lesen wollte. So werden aus den damals bekannten historischen Funden evidente Beweise der germanischen Besiedlung Mährens. Die Schmiede in der Stierfelsenhöhle, über die Wankel schreibt, wird auf einmal als Beleg der germanischen Schmiedekunst interpretiert. Vannius´ Fähigkeit, mit dem Hammer umzugehen, belegt nach List seine Verwandtschaft mit Siegried, der als kleiner Knabe Lehrbursche bei dem boshaften Zwergenschmied war. Das verbindet ihn mit anderen großen germanischen Helden. Die Berichte über den Reichtum von Vannius und Wankels Hypothese über den Schatz in der Höhle lässt List den Schatz der Quaden erwähnen, der am Ende des Dramas, als die Verräter Vangio und Sido zur Macht kommen, verloren geht. Der historisch belegte Handel zwischen den Römern und Quaden wird als Ausbeutung interpretiert – die Römer stehlen in Lists Drama jedes Jahr die Ernte der Quaden. Sido und Vangio, die in Wirklichkeit die friedliche Politik von Vannius mit Rom, fortsetzten, werden zu Verrätern, derentwegen der Aufstand der Quaden gegen die Römer zugrunde geht. An diesen Beispielen wird exemplarisch gezeigt, wie Guido List mit Quellen arbeitete, ähnliche (Miss)Interpretationsprozesse findet man allerdings bei den meisten alternativen Geschichtstheorien, bzw. „Verschwörungstheorien“, die gerade zu unseren Zeiten massiv verbreitet werden und in der ganzen Gesellschaft Anhänger finden. Auch heute wird das Paradigmen der Tradition, der nationalen, bzw. der Gruppenidentität zu Zwecken der Verbreitung extremer Ideologien durch verschiedenste Medien re-interpretiert, mit aktuellen Inhalten gefüllt und somit neu erfunden.

179 List, Guido: Deutsch-Mythologische Landschaftsbilder. Bd. 1, Wien: Verlag ds. Verfassers 1913, S. 147.

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6. FRAUENFIGUREN IM WERK GUIDO LISTS

Schon bei den hier beschriebenen Analysen der Texte von Guido List haben sich einige Themen mehrmals wiederholt, als ob sie für List eine besondere Bedeutung hätten. Eines solcher starken Themen ist die geschichtliche Rolle der Frauen. Die Fragen, die die Frauenfiguren und allgemein die Frauenrolle innerhalb Lists Weltanschauung betreffen, erschließen sowohl neue Perspektiven im Kontext der Völkischen Bewegung, als auch im Kontext der heutigen feministischen Bewegungen und ihrer Gegner. Die diskursive Analyse der Aussagen Lists enthüllt oft schlichte Argumentationsmechanismen, die auch heute in den entsprechenden öffentlichen Diskussionen geltend gemacht werden. Das Frauenbild und die Rolle der Frauen allgemein in der Völkischen Bewegung und Literatur ist eines der fruchtbaren Themen, auf die die Erforschung der Völkischen Bewegungen seit Beginn der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts fokussiert. Die Erforschung der oft unterschiedlichen Frauen− und auch Hexenbilder, die im Rahmen der ideologisch zersplitterten Völkischen Bewegung nebeneinander existierten, von der „Frauenverherrlichung“ gerade bei Guido List bis hin zu den misogynen Gewalt− und Sexualphantasien etwa in den Texten von Jörg Lanz von Liebenfels, die sich gegenseitig beeinflussten und Polemiken erweckten und die von den Nationalsozialisten und später von den Neuheiden unterschiedlich rezipiert wurden, zeigt anschaulich, welche verschiedene Argumentationsstrategien die konservativen Denker gewählt haben – und auch heute noch wählen – um den immer mehr aktuellen Mann−Frau−Rollenveränderungen zu trotzen. Die meisten Völkischen Vereine luden Frauen als Mitglieder ein, meistens allerdings als Beobachterinnen ohne direkten Einfluss auf die politische Ausrichtung des Vereinslebens.180 Unter den Völkischen überwog eine traditionelle Geschlechterrollenbestimmung, die aber besonders bei den germanisch−religiös eingestellten Vertretern, wie eben bei Guido List, mit der Idee der altgermanischen Frauenverehrung kollidierte. Diese suchten das konservative und historisch−religiöse Paradigma durch ideologische Überbrückungen in Übereinstimmung zu bringen. Im Allgemeinen kann deshalb die Frauenforschung zum besseren Verständnis des regen Ideenaustauschs und der ideologischen Rezeption der Völkischen Ideen innerhalb der Völkischen Bewegung und später durch Theoretiker des Nationalsozialismus beitragen. Auch die gegenwärtigen Argumentationsstrategien in den Diskussionen über die historischen Geschlechterrollengehen z. Tauf die Völkische Auffassung der Geschlechterrollen zurück. Im Mittelpunkt der Frauenforschung standen zuerst deutschnationale und der Völkischen Bewegung nahestehende Protagonistinnen der Zwischenkriegszeit oder weibliche Mitglieder der Deutschnationalen Volkspartei.181 Noch Ende der 90er Jahre wurde aber das Forschungsinteresse ebenfalls auf den Völkischen Antifeminismus, auf die weibliche Spiritualität und die „germanische Frauenverehrung“ erweitert. In der letzten Zeit erschienen mehrere Studien zum Thema der romantischen, Völkischen, nationalsozialistischen und neuheidnischen Rezeption der Hexenverfolgung sowie verschiedener Hexendeutungen182. Besonders in diesen neuesten Texten erscheinen auch

180 Puschner, Uwe: Völkische Diskurse zum Ideologem „Frau“, S. 48−54, in: Völkische Bewegung – Konservative Revolution – Nationalsozialismus (= Kulturstudien, Bd. 2, u. Kultur und antidemokratische Politik, Bd. 1), hg. v. Walter Schmitz u. Clemens Vollnhals, S. 45−75, Dresden: 2005. 181 Eine Literaturübersicht zu dieser Perspektive siehe in: Puschner, Uwe: Völkische Diskurse zum Ideologem „Frau“, in: Völkische Bewegung – Konservative Revolution – Nationalsozialismus (= Kulturstudien, Bd. 2, u. Kultur und antidemokratische Politik, Bd. 1), hg. v. Walter Schmitz u. Clemens Vollnhals, Dresden: 2005, S. 45−75. 182 Von den neuesten sind es nachfolgende Arbeiten: Leszczynska, Katarzyna. Hexen und Germanen; Das Interesse des Nationalsozialismus an der Geschichte der Hexenverfolgung, transcript, . Bielefeld: 2009, Lorenz,

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Zitate aus den Werken von Guido List als Beispiele für die Verherrlichung der Frau als Trägerin des Ursprünglich−Göttlichen183. In sämtlichen Texten von List, seien es die literarischen oder pseudowissenschaftlichen, erscheint dieses Frauenbild in der gleichen Gestalt als eine Konstante. Obwohl Lists Weltanschauung eine dynamische Entwicklung erlebte, in dem er viele verschiedene Einflüsse aber auch Ratschläge seiner Anhänger organisch in seine Ideologie eingliederte, blieb das Bild der Frau als Trägerin einer intuitiven göttlichen Erkenntnis in seinen Werken stabil. Im Folgenden soll diese These anhand von den Texten von Guido List veranschaulicht, das Frauenbild bei List in breiteren Zusammenhängen vorgestellt und auf dessen Rezeption und Weiterführung durch Lists direkte und ideologische Nachfolger eingegangen werden.

6.1 Romantische Germanenrezeption: der Germane und der Römer

Guido List knüpfte mit seiner Frauenverherrlichung an romantische Germanen- Vorstellungen an, die besonders von der Tacitus−Rezeption184 stark geprägt wurden. Die Thesen von Tacitus, dass die Germanen ihre Frauen für Prophetinnen und bei wachsendem Aberglauben für Göttinnen hielten185, wurden schon zur Zeit der Aufklärung positiv rezipiert186und am Anfang des 19. Jahrhunderts von der romantischen Weltanschauung weiterentwickelt.187 Tacitus schrieb über eine Hochachtung der germanischen Frauen, die auf keinen Fall der schmeichelnden Huldigung glich, die manchen römischen Frauen zuteilwurde. Diese Thesen wurden von Jakob Grimm aufgenommen, als Unterscheidungsmerkmal der Germanen von den lüsternen Römern betont und in einen breiteren Kontext der mittelalterlichen Hexenverfolgungen eingearbeitet.188 Jakob Grimm befasste sich mit der Transformation der weisen Frauen in Hexen – sowohl bei den weisen Frauen als bei den Hexen handele sich um eine Verehrung, die mit Furcht verbunden und

Sönke: Himmlers Hexenkartothek. Das Interesse des Nationalsozialismus an der Hexenverfolgung, Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld: 2000; Felix Wiedemann: Germanische weise Frau, Priesterin, Schamanin. Das Bild der Hexe im Neuheidentum. In: Uwe Puschner/G. Ulrich Großmann (Hrsg.): Völkisch und national. Zur Aktualität alter Denkmuster im 21. Jahrhundert, Wissenschaftliche Beibände zum Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums. Bd 29. Wiss. Buchgesellschaft, Darmstadt: 2009, S. 266−279; Wiedemann, Felix: Rassenmutter und Rebellin. Hexenbilder in Romantik, Völkischer Bewegung, Neuheidentum und Feminismus. Würzburg: 2007; Wiedemann, Felix: "Altes Wissen" oder "Fremdkörper im deutschen Volksglauben"? Hexendeutungen im Nationalsozialismus zwischen Neuheidentum, Antiklerikalismus und Antisemitismus, In: Puschner, Uwe und Vollnhals Clemens: Die Völkisch-religiöse Bewegung im Nationalsozialismus, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen:2012, S. 437-459; Voltmer, Rita: Mythen, Phantasien und Paradigmen – Zu Deutungen der Hexenverfolgungen. In: Historisches Museum der Pfalz Speyer (Hrsg.): Hexen. Mythos und Wirklichkeit. Speyer: 2009, S. 189–199. 183 List, Guido: Deutsch mythologische Landschaftsbilder, Verlag des Verfassers durch die Guido-List- Gesellschaft, Wien: 1891, S. 20. 184 Lund, Allan A.: Germanenideologie im Nationalsozialismus. Zur Rezeption der "Germania" des Tacitus im "Dritten Reich". Universitätsverlag C. Winter Heidelberg GmbH, Heidelberg 1995, Wiwjorra, Ingo: Der Germanenmythos. Konstruktion einer Weltanschauung in der Altertumsforschung des 19. Jahrhunderts. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2006. 185 Castillon, Marc: Frauenbilder bei Tacitus, GRIN Verlag: 2007, S. 13. 186 Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang der von List öfters zitierte Friedrich Schiller, dessen Frauenfigur der „ersten Schwyzer Politikerin“ Gertrud Stauffacher, die ihren Mann zu der später geplanten Rebellion anstachelt, den „Heilsrätinnen“ in Lists Romanen und Dramen auffällig ähnelt. 187 Zur Entwicklung des Frauenbildes und zu verschiedenen Frauenauffassungen im deutschen Kulturbereich: Wiedemann, Felix: Rassenmutter und Rebellin: Hexenbilder in Romantik, Völkischer Bewegung, Neuheidentum und Feminismus, Königshausen und Neumann, Würzburg 2007. 188 Grimm, Jakob: Deutsche Mythologie I, dritte Ausgabe, Dieterichsche Buchhandlung, Göttingen: 1854, S. 1051

69 nicht rational erklärbar sei.189 An diese Erklärung knüpfte List mit seinen Hexendeutungen direkt an, er griff Grimms Thesen in seinen Romanen und Theorien auf, indem er sie mit seinen eigenen religiösen Vorstellungen über die Kontinuität des von der Kirche bekämpften, aber nie besiegten altgermanischen Wissens verband und aktualisierte. Für Lists Theorien war besonders die unterschiedliche Frauenbehandlung bei den Römern und den Germanen wichtig, die zu dem Römerbild in seinen Romanen über das spätrömische Zeitalter besonders gut passte. Den Römer sah er als einen lüsternen, schwachen, feigen Räuber und Alkoholiker. Die Römergestalten bei List verkörpern sehr schematisch den Verfall eines spätrömischen Reiches, das nur noch von seinen Kolonien abhängt und gänzlich destruktiv ist. Eine bevorzugte römische Gestalt, die im Roman Carnuntum sowie im Drama König Vannius auftritt, ist die Römerfigur namens Petronius, ein Prototyp des einst braven, heute von seinem alten Ruhm lebenden Römers. In Carnuntum findet sich folgende Beschreibung von Petronius:

„Mühselig, mit krampfhafter Anspannung aller Kräfte schritt der alte Centurio daher, die ungewohnte Last seiner Schlachtrüstung, welche er heute nach langen Jahren zur Feier des kaiserlichen Einzuges wieder angelegt hatte, drückte ihn fast zu Boden. Nach vieljähriger Ruhe, welche sie als Prunkstück und kostbares Heiligthum im Tablinium des Petronischen Hauses verträumt, war sie plötzlich hervorgesucht, sorgfältig gereinigt und an das längstentwöhnte Sonnenlicht getragen worden, um ihrem Herrn, den sie oft ins Schlachtfeld schützend begleitete, heute schmückend zum Feste folge. Mehr aber als Sonnenstrahl und Rüstung waren sich diese und die Person des tapferen Centurio entfremdet worden.“190

Anhand dieses Römerbildes werden ganz im Sinne der Tacitus−Rezeption die Tugenden eines wahren Germanen veranschaulicht, der ansässige und staatenbildende Germane wird mit dem kriegssüchtigen Römer verglichen, der nicht sät, sondern nur erntet; der feige und albern in einer zahlenmäßigen Überlegenheit dem treuen, braven und stolzen Germanen gegenübergestellt wird. Den Angst erweckenden römischen Göttern wird eine geistvolle sanfte Naturreligion entgegengestellt. Diese Oppositionen werden in Lists Texten aktualisiert, die Bezeichnung des Römers wird nicht nur historisch und politisch verstanden, sondern der Begriff bezeichnet im breiteren Sinne alle gefährlichen nomadenhafte Gruppen, die das rassenreine und sesshafte Germanentum bedrohen. Das Bild eines raubsüchtigen, lüsternen Römers wird in Lists literarischen Texten in zahlreichen „Frauenraub“−Szenen veranschaulicht und erhält damit auch eine gewisse literarische Funktion; man kann diese Szenen fast als ein Charakteristikum seiner literarischen Texte sehen. Wie schon in den Analysen von Lists Romanen erwähnt wurde, dient in den Romanen Carnuntum und Pipara und im Drama König Vannius dient eine Frauenraub−Szene als Exposition der ganzen Geschichte und als Konflikt−Auslöser.

6.2 Mann−Frau Rollenverteilung und Kritik an der Industriegesellschaft

List aktualisiert das romantische Germanen−Frauenbild noch mit einer anderen zu seinen Zeiten verbreiteten Opposition: des von der Erwerbssucht ermüdeten Mannes und der guten, weisen Frau, bei der der Mann Zuflucht und Rat findet. Dies entspricht der Völkischen konservativen Weltanschauung, deren Vertreter am Ende des 19. Jahrhunderts Kritik an den entleerten Gesellschafts- und Arbeitsverhältnissen ausgeübt haben:

189 Grimm, Jakob: Deutsche Mythologie I, dritte Ausgabe, Dieterichsche Buchhandlung, Göttingen: 1854, S. 1020, S. 1008. 190 List, Guido: Carnuntum, Historischer Roman. Grote, Berlin: 1888, S. 12−13.

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„das reine, untrügliche Naturgefühl bei den Männern wurde im wilden Getriebe, im steten Ringen nach Erwerb verloren, ward aber bei weitem länger vom Weibe bewahrt, das mehr im engeren, darum aber nicht kleineren Kreise seiner Bestimmung waltete.“191

Schon in den ersten veröffentlichten Werken von List findet man ähnliche kritische Äußerungen gegen die materialistischen Zeitverhältnisse, die Kritik an der industriellen Gesellschaft, die die Intuition und damit das ursprünglich rein Germanische verdrängt, zieht sich wie ein roter Faden durch das ganze Werk von List. Sie ist sowohl im breiteren Kontext der konservativen Kritik als auch im engeren biographischen Kontext erklärbar. List war das bürgerliche Gewinnstreben suspekt. Er selbst verließ ja das väterliche Lederwarengeschäft um sich als freier Journalist, Schriftsteller und Denker zu versuchen. Seine künstlerischen Neigungen sorgten für viele Streitigkeiten im Hause List. Außerdem war Guido List ein ausgesprochener Einzelgänger, er fühlte sich in der Gesellschaft nicht wohl; wie sein theosophischer Anhänger Johannes Balzli berichtet, wanderte er am liebsten allein, weg von der Gesellschaft und von der Großstadt Wien, in der Natur. Er glaubte, das städtische Getriebe verdränge seine intuitiven Fähigkeiten.192 Diese intuitiven Fähigkeiten kann der vernunftorientierte Mann allein in der Natur, oder bei den reinen germanischen Frauen, den Hüterinnen der altgermanischen Weisheit und Intuition, suchen.193 Aus der obenerwähnten Rollenverteilung folgt, dass der Mann die Frau unbedingt braucht um glücklich und erfolgreich zu sein, sie gleicht seinen Mangel an Gefühl aus, er bringt dafür seine Vernünftigkeit ins Spiel.194 In einem von List zitierten Buch Deine Pflicht zum Glück heißt es:

"Kluge, natürlich gebliebene und entwickelte Frauen folgen eben nur ihren von unbeirrtem Gemüt und Verstand zurechtgewiesenen Wahrnehmungen, die ihrer weniger verkümmerten Beobachtungsgabe an sich besser gelingen. Sie können deshalb sehr wohl ihren Männern sogar in anscheinend verwickelten Berufsfragen Rat geben. Die erfolgreichsten Männer des praktischen Lebens verdanken ihre Erfolge weit mehr, als jemand laut wird, der stillen Ratgebung ihrer klugen Frauen."195

Anhand dieser Mann-Frau Rollenverteilung erklärt sich ebenfalls Lists Lob der monogamen Ehe, in der sich die zwei Elemente zu einer Einheit ergänzen:

„Es ist der Mann ohne Weib und das Weib ohne Mann nur die Hälfte eines Menschen, der erst in der ehehaften Gemeinschaft von Mann und Weib ein Vollmensch wird. Darum sei der Mann ganz Mann und das Weib ganz Weib.“196

191 List, Guido: Von der deutschen Wuotanpriesterschaft, (Vortrag,1892), Verlag Geheimes Wissen, Graz: 2007, S. 22. 192 Balzli, Johannes: Guido von List. Der Wiederentdecker uralter arischer Weisheit. Sein Leben und sein Schaffen, Kittler, Leipzig: 1917, S. 16−17. 193 List bekennt sich dazu, dass er mit diesen Gedanken bewusst an mittelalterliche Dichtung der Meistersänger anknüpft, die er ebenfalls für die Behüter der germanischen Kultur hält. Siehe: Von der deutschen Wuotanpriesterschaft, (Vortrag,1892), Verlag Geheimes Wissen, Graz: 2007, S. 22. 194 Diese Opposition und der Mythus der weiblichen Intuition sind noch heute sehr stark verbreitet. Wie die Wiseman Studie aus dem Jahre 2005 gezeigt hat, stuften sich 77 Prozent Frauen selbst als "sehr intuitiv" ein, verglichen mit 58 Prozent ihrer männlichen Pendants. Beim darauf folgenden Versuch (15.000 Teilnehmer), in dem es um die Unterscheidung von echtem und falschem Lächeln ging, erzielten Frauen eine Erfolgsquote von 71 Prozent, Männer brachten es dagegen auf 72 Prozent. Siehe: http://news.bbc.co.uk/2/hi/uk_news/4436021.stm − eingesehen am 27. 3. 2013. 195 Anonym, Deine Pflicht zum Glück, von einem Menschenfreund, T. Thomas, Leipzig: 1908, S. 253, zitiert nach: List, Guido: Die Rita der Ario-Germanen. 3. unv. Aufl. mit Zugabe− Arbeiten von Freunden. Berlin- Lichterfelde, Guido von List-Verlag, [1920]. (1. Auflage: 1908), S. 185. 196 List, Guido: Die Rita der Ario-Germanen. 3. unv. Aufl. mit Zugabe− Arbeiten von Freunden. Berlin- Lichterfelde, Guido von List-Verlag, [1920]. (1. Auflage: 1908), S. 184.

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Eine „geistig-sexuelle“ erfüllte monogame Ehe aus der „naturgemäßen Verbindungsursache“ soll unter anderem, so List, zum völligen Verschwinden der Prostitution führen.197 Die Verherrlichung der Frau als Ratgeberin des schwachen Mannes soll aber kaum die gültige traditionelle Rollenverteilung ins Wanken bringen, ganz im Gegenteil. Die Frau bleibt nämlich nur dann Hüterin der alten Weisheit, wenn sie auch weiterhin in ihrem „engeren Kreise“ waltet und sich nicht in Männersachen einmischt. Bei List finden wir zwar nur wenige explizit antiemanzipatorische Äußerungen, seine Position ist allerdings klar:

„Darum dränge sich das Weib nicht ein in männliche Berufe, es versuche nicht, ein Mannweib zu werden und glaube nicht den Verlockungen falscher Propheten, die ihm eine unmögliche Freiheit versprechen aus egoistisch−materiellen Ursachen, denn diesen Propheten ist es nur darum zu tun, billigere Arbeitskräfte zu finden, die sie noch besser ausschinden können, um den Ewigkeitswahn ihrer papierenen Kapitalien fortträume zu können.“198

Diese Kritik der „Frauenrechtlerinnen“ ist im Vergleich mit anderen Vertretern der Völkischen Bewegung als gemäßigt zu bezeichnen. List lehnte zwar die Durchdringung der Frauen in Männerberufe ab, auf der anderen Seite sympathisierte er mit den Bestrebungen der unterdrückten Frauen sich zu befreien. An einer Stelle in „Rita der Ario-Germanen“199 empfahl er sogar den Roman „Das Wörtherkreuz“ des Frauenrechtlers Franz Herndl, in dem sich Herndl offen für eine Gründung einer Frauen− oder Mädchenorganisation ausspricht, „die sich durch Erlangung des Frauenstimmrechtes Einfluss auf die Gesetzgebung sichert.“200 Die anderen Mitglieder der Guido-von-List-Gesellschaft, Jörg Lanz von Liebenfels, Philipp Stauff oder Karl Herzog201, waren viel radikaler.202 Eine kämpferisch antifeministische Einstellung vertraten viele Völkischen, nicht selten brachten sie die feministischen Tendenzen mit der physischen Vermännlichung und Unfruchtbarkeit der Frauen in Verbindung. Die berufstätigen Frauen sollten deshalb „eine ernste und schwere Gefahr für die Rassen−Gesundheit und Volks−Tüchtigkeit darstellen“.203

6.3 Literarische Darstellung der Frau-Mann Rollenverteilung

In der Vorrede zum Roman Pipara aus dem Jahr 1895 über eine entführte Germanin, die der römische Kaiser zu seiner Frau erhob, charakterisiert List die Hauptheldin folgendermaßen: „Diesmal aber fesselte mich in erster Beziehung das echte, reine, germanische Weib, wie es uns Tacitus in seiner Germania verherrlicht hatte, während mich die Geschichte der dreißig Tyrannen abstieß [...], während

197 List, Guido: Die Rita der Ario-Germanen. 3. unv. Aufl. mit Zugabe− Arbeiten von Freunden. Berlin- Lichterfelde, Guido von List-Verlag, [1920]. (1. Auflage: 1908), S. 184−5. 198 Ibidem, S. 184. 199 Ibidem, S. 185. 200 Herndl Franz: Die Lösung der Frauenfrage auf Grund einer allgemeinen Mädchenorganisation, Selbstverlag, Wien: 1902, S. 1. 201 Karl Hezog (gest. 1915, in Berlin), Vorstandsmitglied des Verbandes deutschnationaler Handlungsgehilfen, Redakteur der Deutschen Reichspost in Stuttgart, Leiter Geschäftsstelle des Deutschnationalen Handlungsverbandes und der Heidelberger−Mannheimer Ortsgruppe des Bundes zur Bekämpfung der Frauenemanzipation, IN: Balzli, Johannes: Guido von List. Der Wiederentdecker uralter arischer Weisheit. Sein Leben und sein Schaffen, Kittler, Leipzig: 1917, S. 84. 202 Exemplarisch sind folgende Artikel zu nennen: Stauff, Philipp: Semi−Kürschner, Aufruf des deutschen Bundes zur Bekämpfung der Frauenemanzipation; Lanz Liebenfels Jörg: Die Gefahren des Frauenrechts und die Notwendigkeit des Männerrechts, Ostara Nr. 33, Wien 1929, (I. Aufl. 1909), S. 10; Die Gefahren des Frauenrechts − Die Tragik der Frauenrechtlerei − Ostara, Nr 45, 1911, S. 1; Rasse und Weib und seine Vorliebe für den Mann der minderen Artung, Ostara Nr. 21, 3. Aufl. Wien, 1929 (I. Aufl. 1908), S. 12 203 Alfred B.: Volks−Gesundheit und Zur Volks−Gesundheit. In: Heimdal. Zeitschrift für reines Deutschtum und Alldeutschtum 17, 1912, hier S. 117.

72 die Germanin als Mädchen, als Jungfrau, als Braut, als Gattin, als Mutter und schließlich als walkürengleiche Rächerin und Selbstvernichterin im freiwilligen Opfertod und durch diesen als sich selbst vergöttlichende Armanin mir in ihrer vollen göttlichen Ehre vorgeschwebt ist. In der Gestalt Piparas gab ich das Idealbild ariogermanischer Frauentreue und Frauentugend, in dem Roman Pipara aber den hohen Lobgesang dem ariogermanischen Weibe. In diesem Hochgesang auf das germanische Weib aber sei das Gegenspiel jenem weiblichen Zerrbilde geboten, mit welchem uns unsere Erbfeinde vernichten wollen, indem sie die göttergleiche Germanin zur Medusa im suffragettischen Megärenheer dämonisieren wollen.“204 Die sämtlichen Rollen der idealen Frau, Mädchen, Jungfrau, Braut, Gattin und Mutter, werden in diesem Absatz explizit aufgezählt – sie entsprechen völlig dem traditionellen Frauenbild. In späteren pseudowissenschaftlichen Texten nach 1900 hat List das unter den Völkischen verbreitete Mutterbild im Sinne seiner Ideologie noch weiter entwickelt. Er transformierte es entsprechend seiner religiösen Weltanschauung, indem er das Mutterbild mit dem Walküren−Mythus verband. Walküre steigt auf die Erde herunter und bedient die irdischen Einherier205, also die im Kampf gestorbenen Helden:

„Die Walküren sind jene beneidenswerten Frauen, die solchen gefallenen Helden, die zur zweiten Geburt für das eine Leben (im Menschenleibe) drängen, zu Müttern werden und mütterlich und walkürengleich in treuer Liebe deren Vorerinnern pflegen und zur Reife bringen.“206

In Lists literarischen Werken tritt die Frau – der traditionellen Rollenverteilung entsprechend – entweder in der Rolle einer weisen von dem Lebenskampf unberührten Priesterin, die aber ihren großen Einfluss behält (in den meisten Romanen und Dramen heißt diese Frauengestalt Albruna207) oder in der Rolle der im Haus herrschenden und Befehle erteilenden Hausfrau (Nana, Pipara u.a.). Die Mannesrolle kann aber die Frau in einigen spezifischen Situationen vorübergehend übernehmen. Zu einer solchen spezifischen Situation kommt es in den meisten Romanen und Dramen von List. Als Beispiel kann die Königin Nana im Drama König Vannius dienen. Nachdem Nana zur Gemahlin des Vannius wird, erfüllt sie zuerst das traditionelle Frauenideal, sie wartet immer treu zu Hause auf ihren Mann und unterstützt ihn mild. Später aber, wenn er im Krieg ist und sein Reich von einem Aufstand bedroht wird, regiert und richtet sie in seiner Abwesenheit und ihre Untertanen gehorchen ihr, sie verhindert sogar einen Aufstand in Eburodonum (heutiges Brünn−Brno). Am Ende des vierten Aufzugs hält sie eine Rede gegen die Aufständischen, mit der sie ihre Regierungsfähigkeiten beweist:

Nana: „Hier von dem Königsstuhle werden euch die Köpfe vom Rumpf geschlagen und zur Warnung für andere an den Schandsäulen aufgesteckt. Eure entköpften Leiber werden durch die Frohnden in eines jeden Hof geworfen, um unbeerdigt in denselben liegen zu bleiben, bis zur Königs Heimkehr!“ (...) „Marschalk! Es wurde nichts vergessen, das Urtheil ist gesprochen! Hört und schweigt! Recht zu sprechen ist des Richters Pflicht, Gnade aber des Königs hehres Kronenrecht! − Ungeschmälert verbleibe der Verfehmten Gut deren Frauen und Kindern! − Das gebiete ich an Königsstatt!

204 List Guido, Pipara: Vorrede zur zweiten Auflage, zweite Auflage (erste Auflage: 1895), Österr. Verl.−Inst., Wien: 1913, S. XIX−XX. 205 Der Begriff „Einherier“ bezeichnete in der nordischen Mythologie ursprünglich die gefallenen Krieger, die nach germanischem Glauben von den Walküren vom Schlachtfeld zum Heervater Odin nach Walhall geführt werden und dort in einem Kriegerparadies sorgenfrei leben. Bei List werden die Einherier nach einiger Zeit wiedergeboren um ihr Leben auf der Erde zu vollenden. Mit dem Phänomen der Einherier befasste sich vornehmlich Otto Höfler: Kultische Geheimbünde der Germanen. Diesterweg Verlag, Frankfurt am Main: 1934. 206 List, Guido: Wer ist der Starke von Oben?, IN: Balzli, Johannes: Guido von List. Der Wiederentdecker uralter arischer Weisheit. Sein Leben und sein Schaffen, Kittler, Leipzig: 1917. S. 133. 207 Diese Gestalt der Seherin Albruna wird einmalig bei Tacitus genannt. Diese Seherin soll während der Feldzüge des Drusus und Tiberius in der Zeit von 9 v. Chr. bis 14 n. Chr.tätig sein: Spickermann, Wolfgang: Albruna. In: Der Neue Pauly (DNP). Band 1, Metzler, Stuttgart: 1996, Sp. 442.

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Die Stadtsassen: Heil der Königin!“208

Diese und andere hier genannten Abweichungen vom sonst traditionellen Frauenbild kommen vor, wenn der Mann entweder nicht anwesend oder unfähig ist zu handeln. Dazu schreibt Inge Kunz in ihrer Dissertation (Wien: 1961):

„Die seelisch schwierige Aufgabe obliegt immer der Frau. Um den Mann nicht als Schwächling hinzustellen, bringt ihn List in eine von Außen aufgezwungene Lage, in der er von der Hilfe der Frau abhängig ist.“209

In solchen spezifischen Situationen handeln dann die Frauen bei List besonders grausam und schließlich auch selbstzerstörerisch. Als der Ehemann von Pipara, Gallienus, von deren Augen ermordet wird, zieht sie ohne Abzuwarten das Schwert, tötet den Mörder und befiehlt, "den toten Kaiser auf sein Ross zu legen und den erschlagenen Meuchler an den Schwanz seines Rosses zu binden und nach dem Lager zu schleifen."210 Auch hier wird die führende Rolle des Mannes innerhalb der Gesellschaft keinesfalls bezweifelt. Lists Frauendarstellung entspricht völlig dem von den Völkischen allgemein angenommenen Frauenbild.211 Damit wird auch in den Texten von List die These von Julia Zernack bestätigt , dass „die Debatte um das hohe Ansehen der germanischen Frau als ein verspäteter Versuch zu verstehen ist, jenes spezifische soziale Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern, zu retten, das für die bürgerliche Gesellschaft des 19. Jahrhunderts kennzeichnend war.“212Guido List ist dafür geradezu ein ideales Beispiel: er weist zwar die Frau aus dem Feld des Mannes eindeutig aus, aber gleichzeitig betont er ihre Rolle als aktive Beraterin des Mannes, deren Ratschläge der Mann für seinen Erfolg unbedingt braucht. Damit wird sein Versuch verdeutlicht, die Bemühungen der gegen die traditionelle Rollenverteilung kämpfenden Frauenrechtlerinnen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als überflüssig darzustellen. Lists Versuch, die traditionelle Rollenverteilung neu zu definieren, fand bei seinen Nachfolgern so gut wie keine Fortsetzung. Wie erwähnt übernimmt Lists Nachfolger Philipp Stauff diese „versöhnenden“ Thesen nicht. Von der auf Völkischer Rassenideologie basierten Auffassung ausgehend hielt er die Frauenbewegung für antideutsch und ihre Vertreterinnen für „Jüdinnen“.

6.4 Hexendeutungen

Die Abweichungen vom traditionellen Frauenbild bei List können also kaum als Bejahung der damaligen feministischen Forderungen betrachtet werden, List vertrat eine Völkisch konservative, wenn auch gemäßigte, antifeministische Einstellung, die die Teilnahme der Frauen am politischen Leben völlig ablehnte, die Frau war für ihn nach wie vor die Trägerin des ursprünglich Germanischen und konnte somit ihrem Mann bei wichtigen Entscheidungen hilfreich sein. Dieses Frauenbild hängt mit der aktualisierten Darstellung

208 List, Guido, König Vannius, Deutsches Haus, Brünn: 1899, S. 123−4. 209 Kunz, Inge: Herrenmenschentum, Neugermanen und Okkultismus. Eine soziologische Bearbeitung der Schriften von Guido List, unveröffentlichte Dissertation, Universität Wien: 1961, S. 80. 210 List, Guido: Pipara, Band II, Österr. Verl.−Inst., Wien: 1913, S. 189. 211 Das Völkische Musterweib wird im Bismarck-Frauen-Kalender von 1898 in einem von A bis Z aufgezählten Wertekanon treffend beschrieben: „anmutig, bescheiden, charaktervoll, demütig, ehrbar, fleißig, gefühlvoll, häuslich, innig, keusch, liebenswürdig, mitleidig, nachgiebig, ordnungsliebend, pflichtgetreu, Qualen stillend, rasch, sparsam, treu, unermüdlich, verschwiegen, wirtschaftlich, xantippenunähnlich, zuverlässig“ − Das alphabetische Musterweib. In: Bismarck-Frauen-Kalender 3 /1898/, S. 89. 212 Julia Zernack: „Germanin im Hauskleid“. Bemerkungen zu einem Frauenideal deutscher Gelehrter. In: Richard Faber und Susanne Lanwerd (Hrsg.): Kybele – Prophetin – Hexe. Religiöse Frauenbilder und Weiblichkeitskonzeptionen. Königshausen und Neumann, Würzburg: 1997, S. 214.

74 der Frau als einer weisen Priesterin zusammen, mit der er auf die romantische Linie der Hexendeutungen von Jacob Grimm anknüpfte. Wie schon gesagt, aktualisierte und erweiterte List in seinen Frauenfiguren Grimms Thesen. Schon in seinem Vortrag Von der deutschen Wuotanpriesterschaft213, den er in Brno (Brünn) im Jahre 1892 und ein Jahr später im nationalistischen Verein „Deutsche Geschichte“ in Wien hielt, führte er sie weiter, in dem er das Hexentum als Relikt der Wuotansmysterien deutete:

„Ganz im gleichen Verhältnis hielten sich nun schon beiläufig ein Jahrtausend früher Könige und hoher Adel von den alten Wuotansmysterien, dem nachmaligen Hexentume, fern, das nun den Bauern allein verblieb. Es war eben das Christentum in die Mode gekommen.“214

Die Wuotansmysterien wurden seinen „Forschungen“ zufolge in Hexentänze umgewandelt.215 Er berichtet gleichzeitig über die Verrohung dieser Mysterien, die dadurch verursacht worden sei, dass solche edlen Rituale nur in niedrigeren Schichten überleben konnten. Außerdem sei an der „Verstümmelung der Wuotansmysterien“ aber auch das Christentum beteiligt.216Die einschlägige These über den Verfall der alten Weisheiten als Folge der Christianisierung steht im Mittelpunkt der Ideologie von Guido List. Er versuchte ebenfalls spätestens im Jahre 1892, die Hexenprozesse gegen das Christentum zu instrumentalisieren; damit zeichnete er eine starke Tendenz vor, die von Alfred Rosenberg in seinem Buch „Der Mythus des zwanzigsten Jahrhunderts“217und später im so genannten Hexenauftrag vervollkommnet wurde oder werden sollte.218 List behauptete in seinem Vortrag von der deutschen Wuotanpriesterschaft:

„Und darin liegt der ungeheure Irrtum der Hexenprozesse, der innerhalb elf Jahrhunderten etwa neun und eine halbe Million Hexenhinrichtungen verschuldete, daß das christliche Mittelalter das Hexentum vom Standpunkte der Religion als Ketzerei verfolgte, während es rein menschlich war und weder mit dem Christentum noch mit irgend welch anderer Religion etwas gemein hatte.“219

Das Christentum kritisiert er außerdem wegen seiner frauenfeindlichen Tendenz. Den marianischen Kult hält er folgerichtig für „einen Vollzug der vorläufigen Amalgamierung zwischen Deutschtum und Christentum“220. Dem Hexentum widmete sich Guido List auch im 1900 erschienen Artikel mit dem Titel „Das deutsche Hexentum“.221 In diesem Artikel führt List das Hexenwesen auf die Praktiken einer ursprünglich geheim gepflegten weiblichen Priesterschaft zurück, dabei sei aber der Sabbat dominiert durch einen männlichen Leiter, der in der Verkleidung als Wuotan

213 zuerst erschienen in: Das Zwanzigste Jahrhundert, Nr. 4, 1893, S. 119−26, 242−51, 343−52, 441−51, 214 List, Guido: Von der deutschen Wuotanpriesterschaft, Verlag Edition Geheimes Wissen, Graz: 2007, S. 33. 215 Ibidem, S. 26. 216 Ibidem S. 37. 217 Rosenberg, Alfred: Der Mythus des 20. Jahrhunderts. Eine Wertung der seelisch−geistigen Gestaltenkämpfe unserer Zeit, (1930), 2. Aufl., München: Hoheneichenverlag : 1931. 218Mehr dazu in: Leszczynska, Katarzyna. Hexen und Germanen; Das Interesse des Nationalsozialismus an der Geschichte der Hexenverfolgung. Bielefeld : transcript, 2009, Lorenz, Sönke: Himmlers Hexenkartothek. Das Interesse des Nationalsozialismus an der Hexenverfolgung, Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld: 2000. 219 List, Guido: Von der deutschen Wuotanpriesterschaft, Verlag Edition Geheimes Wissen, Graz: 2007, S. 25, Die Zahl von neun einhalb Millionen Hexenopfer stammt von Gottfried Christian Voigt: Über Hexerey, Hexenprozesse und Folter. In: Gemeinnützige Abhandlungen. Leipzig: 1792. Erste Abhandlung, S. 1−167, S. 162−165 – übernommen wurde sie später von Wilhelm Gottlieb Soldan in sein Buch „Geschichte der Hexenprozesse“ (1843, später überarbeitet von Heinrich Seppe − 1879) mehr dazu in: Behringer, Wolfgang: Neun Millionen Hexen. Entstehung, Tradition und Kritik eines populären Mythos. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 49 (1998), S. 664−685. 220 List, Guido: Von der deutschen Wuotanpriesterschaft, Verlag Edition Geheimes Wissen, Graz: 2007, S. 25 221 Das Deutsche Hexentum. In: Der Scherer. Erstes illustriertes Tiroler Witzblatt für Politik, Wissenschaft und Kunst. 2 (1900), S. 5−7.

75 aufgetreten sei, um Christen fernzuhalten.222 Das oben beschriebene Römerbild wird mit dieser These ebenfalls auf den Christen ausgeweitet. Die Frauenrituale bedürfen also eines Mannes als Beschützer, nicht als Teilnehmer, die strikte Rollenverteilung wird eingehalten. Wie in früheren Abhandlungen befasst sich List auch in diesem Artikel mit der Problematik der Hexentänze. Im Hexentanz vermutete er eine ekstatisch−rauschhafte Transzendenzerfahrung − die Einswerdung mit dem Göttlichen:

„Der mythische Sinn der Hexentänze war derselbe, der bei allen ähnlichen Weihehandlungen den letzten Schluß einer esoterischen Geheimlehre bildete, nämlich der, daß der Teilnehmer sich schon im Erdenleben mit der Gottheit vereinige und nach seinem Tode ohne weitere Erläuterung sofort in die Gemeinschaft der seligen Geister aufgenommen werde.“223

Im Anschluss an Lists Thesen hat die Völkische Esoterik in den 1920er Jahren eine Vielzahl entsprechender Spekulationen über das vermeintliche Wissen und die Praktiken der germanischen weisen Frauen und Priesterinnen hervorgebracht. Lists direkter Nachfolger, Philipp Stauff, Präsident der Guido-von-List-Gesellschaft und Mitglied von mehreren Völkischen Vereinen, entwickelte Lists Ideen in seinen „Märchendeutungen“ weiter. Die Hexentänze wurden außerdem als Formen des okkulten „Runenyoga“ praktiziert.224 Wohl am bedeutendsten ist Lists Instrumentalisierung der Hexenprozesse im Rahmen der Kritik an der katholischen Kirche. Die Hexenprozesse wurden nämlich auf gleiche Weise im Rahmen des vom SS−Hexensonderkommando realisierten Hexen-Sonderauftrages instrumentalisiert. Der Zweck dieser neun Jahre dauernden Nachforschungen (1935-1944) war die geschichtliche Begründung der Überlegenheit der germanischen Rasse. Das Material zu den Hexenprozessen wollte Heinrich Himmler im Kampf gegen die Kirche einsetzen. Die Kirche sollte in einem geplanten Prozess demonstrativ als Lenkerin der Verschwörung gegen germanische Frauen, von denen sie in Hexenprozessen angeblich Millionen ermordet hatte, verurteilt werden. Das von achtzehn Experten zusammengestellte Forschungsteam führte Dr. Rudolf Levin. Das Team versammelte an 33 846 Akten über einzelne Hexenprozessopfer aus ganz Europa. Die ursprüngliche Einschätzung der dokumentierten Opfer von 9 500 000, also die gleiche Anzahl, die List im Jahre 1892 im Vortrag „Von der deutschen Wuotanpriesterschaft“ aufgeführt hat,225 erwies sich als höchst übertrieben.226 Im Januar des Jahres 1944 wurde die Forschung auf Befehl von Himmler mit der Begründung eingestellt, dass „nach Levin jetzt andere politisch aktuelle Fragen drängen“. Trotzdem führte Levin im Protektorat Böhmen und Mähren seine Recherchen zum Hexenthema fort.227

222 List, Guido: Das Deutsche Hexenthum, S. 6, zitiert nach: Wiedemann, Felix: Rassenmutter und Rebellin. Hexenbilder in Romantik, Völkischer Bewegung, Neuheidentum und Feminismus. Würzburg 2007, S. 144. 223 Ibidem S. 6f. 224 Kummer A. Siegfried: Heilige Runenmacht. Wiedergeburt des Armanentums durch Runenübungen und Tänze, Hamburg, 1932. 225 siehe Bemerkung 31. 226 Nach neuesten Forschungen soll es sich um 40.000 bis 60.000 Opfer handeln. Siehe: Schwerhoff, Gerd: Vom Alltagsverdacht zur Massenverfolgung. Neuere deutsche Forschungen zum frühneuzeitlichen Hexenwesen. GWU 46, 1995, S. 359-380, hier S. 362 f. 227 Rudolf, Jörg: Geheime-Reichskommando-Sache In: Lorenz,Sönke: Himmlers Hexenkartothek. Das Interesse des Nationalsozialismus an der Hexenverfolgung, Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld: 2000, S. 81.

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7. DER JUDE ALS AUFFRESSER ALLER KULTURVÖLKER −ZUM ANTISEMITISMUS BEI GUIDO LIST

Zwischen der Völkischen und den antisemitistischen Bewegungen an der Wende des 19. und 20. Jahrhunderts ist zweifellos ein enger Zusammenhang festzustellen. Bei einigen Völkischen Denkern, etwa bei Theodor Fritsch, Ludwig Schemann, Paul de Lagarde oder Jörg Lanz von Liebenfels228– um die markantesten Beispiele zu nennen – sind die antisemitischen Topoi allgegenwärtig und bilden einen festen Bestandteil ihrer Weltanschauung. Einige ihrer antisemitischen Thesen wurden später in verschiedenen nationalistischen und okkulten Kreisen rezipiert, umgedeutet, systematisiert und radikalisiert. Bei einem Versuch das Verhältnis zwischen der Völkischen und den antisemitistischen Bewegungen genauer zu beschreiben, tauchen Fragen und Probleme auf, die ohne gründlichere Unterscheidung zu Verwirrungen führen und weitere Forschung komplizieren. Beispielsweise wurde in etlichen Arbeiten229 über den Antisemitismus Völkisch geradezu als Synonym für antisemitisch betrachtet. Dies ist eine unzulässige Vereinfachung, die den Umfang des Begriffes Völkische Bewegung vernebelt. Uwe Puschner, Stefan Breuer oder Werner Bergmann und andere haben gezeigt, welche diversen und auch gegensätzlichen Gruppierungen zu der so genannten Völkischen Bewegung gezählt werden. Ihr gemeinsamer Nenner liegt dabei nicht vorrangig in antisemitischen Thesen, sondern besteht auf der Betonung der eigenen Volkszugehörigkeit und deren Verbindung mit religiösen und rassischen Elementen.230 Eine andere verbreitete These nimmt zeitlich ein Sukzessionsverhältnis an, das die Völkische Bewegung in deutlichem Abstand auf die antisemitische folgen lässt. Historisch gesehen entstanden allerdings die antisemitische und die Völkische Bewegung unabhängig voneinander und entwickelten sich parallel, bevor sie sich seit Ende des 19. Jahrhunderts allmählich näherten, wobei besonders die Begriffe der Nationalkultur und des Volkes als Bindungsglied dienten. Deshalb sind diese zwei Begriffe inhaltlich zu unterscheiden, historisch sollen sie aber in ihrer wechselseitigen Bedingtheit betrachtet werden.231 Das Werk Guido Lists, einer der bedeutenden Persönlichkeiten der Völkischen Bewegung, könnte als gutes Bespiel dieser Annahme angesehen werden. In seinen frühen Völkisch orientierten Texten ist Antisemitismus zwar spürbar, kommt allerdings nur selten explizit zum Ausdruck. Stark thematisiert wird hier die innerliche, unabdingbare Verbindung des Menschen mit seinem Land, Geschichte und der Kultur und Religion seines Stammes. In seinen späteren Werken um 1900, am stärksten aber nach seiner vorübergehenden Erblindung im Jahre 1903, entfacht sich sein Zorn gegen die nicht- arischen Feinde, unter ihnen auch gegen die „jüdischen Parasithen“, in voller Kraft. Zu dieser Radikalisierung trug nicht nur seine „innere Verwandlung“, wie er die Zeit um 1903 beschrieb, sondern auch die Nachfrage seines Völkisch und immer antisemitisch radikaler orientierten Publikums bei.

228 Für umfangreiche Darstellung der antisemitisch orientierten Völkischen Theorien siehe Gräfe, Thomas: Antisemitismus in Deutschland 1815- 1918, Norderstedt (2. Aufl.), 2010, S. 156-168. 229 Ziege, Eva-Maria: Mythische Kohärenz. Diskursanalyse des Völkischen Antisemitismus, UVK, Konstanz: 2002 230 Puschner, Uwe: Handbuch zur Völkischen Bewegung (Vorwort), K.G. Saur, München: 1996. 231 Breuer, Stefan: Von der antisemitischen zur Völkischen Bewegung, in: Aschkenas 15 (2005), S. 499-534.

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7.1 Lists Antisemitismus und die Forschung

Der Ausgangspunkt der meisten völkisch-antisemitischen Topoi ist schon bei den Romantikern zu suchen. Die Völkischen haben romantische antisemitische Thesen232 schlicht übernommen, neu kontextualisiert und weiter verbreitet. Dies gilt selbstverständlich auch für List, der sich selbst als Spätromantiker positionierte. Lists Antisemitismus äußert sich sowohl in seinem literarischen Frühwerk, als auch in seinen späteren Zeitungsartikeln und weltanschaulichen „Forschungsberichten“. Seine Nachfolger, überwiegend Mitglieder der Guido-von-List-Gesellschaft mit ihrem Präsidenten Phillip Stauff, haben Lists Antisemitismus durch regen Austausch mit anderen Völkischen Denkern und Gruppierungen (sei es die Thule Gesellschaft oder der Germanenorden) noch zugespitzt. Einige Forscher versuchten diese Linie bis zum Nationalsozialismus zu verfolgen, was aber am Ende zu voreiligen und unglaubwürdigen Interpretationsversuchen führte, wobei Lists Texte (oder eher vereinzelt ausgewählte Zitate daraus) der im Voraus festgelegten These angepasst wurden. Damit entstand das Bild von Guido List als Vorläufer des Nationalsozialismus, das zwar auch die Leserschaft außerhalb des akademischen Milieus anzog, aber eine möglichst unvoreingenommene Bewertung und Verständnis seiner Weltanschauung und der Rezeption seiner Werke weiterhin erschwerte. Diese Idee popularisierte vor allem Nicholas Goodrick-Clarke in seinem bekannten Buch Die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus.233 Als Beispiel dieser Wurzelsuche betrachte ich die Feststellungen über List im Buch Hitlers Wien von Brigitte Hamman.234Hamann übernahm die von Nicolas Goodrick-Clarke forcierte These über die Parallelen der listschen Weltanschauung und der nationalsozialistischen Ideologie und führte in dieser Richtung ihre Forschungen fort. So verglich sie Lists Thesen mit Hitlers Texten in Mein Kampf und seinen öffentlichen Reden. Folglich fand sie, wie erwartet, Ähnlichkeiten, beispielsweise die These über arische Abstammung von ägyptischen Göttern, Buddha usw. ist bei beiden Autoren zu finden. Es zeigt sich aber sehr problematisch diese Feststellungen als Beweise für Lists Einfluss auf Hitler zu betrachten. Zum einen handelt es sich um im Völkischen Lager allgemein verbreitete Thesen, außerdem werden die festgestellten Übereinstimmungen nur unklar skizziert. Mehrere Autoren versuchten ebenfalls Hitlers Selbstpositionierung anhand von Lists Begriff „des Starken von Oben“ zu erklären, was gänzlich verfehlt ist, denn der Begriff „der Starke von Oben“ bezeichnet in Lists Texten ein Kollektiv, einen Schwarm von wiedergeborenen Seelen, der zurückgekehrten „Einherier“, und (ausdrücklich) nicht einen einzelnen Führer. Es wäre auch verfehlt List als einen der Vorläufer der nationalsozialistischen rassistischen Judenpolitik allgemein zu betrachten. Für ihn gilt das gleiche, was Thomas Gräfe über Lists berühmteren Zeitgenossen Houston Stewart Chamberlain im Buch Antisemitismus in Deutschland 1815-1918: Rezensionen, Forschungsüberblick schreibt:

232 Die Völkischen Antisemiten knüpften in diesem Sinne an die Romantik unvermittelt an. Den Juden wurden in der Romantik alle jene Eigenschaften zugeschrieben, gegenüber denen sich die Romantiker und auch die Völkischen im Rahmen ihrer geistigen Weltanschauung abgrenzen wollten. Dort, wo die Romantik die allzu rationalistisch orientierte Aufklärung kritisierte, weil sie die Welt im Extremfall farblos, übersichtlich und musterhaft erscheinen ließ, wurde den Juden vorgehalten, dass sie bereits einen abgestorbenen, und sterilen Mechanismus repräsentieren. Dort, wo die Romantik die Ursprünglichkeit und Authentizität der deutschen Kultur akzentuiert, wurden Juden als scheinbar germanisiertes Ethnikum angesehen, das aber am deutschen Volk parasitiert und von dessen Schwächen profitiert. Dieses Prinzip der Projizierung und diese Denkmuster haben am Ende des 19. Jahrhunderts zur weiteren Verbreitung des Antisemitismus besonders in höheren sozialen Schichten wesentlich beigetragen. Mehr dazu in: Urválek, Aleš: Dějiny německého a rakouského konzervativního myšlení. Olomouc: Nakladatelství Olomouc, 2009. 233 Goodrick-Clarke, Nicolas: Die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus, L. Stocker Verlag, Graz: 1997 234 Hamann, Brigitte: Hitlers Wien. Lehrjahre eines Diktators, R. Piper, München 1996.

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„Anstatt den Rassenbegriff biologisch oder anthropologisch zu fundieren, verwies Chamberlain auf ein subjektives Rassenbewusstsein, einen instinktiven Rassenstolz, der keines wissenschaftlichen Beweises bedürfe. Die Herstellung von Rassenreinheit war für Chamberlain nicht primär eine Frage biologischer Züchtigung, sondern kultureller Erneuerung. Den Schlüssel dazu erblickte er, ähnlich wie Lagarde, in der Germanisierung des Christentums. So verwendete Chamberlain viel Tinte darauf nachzuweisen, dass Jesus in Wirklichkeit Arier gewesen sei. In seinen späteren Werken Kant (1905) und Goethe (1912) zog Chamberlain gegen die modernen Naturwissenschaften zu Felde und wollte sie durch eine intuitive Völkische Lebensphilosophie ersetzt wissen, nicht zuletzt um seine Rassentheorie von rationalistischen Aufklärungsversuchen abzuschirmen.“235

Wie sich aus einer gründlicheren Erforschung der Texte von List ergibt und wie im Folgenden gezeigt wird, scheint es, dass Lists, Chamberlains und Lagardes Weltanschauungen grundsätzlich verwandt waren, obwohl sie sich später in unterschiedliche Richtungen begeben haben. Auch List hat schon in seinen ersten Texten spätestens Anfang der 80er Jahre des 19. Jahrhunderts über eine tiefe kulturelle Erneuerung des germanischen Menschen gepredigt und am Anfang des 20. Jahrhunderts, als Chamberlain die oben genannten Werke Kant und Goethe veröffentlichte, versucht, den arischen Ursprung der Bibel und der Kaballa nachzuweisen. Außerdem wollte er beweisen, dass Jesus ein Arier war und das Christentum und allgemein die westliche Kultur arische Ursprünge hätte.236 Im Unterschied zu Chamberlain oder Lagarde forderte er aber die gänzliche Abschaffung des „verdorrten Christentums“ und die Erneuerung der von ihm „entdeckten“, urarischen Religion. Sein Antikatholizismus, aus dem sich später sein Antisemitismus entwickelte, war deutlich völkisch-religiös begründet. Der Begriff „Jude“ bezeichnete für ihn folglich nicht primär den rassisch definierten Juden, „Jude“ war für ihn eher jeder Vertreter der modernen, kapitalistischen und vor allem arierfeindlichen Welt. Die allgemeine Tendenz, Lists Einfluss auf Hitler zu überschätzen, überschattet alle anderen Interpretationsmöglichkeiten und kontextuellen Nuancen. Wie in diesem Beitrag gezeigt wird, ist Lists Antisemitismus eine Mischung von zeitgenössischen, oft von den Denkern der Romantik entlehnten Thesen, kombiniert mit seinen „eigenartigen religiösen Visionen“. List verwendete geschickt die aus verschiedenen Quellen entlehnten Ideen und Argumentationsweisen und passte seine Weltanschauung den Erwartungen seiner oft antisemitisch eingestellten Leserschaft und Anhängerschaft an. Die Bemühungen dem eigenen Publikum entgegenzukommen, besonders die Ratschläge seines Anhängers Jörg Lanz von Liebenfels, spielten in seinem Werk im Allgemeinen eine wichtige Rolle, Lists Antisemitismus hat aber tiefere Wurzeln, auf die im Folgenden eingegangen wird.

7.2 Biographische Bemerkungen

Am Ende des 19. Jahrhunderts ist eine starke Welle des Antisemitismus im ganzen Europa festzustellen, die unter anderem mit wesentlichen gesellschaftlichen Veränderungen zusammenhängt. Wie Hannah Arendt in ihrem weltbekannten Buch über die Ursprünge des Totalitarismus zeigte,237 orientierte sich die Position der europäischen Juden ursprünglich an der Position der Aristokraten, die allerdings am Ende des 19. Jahrhunderts immer mehr von verschiedenen Konkurrenzsubjekten, vor allem von den immer mächtigeren Großunternehmern und Repräsentanten der Staatsmacht, bedroht wurde. Arendt behauptet, dass diese reichen Juden die sozialen Veränderungen und damit die Bedrohung eigener Positionen entweder zu spät bemerkten oder gar nicht zur Kenntnis nehmen wollten.238

235 Gräfe, Thomas: Antisemitismus in Deutschland 1815- 1918, Norderstedt (2. Aufl.), 2010, S. 164. 236 List, Guido: Die Armanenschaft der Ario-Germanen, Selbstverlag, Leipzig: 1908, S. 38. 237 Arendt Hannah: The origins of totalitarism, Houghton Mifflin Harcourt, 1973. 238 Ibidem, S. 29.

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Spielten jedoch einige Juden noch am Anfang des 19. Jahrhunderts eine wesentliche politische Rolle als Berater, Investoren und diplomatische Vermittler, haben sie mit der Positionsstärkung des nationalen Staats immer mehr an Wichtigkeit verloren, ihr Reichtum verringerte sich allerdings nicht. Das Judentum wurde, so Arendt, damit allmählich zum Symbol des „leeren“ Reichtums, des Reichtums ohne gesellschaftliche Begründung.239 Diese Veränderungen betrafen wohl nur einen Bruchteil der jüdischen Bevölkerung. Die meisten Juden in Europa waren jahrhundertelang in gesellschaftliche Randposition gedrängt, sie lebten in erster Linie als Kleinhändler und Geldverleiher. Nur sehr wenige von ihnen zählten zum Bürgertum. Dieser Zustand begann sich am Ende des 19. Jahrhunderts mit der aufkommenden jüdischen Emanzipation allmählich zu ändern, die Veränderungen und Zugeständnisse wurden allerdings oft nach einigen Jahren wieder widerrufen worden, so dass die Position der armen Juden sich nur sehr langsam verbesserte. Als Reaktion auf diese Judenemanzipation, die besonders am Ende des 19. Jahrhunderts in manchen Orten zu wesentlichen politische-sozialen Veränderungen führte, fanden hauptsächlich unter den nichtjüdischen Studenten, Lehrlingen, Handlungsgehilfen, Kleinhändlern, Tagelöhnern antisemitische Einstellungen, die sogar zu Gewalttaten die jüdische Bevölkerung führten, immer größere Beliebtheit. Wirkte sich der Aufstieg der staatlichen Macht auf die Bedeutung der reichen Juden als Berater und Diplomaten der Aristokraten negativ aus, brachte die rechtliche Gleichstellung der Juden nach 1870/71 in Preußen für die armen Juden neue ökonomische und politische Chancen. Im Allgemeinen hatte aber der Aufstieg der Staatsmacht die Stärkung und weitere Verbreitung des politischen, modernen Antisemitismus zur Folge. Dies zeigte sich besonders in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, die besonderen Einfluss auf die Situation der unteren und mittleren Klassen hatten. Die gesellschaftliche Veränderungen in den Positionen der Juden, starke ökonomische Schwankungen an der Jahrhundertwende und die damit verbundenen Währungsschwankungen, die die bei den Banken verschuldete mittlere Klasse betrafen, führten letztendlich dazu, dass die frustrierten städtischen Kleinunternehmer und Kleinhändler im Banksystem, in ihren Augen das „jüdische System“, die Ursache ihrer Armut zu finden glaubten. Es ist kein Zufall, dass zu dieser mittleren Klasse auch der Vater von Guido List, ein Lederwarenhändler in Wien, gehörte. Sein Sohn, Guido List, hat sich als junger hoffnungsvoller Dichter und Maler für diese politisch gesellschaftlichen Veränderungen nur wenig interessiert, die gesellschaftliche Position seiner Familie beeinflusste aber seine Weltanschauung nachhaltig. Wie sich nicht nur aus dem Antisemitismusdiskurs sondern auch aus anderen politischen Diskursen im Werk von List ergibt, war für List seine Zugehörigkeit zur mittleren Klasse von Bedeutung.240 Die Krise der mittleren Klasse erlebte Lists Familie auf eigene Haut, denn das Lederwarengeschäft ging nach dem Tode des Vaters zugrunde. In der Welt von Guido List entfalteten sich die mittelständischen Ängste und Frustrationen in einen grundsätzlichen Antimodernismus, der antisemitischen Thesen offen

239 Arendt Hannah: The origins of totalitarism, Houghton Mifflin Harcourt, 1973, S. 53. 240 In seinem ersten Roman Carnuntum aus dem Jahre 1888 finden wir für List typische politische Erklärungen, die als Prophezeiungen der viel späteren und tieferen ökonomischen Probleme der mittleren Klasse in der Weimarer Republik klingen, wie zum Beispiel folgendes Zitat zeigt: „Wenn in einem Staate die eigentliche Basis des Nationalwohlstandes, die besitzende Mittelklasse, verarmt und mählig verschwindet, dafür aber einzelne Überreiche aus der Gesamtsumme des Volkes emporsteigen, wenn dem ungesunden Reichtum dieser Einzelnen ein ausgeplündertes Proletariat die Waage halten soll, dann tritt im Leben eines solchen Volkes eine jener Krisen ein, welche zu dessen Regeneration führt, sofern es noch Lebenskraft besitzt, oder es völlig vernichtet, wenn es diese bereits verprasst haben sollte. Carnuntum, wie überhaupt der ganze römische Koloss, befand sich in diesem Stadium vor der Krisis."List, Guido: Carnuntum, Historischer Roman. Grote, Berlin: 1888, Teil I, S. 95.

80 war. Im Kern seiner antisemitischen Angriffe stand folglich das Motiv des habgierigen jüdischen Bankiers, der mit seinem Geld die Welt zuungunsten der hartarbeitenden Ariervölker regelt und an ihrer schöpferischen Kraft „parasitiert“241. Auch das zweite häufige antisemitische Motiv, das Motiv des ewig wandernden Juden ohne Wurzeln, kann biographisch motiviert sein. Für den jungen Dichter Guido List, der am liebsten in der südmährischen Landschaft wanderte und in jedem Naturphänomen einen Beweis germanischer Besiedlung zu finden glaubte, in Hügeln und Höhlen sogar eine mystische okkulte Energie der germanischen Priester und Priesterinnen zu spüren glaubte, repräsentiert der bodenlose Jude, der „nomadenhafte Ahasverus“, das genaue Gegenbild des mit seinem Boden essenziel verbundenen Ariers. Aufgrund eigener Erfahrungen und Einstellungen konnte sich List später sehr gut mit den (früh)romantischen nationalistischen und antisemitischen Ideen, wie diese schon anfangs des 19. Jahrhundert entwickelt wurden, identifizieren− Er übernahm sie und fand damit eine fruchtbare Erweiterung für seine Thesen. Das romantische Judenbild Arnims oder Brentanos entsprach genau dem Vorbild der armanenfeindlichen Figuren in Lists frühen literarischen Werken. Auch mit der romantischen Kritik der Rationalität und Listigkeit (der Juden), die die Welt entzaubert und dem Leben Vitalität entzieht242, konnte sich List gut identifizieren. Mit fast denselben Worten kritisierte er in seinen ersten Vorträgen und Aufsätzen das Christentum, das den ursprünglich reinen und lebensfrohen Wuotanismus in verdorrte Dogmen umgewandelt und „ausgeraubt“ hätte. Die romantischen antisemitischen Thesen wurden von List kritiklos als Ganzes übernommen und einzelne Aspekte wurden anschließend aktualisiert – für sein Publikum anschaulich gemacht. Wie im weiteren zu sehen ist, integriert List diese romantischen Vorstellungen des romantischen Antisemitismus zuerst in kolportageartigen Erzählweisen und später kombiniert er sie in politisch−ökonomischen Aktualisierungen mit rassisch religiösen Vorstellungen.

7.3 Literarische sadomasochistische Phantasien

Allgemein gesehen nehmen antisemitische Äußerungen und Bilder eine recht marginale Stellung in Lists umfangreichem Werk ein. In seinem frühen Werk werden antisemitische Thesen nur selten thematisiert, in späteren Werken, besonders nach 1910 nehmen seine Angriffe auf die Juden immer mehr zu. Die beiden einzigen literarischen Judengestalten kommen in seinem ersten Roman Carnuntum (1888) vor. Sie werden als Mustervertreter des nomadenhaften und parasitierenden Juden präsentiert. Der jüdische Straßenhändler Mardochan entführt Menschen, meistens kleine germanische Mädchen, um sie als Sklavinnen zu verkaufen. Sein Sohn erlebt eine dramatische Identitätsentwicklung: zuerst tritt er als vermeintlich griechischer Philosoph Aristippos, ein Vertreter des leeren, verknöcherten Philosophierens, auf. Um diesen Philosophen besonders abstoßend darzustellen, lässt ihn List voll betrunken herumtaumeln, indem er versucht Sklavinnen zu vergewaltigen. Dieser wird später vom germanischen Haupthelden dieses Romans Erschantaug in einem Baum festgehalten, um dann unter dem Spottnamen „Haso“ als Sklave in den germanischen unterirdischen Tempeln

241 „So fraßen sich die Juden im israelitischen Volk ein und fraßen es völlig auf, indem sie es proletarisierten, sich als dessen Herren aufspielten und sich selbst nunmehr – tout comme chez nous – Israeliten nannten. Sie übertrugen die Heldengeschichte dieses Volks auf sich selbst und usurpierten für sich die altarische Heldenpoesie der Israeliten, welche von den Rabbis im jüdischen Sinn redigiert wurde und zu jenem Zerrbild entartete, wie sich deren Reste in der Bibel noch erkennen lassen.“ Jerusalem als Hypothekenbank des cäsarischen Rom., zitiert nach: Die Armanenschaft der Ario-Germanen, Selbstverlag, Leipzig: 1908, S. 182. 242 Puschner, Marco: Antisemitismus im Kontext der politischen Romantik. Konstruktion des „Deutschen“ und des „Jüdischen“ bei Arnim, Brentano und Saul Ascher. Niemeiyer, Tübingen: 2008, S. 178.

81 zu dienen. Letztendlich wird er zum Mörder seines eigenen Vaters Mardochan, der als Entführer der germanischen Königstochter, Gisa, erkannt wird. Diese Szene wird entsprechend pathetisch dargestellt: "Mardochan, Mardochan! Du Schandfleck Judas, du Leviathan! − Stirb von der Hand deines Sohnes, den Dein Geiz um Glück, um Jugend, um Leben betrog!"243Nach dieser Exekution, nach dem Vatermord, wird Mardochans Körper an vier Pfählen an der Straße aufgespießt. Diese gewaltsamen antisemitischen Phantasien in Carnuntum bleiben vereinzelt und werden in Lists Werken nie wieder aufgegriffen, in weiteren Romanen begegnen seine Leser keiner jüdischen Gestalt mehr. Während jüdische Gestalten in Lists Romanen sehr selten vorkommen, sind allerdings die brutalen Phantasien für Lists literarisches Werk charakteristisch. Neben den Juden in Carnuntum werden Römer (Carnuntum, Pipara), Christen (Jung Diether´s Heimkehr) oder auch „innere Feinde unter den Germanen“ (König Vannius) zu Objekten dieser Phantasien. Strukturell gesehen erfüllen diese Gruppen in seinen Werken dieselbe Funktion und tragen dieselben Charakteristiken. Es sind meistens geschwätzige, schwache, teilweise auch alkoholabhängige, feige Figuren – echte Gegenfiguren der biederen, braven und wortkargen Germanen. Aufgrund dieser Positionierung ist festzustellen, dass die Juden in seinem literarischen Werk keine besondere Position einnehmen, es sind vor allem Handlungsrollen. In keinem der literarischen Texte von List wird sein Antisemitismus umfassend thematisiert.

7.4 Antisemitische Weltanschauungsliteratur − Forderungen nach einer Revision der Verhältnisse

Während im literarischen Werk Lists die antisemitischen Thesen nur recht vereinzelt zum Ausdruck kommen, kommt sein Antisemitismus in verschiedenen Zeitungsartikeln viel deutlicher zur Geltung. Im Jahre 1893 ist Lists später vielmals nachgedruckter Aufsatz „Die Juden als Staat und Nation“ in der Ostdeutschen Rundschau erschienen.244 In diesem Aufsatz plädiert List für einen Ausschluss der Juden aus dem Staatsdienst und aus dem öffentlichen Leben.245 Er übernimmt dabei eine durchaus bizarre Argumentation aus der Schrift „Die undeutsche Literatur der Gegenwart, ein Wort an die Modernen durch einen Provinzler“246, in der behauptet wird, dass der Zionismus selbst xenophob ist und dass die Juden über Jahrhunderte eine streng geschlossene, auf Rasse und Religion begründete Sondergruppe darstellten. Die Forderung nach dem Ausschluss der Juden aus dem öffentlichen Leben sei deshalb völlig legitim, denn sie selbst hätten diese Idee ihrer rassischen und religiösen Sonderstellung entwickelt. Weil dieses Buch in den öffentlichen wissenschaftlichen Bibliotheken gegenwärtig als verschollen gilt, führe ich die von List zitierte Stelle an:

„Die heutigen Juden – die armen Schelme! man weiß ja, warum! – sind geborene Internationale und von vornherein natürlich „entschiedene Gegner“ jedes Versuches, die Kultur auf nationalen Boden zu stellen. Diese internationalen Nomaden hatten nun aber auch einst ein Land, und da waren sie ein so niederträchtig n

243 Carnuntum, Historischer Roman. Grote, Berlin: 1888, II. Teil, S. 193. 244 Die Juden als Staat und Nation, Ostdeutsche Rundschau, 1893, IN: Die Armanenschaft der Ario-Germanen, Selbstverlag, Leipzig: 1908, S. 184−189. 245 Diese Forderung war am Ende des 19. Jahrhunderts nicht neu. Beispielsweise wurden schon anfangs des 19. Jahrhundert die Juden in Preußen aus den öffentlichen Funktionen, einschließlich der akademischen und Schulämtern (Dekret aus dem Jahre 1812), ausgeschlossen. Siehe: Hamburger, Ernest: Juden im öffentlichen Leben Deutschlands: Regierungsmitglieder, Beamte und Parlamentarier in der monarchistischen Zeit 1848−1918, J. C. B. Mohr, Tübingen: 1968, S. 12-13. 246 Die undeutsche Literatur der Gegenwart, 1893, Lüstenoder Berlin, S. 42, Angabe nach: Die Armanenschaft der Ario-Germanen, Selbstverlag, Leipzig: 1908, S. 185.

82 a t i o n a l e s Volk, wie selten ein auf diesem Planeten wuchs. Und gerade diese schroffe Wahrung ihrer Eigenart, die ihnen von ihren Propheten immer wieder aufgefrischt wurde, bedingte ihre Entwicklung und Größe. Alle Nichtjuden waren ihnen von vornherein und kritiklos Gojim; sie wissen nicht Ausdrücke genug, sich selbst als das auserwählte Volk zu rühmen. Es war schroff, aber für die Entwicklung des kleinen Volkes inmitten der vielen Feinde vorteilhaft. Was donnerten ihre Propheten wider den Abfall vom nationalen Jehovah und die lässige Vermischung mit Heiden! Und jeder national−religiösen Volkserhebung ging ein Zertrümmern der fremden Götzen voraus. Denn die jüdische Religion ist, wie der Mohamedanismus untrennbar mit dem Volkskörper verwachsen: ein bloßer Konfessions- oder Religionsgesetz zum Judentum geht daher dem trennenden Moment zwischen ihnen und uns lange nicht auf den Grund. Rasse und Religionsform hängen eng zusammen. Ihre Propheten waren nicht bloß Priester, sie waren religiöse, nationale, politische, kulturelle Volkserzieher.“247

Eben diese jüdische „rassistische“ Strategie soll nach List die Größe und den altertümlichen Ruhm des jüdischen Volkes begründet haben. Er entwickelt diese Argumentation weiter, indem er die Bibel nach rassistischen Schemen interpretiert und feststellt, dass die beschnittenen „Neujuden“ dem geborenen Juden nie gleichgesetzt werden konnten, und deshalb „Fremdlinge der Gerechtigkeit“ genannt werden sollten und zwar noch mehrere Generationen nach ihrer Beschneidung. Er nennt die Maßnahmen, die die Erhaltung der Rassenreinheit des jüdischen Volkes zum Zwecke hatten: Maßnahmen gegen Mischehen, Maßnahmen gegen „internationale Wandervögel und Glücksritter“248 usw. List tritt als ein überzeugter Gegner der Assimilierung der Juden auf, war andererseits von den Judenvernichtungsforderungen weit entfernt. Er konnte sich sogar vorstellen, dass es einmal irgendwo einen Judenstaat geben könnte. Geschickt spielt er mit den oben aufgeführten Thesen und stellt schließlich den Arier in die Position eines vom künftigen jüdischen Staat benachteiligten Außenseiters. Der Arier sollte sich deshalb, so List, von dieser Position aus wehren können:

„Sollten nun die Träume und Anstrebungen der Zionisten sich jemals verwirklichen, so werden zweifellos auch in dem neuen Königreiche Judäa die noch heute geltenden Gesetze zur Geltung kommen, welche in schroffer Form alles Nichtjüdische aus Staats− und Nationaldienst ausschließen. Man kann davon völlig überzeugt sein, dass es im künftigen Staate Judäa keine nichtjüdischen Ober−, Unter− oder sonstigen Bezirksärzte (...) keine nichtjüdischen Offiziere geben wird. (...) Sollten wir daraus keine Schlüsse ziehen dürfen?"249

Es ist typisch für List, dass er die Deutschen durch rhetorische Wendungen als Opfer der feindlichen (nicht nur jüdischen) Mächte darstellt und aus dieser Position zum Kampf trommelt. Er weist auf die Jahrhunderte der arischen Unterdrückung durch die Römer, später die Christen und neulich durch das „artfremde“ kapitalistische und demokratische System hin und fordert eine nationale Revision. Es ist wohl verständlich, dass er mit seinen Thesen während des Ersten Weltkrieges viele neue Vertreter, hauptsächlich die Soldaten, fand, denn seine Schwärmereien konnten dem sinnlosen Kämpfen wieder einen – wie man glaubte – tieferen Sinn verleihen.

7.5 Lists Antisemitismus und seine anderen Antiismen

Im Allgemeinen zählt Lists Antisemitismus zu seinem Antikapitalismus, Antiklerikalismus, Antidemokratismus und zu seinen ablehnenden Reaktionen auf das liberale Österreich und nimmt somit keine besondere Stellung in seiner „Weltanschauung“ ein, sondern hat eine argumentative Funktion − Lists Antisemitismus ist primär kulturell, erst dann biologisch, nicht essenziel und nicht persönlich, sondern aufgrund Lists eigener politischer und

247 zitiert nach List, Guido: Die Armanenschaft der Ario-Germanen, Selbstverlag, Leipzig: 1908, S. 185 248 Ibidem, S. 188. 249 Ibidem, S. 189.

83 kultureller Positionierung definiert. Bei List wird folglich der Begriff des Juden sehr vage verwendet, als ob er allgemein die Gegner des rein Arischen bezeichnen sollte, also die Modernisten, Kapitalisten, Demokraten, Bankier usw. Eine solche gedankliche Konstruktion war unter den Völkischen keine Ausnahme, die „Semitisierung“ verstanden auch andere Völkische Denker eher als Folge zivilisatorischer Degeneration und erst an zweiter Stelle als Resultat von Rassenmischung.250 Folglich sind in den späteren Texten Lists die Forderungen nach der Rassenreinheit immer häufiger zu finden. Im Rahmen des Diskurses der jüdischen Assimilierung, war List ein Gegner der Assimilierung jeglicher anderer fremder Elemente, seien es Juden oder aber Slaven und andere „Völkerrassen“. In diesem Sinne ist seine Kritik der Ideen von Rudolf Steiner, des entschiedenen Befürworters der jüdischen Assimilierung zu verstehen – List bezeichnete Steiner mit dem Spottnamen „jüdischer Prophet“. In den letzten Jahren verbreitete sich eine Diskussion über den Antisemitismus Steiners und einige Forscher glauben in seinem Werk antisemitische Elemente gefunden zu haben.251 Steiners Antisemitismus war im Jahre 2007 sogar Gegenstand einer zivilen Klage gegen den Rudolf Steiner Verlag.252 Im Rahmen dieses Diskurses sind die Bemerkungen Lists über Steiner wichtig, denn sie zeigen, dass Steiner zu seiner Zeit zumindest von List und seinen Anhängern als Vertreter der Gegenpartei, also als „Prophet der Juden“, rezipiert wurde. Genau zehn Jahre nach dem Erscheinen des oben genannten Artikels ist der zweite antisemitisch orientierte Artikel Lists mit dem Titel Jerusalem die Hypothekenbank des cäsarischen Roms erschienen. Diesmal ging es um eine historische Analyse, die die tausendjährige Ausbeutung der arischen Rassen durch jüdische Banken veranschaulichen sollte.253 Die Juden werden als „Auffresser“ jeglicher Kultur, Kunst und Geschichte bezeichnet. Unterschieden wird zwischen den Hebräern, einer niedrigen unkulturellen Rasse, die überwiegend von der Fischerei lebte, und den Israeliten, der aus den Ariern und Turanen entstandenen Rasse, die aber von dem listigen Stamm, namens Juda, der von der Wucherei lebte, „aufgefressen wurde“.254 Die Rasse Juda hat somit die Position der früher kulturellen und hochentwickelten Israeliten auf eine tückische Weise eingenommen haben. So würde Juda zum Israeliten und Jerusalem soll als „antike Kreditanstalt für Handel und Verkehr des Welthandels und der Weltpolitik jener fernen Tage“ aufblühen. Der Jude wird hier als „Auffresser“ jeglicher Kultur bezeichnet und damit, wie sich ebenfalls aus dem oben

250 Gräfe, Thomas: Antisemitismus in Deutschland 1815- 1918, Norderstedt (2. Aufl.), 2010, S. 165. 251 Grandt, Guido und Michael: Schwarzbuch Anthroposophie. Rudolf Steiners okkult-rassistische Weltanschauung, Wien 1997; Christian Schüller/ Petrus van der Lett: Rasse Mensch. Jeder Mensch ein Mischling, Aschaffenburg 1999, S. 112-160;Volkmar Wölk: Natur und Mythos, Duisburg 1992 sowie vor allem Peter Bierl: Wurzelrassen, Erzengel und Volksgeister. Die Anthroposophie Rudolf Steiners und die Waldorfpädagogik, Hamburg 2005 (2. Aufl.). 252 Im Jahre 2007 stellten sogar die Aktion "Kinder des Holocaust" und der Anthroposophie−Kritiker Michael Grandt Strafanzeigen gegen den Rudolf Steiner Verlag in Dornach wegen der Steiner-Anthologie "Gesammelte Aufsätze zur Literatur 1884−1902", die im dringenden Verdacht stand, antisemitische Passagen zu enthalten − und damit gegen die schweizerische Anti-Rassismus-Bestimmung zu verstoßen. 253 List, Guido: Jerusalem die Hypothekenbank des cäsarischen Roms, In: Deutsches Wochenblatt, 15 Jg., Nr. 2089, 7.3. Wien. 254 Diese Behauptungen gehen auf das Geschichtsbuch von Wilhelm Obermüller zurück. Obermüller, Wilhelm: Die Entstehung der Hebräer, Juden wie Israeliten, des Christenthums und des Islam : nach egyptischen, griechischen, assyrisch-babylonischen, hebräischen und arabischen Quellen historisch-ethnologisch dargestellt, Wien: 1884, Über Wilhelm Obermüller: Keltenforscher und Journalist, aus Karlsruhe kommend, zog 1865 aus Kassel nach Leipzig, 1870 nach Wien, neben dem oben genannten Werk auch: Deutsch-keltisches geschichtlich-geographisches Wörterbuch zur Erklärung der Fluss-, Berg-, Orts-, Gau-, Völker-, und Personen-Namen Europas, West-Asiens und Nord-Afrikas im Allgemeinen, wie insbesondere Deutschlands, nebst den daraus sich ergebenden Folgerungen für die Urgeschichte der Menschheit, Leipzig: 1868 (Band I) und 1872 (Band II).

84 aufgeführten ergibt, wird er wiederum zuerst kulturell, bzw. sozial−politisch, erst an zweiter Stelle rassisch definiert.255 Die Macht der Juda soll einzig darin bestehen, Rom als Schuldner verpflichtet zu haben, und so sollen sie über Jahrhunderte das Weltgeschehen gelenkt haben: „lange zuvor in Alexandrien und Byzanz in voller Sicherheit und lustig hypothekisieren sie seitdem weiter, bis − ja, bis? −?−"256 Am Ende kommt wieder eine rhetorische Frage, die wiederum die Revision der Verhältnisse fordert. Es ist bemerkenswert, in welchem Maße Lists Theorien den populären so genannten Verschwörungstheorien ähneln, die ebenfalls wie List hinter den politischen Kulissen einen geheimen Lenker suchen. Auch diese Lenker werden ähnlich identifiziert: es handelt sich wie so oft um die Juden (Israel), Bankier oder Geheimbunde von steinreichen Einzelnen. Grundsätzlich sind die Texte Lists im Kontext der damaligen Völkisch und antisemitisch orientierten Textproduktion als moderat zu bezeichnen. Er versuchte den Antisemitismus wissenschaftlich zu begründen und seine Argumentation auf historischen Quellen zu stützen. Damit kam er aber besonders bei den Konservativen und bei sozial besser positioniertem Publikum gut an, für die die antisemitischen Thesen im scheinbar historisch belegten Gewand mehr akzeptabel wären und ihrem intellektuellen Niveau entsprächen. Lists antisemitische Forderungen im Sinne der konsequenten Trennung von Semiten und Nicht-Semiten und Ausschluss der Semiten aus öffentlichen Funktionen, möglicherweise auch von finanziellen Machtpositionen wird somit in seinen Texten durch historiographische (und damit auch unwiderlegbare) Befunde legitimiert. Diese Argumentationsstrategie basiert auf der Annahme, dass allein der historische Beleg die auch so radikale Forderung legitimieren kann – es ist nicht zu übersehen, dass die Konservativen und Xenophoben dieselbe Argumentationsstrategie auch in heutigen Tagen mit viel Erfolg verwenden. In Lists Texten vor 1900 wurde der Antisemitismus im Allgemeinen eher selten thematisiert, es wurden allerdings feste Grundlagen für Lists weitere Entwicklung gelegt. Die Feindvorbilder wurden definiert, es genügte in die Position des Feindes eine andere Zielgruppe zu stellen. Im Weiteren zeige ich, wie schnell sich Lists Antisemitismus radikalisierte um später als einer der führenden antisemitischen Forscher rezipiert zu werden.

7.6 Theosophische Einflüsse und weitere Radikalisierung nach 1900

Die bisher erwähnten wenigen antisemitischen Texte und Bemerkungen Lists zeugen davon, dass der Antisemitismus in der listschen Weltanschauung keine besondere Stellung einnahm, sondern neben seinem Antisozialismus, Antidemokratismus, Antikapitalismus steht, die in seinen Texten viel intensiver zum Ausdruck kommen. Die Juden bilden für List nur einen Teil der Verschwörung, die er in seinem konspirativen Eifer gemeinsam als Die große Partei (Freimaurer, jüdische Bankiers, Sozialisten, Bolschewiken usw.)bezeichnet, die die Welt mit dem Zweck regiert und das Arische seit Jahrhunderten unterdrückt. Diese Überzeugung kombinierte List weiter mit der ihm von Max Ferdinand Sebald von Werth

255 „Es geschehe, daß der Jude als „Wiener“, „Österreicher“, „Deutscher“, usw. gelte, wie er heute als Israelite gilt, das heißt, daß er nicht diese Länder auffange, diese Völker auffresse, sich deren Boden, Geschichte, Kunst und Literatur aneigne, wie er es vor etwa zweitausend Jahren den Israeliten getan hatte“ – List, Guido: Die Armanenschaft der Ario-Germanen, Selbstverlag, Leipzig: 1908, S. 178. 256 Ibidem S. 184.

85 vermittelten theosophischen Lehre von Helena Petrowna Blavatsky, deren Werk Die Geheimlehre er nach 1903 immer häufiger zitierte. In der aus der Theosophie und List arteigener Religion entstandenen Weltanschauung spielten die Juden die Rolle einer protohumanen Rasse, einer Kultur, die dem Aufschwung der höheren armanischen Kultur im Wege steht und an ihr nur parasitiert (folglich wollte er beweisen, dass der Judaismus und vor allem Kaballa falsch interpretierte arische Elemente beinhalten). Lists Plan, die schädlichen Folgen der Semitisierung in allen Bereichen und in großen Werken der Weltliteratur zu identifizieren und sie von ihnen zu reinigen, wurde wegen seines frühen Todes im Jahre 1919 nicht realisiert. Bei der Radikalisierung von Lists Weltanschauung nach 1903 ist klarer Einfluss von Jörg Lanz von Liebenfels festzustellen. Lists ließ sich von ihm unter anderem deshalb inspirieren, weil ihm Liebenfels helfen wollte, seine Botschaft breiterem Völkischem Publikum zugänglicher zu machen. Die Thesen über radikalen Ausschluss der Juden aus dem öffentlichen Leben waren im Völkischen Lager ziemlich populär, die Mitglieder der Guido List Gesellschaft waren oft parallel Mitglieder radikaler antisemitischer Vereine. Lists „kultureller Antisemitismus“ wirkte in dieser Situation veraltet, kompliziert und unverständlich. Nachdem Jahr 1903 versucht deshalb List seine Thesen zu aktualisieren und dabei ist die Rolle seines Freunds und Anhängers Jörg Lanz von Liebenfels nicht zu übersehen. Die „Gelbe Gefahr“ nimmt in Lists Werken immer mehr Platz ein. Das markanteste Beispiel ist der Anfang des II. Bandes des hier öfters zitierten Buches Die Armanenschaft der Ario-Germanen aus dem Jahr 1912. Der Anfang des II. Bandes ist fast eine Kollage vieler Zitate aus mehreren Quellen. Nach der Einleitung übernimmt List auf sechs Seiten einen radikal antisemitischen Artikel aus dem Grazer Wochenblatt (19. und 26. Februar 1911), zitiert den Antisemiten Paul de Lagarde, Jörg Lanz Liebenfels „Ostara- Hefte“, Max Seilings Aufsatz („Das Professorentum, der Stolz der Nation?“, Leipzig, O. Mutze) u.a. Der zweite Teil dieses Bandes beginnt mit einer „hochbedeutsamen Anleihe“ aus dem Buch „Das Buch der Manu“ von Jörg Lanz Liebenfels im Verlag „Ostara“ (Nr. 22). Es wird deutlich, dass hier List diese radikal antisemitischen Thesen aus diesen Texten zu eigenen Theorien hinzufügen versucht, ohne sie in sein früher so sorgfältig aufgebautes Weltanschauungssystem wirklich zu integrieren. Ein zweites Merkmal der späteren Texte von List ist ein neuer Stil, dank dem der geschriebene Text mit der steigenden Radikalisierung der Aussagen mehr und mehr als ein gesprochener Vortrag wirkt, wie dieses Zitat zeigt:

„Der neue, unedle, nichtarische, meist deutschfeindliche Großgrundbesitzer, der den adeligen Erbherrn aus dessen Besitz verdrängte, wirtschaftet dagegen als Feind des Landes und Volkes mit dem erwucherten Wald, den er aus Geldgier vernichtet und seinen Wuchergelusten geopfert, wodurch er das Land zur Wüste macht"257 […] "Und dieses erträumte Ziel, dieser ersehnte Zukunftsstaat jener Großen Einen Partei, jener fluchbeladenen Großen Internationalen ist das Ungeteilte und Unteilbare Einige Weltreich, ist die Eine Herde mit dem Einen Hirten, ist das Reich des Goldenen Kalbes, das hochgelobte Zukunftsreich des Großen, Goldenen, Unbegrenzten Wuchers!"258

Der Begriff der Internationalen Partei wird hier zum Schlüsselbegriff, die Verschwörung der Juden, Jesuiten, Sozialisten, Klerikalismus, Liberalismus und Plutokratie zur unmittelbaren Gefahr für das deutsche Volk. Nicht ganz mühelos versucht List an dieser Stelle seinen alten Gedanken über die Neigung der Deutschen zur Monarchie durchzusetzen. In der Monarchie sieht er die eigentliche Rettung, denn es

257 List, Guido: Die Armanenschaft der Ario-Germanen, Selbstverlag, Wien/Leipzig: 1911, S. 46. 258 Ibidem, S. 48.

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„sei vorerst es ganz bestimmt betont, dass durch ganz Deutschland und das deutsche Österreich das Volk, selbst nicht im Freudentaumel des jungen Freiheitsrausches, nirgends sich feindlich seinem jeweiligen Regentenhaus oder dessen betreffenden Kronenträger gegenüber benahm, sich ohne Ausnahme königstreu erwies."259

An solchen Stellen, wo List doch seine konservative (und elitäre) Weltanschauung mit den radikalen Forderungen anderer Völkischen und seiner Anhänger in eine große umfangreiche Theorie zu verbinden versucht, wird deutlich, dass diese Bemühungen immer mehr Schwierigkeiten und unlösbare Widersprüche mit sich brachten. Solche Widersprüche enthüllten das Bedürfnis einer Revision von Lists Weltanschauung, um die sich nach Lists Tod vor allem sein treuer Anhänger und überzeugter Antisemit Philipp Stauff bemühte. Der Antisemitismus Stauffs spiegelte sich in seinen Interpretationen des Werkes seines großen Meisters und trug dazu, dass Guido List zum Inbegriff eines Antisemiten wurde, bei. Selbst Philipp Stauff, ein angesehener Völkischer Forscher, hatte allerdings vielmals Schwierigkeiten die führenden Persönlichkeiten der Völkischen Bewegung, etwa Ernst Wachler oder Adolf Bartels, über die Qualitäten „seines Lists“ zu überzeugen.260 Wie in diesem Kapitel gezeigt wird, war List, obwohl er heute als führender Vertreter des Völkischen Antisemitismus gilt, sicherlich kein radikaler Judenhasser. Die radikal Völkischen antisemitischen Topoi, wie die Judenversklavung oder die Judenvernichtung, werden in seinen Texten nicht erwähnt, die Forderungen nach dem Ausschluss der Juden aus dem öffentlichen Leben durch seine Mitarbeit mit jüdischen Künstlern relativiert.261 Er konnte sich sogar die Entstehung des jüdischen Staates vorstellen. Die Juden selbst spielten in seiner Weltanschauung tatsächlich eine partielle Rolle und seine antisemitischen Äußerungen richten sich meistens gegen eine nicht einfach identifizierbare Gruppe, Die große Partei. Das Wort „Jude“ bezeichnet in seinen Texten nicht mehr den Menschen jüdischer Rasse, sondern vor allem den Feind des Ariertums, der der arischen Wiedergeburt im Weg steht. Der Jude gehört zusammen mit den Kapitalisten, Bolschewiken, Demokraten, Plurallisten, Modernisten, Christen und Kosmopoliten zur großen Partei, die die Welt zuungunsten aller ordentlichen Germanen regiert und diese ausbeutet. Besonders Lists früher Antisemitismus erinnert damit an modernen Antisemitismus, wie er sich zwischen den Weltkriegen unter den Intellektuellen in ganz Europa verbreitet hatte, den im Wesentlichen antikapitalistischen und antidemokratischen Antisemitismus. In vielen Zügen entsprechen diese Einstellungen den Thesen der konservativen Antisemiten, die im Unterschied zu den liberalen Antisemiten das liberale Judentum mit allen als bedrohlich empfundenen Entwicklungen der Moderne wie Säkularisierung, Kapitalismus, Sozialismus, Materialismus, Verstädterung usw. identifizierten. Doch aufgrund der Visionen der Widerherstellung der ursprünglich arischen Gesellschaftsordnung, Religion und Lebensauffassung, die den Menschen zum Leben in neuen unerkannten Dimensionen verhelfen soll, kann er nicht nur einfach als Konservativer beschrieben werden. Mit diesen Visionen reiht er sich neben solche eigenartige Persönlichkeiten wie Jörg Lanz von Liebenfels oder Paul de Lagarde, die „eigenartigen Propheten“ ein.

259 List, Guido: Die Armanenschaft der Ario-Germanen, Selbstverlag, Wien/Leipzig: 1911, S. 57. 260 siehe vor allem: Hufenreuter, Gregor: Philipp Stauff. Ideologe, Agitator und Organisator im Völkischen Netzwerk des Wilhelminischen Kaiserreichs. Zur Geschichte des Deutschvölkischen Schriftstellerverbandes, des Germanen-Ordens und der Guido-von-List-Gesellschaft. Frankfurt am Main 2011. S. 163−191. 261 Beispielsweise hat er in den 90. Jahren des 19. Jahrhunderts bei der Edition des Deutschen Hauses in Brünn (ein sehr enger Kreis von Autoren)mitgewirkt, die unter Anderem das Buch Eine Mährische Gräfin des jüdischen Schriftstellers Hieronymus Lorm, mit dem bürgerlichen Namen Heinrich Landesmann, herausgab. Lists Antisemitismus realisierte sich vor allem in seinen Texten, wo er eine gewisse Funktion erfüllte, in der Realität hinderte er ihn allerdings nicht mit Autoren jüdischer Herkunft Kontakte zu unterhalten.

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Während in den frühen Texten von List die antisemitischen Thesen nur am Rande stehen, rücken sie nach 1900 immer mehr in den Vordergrund. Dies hängt einerseits mit der allgemeinen Radikalisierung des Völkischen Publikums und zweitens mit dem wachsenden Einfluss von Jörg Lanz von Liebenfels auf List zusammen. Wird in den frühen Texten (1870-1890) von List als Hauptfeind des Ariertums das Christentum präsentiert, rückt später an diese Stelle die so genannte große Partei, an deren Spitze die Juden und Jesuiten stehen. Damit meldet sich List unter anderem zur bis heute starken Linie der antisemitischen Verschwörungstheorien262, die an der Wende der Jahrhunderte großen Aufschwung erlebte. Aus diesem Gesichtspunkt gesehen könnte Lists Antisemitismus ohne reale Auseinandersetzung mit Juden entstehen, die Juden erfüllten bloß das Feindbild, das List in den frühen Werken den Katholiken reservierte. Sie spielen die Rolle des Tyrans, der aus seiner Machposition heimtückisch den Aufstieg der Arier, die sich nicht sozial sondern rassisch und kulturell definieren, behindert. Lists Antisemitismus ist entpersonalisiert, wendet sich gegen einen schwer definierbaren Feind, der dem arischen Menschen im Wege steht. Eben dieser Prozess der Entpersonalisierung der Juden ermöglichte an der Wende des 19. und 20. Jahrhunderts weitere Ausbreitung der antisemitischen Thesen in mittleren und höheren sozialen Schichten, denn es ging nicht mehr wie früher um den Kampf der niedrigen Schicht gegen die jüdische Konkurrenz, sondern um einen grundsätzlichen Kampf um eine neue, bessere Welt. Die immer stärkere Entpersonalisierung der Juden durch quasi historiographische, quasi kulturologische und theologische, und schließlich sozialpolitische Argumente bereitete in der Konsequenz Raum für das Durchsetzen der Nationalsozialistischen Judenpolitik wenn nicht mit Unterstützung der Bevölkerung, dann ohne ihre Einwände, quer über das soziale Spektrum und half außerdem den Nationalsozialisten später eigenes Gewissen auszuschalten. Wie Ian Kershaw festgestellt hat, war die fortschreitende „Entpersonalisierung“ bis zur „Enthumanisierung“ der Juden einer der wichtigsten Ursachen, warum die deutsche Bevölkerung gegenüber den strengen antijüdischen Politiken während des Zweiten Weltkrieges apathisch und interesselos war.263 Durch den regen Austausch unter den Völkischen fanden im marginalen Umfang auch die rassenhygienische Forderungen und Projekte rassenreiner Siedlungen Eingang in Lists Werk. Bei diesen Bemühungen, verschiedenste Völkische Ideen in eine einzige allumfassende Theorie zu integrieren, stand List einer anstrengenden Aufforderung entgegen. In letzten Jahren seines Lebens konzentrierte er sich darauf, arische Herkunft von biblischen Texten und Kaballa nachzuweisen. Das geplante Buch, die diese These detailliert veranschaulichen und historisch belegen sollte „Armanismus und Kaballa“ blieb im 264 Manuskript unvollendet und gilt heute als verschollen.

262 Der Kontext dieser Weltverschwörungstheorie wird gründlich behandelt in: Benz, Wolfgang: Die Protokolle der Weisen von Zion. Die Legende von der jüdischen Weltverschwörung. Beck, München 2007. 263 Kershaw, Ian: Antisemitismus und Volksmeinung, Reaktionen auf die Judenverfolgung, in: Broszat, Martin, Fröhlich, Elke (Hrsg.), Bayern in der NS−Zeit II: Herrschaft und Gesellschaft im Konflikt, Teil A, München – Wien 1979, 281−348. 264 Balzli, Johannes: Guido von List. Der Wiederentdecker uralter arischer Weisheit. Sein Leben und sein Schaffen, Kittler, Leipzig: 1917, S. 55.

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8. SCHLUSS

Diese Arbeit ist ein Versuch, die Texte und die Persönlichkeit von Guido List im Kontext seiner Zeit zu verorten, die Geschichte und Verbreitungskanäle seiner Ideen zu verfolgen und seinen Werdegang vom regionalen Literaten zur führenden Persönlichkeit der Völkischen und esoterischen Bewegung zu beschreiben und anhand von zeitgenössischen Zeugnissen zu erklären. Obwohl werkmonographische Studien oft nur einen partiellen und einseitigen Einblick in die Problematik bieten, war eine biographische Untersuchung im Falle von Guido List wünschenswert. Dank der Untersuchung seines Lebensweges und Ideenentwicklung wurden spezifische soziale Bedingungen, Handlungsmuster und Parallelen von den persönlichen Aspekten getrennt und bearbeitet, bzw. in breitere Kontexte gestellt. In dieser Arbeit wird Guido List nicht als marginaler, eigenartiger Autor, sondern ganz im Gegenteil wird er als ein Autorentyp eines selbsternannten poeta vates, eines germanischen Barden, behandelt und sein Werk wird innerhalb der Völkischen Textproduktion positioniert. Guido Lists Werk wird in dieser Arbeit in verschiedene Phasen aufgeteilt. Sein Werk umfasst journalistische, literarische und pseudowissenschaftliche Texte, deren gemeinsamer Nenner eine stark ideologische Aufladung ist. Deshalb kann Lists Werdegang vereinfacht auch als eine Suche nach einem geeigneten Genre, nach einer geeigneten künstlerischen Textform zur Verbreitung seiner konservativen Ideologie angesehen werden. Da diese Arbeit überwiegend literaturwissenschaftliche Ansätze verarbeitet, dient genau dieser Punkt der Instrumentalisierung der Kunstformen zu Zwecken der ideologischen Verbreitung als Eingang für weitere literarische Analyse seiner Werke. Im ersten Teil dieser Arbeit zeigt sich, welchen Schwierigkeiten der nicht besonders begabte Schriftsteller Guido List begegnen musste und welche Schreibstrategien er wählte, wenn er die Form eines Romans, einer Novelle und sogar eines Dramas zur Verbreitung seiner Ideologie verwenden wollte. Bei der Analyse seines bekannten Romans Carnuntum wurde das Unbestimmte des historischen Romans als literarischen Genres deutlich, das sich zwar dank seiner Zwitterstellung zwischen Kunst und Geschichtsschreibung für die Übertragung der Ideologie eignet, andererseits wird durch eine solche Instrumentalisierung oft der eigentliche Aufbau des Romans beeinträchtigt. Lists Romane werden oft zu unübersichtlichen Collagen. Anhand der umfangreichen Analyse des Romans Carnuntum und einzelner mit ihm verbundener Aspekte, wie die Aktualisierung der historischen Phänomene, werden in weiteren Kapiteln mehrere weitere Werke von List analysiert, wobei oft gleiche Erzählstrategien, Figurentypologie, Exposition, Arbeit mit historischen Stoffen und weitere für viele Texte von List gemeinsame Aspekte gezeigt und an Beispielen erklärt werden. Auch Lists Entwicklung und Radikalisierung wird untersucht, denn List aktualisierte seine Ideologie unermüdlich, er nahm ständig neue Thesen seiner Freunde, aus Völkischen Publikationen und aus anderen Quellen auf, um eine möglichst komplexe Ideologie aufzubauen, die die Weltgeschichte und den Weltlauf erklären vermag. Er übernahm, aktualisierte und weiterentwickelte die Thesen und Zitate von seinen Zeitgenossen wie Friedrich Dahn, Jörg Lanz von Liebenfels, Franz Herndl, sowie von den Persönlichkeiten der deutschen klassisch−romantischen Literatur wie Jakob Grimm, Friedrich Schiller, Johann Wolfgang Goethe, aber auch von Johann Victor von Scheffel, er befasste sich mit römischen Quellen von Tacitus sowie Ammianus und vieler weiterer, er mischte Befunde aus speläologischen Berichten, neue Erkenntnisse der Physik, der Chemie, Anatomie und Rassenlehre, Theosophie und Kaballa, Volkssagen und Mythen und viel anderes. Seine Weltanschauung war somit ständig in Bewegung. Im Hintergrund dieser integrierenden Dynamik seiner Ideologie stehen aber die grundlegenden, von Anfang an konservativen Thesen, die sich kaum verändert haben. Zusammen mit seiner Ideologie entwickelte sich

89 auch sein Schaffen, in dem er versuchte seine „Findungen“ auf verschiedenste Weise zu verbreiten. Er schrieb Zeitungsartikel, Romane, Novellen, epische Gedichte, Liedertexte, Erzählungen, Dramen und schließlich pseudowissenschaftliche „Forschungsberichte“. Es zeigte sich, dass eine nicht zu übersehende Rolle in Lists Leben der ökonomische Aspekt spielte. Am Anfang seiner Karriere stand die damals schwierig nachvollziehbare Entscheidung das Familienunternehmen zu verlassen und sich als freier Schriftsteller durchzusetzen, was für die junge Familie fast zehn Jahre Armut und Not bedeutete. Guido List musste eigene soziale Strategien entwickeln, wenn er seiner Mission treu bleiben und dabei nicht verhungern wollte. Unter anderem musste List seinem Publikum entgegenkommen, auf seine Erwartungen eingehen, die Ratschläge seiner Mäzene akzeptieren. Dies trug sicherlich dazu, dass Lists Werk eine sehr bunte Mischung von Ausdruckformen und sogar eine Arte des neuen Katechismus umfasst. Lists ökonomische Motivation, die sich in seinem Verhältnis zum Brünner Unternehmer Friedrich Wannieck exemplarisch zeigt, hat auch seine Ideologie stark geprägt, in dem List die Ideen und Zitate seiner Anhänger, Freunde und Beförderer übernahm und in seine Ideologie einfügte. So entstand eine eigenartige Mischung von oft widersprüchlichen Ideen. Ein hervorragendes Beispiel dieser Kombinationslust stellen Lists Texte zum Problem der Frauenemanzipation dar, in denen extrem misogyne Thesen von Jörg Lanz von Liebenfels mit den Gedanken des „Frauenrechtlers“ Franz Herndl koexistieren. Stephanie von Schnurbein hob deshalb vor allem Lists Kombinationskunst hervor. Diese Feststellung erlaubt uns einerseits die in Lists Texten enthaltenen Thesen zu identifizieren und ihrem Ursprung nachzugehen, andererseits eignen sich vor allem Lists spätere Texte zur literarisch diskursiven Analyse. Die literarischen Analysen der frühen Texte von List benennen unter anderem Hauptthemen sowie künstlerische als auch argumentative Verfahren, die für List charakteristisch sind. Besonders interessant sind Lists Argumentationsverfahren, indem er zuerst eigene Mythen schafft um anschließend mit eigenen literarischen Texten deren Faktizität nachzuweisen versucht. Obwohl dieser Satz als Widerspruch aussieht, besteht eben in diesem doppelten Verfälschungsverfahren die eigentliche Stärke des Ideologen Guido List. Dieses Verfahren wird in dieser Arbeit am Beispiel des Romans Carnuntum, in dem er mit dem damaligen Forschungsstand und mit anderen gleich orientierten Texten verglichen wird, und am Beispiel des Dramas König Vannius konkret dargestellt. In diesem Drama kommt Lists „Fälschungsverfahren“ exemplarisch aufs Licht, wenn sein Umgang mit dem Konzept der Tradition und der kollektiven Identität berücksichtigt wird. Aufgrund seiner unklaren Definition kann das Konzept der Tradition auf verschiedene Weisen und zu verschiedenen Zwecken instrumentalisiert werden. Unter den Anthropologen spricht man offen über „das Paradox der Tradition“, denn eine der wichtigsten Bedingungen der Überlieferung, der Tradition, von Handlungsmustern, Glaubensvorstellungen und Überzeugungen stellt ihre permanent neue Interpretation.265 Das Konzept einer immer neu zu interpretierenden Tradition lädt deshalb ein, mit verschiedensten Inhalten gefüllt zu werden. Dies ist für das „Fälschungsverfahren“ von List ausschlaggebend. Guido List betonte ausdrücklich die Gegenüberstellung der „toten“ christlichen Tradition und der „neuen lebendigen“ Tradition, die er zu entdecken versuchte. Dieses halbleere Gefäß der uralten Tradition konnte er mit eigenen, zum Teil erfundenen Ideen füllen und somit eine wichtige Argumentationsstütze erhalten. Der oben beschriebene strukturell−analytische Teil identifizierte Themen, die in Lists Texten immer wieder vorkommen und die, wie erwartet, auch in der Forschung zur Völkischen Bewegung schon mehrmals bearbeitet wurden, deshalb schien eine diskursive

265 Handler Richard und Linnekin S. Jocelyne: Tradition, Genuine and Spurious, In: Journal of American Folklore, 97/385 (1983).

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Analyse verschiedener Diskursfelder aufschlussreich zu sein. Diskursiv analytische Kapitel zu den Themen Frauenbild und Antisemitismus stellen einen wichtigen Teil dieser Arbeit dar, um eine Schwarz−Weiß−Sichtweise zu vermeiden. Im Kapitel über das Frauenbild bei Guido List wird sein Frauenbild und seine Thesen über die Frauenrechtlerinnen und „weise Frauen“ im Kontext der Völkischen zumeist frauenemanzipationsfeindlichen Thesen verortet. Die Kontextanalyse des Frauenbilds bei List zeigt anschaulich, welche verschiedene Argumentationsstrategien die konservativen Denker gewählt haben − auch heute noch wählen − um den immer mehr aktuellen Mann-Frau-Rollenveränderungen zu trotzen. Bei dieser Analyse hat sich gezeigt, dass dieses in den meisten Fällen der im Völkischen Lager verbreiteten konservativ geprägten Darstellung der Frau als einer passiven „Heilsrätin“ des Mannes entsprach, von der allerdings der männliche Erfolg abhängig ist. Mit seinen Ideen knüpfte List an die romantische Tradition an, die stark von der Tacitus Rezeption geprägt wurde. Die Gegenüberstellung der edlen germanischen und der meistens lasterhaften römischen Frauengestalten entspricht dem Germanen− und Römerbild in der Fachliteratur und Belletristik des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Guido Lists Arbeitsweise bestand in einer eklektizistischen Weiterverarbeitung der schon eingeführten Paradigmata und in deren Aktualisierung. So wandelte er die Gestalt der altgermanischen weisen Frau zu einer Neugermanin ab, die die intuitive Ergänzungshälfte des vom „kapitalistischen Getriebe“ erschöpften, vernunftorientierten Mannes darstellt. Lists Verherrlichung der germanischen Frau diente praktisch dazu, die damals ins Wanken geratene traditionelle Rollenverteilung mit transzendenten und religiösen Erklärungen zu verteidigen. Folgerichtig sah er schließlich die wesentliche Rolle der Frau in der Mutterrolle und zwar einer auf die Erde gesandten Walküre, die die wiedergeborenen Einherier266 betreuen sollte. Ein wichtiger Aspekt der listschen „Ideologie“ sind die sich aus der Frauenverherrlichung ergebenden Hexendeutungen, in denen die Hexen als Bewahrerinnen der altgermanischen Riten angesehen wurden. Diese These sprach er schon 1892 im Vortrag „Von der deutschen Wuotanpriesterschaft“ aus und später führte er sie im Artikel „Das Deutsche Hexenthum“ (1900) weiter. In diesen Texten verwendete er die Hexenprozesse zur Untermauerung seiner Thesen über die germanenfeindlichen Tendenzen der katholischen Kirche. Um eine Instrumentalisierung der Hexenprozesse bemühten sich später ebenfalls Alfred Rosenberg in seinem Buch „Der Mythus des zwanzigsten Jahrhunderts“267und das Forschungsteam des so genannten Hexenauftrages. Diese Tendenz ist noch heute spürbar und die Hexenprozesse werden noch heute im gleichen Sinne als Argumente gegen die katholische Kirche verwendet.268 Lists Frauendarstellung fand bei seinen Nachfolgern und Anhängern keinen großen Widerhall, im Wesentlichen entsprach sie der Völkischen Weltanschauung und war deshalb an sich kaum interessant. Die von ihm geprägte These der Frauenverherrlichung bei den alten Germanen, die er in seinem Leben selbst zu realisieren versuchte −seine Frau nannte er „Frau Sonne“ − wurde von seinen Anhängern zwar erwähnt, aber bald von radikal antifeministischen Positionen überschattet.269

266 Der Begriff der Einherier bei List stimmt nicht gänzlich mit demselben, von Richard Wagner verwendetem, Begriff überein. Lists Interpretation wird in der Fußnote 205 dieser Arbeit erklärt. 267 Rosenberg, Alfred: Der Mythus des 20. Jahrhunderts. Eine Wertung der seelisch-geistigen Gestaltenkämpfe unserer Zeit, (1930), 2. Aufl., Hoheneichenverlag, München:1931. 268 Mehr dazu: Wiedemann, Felix: Rassenmutter und Rebellin. Hexenbilder in Romantik, Völkischer Bewegung, Neuheidentum und Feminismus. Würzburg: 2007, S. 202−206. 269 Stauff Philipp: Von unseres Meisters letzter Zeit, IN: List, Guido: List, Guido von: Die Rita der Ario- Germanen. 3. unv. Aufl. mit Zugabe - Arbeiten von Freunden. Berlin- Lichterfelde, Guido von List-Verlag, [1920]., S. VI.

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Obwohl einige ideologische Ansätze von List bei der modernen esoterischen neoheidnischen Bewegung und bei den modernen Hexen zu finden sind, kann man kaum behaupten, dass sie an seine Theorien anknüpfen, die scheinbare Ähnlichkeit erweist sich bei einer näheren Betrachtung als sehr unsystematisch und ebenfalls zufällig. Die modernen Hexen sehen sich zwar auch als Nachfolger der mittelalterlichen Hexen und glauben genauso wie List eine Kontinuität des reinen geheimen Wissens gefunden zu haben. Im Wesentlichen steht aber Lists konservative Rollenverteilung im Widerspruch mit der modernen Hexenauffassung, sei es bei den rechtsorientierten sowie bei den linksorientierten Neuheiden, die die Individualisierung der Frau und ihre Befreiung von traditionellen Vorurteilen hervorheben.270 Namentlich beruft sich auf List der 1976 in Köln neu gegründete Armanenorden, dessen Mitglieder seine Thesen wiederum aktualisieren. Die These über die angeblich hohe Stellung der Frau bei den Germanen ist mit modernen feministischen Matriarchatskonzepten verbunden. Es ist allerdings fraglich, ob diese Aktualisierungen auf die Frauenauffassung bei List zurückgehen, eine starke kontinuierliche Linie wie im Falle Grimm−List ist hier jedenfalls nicht festzustellen. Die listschen Ideen werden nur in allgemeinen Umrissen verarbeitet, da sie ebenfalls bei vielen anderen Völkisch orientierten Autoren und Autorinnen zu finden sind. Es wäre eine übertriebene Verallgemeinerung, wenn man die modernen Hexendiskurse auf die Ideen von List zurückführen würde. Wie sich aus diesem Beitrag ergibt, entstand seine Ideologie als Reaktion auf zeitgenössische Tendenzen und war damit zeitbedingt. Im diskursiv analytischen Kapitel zum Bild des Juden in den Texten von Guido List werden seine wenigen antisemitischen Texte beschrieben und kontextualisiert. Obwohl List nur sehr wenige kurze antisemitisch orientierte, zeitbezogen nur mittelmäßige Texte publizierte, gilt er heute für einige Wissenschaftler als der eigentliche Inspirator der nationalsozialistischen Judenpolitik. Im Kapitel über Lists Antisemitismus wurden zuerst seine antisemitischen Thesen und ihr Ursprung behandelt. Dies war nicht schwierig, denn List führt seine Quellen sorgfältig auf. Dann wurden diese Thesen im Kontext der damaligen Diskurse verortet und möglicherweise wurde auch ihr Fortleben und ihre Weiterentwicklung in den Texten von Lists Anhänger Philipp Stauff beschrieben. Obwohl List heute als führender Vertreter des Völkischen Antisemitismus gilt, war List zu seiner Zeit kein radikaler Judenhasser. Die radikal Völkischen antisemitischen Topoi, wie die Judenversklavung oder die Judenvernichtung, werden in seinen Texten nicht erwähnt, die Forderungen nach dem Ausschluss der Juden aus dem öffentlichen Leben steht in Widerspruch zu seiner Mitarbeit mit jüdischen Künstlern. Darin gleicht er wohl dem Wiener antisemitischen Bürgermeister Karl Lueger, der für seine konsequente Inkonsequenz das Dictum prägte „Wer ein Jud' ist, bestimme ich“. Er konnte sich sogar die Entstehung eines jüdischen Staates vorstellen, wie ihn die Zionisten verlangten, weil der Staat auf Kosten der Palestinenser, nicht der Deutschösterreicher geplant war. Gemessen z. B. an dem Alldeutschen Verband und Gebsattels Denkschrift „Gedanken über einen notwendigen Fortschritt in der inneren Entwicklung Deutschlands“, in der eine Ausweisung der Juden aus Deutschland gefordert wurde, erscheinen Lists Vorstellungen von Verdrängung der Juden aus dem öffentlichen Leben relativ harmlos, obwohl auch List eine Vorstellung des rassenreinen Großdeutschlands in entfernter Zukunft vorschwebte. Die Juden selbst spielten aber in seiner Weltanschauung eher eine marginale Rolle (genauso wie die Römer oder Slawen wird auch die jüdische Kultur als eine ausbeuterische eklektische Kultur dargestellt) und seine antisemitischen Äußerungen richten sich meistens

270 Pöhlmann, Matthias: Naturspiritualität, Heidenspaß und Kommerz, In: Herder Korrespondenz 62, 11/2008, S. 573−578, hier S. 575.

92 gegen eine nicht eindeutig identifizierbare Gruppe, Die große Partei. Das Wort „Jude“ bezeichnet in seinen Texten nicht mehr den Menschen jüdischer Rasse, sondern vor allem den Feind des Ariertums, der der arischen Wiedergeburt im Weg steht. Der Jude gehört zusammen mit den Kapitalisten, Bolschewiken, Demokraten, Pluralisten, Modernisten, Christen und Kosmopoliten zur großen Partei, die die Welt zuungunsten aller Germanen regiert und diese ausbeutet. Besonders Lists früher Antisemitismus erinnert damit an den modernen Antisemitismus, wie erzwischen den Weltkriegen unter Intellektuellen in ganz Europa nicht selten war, an den grundsätzlich antikapitalistischen und antidemokratischen Antisemitismus. In vielen Zügen entsprechen diese Einstellungen den Thesen der konservativen Antisemiten, die im Unterschied zu den liberalen Antisemiten das liberale Judentum mit allen als bedrohlich empfundenen Entwicklungen der Moderne wie Säkularisierung, Kapitalismus, Sozialismus, Materialismus, Verstädterung usw. gleichsetzen. Doch aufgrund der Visionen der Wiederherstellung der ursprünglich arischen Gesellschaftsordnung, Religion und Lebensauffassung, die den Menschen zum Leben in neuen unerkannten Dimensionen verhelfen soll, kann er nicht nur einfach als Konservativer beschrieben werden. Mit diesen Visionen zählt er neben solchen Außenseitern wie Jörg Lanz von Liebenfels oder Paul de Lagarde zu den „selbsternannten Propheten“. Während in den frühen Texten von List die antisemitischen Thesen nur am Rande stehen, rücken sie nach 1900 immer mehr in den Vordergrund. Dies hängt einerseits mit der allgemeinen Radikalisierung des Völkischen Publikums und zweitens mit dem wachsenden Einfluss von Jörg Lanz von Liebenfels auf List zusammen. Wird in Lists frühen Texten (1870-1890) als Hauptfeind des Ariertums das Christentum präsentiert, rückt später an diese Stelle die so genannte Große Partei, an deren Spitze die Juden und Jesuiten stehen. Damit meldet sich List unter anderem zu einer bis heute starken Linie der antisemitischen Verschwörungstheorien, die an der Wende der Jahrhunderte großen Aufschwung erlebten. Von diesem Gesichtspunkt aus könnte Lists Antisemitismus ohne reale Auseinandersetzung mit Juden entstanden sein, die Juden erfüllten bloß das Feindbild, das in Lists frühen Werken den Katholiken vorbehalten blieb. Sie spielen die Rolle des Tyrans, der aus seiner Machposition heimtückisch den Aufstieg der Germanen, die sich nicht sozial, sondern rassisch und kulturell definieren, behindert. Lists Antisemitismus ist entpersonalisiert, wendet sich gegen einen schwer definierbaren Feind, der dem germanischen Menschen im Wege steht. Eben dieser Prozess der Entpersonalisierung der Juden ermöglichte an der Wende des 19. und 20. Jahrhunderts weitere Ausbreitung der antisemitischen Thesen in mittleren und höheren sozialen Schichten, denn es ging nicht mehr wie früher um den Kampf der niederen Mittelschicht gegen die jüdische Konkurrenz, sondern um einen grundsätzlichen Kampf um eine neue, bessere Welt. Die immer stärkere Entpersonalisierung der Juden durch quasi historiographische, quasi kulturologische und theologische, und schließlich sozialpolitische Argumente bereitete in der Konsequenz Raum für das Durchsetzen der Nationalsozialistischen Judenpolitik, wenn nicht mit Unterstützung der Bevölkerung, dann ohne ihre Einwände, quer über das soziale Spektrum. Es half außerdem den Nationalsozialisten später ihr eigenes Gewissen auszuschalten. Wie Ian Kershaw festgestellt hat, war die fortschreitende „Entpersonalisierung“ bis zur „Enthumanisierung“ der Juden einer der wichtigsten Ursachen, warum die deutsche Bevölkerung gegenüber den strengen antijüdischen Politiken während des Zweiten Weltkrieges apathisch und interesselos war.271

271 vgl. Kershaw, Ian: Antisemitismus und Volksmeinung. Reaktionen auf die Judenverfolgung, In: Broszat, Martin/ Fröhlich, Elk (Hrsg.): Bayern in der NS-Zeit. Herrschaft und Gesellschaft im Konflikt. Bd. IIm, München/Wien: 1979, S. 281−348.

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Durch den regen Austausch unter den Völkischen fanden im marginalen Umfang auch die rassenhygienische Forderungen und Projekte rassenreiner Siedlungen Eingang in Lists Texte. Bei diesen Bemühungen, verschiedenste Völkische Ideen in eine einzige allumfassende Theorie zu integrieren, sah List einer neuen Herausforderung entgegen. In letzten Jahren seines Lebens konzentrierte er sich darauf, arische Herkunft von biblischen Texten und der Kaballa nachzuweisen. Das geplante Buch, das diese These detailliert veranschaulichen und historisch belegen sollte Armanismus und Kaballa blieb als Manuskript unvollendet und gilt heute als verschollen.

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9. AUSBLICK

Im Unterschied zu geschichtswissenschaftlichen Arbeiten über Guido List, in denen vor allem eine ideologiegeschichtliche Betrachtungsweise überwiegt, stehen im Mittelpunkt dieser Arbeit Lists Texte, aufgrund deren er selbst und seine Weltanschauung zu seiner Zeit auf verschiedene Weise betrachtet und rezipiert wurde. Es ist ein Vorteil der literarischen Methode, dass sie sich auf Texte konzentriert und intertextuell strukturelle sowie inhaltliche Zusammenhänge vermag, unter anderem kann sie neben den zeitlichen Kontexten auch Überschneidungen mit heutigen Diskursen enthüllen. Dies ist der Fall der diskursiv analytischen Kapitel in dieser Arbeit, denn die diskursive Analyse der Völkischen Texte im Kontext der heutigen Paradigmen kann uns unter anderem helfen, Ideologien besser zu erkennen und unsere Erkenntnis über ihre Entstehung und Verbreitung weiter zu präzisieren. Die zwei hier durchgeführten diskursiven Analysen sind sicherlich nicht erschöpfend. Es bieten sich weitere Themen, deren Bearbeitung aus der heutigen Perspektive fruchtbringend und äußerst aktuell sein könnte. Beispielsweise könnten weitere diskursive Analysen der Texte von List sowohl zur Erforschung der Verschwörungstheorien am Ende des 19. Jahrhunderts als auch zum Verständnis der Entstehung, Struktur und Anatomie der Verschwörungstheorien im Allgemeinen wesentlich beitragen. Dabei könnten beispielsweise Gemeinsamkeiten der heute so verbreiteten, verschiedensten Verschwörungstheorien und der damaligen Verschwörungstheorien näher betrachtet werden. Die Völkischen Weltverschwörungstheorien ähneln sowohl konstruktiv als auch inhaltlich den heutigen populären Theorien, die beispielsweise behaupten, dass alle historische Ereignisse von einer kleinen Gruppe von Menschen, z. B. von jüdischen Bankiers oder den reichsten Unternehmern geplant bzw. beeinflusst werden. Deren anschließende komparative Erforschung wäre deshalb sicherlich aufschlussreich. Unerforscht bleibt immer noch die starke Resonanz von Lists Thesen in der New- Age Bewegung sowie in modernen neonazistischen Bewegungen, die sich oft durch starke religiöse Merkmale auszeichnen. Eine solche Analyse könnte sowohl die Texte, die Religionssysteme und Denkweisen als auch eine eventuelle Aktualisierung von Lists Thesen, mit denen sich verschiedene zeitgenössische, zumeist kleine und am Rande der Gesellschaft stehende, Gruppen identifizieren können, erforschen. Es ist zu staunen, dass die Texte von List heute noch in andere Sprachen übersetzt, verkauft und gelesen werden. Vielleicht ist es ein unbeabsichtigtes Verdienst der berühmten Texte von Nicolas Goodrick- Clarke über die Okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus oder von Brigitte Hamann über Hitlers Jugend in Wien. Das kann allerdings die zu hinterfragende Hypothese, dass sich die modernen Leser, wenn auch in geringer Zahl, mit Lists Ideen identifizieren können, weder bestätigen noch widerlegen. Dabei ist die Frage nach den Identifizierungsmöglichkeiten aktuell, denn, wie sich bei der Arbeit an dieser Dissertation am Beispiel des Armanenordens gezeigt hat, nennen die Neuheiden List als deren wichtigen Vorläufer, kennen aber von seinen Texten oft nur oberflächlich das Buch Das Geheimnis der Runen. Es ist ein Paradox, dass sie mit seinen Thesen auf dieselbe Weise umgehen, auf die List selbst mit den Thesen seiner Vordenker umging. Nämlich sie deuten sie um, kombinieren sie mit anderen und eigenen Weltvorstellungen zu einem schwierig durchschaubaren Spinnennetz. Wenn nicht seine Thesen, dann ist es vielleicht nur die Aura von List, die noch heute eine Anziehungskraft besitzt. Die Aura eines verkannten, germanischen Dichters, Mythikers und Propheten, eines Vertreters der intuitiven und damit auch angeblich tieferen Erkenntnis, eines romantischen Kämpfers gegen die verknöcherte Wissenschaft, Politik und den Kunstbetrieb seiner Zeit. Diese Fragen wären aber noch zu behandeln, obgleich wir dabei höchstwahrscheinlich mehr über uns selbst als über Guido List erfahren würden.

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PRIMÄRLITERATUR (GUIDO LISTS TEXTE)

Die Burg der Markgrafen der Ostmark auf dem Leopoldsberge bei Wien / nebst einem kurzen Abriss der Gründungsgeschichte Oesterreichs, historischtopographische Studie; Festschrift zur Eröffnung des neuen Weges nächst der „Nase“ am Leopoldsberge, R. Issler, Wien: 1877. Carnuntum. Historischer Roman aus dem 4. Jahrhundert n. Chr., 2 Bde, Grote, Berlin: 1888. Deutsch-Mythologische Landschaftsbilder. Lüstenöder, Berlin: 1891; 2. stark vermehrte A. Wien: 1912; Reprint: Köln o.J. Tauf-, Hochzeits- und Bestattungs- Gebräuche und deren Ursprung, Salzburg: 1892. Jung Diethers Heimkehr. Eine Sonnwendgeschichte aus dem Jahre 488 n. Chr., Brünn: 1894. Der Wala Erweckung. Drama, Wien: 1894. Walkürenweihe, Epische Dichtung, Brünn: 1895. Pipara. Die Germanin im Cäsarenpurpur. Historischer Roman aus dem 3. Jahrhundert n. Ch., Schulze, Leipzig: 1895; 2. A. Wien: 1913 Niederösterreichisches Winzerbüchlein, Wien: 1898. Der Unbesiegbare. Ein Grundzug germanischer Weltanschauung, 1898; Graz: 2008. König Vannius. Ein deutsches Königsdrama, 1899. Der Wiederaufbau von Carnuntum, Wien: 1900. Sommer-Sonnwend-Feuerzauber, Skaldisches Weihespiel. Drama, 1901. Die Ursprache der Arier und ihre Heilszeichen − 1902 − Auszug aus dem damals noch ungedruckten Manuscipt. Das Goldstück. Ein Liebesdrama in fünf Aufzügen. Literaturanstalt „Austria“, Wien: 1903. Alraunenmären. Kulturhistorische Novellen und Dichtungen aus germanischer Vorzeit, Linz/Wien/Leipzig: 1903; Graz: 2008. Das Geheimnis der Runen. zuerst in Neue Metaphysische Rundschau (1906), Zillmann, Groß-Lichterfelde: 1907; Graz: 2007. Die Armanenschaft der Ario-Germanen. Selbstverlag, Wien: 1908 Die Rita der Ario-Germanen. Selbstverlag, Wien: 1908. Die Namen der Völkerstämme Germaniens und deren Deutung, Selbstverlag, Wien: 1909. Die Religion der Ariogermanen in ihrer Esoterik und Exoterik. Selbstverlag, Zürich: 1909 oder 1910; Graz: 2008.

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Die Bilderschrift der Ario-Germanen (Ario−Germanische Hieroglyphik). Selbstverlag, Leipzig/Wien: 1910. Die Armanenschaft der Ario-Germanen Zweiter Teil, Selbstverlag, Leipzig/Wien: 1910. Der Übergang vom Wuotanismus zum Christentum. Bürdeke, Leipzig: 1911; 2. erw. A. Berlin 1926; Reprint: Köln o.J. Deutsch-Mythologische Landschaftsbilder, 2. Auflage, Wien: 1913. Die Ursprache der Ario-Germanen und ihre Mysteriensprache. Selbstverlag, Wien: 1914; Reprint: 2005.

Zeitungsartikel: 1870: Neujahr 1870 in den Alpen, Jahrbuch des Österreichischen Alpenvereins. 1871: Neujahr in den Alpen, Jahrbuch des Österreichischen Alpenvereins. 1877: Mittelalterliche Burgen um Melk, Deutsche Alpenzeitschrift. 1877: Ruine Hohenegg, In: Neue Deutsche Alpenzeitung, Wien, in Deutsch-Mythologische Landschaftsbilder (DML): Osterburg, Hohenegg Mauer und der große Heilige − Teil I., S. 328−45 1880: Auf der Eisenstrasse, In: Daheim, Leipzig, 28.4. 1880: Hangender Stein: In: Constitutionelle Vorstadt Zeitung, 2.6. 1881: Carnuntum, Zur Erinnerung an den 24. Juni des Jahres 1875, in DML 2. Teil: S. 562−602. 1881: Niederösterreichische Sagen und Volksbräuche und die deutsche Mythologie. Wien, Heimat, Nr. 45 und 46. 1881: Niederösterreichische Ortenamen und die deutsche Mythologie. Wien, Heimat. 1882: Aggstein an der Donau: Heimat, Wien, 6.10. 1883: Der Untersberg: Heimat, Wien, in DML: 2. Teil: 454−464. 1883: Die Schalaburg: Neue Welt, Wien, Nr. 26, in DML, 1. Teil, 294−327. 1884: Der deutsche Nixenglaube: Heimat, Wien (später unter dem Titel: Die Schifffahrt auf der Donau und Ad pontem Ises). 1884: Deutsch-Mythologische Denkmale in der Umgebung Wiens: Wien, Deutsche Zeitung, 4.6. und 7. Jänner 1884. 1884: Stilifrieda, Wien, Heimat, 15. Jänner 1884 Geologische Stammbuchblätter, 22. Jänner 1883 Bremen Weserzeitung. 1884: Der Hekaklamm: Deutsche Zeitung, Wien, 31.1., DML: Das Höllental, 2. Band, S. 465-479. 1885: Künstliche Hügel und Höhlen in Niederösterreich, mit Illustrationen Wien, Neue Illustrierte Zeitung, 15. Juni 1885. 1885: Auf der Einsenstrasse, In: Deutsche Zeitung, Wien 18.3. 1885: Der Hermannskogel. In: Deutsche Zeitung, Wien, 15.2., DML: 1. Teil, 84-116. 1885: St. Corona: Heimat, Wien, DML: 2. Teil: S. 438-453. 1885: Pfennigstein: Deutsche Zeitung, Wien, ursprünglich: Hangender Stein, später Der Brühl. 1885: Der Venusberg bei Traismauer: In: Deutsche Zeitung, Wien, Nr. 4847, 4.7., DML: 1. Teil, S. 276−293. 1889: Deutsch-Mythologische Bildwerke an der Stephanskirche zu Wien, Laufers Allgemeine Kunst−Chronik Heft: 9-11.

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1889: Die symbolischen Bildwerke am Riesenthore der Stefanskirche zu Wien, Laufers Allgemeine Kunst−Chronik 12, S. 250-1, S. 283-4, S. 307-10. 1889: Markstein: Deutsche Zeitung, Wien, 15.4., DML: 2. Teil: S. 420-437. 1889: Vianiomina: In. Laufers Allgemein Kunstchronik. 1889: Der Brühl, Deutsche Zeitung, Wien, 22.5. − später DML: 2: Teil: S. 369-383. 1889: Das Helenental, DML: 2. Teil. S. 384-419. 1889: Schifffarn auf der Donau. Deutsche Zeitung, drei Teile. 1889: Aggstein an der Donau: Deutsche Zeitung, Wien 7.3., schon in Heimat: 1882, DML: 1. Teil, S. 260−275. 1890: Christophen: Deutsche Zeitung, Wien, 30-31.1., DML: 2., S. 346-368. 1890: Das Hexenwesen, Deutsche Zeitung, Wien, Nr, 7241, 26.2.1892, Artikelserie: Zauber und Zauberglaube. 1890: Eburodunum vor dem Wuotanstal: In: Deutsche Zeitung: Wien, DML: 1. Teil, 138- 153. 1890: St. Leonhard: Deutsche Zeitung, DML: 2., S. 508−535. 1890: Der Hexenprozess: Deutsche Zeitung Wien, Nr. 7282, 7.4. − Zauber und Zauberglaube, weiter Artikel zum Zauber und Zauberglaube: Deutsche Zeitung: Heftnummer: 6531, 6620, 6703, 6880, 6999, 7053, 7093, 7184 und 7297. 1891: Ursprung und Wesen der Wappen, Der Sammler 13, S. 54-6, S. 65-7. 1891: Die Gründung Österreichs. 1891: Die Sage vom heiligen Gral und deren mythologischer Ursprung, Hamburger Neueste Nachrichten, Nr. 26−29. 1891: Der Hain des Fro zu Vindomina, Deutsche Zeitung: Nr. 6855, 30.1. 1890− : Ostdeutsche Rundschau (OR) 1893: OR: Götterdämmerung, 1. Oktober,S. 1-3;31.Oktober, S. 10-1 1893: OR: Allerseelen und der vorchristliche Totenkult des deutschen Volkes, 3. 11. 1893: Auf dem Geiselberg: In: Scheffeljahrbuch, später in DML: 1. Teil. 117−137. 1893: Die schwarze Maria, In: Der Bund, Bern, 2.4. 1893: OR: Die Juden als Staat und Nation, auch in Die Armanenschaft der Ariogermanen: 2. Teil, S. 184−189. 1893: OR: Der Weinkellerschlüssel. Eine Humoreske aus der Cäsarenzeit, OR: 3.November − S 7, OR 4. November − S 12, OR: 6. November S. 5, OR 7. November S. 7, OR 8.November S. 7, 9.November S. 7, 10.November S. 7, 11.November S 12, 13.November S 5.,14. November S. 12., 16.November S. 7, 17.November S. 7, 18.November S. 12, 20.November S 5. 1893: Von der Wuotanpriesterschaft, Das Zwanzigste Jahrhundert 4, S. 119-26, S. 242-51, S. 343−52, S. 441−51. 1893: OR: Die Zwölften, 30.12. 1893: Von der alten Donau, Litteraria sodalitas Danubiana, Wien. 1894: Prolog für den ersten Theaterabend im Volkstheater zu Rudolfsheim am 20. Februar 1894. 1894: OR : Die deutsche Mythologie im Rahmen des Kalenderjahres, 14. Januar S. 9-10, 23. März S. 1-2. , 24. März - S. 1-3, 25. April - S. 1-2,27.April - S. 1-2, 29. Mai - S. S. 1-2, 1. Juni - S. 1-3, 13. Juli - S. 1-2, 14. Juli - S. 1-2, 27. Juli - S. 1-4, 28. Juli - S. 1-2, 28. August - S. 1-2, 29. August, S. 1-2, 27. September, S. 1-4, 27. Oktober S. 1-2, 30. Oktober S. 1-2, 30. November S. 1-3, 30. Dezember S. 1-3, 1894: OR: Der Kohlenbrenner, ein niederösterreichischer Typ 1895: OR: Die Blütezeit des deutschen Handwerkers im Mittelalter 13. Februar, S. 1-3, 14. Februar -S. 1-3.

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