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2/2012 Das Magazin aus dem Deutschen Museum I 7 Euro I B 9797 4750201202

Die menschengemachte Erde Das Anthropozän sprengt die Grenzen von Natur, Kultur und Technik Eine Stimme gegen das Schweigen Vor fünfzig Jahren erschien Rachel Carsons Buch Silent Spring Revolution auf sechzehn Beinchen Mit dem 4004 begann 1971 der Siegeszug der Mikroprozessoren

Mensch und Natur Strategien zur Beziehungspflege 02-05Editorial_Inhalt_RZ.qxd:Layout 1 15.03.12 19:29 Seite 20

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Anzeige Auktionshaus 03-05Editorial_Inhalt_RZ.qxd:Layout 1 19.03.12 15:18 Seite 3

Editorial 3

LIEBE LESERIN, LIEBER LESER,

es ist eine schwierige Beziehung, die in diesem Magazin ver- Die Frage, in welchem Zustand wir die Erde den nachfol- handelt wird. Denn tatsächlich haben wir bis in die Mitte des genden Generationen überlassen wollen, sollte jedoch kei- 20. Jahrhunderts die in der Genesis notierte Auforderung neswegs nur in den Zirkeln der Experten diskutiert werden. »Macht euch die Erde untertan« allzu wörtlich genommen. Die Zukunft des Menschen und der Erde geht uns alle an. Einen Höhepunkt erreichte der daraus legitimierte Wille zur Jeder Einzelne kann und sollte sich dazu eine Meinung Kontrolle der Natur zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Und tat- bilden. Das Deutsche Museum bietet mit seinen Ausstellun- sächlich schien es ja auch, als könnten die neuen Erkennt- gen und Veranstaltungen die Möglichkeit, das persönliche nisse und Errungenschaften der Wissenschaft, insbesondere Wissen zu erweitern, um tragfähige Argumente für eigene der Chemie, Probleme wie Hunger und Krankheiten aus der Ansichten und Antworten zu sammeln. Welt schaffen. Doch sehr rasch wurde deutlich, dass es keine Auch die Beiträge in der aktuellen Ausgabe unseres Mit- einfachen Antworten und Lösungen gibt. Katastrophen, die gliedermagazins laden dazu ein, liebgewonnene Ansichten durch allzu unbedachten und euphorischen Umgang mit auf den Prüfstand zu stellen. Egal ob Technikfan oder Öko- neuen Errungenschaften der Wissenschaft ausgelöst wurden, freak – wagen Sie doch einmal einen Perspektivenwechsel! sollten uns Demut lehren. Andererseits verdanken wir den Wohlstand, den wir heute genießen dürfen, den Fortschritten in Naturwissenschaft und Herzlichst Ihr Technik, den Entdeckungen und Erfindungen von Menschen ebenso wie tatkräftigen Unternehmern, die aus Ideen markt- reife Innovationen und Produkte gemacht haben. Noch vor wenigen Generationen wären viele der Annehmlichkeiten, die wir heute nicht mehr missen wollen, undenkbar gewe- sen. Denken Sie allein an die Errungenschaften im Bereich Wolfgang M. Heckl des Gesundheitswesens und unsere damit verbundene hö- Generaldirektor here Lebenserwartung. Die Kernbotschaft der Umweltbewegung ist in den Grundlagenwissenschaften längst angekommen: Übernehmt Verantwortung für das, was ihr tut. Bedenkt die Auswirkun- gen eures Handelns auf diese und die kommenden Genera- tionen. In meiner Funktion als Nanophysiker und Gene- raldirektor des Deutschen Museums hatte ich in den vergan- genen Jahren die Gelegenheit, mich auf zahlreichen Veran- staltungen mit Kollegen aus den gesellschafts- und geistes- wissenschaftlichen Disziplinen über die Konsequenzen naturwissenschaftlicher Forschung auszutauschen. Chancen und Risiken werden auch in den Naturwissenschaften, be- sonders in der Nanotechnologie, seit Jahren intensiv disku- tiert. Auch das Deutsche Museum ist an dieser Debatte beteiligt. Abbildungen: Deutsches Museum; istockphoto.com/Franz-W. Franzelin (Titel) Museum; istockphoto.com/Franz-W. Abbildungen: Deutsches 03-05Editorial_Inhalt_RZ.qxd:Layout 1 19.03.12 15:18 Seite 4

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Die ökologische Initiation der Deutschen begann mit dem Menetekel vom »Waldsterben«.

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Seit ungefähr 300 Jahren verändert der Mensch die Erde so nachhaltig, dass Wissenschaftler schon von einem neuen Erdzeitalter sprechen: dem Anthropozän.

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Die amerikanische Biologin Rachel Carson plädiert in ihren Büchern für den respektvollen Umgang mit der Natur.

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Eine Welt, in der die Sonne gnadenlos und ungefiltert scheint, schildert der Film Hell.

34 ages

MikroMakro zum Thema »Die Natur und wir«: vom Fischtisch über junge und alte Naturfreunde bis hin zu Pflanzenschutzmitteln.

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In Jordanien gelingt Wissen- schaftlern, woran Politiker seit Jahrzehnten scheitern. Friedliche Zusammenarbeit über Grenzen hinweg.

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Der erste kommerzielle Mikroprozessor wurde für Rechenmaschinen der Corporation entwickelt.

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Der Ingenieur Clemens von Bechtolsheim erfand die Milchzentrifuge. Abbildungen: istockphoto.com/Bart Sadowski; Paramount Pictures; F. Odenthal; Intel; NASA; WFIWC Archives; Michael Wirth; akg-im Wirth; Michael WFIWC Archives; Odenthal; Intel; NASA; Abbildungen: istockphoto.com/Bart Sadowski; Paramount Pictures; F. 03-05Editorial_Inhalt_RZ.qxd:Layout 1 19.03.12 15:18 Seite 5

Inhalt 5

MENSCH UND NATUR

6 Die Zukunft des Grünen Die Umwelt braucht neue, kreative Ideen | Von Frank Uekötter

12 Die menschengemachte Erde Das Anthropozän | Von Reinhold Leinfelder, Christian Schwägerl, Nina Möllers, Helmuth Trischler

18 Eine Stimme gegen das Schweigen Rachel Carson und ihr Buch Silent Spring | Von Nancy Langston

22 Wissen überschreitet Grenzen Interview mit Christof Mauch und Helmuth Trischler | Von Sabrina Landes

26 Angst vor der Sonne Der Film Hell erzählt von einer zerstörten Welt | Von Alexa Weik von Mossner

32 Digitale Erkundungen der Umwelt Das Portal www.environmentandsociety.org | Von Kimberley Coulter

MAGAZIN

38 Physiker als Friedensforscher Das SESAME-Projekt in Jordanien | Von Frank Odenthal

44 Revolution auf sechzehn Beinchen 40 Jahre Mikroprozessor | Von Frank Dittmann

48 Nikolas Tesla und die Energie aus dem All Die geheimnisvolle Maschine des Erfinders | Von Erik Eckermann

52 Wie die Milch ins Schleudern geriet Die Geschichte der Milchzentrifuge | Von Sebastian von Bechtolsheim

55 Weitsichtiger Unternehmer Robert Bosch | Von Hans-Erhard Lessing

STANDARD

3 Editorial

34 MikroMakro Die Seiten für junge Leser

25 Kaleidoskop

57 Deutsches Museum intern 59 Neues aus dem Freundes- und Förderkreis

64 Schlusspunkt

66 Vorschau, Impressum 06-11Uekoetter_RZ:Layout 1 15.03.12 18:13 Seite 6

Die Zukunft des Grünen 06-11Uekoetter_RZ:Layout 1 15.03.12 18:13 Seite 7

Mensch und Natur 7

Die ökologische Initiation der Deutschen begann mit dem Waldsterben. Die Bilder kahler und verdorrter Äste wiesen wie ein Menetekel auf die Kehrseiten des Wachstums: die Verschmutzung von Wasser, Böden und Luft. Plötzlich war es »in«, sich um Umweltfragen zu kümmern, und die Umweltbewegung wurde zur vielleicht erfolgreichsten Protestbewegung der bundesdeutschen Geschichte. Inzwischen drohen die damaligen Erfolge jedoch zum Ballast zu werden. Die Umweltbewegung wird sich von

einigen Feindbildern verabschieden müssen, um neue, kreative Strategien zu entwickeln. Von Frank Uekötter

tell Dir vor, es geht um die Umwelt, und alle wissen Be- kommt: Mensch, ihr habt große Umweltverbände, eine starke Sscheid. Kaum ein Tag vergeht, ohne dass in den Medien grüne Partei und tolle Gesetze – worüber sorgt ihr euch ei- über grüne Themen berichtet wird und Entscheidungsträger gentlich? Und doch muss man nur mal ein wenig an der die einschlägigen Probleme diskutieren. In aller Regel spricht Oberfläche kratzen, um Zweifel am grünen Deutschland zu daraus die tiefe Sorge um den bedrohten Planeten Erde. bekommen. Und das nicht nur, weil man Joghurtbecher ei- Längst reicht das Ökologische über die Sphäre des Politischen gentlich gar nicht spülen sollte. hinaus und drückt der Lebenswelt seinen Stempel auf. Der Vor gut einem Jahr gab es da zum Beispiel eine öffentliche kluge Verbraucher sorgt heutzutage bei seinem Eigenheim Debatte, die so gar nicht zum ökologisch bewegten Deutsch- für eine ordentliche Wärmedämmung, achtet beim Einkauf land passen wollte. »E10« hieß die Reizvokabel: ein Treib- aufs Biosiegel und spült sorgfältig die eigenen Joghurtbecher, stoffzusatz aus regenerativen Quellen, der als »Öko-Plörre« bevor er sie zum Recycling gibt. Man kann in der Bundesre- (Bild-Zeitung) die Gemüter erregte. Tatsächlich gibt es seit publik geradezu das Entstehen eines neuen Patriotismus im einigen Jahren wachsende Kritik am Anbau von Energie- grünen Gewand konstatieren: Deutschland, das Land der pflanzen: Sie konkurrieren mit der Nahrungsmittelproduk- Windräder, das die Welt mit hocheffizienten Umwelttechno- Seit dem 1. Januar 2011 gibt tion, fördern Monokulturen, und der Klimaeffekt ist selbst logien versorgt. Auf wenige Dinge reagieren Bundesbürger es den Treibstoff E10 an bei gut funktionierender Produktionskette nicht sehr groß. deutschen Tankstellen. so empfindlich wie auf den Hinweis, dass ein anderes Land Nur war davon in der erregten öffentlichen Debatte kaum Dem Sprit sind zehn Prozent in puncto Umweltbewusstsein voraus sei. Bioethanol beigemischt. etwas zu hören. Im Mittelpunkt stand vielmehr die Frage, All das macht es nicht leicht, ein echtes Gespräch über Der ökologische Wert von welches Auto den neuen Kraftstoff tatsächlich ohne Probleme Umweltthemen zu beginnen. Während in den USA um Kli- Kraftstoffen, die aus Bio- verträgt. Da gab es unterschiedliche Informationen, und das mawandel und andere Themen regelrechte Kulturkämpfe masse hergestellt werden, mag der Deutsche halt nicht. ist umstritten. Allerdings ausgefochten werden, herrscht in Deutschland ein freundli- boykottierten Autofahrer in Grün, grüner, am grünsten? ches Einvernehmen. Selbst bei der Atomkraft, jahrzehntelang Deutschland das Alternativ- Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen, gibt es seit dem benzin vor allem aus Sorge Der Streit um E10 verschwand aus den Schlagzeilen, als in vergangenen Jahr einen parteienübergreifenden Konsens. um den Motor. In den USA Japan die Erde bebte und die Atomkatastrophe von Fuku- gibt es diese Ängste nicht. Natürlich soll Umweltschutz nicht zu viel kosten und keine shima alle Aufmerksamkeit auf sich zog. Dennoch lohnt es Dort gehören Kraftstoffe großen Umstände machen, aber das ist ein Thema fürs Klein- mit zehn Prozent Ethanol- sich, die Aufregung um das vermeintliche Öko-Benzin etwas gedruckte und soll selbstverständlich nicht vom Wert der beimischung längst zum näher zu betrachten. Dabei geht es nicht nur um die Frage, guten Sache ablenken. Und das grüne Deutschland ist ja nicht Standard. ob die Deutschen ihr Auto nicht doch noch etwas mehr lie- nur eine Autosuggestion. Wer mit Aktiven aus anderen Län- ben als die bedrohte Natur. Die Irritation entsprang vor allem dern spricht, bemerkt nicht selten, dass man für die Probleme der Tatsache, dass Befürworter wie Kritiker mit ökologischen

Abbildungen: istockphoto.com/Bart Sadowski; wikipedia der deutschen Umweltbewegung kein rechtes Verständnis be- Argumenten hantierten: Erstere betonten die nötige Abkehr 06-11Uekoetter_RZ:Layout 1 15.03.12 18:13 Seite 8

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von fossilen Energiequellen, Letztere die Folgen für So hatte der ökologische Protest eine heilsame Wirkung, die Landschaften und Ökosysteme, und beide Seiten ar- inzwischen kaum noch jemand bestreitet. Technisch gesehen gumentierten mit dem Klimaschutz, nur eben auf unter- wären sowohl die Rauchgasentschwefelung bei Großkraft- schiedliche Weise. Und es war ja nicht der einzige Fall, in dem werken wie die Autokatalysatoren schon in den siebziger plötzlich Grün gegen Grün stand. Quecksilber aus Energie- Jahren problemlos möglich gewesen und blieben nur aus Dieser Aufkleber, in den sieb- sparbirnen, Windräder gegen Vogelschutz, Proteste gegen ziger und achtziger Jahren Kostengründen ungenutzt. Der Durchbruch gelang erst, als neue Bahnstrecken und Stromleitungen – irgendwie ist es in auf Autos, Fahrrädern und in den achtziger Jahren die bedrohten Wälder parteienüber- der Umweltdebatte unübersichtlich geworden. Taschen allgegenwärtig, greifend Furore machten. Dabei war man von der ökologischen Sache doch eigent- symbolisierte die Verbindung So umwehte die ökologische Bewegung zunächst der des Atomprotests mit einem lich Eindeutigkeit gewohnt. Wie sonst will man erklären, dass Lebensgefühl junger Nimbus des Erfolgs. Keine andere soziale Bewegung der bun- Umweltprobleme den Impuls zur einzigen erfolgreichen Par- Menschen. Es war cool, sein desdeutschen Geschichte eroberte so rasch die Herzen so un- teiengründung der alten Bundesrepublik gaben? Für die Grü- Umweltbewusstsein zu terschiedlicher Menschen wie die Umweltbewegung in den nen der achtziger Jahre war jedenfalls ganz klar, wonach die zeigen. Nach Fukushima gab achtziger Jahren – auch wenn so mancher Vollblut-Öko es einen neuerlichen, bedrohte Natur verlangte: Atomkraftwerke sollte man ab- durch den Vollbart brummte, dass die Ökologisierung doch vielleicht aber auch den schalten, Energie aus Wind und Sonne gewinnen und Autos letzten Boom des Atom- zumeist arg oberflächlich blieb. Vor allem im Kampf gegen zumindest mit Katalysatoren ausstatten. Und natürlich protests in Deutschland. Umweltverschmutzung gab es eine spektakuläre Serie von schrieb man solche Forderungen auf Umweltschutzpapier. Erfolgen: Das verbleite Benzin wurde nach und nach verbo- Dagegen standen Wachstumsdenken, Tempowahn und un- ten, Fabriken und Gemeinden bauten Kläranlagen, und gehemmte Verschmutzung. Die Welt war einfach. schädliche Stoffe verschwanden aus Lebensmitteln und Pro- Daraus sprach nicht nur die Naivität, die wohl jeder so- duktionsverfahren. Zivilgesellschaft und Staat verständigten zialen Bewegung in ihren Anfängen innewohnt. In den acht- sich auf eine Art Aufgabenteilung: Umweltverbände klagten ziger Jahren gab es schließlich noch jede Menge Umwelt- Missstände an, Behörden reagierten mit dem klassischen probleme, bei denen man nicht lange nachdenken musste, Ordnungsrecht. So weit, so gut. um das ökologisch Richtige zu erkennen. Man musste über- haupt nichts von der Sache verstehen, um zu ahnen, dass Eine Bewegung findet sich neu man Robbenbabys nicht erschlagen und giftige Dünnsäure Aber irgendwann gingen der Umweltbewegung die Probleme nicht einfach in die Nordsee kippen sollte – beides Praktiken, aus, bei denen man auf diesem Weg zum Ziel kam. Flächen- die ziemlich schnell verboten wurden, nachdem sie einer kri- verbrauch, Bodenerosion und Wohlstandsmüll sind nur drei tischen Öffentlichkeit nachdrücklich vor Augen geführt wur- von etlichen Herausforderungen, bei denen eine endgültige den. Die Regenbogenkämpfer von Greenpeace, die sich mit Lösung illusorisch war: Man konnte die Probleme zwar be- einigem Geschick auf die mediale Inszenierung solcher Pro- kämpfen und eingrenzen, aber eben nicht in einer Weise, die bleme verstanden, wurden schlagartig populär. Der Bundes- sie ein für allemal erledigte. Nichts verdeutlichte dies nach- bürger verstand und überwies eine Spende. drücklicher als die Diskussion über die Erwärmung des Erd- klimas durch Treibhausgase, die seit Mitte der achtziger Jahre Die Problemlöser aus der Ökoecke zur bundesdeutschen Umweltdebatte gehört. Der Klimawan- Es gab aber nicht nur Probleme, die geradezu zum Himmel del hing aufs Engste mit dem westlichen Lebensstil zusam- schrien, sondern auch probate Lösungen. Beides fügte sich men, und dieser entzog sich weitgehend einer staatlichen nahtlos aneinander: Wer gegen das Waldsterben war, der war Regulierung. Es war und ist nicht verboten, ein großes Haus für die Abgasreinigung bei Kohlekraftwerken und Kraftfahr- weit draußen vor der Stadt zu besitzen, jeden Tag mit dem zeugen. Problem und Lösung kamen gewissermaßen als Geländewagen zur Arbeit zu fahren und dreimal im Jahr Paket, und die Verbindung besaß eine derart zwingende nach Mallorca zu fliegen, und doch ist derlei ökologisch ge- Logik, dass bald nur noch über das Tempo gestritten wurde. sehen eine ziemliche Schweinerei. 06-11Uekoetter_RZ:Layout 1 15.03.12 18:13 Seite 9

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Von der Sache her hätte es deshalb nahe gelegen, am Ende der ökologischen achtziger Jahre auf neue Strategien und The- men zu setzen: weniger Verbote, mehr Gestaltung, weniger Staat, mehr Themen der Lebens- und Arbeitswelt. Tatsächlich gab es Anzeichen für entsprechende Neuorien- tierungen. Ingenieure entdeckten Ökoeffizienz als neues Paradigma; aus dem Protest gegen Autobahnprojekte entwi- ckelte sich eine aktiv gestaltende Verkehrspolitik, die dem öf- fentlichen Nahverkehr neue Impulse verlieh. Und doch scheint es, dass die Umweltbewegung diesen Wandel von Strategien und Denkmustern letztlich nicht konsequent genug betrieb. Immer wieder schimmerte das Erfolgsrezept der achtziger Jahre durch: öffentliche Kampagnen und staatliche Politik. Die erprobten Rezepte wurden jedoch nicht nur durch den andersartigen Charakter der neuen Probleme infrage ge- stellt, sondern auch durch den Wandel des geografischen Be- zugsrahmens. Die ökologischen achtziger Jahre waren eine bundesdeutsche Besonderheit. Kein anderes westliches Land erlebte in dieser Zeit einen Aufschwung grüner Themen. Die Strukturen, die sich im Zuge dieses Booms entwickelten, waren deshalb zumeist eminent bundesdeutsch: Verbände, Forschungseinrichtungen, Zeitschriften. Just in jener Zeit, in der sich die Umweltpolitik internationalisierte, konsolidierte sich die Ökoszene im geografischen Rahmen der Bundesre- publik. So steckt in der vermeintlich globalisierten Öko-Rhe- Wie kann man den Klima- torik nicht selten ein nationalstaatliches Kalkül, so etwa beim Die Kompetenz der Nationalstaaten wurde zugleich von wandel im Alltag erkennbar machen? Der kondensierte vielzitierten »Umweltschutz schafft Arbeitsplätze«, bei dem einer Serie internationaler Vereinbarungen herausgefordert. Wasserdampf über diesem der Gedanke an Exportchancen für deutsche Ingenieurstech- Mit dem Montreal-Protokoll zum Schutz der Ozonschicht Moskauer Kraftwerk ist nik meist nicht fernliegt. von 1987 begann eine globale Umweltdiplomatie, als deren sichtbar, nicht jedoch wichtigste Themen die biologische Vielfalt und der anthro- das Treibhausgas Kohlen- Artenschutz und Klimawandel pogene Klimawandel zu gelten haben. In schöner Regelmä- dioxid. Zwischen 2008 und 2010 stieg der Ausstoß Die Internationalisierung der Umweltpolitik wurde von ßigkeit berichten die Medien nun über Gipfeltreffen zu klimaschädlicher Treib- mehreren Seiten vorangetrieben. Am meisten Gewicht ökologischen Themen: Johannesburg 2002, Kopenhagen hausgase mal wieder um gewann die Europäische Union. Seit der Einheitlichen Euro- 2009, Durban 2011, Rio 2012 – Fortsetzung folgt. fünf Prozent. päischen Akte von 1987 besaß die Gemeinschaft eine aus- Die Ergebnisse der internationalen Umweltpolitik klaffen drückliche Zuständigkeit für die Umweltpolitik, die sich bald freilich weit auseinander. Das Montreal-Protokoll erwies sich in einigen ambitionierten Richtlinien niederschlug. tatsächlich als effektiver Weg zu einem Verbot schädlicher Inzwischen ist die Umweltpolitik nach der Agrarpolitik Stoffe, auch wenn es aufgrund der Trägheit atmosphärischer der am stärksten von europäischen Vorgaben geprägte Poli- Prozesse noch einige Zeit dauern wird, bis das Ozonloch über tikbereich – allerdings ohne dass sich dies im Bewusstsein der Antarktis verschwindet. Dagegen ist beim Klimawandel der Bundesbürger oder in den Strukturen der Umweltver- trotz regelmäßiger Gipfeltreffen noch immer keine erfolgver-

Abbildungen: OOA Fonden/smilingsun.org; istockphoto.com/Subic Abbildungen: OOA Fonden/smilingsun.org; bände sonderlich niedergeschlagen hätte. sprechende Lösung in Sicht. Das Kyoto-Protokoll von 1997, 06-11Uekoetter_RZ:Layout 1 15.03.12 18:13 Seite 10

Aufnahme von 2009 aus dem Bayerischen Wald: So stellte man sich in den achtziger Jahren die Zukunft des Waldes vor. Tatsächlich wurden diese Bäume jedoch nicht vom Säureregen dahin- gerafft, sondern von Insekten. Der Wald hat weiterhin Probleme, sie sehen aber anders aus als die Klischees der Waldsterbensdebatte.

schwer, von den Rezepten der Vergangenheit Abschied zu nehmen. Eine Klimapolitik ohne »Kyoto«? Da schaudert es den Otto Normalöko. Man könnte es die Rache der Geschichte nennen: Wenn wir über Umweltprobleme reden, dann geht es eben nicht nur um die Sache selbst, sondern auch um einen Vorrat von Begriffen und Denkmustern, der sich historisch entwickelt hat. Neue Ideen und Wege ersticken da allzu leicht unter dem Alpdruck der guten ökologischen Gewohnheit. Zum Beispiel beim Waldsterben: Seit den achtziger Jahren dominiert im Umweltdiskurs das Bild der vom Säureregen bedrohten Bäume, obwohl die realen Probleme inzwischen ganz anders aussehen. Der alljährliche Bericht zum Zustand des Waldes wird mit den immergleichen Kommentaren von Politikern und Umweltfunktionären zur Kenntnis genommen. Der Be- griff suggeriert eine Gewissheit, die von der Sache her längst obsolet ist.

Nach jahrzehntelangem Kreative Ideen statt Ökofundamentalismus ursprünglich als erster Schritt zu einem effektiven globalen Kampf gilt seit Anfang dieses Die Zeit der Eindeutigkeit ist in der Umweltdebatte vorüber. Jahres ein europaweites Klimavertrag gedacht, wurde im Laufe zahlloser Verhand- Das Dumme ist nur, dass wir die grüne Sache noch immer Verbot der Käfighaltung von lungsrunden immer mehr verwässert. Vermutlich wären die Hühnern. Die Frage nach dem als eine solche verstehen. In einer unübersichtlichen Welt globalen Klimaverhandlungen längst kollabiert, wenn die Eu- Wohl der Kreatur im Massen- suggerieren ökologische Maximen eine trügerische Sicher- ropäische Union nicht wiederholt mit lebenserhaltenden stall ist damit jedoch nur zum heit. Nur so konnte die Mülltrennung wohl zu einem bun- Teil beantwortet. Maßnahmen ausgeholfen hätte. Auch bei der internationalen desdeutschen Fetisch werden: Das tägliche Sortieren gilt als Umweltpolitik war die Sachebene jedoch nur ein Teil der Ge- gelebtes ökologisches Bekenntnis. Der umweltbewusste schichte. Der andere Teil war der Mythos der Begriffe: Deutsche hat Lösungen. Nur passen sie halt nur sehr bedingt »Kyoto« wurde zum Symbol für globale Klimaverantwor- zu den Problemen. tung. Jeder umweltbewegte Mensch stand selbstverständlich Es hilft jedoch alles nichts: Wer sich an Rezepte und Be- hinter dem Kyoto-Protokoll, und wer Zweifel äußerte, fand griffe der Vergangenheit klammert, befördert auf Dauer nur sich rasch im gesellschaftlichen Abseits. Das änderte sich auch die eigene Verkrampfung. Die Erfolge der achtziger Jahre sind nicht, als sich dessen Ratifizierung über sieben Jahre hinzog nicht zu wiederholen, ja die Erinnerung an diese Boomzeiten und die Verhandlungen über ein Folgeabkommen stockten. lenkt das Denken in die falsche Richtung. Die Lösungen und Erst sollte der Gipfel von Kopenhagen 2009 den ersehnten Denkmuster jener Zeit unterliegen wie alles Irdische dem Ge- »Global Deal« beschließen, dann Durban 2011. Inzwischen setz vom abnehmenden Grenznutzen. lautet die Zielvorgabe 2015. All das wirkt auf den ersten Blick verwirrend. Aber zu- So stolpert man in der Umweltdebatte immer wieder gleich verbirgt sich dahinter auch eine großartige Chance, über dasselbe Phänomen: Einmal eingeschlagene Lösungs- die Umweltdebatte neu zu beleben. Wenn das ökologisch wege haben sich von der Sache her als überholt erwiesen, Gute nicht mehr einfach feststeht, sondern erst noch gefun- führen ein seltsames Nachleben. Die jährlichen Klimagipfel den und aktiv gestaltet werden muss, dann gibt es hier näm- binden Aufmerksamkeit und Energien, die man besser in lich eine grandiose Chance zum Entdecken und Experi-

andere Wege investieren könnte. Und doch fällt es uns mentieren. Darin bestand schließlich ein nicht ganz uner- Spörr; istcockphoto.com/Ryan Beiler Rodrick Abbildungen: istockphoto.com/Alexander 06-11Uekoetter_RZ:Layout 1 19.03.12 14:46 Seite 11

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Öl auf Wasser. Was ästhe- tisch durchaus seinen Reiz hat, schadet der natürlichen Umwelt massiv. Nach der Katastrophe der Bohrplatt- form wurden tonnenweise Chemikalien versprüht, um das Öl von der Oberfläche zu bekommen. Was das Öl danach in den Tiefen des Meeres anrichtete, wissen freilich nicht einmal die Experten.

hebliches Manko der ökologischen achtziger Jahre: Seinerzeit braucht den starken Staat. Sie braucht sogar einen klügeren besaß die Umweltbewegung bei aller Beliebtheit auch einen Staat – denn mit einfachen Verboten ist es im 21. Jahrhundert unangenehmen dogmatischen Zug. Schon damals klafften nicht mehr getan. Und doch verschieben sich die Akzente die Popularität des Anliegens und die der Bewegung deutlich von der Politik zur Gesellschaft. Der kluge ökologische Kon- auseinander, und seither ist die Kluft eher noch größer ge- sument wird zum Motor der Veränderung, indem er Trans- worden. Während sich eine große Mehrheit der Bundesbür- parenz und Verantwortung einklagt. Nur tut er all dies nicht ger für umweltbewusst hält, stehen die Umweltbewegungen verbissen, sondern neugierig und optimistisch, denn er weiß, im Zwielicht: als wohlmeinende, aber arg nervige Individuen, dass nicht jedes Stück Fleisch das Ergebnis von Tierquälerei die der breiten Öffentlichkeit mit ihren Mahnungen auf den sein muss. So entsteht die Umweltbewegung neu: als Frage Keks gehen. nach dem guten Leben. Natürlich spiegelt es Zynismus und Borniertheit wider, Historisch gesehen ist das auch gar nicht so überraschend. wenn Umweltaktivisten als Gutmenschen bespöttelt werden. Letztlich ging es bei der ökologischen Frage stets um mehr als Und doch wäre eine Umweltbewegung mit Zukunft gut be- Zum Thema nur um Grenzwerte und Filter: Die Idee eines Lebens im Ein- raten, auf einen anderen Impuls zu setzen: den des mutigen, Frank Uekötter, klang mit der Natur zieht sich durch die Geschichte der umsichtigen Experimentierens. Ansätze gibt es dazu mehr Am Ende der Gewissheiten. Menschheit und ist inzwischen eine der letzten wirklich po- als genug. Da entscheiden sich zum Beispiel Bürger dafür, Die ökologische Frage pulären Utopien. Allerdings ist sie in den vergangenen Jahr- im 21. Jahrhundert, einen Windpark in kommunaler Eigenregie hochzuziehen, Frankfurt 2011. zehnten allzu oft in schwülstiger Rhetorik oder abstrakten statt solche Projekte anonymen Investoren aus der Ferne zu Szenarien erstarrt. Wenn man die ökologische Frage als Teil überlassen. Menschen reduzieren ihren Fleischkonsum und einer Suche nach dem guten Leben versteht, ergeben sich fragen genauer nach, woher ihr Essen kommt. Vielflieger Wege zu einer fröhlichen, lustbetonten Umweltdebatte. Starre kompensieren ihren Klimaeffekt, indem sie für Initiativen Regeln sind dazu da, mit cleveren neuen Ideen überwunden spenden, die mit Aufforstungs- und anderen Projekten Koh- zu werden. Die Zeiten, in denen ein kratziger Wollpullover die lendioxid binden. Und natürlich schaut der kluge homo oe- einzige modische Option war, sind glücklicherweise vorüber. cologicus dabei genauer hin: Hat das Klimaprojekt, dem ich Natürlich gibt es keinerlei Gewissheit, dass sich die Um- mein Geld überweise, tatsächlich den gewünschten Effekt? weltdebatte so verändern wird. Es mangelt nicht an wissen- Die Naivität, mit der man in den achtziger Jahren das öko- schaftlichen Studien, die die Trägheit und Gedankenlosigkeit logisch Gute postulierte, lässt die neue Umweltbewegung des westlichen Konsumenten dokumentieren. Aber auch freudig hinter sich. Es ist eher eine Mischung aus Tatkraft Konsumenten lernen und irgendwann werden Innovationen und gesunder Skepsis: Auch Umweltprojekte haben Neben- zur Selbstverständlichkeit: Haltbarkeitsdatum, Herkunfts- wirkungen und Skandalpotenzial – aber das ist kein Grund nachweis, Verzeichnis der Zutaten – all das musste vor gar zur Verzweiflung, sondern mahnt vielmehr zur Wachsamkeit nicht so langer Zeit gegen heftige Widerstände durchgeboxt und gedanklichen Offenheit. werden. Und im digitalen Zeitalter scheitert die Transparenz

Wissen ist die Schlüsselressource des neuen ökologischen AUTOR DER auch nicht mehr am begrenzten Platz auf der Packung. Zeitalters, Umsicht und Neugierde sind seine Kardinaltugen- PD Dr. Frank Uekötter Vielleicht wird man unsere Gegenwart deshalb einmal als den und unangenehme Fragen sind für die neue Umweltbe- ist Dilthey-Fellow der Volks- eine Zeit des Übergangs beschreiben. In Konturen deutet sich wegung kein Tabu, sondern eine Herausforderung. Ist es zum wagenStiftung und LMU- ein neues ökologisches Zeitalter an, mit neuen Begriffen, Fellow am Rachel Carson Beispiel wirklich hilfreich, von »Klimaflüchtlingen« zu reden, neuen Denkansätzen, neuen Verhaltensweisen – nur verste- Center. Sein Buch Am Ende oder richtet derlei unterm Strich mehr Schaden an, indem der Gewissheiten wurde hen wir es noch nicht, weil wir noch immer mit den Scha- damit unterschwellig ganze Regionen für unbewohnbar er- von der Redaktion blonen der Vergangenheit hantieren. Im Lichte unserer klärt werden? Was der alten Umweltbewegung als Tabu gilt, »Jahrbuch Ökologie« zum bisherigen Erfahrungen ist die grüne Zukunft verwirrend. ist für die neue Umweltbewegung eine spannende intellek- Umweltbuch des Monats Schon deshalb, weil sie eine Menge Spaß machen könnte. Februar 2012 gewählt.

Abbildungen: istockphoto.com/iShootPhotos, LLC; Campus Verlag LLC; Abbildungen: istockphoto.com/iShootPhotos, tuelle Herausforderung. Auch die neue Umweltbewegung Die Umweltdebatte wird wieder spannend. ❘❙❚ 12-17Anthropozän_RZ:Layout 1 15.03.12 18:36 Seite 12

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Die menschengemachte Erde

Das Anthropozän sprengt die Grenzen von Natur, Kultur und Technik. Von Reinhold Leinfelder, Christian Schwägerl, Nina Möllers und Helmuth Trischler 12-17Anthropozän_RZ:Layout 1 19.03.12 14:48 Seite 13

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Linke Seite: Aus dem Jahr 2000 stammt die Satellitenaufnahme des bolivianischen Regenwaldes. Die intakten Waldgebiete erscheinen leuchtend rot. Die grünlichen Flächen markieren Kahlschläge, die als riesige Schneisen in den Urwald hineinragen.

n der kulturellen Tradition der westlichen Welt wurde Ilange Zeit relativ scharf zwischen Natur und Kultur sowie zwischen biologisch Lebendigem und technisch Geschaffe- nem unterschieden. Diese Dualismen sind bis heute prägend dafür, wie Menschen sich selbst und die Welt wahrnehmen. Früher diente die Unterscheidung zwischen Natur und Kul- tur eher dazu, das »höherwertige« menschliche Tun von der »minderwertigen« Natur abzugrenzen. Heutzutage kommt die Trennung in Natur und Kultur auch in umgekehrter Weise zum Ausdruck, etwa wenn vermeintlich »unberühr- verändert. Während diverser Eis- und Zwischeneiszeiten des Der Meteorologe und Nobel- ten« Wildnisgebieten im Gegensatz zu Städten ein höherer Pleistozäns war Homo sapiens als Jäger so effektiv, dass er preisträger Paul J. Crutzen brachte den von dem ökologischer Wert beigemessen wird. mehrere Arten ausrottete. Im nacheiszeitlichen Holozän italienischen Geowissen- Doch seit einigen Jahrzehnten verlieren die alten Grenz- schaffte der Mensch einen steilen Aufstieg zu einer wichtigen schaftler Antonio Stoppani ziehungen ihre Bedeutung, ja es lässt sich fragen, ob sie nicht Kraft im Erdsystem. Er entwickelte Ackerbau, Viehzucht, (1824–1891} geprägten schon länger durch künstliche Gegensätze eher negative Wir- Städtebau, Handel und Verkehr. Er begann dabei, Stoffströme Begriff des Anthropozäns in die öffentliche Diskussion ein. kungen entfaltet haben. Vom Klimawandel bis zur syntheti- zu verändern und seine Umwelt regional grundlegend um- Crutzens These: Das Holozän, schen Biologie ist die Erde von heute von Phänomenen zugestalten, etwa durch die Abholzung im Mittelmeerraum als klimatisch weitgehend geprägt, die es schwer machen, klare Grenzen zwischen Natur und die Kultivierung weiter Landstriche für seine Ernährung. stabile Zwischeneiszeit, sei und Kultur sowie zwischen Leben und Technik zu erkennen. Seit Beginn der Industrialisierung, also in den vergangenen durch die Folgen menschen- Eine Projektion aktueller Trends in die Zukunft führt zu rund 250 Jahren, haben sich die Effekte menschlichen Tuns gemachter Veränderungen beendet. Als Indikatoren für dem Ergebnis, dass die Erde künftig noch deutlich stärker in doppeltem Sinn globalisiert. Sie treten zum einen auf der ein neues Erdzeitalter nennt vom Menschen geprägt sein wird, als es ohnehin schon der ganzen Welt auf und zum anderen erreichen sie, wie etwa der Crutzen u.a. die Folgen der Fall ist. Wenn die Bevölkerungszahl von heute sieben Milli- anthropogene Klimawandel, eine globale Skala. massiven Veränderungen arden bis zum Jahr 2100 auf zehn Milliarden steigt und diese sämtlicher Lebensräume durch den Menschen seit Menschen die Ressourcen der Erde immer weiter auf die der- Vom »Biom« zum »Anthrom« Beginn der Industrialisierung zeitige Art und Weise nutzen, entsteht eine »Menschen- Aktuelle Zahlen illustrieren, wie realistisch die Anthropo- ab ca. 1800. Die Grafik Erde«, auf der menschliche Bedürfnisse und die menschliche zän-Hypothese ist. So ist bereits heute nur noch ein Viertel verdeutlicht diese Trans- Infrastruktur eine dominante Stellung im Erdsystem einneh- der eisfreien Landoberfläche in einem menschlich eher un- formation der Biospäre. men. Dies kommt im relativ neuen Begriff Anthropozän zum beeinflussten Zustand. Statt in Biomen, also natürlichen Le- Die Auswirkungen menschlicher Eingriffe Ausdruck, der auf den Atmosphärenchemiker und Nobel- bensräumen, leben wir heute hauptsächlich in »Anthromen« sind mittlerweile auf etwa preisträger Paul J. Crutzen zurückgeht. Die Anthropozän- (Erle Ellis), in menschengemachten Kulturlandschaften. Der 75 Prozent der eisfreien Idee ist zuallererst eine wissenschaftliche Hypothese. Sie Mensch lagert durch Landwirtschaft und Bautätigkeit fast Erdoberfläche deutlich besagt, dass die vom Menschen initiierten Veränderungen dreißig Mal mehr Sediment und Gestein um, als es im sichtbar. (Grafik nach Nature vom 12.5.2011) sich bereits in geologisch sichtbarer Form niederschlagen und Schnitt der letzten 500 Millionen Jahre ohne sein Zutun der von ausreichend langfristiger Natur sind, um sie auf der Zeit- Fall gewesen ist. Er gestaltet ganze Wassersysteme um und skala der Erdgeschichte zu verorten. Zugleich lässt sich das trocknet Binnenmeere wie den Aralsee aus. Die Sediment- Anthropozän als Beginn einer neuen Gesamtsicht von der fracht der Flüsse wird von zehntausenden menschengemach- Rolle des Menschen auf der Erde interpretieren, einer Ge- ten Staudämmen abgefangen und gelangt nur noch zu einem samtsicht, die in einem offenen kollektiven Prozess erst noch geringen Teil in die Meere. Dort ziehen sich die Flussdelten entwickelt wird. mangels Sedimenten zurück, was an vielen Orten den Mee- Der Mensch hat das Erdsystem schon seit seinem Entste- resspiegel stark steigen lässt. Plastikpartikel werden zum

Abbildungen: NASA; Nature Abbildungen: NASA; hen als biologische Art vor rund 250.000 Jahren genutzt und neuen Sedimenttyp. In manchen Regionen des Pazifiks kom- 12-17Anthropozän_RZ:Layout 1 15.03.12 18:36 Seite 14

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Michael Zeno Diemer schuf das Diorama eines mittel- deutschen Tagebaubetriebs für Braunkohle mit Brikett- fabrik für das Deutsche Museum. Die Szene illustriert eindrucksvoll, wie der Mensch mit Hilfe von Technik Land- schaften innerhalb weniger Jahre umgestaltet.

men heute auf ein natürliches Planktonteilchen 50 Plastik- teilchen, die von Fischen mit Plankton verwechselt und ge- fressen werden – mit verheerenden Folgen. Die Hälfte des kontinuierlich verfügbaren Süßwassers wird inzwischen in der einen oder anderen Form vom Men- schen genutzt, was massive Änderungen in Fließmustern zur Folge hat. Eine weitere geologische Umgestaltung stellt der menschliche Umgang mit Rohstoffen für die Industriepro- duktion dar. Aluminium, Seltene Erden, Phosphat und viele andere Stoffe werden aus konzentrierten Lagern extrahiert und über die Entsorgung von Elektroschrott und Abraum global neu verteilt. Mengenmäßig noch mehr ins Gewicht fallen die Abgase aus der Gewinnung und Verbrennung fos- siler Energieträger und aus der industrialisierten Landwirt- schaft: Der Gehalt von Kohlendioxid und Methan in der Atmosphäre war seit 400 000 Jahren nicht höher, der men- schengemachte Stickoxid- und Schwefeldioxidausstoß über- steigt nun natürliche Quellen. Selbst wenn ab sofort kein Erdöl, kein Erdgas und keine Kohle mehr verbrannt würden, würde es wegen der langen atmosphärischen Verweildauer

von CO2 tausende bis zehntausend Jahre dauern, bis wieder vorindustrielle Werte erreicht wären. Die Ausrottung von Tieren im Pleistozän erweist sich heute nur als Auftakt für ein viel gewaltigeres Geschehen: Die Die historische Abbildung Aussterberate von Tier- und Pflanzenarten ist derzeit 100- zeigt Fördertürme auf einem epoche, das nacheiszeitliche Holozän, für beendet zu erklä- Ölfeld in Texas um 1960 als bis 1000-fach höher als im früheren Mittel. Der Mensch hilft ren und das menschliche Wirken im »Anthropozän« zu fas- Insignien des industriellen zugleich durch globale Transportvorgänge vielen Arten, sich Komplexes. Davor friedlich sen. Was als Idee begann, hat nun weltweit einen breiten weltweit über ihre bisherigen Areale hinaus auszubreiten. grasende Kühe. und vielfältigen Forschungsprozess initiiert. Eine Arbeits- Menschliches Tun verändert massiv die Zusammensetzung Natur versus Technik? Nur gruppe der Internationalen Kommission für Stratigraphie von Lebensgemeinschaften und damit langfristig sogar den scheinbar! Zum einen gelten (ICS), dem Hauptgremium für Schichtenkunde, hat eine heute auch in der Landwirt- fossilen Bestand der Zukunft. Ähnlich langfristig wirken schaft die Spielregeln offizielle Prüfung begonnen und will 2017 ein erstes Votum Atombombentests und Unfälle in Kernkraftwerken mit ihrer industriellen Wirtschaftens. vorlegen. Signatur von Radionukliden. Zum anderen wird durch die Zugleich beginnt eine Reihe von Institutionen mit dem massenhafte Haltung von Nachdenken über die Weiterungen des Anthropozän-Kon- Tieren zum Verzehr mittler- Das Anthropozän-Konzept: zepts für die menschliche Selbstwahrnehmung und das weile fast ebenso viel CO von der Umwelt zur Unswelt 2 produziert wie durch die Ver- menschliche Handeln. Bereits im frühen 20. Jahrhundert Solche und andere Neuerungen im globalen Stoffkreislauf brennung fossiler Rohstoffe. hatten der katholische Philosoph Teilhard de Chardin sowie haben Paul J. Crutzen veranlasst, das Wirken der Menschen der russische Geologe Wladimir Wernadski ähnliche Über- nicht mehr nur auf der Skala von Jahren und Jahrzehnten, legungen angestellt. Sie sprachen von der »Noosphäre«, der sondern auf der geologischen Skala zu betrachten. Im Jahr Sphäre der Kommunikation und des Wissens, als neuem 2000 hat er zusammen mit dem US-amerikanischen Bio- und gleich bedeutendem Element zusätzlich zu Geosphäre

logen Eugene Stoermer vorgeschlagen, die laufende Erd- und Biosphäre. Sie hoben die enorme Gestaltungskraft her- Museum Abbildungen: Deutsches 12-17Anthropozän_RZ:Layout 1 19.03.12 14:50 Seite 15

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vor, die dem Menschen seit dem 20. Jahrhundert für die Biodiversität solcher Kulturlandschaften über der von Erde der Zukunft zuwächst. Das wirft die Frage auf, was es menschlich weniger beeinflussten Gebieten. bedeutet, das Holozän zu verlassen und künftig im Zeitalter Über das Internet und andere Infrastrukturen, die den des Menschen zu leben. Menschen global vernetzen, entsteht ein ständiger Wissens- Auch in der Geschichtswissenschaft ist das Anthropozän und Erfahrungsaustausch, der künftig kollektive Denk- und bereits Forschungsgegenstand. Prominente Historiker wie Entscheidungsprozesse erleichtern wird. John McNeill und Dipesh Chakrabarty diskutieren darüber, wann der Beginn der »Unswelt« sinnvoll angesetzt werden Vorteile und Herausforderungen des kann: bei der sogenannten neolithischen Revolution vor Anthropozän-Konzepts rund 10 000 Jahren, als die Menschen zu Ackerbau und Vieh- Das Anthropozän bietet einen Rahmen für solche offenen zucht übergingen; bei der industriellen Revolution vor rund Prozesse. Es offeriert eine neue Perspektive auf die Welt, je- 250 Jahren, die u.a. den Wandel von einer auf solarer Energie doch kein neues Weltbild, keine Weltanschauung. Es schärft zu einer auf fossiler Energie beruhenden Wirtschaft brachte; den Blick dafür, was bisherige Gesamtsichten der Erde (wie oder in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg, als der der geistergläubige Animismus, die deterministische Schöp- Konsum vor allem in der westlichen Welt geradezu explo- ferwelt, der technik- und fortschrittsgläubige Industrialis- dierte. Welches dieser Epochenschemata man auch immer 1955 wurde der Stausee mus, aber auch der »holozän-konservative« klassische als besonders sinnvoll erachtet, in jedem Fall verändert die Mooserboden in den Hohen Naturschutz) geleistet haben und was nicht. Kern des Konzepts Tauern in Österreich fertig- Perspektive des Anthropozäns die Einschätzung der maßgeb- ist die Einsicht, dass der Mensch nicht von einer fremden, gestellt. Im See sammelt sich lichen Triebkräfte und Weichenstellungen der Menschheits- das Schmelzwasser des durch ihn gestörten Umwelt isoliert und umgeben ist, sondern geschichte. Pasterzengletschers am dass er Teil dieser Umwelt ist, die damit vielleicht besser »Uns- Großglockner, um die welt« genannt werden könnte. Der Anthropozän-Gedanke hat Der Mensch als Zerstörer und Gestalter Turbinen des Kraftwerks also das Potenzial, den Dualismus (gute) Natur versus (böser) Kaprun anzutreiben. Im Lauf In manchen Veröffentlichungen klingt es so, als handle es des 20. Jahrhunderts wurden Mensch samt seiner Technik und Kultur zu überwinden und sich beim Anthropozän nur um einen neuen Sammelbegriff weltweit zehntausende von stattdessen Natur-Kultur-Technik-Gesellschaft als interagie- für all das, was als »Umweltproblem« gilt, also die Summe Stauseen angelegt: eine rendes, wenn auch hochkomplexes Gesamtsystem zu sehen. aller ökologischen Frevel. Solche Katastrophenszenarios hat gewaltige Umgestaltung von Daraus resultiert eine immens hohe Verantwortung jedes Ein- Landschaft. man schon oft gelesen, sie verleiten gerne dazu, sich frustriert zelnen, sich in diese Unswelt in geeigneter Weise einzubringen, abzuwenden. Das Anthropozän wäre unter diesem Blickwin- sie zu nutzen und mitzugestalten. kel etwas, was es zu verhindern gilt. Die heutigen Umwelt- Für den einzelnen Menschen können sich aus politischen, schutzbemühungen ließen sich als Versuch auffassen, im ethischen und philosophischen Diskursen, die auf der Holozän zu verbleiben. Eine solch enge Sichtweise des An- Grundlage des Anthropozän-Konzepts stattfinden, durchaus thropozäns blendet aber die gewaltigen kulturellen, techni- konkrete Schlussfolgerungen für das eigene Leben ergeben. schen und auch ökologischen Leistungen des Menschen aus. So könnte es immer wichtiger werden, die Wechselwirkung Landwirtschaft, Städtebau, Medizin und Wissenschaft haben des eigenen Handelns (und Nichthandelns) mit dem Erdsys- über die Jahrhunderte neben allen krisenhaften und proble- tem wahrzunehmen. Konsum oder Nicht-Konsum und matischen Seiten ein extrem positives Potenzial des Men- Obergrenzen für Verbrauch sind wichtige Themen, wenn schen vorgeführt, seinen Lebensraum zu gestalten. Die Welt sich in kürzester Zeit neue Produkte aus dem Entwicklungs- ist voll von technischen Meisterleistungen wie Brücken, Sa- labor von Elektrofirmen oder Pflanzenzüchtern millionen- telliten, und Internet; die Kunst erlebt gerade und milliardenfach vermehren. Es geht um neue Prioritäten, heute einen ungeahnten Höhenflug. Kulturlandschaften, von vielleicht auch um neue Statussymbole, insbesondere aber den renaturierten Isarauen bis zu den Reisfeldern Asiens, sind um das Bewusstsein, dass sich eine globale Weltgesellschaft

Abbildung: istockphoto.com/Claudia Dewald Abbildung: istockphoto.com/Claudia Ausdruck einer gärtnerischen Fähigkeit. Oftmals liegt die aus lokalen Gesellschaften und Individuen speist. Lokales 12-17Anthropozän_RZ:Layout 1 15.03.12 18:36 Seite 16

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Die Kraftmaschinenhalle im Deutschen Museum zeigt die Geschichte der Energie - erzeugung.

gegenwärtige Lage und seine zukünftige Gestaltung – will die Ausstellung sowohl informieren als auch hinterfragen und zum Handeln animieren. In einer Ausstellung, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft mitein- ander verbindet, spielen historische Exponate eine wichtige Rolle. Techno- logien der Vergangenheit, mit denen die Menschen das Anthropozän geprägt, ja erschaffen haben, wie die Dampfmaschine oder das Haber-Bosch- Verfahren zur industriellen Herstellung von Ammoniak, verdeutlichen den menschlichen Eingriff in die ehemals als natürlich empfundene Umwelt und werfen die Frage nach unserem Technik-, Menschen- und Naturbild auf. In jedem Fall werden auch in der Anthropozän-Ausstellung in der bewährten Tradition des Deutschen Museums Objekte im Mittelpunkt stehen, histori- sche Exponate aus seinen reichen Schatzkammern und aktuelle Artefakte aus den Laboratorien von Wissenschaft und Industrie. Die auf Originalob- jekten basierende Ausstellung bietet zudem die große Chance, das bislang noch recht theorielastige Konzept des Anthropozäns zu konkretisieren und Die Anthropozän-Ausstellung mit handfestem Leben zu füllen. Sie führt den Besucherinnen und Besuchern Für die Jahre 2014/2015 plant das Deutsche Museum eine große Sonder- ganz unmittelbar vor Augen, was es heißt, die menschengemachte Unswelt ausstellung , die in enger Kooperation mit dem Rachel Carson Center kon- für künftige Generationen verantwortlich zu gestalten. zipiert wird. Weitere Partnerschaften zeichnen sich ab, vor allem mit dem Haus der Kulturen der Welt in Berlin, das in den kommenden beiden Jahren Anregungen für die Gestaltung der Zukunft das Thema des Anthropozäns in den Mittelpunkt seines Gesamtprogramms Die Globalität, die Verschränkung von natur-, technik-, sozial- und geistes- rücken wird. wissenschaftlichen Fragen und der Zeithorizont des Anthropozäns eröffnen vielfältige Darstellungsmöglichkeiten für eine Sonderausstellung. Um die Mit dieser Ausstellung werden mehrere Ziele verfolgt. So sollen dem Anthropozän eigenen systemischen Verschränkungen zu verdeutlichen, 4die Einmaligkeit der heutigen Phase am Beginn planetarer Gestaltung will die Ausstellung die einzelnen Teilthemen weniger »sektoral« als integra- vermittelt, tiv vermitteln. Nicht statisch gefasste Einzelthemen wie Klima, Ernährung, 4das Bewusstsein für Zeitskalen und Dimensionen der Umweltverände- Urbanisierung, Biodiversität etc. sollen im Mittelpunkt stehen, sondern eine rungen gestärkt, handlungorientierte Bündelung von Themen. Die grundlegende Verschrän- 4eingefahrene Denkschemata der Nachhaltigkeitsdebatte überwunden, kung der Probleme in der »Unswelt« ist auch eine Chance, um neue, inte- 4die zentrale Rolle von Wissenschaft und Technologie sowie die Bedeutung grative Lösungen zu entwickeln. Kategorien, die dabei im Vordergrund interdisziplinärer Zusammenarbeit zwischen Natur-, Technik-, Sozial- stehen, sind der Mensch als Zerstörer, aber auch als Gestalter; der anthro- und Geisteswissenschaften für die Welt von morgen hervorgehoben, pozäne Planet, der tiefgreifend durch den Menschen geformt und verändert 4Faszination für menschliche Erfindungs-/Lernfähigkeit geweckt und wird; historisch gewachsene Konsummuster und Lebensstile; die Zeit als 4ein Horizont für persönliche Verantwortung, Mitbestimmung und Le- wichtiger Faktor im Anthropozän und die Zukunft als Herausforderung, bensstilwahl eröffnet werden. aber auch als Chance für die Menschheit und ihre politischen Institutionen, sozialen Netzwerke und persönlichen Lebensträume. Ein denkbares Grundprinzip ist die Gestaltbarkeit durch das Publikum, um Auch wenn die Ausstellungsplanungen erst begonnen haben: Mit dem den offenen Charakter des Anthropozäns zum Ausdruck zu bringen. Neben Anthropozän greifen das Deutsche Museum und das Rachel Carson Center wichtigen Fakten, die zum Verständnis der unterschiedlichen Phänomene gemeinsam ein wichtiges politisches, wissenschaftliches, gesellschaftliches des Anthropozäns vermittelt werden, sollen die Besucher und Besucherinnen und kulturelles Thema auf. Sie nehmen ihre Aufgabe als Vermittler und durch verschiedene Formen der direkten Partizipation zum Nachdenken Denkanstöße gebende Institutionen ernst und bieten der Öffentlichkeit die über die »Unswelt« angeregt werden. Möglichkeit, an vorhandenem Wissen teilzuhaben, sich eine Meinung zu Durch den Einsatz zum Beispiel von Smartphone-Technologien und So- bilden, Fragen zu stellen, Antworten abzuwägen und entscheidungsfähig zu cial Media bieten sich für die Anthropozän-Idee spannende Möglichkeiten, sein. So werden die Grundlagen geschaffen, um das heutige Wirken des Men- die Ausstellung über das Museum hinaus in die Gesellschaft und andere Ak- schen auf der Erde zu verstehen, verschiedenste Haltungen dazu einzuneh- tionsformate zu tragen. So ist denkbar, dass Besucherinnen und Besucher men und in einen offenen Gestaltungsprozess für Optionen und Szenarien eine eigene Version »ihrer« Ausstellung erstellen und in sozialen Netzwerken der Zukunft einzutreten. Für das Anthropozän ist nicht nur die Frage nach mit anderen teilen, einen digitalen »Selfmade-Katalog« erstellen oder auch der Zukunft von Wissenschaft und Technik zentral, sondern auch deren Ein- ihre eigene Meinung in Echtzeit in die Ausstellung einbringen. Mit ihrem bettung in einen Gesamtprozess, in dessen Verlauf sich die überkommenen

Blick auf den anthropozänen Planeten – seine historische Entstehung, seine Grenzen von Natur und Kultur auflösen. ❘❙❚ privat NASA; Museum; Abbildungen: Deutsches 12-17Anthropozän_RZ:Layout 1 15.03.12 18:36 Seite 17

Vom Weltraum aus gesehen Handeln innerhalb eines globalen Ethos, das wäre das hohe ist es im Mittleren Westen der maerwärmung durch Landnutzungsänderungen vorantrei- Ziel für eine zukunftsfähige, langzeitverantwortliche Gestal- USA nachts ziemlich hell. Das ben. Bioenergie ist jedoch durchaus sinnvoll, wenn sie am tung des zukünftigen Anthropozäns – schließlich soll es kein Bild wurde am 29. 11. 2011 Ende von Wirtschaftsketten steht und etwa Biomüll ohne geologisches Event sein, vergleichbar einem Meteoritenein- von der Raumstation ISS aus effizienzfressende Zwischenschritte direkt verstromt wird. Es aufgenommen. schlag oder einer Klimastörung, sondern ein langandauern- geht nicht um die Akzeptanz all dessen, was die Wissenschaft des Erdzeitalter werden. und Technik leisten könnte, sondern um echte Partizipation Falsch angewandt könnte das Anthropozän-Konzept al- der Bevölkerung an der Gestaltung des Anthropozäns. lerdings auch missverstanden und damit kontraproduktiv Technik ist menschengemacht und erfordert deshalb eine werden. Es meint eben nicht die Auflistung aller Übel, die der gesellschaftliche Diskussion über Entwicklung, Anwendung Mensch mit der Natur angestellt hat. Es ist auch kein grö- und Nutzen in unserer gegenwärtigen und zukünftigen Welt. ßenwahnsinniges Konzept, das behauptet, die Zukunft in Um im Anthropozän die richtigen Entscheidungen zu tref- allen Details vorhersagen zu können, und auf simplistische fen, ist es wichtig, dass die Menschen Gelegenheit bekom- Aktionen setzt, wie etwa einem in seinen systemischen Aus- men, über ihr Verhältnis zur Technik, Natur und Kultur wirkungen undurchdachten dauerhaften Einblasen von Ae- nachzudenken. Dazu benötigen wir sowohl ein Verständnis rosolen in die Atmosphäre, um Sonneneinstrahlung zu von Naturwissenschaft und Technik, Geschichte und Gesell- verringern und dadurch das Klima abzukühlen. Es geht viel- schaft als auch die Fähigkeit zum kritischen Hinterfragen mehr um das Durchdringen aller möglichen Auswirkungen wissenschaftlicher Daten und Positionen. Um auf die Frage, unseres derzeitigen und zukünftigen Handelns. was wir wollen, eine Antwort zu finden, müssen Szenarien Vereinfachende Lösungen, wie beispielsweise Biotreib- und alternative Visionen entwickelt werden, die reflektiert stoffe sind weder effizient noch klimaneutral und stehen in und ausprobiert werden müssen. Das Museum bietet dazu Konkurrenz mit der Nahrungsmittelproduktion, mit ökosys- einen einzigartigen Raum des Lernens und Begreifens, aber temaren Bodendienstleistungen und können sogar die Kli- auch des Ausprobierens und visionären Gestaltens. ❘❙❚

Prof. Dr. Reinhold Leinfelder Christian Schwägerl Dr. Nina Möllers Prof. Dr. Helmuth Trischler ist Geologe und Geobiologe. Er ist Biologe, Wissenschaftsjournalist und ist Historikerin und wissenschaftliche ist Wissenschafts- und Technikhistoriker. forscht und lehrt am Rachel Carson Buchautor. Er hat in seiner publizistischen Mitarbeiterin am Deutschen Museum. Er leitet den Bereich Forschung des Center, an der Humboldt-Universität Laufbahn für führende Medien gearbeitet. Sie hat im Rahmen des Projekts »Ob- Deutschen Museums und ist (gemein- und an der Freien Universität in Berlin 2010 erschien sein Anthropozän-Buch jekte des Energiekonsums« die Ausstel- sam mit Prof. Dr. Christof Mauch) zu den Themen Wissenstransfer, Bio- Menschenzeit – Zerstören oder Gestal- lung »Kabelsalat« kuratiert (siehe Kultur Direktor des Rachel Carson Centers. diversität und Anthropozän. Er ist ten? Im April 2012 erscheint sein neues & Technik 1/2012) und leitet nun das Mitglied des Wissenschaftlichen Buch 11 drohende Kriege. Künftige Kon- Projektteam der Anthropozän-Ausstel- Beirates der Bundesregierung Glo- flikte um Technologien, Rohstoffe, Demo- lung. bale Umweltveränderungen (WBGU). graphie und Ernährung. 18-21Langston_RZ:Layout 1 15.03.12 18:58 Seite 18

Eine Stimme gegen das Schweigen

Vor 50 Jahren erschien Rachel Carsons Buch »Silent Spring« und löste in der Öffentlichkeit große Besorgnis über chemische Rückstände in Lebensmitteln und in der Umwelt aus. Das Buch trug zum Entstehen der modernen Umweltschutzbewegung bei, die wiederum zur Gründung der US-Umweltschutz- behörde, zur Verabschiedung von Gesetzen zur Reinhaltung von Luft und Wasser sowie zum Artenschutz

und zum Verbot mehrerer Pestizide, darunter DDT, führte. Von Nancy Langston, Übersetzung: Michaela Grabinger

em Historiker Mark Hamilton Lytle zufolge war Rachel Nach dem Tod des Vaters 1935 musste Carson ihre Pro- Bild oben: Weltweit wurde das DCarson nicht nur eine Wissenschaftsjournalistin, die die motion abbrechen. Um die Mutter, zwei Geschwister und Insektizid DDT seit den 1940er Jahren eingesetzt. Um eine Komplexität der Natur in geradezu lyrischer Sprache darzu- zwei Nichten zu unterstützen, nahm sie 1936 eine Stelle als flächendeckende Verbreitung stellen vermochte, sondern auch eine Rebellin, weil sie »eine Wasserbiologin bei der US-Fischereibehörde in Washington zu erzielen, sprühte man die ganze Generation von Amerikanern dazu ermunterte, über an. Fünfzehn Jahre lang arbeitete sie in diesem Amt sowie in Chemikalie von Flugzeugen aus die fundamentalen Werte, von denen die Beziehung zwischen dessen Nachfolgebehörde, dem Amt zum Schutz von Natur auf die Landschaft. Mensch und Natur bestimmt wird, neu nachzudenken«. und Artenvielfalt, und stieg dort zur Leiterin der Öffentlich- Rachel Carson wurde am 27. Mai 1907 im ländlichen keitsarbeit auf. 1941 publizierte sie ihr erstes Buch Under the Flussstädtchen Springdale, Pennsylvania, geboren und wuchs Sea-Wind. 1952 folgte The Sea Around Us und 1955 erschien dort in ärmlichen Verhältnissen auf. Trotz der Armut der Fa- The Edge of the Sea. Alle drei Bücher behandelten das kom- milie gelang es Rachels Mutter, in ihrer Tochter bei ausge- plexe Ökosystem Meer in lyrischer Prosa und machten Car- dehnten Spaziergängen eine große Liebe zur Natur zu son nicht nur als Naturwissenschaftlerin, sondern auch als wecken, die ein Leben lang anhalten sollte. Schriftstellerin berühmt. 1929 machte Carson ihren Abschluss am Pennsylvania College for Women (heute Chatham College), studierte DDT und die Ideologie der Kontrolle dann am Woods Hole Marine Biological Laboratory und er- Zwischen 1935 und 1952 erfuhr Rachel Carson von ersten hielt 1932 ihren Master der Zoologie von der Johns Hopkins Studien, die sich mit den nachhaltigen Auswirkungen des In- University. Sie leitete Sommerseminare an der Johns Hop- sektizids Dichlordiphenyltrichlorethan (DDT) auf die Um- kins Summer School und wurde 1931 Dozentin für Zoolo- welt beschäftigten. 1945 bot sie Reader’s Digest einen Artikel gie an der University of Maryland, noch während sie an ihrer über die von DDT ausgehenden Gefahren an. Der Artikel Dissertation schrieb. wurde zwar abgelehnt, doch Carsons Besorgnis über die Che- 18-21Langston_RZ:Layout 1 15.03.12 18:58 Seite 19

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mikalie blieb bestehen und wurde schließlich zum Haupt- thema ihres 1962 erschienenen Meisterwerks Silent Spring (Der stumme Frühling). Den leichtsinnigen Umgang mit DDT und vielen anderen Chemikalien führte Carson auf die sich ausbreitende Ideo- logie einer Kontrolle der Natur mittels Technik zurück: syn- thetische Hormone im Nahrungsmittelsystem, synthetische Pestizide in Feldfrüchten oder synthetische Stoffe im Haus- halt. Die chemischen Wundermittel waren Produkte dessen, was der Anthropologe James C. Scott »Ideologie der Hoch- moderne« nennt – »eine starke, man kann sogar sagen mus- kelstrotzende Abart des Vertrauens in den naturwissen- schaftlich-technischen Fortschritt, der Produktionserweite- rung, der zunehmenden Befriedigung menschlicher Bedürf- nisse, der Beherrschung der Natur (auch der menschlichen) und vor allem der rationalen Durchplanung der Gesell- schaftsordnung in Übereinstimmung mit einem wissen- schaftlichen Verständnis der Naturgesetze«. Wie der Historiker Edmund Russell in War and Nature darlegt, hatten die Kriege in der ersten Hälfte des 20. Jahr- hunderts den Glauben an die Ideologie des totalen Sieges so sehr gestärkt, dass Landwirtschaftsexperten nach einem »to- talen Krieg gegen die dem Menschen feindlichen Insekten« riefen, und zwar »mit dem erklärten Ziel der völligen Vertil- gung anstelle bloßer Kontrolle«. Der Zweite Weltkrieg schuf zudem politische Netzwerke, die Carson zutiefst beunruhigten. Durch den Krieg waren mächtige Allianzen zwischen zivilen Universitätswissen- schaftlern, der Armee und der Industrie entstanden. Die ex- plosionsartige Zunahme von DDT und ähnlichen Pestiziden Rachel Carson (1907–1964) war nach dem Krieg aufgrund enger ökonomischer Verbin- verfasste mehrere Bücher tiziden besprüht – ein Sechstel der kultivierten Fläche der und begeisterte damit ein dungen zwischen dem Militär und der chemischen Industrie USA. Die Flugzeuge konnten riesige Landstriche von der Luft breites Publikum für das ermöglicht worden. Die chemischen Betriebe profitierten Ökosystem der Meere. aus rasch und effizient behandeln; dabei gerieten die zu von dem im Krieg zur Verstärkung der Insektizidforschung Berühmtheit erlangte Boden schwebenden Chemikalien allerdings auch über eingesetzten Kapital und Sachverstand, und zahlreiche Wis- Carson aber vor allem durch Grundstücksgrenzen hinweg und belasteten die Bewohner senschaftler hatten mit der Ansicht, die Menschheit befinde ihr letztes Werk: Silent Spring. der Vorstädte, was zu heftigen Protesten gegen die Chemika- sich in einem Überlebenskampf gegen die Insekten, zu einer lien führte. Zwar setzten viele Eigenheimbewohner in ihren Ideologie der Kontrolle über die Natur beigetragen, die nicht Häusern und Gärten selbst giftige Chemikalien ein, hatten nur Rachel Carson verurteilte. dabei aber zumindest das Gefühl, dass es ihre Entscheidung Anfang der sechziger Jahre wurde DDT mit Hilfe speziel- war, ob gesprüht wurde oder nicht. Auf die Sprühflüge konn- ler Sprühflugzeuge großflächig ausgebracht. Über hundert ten die Hausbesitzer dagegen keinerlei Einfluss nehmen, wo-

Abbildungen: WFIWC Archives; wikipedia Abbildungen: WFIWC Archives; Millionen Quadratkilometer Felder wurden damals mit Pes- durch das Gefühl schwand, im eigenen Haus sicher zu sein. 18-21Langston_RZ:Layout 1 15.03.12 18:58 Seite 20

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» Wer hat die Entscheidung gefällt für die ungezählten Legionen von Menschen, die nicht nach ihrer Meinung gefragt wurden – wer hat das Recht, für sie zu entscheiden, dass eine Welt ohne Insekten über alles geht, selbst wenn es zugleich eine von Unfruchtbarkeit bedrohte Welt ist, in der keine Vogelschwinge in anmutigem Flug mehr kreist. Die Entscheidung liegt bei dem vorübergehend mit vollen Machtmitteln ausgestattetem Vertreter des Staates; er hat sie autoritär zu einem Zeitpunkt gefällt, als Millionen Menschen, für die Schönheit und die wohlgeordnete Welt der Natur noch immer eine tiefe und zwingende Bedeutung besitzen, in ihrer Aufmerksamkeit erlahmten.« Rachel Carson, »Der stumme Frühling«

Mit den Sprühflügen kam es zu einem von dem Philosophen toxischen Chemikalien vermuten. Carson hat also gewisser- Carl Cranor so bezeichneten »toxischen Hausfriedensbruch«. maßen buchstäblich um ihr Leben geschrieben. Ihre Freunde Die zuständigen Bundesbehörden behaupteten beharrlich, schwor sie darauf ein, ihre Erkrankung geheim zu halten, weil die Risiken würden durch wissenschaftliche Kontrollmaß- sie der chemischen Industrie keine Munition liefern wollte, nahmen minimiert und unterhalb vertretbarer Grenzwerte die gegen sie verwendet werden könnte. gehalten, doch das beruhigte die allerwenigsten Verbraucher. Konsumenten, die in der Zeit vor der Veröffentlichung von Persönliche Verbindungen Silent Spring mehr über die potenziellen Risiken in Erfahrung Als ich im Jahr 2000 zum ersten Mal eine Lehrveranstaltung bringen wollten, stießen allerdings häufig auf eine Mauer des über Rachel Carsons Silent Spring abhielt, lud ich eine bereits Schweigens. graduierte Studentin in das für Erstsemester gedachte Semi- nar ein. Maria war am Fox River in Wisconsin aufgewachsen, Drei Formen des Stummseins an dessen Ufern sich eine Papiermühle an die andere reiht. Carsons Buch wandte sich gegen dieses Schweigen. Drei In ihrer Kindheit hatten die Abfallstoffe der Mühlen, die der Hauptformen des Schweigens sind zentrales Thema ihres Fluss mit sich führte, so sehr gestunken, dass man in der Stadt Werks. An erster Stelle steht natürlich die drohende Stille, die Green Bay dazu übergegangen war, Parfum ins Wasser zu im Titel angesprochen wird. Die Ausbreitung chemischer schütten. Doch auch mit Parfum ließ sich die giftige Verun- Rachel Carson widersprach Schadstoffe, so befürchtete Carson, würde zu einer radikal reinigung nicht kaschieren. In den sechziger Jahren hatten den Ideologien der 1950er und 1960er Jahre, die eine verarmten Welt führen, in der nur noch wenige Vögel sängen. die Papierfabriken kohlefreies Durchschlagpapier hergestellt, totale Kontrolle der Natur Die zweite Art des Schweigens, die Carson beunruhigte, war das mit bestimmten Industriechemikalien, sogenannten po- propagierten. Der Mensch das Mundtotmachen von Wissenschaftlern. Sie lernte viele in lychlorierten Biphenylen (PCB), beschichtet war. Da nur ei- müsse stattdessen in enger Bundesbehörden tätige Wissenschaftler kennen, die großes nige wenige Wissenschaftler den Verdacht gehegt hatten, die Beziehung zur Natur leben, Unbehagen gegenüber den Risiken der neuen synthetischen PCB könnten gravierende hormonelle Auswirkungen auf um gesund zu bleiben und sich wohlzufühlen. Chemikalien empfanden, aber selten darüber sprachen, weil Föten und Kinder haben, unterstanden die Chemikalien da- sie befürchteten, ihre Fördermittel, ihre Stelle oder ihre Glaub- mals im Grunde keiner Kontrolle. Viele der in den Papierfa- würdigkeit zu verlieren. Carson begann, die immer enger wer- briken eingesetzten PCB waren im Fox River gelandet und denden Beziehungen zwischen Bundesbehörden, Wissenschaft hatten sich im Fettgewebe der Fische angereichert. und den Unternehmen, die von den neuen Chemikalien pro- Marias Familie war jeden Freitagabend in ein gemütliches fitierten, zu hinterfragen – Beziehungen, die es Kritikern Gasthaus zum Fischessen gegangen – eine in Wisconsin ge- schwermachten, ihrer Besorgnis Ausdruck zu verleihen. pflegte Tradition, »Fish Fry« genannt. An heißen Sommer- Die dritte Form des Schweigens, die sich durch Carsons tagen hatten sie im kühlen Wasser der Green Bay geplanscht, Werk zieht, ist das von vielen Frauen ihrer Generation erlebte dort, wo der Fox River in den Lake Michigan mündet. Jetzt, Schweigen. Während der Arbeit an Silent Spring litt sie Jahrzehnte später, war der Fluss zu einer Giftmülldeponie ge- an einer Krebserkrankung, die schließlich zum Tod führte, worden, voll mit toxischen Chemikalien, die unter anderem sprach ihre eigenen Erfahrungen aber in ihren Publikationen Störungen in Hormonsystemen hervorrufen. kaum je an. Al Gore, ehemaliger Vizepräsident der Vereinig- Aufgrund ihrer Forschungstätigkeit wusste Maria, dass ten Staaten, merkte an: »Während sie Silent Spring schrieb, Kinder im Säuglingsalter besonders sensibel auf Chemikalien stand sie eine radikale Brustamputation durch, gefolgt von reagieren. Hätte sie ihr Baby gestillt, dann hätte sie dadurch einer Strahlenbehandlung. Zwei Wochen lang war sie fast möglicherweise die körpereigene PCB-Konzentration – ent- blind und wurde unzählige Male operiert.« Zwei Jahre nach standen durch den jahrzehntelangen Aufenthalt am Fox dem Erscheinen des Buchs starb Rachel Carson an Brust- River – reduzieren können. Die Schadstoffe hätte sie dann krebs. Neue Forschungsergebnisse lassen einen Zusammen- jedoch an die Tochter weitergegeben – mit ungewissen Fol- hang zwischen dieser Krankheit und dem Kontakt mit gen. Wie konnte sie ihr Kind stillen mit einem Körper, der 18-21Langston_RZ:Layout 1 15.03.12 18:58 Seite 21

Mensch und Natur 21

Das Geburtshaus von Rachel einer Giftmüllhalde glich? Wie konnte sie aber ihrer Tochter Carson in Springdale im US- Getrenntseins. »Durch die Annahme eines kategorischen Bundesstaat Pennsylvania. andererseits die gesundheitlichen Vorteile vorenthalten, die Unterschieds zwischen Körpern und Umwelt können Regu- die Muttermilch nun einmal für Babys hat? lierungsbehörden eine ›Genehmigung zum Schadstoffaus- Marias Dilemma führte den Teilnehmern meines Semi- stoß‹ und das Recht auf die Kontaminierung der Umwelt nars die wichtigsten Argumente Rachel Carsons vor Augen. erteilen, solange die Belastung unterhalb der Schwelle bleibt, Ihre Geschichte enthüllte die engen Verbindungen zwischen ab der Umweltgifte den menschlichen Körper beeinträchti- ökologischer und menschlicher Gesundheit. Seit dem Zwei- gen.« Diese Argumentation geht stillschweigend davon aus, ten Weltkrieg haben sich in Kunststoffen, Arzneimitteln und dass der menschliche Körper und die Umwelt so sehr von- Pestiziden enthaltene synthetische Chemikalien sowohl im einander getrennt sind, dass man Boden, Wasser und Luft Körper des Menschen als auch in Ökosystemen ausgebreitet, verseuchen kann, ohne die Menschen zu verseuchen. häufig mit gravierenden gesundheitlichen und ökologischen Konsequenzen, und dennoch ist eine staatliche Kontrolle die- Zum Thema Der Dominoeffekt ser Substanzen weitgehend ausgeblieben. Warum? Carson Rachel Carson, Der stumme Diese Grundannahme des Getrenntseins wird in Carsons nannte als Hauptgrund den modernen Glauben, der Mensch Frühling, München 2007. Werk stark infrage gestellt. Rachel Carson zeigte auf, inwie- könne sich erst von der Natur isolieren und sie dann kon- fern synthetische Chemikalien das für eine gesunde Umwelt Nancy Langston, Toxic trollieren. Im Gegensatz dazu rief sie zu einem ökologischen Bodies: Hormone Disruptors unabdingbare Geflecht genetischer, immunologischer, neu- Verständnis von Gesundheit auf. Die Sicherheitsnachweise and the Legacy of DES, rologischer, hormoneller und ökologischer Wechselbezie- sollten von denjenigen erbracht werden, die von den synthe- New Haven 2011. hungen verändern. Vor allem aber erinnerte sie daran, dass tischen Stoffen profitieren wollen. der Mensch und die restliche Natur nicht voneinander ge- trennt werden können: gemeinsam oder gar nicht. Ein hor- Das Beziehungsgeflecht Mensch-Natur monell aktives Medikament, das von einer Frau eingenom- Rachel Carson beschreibt in Silent Spring, wie unsere Körper men wird, wandert durch ihren Körper, ins Abwasser und in in dynamischen ökologischen Beziehungen zu uns selbst und den Fluss, wo es zu Geschlechtsveränderungen bei Fischen zu den Lebenswelten stehen, mit denen wir verbunden sind. führen kann. Ein Häufchen Kuhdung gelangt in einen Fluss Carsons Vorstellung nach ist der Mensch eng mit der Natur und mit ihm die Steroide, mit denen das Tierfutter versetzt verbunden. Gesundheit und Wohlbefinden entstehen in Be- war. Flussabwärts von der Kuhweide schwimmen Fische in ziehung zu umfassenderen, natürlichen Prozessen. Silent dieser chemischen Brühe – und werden von Pelikanen ge- Spring stellt Gedanken infrage, die Steven Kroll-Smith und fressen oder von Menschen verspeist. Biologen, die den Zu- Worth Lancaster als »die von der Aufklärung inspirierte Idee, stand des Flusses untersuchen, finden Wassersysteme vor, die Körper und Umwelt seien zwei grundsätzlich voneinander durch mysteriöse Nebenwirkungen von Chemikalien verän- getrennte Realitäten« bezeichnen. Die beiden Autoren schrei- dert wurden, die als endokrine Disruptoren agieren, und ben: »Üblicherweise werden Körper und Umwelt als zwei zwar sowohl in Wildtieren als auch im Menschen. voneinander getrennte, eigenständige Entitäten gedacht. Das Rachel Carson zeigte, dass wir alle, ob arm oder reich, Pronomen ›mein‹ vor dem Wort ›Körper‹ weist auf ein be- Stadt- oder Landbewohner, menschlich oder nicht mensch- DIE AUTORIN DIE sitzanzeigendes Interesse am menschlichen Körper hin, das lich, toxischen Chemikalien ausgesetzt sind, die unsere Was- sich von dem typischen Artikel ›die‹ vor dem Wort ›Umwelt‹ Nancy Langston serscheiden überwinden, die Generationengrenzen über- ist Umwelthistorikerin an der unterscheidet. ›Mein Körper‹ und ›die Umwelt‹ sind linguis- schreiten und das Land mit dem Wasser, den Fisch mit dem Universität von Wisconsin- tische Signale dafür, dass hier von zwei ontologisch eigen- Madison. Sie lehrt außerdem Vogel und die Umwelt mit dem Menschen verbinden. ❘❙❚ ständigen Dingen die Rede ist. In einer mit einzelnen am Department of Forest Kategorien beschriebenen Welt wissen wir einfach alle, wo and Wildlife Ecology und am unser Körper endet und die Umwelt beginnt.« Jede Risiko- Nelson Institute for Environ- mental Studies.

Abbildungen: www.rachelcarson.org; wikipedia; privat Abbildungen: www.rachelcarson.org; abwägung beruhe auf dieser ontologischen Annahme des 22-25Interview_RZ.qxd:Layout 1 15.03.12 19:18 Seite 22

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Wissen überschreitet Grenzen

Der Analyse einer schwierigen Beziehung widmen sich die Forscherinnen und Forscher am Rachel Carson Center for Environment and Society in München. Sie untersuchen das Verhältnis zwischen dem Menschen und seiner Umwelt – und nehmen dabei vor allem historische, soziologische und kulturelle Fragen in den Blick. Christof Mauch und Helmuth Trischler erläutern im Interview

Motivation, Aufgaben und Perspektiven des Münchner Umweltzentrums. Interview: Sabrina Landes

Wenn man heute von »Umwelt« spricht, denken die meisten auf die Natur und die Natur reagiert auf den Menschen. von uns zuerst ans Klima. Es scheint, dass Umweltthemen Wir wirken auf unsere Umwelt ein. Aber die Umwelt darüber hinaus derzeit kaum Konjunktur haben. Was hat wirkt auch auf uns zurück. Wir müssen lernen, dieses Sie beide bewogen, ein Forschungszentrum für Umweltfra- Wechselverhältnis besser zu verstehen und in unserem gen zu gründen? Handeln ernst zu nehmen. Trischler: In diesem Jahr hat das Bundesforschungs- ministerium das Themenjahr »Zukunftsprojekt Erde« Mauch: Natur als kulturelle Herausforderung zu sehen ausgerufen, das Jahr 2012 wird also ganz unter dem bedeutet, dass neue zeitliche Dimensionen ins Blickfeld Aspekt der Nachhaltigkeit stehen. Das macht deutlich, kommen. Die Produktion fossiler Flüssigstoffe wie Öl dass die Umwelt in der öffentlichen Diskussion nach wie braucht Jahrmillionen, aber zum Konsum braucht der vor eine äußerst wichtige Rolle spielt. Auch als wir vor Mensch nur einen Bruchteil. Anders als Politik- oder dreieinhalb Jahren die ersten Ideen für unser Zentrum Sozialhistoriker müssen Umwelthistoriker Wege finden, entwarfen, war die Diskussion um eine Energiewende um unendlich lang andauernde Naturtransformationen und eine nachhaltigere Gesellschaft sehr präsent, und seit ebenso wie extrem plötzliche Naturbewegungen, wie der Katastrophe in Fukushima gibt es ohnehin wieder »Umweltgeschichte hat eine Erdbeben und deren Folgen, in ihre Geschichten einzu- eine breite öffentliche Debatte. Ein Zentrum für Umwelt- große Zukunft.« beziehen. fragen passt da sehr gut in die Landschaft. Christof Mauch ist Inhaber des Lehrstuhls für Nordame- Es gibt hierzulande zahlreiche Institute, die sich ebenfalls Der Begriff Umwelt wird oft synonym gesetzt mit Natur. rikanische Kultur-, Sozial- mit Umweltfragen befassen. Was unterscheidet Sie von die- Was verstehen Sie unter Umwelt? und Politikgeschichte an der sen Einrichtungen? Trischler: Unser erstes Projektproposal hieß »Natur als Ludwig-Maximilians- Trischler: Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass Universität München. kulturelle Herausforderung«. Genau darum geht es uns. Zusammen mit Helmuth wir die Problemlösungskompetenz der Geisteswissen- Um das Verhältnis zwischen Menschen und Natur, zwi- Trischler leitet er das Rachel schaften in die Umweltdebatte einbringen: als eine Res- schen Menschen und Umwelt. Umwelt ist nicht nur alles Carson Center (RCC) in source, die wir mobilisieren können, um über unsere das, was uns umgibt. Die Umwelt ist selbst ein handelnder München. Rolle in dem Beziehungsgeflecht Mensch und Umwelt Akteur. Wir erleben das eindrucksvoll bei Naturkatastro- nachzudenken. Hinzu kommt, dass wir konsequent in- phen. Die Natur steht mit uns in einem Wechselverhältnis, ternational ausgerichtet sind. Wir wollen die Geisteswis- in einem Dialog, wenn man so will. Der Mensch reagiert senschaften in Deutschland stärken, indem wir die 22-25Interview_RZ.qxd:Layout 1 15.03.12 19:18 Seite 23

Mensch und Natur 23

Zwischen 1348 und 1350 Kirchen beleuchten, sondern alle Religionen im Blick verfasste Konrad von haben. Mit Ethik und Moral sind wir auch rasch in aktu- Megenberg sein Buch der ellen politischen Diskussionen: bei Fragen zur Nachhal- Natur, das als erstes deutschsprachiges Kompen- tigkeit oder zu Ernährungsweisen, um zwei Beispiele zu dium des Wissens über die nennen. In einem Projekt etwa untersuchen wir Esskul- Natur gilt. In der Illustration turen, dazu kooperieren wir mit unterschiedlichen »Vom Regenbogen« wölben Akteuren aus der Politik, der Wirtschaft und Nichtregie- sich zwei Regenbögen über führenden internationalen Köpfe ins Land holen. Grund- einer kreisförmig angelegten rungsorganisationen. Für 2013 planen wir eine interna- sätzlich neu an unserem Ansatz ist die Verknüpfung der Landkarte, die das geozentri- tionale Konferenz zur Umweltgeschichte mit drei Leit- unterschiedlichen Disziplinen der Geistes- und Kultur- sche Weltbild der damaligen themen, für die die Stadt München steht: Food, Water, wissenschaften mit den Natur- und Ingenieurwissen- Zeit verdeutlicht. Energy. schaften, die in der Umweltforschung üblicherweise dominieren. Und wir greifen Themen auf, die in der öf- Mauch: Ein zweiter großer Themenbereich ist das um- fentlichen Wahrnehmung zuweilen eher untergehen – die weltbezogene Wissen. Bei einer Konferenz, »Salmon aber für das Verständnis der Zusammenhänge von Bedeu- Voices«, haben wir im vergangenen Jahr Fischer aus Ka- tung sind. nada und Norwegen eingeladen, die über ihre lokalen Erfahrungen mit Fischkulturen und Fischwanderung Mauch: Wenn wir zurückschauen, sehen wir, dass die berichteten und sich mit Akteuren aus der Industrie Vergangenheit voller Lehren steckt. Hurricane Katrina über die Möglichkeiten nachhaltiger Fischwirtschaft hat zum Beispiel gezeigt, dass der Bau immer höherer austauschten. Dämme keine Generallösung zum Schutz vor Naturka- tastrophen ist. Der weitaus heftigere Hurricane Betsy Wirken diese Arbeiten auch in die Öffentlichkeit hinein? hatte im Jahr 1965 viel weniger Todesopfer gefordert als Trischler: Sicherlich, das ist ein wichtiger Aspekt! Unsere Hurricane Katrina im Jahr 2005. Dabei waren Milliar- Aufgabe ist es allerdings nicht, Aktionen zu planen, son- den Dollar in den US-Katastrophenschutz gesteckt wor- dern wir dokumentieren und publizieren die Ergebnisse den, allerdings waren andere Schutzmaßnahmen in unserer Untersuchungen. Das machen wir nach wie vor Vergessenheit geraten: In früheren Zeiten wurden die in klassischen Medien – aber wir nutzen auch intensiv die Häuser von New Orleans auf Stelzen gebaut, der öffent- verschiedenen digitalen Formate: Wir stellen Filme, Quel- liche Nahverkehr war intakt und bot Fluchtmöglichkei- »Die Natur steht mit uns in len, historische Fakten oder Diskussionen ins Netz. Es ist ten, es existierte ein Netz von Schutzräumen, und in den einem Wechselverhältnis, unser Ziel, erste Anlaufstation für Informationen rund niedrig gelegenen Stadtteilen baute man keine Siedlun- in einem Dialog, wenn man um Fragen der Umwelt und Gesellschaft zu sein. gen. All dies ignorierten die Planer, weil sie an die Macht so will.« des neuen Damms glaubten. Hier zeigt ein Blick zurück, Namensgeberin des Forschungszentrums ist die Biologin Helmuth Trischler ist Leiter auf den Umgang des Menschen mit der Natur in der des Bereichs Forschung am Rachel Carson. Was war die Intention dieser Namensge- Vergangenheit, wie konkret eine bessere Zukunft aus- Deutschen Museum. bung? sehen könnte. Mauch: Für unser internationales Institut haben wir be- wusst keinen deutschen, sondern einen in aller Welt be- Mit welchen Themen beschäftigen Sie sich? kannten Namen gewählt, den Namen einer beein- Trischler: In diesem Semester befassen wir uns vor allem druckenden Wissenschaftlerin, die ihre Zeit nicht im mit der Umweltethik, also mit normativen Fragen. Da Elfenbeinturm verbrachte, sondern ihre ökologische kommen Ethiker und auch Theologen zu Wort. Wir fra- Botschaft von der Zerstörung der Natur durch DDT in

Abbildungen: Heike Geigl; prometheus-Archiv Abbildungen: Heike Geigl; prometheus-Archiv gen nach der Rolle der Religion – wobei wir nicht nur die die Öffentlichkeit hineintrug. Es gibt vielleicht kein ein- 22-25Interview_RZ.qxd:Layout 1 15.03.12 19:18 Seite 24

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Die zwölf Meter hohe flussreicheres Buch in der Geschichte der USA als Silent Skulptur »Template« Was verspricht sich umgekehrt das Deutsche Museum von (Schablone), die der Kon- Spring. Die Disziplin der Umweltgeschichte wäre ohne der Arbeit des RCC? zeptkünstler Ai Weiwei für Carson und ohne die Umweltbewegung, die sich in den die Documenta 2007 bauen Trischler: Für das Deutsche Museum ist das Forschungs- 1960er Jahren formierte, nicht denkbar. Wie Rachel Car- ließ, brach kurz nach der zentrum eine Möglichkeit, Ausstellungen zum Thema son möchte auch das Carson Center die Erkenntnisse Eröffnung durch ein Umwelt auch im Rahmen der »Zukunftsinitiative Deut- aus der Wissenschaft in die Breite der Öffentlichkeit hin- Unwetter zusammen und sches Museum« mit auf den Weg zu bringen. Die Ausstel- wird seither in dieser austragen. neuen, durch die Natur- lung zum Energiekonsum (siehe Kultur&Technik 1/2012) gewalt erzwungenen Form ist ein kleiner Vorgeschmack auf die geplanten künftigen Trischler: Das RCC hat in diesem Jahr einen internatio- in Ausstellungen gezeigt. Ausstellungen zu den Themen »Lebenswissenschaften und nalen Schüler- und Studierendenwettbewerb ausgelobt, Das Kunstwerk besteht aus Umwelt«. Das Rachel Carson Center trägt dazu bei, dass 1001 Türen und Fenstern zu dem Arbeiten über das Erbe Rachel Carsons einge- diese auf einem breiten wissenschaftlichen Fundament traditioneller Gebäude der reicht werden sollen: Was gibt sie uns heute, wie sehr ist Ming- und Qing-Dynastie, aufbauen können. Außerdem stärkt unsere Arbeit auch die ihre Arbeit heute noch präsent, wie anschlussfähig ist sie die dem chinesischen Rolle des Deutschen Museums als Forschungsmuseum. an aktuelle Diskussionen? Das ist eine von zahlreichen Modernisierungseifer zum Aktionen, die wir im Rachel-Carson-Jahr 2012 planen. Opfer gefallen waren. Sie investieren viel Zeit und Energie in die Arbeit am Rachel Carson Center. Was motiviert Sie? Sie haben innerhalb weniger Jahre ein ehrgeiziges Pro- Trischler: Ich bin Historiker und nehme meinen Beruf gramm auf die Beine gestellt. Wie konnte das gelingen? ernst, aber ich glaube auch, dass wir historisches Wissen Trischler: Das liegt an den engagierten Wissenschaftlern für aktuelle Diskussionen verfügbar machen sollten. im RCC, aber auch daran, dass wir es verstanden haben, Dabei kann es um konkrete Innovationsprozesse gehen, viele junge Doktoranden an uns zu ziehen, die große vor allem aber um die generelle Frage, wie wir Wissen- Freude daran haben, hier zu arbeiten. Außerdem haben schaft und Technik besser für nachhaltige Lösungen un- wir es geschafft, ein internationales Promotionspro- serer aktuellen Probleme nutzen können. gramm zu initiieren, mit derzeit über 20 Promovierenden. Über das Heranholen junger kreativer, begeisterter Nach- Mauch: Wenn ich hier über den Korridor gehe, begegne wuchswissenschaftler haben wir uns eine wichtige Res- ich täglich Kollegen, die aus allen Teilen der Welt und aus source erschlossen. Ich denke, dass wir aber auch von den sehr unterschiedlichen Fachbereichen kommen. Dieses Vorarbeiten profitieren konnten: Wir verfügten beide be- Modell einer systematischen Internationalisierung und reits über ein großes Netzwerk, das wir beim Aufbau des Interdisziplinarisierung kann etwas von einer Wissen- Centers einbringen konnten. Dadurch ist es uns relativ schaftswelt ohne Grenzen antizipieren: Umweltprobleme rasch gelungen, das RCC im lokalen wie auch im inter- kennen im Zeitalter der Globalisierung keine Grenzen. nationalen Raum zu profilieren. Ich hoffe daher auch, dass von unserem kleinen Kosmos RCC eine Faszination ausgeht, die in Zukunft vielleicht Welche Rolle spielt dabei das Deutsche Museum, das neben die Forschungssituation insgesamt verändert. Das ist das der LMU einer der Partner des RCC ist? eine. Zum anderen bin ich davon überzeugt, dass Um- Trischler: Mit dem Deutschen Museum haben wir einen weltgeschichte eine Disziplin ist, die eine große Zukunft Partner an der Seite, der die Vermittlung in den öffentli- hat. Historiker erklären gesellschaftliche und politische chen Raum übernehmen kann. Wir haben bereits einige Veränderungen, Naturwissenschaftler erklären die Ver- kleinere Ausstellungen dazu gemacht – eine große Aus- änderungen in der Natur, Umwelthistoriker nehmen stellung zum Thema »Anthropozän« wird es im Jahr 2014 beide Veränderungen in Augenschein und verbinden sie geben. miteinander. ❘❙❚ Abbildung: Wolfgang Staudt Abbildung: Wolfgang 22-25Interview_RZ.qxd:Layout 1 15.03.12 19:18 Seite 25

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Anzeige Männliche Zikaden erzeugen Geräusche, um Weibchen anzulocken oder vor Gefahren zu warnen.

Seit 1841

macht Wohnungen DIE GERÄUSCHEMACHER Singende Insekten schön! Grillen, Heuschrecken und Zikaden sind die Hauptakteure der Ausstellung »Singende Insekten«, die seit März in der Bis 25. Mai 2012, Montag bis Freitag Zoologischen Staatssammlung München gezeigt wird. Diese 10 bis 16 Uhr Insekten erzeugen Laute von teilweise beträchtlicher Laut- stärke, die sie zur Kommunikation und insbesondere bei der Zoologische Staatssammlung Balz einsetzen. Dabei kommen Mechanismen zum Einsatz, München, wie z. B. das Aneinanderreiben von Körperteilen, Klopfen, Möbel Münchhausenstr. 21, Klicken oder das Ausstoßen von Luft. Grillen, Heuschrecken 81247 München, und Zikaden kommunizieren über geräuscherzeugende Me- Haltestelle S2 aus eigener Werkstatt chanismen in teilweise beeindruckender Lautstärke. Die Aus- Obermenzing stellung erklärt die verschiedenen Techniken, organischen und von führenden www.zsm.mwn.de Besonderheiten und sozialen Zwecke. zeitgenössischen Herstellern, Einrichtungen, ANTIKE KULTUREN Stoffe, Geschirr und Glas, Im Licht des Südens

Immer schon haben weiträumige Kulturkontakte und die Teppiche. mit ihnen verbundenen Neuerungen das gesellschaftliche Leben, die politischen und religiösen Vorstellungen Europas, die Mode und die Lebensweise beeinflusst und auf unter- schiedliche Weise verändert, d. h. Europa in neue Epochen geführt. Die neue Sonderausstellung der Archäologischen Stirnziegel mit Medusen- Staatssammlung widmet sich der Begegnung und dem Kul- haupt. Cerveteri (Italien), turtransfer zwischen dem Mittelmeerraum und Nordeuropa letztes Viertel 6. Jh. v. Chr. in der Antike und zeigt erstmalig, wie sich seit der Steinzeit durch Warenhandel seltene und kostbare Werkstoffe, aber Bis 27. Mai 2012 auch religiöse Ideen oder besondere Lebensstile vom medi- Dienstag bis Samstag, terranen Süden über die Alpen hinweg nach Mitteleuropa 9 bis 17 Uhr F. Radspieler & Comp. Nachf. verbreiten konnten und sehr unterschiedliche Kulturen und Sonntag 10 bis 18 Uhr Hackenstraße 7 Territorien über mehr als 6000 Jahre einen regen kulturellen Archäologische Staats- Austausch pflegten. sammlung München 80331 München Über 400 einzigartige mediterrane Exponate aus 17 be- Lerchenfeldstraße 2 Telefon 089/235098-0 rühmten italienischen Museen, darunter Rom, Florenz, An- 80538 München Fax 089/264217 cona oder Perugia werden erstmalig prominenten Objekten [email protected] www.archaeologie- aus dem nordalpinen Raum, den großen Museen in Wien, www.radspieler.com Zürich, Stuttgart und der Archäologischen Staatssammlung bayern.de

Abbildungen: istockphoto.com/Robert Dant; Museo Archeologico Nazionale di Firenze/Alessandro Pareti Abbildungen: istockphoto.com/Robert Nazionale di Firenze/Alessandro Dant; Museo Archeologico München, gegenübergestellt. 26-31WvMossner_RZ:Layout 1 15.03.12 19:28 Seite 26

Angst vor der Sonne

Apokalyptische Zukunftsszenarien haben zu allen Zeiten Konjunktur. Die jeweiligen Auslöser der befürchteten Katastrophen passen sich dabei den gerade aktuellen Trends an. In den achtziger und neunziger Jahren waren es die Gefahren aus dem All, heute sind es die Folgen der Umweltzerstörung, die das Leben auf Erden zur Hölle machen. Filme wie »Hell« oder »The Road« erzählen vom alltäglichen

Horror in einer Welt, in der der Mensch dem Menschen zum Wolf wird. Von Alexa Weik von Mossner 26-31WvMossner_RZ:Layout 1 15.03.12 19:28 Seite 27

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Unbarmherzig verbrennt die Sonne im Film Hell das Land (Bild links). Der Film The Road erzählt hingegen von einer Welt, in der die Sonne nicht mehr scheint (Bild unten links). In beiden Filmen erlebt der Zuschauer den Zusammen- bruch menschlicher Zivilisa- tion als Folge einer Umwelt- katastrophe.

aum eine Erzählgattung ist so gut dazu geeignet, sich dafür geliefert, wie ein Filmemacher eine zukünftige Welt au- Kzukünftige Welten zu erträumen, wie Science-Fiction. diovisuell erschaffen kann und mit welchen Schwierigkeiten Als Kind der industriellen und wissenschaftlichen Revolution er dabei umgehen muss. Eher Endzeit-Thriller als klassischer des frühen 19. Jahrhunderts war Science-Fiction-Literatur Science-Fiction, spielt Fehlbaums Film in der nahen Zukunft von Anfang an darauf bedacht, Konstellationen des Mögli- – im Jahr 2016 – und erzählt in beeindruckenden Bildern, chen zu entwerfen. Schriftsteller wie Jules Verne, H. G. Wells wie radikal veränderte Umweltbedingungen sich auf den ein- und später Isaac Asimov, Aldous Huxley, Ray Bradbury und zelnen Menschen und eine ganze Gesellschaft auswirken – George Orwell projizierten technische und wissenschaftliche Umweltbedingungen, so extrem und lebensfeindlich, dass Errungenschaften, aber auch gesellschaftliche und ökologi- unsere heutigen Lebensumstände dagegen paradiesisch er- sche Entwicklungen in die Zukunft und spekulierten, wie das scheinen. Der Filmtitel gibt darauf schon einen ersten Hin- Leben des Individuums sich unter den neuen Gegebenheiten weis, denn Hell meint nicht nur die augenschmerzende, verändern würde, sei es zum Besseren, wie in Vernes speku- lebensgefährliche Intensität der den ganzen Film beherr- lativen Abenteuergeschichten, oder zum Schlechteren, wie in schenden, strahlend hellen Sonne, sondern eben auch den Dystopien von Huxley, Bradbury und Orwell. »Hölle«. Im Jahr 2016 ist die Sonneneinstrahlung so stark Der Science-Fiction-Film, der ab dem frühen 20. Jahrhun- Verbrannte Wälder auf geworden, dass sie das Leben auf der Erde zur höllischen Er- dert die Menschen faszinierte, war zwar maßgeblich beein- Korsika dienten dem fahrung werden lässt. Schweizer Regisseur flusst von seinen literarischen Vorgängern, aber von Anfang Was den Film so interessant macht, ist nicht nur die Tat- Tim Fehlbaum als Kulisse an dazu gezwungen, sich auf seine eigene Weise der Heraus- für sein Endzeitdrama Hell. sache, dass er sich als deutsch-schweizerische Koproduktion forderung zu stellen, künftige Welten zu erträumen. Die Tat- an ein Genre heranwagt, das – allein schon aus Budgetgrün- sache, dass der Film als visuelles Medium seine Geschichten den – in der Hauptsache US-amerikanischen Filmemachern in Bildern erzählen musste, war und ist noch immer Vor- und vorbehalten ist. Interessant ist der Film auch, weil Fehlbaum Nachteil zugleich. Einerseits kann der Filmemacher seine Zu- und sein Team aus der Not eine Tugend machen, indem sie schauer mit fantastischen Bildern überwältigen, wo der Ro- eine Zukunftsvision schaffen, die nahezu ohne Computer - manautor ganz und gar auf die Fantasie des Lesers an- animation auskommt. Das bedeutet allerdings auch, dass die gewiesen ist. Andererseits ist er damit auch an die techni- Filmemacher darauf angewiesen waren, real existierende schen Grenzen des Machbaren gebunden, wo der Romanau- Landschaften zu finden, die sich eigneten, eine zerstörte Welt tor frei ist, sich auch noch die fantastischsten Neuerungen zu verbildlichen, sei es, dass sie selbst durch reale Umwelt- und Entwicklungen auszudenken. einflüsse gezeichnet waren, oder, dass sie vor Ort so umge- Über die Jahrzehnte hinweg haben Filmemacher daher staltet werden konnten, dass ein post-apokalyptischer versucht, sich durch eine geschickte Nutzung der filmischen Gesamteindruck mit einer nahezu toten Biosphäre entstand. Mittel über die Grenzen des gegenwärtig Möglichen hinweg- zusetzen, sei es durch Kameraeinstellungen, Kulissenbau, Wenn eine zerstörte Welt zum Filmstar wird Schnitttechniken oder den Einsatz visueller Effekte in der In der Sprache der Filmleute bedeutet Setting die gesamte Nachbearbeitung. Seit der Erfindung des Tonfilms können Auswahl der Schauplätze, in der sich die Akteure, also die sie die Zuschauer zudem auch noch mit Mitteln des Sounds, Schauspieler, bewegen. In der Regel richtet sich diese Auswahl der Geräusche, der Musik und vielen anderen filmischen nach den Erfordernissen der Handlung, die erzählt werden »Tricks« ihre Zukunftswelten geradezu körperlich spüren las- soll. Die Schauplätze bilden den Hintergrund, vor dem die sen. Ganz zu schweigen von den technischen Möglichkeiten Action stattfindet. Es gibt aber auch den Fall, dass der Schau- der Computeranimation, die gerade spekulativen Filmgenres platz selbst Akteur wird. Genau das passiert in Hell, denn hier zu völlig neuen Möglichkeiten verholfen hat. entwickelt die imaginäre zukünftige Welt, in der sich die Der Schweizer Regisseur Tim Fehlbaum hat mit dem Film menschlichen Akteure bewegen, eine eigenständige, bedroh-

Abbildungen: Paramount Pictures; Dimension Films Hell aus dem Jahr 2011 ein besonders interessantes Beispiel liche Kraft und bringt so die Menschen zu bestimmten 26-31WvMossner_RZ:Layout 1 15.03.12 19:28 Seite 28

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Im abgedunkelten Auto sind die Protagonisten von Hell unterwegs, bis ihnen eine Schranke den Weg versperrt. Es folgt ein Alptraum, der die Grenzen unserer Moral- vorstellungen sprengt.

Handlungsweisen. Der Schauplatz spielt hier also eine wich- tige Rolle, ist sozusagen selbst ein Star. Aber wie haben die Macher von Hell es geschafft, dass die Zuschauer im Kino so gepackt werden von den Bildern einer apokalyptischen Welt, die der Regisseur hier und heute, mit- ten in Europa vorgefunden hat. Was passiert da eigentlich, wenn solche Zukunftsfantasien in eine Welt von heute ver- setzt werden? Um die Antwort zu finden, ist zunächst ein kleiner Exkurs nötig: Filmkenner werden sich bei Betrachtung von Hell an einen anderen Film erinnert fühlen, nämlich The Road von dem Amerikaner John Hillcoat aus dem Jahr 2009. In Hill- coats Film – einer gelungenen Adaption von Cormac McCar- thys Pulitzerpreis-gekrönten Endzeit-Roman – ist ein Vater mit seinem kleinen Sohn unterwegs, ebenfalls in einer post- apokalyptischen Welt, aber in diesem Fall nahezu ohne Sonne: kalt, grau, nass und feindlich. Beiden Filmen gemein- sam ist die Etablierung einer extrem lebensfeindlichen Welt als Dreh- und Angelpunkt für die Geschichte und die Ent- In The Road reisen Vater und wicklung ihrer Helden. Auch bei Hillcoats Film war klar, dass Sohn nach einer nicht näher nen in der Morgen- oder Abenddämmerung spielen und bei beschriebenen Katastrophe wegen der relativ geringen Budgetierung keine teuren Stu- diesen Lichtverhältnissen Orientierung leichter möglich ist, auf der Suche nach Nahrung diobauten möglich gewesen wären, um die Vorstellungen zu durch ein düsteres Szenario. war es für das Team von Hell notwendig, reale Drehorte zu verwirklichen, die die Regisseure von den fiktiven Räumen Die meisten Tiere und Pflan- finden, die optisch dem entsprachen, was das Drehbuch an und Landschaften hatten. Es kamen also auch für diesen Film zen sind vernichtet. Jeder zerstörten, künftigen Welten vorgab. Wie auch das Team von nur real existierende Schauplätze infrage (die im Fall von The kämpft gegen jeden. The Road fand Regisseur Fehlbaum für Hell Drehorte in Road später teilweise noch am Computer bearbeitet wurden). Regionen, die von Naturkatastrophen heimgesucht worden Die sorgfältige Suche und Auswahl dieser Drehorte war waren – in diesem Fall Bergwälder auf der Insel Korsika, die damit in beiden Filmen ganz entscheidend, um die Szene- 2009 von verheerenden Bränden zerstört worden waren, und rien, die im Drehbuch beschrieben waren, in gefilmte Bilder verschiedene Schauplätze im Bayerischen Wald, wo durch die umzusetzen, so dass sie auf die Zuschauer im Kino real wir- Borkenkäferplage große Waldflächen nur noch aus Baum- ken – die Science-Fiction sozusagen Realität wird. leichen bestehen. Um die Szenerien noch gespenstischer wir- In Hell spielt ein Großteil der Handlung inmitten von ken zu lassen, wurden die Baumstämme zusätzlich mit Wäldern. Szenen in grellem Licht wechseln in rascher Folge schwarzer (biologisch abbaubarer) Farbe besprüht. Von Ro- mit Szenen in Staub und Düsternis oder kompletter Dun- land Emmerich, dem deutschen Spezialisten für Katastro- kelheit. Mit dieser Technik der schnellen Schnittfolge ist es phenfilme, der in Hollywood lebt und der bei Hell als für den Zuschauer unmöglich, den exakten geografischen Mitproduzent fungierte, stammte dann noch die Empfeh- Ort zu erkennen, an dem die Szenen in Wirklichkeit gedreht lung, vor jeder Aufnahme feine Staub- und Sandteilchen in wurden. Verstärkt wird dieser Effekt noch durch die Benut- die Szenerie blasen zu lassen, um den permanenten Eindruck zung von sehr starken Scheinwerfern und Reflektoren am größter Trockenheit und Dürre zu erwecken. Drehort und der von Kameramann Markus Förderer sorg- Die Filmemacher machten sich also zunutze, dass reale, fältig kalkulierten Überbelichtung des Filmmaterials beim gegenwärtige Orte, die von Katastrophen heimgesucht wor- Dreh und in der Postproduktion. Weil aber auch einige Sze- den waren, den Vorstellungen entsprachen, die sie von post- 26-31WvMossner_RZ:Layout 1 15.03.12 19:28 Seite 29

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apokalyptischen Zukunftswelten hatten – und schafften damit neue Welten im Film. Beim Zuschauer löst diese Ver- schränkung von realer zerstörter und fiktiver zerstörter Welt ein unbestimmtes Gefühl von Irritation aus. Diese Irritation verstärkt sich zwangsläufig, wenn im Film klar wird, dass der katastrophale Zustand der Umwelt noch weitere grauenvolle Folgen hat: In Ermangelung anderer Möglichkeiten haben einige der Überlebenden begonnen, sich vom Fleisch ihrer Mitmenschen zu ernähren. Hier ergibt sich ein großer Unterschied zwischen dem ame- rikanischen und dem deutschen Film: Auch in The Road jagen Menschen Menschen, um nicht zu verhungern, aber sie tun es archaisch, brutal und zügellos. In Hell, so merk- würdig das klingen mag, läuft der Kannibalismus geordnet, sozusagen nach den Regeln der Metzgerinnung ab. Diese un- terschiedlichen Erzählweisen sind vor allem abhängig von der Perspektive: Während The Road aus komplett männli- cher Sicht erzählt wird, der des Vaters, wird Hell aus weibli- cher Sicht, aus der Sicht der jungen Heldin des Films erzählt. Auch im Bayerischen Wald Weil aber nach dem Zusammenbruch aller Strukturen außer fand Tim Fehlbaum ideale Bilder für seinen Film: Gefährdete Körper: Kannibalismus dem Mangel an Wasser auch der Mangel an Benzin lebens- und Moral in Hell Ganze Waldstriche sind in bedrohlich ist, haben sie Glück, dass an einer verlassenen den vergangenen Jahren Die Protagonisten in Hell sind zwei Schwestern, Marie und Tankstelle ein junger Mann namens Tom, gespielt von Stipe dem Borkenkäfer zum Leoni, gespielt von Hannah Herzsprung und Lisa Vicari. Zu- Erceg, einen Deal mit ihnen machen kann: Er gibt ihnen Opfer gefallen. Ein ideales sammen mit Maries Freund Phillip sind sie unterwegs in die einen Rest Benzin, sie geben ihm von ihrem knappen Was- Szenario für Hell. Berge, auf der Suche nach Nahrung und Wasser und nach servorrat. Zunächst jedoch begegnen sie ihm mit Misstrauen einem Fleck Erde, wo es sich vielleicht noch aushalten lässt. und Angst. In ihrer ökologisch zerstörten Welt ist die Angst Wir begegnen dem Trio zum ersten Mal in einem herunter- allgegenwärtig, weil die Katastrophe nicht nur den Zusam- gekommenen Wagen, erbärmlich schwitzend, obwohl sie die menbruch aller Infrastrukturen zur Folge hat, sondern vor Scheiben wegen der alles verbrennenden Sonne mit Packpa- allem das Ende jeglicher Form von menschlicher Solidarität. pier von innen bis auf einen Sichtschlitz verklebt haben. Tom wird schließlich von den dreien mitgenommen. Diese Hitze und das unerträglich grelle Licht der Sonne sind Genau wie The Road vermittelt Hell eine klare Botschaft: unentrinnbar. Auch wenn sich die Menschen mit Kleider- Eine ökologische Katastrophe würde unsere menschliche Fä- schichten, Kappen, Handschuhen, Gesichtsmasken oder Tü- higkeit zu moralischen Integrität auf die brutalstmögliche chern und dunklen Skibrillen gegen die erbarmungslose Probe stellen. Sonne zu schützen versuchen, sie finden keine Linderung. Im realen Leben wird perverses Verhalten in der Regel von Die tödlich veränderte Umwelt diktiert ihr Leben, alles ist der Gesellschaft klar geächtet, in der Fiktion verhält es sich nur noch darauf ausgerichtet, die elementaren Dinge zu fin- anders. Zumindest Teile der Gesellschaft finden dann großes den, die sie zum Überleben brauchen. Vergnügen daran, perverses Verhalten zu beobachten. Die Die flüchtigen Blicke aus dem Wagen auf die Welt drau- Filmwissenschaft hat sich mit diesem Paradox genauer be- ßen, im blendenden Licht, im Staub, im Dreck, machen dem schäftigt und herausgefunden, dass zum Beispiel in Psycho-

Abbildungen: Paramount Pictures; Dimension Films Zuschauer klar, dass das Trio dieser Welt entfliehen muss. thrillern und Horrorfilmen ganz gezielt die Faszination an 26-31WvMossner_RZ:Layout 1 15.03.12 19:28 Seite 30

Das Filmteam am Set an dunklen und amoralischen Geschichten bedient wird, dass einer heruntergekommenen und Tom, jäh auf einer einsamen Waldstraße stoppen müs- Tankstelle in Gardelegen. dabei aber entscheidend ist, wie die Zuschauer geführt wer- sen, weil eine demolierte Schranke die Weiterfahrt verhin- den. Auf welche Weise lädt der Film sie dazu ein, den ent- dert, werden einige Zuschauer vielleicht eine Verbindung zu sprechenden Handlungen zu folgen? Als kühle Beobachter? einer unheimlichen Jagdszene am Anfang des Films herstel- Als Mitfiebernde? Als mitleidende Opfer? len. Die Situation im Wald ist die Gleiche, und es ist schnell Hell ist ein Film, der viele Elemente des Horrorfilms und klar, dass die gesperrte Straße kein Zufall, sondern Teil eines des Psychothrillers enthält, aber er »lädt« den Zuschauer nie- hinterhältigen Plans ist. Kurz darauf wird Leonie entführt, mals ein, die perversen Handlungen aus Sicht der Kannibalen die beiden Männer fliehen panisch, und Marie macht sich mitzuerleben. Die Menschenfresser, die in dem Film gezeigt voller Sorge und Angst auf die Suche nach ihrer kleinen werden, sind Antagonisten der moralisch Handelnden. Die Schwester. Wir erleben, wie sie, von der erbarmungslosen Handlung wird so erzählt, dass die Zuschauer Sympathie und Sonne schier verbrannt, durch einen toten, verkohlten Wald eine Art Zusammengehörigkeitsgefühl mit den moralisch irrt, bis sie schließlich in einer einsamen Kapelle Schutz und denkenden und handelnden Figuren entwickeln können. Kühlung findet. Dort trifft sie auf die Bäuerin Elisabeth, ge- Um diesen Effekt zu erzielen, muss es dem Film gelingen, uns spielt von Angela Winkler, die der verzweifelten jungen Frau als Zuschauer dazu zu bringen, uns die Handlungen, Gedan- Wasser gibt und ihr anbietet, in ihrem nahe gelegenen Bau- ken und Gefühle des integren Protagonisten zu eigen zu ma- ernhof erst einmal zur Ruhe zu kommen. chen. Wir sind dann auf seiner Seite, sehen und erleben, was Marie erfährt, dass auch hier, fern der großen Städte, die im Film geschieht, aus seiner Perspektive. Dies kann sich nur fatalen Veränderungen der Umwelt die Menschen in große entwickeln, wenn die moralisch-ethischen Grundstrukturen Not gebracht haben. Aber irgendwie scheint man noch genug des Films so angelegt sind, dass der Zuschauer sich mit den zum Überleben zu finden, denn als Marie von der Bäuerin Handlungen und Zielen der Protagonisten identifizieren zum Abendessen eingeladen wird und die beiden erwachse- kann. nen Söhne kennenlernt, wird ihr klar, dass das, was aufge- Genau das geschieht in Hell. Die Zuschauer sympathisie- tischt wird, Menschenfleisch sein muss – die Beobachtungen, ren von Anfang an mit den Personen, die selbst in den kri- die sie bis dahin auf dem Hof machen konnte, lassen keinen tischsten Situationen moralisch handeln. Helden eben, die anderen Schluss zu. Sie will fliehen, aber vergebens. Und so lieber verhungern würden, als ihre Mitmenschen zu töten endet auch sie in dem zum Bauernhof gehörigen Schlacht- und zu verspeisen. Helden, die Gewalt nur anwenden, wenn haus. Dort ist auch schon Phillip, ihr Freund, dessen ganz im es darum geht, sich selbst zu verteidigen. Der Film wirft professionellen Stil durchgeführte Schlachtung sie hilflos und damit aber auch die interessante Frage auf, wie menschliche vor Entsetzen gelähmt miterleben muss. Moral und die Veränderung der Umwelt sich gegenseitig be- In diesen Szenen erreicht der Horror ohne Zweifel seinen einflussen. Der Komplex des Kannibalismus ist dabei von be- Höhepunkt, und doch unterscheidet er sich ganz fundamen- sonderem Interesse. tal von ähnlichen Situationen und Szenen in The Road. Denn Hell ist in seiner Gesamtanlage ein klassischer Genrefilm. in Hell fließt kaum sichtbar Blut und der eigentliche Akt des Entsprechend ist der Handlungsablauf so konstruiert, dass Tötens geschieht in geradezu humaner Weise. Es sind keine alles auf einen – in diesem Fall blutigen – Showdown hin- bluttriefenden Bilder, die beim Zuschauer Abscheu und Ent- ausläuft. Das Thema Kannibalismus wird dabei auf faszinie- setzen auslösen, sondern es ist die schockierende Normalität rende Weise dargestellt. Ähnlich wie Regisseur Hillcoat in The und Gleichgültigkeit, mit der diese bäuerliche Familie andere Road geht auch Fehlbaum in Hell davon aus, dass der Mensch Menschen schlachtet, ausweidet, fachgerecht zerlegt und zum Raubtier seiner selbst wird, wenn andere Mittel zum schließlich verspeist. Sie tut dies alles mit der gleichen Rou- Überleben nicht mehr existieren. Fehlbaum greift diese These tine und Professionalität, wie sie es vermutlich in besseren auf überraschend neue Weise auf. Wenn nach etwa 20 Film- Zeiten mit ihren Kühen, Kälbern und Schweinen getan hatte: minuten die beiden Schwestern mit ihren Begleitern, Phillip Phillip wird zuerst mit einem Elektroschock betäubt, dann 26-31WvMossner_RZ:Layout 1 15.03.12 19:28 Seite 31

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mit einem Bolzenschuss-Apparat getötet, und sein Körper Zweifel bietet. In einem Interview hat Fehlbaum erklärt, dass wird anschließend geradeso »verarbeitet«, wie man es mit es ihm besonders wichtig gewesen sei, »dass der Film eine ge- einem geschlachteten Tier schon immer gemacht hat. Die wisse deutsche Identität hat« und dass es in deutschen Kinos Bäuerin erklärt es Marie auch ganz ungerührt: Als Frau und einmal »einen apokalyptischen Film […] gibt, der dann aber Mutter ist es ihre Aufgabe, für die Familie zu sorgen, und des- nicht in Amerika irgendwo in der Wüste spielt, sondern hier wegen haben sie und ihre Söhne ganz einfach das nicht mehr auf der Autobahn, also mit den Autobahnschildern, die so vorhandene Schlachtvieh durch Menschen ersetzt. Ange- aussehen wie in Deutschland, und mit Natur, die aussieht wie sichts der Umstände hält die Bäuerin ihr »perverses« Verhal- ein deutscher Wald.« ten für durchaus moralisch akzeptabel. Angela Winkler spielt diese Bäuerin überzeugend, und Re- Kritikerlob für atmosphärische Dichte gisseur Fehlbaum hat die Figur so angelegt und geführt, dass Obwohl nur mäßig erfolgreich an der deutschen Kinokasse, die Zuschauer nicht umhin können, zu Beginn Mitgefühl für Werbung für den Film Hell. wurde Fehlbergs Film hoch gelobt für die gelungene Art, wie sie zu entwickeln, zumal sie ja Marie Hilfe und Schutz anbie- er die Elemente des klassischen amerikanischen Genrekinos tet (und im Übrigen auch gar nicht vorhat, Marie ebenfalls in einem deutsch-schweizerischen Film umgesetzt hat, zu schlachten, sondern sie und ihre kleine Schwester ihren ebenso wie für die atmosphärische Dichte seiner Bilder. In Söhnen als künftige Ehefrauen zuführen möchte). Entspre- seiner Filmkritik für Welt Online versichert Peter Zander, dass chend groß sind das Entsetzen und die Abscheu, als dem Zu- Hell es »locker« mit »Vergleichsapokalypsen aus den USA« schauer plötzlich klar wird, was sich auf dem einsamen wie The Road aufnehmen könne. Jörg Schöning von Spiegel Bauernhof abspielt. Online lobt besonders die »radikal feminine Perspektive« des Wenn auch das Ende der Geschichte eher klischeehaft er- Films sowie die gegenwartsnahe Inszenierung. scheint – das in Verschlägen gehaltene menschliche »Vieh« Ohne Zweifel ist es Fehlbaum gelungen, einen faszinieren- wird gerettet, den beiden Schwestern gelingt eine hochdra- den und spannenden Film zu inszenieren, der von einer matische Flucht und es gibt ein ebenso unvermeidliches wie völlig veränderten Umwelt in ganz naher Zukunft erzählt. unglaubwürdiges Happy End – dem Zuschauer wird vermut- Bedauerlich ist, dass er kaum eine Verbindung herstellt zwi- lich am tiefsten im Gedächtnis bleiben, wie in Hell mit den schen unserer jetzigen und der zerstörten Welt seines Films. Themen Umwelt und Kannibalismus umgegangen wurde. Damit vergibt der Film die Chance, die Zuschauer für ihre Zuschauer, die sich für Tierrechte interessieren, könnten in eigene Rolle und ihren Anteil an solch einer radikalen Ver- Hell noch eine weitere Dimension entdecken: Schließlich änderung der Umwelt zu sensibilisieren. Was bleibt, ist den- werden die Tötungspraktiken, die im Zusammenhang mit AUTORIN DIE noch die Hoffnung, dass die kraftvolle filmische Umsetzung Menschen als schrecklich empfunden werden, bei Säugetie- Alexa Weik von Mossner eines zukünftigen Desasters, das unsere heutige Welt zerstört ren wie Kühen, Kälbern oder Schweinen von den meisten Dr. Alexa Weik von Mossner hat, im Zusammenspiel mit der hochemotionalen Ge- Menschen akzeptiert. Abgesehen von seinem Interesse für die ist Literatur- und Filmwissen- schichte dazu beiträgt, die Zuschauer zum Nachdenken an- schaftlerin an der Universität Zusammenhänge zwischen Mensch und Umwelt und dem zuregen über ihr Leben hier und heute. Vielleicht schärft ein Fribourg in der Schweiz zutiefst negativ geprägten Blick in die Zukunft bleibt Hell je- sowie Affiliate am Rachel Film dieser Art eben doch den Blick auf unsere gegenwärtig doch merkwürdig unpolitisch. Über die Ursachen der dra- Carson Center for Environ- vorhandenen Umweltrisiken, weil er uns eine sterbende Welt matisch veränderten Umweltbedingungen lässt der Regisseur ment and Society (RCC) an vor Augen führt und ihre letzten Bewohner, die Angst vor der der LMU München. Sie ist die Zuschauer im Unklaren. Sonne haben müssen – und vor ihren Artgenossen. ❘❙❚ Kuratorin der Umweltfilm- Hell hat den Förderpreis Deutscher Film gewonnen, hat reihe Green Visions im das Prädikat »Besonders wertvoll« von der Deutschen Film- Kulturzentrum Gasteig, ein und Medienbewertung erhalten und ist am Ende doch in den Gemeinschaftsprojekt von Stereotypen des Genrefilms verhaftet geblieben, statt das Po- RCC, MVHS, ÖBZ und Ecomove International.

Abbildungen: Paramount Pictures; privat tenzial auszunutzen, das das Thema »Ökokatastrophe« ohne 32-33Coulter_RZ:Layout 1 19.03.12 15:59 Seite 32

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Digitale Erkundungen der Umwelt www.environmentandsociety.org – ein neues Portal für Umwelt und Gesellschaft. Von Kimberly Coulter, Übersetzung: Felix Mauch

n Ergänzung zu Museen oder Archiven bietet ein Online- Forschungskanon bieten zu wollen. Vielmehr ist das Portal IWissensportal sowohl Wissenschaftlern als auch allgemein als ein dynamisches, wachsendes und interaktives Medium Interessierten weltweit die Möglichkeit, Quellenbestände zu konzipiert. entdecken, auf sie zuzugreifen und darüber hinaus eigene Er- Als Einstieg in die Suche bietet das Portal den Nutzern so- fahrungen mit anderen zu teilen – und dies, ohne direkt vor wohl originär digitale als auch bereits publizierte und speziell Ort sein zu müssen. Ein derartiges Portal trägt dazu bei, so- für den Onlinezugang digitalisierte Inhalte an. Dabei steht we- wohl disziplinäre als auch nationale Grenzen zu überschrei- niger die systematische Erschließung spezifischer Themen im ten, es erleichtert den Einstieg in komplexe Themen und regt Vordergrund. Vielmehr liegt der Fokus auf repräsentativen dazu an, sich interaktiv zu beteiligen. Um diesen Ansprüchen Einzelereignissen und charakteristischen Prozessen, welche gerecht zu werden, muss ein solches Portal wissenschaftlich die Wechselbeziehung von Mensch und Natur reflek tieren seriöse und benutzerfreundliche Inhalte präsentieren, die es und zum Nachdenken anregen. Durch Themenvorschläge der über einen reinen Datencontainer erheben. Darüber hinaus internationalen Fellows des Rachel Carson Centers, institu- bietet es neue Verknüpfungen und Perspektiven. Dieser Fa- tioneller Partner und der Online-Community erhält das Por- cettenreichtum entspricht dem dynamisch wachsenden Feld tal stetig Zuwachs. der Environmental Humanities, die in erster Linie das Bezie- Neugierige werden viele Überraschungen erleben. In der hungsgeflecht von Mensch und Natur in den Fokus ihrer Multimedia-Bibliothek des Portals finden sich die unter- Forschungsinteressen gerückt haben. schiedlichsten Dokumente. Sie reichen von einem Podcast Das »Environment & Society«-Portal ist eines der wich- zur Katastrophe in Fukushima über umwelthistorische Ar- tigsten Projekte des Rachel Carson Centers und nimmt tikel aus Fachzeitschriften oder Filmbeiträge bis zu kommen- dessen zentrales Ziel auf, die internationale Vernetzung der tierten historischen Quellenbeständen – etwa einem Ein- Geisteswissenschaften zu stärken. Das seit Januar 2012 on- blatt druck aus dem 17. Jahrhundert, der Flutkatastrophen line verfügbare Portal stellt internationalen Wissenschaft- an Rhein und Elbe beschreibt. Studierende können kurze lern, Studierenden und der allgemeinen Öffentlichkeit Beschreibungen ökologisch prägnanter Ereignisse synchron digitalisierte Materialien aus verschiedenen Gebieten der wie diachron vergleichen und miteinander in Beziehung set- geisteswissenschaftlichen Umweltforschung frei zugänglich zen. An lokalen Umweltereignissen Interessierte finden in zur Verfügung. der Sektion Arcadia, ein in Zusammenarbeit mit der Euro- Das englische Portal (www.environmentandsociety.org) pean Society for Environmental History entwickeltes Editi- nimmt thematisch relevante Beiträge aus zahlreichen Spra- onsprojekt, übersichtliche Beiträge zahlreicher Autoren aus chen (mit englischer Kurzfassung) auf. Inhaltliche Schwer- aller Welt. Online-Ausstellungen zu ausgewählten Themen punkte sind die sechs Forschungsfelder des Rachel Carson regen die Nutzer zu weiteren Erkundungsreisen durch die Centers: Naturkatastrophen und Risikokulturen, Umwelt- Umweltgeschichte an. So wirft die erste Ausstellung des Por- wissen und Wissensgesellschaften, Landschaftswandel, tals unter dem Titel »Promotion and Transformation of Ressourcenverbrauch und Naturschutz, ökologischer Im - Landscapes along the CB & Q Railroad« Schlaglichter auf pe rialismus und schließlich Umweltethik, -politik und die Umgestaltung der amerikanischen Landschaft durch den -bewegungen. Es wäre vermessen, einen allumfassenden Bau der Eisenbahnen im 19. Jahrhundert. Die Dokumente 32-33Coulter_RZ:Layout 1 19.03.12 15:59 Seite 33

Magazin Onlineportal 33

Hinter den Kulissen kümmert sich eine spezielle Arbeits- gruppe am Rachel Carson Center um das Portal. Das interna- tionale Team mit unterschiedlichen akademischen und beruflichen Qualifikationen aus Geografie, Geschichte, Kul- turwissenschaften und den Informationstechnologien orga- nisiert die Inhalte und das Datenmanagement. Für jedes In- haltselement werden Metadaten erhoben, die es mit Hilfe des zur Chicago, Burlington & Quincy-Eisenbahn entstammen Die Website des »Environ- Content-Management-Systems Drupal erlauben, Querverbin- der Newberry Library in Chicago, einer der Partnerinstitu- ment & Society«-Portals mit dungen und Zusammenhänge zwischen den einzelnen Daten- den drei angebotenen Such- tionen des Portals. sets herzustellen. Für die Nutzung des Keyword Explorers ist funktionen. Selbstverständlich schöpft das Portal vor allem auch aus beispielsweise ein kontrolliertes Vokabular thematischer Such- den riesigen Beständen des Deutschen Museums. In Kürze begriffe erstellt worden, das ein hohes Maß an Flexibilität ga- präsentiert eine weitere Online-Ausstellung die bisher unver- rantiert und so vordefinierte Suchwege vermeidet. öffentlichten Tagebücher des Polarforschers Alfred Wegener Das Portal basiert auf der Unterstützung und Mitarbeit aus dem Archiv des Deutschen Museums. Rechtzeitig zum einer starken Online-Community. Da fachliche Autorschaft Rachel-Carson-Jubiläumsjahr thematisiert eine Ausstellung und wissenschaftliche Verlässlichkeit von hoher Bedeutung auf der Basis von Dokumenten der Beinecke Rare Book and sind, wird auf das Wissen von ausgewiesenen Fachspezialisten Manuscript Library der Yale University den internationalen zurückgegriffen. Alle Inhalte werden zudem einem gründli- Einfluss Rachel Carsons und ihres Buches Silent Spring. Unter chen Lektorat unterzogen. Den Autoren wird eine Creative- dem Titel »Hazardous Chemicals« wird in naher Zukunft Commons-Lizenz (CC BY-SA) zugeordnet, die es vereinfacht, eine weitere Ausstellung der Geschichte prekärer Stoffe wie die originär digitalen Inhalte zu verbreiten, zu übersetzen oder DDT, Quecksilber oder Blei nachspüren. in neuen Kontexten wiederzuverwenden. Auf jeder Seite des Wie lässt sich mit solch heterogenen Inhalten eine span- Portals werden Rückmeldefunktionen angeboten; zusätzliche nende Plattform entwickeln? Wie zu neuen Erkundungen Optionen, etwa Inhalte über soziale Netzwerke zu teilen, sind und Entdeckungen animieren? Hierfür wurden drei inter- in Vorbereitung. Nicht nur Fachwissenschaftler, sondern auch aktive Suchwerkzeuge entwickelt: ein Kartenviewer, der die interessierte Öffentlichkeit sind zur Mitarbeit eingeladen »benachbarte« Inhalte auf einer Landkarte anzeigt, eine – einschließlich der Leser von Kultur & Technik! Timeline, die Suchanfragen in zeitlicher Abfolge veran- Da sich im Internet immer mehr Informationen abrufen schaulicht und gruppiert, und ein Keyword Explorer, der und personalisierte Suchprozesse durchführen lassen, gehen Nutzern die Gelegenheit bietet, ihre thematische Suche zu unerwartete oder sogar überraschende Zusammenhänge oft- verfeinern. mals verloren. Das »Environment & Society«-Portal stellt ge- Allen Inhalten sind, soweit möglich, eine spezifische rade diese Verknüpfungen in den Mittelpunkt und bietet den Zeitangabe, geografische Koordinaten und mehrere thema- Nutzern die Möglichkeit, räumliche, zeitliche oder themati- tische Schlagwörter zugeordnet. Damit werden alle Ele- sche Beziehungsmuster zu entdecken. In unserer internetba- mente des Portals durch die interaktiven Suchwerkzeuge sierten Wissensgesellschaft hat die Form der Strukturierung

erfassbar. Die Instrumente unterstützen die Nutzer bei der AUTORIN DIE von Informationen einen großen Einfluss auf die Verbreitung

Recherche nach Materialien, geografischen Orten sowie Er- Dr. Kimberly Coulter und Nutzung von Wissen. Hier kann das Portal mit seinen eignissen und zeigen thematische Verknüpfungen an. Das leitet das geisteswissen- vielfältigen Möglichkeiten nicht zuletzt auch wichtige Im- Portal wird so zu einem Entdeckungserlebnis. Durch neu schaftliche Onlineprojekt pulse geben, die herkömmlichen Grenzen zwischen Geistes- hinzukommende Inhalte werden sich die Navigation weiter »Environment & Society und Sozialwissenschaften und Natur- und Ingenieurwissen- Portal« am Rachel Carson verfeinern und die Materialien je nach Interesse in ganzen schaften zu überschreiten und Diskussionen zu unseren ak- Center in München.

Abbildung: www.environmentandsociety.org Gruppen ordnen und miteinander verflechten lassen. tuellen Umweltproblemen anzuregen. ❘❙❚ 34-37MikroMakro_RZ.qxd:Layout 1 19.03.12 17:38 Seite 34

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Die Natur und wir Sauberes Wasser, nährstoffreiche Erde und reine Luft – das brauchen Pflanzen, Tiere und Menschen zum Leben und um gesund zu bleiben. Aber jeden Tag wird weltweit eine Menge Müll produziert, Schmutz wasser, Abgase und viele andere Umweltprobleme gefährden die Natur und das Klima. Zudem wächst die Weltbevölkerung rasend schnell und braucht immer mehr Strom, Wasser und Nahrung. Umweltschutz, Energie sparen und Recycling werden also in Zukunft immer wichtiger – für jeden Einzelnen

von uns. Von Caroline Zörlein 34-37MikroMakro_RZ.qxd:Layout 1 19.03.12 17:38 Seite 35

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Es ist gar nicht so einfach, umweltschonend zu fischen. Am sogenannten Fischtisch in der Ausstellung Umwelt kannst du das als Kapitän eines Fischerboots selber ausprobieren. Insgesamt vier Spieler können bei diesem Spiel dabei sein.

Mehr Chancen für Meeresfische

ußen eine knusprige, goldgelbe Panade, innen weiß- life Fund (WWF) informiert im Internet darüber, welche Azartes Fleisch – so essen die meisten Kinder Fisch Fischsorten und -bestände bereits überfischt sind und auf am liebsten: als Fischstäbchen. Ursprünglich war es was man besser verzichten sollte. Und das Fisch-O-Meter der ein Kabeljau, der hierzulande auch Alaska-Seelachs Verbraucherzentrale Hamburg zeigt, wie groß Kabeljau, He- genannt wird. Er ist der Lieblingsfisch der Deutschen. ring und Co. mindestens sein sollten, wenn sie auf der Fisch- Aber auch andere Meeresbewohner landen seit einigen Jah- theke liegen. Fische, die aus umweltverträglicher und ren immer häufiger auf unseren Tellern. Fast 16 Kilogramm verantwortungsvoller Fischerei stammen, erhalten das Um- So essen die meisten Kinder Fisch isst jeder Deutsche pro Jahr. 90 Millionen Tonnen Fisch am liebsten: als Fisch- weltsiegel MSC (Marine Stewardship Council). Lachs, Hering, Thunfisch und Co. werden jährlich weltweit stäbchen. fischratgeber.wwf.de aus den Meeren gefangen. Große Fischereiboote, sogenannte www.fisch-o-meter.de Trawler, pflügen mit hochmodernen Netzen durch die Ozeane. Dabei sind sie besonders gründlich und fangen rie- sige Mengen. Von solchen intensiven Fangaktionen müssen sich die Fischschwärme in den Weltmeeren erst wieder erho- len. Das geschieht nur, wenn noch genügend Jungfische im Hüttenzauber Wasser zurückbleiben, um sich fortpflanzen zu können. An- dernfalls schrumpfen die Schwärme und der Kabeljaube- mit Hightech stand ist in Gefahr: Man spricht dann von Überfischung. Leider geht es vielen Fischbeständen so. Damit wir in Zu- kunft genügend gesunden Fisch genießen können, ist es daher wichtig, nur so viel davon zu fangen, wie auch nach- er einmal in den Alpen gewandert ist, freut sich über eine Unterkunft, eine warme wachsen kann. Bereits ein Viertel aller Fischbestände weltweit WMahlzeit oder eine erfrischende Apfelschorle. Gebirgshütten sind Oasen in der Fel- gilt als überfischt. Darunter leiden nicht nur die Meerestiere senwüste. Immer mehr Berghütten nutzen heute bereits umweltfreundliche Quellen wie die und -pflanzen, sondern letztlich auch die Menschen, die vom Sonnenenergie, um Strom zu gewinnen. Ein Vorzeigebeispiel in Sachen Hütten-Hightech Fischfang leben: Die Fischerei lohnt sich nicht mehr und ist die Monte-Rosa-Hütte: Sie liegt im schweizerischen Tessin auf mehr als 2800 Metern wird auf Dauer unwirtschaftlich. Vor allem Menschen in är- Höhe und besitzt sogar ein hauseigenes Sonnenkraftwerk. 100 Solarpanels liefern Strom, meren Regionen sind dadurch in ihrer Existenz bedroht. der zum Beispiel auch in Batterien gespeichert wird. Die Hüttenräume und das Duschwas- ser lassen sich mit Hilfe der Sonne beheizen. Die Monte-Rosa-Hütte kann bis zu 90 Prozent Ein interaktives Spiel in der Umweltabteilung im Deut- ihres Strombedarfs selbst erzeugen. Lediglich zum Kochen – das geschieht mit Gas – muss schen Museum verdeutlicht die Zwickmühle, in der Fischerei der Helikopter Gaskartuschen hinauftransportieren. Dass die Berghütte so gut mit ihrer und Ozeane stecken: Am »Fischtisch« werden vier Besucher Energie haushalten kann, liegt auch an einem ausgeklügelten digitalen Steuerungssystem – selbst jeweils zum Kapitän eines Fischerbootes. Während immerhin sind im Gebäude mehr als sechs Kilometer Stromkabel verlegt. Frisches Wasser ihrer Fahrt müssen sie in kurzer Zeit so viel Fisch wie mög- kommt aus einer Kaverne, 40 Meter oberhalb der Hütte. Das Schmelzwasser aus der Um- lich fangen, aber auch die Erholungszeit der Meeresbewohner gebung der Hütte wird im Sommer gesammelt und gespeichert. Alle Geräte im Haus sind beachten und die Konkurrenten im Auge behalten. Gewon- für einen wassersparenden Betrieb ausgelegt. Die produzierten Abwässer werden mittels nen hat der Spieler, der nicht nur die größte Ausbeute gefan- einer eigenen Kläranlage gereinigt. 120 Menschen können auf der Monte-Rosa-Hütte schla- fen. Der Bau der Berghütte war besonders kompliziert, da die Arbeiter nur während der gen hat, sondern auch besonders nachhaltig gefischt hat. kurzen Sommersaison tätig werden konnten. Der Transport der Materialien efolgte aus - Nachhaltig bedeutet in diesem Fall, dass die Fischbestände schließlich per Hubschrauber. Im Spätsommer 2008 begannen die Arbeiten – im Frühjahr wieder nachwachsen können. Und was kann man selber tun, 2010 wurde die Hütte dann in Betrieb genommen.

Abbildungen: Michael Wirth; Heike Geigl; istockphoto.com/BogdanWirth; Ionescu; Monte-Rosa-Hütte Abbildungen: Michael um die Meeresflora und -fauna zu schonen? Der World Wild- 34-37MikroMakro_RZ.qxd:Layout 1 19.03.12 17:38 Seite 36

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Niklas Kroner-Weigl engagiert sich in der Schülerinitiative »Plant- for-the-Planet«. Mit Papier- flugzeugen protestiert Niklas mit seinen Freunden vom Bund Naturschutz auch gegen die geplante dritte Startbahn am Münchner Flughafen.

Interview:

Bäume pflanzen für die Zukunft DIE DUNKLE SEITE DES LICHTS

Naturschutz ist nicht nur wichtig, site der JBN erstellt: »Klimawandel erklärt«. Es war sehr Wer einmal versucht interessant zu sehen, wie eine Website »back stage« funk- hat, in München, Ham- sondern macht auch Spaß. MikroMakro tioniert. Das hat sehr viel Spaß gemacht, da ich ja auch burg oder Köln die sprach mit Niklas Kroner-Weigl: Er ist schon viel über dieses Thema wusste. Aktiver Milchstraße am Ster- bin ich zurzeit bei der weltweiten Schülerinitiative nenhimmel zu entde- 13 Jahre alt und engagiert sich bei der »Plant-for-the-Planet«. Das ist eine reine Kinderor- cken, weiß: Es ist zu Jugendorganisation des Bund Natur- ganisation, die in über 100 Ländern aktiv ist. Etwa hell für diese nächtli- zehntausend Kinder sind dabei. Wir halten Vorträge, zum che Beschäftigung. So schutz (JBN) für die Umwelt. Beispiel vor der UNO oder dem Europäischen Parlament. richtig dunkel wird es Plant-for-the-Planet pflanzt aber vor allem Bäume, um in Deutschland kaum dem Klimawandel entgegenzuwirken und so die Zukunft noch: Straßenlaternen, aller Kinder zu retten. Auf unserem Baumzähler befinden die Beleuchtung von sich bereits über zwölf Milliarden Bäume. Wir haben auch Gebäuden in Groß- eine Demo selbst organisiert. Die Polizei hat für uns eine städten, Leuchtrekla- gesamte Seite der Sonnenstraße gesperrt, und wir sind im men und die Flutlichter Rahmen der weltweiten Protestaktion »iMatter March« von Industrieanlagen vom Stachus bis zum Rindermarkt marschiert.* erhellen die Nächte. Experten sprechen von Wie kamst du darauf, dich für Umwelt- und Naturschutz Was können wir alle tun, um umweltbewusster zu leben? Lichtmüll. Himmelsfor- einzusetzen? Es gibt viele kleine Dinge, die jeder von uns tun kann: zum scher bauen ihre Ob- Meine Lehrerin hat sich sehr bemüht, uns etwas über die Beispiel weniger Fleisch essen, öffentliche Verkehrsmittel servatorien deshalb Erderwärmung und die damit verbundenen Folgen zu er- benutzen oder Fahrrad fahren, Bio-Obst und -Gemüse längst fernab dicht be- zählen. Damals war ich ungefähr elf. Zuerst habe ich gar kaufen und was aus der Region kommt. Man kann einen siedelter Gebiete. nicht hingehört, da ich zu viel Angst vor dem Klimawandel Wasserkocher benutzen, um Wasser aufzukochen, die Denn um Städte bilden und seinen Folgen hatte, aber dann habe ich gemerkt, dass Heizung runterdrehen oder Bäume pflanzen. Natürlich sich sogenannte Licht- diese Katastrophen sich nur aufhalten lassen, wenn man kann man auch große Dinge tun, wie auf erneuerbare glocken, die den Him- selbst etwas dagegen tut. Ich habe ein Praktikum beim JBN Energien wechseln oder ein Elektro- oder Hybridauto mel kilometerweit absolviert, was mir sehr, sehr viel Spaß gemacht hat. kaufen. Aber auch – und vor allem – die kleinen Dinge erleuchten. Vor allem können große Wirkung erzielen. Insekten sind Opfer Was hast du während deines Praktikums dort gemacht – von diesen künstlichen und bist du immer noch für den Umweltschutz aktiv? Hast du schon einen Berufswunsch? Lichtquellen: Jede Was mir sehr viel Spaß gemacht hat, war die Protestaktion Was genau, weiß ich noch nicht, aber ich möchte auf Straßenlampe kostet in gegen die dritte Startbahn am Münchner Flughafen. Die jeden Fall etwas Naturwissenschaftliches studieren und einer Sommernacht im JBN hat damals Papierflieger entworfen, die auf der Demo dann auch etwas in der Richtung arbeiten. Durchschnitt etwa 150 verteilt wurden. Ich durfte auch selbst einen entwerfen. Insekten das Leben. Wenn man ihn nach der Anleitung faltet, steht auf jeder *Niklas beim iMatter March: http://youtu.be/gtzX_JTDsZ8

Fläche etwas. Ich habe auch schon eine Seite auf der Web- Abbildungen: JBN; privat; istockphoto.com 34-37MikroMakro_RZ.qxd:Layout 1 15.03.12 18:00 Seite 37

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Von Naturfreunden und Wandervögeln

ährend der industriellen Revolution, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts be- Wgann, wuchsen die Städte. Viele Menschen fanden dort Arbeit, aber ihre Welt wurde immer enger und grauer. Man sehnte sich nach Natur und Weite. Künstler wie Caspar David Friedrich haben dieses Empfinden in Bildern wie »Wanderer über dem Nebelmeer« festge- halten. Die unberührte, wilde Natur faszinierte die Menschen. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts gründeten sich immer mehr Gebirgs- und Wandervereine wie der Alpen- verein oder die Naturfreunde. Die »Wandervögel« beispielsweise gibt es seit 1901. Der Schüler Karl Fischer gründete den Verein »Wandervogel-Ausschuss für Schülerfahrten«. Solche Ver- eine haben viel Pionierarbeit geleistet: Wanderwege, Wegweiser und Karten angelegt oder Schutzhütten errichtet. Auch heute genießen viele Menschen die Abgeschiedenheit der Natur als Ausgleich zur hektischen Großstadt. Pflanzenschutz -– Zwei Seiten der Medaille

ucherndes Unkraut, knabbernde Raupen und saugende Läuse sind für den WHobbygärtner nur eine lästige Plage. Doch fallen sie über Weizenfelder, Ap- felplantagen oder Reisterrassen her, ist schnell ein großer Teil der Ernte vernichtet. Für den Landwirt steht der Lohn mühevoller Arbeit auf dem Spiel. Und ohne seine Ernte bleiben wiederum die Supermarktregale leer. Mit Hilfe von Pflanzenschutzmitteln, auch Pestizide genannt, kann der Bauer seine Pflanzen vor den verschiedensten Schädlingen schützen. Wichtig dabei ist, dass möglichst keine nützlichen Insekten gefährdet werden. Und auch für den Menschen, der Obst und Gemüse verzehrt, müssen die Stoffe unbedenk- lich sein. Heutige Pestizide können diesen Spagat deutlich besser leisten als noch ihre Vor- gänger: Sie bewahren Pflanzen sehr gezielt vor Schädlingen. Forscher können Wirkstoffe beispielsweise inzwischen genau auf die Schwachstellen der gefräßigen Plagegeister abstimmen. Trotzdem können Pestizidreste und andere Schadstoffe über die Früchte manchmal in großer Menge in den menschlichen Körper gelangen. Wichtig ist, Obst und Gemüse immer gut zu waschen, um sich vor Rückständen auf Trauben, Erdbeeren, Äpfeln oder Zitrusfrüchten zu schützen – auch Schälen hilft. Besonders außerhalb der Saison häufen sich die Belastungen. Am besten greift man sowieso lieber zu Obst und Gemüse, das zur jeweiligen Jahreszeit auch in der heimischen Region wächst.

MITMACHEN UND GEWINNEN! Sende deine Lösung per E-Mail an: [email protected] Wir verlosen wieder spannende Bücher. oder per Post an: Redaktion »MikroMakro«, Günderodestraße 24, 81827 München Einsendeschluss ist der 15. Mai 2012. Rätselfragen: Bitte schreibe uns auch dein Alter (!) und die Adresse. Welche Fischsorte gilt in der Nordsee als »überfischt«? Lösungen des Rätsels aus Kultur & Technik 1/2012 a) Walfisch b) Kabeljau c) Krabbe Worfür braucht man einen Generator? Antwort b: zur Stromerzeugung. Welche Energiequelle nutzt die Monte-Rosa-Hütte? Was bedeutet Stand-by? a) Sonnenenergie b) Atomenergie c) Windenergie Antwort a: Ein elektrisches Gerät befindet sich »in Bereitschaft«. Gewonnen haben: Adrian Pitschel, Alexander Hanzalik, Nico Uszkoreit Abbildungen: wikipedia; Michael Wirth Abbildungen: wikipedia; Michael 38-43Odenthal_Sesame_RZ:Layout 1 15.03.12 18:06 Seite 38

Physiker als »Friedens«-Forscher

In Jordanien entsteht der erste Teilchenbeschleuniger des Nahen und Mittleren Ostens. Nebenbei schaffen Wissenschaftler, woran Politiker seit Jahrzehnten scheitern: Sie bringen die Konfliktparteien

der Region als Kooperationspartner an einen Tisch. Von Frank Odenthal

er Blick schweift über karges Land. Staubtrockene Hü- Tatsächlich war es eine Initiative von Physikern, denen ge- Dgelketten, nur vereinzelt sind grüne Farbtupfer aus Pi- lang, woran Politiker und Diplomaten seit Jahrzehnten be- nien und Gestrüpp zu erkennen, der Horizont scheint ständig scheitern: die Länder der Region, auch jene, die sich unendlich weit entfernt. Der Nordwesten Jordaniens ist ein seit langer Zeit in offener Feindschaft und sogar als Kriegs- malerischer Flecken Erde. Von hier ist es nicht mehr weit parteien gegenüberstehen, für ein gemeinsames Projekt zu bis zum Jordantal, und hinüber ins Westjordanland und begeistern und als Kooperationspartner und in friedlicher nach Israel. Am Rande von Allaan, einem emsigen Provinz- Absicht an einen Tisch zu bringen. Das SESAME-Projekt: Die städtchen vor den Toren der Hauptstadt Amman, ist ein Ge- Liste der teilnehmenden Länder liest sich wie eine Aufzäh- bäude zu erkennen, das inmitten der Einöde so futuristisch lung des Weltsicherheitsrates aktueller und potenzieller Kri- anmutet, als probe die NASA hier für eine erste Marsmission. Professor Mohammed Yasser senherde: Israel, Iran, die palästinensische Autonomiebe- Beim Näherkommen sieht die leuchtend blaue Dachkon- Khalil sieht von seinem Büro hörde, Pakistan, Bahrain, Jordanien, Ägypten, Zypern und aus hinüber zu den Hügel- struktion jedoch eher wie die eines Discount-Supermarkts die Türkei. Ein Beitritt des Irak steht unmittelbar bevor, landschaften des Westjordan- oder einer schwedischen Möbelkette aus. Über dem Portal, lands. Khalil hofft, dass zudem hat China Interesse signalisiert. einem antiken Tempel nachempfunden, glänzt eine Mar- Wissenschaftlern gelingt, Das Besondere dabei: Das Engagement der Wissenschaft- mortafel in der morgendlichen Sonne: SESAME – Interna- woran Politiker seit Jahr- ler wird von den Regierungen der Mitgliedsländer ausdrück- tional Research Center. zehnten scheitern: verfein- lich gebilligt, die Forschungsministerien sind geradezu Feuer dete Nachbarn in einem Professor Mohammed Yasser Khalil kann von seinem Kooperationsprojekt friedlich und Flamme für das SESAME-Projekt. Büro aus hinüber zu den Hügellandschaften des Westjordan- zusammenzubringen. lands schauen. »Eigentlich eine wunderschöne Aussicht«, sagt Ein Teilchenbeschleuniger für den Orient er, »von hier scheint alles ganz friedlich. Dabei ist man vom Doch worum geht es bei SESAME überhaupt? Das Akronym Frieden so weit entfernt wie eh und je.« Khalil ist Teilchen- steht für »Synchrotron Light for Experimental Science and physiker und seit 2008 Verwaltungsdirektor des SESAME- Applications in the Middle East«. Es handelt sich – einfach Projekts. Dort drüben, sagt er, scheitere eine Generation gesagt – um einen Teilchenbeschleuniger. Eine Quelle für Politiker nach der anderen daran, endlich Frieden in der Re- Synchrotronlichtstrahlen, wie sie in vielen westlichen Indu- gion zu schaffen, und zwar auf beiden Seiten. Er selbst sei in strieländern und inzwischen auch in einigen Schwellenlän- Alexandria in Ägypten geboren und aufgewachsen, habe dern betrieben werden. Allerdings ist SESAME der erste dann die Universität von Alexandria und die Penn State Uni- seiner Art im gesamten Nahen und Mittleren Osten. versity in den USA besucht. Und auf ägyptischer Seite, versi- Die Idee eines Teilchenbeschleunigers inmitten der arabi- chert er, sähen es die Menschen ganz genauso. »Vielleicht schen Welt geht auf CERN zurück, die Mutter aller Teilchen- muss der Impuls zum Frieden von anderer Seite kommen. beschleuniger, größter und teuerster, der je gebaut wurde. Ein Vielleicht von uns Wissenschaftlern.« Team von Wissenschaftlern, angeführt von dem italienischen 38-43Odenthal_Sesame_RZ:Layout 1 19.03.12 16:13 Seite 39

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der UNESCO den Baubeginn des SESAME-Centers in Al- laan, nordwestlich der jordanischen Hauptstadt Amman. Noch im selben Jahr wurde das BESSY-1-Modul in den Nahen Osten verschifft. Bislang strahlen in der weiten, hellen Halle, die ein wenig an den Neubau eines Schwimmbads erinnert, allerdings nur die Neonröhren von der Decke. Gerade einmal ein Drittel der Anlage sei eingebaut, erklärt Professor Khalil. BESSY 1, sagt er, sei ein Glücksfall; doch müsse man die Module mo- dernisieren, aufrüsten, wenn man später konkurrenzfähig sein wolle. 2015 soll SESAME in Betrieb genommen werden, sofern bis dahin alles reibungslos verläuft. Ein pünktlicher Start sei allerdings keineswegs gesichert, so Khalil. Schon ein- mal habe man einen Starttermin verschieben müssen, da- mals, im Jahr 2010, als sich abzeichnete, dass der geplante Starttermin 2011 nicht eingehalten werden könne. Dabei erfreut sich das Projekt von Beginn an der Unter- stützung einer Vielzahl von Organisationen und Instituten weltweit. Neben dem BESSY-1-Modul wurden weitere zen- trale Bestandteile für den neuen Teilchenbeschleuniger ge- Manche behaupten, es sei spendet, allein die Daresbury Laboratories aus Groß britan- Physiker Sergio Fubini, wies während einesWorkshops 1997 die größte Fahne der Welt: nien stifteten Komponenten im Wert von über zwölf Millio- Die riesige Landesflagge auf das Fehlen einer Synchrotronstrahlenquelle im gesamten nen US-Dollar. Hinzu kamen Beiträge der UNESCO, der Eu- Jordaniens weht in Vorderen Asien hin und schlug eine internationale Initiative, 124 Metern Höhe über ropäischen Union, der USA. Der Staat Jordanien stellte das ähnlich einer solchen, aus der auch CERN im Jahre 1954 her- der Altstadt Ammans. Grundstück in Allaan kostenlos zur Verfügung und über- vorgegangen war, vor. Just zu dieser Zeit beschloss man in nahm den Bau des Gebäudes und der nötigen Infrastruktur Deutschland, die in Berlin betriebene Synchrotronanlage sowie die Kosten zur Modernisierung von BESSY 1. Und zur BESSY 1, die bereits etwas in die Jahre gekommen war, durch Ausbildung von Fachkräften, die zum Betrieb und zur In- eine neue, leistungsstärkere Anlage zu ersetzen. Fubini hatte standhaltung unerlässlich sind, werden von Hochschulen mittlerweile in den deutschen Physikern Herwig Schopper, und Instituten weltweit großzügige Stipendien vergeben. dem ehemaligen Generaldirektor von CERN, und Gus Voss »Über mangelnde Unterstützung aus der internationalen vom Hamburger DESY (Deutsches Elektronen-Synchro- Wissenschaftsgemeinde können wir uns nicht beschweren«, tron) zwei prominente Mitstreiter für seine Idee gewonnen. fügt Professor Khalil hinzu. Deren Fürsprache erbrachte, dass sich die Bundesregierung Und die fiebert dem Start von SESAME entgegen, vor zu einer Schenkung des BESSY-1-Moduls – immerhin ein allem in den Mitgliedsländern. »Seitdem die Ausrichtungen Aggregat mit einem geschätzten damaligen Wert von 60 Mil- der ersten drei Strahlenmessstationen feststehen, die 2015 in lionen US-Dollar – als Basiskomponente für einen Teilchen- Betrieb genommen werden sollen, sind bereits eine Vielzahl beschleuniger im Nahen Osten bereiterklärte. von Anträgen auf Forschungszeit bei uns eingegangen«, ver- 1999 wurden die inzwischen konkreten Pläne zum Bau rät Khalil. Darüber werde dann im »SESAME-Council«, von SESAME der UNESCO vorgelegt, unter deren Schirm- einer Art Verwaltungsrat, zu dem jedes Mitgliedsland zwei herrschaft das Projekt durchgeführt werden sollte. Keine drei Abgesandte abstellen darf und der über die Nutzung der An-

Abbildungen: Frank Odenthal; Sesame Jahre später, im Mai 2002, beschloss der Exekutivausschuss lage entscheidet, beraten. »Die Forscher der Region, aber 38-43Odenthal_Sesame_RZ:Layout 1 15.03.12 18:06 Seite 40

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auch die vielen Studenten der Universitäten müssen dem- den Speicherring. In dieser 133 Meter durchmessenden, ring- nächst nicht mehr nach Europa oder in die USA ziehen, um förmigen Röhre werden sie auf bis zu 2,5 GeV beschleunigt.« an einem Teilchenbeschleuniger arbeiten zu können. Wir Zum Vergleich: Beim großen Bruder CERN sollen Protonen, wollen die talentiertesten Köpfe bei uns behalten.« die um ein Vielfaches größeren Bestandteile von Atomker- Tatsächlich gilt das Phänomen des Braindrain längst als nen, auf bis zu 14 Teraelektronenvolt (TeV) beschleunigt wer- eines der schwerwiegendsten Probleme vieler Entwicklungs- den, einem annähernd zehntausendfachen Wert. länder. Die Länder wenden ihre knappen Mittel auf, um einer Auf dem Speicherring wechseln sich gerade Abschnitte möglichst großen Zahl der Bevölkerung eine gute Schulbil- mit leicht gekrümmten Abschnitten ab. »Die Elektronen«, so dung zu ermöglichen, doch verlieren sie die gut ausgebildeten Attal, »geben bei jeder Richtungsänderung Energie in Form Menschen anschließend an die finanzstarken Firmen und In- von hochenergetischem Licht ab, das Synchrotronlicht oder stitute in den Industrieländern, die ihnen neben einer guten -strahlung genannt wird.« Es ist eine Strahlung mit einer sehr Die Rainbow Street mit ihren Bezahlung auch exzellente Perspektiven für ein berufliches hohen Frequenz, was nichts anderes bedeute, als dass sehr Bars und Cafés ist beliebt bei Fortkommen bieten können. »Bislang konnten wir da nicht viele Lichtteilchen, Photonen genannt, pro Sekunde abgege- der jungen Szene Ammans mithalten«, sagt Khalil, »doch SESAME könnte den jungen ben werden. Damit, erklärt Attal, könne man Materialstruk- wie auch bei den vielen aus- ländischen Besuchern der Leuten ganz neue Anreize bieten.« turen in viel kleineren Dimensionen erkunden als mit Stadt. herkömmlichen Mikroskopen und auch sehr viel detailrei- Internationales Science-Valley im Nahen Osten cher darstellen. Die Anwendungen reichen von der Moleku- Dr. Maher Attal von der nahe gelegenen Al-Balqa Univer- larbiologie und Medizin, der Chemie und Physik über sität von Amman leitet den Einbau der hochsensiblen tech- Materialforschung bis hin zum Energiesektor, etwa bei der nischen Gerätschaften. Auf einem Rundgang durch die Halle Entwicklung effizienterer Solarmodule. »Sogar in der Ar- erklärt er den Stand der Arbeiten. Der Raum wird von einem chäologie kann Synchrotronstrahlung hilfreich sein, etwa bei großen weißen Klotz dominiert, der an ein überdimensio- der Altersbestimmung prähistorischer Funde oder bei der niertes Schneckenhaus aus Styropor erinnert. An manchen Wiederherstellung in kleinste Einzelteile zerfallener antiker Seiten führen Gänge hinein, an anderen sind runde Ausspa- Kostbarkeiten.« rungen zu erkennen. »Hier sollen einmal Elektronen be- Interdisziplinär soll es zugehen bei SESAME. Und inter- schleunigt werden«, erklärt Attal, während er sich einem der national. Institute und Universitäten, erklärt Dr. Attal, wür- Eingänge des Schneckenhauses nähert, »und zwar auf eine den ihre Forschungsteams für ein bis zwei Wochen hierher Geschwindigkeit von 99,998 Prozent der Lichtgeschwin- schicken, um sich gemeinsam mit Forschern aus anderen digkeit«. Ländern auszutauschen. Auch die konkreten Arbeiten an den Dann, hinter einer der vielen weißen Wände, taucht un- Messstationen, so Attal, sollen im ständigen Austausch mit- vermittelt das Herzstück der Anlage auf, wie Attal die kreis- einander und natürlich über Ländergrenzen hinweg stattfin- förmige Anordnung von roten, metallischen Kästen, jeder den. »Die Teams werden gemischt sein, Israelis werden mit einzelne so groß wie ein Arztkoffer, die mit dicken Kabeln Palästinensern, Türken mit Zyprioten, Iraner mit Pakistanern miteinander verbunden sind, nennt: BESSY 1. »Das ist der zusammenarbeiten. Alle Beteiligten profitieren.« Booster. Hier werden die Elektronen auf 0,8 GeV beschleu- Und wenn es nach dem Willen der jordanischen Regie- nigt, wenn sie aus der Teilchenquelle, dem Mikrotron, kom- rung geht, werden sich Unternehmen aus aller Welt, vor men.« GeV, das bedeute Gigaelektronenvolt, eine Maßeinheit allem aber aus der arabisch-muslimischen Welt, rund um für die Energie von Elementarteilchen. »Je größer das Ele- Amman ansiedeln. Unter dem Stichwort »Clusterbildung« mentarteilchen, desto mehr Energie muss aufgewendet wer- kann man die Pläne hierzu in den Hochglanzbroschüren, den, um es zu beschleunigen.« Dr. Attal redet langsam; es die am Eingang des Gebäudes ausliegen, nachlesen. Bald, scheint ihm wichtig, von seinen Zuhörern verstanden zu wer- sagt Attal, bestehe dann kein Grund mehr, den Teilchenbe- den. »Dann gelangen die Elektronen auf die äußere Bahn, schleunigern in Europa, Japan oder den USA nachzureisen. 38-43Odenthal_Sesame_RZ:Layout 1 15.03.12 18:06 Seite 41

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Noch ist erst ein Drittel der Anlage errichtet. Doch zumin- dest der Booster, das Herz- stück von BESSY 1, steht bereits an seinem Platz.

nungsbeginn an und war bis 2009 Mitglied im wissenschaft- lichen Beirat. Über das Projekt, sagt sie, könne sie nur Posi- tives berichten. »Bislang mussten wir regelmäßig in die USA oder nach Frankreich reisen, um unsere Forschungen vor- anzubringen.« Bald eine Quelle für Synchrotronstrahlen vor Ort zu haben, sei daher einfach wunderbar. Ihre Vorfreude auf die Fertigstellung der Anlage in Jordanien ist ihrer Stimme anzuhören; und ebenso euphorisch klingt sie, wenn sie von ihren Erfahrungen mit den anderen Forschern spricht, mit denen sie bei den jährlichen Treffen der SE- SAME-Mitgliedsländer zusammenkommt. »In all den Jahren seit Beginn der Bauarbeiten hat es nie Probleme mit den Kollegen aus den anderen Ländern gege- ben.« Auch nicht mit der palästinensischen Delegation, er- gänzt sie, als wolle sie der Nachfrage vorweggreifen. »Zwar wurden wir anfangs am Grenzübergang nach Jordanien mit Argusaugen beobachtet und unsere Papiere mit großer Hin- gabe kontrolliert und unser Gepäck durchleuchtet.« Doch auch das habe sich inzwischen gelegt. Die Visa werden von Das geschäftige Zentrum den jordanischen Behörden inzwischen pünktlich und an- Grundlagenforschung werde fortan auch in der Region Ammans. Im Hintergrund die standslos erteilt. Und auch auf der Allenby-Brücke über den König-Hussein-Moschee, das möglich sein. Jordan, dem Grenzübergang auf der direkten Landverbin- zentrale Gebetshaus der Die Frage nach seiner eigenen Herkunft, seinem Geburts- Stadt. dung zwischen Jerusalem und Amman, gebe es nun keine ort, man spürt es, behagt Dr. Attal weniger. Er sei mit sechs Probleme mehr. »Dort kennt man uns schon, wir werden im Jahren nach Jordanien gekommen, besitze den jordanischen Schnelldurchgang verarztet«, lacht Sagi. Pass. Doch geboren wurde er in Palästina, in der Westbank, Ob sie sich um das SESAME-Projekt Sorgen mache wegen in einem kleinen Ort bei Ramallah. Also sei er Palästinenser. der unruhigen politischen Verhältnisse? Ach, sagt sie, das sei Was in ihm vorgehe, wenn er daran denke, künftig mit israe- doch nichts Neues. In Israel sei man daran gewöhnt, in einem lischen Forschern zusammenzuarbeiten? Für einen Moment Umfeld zu arbeiten, das ständig zwischen den Extremen verharrt Attal schweigend. Dieses Projekt, SESAME, sei doch schwankt, up and down, so sei es doch seit Jahrzehnten hier einem großen Haus vergleichbar, sagt er dann; sollte es plötz- im Nahen Osten. Und dieses Projekt, glaubt sie, trage viel- lich in Flammen stehen, würden dann nicht alle, die darin leicht sogar ein wenig zur Normalisierung bei. wohnen, hinauslaufen und gemeinsam versuchen, das Feuer In Shafa Badran, einem der neu erschlossenen Stadtteile zu löschen? im Nordosten der Millionenstadt Amman, hat Professor Khaled Toukan, der Generaldirektor von SESAME, sein Büro Neue Chancen für Forschung in der Region bezogen. Noch ist der Vorort nicht an das städtische Busnetz Auf der anderen Seite des Jordan, in einem geräumigen Büro angeschlossen, und auch den Taxifahrern der Hauptstadt im Weizmann-Institut in Rehovot bei Tel Aviv, überblickt sind die neu entstandenen Stadtteile noch kein Begriff. Daher Professor Irit Sagi das östliche Mittelmeer. Hier hat sie einen unterhält das SESAME-Projekt einen eigenen Shuttleservice, Lehrstuhl für Molekulare Biophysik inne, erforscht die Struk- einen voluminösen Pick-up mit einem hauseigenen Fahrer, turen von kristallinen Proteinen und Enzymen. Sie gehört der die internationalen Besucher bei Bedarf zum Amtssitz

Abbildungen: Frank Odenthal der israelischen Delegation des SESAME-Projekts seit Pla- des Generaldirektors hinausfährt. 38-43Odenthal_Sesame_RZ:Layout 1 15.03.12 18:06 Seite 42

Im Suk, dem pulsierenden Markt von Amman, scheint die Zeit stillzustehen. Der Geruch von Nüssen und Gewürzen weht durch die Gassen.

von dem Projekt und den teilnehmenden Staaten höre. Dabei sei die Initiative zu SESAME von Beginn an von Wissen- schaftlern ausgegangen. Und Wissenschaftlern, behauptet er, gehe es vornehmlich um die Sache, nämlich darum, die For- schung voranzutreiben. Ob damit auch Begehrlichkeiten in der Politik geweckt werden, darauf hätten die Forscher nur geringen Einfluss. »Wir haben hier bei SESAME eindeutige Statuten, die einen Missbrauch ausschließen. Jeder, der die Anlage nutzen möchte, muss dies beim »SESAME-Council«, dem Kontrollgremium des Projekts, beantragen und seine Pläne erläutern. Militärische Forschung ist von vornherein ausgeschlossen, daran bestand nie ein Zweifel.« Außerdem, so Toukan weiter, gebe es das Bekenntnis aller Staaten, das gewonnene Wissen mit allen anderen Mitgliedsstaaten teilen zu wollen. Und es gebe die Pflicht zur Veröffentlichung. Jedes Forscherteam müsse die Protokolle und die Ergebnisse seiner Die Sekretärin, eine junge Frau, die den Hidschab trägt, Arbeit offenlegen; so könne die gesamte wissenschaftliche die bei muslimischen Frauen weltweit verbreitete Form der Welt die Forschung bei SESAME einsehen und überwachen. Verschleierung, die das Gesicht ausspart, aber das gesamte »Dass sich ein paar delinquente Wissenschaftler in einem un- Haupthaar verdeckt, meldet den »Besuch aus Deutschland«. beobachteten Moment an den Bau einer Atombombe ma- Professor Toukan wirkt auf den ersten Blick nicht wie die an- chen, ist also sehr unwahrscheinlich.« Wieder dieses deren Wissenschaftler des Projekts; weniger hemdsärmelig, schallende Lachen, und auch beim Fragesteller verfliegen all- eher wie ein Staatsmann, gewohnt zu repräsentieren. Er hat mählich die Bedenken. an der University of Michigan und am Massachusetts Insti- tute of Technology Kernenergietechnik studiert. Neben sei- Zuversicht hinsichtlich der Finanzierung ner Forschertätigkeit setzt er sich schon seit Jahren für die Bei aller Euphorie, schiebt Toukan nach, blieben bis 2015 Belange der Wissenschaft in der Politik ein. Von 2001 bis 2002 noch einige Hindernisse zu umschiffen. Vor allem die Frage war er jordanischer Forschungsminister, später dann Bil- der Finanzierung. Ursprünglich habe man mit jährlichen dungsminister (2002 bis 2008) und seit 2011 ist er Minister Unterhaltskosten von einer Million US-Dollar gerechnet, so- für Energie und Bodenschätze. Inzwischen hat er neben der bald die Anlage in Betrieb gehe. Inzwischen rechne man mit Leitung des SESAME-Projekts auch den Vorsitz der Jordani- bis zu fünf Millionen Dollar pro Jahr. Außerdem seien Zu- schen Atomenergiekommission inne. sagen der EU und der USA zur Aufstockung der Mittel noch Die erste Frage scheint sich daher wie von selbst zu stellen: nicht umgesetzt worden. »Ein bürokratisches Problem«, so Ist der neue Teilchenbeschleuniger auch zur Entwicklung von Toukan. Trotzdem sei er zuversichtlich, die fehlenden Mittel Nukleartechnik geeignet? – »Sie wollen wissen, ob wir eine zusammenzubekommen. »Denn inzwischen haben wir ja Atombombe bauen wollen?« Er lacht schallend, sozusagen auch die Politik auf unserer Seite, zumindest in den Wissen- entwaffnend, und die Spannung, die sich für die Dauer eines schaftsministerien.« Das, behauptet er, lasse sich auch an den Augenblicks aufzubauen drohte, ist wie weggeblasen. »Da Mitgliedsbeiträgen ablesen, die regelmäßig und pünktlich kann ich Sie beruhigen. Neue Erkenntnisse zur Nutzung von überwiesen würden. Kerntechnik sind bei SESAME nicht zu erwarten.« Es sind ausgerechnet die Staaten, die auf der politischen Es sei bedauerlich, ergänzt Toukan, dass jeder zunächst an Bühne ansonsten kaum Willen zur Zusammenarbeit erken- eine missbräuchliche Nutzung der Anlage denke, sobald er nen lassen, die die höchsten Beiträge leisten. Allein die Türkei 38-43Odenthal_Sesame_RZ:Layout 1 19.03.12 16:13 Seite 43

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und Israel haben im Zeitraum von 1999 bis 2009 schon 823 Der Teilchenbeschleuniger, Millionen bzw. 793 Millionen US-Dollar zum Budget des im hügeligen Nordwesten Jordaniens errichtet, soll Projekts beigetragen; es folgen Ägypten mit 555 Millionen 2015 in Betrieb genommen und der Iran mit 500 Millionen US-Dollar. Der Palästinen- werden. sischen Autonomiebehörde wurde wegen knapper Mittel ein wohl eher symbolischer Beitrag von bislang 50 Millionen US- Dollar zugestanden.

Wie geht es weiter? Doch die hohen Beiträge dieser Staaten, auf die Professor Toukan als Zeichen des Willens zur Zusammenarbeit und des Engagements für SESAME verweist, sind es, die sich als die Achillesferse des Projekts erweisen könnten. Bereits heute, wird der Anteil der jordanischen Bevölkerung, die als Flücht- drei Jahre vor Ende der Bauphase, steht das Projekt auf fi- linge aus den besetzten palästinensischen Gebieten herüber- nanziell wackeligen Beinen. Welche Folgen hätte es, würde kamen, auf über fünfzig Prozent geschätzt. Die Bilder vom die Türkei oder ein anderer der zahlungskräftigen Mitglieds- Arabischen Frühling andernorts hatten zwar auch in Amman staaten seine Beiträge einfrieren mit dem Verweis auf geän- einige Hundert Menschen auf die Straßen getrieben, doch derte politische Rahmenbedingungen? Welche Konsequen- der Protest verebbte, bevor er sich zu einem Flächenbrand zen wird die Anerkennung Palästinas als Vollmitglied der auswachsen konnte. Man ist zufrieden mit dem jordanischen UNESCO, immerhin Schirmherr und wichtiger Geldgeber König Abdullah II. des Projekts, und der daraufhin verkündete Zahlungsstopp Doch der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern Israels und der USA an die UN-Organisation haben? Profes- ist nur einer der Krisenherde der Region. Welche Auswirkun- sor Toukan beruft sich für einen solchen Fall auf die Zusagen gen hätte es, sollte im Nachbarland Syrien – Damaskus liegt aller Mitgliedsländer, die eigenen Beiträge gegebenenfalls auf- nur eine halbe Tagesreise von Amman entfernt – ein offener zustocken, um Budgetlöcher zu stopfen. Doch wie belastbar Bürgerkrieg ausbrechen? Wie entwickelt sich der Streit zwi- sind solche Versprechungen bei unruhigen politischen Wet- schen Israel und dem Iran nach dem jüngsten Bericht der in- AUTOR DER terlagen? ternationalen Atomenergiebehörde zum iranischen Atom- Frank Odenthal Professor Toukan jedenfalls bleibt optimistisch. »Wir programm? Wie geht es mit den jungen Demokratien des 1971 in Köln geboren, lebt haben die Golfkriege und die zweite Intifada überstanden, Arabischen Frühlings weiter? Wie stabil ist das saudische Kö- als freier Journalist und Schriftsteller in der Nähe von ohne dass sich am Willen der Staaten zur gemeinsamen For- nigshaus, der südliche Nachbar Jordaniens? Basel. Nach seinem Studium schung etwas geändert hätte. Immer waren es die Wissen- Wer in solchen Zeiten von einer gemeinsamen, einer der Volkswirtschaftslehre in schaftsgemeinden in den Ländern, die auf eine Zusammen- freundschaftlichen Partnerschaft aller Länder der Region er- Köln und Liverpool hat er arbeit gedrungen haben.« zählt, läuft Gefahr, als Utopist abgetan oder als Träumer ver- sich auf Themen der Entwicklungshilfe und des Zurück im Zentrum Ammans zeigt sich, wie schnell sich lacht zu werden. Dabei, so scheint es, könnte sich die Welt Umweltschutzes spezialisiert die politische Weltkugel mitunter dreht. Das Staatsfernsehen ein Beispiel nehmen an den Wissenschaftlern in der jorda- und publiziert seitdem in meldet einen israelischen Luftschlag auf Ziele im Gazastrei- nischen Wüste. Bleibt zu hoffen, dass sich deren Pläne für diversen Tageszeitungen und fen. Menschentrauben haben sich vor den Bildschirmen der den ersten Teilchenbeschleuniger im Nahen Osten nicht doch Zeitschriften. Einige seiner Kurzgeschichten wurden in Teehäuser in der Altstadt gebildet, die Stimmung ist ange- als auf Sand gebaut erweisen. ❘❙❚ Literaturmagazinen veröffent- spannt, einige gestikulieren wild, erhitzen sich. Es scheint wie licht. Im Sommer 2011 ist Zum Thema ein Wunder, dass Jordanien, obwohl inmitten einer Weltre- sein Debütroman Krabben- gion gelegen, die seit Jahrzehnten als Pulverfass bezeichnet www.sesame.org.jo mond im Mohland-Verlag er- schienen.

Abbildungen: Frank Odenthal wird, als Hort des Friedens und der Stabilität gilt. Immerhin 44-47Dittmann_RZ.qxd:Layout 1 14.03.12 21:46 Seite 44

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Revolution auf sechzehn Beinchen

Vor 40 Jahren brachte Intel den Mikroprozessor 4004 auf den Markt.

Von Frank Dittmann

Core i7-3960X sind es mittlerweile über zwei Milliarden (siehe Abb. S. 45). Diese arbeiten als winzige Ein-Aus-Schalter und realisieren damit binäre Verknüpfungen. Solche Schaltfunk- tionen lassen sich prinzipiell mit Elektronenröhren aufbauen. So besaß beispielsweise der erste elektronische Universalrech- ner aus dem Jahre 1946, der ENIAC (Electronic Numerical In- tegrator and Computer), etwa 18000 Röhren, beanspruchte eine Fläche von über 80 m2 und hatte eine Anschlussleistung von ca. 170 kW. Allein diese Zahlen machen deutlich, warum man intensiv nach einem alternativen Bauelement suchte, das bei höherer Zuverlässigkeit weniger Platz und Energie ver- brauchte als eine Röhre. Bereits seit den 1920er Jahren gab es verschiedene Vor- Der Intel 4004 von 1971 war schläge für verstärkende Halbleiterbauelemente. Der Durch- ir verkünden eine neue Ära in der integrierten Elek- der erste frei verkäufliche bruch erfolgte 1947/48, als in den Bell-Labs John Bardeen und Mikroprozessor der Welt. Wtronik« warb eine Anzeige im Fachmagazin Electronic Walter H. Brattain einen Verstärkungseffekt an den auf einem News vom 15. November 1971. Das kalifornische Unterneh- Germaniumblock aufgesetzten Spitzen entdeckten. Patentiert men Intel stellte hier seinen 4-Bit-Mikroprozessor 4004 vor. wurde die Anordnung als Punktkontakttransistor (US-Patent Im Rückblick war die in Aussicht gestellte Revolution keines- 2.524.035). William B. Shockley, Leiter des Teams, zu dem auch wegs übertrieben, sondern übertraf die damaligen Vorstel- Bardeen und Brattain gehörten, entwickelte nun das Konzept lungen bei weitem. Bekanntlich ist aus dem kleinen Un- des Flächentransistors (US-Patent 2.569.347). 1956 wurden ternehmen im ein weltweit agierender High- alle drei Physiker mit dem Nobelpreis für Physik geehrt. In den tech-Gigant geworden. Vor einigen Monaten nahm Intel die Folgejahren entwickelte sich der Halbleitermarkt rasch, da besagte Anzeige zum Anlass, auf seine Wurzeln zurückzu- mit Transistoren kleinere und leichtere Schaltungen zu rea- blicken, und feierte den 40. Geburtstag des ersten seri en - lisieren waren. mäßig, in Massenproduktion hergestellten, frei verkäuflichen Der Wunsch nach Miniaturisierung ist so alt wie die Elek- Mikroprozessors der Welt. tronik selbst. Bereits 1926 hatte die Firma Loewe unter Mit- arbeit von Manfred von Ardenne eine Dreifachröhre Von der Röhre zum integrierten Schaltkreis vorgestellt, in der drei Systeme in einem Glaskolben integriert Ein Mikroprozessor enthält einen Halbleiterchip von der waren. Nach der Entdeckung des Transistoreffekts markierte Größe eines Fingernagels, auf dem sich zunächst Tausende die Erfindung des integrierten Schaltkreises 1958/59 durch

Transistoren befinden – beim modernsten Intel-Prozessor Jack Kilby von Texas Instruments (US-Patent 3.138.743) und Abbildungen: Intel 44-47Dittmann_RZ.qxd:Layout 1 19.03.12 16:20 Seite 45

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Heute passen leistungs- starke Rechner in jede Westentasche. Möglich wurde das durch die rasante Ent- wicklung des Mikroprozes- sors. Mit dieser Anzeige von 1971 macht Intel die neue Ära publik.

Bauelementen, u.a. um für die NASA kleine Computer bauen zu können. Verständlich, dass Unternehmen wie Texas Instruments in Dallas, Motorola in Phoenix und andere ins Halbleitergeschäft einstiegen. Im kalifornischen Santa Clara Valley entstand Mitte der 1950er Jahre das Shockley Semiconductor Laboratory als Halbleiterproduzent. William Shockley war 1955 von der Ostküste nach Kalifornien zurückgekehrt, wo er aufgewach- sen war, und gründete in der Nähe der ein Unternehmen, um die neuen Halbleiterbauelemente wei- terzuentwickeln und zu produzieren. Nach Differenzen mit Shockley verließ 1957 eine Gruppe von acht Mitarbeitern, darunter Robert Noyce, Gordon Moore und Jean Hoerni, das Labor und gründete Fairchild Semiconductors. Das neue Unternehmen leistete wichtige Beiträge zur Herstellungs- technologie von Siliziumtransistoren, die sich bald auch als praktikable Basistechnologie für Silizium-Schaltkreise erwies. Aber Noyce hatte auch neue Managementmethoden einge- erster Prozessor führt. So lehnte er Hierarchien und deren Symbole wie prot- Robert Noyce von (US-Patent besitzt 2300 Transistoren, die zige Firmenwagen, eigene Büros für die Chefs und ausgefeilte als Ein-Aus-Schalter arbeiten 2.981.877) einen weiteren technischen Meilenstein. Statt Dresscodes ab, wie sie in den Unternehmen an der Ostküste und auf diese Weise binäre Transistoren, die man zuvor aus Siliziumplättchen herausge- Verknüpfungen herstellen. üblich waren. Alle Mitarbeiter von Fairchild sollten durch das schnitten hatte, in Schaltungen wieder zusammenzulöten, gemeinsame Gefühl verbunden sein, Neuland zu erobern konnte man sie nun auf einem Halbleiterchip vereinigen. und sich mit den Zielen des Unternehmens zu identifizieren. Während Kilby mit Germanium gearbeitet und die Bauele- Das beschauliche Santa Clara Valley erlebte bald einen re- mente mit Bonddrähten verbunden hatte, stellte Noyce etwa gelrechten Halbleiterboom – nicht zuletzt durch die Mitar- ein halbes Jahr nach ihm einen Schaltkreis aus Silizium vor. beiter von Fairchild, die das Unternehmen verließen und Dank eines von Jean Hoerni entwickelten Verfahrens konn- wiederum eigene Firmen gründeten, wie z.B. Jean Hoerni ten auf dem Chip Transistoren hergestellt werden, die isoliert und drei weitere der ursprünglich acht »Abtrünnigen« von voneinander waren und dann mittels aufgedampfter Leitun- Shockley. Bald machte der Begriff »Fairchildren« die Runde, gen elektrisch verbunden wurden. Im Millenniumsjahr 2000 und sie waren es auch, die das Santa Clara Valley zum legen- erhielt Kilby gemeinsam mit dem Deutsch-Amerikaner Her- dären Silicon Valley machten. bert Kroemer und dem Russen Zhores I. Alferov den Nobel- 1968 verließen auch Robert Noyce und Gordon M. Moore preis für Physik für seinen Beitrag zur Entwicklung des das Unternehmen Fairchild und gründeten die Firma Intel integrierten Schaltkreises (IC). Da der Nobelpreis nicht post- Corporation (Integrated Electronics Corporation). Die bei- hum vergeben wird, blieb Noyce, der bereits 1990 im Alter den Gründer sahen ihre Herausforderung darin, neue Halb- von 62 Jahren gestorben war, diese Ehre verwehrt. leiterspeicher zu entwickeln, die die damaligen Magnet- In den 1960er Jahren stieg die Nachfrage nach elektroni- kernspeicher ersetzen konnten. 1970 gelang Intel der wirt- schen Komponenten rasch. Nach dem Start von Sputnik1 schaftliche Durchbruch mit dem 1103, dem ersten kommer- durch die Sowjetunion 1957 hatten die beiden Supermächte ziell erhältlichen dynamischen Halbleiterspeicher (Dynamic einen technologischen Wettlauf begonnen und die US-ame- Random Access Memory, DRAM). Auf einer Chipfläche rikanische Elektronikindustrie verlangte nach den neuen von 10 mm2 waren über 3000 Transistoren integriert, die 44-47Dittmann_RZ.qxd:Layout 1 19.03.12 16:20 Seite 46

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1024 Bits (1 Kbit) speichern konnten. Zwei dass Hoff abgezogen, danach sechs Mo- Jahre später war der 1103 bereits zum nate nicht am Projekt gearbeitet wurde und meistverkauften Halbleiterspeicher auf- es schließlich der neu eingestellte Faggin über- gestiegen und Intel entwickelte sich in- tragen bekam. Außerdem war man der Meinung, nerhalb von wenigen Jahren zu einer der dass sich der Chipsatz lediglich für Tischrechner erfolgreichsten Halbleiterfirmen. eigne, und überließ Busicom die Exklusivrechte. Bald aber setzte sich die Ansicht durch, dass Kunden, die Mikro- Der erste kommerzielle Mikroprozessor prozessoren kauften, auch Halbleiterspeicher brauchen. Als 1969 fragte der japanische Tischrechnerhersteller Business Busicom Mitte des Jahres 1971 in finanzielle Schwierigkeiten Der erste kommerzielle Computer Corporation (Busicom) bei Intel an, ob man dort Mikroprozessor Intel 4004 geriet, handelten die Geschäftspartner neue Bedingungen aus. den Chipsatz für einen neuen Tischcomputer mit Drucker wurde für Rechenmaschinen Das japanische Unternehmen erhielt einen Preisnachlass und entwickeln könne. Die Intel-Geschäftsleitung stimmte zu, ob- der Busicom Corporation im Gegenzug gab es seine Exklusivrechte auf den 4004 zurück. wohl das Projekt eigentlich außerhalb der Hauptproduk- entwickelt. Intel konnte den Chip nun selbst vermarkten und erst dadurch Der Busicom 141-PF, auch tionslinie lag. Eine im Haus verfügbare Technologie sollte zu- als NCR 18-36 verkauft, war wurde die anfangs erwähnte Anzeige möglich. sätzliches Geld in die Kasse spülen. Im Juni 1969 sandte Bu- das erste Produkt, das mit sicom ein Team von drei Mitarbeitern zu Intel. Hier ist einem Mikroprozessor Viele weitere Mikroprozessoren folgten besonders zu nennen, der maßgeblichen ausgestattet wurde und tat- Der 4004 war ein Prozessor mit einer Verarbeitungsbreite von sächlich »Intel Inside« hatte, Anteil am Erfolg des Projekts hatte. Bei Intel lag die Entwick- vier Bit und einer Taktfrequenz von 750 kHz. Er bestand aus wie es bis heute in der lungsarbeit zunächst in den Händen von Marcian E. »Ted« Werbung heißt. 2300 »MOSFET-Transistoren« (MOSFET, Metal-Oxide- Hoff jr., der von unterstützt wurde. Die Busi- Semiconductor Field-Effect Transistor) und wurde von 1971 com-Ingenieure hatten zwölf Schaltkreise vorgesehen. Hoff bis 1981 produziert. Aber er war keineswegs der erste Mikro- schlug eine Lösung mit nur vier Komponenten vor, in deren prozessor. Die Idee, eine Recheneinheit auf einem Chip zu Zentrum der 4004 stand. Dieser Baustein vereinte alle wich- realisieren, kam bereits Ende der 1960er Jahre auf und wurde tigen Rechen- und Steuerfunktionen eines auf vor allem im militärischen Bereich verfolgt. Mit der LSI- einem Chip. Hinzu kam ein Festwertspeicher für das Pro- Technologie (LSI, Large Scale Integration) stand eine leis - gramm (4001 als 2-KB-ROM), ein 320-Bit-RAM für die tungsfähige Herstellungstechnologie zur Verfügung. Texas Daten (4002) sowie ein Schaltkreis für Ein- und Ausgabefunk- Instruments (TI) hatte 1970 an einem Mikroprozessor gear- tionen (4003). Nach einiger Diskussion stimmte das Manage- beitet und bald auch patentiert (US-Patent 3.757.306). Allein ment von Busicom dem Vorschlag zu. Doch Hoff wurde bald der Umfang der Patentschrift von 82 Seiten macht deutlich, abgezogen und in ein anderes, von der Intel-Führung höher dass Mikroprozessoren damals die Grenzen der klassischen priorisiertes Projekt versetzt. Dieses hatte die Entwicklung Technik sprengten. Der Schaltkreis wurde von TI nie vertrie- eines Prozessors für ein intelligentes Computerterminal zum ben. 1972 aber brachte das Unternehmen den ersten Ta- Ziel und führte schließlich zu einem anderen, leistungsfähi- schenrechner mit einem integrierten Schaltkreis auf den geren Prozessor – dem 8008. Nach dem Wechsel von Hoff Markt. übernahm Federico Faggin, ein gebürtiger Italiener, den es als Ebenfalls 1972 stellten die Intel-Entwickler um Hoff und Ingenieur für die noch junge Digitaltechnik nach Kalifornien Faggin mit dem erwähnten 8008 den ersten 8-Bit- verschlagen hatte, die Entwicklung. In intensiver Arbeit Mikroprozessor vor, der bereits 3500 Transistoren besaß. Die konnte er gemeinsam mit Shima und Mazor den Chipsatz ersten dieser Schaltkreise fanden u. a. in wissenschaftlichen fertigstellen, der dann im Busicom Calculator 141-PF zum Rechenmaschinen des japanischen Unternehmens Seiko Ver- Einsatz kam. wendung. 1974 kam der Nachfolger 8080 mit 2 MHz auf den Offensichtlich war man sich bei Intel zunächst der Bedeu- Markt. Er gilt heute als erster vollwertiger Mikroprozessor.

tung des 4004 nicht recht bewusst. Nur so lässt sich erklären, Abbildungen: Intel; privat 44-47Dittmann_RZ.qxd:Layout 1 19.03.12 16:20 Seite 47

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1973 brachte NEC den ersten in Japan entwickelten und pro- Markt für Rechentechnik entstanden war und zwar unbeein- duzierten Ein-Chip-Mikroprozessor auf den Markt. Das erste flusst – oder besser unkontrolliert – von Big Blue. In aller Eile europäische Mikroprozessorsystem wurde 1974 auf der suchten die IBM-Entwickler Bauteile für einen IBM-PC. Als Messe electronica in München vorgestellt. Systemseitig von zentrale Recheneinheit, die sogenannte CPU, wählten sie den den Olympia-Werken für den Einsatz in Terminals, Tisch- 16-Bit-Prozessor 8088. Ähnlich wie für Microsoft auf der rechnern und automatischen Schreibmaschinen konzipiert Software-Seite eröffnete sich für Intel über IBM ein enormer und realisiert von den Halbleiterherstellern AEG-Telefunken, Markt. Beide Unternehmen blieben sich lange treu – so mit General Instruments und SGT-Ates war der Kern des 4- Über zwei Milliarden dem 80286 im IBM PC AT, dem 32-Bit-Prozessor 80386, auf Chip-Satzes ein 8-Bit-Prozessor mit 800 kHz. Transistoren steuern den welchen der 80486 und 1993 mit dem Pentium eine ganz neue Da Mikroprozessoren aufwendige Schaltungen auf einem Core i7-3960X, den Intel 2011 Prozessorfamilie folgten. auf den Markt brachte. Stück Silizium zusammenfassten, ließen sich Steuerungsauf- Heute ist die moderne Elektronik ohne Mikroprozessoren gaben in der Industrie, aber auch im Verkehrs- und im Kom- nicht mehr denkbar. Die vielfältigen und umfangreichen mul- munikationsbereich mit viel weniger Bauelementen realisie- timedialen Funktionen und Anwendungen sind erst durch ren. Verständlich, dass auch andere Firmen auf das Feld schnelle und leistungsfähige Prozessoren möglich geworden – Zum Thema drängten. 1974 gab es 19 verschiedene Prozessoren unter- und die Entwicklung geht mit rasantem Tempo weiter. Stets T. Wolfe, Die neue Welt des schiedlicher Hersteller, darunter Texas Instruments, Moto- Robert Noyce, 1990 bzw. gelang es den Schaltkreisentwicklern in den vergangenen rola – bekannt als langjähriger Zulieferer für Apple – und 1992. 40 Jahren, die Transistoren so zu verkleinern, dass immer mehr . Dieses Unternehmen war 1974 von Federico Faggin, M. S. Malone, Der Mikropro- auf einen Chip passen. Beschrieben wurde dieser Trend erst- Masatoshi Shima und Ralph Ungermann gegründet worden, zessor, Berlin u.a. 1996. mals 1965 vom Intel-Mitbegründer Gordon Moore. Er pro- nachdem diese Intel verlassen hatten. Dabei nutzten sie die M. Riordan, L. Hoddeson, Cry- gnostizierte, dass sich alle zwölf Monate die Zahl der Erfahrungen mit dem 8080 und entwickelten den kompati- stal Fire, New York u.a. 1998. Komponenten auf einem Halbleiter-Chip verdoppelt, ohne blen, aber leistungsfähigeren Z80, der 1976 auf den Markt William Aspray, The Intel 4004 dass die Kosten steigen (Moore’s Law). Bald zeigte sich, dass kam. Später kamen 16-Bit- (Z8000) und 32-Bit-Prozessoren . What consti- die tatsächliche Zeitspanne eher bei 18 bis 24 Monaten lag, (Z80000) hinzu. Der Z80 erlangte eine größere Bedeutung, tuted Invention? In: Annals of doch im Kern behielt Moore recht – die Prozessorenleistung da der preiswerte Prozessor in vielen Anwendungen zum the 19, steigt ständig. Mehr als ein Dutzend Chipgenerationen haben 1997, No. 3, pp. 4-15. Einsatz kam, so in Spielautomaten wie Pac Man, in vielen be- seither unsere Computer immer schneller und leistungsfähiger kannten Homecomputern (z. B. dem Amstrad CPC oder gemacht. dem Sinclair ZX Spectrum), und in West und Ost mehrfach Um dem Moore’schen Gesetz gerecht zu werden, nutzte geklont wurde. So war der Z80 Vorbild für die Standardpro- man neben der Verkleinerung der Strukturen und der Idee, zessoren, die bis 1989 im Ostblock verwendet wurden. Bei- Schaltungen im Chip nicht nur in die Breite, sondern auch in spielsweise wurde zwischen 1980 und 1989 in Erfurt der Klon die Höhe wachsen zu lassen, auch manche Tricks, etwa die par- vom VEB Mikroelektronik »Karl Marx« hergestellt und allele Abarbeitung aufeinanderfolgender Befehle oder die In- in der DDR in vielen Bereichen – vom Heimcomputer bis tegration mehrerer parallel rechnender Prozessoren auf einem zur Maschinensteuerung – eingesetzt. Chip. In der Vergangenheit wurde einige Male das Ende des Aufgrund des relativ niedrigen Preises und der einfachen Moore’schen Gesetzes verkündet, aber bisher fanden Entwick- Handhabbarkeit interessierten sich bald auch Elektronikbast- ler noch immer Lösungen, es fortzuschreiben. Insofern ist zu ler für Mikroprozessoren. 1975 kam mit dem Altair 8800 ein AUTOR DER vermuten, dass Moore’s Law, wenngleich kein Naturgesetz, Bausatz auf den Markt, aus dem sich Amateure einen Com- Frank Dittmann doch noch einige Zeit seine Gültigkeit behalten dürfte. ❘❙❚ puter bauen konnten. Damit war die Tür zu einem neuen ist Kurator für Energietech- nik, Starkstromtechnik und Markt von Heimcomputern aufgestoßen, dessen Bedeutung Automation am Deutschen damals nicht absehbar war. 1980 realisierte der Großrech- Museum. nerhersteller IBM, dass mit dem Homecomputer ein neuer 48-51Eckermann_RZ:Layout 1 19.03.12 17:48 Seite 48

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Nikola Tesla (1856–1943) gilt als genialer, aber auch als schillernder Erfinder. Allein in den USA, wo Tesla seit 1884 lebte, meldete er im Zeitraum von 50 Jahren 112 Patente an. Mitte 1900 veröffentlichte Tesla im Century Magazine den Artikel »The Problem of Increasing Human Energy«. Darin beschreibt er unter anderem auch seine Idee zu einer kabellosen Energie- übertragung für die gesamte Menschheit.

Nikolas Tesla und die Energie aus dem All

Um die Person des kroatisch-amerikanischen Physikers und Elektrotechnikers Nikola Tesla ranken sich zahlreiche Legenden und Gerüchte. Ungeklärt ist beispielsweise bis heute, ob er tatsächlich – wie Zeugen behaupten – eine »ewig laufende« Maschine mit Energie »aus dem Nichts« gefüttert hat.

Von Erik Eckermann 48-51Eckermann_RZ:Layout 1 15.03.12 18:36 Seite 49

Magazin Eine vergessene Erfindung 49

Turbinen bei Westinghouse: Der US-Stromkonzern sicherte sich 1888 die Rechte an Teslas Patenten zum Wechselstrom.

rsetzt man das »Nichts« durch das »All«, sind wir direkt Eauf Teslas Spuren. Denn Tesla wollte mit der aus dem Weltall einfallenden Strahlung, die er »radiation« nannte, Autos antreiben und auch Häuser mit Energie versorgen. Zum Beweis lud er ausgerechnet einen Deutschen ein, mit ihm eine Autofahrt der besonderen Art zu unternehmen. »Am 8. November 1930 reiste ich mit dem Schnelldamp- fer New York von Cuxhaven nach Amerika«, berichtet Heinrich Jebens (1895–1958), Gründer und Direktor des Deutschen Erfinderhauses (1927–33) in Hamburg, in einer Aktennotiz über den Besuch bei Nikola Tesla Ende 1930. (Heinrich Jebens, Streng vertrauliche Aktennotiz über den Be- such bei Nikola Tesla in New York und Buffalo vom 9.12.1930) Beim Abendessen auf dem Schiff »stellte sich Petar Savo vor, der vorher Fliegeroffizier in der Österr.-Serbischen Armee war. Nachdem ich ihm von meinem bevorstehenden Besuch bei dem großen Erfinder Thomas Alva Edison berichtete, wurde er hellhörig und bestand darauf, unbedingt mit sei- nem Onkel Nikola Tesla auch ein Gespräch zu führen. Dieser sei neben Edison einer der grössten Erfinder Amerikas.« In der Tat gehört Tesla zu den ganz Großen der Wissen- schaft. Er entwickelte ab 1881 das Prinzip des Elektromotors mit rotierendem Magnetfeld (Drehstrommotor) und schlug 1887 ein Mehrphasensystem zur elektrischen Energieüber- tragung vor. 1891 stellte er den später nach ihm benannten Mit den »Three P’s« meinten Tesla-Transformator vor, mit dem er hochfrequente elektri- die Amerikaner die Prestige- Probefahrt bereit. Aus einem länglichen Koffer, in dem »der marken Packard, Peerless sche Ströme sehr hoher Spannung, aber geringer Stromstärke Schlüssel zum Erfolg« sei (Tesla), »entnahm der Monteur und Pierce-Arrow. Pierce- erzeugte. Die Tesla-Ströme werden heute u. a. in der Diather- Arrow war in Buffalo einen Konverter, der auf der Beifahrerseite fest montiert mie angewendet. Jebens traf sich am 26. November 1930 mit ansässig, nicht weit von den wurde. Hieran führte ein Kabel, das an einer antennenmässi- Tesla im Waldorf-Astoria-Hotel in New York. »Dort machte Niagara-Fällen, wo Westing- gen Stange an der Rückseite des Wagens angeschlossen wurde. Mr. Tesla den Vorschlag, dass wir am anderen Tag nach Buf- house 1897 ein Kraftwerk mit Ein weiteres Kabel ging durch den Fussboden an einen Wechselstromgeneratoren falo fahren, wo er mir […] unter strenger Verschwiegenheit nach Vorgaben von Tesla Schleifschuh. Weiterhin wurde ein ¼-inch starkes Kabel von sein in Arbeit befindliches Auto zeigen möchte, das nach installiert hatte. Seinen dem Konverter über einen Fusschalter vorm Fahrersitz und einem seiner früheren Patente mit Aetherenergie angetrieben Kosmos-Konverter ließ Tesla von dort an den Elektromotor geleitet. Ein weiteres Kabel wird. Es handelte sich um ein Pierce-Arrow-Personenauto, in eine Pierce-Arrow- führte zurück vom Motor an den Konverter.« Limousine ähnlich der dem der Benzinmotor sowie der Tank herausgenommen war. Nach einer halben Stunde, so Jebens weiter, »setzte (ich) abgebildeten einbauen. Auf dem Kupplungsgehäuse war mittels einer Traverse ein mich auf den Hintersitz. Mr. Tesla nahm Platz auf dem Bei- kollektorloser Wechselstrom-Spulenmotor montiert. Eine fahrersitz, wo er zwei aus dem Konverter herausragende kleine Batterie diente zur Versorgung der Beleuchtung, Hebel betätigte. Dann hörte man deutlich den Motor laufen. Scheinwerfer und Hupe.« ›Nun haben wir Energie‹, äusserte Mr. Tesla. Er beauftrage Unter Aufsicht von Tesla und im Beisein des scharf beob- den Monteur, eine Fahrt zu den Niagarra-Fällen (sic!) zu un-

Abbildungen: Deutsches Museum; Archiv Eckermann Museum; Archiv Abbildungen: Deutsches achtenden Jebens machte der Monteur den Wagen für eine ternehmen.« Die Wasserkraft des von Jebens versehentlich 48-51Eckermann_RZ:Layout 1 15.03.12 18:36 Seite 50

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mit zwei »r« geschriebenen »großartigsten Stromfall(s) der Welt« (Brockhaus 1894, S. 308 f.) diente dazu, Turbinen mit gekoppelten Westinghouse-Wechselstrom-Generatoren an- zutreiben. Die Westinghouse Electric Company hatte 1888 sämtliche Wechselstrom-Patente von Tesla erworben. »Das Auto fuhr wie mit unsichtbarer Kraft«, staunte Je- bens. »Mir fiel auf, dass der Motor auf das Gasgeben noch nicht richtig reagierte. Das Auto fuhr immer mit sehr hoher Drehzahl. Auf meine Frage äusserte Mr. Tesla, dass dieses noch nicht vollständig fertig sei. Es würde noch einige Zeit in Anspruch nehmen.« Zurück in Buffalo musste der Mon- teur den Konverter wieder ausbauen und in den Koffer zu- rücklegen. »Persönlich«, so Jebens in seiner Aktennotiz, »erhielt ich den Eindruck, dass Mr. Tesla mit dieser Entwicklung in einen Bereich stösst, ohne den man in absehbarer Zeit nicht mehr zurechtkommen wird, da die Erdölvorkommen in der Welt begrenzt erscheinen und sich im Laufe der Zeit verbrauchen Das Bild erläutert die Ent- werden.« stehung von kosmischer übergehend dessen Fahrer, wurde in die Geheimnisse der so- Strahlung. Wenn ein hoch- »Im regen Gespräch mit Mr. Tesla« erfuhr Jebens weitere genannten Aetherenergie nicht eingeweiht. Als streitbarer energetisches Teilchen in Einzelheiten: »… die Grundidee zu diesem Auto [stammt] die Atmosphäre eindringt, Geist und unabhängiger Wissenschaftler hatte Tesla den von einem seiner früheren Patente …, in dem er die richtig stößt es mit einem Atom- größten Spaß daran, Einstein zu widerlegen, Newton zu ver- erkannte Aether-Energie von elektromagnetischen Wellen in kern zusammen. Die beiden teidigen und seine eigenen kosmischen Theorien zu propa- elektrische Spannung umformte, die überall auf der Erde und Kerne zerplatzen und neue gieren, die er dann, anscheinend ganz das fahrige Genie, dem Teilchen werden frei, die in der Welt vorhanden ist … Nach seiner Erklärung ist es gar weiter in Richtung Erdboden es nicht gelingt, die auf ihn einstürzenden Ideen und Gedan- nicht so schwierig, diese Kraft anzuzapfen und nach Verän- rasen. Diese treffen erneut ken zu ordnen, teilweise gar nicht ausarbeitete. derung durch einen Konverter zu nutzen, von der es unsag- auf Atomkerne und lösen Ob Tesla über den Äther-Konverter jemals mehr als die bare Mengen an Energie gibt«. Nach Meinung Teslas gibt weitere Teilchen aus. Auf Patente zu Papier gebracht hat, ist fraglich, wie er ja auch über der Erde kommt ein soge- »dieser Konverter so viel Energie ab …, dass er auch noch ein seine anerkannten Errungenschaften hinaus ein Erbe voller nannter Luftschauer an, die ganzes Haus mit elektrischem Strom versorgen könnte«. Primärteilchen selbst aber Rätsel hinterließ. Womit sogleich die Frage einer breiten Anwendung in der nicht. Als allein und »geheim« vor sich hin arbeitender Erfinder Praxis auftauchte. Vor einer Kommerzialisierung jedoch war Tesla gezwungen, Hunderte von Patenten und Tonnen schreckte Tesla zurück. Die Energie sei zwar »sehr billig, weil von beschriebenem Papier, die er produzierte, in irgendwel- sie praktisch nichts kostet«, notierte Jebens. »Aber zur Zeit chen Lagerhäusern zu deponieren, die nach seinem Tod an- stecken die Ölfirmen dahinter, diese neu gefundene Energie geblich Besuch von amerikanischen Bundesbehörden und noch nicht zu nutzen, um das Geschäft mit dem Erdöl vorerst Geheimdiensten erhielten. Denn Tesla hat nicht nur harm- ausnutzen zu können. Mr. Tesla hielt die Zeit für noch nicht lose Blitzableiter und Tachometer erfunden, sondern weit reif, mit diesem neuen Motorantrieb schon jetzt auf den in das wirtschaftliche, politische und strategische Gefüge Markt zu kommen. In einer Anzahl von Jahren wird dieses einer Nation eingreifende Dinge wie Wechselstrommotoren, jedoch unumgänglich werden.« schaufellose Turbinen, drahtlose Signal- und Energieüber- Zu weiteren Angaben ließ sich Tesla nicht verleiten, und tragung, Teilchenstrahlwaffen zur elektronischen Landesver-

auch Petar Savo, weitläufiger Verwandter von Tesla und vor- teidigung, Fernsteuerung für Land- und Wasserfahrzeuge, Riebe Abbildung: Kristen 48-51Eckermann_RZ:Layout 1 15.03.12 18:36 Seite 51

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Auf der Weltausstellung in Chicago 1893 wurde ein 500 PS starker asynchron laufender Zweiphasenmotor von Nikola Tesla vorgestellt. Der Kupferstich von 1895 illustriert den Mechanismus des Motors.

senkrecht startende Miniflugzeuge und, posthum per Ge- Teslas Name wurde besetzt von einem 1946 gegründeten richtsurteil festgestellt, das Radio. tschechoslowakischen Staatsunternehmen für elektrotechni- Zurück zu dem mit »Aether-Energie« angetriebenen Auto, sche und elektronische Erzeugnisse und von der Tesla Motors von Pierce-Arrow und Westinghouse nach Teslas Anweisun- Inc. in Kalifornien. Sie wurde 2003 gegründet und stellt seit gen umgebaut. Statt des bei gewöhnlichen Elektroautos 2008 Personenautos mit batterie-elektrischem Antrieb her. üblichen Gleichstrommotors kam hier ein neuartiger, kol- Der Anfangsbuchstabe aus Teslas Namen, das »T«, wurde lektorloser Wechselstrommotor, sehr wahrscheinlich eine 1960 als international geltendes Einheitenzeichen für die Sonderanfertigung von Westinghouse nach Plänen von Tesla, Flussdichte oder magnetische Induktion festgelegt, ein Ge- zum Einbau. Er soll etwa 55 Kilowatt geleistet haben, war für biet, auf dem Tesla ebenfalls Bedeutendes geleistet hat. 1800/min ausgelegt und maß 102 Zentimeter in der Länge Nach Tesla ist die Nutzung der auf den Globus prasseln- und 76 Zentimeter im Durchmesser. Das Wagenheck zierte den Strahlungen möglich. Wenn auch sein Kosmos-Konver- In der Objektsammlung eine 180 Zentimeter hohe Antenne. Von besonderem Inter- ter kein Perpetuum mobile ist, müsste die benötigte Energie des Deutschen Museums befindet sich das Versuchs- esse ist jedoch der Konverter, der aus 12 Spezial-Vakuumröh- nicht auf Erden erzeugt werden. Sie kommt aus dem All, ist modell eines Zweiphasen- ren, verschiedenen Widerständen und ein paar Drähten unerschöpflich und dazu sauber und kostenlos. Laut Tesla induktionsmotors von Tesla. bestanden haben soll. Daran jedenfalls erinnerte sich Savo, bräuchte sie nur noch umgewandelt zu werden, ganz im der, wie Heinrich Jebens vor ihm, 1931 mit Tesla eine Auto- Sinne des Thermodynamik-Hauptsatzes. Sie könnte dann fahrt unternahm. nicht nur Autos, Schiffe, Lokomotiven und Flugzeuge antrei- Über das weitere Schicksal des Tesla-Pierce-Arrow schreibt ben, sondern auch die stationäre Energieversorgung über- Klaus Jebens: »Im Juni 1931 wurde das Auto vollständig fer- nehmen – eine Verheißung, die wohl eine solche bleiben tiggestellt. Tesla unternahm eine 14-tägige Fahrt durch den wird. Denn nach heutigem Wissensstand ist der Energieüber- Staat New York, bis eine Zeitung über seine unglaubliche An- trag der Strahlungen viel zu gering, um Verkehrsmittel an- triebsart zu berichten begann. Weil er aber seine Entdeckung treiben und eine Versorgung aufbauen zu können. geheim halten wollte, beschloss er, sofort nach Buffalo zurück So anerkannt Teslas Leistungen auf dem Gebiet der Elek- zu fahren und den neuen Antrieb wieder zu zerlegen … Den tro- und Funktechnik sein mögen – seine »Radiation«-Theo- Konverter nahm er wieder mit nach New York, ohne jeman- rie ist wissenschaftlich höchst umstritten und wird bedau- den hineinschauen zu lassen« (Jebens 2006, S. 26, 136). erlicherweise von Esoterikern und Verschwörungstheoreti- Auch nicht Savo, mit dem zusammen Tesla die mehrtägige kern missbraucht. Wenn wir heute seine Strahlungstheorie, Fahrt unternommen haben soll und der wahrscheinlich die nach der sich Energie aus dem Weltall in elektrische Energie ganze Zeit am Lenkrad saß. Savo übrigens bestätigte in einem umwandeln lässt, (noch) nicht verstehen, muss Tesla deshalb Interview 1967 im Großen und Ganzen Heinrich Jebens’ aber nicht gleich in die Ecke der Magier oder Spinner gestellt Aussagen in der zitierten Aktennotiz, ohne diese gekannt zu werden. Einige seiner Theorien bleiben bis auf Weiteres haben (Spajic 2005, S. 39). rätselhaft. ❘❙❚ Heinrich Jebens’ Streng vertrauliche Aktennotiz vom De- zember 1930 übrigens tauchte erst im Jahr 2001 wieder auf, Zum Thema als sein Sohn Klaus (*1925) sie im väterlichen Nachlass fand Margaret Cheney, Nikola Tesla. Erfinder Magier Prophet. Über ein außergewöhnliches Genie und seine revolutionären Entdeckun- und 2006 veröffentlichte. Klaus Jebens fühlte sich angespornt, AUTOR DER gen, Aachen 2005. die Ideen Teslas aufzugreifen, »um damit die auf uns zukom- Klaus Jebens, Die Urkraft aus dem Universum, Zürich 2006. Dipl. Ing. Erik Eckermann, mende Energiekatastrophe zu verhindern«, und gründete Igor Spajic, Nikola Tesla’s Aether-Powered Car. In: Nexus Maga- langjähriger Mitarbeiter des 2001 die Gesellschaft zur Förderung freier Energie e.V. (GFE) zine, Mapleton/Australia, January-February 2005, S. 37–40. Deutschen Museums, be- in Hamburg. Hauptaufgabe des Vereins war (die GFE ist in- treibt heute freiberuflich sein AutoHistorica-Büro für zwischen aufgelöst worden): die Wiedererfindung und Ent- Fahrzeuggeschichte.

Abbildungen: Deutsches Museum; privat Abbildungen: Deutsches wicklung des Tesla’schen Strahlenenergie-Konverters. 52-54Bechtolsheim_RZ:Layout 1 19.03.12 19:02 Seite 52

Wie die Milch ins Schleudern geriet

Dies ist die beispielhafte Geschichte einer Erfindung und ihrer erfolgreichen Verwertung: der Milchzentrifuge, die der Münchner Ingenieur Clemens von Bechtolsheim Ende des 19. Jahrhunderts

erfunden hat und die heute im Deutschen Museum zu besichtigen ist. Von Sebastian von Bechtolsheim

as Industriezeitalter hatte – zunächst von England aus- und 1814 durch George Stephenson optimiert, seit den Dgehend – im 19. Jahrhundert in Europa sowie Nord- 1830er Jahren auch in Deutschland (Borsig, Maffei, Ha- amerika volle Fahrt aufgenommen. Die Symbiose aus nomag ), eine quergelegte Dampfmaschine, die auf Schie- Wissenschaft und Forschung einerseits sowie Wirtschaft an- nen stehende Räder antreibt, dererseits war stark davon geprägt, Rohstoffe (Ackerbau, 4der Telegraf (1832 entwickelt durch Wilhelm Weber und Viehzucht, Bodenschätze) zu gewinnen und zu verarbeiten. Carl Friedrich Gauß) und das Telefon (1861 von Philipp Die damals dramatisch wachsende Bevölkerungszahl Reis, 1876 von Alexander Graham Bell sowie weitere Er- brauchte entsprechend mehr Lebensmittel und ein Vielfaches finder) als Kommunikationsstruktur auf Basis von mehr an Energie: War Energie bis dahin durch menschliche Schwachstrom neben Bahn und Post, bald auch losgelöst und tierische Arbeitskraft, Wind und Wasser in insgesamt davon, bescheidenem Umfang nutzbar gemacht worden, waren nun 4die Glühlampe (1860, Joseph Wilson Swan, und 1880, Maschinen zu betreiben. Einige Meilensteine der Industria- Clemens von Bechtolsheim Thomas Alva Edison sowie weitere Erfinder). lisierung waren: machte zahlreiche Erfindungen. Seine »Alfa- In diesem frühen Industriezeitalter entwickelte sich die Zentrifuge« revolutionierte 4 die Dampfmaschine (1712 durch Thomas Newcomen er- die industrielle Zubereitung handwerklich geprägte Fertigung in unterschiedlichsten funden, 1769 entscheidend weiterentwickelt durch James von Milchprodukten. Branchen zur maschinellen Massenproduktion. Die ohne- Watt), hin wichtige Landwirtschaft nahm an wirtschaftlichem 4der Webstuhl (1784, Erfinder: Pfarrer Edmund Cart- Gewicht zu, nun ergänzt um einen industriellen Zweig. wright), Auf erste Erfindungen des 1852 geborenen Clemens von 4die Lokomotive (1804 durch Richard Trevithick gebaut Bechtolsheim wurde 1867 der Physiker Philipp von Jolly auf- 52-54Bechtolsheim_RZ:Layout 1 19.03.12 19:02 Seite 53

Magazin Die Milchzentrifuge 53

Ein Original der Milchzentrifuge von Clemens von Bechtolsheim ist in der Ausstellung »Landwirtschaft« im Deutschen Museum zu sehen.

merksam. Er verschaffte dem Begabten Privatunterricht in Physikalisch ist Milch eine Emulsion von Fett oder, anders Mathematik, um ihm auf dem Polytechnikum in München ausgedrückt, »ein Gemisch von Stoffen verschiedener die für humanistische Schüler geltenden Pflichtjahre zu er- Schwere, deren leichtester das in der Form mikroskopisch sparen – ein fortschrittlicher Ansatz zur Förderung junger kleiner, aber verschieden großer Kügelchen darin verteilte Talente. In seinen Studienjahren lernte Bechtolsheim Carl Fett ist«, so der zu seiner Zeit gerühmte Experte in Sachen von Linde, Professor für Maschinenlehre und Gründer der Milch, Professor Benno Martiny (1836–1923). Gesellschaft für Lindes Eismaschinen, kennen. Beide befass- Mittels einer Zentrifuge lässt sich das im Vergleich zum ten sich mit der Kältetechnik und, ihrer Zeit ebenfalls ziem- Wasser leichtere Milchfett abscheiden. Im Zuge fortgesetzter lich voraus, mit der Wärmepumpe. Versuche und Entwicklungsarbeiten kam Bechtolsheim »auf Ein anderer Linde-Schüler »war (mir) zuvorgekommen: den Gedanken, dass möglicherweise die Leistung durch Ein- Rudolf Diesel. Weit entfernt, mich hierüber zu ärgern, freute lagen in die Trommel verbessert werden könne.« Dabei setzte ich mich, dass meine Berechnungen ihre Bestätigung gefun- er in die bis dahin leere, um ihre senkrechte Mittelachse dre- den hatten«, schreibt Clemens von Bechtolsheim in seinen hende Trommel Zwischenwände in engem Abstand – ähnlich Erinnerungen. Auch diese beiden verband bald eine »herzli- wie Lamellen – ein. Sie ähneln aufeinandergestapelten Tel- che Freundschaft« (nach: Hubert von Bechtolsheim, 2007). Eine herkömmliche Milch- lereinsätzen, nur umgedreht. Beim Schleudern wanderten die Eine Studienreise durch verschiedene Salinen führte Bech- schleuder aus der Zeit um Fettkügelchen aufgrund ihres geringeren spezifischen Ge- 1900. tolsheim nach Hallein. Dort galt es, das im Bergwerk gebro- wichts nach innen und dank der konischen Form der Ein- chene Salz in Wasser zu lösen, die Sole zu reinigen und durch sätze nach oben in einen Abscheider. Die Magermilch mit Verdampfen in großen Pfannen trockenes Salz zu erzeugen. einem sensationell niedrigen Gehalt an Restfett von nur 0,14 Bechtolsheim erkannte bei diesem Verfahren den Energie- Prozent lief wegen ihres höheren spezifischen Gewichts nach aufwand als wirtschaftlich zu groß. Außerdem störte ihn außen ab. Bechtolsheim meldete seine Erfindung zum Patent beim Verdampfen mittels Pfannen der wechselnde Arbeits- an, welches ihm 1886 erteilt wurde. ablauf, »weshalb ich eine Vortrocknung mittels Zentrifuge ins Auge fasste, dem eine [Nachtrockung] auf einer Horde Gewinnbringende Allianz mit Gustav de Laval folgen sollte. Die Zentrifuge sollte kontinuierlich arbeiten.« Bechtolsheim war auch Maschinenbauer und Unternehmer. In der Folgezeit verbesserte Bechtolsheim in einer kleinen Mit seinen eigenen sogenannten Alfa-Zentrifugen erzielte er Saline in Thüringen die damals bekannten Maschinen und zunächst »noch keinen Gewinn«. Ein Wettbewerber äußerte Verfahren in vielen Details. Der Erfinder war in seinem Ele- ihm gegenüber sogar: »An Ihre Patente kommen wir schon ment. Rückschläge, sogar »unter lautem Knall«, hielten ihn heran.« Dennoch beantragte Bechtolsheim in der Folgezeit nicht auf. Im Gegenteil: Er widmete sich noch intensiver Der schwedische Unter- Patente, wo immer es möglich war. Das sollte sich als unter- »ganz der eigenen Sache, dem Zentrifugenbau«. nehmer Gustav de Laval nehmerisch weitsichtig und gewinnbringend erweisen. erkannte das Potenzial der Während Salz zu zentrifugieren neu war, existierten da- In Schweden nämlich hatte sich der aus einer französi- Bechtolsheim’schen mals schon Milchzentrifugen verschiedener Unternehmen. Erfindung, erwarb das schen Emigrantenfamilie stammende Gustav de Laval nach Deren Zentrifugen untersuchte Bechtolsheim, um bald tech- Patent und beschäftigte den technischem Studium und Promotion sowie Arbeiten in nische Schwächen zu erkennen und entscheidend zu verbes- Erfinder in seiner Firma. einer Stahlmühle für Technik in der Landwirtschaft interes- Bechtolsheim hatte dort sern. Milch war – besser noch als Sole – zum Zentrifugieren siert und zusammen mit dem Bergbautechniker Oscar die Gelegenheit, seine geeignet und ist Grundprodukt für Butter, Sahne und andere Innovation zur Marktreife Lamm die Aktiebolaget (AB) Separator gegründet. Dieses Produkte. zu verbessern. Unternehmen stellte 1879 der Öffentlichkeit seine erste Zen- »Kuhmilch besteht durchschnittlich aus 87,2 Prozent Was- trifuge vor, »Zentrifugalseparator« oder nur »Separator« ge- ser, etwa vier Prozent Milchfett (vom Futterwert abhängig), nannt. AB Separator wuchs rasch und war auch dank ihrer ca. 3,4 Prozent Milcheiweiß, 4,8 Prozent Milchzucker und marktnahen internationalen Vertriebsstruktur deutlich er-

Abbildungen: Archiv Bechtolsheim; Deutsches Museum Deutsches Bechtolsheim; Abbildungen: Archiv 0,7 Prozent Salzen, ferner Spurenelementen und Vitaminen.« folgreicher als Bechtolsheim. Zu denen, die die Entrah- 52-54Bechtolsheim_RZ:Layout 1 19.03.12 19:02 Seite 54

54 Kultur & Technik 2/2012

Mr. Alfa in Stockholm Bechtolsheim wollte eine Million Mark für das Geschäft, konnte aber nur 46382 schwedische auf die Hand zu zah- lende Kronen – etwa den gleichen Betrag in Deutschen Mark – und dafür aber eine Umsatzbeteiligung aushandeln. Zu sei- nem Glück: Dadurch erlöste er während der Laufzeit 1889 bis 1904 über drei Millionen Goldmark. Wenige Wochen nach Vertragsunterzeichnung trat Bech- tolsheim seinen Dienst bei AB Separator an, um »an techni- schen Verbesserungen und der Anpassung seiner Kons- truktion einer walzetablierten Modellform mit zu arbeiten«. Ausgehend vom mit dem Alfa-Patent ausgestalteten La Valle-Separator entwickelte sich die später in »Alfa Laval AB« umfirmierte Gesellschaft seitdem zu einem multinationalem Hightech-Konzern für die Landwirtschaft. Den abschließenden Blick auf das Alfa-Prinzip und die von ihm erfundene sowie erfolgreich vermarktete Zentrifuge wollen wir seinem Erfinder zugestehen. Bechtolsheim schrieb 1925 einem in Wien ansässigen Unternehmen zur Vorge- schichte: »Ich hatte im Jahr 1888 die heute jedem Fachmann auf der ganzen Erde bekannten Einsätze für Milchzentrifu- gen erfunden, dieselben mit dem Namen »Alpha« bezeichnet und noch im gleichen Jahr das erste Exemplar verkauft.« Arbeiter in einer Armee- Über seinen zweijährigen Aufenthalt in Stockholm äu- mungsschärfe von 0,14 Prozent als »Revolution im Milch- molkerei 1917 bei der ßerte er, sein aufgrund der schwedischen Schreibweise »Alfa« Herstellung von Butter. und Molkereiwesen« rasch erkannten, weil sie schlicht auf statt »Alpha« geändertes Pseudonym habe sich »glänzend be- eine Halbierung der Restfettwerte hinauslief, gehörte Sieg- währt und ist gelegentlich anstelle des Namens benutzt wor- fried Magnus, Chef des Bergedorfers Eisenwerks. Er meldete den. Beispielsweise wurde ich bei dem 25jährigen Jubiläum das Ereignis unverzüglich nach Stockholm. Bei AB Separator der Fabrik besonders von den ausländischen Anwesenden hatte John Bernström zwischenzeitlich die Geschäftsführung kurzerhand als Mr. Alfa angesprochen«. übernommen. Er hielt die Alarmnachricht aus Deutschland Bechtolsheim hatte im Laufe seines Berufslebens noch für einen »Donnerschlag« und handelte unverzüglich. Auch zahlreiche weitere Erfindungen gemacht und dafür 40 Pa- Laval war der Auffassung: »Wir müssen das neue Patent um tente erworben. ❘❙❚ jeden Preis erwerben, im Besitz eines Konkurrenten bedeutet es unser Aus.« Bernström bestellte umgehend eine Zentrifuge Zum Thema Bechtolsheims. Laval und andere Techniker von AB Sepa- Hubert von Bechtolsheim, Mr. Alfa – Bahnbrecher der Zentrifuge: Eine Biographie, München 2007. rator unterzogen sie täglichen Tests. Sie hielten die Testma- AUTOR DER schine allerdings für »so mangelhaft gefertigt, dass es Sebastian Frhr. schwierig ist, die Versuche ordentlich durchzuführen«. v. Bechtolsheim ist Gleichwohl wurden Verhandlungen mit Bechtolsheim in Rechtsanwalt und Fach- München über den Erwerb des Alpha-Patents durch Sepa- anwalt für Steuerrecht in München.

rator aufgenommen. Abbildungen: akg-images; privat 55-56Lessing_RZ.qxd:Layout 1 14.03.12 22:58 Seite 55

Magazin Robert Bosch 55

Weitsichtiger Unternehmer

Robert Bosch gehört zu den großen Gründungspersönlichkeiten der deutschen Industriegeschichte. In seiner Jugend bekennender Sozialist, führte er wegweisende Sozialleistungen ein und unterstützte als Mäzen technische Ausbildung, medizinische Forschung, Bibliotheken und auch

das Deutsche Museum. Von Hans-Erhard Lessing

in kluger und weitsichtiger Geschäftsmann ist Robert Bosch um einen Nachbau. Bosch verbesserte den Deutz-Ma- EBosch. Trotz all seines Reichtums eher nach Art eines gneto und hatte riesiges Glück, dass er vom holländischen Hyde-Park-Sozialisten und Wanderpredigers gekleidet als Privatier Frans van Schuylenburch, Käufer des Marcus-Pa- nach Art eines Millionärs, verleugnet er nicht seine einfache tents, nicht mehr zu Lizenzzahlungen verklagt wurde. Herkunft«, schrieb das Londoner Branchenblatt The Motor Für die schnell laufenden Automotoren erfand ein Mitar- vor dem Ersten Weltkrieg. Danach stand er im Jahrbuch der beiter Boschs, Arnold Zähringer, den patentierten Drehhül- Millionäre in Württemberg an siebter Stelle – hinter dem sen-Magneto. Statt des schweren Ankers brauchte nun nur Fürsten von Thurn und Taxis und dem abgedankten würt- noch eine leichte, geschlitzte Eisenhülse im Magnetfeld hin- tembergischen König. und hergeruckelt zu werden – bei höheren Drehzahlen war Der fünfte Sohn aus dem Brauereigasthof »Zur Krone« in der Anker oft zu Bruch gegangen. Der deutschgebürtige Brite Albeck auf der Schwäbischen Alb sammelte bereits beim Aus- Frederic Simms, Gründer der Daimler Motor Syndicate Ltd., fahren von Flaschenbier mit dem Vater oder bei der Arbeit Robert Bosch (1861–1942) erkannte Boschs Potenzial und assoziierte sich mit ihm. Er in der heimischen Gaststube Erfahrungen mit dem Tausch im Alter von 80 Jahren. sandte eine Beeston-Voiturette mit Glührohrzündung, um von Waren gegen Bares. Nach dem Umzug der Familie in die Boschs Drehhülsen-Magneto einbauen zu lassen, was an- Garnisonsstadt Ulm besuchte er die Realoberschule und ent- standslos funktionierte. Bosch baute seine erste Fabrik in deckte – dank Lehrer Dr. Nagel – erstmals seine Begeisterung Stuttgart, denn die Autobauer kauften die Zündung nun lie- für die Physik. Dennoch brach er die Schule, anders als seine ber fertig ein, statt sie selbst herzustellen. Gefertigt wurde bald älteren Brüder, vorzeitig ab. Statt das Polytechnikum in Stutt- auch in Paris. Das Geschäft mit den neuen Hochspannungs- gart zu besuchen, begann er eine Lehre als Feinmechaniker Magnetos für Zündkerzen expandierte so rasant, dass Bosch beim lokalen Optiker, der nebenher auch elektrische Klin- aus den Gewinnen neue Fabrikbauten finanzieren konnte. gelleitungen verlegte. Bruder Karl, 18 Jahre älter als Robert und Installationsgroßhändler in Köln war es wohl, der Ro- Ein Sozialist wird liberal bert ermutigte, zu Fein nach Stuttgart, zu Schuckert nach Ein Arbeitskampf bewirkte die Abwendung Boschs von den Nürnberg, zu Edison nach New York und zu Siemens Sozialdemokraten hin zu den liberalen Ideen Gustav Nau- Brothers in Woolwich zu gehen – damals allesamt erste manns: 1913 brach ein wilder Streik aus, der schließlich den Adressen der jungen Elektrotechnik. Kurz: Arbeitswelt statt Die Magnetzündung hatte gesamten Betrieb lahmlegte. Bosch schloss die Fabrik, nahm Studium – Robert Bosch war ein Aufsteiger der anderen weltweit ihren Siegeszug an- jedoch bereits nach drei Tagen die Lohnzahlungen an die am getreten. Bereits im Jahre Art. Schon vor dem USA-Aufenthalt mit seinem Lehrfreund Streik unbeteiligten Arbeiter wieder auf. Nach sechs Wochen 1906 wurde der hundert- Leonhard Köpf hatte Bosch für den Sozialismus Feuer gefan- tausendste Magneto Typ D6 war die Streikkasse des Metallarbeiterverbands leer und gen, frei nach dem Churchill’schen Motto: »Wer in der Ju- gefertigt. Der wirtschaftliche Bosch konnte den Großteil seiner Mitarbeiter an die Arbeit gend kein Sozialist ist, hat kein Herz«. In Briefen an seine Aufschwung seiner Firma war zurückkehren lassen. zukünftige Braut erläutert Bosch seine brisanten Stand- für Robert Bosch Anlass, den Nach dem Ersten Weltkrieg brachte Bosch seine Kriegs- Achtstundentag für seine Mit- punkte: »Siehst Du, ich bin Sozialist [...] Also, Du fragst mich arbeiter einzuführen. gewinne in eine Stiftung zum Ausbau des Neckarkanals und um ein Mittel, Reichtum und Armut aufzuheben. Denke Dir, für andere Zwecke ein. Nach und nach wurde jetzt die ge- alles – Grund und Boden, Feld und Wald, Geld und Gut – samte Autoelektrik entwickelt, doch Umsatzbringer waren gehöre dem Staat, d. h. uns, den Staatsbürgern, verwaltet von vor allem die Motorradelektrik und das Bosch-Radlicht mit wählbaren Beamten [...]«. Dynamo, das die Azetylenlampen der Fahrräder ersetzte. Die Wie kam es nun dazu, dass Bosch die Autozulieferindus- aus den USA kommende Batteriezündung verdrängte jetzt trie erfand? Ottos Gasmotorenfabrik Deutz baute unlizen- die alte Magneto-Herrlichkeit ohne Akku. ziert Abreiß-Magnetzünder für ihre Benzolmotoren nach Selbst zwei saftige Fehlinvestitionen konnten das Bosch- dem Patent von Siegfried Marcus, damals Magnetos genannt. Imperium und sein Mäzenatentum nun nicht mehr gefähr-

Abbildungen: Robert Bosch-Stiftung Ein schwäbischer Besitzer eines solchen Benzolmotors bat den: Im Ersten Weltkrieg hatte sich dehydrierter Torf als 55-56Lessing_RZ.qxd:Layout 1 14.03.12 22:58 Seite 56

56 Kultur & Technik 2/2012

In diesem Hinterhaus in der Rotebühlstraße 75B in Stutt- gart eröffnete Robert Bosch am 15. November 1886 seine Werkstätte für Feinmechanik und Elektrotechnik.

rauchfreies Brikett für Schützengräben bewährt. Bosch hatte unter die Deutsche Verlagsanstalt, wurden enteignet. Nach sich an schottischem Moorabbau beteiligt und ein oberbay- Görings Kanonen-statt-Butter-Rede sah man schließlich die risches Moor gekauft. Doch erwies sich das Ekenberg-Ver- Zeit gekommen, den Auslandsbesitz durch Übereignung an fahren im Frieden als unwirtschaftlich. Um für die einen holländischen Bankier als Strohmann vor dem Verlust Moorarbeiter Arbeit zu schaffen, finanzierte Bosch das Mus- zu schützen. tergut Boschhof, das in eigenen Verkaufsläden den Münche- Um Boschs Nachfolger Hans Walz bildete sich der »Bosch- nern Bosch-Milch, Bosch-Joghurt, Bosch-Butter und Kreis«, dessen Teilnehmer Verbindungen zum kirchlichen dergleichen verkaufte. Heute ist das Areal weitgehend rena- Widerstand suchten, bei Reisen in die Schweiz Friedensfühler turiert. 1925 kaufte Bosch alle Rechte an dem sogenannten zu den Nachbarländern und den USA ausstreckten und die Acro-Motor, einem neuen Dieselmotor. Im Nachhinein Aktivitäten des Widerstandskämpfers Carl Goerdeler weit- stellte sich heraus, dass der Motor zum Kaltstart nicht in der gehend kannten. 1937 mussten auf Anweisung der NS-Re- Lage war. Dennoch war diese Episode schließlich Wegberei- Das Plakat »Roter Teufel« gierung Ausweichfabriken gegründet werden, in Klein- ter für den Erfolg der Bosch-Dieseleinspritzpumpe. aus dem Jahr 1910 wurde machnow bei Berlin und in Hildesheim, wo auch Kriegsge- von der Stuttgarter Werbe- Privat verlief Boschs Leben weniger glücklich. Der fangene und Zwangsarbeiter arbeiteten. Zum achtzigsten Ge- agentur »Propaganda« Stammhalter Robert starb 1921 an Multipler Sklerose, wo- gestaltet. Als Motiv diente der burtstag erhielt Bosch den Ehrendoktor für Medizin der rüber sich die Eheleute weiter entfremdeten und nach 40 Jah- Rennfahrer Camille Jenatzy, Universität Tübingen, die Ernennung zum »Pionier der Ar- ren scheiden ließen. Die zweite Ehe mit der 27 Jahre jüngeren der seinen mit einer beit« von der NS-Regierung sowie ein Modell des Kraft- Opernsängerin Margarete Wörz verlief harmonischer. Sohn Bosch-Magnetzündung durch-Freude-Autos, später Volkswagen genannt. Sein ausgestatteten Mercedes von Robert d. J. und Tochter Eva wurden geboren. Nach der Welt- Triumph zu Triumph steuerte. Testament war zu diesem Zeitpunkt schon fertig. Es sah die wirtschaftskrise verfasste Bosch den Privatdruck »Die Ver- Wegen seines roten Haar- Gründung der Robert-Bosch-Stiftung vor, die heute 92 Pro- hütung künftiger Krisen in der Weltwirtschaft«, der auch in schopfes und weil er bei zent der Anteile an der Firma besitzt. England erschien. Die Arbeitszeit solle auf sechs Stunden re- seinen Rennen stets einen 1942 starb Bosch an einer zu spät erkannten Mittelohr- feuerroten Staubmantel trug, duziert werden, damit alle in Arbeit kämen und die Sozial- entzündung. Seine Urne wurde in einem Ehrengrab der Stadt nannte man ihn den »Roten ausgaben für Arbeitslose entfielen – so seine Programmatik. Teufel«. Stuttgart auf dem dortigen Waldfriedhof beigesetzt. Zudem sollten Lebensmittelpreise durch rationelle Verteilung »Insgesamt muss man den großartigen unternehmeri- gesenkt werden. Dennoch blieb er realistisch genug, um zu schen Erfolg Robert Boschs wohl auf sein untrügliches Ge- erkennen, dass bei der damaligen Haushaltslage eine Umstel- fühl für das technisch Machbare, verbunden mit dem lung nicht möglich gewesen wäre. überragenden Geschick zur Organisation der Produktion, ei- nerseits durch die Auswahl eines effizienten Managements Bosch-Nachfolger Hans Walz und andererseits durch die Bindung und Motivation der Ar- Im Dritten Reich agierte die Firma vorsichtig. Boschs Nach- beiterschaft, zurückführen. Hinzu kam auch eine Portion folger Hans Walz musste sogar in die SS eintreten, unter- Glück: er war mit dem richtigen Produkt zur richtigen Zeit

stützte aber dennoch jüdische Organisationen, wofür er nach DER AUTOR im richtigen Markt.« Dieser Charakterisierung Toni Pieren- dem Krieg die israelische Auszeichnung »Gerechter der Völ- Professor Hans-Erhard kempers zum 125. Geburtstag (in Kultur&Technik 1/1987) ker« erhielt. Bei der Machtübernahme, die in Württemberg Lessing war in der Laser- wäre noch hinzuzufügen, dass er nicht nur von sich, sondern besonders rabulistisch vonstattenging, zog sich Bosch vor- grundlagenforschung tätig auch von seinen Mitarbeitern alles verlangte, sie aber im Ge- bevor er ab 1985 als Haupt- sichtshalber auf den Boschhof zurück. Eine Audienz bei Hit- genzug weitgehend selbstständig arbeiten ließ. ❘❙❚ konservator an Museen in ler, die dessen Spendensammler eingefädelt hatte, blieb Mannheim und Karlsruhe Zum Thema ergebnislos. Zum Jubiläum 1936 wurde das Robert-Bosch- wirkte. Heute betätigt sich Krankenhaus für homöopathische wie allopathische Heil- Lessing vor allem publizis- Hans-Erhard Lessing, Robert Bosch, methoden gestiftet. Den Hitlergruß sucht man in der tisch. Er schreibt unter Reinbek 2010. anderem für die FAZ.

Jubiläumsschrift der Firma vergebens. Boschs Verlage, dar- Bosch-Stiftung Abbildungen: Robert 57-63Intern_RZ.qxd:Layout 1 19.03.12 19:22 Seite 57

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INTERN

• Museumsinsel Die Herzschrittmachersammlung von Professor Friese; Wochenende für Mitglieder

• Neues aus dem Freundes- und Förderkreis

• Flugwerft Schleißheim 100 Jahre Flugplatz Schleißheim

• Verkehrszentrum Sonderausstellung »Energieeffizienz«

• Deutsches Museum Bonn Sonderausstellung Heinrich Hertz

• Meinungen und Kommentare

Museumsinsel

Verkehrszentrum

Flugwerft Schleißheim

Alle aktuellen Veranstaltungen finden Sie in unserem Quartalsprogramm. 57-63Intern_RZ.qxd:Layout 1 19.03.12 19:22 Seite 58

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MUSEUMSINSEL Ein implantierbarer, program- mierbarer Herzschrittmacher Die Herzschrittmachersammlung von Professor Friese aus den 1980er Jahren aus Schlag auf Schlag der Sammlung Friese.

Die Sammlungen des Deutschen Museums beinhalten über 100.000 Objekte aus verschiedensten Fachgebieten. Da es nicht möglich ist, diese umfassende Sammlung komplett auszustellen, gibt es seit längerer Zeit auf der Internet- seite des Deutschen Museums die Rubrik »Sammlungen des Deutschen Mu- seums«, auf der ausgewählte Exponate aus verschiedenen Fachgebieten gezeigt werden. Nun haben wir diese Online-Kollektion um ein weiteres Highlight bereichert: die Herzschrittmachersammlung von Professor Friese. Professor Friese war ein höchst angesehener Kardiologe, der ab den 1950er bis in die 1980er Jahre hinein praktizierte. Sein besonderes Interesse galt der Herzschrittmachertechnologie. Er setzte intensive Bemühungen daran, zu- sammen mit Kollegen einen externen Impulsgeber zu entwickeln. Dies gelang ihnen und im Jahr 1955 hielten Friese und Kollegen erstmals in ihrer Klinik Professor Friese entwickelte zusammen mit Dr. Dittmar ein menschliches Herz mit dem selbst entwickelten externen Schrittmacher dieses Impulsgerät, das als am Schlagen. Ab 1962 waren schließlich industriell gefertigte, implantierbare externer Herzschrittmacher Herzschrittmacher erhältlich, die Professor Friese verwenden konnte. Er sam- diente. melte viel Erfahrung bei der Implantation von Herzschrittmachern – daher war er als Redner sehr gefragt und reiste viel, um ein wenig seiner Kompetenz an Kollegen weitervermitteln zu können. Während seiner gesamten aktiven Laufbahn sammelte er verschiedene Musterstücke und Prototypen von Herz- und vor allem langlebiger und zuverlässiger. Frau Nanna Friese stiftete dem schrittmachern, die ihm von Firmen zu Anschauungszwecken zur Verfügung Deutschen Museum im Jahr 2007 aus dem Nachlass ihres Mannes diese um- gestellt worden waren. Heute lässt sich an diesen Modellen die technische fassende Sammlung, die nicht nur aus den 25 Herzschrittmachern, sondern Weiterentwicklung auf diesem Gebiet der Medizintechnik sehr gut nachvoll- auch aus Elektroden, chirurgischem Besteck und einigen Originalpublika- ziehen: Im Laufe der Jahrzehnte wurden die Geräte immer kleiner, leichter tionen besteht. Dr. Margherita Lasi, Kuratorin für Life Sciences

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Kerschensteiner Kolleg Ein Wochenende für Mitglieder des Museums im Kerschensteiner Kolleg

Fr/Sa/So 4. – 6. 5. 2012 am Rasterelektronenmikroskop vertiefen Sie das Gesehene und, dank der Kooperation mit der TU München, erfahren Sie Näheres über die Funk- Blitze und Hightech: tionsweise hochmoderner Rastertunnelmikroskope und sehen diese auch Forschung früher und heute im Einsatz.

Forschung basiert auf genauer Beobachtung. Als Anregung hierzu dienen Zwei Übernachtungen mit Frühstück inkl. Seminargebühren oft Naturphänomene. Dabei hat es die Forscher immer gereizt, diese Phä- und Museumseintritt: 138,– Euro im Einzelzimmer, nomene detailliert zu erfassen und experimentell nachzuvollziehen. Blitze 128,– Euro im Doppelzimmer animierten beispielsweise Forscher im siebzehnten Jahrhundert zur Ent- deckung der elektrischen Ladung und letztendlich der Elektrizität. Einige Sie wohnen im Kerschensteiner Kolleg, direkt im Deutschen Museum, im Zentrum dieser Experimente werden Sie in unserem Studienlabor erleben. Münchens. Die Zimmer (Etagenduschen und -WCs) sind modern eingerichtet und ruhig gelegen. Wir empfehlen die Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Die Erfindung von Mikroskopen war für die Forschung revolutionierend. An unserem Mitgliederwochenende werden Sie kleine und winzig kleine Information und Anmeldung: Nicole Kühnholz-Wilhelm Teilchen selbst beobachten: An Lichtmikroskopen entdecken Sie Leben in Kerschensteiner Kolleg, Deutsches Museum, Museumsinsel 1, 80538 München Tel. 089/2179-523, Fax 089/2179-273, E-Mail: [email protected] verschiedenen Proben und beobachten das Erwachen eines Bärtierchens, 57-63Intern_RZ.qxd:Layout 1 19.03.12 19:22 Seite 59

Deutsches Museum intern 59

FREUNDES- UND FÖRDERKREIS Deutsches Museum e.V. Die Kultur der Reparatur

Generaldirektor Wolfgang Heckl und Monika Czernin, Vorstandsmitglied des Freundes- und Förderkreises, im Gespräch über MINT-Fächer und die Kultur der Reparatur.

Monika Czernin: Auf der diesjähri- Monika Czernin: Im Kinderreich gen CeBIT war das Lamento wieder des Museums werden Kurse angebo- einmal groß. Deutschland fehlen ten, bei denen man seinen Compu- zehntausende Ingenieure und Tech- ter zerlegen kann. Zusammenbauen niker. Zwar wird eine ganze Menge können die den dann aber auch getan, um Jugendliche für die soge- nicht mehr. nannten MINT-Fächer zu gewinnen, Wolfgang Heckl: Es ist eben etwas aber so richtig gut funktioniert das anderes wichtig, und zwar durch alles nicht. Warum nur? haptisch erlebbare Dinge junge Wolfgang Heckl: Es gibt verschie- Menschen für die Welt der Technik dene Gründe, ich möchte mich hier zu begeistern. Es muss Spaß ma- für alle gesellschaftlichen Schichten Im Verkehrszentrum lernen Kinder, aber auf einen mir sehr wichtigen chen, sonst können wir noch so viele sind. Speziell unser Deutsches Mu- Fahrradschläuche zu reparieren. konzentrieren. Im Verkehrszentrum MINT-Förderprogramme auflegen, seum kann, ganz anders als bei- bieten wir regelmäßig Kurse zum ohne das erstrebte Ziel zu erreichen. spielsweise die Oper oder ein Kon- kenntnisse ermöglichen und Begeis - Thema »Wie repariere ich meinen zerthaus, Jugendliche aus sozial terung schaffen. Auf diese Weise Fahrradschlauch« an. Vor einigen Monika Czernin: Auch die Begeiste- schwachen Familien und Jugendli- würde sich ein Produktdesigner von Jahrzehnten wäre so ein Angebot rung für die Natur, dafür, wie die che mit Migrationshintergrund an- morgen mit Gewinn an seine Arbeit einfach nur lächerlich gewesen, heute Welt funktioniert, wird zu wenig ge- sprechen. Das ist nicht nur ein in der Werkstätte des Deutschen hingegen ist es sehr gefragt. Als ich weckt. Das Fernsehen setzt eher auf wichtiger Beitrag zur Integration, Museums zurückerinnern können. jung war, konnte jedes Kind sein Sendungen wie »Deutschland sucht sondern auch deshalb von Bedeu- Monika Czernin Fahrrad reparieren … den Superstar« … tung, weil gerade in den gesellschaft- Wolfgang Heckl: Wir erleben eine lichen Randgruppen noch ungeho- Unterstützen Sie den Monika Czernin: … und die Väter fatale Entwicklung zum naturwis- bene Talente vorhanden sind, wäh- Freundeskreis des womöglich ihr Auto. senschaftlichen-technischen Laien- rend die Mittelschicht ihr Bildungs- Deutschen Museums! Wolfgang Heckl: Ganz genau. Diese tum. Und dabei gehen wir auf potential im Wesentlichen ausge- Kultur der Reparatur, wie ich sie Menschheitsprobleme zu, die nur schöpft hat. Jahresbeitrag: gerne nenne, geht verloren. Unsere mit naturwissenschaftlichen und 4500 Euro für persönliche technische Welt ist zu kompliziert ge- technischen Kompetenzen gelöst Monika Czernin: Die von Ihnen ge- Mitgliedschaften worden, und in den Familien findet werden können. Die Überalterung forderte Kultur der Reparatur und 4250 Euro für Juniormit- gliedschaften (bis 35 Jahre) sich zwar ein PC-Arbeitsplatz, aber der Gesellschaft, Ressourcenknapp- die Förderung benachteiligter Ju- 42500 Euro für Mitgliedschaften keine Werkstatt mit Hammer und heit, Energiewende – die Stichworte gendlicher könnte in einem Projekt mittelständischer Unternehmen Säge. Dadurch fehlt den Jugendli- sind ja bekannt. zusammengeführt werden, in einer nach EU-Norm chen der Anreiz, sich für technische Art offener Werkstätte, wo Jugendli- 45000 Euro für Mitglied- Dinge wirklich zu interessieren. Monika Czernin: Das Deutsche Mu- che mit kaputten Sachen hinkom- schaften großer Unternehmen seum hat die Jugendförderung men können, um etwas zu lernen. Kontakt: Monika Czernin: Wann ist Ihre immer schon großgeschrieben, auch Wolfgang Heckl: Abgesehen davon, Freundes- und Förderkreis Technikbegeisterung entstanden? der Förder- und Freundeskreis. Was dass so etwas Zeit und Geld kostet, Deutsches Museum e. V. Wolfgang Heckl: Mit fünf Jahren könnte da noch verbessert werden? wäre es bestimmt eine Idee mit Po- Museumsinsel 1 · 80538 München hab ich mein erstes Radio zerlegt, Wolfgang Heckl: Überall im Mu- tenzial. Dabei sollte es um Dreierlei drinnen einen Magneten gefunden seum gibt es die Möglichkeit zu ex- gehen: Erstens sollte es einen Anreiz Ihre Ansprechpartnerin: Claudine Koschmieder und entdeckt, dass er Eisen anzieht. perimentieren. Damit ersetzen wir bieten, die Wegwerfgesellschaft in Tel. 089/2179-314 Das Radio war kaputt, aber meine Dinge, die im häuslichen und leider einer Welt der knapper werdenden Fax 089/2179 - 425 Eltern zeigten Verständnis. Sie waren oft auch im schulischem Umfeld Ressourcen zu überdenken, zweitens c.koschmieder@ der Meinung, ich hätte Erkenntnis- fehlen. Stärker kommunizieren soll- sollte es das Recycling stärker ins Be- deutsches-museum.de

Abbildungen: Deutsches Museum Abbildungen: Deutsches willen demonstriert. ten wir hingegen, dass wir ein Haus wusstsein rücken und drittens Er- 57-63Intern_RZ.qxd:Layout 1 19.03.12 19:22 Seite 60

60 Kultur & Technik 2/2012

FLUGWERFT SCHLEISSHEIM Jubiläumsprogramm Der Flugplatz Schleißheim wird 100 Jahre alt

Graf Wolffskeel und Prinz Leopold 1913 im Otto-Doppeldecker. Der Otto-Doppeldecker: Standard-Flugzeug der Fliegertruppe in der Vorkriegszeit.

In diesem Jahr feiert der Flugplatz Schleißheim, Standort der Zweigstelle Flugwerft Schleißheim des Deutschen Museums, sein hundertjähriges Be- stehen. 1912 für die Königlich-Bayerische Fliegertruppe gegründet ist er einer der ältesten aktiven Flugplätze.

Das Jubiläum wird mit zahlreichen Veranstaltungen gewürdigt. Angeboten Eine umfassende Darstellung der 100-jährigen Geschichte des Flugplatzes Schleißheim finden Sie in der ständigen Ausstellung in der Kommandantur der wird Reihe von Veranstaltungen wie Sonderausstellungen und Vorträge, das Flugwerft Schleißheim und im Buch Geflogene Vergangenheit – Luftfahrt in Jubiläums-Fly-In, ein Benefizkonzert des Bundespolizeiorchesters München Schleißheim seit 1912, herausgegeben vom Werftverein. und eine Lesung mit Texten von Antoine de St.-Exupéry. Die Veranstaltungen werden organisiert von der »Interessengemeinschaft Ein jahrhundertealter Menschheitstraum wird endlich wahr. 100 Jahre Flugplatz Schleißheim«: Bayerische-Flugzeug-Historiker e.V. | Mit Otto Lilienthal beginnt im Jahr 1891 das Zeitalter des Fliegens mit Ap- Bundespolizei-Fliegerstaffel Oberschleißheim | Deutsches Museum-Flug- paraten schwerer als Luft. Die Gebrüder Wright starten in Kitty Hawk zu werft Schleißheim | DGLR e.V. | Flugplatz Schleißheim e.V. | Freunde von ihrem ersten Flug mit einem motorisierten Flugapparat im Dezember 1903. Schleißheim e.V. | Gemeinde Oberschleißheim | Luftsportclub Ikarus e.V. Die Begeisterung für die Fliegerei erobert die Welt, in den folgenden Jahren | Verein zur Erhaltung der historischen Flugwerft e.V. purzeln die Rekorde. Die Militärstrategen weltweit erkennen, wie notwendig die Fliegerei für ihre Zwecke sein könnte. So auch im Königreich Bayern. Prinzregent Luitpold verfügt die Aufstel- lung einer Fliegerkompanie zum 1. April 1912, als Standort wurde »Ober- MUSEUMSINSEL Schleißheim« bestimmt. Damit beginnt die nun 100-jährige Geschichte des Flugplatzes Schleißheim. Sonderausstellung verlängert Von 1912 bis 1920 dient er der Königlich-Bayerischen Fliegertruppe. In der Folgezeit beheimatet er die Deutsche Verkehrsflieger Schule (DVS). Die Die Ausstellung nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten gegründete Luft- »Kabelsalat – Energiekonsum waffe baut den Flugplatz groß aus, die Zeit zwischen 1933 bis 1945 ist das im Haushalt« schrecklichste Kapitel der vergangenen 100 Jahre. Nach dem Zweiten Welt- wurde bis 15. Juli 2012 krieg nutzen die U.S. Army und später die Heeresflieger den Flugplatz. Heute verlängert. fliegen hier sechs Luftsportvereine und die Fliegerstaffel Oberschleißheim der Bundespolizei. Die Konversion des Flugplatzes Schleißheim ist gelungen. Gegründet als Militärflugplatz der Königlich-Bayerischen Fliegertruppe ist er heute eine Heimat für Luftsport, Suchen, Retten und Bergen und museale Nutzung. 57-63Intern_RZ.qxd:Layout 1 19.03.12 19:22 Seite 61

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DEUTSCHES MUSEUM BONN ab 26. April 2012

Veranstaltungsprogramm zum Jubiläum Sonderausstellung 100 Jahre Flugplatz Schleißheim Heinrich Hertz 04. 05. bis 16. 09. 2012 vom Funkensprung zur Radiowelle Sonderausstellung * Es begann in Oberschleißheim: Die Geschichte der Königlich- Der Physiker Heinrich Hertz (1857 – 1894) hat Bayerischen Fliegertruppe 1912 bis 1920 unsere Welt nachhaltig verändert. Seine bahnbre- 16. 06. 2012, 10.00 Uhr chende Entdeckung der elektromagnetischen Vortragsveranstaltung der DGLR ** Wellen machte Radioübertragungen und Mobiltelefonie erst möglich. Die Königlich-Bayerische Fliegertruppe 1912 bis 1920 Hertz hat von 1889 bis 1894 in Bonn gelehrt und geforscht. Sein Vermächt- nis macht das Bonner Technikhaus nun gemeinsam mit der Universität 23. 06. 2012, 14.00 Uhr Bonn erlebbar. Gemeinsam mit der Rheinischen Friedrich-Wilhelms- Vor trag ** Universität Bonn stellt das Bonner Technikhaus Leben und Werk von Otto Bürger: Die Königlich-Bayerische Fliegertruppe in Schleißheim Heinrich Hertz anhand von außergewöhnlichen Originalobjekten aus den Beständen des Physikalischen Instituts der Universität Bonn und des 21. und 22. 07. 2012 Deutschen Museums sowie leicht verständlichen und eindrucksvollen Jubiläums Fly-In * Demonstrationen vor. Flugzeug-Oldtimertreffen mit Rahmenprogramm

11. 08. 2012, 14.00 Uhr Vor trag ** VERKEHRSZENTRUM Sonderausstellung bis 15. April Otto Bürger: Schleißheim und sein Flugplatz zur NS-Zeit 1933 bis 1945

30. 09. 2012, 19.30 Uhr Energieeffizienz und Benefizkonzert *** Ein Reigen durch 100 Jahre Luftfahrtgeschichte…, Elektromobilität es spielt das Bundespolizeiorchester München Die kleine Sonderausstellung verdeutlicht mit Exponaten wie einer Solar- unter der Leitung von Stefan Weber tankstelle,unterschiedlichen E-Bikes und Pedelecs sowie Komponenten eines Blockheizkraftwerkes die Vernetzung von Energieversorgung und Elektro- 06. 10. 2012, 19.30 Uhr mobilität. Lesung *** Im Rahmen der Ausstellung können Besucher am Geschichten vom Fliegen von Antoine de St.-Exupéry, Samstag, 14. April, und Sonntag, 15. April es liest der bekannte Schauspieler Francis Fulton-Smith in musikalischer jeweils von 10 bis 17 Uhr diverse Elektroautos, Segways bis hin zu E-Rollern Begleitung des Stephan Holstein Duos und Elektromotorrädern ausprobieren. Fur kleine Besucher stehen entspre- 26. 10. 2012 bis 27. 01. 2013 chende Quads und Zweiräder bereit. (Kosten: Museumseintritt) Sonderausstellung * Schleißheim und die Flugplätze der Region München

Alle Veranstaltungen finden in der Flugwerft Schleißheim des Deutschen Museums statt und soweit nicht anders vermerkt während der regulären Museumsöffnungszeiten (täglich von 9 bis 17 Uhr, außer am 1. Mai 2012).

Weitere Informationen unter: http://www.deutsches-museum.de/flugwerft

* Museumseintritt ** Eintritt frei *** Karten im Rahmen des Kulturprogramms der Gemeinde Oberschleißheim

Änderungen vorbehalten. Abbildungen: Deutsches Museum Abbildungen: Deutsches 57-63Intern_RZ.qxd:Layout 1 19.03.12 19:22 Seite 62

62 Kultur & Technik 2/2012

Meinungen und Kommentare von ein Lachkrampf: »Wenn man nega- Terminübersicht war wichtig tiv geladene Teilchen über eine Ich bin seit vielen Jahren Mitglied im Leserinnen und Lesern Stromleitung auf positive Teilchen Deutschen Museum, früher über zurasen lässt, wird Energie frei, weil meine Firma auch »Spender« für sich (+) und (-) anziehen.« Irgend- Exponate in der Technischen Che- man es auch nur in den Hinter- wie ist ihm da wohl seine Diss von mie. Das vierteljährlich erschei- grund verschoben. 1986 am Darmstädter Elektronen- nende Magazin ist in seinen Henning Ilmer, Fürstenfeldbruck beschleuniger dazwischengekom- Beiträgen bestens angesehen und men, und seit seiner Funktionärs- vor allem die Terminvorschau der Behutsam, aber gründlich tätigkeit für den VDE plagten ihn verschiedenen Veranstaltungen wur- Vielleicht das größte Kompliment andere Sorgen … wofür ich großes de für ausgesprochen wichtig einge- zuerst: Mir ist erstmal nichts aufge- Verständnis habe, auch ich bin in stuft und in der eigenen Quartals- fallen. Und das heißt, dass behutsam, Vielem nicht mehr firm. Aber mit planung berücksichtigt. Im Magazin ich sage noch mehr, unaffektiert und der Realität im Stromnetz hat dies des 1. Quartals weisen Sie nun auf schon gar nicht marktschreierisch nun wirklich gar nichts zu tun! Oder Seite 63 ausdrücklich darauf hin, umgestaltet wurde! haben Sie einen Elektronenbe- dass diese Terminvorschau entfällt Behutsam, aber gründlich: Alles – schleuniger in der Küche? Vielleicht und man sich bei eigenen Besuchen von der Inhaltsangabe bis zum Im- konnte man ja tatsächlich auf dem oder bei anderen Informationsstel- pressum – schaut freundlich, klar Darmstädter Synchrotron ein Spie- len den Inhalt und die Termine an- Kultur&Technik 1/2012 und übersichtlich aus. Die Bildaus- gelei braten, das weiß nun ich nicht. schauen oder heraussuchen soll. Ich wahl strukturiert, informiert und Prof. H.-E. Lessing empfinde dies als Mitglied Ihres Lapsus in MikroMakro macht neugierig. Außerdem: Ich Hauses als Zumutung. Es muss doch Mit großem Interesse verfolge ich wollte schon immer wissen, wie Silke Terminvorschau fehlt möglich sein, dass man mit einer die von Ihnen ausgewählten The- Berdux aussieht, von der ich regel- Beim ersten Durchblättern ist mir korrekten, vorausschauenden und men und lasse seit mehr als 4 Jahren mäßig Mails bekomme … die Änderung nicht aufgefallen, themenbezogenenen Einplanung keine Ausgabe ungelesen. Bitte wei- Von der unaufdringlichen Wer- beim Vergleich mit dem Vorgänger- eine ordentliche schriftliche Termin- ter so! bung (eine Spalte im ganzen Heft) heft habe ich allerdings die Unter- übersicht pro Quartal jweils recht- In der Ausgabe 1/2012 auf Seite 39 könnte ich sogar mehr in Kauf neh- schiede feststellen können. Mir zeitig in Ihrem Magazin zur Verfü- wurde ein Interview mit Hr. Dr.-Ing. men, wenns dem Deutschen Mu- persönlich sind diese Modifikationen gung stellen kann. […] Michael Schanz, mit einem Experten seum dient. egal, da mich eher der Inhalt als die Ekkehard Donner (!) für Strom beim VDE, abgedruckt. Was allerdings auch für Kinder, ja Form interessiert. Das Heft 1/2012 Die Stelle, an der Strom beschrieben gerade für Kinder als Erklärung für macht allerdings einen optisch in wird: »Es gibt positiv (+) und negativ den elektrischen Strom nicht geht sich geschlosseneren Eindruck zum (-) geladene Teilchen. Wenn man ne- (Seite 39, sinngemäß): »Negativ ge- Vorgänger. Leider habe ich auch Ne- gativ geladene Teilchen über eine ladene Teilchen rasen über Kabel auf gatives anzumerken: Ich vermisse Stromleitung auf positive Teilchen positive Teilchen zu! Da wird Ener- die Terminvorschau. zurasen lässt, wird Energie frei, weil gie frei, weil sie sich gegenseitig an- Da ich nicht in München oder sich (+) und (-) anziehen. ... Die frei ziehen! Wie bei einem Magneten!« seinem Speckgürtel wohne, habe ich werdende Energie ...« - musste ich So nicht, Herr Schanz. keine Möglichkeit das gedruckte drei mal lesen und dachte zuerst, dass Ich komme zum Schluss, indem Dreimonatsprogramm irgendwo ich was falsch las. Nein, Hr. Dr.-Ing. ich auf den Anfang des Heftes ver- abzuholen. […] Das Vorliegen der Schanz hat tatsächlich Kernspaltung, weise: Das Coverfoto ist wahrhaft Termine in kompakter schriftlicher Wir freuen uns über Ihre Meinungen Magnetismus und elektrischen appetitlich und informativ (Text) Form macht auch Planungen für zum Magazin. Ein Anspruch auf Ab- Strom ineinander gemischt. Ganz und witzig (Rollentausch mit Besuche in München angenehmer. druck eines Leserbriefs besteht aller- peinlich. Denis Ziegel Swing). […] Ich rege daher an, das Dreimonts- dings nicht. Die Redaktion behält sich Und jetzt les ich noch das Edito- programm dem Kultur&Technik die Auswahl und ggf. auch Kürzung Irgendwas interessiert immer rial, aha, immer wieder unumgäng- Magazin beizulegen für die Leser, die vor. Die Beiträge geben nicht die Meinung der Redaktion wieder. Zunächst bedanke ich mich für die lich. Ein gutes Jahr 2012 allen wie ich weit weg wohnen. Oder al- hervorragenden Artikel in Kultur & Mitarbeitern der Kultur & Technik! ternativ das redaktionelle Konzept Ihren Leserbrief schreiben Technik. Dabei macht es keinen E. Beck diesbezüglich noch einmal zu über- Sie bitte an: Unterschied, ob man über das je- denken. Ansonsten: weiter so! Redaktion Kultur und Technik Günderodestraße 24, weilige Thema wenig oder relativ Lachkrampf erlitten Werner Falkowski 81827 München oder viel weiß. Irgend etwas Neues fin- Beim Lesen der sinnarmen Erklä- [email protected] det man immer; vielleicht hatte rung von Herrn Schanz befiel mich 57-63Intern_RZ.qxd:Layout 1 19.03.12 19:22 Seite 63

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kann. Bei beiden ist der Energie- übertrag so gering, dass dies absolut ZUR DISKUSSION nicht möglich ist. Selbst die billio- nenfach energiereichere (gegenüber Die Stadt hat ein neues Diskussionsthema. der Radiostrahlung) Gammastrah- lung würde dazu bei weitem nicht Ein zusätzlicher Konzertsaal wird gewünscht. ausreichen. Über den Standort ist man sich noch uneins. Dr. Helmut Steinle, Max-Planck-Institut für Auch der ehemalige Kongresssaal des extraterrestrische Physik, Garching Deutschen Museums ist im Gespräch.

Esoterik statt Wissenschaft Seit Jahrzehnten sind in München drei symphonische Orchester und Wenn die Politikelite nicht mehr vier Dirigenten von Weltrang im ständigen Programm der Musikszene weiter weiß, dann gründet diese eine präsent – so viele wie in keiner anderen Weltstadt. Kultur&Technik 4/2011 Ethikkommission aus »-ologen« Nun hat der Bayerische Ministerpräsident den Bau eines Konzertsaals und dem Volk, verkörpert durch den angekündigt als Leuchtturmprojekt, das die große Musiktradition in Gern lese ich die Ausgaben von Kul- Esel, werden vorläufig Lockrüben, der Stadt und in Bayern aufzeigen soll. Vom Ministerium f. Wissen- tur&Technik, so wie man sich eben sprich »erneuerbare Energien« vor schaft, Forschung und Kultur wurde eigens eine Planungskommission mit einer wissenschaftlichen Zeit- das Mail gehalten. Im letzten Ab- eingerichtet. schrift auseinandersetzt. Mit den schnitt des Beitrags, konkret die an- Mein Vorschlag: Den Kongresssaal des Deutschen Museums in seiner Beiträgen auf den Seiten 6, 8 und 16 gebliche Nutzung elektromagne- ursprünglichen Gestalt, seinem Zweck und seiner Nutzung wieder her- bin ich allerdings gescheitert. Voller tischer Wellen durch Nikola Tesla, stellen. Der Kongresssaal ist Teil des Deutschen Museums, das längst als Abkürzungen und fachspezifischer der schon 1930 einen Konverter er- Leuchtturm weltweit strahlt, auch wenn es die Stadt ignoriert. Ein Ge- Physik verliert man nach einiger Zeit funden haben soll. Auch diese Vision bäudekomplex erbaut in den Jahren etwa 1900 bis 1930. einfach die Lust, verstehen zu wol- wird sich nicht halten lassen, weil der Der Kongresssaal des Deutschen Museums in seiner Proportion ent- len. Die Beiträge wirken eher wie Energiefluss für großtechnische An- spricht etwa dem berühmten Musikvereinssaal in Wien, aus dem die Spezialvorlesungen für höhere Se- wendung zu gering ist, wie übrigens Neujahrskonzerte aufgeführt und weltweit übertragen werden. Selbst mester. Meine Unterrichtsfächer auch bei Wind und Sonne. Was in Details waren in der ursprünglichen Gestaltung Übereinstimmungen waren Mathematik, Physik und In- kommt? Wohl zunächst die Deindu- gegeben, so die Orgel und deren Position, das Parkett mit seiner Bestuh- formatik. Geholfen hat es nichts. strialisierung, nachdem wie Kul- lung, die Balkone, die Kassettendecke. Es ist kein Risiko, die Akustik für Hans Köhn, Übach-Palenberg tur&Technik als Indikator anzeigt, Musiker und Zuhörer für gut zu bewerten. Der rekonstruierte Kongress- die Bodenhaftung durch Esoterik saal könnte sicher für 2000 Hörer Platz bieten – so wie der berühmte Beitrag Eckermann substituiert wir. Post scriptum: Dass Saal des Musikvereins in Wien. Zur Einstimmung des Publikums könnte Im ansonsten recht guten Artikel Heinrich Jebens eine zweifelhafte in den Vorräumen des Konzertsaales ein Teil der Instrumentensamm- »Was kommt danach« von Erik Figur sein könnte, wurde offenbar lung präsentiert werden. Die Besucher werden so auf die gesamte Eckermann wird auf Seite 55 unten nicht in Betracht gezogen. Die Ur- Sammlung neugierig. Max Bräutigam beschrieben, wie Nikola Tesla mit kraft aus dem Universum? Gelten Wir freuen uns über Ihre Kommentare zu diesem Thema. einem Auto fuhr, das mit »kosmi- die Naturgesetze nicht mehr? scher Strahlung« bzw. […] mit »Hö- Peter Knoll (per Mail) henstrahlung« angetrieben wurde. Beide Begriffe werden in der Phy- Terminwirrwarr sik/Astronomie aber für geladene Es ist sehr bedauerlich, daß Verans- Teilchen verwendet, die aus dem taltungen oft so spät bekanntgege- Weltall zu uns gelangen und teil- ben werden, dass bei Eintreffen von weise in der Atmosphäre absorbiert Kultur&Technik die Veranstaltung werden (daher Höhenstrahlung, schon gewesen ist. […] Dass die Rei- d. h. Strahlung die nur in der Höhe henfolge nach Datum in der Tabelle gemessen werden kann). Was wahr- wirr durcheinanerspringt, zwischen scheinlich gemeint ist, denn das Oktober und November, finde ich Wort fällt auch, ist die Radiostrah- ebenfalls sehr ungünstig. […] lung aus dem Weltall. Georg Heinzerling Allerdings habe ich erhebliche Zweifel, dass mit diesen »Strahlun-

Abbildungen: Deutsches Museum Abbildungen: Deutsches gen« ein Auto angetrieben werden 64-65Schlusspunkt_RZ.qxp:Layout 1 14.03.12 17:24 Seite 64

Auge um Auge 64-65Schlusspunkt_RZ.qxp:Layout 1 19.03.12 18:46 Seite 65

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a! Wusst ich’s doch! Sie sind das immer!« Ich zuckte zu- und eventuell auch etwas zu laut. Fräulein Schröder begrüßte Hsammen. Die schrille Stimme der Hausmeisterin durch- mich sanft lächelnd an der Wohnungstür und meinte nur, bohrte mein Trommelfell. Ich drehte mich um, und da stand dass sie sich ohnehin schon gewundert habe, dass sich noch die Melkfuß und hob drohend den Besen, den Besen, den sie niemand beschwert habe. Sie hätte das ja schon längst ... immer bei sich trug, weniger um die Treppe zu kehren, als viel Aber da war ich bereits im Badezimmer, hatte den komplet- mehr als Waffe und Zepter, als Insigne ihrer häuslichen Ge- ten Inhalt des Müllsacks in die Wanne gekippt, hatte mir walt. Ich schloss behutsam den Deckel des Res t müll - Gummihandschuhe übergezogen, mit meiner Sortierarbeit containers. »Oh, äh –, einen schönen guten Abend«, sagte ich begonnen und schmiedete unter wüsten Flüchen Rachepläne und legte so viel Wärme in meine Stimme, wie es mir ange- gegen den kollektiven Trennungsirrsinn im Allgemeinen und sichts dieses Hausdrachens nur eben möglich war. »So spät gegen die Melkfuß im Besonderen. Keine 20 Stunden später noch im Dienst?« friemelte ich eine kleine Webcam an das Ende eines aus meh- »Ganz recht. So spät noch im Dienst! Eine Sauerei is ja des, reren Teilen zusammengeschraubten Zinkrohres, das ich aus was Sie da immer machen!« Und ihre s-Laute waren dabei dem Fenster meines Arbeitszimmers acht Meter senkrecht so scharf und schneidend wie ein herabstürzendes Fallbeil, an der Hauswand entlang nach unten führte, bis es auf einem ehe es den Kopf des Delinquenten vom Rumpf trennt. Gebäudesims aufsetzte. Oben befestigte ich das Rohr mit Ich muss, fürchte ich, an dieser Stelle ein kleines Geständ- einer Schelle am Fensterrahmen. Die Bilder, die ich von un- nis machen. Keine große Sache. Gar nicht der Rede wert. seren Mülltonnen auf den Bildschirm meines Rechners ge- Würde ich es beichten, bekäme ich mühelos die Absolution. liefert bekam, waren gestochen scharf. Es könnte schon sein, Vielleicht müsste ich einen Rosenkranz beten. Oder zwei. das Fräulein Schröder sich später zu Recht darüber be- Maximal fünf. Es hat mit unserem Müll zu tun. Also mit mei- schwerte, dass ich ganze Tage nicht ansprechbar und außer- nem Abfall. Schuld ist aber im Grunde die Gemeinde. Ich dem ziemlich übermüdet gewesen sei. Aber was für ein meine, ist es nicht hirnverbrannt, dass mittlerweile 40 Mil- Triumph! Huber aus dem Parterre versenkte da seine alten lionen deutsche Haushalte zugleich 40 Millionen Mülltren- Winterreifen, Striezel aus dem Ersten mehrere Farbeimer nungsanlagen sind? In jeder deutschen Küche stehen und Lackdosen, Körners von oben waren anscheinend der inzwischen fünf oder sechs verschiedene Müllbehältnisse Meinung, dass ihr zusammengekrachter Küchenstuhl sich zu herum. Altpapier, Altglas, Biomüll, Kunststoff, Metall, Rest- super Recyclingpapier machen ließe. Meine lieben Nachbarn, müll. Die kleineren Töpfe für Batterien, Energiesparlampen, Müllkriminelle allesamt. Man sollte diesen sauberen Herr- Farbe und Lacke, abgelaufene Medikamente und Plutonium schaften mal einen deutlichen Brief schreiben, dachte ich: noch gar nicht eingerechnet. Altkleidersäcke auch nicht. Elek- Sehr geehrter Herr Körner, Sie wurden am vergangenen Frei- Text: troschrott auch nicht. Ich kenne Leute, die essen nur noch tag um exakt 22:17 Uhr dabei beobachtet, wie sie einen de- Daniel Schnorbusch, auswärts, weil sie ihre Küche nicht mehr betreten können. fekten Küchenstuhl in die blaue... Aber Fräulein Schröder, Illustration: Stehen ja überall diese Tonnen herum. Und es stinkt so er- der ich diese Idee vortrug, starrte mich nur entgeistert an. Jana Konschak bärmlich, dass selbst die Schaben und Ameisen lieber drau- Und die Melkfuß, was war nur mit der Melkfuß? Nach sieben ßen bleiben. Ist das etwa nicht Grund genug für ein kleines ergebnislosen Tagen fand ich schließlich, dass ich das Ganze bisschen zivilen Ungehorsam? Für die Entscheidung, sich dann doch mal etwas beschleunigen müsste. Ich stellte mir dann doch lieber nur mit einem einzigen Mülleimer zu be- den Wecker auf drei Uhr nachts, schlich mich die drei Stock- gnügen und zugleich die Forschung ganz praktisch vor die werke hinunter und in den Keller und schleppte aus der hin- edle Herausforderung zu stellen, beizeiten eine vollautoma- tersten Ecke unseres Kellerabteils ein schön rostiges, altes tische Sortieranlage zu entwickeln? Frau Melkfuß sah das Ölfass hoch, das ich direkt vor den Briefkästen platzierte. wohl irgendwie nicht so. Ein asoziales Subjekt sei ich, ein Melkfuß würde einen Herzinfarkt bekommen und umge- Müllgebührenhochtreiber, ein Schmarotzer, Schmutzfink, hend zur Tat schreiten. Und dann, tja und dann ... Allein, es studierter Abschaum, damischer. Im Schutze der Nacht kam dann doch etwas anders. Morgens um sieben läutete es

würde ich mein finsteres Geschäft betreiben, dann wenn’s Sturm. Die Hausmeisterin stand da mit hochrotem Kopf. Sie AUTOR DER keiner sehe. Oder besser: dann wenn ich glaubte, es sähe kei- sagte nichts, sie schnaufte nur, sie pumpte wie ein Käfer kurz Dr. Daniel Schnorbusch ner. Aber nicht mit ihr! Meinen eher zaghaft vorgebrachten vor dem Abflug. Der Besen in ihrer Hand zitterte. Dann geboren 1961 in Bremen, Einwand, dass ich doch gewiss nicht der Einzige sei, wischte reichte sie mir ein Blatt Papier. Es war ein Fotoausdruck mit aufgewachsen in Hamburg, sie mit einem drohenden Wedeln ihres Besens kurzerhand Datum und Zeitangabe. 3:17 Uhr war da darauf gedruckt. Es Studium der Germanistischen vom Tisch. Ungeheuerlich sei das ja, jetzt auch noch die un- war ein Mann darauf zu sehen, der unten im Haus vor den und Theoretischen Linguistik, bescholtenen Mitbewohner anzuschwärzen. Ich meine auch Briefkästen stand und mit beiden Händen ein großes Fass Literaturwissenschaft und Philosophie in München, ❘❙❚ gehört zu haben, dass sie den Vorfall dem Hauswirt melden umklammert hielt. ebendort aus familiären wollte. Niedergeschlagen und zornig zugleich stieg ich die Gründen und nicht mal Treppen zu unserer Wohnung hinauf. Der prall gefüllte Rest- ungern hängen geblieben, müllsack schlenkerte mir gegen die Knie. »Die kann mich arbeitet als Lehrer, Dozent und freier Autor. doch mal! Die kann mich doch mal kreuzweis!«, dachte ich, 66Vorschau_RZ.qxp:Layout 1 15.03.12 18:15 Seite 64

64 Kultur & Technik 2/2012 Vorschau Ausgabe 3/2012 erscheint im Juli 2012

Moldavit aus der Tschechi- schen Republik. Moldavite sind grüne natürliche Gläser. Geologen vermuten, dass die Gebilde vor fünfzehn Millio- nen Jahren beim Einschlag eines Meteoriten in Bayern (Nördlinger Ries) entstanden und durch den Aufprall bis in die Tschechische Republik geschleudert wurden.

Am Glasbläserstand des Deutschen Museums erleben die Besucher die Entstehung kunstvoller Glasobjekte.

Ein Werkstoff mit vielen Facetten Als »Glas« werden zunächst alle Stoffe bezeichnet, die sich in Für unsere nächste Ausgabe haben wir nachgefragt: Was einem »glasigen« Zustand befinden. Eine kaum überschau- ist Glas? Welche chemischen und pysikalischen Eigenschaften bare Palette an industriell gefertigten Gläsern gehört ebenso hat dieser vielseitige Stoff? Unsere Autorinnen und Autoren dazu wie die unterschiedlichsten natürlichen Gläser. Obsi- erläutern die Herstellung von Glasfasern und Flachglas und diane beispielsweise ähneln unserem Glas sehr. Sie sind wahr- stellen luxuriöse, künstlerische Gefäße aus Glas vor. Sie haben scheinlich vulkanischen Ursprungs. Glasbläser vom Glasbläserstand des Deutschen Museums be- Schon vor ca. 7000 Jahren haben Menschen Gegenstände sucht und berichten über geheimnisvolle Obsidiane. Wir aus Glas hergestellt: Perlen beispielsweise oder glasartige Gla- laden Sie außerdem zu einem Abstecher in die Ausstellung suren für Keramiken. Als Ausgangsmaterialien dienten Sand, Glastechnik ein. Hier werden zahlreiche aktuelle und histo- Asche und Kreide. Für Wissenschaftler ist »Glas« bis heute rische Verfahren der Glasverarbeitung gezeigt und erläutert. ein spannender Werkstoff geblieben, der noch nicht alle Ge- heimnisse preisgegeben hat.

Impressum

Das Magazin Verlag: Verlag C.H.Beck oHG, Wilhelmstraße 9, Repro: Rehmbrand, Rehms & Brandl Medientechnik Bestellungen von Kultur & Technik über jede Buch- aus dem Deutschen Museum 80801 München; Postfach 40 0340, 80703 München, GmbH, Friedenstraße 18, 81671 München handlung und beim Verlag. Abbestellungen mindes- Telefon (089) 381 89-0, Telefax (089) 38189-398, tens sechs Wochen vor Jahresende beim Verlag. Postbank: München 62 29-802, www.beck.de; Der Druck und Bindung: Memminger MedienCentrum, Abo-Service: Telefon (089) 3 81 89-679 36. Jahrgang Verlag ist oHG. Gesellschafter sind Dr. Hans Dieter Fraunhoferstraße 19, 87700 Memmingen Beck und Dr. h.c. Wolfgang Beck, beide Verleger in Versand: Druckerei C.H.Beck, Niederlassung des * * * * * Herausgeber: Deutsches Museum München München. Verlags C.H.Beck oHG, Bergerstr. 3, 86720 Nördlingen Museumsinsel 1 Wissenschaftlicher Beirat: Dr. Frank Dittmann 80538 München Bezugspreis 2012: Jährlich 26,– €; Die Zeitschrift erscheint vierteljährlich. Sie und (Kurator Energietechnik, Starkstromtechnik, Auto- Postfach 80306 München Einzelheft 7,80 €, jeweils zuzüglich Versandkosten alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen Telefon (089) 21 79-1 mation), Dr. Johannes-Geert Hagmann (Kurator sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung www.deutsches-museum.de Physik, Geodäsie, Geophysik), Dr. Nina Möllers Für Mitglieder des Deutschen Museums ist der Preis außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts - (Forschungsinstitut), PD Dr. Elisabeth Vaupel (For- für den Bezug der Zeitschrift im Mitglieds bei trag ent- gesetzes bedarf der Zustimmung des Verlags. Der Gesamtleitung: Rolf Gutmann (Deutsches Museum), schungsinstitut), Bernhard Weidemann (Leiter halten (Erwachsene 52,– € , Schüler und Studenten Verlag haftet nicht für unverlangt eingesandte Bei- Dr. Stefan Bollmann (Verlag C.H. Beck, verantwortlich) Presse- und Öffentlichkeitsarbeit) 32, – €). Erwerb der Mit glied schaft: schriftlich beim träge und Bilddokumente. Die Redaktion behält Beratung: Professor Helmuth Trischler Herstellung: Bettina Seng, Verlag C.H.Beck Deutschen Museum, 80306 München. Für Mitglieder sich vor, eingereichte Manuskripte zu prüfen und der Georg-Agricola-Gesellschaft zur Förderung der gegebenenfalls abzulehnen. Ein Recht auf Abdruck Redaktion: Sabrina Landes-Rachlé (Leitung), Andrea Anzeigen: Fritz Lebherz (verantwortlich), Verlag Ge schich te der Na turwissen schaften und der Technik besteht nicht. Namentlich gekennzeichnete Bei- Bistrich, Manfred Grögler (Korrektorat), Birgit Schwin- C.H.Beck oHG, Anzeigen-Abteilung, Wilhelmstraße e. V. ist der Preis für den Bezug der Zeitschrift im Mit- träge geben nicht unbedingt die Meinung der Re- tek (Grafik), Bärbel Bruckmoser (Produktion) 9, 80801 München; Postfach 400340, 80703 Mün- gliedsbeitrag enthalten. Weitere Infor mationen: daktion wieder. Günderodestraße 24, 81827 München, Telefon (089) chen; Telefon (089) 38189-598, Telefax (089) 38189- Georg-Agricola-Gesellschaft, Institut für Wissen - 12 11 67-12, Fax (089) 121167-27, E-Mail: 599. Zurzeit gilt Anzeigenpreisliste Nr. 27, Anzei- schafts- und Technikgeschichte, TU Bergakademie i v [email protected], www.publishnet.de genschluss: sechs Wochen vor Erscheinen. Freiberg, 09596 Freiberg, Telefon (03731) 39 34 06 ISSN 0344-5690 w Abbildungen: Deutsches Museum; wikipedia Abbildungen: Deutsches