Plenarprotokoll 19/124 (neu)

Deutscher

Stenografischer Bericht

124. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Inhalt:

Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeord- Dr. Eva Högl (SPD) ...... 15299 D neten ...... 15291 A Roman Johannes Reusch (AfD) ...... 15300 C Begrüßung der neuen Abgeordneten Dr. Joe Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) . . 15301 B Weingarten, und Dr. ...... 15291 A (AfD) ...... 15302 A Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- Dr. Jürgen Martens (FDP) ...... 15302 C nung ...... 15291 B Axel Müller (CDU/CSU) ...... 15303 B Absetzung der Tagesordnungspunkte 6 b, 35 i, Dr. Jürgen Martens (FDP) ...... 15303 D 17 b und 15 ...... 15292 D Dr. (SPD) ...... 15304 C Nachträgliche Ausschussüberweisungen ...... 15293 A Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) ...... 15305 C

Tagesordnungspunkt 3: Tagesordnungspunkt 4: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent- a) Erste Beratung des von den Abgeordneten wurfs eines Gesetzes zur Modernisierung , Tobias Matthias Peterka, des Strafverfahrens , weiteren Abgeordneten Drucksache 19/14747 ...... 15293 D und der Fraktion der AfD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: des Grundgesetzes zum Schutz der Bar- Eckpunkte zur Modernisierung des geldnutzung (Artikel 14) Strafverfahrens Drucksache 19/14761 ...... 15306 C Drucksache 19/10388 ...... 15293 D c) Antrag der Abgeordneten Stephan b) Beratung der Antwort der Bundesregie- Thomae, Dr. Jürgen Martens, Grigorios rung auf die Große Anfrage der Abgeord- Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der neten , , Fraktion der FDP: Strafprozesse effekti- Dr. , ver, schneller, moderner und praxistaug- und der Fraktion der AfD: De facto-Be- licher gestalten steuerung und -Entwertung von Bargeld Drucksache 19/14244 ...... 15293 D Drucksachen 19/8124, 19/10144 ...... 15306 C Christian Lange, Parl. Staatssekretär BMJV . . 15294 A Stefan Keuter (AfD) ...... 15306 D Thomas Seitz (AfD) ...... 15294 D (CDU/CSU) ...... 15308 A (CDU/CSU) ...... 15295 D (FDP) ...... 15296 D Tagesordnungspunkt 5: (DIE LINKE) ...... 15297 C Vereinbarte Debatte: Zukunft der berufli- (BÜNDNIS 90/ chen Bildung in der digitalen Arbeitswelt DIE GRÜNEN) ...... 15298 D (CDU/CSU) ...... 15309 B II Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. , Donnerstag, den 7. November 2019

Nicole Höchst (AfD) ...... 15310 C f) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu (SPD) ...... 15312 A dem Antrag der Abgeordneten Pascal Dr. (Rhein-Neckar) (FDP) . 15313 D Kober, , Grigorios Dr. Birke Bull-Bischoff (DIE LINKE) ...... 15314 C Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Hartz IV entbürokra- Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/ tisieren – Bagatellgrenze einführen DIE GRÜNEN) ...... 15315 B Drucksachen 19/14064, 19/14469 ...... 15322 A Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU) ...... 15316 C (DIE LINKE) ...... 15322 A Dr. h. c. (FDP) ...... 15317 D Dr. (CDU/CSU) ...... 15323 C Marja-Liisa Völlers (SPD) ...... 15318 B Jörg Schneider (AfD) ...... 15324 C (DIE LINKE) ...... 15319 B (Wetzlar) (SPD) ...... 15325 B (CDU/CSU) ...... 15320 A (FDP) ...... 15326 B (CDU/CSU) ...... 15320 D Sven Lehmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 15327 D (CDU/CSU) ...... 15329 B Tagesordnungspunkt 6: (DIE LINKE) ...... 15330 C a) Antrag der Abgeordneten Katja Kipping, Matthias W. Birkwald, , Kai Whittaker (CDU/CSU) ...... 15331 A weiterer Abgeordneter und der Fraktion (AfD) ...... 15331 B DIE LINKE: Hartz IV überwinden – Für gute Arbeit und soziale Garantien Dr. (SPD) ...... 15332 C Drucksache 19/14788 ...... 15321 C (Chemnitz) (CDU/CSU) ...... 15333 C c) Beschlussempfehlung und Bericht des Angelika Glöckner (SPD) ...... 15334 D Ausschusses für Arbeit und Soziales – zu dem Antrag der Abgeordneten Pascal (CDU/CSU) ...... 15335 C Kober, Michael Theurer, Johannes Vogel (Olpe), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Rechtssi- Tagesordnungspunkt 35: cherheit für die Kommunen und Job- center – Berechnung der Kosten der a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Unterkunft in der Grundsicherung , , Stephan vereinfachen Brandner, weiteren Abgeordneten und der – zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Fraktion der AfD eingebrachten Entwurfs Kipping, Caren Lay, Matthias W. eines … Gesetzes zur Änderung des Birkwald, weiterer Abgeordneter und Strafgesetzbuches – Gesetz zur straf- der Fraktion DIE LINKE: Wohnkosten- rechtlichen Harmonisierung von § 252 lücke schließen – Kosten der Unter- Strafgesetzbuch kunft existenzsichernd gestalten Drucksache 19/14764 ...... 15337 A Drucksachen 19/7030, 19/6526, 19/9324 . . 15321 D b) Erste Beratung des von den Abgeordneten d) Beschlussempfehlung und Bericht des Stephan Brandner, Marcus Bühl, Matthias Ausschusses für Arbeit und Soziales zu Büttner, weiteren Abgeordneten und der dem Antrag der Abgeordneten Susanne Fraktion der AfD eingebrachten Entwurfs Ferschl, Katja Kipping, Matthias W. eines Gesetzes zur Aufhebung des Nut- Birkwald, weiterer Abgeordneter und der zungszwangs im elektronischen Rechts- Fraktion DIE LINKE: Sozialstaat stär- verkehr mit den Gerichten ken – Hartz IV sofort auf 582 Euro erhö- Drucksache 19/13735 ...... 15337 B hen c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Drucksachen 19/10621, 19/14217 ...... 15321 D , , Thomas e) Beschlussempfehlung und Bericht des L. Kemmerich, weiteren Abgeordneten Ausschusses für Arbeit und Soziales zu und der Fraktion der FDP eingebrachten dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gesine Entwurfs eines Gesetzes zum umfassen- Lötzsch, Susanne Ferschl, Lorenz Gösta den Wirtschafts- und Handelsabkom- Beutin, weiterer Abgeordneter und der men (CETA) vom 30. Oktober 2016 zwi- Fraktion DIE LINKE: Verwaltungskosten schen Kanada einerseits und der der Jobcenter senken – Bagatellgrenze Europäischen Union und ihren Mit- für Rückforderungen anheben gliedsstaaten andererseits Drucksachen 19/11097, 19/14202 ...... 15321 D Drucksache 19/14783 ...... 15337 B Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 III d) Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Gleichbehandlungsgesetz und Behinder- , , wei- tengleichstellungsgesetz umfassend terer Abgeordneter und der Fraktion DIE überarbeiten LINKE: Clubsterben stoppen Drucksache 19/14760 ...... 15338 B Drucksache 19/14156 ...... 15337 C o) Antrag der Abgeordneten Sören Pellmann, e) Antrag der Abgeordneten , Susanne Ferschl, Doris Achelwilm, weite- Dr. , Dr. , rer Abgeordneter und der Fraktion DIE weiterer Abgeordneter und der Fraktion LINKE: Menschenrecht auf Barriere- der AfD: Für ein Waffengesetz mit Au- freiheit garantieren – Europäischen genmaß – Kein Generalverdacht gegen Rechtsakt zur Barrierefreiheit umsetzen legale Waffenbesitzer Drucksache 19/14759 ...... 15338 B Drucksache 19/14504 ...... 15337 C p) Antrag der Abgeordneten Sören Pellmann, f) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und Susanne Ferschl, Doris Achelwilm, weite- SPD: 30 Jahre Mauerfall und Reisefrei- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE heit – Erfolgsgeschichte Tourismus LINKE: Menschenrecht auf barriere- Drucksache 19/14750 ...... 15337 C freie Schutzräume und Notrufsysteme garantieren – UN-Behindertenrechts- g) Antrag der Abgeordneten Dr. Götz konvention umsetzen Frömming, Dr. , Martin Erwin Drucksache 19/14758 ...... 15338 C Renner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD: 30 Jahre Mauerfall – q) Antrag der Abgeordneten Sören Pellmann, Errichtung eines Denkmals für die Op- Susanne Ferschl, Doris Achelwilm, weite- fer des Sozialismus beziehungsweise rer Abgeordneter und der Fraktion DIE Kommunismus in Berlin LINKE: Menschenrecht auf Barriere- Drucksache 19/14765 ...... 15337 D freiheit in der Gesundheits- und Pflege- versorgung garantieren – UN-Behinder- h) Antrag der Abgeordneten Dr. Bruno tenrechtskonvention umsetzen Hollnagel, , Dr. Michael Drucksache 19/14757 ...... 15338 C Espendiller, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD: Marktwirtschaft r) Antrag der Abgeordneten Sören Pellmann, und Subsidiarität erhalten statt Sustai- Susanne Ferschl, Doris Achelwilm, weite- nable Finance rer Abgeordneter und der Fraktion DIE Drucksache 19/14684 ...... 15337 D LINKE: Menschenrecht auf Barriere- freiheit in Kultur, Sport und Tourismus k) Antrag der Abgeordneten , garantieren – UN-Behindertenrechts- , , weite- konvention umsetzen rer Abgeordneter und der Fraktion der Drucksache 19/14756 ...... 15338 D FDP: Digitalisierung der Archive der DDR-Opposition s) Antrag der Abgeordneten Sören Pellmann, Drucksache 19/14728 ...... 15338 A Susanne Ferschl, Doris Achelwilm, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE l) Antrag der Abgeordneten Reinhard LINKE: Menschenrecht auf barrierefrei Houben, Michael Theurer, Thomas L. ausgestaltete Medien garantieren – UN- Kemmerich, weiterer Abgeordneter und Behindertenrechtskonvention umsetzen der Fraktion der FDP: Postreform vollen- Drucksache 19/14755 ...... 15338 D den – Für mehr Qualität und fairen Wettbewerb t) Antrag der Abgeordneten Sören Pellmann, Drucksache 19/14727 ...... 15338 A Susanne Ferschl, Doris Achelwilm, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE m) Antrag der Abgeordneten Mario Branden- LINKE: Menschenrecht auf barriere- burg (Südpfalz), Katja Suding, Grigorios freie politische Teilhabe garantieren – Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der UN-Behindertenrechtskonvention um- Fraktion der FDP: Bildungsnachweise auf setzen die Blockchain – Bürgerinnen und Drucksache 19/14754 ...... 15339 A Bürger entlasten, Verwaltungsprozesse beschleunigen u) Antrag der Abgeordneten Sören Pellmann, Drucksache 19/14784 ...... 15338 A Susanne Ferschl, Doris Achelwilm, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE n) Antrag der Abgeordneten Sören Pellmann, LINKE: Menschenrecht auf Barriere- Susanne Ferschl, Doris Achelwilm, weite- freiheit in allen Lebensbereichen garan- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE tieren – Barrierefreien Wohn- und Le- LINKE: Menschenrecht auf Barriere- bensraum schaffen freiheit garantieren – Allgemeines Drucksache 19/14753 ...... 15339 A IV Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 v) Antrag der Abgeordneten Sören Pellmann, e) Antrag der Abgeordneten , Susanne Ferschl, Doris Achelwilm, weite- , Christian Kühn (Tübin- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE gen), weiterer Abgeordneter und der Frak- LINKE: Menschenrecht auf barriere- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die freie Mobilität garantieren – UN-Behin- Zukunft von Berlin TXL – The Urban dertenrechtskonvention umsetzen Tech Republic Drucksache 19/14752 ...... 15339 A Drucksache 19/14826 ...... 15339 D x) Antrag des Bundesministeriums für Wirt- f) Antrag der Abgeordneten , schaft und Energie: Vertrag gemäß Arti- Michael Theurer, Johannes Vogel (Olpe), kel 1 § 6 des Gesetzes zur Neuordnung weiterer Abgeordneter und der Fraktion der ERP-Wirtschaftsförderung in der der FDP: UN-Behindertenrechtskonven- im Jahr 2019 novellierten Fassung tion erlebbar machen – Der Staat als (Durchführungsvertrag 2019) – Einho- Vorbild bei vollumfassender Barriere- lung eines zustimmenden Beschlusses freiheit des Deutschen Bundestages gemäß § 6 Drucksache 19/14787 ...... 15340 A Absatz 3 des ERP-Verwaltungsgesetzes Drucksache 19/14744 ...... 15339 B in Verbindung mit y) Beratung der Unterrichtung durch die Anti- diskriminierungsstelle des Bundes: Dritter Gemeinsamer Bericht der Antidiskrimi- Tagesordnungspunkt 35: nierungsstelle des Bundes und der in ih- w) Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting- rem Zuständigkeitsbereich betroffenen Uhl, Jürgen Trittin, , wei- Beauftragten der Bundesregierung und terer Abgeordneter und der Fraktion des Deutschen Bundestages – Diskrimi- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kündi- nierung in Deutschland gung des bilateralen Atomabkommens Drucksache 18/13060 ...... 15339 B mit Brasilien Drucksache 19/14824 ...... 15340 A in Verbindung mit

Tagesordnungspunkt 36: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung Zusatzpunkt 2: des von der Bundesregierung eingebrach- a) Antrag der Abgeordneten Dr. Konstantin ten Entwurfs eines Gesetzes zur Än- von Notz, , Stefan Schmidt, derung des Übereinkommens über den weiterer Abgeordneter und der Fraktion internationalen Eisenbahnverkehr (CO- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hotelmel- TIF) vom 9. Mai 1980 in der Fassung des depflicht abschaffen – Risiken für Da- Änderungsprotokolls vom 3. Juni 1999 tenmissbrauch verringern Drucksachen 19/13962, 19/14438 ...... 15340 C Drucksache 19/12372 ...... 15339 C b) Zweite und dritte Beratung des von den b) Antrag der Abgeordneten , Stefan Fraktionen der CDU/CSU und SPD einge- Schmidt, Dr. , weiterer Ab- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Erteilung der Zustimmung nach § 8 DIE GRÜNEN: Stabil und zukunftsfest – des Integrationsverantwortungsgesetzes Den Finanzplatz Europa zum Leitmarkt zum Vorschlag der Europäischen Kom- für Nachhaltigkeit machen mission für eine Verordnung des Rates Drucksache 19/14219 ...... 15339 C über Maßnahmen betreffend die Aus- führung und die Finanzierung des Ge- c) Antrag der Abgeordneten Bettina Stark- samthaushaltsplans der Union im Jahr Watzinger, Christian Dürr, Dr. Florian 2020 im Zusammenhang mit dem Aus- Toncar, weiterer Abgeordneter und der tritt des Vereinigten Königreiches aus Fraktion der FDP: Sustainable Finance – der Union (Brexit EU-Haushalt Ausfüh- Transparenz und Vielfalt schaffen – Ein- rungs- und Finanzierungsgesetz 2020 – heitliche EU-Taxonomie ablehnen BrexitHHG 2020) Drucksache 19/14785 ...... 15339 D Drucksachen 19/14021, 19/14470 ...... 15340 D d) Antrag der Abgeordneten Bettina Stark- c) Zweite und dritte Beratung des von der Watzinger, Christian Dürr, Dr. Florian Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Toncar, weiterer Abgeordneter und der eines Gesetzes zur Änderung des Geset- Fraktion der FDP: Eigentumsturbo – Mi- zes über die Preisstatistik tarbeiterbeteiligung schnell durchsetzen Drucksachen 19/13444, 19/14624, Drucksache 19/14786 ...... 15339 D 19/14844 ...... 15341 A Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 V d) Zweite und dritte Beratung des von der Zusatzpunkt 3: Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Beratung der Beschlussempfehlung des Aus- eines Gesetzes zur Änderung des Erdöl- schusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes bevorratungsgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Gesetz zur Drucksachen 19/13445, 19/14622, Durchführung des Zensus im Jahr 2021 19/14845 ...... 15341 B (Zensusgesetz 2021 – ZensG 2021) e) Zweite und dritte Beratung des von der Drucksachen 19/8693, 19/9766, 19/10699, Bundesregierung eingebrachten Entwurfs 19/10679, 19/11302, 19/14700 ...... 15343 D eines Gesetzes über die Ausbildung zur Stephan Brandner (AfD) (Erklärung nach § 10 Anästhesietechnischen Assistentin und Abs. 2 GO) ...... 15344 A zum Anästhesietechnischen Assistenten (Erfurt) (SPD) (Erklärung und über die Ausbildung zur Opera- nach § 31 GO) ...... 15344 D tionstechnischen Assistentin und zum Operationstechnischen Assistenten Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ Drucksachen 19/13825, 19/14872 ...... 15341 C DIE GRÜNEN) (Erklärung nach § 31 GO) 15345 A f) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien Zusatzpunkt 4: – zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/ Wahlvorschlag der Fraktion der AfD: Wahl CSU und SPD: 30 Jahre Friedliche Re- eines Stellvertreters des Präsidenten volution (2. Wahlgang) – zu dem Antrag der Abgeordneten Drucksache 19/13963 ...... 15345 D Thomas Hacker, Katja Suding, Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeord- (AfD) (zur Geschäftsordnung) . 15345 D neter und der Fraktion der FDP: 30 Jahre Friedliche Revolution – Errungen- Wahl ...... 15347 B schaft von Freiheit und Rechtsstaat- lichkeit verteidigen Ergebnis ...... 15352 D Drucksachen 19/10613, 19/10614, 19/14507 ...... 15342 A Zusatzpunkt 5: g) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und Wahlvorschlag der Fraktion der SPD: Wahl SPD: 30 Jahre nach der friedlichen Re- eines Mitglieds des Parlamentarischen volution – Aufbauleistungen würdigen, Kontrollgremiums gemäß Artikel 45d des gesamtdeutsches Fördersystem für Grundgesetzes strukturschwache Regionen stärken Drucksache 19/14751 ...... 15347 C Drucksache 19/14748 ...... 15342 B Wahl ...... 15347 D h)–q) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelüber- Ergebnis ...... 15363 C sichten 365, 366, 367, 368, 369, 370, 371, 372, 373 und 374 zu Petitionen Drucksachen 19/14391, 19/14392, Zusatzpunkt 6: 19/14393, 19/14394, 19/14395, 19/14396, 19/14397, 19/14398, 19/14399, 19/14400 . 15342 B Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Gegen Hassrede und Hasskriminalität – Für eine offene in Verbindung mit und freiheitliche Gesellschaft Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär BMI . . 15348 A Dr. Marc Jongen (AfD) ...... 15349 C Tagesordnungspunkt 35: Christian Lange, Parl. Staatssekretär BMJV . . 15351 A j) Antrag der Abgeordneten Martin Erwin Manuel Höferlin (FDP) ...... 15352 D Renner, , Marc (DIE LINKE) ...... 15354 A Bernhard, weiterer Abgeordneter und der Dr. (BÜNDNIS 90/ Fraktion der AfD: Annahme einer Ent- DIE GRÜNEN) ...... 15354 D schließung zum Gedenken des 50. Jah- restages des versuchten Bombenan- Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) . . 15356 A schlags auf das Jüdische Gemeindehaus (AfD) ...... 15357 A zu Berlin – Antisemitismus in jeder Form ächten Uli Grötsch (SPD) ...... 15358 C Drucksache 19/14766 ...... 15343 C (CDU/CSU) ...... 15359 D VI Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Helge Lindh (SPD) ...... 15360 D Stephan Albani (CDU/CSU) ...... 15381 A (CDU/CSU) ...... 15361 D Dr. Manja Schüle (SPD) ...... 15381 D Susann Rüthrich (SPD) ...... 15362 D Dr. (CDU/CSU) ...... 15383 A Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU) . 15363 D Tagesordnungspunkt 9: Tagesordnungspunkt 7: a) – Zweite und dritte Beratung des von der a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Bundesregierung eingebrachten Entwurfs wurfs eines Gesetzes zur weiteren eines Gesetzes für eine bessere Versor- steuerlichen Förderung der Elektro- gung durch Digitalisierung und Inno- mobilität und zur Änderung weiterer vation (Digitale-Versorgung-Gesetz – steuerlicher Vorschriften DVG) Drucksachen 19/13436, 19/13712, Drucksachen 19/13438, 19/13548, 19/14232, Nr. 1.10, 19/14873, 19/14909 15383 D 19/14867 ...... 15364 D – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung b) Beschlussempfehlung und Bericht des Drucksache 19/14874 ...... 15383 D Ausschusses für Gesundheit zu dem An- trag der Abgeordneten Maria Klein- b) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- Schmeink, Kordula Schulz-Asche, nanzausschusses Dr. Kirsten Kappert-Gonther, weiterer Ab- – zu dem Antrag der Abgeordneten Jimmy geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Schulz, , Grigorios DIE GRÜNEN: Der Digitalisierung im Aggelidis, weiterer Abgeordneter und Gesundheitswesen eine Richtung geben der Fraktion der FDP: Anerkennung und sie im Interesse der Nutzerinnen der Gemeinnützigkeit von Freifunk- und Nutzer vorantreiben Initiativen Drucksachen 19/13539, 19/14867 ...... 15365 A – zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Möhring, Doris Achelwilm, Dr. Roy Kühne (CDU/CSU) ...... 15365 A Simone Barrientos, weiterer Abgeordne- (AfD) ...... 15366 A ter und der Fraktion DIE LINKE: Um- (SPD) ...... 15367 A satzsteuer auf Menstruationsproduk- te absenken Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) ...... 15368 A – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. (DIE LINKE) ...... 15369 B Dr. , Frank Sitta, Dr. Christoph Hoffmann, weiterer Abge- Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ ordneter und der Fraktion der FDP: DIE GRÜNEN) ...... 15370 B Hilfe zur Selbsthilfe statt Bail-Out – , Bundesminister BMG ...... 15371 A Risikoausgleichsrücklage einführen Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ Drucksachen 19/6490, 19/10280, 19/4218, DIE GRÜNEN) ...... 15371 D 19/14873, 19/14909 ...... 15384 A (SPD) ...... 15373 B Dr. (SPD) ...... 15384 B (CDU/CSU) ...... 15374 B Kay Gottschalk (AfD) ...... 15385 A (CDU/CSU) ...... 15386 C

Tagesordnungspunkt 8: (FDP) ...... 15387 C Jörg Cezanne (DIE LINKE) ...... 15388 C Antrag der Abgeordneten Dr. Jens Branden- burg (Rhein-Neckar), Johannes Vogel (Olpe), Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . 15389 B Katja Suding, weiterer Abgeordneter und der (SPD) ...... 15390 B Fraktion der FDP: Niemals ausgelernt, im- mer neugierig – Ein zweites Bildungssystem (CDU/CSU) ...... 15391 B für das ganze Leben (CDU/CSU) ...... 15392 B Drucksache 19/14777 ...... 15375 B Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar) (FDP) . 15375 B Namentliche Abstimmungen ...... 15393 C, 15397 A Dr. (CDU/CSU) ...... 15376 B Ergebnisse ...... 15394 A, 15397 C Dr. Götz Frömming (AfD) ...... 15377 A (SPD) ...... 15378 A Tagesordnungspunkt 10: Dr. (DIE LINKE) ...... 15379 A a) – Zweite und dritte Beratung des von der Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/ Bundesregierung eingebrachten Ent- DIE GRÜNEN) ...... 15380 A wurfs eines Gesetzes zur steuerlichen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 VII

Förderung von Forschung und Ent- Tagesordnungspunkt 11: wicklung (Forschungszulagengesetz – a) Antrag der Abgeordneten Jürgen Trittin, FZulG) , Dr. , Drucksachen 19/10940, 19/11728, weiterer Abgeordneter und der Fraktion 19/13175 Nr. 11, 19/14875 ...... 15401 A BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Keine wei- – Bericht des Haushaltsausschusses ge- tere Eskalation in Hongkong – Das Prin- mäß § 96 der Geschäftsordnung zip „Ein Land, zwei Systeme“ wahren Drucksache 19/14876 ...... 15401 A Drucksache 19/14823 ...... 15410 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- b) Beschlussempfehlung und Bericht des nanzausschusses zu dem Antrag der Abge- Ausschusses für Menschenrechte und hu- ordneten Dr. Götz Frömming, Dr. Michael manitäre Hilfe zu dem Antrag der Abge- Espendiller, Dr. , wei- ordneten Margarete Bause, , terer Abgeordneter und der Fraktion der Jürgen Trittin, weiterer Abgeordneter und AfD: Für ein innovationsfreundliches der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Steuersystem – Steuerliche Forschungs- NEN: Schwere Menschenrechtsverlet- und Entwicklungsförderung einführen zungen in Xinjiang beenden, aufklären Drucksachen 19/4844, 19/14875 ...... 15401 A und ahnden c) Zweite und dritte Beratung des von den Drucksachen 19/5544, 19/7294 ...... 15410 D Abgeordneten , Anja c) Beschlussempfehlung und Bericht des Hajduk, Dr. , weiteren Ausschusses für Menschenrechte und hu- Abgeordneten und der Fraktion BÜND- manitäre Hilfe zu dem Antrag der Abge- NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent- ordneten Margarete Bause, Jürgen Trittin, wurfs eines Gesetzes zur steuerlichen Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und Förderung von Forschung und Entwick- der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lung kleinerer und mittlerer Unterneh- NEN: 30 Jahre Niederschlagung der men (KMU-Forschungsförderungsge- friedlichen Proteste am Platz des Himm- setz) lischen Friedens – Für eine umfassende Drucksachen 19/4827, 19/7958 ...... 15401 B Aufarbeitung und die Achtung der Bürger- und Menschenrechte d) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- Drucksachen 19/10222, 19/14277 ...... 15411 A nanzausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten , Dr. h. c. Thomas Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 15411 A Sattelberger, Dr. , weiterer Michael Brand (Fulda) (CDU/CSU) ...... 15412 A Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Dr. (AfD) ...... 15413 B Einführung einer steuerlichen For- schungsförderung (SPD) ...... 15414 B Drucksachen 19/3175, 19/7958 ...... 15401 B Bijan Djir-Sarai (FDP) ...... 15415 C Dr. Manja Schüle (SPD) ...... 15401 C (DIE LINKE) ...... 15416 B Stefan Keuter (AfD) ...... 15402 C (CDU/CSU) ...... 15417 B Dr. Thomas de Maizière (CDU/CSU) ...... 15403 C (SPD) ...... 15418 A Sebastian Brehm (CDU/CSU) ...... 15418 D Katja Hessel (FDP) ...... 15404 C (DIE LINKE) ...... 15405 B Tagesordnungspunkt 16: Dr. DanyalBayaz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 15406 B a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Dr. h. c. (UnivKyiv) wurfs eines Gesetzes zur Entlastung (CDU/CSU) ...... 15407 B unterhaltsverpflichteter Angehöriger (Heidelberg) (SPD) ...... 15408 A in der Sozialhilfe und in der Einglie- derungshilfe (Angehörigen-Entlas- Fritz Güntzler (CDU/CSU) ...... 15409 A tungsgesetz) Drucksachen 19/13399, 19/14384, 19/14495 Nr. 4, 19/14868 ...... 15420 A – Bericht des Haushaltsausschusses ge- Zusatzpunkt 13: mäß § 96 der Geschäftsordnung Beratung der Beschlussempfehlung des Aus- Drucksache 19/14869 ...... 15420 B schusses für Wahlprüfung, Immunität und Ge- b) Beschlussempfehlung und Bericht des schäftsordnung: Antrag auf Genehmigung Ausschusses für Arbeit und Soziales zu zur Durchführung eines Strafverfahrens dem Antrag der Abgeordneten Corinna Drucksache 19/14916 ...... 15410 C Rüffer, , Markus Kurth, wei- VIII Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

terer Abgeordneter und der Fraktion (CDU/CSU) ...... 15443 B BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: 10 Jahre Dr. (SPD) ...... 15444 B UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland – 10 Punkte für ein selbst- bestimmtes Leben Zusatzpunkt 7: Drucksachen 19/8288, 19/14868 ...... 15420 B Antrag der Abgeordneten Alexander Graf , Bundesminister BMAS ...... 15420 C Lambsdorff, Grigorios Aggelidis, , Jürgen Pohl (AfD) ...... 15421 C weiterer Abgeordneter und der Fraktion der (CDU/CSU) ...... 15422 B FDP: Missbilligung von Äußerungen und Amtsführung des Bundesministers des Aus- Jens Beeck (FDP) ...... 15423 B wärtigen Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) ...... 15424 B Drucksache 19/14778 ...... 15445 B Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/ Alexander Graf Lambsdorff (FDP) ...... 15445 B DIE GRÜNEN) ...... 15425 B Jürgen Hardt (CDU/CSU) ...... 15446 C Peter Aumer (CDU/CSU) ...... 15426 B (AfD) ...... 15447 C Angelika Glöckner (SPD) ...... 15427 A (SPD) ...... 15448 C (CDU/CSU) ...... 15427 D Tobias Pflüger (DIE LINKE) ...... 15449 C Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ Tagesordnungspunkt 13: DIE GRÜNEN) ...... 15450 C Antrag der Abgeordneten Dr. Heiko Heßenkemper, Steffen Kotré, Enrico Tagesordnungspunkt 12: Komning, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD: Energieversorgung Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Deutschlands gewährleisten – Nord desregierung eingebrachten Entwurfs eines Stream 2 vor der Sanktionspolitik schützen Gesetzes für bessere und unabhängigere Drucksache 19/14763 ...... 15429 B Prüfungen (MDK-Reformgesetz) Drucksachen 19/13397, 19/13547, 19/14871 . . 15452 B Steffen Kotré (AfD) ...... 15429 B Dr. , Parl. Staatssekretär Mark Helfrich (CDU/CSU) ...... 15430 A BMG ...... 15452 C Dr. (FDP) ...... 15431 B (AfD) ...... 15453 B TimonGremmels (SPD) ...... 15432 A Sabine Dittmar (SPD) ...... 15454 D Klaus Ernst (DIE LINKE) ...... 15433 C Dr. (FDP) ...... 15455 D Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 15434 C (SPD) ...... 15456 C Dr. (CDU/CSU) ...... 15435 B

Tagesordnungspunkt 17: Tagesordnungspunkt 14: a) Antrag der Abgeordneten Sevim – Zweite und dritte Beratung des von der Dağdelen, , Heike Hänsel, Bundesregierung eingebrachten Entwurfs weiterer Abgeordneter und der Fraktion eines Gesetzes zur Regelung des Sozialen DIE LINKE: Friedensprozesse in Syrien Entschädigungsrechts fördern, Völkerrecht wiederherstellen Drucksachen 19/13824, 19/14870 ...... 15436 B Drucksache 19/8357 ...... 15457 D – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß c) Beschlussempfehlung und Bericht des § 96 der Geschäftsordnung Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag Drucksache 19/14879 ...... 15436 B der Abgeordneten Heike Hänsel, Sevim , Parl. Staatssekretärin BMAS . 15436 C Dağdelen, Dr. Alexander S. Neu, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LIN- Uwe Witt (AfD) ...... 15437 C KE: Militärische Angriffe von den USA Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . . . 15438 C und der Türkei auf Syrien als völker- Jens Beeck (FDP) ...... 15439 C rechtswidrig verurteilen Drucksachen 19/2518, 19/5027 ...... 15458 A Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) ...... 15440 C d) Beschlussempfehlung und Bericht des (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . 15441 C Ausschusses für Menschenrechte und hu- Dr. (SPD) ...... 15442 C manitäre Hilfe zu dem Antrag der Abge- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 IX

ordneten Kai Gehring, Katja Keul, ter und der Fraktion DIE LINKE: , weiterer Abgeordneter Frauen- und Mädchenrechte stärken – und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Gesundheit und Bildung für alle welt- NEN: Syrien – Beweise sichern, Völker- weit straftaten ahnden – zu dem Antrag der Abgeordneten Drucksachen 19/1876, 19/5029 ...... 15458 A , , Anja e) Beschlussempfehlung und Bericht des Hajduk, weiterer Abgeordneter und der Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: der Abgeordneten Agnieszka Brugger, Das Recht von Mädchen auf Bildung Omid Nouripour, Katja Keul, weiterer Ab- und Gesundheit in Krisen- und Kon- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ fliktgebieten stärken und die G7-De- DIE GRÜNEN: Völkerrecht in Syrien klaration zügig und konsequent um- hochhalten – Eskalation verhindern setzen und den politischen Prozess vorantrei- Drucksachen 19/11103, 19/6439, 19/14866 15466 C ben Drucksachen 19/2513, 19/5028 ...... 15458 A in Verbindung mit f) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag Zusatzpunkt 8: der Abgeordneten Agnieszka Brugger, (Augsburg), Cem Özdemir, Antrag der Abgeordneten Dr. Christoph weiterer Abgeordneter und der Fraktion Hoffmann, Alexander Graf Lambsdorff, Till BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Militärof- Mansmann, weiterer Abgeordneter und der fensive der Türkei in aller Schärfe als Fraktion der FDP: Weltbevölkerungskonfe- völkerrechtswidrig verurteilen und renz einberufen – Klimawandel, Lebens- klare Konsequenzen ziehen mittelversorgung und Bevölkerungswachs- Drucksachen 19/14094, 19/14865 ...... 15458 B tum gemeinsam bewältigen Drucksache 19/14779 ...... 15466 C Markus Grübel (CDU/CSU) ...... 15458 B

Armin-Paulus Hampel (AfD) ...... 15459 A in Verbindung mit Siemtje Möller (SPD) ...... 15460 A (FDP) ...... 15461 A Zusatzpunkt 9: Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE Antrag der Abgeordneten , GRÜNEN) ...... 15462 A , Alexander Graf Lambsdorff, (CDU/CSU) ...... 15463 A weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Finanzierungslücken durch wegfal- lende US-Finanzierung im Rahmen der Tagesordnungspunkt 18: Global Gag Rule schließen Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD und Drucksache 19/14780 ...... 15466 D BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Deutsches Dr. , Parl. Staatssekretärin Auslandsschulwesen weiter stärken und BMZ ...... 15466 D auf breiter Basis entwickeln (AfD) ...... 15467 C Drucksache 19/14818 ...... 15464 B (CDU/CSU) ...... 15464 B Norbert Kleinwächter (AfD) ...... 15465 B Tagesordnungspunkt 20: Erste Beratung des von den Fraktionen FDP, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Tagesordnungspunkt 19: NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes a) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und zur Änderung des Grundgesetzes (Ände- SPD: 25 Jahre Weltbevölkerungskonfe- rung des Artikels 3 Absatz 3 – Einfügung renz von Kairo – Sexuelle und reproduk- des Merkmals sexuelle Identität) tive Gesundheit und reproduktive Rech- Drucksache 19/13123 ...... 15468 D te weltweit stärken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 15468 D Drucksache 19/14749 ...... 15466 B Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) ...... 15469 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusam- Fabian Jacobi (AfD) ...... 15470 C menarbeit und Entwicklung Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD) ...... 15471 C – zu dem Antrag der Abgeordneten Helin , Eva-Maria Schreiber, Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar) (FDP) . 15472 C , weiterer Abgeordne- Doris Achelwilm (DIE LINKE) ...... 15473 B X Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Tagesordnungspunkt 21: Dr. (FDP) ...... 15503 B Erste Beratung des von der Bundesregierung Frank Schäffler (FDP) ...... 15503 D eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fabio De Masi (DIE LINKE) ...... 15504 B Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . 15505 B Drucksache 19/14685 ...... 15474 B Anlage 3 Tagesordnungspunkt 22: Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. (DIE LINKE) zu der Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Abstimmung über die Beschlussempfehlung desregierung eingebrachten Entwurfs eines des Petitionsausschusses: Sammelübersicht Gesetzes zur Änderung des Energiewirt- 365 zu Petitionen auf Drucksache 19/14391 schaftsgesetzes zur Umsetzung der Richtli- (Tagesordnungspunkt 36 h) ...... 15505 D nie (EU) 2019/692 des Europäischen Parla- mentes und des Rates über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt Anlage 4 Drucksachen 19/13443, 19/14285, 19/14495 Nr. 2, 19/14878 ...... 15474 B Erklärungen des Abgeordneten Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) zur Beschlussemp- Steffen Kotré (AfD) ...... 15474 C fehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Dr. Götz Frömming (AfD) Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu (zur Geschäftsordnung) ...... 15475 B dem Gesetz zur Durchführung des Zensus im Jahr 2021 (Zensusgesetz 2021 – ZensG 2021) Norbert Kleinwächter (AfD) (Zusatzpunkt 3) ...... 15506 C (zur Geschäftsordnung) ...... 15475 C

Namentliche Abstimmung ...... 15475 D Anlage 5 Ergebnis ...... 15476 C Ergebnis und Namensverzeichnis der Mitglie- der des Deutschen Bundestages, die an der Nächste Sitzung ...... 15476 C Wahl eines Stellvertreters des Präsidenten des Deutschen Bundestages teilgenommen haben (2. Wahlgang) (Zusatzpunkt 4) ...... 15506 B Anlage 1 Entschuldigte Abgeordnete ...... 15499 A Anlage 6 Ergebnis und Namensverzeichnis der Mitglie- Anlage 2 der des Deutschen Bundestages, die an der Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Wahl eines Mitglieds des Parlamentarischen Kontrollgremiums gemäß Artikel 45d des a) des von den Abgeordneten Peter Grundgesetzes teilgenommen haben Boehringer, Tobias Matthias Peterka, (Zusatzpunkt 5) ...... 15510 A Stephan Brandner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der AfD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung Anlage 7 des Grundgesetzes zum Schutz der Bar- geldnutzung (Artikel 14) Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des b) der Antwort der Bundesregierung auf die von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Große Anfrage der Abgeordneten Stefan wurfs eines Gesetzes zur Regelung des Sozia- Keuter, Kay Gottschalk, Dr. Bruno len Entschädigungsrechts Hollnagel, Franziska Gminder und der (Tagesordnungspunkt 14) ...... 15513 A Fraktion der AfD: De facto-Besteuerung Torbjörn Kartes (CDU/CSU) ...... 15513 A und -Entwertung von Bargeld (Tagesordnungspunkt 4 a und b) ...... 15499 D Anlage 8 Dr. (CDU/CSU) ...... 15499 D Sepp Müller (CDU/CSU) ...... 15500 C Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Abgeordneten Alexander Graf Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD) ...... 15501 B Lambsdorff, Grigorios Aggelidis, Renata Alt, CanselKiziltepe (SPD) ...... 15501 C weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Missbilligung von Äußerungen und Dr. Jens Zimmermann (SPD) ...... 15502 A Amtsführung des Bundesministers des Aus- Tobias Matthias Peterka (AfD) ...... 15502 D wärtigen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 XI

(Zusatzpunkt 7) ...... 15514 A Claudia Roth (Augsburg), Cem Özdemir, (CDU/CSU) ...... 15514 A weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Militärof- Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU) ...... 15514 C fensive der Türkei in aller Schärfe als völ- Dr. (SPD) ...... 15515 A kerrechtswidrig verurteilen und klare Kon- sequenzen ziehen (Tagesordnungspunkt 17) ...... 15519 B Anlage 9 Dr. (CDU/CSU) ...... 15519 B Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Aydan Özoğuz (SPD) ...... 15520 A des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes für bessere und unab- Heike Hänsel (DIE LINKE) ...... 15520 B hängigere Prüfungen (MDK-Reformgesetz) (Tagesordnungspunkt 12) ...... 15515 D (CDU/CSU) ...... 15515 D Anlage 11 (CDU/CSU) ...... 15516 C Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD (DIE LINKE) ...... 15517 B und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Deutsches Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ Auslandsschulwesen weiter stärken und auf DIE GRÜNEN) ...... 15518 A breiter Basis entwickeln (Tagesordnungspunkt 18) ...... 15521 A Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU) ...... 15521 A Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung (Aachen) (SPD) ...... 15521 D a) des Antrags der Abgeordneten Sevim (FDP) ...... 15522 C Dağdelen, Kathrin Vogler, Heike Hänsel, Dr. (DIE LINKE) ...... 15523 A weiterer Abgeordneter und der Fraktion Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE LINKE: Friedensprozesse in Syrien DIE GRÜNEN) ...... 15523 D fördern, Völkerrecht wiederherstellen b) des Antrags der Abgeordneten , Armin-Paulus Hampel, Dr. Roland Hartwig, weiterer Abgeordneter und der Anlage 12 Fraktion der AfD: Für eine neue Syrienpo- Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung litik – Frieden sichern, Wiederaufbau för- dern a) des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU c) der Beschlussempfehlung und des Berichts und SPD: 25 Jahre Weltbevölkerungskon- des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- ferenz von Kairo – Sexuelle und reproduk- trag der Abgeordneten Heike Hänsel, tive Gesundheit und reproduktive Rechte Sevim Dağdelen, Dr. Alexander S. Neu, weltweit stärken weiterer Abgeordneter und der Fraktion b) der Beschlussempfehlung und des Berichts DIE LINKE: Militärische Angriffe von des Ausschusses für wirtschaftliche Zu- den USA und der Türkei auf Syrien als sammenarbeit und Entwicklung völkerrechtswidrig verurteilen – zu dem Antrag der Abgeordneten Helin d) der Beschlussempfehlung und des Berichts Evrim Sommer, Eva-Maria Schreiber, des Ausschusses für Menschenrechte und Sylvia Gabelmann, weiterer Abgeordne- humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Abge- ter und der Fraktion DIE LINKE: ordneten Kai Gehring, Katja Keul, Frauen- und Mädchenrechte stärken – Agnieszka Brugger, weiterer Abgeordneter Gesundheit und Bildung für alle welt- und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- weit NEN: Syrien – Beweise sichern, Völker- – zu dem Antrag der Abgeordneten straftaten ahnden Ottmar von Holtz, Uwe Kekeritz, Anja e) der Beschlussempfehlung und des Berichts Hajduk, weiterer Abgeordneter und der des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: trag der Abgeordneten Agnieszka Brugger, Das Recht von Mädchen auf Bildung Omid Nouripour, Katja Keul, weiterer Ab- und Gesundheit in Krisen- und Konflikt- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ gebieten stärken und die G7-Deklaration DIE GRÜNEN: Völkerrecht in Syrien zügig und konsequent umsetzen hochhalten – Eskalation verhindern und – des Antrags der Abgeordneten den politischen Prozess vorantreiben Dr. Christoph Hoffmann, Alexander Graf f) der Beschlussempfehlung und des Berichts Lambsdorff, Till Mansmann, weiterer Ab- des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- geordneter und der Fraktion der FDP: trag der Abgeordneten Agnieszka Brugger, Weltbevölkerungskonferenz einberufen – XII Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Klimawandel, Lebensmittelversorgung Anlage 14 und Bevölkerungswachstum gemeinsam Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung bewältigen des von der Bundesregierung eingebrachten – Beratung des Antrags der Abgeordneten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Till Mansmann, Olaf in der Beek, Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Alexander Graf Lambsdorff, weiterer Ab- Steuergestaltungen geordneter und der Fraktion der FDP: Fi- (Tagesordnungspunkt 21) ...... 15530 B nanzierungslücken durch wegfallende US- Finanzierung im Rahmen der Global Gag Sebastian Brehm (CDU/CSU) ...... 15530 B Rule schließen Fritz Güntzler (CDU/CSU) ...... 15531 B (Tagesordnungspunkt 19 sowie Zusatzpunkt 8 und 9) ...... 15524 D (SPD) ...... 15532 A (AfD) ...... 15532 C Dr. (CDU/CSU) ...... 15524 D Dr. Florian Toncar (FDP) ...... 15533 A Gabriela Heinrich (SPD) ...... 15525 D Fabio De Masi (DIE LINKE) ...... 15533 C Dr. Christoph Hoffmann (FDP) ...... 15526 C Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . 15534 A , Parl. Staatssekretärin BMF 15535 A Helin Evrim Sommer (DIE LINKE) ...... 15527 B Ottmar von Holtz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 15528 A Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/692 des Europä- Anlage 13 ischen Parlamentes und des Rates über ge- Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung meinsame Vorschriften für den Erdgasbinnen- des von den Fraktionen FDP, DIE LINKE markt und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- (Tagesordnungspunkt 22) ...... 15535 D brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- Mark Helfrich (CDU/CSU) ...... 15535 D rung des Grundgesetzes (Änderung des Arti- Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU) ...... 15536 C kels 3 Absatz 3 – Einfügung des Merkmals sexuelle Identität) (SPD) ...... 15536 D (Tagesordnungspunkt 20) ...... 15528 D Dr. Martin Neumann (FDP) ...... 15537 B Lorenz Gösta Beutin (DIE LINKE) ...... 15537 D Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) ...... 15528 D Dr. (BÜNDNIS 90/ Sonja Amalie Steffen (SPD) ...... 15529 C DIE GRÜNEN) ...... 15538 A Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15291

(A) (C)

124. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Inneres und Heimat (f) Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bitte Ausschuss für Tourismus nehmen Sie Platz. Die Sitzung ist eröffnet. b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Lisa Vor Eintritt in die Tagesordnung gratuliere ich dem Paus, Stefan Schmidt, Dr. Danyal Bayaz, Kollegen Klaus Ernst nachträglich zu seinem 65. Ge- weiterer Abgeordneter und der Fraktion burtstag. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall) Stabil und zukunftsfest – Den Finanzplatz Alle guten Wünsche im Namen des ganzen Hauses! Europa zum Leitmarkt für Nachhaltigkeit machen Für die ausgeschiedene Kollegin und Drucksache 19/14219 (B) für die ausgeschiedenen Kollegen und (D) sind die Kollegen Dr. Joe Überweisungsvorschlag: Weingarten, Markus Paschke und Dr. Eberhard Finanzausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Brecht als Mitglieder des Deutschen Bundestages nach- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit gerückt. Im Namen des gesamten Hauses begrüße ich die Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union neuen Kollegen sehr herzlich und wünsche eine gute Zu- sammenarbeit. c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Bettina Stark-Watzinger, Christian Dürr, (Beifall) Dr. Florian Toncar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die Tages- ordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten Sustainable Finance – Transparenz und Punkte zu erweitern: Vielfalt schaffen – Einheitliche EU-Taxo- nomie ablehnen ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der AfD Drucksache 19/14785 Überweisungsvorschlag: Neutralitätsgebot im öffentlich-rechtlichen Finanzausschuss (f) Rundfunk bewahren – Kinder schützen Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (siehe 123. Sitzung) d) Beratung des Antrags der Abgeordneten ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver- Bettina Stark-Watzinger, Christian Dürr, fahren Dr. Florian Toncar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP (Ergänzung zu TOP 35) Eigentumsturbo – Mitarbeiterbeteiligung a) Beratung des Antrags der Abgeordneten schnell durchsetzen Dr. , Markus Tressel, Stefan Schmidt, weiterer Abgeordneter und Drucksache 19/14786 der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Überweisungsvorschlag: Hotelmeldepflicht abschaffen – Risiken Finanzausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz für Datenmissbrauch verringern Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Arbeit und Soziales Drucksache 19/12372 Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 15292 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) e) Beratung des Antrags der Abgeordneten ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten (C) Stefan Gelbhaar, Daniela Wagner, Christian Dr. Christoph Hoffmann, Alexander Graf Kühn (Tübingen), weiterer Abgeordneter Lambsdorff, Till Mansmann, weiterer Abgeord- und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- neter und der Fraktion der FDP NEN Weltbevölkerungskonferenz einberufen – Kli- Die Zukunft von Berlin TXL – The Urban mawandel, Lebensmittelversorgung und Be- Tech Republic völkerungswachstum gemeinsam bewältigen Drucksache 19/14826 Drucksache 19/14779

Überweisungsvorschlag: ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Till Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Mansmann, Olaf in der Beek, Alexander Graf Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen Lambsdorff, weiterer Abgeordneter und der Frak- f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jens tion der FDP Beeck, Michael Theurer, Johannes Vogel Finanzierungslücken durch wegfallende US- (Olpe), weiterer Abgeordneter und der Frak- Finanzierung im Rahmen der Global Gag tion der FDP Rule schließen UN-Behindertenrechtskonvention erleb- Drucksache 19/14780 bar machen – Der Staat als Vorbild bei vollumfassender Barrierefreiheit ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Katharina Dröge, , Anja Hajduk, Drucksache 19/14787 weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Überweisungsvorschlag: NIS 90/DIE GRÜNEN Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Wirtschaft zukunftsfähig aufstellen Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen Drucksache 19/14825

ZP 3 Beratung der Beschlussempfehlung des Aus- Überweisungsvorschlag: schusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Ver- Ausschuss für Wirtschaft und Energie mittlungsausschuss) zu dem Gesetz zur Durch- ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten führung des Zensus im Jahr 2021 Dr. Lukas Köhler, Frank Sitta, Grigorios (Zensusgesetz 2021 – ZensG 2021) (B) Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Frak- (D) Drucksachen 19/8693, 19/9766, 19/10699, 19/ tion der FDP 10679, 19/11302, 19/14700 Klimaschutz braucht ein CO2-Limit – Klima- ZP 4 Wahlvorschlag der Fraktion der AfD ziele durch die Ausweitung des EU-Emissions- handels in Deutschland garantiert erreichen Wahl eines Stellvertreters des Präsidenten (2. Wahlgang) Drucksache 19/14782 Überweisungsvorschlag: Drucksache 19/13963 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie ZP 5 Wahlvorschlag der Fraktion der SPD ZP 12 Aktuelle Stunde Wahl eines Mitglieds des Parlamentarischen Kontrollgremiums gemäß Artikel 45d des auf Verlangen der Fraktion der FDP Grundgesetzes Durchsetzung des Rechtsstaats im Fall Ibra- Drucksache 19/14751 him Miri Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so- ZP 6 Aktuelle Stunde weit erforderlich, abgewichen werden. auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und Der Tagesordnungspunkt 6 b wie auch der ohne Debat- SPD te vorgesehene Tagesordnungspunkt 35 i sowie der Ta- Gegen Hassrede und Hasskriminalität – Für gesordnungspunkt 17 b sollen abgesetzt werden. eine offene und freiheitliche Gesellschaft Des Weiteren soll auch der Tagesordnungspunkt 15 ab- ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten gesetzt und an dieser Stelle der Antrag auf der Druck- Alexander Graf Lambsdorff, Grigorios sache 19/14778 mit dem Titel „Missbilligung von Äuße- Aggelidis, Renata Alt, weiterer Abgeordneter rungen und Amtsführung des Bundesministers des und der Fraktion der FDP Auswärtigen“ im Umfang von 38 Minuten debattiert wer- den. Missbilligung von Äußerungen und Amtsfüh- rung des Bundesministers des Auswärtigen Nach den Tagesordnungspunkten 36 und 35 j soll die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 19/14778 der Drucksache 19/14700 zu dem Gesetz zur Durchfüh- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15293

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) rung des Zensus im Jahr 2021 ohne Debatte aufgerufen Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zur Mitberatung (C) werden. überwiesen werden: Die Tagesordnungspunkte 12 und 16 sowie 30 und 32 Beratung des Antrags der Abgeordneten Amira tauschen jeweils unter Beibehaltung ihrer Debattenzeiten Mohamed Ali, Lorenz Gösta Beutin, Dr. Gesine die Plätze. Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Schließlich mache ich noch auf mehrere nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunk- Stromsperren gesetzlich verbieten teliste aufmerksam: Drucksache 19/14334

Der am 17. Oktober 2019 (118. Sitzung) überwiesene Überweisungsvorschlag: nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Sport- Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ausschuss (5. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen Ausschuss für Arbeit und Soziales werden: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Der am 12. September 2019 (112. Sitzung) überwiese- gebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur ne nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Ausschuss Änderung des Waffengesetzes und weiterer für Tourismus (20. Ausschuss) zur Mitberatung überwie- Vorschriften (Drittes Waffenrechtsänderungs- sen werden: gesetz – 3. WaffRÄndG) Beratung des Antrags der Abgeordneten Drucksache 19/13839 , , , weiterer Abgeordneter und der Fraktion Überweisungsvorschlag: der FDP Ausschuss für Inneres und Heimat (f) Sportausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Tegel offen halten – Für Berlin und für Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Deutschland Verteidigungsausschuss Drucksache 19/13101 Der am 25. Oktober 2019 (122. Sitzung) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Aus- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) schuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Ausschuss für Tourismus (16. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden: Haushaltsausschuss (B) Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU Sind Sie mit all dem einverstanden? – Ich sehe keinen (D) und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. zur Änderung des Luftverkehrsteuergesetzes Dann rufe ich die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 c auf: Drucksache 19/14339 a) Erste Beratung des von den Fraktionen der

Überweisungsvorschlag: CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs Finanzausschuss (f) eines Gesetzes zur Modernisierung des Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Strafverfahrens Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Drucksache 19/14747 Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Inneres und Heimat Der am 26. September 2019 (115. Sitzung) überwiese- Ausschuss für Arbeit und Soziales ne nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Ausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) zur Mit- b) Beratung der Unterrichtung durch die Bun- beratung überwiesen werden: desregierung Beratung des Antrags der Abgeordneten Erhard Eckpunkte zur Modernisierung des Straf- Grundl, , Katja Dörner, weiterer verfahrens Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Drucksache 19/10388 Verhandlungen über Kulturgüter mit den Ho- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) henzollern und deren historische Unterstüt- Ausschuss für Inneres und Heimat zung des Nationalsozialismus c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Drucksache 19/13545 Stephan Thomae, Dr. Jürgen Martens, Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien (f) und der Fraktion der FDP Ausschuss für Inneres und Heimat Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Strafprozesse effektiver, schneller, moder- ner und praxistauglicher gestalten Der am 25. Oktober 2019 (122. Sitzung) überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Ausschuss für Drucksache 19/14244 15294 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) Überweisungsvorschlag: Angeklagte ihre Verfahrensrechte nicht dazu missbrau- (C) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) chen können, Verfahren künstlich in die Länge zu ziehen. Ausschuss für Inneres und Heimat Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Außerdem sollen unsere Strafermittlungsbehörden Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Auch dazu gibt es Straftaten schneller und präziser aufklären können. Dafür keinen Widerspruch. Dann ist auch das so beschlossen. geben wir ihnen moderne Ermittlungsmethoden an die Hand: Eine DNA-Analyse darf sich in Zukunft auch auf Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem das Alter sowie auf Haar-, Augen- und Hautfarbe einer Parlamentarischen Staatssekretär Christian Lange. Person beziehen. So können Spuren vom Tatort wertvolle Anhaltspunkte über das Erscheinungsbild einer Person (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten liefern. der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, diese Maßnahmen sind not- Christian Lange, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- wendig, um die Prozesse zu beschleunigen und die Ge- ministerin der Justiz und für Verbraucherschutz: richte zu entlasten. Es kann nicht sein, dass man sogar für Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin- kleine Verfahren Jahre braucht, weil die Aktenberge im- nen und Kollegen! Unser Rechtsstaat ist stark und die mer größer werden. Es ist höchste Zeit für diese Moder- Justiz sein Aushängeschild. Dennoch sind unsere Staats- nisierung! anwaltschaften und Gerichte vor allem in umfangreichen Verfahren mit einer Vielzahl von Beteiligten stark belas- Zugleich wollen wir aber auch den Opferschutz stär- tet. Aus der Justiz selbst kommen dazu ganz konkrete ken. Insbesondere wollen wir den Opfern von Sexual- Forderungen, wie man sie entlasten kann. Und genau straftaten eine traumatisierende Mehrfachvernehmung er- diese Forderungen erfüllen wir. sparen. Zukünftig sollen regelmäßig Ermittlungsrichter das Opfer vernehmen. Eine Videoaufzeichnung hiervon Mit dem Pakt für den Rechtsstaat haben wir bereits den kann später in der Hauptverhandlung verwendet werden. Grundstein für eine erhebliche personelle Entlastung der Der vorliegende Entwurf ist also ein wichtiger Schritt auf Justiz gelegt. Heute stellen wir uns dem nächsten wichti- dem Weg zu einem effizienteren Verfahren. gen Thema: der Beschleunigung von Strafverfahren. Auch hier entsprechen wir Forderungen aus der Richter- Diese Maßnahmen sind indes nur ein Schritt zur schaft. Eine kürzere Verfahrensdauer führt nicht nur zu Modernisierung des Strafverfahrens. Ein weiterer muss einer Entlastung der Gerichte, sie ist auch eine Frage der folgen, und dieser betrifft die Dokumentation der strafge- Gerechtigkeit: Menschen müssen schnell zu ihrem Recht richtlichen Hauptverhandlung. Bislang gibt es in Straf- kommen. Deshalb wollen wir das Strafverfahren moder- verfahren keine Wortprotokolle. Was gesagt wird, müssen (B) ner und effizienter gestalten. Der vorliegende Gesetzent- Richterinnen und Richter handschriftlich notieren. Ich (D) wurf enthält ein Paket aus zwölf Maßnahmen. Diese wer- meine: Das ist nicht mehr zeitgemäß. – Würde die Ver- den das Verfahren vereinfachen, ohne die Beteiligten handlung aufgezeichnet, könnten sich Richterinnen und daran zu hindern, ihre Rechte auszuüben. Richter besser auf das Zuhören konzentrieren. Auch lie- ßen sich Zeugenaussagen leichter überprüfen und Rechts- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten fehler einfacher nachweisen. der CDU/CSU) Im nächsten Schritt, meine Damen und Herren, wollen So wollen wir, meine Damen und Herren, zum Beispiel wir daher eine Expertengruppe einsetzen, und zwar noch die gesetzliche Möglichkeit schaffen, für mehrere Neben- in diesem Jahr. kläger einen gemeinschaftlichen Rechtsanwalt zu bestel- len. Hierzu möchte ich noch einmal betonen, dass es uns (Zuruf des Abg. Stefan Schmidt [BÜND- nicht darum geht, die Rechte der Nebenklägerinnen und NIS 90/DIE GRÜNEN]) Nebenkläger zu beschneiden. Sie soll prüfen, ob, wie und in welchem Zeitrahmen sich eine Aufzeichnungspflicht umsetzen lässt. Aber heute (Zuruf des Abg. Friedrich Straetmanns [DIE geht es erst einmal um das Gesetz zur Modernisierung LINKE]) des Strafverfahrens. Mit dem vorliegenden Entwurf wird Im Gegenteil: Die vorgesehene Regelung ist rechtlich unsere Justiz nicht nur entlastet, sie wird auch schneller kein Novum, sondern bildet die in der Rechtsprechung und effizienter. In einem Wort: Sie wird moderner! bereits anerkannten Möglichkeiten ab. Für mehrere An- gehörige eines Getöteten einen gemeinschaftlichen Herzlichen Dank. Rechtsanwalt zu bestellen, war auch bislang möglich. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Dies erleichtert Abstimmungsprozesse im Vorfeld eines Prozesses und führt im Prozess selbst zu einer Beschleu- nigung, die gerade auch im Interesse der Opfer liegt. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Voraussetzung für die Bestellung eines gemeinschaftli- Thomas Seitz, AfD, ist der nächste Redner. chen Rechtsanwalts sind im Übrigen „gleichgelagerte (Beifall bei der AfD) Interessen“ der Nebenkläger. Sind die Interessen gegen- läufig, scheidet freilich die Bestellung eines gemein- Thomas Seitz (AfD): schaftlichen Beistandes nach wie vor aus. Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Weiterhin, meine Damen und Herren, verbessern wir Herren! Vor kaum mehr als zwei Jahren hat der Bundes- das Befangenheits- und das Beweisantragsrecht, damit tag das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15295

Thomas Seitz (A) Ausgestaltung des Strafverfahrens verabschiedet. Von da- suchungshaft eines Angeklagten dadurch auch nur um (C) her wundert es, dass jetzt schon wieder ein Gesetz zur einen Tag verlängert. Modernisierung des Strafverfahrens nötig ist. Es fehlt leider einfach an Weit- und Durchsicht der Gesetzgebung, Drittens. Wenn Sie die Justiz wirklich entlasten wollen, wenn gilt – Zitat –: Nach der Reform ist vor der Reform. dann müssen Sie echten Mut zur Veränderung mitbringen Leider ist diese desolate Situation bezeichnend für eine und dürfen nicht nur Verteidigungsrechte beschneiden. Regierung im Sinkflug, die seit vier Jahren permanent die (Beifall bei der AfD) Verfassung bricht. Schaffen Sie das rechtsstaatlich nicht zwingende Ver- Der Anspruch im Titel des Gesetzentwurfs, das Straf- schlechterungsverbot komplett ab! Denn wer eine richter- verfahren zu modernisieren, ist ein großer und die Fall- liche Entscheidung angreift, hat kein schutzwürdiges Ver- höhe entsprechend. Und wie zu erwarten, wird der Ent- trauen in den Bestand dieser Entscheidung. Unzählige wurf diesem Anspruch nicht gerecht. Die Ziele des Berufungsverfahren gegen angemessene oder gar milde Gesetzentwurfs sind dabei nicht einmal alle falsch, man- Urteile würden damit entfallen, und es würde sich die ches ist zu begrüßen, aber es bleibt eben Stückwerk und Frage einer Revision erübrigen. ist vieles – nur kein großer Wurf. Schaffen Sie das System der Gesamtstrafe ab und er- (Beifall bei der AfD – Michael Grosse-Brömer setzen Sie es durch eine Vollstreckungslösung! Oder las- [CDU/CSU]: Sie wissen ja, wovon Sie reden!) sen Sie die Zäsurwirkung zumindest durch das erste Ur- Denn in Wahrheit geht es nur darum, der seit Jahren unter teil eintreten; dann entfiele gerade für Intensivtäter der permanenter Überlastung leidenden Strafjustiz durch Anreiz, gegen jedes noch so milde Urteil Berufung ein- punktuelle Eingriffe wieder etwas mehr Luft zu verschaf- zulegen und die kleinen Strafkammern lahmzulegen. fen, damit sich Fälle wie heuer beim Landgericht Fran- Und schließlich: Schützen Sie endlich unsere Grenzen! kenthal möglichst nicht wiederholen, wo ein des Mordes Wer zu Hunderttausenden oder zu Millionen junge Män- und weiterer Verbrechen dringend verdächtigter Ange- ner mit einer archaischen Sozialisierung ins Land lässt klagter aus der Untersuchungshaft entlassen werden musste. (Widerspruch bei der SPD) Lassen Sie mich auf drei Punkte näher eingehen: und noch nicht einmal bei Straffälligkeit sofort abschiebt, Erstens. Uneingeschränkt zu begrüßen ist die Ände- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Der rung von § 81e StPO, damit künftig bei Spurenmaterial AfD-Baustein!) auch eine DNA-Untersuchung zur Feststellung der Au- der darf sich nicht wundern, wenn die Justiz kollabiert. (B) gen-, Haar- und Hautfarbe zulässig wird. Es geht dabei (D) lediglich um die Feststellung der biogeografischen Her- Danke. kunft, wodurch die Wahrscheinlichkeit der Ermittlung eines Täters erheblich steigt und gleichzeitig der Kreis (Beifall bei der AfD) der potenziell Verdächtigen eingegrenzt werden kann. Dies hat absolut nichts mit Diskriminierung zu tun, son- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: dern kann Unschuldige davor bewahren, zumindest zeit- Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Thorsten Frei, weilig in Verdacht zu geraten. CDU/CSU. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der CDU/CSU) Wer hier von Racial Profiling spricht, sollte überlegen, ob er nicht eher die hohe Delinquenz einer bestimmten Thorsten Frei (CDU/CSU): Klientel verschleiern will. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Be- reits im Koalitionsvertrag haben Union und SPD festge- Zweitens. Lassen Sie die Ideologie aus der StPO! Ihr halten, dass wir den Rechtsstaat stärken möchten, indem Ziel, Mütter möglichst schnell wieder in den Arbeits- wir den Strafprozess modernisieren und die Strafverfah- markt zu pressen und Väter generell zur Inanspruchnah- ren beschleunigen. Und der Staatssekretär hat darauf hin- me von Elternzeit zu drängen, hat dort nichts zu suchen. gewiesen: Im Grunde genommen ist das, was wir heute Wenn zukünftig eine Unterbrechung der Hauptverhand- einleiten, nur eine weitere Säule des Pakts für den Rechts- lung bis zur Dauer von 102 Tagen möglich sein soll, ist staat; denn wir setzen eben auf viele verschiedene Instru- dies für den Fall der Erkrankung, der bisher eine Unter- mente. brechung von maximal 83 Tagen ermöglichte, noch ver- tretbar. Im Hinblick auf den Mutterschutz gilt das norma- Zu Jahresbeginn haben wir mit den Ländern dafür ge- tiv ebenfalls. Faktisch aber wird das jede Richterin, die sorgt, dass in den nächsten Jahren mindestens 2 000 zu- während eines langwierigen Verfahrens schwanger wird, sätzliche Stellen für Richter und Staatsanwälte entstehen. einem massiven informellen Druck aussetzen, sofort nach Wir stärken die Prävention. Ablauf der zwingenden Schutzfrist nach der Geburt wie- der ihren Dienst aufzunehmen, ganz egal, ob sie das per- Wir werden die technologische Ausstattung bei den sönlich will oder nicht. Wir als AfD haben auch nichts Behörden stärken. Dazu gehört für uns als Bundesgesetz- dagegen, dass Väter, die Richter sind, Elternzeit in An- geber eben auch, dass wir einerseits die gesetzlichen Rah- spruch nehmen. Unmöglich kann diese persönliche Ent- menbedingungen so setzen, dass Strafverfahren zügig scheidung es jedoch rechtfertigen, dass sich die Unter- durchgeführt werden können ohne Abstriche bei Qualität 15296 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Thorsten Frei (A) und Beschuldigtenrechten und andererseits den Ermitt- rung im Ausschuss am nächsten Montag weitere Beispie- (C) lungsbehörden – auch das ist ein wichtiger Aspekt – die le aufzeigen wird, wenn dort Praktiker von ihrer Arbeit notwendigen Instrumente an die Hand gegeben werden. berichten werden. Ich denke zum Beispiel an ausschließ- Genau das passiert. lich aus Verschleppungsabsicht vorgebrachte miss- bräuchliche Besetzungsrügen, an Befangenheitsanträge, Im Mittelpunkt steht der Strafprozess. Aber vor dem an Beweisanträge, die völlig abwegig sind. Wir schaffen Strafprozess gibt es das Ermittlungsverfahren. Da schaf- die Voraussetzungen, um damit im Strafprozess vernünf- fen wir beispielsweise mit der Ausweitung der DNA- tig umgehen zu können und die Verfahren zu beschleuni- Analyse ein ganz wichtiges zusätzliches Instrumentarium gen sowie den Rechtsstaat zu stärken. Das ist nämlich ein für die Ermittlungsbehörden, um den Täterkreis schneller ganz wichtiger Punkt, um deutlich machen zu können, eingrenzen zu können. Ich halte es für richtig, dass wir dass der Strafprozess nicht nur die Rechtsdurchsetzung das zur Verfügung stehende Datenmaterial bei der DNA- des Staates und den Anspruch daran stärken möchte, son- Analyse nicht nur für die Bestimmung von Abstammung dern dass es durchaus auch im Interesse der Täter, aber und Geschlecht nutzen, sondern eben auch dafür, dass vor allen Dingen der Opfer ist, dass man zu einem zügi- man das Alter bestimmt, dafür, dass man die Haut-, die gen Abschluss des Verfahrens kommt. Augen- und die Haarfarbe bestimmt, um Täter schneller habhaft werden zu können. Es ist angesprochen worden: Es ist nicht akzeptabel, dass Verschleppungsabsicht genutzt wird, um anschlie- Dem liegt im Übrigen nicht die Illusion zugrunde, dass ßend einen Strafrabatt zu bekommen. Gerade bei den man allein mit der Ausweitung der DNA-Analyse Ver- Wirtschaftsstrafsachen sehen wir, dass im Durchschnitt brechen abschließend klären kann. Aber es ist – da setzt etwa vier Monate Strafrabatt gewährt werden muss, weil Ihre Kritik an der falschen Stelle an – ein wichtiges In- vom eigentlichen Verbrechen bis zu Verurteilung viel zu strumentarium, um schneller zu guten Ergebnissen zu viel Zeit vergeht. Deshalb ist es ein wichtiger Schritt zur kommen. Deshalb ist es aus meiner Sicht unverständlich, Stärkung des Rechtsstaates. Es zeigt auch, dass wir ge- warum man den Ermittlungsbehörden dieses wichtige In- rade in rechtspolitischer Hinsicht in der Lage sind, die strumentarium versagen will. Wir schaffen es, und das ist Dinge gut nach vorne zu bringen. Das ist auch ein Er- auch richtig so. folgsausweis für diese Regierung. (Beifall bei der CDU/CSU) Herzlichen Dank. Ein zweiter Punkt, den ich für das Ermittlungsverfah- ren benennen möchte, ist im Grunde genommen ein alt- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- bewährtes Ermittlungsinstrumentarium, nämlich die ordneten der SPD) (B) Überwachung der Telekommunikation. Dass wir das jetzt (D) auch beim Wohnungseinbruchdiebstahl ermöglichen, ist Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: ein wichtiges Hilfsmittel für die Polizei und die Ermitt- Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Stephan lungsbehörden. Das darf man, glaube ich, überhaupt nicht Thomae, FDP. unterschätzen. Für das betroffene Opfer macht es doch überhaupt keinen Unterschied, ob eine international täti- (Beifall bei der FDP) ge Bande diese Tat begeht oder ob es regional tätige Ein- zeltäter sind. Dies macht doch überhaupt keinen Unter- Stephan Thomae (FDP): schied, wenn es um die Sachbeschädigung geht, wenn es Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen! Verehrte Kolle- um den Verlust der Wertgegenstände geht, vor allen Din- gen! Meine Damen und Herren! „Justice delayed is jus- gen wenn es um den Einbruch in die Privatsphäre der tice denied.“ Das Wort wird William Gladstone zuge- Verbrechensopfer geht. Da müssen wir ansetzen und die schrieben. Also: Gerechtigkeit, die zu spät kommt, ist notwendigen Instrumentarien zur Verfügung stellen. verweigerte Gerechtigkeit. Man könnte auf Deutsch auch Im Grunde genommen ist es die Fortsetzung dessen, sagen: Gutes Recht ist schnelles Recht. Ja, auch deswe- was wir in der letzten Legislaturperiode gemacht haben, gen wollen wir Liberale den Strafprozess effizienter ma- als wir den Wohnungseinbruchdiebstahl zu einem Verbre- chen, moderner, praxistauglicher, auch schneller. chenstatbestand gemacht haben. Das hatte im Übrigen auch Erfolg, wenn man sich vor Augen führt, dass seit (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Dann 2015 die Zahl der Wohnungseinbrüche in Deutschland könnt ihr ja zustimmen!) von 170 000 auf etwa 98 000 zurückgegangen ist. Das Aber Sie übersetzen – jedenfalls in manchen Punkten – ist immerhin der niedrigste Wert in den vergangenen diesen Satz von William Gladstone wie folgt: Kurzer 20 Jahren. Auch das ist ein Erfolg unserer Rechtspolitik. Prozess ist guter Prozess. Diesen Weg setzen wir jetzt hier fort. (Dr. Eva Högl [SPD]: Nein, das stimmt nicht!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. [SPD]) Diesen Weg würden wir nicht mitgehen. Ich komme jetzt auf die Beschleunigung der Strafver- In einigen Punkten stimmen wir Ihrem Vorschlag zu. fahren als solcher zu sprechen. Der Staatssekretär hat die Ja, wir halten es für richtig, Opferrechte zu stärken, vor Punkte benannt. Da geht es nicht darum, dass man Be- allem bei Sexualdelikten. Ja, es ist gut, die Nebenkläger in schuldigtenrechte eingrenzt. Wir kennen viele praktische Gruppen zu bündeln, wenn deren Interessen gleichlau- Beispiele. Ich bin davon überzeugt, dass auch die Anhö- fend oder zumindest nicht widersprechend sind. Aber es Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15297

Stephan Thomae (A) gibt ein paar Punkte in Ihrem Gesetzentwurf, die wir sehr kativer und digitaler werden muss. Ich höre mit Freude, (C) bemängeln. dass Sie sich in einer Expertenkommission dem Thema der audiovisuellen Aufzeichnung der Hauptverhandlung Es ist richtig: Es schadet der Akzeptanz des Rechtes, stellen wollen. Ja, das ist ein wichtiger Punkt, sozusagen wenn Recht zu lange auf sich warten lässt. Aber Effizienz ein Digitalpakt für die Justiz. Manche Richter empfinden und Schnelligkeit sind nicht die einzigen Kriterien des das als Vertreibung aus dem Paradies. Das ist es aber Strafprozesses. Die Wahrheitsfindung muss oberstes Ge- nicht. Der Richter ist heute ein Mensch, der vieles gleich- bot und oberstes Prinzip bleiben, meine Damen und Her- zeitig bewältigen muss: dem Zeugen zuhören, den Ange- ren. klagten beobachten, in der Akte blättern, sich die nächs- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ten Fragen überlegen, nonverbale Signale aus der der LINKEN) Verhandlung mitnehmen und zugleich all das noch voll- ständig und leserlich notieren, sodass man es nach Wo- Es kommt nicht darauf an, möglichst schnell und mög- chen oder gar Monaten noch lesen kann. Ich glaube, dass lichst hart zu strafen, sondern darauf, möglichst effizient mancher Richter, der heute dem Thema der audiovisuel- und praxisnah die Wahrheit zu finden. Ein faires Verfah- len Aufzeichnung noch kritisch gegenübersteht, froh um ren ist eine hohe zivilisatorische Errungenschaft. diese Erleichterung wäre. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Friedrich Deswegen – und damit komme ich zum Schluss – bie- Straetmanns [DIE LINKE]) ten wir Ihnen an, dass wir gemeinsam in den weiteren Deswegen sehen wir beispielsweise die Kürzung von Beratungen diskutieren, wie wir den Strafprozess aus Möglichkeiten, Befangenheitsanträge zu stellen – Sie ha- der Kaiserzeit ins 21. Jahrhundert überführen können, ben das als Verbesserung bezeichnet, Herr Staatssekre- ohne an den Grundsätzen des fairen Verfahrens zu rütteln. tär –, sehr, sehr kritisch. Die Unbefangenheit des Richters Vielen Dank. ist doch der Kern seiner Legitimation. Es kann doch nicht sein, dass ein Richter, bei dem der Verdacht der Befan- (Beifall bei der FDP) genheit im Raume steht, welche nicht durch eine Ent- scheidung ausgeräumt worden ist, die Verhandlung wei- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: terführen kann, und sei es auch nur für zwei Wochen. Ein Friedrich Straetmanns, Die Linke, hat jetzt das Wort. Richter, bei dem der Verdacht der Befangenheit im Rau- me steht, kann doch nicht weiter Zeugen befragen und (Beifall bei der LINKEN) Beweise erheben. Deswegen sehen wir beim Recht der Befangenheitsanträge keinen Änderungsbedarf, meine Friedrich Straetmanns (DIE LINKE): (B) (D) Damen und Herren. Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Gerade erst vor etwas mehr als zwei Jahren hat (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten die Große Koalition das Strafverfahren neu gestaltet mit der LINKEN) der Zielsetzung, es effektiver und praxistauglicher zu ma- Ein zweites Thema ist die Eingrenzung der Möglich- chen. Jetzt wollen Sie es – in Ihren Worten – „moder- keit, Beweisanträge zu stellen. Die Beweisanträge sind nisieren“. Ein ehrlicherer Titel für diese immer wieder- eine der ganz wenigen Möglichkeiten der Verteidigung, kehrenden Vorhaben wäre aus meiner Sicht: Gesetz zur auf den Gang des Verfahrens Einfluss zu nehmen. Es kann Beschneidung von Beschuldigten- und Angeklagtenrech- auch mal passieren, dass ein Beweisantrag ins Blaue hi- ten und Reduzierung der Zahl der Fälle, in denen diese nein gestellt wird. Das ist kein Missbrauch. Es ist Aus- verteidigt sind. druck des fairen Verfahrens. Deswegen sollten wir auch hier in diesem Punkt keine Änderungen vornehmen. (Beifall bei der LINKEN) Bevor ich zu den einzelnen Regelungen komme, möch- (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Katja Keul te ich anmerken, dass eine Evaluation der letzten Maß- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) nahmen von vor zwei Jahren von Ihrer Seite nicht erfolgt Einen dritten Punkt Ihres Entwurfs bitte ich zu beden- ist. Als Richter finde ich das sehr bedenklich. Das ist auch ken, Herr Staatssekretär: Sie wollen die Unterbrechung ein schwerwiegender Mangel dieser Vorlage. Im Bereich der Hauptverhandlung für zwei Monate ermöglichen, des Strafverfahrens und im Übrigen auch im Gefahren- wenn etwa eine Richterin schwanger wird oder wenn abwehrrecht halten Sie es insgesamt nicht mehr für nötig, Richter in Elternzeit gehen. Das klingt modern und fort- Ihre Reformen im Nachhinein daraufhin zu überprüfen, schrittlich. Was Sie aber damit erreichen, ist, dass der ob sie auch geeignet sind. Denn Sie handeln nach dem Druck auf eine Mutter, die sich im Mutterschutz oder in Motto: Schärfer geht immer. Elternzeit befindet, oder auf einen Vater, der sich in El- ternzeit befindet, erhöht wird, wieder schneller auf den Ich komme nun zu einigen kritischen Anmerkungen zu Richterstuhl zurückzukehren. Das ist ein Problem, das Sie einzelnen Regelungen: noch einmal überdenken sollten. Das ist nämlich das Ge- Die in § 29 Strafprozessordnung, StPO, geplante Än- genteil von Familienfreundlichkeit. derung bei Ablehnung eines Richters ist gerade von mei- nem Vorredner angesprochen worden. Wir finden es ext- (Beifall bei der FDP) rem bedenklich, dass ein unter der Besorgnis der Wir wollen den Strafprozess ebenfalls effizienter und Befangenheit stehender Richter zwei Wochen weiter- moderner machen und meinen damit, dass er kommuni- verhandeln und wichtige Beweise erheben kann. Dass 15298 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Friedrich Straetmanns (A) dies so möglich ist, ist ein Einschnitt in die Angeklagten- die Schwelle dessen, was eine schwere Straftat darstellt, (C) und Beschuldigtenrechte. Folgendes sollte uns interessie- weiter abgesenkt. Es wird auch gar nicht begründet – ren, nämlich: Welche Zahl von missbräuchlich gestellten wissenschaftlich und fachlich –, warum und ob Telefon- Befangenheitsanträgen findet sich überhaupt in Strafver- überwachung ein probates Mittel zur Aufklärung eines fahren? Liefern Sie diese, damit wir darüber fair und Wohnungseinbruchdiebstahls darstellt. Auch hier sind vernünftig debattieren können. verfassungsrechtliche Bedenken offensichtlich. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- Sinnvoll wäre es stattdessen, über die Einführung eines ten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE Zeugnisverweigerungsrechtes für bestimmte Bereiche zu GRÜNEN) reden, und zwar für Bereiche der sozialen Arbeit. Im Argumentiert wird hier auch von Ihnen, von der GroK- Kontext der Beratung und Unterstützung von Opfern o, mit dem öffentlichen Interesse an einer beschleunigten von Gewalt würde eine solche Regelung den Mitarbeiter- Verfahrensdurchführung. Ich denke, dass wir gerade vor innen und Mitarbeitern sicherlich ihre Beratungsarbeit, der historischen Verantwortung und den Erkenntnissen, die wertvoll und die Arbeit an den Opfern ist, erleichtern. die wir daraus gezogen haben, sehr großes Interesse an Hier finden wir eben nichts im Gesetz. Das ist eine Leer- einem fairen Verfahren mit einer objektiven Beweiserhe- stelle; eine entsprechende Passage vermissen wir bung haben müssen. schmerzlich. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Sie wollen mit Ihrem Gesetzentwurf Beschuldigtenrechte Angesprochen ist es: Eine wirkliche Modernisierung einschränken, alles unter dem Vorwand, es sei zum Bes- wäre die audiovisuelle Aufzeichnung der Hauptverhand- ten des Angeklagten. lung. Wobei – ich muss es ganz offen sagen – die Latte in diesem Bereich so extrem niedrig liegt, dass es uns schon Ihr Entwurf enthält aber auch eine relativ kuriose Re- reichen würde, wenn wir endlich ein Wortlautprotokoll gelung, nämlich das Verbot der Gesichtsverhüllung im der Hauptverhandlung bekämen; und das wäre auch ein neugefassten § 68 StPO. Es handelt sich hierbei um ein angemessenes Kriterium für ein faires Verfahren. reines Politikspektakel und nicht um die Abhilfe eines echten Problems. Machen wir es uns doch einfach mal (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- an den Zahlen bewusst, dass lediglich 200 bis 300 Frauen neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) in Deutschland einen sogenannten Nikab tragen. Außer- dem ist nach § 176 GVG jeder Richter, jede Richterin Ich will eins sagen: Die wenigen von mir angesproche- befugt, das Entfernen dieser Gesichtsverhüllung während nen und kritisierten Veränderungen Ihres Entwurfes zei- (B) der Verhandlung anzuordnen, gerade aus dem Aspekt he- gen, dass es Ihnen im Grunde nicht darum geht, die Kom- (D) raus, dass man natürlich die Mimik beobachten und da- munikation der Beteiligten vor Gericht zu verbessern. Es raus seine Schlussfolgerungen ziehen kann. geht Ihnen auch nicht darum, die Dokumentation des Er- mittlungsverfahrens und der Hauptverhandlung auf ein Brandgefährlich finden meine Fraktion und ich natür- Niveau zu bringen, das der weithin digitalisierten Wirk- lich Ihre Idee zum genetischen Phantombild in § 81e lichkeit gerecht wird. Es geht vorwiegend darum, den StPO. Dieses genetische Phantombild wird von der Wis- Verfahrensgang zu beschleunigen. Um es mit den Worten senschaft als ungenau und gefährlich kritisiert. Es besteht des Deutschen Anwaltvereins zu sagen: Ihr Gesetzent- absehbar die Gefahr, dass dieses Instrument zur Identifi- wurf zeugt von einem „reaktionären Prozessverständ- zierung von Minderheitenmarkern wie dunkler Hautfarbe nis“. – Diesem Urteil kann ich mich nur anschließen. angewendet wird. Das ist Racial Profiling unter Laborbe- Wir werden an dem Gesetzentwurf mitarbeiten. Aber un- dingungen und gehört nicht in die Strafprozessordnung. sere Kritikpunkte liegen auf dem Tisch. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Stefan Vielen Dank. Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Dr. Jürgen Martens [FDP]) (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Zudem führt dieser Punkt dazu, dass die politische Rechte hier die Möglichkeit erhält, ihre rassistische Er- zählung von Migration und Kriminalität als zwei Seiten Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: einer Medaille zu etablieren. Dazu greifen wir in einen Canan Bayram, Bündnis 90/Die Grünen, hat jetzt das Bereich ein, der dem Kernbereich der Persönlichkeit an- Wort. gehört. Die Aufschlüsselung der DNA mit den Erbinfor- mationen wird hier für die forensische Forschung geöff- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) net. Wir halten das bereits aus verfassungsrechtlichen Gründen für nicht akzeptabel und für verfassungswidrig, Canan Bayram (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): um das auch klar zu sagen. Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gesetzgebung muss auf Grundlage von gesi- (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Canan cherten und empirischen Erkenntnissen erfolgen, wenn Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) sie rechtsstaatlichen Anforderungen genügen will. Dies Mit der angesprochenen Aufnahme des Wohnungsein- gilt insbesondere für einen so sensiblen Bereich wie das bruchdiebstahls als schwere Straftat, die eine Telefon- Strafrecht und das Strafverfahrensrecht. Das von den überwachung nach § 100a StPO rechtfertigen soll, wird Koalitionsfraktionen vorgelegte Gesetzesvorhaben zur Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15299

Canan Bayram (A) Modernisierung des Strafverfahrens genügt diesen An- Gefahr der rassistischen Gruppendiskriminierung scheint (C) forderungen nicht. diese Bundesregierung überhaupt nicht gedacht zu haben; denn diese Merkmale, die ich vorhin ausgeführt habe, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind dazu geeignet, Gruppen rassistisch zu diskriminie- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) ren. Und dagegen wenden wir uns eindeutig. Nachdem die Bundesregierung die sogenannte Moder- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nisierung des Strafverfahrens gestern als Teil der Koali- und bei der LINKEN – tionshalbjahresbilanz schon abgefeiert hat, darf sich der [AfD]: So ein Quatsch! Den Täter zu ermit- Bundestag heute, am 7. November, in erster Lesung damit teln!) befassen. Am Montag, dem 11. November, ist die öffent- liche Anhörung im Rechtsausschuss, und dann, in der Der Gang der Hauptverhandlung in erstinstanzlichen gleichen Woche, soll der Gesetzentwurf im Plenum be- strafgerichtlichen Verfahren vor den Land- und Oberlan- schlossen werden. Eine Begründung für diese Eilbedürf- desgerichten wird im Wesentlichen unverändert seit In- tigkeit und dieses schnelle Verfahren haben Sie bis heute krafttreten der Reichsstrafprozessordnung im Jahr 1879 nicht geliefert. lediglich in einem Formalprotokoll festgehalten. Eine zwischenzeitliche Erweiterung in den Jahren 1964 bis (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 1974 zu einem Inhaltsprotokoll wurde wegen des Mehr- und bei der LINKEN – Michael Grosse-Brömer bedarfs an Protokollführern wieder und wieder infrage [CDU/CSU]: So ist es in der Geschäftsordnung gestellt und besteht aktuell nur bei Verständigung vorgesehen, Frau Kollegin! Das ist das vorge- zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten und im straf- sehene Verfahren!) rechtlichen Verfahren vor den Amtsgerichten. Die Ver- Womit haben wir es bei dieser sogenannten Moderni- fahrensbeteiligten sind auf ihre Mitschriften angewiesen; sierung des Strafverfahrens in Wahrheit zu tun? Vor allem das wurde hier von verschiedenen Vertretern schon aus- mit einem in der Verkürzung von Beschuldigten- und geführt. Auch wir begrüßen ausdrücklich diese Experten- Verteidigerrechten zum Ausdruck kommenden General- kommission und bieten an, unsere Expertise dort einzu- verdacht der Prozesssabotage, der Prozessverschleppung bringen. und Konfliktverteidigung gegenüber den Strafverteidi- gern. Rechtstatsachen, die solchen Generalverdacht be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) legen, gibt es genauso wenig wie eine Untersuchung der Wir sind der Ansicht, dass wir das Thema „Dokumen- Wirkung der Strafprozessrechtsänderungen von 2017, tation in den mündlichen Verhandlungen in Strafprozes- etwa der grundrechtsgefährdenden und verfassungswid- sen“ in der Anhörung ausführlich diskutieren sollten. (B) rigen Quellenkommunikationsüberwachung und Online- Aber wir hätten uns gewünscht, dass wir das anhand einer (D) durchsuchung mit Ihren Staatstrojanern. Die Überprü- Vorlage besprechen können, die Sie nämlich hätten in fung bleibt bewusst dem Bundesverfassungsgericht diese Strafrechtsreform mit einarbeiten können. Das ver- überlassen. Ob und was die 2017 intendierte bessere Pra- missen wir. Deswegen werden wir unseren Antrag dazu- xistauglichkeit und Effektivität des Strafverfahrens wirk- stellen, in dem wir eine wirkliche Modernisierung des lich gebracht haben, weiß kein Mensch. Strafverfahrens auf den Weg bringen wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Enrico Komning [AfD]: Na, da sind wir ja mal Und wir haben es bei dieser sogenannten Modernisie- gespannt!) rung des Strafverfahrens mit einem gravierenden Tabu- bruch zu tun, nämlich der Ausweitung der forensischen Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: DNA-Analyse. Die Bundesregierung argumentiert da Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Eva Högl, SPD. gerne in leichtfertiger verfassungsrechtlicher Oberfläch- lichkeit, es handele sich ja bei Hautfarbe, Augenfarbe, (Beifall bei der SPD) Haarfarbe und Alter nur um äußerlich erkennbare Merk- male, die auch aufgrund von Zeugenaussagen für Er- Dr. Eva Högl (SPD): mittlungen gegen den unbekannten Straftatspurenleger Einen schönen guten Morgen! Sehr geehrter Herr Prä- verwendet werden dürfen. Im Unterschied zu Zeugenaus- sident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst ein- sagen geht es hier aber um die Gewinnung von Hinweisen mal möchte ich sagen, dass ich es gut finde, dass wir über auf äußerlich erkennbare Merkmale des Menschen durch die Reform des Strafprozesses heute hier in der Kernzeit einen Eingriff in den Kernbereich seines Persönlichkeits- diskutieren; denn das ist nicht nur was für Spezialistinnen rechts, und Spezialisten oder für Jurafreaks. Vielmehr ist das Strafverfahren ein ganz wesentlicher Baustein eines (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) handlungsfähigen Staates und einer freien Gesellschaft nämlich durch die Ausforschung seines Genoms. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Es gibt bei der Bundesregierung und in der Begrün- und ein wichtiger Beitrag zur Stärkung unseres Rechts- dung des Gesetzentwurfs zugleich eine bemerkenswerte staats. und leichtfertige Oberflächlichkeit: Allein bei der unge- fähren Bestimmung des biologischen Alters ist die Gefahr Deswegen möchte ich auch betonen, dass sich die Koa- rassistischer Diskriminierung ausgeschlossen. – An die lition vorgenommen hat – ich hoffe, das trifft auch auf 15300 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Dr. Eva Högl (A) große Zustimmung hier im Haus –, unseren Rechtsstaat Herr Thomae, Sie haben das kritisiert; aber wir haben das (C) zu stärken. Bund und Länder haben einen Pakt für den in der Abwägung zwischen Beschleunigung und Rechten Rechtsstaat geschlossen, der auf drei Säulen beruht. Ers- moderat weiterentwickelt. Ich glaube, wir haben gute Re- tens: mehr Personal für die Sicherheitsbehörden und für gelungen gefunden und einen guten Kompromiss zwi- die Justiz. Zweitens: bessere Ausstattung, Digitalisie- schen den Rechten, die dort verankert sind, und dem An- rung, gute Gebäude, gute Rahmenbedingungen. Dafür sinnen nach Beschleunigung erreicht. Denn Sie selbst sind schwerpunktmäßig die Länder zuständig. Und über haben gesagt: Schnellere Rechtsdurchsetzung ist auch die dritte Säule sprechen wir hier heute Morgen, nämlich bessere Rechtsdurchsetzung. – Diesem Gedanken folgt effektive und moderne Verfahren in allen Bereichen. diese Reform. Unsere Ziele sind, das Vertrauen in den Rechtsstaat zu (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Michael stärken, die Rechte der Opfer zu stärken – darum geht es Grosse-Brömer [CDU/CSU]) hier heute auch –, in einer guten und richtigen Abwägung mit einer Verkürzung der Verfahren, damit wir eine bes- Deswegen freue ich mich, liebe Kolleginnen und Kol- sere und schnellere Rechtsdurchsetzung bekommen und legen, wenn es hier viel Zustimmung gibt. Wir haben eine die Strafverfahren beschleunigen. Liebe Kolleginnen und zügige Beratung, ja; aber, liebe Frau Bayram, wir haben Kollegen, insbesondere der Opposition, damit machen über diese Sachen schon lange diskutiert. Die Reform wir weder kurzen Prozess, noch ist das ein reaktionäres liegt schon lange auf dem Tisch. Es gab Eckpunkte, die Verständnis, sondern das ist eine moderne Weiterentwick- wir lange diskutiert haben, sodass ich glaube, dass wir lung unserer Strafprozessordnung. jetzt auch schnell beraten und beschließen können. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Vielen Dank. der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Die zwölf Punkte, die wir vorlegen, reichen von Ver- der CDU/CSU) hüllungsverbot über bessere Rahmenbedingungen für Dolmetscherinnen und Dolmetscher bis zu Wohnungs- einbrüchen. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Roman Ich möchte einen Punkt hervorheben, der bislang in der Reusch, AfD. Debatte noch nicht erwähnt worden ist: Wir wollen die Opfer von Sexualdelikten stärken und besser schützen. (Beifall bei der AfD) Das ist ein wichtiger Punkt in dieser Reform. Wir schaf- fen für erwachsene Opfer von Straftaten gegen die se- (B) Roman Johannes Reusch (AfD): (D) xuelle Selbstbestimmung die Möglichkeit, dass ihre rich- terliche Vernehmung auch in Bild und Ton aufgezeichnet Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der werden darf. Das ist ein wichtiger Beitrag, sie zu schützen Lektüre des Gesetzentwurfs habe ich mich bei der Rubrik und ihnen bessere Rahmenbedingungen zu geben. Alternativen gefragt, warum da „Keine“ steht. Angesichts der Frage, ob wir die Antragsrechte der Beschuldigten ein (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten weiteres Mal einschränken müssen, müsste man darüber der CDU/CSU und der FDP) nachdenken, ob es noch andere Möglichkeiten gibt. Ist Damit das von den Gerichten auch gemacht wird, gestal- das denn nötig? Schauen wir doch mal auf die Situation in ten wir es als eine Mussvorschrift aus und nicht als eine der Justiz. Sollvorschrift. Fangen wir bei den Amtsgerichten an. Besetzungsrü- Außerdem möchte ich Stellung nehmen zu unserem gen, Befangenheitsanträge sind selten. Beweisanträge Ansinnen, die Nebenklage zu bündeln. Wir wollen damit werden hin und wieder gestellt; das ist völlig unproble- die Verfahren vereinfachen; aber wir wollen trotzdem die matisch. Sonstige Anträge, mit denen man Amtsrichter Rechte von Nebenklägerinnen und Nebenklägern nicht quälen kann, zum Beispiel Aussetzungs- oder Unterbre- beeinträchtigen. Wir wissen alle miteinander, wie wichtig chungsanträge usw., sind extrem selten. Insgesamt kann die Nebenklage ist; wir haben es nicht zuletzt beim NSU- man sagen: Für die Amtsgerichte, die die Masse aller Prozess gesehen, der auch Ausgangspunkt für unsere Re- Verfahren bewältigen, stellt das geltende Recht – das galt formüberlegung war. Dort gab es 95 Nebenklägerinnen auch schon vor den letzten Änderungen – überhaupt kein und Nebenkläger und 60 Anwältinnen und Anwälte. Sie Problem dar. alle nehmen ihre Rechte wahr – sie sind ganz wichtig in Ganz anders ist das bei den Landgerichten. Da haben diesem Prozess –, und trotzdem ist es richtig, dass wir wir Fälle, bei denen wir nach Wochen des Verhandelns dem Gericht jetzt die Möglichkeit geben wollen, mehrere immerhin schon dazu kommen, endlich die Anklage ver- Nebenklagen zu bündeln, wenn sie gleichgelagerte Inte- lesen zu können. Und so geht es weiter. Die Verteidigung ressen betreffen. Das ist eine moderate Verschlankung, nutzt alle Möglichkeiten, die das Recht bietet, um das eine moderate Beschleunigung, und das ist, wie gesagt, Gericht in der Hoffnung, dass es irgendwann die weiße eine Kannvorschrift. Das werden die Gerichte auch sehr Fahne schwenkt und sich auf einen pflaumenweichen sensibel prüfen. Deal einlässt, unter Druck zu setzen. Man versucht, das Wir schaffen bessere Regelungen bei Anträgen zur Be- Gericht durch Stapel von Beweisanträgen, die alle Schrott fangenheit, bei Beweisanträgen, bei Besetzungsrügen. sind, aber ein oder zwei kleine Tretminen enthalten, zu Das ist eine wirklich sehr moderate Weiterentwicklung. Verfahrensfehlern zu verleiten. Schon platzt das ganze Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15301

Roman Johannes Reusch (A) Ding beim BGH. Das ist die Hoffnung; das ist die Strate- ein wichtiges Anliegen der Union aus dem Koalitionsver- (C) gie. trag auf. Es ist ein Element des Paktes für den Rechts- staat; denn dafür brauchen wir nicht nur mehr Personal (Beifall bei der AfD) und eine bessere Ausstattung, sondern eben auch effizi- Das ist nicht Rechtsstaat. Da wird der Rechtsstaat wie ein ente Verfahren. Wir machen es jetzt – vieles hätte man Tanzbär am Nasenring durch die Manege geführt. auch schon früher machen können –, weil es jetzt den politischen Konsens dazu gibt. Dagegen muss man etwas tun. Die Frage ist, was. Wes- halb ist denn die Situation beim Landgericht im Vergleich zum Amtsgericht so dramatisch unterschiedlich? Beim Zu Beginn möchte ich noch mal daran erinnern, was Amtsgericht haben wir im Regelfall die Berufung, eine der Sinn des Strafprozesses ist. Der Gesetzentwurf setzt weitere Tatsacheninstanz, als Rechtsmittel. Das heißt, es diese Frage ja auch an den Anfang. Es geht um die Auf- bringt den Anwälten nichts, auf Verzögerung zu setzen. klärung von Straftaten, um die Ermittlung des Täters, um Jeder Verfahrensfehler kann völlig problemlos repariert die Ermittlung seiner Schuld, es geht um seine Bestra- werden. Das Ergebnis ist eine ordentliche Antragspraxis fung, und natürlich geht es auch um die Entlastung und der Anwälte. den Freispruch des Unschuldigen. Es ist die Aufgabe von Staatsanwaltschaft und Gericht, der materiellen Wahrheit Ganz anders ist die Situation beim Landgericht. Dort in Bezug auf belastende und entlastende Fakten möglichst haben wir die Revision. Das heißt im Regelfall: Aufhe- nahezukommen. Das folgt aus dem eigenen staatlichen bung und Zurückverweisung. Alles muss noch einmal Anspruch, die Strafverfolgung durchzuführen. Der Staat von vorne gemacht werden. Das will jeder verantwor- ist das aber auch den Opfern schuldig, weil er das Ge- tungsbewusste Richter unter allen Umständen vermeiden. waltmonopol für sich in Anspruch nimmt. Deswegen haben die Anwälte so viele Möglichkeiten, so viel Macht, auf den Gang des Verfahrens einzuwirken und Die Wahrheit wird nicht um jeden Preis ermittelt, son- ein für sie gewünschtes oder tolerables Ergebnis zu erzie- dern es gibt Grenzen. Der Angeklagte, der Beschuldigte, len. darf niemals nur Objekt des Verfahrens sein. Dem ent- Würde man nun auch beim Landgericht in erster In- spricht, dass er sehr umfangreiche Verfahrensrechte hat, stanz die Berufung als Rechtsmittel einführen, dann hät- dass er sich nicht selbst belasten muss, dass der Grundsatz ten wir dieselbe Situation wie bei den Amtsgerichten. Die „In dubio pro reo“ für ihn streitet. Probleme, die wir hier wälzen, würden sich geradezu in Wohlgefallen auflösen. Die Verhandlungen vor dem Gleichzeitig haben wir aber das Problem, dass Prozes- Landgericht, erstinstanzlich, würden dramatisch kürzer se unnötig lange dauern, dass die Ressourcen bei den (B) werden. Die Urteile würden dramatisch kürzer werden: Ermittlern und bei den Gerichten knapp sind. Das hat (D) Man würde dann nämlich einfach nur Tatbestand und unliebsame Folgen: Menschen müssen aus der Untersu- Entscheidungsgründe hineinschreiben. chungshaft entlassen werden. Verfahren dauern zu lange. Es muss Strafrabatte zum Ausgleich der langen Verfah- Wir haben deshalb schon im letzten Jahr hier einen rensdauer geben. Deshalb ist mehr Effizienz nötig, und entsprechenden Antrag eingebracht. Ich weiß, er kommt zwar nicht als Selbstzweck, sondern weil Zeit- und Res- von der AfD; aber denken Sie trotzdem einmal darüber sourcenverschwendung an der einen Stelle immer dazu nach, ob die Revision nicht doch verzichtbar ist, ob sie führen, dass man in einem anderen Fall dem Täter eben nicht ein aus der Zeit gefallenes Rechtsmittel ist, aus nicht mehr auf die Spur kommen kann, dass ein Täter Zeiten, als ein dickbäuchiger Gendarm mit Pickelhaube nicht überführt werden kann oder ein Prozess platzt. und umgeschnalltem Säbel reichte, um in seinem Revier Ruhe und Ordnung zu garantieren, und als die Justiz jede Woche mal eine neue Akte bekam. Die Zeiten sind vorbei. Natürlich ist Effizienz im höchsten Maße auch im Sin- Wir können uns das alles nicht mehr leisten. ne der Opfer; denn ein Opfer kann häufig mit der Tat, mit dem Schaden, dem Verlust, den es erlitten hat, erst dann Wir brauchen eine schlagkräftige Strafjustiz. Deswe- abschließen, wenn auch das Verfahren zum Endpunkt ge- gen lautet mein Appell an Sie: Versuchen Sie mal, im kommen ist. Und nicht zuletzt: Auch für die Unschuldi- stillen Kämmerlein darüber nachzudenken, ob das nicht gen ist jeder zusätzliche Tag unzumutbar. vielleicht doch ein gangbarer Weg wäre. In diesem Sinne: Wir sehen uns im Ausschuss. Wie sinnvoll und nötig Maßnahmen zur Straffung des Verfahrens sind, zeigt ein Beispiel aus Koblenz. Dort (Beifall bei der AfD) musste ein Prozess gegen ein Neonazi-Netzwerk nach fast fünf Jahren abgebrochen werden, weil der Vorsitzen- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: de Richter in Pension ging. Es waren über 240 Beweisan- Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Elisabeth träge, mehr als 400 Verfahrensanträge, mehr als 500 er- Winkelmeier-Becker, CDU/CSU. folglose Befangenheitsanträge gestellt worden. Damit hatte man es geschafft, den Prozess platzen zu lassen. (Beifall bei der CDU/CSU) Da ist wirklich ein Punkt erreicht, wo sich der Rechtsstaat nicht in dieser Art und Weise vorführen lassen darf. Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- dem Gesetzentwurf, den wir heute beraten, greifen wir ordneten der SPD) 15302 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

(A) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: unterbrochen wird, aber hinterher dort auch wieder auf- (C) Frau Kollegin Winkelmeier-Becker, gestatten Sie eine gegriffen wird. Das ist der Haupteffekt, und auch das wird Zwischenfrage des Kollegen Seitz? zur Beschleunigung des Verfahrens führen. Es gibt Maßnahmen zur besseren Aufklärung von Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Straftaten. Das wichtigste Beispiel ist sicherlich die Aus- Herr Seitz, bitte. weitung der DNA-Analyse. Sie ist ein wichtiger Beitrag zur weiteren Aufklärung. Natürlich wird sie alleine nicht Thomas Seitz (AfD): reichen, um einen Täter zu überführen, aber sie ist eben Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie die Zwischen- ein objektives Mittel und ein guter Ansatz. frage zulassen. – Meine Frage zielt dahin: Ist Ihnen be- kannt, dass die Landesregierung in Bezug auf das von Das sind wichtige Maßnahmen, auf die die Praxis Ihnen angesprochene Verfahren rechtzeitig auf diese längst wartet. Insofern freue ich mich auf zügige und Problematik hingewiesen wurde und es versäumt hat, konstruktive Beratungen in der nächsten Woche. das Landesrichtergesetz dahingehend abzuändern, dass, Vielen Dank. wie es in anderen Bundesländern der Fall ist, die Verlän- gerung des Dienstes über das normale Eintrittsalter in den (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Ruhestand hinaus möglich wird? Damit hätte nämlich das ordneten der SPD) Platzen dieses Verfahrens verhindert werden können. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Dr. Jürgen Martens, FDP, ist der nächste Redner. Ja. Das ist aber ausschließlich Sache der Landesregie- rung Rheinland-Pfalz und von daher hier überhaupt nicht (Beifall bei der FDP) Gegenstand unserer Erörterungen. Jeder muss an seiner Stelle dazu beitragen, dass die Effizienz im Verfahren Dr. Jürgen Martens (FDP): gewahrt bleibt. An der Stelle sage ich Ihnen: Wenden Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- Sie sich bitte nach Mainz. ren! Entgegen der Bekundung der Koalitionäre sehen wir (Beifall bei der CDU/CSU) in diesem Entwurf nicht den großen Wurf, mit dem das Strafverfahren modernisiert und beschleunigt werden Jeder muss an seiner Stelle etwas beitragen. Unser Ge- könnte. setzentwurf schlägt jedenfalls eine ganze Reihe von guten Maßnahmen vor, die mehr Effizienz ermöglichen, ohne (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Scha- (B) die Rechte des Angeklagten in der Substanz anzutasten. de!) (D) Sie ermöglichen eine bessere Planung, vermeiden hier Nein, dieser Entwurf verfängt sich viel zu sehr in alten und da taktische Schachzüge von Verteidigern, die für Denkmustern. den Aspekt der Wahrheitsfindung keinen Mehrwert ha- ben. Wir sorgen jetzt dafür, dass Besetzungsrügen und (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ach!) Befangenheitsanträge nicht mehr so leicht zum Platzen Zunächst: Wenn es darum geht, ein Verfahren zu be- von Terminen führen können. Das bringt die Terminpläne schleunigen, geschieht dies wie üblich durch die Redu- aller Beteiligten letztendlich nämlich durcheinander. zierung von Rechten der Angeklagten und schwächt de- Gerade bei Befangenheitsanträgen ist die Erfolgsquote ren Position. Dass hier keine Rechte von Angeklagten extrem gering, aber der Störfaktor ist sehr groß. Deshalb eingeschränkt werden sollen, ist unzutreffend. Die Befan- korrigieren wir das an dieser Stelle, sodass man auch nach genheitsablehnung wird erschwert, und es wird dem An- einem Befangenheitsantrag weiter verhandeln kann; denn geklagten zugemutet, bis zu zwei Wochen mit einem nicht der Befangenheitsantrag macht befangen, sondern Richter zu verhandeln, den er für befangen hält. Anders ein Befangenheitsgrund, und dieser stellt sich in aller als Frau Winkelmeier-Becker gesagt hat, kommt es dabei Regel als nicht vorhanden heraus. Wo das Risiko einge- nicht auf das Vorliegen von Befangenheitsgründen an, gangen wird und sich Befangenheit hinterher herausstellt, sondern nur auf die nachvollziehbare Besorgnis der Be- muss der Part dieses Prozesses natürlich wiederholt wer- fangenheit aufseiten des Angeklagten. Das ist ein feiner, den. Wir setzen zugleich Anreize, Beweisanträge früh- aber sehr wesentlicher Unterschied, auf den es hier an- zeitiger zu stellen, damit sie nicht als Verschleppungsab- kommt, meine Damen und Herren. sicht dargestellt und zurückgewiesen werden können. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Es wird weiter Beigeordnete, das heißt staatlich vor- der LINKEN und der Abg. Canan Bayram finanzierte Prozessvertreter, für Nebenkläger geben, aber [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) eben nicht mehr für jeden einen einzelnen, der seine An- Beweisanträge erfordern zukünftig einen anderen Be- träge stellt, sondern bei gleich gerichteten Interessen eben gründungsaufwand, und ihre Zurückweisung mit dem auch einen gemeinsamen. Diktum, sie wären in Verschleppungsabsicht gestellt wor- Mit der Unterbrechungsfrist bei Mutterschutz und El- den, berührt den Kernbereich des Strafrechts, die Vertei- ternzeit sorgen wir dafür, dass eine Schwangerschaft digung. Anders als es hier gesagt worden ist, können nicht nicht mehr unausweichlich dazu führt, dass der Prozess nur Verteidiger von diesem Instrument der Zurückwei- platzt. Das ist doch der Haupteffekt, dass sich dann alle sung missbräuchlich Gebrauch machen, sondern auch darauf einstellen können, dass an der Stelle der Prozess Gerichte. Denn wer sagt, dass nur Verteidiger miss- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15303

Dr. Jürgen Martens (A) bräuchlich handeln könnten? Es könnten auch Gerichte Erstens. Vorwegschicken möchte ich, dass ich mehr als (C) sein. Dann das Rechtsmittel zu versagen und zu sagen: 15 Jahre Mitglied von Strafkammern war, und ich glaube, „Ihr könnt keine Revision hiergegen einlegen“, das ist dass ich als Augen- und Zeitzeuge durchaus weiß, wovon schon ein starkes Stück, meine Damen und Herren, und ich hier rede. Wie war das denn Anfang der 2000er-Jahre? nicht bloß eine einfache Verbesserung des Strafverfah- Die Kammer bestand in der Regel aus drei Mitgliedern. rens. Oftmals nutzten wir den Spielraum des Gesetzes, verhan- delten zu zweit. Ein Mitglied pausierte während dieser (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Zeit, schrieb das Urteil, schaffte uns Freiräume. Verteidi- der LINKEN – Elisabeth Winkelmeier-Becker ger waren im Interesse ihrer Mandanten ganz überwie- [CDU/CSU]: Das ist reversibel!) gend sehr kooperativ. Konfliktverteidigung kannten wir Sie loben sich für mutige Schritte, meine Damen und aus juristischen Fachzeitschriften oder juristischen Herren, bei der StPO-Reform; aber die wirklichen Chan- Seminaren. Die Sitzungen dauerten in der Regel zwei cen haben Sie nicht gesehen und ergreifen sie nicht, etwa bis drei Tage. Urteile wurden häufig rechtskräftig, da alles bei der Frage der Digitalisierung. Sie sagen: „Ja, wir wol- akzeptiert wurde, weil es konsensual geregelt wurde. Ent- len eine Videoaufzeichnung von Zeugenvernehmungen“, sprechend wenig schriftlicher Begründungsaufwand war und richten jetzt eine Expertenkommission ein, die prüfen erforderlich. soll, ob wir vielleicht auch Hauptverhandlungen mit Vi- Zweitens. Wie entwickelte sich das Ganze? Da greife deografie aufzeichnen können. Welchen Erkenntnisbe- ich jetzt tatsächlich auf die Empirie zurück, Herr Kollege darf haben Sie denn hier noch, um festzustellen, ob eine Straetmanns, und zwar auf den Anfang 2018 erschiene- Videoaufzeichnung die Hauptverhandlung festhalten nen „Strafkammerbericht“ des OLG Celle, dem die Er- kann oder nicht? fahrungen von Landgerichten aus sechs Bundesländern (Heiterkeit bei der FDP) zugrunde liegen und für den über 11 000 Strafverfahren ausgewertet wurden. Die Zahl der Hauptverhandlungsta- Das wird in anderen Ländern längst gemacht. Wenn Sie ge erhöhte sich auf durchschnittlich mehr als fünf, was eine Expertengruppe wollten, warum haben Sie die nicht wegen der begrenzten Sitzungstermine und der beengten längst eingesetzt? Terminkalender der Verteidiger häufig zu mehrwöchigen Etwas anderes ist die Einführung der elektronischen oder gar monatelangen Verhandlungen führt. Die oberge- Akte. Seit über zehn Jahren – das weiß ich auch aus richtliche Rechtsprechung reduzierte die Zweierbeset- eigener Erfahrung – verhandeln Bund und Länder über zungsmöglichkeit auf ein Minimum. Im Schnitt sind über die Schaffung und Einführung einer elektronischen Akte. elf Zeugen zu vernehmen. Der Anteil der Haftsachen, die Sie ist bis heute nicht auf den Weg gebracht worden, und beschleunigt und vorrangig zu behandeln sind, beträgt (B) Sie bringen sie auch hier wieder nicht auf den Weg. mittlerweile fast 40 Prozent. Entsprechend länger bleiben (D) Nichthaftsachen – das wurde bereits vom Kollegen Seitz (Beifall bei der FDP) angesprochen – liegen. Auch der Kollege Frei hat darauf Die elektronische Akte ist so etwas wie der BER der bereits Bezug genommen. deutschen Justiz, meine Damen und Herren. Die Verfahrensdauer hat sich auf nahezu 300 Tage er- Zum Schluss: Sie hätten sich durchaus noch etwas Mu- höht und damit verdoppelt. Wirtschaftsstrafsachen liegen tigeres vornehmen können, etwa die Sicherung der Unab- manchmal jahrelang herum. Zum Teil droht sogar die hängigkeit der Strafverfolgungsorgane bei den Staatsan- Verjährung. Gerade in Haftsachen wird ganz bewusst ver- waltschaften, indem Sie, wie von uns gefordert, die zögert. In über 10 Prozent der Verfahren werden Befan- Weisungsrechte der Justizministerien gegenüber den genheitsanträge und Beweisanträge missbräuchlich ge- Staatsanwaltschaften abschaffen. stellt oder Besetzungsrügen erhoben, die gleich zu Beginn eines Prozesses zu einer vollständigen Blockade (Dr. Eva Högl [SPD]: Das machen wir noch!) der Strafkammer führen und den Fahrplan des Gerichts völlig zum Erliegen bringen. Berichte, dass Straftäter die Das wäre mal ein mutiger Schritt. Untersuchungshaft verlassen durften oder mussten, weil Aber wie gesagt: Wir haben unseren Gesetzentwurf die erforderliche Beschleunigung nicht mehr gewährleis- hier eingebracht. Es liegt nun an Ihnen, unserem mutigen tet war, häufen sich. Entwurf zuzustimmen. Ihrem Entwurf können wir nicht zustimmen. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Beifall bei der FDP) Herr Kollege Müller, der Kollege Dr. Martens würde gerne eine Zwischenfrage stellen. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Axel Müller (CDU/CSU): Axel Müller, CDU/CSU, ist der nächste Redner. Ja, bitte schön. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Jürgen Martens (FDP): Axel Müller (CDU/CSU): Vielen Dank, Herr Kollege. – Sie sprachen eben davon, Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und dass 10 Prozent der Befangenheitsanträge in Landge- Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Fünf richtsverfahren missbräuchlich gestellt würden. Wo ha- Punkte in fünf Minuten. ben Sie diese Zahl her? 15304 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

(A) Axel Müller (CDU/CSU): satzgrundlagen zu schaffen, oder gar die Möglichkeit, (C) Aus dem „Strafkammerbericht“ des OLG Celle. Strafabschläge zu machen, den Opfern? Was folgt – fünftes und letztens – daraus? Die gesetz- Dr. Jürgen Martens (FDP): lichen Rahmenbedingungen für den Strafprozess müssen Und das erstreckt sich auf alle Landgerichte und auf so verändert werden, wie es der Gesetzentwurf vorsieht. welchen Zeitraum? Nicht zuletzt muss eine Möglichkeit bestehen, dass man Straftätern, die als nomadisierende Einbrecherbanden Axel Müller (CDU/CSU): durchs Land ziehen, auf die Schliche kommt. Das zum Es wurden in sechs Bundesländern insgesamt 11 000 Thema DNA-Untersuchung, Frau Kollegin Bayram. Strafkammerverfahren ausgewertet. Mein Fazit: Der Gesetzentwurf ist eine richtig gute Grundlage für die weiteren Beratungen zu einer Reform, Dr. Jürgen Martens (FDP): die wirklich notwendig ist. Vielen Dank. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Axel Müller (CDU/CSU): Angesichts dieser Entwicklung sage ich, dass die Be- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: schleunigung nicht mehr gewährleistet ist. Dr. Johannes Fechner, SPD, ist der nächste Redner. Drittens. Was folgt jetzt daraus? Der Strafprozess und mit ihm ein gutes Stück Rechtsstaat drohen doch zu (Beifall bei der SPD) scheitern. In Berlin wurde 2019 ein Rockerprozess erst nach fünf Jahren beendet. 2017 platzte in Koblenz ein Dr. Johannes Fechner (SPD): Mammutprozess gegen 26 Rechtsextreme – wir haben Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie- es bereits gehört – nach vier Jahren und Millionen von be Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Deutsch- Kosten, weil der vorsitzende Richter die Pensionsgrenze land ist eines der sichersten Länder. Das ist auch gut so. erreicht hatte. Wenn die Frist verlängert worden wäre, Dafür hat die SPD schon in der letzten Wahlperiode sehr prognostiziere ich, hätte man diesen Prozess auch weiter- viel getan. Das wollen wir mit dem Koalitionspartner treiben können, so lange, bis auch die Verlängerung zu auch in dieser Wahlperiode tun, und zwar ohne Beschul- Ende gegangen wäre. Das ist mir selber kurz vor dem digtenrechte unangemessen einzuschränken, liebe Kolle- ginnen und Kollegen. (B) Wechsel in dieses Haus so geschehen, als man einen Pro- (D) zess so lange in die Länge getrieben hat, dass monate- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten lange Verhandlungen vergeblich waren. der CDU/CSU) An dieser Stelle sei noch kurz auf zwei Oppositions- Zur Bekämpfung der Kriminalität ist für uns eines der anträge eingegangen, auf den der FDP und den der Grü- wichtigsten Mittel, mehr Personal bei der Polizei und in nen. Videoaufzeichnungen in der Hauptverhandlung – der Justiz zu schaffen. Die besten Gesetze, die schärfsten der Herr Staatssekretär hat es angesprochen; ich sehe es Gesetze bringen nichts, wenn wir auf den Polizeirevieren kritisch –, die Digitalisierung des Strafprozesses bieten oder in den Gerichten kein Personal haben, das diese Ge- keine wirklichen Lösungen. Der Grund dafür, dass Ver- setze anwendet. Deshalb sind jetzt die Länder gefragt, die fahrensbeteiligte nicht ausgetauscht werden können, ist 220 Millionen Euro, die wir als Bund für dieses Personal doch, dass wir einen Unmittelbarkeitsgrundsatz haben, zur Verfügung stellen, auch abzurufen. Hier sind die Län- der insbesondere für den Angeklagten sicherstellt, dass der wirklich in der Pflicht, liebe Kolleginnen und Kol- die urteilenden Personen von Anfang an bis zum Ende die legen. gleichen sind. Sie sollen auch live dabei sein. Es steht doch die berechtigte Furcht im Raum, dass zugleich die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Grundlage geschaffen wird für eine weitere Tatsachen- der CDU/CSU) instanz in der Revision – da bin ich anderer Ansicht als der Kollege Reusch –, obwohl sie ausschließlich darüber Zu einem modernen und starken Rechtsstaat gehört wachen soll, dass das Recht eingehalten worden ist und eine effektive Justiz. Um dies zu erreichen, werden wir nicht die Schuldfrage klären soll. mit diesem Gesetz eine Fülle von Maßnahmen beschlie- ßen. Wir wollen verhindern, dass Strafprozesse erheblich Viertens. Meine sehr verehrten Damen und Herren, verzögert werden oder im schlimmsten Fall platzen, und 75 Prozent der Richter und Staatsanwälte sind der Mei- zwar wollen wir den Missbrauch von Beschuldigtenrech- nung, dass die Verfahren zu lange dauern, häufig verur- ten einschränken. Deswegen ist es gut, dass trotz eines sacht durch Hunderte von Beweisanträgen, die gar nicht Befangenheitsantrags die Hauptverhandlung weitergehen selten ins Blaue hinein gestellt werden. Mit dieser An- kann. Kollege Thomae, zwei Wochen kann man ohne sicht steht diese Personengruppe nicht allein. 88 Prozent größere Probleme nachholen. Gerade bei den größeren der Bevölkerung teilt die Ansicht. Der NSU-Prozess hat Strafverfahren mit einer Vielzahl von Nebenklägern – über fünf Jahre gedauert. Die Kollegin Högl hat bereits ich denke hier beispielsweise an den Love-Parade-Fall gesagt, zu welchem Problem es aufgrund der Neben- in Duisburg – besteht die Gefahr, dass ein solch großer klagen gekommen ist. Ich sage nur: Was bisher geschehen Prozess dadurch verzögert oder enorm in die Länge ge- ist, reicht nicht. Wo dient die Möglichkeit, Schadenser- zogen wird, dass es eine Fülle von Nebenklägern mit Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15305

Dr. Johannes Fechner (A) anwaltlicher Vertretung gibt. Deswegen sage ich: Es ist Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (C) gerade im Interesse der Opfer, im Interesse eines Voraussichtlich letzter Redner in dieser Debatte ist der schnellen Verfahrensabschlusses für alle Beteiligten, dass Kollege Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU. ein solcher Prozess zügig vorangebracht werden kann. Deswegen wollen wir bei gleichgelagerten Interessen ei- (Beifall bei der CDU/CSU) ne Möglichkeit für das Gericht schaffen – wohlgemerkt: eine Möglichkeit bei gleichgelagerten Interessen –, eine Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): anwaltliche Vertretung mehreren Nebenklägern zuzuord- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- nen. Das ist eine sinnvolle Maßnahme, liebe Kolleginnen ren! Mit diesem Gesetzentwurf lösen wir ein zentrales und Kollegen. Versprechen ein, Strafverfahren effizienter zu gestalten und zu beschleunigen, aber gleichzeitig weiterhin die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Aufklärung von Straftaten zu ermöglichen und zur Wahr- der CDU/CSU) heitsfindung beizutragen, um damit das Vertrauen der Ja, wir wollen der Polizei die Möglichkeit geben, auf Bürgerinnen und Bürger in den Rechtsstaat zu festigen. die Informationen, die man aus DNA-Spuren über Haut, Dieser Gesetzentwurf ist Teil unseres Pakts für den Haarfarbe, Augenfarbe und Alter gewinnen kann, zuzu- Rechtsstaat. Wir sagen, dass wir auf der einen Seite durch greifen. Dann nämlich kann die Polizei ihre Ermittlungen eine Mehrung von Stellen bei Polizei, Justiz und Staats- konzentrieren und sie hat so viel bessere Möglichkeiten, anwaltschaften die Möglichkeit schaffen, dass die Justiz den Täter zu überführen. Die Wissenschaft ist so weit, besser und beschleunigter arbeitet. Auf der anderen Seite dass sie mit prozentgenauer Wahrscheinlichkeit sagen brauchen wir dazu auch eine notwendige Reform bei den kann, ob ein solches Merkmal vorliegt oder nicht. Das Verfahren. ist der entscheidende Vorteil dieses genetischen Phantom- bilds im Vergleich zum gezeichneten Phantombild, das Ich möchte anfangen mit der Reform der Telekommu- oft auf nicht immer zuverlässigen Zeugenaussagen be- nikationsüberwachung. Wir haben vor zwei Jahren ge- ruht. Deswegen hat das nichts mit Rassismus oder Racial sagt, dass der Einbruch in ein Privathaus nicht irgendeine Profiling zu tun, sondern hier stützen wir die Wahrheits- Bagatelle ist, sondern es ist ein Verbrechen, weil es die findung. Die Wahrheitsfindung geht hier für uns vor. Des- Menschen in ihrem Kernbereich, in ihrer Würde und in wegen ist das eine wichtige Maßnahme, liebe Kollegin- ihrem Schutzanspruch berührt. Aber deswegen müssen nen und Kollegen. wir auch den Strafverfolgungsbehörden die entsprechen- den Befugnisse geben. Dazu gehört auch, Telekommuni- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten kationsüberwachung durchzuführen. Das führen wir jetzt (B) der CDU/CSU) ein. Das führt zu einer weiteren verstärkten Aufklärung (D) und zu einem Rückgang von Wohnungseinbruchsdelik- Und schließlich werden wir bei Sexualstraftaten die ten, meine Damen und Herren. Verurteilung der Täter vereinfachen; denn heute ist es oft so, dass ein Opfer einer Sexualstraftat – in der Regel (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) eine Frau – die Strafanzeige stellt, danach leider allzu oft vom Täter unter Druck gesetzt wird und im Strafprozess Wir werden auch die Möglichkeit der DNA-Analyse keine Aussage mehr macht. Hier sorgen wir dafür, dass auf die Merkmale Augenfarbe, Haarfarbe und Alter er- mit Zustimmung des Opfers zum Zeitpunkt der Strafan- weitern. Bislang war sie nur für das Merkmal des Ge- zeige eine Videoaufnahme zwingend erstellt werden schlechts möglich. Ich glaube, dass all die Vorwürfe, muss und dass diese dann bei Zustimmung des Opfers die hier kamen, im Ergebnis nicht durchdringen können. in der Hauptverhandlung die Zeugenaussage ersetzen Alle Merkmale, die wir jetzt aufnehmen, sind auch die kann. Das wird dazu führen – das bekommen wir als Merkmale, die gegebenenfalls ein Zeuge durch den Au- Rückmeldung aus Wissenschaft und Praxis –, dass Se- genschein der Polizei mitteilen könnte, nämlich die Fra- xualstraftäter häufiger verurteilt werden können. Es ge: Handelt es sich um einen Mann oder eine Frau? Wie schützt auch das Opfer vor der schlimmen Situation, über alt ist der Täter ungefähr? Welche Augenfarbe, welche diese schlimme Tat nochmals im Prozess aussagen zu Haarfarbe, welche Hautfarbe hat er? Da geht es nicht um müssen. irgendwelche Diskriminierungen, sondern es geht um die Eingrenzung des möglichen Täterkreises. Damit ist das (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Axel eine Handhabe für Polizei und Staatsanwaltschaften und Müller [CDU/CSU] und Stephan Thomae ein Beitrag zur Wahrheitsfindung und zur Beschleuni- [FDP]) gung der Aufklärung eines Verbrechens. Meine Damen und Herren, dagegen kann man nichts haben. Das ist Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, dieser Ge- wichtig und notwendig. setzentwurf enthält viele wichtige Ziele. Ein Punkt fehlt uns: das ist die audiovisuelle Aufnahme der Hauptver- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und handlung. Es gibt viele gute Gründe, dass wir diese auf- der SPD) nehmen. Wir werden die Gesetzesberatungen nutzen, um Dann möchte ich über die Frage der Beweisanträge dieses Thema weiter voranzutreiben. sprechen. Wir schaffen mit dem § 244 StPO in der Straf- Vielen Dank. prozessordnung zum ersten Mal eine Legaldefinition von Beweisanträgen. Bislang gab es dazu nur die Rechtspre- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten chung des Bundesgerichtshofs. Wer sich diesen Entwurf der CDU/CSU und der FDP) genau ansieht, stellt fest, dass das Beweisantragsrecht 15306 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Dr. Volker Ullrich (A) nicht eingeschränkt wird. Es geht nur darum, dass wir Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf: (C) verhindern wollen, dass das Beweisantragsrecht miss- braucht wird. Konfliktverteidigung ist wichtig. Es ist a) Erste Beratung des von den Abgeordneten auch ein Teil der Strategie von Strafverteidigern. Aber Peter Boehringer, Tobias Matthias Peterka, die Grenze muss doch da liegen, wo es nicht mehr um Stephan Brandner, weiteren Abgeordneten die Wahrheitsfindung geht, sondern darum, den Prozess und der Fraktion der AfD eingebrachten Ent- insgesamt zu verunmöglichen. Es gibt doch einen An- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des spruch des Staates, den Strafprozess zur Wahrheitsfin- Grundgesetzes zum Schutz der Bargeld- dung, zur Verurteilung oder zum Freispruch in einer an- nutzung (Artikel 14) gemessenen Zeit durchzuführen. Das ist der Sinn und Drucksache 19/14761 Zweck dieser Vorschrift. Das hat mit der Einschränkung von Verteidigungsrechten nichts zu tun. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Finanzausschuss (Beifall bei der CDU/CSU) b) Beratung der Antwort der Bundesregierung Genauso ist es auch mit den Vorschriften zur Befan- auf die Große Anfrage der Abgeordneten genheit und zur Besetzungsrüge. Wenn die Besetzungs- Stefan Keuter, Kay Gottschalk, Dr. Bruno rüge vor Eintritt in die Hauptverhandlung erfolgt, dann Hollnagel, Franziska Gminder und der Frak- herrscht Klarheit. Das ist besser, als wenn man den Pro- tion der AfD zess beginnt und gleich wieder unterbrechen muss. Das kostet nämlich wertvolle Ressourcen. Das ist auch der De facto-Besteuerung und -Entwertung Grund, warum wir das machen. von Bargeld Es geht hier vor allen Dingen darum, dass wir die groß- Drucksachen 19/8124, 19/10144 en Verfahren strukturierter abhandeln wollen; denn die Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die großen Verfahren binden viel Personal, welches dann oft- Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen mals für die Verfahren wegen kleinerer Delikte fehlt, wo Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. es darum geht, innerhalb von wenigen Tagen und Wochen zu einem Urteil zu kommen. Man muss das in der Ge- Ich bitte, den Saal zu verlassen, wer an der Debatte samtschau sehen. Es geht um die kleinen Verfahren und nicht teilnehmen will, und im Übrigen die Plätze wieder um die großen Verfahren. Wir brauchen insgesamt mehr einzunehmen. Ressourcen, damit wir bessere und schnellere Strafver- Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem (B) fahren bekommen und das Vertrauen in den Rechtsstaat (D) weiter stärken können. Kollegen Stefan Keuter, AfD. Ein letzter Punkt, der uns sehr wichtig ist, ist der Opfer- (Beifall bei der AfD) schutz. Wir müssen auch an die Menschen denken, die Opfer eines Verbrechens werden. Gerade im Bereich der Stefan Keuter (AfD): Sexualdelikte wollen wir zwei Neuerungen auf den Weg Sehr geehrter Präsident! Meine sehr geehrten Damen bringen, die den Opfern wirklich helfen. Zum einen gibt und Herren! Anfang des Jahres ist ein Arbeitspapier des es bei jeder Art eines Sexualdelikts die Möglichkeit, eine IWF, des Internationalen Währungsfonds, aufgetaucht, Nebenklage zu erheben, einen Opferanwalt zu haben. Das (Matthias Hauer [CDU/CSU]: Das ist schon die ist wichtig für die Stärkung der Rechte im Strafverfahren. erste Lüge!) Zum anderen schaffen wir durch die Aufzeichnung der Aussage die Möglichkeit, dass sich das Opfer nicht im- abgefasst in deutscher Sprache: Abschaffung des Bar- mer wieder mit der Tat konfrontiert sehen muss. Das ist gelds, Eindämmung der Bargeldnutzung mit dem Ziel, - wichtig. Damit machen wir deutlich: Der Opferschutz ist uns wichtig. (Matthias Hauer [CDU/CSU]: Da hat jemand die Antwort der Bundesregierung nicht gele- Lassen Sie uns über alle diese Punkte konstruktiv reden sen!) und daraus ein gutes Gesetz machen. – Herr Hauer, hören Sie mir erst mal zu; Sie dürfen gleich Herzlichen Dank. reden. – (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Dr. h. c. [Univ Kyiv] Hans Michelbach [CDU/ ordneten der SPD) CSU]: Nein, das ist doch falsch, was Sie sa- gen!)

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: – Bargeld einzuschränken, um Negativzinsen an die End- Damit schließe ich die Aussprache. verbraucher weiterzugeben. (Dr. h. c. [Univ Kyiv] Hans Michelbach [CDU/ Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf CSU]: Sie sollen die Wahrheit sagen!) den Drucksachen 19/14747, 19/10388 und 19/14244 an die in der Tagesordnung angeführten Ausschüsse vorge- Unsere Große Anfrage wurde von der Bundesregierung schlagen. – Sie sind offenbar damit einverstanden. Dann beantwortet, und ich kann sagen: Die Antwort war dünner verfahren wir so. als Motorenöl in der Formel 1. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15307

Stefan Keuter (A) (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Der Staat muss nicht alles wissen. Stellen Sie sich einmal (C) vor, Sie zahlen bargeldlos. Dann hat der Staat die Mög- Man wiegelte ab. Man sagte: Och, alles nicht so schlimm, lichkeit, auf Ihrer Zahlkarte ein Sperrmerkmal zu setzen. wir halten am Bargeld fest, Bargeld ist gesetzliches Zah- lungsmittel. (Sepp Müller [CDU/CSU]: Was erzählen Sie denn für einen Blödsinn?) (Dr. Jens Zimmermann [SPD]: Ah! Interessant! Können Sie das noch einmal wiederholen?) Die Grünen fordern einen Freitag ohne Fleisch, Die Fakten sind aber: Deutschland ist viertgrößter An- (Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- teilseigner im IWF und hat ein Stimmrecht von über NEN]: Das machen wir nicht!) 5 Prozent bei 189 Mitgliedern, also ein Schwergewicht. Ich halte das für Lippenbekenntnisse. aber stellen Sie sich vor, Sie sind aufgrund der bargeldlo- sen Bezahlung gar nicht in der Lage, Ihre Fleischkäufe am Schauen wir uns die Lage in Deutschland an: 500-Eu- Freitag durchzuführen. Was technisch möglich ist, wird ro-Scheine werden nicht mehr ausgegeben. auch irgendwann gemacht. (Dr. Jens Zimmermann [SPD]: Das trifft die Es gibt ein hässliches Denkspiel. Stellen Sie sich ein- AfD ganz besonders!) mal vor, im Dritten Reich hätte es kein Bargeld gegeben: Wir arbeiten im Finanzausschuss derzeit an der Umset- Welche Personengruppen wären von der sozialen Teilha- zung einer EU-Richtlinie für nächstes Jahr, nach der ano- be ausgeschlossen gewesen, weil ihnen die Käufe be- nyme Edelmetallkäufe über 2 000 Euro verboten sein stimmter Produkte nicht ermöglicht worden wären? sollen, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Inte- (Dr. Jens Zimmermann [SPD]: Dann muss der ressant, dass Sie ans Dritte Reich denken!) AfD-Goldshop ja geschlossen werden!) Das sind Fantasien, die sind schlimmer als George Or- ebenso die anonyme Zahlung mit Bargeld über 5 000 Euro. wells „1984“. Außerdem werden Kunst- und Antiquitätenhändler und Auktionatoren verpflichtet, weitreichende Aufzeichnun- (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Dr. Jens gen über ihre Kunden zu machen, die Bargeld nutzen. Zimmermann [SPD]: Das sind vielleicht Ihre feuchten Träume! – Dr. h. c. [Univ Kyiv] Hans (Sepp Müller [CDU/CSU]: Das nennt man Michelbach [CDU/CSU]: Das sind Beispiele! – Legitimation!) Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Selbst (B) beim Bargeld fällt Ihnen nur das Dritte Reich (D) Bargeld ist nach wie vor gesetzliches Zahlungsmittel, ein!) und wir hoffen, dass das so bleibt. Aber versuchen Sie einmal, Ihre GEZ-Gebühren oder Ihre Steuerschulden mit Der zweite Punkt. Geldpolitische Maßnahmen sind Bargeld zu bezahlen. nicht mehr durchzusetzen, wenn der Bürger Bargeld hat. Die Weitergabe von Negativzinsen an die Endver- (Matthias Hauer [CDU/CSU]: Oder den AfD- braucher ist nicht möglich, Kapitalschnitte und Entei- Beitrag!) gnungen auch nicht. Von daher sagen wir: Bargeld ist Ich sage Ihnen: Sie werden das Geld nicht los. gelebte Freiheit. (Dr. h. c. [Univ Kyiv] Hans Michelbach [CDU/ (Beifall bei der AfD) CSU]: Sie kriegen Ihre Spenden ja aus der Wir haben mit der Bargelddebatte ein sehr heißes The- Schweiz!) ma in Deutschland angestoßen. Unter dem Vorwand der Geldwäschebekämpfung und der Bekämpfung der Terrorfinanzierung wird der deutsche (Sepp Müller [CDU/CSU]: Wir haben viel Bürger unter Generalverdacht gestellt. Das ist mit uns wichtigere Themen!) nicht zu machen. Seit der Pressekonferenz der AfD Anfang der Woche ha- ben viele Mainstreammedien darüber berichtet. Selbst (Beifall bei der AfD) „Die Welt“ hat gestern einen Artikel gebracht, in dem Was sind die Ziele und Gefahren der Bargeldabschaf- darüber diskutiert wurde, wie es wäre, 10 000-Euro- fung? Scheine auszugeben, um den deutschen Sparer vor Zwangsenteignungen und Negativzinsen zu schützen. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das will doch gar keiner! Was ist das für ein Unsinn?) (Zuruf von der AfD: Sehr gute Idee!) Erstens. Gelebte Freiheit und Datenschutz müssen erhal- Ich denke, wir sind auf einem richtigen Weg. Mit der ten bleiben. Wenn Sie heute im Internet einkaufen, folgen AfD ist ein Überwachungsstaat nicht zu machen. Liebe Ihnen die Werbeanzeigen über Wochen. Bürger, ich möchte Sie ermuntern: Nutzen Sie weitestge- hend Bargeld! – Ich freue mich auf eine schöne Debatte (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Sie kön- mit Ihnen. nen die Spenden immer noch bar entgegenneh- men, nur nicht in 500-Euro-Scheinen!) Vielen Dank. 15308 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Stefan Keuter (A) (Beifall bei der AfD – Dr. h. c. [Univ Kyiv] Bereits jetzt ist Bargeld durch unsere Verfassung und (C) Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie sind das durch die Grundrechte geschützt: durch die Eigentums- Geld nicht wert nach dieser Rede!) freiheit, durch die Vertragsfreiheit, durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Ihr Gesetzentwurf ist Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: daher schlicht überflüssig. Schlicht ist er auch. Matthias Hauer, CDU/CSU, ist der nächste Redner. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Pro- grammatische Insolvenz!) (Beifall bei der CDU/CSU) Wie begründen Sie Ihren Entwurf? Sie befürchten eine Matthias Hauer (CDU/CSU): Aufweichung der Datenschutz-Grundverordnung zulas- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- ten des Datenschutzes. Ernsthaft? Die AfD als Kämpfer ren! Wir als CDU/CSU stehen zum Bargeld. Menschen für die Datenschutz-Grundverordnung? sollen selbst entscheiden können, ob sie bar oder bargeld- (Lachen des Abg. Dr. Jens Zimmermann los bezahlen. Die Freiheit des Bargeldverkehrs ist für uns [SPD]) unantastbar. Hier sind die Positionen ganz klar, ob im Regierungsprogramm der Union oder im Koalitionsver- Da haben Sie vor einem Jahr noch ganz anders geredet: trag mit der SPD. Auch die Bundesregierung bekennt sich Bürokratiemonster, Angriff auf die Meinungsfreiheit, Sie klar zum Bargeld, andere Regierungen tun das auch. Die wollten das aussetzen. Heute argumentieren Sie anders Bundesbank ist fest überzeugt: Bargeld wird auch in Zu- als damals, wie es Ihnen argumentativ gerade in den kunft seine Gültigkeit behalten. Fazit: Niemand will das Kram passt. Bargeld abschaffen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- kommt davon, wenn man kein Programm hat!) ordneten der SPD) Herr Keuter, Sie haben gerade gesagt, der Überwa- Ich sehe hier nur Finanzpolitiker – es sind jetzt alle chungsstaat nahe. Gleichzeitig werben Sie als AfD als hier –, also gehe ich auf Nummer sicher und frage mal: einzige Fraktion für die Digitalwährung Libra von Face- Ist jemand anwesend, der das Bargeld abschaffen möch- book. te? (Sepp Müller [CDU/CSU]: Hört! Hört!) (Antje Tillmann [CDU/CSU]: Nein! – Frank Sie rühmen sich, Sie seien sehr aufgeschlossen, gar wohl- Schäffler [FDP]: Nein, der Finanzminister ist wollend. Sie wollen damit ausländischen Großkonzernen (B) nicht da!) (D) in diesem Konsortium blind vertrauen. Vor zwei Wochen – Fehlanzeige! Niemand meldet sich, keiner will das, und waren Vertreter von Libra im Digitalausschuss zu Gast. jetzt kommt die AfD mit ihrem Gesetzentwurf und will das Bargeld retten. Nicht eine Frage der AfD zum Thema Finanzstabilität. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU (Cansel Kiziltepe [SPD]: Genau! – Tabea und der FDP – Michael Grosse-Brömer Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Inte- [CDU/CSU]: Das ist der Moment, in dem ressant!) man den Antrag zurückzieht!) Geldwertstabilität, Datenschutz, Verbraucherschutz? Das Ich frage Sie: Vor wem wollen Sie das Bargeld retten? mussten die anderen Fraktionen hinterfragen. Was hat die AfD gefragt? Ob man künftig seine Steuern in Libra zah- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie len kann. bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Heiterkeit bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Sie von der AfD führen einen Kampf gegen eingebildete Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Datenkrake Fa- Gefahren. Sie zündeln, Sie machen Menschen Angst, Sie cebook! Steuern sind für die ein heikles The- reden ihnen Gefahren ein, um sich dann selbst als Retter ma! – Dr. Jens Zimmermann [SPD]: Interes- darzustellen. sant!) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Wie glaubwürdig sind Sie? Sie spielen Retter des Bar- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- gelds, um dann – ja – unkritisch eine Digitalwährung ordneten der FDP) herbeizureden, von privaten Akteuren herausgegeben. Das passt alles nicht zusammen. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Jeder wird auch künftig mit Bargeld bezahlen können, neten der SPD, der LINKEN und des BÜND- und das hat überhaupt nichts mit der AfD zu tun. Bargeld NISSES 90/DIE GRÜNEN – ist Datenschutz, Bargeld ist Privatsphäre, Bargeld ist [AfD]: Dünne Rede!) Freiheit – dazu stehen wir fraktionsübergreifend. Ich komme zum Ende. (Frank Pasemann [AfD]: Der 500-Euro-Schein nicht? Das ist doch der Beginn!) (Der Redner bricht seine Rede ab) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15309

(A) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: und Gedanken. Ich versuche, jetzt wieder in die Debatte (C) Liebe Kollegen, ich unterbreche die Sitzung. zu gehen. (Unterbrechung von 10.22 bis 11.30 Uhr) Wir knüpfen mit der heutigen Debatte nahtlos an die Diskussion an, die wir in der vergangenen Sitzungswoche zum Berufsbildungsmodernisierungsgesetz hatten. Wir Vizepräsident : haben bei der Verabschiedung des Gesetzes, wie ich fin- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne erneut die de, sehr wichtige Weichen zur Stärkung der beruflichen Sitzung des Deutschen Bundestages. Bildung gestellt. Wir wissen natürlich auch, dass die er- Ich unterrichte Sie darüber, dass der Kollege Hauer voll zielten Erfolge allein nicht ausreichen werden, um die stabilisiert ist, voll ansprechbar ist und bei den Ärzten in berufliche Bildung wieder attraktiver zu machen. Deswe- guten Händen ist. Wir wünschen ihm von hier aus alles gen möchte ich mit meiner Rede genau da anknüpfen, wo Gute. ich mit meiner letzten Rede aufgehört habe, nämlich bei dem Idealbild der Zukunft der beruflichen Bildung und (Beifall) wie ich es sehe. Ich wünsche mir, dass jeder einzelne junge Mensch, der eine Ausbildung aufnimmt, am Ende Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Netz kursieren seiner Ausbildung ganz ehrlich sagen kann: Ja, ich habe bereits Posts mit teilweise erbärmlichen Kommentaren. für mich persönlich die richtige Entscheidung getroffen. Ich kann die Menschen draußen im Lande nur darum bitten, auch aus Respekt vor der Person und der Würde Die Frage, wie jeder Einzelne für sich zu diesem posi- unseres Kollegen, davon Abstand zu nehmen, den Zu- tiven Ja kommen kann, hängt von vielen unterschiedli- sammenbruch zu posten, die Behandlung zu posten. chen Faktoren ab. Was aber in jedem Fall zutrifft, ist, dass durch die immer stärker digitalisierten Arbeitsprozesse (Beifall) und die Zunahme von Kooperationen zwischen Mensch So viel Anstand sollte in unserer Gesellschaft vielleicht auf der einen und Maschine auf der anderen Seite ein noch vorherrschen. Faktor von immer entscheidender Bedeutung sein wird, nämlich die Fragen, wie gut es uns gelingt, die berufliche (Beifall) Bildung in der Zukunft auch digital zu gestalten, und wie Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Fraktionen haben wir die berufliche Bildung an die Herausforderungen der sich darauf verständigt, die restlichen Redebeiträge zu Digitalisierung anpassen können. 1) Protokoll zu geben, sodass wir den Tagesordnungs- In der Enquete-Kommission „Berufliche Bildung in punkt nicht weiter debattieren. Die Aussprache ist ge- der digitalen Arbeitswelt“ stellen wir uns seit ziemlich (B) schlossen. genau einem Jahr genau diese Frage, nämlich: Wie ge- (D) Tagesordnungspunkt 4. Interfraktionell wird Überwei- stalten wir die berufliche Ausbildung als ersten wichtigen sung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 19/14761 an die Schritt auf einer Bildungsreise durch das gesamte Leben? in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- Viele Bereiche der beruflichen Tätigkeiten werden nach schlagen. Gibt es weitere Überweisungsvorschläge? – und nach digitalisiert. Das erleben wir alle. Dadurch ent- Das ist nicht der Fall. Dann verfahren wir wie vorgeschla- stehen neue Tätigkeitsfelder, und neue Aufgabenbereiche gen. werden für die Arbeitnehmer immer wichtiger. Deswegen muss es unser Ziel sein, dass wir aus diesen Trends die Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf: richtigen Schlüsse ziehen. Insbesondere gilt das für die weitere Gestaltung der beruflichen Ausbildung. Vereinbarte Debatte Wir müssen anfangen, den Erwerb von digitalen Kom- Zukunft der beruflichen Bildung in der digita- petenzen als ganz natürlichen Teil des Lernens zu ver- len Arbeitswelt stehen, und die Bildungsangebote an die veränderten Bil- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die dungskompetenzanforderungen, die wir in den Betrieben Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen bemerken, anpassen. Nur so können wir erstens in Zu- Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. kunft junge Menschen davon überzeugen, dass die beruf- liche Bildung für sie genau das ist, was sie zufrieden und Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red- erfolgreich ihren persönlichen Lebensentwurf leben lässt. nerin der Kollegin Katrin Staffler von der CDU/CSU- Zweitens muss man natürlich auch die Betriebe davon Fraktion das Wort. überzeugen, dass es für sie ein Gewinn auf allen Ebenen sein kann, wenn sie selbst eine Ausbildung anbieten und (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ihre zukünftigen Mitarbeiter selbst ausbilden. ordneten der SPD) Insbesondere in drei Bereichen können wir diese Rah- Katrin Staffler (CDU/CSU): menbedingungen, von denen ich gesprochen habe, ver- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bessern. Der erste Bereich ist die Wissensvermittlung. glaube, es ist nicht ganz einfach, jetzt direkt wieder zur Der zweite Bereich ist die Organisation der beruflichen Tagesordnung überzugehen. Wir schicken auf alle Fälle Bildung, und natürlich müssen wir drittens auch auf die unserem lieben Kollegen die besten Genesungswünsche Lernorte schauen. Ich komme zum ersten Punkt: zur Wissensvermittlung. 1) Anlage 2 Wir müssen digitalen Kompetenzen und vor allem dem 15310 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Katrin Staffler (A) Umgang mit digitalen Medien ein größeres Gewicht ge- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) ben. Denn neben den Auszubildenden müssen natürlich Vielen Dank, Frau Kollegin Staffler. – Als nächste auch das Berufsschulpersonal und die betrieblichen Aus- Rednerin hat das Wort die Kollegin Nicole Höchst, bilder fit gemacht werden für die Nutzung von digitalen AfD-Fraktion. Werkzeugen, von digitalen Anwendungen und Lehrmit- teln. (Beifall bei der AfD) Nicole Höchst (AfD): Bei der Organisation der beruflichen Bildung liegt aus meiner Sicht sehr großes Potenzial darin, dass man sehr Werter Herr Präsident! Werte Kollegen! Auch von un- viel stärker auf die Vielfalt und auf die Chancen berufli- serer Seite gute Genesung an den Kollegen. cher Karrierewege hinweist. So muss zum Beispiel eines (Yasmin Fahimi [SPD]: Dann sparen Sie sich unserer Ziele sein, die vielfältigen Angebote, die man im die Kommentare!) Bereich der Berufsorientierung hat, also bei der Ausbil- dungsanbahnung und beim Erfahrungsaustausch, über di- Es ist schwierig, zum „business as usual“ überzugehen, gitale Plattformen sehr viel stärker und enger miteinander aber wir wollen es trotzdem versuchen. zu verzahnen. Am Anfang der Enquete-Kommission stand die partei- übergreifende gemeinsame tiefe Überzeugung, dass wir In der Ausbildung selbst können wir durch technische als Gesellschaft mit der Digitalisierung auf einen Möglichkeiten das ortsunabhängige Lernen verbessern Umbruch zusteuern, der ebenso gravierend wie ein- und die Lernorte Betrieb auf der einen Seite und Berufs- schneidend ist und historisch vergleichbar mit der Indust- schule auf der anderen Seite über Ausbildungsinhalte und rialisierung im 19. Jahrhundert. Er ist für die Weiterent- Projekte besser miteinander vernetzen. Davon profitieren wicklung der Wissensgesellschaft ebenso maßgebend im Umkehrschluss Klein- und Kleinstbetriebe, insbeson- und bahnbrechend wie der Buchdruck. Uns als Enquete- dere im ländlichen Raum. Kommission beflügelt die Aussicht, konkrete Handlungs- empfehlungen zur Weiterentwicklung der beruflichen Was neue Konzepte mit Blick auf die digitale Trans- Bildung erarbeiten zu können, die den Menschen und formation bewegen können, haben wir, wie ich finde, der Gesellschaft und damit auch der Wirtschaft helfen, diese Woche sehr eindrucksvoll sehen können, als die den Umbruch nicht zu erleiden, sondern aktiv zu gestal- Auszeichnungen für die Digiscouts vergeben worden ten. sind. Das ist ein Programm, wo Auszubildende Digitali- Wenn man die Diskussion über die Digitalisierung sierungspotenzial in ihren eigenen Ausbildungsbetrieben (B) angstfrei und ohne Schaum vor dem Mund führen möch- (D) aufdecken und in Eigenregie entsprechende Projekte um- te, ist die begriffliche Klärung unumgänglich. Die eine setzen. Man nennt dies Reverse Mentoring. Dadurch wird Definition von Digitalisierung, die rein auf die maschi- ermöglicht, dass die Kompetenzen von allen Beschäftig- nelle Sicht der künstlichen Intelligenz als Gegenpart zum ten in den Betrieben eingebunden werden. Ich finde, das Menschen, also Automatisierung, abstellt, erzeugt ver- ist ein gutes Beispiel dafür, welche Chancen die Digita- ständlicherweise arbeitsmarktlich Abneigung und Angst. lisierung für Betriebe, aber insbesondere natürlich auch für die Auszubildenden mit sich bringt. Die Digitalisie- Die andere Betrachtungsweise, nämlich die Digitalisie- rung gibt uns viele Werkzeuge an die Hand, damit wir rung im Sinne einer erweiterten Intelligenz als Unterstüt- Vorteile für Schüler, für junge Erwachsene und natürlich zung jeder Zeit zu beherrschen, eröffnet Gestaltungsräu- auch für die Ausbildungsunternehmen schaffen. me. Experten kommen zu dem Schluss, dass wir in Deutschland die bisherigen Entwicklungen auf diesem Das führt mich zu meinem letzten Gedanken und zu- Gebiet weitestgehend verschlafen haben. Der Netzausbau gleich wieder zurück zum Ausgangspunkt. Mit digitalen und unser Platz im Ranking der Digitalisierer rechtfer- Angeboten verbessern wir die Passgenauigkeit zwischen tigen beinahe die Bezeichnung Deutschlands als digitales der beruflichen Bildung und den Wünschen, die die Aus- Schwellenland. zubildenden mitbringen. Gleichzeitig werden sie massiv Was bedeutet Digitalisierung für die berufliche Bil- dazu beitragen, dass wir dem seit Jahren verfolgten Ziel dung? Die AfD fühlt sich dem humanistischen Men- hin zu einer Weiterbildungskultur in Deutschland näher schenbild verpflichtet kommen und dass alle Menschen an dieser Weiterbil- dungskultur teilhaben können. (Beifall bei der AfD – Lachen bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Yasmin Ich persönlich bin davon überzeugt, dass wir es genau Fahimi [SPD]: Lächerlich!) so schaffen werden, dass die eingangs beschriebene Vi- und sieht weiterhin den Menschen im Mittelpunkt der sion von einer Zukunft der beruflichen Bildung wahr Wertschöpfung der digitalen Zukunft. Der Zugriff auf werden kann, in der die Entscheidung für eine Ausbil- Datenräume und Datensammlungen eröffnet dem Men- dung sich für jeden Einzelnen Tag für Tag auszahlt. schen neue Möglichkeiten, sich in der Welt zu entfalten. Im privaten Bereich erfolgt dieser Zugriff doch schon, Vielen Dank. und zwar auf die eigene externe Gehirnfestplatte, auf die Schwarmintelligenz von sozialen Netzwerken und (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- auf das Schwarmgedächtnis von Suchmaschinen, oft vir- ordneten der SPD) tuos, intuitiv und weitgehend vorurteils- und angstfrei. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15311

Nicole Höchst (A) Hier passiert schon, was Herr Professor Dr. Boes, der Vergleichbarkeit ist uns wichtig. Überbürokratisierung (C) Direktor des Bayerischen Forschungsinstituts für Digitale und Überregulierung sind Hemmnisse, die keiner braucht Transformation, in seinen Thesen hoffnungsvoll formu- und Deutschland weiter im internationalen Vergleich zu- lierte. Er sagte: Maschinen verarbeiten Daten, und Men- rückfallen lassen. schen machen aus diesen Daten nützliche Informationen und Innovationen. – Er verortet dort die Kernkompeten- Stichwort „Klein- und Kleinstbetriebe“: Sie sind feste zen der Zukunft. Ankergrößen, die junge Leute an ländliche Regionen bin- den und ihnen Heimat bieten und erhalten. Vergessen wir Es braucht also Domainkompetenz und kommunikati- nicht: Hier wird ein Großteil der Menschen in unserem ve Fachlichkeit, nicht zuletzt um erfolgreich zu vernet- Land ausgebildet. Diese Betriebe benötigen gezielt Hilfe- zen. Es muss also die berufliche Identität der Menschen stellung wie steuerliche Anreize, Bildungsberatung etc. neu gedacht und eben auch neu beschrieben werden. Ent- pp. Vieles ist bereits in gutem Gange und hilft, den Wan- lang dieser neuen Erfordernisse und Tätigkeitsbeschrei- del erfolgreich zu gestalten. bungen in der realen wie in der virtuellen Welt muss die berufliche Bildung innoviert werden. Stichwort „Lehrer, Ausbilder und Berater“: Diesen muss berufliche Fort- und Weiterbildung zur persön- Auch in der beruflichen Bildung darf nicht die Technik lichen Professionalisierung zugänglich sein. Veränderun- den Menschen und das Lernen beherrschen, sondern die gen müssen schneller als bisher vorangetrieben werden. Digitalisierung bleibt Mittel zum Zweck und elementares Berufliche Neuinhalte müssen dort, wo nötig, in Hilfsmittel. Um es mit den Worten des Bildungsforschers schnelleren Neuordnungsverfahren implementiert wer- Hattie zu sagen, der diese Erkenntnis bereits 2012 in sei- den. Ein Monitoring ist von elementarer Bedeutung. ner Metastudie „Visible Learning" formulierte: Auf den Lehrer kommt es an. – Daher betonen wir: Versierte Leh- Ein beschleunigtes Verfahren könnte zum Beispiel die rer und Ausbilder müssen auch zukünftig im Mittelpunkt Implementierung der sogenannten Domainkompetenz in des Lernprozesses stehen und dürfen nicht grundsätzlich Bezug auf Daten und Informationen analog zu der im zu Moderatoren von Lernprozessen verkommen. Zuge der Kompetenzorientierung eingeführten interkul- turellen Kompetenz sein. Letztere hat im Idealfall Ein- (Beifall bei der AfD) gang in die Lehrpläne und Curricula aller Fächer gefun- den und wird von den Lehrkräften fachspezifisch Meine Damen und Herren, das Vertrauen in die Politik umgesetzt. Dabei hat der Bund die Möglichkeit, in Be- und in die Gesellschaft muss wieder gestärkt und gefestigt rufen, in denen er selbst die Rahmenlehrpläne verantwor- werden. Dass wir die Zukunft gemeinsam gestalten wer- tet, Veränderungen zeitnah und auch fast kostenneutral (B) den, dass wir gemeinsam niemanden zurücklassen wol- voranzubringen. Auch hierfür gab es von uns bereits kon- (D) len, dieses Versprechen an die junge Generation müssen krete Vorschläge in der Kommission. wir leisten. Dabei wollen wir den jungen Menschen aber auch früh vermitteln, dass sie die Kraft, alle Möglichkei- (Yasmin Fahimi [SPD]: Welche denn?) ten, aber auch die Pflicht und die Verantwortung für ihre eigenständige Zukunft in sich tragen. Die junge Genera- Der Bund kann zum Leuchtturm für die digitale Bildung tion ist der Nukleus der Gesellschaft und gleichzeitig der werden. Teilnahmsloser Nachtwächter war er lange ge- Keim der Zukunft. Dieser Keim braucht von uns als Ge- nug. sellschaft und Politik den Platz, den Boden, das Licht und die Luft, um sich zu entwickeln. Ja, und Dünger braucht (Beifall bei der AfD – Yasmin Fahimi [SPD]: es auch, aber den passenden. Das ist doch Blödsinn!) Die AfD plädiert bei aller Digitalisierungseuphorie da- Während führende Digitalisierungsstaaten ihre künfti- für, die Menschen nicht aus dem Blick zu verlieren. Bei gen Generationen für die Zukunft fitmachen, indem sie einer Überbetonung der digitalen Lernumgebung kann sie zu Spitzenreitern gerade auch in den MINT-Fächern auch in der Persönlichkeitsentwicklung und neuronalen machen, geben wir uns in Deutschland alle Mühe, ihnen Vernetzung nach Meinung etlicher Experten einiges die richtige politisch-ideologische Haltung zu vermitteln. schieflaufen. Daher ist es uns wichtig, ein gesundes Mit- Meine Damen und Herren, freie demokratische Geister telmaß zu finden und pädagogisch, methodisch maßvoll schaffen Innovationen und Fortschritt zum Wohle aller. vorzugehen. Später lassen sich Fehlentwicklungen nur Ideologisch gefesselte Geister in der Haltungsbox repli- mühsam korrigieren. Unsere Kinder und unsere Jugend- zieren Stillstand im Schuldkult. lichen sind keine Versuchskaninchen. (Beifall bei der AfD – Yasmin Fahimi [SPD]: Stichwort „Passung“: Jährlich bleibt eine große Anzahl Was reden Sie da?) Jugendlicher ohne Ausbildungsplatz, während gleichzei- Dabei ist das Signal ganz klar: Wenn ein Mitarbeiter tig eine steigende Anzahl von Ausbildungsplätzen unbe- ganz Elementares – zum Beispiel Rechnen – nicht be- setzt bleibt. Diese Probleme lassen sich sicher nicht durch herrscht, kann auch ein Betrieb nicht mit ihm als Mit- eine hektische Überbetonung der Digitalisierung als All- arbeiter rechnen. heilmittel lösen. Rechtzeitige Berufsberatung und -orien- tierung muss noch besser werden, Attraktivität und Wert- Die technikoffene Formulierung vieler Ausbildungs- schätzung von Arbeit in Ausbildungsberufen müssen formen ist zu begrüßen. Es werden wohl auch vermehrt deutlich größer werden und erstrebenswerter sein als weitere hybride Ausbildungsformen entstehen. die Aussicht auf eine Hartz-IV-Karriere. 15312 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Nicole Höchst (A) Wir, die AfD, finden mit unseren Vorschlägen, Frage- Anerkennung und Öffnung von Perspektiven. Das sind (C) stellungen usw. gutes Gehör in der Kommission die wahren Ziele der Berufsbildung. Deswegen muss es uns darum gehen, wie wir mehr Sicherheiten schaffen (Yasmin Fahimi [SPD]: Nein, finden Sie nicht!) können, gerade auch in Zeiten der Verunsicherung. und sind so bereits massiv an der Gestaltung der Zukunft Das Erfolgsmodell der beruflichen Bildung basiert aus Deutschlands beteiligt. In diesem Sinne, meine Damen meiner Sicht auf genau drei wesentlichen Essentials, die und Herren: Streiten wir über Differenzen, aber arbeiten wir zu erhalten haben: wir zusammen zum Wohle Deutschlands! Erstens. Die berufliche Bildung schafft einen Fachkräf- Vielen Dank. temarkt, der unser Produktionsmodell in Deutschland sta- (Beifall bei der AfD) bil und erfolgreich gemacht hat. Zweitens. Die berufliche Bildung hat vor allem eine Vizepräsident Wolfgang Kubicki: soziale Inklusion geschaffen, in der es jedem möglich Vielen Dank, Frau Kollegin Höchst. – Nächste Redne- ist, durch entsprechende Teilhabe und eine Berufsper- rin ist die Kollegin Yasmin Fahimi, SPD-Fraktion. spektive und vor allem auch durch gute Bezahlung auf Grundlage einer guten Berufsbildung tatsächlich eine (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Stefan Existenzsicherung und eine Perspektive zu schaffen. Da- Kaufmann [CDU/CSU]) mit hat man Anteil am Wohlstand dieses Landes. Drittens. Wir haben einen Ausgleich der Interessen Yasmin Fahimi (SPD): zwischen der öffentlichen Hand und den Sozialpartnern Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und geschaffen, sodass wir auch auf Dauer die Qualität der Kollegen! Ich darf auch im Namen der SPD-Fraktion die beruflichen Bildung sichergestellt haben. Manche Debat- besten Genesungswünsche an den Kollegen Hauer über- ten – das will ich hier ansprechen – gehen in eine ganz mitteln. Wir freuen uns, dass er wieder in einem stabilen andere Richtung. Da wird über starre Systeme, veraltete Zustand zu sein scheint. Berufsbilder gesprochen. Mich beschleicht das Gefühl, dass einige – ich will es hier so offen ansprechen – durch- (Beifall) aus in großer Harmonie zwischen FDP und AfD über die Nirgendwo auf der Welt ist die berufliche Bildung Deregulierung der Berufsbildung reden, natürlich unter besser aufgestellt als in Deutschland. Es gibt wenige an- dem Mäntelchen der Flexibilisierung. Ich möchte gern dere Länder, die durchaus vergleichbare, gute Systeme einmal wissen, wo weniger Regeln und weniger Verein- (B) haben; aber nirgendwo ist sie besser aufgestellt. Warum barungen jemals dazu beigetragen haben, Qualität zu si- (D) also brauchen wir eine Enquete-Kommission? Die simple chern. Antwort ist: Nichts ist so gut, als dass man es nicht besser machen könnte. Die wirklich relevante Antwort ist: Die (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Digitalisierung, der Wandel der Arbeitswelt ist für sich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Jens Bran- genommen noch kein Zukunftsversprechen. Im Gegen- denburg [Rhein-Neckar] [FDP]: Soziale Markt- teil, Sie macht den Menschen auch Angst: Was ist meine wirtschaft!) Ausbildung morgen noch wert? Wird es meinen Arbeits- Es geht Ihnen in Wahrheit darum, Willkür in Inhalten platz morgen überhaupt noch geben? Wie bewältige ich und Zielen der Berufsbildung sicherzustellen. Sie können den verdichteten und entgrenzten Alltag auf Dauer? Das sich zwar als Lippenbekenntnis auf die Sozialpartner- sind Sorgen der Menschen, die wir nicht durch eine Be- schaft beziehen, aber am Ende ist sie Ihnen ein Dorn im trachtung theoretischer Substitutionspotenziale mindern. Auge. Sie wollen die Sozialpartnerschaft aushebeln. Man Es sind Sorgen, auf die wir keine technische Antwort will ein Zweiklassensystem in der Berufsbildung einfüh- geben müssen, sondern die klarmachen, dass die Digita- ren lisierung zuallererst ein sozialer Gestaltungsprozess ist. Ich darf für die Bildungspartei SPD in Anspruch nehmen: (Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Oh je, Keine Partei in diesem Haus ist für die Beantwortung kalter Kaffee!) dieser Frage besser geeignet als die SPD. durch die Verbreitung von zweijährigen Berufsausbildun- gen und Modularisierung. Damit entwerten Sie am Ende (Beifall bei der SPD – [DIE LINKE]: die Ausbildung. Ja, doch! Eine schon! – Dr. [FDP]: Da lachen ja die eigenen Genossen! – (Dr. Christian Jung [FDP]: Eure Krise ist er- Zuruf von der FDP: Euer Siegeszug ist unauf- klärbar, kann man sagen!) haltsam!) Aus jungen Erwachsenen, die Anfangsschwierigkeiten Realisieren wir zunächst einmal: Die berufliche Bil- haben, Lernbehinderte zu machen, für die wir das Niveau dung ist eben nicht nur eine Bereitstellung von Fachkräf- absenken müssen, ist die falsche Antwort. Wir müssen ten. Es geht nicht um die Verwertbarkeit auf dem Arbeits- mit ihnen intensiver arbeiten. markt. Berufsbildung ist Bildung, und damit geht es natürlich um Kompetenzen und Fertigkeiten; ja, auch (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten um digitale Kompetenzen. Es geht aber vor allem auch des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) darum, Persönlichkeiten zu formen, Eigenständigkeiten Ich kann, ehrlich gesagt, auch das Gerede über zu viele zu schaffen, zur Identität beizutragen; es geht um soziale Abiturienten nicht mehr hören. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15313

Yasmin Fahimi (A) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) spektive bietet. Deswegen, glaube ich, müssen wir über (C) die Novellierung des Berufsbildungsgesetzes hinaus über Das ist nicht unser Problem. Statt das als sozialen Erfolg ein modernes Ausbildungsgesetz reden, inklusive aller zu feiern, wird so getan, als ob das Abitur heute nichts Berufsfachschulen, Fortbildungsfragen und dualer Stu- mehr wert wäre und jedem hinterhergeschmissen würde. diengänge. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Zuletzt will ich auch erwähnen: Für diejenigen, die LINKEN) Anfangsschwierigkeiten haben, brauchen wir sozial be- Nein, unsere junge Generation ist leistungsfähig und leis- gleitete duale Berufsvorbereitungen. Wir müssen die tungsbereit. Mit Ihrem Geschwätz über zu viele Abitu- Übergangssysteme systematisieren und mit diesen jungen rienten, die den Abschluss nicht verdient hätten, unnützen Menschen mehr arbeiten, damit sie einen Einstieg in eine Studienabbrechern, die aus Ihrer Sicht zu doof sind für ein echte Qualifizierung und in eine Berufsperspektive be- Studium, und Bildungsversagern, die die normale Aus- kommen. bildung nicht schaffen, schlagen Sie einer ganzen Gene- ration ins Gesicht. Sehr geehrte Damen und Herren, die Berufsbildung wird nicht besser, wenn wir sie in Module kleinhacken; (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sie wird nicht attraktiver, wenn wir sie als Notnagel für der LINKEN) Studienabbrecher anpreisen, und sie wird nicht zukunfts- Die Qualität der Berufsausbildung hängt vor allem von fähiger, wenn wir die Rolle der Sozialpartner zurückdrän- der Frage ab: Schaffen wir genügend Chancen für alle gen. Die Berufsbildung muss ein eigenständiger und jungen Menschen? Sichern wir Inhalte und gute Rahmen- erfolgreicher Bildungsweg bleiben. Sie ist keine Konkur- bedingungen und Berufsperspektiven für eine junge renz zum Studium. Sie ist nur ein anderer Weg in die Generation? Haben alle eine Chance, ihre Talente zu ent- Berufswelt. Deswegen ist unsere Aufgabe, mehr zu inves- decken und tolle Persönlichkeiten zu werden? Deswegen tieren, für mehr Durchlässigkeit und für mehr Transpa- brauchen wir zusätzliche Anstrengungen und Investitio- renz zu sorgen. nen und nicht Deregulierung und Entwertung. Vielen Dank. Wir brauchen also zusätzlich Folgendes: moderne Be- (Beifall bei der SPD) rufsschulen, ja, aber nicht nur moderne Berufsschulen, die über digitale Techniken verfügen, sondern die insge- samt eine technische Ausstattung haben, um interdiszip- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: linär zu arbeiten, um neue Lernkonzepte auszuprobieren, Vielen Dank, Frau Kollegin Fahimi. – Nächster Redner (B) einen Campus, auf dem man nicht nur Blockunterricht, ist für die FDP-Fraktion der Kollege Dr. Jens Branden- (D) sondern auch Weiterbildungsbausteine besser verankern burg. kann. Wir brauchen gut ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer und müssen deswegen über die Ausbildung von (Beifall bei der FDP) Berufsschullehrern reden, darüber, wie man einfacher und schneller Berufsschullehrer werden kann, aber mit Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar) (FDP): einer praxisintegrierten Ausbildung, interdisziplinären Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lehr- und Lernkulturen. Denn diese Lernkonzepte und Auch im Namen meiner Fraktion darf ich dem Kollegen die Digitalisierung bieten die Chance, breite Gruppen in Matthias Hauer die besten Genesungswünsche ausrich- ihren unterschiedlichen Talenten und Fähigkeiten anzu- ten. sprechen. (Beifall) Wir wollen aber auch einen freieren Zugang zu Fort- und Weiterbildung. Wir müssen für mehr Durchlässigkeit Der Urlaub, der Klempner und das Abendessen sind sorgen. Deswegen glaube ich, dass wir gut beraten wären, schnell per Smartphone gebucht. In großen Fabrikhallen darüber zu sprechen, ob wir nicht ein Gesetz zu einem erstellen und warten viele Menschen automatisierte, ver- deutschen Qualifizierungsrahmen brauchen, Credit netzte Produktionsstraßen. Künstliche Intelligenz berät Points, die von der beruflichen Bildung und der univer- bei der Kleidungswahl, in Rechtsfragen, bei Finanzanla- sitären Ausbildung gegenseitig anerkannt werden. Und gen und auch bei ärztlichen Diagnosen. Digitalisierung ist wir brauchen ein individuelles Bildungs- und Weiterbil- also bereits heute gelebte Realität, und, ja, das verändert dungsbudget, damit die Fortbildung tatsächlich zu einem auch unsere Arbeitswelt: „Ausgelernt“ gibt es nicht mehr. individuellen Gewinn wird, zu der Möglichkeit, seine Be- Schon heute arbeitet jeder zweite junge Mensch bereits rufsperspektive zu gestalten, und nicht allein von der Be- bald nach der Ausbildung in einem völlig anderen Beruf. reitschaft der Arbeitgeber oder des individuellen Geld- Und, ja, Digitalisierung ist auch eine große Chance auf beutels abhängt. Fortschritt und Wohlstand. Damit jeder Einzelne diese Chance ergreifen kann, brauchen wir ein Update der be- (Beifall bei der SPD) ruflichen Bildung. Wir wollen die Fortbildungsbausteine stärker systema- (Beifall bei der FDP) tisieren und formalisieren. Der Wert der Berufe ist durch die Herausforderung permanenter Lernschleifen bedroht. Wir werden heute Nachmittag noch über Weiterbil- Wir müssen den Wert der Bildung erhalten. Jeder muss dung sprechen; aber drei Punkte möchte ich in dieser wissen, was er mit seiner Bildung hat, dass sie eine Per- Debatte hervorheben. 15314 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar) (A) Erstens. Stärken wir endlich die Lehrkräfte und die (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Uwe (C) Berufsschulen. Nur ein Drittel der Berufsschüler glaubt, Schulz [AfD]) dass ihre Unterrichtsinhalte gut zu dem passen, was sie in Frau Karliczek bzw. vertretungsweise Herr Meister, der betrieblichen Praxis erleben. Damit können wir uns schaffen Sie mehr Freiraum für Macher und neues Den- doch nicht zufriedengeben. Motivierte und gut ausgebil- ken in der beruflichen Bildung! Bauen Sie InnoVET zu dete Lehrkräfte sind der Schlüssel zum Bildungserfolg. einer echten Exzellenzinitiative für berufliche Bildung Werben wir also um die Besten für den Schuldienst. aus, zu einem großen Wettbewerb um die besten Ideen, (Beifall bei der FDP) mit einem großen öffentlichen Interesse Bremsen wir sie nicht länger aus. Unterstützen wir sie mit ( [CDU/CSU]: Genau das ist einem Digitalpakt 2.0, mit einer modernen Medienaus- es!) stattung, mit IT-Kräften an der Schule, die sich um die und – jetzt kommt der Unterschied – mit einer finanz- technische Wartung kümmern, mit pädagogischer Frei- iellen Ausstattung, liebe CDU, jenseits der Portokasse. heit und praxisnahen Tipps zum Umgang mit dem Daten- schutz. Investieren wir in ihre Weiterbildung, erleichtern (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Vollkomme- wir auch Quereinstiege. 20 000 Lehrkräfte an den berufs- ner Unsinn, was Sie sagen!) bildenden Schulen fehlen uns allein in den kommenden Haben Sie endlich den Mut zu mehr Innovation und zu zehn Jahren, vor allem in den Metall- und Elektroberufen. einem Update der beruflichen Bildung. Stellen wir uns dieser Herausforderung, und nutzen wir die Gelegenheit, sie bereits in ihrer Ausbildung auf die (Beifall bei der FDP) digitale Lehre vorzubereiten. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall bei der FDP) Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Brandenburg. – Als Machen wir berufsbildende Schulen nicht zu Anwendern, nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke die Kollegin sondern zu Innovationslaboren der Digitalisierung. Dr. Birke Bull-Bischoff. Zweitens. Kümmern wir uns besser um die mehr als (Beifall bei der LINKEN) 2 Millionen Menschen meiner Generation ohne Berufs- abschluss. Ich sage hier offen: Ich mache mir weniger Dr. Birke Bull-Bischoff (DIE LINKE): Sorgen um die vielen kreativen IT-Freelancer, die auch Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin Pädagogin ohne formalen Abschluss ihren Weg gehen. Sorgen ma- und Bildungspolitikerin. Deswegen ist für mich die Fra- (B) che ich mir insbesondere um diejenigen, die ohne aner- ge, was junge Leute brauchen, um in der digitalisierten (D) kannte Qualifikation in einer Krise die Ersten sind, die auf Welt und eben nicht nur in der Arbeitswelt selbstbestimmt der Straße stehen. Mangelnde Bildungschancen sind doch leben und arbeiten zu können, was sie brauchen, damit sie das wahre Armutsproblem in Deutschland. Ändern wir zu kritischen Geistern und mündigen Bürgern werden, das! Ermöglichen wir längere Ausbildungszeiten wie in immer ganz zentral. Österreich. Vereinfachen wir auch die Anerkennung in- formell erworbener Kompetenzen wie in der Schweiz. Drei Dinge sind uns wichtig. Zum Ersten. Es ist von Fördern wir sie direkt im betrieblichen Kontext, da, wo sozialer Kompetenz die Rede. Das bedeutet, in der Lage die Fachkräfte gesucht werden. Erhöhen wir ihre Mobili- zu sein, Konflikte gewaltfrei zu lösen, Empathie gegen- tät durch Azubitickets und auch Wohnheime am passen- über anderen Kulturen, anderen Religionen und sozialen den Ausbildungsplatz. Prägungen zu entwickeln. Der Arbeitsmarkt wird inter- national, und dafür braucht man interkulturelle Kompe- (Beifall bei der FDP) tenz. Das bedeutet, in der Lage zu sein, in Kooperationen statt in Konkurrenz zu arbeiten, Wissen zu teilen, um es Ermöglichen wir ihnen Teilqualifikationen, auch als klei- zu vermehren. ne Schritte zum Erfolg. Machen wir die individuelle För- derung dieser Menschen endlich zum Schwerpunktthema (Beifall bei der LINKEN) dieses Hauses. Letztlich bedeutet das auch, in der Lage zu sein, mit Wi- dersprüchlichkeit umzugehen und halbwegs immun ge- (Beifall bei der FDP) genüber gar zu simplen Antworten zu werden. Drittens. Die berufliche Bildung braucht viel mehr Mut zur Innovation. Die Herausforderungen von morgen wer- (Beifall bei der LINKEN) den wir nicht mit den Denkschablonen von gestern be- Zum Zweiten. Ein wichtiger Eckpfeiler ist für uns die wältigen können. Interaktive Lernfabriken sind ein Bei- digitale Mündigkeit. Berufliche Bildung darf nicht darauf spiel moderner Lernformen. Aber das ist nicht unbedingt reduziert werden, dass man Software, die in Unternehmen die Zukunft. Das ist Industrie 3.0, Automatisierung. Das gebraucht wird, bedienen kann, sondern es geht darum, müsste seit Jahren längst flächendeckend in jeder gewerb- hinter digitale Kulissen zu schauen und zu wissen, was lich-technischen Berufsschule zur Standardausstattung mit den Daten – auch mit den eigenen – passiert. Es geht gehören. Die Herausforderung der Gegenwart ist doch auch um einen kritischen Umgang mit Technik, ja. Es vielmehr die digitale Kommunikation dieser Anlagen geht darum, zu wissen, was sie mit uns macht, wie sie mit der Außenwelt, also Industrie 4.0. Das gehört heute die Gesellschaft verändert. Der Mensch muss die Regie in die Schulen. über die Technik haben – nicht umgekehrt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15315

Dr. Birke Bull-Bischoff (A) (Beifall bei der LINKEN) und fachlich hochwertig zu beschäftigen. Digitalisierung (C) Damit bin ich bei einem dritten Punkt. Wir finden, verändert die Welt, die Gesellschaft sowie Arbeit und junge Leute sollten in der Lage sein, das Arbeiten und Ausbildung. Wirtschaften der Zukunft im wahrsten Sinne des Wortes Ganz viele Herausforderungen kommen auf uns zu – nachhaltig zu verändern. Wenn man davon ausgeht, dass auch auf uns in der Politik. Wir finden es dringend und berufliche Bildung ein Schlüssel dafür ist, dann heißt das, zwingend notwendig, diese Herausforderungen nicht nur beispielsweise dafür zu sorgen, dass man mit digitalen zu betrachten, Probleme zu erkennen und Chancen zu Mitteln den Energieverbrauch drosselt, dass Ressourcen benennen, sondern Antworten darauf auch zügig in poli- geschont werden. Man muss diese Dinge kritisch im tisches Handeln umzusetzen. Ich glaube, da sind wir uns Blick behalten oder zumindest aufmerksam dafür sein. alle einig. Man muss sich fragen: Woher kommen die Produkte oder die Rohstoffe? Wie sind die Arbeitsverhältnisse dort? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Oder: Wie kann man Anreize schaffen, um ebendiese sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Arbeit zu verbessern? Wie kann man mit digitalen Pro- duktionsmitteln beispielsweise den Lebenszyklus von Wir laufen sonst am Ende nämlich Gefahr, dass die Ge- sellschaft und die Digitalisierung uns überholen. Produkten verlängern, statt Anreize für ständigen und wiederkehrenden Neukauf zu setzen oder Reparatur zu Wir wollen also diese Auseinandersetzungen mit den verunmöglichen? Anforderungen einer neuen, digitalisierten Welt sehr gern (Beifall bei der LINKEN) aufnehmen. Uns Grünen sind Öffentlichkeit und Beteili- gung dabei besonders wichtig. Wir Grüne haben an eine Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Botschaft ist: Enquete, die sich so zukunftsweisenden und gesellschaft- Berufliche Bildung hat für uns nicht oder wenigstens lich relevanten Themen widmet, die Erwartung, dass sie nicht nur den Zweck, für den Arbeitsmarkt nützlich zu in öffentlichen Sitzungen tagt und alle Interessierten da- werden. Es geht immer noch um Bildung. Da bin ich sehr ran teilhaben können. Für uns kann dieser Prozess noch nahe bei Yasmin Fahimi. Es geht darum, kritische Geister sehr viel offener sein. Wir möchten eine breite Beteili- und mündige Bürger auszubilden, die Arbeit und Wirt- gung von Azubis, Berufsschullehrerinnen und -lehrern, schaft von heute verändern können. Ausbilderinnen und Ausbildern, von den Menschen, die in der Praxis stehen und ganz viel zu diesem Thema zu (Beifall bei der LINKEN) sagen haben. Ich finde, wir haben da einiges zuwege gebracht. Wir werden uns auf dem nächsten Stück des Weges engagie- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (B) ren, um Rahmenbedingungen bzw. Vorschläge zu disku- SES 90/DIE GRÜNEN) (D) tieren, um jenen Menschen, die ansonsten sehr viele Mis- Diese Menschen wollen wir mit ins Boot holen; denn sie serfolge in ihrer Bildungsbiografie hatten, ein Stück wissen, was sie brauchen. Sie sind Expertinnen und Ex- weiterzuhelfen und ihnen eine anerkannte Berufsausbil- perten auf ihren Gebieten. dung zu sichern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Wir würden uns in einem Themenfeld, bei dem es genau (Beifall bei der LINKEN) darum geht, Beteiligung zu ermöglichen, ja eine riesige Chance verbauen, wenn wir da zu zögerlich wären. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als nächste Rednerin Zum Thema Inklusion. Das ist für uns das nächste hat das Wort die Kollegin Beate Walter-Rosenheimer, große Thema, das wir in dieser Enquete behandeln wol- Bündnis 90/Die Grünen. len. Inklusion bedeutet auch eine große Chance. Dieses Thema wollen wir in der Enquete-Kommission stark ma- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) chen. Inklusion ist für uns ein breitgefächerter Begriff, der weit in die Gesellschaft hineinreicht. Es geht um Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/DIE Menschen mit Einschränkungen, ja, um kranke Men- GRÜNEN): schen, es geht um Menschen mit Migrationshintergrund, Danke, Herr Präsident. – Sehr geehrte Kolleginnen und um Menschen, die sich mit dem Lernen schwertun, es Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Auch von- geht um alle, die aus irgendwelchen Gründen mehr Unter- seiten der Grünenbundestagsfraktion natürlich von Her- stützung und Augenmerk brauchen als andere. Diese zen gute Besserung an unseren Kollegen Matthias Hauer. Menschen wollen wir in den Mittelpunkt stellen. Wir haben das jetzt oft gehört; wir möchten das aber auch aussprechen, weil wir nicht einfach so im Tagesablauf (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) weitermachen wollen. Betroffen sind also sehr viele Menschen. Wir wollen es nicht dem Zufall überlassen, ob sie von der Digitalisie- (Beifall) rung profitieren oder nicht. Digitalisierung kann hier viel Lassen Sie mich kurz zurückschauen. Im September Nutzen bringen, aber sie kann auch schaden. Wir wollen 2018 wurde unsere Enquete „Berufliche Bildung in der und müssen die Gelegenheit beim Schopf packen und digitalen Arbeitswelt“ eingesetzt. Wir Grüne sehen die wirklich substanzielle Verbesserungen in der Ausbil- absolute Notwendigkeit, uns mit diesem Thema intensiv dungs- und Weiterbildungswelt erreichen. 15316 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Beate Walter-Rosenheimer (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sammenarbeit; auch das möchte ich an dieser Stelle sa- (C) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) gen. Und ich möchte noch großen Dank an unsere Nächstes Thema: Geschlechtergerechtigkeit. Dabei Sachverständigen aussprechen, die uns immer mit ganz geht es uns um die Frage, ob Männer und Frauen, Jungen viel Wissen, Rat und Tat zur Seite stehen. und Mädchen gleichermaßen von den Möglichkeiten der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Digitalisierung profitieren. Wenn sie das nicht tun, stellt sowie bei Abgeordneten der LINKEN) sich die Frage, wie wir gegensteuern können. All diese Themen haben wir Grüne vorrangig auf dem Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Schirm, weil es Schlüsselthemen bei der Ausgestaltung Vielen Dank, Frau Kollegin. – Der gerade mehrfach der Digitalisierung sind. Wenn am Ende, Herr Vorsitzen- angesprochene Kollege Dr. Stefan Kaufmann, CDU/ der Kaufmann, nichts Modernes, Zukunftsweisendes he- CSU-Fraktion, hat nun das Wort. rauskäme, läge der Fehler ja quasi schon im Anfang und im System, weil wir Relevantes übersehen, nicht einge- (Beifall bei der CDU/CSU) speist oder einfach weggelassen hätten. Wir wollen ja keinen Kuchen ohne Mehl backen. Die gute Nachricht Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU): ist deswegen: Wir haben noch zwei Jahre Zeit, auch das Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mei- Thema Inklusion so richtig in den Mittelpunkt zu stellen. ne Damen und Herren! Die fortschreitende digitale Trans- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) formation bringt neue Geschäftsfelder, neue Wertschöp- fungsprozesse, neue Produkte, Produktionsabläufe und Wir haben noch viel vor. Im zweiten Teil der Enquete natürlich auch neue Berufsfelder hervor. Damit verändern steht Weiterbildung ganz oben auf der Agenda, und das ist sich auch die Anforderungen an die Qualifikationen und gut so. Ich freue mich sehr auf die Beratungen. Lebens- Kompetenzen in fast allen Berufen mit den entsprechen- langes Lernen, Herr Kaufmann, ist das Thema unserer den Auswirkungen auf die Aus- und Weiterbildung; da- Zeit. Wir wissen es ja alle: Kaum ein Auszubildender, von haben wir schon hinreichend gehört. der heute in einem Job anfängt, wird in 30 Jahren noch am selben Ort dasselbe tun. Er unterscheidet sich darin Mit der Enquete-Kommission, über die wir heute spre- stark von den vorangegangenen Generationen. chen und die wir im Koalitionsvertrag vereinbart hatten, wollen wir die genannten Veränderungen verstehen, und Für die Herausforderungen der neuen, digitalisierten wir wollen Handlungsempfehlungen erarbeiten. Wir wol- Arbeitswelt ist die berufliche Weiterbildung ein Muss. len konkrete Vorschläge machen, damit wir fit sind für Sie hat heute noch lange nicht den Stellenwert, den sie eine sich immer schneller verändernde Arbeitswelt. Seit (B) (D) braucht. Für die Gesellschaft als Ganzes muss Weiterbil- Sommer letzten Jahres arbeiten wir intensiv daran, im dung genauso wichtig werden wie Schulbildung, Ausbil- Plenum, mit Expertenanhörungen, mit Unternehmensbe- dung oder Studium. suchen und in Projektgruppen. Welche Stärken des Sys- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tems können weiter ausgebaut werden, und welche Zu- gangshürden müssen abgebaut werden? Was muss an Aber noch zu wenige Menschen machen eine berufli- unseren beruflichen Schulen passieren, was in der Lehrer- che Weiterbildung. Wir wollen viel mehr Menschen dafür ausbildung? Wie muss Berufsorientierung aussehen? Wie begeistern. Wir Grüne wollen, dass auch auf diesem Ge- gehen wir mit nonformalen Kompetenzen um, wie mit biet mehr Gerechtigkeit entsteht; denn heute bildet sich jungen Menschen ohne Abschluss? Auch das ist ange- nur jeder dritte Berufstätige weiter, und das sind oft dieje- sprochen worden, und das sind nur einige der Fragen, nigen, die ohnehin gut qualifiziert sind oder gut verdie- deren Beantwortung wir uns vorgenommen haben und nen. Zu viele Menschen sind immer noch ausgeschlossen: deren Beantwortung uns aufgetragen ist. die einen, weil sie Weiterbildung noch nicht als Investi- tion in ihre berufliche Zukunft sehen. Sie brauchen mehr Die Handlungsempfehlungen richten sich dann am En- Information und mehr Unterstützung, um die Chancen, de nicht nur an die Politik, an alle politischen Ebenen, die sich ihnen auftun, zu erkennen. Die anderen sind aus- sondern vor allem auch an die Stakeholder der berufli- geschlossen, weil sie es sich schlicht und einfach nicht chen Bildung, also an die Kammern und Gewerkschaften leisten können. Die Teilhabe an Weiterbildung ist defini- oder an die Betriebe und Weiterbildungsträger. tiv auch eine soziale Frage, liebe Kollegen und Kollegin- nen. Frau Kollegin Walter-Rosenheimer, als Vorsitzender der Enquete-Kommission freue ich mich, dass es uns in (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- den zurückliegenden eineinhalb Jahren gelungen ist, in wie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- dieser Kommission eine Arbeitsatmosphäre herzustellen, KEN) die durch gute Zusammenarbeit und konstruktive Sach- arbeit geprägt ist. Das gilt für die Kolleginnen und Kol- Darauf müssen und wollen wir in der verbleibenden Zeit legen hier im Hause und für unsere Sachverständigen Antworten finden. Ich bin mir sicher: Wir werden diese gleichermaßen. Meine Damen und Herren, das ist eine Zeit gut nutzen. ganz wichtige Voraussetzung dafür, dass wir am Ende Ich freue mich auf die weitere gemeinsame Zusam- zu guten Ergebnissen kommen, die von möglichst vielen menarbeit auch mit den anderen Obleuten, Frau Staffler. dann auch mitgetragen werden. Deshalb an dieser Stelle Liebe Kolleginnen und Kollegen, lieber Herr Vorsitzen- meinen ganz herzlichen Dank an alle Mitglieder der En- der, ich finde, wir haben eine gute, wertschätzende Zu- quete-Kommission! Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15317

Dr. Stefan Kaufmann (A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ren? Denn können zukünftig an jeder Berufsschule und (C) neten der SPD, der FDP und des BÜNDNIS- für jedes Kompetenzfeld die nötigen Fachlehrerinnen und SES 90/DIE GRÜNEN) Fachlehrer überhaupt noch vorgehalten werden? Unser Ziel muss ja sein, möglichst vielen jungen Menschen Die Arbeit der Kommission in den letzten Monaten aus möglichst vielen Betrieben hochwertige Qualifika- zeigt uns: Wir müssen noch größere Anstrengungen un- tionsangebote zu machen, und das flächendeckend. ternehmen, um die Herausforderungen einer digitalen Arbeitswelt zu meistern und um die im Einsetzungsbe- Deshalb prüfen wir auch das Ausrollen neuer soge- schluss geforderte Gleichwertigkeit der beruflichen Bil- nannter hybrider Qualifizierungswege, also eine Verzah- dung sowie die Steigerung der Attraktivität zu erreichen. nung beruflicher und akademischer Qualifikationen, wie Ein Meilenstein hierbei ist sicherlich – Frau Kollegin die studienintegrierende Ausbildung oder auch das triale Staffler hat es angesprochen – das Berufsbildungsmoder- Studium im Handwerk, also ein Gesellenabschluss in ei- nisierungsgesetz, das wir in der letzten Sitzungswoche nem anerkannten Ausbildungsberuf parallel zu einem Ba- verabschiedet haben. Auch das Aufstiegs-BAföG, das chelorabschluss an einer Hochschule. Der Unterschied wir noch in diesem Jahr beschließen wollen, und unser zum dualem Studium: Wer trial studiert, erwirbt zusätz- Vorschlag für ein InnoVET-Programm sind ganz wichtige lich noch einen Meisterabschluss. Doch ungeachtet dieser Signale zur Stärkung der Berufsbildung in Deutschland. hybriden oder integrierenden Ausbildungen an der Die vorgesehenen Leistungsverbesserungen machen be- Schnittstelle von Lehre und Studium gilt natürlich auch rufliche Aufstiegsfortbildungen für unsere Fach- und zukünftig: Eine exzellente und solide Ausbildung im dua- Führungskräfte von morgen so attraktiv wie nie zuvor. len System ist ein wesentlicher Garant dafür, dass Fach- Für diese Verbesserungen wollen wir von Bundesseite kräfte auch in Zukunft mit der digitalen Transformation 350 Millionen Euro zusätzlich noch in dieser Legislatur- Schritt halten können. periode einplanen. Damit investieren wir so viel Geld in die höher qualifizierende Berufsausbildung wie noch nie, Meine Damen und Herren, wir haben uns viel vorge- und das ist auch gut so, meine Damen und Herren. nommen in der Kommission: Empfehlungen zur Neuge- staltung der Aus- und der Weiterbildung in Schulen, in (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Betrieben und in außerbetrieblichen Bildungsstätten, in ordneten der SPD) allen Bereichen unserer Arbeitswelt, vom Handwerk über die Industrie bis hin zu den Sozialberufen. Nichts weniger Doch andere Herausforderungen für die berufliche ist der Auftrag dieser Enquete-Kommission. Wir haben Bildung bleiben. Die Situation in Deutschland ist nach diesen Auftrag engagiert angenommen. Wir arbeiten an wie vor durch Passungsprobleme am Lehrstellenmarkt guten Lösungen und Vorschlägen. Wünschen Sie uns viel gekennzeichnet. Die Betriebe haben zunehmend mit Be- Erfolg dabei. (B) setzungsproblemen zu kämpfen. Die Quote der Ausbil- (D) dungsbetriebe ist rückläufig. Sie lag lange bei 23 Prozent, Herzlichen Dank. ist jetzt aber spürbar unter die 20-Prozent-Marke gesun- ken. Diese Rückgänge sind vor allem auf Verluste im (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- kleinstbetrieblichen Bereich zurückzuführen. Insgesamt – ordneten der SPD) auch davon haben wir schon gehört – blutet unser duales System an vielen Stellen aus. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Kaufmann. – Nächster Außerdem haben wir Erkenntnisse sammeln können, Redner für die FDP-Fraktion ist der Kollege Dr. Thomas dass das duale Ausbildungssystem in der VUCA-Welt nur Sattelberger. noch bedingt zu funktionieren scheint. Trotz aller Bestre- bungen der Sozialpartner, die Ausbildungsordnungen an (Beifall bei der FDP) den rasanten Wandel anzupassen: Seit 2009 sind insge- samt 132 Ausbildungsberufe neu geordnet oder modern- Dr. h. c. Thomas Sattelberger (FDP): isiert worden. Allein 2018 sind 25 neue oder modernisier- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese En- te Ausbildungsberufe in Kraft gesetzt worden, die quete-Kommission muss sich natürlich immer wieder natürlich auch die Digitalisierung der Arbeitswelt in auch mit Reparaturarbeit auseinandersetzen. Dabei heißt den Blick nehmen. Doch bei den WorldSkills, der Welt- unsere Aufgabe „Zukunftskonzepte beruflicher Bildung“ meisterschaft der Berufe in Kasan dieses Jahr, gab es zwei und nicht „Flickarbeit“, damit zukunftsfeste Arbeit in durch digitale Skills geprägte Kompetenzfelder in der Bremerhaven, in Halle und in Saarlouis entsteht, statt offiziellen Wertung, in denen Deutschland nicht einmal nur in Singapur, Peking oder Boston. angetreten war, und bei den sogenannten Future Skills waren wir in 23 von 25 Kategorien gar nicht erst vertre- (Beifall bei der FDP) ten. Das, meine liebe Kolleginnen und Kollegen, sollte uns schon zu denken geben. Gerade die Linksgeneigten – Frau Fahimi, heute meine ich nicht alleine Sie – bemühen immer wieder die Angst, Was also ist zu tun? Wie gehen wir mit disruptiven um ihre Schutzideologie zu rechtfertigen. Würden Sie die Entwicklungen, wie gehen wir mit neuen Arbeitswelten Panik vor Arbeitsplatzverlust nicht schüren, wir hätten um? Passen unsere herkömmlichen Berufsbilder noch? mehr Innovationsfreude in diesem Lande, ein positives Das sind die Fragen, die uns beschäftigen. Oder brauchen Framing, und wir könnten auch in der Enquete den Blick wir ganz neue Ausbildungskonzepte, zum Beispiel an nach vorne richten, und zwar auf die wirklichen Knack- fachlich spezialisierten überregionalen Ausbildungszent- punkte beruflicher Bildung. 15318 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Dr. h. c. Thomas Sattelberger (A) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten nur Kopfschütteln geerntet. Die Hände in einem Urlaub (C) der AfD) auf dem Bauernhof schmutzig machen? Wozu eigentlich Wir haben elf Thesen vorgelegt. Darin steht unter an- handwerkliche Fähigkeiten? Diese Haltung zeigt teilwei- derem, dass die Spezialisierung der Ausbildungsberufe se, welches falsche Verständnis manche von klassischen deutlich später einsetzen muss und dass wir gerade für Berufen haben. die Millionen An- und Ungelernten die verteufelte modu- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Astrid larisierte Ausbildung benötigen. Ich nenne Ihnen noch Grotelüschen [CDU/CSU]) drei weitere wichtige Punkte für diese Enquete. Zudem hat mir eine Gymnasiallehrkraft Folgendes be- Erstens. Eine große strategische Herausforderung: richtet: An einer Oberstufe mussten alle Schülerinnen und 2018 haben 10 Prozent mehr junge Männer einen Aus- Schüler einen Tag lang in einem Betrieb hospitieren, um bildungsplatz gesucht als 2014, umgekehrt bei den den Berufsalltag kennenzulernen. Eine gute Sache; denn Frauen 10 Prozent weniger. Dafür steigt die Zahl der wir brauchen mehr junge Menschen in Ausbildungsbe- weiblichen Studierenden. Welche Diversity-Strategien rufen, vor allem in Zeiten des Fachkräftemangels. können sich Berufsschulen bei Hochschulen abschauen, und was können kleinere von größeren Unternehmen da- (Beifall bei der SPD) bei lernen? Das hört sich gut an, aber dann passierte Folgendes: Die Eltern eines Schülers beschwerten sich. Was sollte ihr Zweitens. Im Bayerischen Wald übersteigt das Ausbil- Kind denn bei einem Maler, er würde doch zur Universi- dungsplatzangebot die Nachfrage um 10 Prozent. In tät gehen? Alles andere käme nicht infrage. Das Tages- Nordrhein-Westfalen dagegen gibt es Gegenden, die bei praktikum sei völlige Zeitverschwendung und einfach nur der Ausbildung nicht einmal 80 Prozent der Nachfrage Quatsch. – Diese Einstellung zeigt aber das Grund- abdecken. Deswegen fordern wir Freie Demokraten maß- problem, vor dem wir als Gesellschaft stehen: die man- geschneiderte Regionalstrategien für die Berufsbildung, gelnde Anerkennung der beruflichen Bildung, das man- (Beifall bei der FDP) gelnde Verständnis davon, dass eine Ausbildung den Weg zu einer erfolgreichen Karriere ebnet, die mangelnde Ein- zum Beispiel Lernfabriken 4.0 als regionale Verbundpro- sicht, dass unsere Volkswirtschaft nicht nur auf die nächs- jekte anstelle zentraler Zwangsbeglückung à la Bachelor te Betriebswirtin oder den nächsten Sozialwissenschaftler Professional. Nur wo Zukunftsbetriebe entstehen, meine wartet, sondern auch auf die nächste anständig ausgebil- Damen und Herren, wachsen Zukunftsausbildungsplätze dete Fachkraft, und umgekehrt. (Beifall bei der SPD) (B) Drittens. Wir brauchen eine Digitalisierungskompo- (D) nente für jeden Beruf, schnell neue Berufsbilder: Kauf- den nächsten topqualifizierten Pfleger oder die nächste frau E-Insurance, Bürokaufmann 4.0, Smart-Grid-Instal- innovative und engagierte Mechatronikerin. lateur, vielleicht auch den E-Konditor. Ja, Future Skills, Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen beides: lieber Stefan Kaufmann, da fehlt es uns. Wenn der Tanker Akademiker und gut ausgebildete Fachkräfte. Noch ein- zu schwerfällig ist, müssen Berufsschulen und Betriebe mal zur Erinnerung: Laut Prognos-Forschungsinstitut sich erwärmen, und zwar schnell, für skalierende Lern- fehlen uns bis 2030 3 Millionen Fachkräfte. Die Zahl plattformen von Start-ups. Denn wir müssen uns sputen, der Studierenden stieg in den letzten zehn Jahren um liebe Linksgeneigte und liebe behäbige Konservative. knapp 1 Million. Die Trends laufen also auseinander. (Beifall bei der FDP und der AfD – Zurufe von Wir müssen uns fragen: Warum ist das so? der CDU/CSU: Oh!) Über diese und andere Fragen diskutieren wir in mei- Alle Schutzwälle gegen Disruption nützen am Ende ner Projektgruppe der Enquete-Kommission, die sich mit nichts, wenn uns ein Wettbewerber nach dem anderen den Anforderungen der digitalen Arbeitswelt an berufs- überholt. bildenden Schulen beschäftigt. Mein großer Dank geht an dieser Stelle noch einmal an die Kolleginnen und Kol- (Beifall bei der FDP und der AfD) legen meiner Projektgruppe aus den anderen Fraktionen und ganz besonders an den Kollegen Jens Brandenburg Vizepräsident Wolfgang Kubicki: für seine großartige Sitzungsleitung. Vielen Dank dafür, Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Sattelberger. – Als Jens. nächste Rednerin spricht die Kollegin Marja-Liisa (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Völlers, SPD-Fraktion. FDP) (Beifall bei der SPD) Zurück zum Inhalt. Ein Aspekt aus unseren Diskussio- nen ist mir an dieser Stelle besonders wichtig. Er hängt Marja-Liisa Völlers (SPD): mit beiden Geschichten zu Beginn meiner Rede zusam- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und men. Ich frage mich: Wie kommen wir zu einer Gleich- Kollegen! Mein Mitarbeiter hat neulich seinen Urlaub auf wertigkeit von beruflicher und akademischer Ausbildung einem Bauernhof in Schweden verbracht. Er wollte etwas in der Wahrnehmung unserer Bevölkerung? Hier besteht mit den Händen machen, mit anpacken, tatkräftig unter- in erster Linie Handlungsbedarf bei der gesellschaftlichen stützen und handwerkliche Fähigkeiten erwerben. Von Anerkennung von beruflicher Bildung, insbesondere bei vielen seiner Freunde hier in Deutschland hat er dafür den Eltern. Sie müssen eine Berufsausbildung als das an- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15319

Marja-Liisa Völlers (A) erkennen, was sie ist: der Motor unserer Wirtschaft, ein Unsere Arbeitswelt ändert sich täglich. Digitalisierung, (C) weltweiter Exportschlager und eine enorme Sicherheit für Energiewende und Transformation sind die Stichworte. individuelle Zukunftsplanung. Stichwort: Wir wollen Als Gewerkschafterin weiß ich, dass viele Kolleginnen glückliche, wir wollen zufriedene, wir wollen selbstbes- und Kollegen Angst haben, ihre Qualifikation in diesem timmte Menschen. So liegt übrigens die Arbeitslosenquo- Zusammenhang zu verlieren. Die Antwort kann nur eine te bei Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung kluge Beschäftigungspolitik sein. Denn ehrlich gesagt: bei 3,4 Prozent, bei Personen ohne eine abgeschlossene Was nützt mir eine gute Qualifikation, wenn mein Ar- Berufsausbildung ist sie gut fünfmal so hoch. Wir haben beitsplatz weg ist? Ja, berufliche Bildung ist heute wich- daher viele Handlungsempfehlungen in unserem Zwi- tiger denn je. Deswegen wollen wir in Verbindung damit schenbericht festgehalten. Von denen möchte ich drei ein Recht auf Ausbildung und Arbeit für alle. exemplarisch hervorheben: (Beifall bei der LINKEN) Erstens. An allgemeinbildenden Schulen müssen wir mehr Berufselemente integrieren, wie zum Beispiel das Beides nimmt den Menschen die Angst vor dem Wan- Tagespraktikum in einem Betrieb. del. Wir Linke bringen genau das in die Arbeit der En- quete-Kommission ein. Doch leider drücken sich viele Zweitens. Wir müssen alle Länder dazu bringen, dass Arbeitgeber vor ihrer Verantwortung. Deshalb fordern berufsbildende Schulen und alle weiterführenden allge- wir Linke eine Ausbildungsumlage. Wer nicht ausbildet, meinbildenden Schulen stärker miteinander kooperieren. muss zahlen. Drittens. Wir brauchen eine noch bessere Einbezie- (Beifall bei der LINKEN) hung der Bundesagentur für Arbeit und der Jugendberufs- agenturen. In einigen Bundesländern ist das bereits der Wichtig ist auch, dass Beschäftigte mitentscheiden Fall. Andere sollten hier schleunigst nachziehen. können, ob sie eine Weiterbildung bekommen. Das darf kein Privileg der Arbeitgeber sein. Denn Fakt ist: Füh- Wenn das alles gelingt, dann beschweren sich Eltern rungskräfte bekommen häufiger eine Weiterbildung als zukünftig vielleicht nicht mehr, wenn ihr Kind einen Be- Ungelernte, Erwerbstätige häufiger als Erwerbslose und trieb kennenlernen darf. Dann fordern sie vielmehr ein, Jüngere häufiger als Ältere. So darf es nicht weitergehen. dass es nicht nur einen Betrieb kennenlernt, sondern viel- leicht mehrere. Dann drängt es unsere Schülerinnen und (Beifall bei der LINKEN) Schüler nach dem Abitur vielleicht nicht nur vermehrt an Die Linke sagt: Bei betrieblicher Weiterbildung haben die Universitäten, sondern auch wieder stärker in eine die Arbeitgeber die Kosten zu tragen, und sie haben die gute Ausbildung oder in beides. (B) Beschäftigten freizustellen. Doch das allein reicht nicht, (D) um auf den Wandel der Arbeitswelt zu reagieren. Wenn (Beifall bei der SPD) Unternehmen umstrukturieren müssen, dürfen Arbeitneh- Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist also einiges zu mer nicht auf der Strecke bleiben. Deswegen unterstützen tun. Ich bin froh, dass wir bereits viele Punkte im Zwi- wir die Forderung nach einem Transferkurzarbeitergeld. schenbericht untergebracht haben. Ich freue mich auf die Es ermöglicht Beschäftigten, sich zu qualifizieren, sich weiteren Beratungen und die weitere gemeinsame Arbeit neuen Bedingungen anzupassen mit den Kolleginnen und Kollegen in der Enquete-Kom- mission „Berufliche Bildung in der digitalen Arbeits- (Beifall bei der LINKEN) welt“. und dabei auch beschäftigt zu bleiben. So schaffen wir Herzlichen Dank. Schutz und Chancen für die Beschäftigten. Klar ist auch: Die Transformation kann nur gelingen, wenn die Be- (Beifall bei der SPD Dr. schäftigten einbezogen werden. Deshalb muss die be- [SPD]: Toll gemacht!) triebliche Mitbestimmung gestärkt werden. Betriebsräte müssen viel stärker mitentscheiden können, wenn es da- rum geht, wie Arbeit organisiert wird, wo neue Techniken Vizepräsident Wolfgang Kubicki: eingesetzt werden, wie viel Personal gebraucht wird und Vielen Dank, Frau Kollegin Völlers. – Als nächste welche Qualifikation notwendig ist. Packen wir es an, Rednerin erhält das Wort die Kollegin Jutta Krellmann, auch in der Enquete-Kommission. Fraktion Die Linke. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Beate Jutta Krellmann (DIE LINKE): Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- ren! Auch ich möchte im Namen meiner Fraktion Herrn Hauer von hier aus gute Besserung wünschen, damit er Vizepräsident Wolfgang Kubicki: nächste Woche wieder hier sein kann. Vielen Dank, Frau Kollegin Krellmann. – Nächste Rednerin ist für die CDU/CSU-Fraktion die Kollegin (Beifall bei der LINKEN, der CDU/CSU, der Antje Lezius. SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU) 15320 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

(A) Antje Lezius (CDU/CSU): lifizierungsinitiativen auf den Weg gebracht. Besonders (C) Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- überbetriebliche Berufsbildungszentren können hier ge- nen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Un- rade kleinen Betrieben von Nutzen sein. Die digitalen ser duales Ausbildungssystem sorgt dafür, dass Deutsch- Technologien schaffen auch viele Chancen und erleich- lands Wirtschaft zur Weltspitze gehört. Wenn wir es tern die Kooperation der Lernorte gerade in ländlichen schaffen, die digitale Transformation gemeinsam gut zu Regionen. gestalten, dann bleiben wir auch weiterhin Weltspitze. In der Projektgruppe 2 unserer Enquete-Kommission haben Selbstverständlich ist die Voraussetzung für all diese wir uns mit den Anforderungen der Digitalisierung an die Maßnahmen eine zeitgemäße digitale Infrastruktur. Dafür berufliche Ausbildung im Betrieb beschäftigt. Für die haben wir bereits 3,5 Milliarden Euro bereitgestellt. Die gute Zusammenarbeit bisher möchte ich mich ganz herz- Beteiligung und Kooperation von Forschern, Experten, lich bedanken. Praktikern und Politikern in unserer Enquete-Kommis- sion stellt sicher, dass wir zu guten Ergebnissen und Ich greife einige wichtige Punkte aus unserer bisheri- Handlungsempfehlungen kommen werden – davon bin gen Arbeit heraus: ich überzeugt –; Die Digitalisierung verändert und bereichert unsere (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Arbeitswelt. Die Betriebe sind davon, je nach Branche, Größe, Standort, unterschiedlich stark betroffen. Wäh- denn wir wollen, dass die berufliche Bildung ein Erfolgs- rend einige Unternehmen Vorreiter in Sachen Digitalisie- modell im digitalen Zeitalter bleibt. rung sind, stehen andere noch fast am Anfang; das sehen wir bei den vielen Betriebsbesichtigungen vor Ort. Das Vielen Dank. bedeutet für uns als politisch Gestaltende: Die Rahmen- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- bedingungen müssen so gefasst sein, dass wir den kleinen ordneten der SPD) Ausbildungsbetrieb im Blick haben genauso wie den Großkonzern, der Digitalisierung bereits selbst voran- treibt. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank, Frau Kollegin Lezius. – Als letzter Red- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. ner zu diesem Tagesordnungspunkt spricht der Kollege Dr. Joe Weingarten [SPD]) Stephan Albani, CDU/CSU-Fraktion. Die Ausbildungsberufe sind gleichfalls nahezu alle von der Digitalisierung berührt, aber auch hier variiert das (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) (B) Maß der Betroffenheit stark. Derzeit erweisen sich die (D) Ausbildungsordnungen als ausreichend flexibel und an- passungsfähig. Mit der Modernisierung der Berufsbilder Stephan Albani (CDU/CSU): sichern wir die Attraktivität und die Wettbewerbsfähig- Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- keit in Deutschland. gen! Ein chinesisches Sprichwort sagt: „Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen die einen Mauern und die Insgesamt verändern sich aber die Anforderungen an anderen Windmühlen.“ Digitalisierung in der Arbeitswelt die Fachkräfte: Digitale Technik- und Medienkompetenz ist mit Sicherheit ein solcher Wind, manche sagen: Es ist und ein Verständnis für digitale Zusammenhänge sind sogar ein Sturm. immer stärker gefragt und sollten in jeder Ausbildung vermittelt werden. Auch veraltet das einmal erworbene Wenn eine Innovation stattfindet, fallen die Menschen Wissen in der digitalen Arbeitswelt sehr viel schneller als in ganz unterschiedliche Gruppen auseinander. Wir haben bisher. Dadurch gewinnen die Weiterbildung und das le- in der Regel so 2 bis 3 Prozent, die als Innovatoren vorne- bensbegleitende Lernen im Betrieb eine neue Qualität. weg rennen. Dann haben wir so 13 bis 14 Prozent, die sich Wir können darum festhalten: Der Weiterbildungs- als Early Adopters der Sachen schnell annehmen. Dann bedarf nimmt mit der digitalen Transformation stark zu. kommen jeweils 34 Prozent frühe und späte Mehrheiten Es wird eine neue Lern- und Weiterbildungskultur in der und am Ende 16 Prozent Nachzügler. Das ist normal. gesamten Gesellschaft nötig sein. Aber, meine sehr ge- Wenn man als Beispiel den Arbeitsplatz Deutscher Bun- ehrten Damen und Herren, keine Angst, im Rückblick destag nimmt, dann sieht man genau diese Vielfalt: Man sehen wir: Es gab ständig Veränderungsprozesse, und sieht kiloschwere analoge Akten, man sieht Leute, die wir haben sie alle gut gemeistert. direkt vorne dabei sein wollen und voll durchdigitalisiert sind, und man sieht die Mischform, wo jemand ein Tablet Die neue Weiterbildungskultur wird in vielen Betrie- als einen sehr dekorativen Befüllungszustand einer an- ben schon vorweggenommen. Dabei zeigt sich: Je höher sonsten analogen Postmappe sieht. der Digitalisierungsgrad eines Betriebes, desto eher neh- men die Beschäftigten an Weiterbildungen teil. Damit (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) erweist sich die Digitalisierung als Weiterbildungstreiber Insgesamt bedeutet das, dass wir als Politik an dieser im Betrieb. Stelle versuchen müssen, die Rahmenbedingungen für In der digitalen Arbeitswelt fällt der Qualifizierung von die Digitalisierung in der Arbeitswelt zu gestalten; genau Ausbildern eine besondere Rolle zu, gerade für kleinere das ist es, was wir in der Enquete-Kommission machen Unternehmen ist dies aber schwer zu bewältigen. Hier wollen. Gleichzeitig geht es darum, den Freiraum für wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche gute Qua- subsidiäre Innovation zu schaffen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15321

Stephan Albani (A) Wir stellen auch Positives fest. Wir haben festgestellt, [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (C) dass die Modernisierung – Stefan Kaufmann hat es schon CDU pro Windkraft! Sehr gut!) angesprochen – vieler Berufe bei den Sozialpartnern gut aufgehoben ist und es dort aufgrund technologiefreier Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Definition zu Verbesserung und Modernisierung kommt. Vielen Dank, Herr Kollege Albani. – Damit ist die Vielleicht könnte es hier und da etwas schneller gehen – Aussprache beendet. Stichwort „agile Verfahren“ –, aber insgesamt ist es vor allen Dingen entscheidend, wie man sich dem Thema Ich rufe die Tagesordnungspunkt 6 a sowie 6 c bis 6 f nähert. auf: Wir haben in dieser Woche von Professor Boes vom a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Bayerischen Forschungsinstitut für Digitale Transforma- Katja Kipping, Matthias W. Birkwald, tion zwei Zugänge präsentiert bekommen. Der eine ist: Susanne Ferschl, weiterer Abgeordneter und Wenn wir die Digitalisierung in der Arbeitswelt aus der der Fraktion DIE LINKE Maschinensicht betrachten, dann reden wir über die Ver- netzung programmierter Systeme, dann reden wir auf ein- Hartz IV überwinden – Für gute Arbeit mal über die Ersetzung und Substituierung von Tätigkei- und soziale Garantien ten und von Menschen. Wir reden über künstliche Drucksache 19/14788 Intelligenz und Automatisierung. Das bereitet dem einen oder anderen natürlich Sorge. Gehen wir aber umgekehrt c) Beratung der Beschlussempfehlung und des die Digitalisierung in der Arbeitswelt aus der Werkzeug- Berichts des Ausschusses für Arbeit und So- sicht an, dann reden wir über die Steigerung geistiger ziales (11. Ausschuss) Fähigkeiten. Wir reden auf einmal über erweiterte Intelli- genz, Augmented Intelligence, über Information und – zu dem Antrag der Abgeordneten Pascal schlussendlich über die Emanzipation des Einzelnen in Kober, Michael Theurer, Johannes Vogel der Arbeitswelt und seine entsprechende Weiterentwick- (Olpe), weiterer Abgeordneter und der lung. Das finden wir gut. Das müssen wir unterstützen. Fraktion der FDP Rechtssicherheit für die Kommunen (Beifall bei der CDU/CSU) und Jobcenter – Berechnung der Kos- Die strategische Herausforderung ist insofern formu- ten der Unterkunft in der Grundsiche- liert als die Reformulierung der Beruflichkeit hin zu einer rung vereinfachen Informationsökonomie. Wir haben festgestellt, dass es in (B) der Ausbildung gut funktioniert, dass wir aber darauf – zu dem Antrag der Abgeordneten Katja (D) achten müssen, dass die Zusammenarbeit der Partner in- Kipping, Caren Lay, Matthias W. nerhalb der Ausbildung gestärkt wird. Hier möchte ich Birkwald, weiterer Abgeordneter und der noch einmal betonen, dass wir eine Stärkung der Berufs- Fraktion DIE LINKE schulen, aber auch eine Stärkung der überbetrieblichen Wohnkostenlücke schließen – Kosten Ausbildungsstätten in den Fokus nehmen müssen. der Unterkunft existenzsichernd gestal- Eine weitere Sache ist das Zusammenspiel zwischen ten Hochschulen und Berufsschulen. Ich möchte an dieser Drucksachen 19/7030, 19/6526, 19/9324 Stelle das Projekt „Frühstarter“ aus meinem Wahlkreis erwähnen, wo Hochschuldozenten in die Berufsschulen d) Beratung der Beschlussempfehlung und des hineingehen und Abschlussklassen bereits entsprechende Berichts des Ausschusses für Arbeit und So- Fortbildungen machen, sodass ECTS-Credit-Points erar- ziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Ab- beitet werden können. Ich glaube, das ist ein richtiger geordneten Susanne Ferschl, Katja Kipping, Weg, die Grenzen zu überschreiten. Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion DIE LINKE Damit sind wir bei einem wichtigen letzten Punkt. Die- jenigen, die in die Berufe reingehen, gehen hoffentlich Sozialstaat stärken – Hartz IV sofort auf mit offenem Herzen und großer Freude, aber die, die drin 582 Euro erhöhen sind, brauchen unsere Unterstützung in Sachen Weiterbil- Drucksachen 19/10621, 19/14217 dung, damit sie nicht die Sorge haben: Da findet eine Welt statt, an der sie nicht teilnehmen. Deswegen möchte ich, e) Beratung der Beschlussempfehlung und des dass bei Weiterbildung nicht von einem Muss gesprochen Berichts des Ausschusses für Arbeit und So- wird, sondern von einem Will, von einem Möchte. Auf ziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Ab- diese Art und Weise sollten wir dafür sorgen, dass zu- geordneten Dr. Gesine Lötzsch, Susanne künftig diejenigen, die Mauern bauen, diese eingerissen Ferschl, Lorenz Gösta Beutin, weiterer Ab- bekommen und wir daraus Windmühlen bauen. geordneter und der Fraktion DIE LINKE Herzlichen Dank. Verwaltungskosten der Jobcenter senken – Bagatellgrenze für Rückforderungen an- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- heben neten der SPD und der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Drucksachen 19/11097, 19/14202 15322 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) f) Beratung der Beschlussempfehlung und des schen. Wir als Linke meinen: Beschäftigte, Pflegekräfte, (C) Berichts des Ausschusses für Arbeit und So- Busfahrer, Verkäuferinnen, sie alle verdienen mehr. Und ziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Ab- deswegen unterstützen wir sie in ihren Tarifkämpfen um geordneten Pascal Kober, Michael Theurer, höhere Löhne. Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Hartz IV entbürokratisieren – Bagatell- Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Jawohl! grenze einführen Aus ganzem Herzen!) Drucksachen 19/14064, 19/14469 Ich frage Sie von der CDU: Was hat die Pflegekraft da- von, wenn es der Alleinstehenden in Hartz IV weiterhin Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die schlecht geht? Die Pflegekraft kann davon ihren Kindern Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre hierzu nicht ein Paar neue Schuhe mehr kaufen. keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Liebe hart arbeitende Menschen in diesem Land, wenn Bevor ich die Aussprache eröffne, bitte ich die Mit- die Hartz-IV-Fraktionen Sie in den Debatten hier anspre- glieder der Fraktionen, den Wechsel möglichst zügig chen, dann tun sie das nicht, weil sie wollen, dass Sie am durchzuführen, damit wir die Debatte beginnen können. Ende des Monats mit mehr Geld nach Hause gehen. Sie Das gilt für alle Fraktionen. – So selten sehen Sie sich tun das nur, weil sie wollen, dass es den Erwerbslosen doch gar nicht, dass Sie jedes Mal Wiedersehensfeiern weiterhin schlecht geht. Gehen Sie denen nicht auf den machen müssen. Leim! Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red- nerin das Wort der Kollegin Katja Kipping, Fraktion Die (Kai Whittaker [CDU/CSU]: So ein Blödsinn!) Linke. Wir als Linke haben einen anderen Ansatz. Wir wollen, dass es Erwerbslosen und Beschäftigten besser geht. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Katja Kipping (DIE LINKE): Das ist sogar finanzierbar, wenn wir endlich Millionen- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Werte Zu- gewinne besser besteuern. schauende! Am 1. Januar 2020 sind die Hartz-IV-Gesetze 15 Jahre in Kraft. Das ist für Die Linke ein Anlass für eine (Beifall bei der LINKEN – Kai Whittaker kritische Bilanz. Um es vorab zu sagen: Hartz IV – das (B) [CDU/CSU]: Das grenzt schon an Verleum- (D) bedeutet soziale Spaltung der Gesellschaft, und deswegen dung!) werden wir niemals unseren Frieden damit machen. Nicht genug, dass Sie Menschen in diesem Land ein (Beifall bei der LINKEN) Leben in Armut zumuten. Nein, Sie bedienen auch noch Im Folgenden möchte ich unsere Kritik mit einigen negative Klischees wie das des faulen Arbeitslosen. offiziellen Zahlen untermauern. Die Armutslücke, also (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Wer die Differenz zwischen der durchschnittlichen Hartz-IV- hat das gesagt?) Leistung eines Alleinstehenden und der Armutsrisiko- grenze, ist in den letzten 15 Jahren gewachsen. Sie beträgt Vor rund fünf Monaten sagte der CDU-Redner Matthias jetzt 390 Euro im Monat. Das heißt, ein Alleinstehender Zimmer in einer Hartz-IV-Debatte – ich zitiere –: Hier in Hartz IV, der kein zusätzliches Einkommen hat, lebt werden „diejenigen, die fleißig sind und wenig Geld ha- 390 Euro unter der Armutsgrenze. Das heißt: Hartz IV ist ben von denen … noch ausgebeutet, die anstrengungslos Armut per Gesetz. von der Umverteilung leben“. (Beifall bei der LINKEN – Matthias W. (Zuruf von der LINKEN: Frechheit!) Birkwald [DIE LINKE]: Unwürdig!) „Anstrengungslos von der Umverteilung leben“, so denkt Jeder Dritte, der sanktioniert wird, lebt mit Kindern zu- die Union über Hartz-IV-Betroffene. Sie von der Union sammen. Das heißt, Hartz-IV-Sanktionen gefährden Kin- haben offensichtlich keine Ahnung davon, wie sehr das deswohl. Jede dritte Arbeitsaufnahme aus Hartz IV he- Gefühl, von Hartz IV bedroht zu sein, die Menschen be- raus ist kürzer als sechs Monate. Das heißt, Hartz IV lastet. Gehen Sie mal zum Jobcenter, schauen Sie den bedeutet Arbeitsvermittlung mit Drehtüreffekt: Kaum Menschen in die Augen, hören Sie sich ihre Schicksale ist man raus, ist man schon wieder drin. Und im Zuge an, und überlegen Sie dann, ob Sie das noch mal wieder- von Hartz IV hat die Bereitschaft zugenommen, schlechte holen würden. Löhne und schlechte Arbeitsstandards zu akzeptieren. Hartz IV ist also auch ein Angriff auf das Lohngefüge (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. und auf die Arbeitsstandards. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]) (Beifall bei der LINKEN) Ein Wort an den zuständigen Minister Hubertus Heil, Umso absurder ist es, wenn die Hartz-IV-Fraktionen der heute durch Abwesenheit glänzt: Herr Heil sagt oft in hier im Bundestag den Eindruck erwecken, niedrige Re- Hartz-IV-Debatten, er wolle Menschen in Arbeit bringen, gelsätze wären im Interesse der hart arbeitenden Men- statt ihnen Almosen zu geben. Ja, ich bin dafür, dass Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15323

Katja Kipping (A) Erwerbslose besser unterstützt werden bei ihrer Suche Armut in die Geschichtsbücher verbannt haben, für eine (C) nach Arbeit. Zukunft ohne Hartz IV, für eine Zukunft frei von Armut. (Kai Whittaker [CDU/CSU]: Davon findet sich Vielen Dank. in Ihrem Antrag aber nichts! Was wollen Sie (Beifall bei der LINKEN) tun, Frau Kipping?)

Ich frage aber den Minister: Warum stellt Ihre Regierung Vizepräsident Wolfgang Kubicki: für die Arbeitsvermittlung von Hartz-IV-Betroffenen pro Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Profes- Kopf nur ein Fünftel des Geldes zur Verfügung, das Men- sor Dr. Matthias Zimmer, CDU/CSU-Fraktion. schen in der Arbeitslosenversicherung zur Verfügung steht? Nur ein Fünftel! Warum ist dem Sozialminister (Beifall bei der CDU/CSU) Hubertus Heil die Arbeitsvermittlung von Hartz-IV-Be- troffenen so wenig wert? Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Danke sehr. – Herr Präsident! Frau Kipping, ich glau- (Beifall bei der LINKEN – Kai Whittaker be, der Tag, an dem Sie sich mit Hartz IV abfinden, ist der [CDU/CSU]: Wie kommen Sie auf den Wert?) Tag, an dem wir wissen, dass wir was falsch gemacht – Das alles ergibt sich aus offiziellen Zahlen, die wir haben. durch Anfragen ermittelt haben, aus Zahlen der Bundes- Meine Damen und Herren! Die heutige Debatte behan- regierung. delt eine Reihe von Anträgen. Doch natürlich ist das zent- (Kai Whittaker [CDU/CSU]: Das würde bedeu- rale Thema die Entscheidung des Bundesverfassungsge- ten, wir würden 20 Milliarden ausgeben für die richts. Dazu einige grundsätzliche Anmerkungen, weil sie Vermittlung in der Bundesagentur für Arbeit! auch zur Beurteilung der vorliegenden Anträge hilfreich Das ist doch falsch, Frau Kipping!) sind: – Wissen Sie was, Sie können einfach eine Zwischenfrage Erstens. Das Gericht hat Sanktionen grundsätzlich als stellen; aber fallen Sie mir nicht ständig ins Wort. verfassungskonform eingestuft. Die Begründung dafür ist: Der Gesetzgeber hat einen Gestaltungsspielraum, (Beifall bei der LINKEN) auch bei der Durchsetzung des Nachranggrundsatzes. Dieser bedeutet, Leistungen werden nur bei wirklicher Ich finde, es gibt durchaus Bereiche, in denen Herr Heil Bedürftigkeit gewährt. Mit anderen Worten: Die Argu- aktiv ist. Aber ich habe den Eindruck: Immer wenn es um mentation, die wir hier häufig gehört haben, Sanktionen (B) Hartz IV geht, wechselt er in den Stand-by. Wenn es um verstießen grundsätzlich gegen die Würde des Menschen, (D) Hartz IV geht, haben wir einen Sozialminister im Stand- weil in das Recht auf ein Existenzminimum eingegriffen by. Das muss sich ändern, und das Urteil des Bundesver- werde, diese Argumentation teilt das Gericht ausdrück- fassungsgerichts ist ein guter Anlass dafür. lich nicht. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Martin Zweitens. Das Gericht verbietet zum jetzigen Zeit- Rosemann [SPD]: Das bestätigt aber uns und punkt Sanktionen von 60 Prozent und Vollsanktionen. nicht Sie!) Das tut es, ausdrücklich nicht, weil sie gegen Artikel 1 des Grundgesetzes verstießen, sondern mit Blick auf die 15 Jahre Hartz IV, das ist für Die Linke auch ein An- Verhältnismäßigkeit: Die Sanktionen müssen in einem lass, um nach vorne zu schauen. Wohin soll die Reise rechten Verhältnis zum Ziel stehen, sie müssen geeignet, gehen? erforderlich und zumutbar sein. Und das Ziel ist, den (Dr. Martin Rosemann [SPD]: Nee, das ist mal Nachranggrundsatz durchzusetzen und die Mitwirkungs- was Neues!) pflichten zu erfüllen. Ich meine, es ist höchste Zeit, mit dem Hartz-IV-System Drittens. Mehrfach betont das Gericht, dass bestimmte zu brechen, es zu überwinden: durch gute Arbeit, die zum Sanktionen nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht ver- Leben passt, durch eine eigenständige Kindergrundsiche- hältnismäßig seien. Es könne aber nicht ausgeschlossen rung und durch eine sanktionsfreie Mindestsicherung. werden, dass eine Minderung um 60 Prozent des Regel- Freiheit von Armut für alle ist möglich. bedarfs in Ausnahmefällen geeignet und angemessen sein könne. Der vollständige Wegfall der Hilfen jedenfalls – (Beifall bei der LINKEN) auf Grundlage der derzeitigen Erkenntnisse – sei nicht verfassungsgemäß. Mehr als 15 Jahre Kampf gegen Hartz IV, das sind auch Jahre des Kampfes der Betroffenen, der Gewerkschaften, Das Gericht hat also – mit anderen Worten – die Ver- der Sozialverbände. An dieser Stelle möchte ich sagen: fassungsgemäßheit der Sanktionen danach beurteilt, ob Mein ganzer Respekt gilt den vielen Initiativen und Be- sie das Ziel erreichen, die Mitwirkungspflichten zu erfül- troffenen, die weiter beharrlich gegen Hartz IV kämpfen, len. Die Wirksamkeit einer Maßnahme wird hier zum die unabhängige Beratung leisten, die deutlich machen: Maßstab der Verfassungsgemäßheit. Das ist ungewöhn- Keiner muss allein zum Amt. Ihr leistet praktische Soli- lich. Im Umkehrschluss bedeutet dies nämlich: Wenn die darität. Euer Einsatz ist eine wahre Leistung für den ge- Wirksamkeit durch neue Erkenntnisse zweifelsfrei nach- sellschaftlichen Zusammenhalt. Lasst uns gemeinsam gewiesen wird, stellt sich die Frage weiter gehender weiterkämpfen, und zwar so lange, bis wir Hartz IV und Sanktionen neu. Gleichzeitig – und das scheint mir doch 15324 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Dr. Matthias Zimmer (A) eher in die Kategorie eines besonderen Humors der Ver- Jörg Schneider (AfD): (C) fassungsrichter zu fallen – kann vermutlich ein empiri- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- scher Nachweis der Wirksamkeit der Sanktionen allein ren! Liebe Zuschauer! Die Linke sagt, die Grundsiche- deshalb nicht mehr erbracht werden, weil sie ja verboten rung für Arbeitsuchende sei gescheitert. Sie möchte sind. Festzuhalten ist aber: Mit Blick auf die Sanktionen Hartz IV überwinden. Sie macht dazu eine Reihe von hat das Gericht nicht aus grundsätzlichen Erwägungen Vorschlägen. Jetzt haben wir doch alle das Ziel: Wir wol- zur Würde des Menschen heraus argumentiert, sondern len Arbeitsplätze schaffen, wir wollen diese erhalten. Wir eher sozialwissenschaftlich. haben ein Bild vom Menschen, der selbstbestimmt lebt, der verantwortungsvoll handelt. Da möchte ich doch mal Interessant finde ich einen Hinweis des Gerichts, nach prüfen, wie dazu Ihre Anträge passen. dem die Mitwirkungspflichten nicht darauf abzielen, die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit zu fördern. Ein sol- Sie schlagen unter anderem vor, bei Arbeitslosen, die cher Paternalismus sei dem Grundgesetz fremd; es gehe ihren Job kündigen, ohne einen neuen Job zu haben, also um den Respekt vor der autonomen Selbstbestimmung in die Arbeitslosigkeit gehen, die Sperrfrist abzuschaffen. des Einzelnen. Hier hätte sich durchaus eine andere Ar- Darüber könnte man vielleicht reden, wenn wir über gumentation anschließen können: dass es auch zur auto- Menschen sprechen, die noch in der Probezeit sind. Die nomen Selbstbestimmung des Einzelnen gehören kann, Probezeit ist eine Zeit des gegenseitigen Kennenlernens. Leistungen nicht in Anspruch zu nehmen. Das hätte den Boden bereitet für eine Verzichtstheorie: Wer im Wissen (Katja Kipping [DIE LINKE]: Die Menschen um die Sanktionen sein Verhalten nicht ändert, verzichtet bemühen sich auch in der Probezeit, Herr implizit auf Leistungen. Das ist allerdings nicht weiter Schneider!) ausgeführt worden. Da sollte vielleicht eine Trennung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer möglich sein. Was folgt daraus? Allerdings: Ein Arbeitnehmer, der seinen Job kündigt, Erstens. Der Gesetzgeber hat bei der Ausgestaltung des obwohl er noch keinen neuen Job hat: Soll er denn nun Nachranggrundsatzes einen Gestaltungsspielraum, im wirklich mit einem Menschen gleichgestellt werden, der Übrigen auch bei der Berechnung des soziokulturellen auf der Straße steht, weil sein Betrieb geschlossen wurde? Existenzminimums. Dieser Gestaltungsspielraum ist ei- Der Arbeitnehmer, der seinen Job kündigt, ohne einen nerseits begrenzt, andererseits gestärkt worden. neuen Job zu haben, und der dann sagt: „Die Folgen Zweitens. Das Prinzip des Förderns und Forderns ist meines Handelns soll jetzt bitte schön die Gemeinschaft tragen“, der handelt nicht verantwortungsvoll. (B) legitim. Solidarität gilt nicht unbedingt, sondern kann an (D) die Erfüllung von Mitwirkungspflichten gebunden wer- (Beifall bei der AfD) den. Ich denke mir, es ist vollkommen richtig, dass wir hier (Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gesetzliche Grenzen eingeführt haben. NEN]: Kann! – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Muss aber Dann kommt von Ihnen natürlich wieder der Dauer- nicht!) brenner: 12 Euro Mindestlohn; auch die SPD begeistert sich dafür. Vielleicht zeige ich von dieser Stelle einfach – Muss aber nicht, ja, kann, natürlich; völlig in Ordnung. nur mögliche Konsequenzen des Ganzen auf: Sicherlich, Das entspricht ja auch der Freiheit und Autonomie des- Krankenhäuser und Büros müssen weiterhin geputzt wer- jenigen, der das entscheidet. den. Drittens. Viele der Debatten, Hartz IV verletze die (Zurufe von der LINKEN) Würde des Menschen, werden nach dieser Entscheidung vermutlich gegenstandslos. Ich bin nicht so optimistisch, In diesem Bereich würde eine Mindestlohnerhöhung si- zu glauben, dass sie in Zukunft nicht mehr stattfinden. cherlich keine Jobs kosten. Aber wie sieht es denn in der Zumindest auf die Verfassung und ihre Auslegung durch Industrie aus? Ich habe als Lehrer an einer Berufsschule das Verfassungsgericht können sie sich allerdings nicht Beschichter unterrichtet. Diese tauchen Stahlteile in Flüs- mehr stützen. sigzink. Dadurch wird Korrosionsschutz geschaffen. Das ist harte Arbeit, schmutzige Arbeit. Der Tariflohn liegt bei Herzlichen Dank. ungefähr 10 Euro. Wenn Sie hier eine Erhöhung auf 12 Euro durchsetzen, dann sind diese Arbeitsplätze (Beifall bei der CDU/CSU – Katja Kipping weg, dann sind sie im Ausland, und zwar schneller, als [DIE LINKE]: Das ist aber eine komische In- Sie das Wort „Mindestlohnerhöhung“ aussprechen kön- terpretation des Grundgesetzes!) nen. Ihre Forderung wird Arbeitsplätze kosten. (Beifall bei der AfD – Widerspruch beim Vizepräsident Wolfgang Kubicki: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herzlichen Dank, Herr Kollege Zimmer. – Als nächster Redner hat der Kollege Jörg Schneider von der AfD-Frak- Wir sind uns vielleicht in einem Punkt einig: Wer im tion das Wort. Niedriglohnbereich arbeitet, der hat tatsächlich ein Ein- kommen, das zu gering ist. Aber der Grund dafür sind (Beifall bei der AfD) doch nicht zu niedrige Bruttolöhne. Der Grund dafür sind Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15325

Jörg Schneider (A) zu hohe Sozialversicherungsbeiträge. Daran müssen wir Wir müssen unterscheiden. Es gibt diejenigen, die eben (C) etwas ändern. an ihrer sozialen Situation selber nichts ändern können, kranke, alte Menschen und Kinder. Ja, sie brauchen genug (Beifall bei der AfD) Geld. Aber auch da nutzen die 10 Euro mehr nichts, wenn Was kommt dazu von Ihnen? Es gibt einen Ausnahme- man nicht mobil sein kann, wenn man sich nicht treffen, tatbestand: die 450-Euro-Jobs. Und diese wollen Sie jetzt nicht Hobbys nachgehen kann, wenn man nicht mit ande- auch noch abschaffen. Haben Sie mal mit Betroffenen ren Menschen zusammenkommen kann. Deswegen brau- gesprochen, mit jemandem, der 450 Euro im Monat mit chen wir nicht nur eine Geldleistung. Nein, wir brauchen Zeitungsaustragen verdient? Dem wollen Sie auch noch einen handlungsfähigen Staat, vor allem starke und hand- 100 Euro wegnehmen? Das ist doch absurd. lungsfähige Kommunen, die vor Ort die Teilhabe für alle gewährleisten. (Beifall bei der AfD – Zuruf des Abg. Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der SPD) Für diejenigen, die etwas an ihrer Lage ändern können, Noch mal: Unser gemeinsames Ziel muss sein, Ar- wollen wir das Recht auf Arbeit. Alle, die arbeiten möch- beitsplätze zu schaffen, Arbeitsplätze zu erhalten. ten, müssen ein adäquates Arbeits- oder Weiterbildungs- (Zuruf von der LINKEN: Ja, aber gut bezahlte angebot erhalten. Wir erwarten von den Menschen, dass Arbeitsplätze!) sie für ihren Lebensunterhalt arbeiten gehen, aber dann muss die entsprechende Arbeit auch zur Verfügung ste- Das Leitbild ist der Mensch, der eigenverantwortlich, hen. Arbeitslosigkeit ist selten ein individuelles Verschul- selbstbestimmt, verantwortungsvoll arbeitet. Ihre Anträ- den, in den wenigsten Fällen ein selbstgewähltes Schick- ge gehen daran regelmäßig weit vorbei. Deswegen wer- sal. Deswegen tragen wir die Verantwortung für gute den wir auch diese Anträge ablehnen. Arbeit für alle. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der AfD) Wir wollen gesellschaftlich sinnvolle Arbeit schaffen und bezahlen lieber diese als die Arbeitslosigkeit. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat das Wort die (Beifall des Abg. Dr. Martin Rosemann [SPD]) Kollegin Dagmar Schmidt, SPD-Fraktion. Das SGB II ist für uns deshalb eben mehr als eine (B) (Beifall bei der SPD) Existenzsicherung. Nicht nur die Höhe einer Leistung (D) hat etwas mit Würde zu tun. Dazu kommt ein respektvol- ler Umgang. Dazu gehört es, dass Menschen im Sozial- Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD): staat nicht als Bittsteller, sondern als Bürgerinnen und Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Bürger mit Rechten, aber eben auch mit Pflichten behan- Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Zeitpunkt, delt werden. für den die Agenda 2010 die Zukunft beschrieben hat, ist jetzt auch schon fast zehn Jahre her. Seitdem ist vieles (Beifall bei Abgeordneten der SPD) passiert: Viele Menschen haben Zugang zu Förderleistun- Keine Erwartungen an Menschen zu haben, ihnen nichts gen, die vorher ausgeschlossen waren. Die Betreuungs- zuzutrauen, ist für mich kein Ausdruck von Respekt und quote für unter Dreijährige ist gestiegen – genauso wie kein Ausdruck von einem würdevollen Umgang mitei- die Frauenerwerbsarbeit. Die Arbeitslosigkeit ist stark nander. gesunken. Gute Entwicklungen! (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Aber es gab auch schlechte: Die Leiharbeit ist gestie- Abg. Pascal Kober [FDP] – Zuruf der Abg. gen. Die Tarifbindung hat abgenommen, und die Löhne Katja Kipping [DIE LINKE]) haben sich auseinanderentwickelt. Genau deswegen ha- ben wir auch reagiert. Wir haben den Mindestlohn einge- Wir fühlen uns durch das Urteil des Bundesverfas- führt. Wir haben Missbrauch von Leiharbeit und Werk- sungsgerichts daher bestätigt. So, wie es jetzt ist, darf verträgen bekämpft. Wir haben die Situation für Kinder es nicht bleiben. Im jetzigen System sind Sanktionen so von Eltern mit geringem oder gar keinem Einkommen wie bisher nicht mehr zulässig. Sie sind zu hart. Vor al- verbessert. Wir haben geringe und mittlere Einkommen lem: Sie müssen Sinn machen. Man muss die persönliche gestärkt und den sozialen Arbeitsmarkt geschaffen. konkrete Lage des Einzelnen betrachten. Sanktionen müssen dazu führen, dass die Arbeitslosen besser in Ar- (Beifall bei der SPD) beit kommen, und das muss nachgewiesen werden. Sank- tionen müssen zudem flexibel sein, Härtefälle berück- Alles das weist schon den Weg für eine Sozialstaatsre- sichtigen, und man muss sie zurücknehmen können. form, die aber noch grundsätzlicher sein muss. Dazu hat die SPD Anfang des Jahres ein Sozialstaatspapier be- Das Urteil weist aber genau auf den Punkt hin, der für schlossen. Was wir brauchen, ist ein Sozialstaat, der sich uns in der Diskussion um die Zukunft des Sozialstaats der auf schnelle Veränderungen und neue Anforderungen ein- wesentliche ist: Wir müssen jeden Menschen in seiner stellt, der die Angst vor der Zukunft nimmt und Hoffnung konkreten Lage einzeln betrachten, und unser Sozialstaat und Perspektive gibt, der als Partner agiert. muss sich darauf ausrichten. 15326 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Dagmar Schmidt (Wetzlar) (A) (Beifall bei der SPD) 90 Prozent, mit diesem System des Förderns und For- (C) derns zurechtkommen. Dazu wollen wir die Eingliederungsvereinbarung zu einer Teilhabevereinbarung weiterentwickeln, um gemeinsam (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten mit den Arbeitslosen herauszufinden, was ein guter Weg der CDU/CSU) ist. Diese dürfen wir in der Debatte nicht vergessen. Oftmals brauchen Menschen nicht viel Unterstützung, vielleicht eine gute Beratung. Oftmals organisieren sie Wir sollten die Chance, dass uns ein Gesetzgebungs- sich weitgehend selbst, suchen selbstständig nach Arbeit verfahren jetzt aufgetragen ist, um die Sanktionsregeln zu und finden diese auch. Aber viele Menschen brauchen reformieren, auch nutzen, um genau für diese 90 Prozent mehr. Das müssen wir individuell entscheiden. Manch- etwas zu erreichen. Das bedeutet, etwas zu erreichen, was mal müssen wir auch hingehen, statt einladen. Bei man- den Einstieg in den Arbeitsmarkt und das den Aufstieg im chen brauchen wir einen langen Atem, eine zweite und Arbeitsmarkt verbessert. Das wäre jetzt an der Tagesord- eine dritte Chance. Wir wollen ein Recht auf Weiterbil- nung. Das sollten wir nicht vergessen. dung und Qualifizierung, auch wenn es länger dauert. Wir (Beifall bei der FDP) brauchen Coaching, Vorbereitung und Nachsorge. Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, Hartz IV Das alles wollen wir tun und haben uns mit dem sozia- krankt ja nicht an den verbindlichen Mitwirkungspflich- len Arbeitsmarkt genau so auch schon auf den Weg ten. Wir sind froh, dass das Bundesverfassungsgericht das gemacht. Wir führen auch diejenigen wieder an den Ar- jetzt auch einmal festgestellt hat. beitsmarkt heran, die viel Unterstützung durch die Allge- meinheit brauchen. Wenn der Sozialstaat so arbeitet, an (Beifall bei Abgeordneten der FDP) den Vorstellungen und Bedarfen der Arbeitslosen orien- Wir haben diese Ansicht schon immer hier im Hause ver- tiert, individuell, ganzheitlich, mit viel Kraft und Geld, treten. Das – die Mitwirkungspflichten – ist nicht das mit Geduld und langem Atem, dann darf auch Mitwir- Problem, sondern das Problem bei Hartz IV ist, dass an kung erwartet und fehlende Mitwirkung sanktioniert wer- vielen, vielen Stellen die Menschen nicht das Gefühl be- den. kommen, dass sie durch ihre eigene Anstrengung an ihrer Wir wollen kein „Pay and forget“ mit dem bedingungs- Situation auch wirklich etwas verändern können. An der losen Grundeinkommen. Wir wollen niemanden links lie- Stelle müssen wir ansetzen. gen lassen. Wir wollen uns als Gesellschaft mit jedem Das zweite Problem des Hartz-IV-Systems ist, dass es Einzelnen Mühe machen. überlastet ist durch eine ausufernde Bürokratie, die den (B) (D) (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Menschen in den Jobcentern zu wenig Zeit lässt, sich um Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) die Menschen im Hartz-IV-System ausreichend zu küm- mern. Denn wie Wilhelm von Humboldt sagte, Matthias: (Beifall bei der FDP) Nie ist das menschliche Gemüt heiterer gestimmt, als wenn es seine richtige Arbeit gefunden hat. Beides, das fehlende Gefühl der Selbstwirksamkeit und die zu große Bürokratie, die zu viel Zeit auffrisst, (Beifall bei der SPD – Dr. Matthias Zimmer schafft Frust, beides schafft Enttäuschungen, beides [CDU/CSU]: Darauf warten die Linken bis schafft Missverständnisse, und beides birgt Konfliktpo- heute!) tenzial, das am Ende auch in Sanktionen münden kann. Deshalb nutzen wir doch diesen Zeitpunkt, den das Bun- desverfassungsgericht uns jetzt gesetzt hat, um eine Re- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: form der Sanktionsregelungen herbeizuführen, für wei- Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner ist für tergehende Änderungen am Hartz-IV-System, die die FDP-Fraktion der Kollege Pascal Kober. Hartz IV fairer und aufstiegsorientierter machen! (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP)

Pascal Kober (FDP): Es ist doch nachvollziehbar, dass es für den Einzelnen frustrierend ist, wenn er arbeitet und von jedem Euro Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei 80 Cent abgeben muss. An der Stelle müssen wir anset- all der berechtigten Diskussion, die das Urteil des Bun- zen, das System fairer, aufstiegsorientierter und motivier- desverfassungsgerichtes vom vergangenen Dienstag über ender machen. Wir müssen dringend die Zuverdienst- die Rechtmäßigkeit von Sanktionen ausgelöst hat, sollten grenzen verbessern, damit den Menschen in Zukunft wir eins nicht vergessen: Von Sanktionen betroffen sind mehr von ihrem verdienten Euro bleibt. weniger als 10 Prozent. Das heißt im Umkehrschluss: 90 Prozent der Bezieherinnen und Bezieher von Hartz IV (Beifall bei der FDP) haben mit diesem System des Förderns und Forderns kein Problem. Das System ist heute so irrwitzig, dass Menschen sogar in Situationen kommen, wo es sich für sie überhaupt nicht Wir wissen hier im Hause, dass es nicht leicht ist, in lohnt, mehr zu arbeiten; sie haben am Ende netto sogar Hartz IV zu sein. Aber wir sollten an dieser Stelle auch weniger, wenn sie mehr arbeiten, weil die Sozialleistun- einmal anerkennen, dass die meisten Menschen, über gen zu stark abgeschmolzen sind. Deshalb müssen wir Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15327

Pascal Kober (A) dieses Hartz-IV-System in Zukunft auf neue Füße stellen, den das Bundesverfassungsgericht nicht behandelt hat, (C) indem wir nämlich die Hartz-IV-Leistungen mit dem der aber auch in den Blick zu nehmen ist, sind die Sank- Wohngeld und dem Kinderzuschlag zu einer gemeinsa- tionen für die unter 25-Jährigen. Es gibt Menschen, die men Sozialleistung zusammenführen, sodass die Zuver- wollen auch diese Sanktionen gänzlich abschaffen. Wir dienstgrenzen für alle entsprechend mehr Netto vom Ar- sagen: Nein, auch unter 25-Jährige haben Mitwirkungs- beitsentgelt bedeuten. pflichten. Auch unter 25-Jährige sind natürlich zur Eigen- verantwortung fähig. Aber wir sehen auch, dass immer Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, richten Sie wieder junge Menschen gerade durch Sanktionen dem Ihrem Parteifreund Kevin Kühnert einen schönen Gruß Hilfesystem, das ihnen eigentlich zur Verfügung steht, aus! Sozialpolitik bedeutet nicht, Sanktionen abzuschaf- verloren gehen. Deshalb sagen wir: In Zukunft muss eine fen. Sozialpolitik bedeutet, Menschen in Arbeit zu brin- Sanktion für unter 25-Jährige zwingend mit einem Ange- gen, bot der Jugendhilfe verbunden sein. Warum? Die jungen (Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Menschen, die von einer Sanktion betroffen sind, müssen NEN]: Teilhabe!) gleich ein Angebot haben, das ihnen erklärt, wie die Zu- kunft aussehen kann, wie sie aus ihrer Situation heraus- und nicht, durch die Provokation frühzeitiger Neuwahlen kommen können und wie sie in Zukunft ihren Weg gehen Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeitslos zu ma- können. chen. Deshalb ist es wichtig, dass wir mehr Zeit für die Men- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten schen in den Jobcentern schaffen. Das bedeutet Bürokra- der CDU/CSU) tieabbau, und das bedeutet unter anderem auch, dass wir Sozial ist nicht die Abschaffung von Sanktionen. So- zum Beispiel die Zuständigkeit für die Aufstocker, die zialstaat bedeutet, an den individuellen Fähigkeiten des jetzt im Jobcenter arbeitsmarktpolitisch beraten werden, Menschen anknüpfen zu können. Deshalb, liebe Kolle- an die Bundesagentur für Arbeit übertragen; dann wird ginnen und Kollegen, brauchen wir mehr Zeit in den der Personalschlüssel für die Hartz-IV-Empfängerinnen Jobcentern. und Hartz-IV-Empfänger viel, viel besser, und dann sind wir wieder bei dem Thema „mehr Zeit für die Menschen“. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Das baut Sanktionen ab. Das schafft Chancen, und das ist Deshalb haben wir Anträge vorgelegt, bei deren Umset- einstiegs- und aufstiegsorientierte Politik für den Arbeits- zung diese Zeit zur Verfügung gestellt wird, wenn wir markt. nämlich Bürokratie abbauen. Das bedeutet zunächst ein- Vielen Dank. mal, dass wir vor allen Dingen eine Bagatellgrenze ein- (B) (D) führen. Wir fordern eine Bagatellgrenze für die Rückfor- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten derung von zu viel gezahlten Beträgen von 25 Euro. der CDU/CSU) Warum? Die Rückforderung dieser 25-Euro-Beträge – sie können auch geringer sein – bringt dem Sozialstaat Vizepräsidentin Petra Pau: 4,6 Millionen Euro , bedeutet aber, dass wir dadurch Das Wort hat der Kollege Sven Lehmann für die Frak- 46 Millionen Euro an Bürokratiekosten verursachen. tion Bündnis 90/Die Grünen. Das kostet Zeit. Das kostet Geld. Das ist nicht sinnvoll. Das sollten wir ändern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Beifall bei der FDP) Sven Lehmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Darüber hinaus sollten wir uns noch mal die Regelun- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! gen bei den Wohnkosten anschauen. Auch sie gehören Das Verfassungsgericht hat in dieser Woche in der Tat dringend entbürokratisiert. Im Moment hängen 30 000 ein wegweisendes Urteil gesprochen. Es hat erklärt, dass Bestandsklagen gegen Wohnkostenbescheide bei den Ge- die jetzigen Sanktionsregeln bei Hartz IV in Teilen ver- richten an, weil die Wohnkosten so kompliziert berechnet fassungswidrig sind. Es hat erklärt, dass die komplette werden müssen, dass einfach nur Rechtsunsicherheit be- Kürzung der Grundsicherung der Würde des Menschen steht. Hier müssen wir als Gesetzgeber diese Berechnung widerspricht, und es hat selbst für eine noch so kleine der Wohnkosten reformieren. Das wäre ein wichtiger Kürzung sehr hohe Hürden geschaffen. Es ist bedauer- Schritt, um in Zukunft den Menschen in den Jobcentern lich, dass unser oberstes Gericht das tun muss, wozu die mehr Zeit für die Beratung zu verschaffen. Mehrheit in diesem Hause seit Jahren nicht bereit ist. Wohnkosten müssen wir stärker pauschalieren. Wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN müssen klare Vorgaben machen, wie die Pauschalen be- und bei der LINKEN) rechnet werden. Vor allen Dingen müssen wir unbe- Umso mehr begrüßen wir dieses Urteil; denn es ist ein stimmte Rechtsbegriffe wie „angemessene Wohnkosten“ wichtiger Etappensieg für die sozialen Grundrechte aller eindeutiger als bisher gesetzlich definieren. Durch kon- Bürgerinnen und Bürger in diesem Land. sequenteren Bürokratieabbau würden wir Freiräume schaffen für mehr und bessere und qualifiziertere Bera- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tung. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Jetzt noch mal einen Blick auf die Sanktionen. Auch Und ja, das Gericht hält Mitwirkungspflichten für le- wir sehen Veränderungsbedarf. Ein ganz wichtiger Punkt, gitim; aber es sagt auch klar und deutlich: Man kann 15328 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Sven Lehmann (A) Bedingungen in der Grundsicherung aussprechen; man und Unterstützen: zum Schützen vor Armut und zum Un- (C) muss es aber nicht. – Es ist und bleibt eine politische terstützen, damit jeder Mensch an der Gesellschaft teil- Entscheidung, ob es Sanktionen auf das Existenzmini- haben und sein Leben selber bestimmen kann. Die Grund- mum geben sollte. Wir finden: Nein, diese Sanktionen sicherung muss sanktionsfrei sein, und sie muss höher sollte es nicht geben. sein als heute. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Auch das Konzept der Bedarfsgemeinschaft hat in der und bei der LINKEN – Kai Whittaker [CDU/ Praxis negative Auswirkungen. Ich selber habe in mei- CSU]: Das müssen Sie dem Steuerzahler be- nem Wahlkreis vor Kurzem einen jungen Menschen ge- gründen!) troffen, der nach sehr viel Mühe und mit sehr viel Unter- stützung eines Sozialarbeiters eine Ausbildungsstelle Einer der Kernsätze des Urteils lautet – ich zitiere –: angenommen hat. Er wohnt aber noch zu Hause, weil er … die Menschenwürde ist ohne Rücksicht auf Ei- sich eine eigene Wohnung nicht leisten kann. Weil seine genschaften und sozialen Status wie auch ohne Eltern in Hartz IV leben, ist er Teil einer Bedarfsgemein- Rücksicht auf Leistungen garantiert …; sie muss schaft, und das heißt konkret, dass er von seinem Aus- nicht erarbeitet werden, sondern steht jedem Men- bildungsgehalt gerade mal einen Bruchteil behalten durf- schen aus sich heraus zu. te. Nach wenigen Monaten schmeißt er frustriert das Handtuch und bezieht seitdem wieder ALG II. Ein Satz für die Ewigkeit, liebe Kolleginnen und Kolle- gen! Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn gerade junge Menschen so in Mithaftung für ihre Eltern genommen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN werden, dann ist das nicht nur unwürdig; es ist auch zu- und bei der LINKEN) tiefst schädlich für den Arbeitsmarkt, der so dringend Was ist aber seit Jahren die politische Debatte, die Auszubildende braucht. insbesondere von der Union immer wieder geführt wird? Da werden diejenigen, die auf Hilfe angewiesen sind, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die ausgespielt, die wenig Einkommen haben. Da und bei der LINKEN) wird von der sozialen Hängematte schwadroniert, als ob Apropos Arbeitsmarkt: In den 15 Jahren Hartz IV ist ein Leben am Rand der Gesellschaft tatsächlich irgend- einer der größten Niedriglohnsektoren in Europa entstan- wie lustig wäre. Da wird so getan, als sei Erwerbslosig- den. Die Zahl von Befristungen sowie Leih- und Zeit- keit persönliches Versagen und nicht etwa ein politisches arbeit sind anhaltend hoch; 4,6 Millionen Menschen sind Problem. Sie handeln also rein ideologisch, wenn Sie dauerhaft in Minijobs beschäftigt. Wir müssen endlich (B) weiter an Sanktionen festhalten, liebe Kolleginnen und den Wert der Arbeit wieder stärken, (D) Kollegen von der Union. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) und das fängt mit dem Mindestlohn an. Es war ein Mei- lenstein, dass er eingeführt wurde. Aber er ist heute deut- 15 Jahre nach Hartz IV müssen wir feststellen: Dieses lich zu niedrig, und er ist nicht armutsfest. Der Mindest- Gesetz hat viele Ängste bis weit in die Mitte der Gesell- lohn müsste bei rund 12 Euro pro Stunde liegen, damit schaft ausgelöst. Gerade angesichts der großen Verände- Vollzeiterwerbstätige von ihrer Arbeit auch leben können. rungen auf dem Arbeitsmarkt – Digitalisierung, Transfor- mation – fragen sich immer mehr Menschen, ob der Staat (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sie dabei tatsächlich schützt und unterstützt. Man muss sowie bei Abgeordneten der LINKEN) sich aber nur mal eine Eingliederungsvereinbarung an- Hier sagen aber einige: Weil die Löhne niedrig sind, muss schauen. Da liest man dann: „Antragspflicht“, „Aus- die Grundsicherung noch niedriger sein. – Das ist fatal. kunftspflicht“, „Pflicht zum Erscheinen bei Terminen“, Was wir stattdessen brauchen, sind höhere Löhne und „Pflicht zur Erreichbarkeit“, „Pflicht zur Annahme einer eine bessere Grundsicherung, damit alle Menschen mit Arbeitsgelegenheit“, „Pflicht zur Minderung der Kosten wenig Einkommen bessergestellt werden, liebe Kollegin- der Unterkunft“ usw. – Pflichten, Pflichten, Pflichten, nen und Kollegen. Beides gehört zusammen. (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Aber das sind doch selbstverständliche Pflich- und bei der LINKEN) ten!) Zum Schützen und Unterstützen gehört auch eine bes- und dann kommen noch einige wenige Rechte. Das ist sere Förderpolitik in den Jobcentern. Wir müssen das nicht Augenhöhe. Das ist das Gegenteil von Augenhöhe. Wunsch- und Wahlrecht von Arbeitsuchenden stärken. Das ist Misstrauen des Staates seinen Bürgerinnen und Jeder Mensch hat ein Recht auf Mitsprache. Keine Maß- Bürgern gegenüber, und zwar denjenigen gegenüber, die nahmen von der Stange, nicht das dritte oder vierte Be- am meisten auf Hilfe angewiesen sind, liebe Kolleginnen werbungstraining, nicht die Hilfstätigkeit, die gar nichts und Kollegen! mit den Berufswünschen der Menschen zu tun hat! Das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN passt nicht zu einem Arbeitsmarkt, der Fachkräfte in so und bei der LINKEN) vielen Branchen so dringend braucht. „Fördern und Fordern“ ist schon längst in einer Schief- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- lage. Wir sollten also weg davon und hin zum Schützen SES 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15329

Sven Lehmann (A) Wir brauchen ein Recht auf Qualifizierung, ein Recht auf leisten können. Insofern würde die Zusammenarbeit da (C) individuelle Weiterbildung. Denn wir dürfen kein Talent passen. vergeuden; wir müssen jedes Talent heben, liebe Kolle- ginnen und Kollegen. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Mehr haben Sie zum Thema „Hartz IV“ nicht zu sagen? – Wei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) Ich komme zum Schluss. Ein moderner Sozialstaat im 21. Jahrhundert setzt auf Vertrauen, er setzt auf Augen- Ich bin aber etwas enttäuscht darüber, dass Sie bei den höhe, und er setzt auf gute Arbeitsangebote. Hartz IV Anträgen, die Sie vor einiger Zeit eingebracht haben und leistet das nicht, und deswegen müssen wir Hartz IV über- die wir heute abschließend beraten, keinen Deut dazuge- winden. lernt haben. Sie von den Linken fordern zum Beispiel, die Wohnkostenlücke zu schließen, und sagen, der Staat solle (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Sie haben de facto alles bezahlen, was an Wohnkosten anfällt. Sie es doch erfunden!) ignorieren aber völlig den Faktor, dass das Hauptthema Wir müssen nach und nach eine soziale Sicherung auf- der soziale Wohnungsbau ist, bei dem wir in Deutschland bauen, die Armut und Erwerbslosigkeit nicht zu einem ein massives Defizit haben. persönlichen Versagen erklärt, sondern die Gesellschaft (Dr. [DIE LINKE]: Das igno- muss die Garantie aussprechen, dass jeder Mensch vor rieren wir nicht! – Matthias W. Birkwald [DIE Abstieg geschützt wird und unterstützt wird, teilzuhaben. LINKE]: Dann macht doch mal! – Beate Das wäre eine wirkungsvolle und eine würdevolle Sozial- Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- politik. NEN]: Das Thema haben Sie total verschla- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. fen!) Diese Bundesregierung investiert Milliarden, um verlore- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nes Vertrauen wiederzugewinnen. Sie tun in den Ländern, sowie bei Abgeordneten der LINKEN) in denen Sie regieren, nichts.

Vizepräsidentin Petra Pau: (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun Kai Whittaker das stimmt nicht! – Weitere Zurufe von der LIN- Wort. KEN: Stimmt nicht!) In Thüringen: Fehlanzeige! Und in Berlin diskutieren Sie (Beifall bei der CDU/CSU) (B) einen Mietendeckel, statt über sozialen Wohnungsbau zu (D) diskutieren. Kai Whittaker (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Herr Kollege (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lehmann, wenn man Sie so reden hört, könnte man fast Abg. Caren Lay [DIE LINKE] meldet sich zu meinen, die Grünen hätten mit Hartz IV gar nichts zu tun. einer Zwischenfrage) Dabei waren Sie es ja, die es eingeführt haben. Sie möchten Hartz IV sofort auf 582 Euro erhöhen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der LINKEN) neten der SPD – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Nein! – Ich habe damals, als Sie den Antrag eingebracht haben, Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- über einen Max berichtet, der in der „Berliner Zeitung“ NEN]: Das nennt man „lernfähig“! Aber Sie porträtiert worden ist. Er ist Hartz-IV-Empfänger und hat regieren seit 14 Jahren! – Beate Müller- seine Ausbildung zweimal angefangen und jedes Mal ab- Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: gebrochen, nicht weil er zu wenig Geld gehabt hätte, Das ist so ein schwaches Argument!) sondern weil er zu wenig Betreuung und zu wenig Zeit von den Jobcentern bekommen hat, um diese Ausbildun- Ich habe das Gefühl, dass Sie Karlsruhe als persönlichen gen tatsächlich abzuschließen. Dem hilft Ihr Antrag nicht. Beichtstuhl missbrauchen; aber das ist Ihre Sache. Ich bin etwas überrascht. Wir diskutieren heute jede Vizepräsidentin Petra Pau: Menge Anträge von den Linken und von der FDP zu Kollege Whittaker, gestatten Sie eine Frage oder Be- Hartz IV. Ich weiß nicht, ob das noch die alten Kämpfe merkung der Kollegin Lay? des 19. Jahrhunderts zwischen Kommunismus und Kapi- talismus oder ob das schon erste zarte Versöhnungsan- Kai Whittaker (CDU/CSU): zeichen sind; das lässt hier und da Raum für Spekulatio- Nein, ich würde gerne weitermachen. nen auf mögliche Zusammenarbeit. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Angst vor dem (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE Faktencheck!) GRÜNEN]: Liebe Leute! Das ist aber dünn!) – Frau Kipping, Sie hatten vorhin schon Ihre Stunde. Ich persönlich habe schon immer vermutet, dass in der Anhängerschaft der FDP am ehesten die Wähler zu fin- Auch Ihre Vorschläge zur Bagatellgrenze sind schlecht den sind, die sich den Kommunismus auch tatsächlich gemacht. Sie wollen das in die Bundeshaushaltsordnung 15330 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Kai Whittaker (A) schreiben, wo das überhaupt nichts zu suchen hat. Das ist Gerade gestern hat der Sachverständigenrat der Bundes- (C) schlechte Gesetzgebung. regierung das Jahresgutachten vorgestellt, in dem genau der Punkt drinsteht, dass wir die Anreizregelungen refor- (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Wieso denn?) mieren müssen. Das haben wir Ihnen alles schon mehrfach im Ausschuss Wir brauchen ganz klar mehr Weiterbildung und vor vorgekaut; Sie haben nichts dazugelernt. allem mehr Ausbildung. Wenn ich sehe, dass erwachsene Auch von der FDP, muss ich sagen, hätte ich mir etwas Menschen Kinderbilder ausmalen oder Grund- mehr erwartet. Sie haben vor einiger Zeit die AfD zu rechenaufgaben in Weiterbildungskursen lösen müssen, Recht dafür kritisiert, dass sie viele Begründungen und muss ich sagen: Das wird diesen Menschen nicht gerecht. wenige Forderungen in ihren Anträgen hat. Aber wenn (Pascal Kober [FDP]: Dann bringen Sie doch man so eine Steilvorlage liefert, dann sollte man bei sei- mal einen Antrag ein! Wir sind das Parlament! – nen eigenen Anträgen auch etwas sattelfester sein. Ihre Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sie Forderung zur Bagatellgrenze besteht aus nur einem Satz: haben die Mehrheit! Machen Sie es doch!) (Pascal Kober [FDP]: Es geht ja auch nur um Frau Staatssekretärin, ich erwarte vom Ministerium in eine Sache! – Christian Dürr [FDP]: Das nennt diesem Punkt etwas mehr Fachaufsicht. Ich glaube, das man „treffsicher“!) sind die Dinge, die wir jetzt gemeinsam diskutieren müs- „Die Einführung einer Bagatellgrenze von 25 Euro für sen, wenn wir dieses Urteil umsetzen. Aufhebungs- und Erstattungsverfahren von Jobcentern“, Danke schön. ohne zu sagen, wo und mit welchen Kriterien das veran- kert werden soll. (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Dürr [FDP]: Sind Sie nicht Teil der Regierung? – (Christian Dürr [FDP]: Das ist doch alles klar!) Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE Das ist, ehrlich gesagt, schlechte Textarbeit. GRÜNEN]: Machen Sie es doch!)

Bei den KdU machen Sie es genauso. Sie sagen: Wir Vizepräsidentin Petra Pau: wollen eine stärkere Durchsetzung von Pauschalierun- Zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Caren Lay gen; wir wollen mehr Rechtssicherheit und konkrete Vor- das Wort. gaben zum Berechnungsverfahren. – Wir brauchen nicht zu wissen, was Sie wollen; das wissen wir alle gemein- sam. Wir wollen gerne wissen, wie Sie das machen wol- Caren Lay (DIE LINKE): (B) len. Das haben Sie nicht geklärt. Herzlichen Dank für die Möglichkeit einer Kurzinter- (D) vention. – Herr Kollege, Sie haben hier vorne behauptet, (Pascal Kober [FDP]: Das ist Auftrag der Re- dass Die Linke beim Thema „sozialer Wohnungsbau“ gierung! – Christian Dürr [FDP]: Wer ist jetzt in versagt habe und insbesondere dort versagen würde, wo der Regierung?) sie mitregiert. Ich möchte hier Folgendes feststellen: Oh- ne uns, ohne Die Linke, hätte es die Grundgesetzände- Da kann ich der FDP nur sagen: Besser keine Anträge rung zum sozialen Wohnungsbau nie gegeben. schreiben als banale Anträge schreiben. (Beifall bei der LINKEN) (Katja Kipping [DIE LINKE]: Besser keine Rede halten, als so belehrend aufzutreten!) Wir waren die Fraktion, die sie erstmalig im Deutschen Bundestag beantragt hat. Damals sind wir von Ihren Leu- Zuletzt ein paar wichtige Punkte, bei denen uns, glaube ten noch ausgelacht worden. Trotzdem ist es unser ge- ich, das Urteil vom Dienstag einiges aufzeigt. meinsamer Erfolg, dass wir sie jetzt beschlossen haben – (Pascal Kober [FDP]: Sie haben noch keinen alle demokratischen Fraktionen, ohne die AfD. Antrag eingebracht, Herr Whittaker!) (Beifall bei der LINKEN) Wir diskutieren viel darüber, wie wir das Leben der Men- Es gibt außerdem bundesweit pro Jahr einen Rückgang schen mit Hartz IV besser ausgestalten können. Ich finde, von 43 000 Sozialwohnungen. Das einzige Bundesland, wir sollten darüber diskutieren, wie wir die Menschen aus das diesen Rückgang bei den Sozialwohnungen gestoppt Hartz IV in Arbeit bringen können; darum muss es gehen. hat, ist das Land Berlin. Sind Sie bereit, das zur Kenntnis (Beifall bei der CDU/CSU) zu nehmen? Frau Staatssekretärin Kramme, ich erwarte von Ihnen und Letzter Punkt. Wenn wir uns im Übrigen die Zahlen in von Bundesminister Heil ein bisschen mehr Tempo. Wir Berlin ansehen, dann stellen wir fest: Diejenigen Bezirke, brauchen einfachere Berechnungsregeln, damit wir mehr wo am meisten gebaut wird, sind die, wo Die Linke re- Mitarbeiter frei haben, die mehr Zeit für die Arbeitslosen giert. Dort, wo Ihre Leute regieren, wird am wenigsten aufwenden können. Wir brauchen einen besseren Anreiz- gebaut. mechanismus, damit es sich lohnt, in Arbeit zu gehen. (Antje Lezius [CDU/CSU]: Das stimmt über- (Christian Dürr [FDP]: Herr Whittaker, wie haupt nicht!) wollen Sie das machen? Haben Sie das jetzt Das sind die Fakten. Was Sie hier vorgetragen haben, das erläutert?) ist reine Polemik. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15331

Caren Lay (A) (Beifall bei der LINKEN) gemäß gleich mehreren hier vorliegenden Anträgen der (C) Linken angehoben werden. Ein solcher Beschluss wäre Vizepräsidentin Petra Pau: der Sargnagel für den deutschen Sozialstaat. Sie haben die Möglichkeit zur Erwiderung. (Kai Whittaker [CDU/CSU]: Sie sind der Sargnagel der AfD!) Kai Whittaker (CDU/CSU): Wie verantwortungslos muss man eigentlich sein, um sol- Frau Kollegin, ich bin erstens bereit, zur Kenntnis zu cherart massiv die Anreize für weitere Armutszuwande- nehmen, dass es Ihr ehemaliger Fraktionsvorsitzender rung zu erhöhen? war, der damals in Berlin mit seinen Linken die Privatisierung von Sozialwohnungen vorgenommen ( [DIE LINKE]: Thema!) (Caren Lay [DIE LINKE]: Mit Ihrer Zustim- Im größten Land Afrikas, im Kongo, müssen Sie für mung!) 582 Euro mehr als eineinhalb Jahre körperlich hart arbei- ten. In Afghanistan, woher ja bereits jetzt viele Armuts- und damit den Berliner Haushalt saniert hat. Sie haben in zuwanderer kommen, sind es immerhin 15 Monate. der Bundeshauptstadt den sozialen Wohnungsbau ausver- kauft, und damit müssen Sie leben. (Zuruf der Abg. Jessica Tatti [DIE LINKE]) ( [DIE LINKE]: Sie wissen Der durchschnittliche Inder muss für 582 Euro über vier aber auch, wie das zustande gekommen ist! – Monate arbeiten. Wenn, angelockt durch Ihre Verspre- Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Sie hat was chungen, sich nur jeder hundertste Inder auf den Weg anderes gesagt) macht, dann ist Deutschland pleite; denn das wären 13 Millionen arme Menschen. Jetzt versuchen Sie, zu reparieren, was Sie an Schaden angerichtet haben. (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Schwachsinn! – Beate Müller- Zweitens bin ich bereit, anzuerkennen, dass wir als Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bundesregierung und Bundestag mehr Geld zur Verfü- Nichts als Hetze hier! – Weitere Zurufe vom gung gestellt haben, um für mehr sozialen Wohnungsbau BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sorgen zu können. Das sind in dieser Legislaturperiode 2 Milliarden Euro zusätzlich. Es liegt aber an den Landes- Und auch innerhalb von Europa erzeugen 582 Euro einen regierungen, ob sie es tatsächlich machen. massiven Sogeffekt.

(B) (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Genau!) (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- (D) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wovor haben Sie Ich vernehme zurzeit nicht, dass Sie in Berlin eine große eigentlich Angst?) Sozialwohnungsbauoffensive machen. Ihre Senatorin be- fasst sich damit, wie sie einen Mietendeckel umsetzt, Das ist nämlich mehr als das Dreifache des Einkommens in der Ukraine und weit höher als die Einkommen in (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Albanien, Serbien oder Bosnien. und stellt mehrere Hundert Leute in der Verwaltung ein, Wir haben gesehen, dass bereits in den vergangenen um so einen bürokratischen Schwachsinn zu administrie- Jahren die Verheißungen des Sozialstaats Millionen Arme ren. Das schafft keinen Quadratmeter mehr Wohnraum, und Perspektivlose aus aller Welt nach Deutschland ge- sondern nur juristische Probleme. lockt haben. (Kerstin Kassner [DIE LINKE]: Hochmut (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- kommt vor dem Fall!) NIS 90/DIE GRÜNEN: Hören Sie mal mit Ih- Wenn das die Zukunftspolitik der Linken ist, dann: Gute rer Ausländerfeindlichkeit auf! – Sven Nacht! Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Angst schüren ist therapierbar!) (Beifall bei der CDU/CSU) Und die Tausenden, die aufgrund Ihrer Politik jedes Jahr im Mittelmeer ertrinken, nutzen Sie dann auch noch für Vizepräsidentin Petra Pau: Ihre widerliche Propaganda. Das Wort hat der Abgeordnete Martin Sichert für die AfD-Fraktion. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Widerlich! – Sven (Beifall bei der AfD) Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wi- derlich! Angst schüren ist therapierbar!) Martin Sichert (AfD): Meine Damen und Herren! Auf 582 Euro monatlich Dafür sollten Sie sich schämen! soll nicht nur Hartz IV, sondern sollen auch die Asylbe- (Beifall bei der AfD – [SPD]: werberleistungen Schämen Sie sich!) (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE Wenn Sie heute einem Ausländer gegenüberstehen, ist GRÜNEN]: Oh nee! Jetzt geht es schon wieder die Wahrscheinlichkeit, dass der Hartz IV bezieht, mehr los! – Weitere Zurufe) als dreimal so hoch wie bei einem Deutschen. Obwohl nur 15332 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Martin Sichert (A) 13 Prozent der Bevölkerung Ausländer sind, sind 37 Pro- 1 050 Euro an. Wer soll das denn alles bezahlen? Wir (C) zent der Hartz-IV-Bezieher Ausländer, Tendenz stark geben jetzt schon circa 50 Milliarden Euro im Jahr für steigend. Rechnet man noch die über 400 000 Bezieher Armutszuwanderer aus. Das Geld wird dringend ge- von Asylbewerberleistungen dazu, die Sie ja auch besser- braucht zur Entlastung deutscher Steuerzahler und bei stellen wollen, der Rente. (Ulli Nissen [SPD]: Diese elendige Auslän- (Beifall bei der AfD) derhetze! Zum Kotzen!) Aber mit Rentenerhöhungen und der Grundrente, da hält wird klar, dass Ihre Anträge reine Klientelpolitik für eine man es hier wie mit dem Berliner Flughafen: Man redet einzige Personengruppe sind, nämlich die schlecht oder ständig darüber, aber es passiert leider nichts. gar nicht integrierten Ausländer, die hierzulande vom Sozialstaat leben. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie bei Ihrem (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Rentenkonzept! – Zurufe von der LINKEN) NEN]: Nichts als rechtsextreme Hetze! – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Es gibt auch nicht in- Rentenerhöhungen statt Erhöhung von Leistungen für tegrierte Deutsche!) nicht integrierte Ausländer – das wäre verantwortungs- volle Politik. Aber für die steht in diesem Haus leider nur Das ist mit uns nicht zu machen; denn wir von der AfD die AfD. sind die Partei der gut integrierten Ausländer und der Deutschen. (Beifall bei der AfD – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schämen Sie (Beifall bei der AfD – Lachen bei Abgeordne- sich für diese Rede! – Weitere Zurufe vom ten der LINKEN – Sven Lehmann [BÜND- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Widerlich!)

Die Hartz-IV- und Asylgesetzgebung ist zutiefst aus- Vizepräsidentin Petra Pau: länderfeindlich. Sie legt den Nährboden für Ausländer- feindlichkeit; denn natürlich sind die über 5 Millionen Das Wort hat Dr. Martin Rosemann für die SPD-Frak- Deutschen, deren Rente weniger als 500 Euro beträgt, tion. stinksauer, wenn der frisch Zugereiste nebenan deutlich (Beifall bei der SPD – Ulli Nissen [SPD]: Jetzt mehr bekommt. wird es gut!) (B) (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- (D) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch gar Dr. Martin Rosemann (SPD): nicht! Hören Sie damit auf!) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Hauptleidtragenden Ihrer Politik sind all die gut in- Meine sehr geehrten Damen und Herren! Von Fake News tegrierten Ausländer, die deswegen auch die stärkste über Migration, Hass und Hetze gegen Ausländerinnen Wählergruppe der AfD stellen. und Ausländer, die friedlich hier mit uns leben und sich an die Regeln halten, zurück zum Thema Arbeitsmarkt! (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Statt dass Sie die Probleme angehen, befeuern Sie sie der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE mit Ihrer Politik immer weiter. Unions- und SPD-Politi- GRÜNEN) ker im Bundesverfassungsgericht sorgen dafür, dass jene, die sich auf die faule Haut legen, nur minimale Einbußen Meine Damen und Herren, der Arbeitsmarkt ist in guter haben, und Die Linke will regelmäßig das Geld für frisch Verfassung. Zuletzt war der Fachkräftemangel die größte Zugewanderte erhöhen. Wachstumsbremse. Gleichzeitig stehen wir vor großen Herausforderungen: Digitalisierung, Energiewende, neue (Zuruf der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Antriebstechniken, neue Mobilitätskonzepte. All das Die Deutschen hingegen werden nur als Melkkuh gese- wird die Arbeitswelt grundlegend verändern und ist schon hen. dabei, die Arbeitswelt grundlegend zu verändern. Ganz aktuell sind einzelne Branchen in der Krise: der Maschi- (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Oh nen- und Anlagenbau und auch die Automobilzulieferer. Mann!) Wir sehen das daran, dass viele Betriebe Kurzarbeit an- Der erste persönlich adressierte Brief im Leben deutscher gemeldet haben, sich über Kurzarbeit beraten lassen und Kinder kommt vom Bundeszentralamt für Steuern und dass auch Stellenabbau in einigen Bereichen angekündigt enthält die Steuernummer. Mehr muss man eigentlich wurde. gar nicht wissen, um zu erkennen, wie dieser Staat über Meine Damen und Herren, da ist jetzt Politik gefragt, die eigenen Bürger inzwischen denkt. eine gute Wirtschaftspolitik und eine vorausschauende, (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Na, Sie aktive Arbeitsmarktpolitik; denn wir müssen dafür sor- würde ich aber nicht melken!) gen, dass wir nicht gleichzeitig Fachkräftemangel und Arbeitslosigkeit haben. Sie von der Linken wollen ja sogar noch weiter gehen. Sie streben eine sanktionsfreie Mindestsicherung von (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15333

Dr. Martin Rosemann (A) Wir brauchen eine Arbeitsmarktpolitik, die Schutz und Schließlich drittens. Menschen, die Unterstützung vom (C) Chancen im Wandel bietet. Wir nennen das „Recht auf Sozialstaat brauchen, sind keine Bittsteller, sondern Bür- Arbeit“ – Dagmar Schmidt hat darauf hingewiesen –, und gerinnen und Bürger mit eigenen Rechten. Deshalb darf wir meinen damit insbesondere, dass wir die Beschäftig- es nicht sein, dass sie von Ämtern zu Ämtern hin und her ten bereits im Arbeitsleben individuell unterstützen, da- geschickt werden, dass sich keiner zuständig fühlt, son- mit Arbeitslosigkeit erst gar nicht entsteht. dern wir brauchen Hilfe und Unterstützung wie aus einer Hand, meine Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Weiterbildung ist der Schlüssel dafür, dass die Be- (Beifall bei der SPD) schäftigten von heute die Arbeit von morgen machen Deshalb ist unsere Erwartung, dass wir das Urteil des können. Wir haben mit dem Qualifizierungschancenge- Bundesverfassungsgerichts zu den Sanktionen in dieser setz damit begonnen, die Beschäftigten im Bereich der Woche dafür nutzen, das SGB II umfassend zu reformie- Weiterbildung präventiv zu unterstützen. Diesen Weg ren und nach vorne zu bringen, müssen wir weitergehen. Insbesondere müssen wir jetzt Brücken bauen, wenn Unternehmen und Branchen in die (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Aha!) Krise kommen. Wir müssen Instrumente wie Kurzarbeit damit jeder und jede die Unterstützung bekommt, die er und Transfergesellschaften dafür nutzen, jetzt für die not- oder sie braucht. wendige Weiterbildung zu sorgen. Ich will an dieser Stel- le Hubertus Heil, der sich übrigens, Frau Kipping, wegen Herzlichen Dank. der Teilnahme an einer Betriebsrätekonferenz entschul- digen lassen musste, (Beifall bei der SPD) (Katja Kipping [DIE LINKE]: Okay!) Vizepräsidentin Petra Pau: ausdrücklich dafür danken, dass er das Arbeit-von-mor- Das Wort hat der Kollege Frank Heinrich für die CDU/ gen-Gesetz angekündigt hat und genau diesen Weg jetzt CSU-Fraktion. gehen will. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD) Meine Damen und Herren, dabei geht es nicht nur um Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU): einzelne Instrumente, sondern es geht um einen Kultur- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und wandel in dreierlei Hinsicht: Kollegen! Es gab am Dienstag schon ein bemerkenswer- (B) Erstens. Wir müssen präventiv handeln, bevor das tes und von vielen von uns sehnlich erwartetes Urteil, und (D) Kind in den Brunnen gefallen ist. Deshalb setzen wir es gab auch viele, die sich mit Vorfreude damit beschäf- auf einen Rechtsanspruch auf Weiterbildung. Wir wollen tigt hatten. Die Freude ist unterschiedlich verteilt. Auch die Agentur für Arbeit zu einer Agentur für Arbeit und wir freuen uns – ich freue mich – über das Urteil, weil es Qualifizierung weiterentwickeln und die Arbeitslosen- einerseits Klärung verschafft und andererseits das Prinzip versicherung zur Arbeitsversicherung. des Forderns und Förderns bestätigt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU) Zweitens. Wir müssen die individuellen Bedarfe in den Mir ist – das war einer meiner Beweggründe, aus denen Mittelpunkt stellen, die einzelne Person unterstützen, den ich in die CDU eingetreten bin – wichtig, dass der Ge- Sozialstaat zum Partner machen. Das gilt für die Agentur danke der Verantwortung, den jeder einzelne Mensch hat, für Arbeit genauso wie für die Jobcenter. Gerade in den tatsächlich im Vordergrund steht, die Subsidiarität, die Jobcentern müssen wir umfassend fördern und unterstüt- Eigenverantwortung; dieses Wort fiel hier an verschie- zen: mit Blick auf Arbeit und Qualifizierung, aber auch densten Stellen. Jeder darf auch kämpfen müssen an ver- mit Blick auf andere Probleme wie Schulden, Probleme schiedenen Stellen, weil auch das zum Menschsein ge- gesundheitlicher Art usw. Dafür müssen wir die Rahmen- hört. bedingungen weiter verbessern und die Beschäftigten entlasten. Dazu gehört für uns auch eine Bagatellgrenze Fördern gerne – aber Fordern ebenfalls. Mir wäre sogar für Rückforderungen von Kleinstbeträgen. Aber das müs- lieber: Erst Fordern, dann Fördern. In den ersten Papieren sen wir dann auch richtig machen, meine Damen und der Kollegen von der SPD stand es auch so herum. Ich bin Herren. Anhänger des Prinzips, herauszukitzeln, was der Einzelne an Gaben, Möglichkeiten und Kräften zur Verfügung hat. Vor allem aber wollen wir das Fördern stärken, das Das ist mein Menschenbild, Fordern als Anstacheln zu Fördern des oder der Einzelnen, und zwar auf Augenhö- verstehen, als Aktivieren, wo wir als Staat dann auch he. Da geht es in erster Linie darum, möglichst vielen eine assistieren dürfen. Perspektive auf dem ersten Arbeitsmarkt zu geben und, wenn das nicht geht, dann wenigstens Arbeit statt Ar- Konsequenzen sind dann für manche – ich weiß das beitslosigkeit zu finanzieren. Deswegen haben wir den von meiner Persönlichkeit; ich bin, was nicht so viele sozialen Arbeitsmarkt geschaffen, und da machen wir wissen, Phlegmatiker – auch ein Weckruf, um sich hin weiter. und wieder aufzurappeln, erwerbstätig zu sein und mit dem selbst verdienten Geld selbstbestimmt zu leben. Ich (Beifall bei der SPD) zitiere einmal die Gründerväter von Hartz IV: 15334 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Frank Heinrich (Chemnitz) (A) Beispielsweise muss das Sozialsystem so konzipiert Beispiel Termine versäumen oder Jobangebote nicht an- (C) sein, dass es die Wiederaufnahme von Erwerbsarbeit nehmen und daraufhin mit Kürzungen bestraft werden, ist und die Eigeninitiative optimal vorbereitet und un- es nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit gegenüber den terstützt. Steuerzahlern, sondern auch gegenüber denen, die sich in diesem System tatsächlich nach Kräften anstrengen. ( [DIE LINKE]: Klappt ja nicht!) Ich glaube, in zwei Bereichen braucht es Reformen. Eine neue Balance von individuellen Rechten und Der erste Bereich ist die große Gruppe der Langzeitar- Pflichten, die Forderung, der verwaltende, Recht beitslosen. Dafür müssen wir mehr Geld in die Hand setzende und Daseinsvorsorge betreibende Staat nehmen und eine viel engere Betreuung – Kollegen haben müsse seinen Bürgern wieder mehr zutrauen und das hier gesagt – gewährleisten. Die zweite Gruppe sind zumuten... für mich die Aufstocker, wo sehr oft – lange nicht verall- gemeinerbar – falsche Anreize gesetzt wurden, weil der Die beiden Kernelemente sind Eigeninitiative – meine höhere Verdienst auf die Regelleistung angerechnet wird. Kollegin hat es vorhin gesagt – und Zutrauen, Zumuten. Da müssen wir tatsächlich Reformen anstreben. Das ist der eine Gedanke. Ein kurzes Zitat aus der „Süddeutschen Zeitung“ zum Der zweite ist für mich: Es geht auch um die Fairness Abschluss: innerhalb des gesamten Sozialstaates. Dass da weiterhin Kooperation und Eigenverantwortung eingefordert wer- Die vornehmste Rolle der Politik ist deshalb nicht den, ist nur fair denen gegenüber, die die Steuern für die des barmherzigen Versorgers, sondern die des Hartz IV am Schluss aufbringen müssen. Es gehört sich entschlossenen Möglichmachers. so, dass jeder zu den gleichen Bedingungen in unserem Staat gefordert wird. Jeder nach seinen Möglichkeiten! Genau das ist unser Vorsatz. Daran arbeiten wir. Wenn die Möglichkeiten begrenzt sind, darf man gern Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Solidarität, soweit dies nötig ist, einfordern. Es geht dabei nicht um extreme Forderungen; das hat das Bundesver- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- fassungsgerichtsurteil auch deutlich gemacht und zu ordneten der SPD) Recht das Existenzminimum geschützt. Das Urteil schützt die Existenz – nicht aber einen be- Vizepräsidentin Petra Pau: stimmten Lebensstandard. Die Richter haben ausdrück- Das Wort hat die Kollegin Angelika Glöckner für die lich betont, dass es verfassungsrechtlich zulässig ist, SPD-Fraktion. (B) wenn Empfänger von Arbeitslosengeld II – die einen sa- (D) gen: gezwungen sind; die anderen sagen, es sei ihnen (Beifall bei der SPD) zuzumuten – aufgefordert werden, einen schlechter qua- lifizierten und möglicherweise schlechter bezahlten Job Angelika Glöckner (SPD): anzunehmen als den, den sie einst erlernt haben. Die Ent- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und scheidung des Bundesverfassungsgerichts ändert aber Kollegen! Ja, wir reden über den Antrag der Linken. Sie auch nichts am Prinzip des Arbeitslosengeldes II. Die wollen die Regelleistungen anheben. Ich muss ehrlich Leistungsbezieher sollen versuchen, sich aus diesem sagen: Ich bin froh, dass wir aufgrund dieses Antrags Transfersystem zu befreien und den Weg zurück in den Gelegenheit haben, auch einmal über das Existenzmini- Arbeitsmarkt zu finden. Das liegt im Interesse der Gesell- mum zu sprechen. Da dies für uns als SPD ein wichtiges schaft und damit in unserem Interesse als Politiker und Thema ist, begrüßen wir das immer, denn es geht hier um Rahmensetzer. ein würdevolles Leben. Nur muss man ganz klar sagen: Den Lebenswert, der darin dann für die Einzelnen liegt, Allein mit Erhöhung der Regelleistungen ist es nicht ge- habe ich tatsächlich – Frau Kipping, Sie haben von den tan, das greift zu kurz. Augen gesprochen, in die wir schauen sollen – bei vielen (Amira Mohamed Ali [DIE LINKE]: Das be- Menschen, mit denen ich als Sozialarbeiter unterwegs hauptet ja auch niemand!) war, gesehen, wenn sie in Arbeit gekommen sind. Es gibt nichts, was einen glücklicher machen kann, als selbst mit Das reicht nicht. Es geht um mehr. anpacken zu können. (Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und NEN]: Aber auch darum!) der FDP) Das oberste Ziel ist es, aus dem System der Sozial- Zu der großen Zahl derer, die Sanktionen bekommen hilfeleistungen herauszukommen – das hat auch das Ge- werden, die immer wieder beschworen wird: Das sind richtsurteil des Bundesverfassungsgerichts diese Woche 3,2 Prozent der Empfänger von Arbeitslosengeld II, deutlich unterstrichen –, und zwar geht es im Wesentli- (Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- chen darum, dass wir als Gesetzgeber den Rahmen schaf- NEN]: Aber es betrifft alle! fen, um die Menschen zu befähigen, sich aus eigener Kraft wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. von denen die meisten gar nicht zu dem Personenkreis gehören, der durch das Urteil vom Dienstag betroffen ist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Was Leistungsempfänger betrifft, die wiederholt zum der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15335

Angelika Glöckner (A) Es geht darum, dass wir Kräfte in ihnen fördern und die staat mit einem umfassenden Sozialstaatskonzept hinzu- (C) Menschen auch fordern. Im Übrigen beginnt das Prinzip arbeiten, der die Menschen auf Augenhöhe mitnimmt, der des Förderns und des Forderns für jedes Kind im Kinder- mit ihnen Eingliederungsvereinbarungen schließt, der sie garten. Ich kann nicht verstehen, warum Sie Menschen, aber auch als verantwortliche Wesen erkennt und sie nicht die mit beiden Beinen im Leben stehen sollen und das hindert, indem er ihnen jegliche Verantwortung abneh- auch wollen, hier herausnehmen wollen. Ich halte das für men will, so wie Sie es vorhaben. Ich halte das für kom- den komplett falschen Weg. plett falsch. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich bin der Meinung, man muss auch über Sanktionen Die Politik muss die Instrumente und den Rahmen in einem angemessenen Verhältnis nachdenken, denn al- schaffen, um die entsprechenden Anreize zu setzen. Wir les andere würde bedeuten, dass Sie die Menschen ab- haben ja vieles getan – meine Kollegen haben schon da- hängen und ihnen dann niemand mehr helfen kann. rauf hingewiesen –, und ich nenne es gern noch einmal: Ich glaube, wir haben einen guten Weg eingeschlagen. beispielsweise das Teilhabechancengesetz, das, wie mir Ihn wollen wir fortsetzen. Ich freue mich auf die künftige aus meinem Wahlkreis immer wieder gemeldet wird, sehr Arbeit. gut wirkt und greift, Vielen Dank. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür müssen die Menschen erst (Beifall bei der SPD) einmal sechs Jahre ohne Arbeit sein! Sie müs- sen langzeitarbeitslos sein!) Vizepräsidentin Petra Pau: und eben auch das Qualifizierungschancengesetz, mit Das Wort hat der Kollege Stephan Stracke für die dem wir darauf hinwirken wollen, dass Menschen gar CDU/CSU-Fraktion. nicht erst arbeitslos werden. Das genau ist doch das, was wir bisher bewirkt haben, und das ist gut so. Ich (Beifall bei der CDU/CSU) denke auch an das Budget für Arbeit oder an das Budget für Ausbildung, das wir heute noch beschließen werden, Stephan Stracke (CDU/CSU): das Menschen in schwierigen Lebenslagen wichtige In- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und strumente an die Hand gibt, um in den Arbeitsmarkt in- Herren! Die Linken wollen das Hartz-IV-System abschaf- tegriert zu werden, um an der Gesellschaft teilzuhaben. fen. Dazu besteht keinerlei Anlass. Unsere Haltung ist Da sind wir auf einem guten Weg, und da wollen wir auch klar: Mit uns wird es keine Totalrevision des Hartz-IV- ansetzen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Systems geben. Eine solche vorzunehmen, hat uns das (B) Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil auch nicht (D) (Beifall bei der SPD) ins Stammbuch geschrieben. Genau das Gegenteil ist Ich möchte auch das Thema Grundrente erwähnen. Wir richtig: Das Bundesverfassungsgericht hat den Grundsatz diskutieren hier über das Thema Grundrente, ja, und wir bestätigt, dass der Gesetzgeber die Hilfe an Bedingungen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sagen: auch und zumutbare Mitwirkungspflichten knüpfen kann und ohne Bedürftigkeitsprüfung! Wir wollen nicht, dass sich für den Fall der Verletzung Sanktionen festlegen darf. Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, nackig Diese Sanktionen dürfen allerdings nicht zu überzogenen machen müssen. Belastungen führen; das ist das Prinzip der Verhältnismä- ßigkeit. Hier besteht Korrekturbedarf. Hier werden wir (Beifall bei Abgeordneten der SPD) auch Änderungen vornehmen. Im Übrigen: Das entbürokratisiert auch in einem ganz Diese klaren Aussagen des Verfassungsgerichts sind erheblichen Maße. Ich würde mir sehr wünschen, dass nichts anderes als eine Bestätigung des bestehenden wir da mit großen Schritten in hohem Tempo vorankom- Hartz-IV-Systems durch das höchste Gericht. Nach die- men. sem Urteil gibt es also keinerlei Grund für eine Revision Ich möchte als Fazit sagen: Der Antrag greift ein wich- von Hartz IV, weder rechtlich noch politisch. Hartz IV ist tiges Thema auf, aber er geht einfach nicht weit genug. eine Erfolgsgeschichte. Wenn ich noch einmal auf das Fördern und Fordern (Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu spre- NEN]: Sie müssen ein Gesetz vorlegen! Das chen kommen darf: Ich glaube, die Wahrheit liegt irgend- wurde doch angekündigt!) wo in der Mitte. Was das Bundesverfassungsgericht ge- Dieses System hat wesentlich dazu beigetragen, dass sich sagt hat, war doch nichts anderes als: Sanktionen sind die Arbeitslosigkeit seit dem Jahr 2000 halbiert hat. möglich – aber anders. – Ich kann mich gut daran erin- nern, dass gerade wir Sozialdemokratinnen und Sozial- Die Menschen können sich in unserem Land darauf demokraten es waren, die auf genau diesen Weg immer verlassen, dass ihnen der Staat in Notlagen zur Seite steht. wieder hingewiesen haben. Wer Hilfe benötigt, erhält diese auch. Unser Ziel ist es, zu erreichen, dass möglichst wenige Menschen auf Hilfe an- (Beifall bei der SPD) gewiesen bleiben. Die Menschen sollen ein selbstbes- Deswegen, glaube ich, ist es auch ganz wichtig, dass wir timmtes und erfülltes Leben führen, indem sie auf eige- jetzt die Chance nutzen, die uns das Bundesverfassungs- nen Beinen stehen und sich nicht an der Hand des gericht mit auf den Weg gegeben hat, auf einen Sozial- Sozialstaates befinden. 15336 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Stephan Stracke (A) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und cherheit für die Kommunen und Jobcenter – Berechnung (C) der FDP) der Kosten der Unterkunft in der Grundsicherung verein- Wir stehen für einen aktivierenden Sozialstaat. Wir wol- fachen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? len Menschen aus der Abhängigkeit des Staates heraus- (Zuruf der Abg. Katja Kipping [DIE LINKE]) holen und sie wieder in Arbeit bringen, und zwar – das ist keine Frage – natürlich in gute und sichere Arbeit. – Für alle: Wir stimmen über die Beschlussempfehlung ab, ja? – Noch einmal: Wer stimmt für diese Beschluss- (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE empfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen, die GRÜNEN]: Das sind alles nur Phrasen!) Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die AfD-Fraktion. Einen Fürsorgestaat aber, der die Menschen einfach nur in Wer stimmt dagegen? – Das ist die FDP-Fraktion. Wer Ruhe lässt und ihre Arbeitslosigkeit finanziert, lehnen wir enthält sich? – Niemand. Die Beschlussempfehlung ist ab. Ein solcher würde den Menschen auch nicht gerecht angenommen. und würde den Sozialstaat überdehnen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ableh- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- nung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksa- ordneten der FDP) che 19/6526 mit dem Titel „Wohnkostenlücke schließen – Kosten der Unterkunft existenzsichernd gestalten“. Wer Wer Sozialleistungen bezieht, muss zumutbare Gegen- stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die leistungen erbringen. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit Koalitionsfraktionen, die AfD-Fraktion und die FDP- gegenüber der Gemeinschaft, die Arbeitsuchende in einer Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Das sind die Fraktionen schweren Zeit unterstützt. Solidarität ist für uns keine Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält Einbahnstraße. Deshalb bleibt es bei dem zentralen sich? – Niemand. Die Beschlussempfehlung ist angenom- Grundsatz der Grundsicherung, nämlich dem Grundsatz men. des Förderns und des Forderns. Dieses zentrale Prinzip hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vor Ein kleiner geschäftsleitender Hinweis zwischendurch: zwei Tagen ausdrücklich bestätigt. Das ist tatsächlich Nach Abschluss dieses Tagesordnungspunktes und den das Wichtigste. Abstimmungen dazu haben wir noch ein gutes Stück Ar- beit vor uns im Sinne von Abstimmungen, Entgegennah- Wir setzen auf maximale Unterstützung für diejenigen, me von Erklärungen und Erläuterungen zum Prozedere. die sich anstrengen. Dazu haben wir im Herbst letzten Das heißt, ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, die Jahres das Teilhabechancengesetz beschlossen. Wir set- jetzt in den Saal kommen, Platz zu nehmen, damit wir die zen dafür insgesamt 4 Milliarden Euro ein. Bis jetzt sind Abstimmungsergebnisse zweifelsfrei feststellen können. (B) über 33 500 zuvor arbeitslose Menschen wieder in Arbeit (D) gekommen. Das ist bereits jetzt ein guter Erfolg. Wir Tagesordnungspunkt 6 d. Beschlussempfehlung des arbeiten daran, dass es noch mehr werden. Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Sozialstaat stärken – (Beifall bei der CDU/CSU) Hartz IV sofort auf 582 Euro erhöhen“. Der Ausschuss Umgekehrt halten wir am Instrument der Sanktionen für empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- diejenigen, die sich Arbeitsperspektiven verweigern, fest. che 19/14217, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/10621 abzulehnen. Wer stimmt für diese Für uns gilt: Solidarität und Eigenverantwortung sind Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktio- zwei Seiten einer Medaille. Daran halten wir fest. nen, die FDP-Fraktion und die AfD-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Die Fraktion Die Linke. Wer enthält sich? – (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Die Beschlussemp- ordneten der FDP) fehlung ist damit angenommen.

Vizepräsidentin Petra Pau: Tagesordnungspunkt 6 e. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Ich schließe die Aussprache. Fraktion Die Linke mit dem Titel „Verwaltungskosten der Tagesordnungspunkt 6 a. Wir kommen zur Abstim- Jobcenter senken – Bagatellgrenze für Rückforderungen mung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Druck- anheben“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- sache 19/14788 mit dem Titel „Hartz IV überwinden – empfehlung auf Drucksache 19/14202, den Antrag der Für gute Arbeit und soziale Garantien“. Wer stimmt für Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/11097 abzuleh- diesen Antrag? – Das ist die Fraktion Die Linke. Wer nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die stimmt dagegen? – Das sind die Koalitionsfraktionen, Koalitionsfraktionen, die FDP-Fraktion und die AfD- die FDP-Fraktion und die AfD-Fraktion. Wer enthält Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Die Fraktionen Die sich? – Das ist die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? – Der Antrag ist abgelehnt. Niemand. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Tagesordnungspunkt 6 c. Wir kommen zur Abstim- Tagesordnungspunkt 6 f. Beschlussempfehlung des mung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der für Arbeit und Soziales auf Drucksache 19/9324. Der Fraktion der FDP mit dem Titel „Hartz IV entbürokrati- Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss- sieren – Bagatellgrenze einführen“. Der Ausschuss emp- empfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/ FDP auf Drucksache 19/7030 mit dem Titel „Rechtssi- 14469, den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksa- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15337

Vizepräsidentin Petra Pau (A) che 19/14064 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be- Achelwilm, weiterer Abgeordneter und der (C) schlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen Fraktion DIE LINKE und die AfD-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Das sind Clubsterben stoppen die FDP-Fraktion und die Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen. Wer enthält sich? – Das ist die Fraktion Die Linke. Drucksache 19/14156 Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Überweisungsvorschlag: Ich wiederhole mich: Ich bitte jetzt alle Kolleginnen Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommu- nen (f) und Kollegen, Platz zu nehmen, die an den vor uns lie- Ausschuss für Kultur und Medien genden Abstimmungen und an der Entgegennahme von Erklärungen teilhaben wollen. Außerdem bitte ich Sie, e) Beratung des Antrags der Abgeordneten den Geräuschpegel zu senken, sodass jeder und jede ver- Martin Hess, Dr. Bernd Baumann, folgen kann, worüber er und sie jetzt hier entscheidet. Dr. Gottfried Curio, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD Ich rufe die Tagesordnungspunkte 35 a bis 35 h sowie 35 k bis 35 y sowie die Zusatzpunkte 2 a bis 2 f auf. Es Für ein Waffengesetz mit Augenmaß – handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Ver- Kein Generalverdacht gegen legale Waf- fahren ohne Debatte. fenbesitzer Drucksache 19/14504 Wir kommen zunächst zu den unstrittigen Überweisun- gen. Tagesordnungspunkte 35 a bis 35 h, 35 k bis 35 v, Überweisungsvorschlag: 35 x und 35 y sowie Zusatzpunkte 2 a bis 2 f: Ausschuss für Inneres und Heimat (f) Sportausschuss 35 a) Erste Beratung des von den Abgeordneten f) Beratung des Antrags der Fraktionen der Jens Maier, Marc Bernhard, Stephan CDU/CSU und SPD Brandner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der AfD eingebrachten Entwurfs ei- 30 Jahre Mauerfall und Reisefreiheit – Er- nes … Gesetzes zur Änderung des Strafge- folgsgeschichte Tourismus setzbuches – Gesetz zur strafrechtlichen Drucksache 19/14750 Harmonisierung von § 252 Strafgesetz- buch Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Tourismus (f) Drucksache 19/14764 Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Überweisungsvorschlag: (B) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (D) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Kultur und Medien Ausschuss für Inneres und Heimat Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Haushaltsausschuss Stephan Brandner, Marcus Bühl, Matthias g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Büttner, weiteren Abgeordneten und der Dr. Götz Frömming, Dr. Marc Jongen, Martin Fraktion der AfD eingebrachten Entwurfs ei- Erwin Renner, weiterer Abgeordneter und nes Gesetzes zur Aufhebung des Nutzungs- der Fraktion der AfD zwangs im elektronischen Rechtsverkehr mit den Gerichten 30 Jahre Mauerfall – Errichtung eines Denkmals für die Opfer des Sozialismus Drucksache 19/13735 beziehungsweise Kommunismus in Berlin

Überweisungsvorschlag: Drucksache 19/14765 Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss Digitale Agenda Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien (f) c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Ausschuss für Inneres und Heimat Sandra Weeser, Reinhard Houben, Thomas h) Beratung des Antrags der Abgeordneten L. Kemmerich, weiteren Abgeordneten und Dr. Bruno Hollnagel, Tino Chrupalla, der Fraktion der FDP eingebrachten Ent- Dr. , weiterer Abgeord- wurfs eines Gesetzes zum umfassenden neter und der Fraktion der AfD Wirtschafts- und Handelsabkommen (CE- TA) vom 30. Oktober 2016 zwischen Ka- Marktwirtschaft und Subsidiarität erhal- nada einerseits und der Europäischen ten statt Sustainable Finance Union und ihren Mitgliedsstaaten ande- rerseits Drucksache 19/14684 Überweisungsvorschlag: Drucksache 19/14783 Finanzausschuss (f) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) k) Beratung des Antrags der Abgeordneten Auswärtiger Ausschuss Thomas Hacker, Katja Suding, Grigorios d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Caren Lay, Simone Barrientos, Doris Fraktion der FDP 15338 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Digitalisierung der Archive der DDR-Op- p) Beratung des Antrags der Abgeordneten (C) position Sören Pellmann, Susanne Ferschl, Doris Achelwilm, weiterer Abgeordneter und der Drucksache 19/14728 Fraktion DIE LINKE Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien (f) Menschenrecht auf barrierefreie Schutz- Ausschuss für Inneres und Heimat räume und Notrufsysteme garantieren – Ausschuss Digitale Agenda UN-Behindertenrechtskonvention umset- Haushaltsausschuss zen l) Beratung des Antrags der Abgeordneten Drucksache 19/14758 Reinhard Houben, Michael Theurer, Thomas L. Kemmerich, weiterer Abgeordneter und Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) der Fraktion der FDP Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Postreform vollenden – Für mehr Qualität q) Beratung des Antrags der Abgeordneten und fairen Wettbewerb Sören Pellmann, Susanne Ferschl, Doris Achelwilm, weiterer Abgeordneter und der Drucksache 19/14727 Fraktion DIE LINKE Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Menschenrecht auf Barrierefreiheit in der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Gesundheits- und Pflegeversorgung ga- rantieren – UN-Behindertenrechtskon- m) Beratung des Antrags der Abgeordneten vention umsetzen (Südpfalz), Katja Suding, Grigorios Aggelidis, weiterer Abge- Drucksache 19/14757 ordneter und der Fraktion der FDP Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Bildungsnachweise auf die Blockchain – Ausschuss für Gesundheit Bürgerinnen und Bürger entlasten, Ver- waltungsprozesse beschleunigen r) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sören Pellmann, Susanne Ferschl, Doris Drucksache 19/14784 Achelwilm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Überweisungsvorschlag: (B) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- Menschenrecht auf Barrierefreiheit in (D) zung (f) Ausschuss für Inneres und Heimat Kultur, Sport und Tourismus garantieren – Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz UN-Behindertenrechtskonvention umset- Ausschuss Digitale Agenda zen n) Beratung des Antrags der Abgeordneten Drucksache 19/14756 Sören Pellmann, Susanne Ferschl, Doris Achelwilm, weiterer Abgeordneter und der Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Fraktion DIE LINKE Sportausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Menschenrecht auf Barrierefreiheit Ausschuss für Tourismus garantieren – Allgemeines Gleichbehand- Ausschuss für Kultur und Medien lungsgesetz und Behindertengleichstel- s) Beratung des Antrags der Abgeordneten lungsgesetz umfassend überarbeiten Sören Pellmann, Susanne Ferschl, Doris Achelwilm, weiterer Abgeordneter und der Drucksache 19/14760 Fraktion DIE LINKE Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Menschenrecht auf barrierefrei ausgestal- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz tete Medien garantieren – UN-Behinder- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend tenrechtskonvention umsetzen o) Beratung des Antrags der Abgeordneten Drucksache 19/14755 Sören Pellmann, Susanne Ferschl, Doris Achelwilm, weiterer Abgeordneter und der Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien (f) Fraktion DIE LINKE Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Menschenrecht auf Barrierefreiheit ga- rantieren – Europäischen Rechtsakt zur t) Beratung des Antrags der Abgeordneten Barrierefreiheit umsetzen Sören Pellmann, Susanne Ferschl, Doris Achelwilm, weiterer Abgeordneter und der Drucksache 19/14759 Fraktion DIE LINKE Überweisungsvorschlag: Menschenrecht auf barrierefreie politi- Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sche Teilhabe garantieren – UN-Behinder- Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union tenrechtskonvention umsetzen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15339

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Drucksache 19/14754 ZP 2 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten (C) Dr. Konstantin von Notz, Markus Tressel, Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Stefan Schmidt, weiterer Abgeordneter und Ausschuss für Inneres und Heimat der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Hotelmeldepflicht abschaffen – Risiken u) Beratung des Antrags der Abgeordneten für Datenmissbrauch verringern Sören Pellmann, Susanne Ferschl, Doris Achelwilm, weiterer Abgeordneter und der Drucksache 19/12372 Fraktion DIE LINKE Überweisungsvorschlag: Menschenrecht auf Barrierefreiheit in al- Ausschuss für Inneres und Heimat (f) len Lebensbereichen garantieren – Barrie- Ausschuss für Tourismus refreien Wohn- und Lebensraum schaffen b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Lisa Paus, Stefan Schmidt, Dr. Danyal Bayaz, Drucksache 19/14753 weiterer Abgeordneter und der Fraktion Überweisungsvorschlag: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommu- nen (f) Stabil und zukunftsfest – Den Finanzplatz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Inneres und Heimat Europa zum Leitmarkt für Nachhaltigkeit machen v) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sören Pellmann, Susanne Ferschl, Doris Drucksache 19/14219 Achelwilm, weiterer Abgeordneter und der Überweisungsvorschlag: Fraktion DIE LINKE Finanzausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Menschenrecht auf barrierefreie Mobili- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit tät garantieren – UN-Behindertenrechts- Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union konvention umsetzen c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Drucksache 19/14752 Bettina Stark-Watzinger, Christian Dürr, Dr. Florian Toncar, weiterer Abgeordneter Überweisungsvorschlag: und der Fraktion der FDP Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Sustainable Finance – Transparenz und (B) (D) x) Beratung des Antrags des Bundesministe- Vielfalt schaffen – Einheitliche EU-Taxo- riums für Wirtschaft und Energie nomie ablehnen Vertrag gemäß Artikel 1 § 6 des Gesetzes Drucksache 19/14785 zur Neuordnung der ERP-Wirtschaftsför- Überweisungsvorschlag: derung in der im Jahr 2019 novellierten Finanzausschuss (f) Fassung (Durchführungsvertrag 2019) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Einholung eines zustimmenden Beschlus- ses des Deutschen Bundestages gemäß § 6 d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Absatz 3 des ERP-Verwaltungsgesetzes Bettina Stark-Watzinger, Christian Dürr, Dr. Florian Toncar, weiterer Abgeordneter Drucksache 19/14744 und der Fraktion der FDP Überweisungsvorschlag: Eigentumsturbo – Mitarbeiterbeteiligung Ausschuss für Wirtschaft und Energie schnell durchsetzen y) Beratung der Unterrichtung durch die Anti- diskriminierungsstelle des Bundes Drucksache 19/14786 Überweisungsvorschlag: Dritter Gemeinsamer Bericht der Antidis- Finanzausschuss (f) kriminierungsstelle des Bundes und der in Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie ihrem Zuständigkeitsbereich betroffenen Ausschuss für Arbeit und Soziales Beauftragten der Bundesregierung und Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend des Deutschen Bundestages e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Diskriminierung in Deutschland Stefan Gelbhaar, Daniela Wagner, Christian Kühn (Tübingen), weiterer Abgeordneter Drucksache 18/13060 und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Überweisungsvorschlag: NEN Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Ausschuss für Inneres und Heimat Die Zukunft von Berlin TXL – The Urban Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Tech Republic Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss Digitale Agenda Drucksache 19/14826 15340 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Überweisungsvorschlag: Grünen, AfD und Die Linke. Wer enthält sich? – Der (C) Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Überweisungsvorschlag ist angenommen. Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jens Ich rufe die Tagesordnungspunkte 36 a bis 36 q sowie Beeck, Michael Theurer, Johannes Vogel 35 j auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu (Olpe), weiterer Abgeordneter und der Frak- Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. tion der FDP Tagesordnungspunkt 36 a: UN-Behindertenrechtskonvention erleb- Zweite Beratung und Schlussabstimmung des bar machen – Der Staat als Vorbild bei von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs vollumfassender Barrierefreiheit eines Gesetzes zur Änderung des Übereinkom- Drucksache 19/14787 mens über den internationalen Eisenbahnver- kehr (COTIF) vom 9. Mai 1980 in der Fassung Überweisungsvorschlag: des Änderungsprotokolls vom 3. Juni 1999 Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Drucksache 19/13962 Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an ses für Verkehr und digitale Infrastruktur die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu (15. Ausschuss) überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Drucksache 19/14438 Wir kommen nun zu einer Überweisung, bei der die Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Federführung strittig ist. Tagesordnungspunkt 35 w: empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/14438, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia Drucksache 19/13962 anzunehmen. Kotting-Uhl, Jürgen Trittin, Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Zweite Beratung NIS 90/DIE GRÜNEN und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Kündigung des bilateralen Atomabkommens Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – mit Brasilien Wer stimmt dagegen? – Offensichtlich einige Kollegin- nen und Kollegen einzelner Fraktionen, die sich jetzt er- (B) Drucksache 19/14824 hoben haben. Wer enthält sich? – Das sind ein und diesel- (D) ben Kollegen. Ich bitte noch einmal, auch in die hinteren Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Reihen die Nachricht zu übermitteln, dass wir hier ernst- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (f) haft über Gesetze und Beschlussempfehlungen abstim- Auswärtiger Ausschuss Federführung strittig men und auch ernsthaft die Abstimmungsergebnisse fest- stellen wollen. Da wir über Gesetze im Allgemeinen Interfraktionell wird Überweisung des Antrags der schlussendlich abstimmen, indem wir uns von den Plät- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/ zen erheben, ist es schlicht unmöglich, dass Sie durch 14824 mit dem Titel „Kündigung des bilateralen Atom- Stehenbleiben drei Voten abgeben. – Der Gesetzentwurf abkommens mit Brasilien“ an die in der Tagesordnung ist mit sehr großer Mehrheit der Mitglieder des Hauses aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Fraktionen angenommen. der CDU/CSU und SPD wünschen Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie. Die Fraktion Tagesordnungspunkt 36 b: Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung beim Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicher- nen der CDU/CSU und SPD eingebrachten heit. Entwurfs eines Gesetzes zur Erteilung der Zu- Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungs- stimmung nach § 8 des Integrationsverantwor- vorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: Feder- tungsgesetzes zum Vorschlag der Europä- führung beim Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und ischen Kommission für eine Verordnung des nukleare Sicherheit. Wer stimmt für diesen Überwei- Rates über Maßnahmen betreffend die Aus- sungsvorschlag? – Das sind die Fraktionen Bündnis 90/ führung und die Finanzierung des Gesamt- Die Grünen, Die Linke und die AfD-Fraktion. Wer haushaltsplans der Union im Jahr 2020 im Zu- stimmt dagegen? – Die Koalitionsfraktionen und die sammenhang mit dem Austritt des Vereinigten FDP-Fraktion. Wer enthält sich? – Niemand. Der Über- Königreiches aus der Union (Brexit EU-Haus- weisungsvorschlag ist abgelehnt. halt Ausführungs- und Finanzierungsgesetz 2020 – BrexitHHG 2020) Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor- schlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Feder- Drucksache 19/14021 führung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie. Beschlussempfehlung und Bericht des Haushalt- Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Das sausschusses (8. Ausschuss) sind die Koalitionsfraktionen und die FDP-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Die Fraktionen Bündnis 90/Die Drucksache 19/14470 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15341

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in (C) empfehlung auf Drucksache 19/14470, den Gesetzent- seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/14845, wurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Druck- den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Druck- sache 19/14021 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die sachen 19/13445 und 19/14622 anzunehmen. Ich bitte dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei- diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktio- Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig nen, die FDP-Fraktion, die Fraktionen Die Linke und angenommen. Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die AfD-Fraktion. Der Gesetzentwurf ist Dritte Beratung damit in zweiter Beratung angenommen. und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Dritte Beratung Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ich bitte jetzt diejenigen, die diesem Gesetzentwurf nicht und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem zustimmen wollen, sich zu erheben. – Es sind immer noch Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – einige Kollegen, die offensichtlich nicht an dieser Ab- Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- stimmung in der entsprechenden Form teilnehmen. Wer entwurf ist in dritter Beratung mit den Stimmen der Koa- enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit großer Mehrheit litionsfraktionen, der FDP-Fraktion, der Fraktionen Die auch in der dritten Beratung und Schlussabstimmung an- Linke und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der genommen. AfD-Fraktion angenommen. Tagesordnungspunkt 36 c: Tagesordnungspunkt 36 e: Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Preissta- über die Ausbildung zur Anästhesietechni- tistik schen Assistentin und zum Anästhesietechni- Drucksachen 19/13444, 19/14624 schen Assistenten und über die Ausbildung zur Operationstechnischen Assistentin und Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- zum Operationstechnischen Assistenten ses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) Drucksache 19/13825 Drucksache 19/14844 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- (B) Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in ses für Gesundheit (14. Ausschuss) (D) seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/14844, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Druck- Drucksache 19/14872 sachen 19/13444 und 19/14624 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt in seiner Be- um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktio- schlussempfehlung auf Drucksache 19/14872, den Ge- nen, die Fraktionen der FDP, der Linken und die Fraktion setzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 19/ Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Wer 13825 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte enthält sich? – Die AfD-Fraktion. Der Gesetzentwurf ist diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas- damit in zweiter Beratung bei Enthaltung der AfD-Frak- sung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das sind tion durch die übrigen Fraktionen angenommen. die Koalitionsfraktionen und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Wer enthält Dritte Beratung sich? – Das sind die Fraktionen der AfD, der FDP und Die und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Linke. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – angenommen. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf nicht Dritte Beratung zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitions- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem fraktionen, der FDP-Fraktion, der Fraktion Die Linke und Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion Bünd- AfD-Fraktion angenommen. nis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Das sind die Fraktionen der AfD, der FDP und Die Tagesordnungspunkt 36 d: Linke. Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- angenommen. regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Tagesordnungspunkt 36 f: zur Änderung des Erdölbevorratungsgesetzes Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Drucksachen 19/13445, 19/14622 richts des Ausschusses für Kultur und Medien Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- (22. Ausschuss) ses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) – zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU Drucksache 19/14845 und SPD 15342 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Vizepräsidentin Petra Pau (A) 30 Jahre Friedliche Revolution Mir liegt eine schriftliche Erklärung nach § 31 unserer (C) Geschäftsordnung vor. Entsprechend unseren Regeln – zu dem Antrag der Abgeordneten Thomas kommt sie in das Protokoll.1) Hacker, Katja Suding, Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Wer stimmt für die Sammelübersicht 365? – Das sind FDP die Koalitionsfraktionen, die AfD-Fraktion, die FDP- Fraktion, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die 30 Jahre Friedliche Revolution – Errun- Fraktion Die Linke. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält genschaft von Freiheit und Rechtsstaat- sich? – Die Sammelübersicht 365 ist angenommen. lichkeit verteidigen Tagesordnungspunkt 36 i: Drucksachen 19/10613, 19/10614, 19/14507 Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- ausschusses (2. Ausschuss) Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be- Sammelübersicht 366 zu Petitionen schlussempfehlung die Annahme des Antrags der Frak- tionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 19/10613 Drucksache 19/14392 mit dem Titel „30 Jahre Friedliche Revolution“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Wer stimmt dafür? – Die Koalitionsfraktionen, die Koalitionsfraktionen und die FDP-Fraktion. Wer stimmt AfD-Fraktion, die FDP-Fraktion und die Fraktion Bünd- dagegen? – Die Fraktion Die Linke. Wer enthält sich? – nis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Die Fraktion Das sind die Fraktionen der AfD und die Fraktion Bünd- Die Linke. Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 366 nis 90/Die Grünen. Die Beschlussempfehlung ist ange- ist angenommen. nommen. Tagesordnungspunkt 36 j: Wir sind noch beim Tagesordnungspunkt 36 f. Unter Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der ausschusses (2. Ausschuss) Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 19/10614 mit dem Titel „30 Jahre Sammelübersicht 367 zu Petitionen Friedliche Revolution – Errungenschaft von Freiheit und Drucksache 19/14393 Rechtsstaatlichkeit verteidigen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktio- Wer stimmt dafür? – Die Koalitionsfraktionen, die nen, die AfD-Fraktion und die Fraktion Die Linke. Wer AfD-Fraktion, die FDP-Fraktion und die Fraktion Bünd- (B) stimmt dagegen? – Die FDP-Fraktion. Wer enthält sich? – nis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält (D) Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Die Beschlussemp- sich? – Die Fraktion Die Linke. Die Sammelübersicht 367 fehlung ist angenommen. ist damit angenommen. Tagesordnungspunkt 36 g: Tagesordnungspunkt 36 k: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- CSU und SPD ausschusses (2. Ausschuss) 30 Jahre nach der friedlichen Revolution – Sammelübersicht 368 zu Petitionen Aufbauleistungen würdigen, gesamtdeutsches Drucksache 19/14394 Fördersystem für strukturschwache Regionen stärken Wer stimmt dafür? – Die Koalitionsfraktionen, die FDP-Fraktion, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Drucksache 19/14748 Wer stimmt dagegen? – Die AfD-Fraktion. Wer enthält sich? – Niemand. Die Sammelübersicht 368 ist angenom- Wer stimmt für diesen Antrag? – Das sind die Koali- men. tionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Die Fraktionen der FDP und Die Linke. Wer enthält sich? – Die AfD- Tagesordnungspunkt 36 l: Fraktion und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Der Antrag ist damit angenommen. Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- ausschusses (2. Ausschuss) Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 36 h bis Sammelübersicht 369 zu Petitionen 36 q, das heißt, wir kommen zu den Beschlussempfeh- lungen des Petitionsausschusses. Drucksache 19/14395 Tagesordnungspunkt 36 h: Wer stimmt dafür? – Die Koalitionsfraktionen, die AfD-Fraktion und die FDP-Fraktion. Wer stimmt dage- Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- gen? – Die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die ausschusses (2. Ausschuss) Grünen. Wer enthält sich? – Niemand. Die Sammelüber- sicht 369 ist angenommen. Sammelübersicht 365 zu Petitionen

Drucksache 19/14391 1) Anlage 3 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15343

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Tagesordnungspunkt 36 m: Wer stimmt dafür? – Die Fraktionen der CDU/CSU (C) und die SPD. Wer stimmt dagegen? – Die AfD-Fraktion, Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- die FDP-Fraktion, die Fraktionen Die Linke und Bünd- ausschusses (2. Ausschuss) nis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? – Niemand. Die Sammelübersicht 370 zu Petitionen Sammelübersicht 374 ist angenommen. Drucksache 19/14396 Tagesordnungspunkt 35 j: Wer stimmt dafür? – Die Koalitionsfraktionen und die Beratung des Antrags der Abgeordneten Martin Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Erwin Renner, Beatrix von Storch, Marc Die AfD-Fraktion und die FDP-Fraktion. Wer enthält Bernhard, weiterer Abgeordneter und der Frak- sich? – Die Fraktion Die Linke. Die Sammelübersicht 370 tion der AfD ist angenommen. Annahme einer Entschließung zum Gedenken Tagesordnungspunkt 36 n: des 50. Jahrestages des versuchten Bombenan- schlags auf das Jüdische Gemeindehaus zu Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Berlin – Antisemitismus in jeder Form ächten ausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 371 zu Petitionen Drucksache 19/14766 Drucksache 19/14397 Wer stimmt für diesen Antrag? – Das ist die AfD-Frak- tion. Wer stimmt dagegen? – Wer stimmt dafür? – Die Koalitionsfraktionen und die AfD-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Die FDP-Frak- (Zuruf von der AfD: Heuchler!) tion, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält Das sind die Koalitionsfraktionen, die Fraktion Die Linke sich? – Niemand. Die Sammelübersicht 371 ist angenom- und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält men. sich? – Das ist die Fraktion der FDP. Tagesordnungspunkt 36 o: Ich bitte, festzustellen, wer eben die Kolleginnen und Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Kollegen der Fraktionen mit dem Wort „Heuchler“ be- ausschusses (2. Ausschuss) schimpft hat: Ich habe vor, dies zu rügen. Sammelübersicht 372 zu Petitionen (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, (B) Drucksache 19/14398 der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE (D) GRÜNEN) Wer stimmt dafür? – Die Koalitionsfraktionen und die Der Antrag ist im Ergebnis abgelehnt. FDP-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Die AfD-Frak- tion, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf: sich? – Niemand. Die Sammelübersicht 372 ist angenom- men. Beratung der Beschlussempfehlung des Aus- schusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes Tagesordnungspunkt 36 p: (Vermittlungsausschuss) zu dem Gesetz zur Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Durchführung des Zensus im Jahr 2021 (Zen- ausschusses (2. Ausschuss) susgesetz 2021 – ZensG 2021) Sammelübersicht 373 zu Petitionen Drucksachen 19/8693, 19/9766, 19/10699, 19/ 10679, 19/11302, 19/14700 Drucksache 19/14399 Berichterstatter im Bundestag ist der Abgeordnete Wer stimmt dafür? – Die Fraktionen der CDU/CSU, Carsten Schneider, Berichterstatterin im Bundesrat ist der SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dage- die Staatsministerin Lucia Puttrich. Der Kollege Carsten gen? – Die AfD-Fraktion, die FDP-Fraktion und die Frak- Schneider hat als Berichterstatter des Bundestages zwei tion Die Linke. Wer enthält sich? – Niemand. Die Sam- schriftliche Protokollerklärungen abgegeben. Diese Er- melübersicht 373 ist angenommen. klärungen nehmen wir zu Protokoll.1) An die Kolleginnen und Kollegen, die inzwischen zu (Beifall des Abg. [CDU/CSU]) uns gekommen sind: Sie können gern in Ruhe Platz neh- men. Wir haben noch ein gutes Stück Arbeit vor uns, Ich weise jetzt darauf hin, dass nach unserer Geschäfts- bevor wir zu den angekündigten Wahlen kommen. ordnung eine Aussprache nicht zulässig ist. Es dürfen aber persönliche Erklärungen zur Abstimmung nach Tagesordnungspunkt 36 q: § 31 der Geschäftsordnung des Bundestages oder Erklä- Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- rungen für eine Fraktion nach § 10 Absatz 2 der Ge- ausschusses (2. Ausschuss) schäftsordnung des Vermittlungsausschusses abgegeben werden. Sammelübersicht 374 zu Petitionen

Drucksache 19/14400 1) Anlage 4 15344 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Herr Brandner hat für die AfD-Fraktion nach § 10 Ab- hatten wir heute Nacht Zeit, uns inhaltlich damit ausei- (C) satz 2 der Geschäftsordnung des Vermittlungsausschus- nanderzusetzen, ses um das Wort gebeten. Er hat jetzt das Wort. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Mit den (Beifall bei der AfD) beiden Sätzen, ja? Eine ganze Nacht für zwei Sätze!) Stephan Brandner (AfD): was in diesen rätselhaften Sondierungsgesprächen zwi- Vielen Dank, Frau Präsidentin, vielen Dank, meine schen wem auch immer vermittelt worden ist. Wir sind Damen und Herren, dass ich die Gelegenheit bekomme, zu der Auffassung gelangt, dass das Ergebnis als solches, kurz für die AfD-Fraktion zum Vorschlag des Vermitt- dass das Gesetz als solches für die AfD-Fraktion durch- lungsausschusses, der gestern getagt hat, Stellung zu neh- aus zustimmungsfähig ist. Deshalb kündige ich für die men. Es geht um das Volkszählungsgesetz „Zensusgesetz AfD-Fraktion an, dass wir dem Gesetz, so wie es ver- 2021“, das hier im Bundestag mit breiter Mehrheit ver- mittelt worden ist, zustimmen, so wie es ja auch in den abschiedet wurde. Die AfD-Fraktion hat es aufgrund in- Lesungen hier im Bundestag von den Rednern bereits haltlicher Mängel gerügt; ich nehme Bezug auf die Red- gesagt worden ist. ner in der Debatte, die Kollegen Wirth und Seitz. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sie ha- Im Vermittlungsverfahren, das auf Betreiben des Bun- ben sich gestern verwählt sozusagen!) desrates zustande kam, tat sich dann zunächst erst mal nichts. Gerüchte über das Vermittlungsverfahren kursier- Gleichwohl müssen wir noch einmal darauf hinweisen, ten seit September. Dann wurde relativ kurzfristig der dass das, was sich gestern im Vermittlungsausschuss ab- Vermittlungsausschuss für den gestrigen 6. November gespielt hat, aus unserer Sicht ziemlich peinlich war. einberufen, nachdem zuvor unter dem 31. Oktober 2019 (Zurufe der Abg. Ulli Nissen [SPD]) ein Schriftstück versandt worden war, das überschrieben war mit: Formulierungsvorschlag als Ergebnis der Son- Es war eine extrem schlechte Vorbereitung unter Aus- dierungsgespräche. Erläutert wurde dies damit, dass Son- grenzung der Opposition. dierungsgespräche unter Teilnahme von Vertretern aus Bund und Ländern stattgefunden hätten. Uns als AfD (Zurufe von der SPD) jedenfalls war völlig unbekannt, wer da mit wem was Vielen Dank für Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. warum und auf welcher Rechtsgrundlage in welchem Umfang sondiert hat. Deshalb waren wir da von Anfang (Beifall bei der AfD) an skeptisch. (B) Vizepräsidentin Petra Pau: (D) Ein Formulierungsvorschlag war beigefügt, der sich bezog auf § 20 Absatz 3, § 23 Absatz 1, § 29 Absatz 1 Mir liegt eine Wortmeldung nach § 31 der Geschäfts- und neu angefügt § 36 des Zensusgesetzes. Das war wohl ordnung des Abgeordneten Carsten Schneider vor. Er hat einhellig bei diesen Sondierungsgesprächen so verhan- damit das Wort. delt worden. Zu § 34 des Zensusgesetzes gab es dann (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Michael angeblich mündlich eine weitere Sondierung; keiner Grosse-Brömer [CDU/CSU]) wusste das so genau. Gestern Abend wurde dann mehr oder weniger eine Neuformulierung des § 34 Zensusge- Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): setz aus dem Hut gezaubert, wo zwei Sätze angefügt wa- Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen ren. Es gab dann ein ziemliches Hin und Her, und keiner und Kollegen! Als Berichterstatter des Vermittlungsaus- wusste so genau, was mit diesen beiden Sätzen gemeint schusses für den Bundestag will ich Ihnen kurz sagen, ist. Die beiden Sätze wurden dann wieder rausgenommen. dass das Ergebnis des Vermittlungsausschusses aus unse- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das rer Sicht zustimmungsfähig ist. Der Kollege Brandner – nennt sich Verhandlung im Vermittlungsaus- ich wusste nicht ganz, wo er mit seiner Rede endet – hat schuss! Das findet jedes Mal statt!) das jetzt im Endeffekt auch für die AfD-Fraktion erklärt. Nach Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Es war die Rede davon, dass Protokollerklärungen abge- Bundesrat am 28. Juni 2019 – das ist also schon eine geben werden sollten. Das war gestern Abend im Ver- ganze Weile her – fand gestern, am 6. November, eine mittlungsausschuss alles schwer durchschaubar und aus Sitzung statt; eingeladen dazu wurde ordnungsgemäß bei unserer Sicht mit extrem heißer Nadel gestrickt. einer Frist von fünf Tagen am 30. Oktober, also sogar noch ein bisschen früher. Zu diesem Zeitpunkt lag den (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Michael Kolleginnen und Kollegen aus Bund und Ländern auch Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Es war zwar kei- der Einigungsvorschlag vor. Sie hatten also sechs, sieben ner dabei, aber ein fröhlicher Applaus!) Tage Zeit, ihn zu prüfen; dazu hätte es nicht die letzte – Das ist alles andere als einen Applaus wert; aber so Nacht gebraucht. Dieser Vorschlag, und nur dieser Vor- wurde uns das gestern präsentiert. schlag, den wir eingebracht haben, ist gestern auch be- schlossen worden. Die beiden AfD-Vertreter im Vermittlungsausschuss, also der Kollege Frömming und ich, haben deshalb ges- Ich weise darüber hinaus zum einen hin auf eine Proto- tern Abend gegen das Zustandekommen eines solchen kollerklärung der Bundesregierung hinsichtlich der Nut- Vorschlages des Vermittlungsausschusses gestimmt. Jetzt zung dieser Daten, die das jeweilige Bundesland betref- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15345

Carsten Schneider (Erfurt) (A) fen, die ich zu Protokoll gegeben habe und die die Bun- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) desregierung im Bundesrat noch abgeben wird. sowie bei Abgeordneten der FDP) Zum Zweiten weise ich darauf hin, dass dieses Gesetz wenn sie in einer so gravierenden Frage, die datenschutz- durch die finanziellen Veränderungen, die den Bund be- rechtliche Fragen berührt, so mit ihrer Verantwortung treffen – der Bund wird zweimal 150 Millionen Euro den umgehen. Ländern zur Verfügung stellen für die ihnen entstandenen Ich hätte mir gewünscht, dass eine Einschätzung des Kosten des Zensus –, zustimmungspflichtig wird. Ich bit- Datenschutzbeauftragten und eine abgestimmte Auffas- te Sie von daher, dem nachher auch zuzustimmen. sung der Bundesregierung, also vonseiten des Bundesin- nenministeriums und des Bundesjustizministeriums, vor- Vielen Dank. gelegen hätten, bevor ich für die Fraktion Bündnis 90/Die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Grünen über eine so gravierende datenschutzrechtliche der CDU/CSU) Frage, nämlich die, wer die Zensusdaten, und zwar die gesamte Datenbank, nutzen darf, abstimme. Deshalb ha- be ich für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit Nein Vizepräsidentin Petra Pau: gestimmt und bin diesem Kompromiss im Vermittlungs- Kurz zur Erklärung für alle, die jetzt erst den Saal be- ausschuss nicht gefolgt. treten haben bzw. uns hier bei unserem Tun zuschauen: Wir sind im Moment bei der Beschlussempfehlung des Vielen Dank. Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz zur Durchfüh- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) rung des Zensus im Jahr 2021 auf Drucksache 19/ 14700. Dazu gibt es keine Aussprache; aber die Ge- schäftsordnung sieht vor, dass nach unterschiedlichen Re- Vizepräsidentin Petra Pau: gelungen Erklärungen abgegeben werden können. Und Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp- deshalb gebe ich jetzt nach § 31 unserer Geschäftsord- fehlung auf Drucksache 19/14700. Gemäß § 10 Absatz 3 nung der Kollegin Britta Haßelmann das Wort. Satz 1 seiner Geschäftsordnung hat der Vermittlungsaus- schuss beschlossen, dass im Deutschen Bundestag über (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschus- Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ses auf Drucksache 19/14700? – Das sind die Koalitions- Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau fraktionen, die AfD-Fraktion und die Fraktion Die Linke. Präsidentin! In der Regel beschließen wir hier ja Vorlagen Wer stimmt dagegen? – Die Fraktionen der FDP und (B) des Vermittlungsausschusses ohne Aussprache; da sich Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? – Niemand. (D) jetzt aber zwei Fraktionen zu ihrem Abstimmungsverhal- Die Beschlussempfehlung ist angenommen. ten erklärt haben, möchte ich für meine Fraktion, Bünd- Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf: nis 90/Die Grünen, als Vertreterin im Vermittlungsaus- schuss kurz erklären: Wir haben diesem Kompromiss Wahlvorschlag der Fraktion der AfD im Vermittlungsausschuss nicht unsere Zustimmung ge- Wahl eines Stellvertreters des Präsidenten ben können. Wir haben den Vorschlag des Vermittlungs- (2. Wahlgang) ausschusses zum Zensusgesetz abgelehnt. Drucksache 19/13963 Meine Damen und Herren, ich habe noch nie einen so schlecht vorbereiteten Vermittlungsausschuss erlebt: we- Sie müssen nirgendwohin eilen, sondern können gern der vonseiten der informell eingesetzten Arbeitsgruppe alle Platz nehmen. noch vonseiten der Bundesregierung. Ich habe hier einen Vorschlag des Abgeordneten Fabian Jacobi, AfD-Fraktion, vorliegen, den Abgeordne- (Beifall bei Abgeordneten der AfD) ten Martin E. Renner zu wählen. Herr Abgeordneter, Denn aus meiner Sicht war bis zuletzt keine abgestimmte wünschen Sie dazu das Wort? Rechtsauffassung der Bundesregierung im Vermittlungs- ausschuss vorgetragen worden, sondern allenfalls Ein- Fabian Jacobi (AfD): schätzungen einzelner Ministerien. Das halte ich für sehr Wird dieser Wahlvorschlag zugelassen, brauche ich problematisch. das Wort nicht. Wenn er nicht zugelassen wird, dann er- bitte ich das Wort zur Geschäftsordnung. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Es hat sich ausschließlich das Bundesministerium des Dann haben Sie jetzt das Wort zur Geschäftsordnung; Innern zu datenschutzrechtlichen Fragen, die dieses Zen- susgesetz betreffen, geäußert, und auf meine Rückfrage, (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) ob es denn eine Stellungnahme des Datenschutzbeauft- denn Sie müssen dem Haus erst einmal erklären, was Sie ragten gebe oder etwa des Bundesministeriums für Justiz, wünschen. war die Antwort ein Schweigen bzw. auf Nachfrage dann eine Verneinung. Ich halte das für wirklich unangemes- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Dann sen, mal los!) 15346 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

(A) Fabian Jacobi (AfD): Abgeordneter aus jeder Fraktion dem Präsidium angehö- (C) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zur Ge- ren soll. Daraus ableiten zu wollen, die Mitglieder des schäftsordnung: Wir befinden uns im Tagesordnungs- Bundestages hätten kein Wahlvorschlagsrecht, ist reich- punkt „Wahl eines Stellvertreters des Präsidenten“. Das lich kühn. Grundgesetz sieht vor, dass der Präsident des Bundesta- ges und seine Stellvertreter vom Bundestag gewählt wer- Gegen die Auffassung des Referats PD 2 steht weiter- den. Als Mitglied des Bundestages nehme ich das Recht hin die einschlägige juristische Literatur. Es gibt einen in Anspruch, zu dieser Wahl einen Wahlvorschlag zu ma- wissenschaftlichen Kommentar zur Geschäftsordnung chen. des Bundestages. Schlägt man dort nach, findet man fol- gende Erläuterung: Dass die Mitglieder der Versammlung, welche eine Wahl vorzunehmen hat, auch Wahlvorschläge machen Vorschlagsberechtigt ist jedes Mitglied des BT … können, ist Kernbestand demokratischer Verfahren. Ich Jedes Mitglied kann daher unabhängig von dem Vor- habe gerade vernommen, dass mein Wahlvorschlag nicht schlag seiner eigenen oder einer anderen Fraktion zugelassen wird. Das Präsidium vertritt, soweit mir be- einen eigenen Wahlvorschlag unterbreiten. kannt, die Auffassung, unsere Geschäftsordnung verweh- Greift man dann zu gängigen Kommentaren zum re den Abgeordneten, und damit auch mir, das Vor- Grundgesetz, dem Maunz/Dürig etwa, entnimmt man schlagsrecht. Nur eine Fraktion könne danach einen der Kommentierung zu Artikel 40 des Grundgesetzes ge- Wahlvorschlag machen. nau dasselbe: Nun wäre es eine interessante Frage, ob den Mitglie- Jedes Mitglied des Bundestages ist vorschlagsbe- dern des Bundestages ein so elementares Mitwirkungs- rechtigt. recht durch eine bloße Geschäftsordnungsregelung ent- zogen werden könnte. Ich sage: Es „wäre … eine Einen letzten Umstand möchte ich erwähnen – dann interessante Frage“; denn tatsächlich stellt sich diese komme ich zum Schluss –, der mir beim Studium der Frage nicht, weil unsere Geschäftsordnung das gar nicht Protokolle früherer Bundestagssitzungen aufgefallen ist: tut. Über viele Jahrzehnte war es ständige Übung, dass vor einem Wahlgang zur Wahl eines Präsidenten oder eines (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Stellvertreters von dem jeweiligen Sitzungsleiter aus- Schauen wir in § 4 der Geschäftsordnung. Er regelt die drücklich gefragt wurde, ob es weitere Wahlvorschläge Wahl des Bundeskanzlers. Hier in der Tat finden wir eine aus der Mitte der Versammlung gebe. Diese bis zur letzten Regelung, wonach Wahlvorschläge nur von einem Viertel Wahlperiode jahrzehntelange, ständig praktizierte Ver- (B) des Hauses oder einer Fraktion dieser Größe gemacht fahrensweise ist in der laufenden Wahlperiode aufgege- (D) werden können. Blicken wir zum Vergleich in § 2 der ben worden, ohne eine Änderung der Rechtslage oder Geschäftsordnung. Er regelt die Wahl des Bundestags- sonstigen erkennbaren Grund. präsidenten und seiner Stellvertreter. Hier findet sich eine solche Regelung nicht. Eine Einschränkung des Wahlvor- (Zuruf von der AfD: Hört! Hört!) schlagsrechts ist an dieser Stelle also gerade nicht vorge- Zum Schelm wird wohl, wer darauf sich einen Reim sehen. macht. (Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der AfD) NEN]: Wollen Sie jetzt zwei Kandidaten be- nennen?) Nach alledem halte ich dafür, dass es mir zu Unrecht verwehrt wird, einen Wahlvorschlag zu machen. Ich bitte Eine solche Einschränkung ergibt sich auch nicht, wie daher das Präsidium ebenso höflich wie eindringlich, sei- das Referat PD 2 meint, aus den §§ 75 und 76 der Ge- ne Haltung zu überdenken und zu ändern. schäftsordnung. Dort ist lediglich geregelt, welche Vor- lagen als selbstständige Punkte auf die Tagesordnung ge- Vielen Dank. setzt werden können. Darum geht es hier aber nicht. Es geht nicht um die Aufnahme eines neuen Tagesordnungs- (Beifall bei der AfD) punktes, sondern um einen Wahlvorschlag zu dem beste- henden Tagesordnungspunkt mit dem Verhandlungsge- Vizepräsidentin Petra Pau: genstand „Wahl eines Stellvertreters“. Wünscht noch jemand das Wort zur Geschäftsord- Ebenso wenig überzeugen kann die These, daraus, dass nung? – Das ist offensichtlich nicht der Fall. jede Fraktion im Präsidium vertreten sein soll, könne man Vorschlagsberechtigt für die Kandidaten zur Wahl des ableiten, dass es immer nur einen Wahlvorschlag geben Vizepräsidenten sind nach § 76 Absatz 1 und § 75 Ab- dürfe. Das ist bereits logisch unhaltbar; denn eine Frak- satz 1g der Geschäftsordnung des Deutschen Bundesta- tion kann ohne Weiteres mehreren Abgeordneten die Zu- ges die Fraktionen und nicht einzelne Mitglieder oder stimmung geben, sie im Falle ihrer Wahl durch das Ple- Teile einer Fraktion. Die Kandidatinnen und Kandidaten num im Präsidium zu vertreten, was meine Fraktion im vertreten im Falle ihrer erfolgreichen Wahl ihre gesamte Hinblick auf meinen Wahlvorschlag auch getan hat. Fraktion im Präsidium, siehe § 2 Absatz 1 Satz 2 der Unabhängig davon geht diese Interpretation auch Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages: Grund- sprachlich fehl; denn die fragliche Formulierung „vertre- mandatsklausel. Diese Funktion kann ein Kandidat nur ten sein“ bedeutet nicht mehr, als dass mindestens ein erfüllen, wenn er auch von der Fraktion in der Fraktions- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15347

Vizepräsidentin Petra Pau (A) sitzung ausgewählt und anschließend in ihrem Namen Platz. Ich eröffne die Wahl eines Stellvertreters des Präsi- (C) nominiert wird. denten und bitte Sie, zu den Ausgabetischen zu gehen. (Ulli Nissen [SPD]: Hört! Hört!) Bitte denken Sie daran, ausschließlich die Stimmkarte in der Farbe Orange in den Umschlag zu legen. Dies wird bestätigt durch den Beschluss des Bundestages über den Zuschnitt des Präsidiums, in dem es heißt: Jede Haben alle Mitglieder des Hauses, auch die Schriftfüh- Fraktion stellt eine Stellvertreterin oder einen Stellvertre- rerinnen und Schriftführer, ihre Stimmkarten abgege- ter des Präsidenten. ben? – Das ist offensichtlich der Fall. Ein Kandidat, der von einzelnen Mitgliedern oder Tei- Ich schließe die Wahl. Das Ergebnis dieser Wahl wird len einer Fraktion vorgeschlagen wird, wird eben gerade Ihnen später bekannt gegeben.1) nicht von einer Fraktion gestellt. Deshalb weise ich den Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf: Antrag als unzulässig zurück. Wahlvorschlag der Fraktion der SPD (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und Wahl eines Mitglieds des Parlamentarischen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Kontrollgremiums gemäß Artikel 45d des Grundgesetzes Die Fraktion der AfD schlägt auf Drucksache 19/13963 den Abgeordneten Paul Viktor Podolay vor. Wir kommen Drucksache 19/14751 also jetzt zur Wahl. Die Fraktion der SPD schlägt auf Drucksache Die Wahl erfolgt mit verdeckten Stimmkarten, also ge- 19/14751 die Abgeordnete Dr. Eva Högl vor. heim. Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages erhält. Ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit für einige ergänzen- de Hinweise. Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit Für diese Wahl benötigen Sie Ihren Wahlausweis in der der Mitglieder des Bundestages auf sich vereint, das Farbe Orange aus Ihrem Stimmkartenfach in der Lobby. heißt, wer mindestens 355 Stimmen erhält. Gültig sind Die für die Wahl eines Vizepräsidenten gültige Stimm- nur Stimmkarten mit einem Kreuz bei entweder „ja“, karte in der Farbe Orange und den amtlichen Wahlum- „nein“ oder „enthalte mich“. schlag erhalten Sie von den Schriftführerinnen und Schriftführern an den Ausgabetischen hier oben neben Für diese Wahl benötigen Sie die blaue Stimmkarte und den Wahlkabinen. Ihren blauen Stimmausweis. Die Wahl findet offen statt, das heißt, die Stimmkarte können Sie an Ihrem Platz an- Die Wahl ist geheim, das heißt, Sie dürfen Ihre Stimm- kreuzen. Die Stimmkarten wurden bereits ausgegeben. (B) karte nur in der Wahlkabine ankreuzen und müssen die Wer noch keine Stimmkarte hat, kann diese noch von (D) Stimmkarte ebenfalls noch in der Wahlkabine in den Um- den Plenarassistenten und -assistentinnen erhalten. Bitte schlag legen. denken Sie daran, zuerst Ihren blauen Wahlausweis abzu- geben und dann die Stimmkarte einzuwerfen. Ich weise explizit darauf hin, dass das Fotografieren oder Filmen der ausgefüllten Stimmkarte einen Verstoß Sind alle Schriftführerinnen und Schriftführer an den gegen das Wahlgeheimnis darstellt und die Ordnung und vorgesehenen Plätzen? – Das ist der Fall. Ich eröffne die Würde des Hauses verletzt. Für den Fall, dass ich von Wahl; Farbe Blau, also Parlamentarisches Kontrollgre- solchen Verstößen gegen das Wahlgeheimnis in dieser mium. Sitzung oder später Kenntnis erlange, behalte ich mir schon jetzt vor, Ordnungsmaßnahmen zu ergreifen. Vizepräsident : Die Schriftführerinnen und Schriftführer sind ver- Ich frage, ob alle Kolleginnen und Kollegen ihre Ab- pflichtet, jeden, der seine Stimmkarte außerhalb der stimmungskarte eingeworfen haben. – Das ist der Fall. Wahlkabine kennzeichnet oder in den Umschlag legt, zu- Dann darf ich den Wahlgang schließen. rückzuweisen. Die Stimmabgabe kann in diesem Fall je- Das Ergebnis der Auszählung wird Ihnen später be- doch vorschriftsmäßig wiederholt werden. kannt gegeben. Die Schriftführerinnen und Schriftführer Gültig sind nur Stimmkarten mit einem Kreuz bei „ja“, werden jetzt mit der Auszählung beginnen.2) „nein“ oder „enthalte mich“. Ungültig sind Stimmen auf Ich darf alle, die an der Debatte über den folgenden nichtamtlichen Stimmkarten oder Stimmkarten, die mehr Tagesordnungspunkt nicht teilnehmen wollen, bitten, den als ein Kreuz, kein Kreuz, andere Namen oder Zusätze Saal zu verlassen. Die anderen darf ich bitten, ihre Plätze enthalten. einzunehmen, damit wir mit der Aktuellen Stunde begin- Bevor Sie die Stimmkarte in die Wahlurne werfen, nen können. müssen Sie der Schriftführerin oder dem Schriftführer Ich rufe den Zusatzpunkt 6 auf: an der Wahlurne Ihren Wahlausweis in der Farbe Orange übergeben. Die Abgabe des Wahlausweises dient als Aktuelle Stunde Nachweis für die Beteiligung an der Wahl. Kontrollieren auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und Sie daher bitte, ob der Wahlausweis Ihren Namen trägt. SPD Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Offensichtlich 1) Ergebnis Seite 15352 D sind alle Schriftführerinnen und Schriftführer an ihrem 2) Ergebnis Seite 15363 C 15348 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Vizepräsident Thomas Oppermann (A) Gegen Hassrede und Hasskriminalität – Für KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- (C) eine offene und freiheitliche Gesellschaft NEN) Ich rufe als ersten Redner den Parlamentarischen Daher bin ich froh, dass wir in der vergangenen Woche im Staatssekretär Dr. Günter Krings auf. Kabinett ein ganzes Paket an Maßnahmen beschlossen haben, um den Rechtsextremismus und den Antisemitis- (Beifall bei der CDU/CSU) mus effektiv zu bekämpfen. Es soll gerade die Hasskri- minalität dort eindämmen, wo Hetze, aggressive Beleidi- Dr. Günter Krings , Parl. Staatssekretär beim Bundes- gungen und üble Schmähungen ermöglicht werden: eben minister des Innern, für Bau und Heimat: in der vermeintlichen Anonymität des Internets. Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Hassrede und Hasskriminalität einerseits Wir hatten diese Maßnahmen übrigens schon vor dem und die offene und freiheitliche Gesellschaft andererseits schlimmen Anschlag in Halle vorbereitet. Drei Punkte stehen in einem krassen Gegensatz. Wo der Hass gedeiht, aus dem Maßnahmenpaket möchte ich an dieser Stelle wird es eine offene Gesellschaft nicht geben, wird sie herausgreifen: nicht gelebt; aber wo Offenheit und Freiheit herrschen, Erstens führen wir eine Meldepflicht für soziale Netz- findet Hass keinen Nährboden. werke ein, die nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz Leider ist die Verrohung von Sprache und Umgangs- zur Löschung von rechtswidrigen Inhalten verpflichtet formen schon seit Längerem deutlich wahrnehmbar, ins- sind. Rechtswidrige Inhalte müssen zusammen mit der besondere in den Medien und den sozialen Netzwerken. IP-Adresse an das Bundeskriminalamt gemeldet werden. Ich will an dieser Stelle etwas zu einem ganz aktuellen Im BKA-Gesetz und in der Strafprozessordnung wollen Vorgang sagen: Als heute Morgen hier im Bundestag der wir weitergehende Auskunftspflichten schaffen, damit Kollege Matthias Hauer einen Schwächeanfall erlitten auch eine effektive Strafverfolgung stattfinden kann. hat, gab es in Netzforen zwar auch pflichtschuldige Gu- Das ist das Prinzip „Löschung und Strafverfolgung“. te-Besserungs-Wünsche, aber auch Bezeichnungen wie Für die Bearbeitung der Meldungen von Providern rich- die, er habe in ekelhafter Arroganz gesprochen, oder die ten wir beim Bundeskriminalamt eine neue Zentralstelle Frage, ob dieser Vorfall vielleicht Karma sei. ein. Dafür sind neue Stellen erforderlich, die wir in die Haushaltsverhandlungen eingebracht haben. (Manuel Höferlin [FDP]: Ekelhaft! – Ulli Nissen [SPD]: Widerlich! – Dr. Irene Mihalic Zweitens wird der Strafrahmen für Beleidigungen im [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unerträglich!) Netz erhöht. Strafschärfend soll sich zukünftig auswir- ken, dass Beleidigungen hier eine besondere Reichweite Ich erinnere auch an die Kommentare, die es in der letzten (B) haben. Ich empfinde es als zutiefst abstoßend, wenn, wie (D) Woche im Netz gab, als auf dem Digital- im Fall Lübcke, ein Mordopfer über Wochen hinweg, Gipfel in Dortmund stürzte. Auch das waren unbeschreib- auch noch Wochen nach der Tat auf schlimmste Weise liche Kommentare, die ich hier nicht wiederholen möch- verhöhnt und ein brutaler Täter gefeiert wird. Das lässt te. mich einfach nicht los. Das können und werden wir nicht akzeptieren, meine Damen und Herren. (Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: Abstoßend!) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LIN- Ich gehe zwar davon aus, dass wir es nach wie vor nur KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit einer Minderheit von Fanatikern zu tun haben, diese sowie bei Abgeordneten der AfD und der FDP) ist aber sehr laut, und sie bekommt sehr viel, viel zu viel Drittens verstärken wir den Schutz von Kommunalpo- Aufmerksamkeit. Die zahlreichen schlimmen Äußerun- litikern. Diese machen sich in besonderer Weise um ihre gen und zum Teil brutalen Gewaltfantasien lassen sich Region, um unser Gemeinwesen und damit auch um un- allerdings nicht einfach ignorieren. Dafür sind die Aus- sere Republik als Ganzes verdient. Doch gerade gegen sie wirkungen auf unsere Umgangsformen, auf unser Zusam- richten sich besonders oft Hass, Hetze, Drohungen und menleben viel zu gefährlich. Wir sprechen hier auch nicht sogar tätliche Angriffe. Die Beispiele von Henriette Re- von Kavaliersdelikten, sondern von Straftaten wie Belei- ker in Köln oder Andreas Hollstein in Altena sind ab- digung, Verleumdung und Billigung schlimmster Straf- schreckend genug. Wenn wir das oft ehrenamtliche Enga- taten. Manchen Personen wird öffentlich gedroht oder gement nicht besser unterstützen, wird es bald immer regelmäßig der Tod gewünscht. Besonders erschreckend weniger Menschen geben, die noch Verantwortung auf ist das auch in den Fällen, in denen es Kolleginnen und kommunaler Ebene übernehmen wollen. Diese Personen, Kollegen aus diesem Hohen Haus getroffen hat. diese Menschen haben unsere Unterstützung, die Unter- stützung von uns hier in diesem Hause verdient. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Wir denken, dass der Schritt zum tätlichen Angriff klein BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- sein kann. Das hat etwa der Fall Walter Lübcke gezeigt. ordneten der AfD, der FDP und der LINKEN) Dies alles darf keine gewöhnliche Begleiterscheinung Wir werden daher Kommunalpolitiker und Ehrenamtli- für Menschen werden, die sich öffentlich engagieren. che unter den besonderen Schutz von § 188 Strafgesetz- buch stellen. Dahinter verbirgt sich der Straftatbestand (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie „Üble Nachrede und Verleumdung gegen Personen des bei Abgeordneten der AfD, der FDP, der LIN- politischen Lebens“. „Personen des politischen Lebens“ – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15349

Parl. Staatssekretär Dr. Günter Krings (A) das muss klargestellt werden – sind natürlich auch Lokal- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie (C) politiker. Sie arbeiten am Fundament unserer Demokra- bei Abgeordneten der AfD, der FDP, der LIN- tie. KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Martin Hebner [AfD]) Vizepräsident Thomas Oppermann: Vielen Dank. – Als Nächster spricht der Kollege Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kol- Dr. Marc Jongen für die Fraktion der AfD. legen, die Zeiten, in denen man im Internet keine Angst vor Strafverfolgung haben musste, sind vorbei. Das zei- (Beifall bei der AfD) gen auch die Aktionstage gegen Hasspostings. An ihnen geht die Polizei in einer koordinierten Aktion gegen Dr. Marc Jongen (AfD): Hasskriminalität vor. Die Aktionen werden regelmäßig Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schlechte vom Bundeskriminalamt koordiniert. Gerade gestern Regierungspolitik bekämpft Symptome, anstatt die Ursa- fand der fünfte bundesweite Aktionstag statt. Beamte in chen eines Missstandes zu beheben. Ganz schlechte Re- neun Bundesländern waren im Einsatz und haben insge- gierungspolitik ist es, wenn der Missstand durch die samt mehr als 31 Maßnahmen durchgeführt. Es wurden Symptombekämpfung sogar noch verschärft wird. Genau Beweis- und Tatmittel wie Computer, Datenträger, Mo- das tun Sie mit Ihrer Bekämpfung sogenannter Hassrede, bilfunkgeräte sichergestellt, die nun bei der Aufklärung werte Regierungsparteien, Sie schüren erst richtig den der Straftaten helfen. Hass und heizen den Zorn an, für den Sie und Ihre Politik Verehrte Kolleginnen und Kollegen, drei Bitten habe verantwortlich sind. ich abschließend noch an Sie: (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Erstens. Wir müssen uns davor hüten, das Werturteil Damit wir uns klar verstehen: Ich spreche nicht von „Hass“ zu missbrauchen, indem wir den anderen im po- Beleidigungen, Verleumdungen, üblicher Nachrede oder litischen Kampf der Meinungen damit in unberechtigten Volksverhetzung, Fällen zu diskreditieren versuchen. Natürlich ist nicht alles, was der eigenen Meinung widerspricht, Hass. Die (Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Meinungsfreiheit ist für die freiheitliche Demokratie NEN]: Da spricht der Hass!) schlechthin konstituierend. Wir wollen deshalb der Ver- die nach unserem Strafgesetzbuch schon längst strafbar suchung widerstehen, jede abweichende Meinung Hass (B) sind. Ich spreche noch weniger von dem Anschlag in (D) zu nennen. Halle oder dem Mordfall Lübcke, die Sie als „Hassver- Zweitens. Wir sollten uns darüber hinaus davor hüten, brechen“ bezeichnen; abscheuliche Verbrechen, die ver- gute Absichten mit Hass zu verbinden. Ich las kürzlich folgt und hart bestraft werden müssen. etwa den Satz: „Wir müssen wieder hassen lernen – und In Ihren Initiativen gegen Hassrede und Hasskrimina- zwar richtig.“ Das genau ist falsch. lität geht es aber um etwas ganz anderes. Sie instrumenta- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der AfD lisieren und missbrauchen diese Fälle, um ein System der und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie Unterdrückung der freien Rede, bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN) (Zurufe von der SPD: Oh! – Michael Brand Es gibt keine moralisch haltbare Unterscheidung zwi- [Fulda] [CDU/CSU]: So ein Zynismus!) schen gutem und bösem Hass. Hass ist generell zu verur- der Zensur und der Angst in diesem Land zu installieren, teilen. um politisch Andersdenkende mundtot zu machen. Schließlich drittens: Wir Politiker sollten Vorbild sein. (Beifall bei der AfD – Yasmin Fahimi [SPD]: Wie sich einige jedoch auf Twitter, Facebook oder in Hart am Rande der Volksverhetzung!) Talkshowrunden verhalten, ist teilweise schon unerträg- lich. Interessanterweise spricht man ja immer nur von „rech- ter Hasskriminalität“ und rüstet zum „Kampf gegen (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem rechts“, wenn es um dieses Thema geht. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- ordneten der AfD, der FDP und der LINKEN) ( [CDU/CSU]: Falsch!) Ich möchte daher in diesem Hohen Haus an alle Kollegin- Die wenigen schweren Straftaten halbirrer Extremisten nen und Kollegen appellieren, zivilisierte Umgangsfor- greift man begierig auf, um die Gefahr des Rechtsextre- men zu pflegen. Lassen Sie uns eine Debattenkultur er- mismus maßlos aufzubauschen und in beispielloser halten, in der ein respektvoller Austausch von Weise vor allem gegen unsere Rechtsstaatspartei, die Argumenten im Vordergrund steht, nicht die Diffamie- AfD, zu hetzen. rung des politischen Gegners. Ich würde mich freuen, wenn wir damit direkt hier, heute und jetzt beginnen wür- (Beifall bei der AfD – Ulli Nissen [SPD]: Was den. sagen Sie zu Halle? – Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ich danke Ihnen. Lachen bei Abgeordneten der FDP) 15350 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Dr. Marc Jongen (A) Wenn kriminelle Linksextremisten regelmäßig Autos Deutschland haben einbürgern lassen, wenn al- (C) unbescholtener Bürger abfackeln oder sie in Hamburg les so schlimm ist!) und Leipzig ganze Straßenzüge verwüsten und Hunderte dann macht das die Menschen wütend. Wenn Milliarden Polizisten verletzen, dann spricht man nicht von Hass- und Abermilliarden an Steuergeldern für illegal Einge- kriminalität, sondern verharmlosend von „linken Chao- wanderte bereitgestellt werden, Einheimische für diese ten“ oder „Aktivisten“. ihre städtischen Wohnungen verlassen müssen, dann er- (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: So ein wacht ein Gefühl der Ohnmacht und des Zorns im Land. Weißwäscher!) (Beifall bei der AfD – Canan Bayram [BÜND- Wenn Zugewanderte aus archaischen Kulturen NIS 90/DIE GRÜNEN]: Schämen Sie sich für diese Hetze! Schämen Sie sich!) ( [FDP]: Bingo!) Dieses Gefühl wollen Sie pathologisieren und kriminali- junge Frauen vergewaltigen und bestialisch morden, dann sieren. Das Volk soll lämmerhaft erdulden, was immer Sie ist auch das kein Hass, ihm antun – bis zur endgültigen Abschaffung Deutsch- (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Natür- lands. lich ist das Hass!) (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU, der sondern dann sind das Beziehungstaten für die hinteren SPD und der FDP) Seiten der Lokalblätter, da angeblich nicht von nationaler Wenn Sie glauben, ich übertreibe, dann zitiere ich Relevanz. Ihnen hier aus der Broschüre der Amadeu-Antonio-Stif- Minister Seehofer hat denn auch einen Neunpunkte- tung ein Beispiel für Hate Speech. plan zur Bekämpfung des Rechtsextremismus angekün- (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Ihre Re- digt; Herr Krings hat ihn heute vorgestellt. Neben einigen de passt zum Thema Hass!) sinnvollen Punkten wie dem Schutz von Lokalpolitikern sollen künftig Anbieter von Internetseiten auch die IP- Hören Sie mal gut zu. Zitat: Adressen der Absender sogenannter Hassreden an das Gegenüberstellung von Wir- und Ihr-Gruppe und Bundeskriminalamt melden, das Konstruieren eines Handlungszwangs: Wenn (Christoph Bernstiel [CDU/CSU]: Sehr gute wir uns von denen weiter auf der Nase herumtanzen Maßnahme! – Yasmin Fahimi [SPD]: Sehr rich- lassen, werden wir alle sterben. tig!) Mit anderen Worten: Wer das Wir-Gefühl für das Beste- (B) (D) eine Hotline des Verfassungsschutzes zur Denunziation hen einer Nation für wichtig hält und im Übrigen auch der der eigenen Nachbarn als Rechtsextreme steht auch schon Demokratie – und das ist essenziell wichtig, meine Da- bereit. Herr Seehofer sagte, das sei erst der erste Schritt. men und Herren –, der ist bereits auf dem Weg zur Hass- Meine Damen und Herren, wenn Bespitzelung, Denun- kriminalität und muss bekämpft werden. ziation und Überwachung erst ein erster Schritt sind, dann Ausdrücklich kein Hate Speech ist demnach die Herab- frage ich mich, was der letzte sein wird: Internierung, setzung Deutscher nach dieser Broschüre durch Bezeich- Umerziehung, Entzug von Grundrechten? nungen wie „Kartoffel“ oder, gerichtlich bestätigt, „Kö- (Beifall bei der AfD – Widerspruch bei der terrasse“, weil sie angeblich keine gesellschaftliche CDU/CSU und der SPD – Yasmin Fahimi Relevanz besitzen. [SPD]: Ist das ekelhaft!) Anetta Kahane, Präsidentin der Amadeu-Antonio-Stif- Worum geht es denn hier eigentlich? tung und schon zu DDR-Zeiten als Stasispitzel aktiv, (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Es geht (Ulli Nissen [SPD]: Wieder mal der Baustein! um Strafverfolgung!) Jedes Mal wieder! Können Sie sich nicht mal etwas Neues ausdenken?) Wenn Kanzlerin Merkel in Indien 1 Milliarde Euro Ent- wicklungshilfe für Klimaschutz verspricht, während schreibt im Vorwort – Zitat: deutsche Rentnerinnen und Rentner am Monatsende Menschen also, in denen ein tiefer Hass brennt ... (Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Ah! – sind am Ende ... eher animalisch als human. Das [SPD]: Geht es noch primi- ist auch so, wenn sich dieser Hass politisch aus- tiver? – Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE drückt. GRÜNEN]: Schämen Sie sich!) Meine Damen und Herren, hier wird dem politischen oft nicht genug zu essen haben, dann macht das die Men- Gegner das Menschsein abgesprochen. schen wütend. Wenn das Vermögen der Sparer durch Nullzins- und Negativpolitik der EZB kalt enteignet wird, (Armin-Paulus Hampel [AfD]: So ist es!) Das ist Totalitarismus in Reinkultur. ( [DIE LINKE]: Sie sind die ein- zige Partei ohne Rentenkonzept in diesem (Beifall bei der AfD – Sylvia Kotting-Uhl Haus! Unerträglich! – Michael Brand [Fulda] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie [CDU/CSU]: Man fragt sich, warum Sie sich in eigentlich auch einen Spiegel?) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15351

Dr. Marc Jongen (A) Die Wahrheit ist doch, dass diejenigen, die von der pro Tag. Nach Recherchen von „Zeit“ und „Tagesspiegel“ (C) größten Besessenheit gegen sogenannte Hassrede ergrif- haben Rechtsextremisten seit der Wiedervereinigung fen sind, selbst von tiefem Hass zerfressen sind, nämlich 169 Menschen getötet. von kulturellem Selbsthass, meine Damen und Herren. Das geschieht, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht (Yasmin Fahimi [SPD]: Lächerlich! Phrasen- aus dem Nichts. Ein Mensch kommt nicht von heute auf drescherei!) morgen auf die Idee, einen anderen Menschen zu ermor- den, allein weil diese Person eine andere Meinung ver- – Bitte hören Sie zu. – Nicht die AfD sät Hass in Deutsch- tritt. Die Morddrohung und die Ausführung derselben land, wie Sie behaupten. Wir geben dem gerechten Zorn sind das Ende eines Prozesses, der verhältnismäßig harm- im Land einen zivilen, einen parlamentarischen Aus- los beginnen kann. druck. In Debatten werden Gruppen von Menschen abgewer- (Widerspruch bei der SPD) tet. Mit einem „Das wird man ja wohl mal sagen dürfen!“ Hören Sie deshalb auf, die Symptome zu bekämpfen. wird der Diskurs nach rechts verschoben. Rassistische Stellen Sie die Ursachen für diesen gerechten Zorn ab! Sprüche bleiben unwidersprochen. Sie verfestigen sich Machen Sie Politik für das Volk und nicht gegen das als rassistische Meinungen. Den Sprüchen folgen oft of- Volk! Dann brauchen Sie auch keine Programme gegen fene Beleidigungen, Hass und Gewaltphantasien. Diese Hassrede mehr. Dann haben Sie uns auf Ihrer Seite. münden in handfeste Drohungen. Und das gipfelt schließ- lich in Gewalt, in Mord. Vielen Dank. Meine Damen und Herren, rechte Hasskriminalität ist (Beifall bei der AfD – Zurufe von der SPD) aktuell eine der größten Bedrohungen unserer Sicherheit, und zwar unser aller Sicherheit. Ich befürchte, das ist Vizepräsident Thomas Oppermann: vielen Menschen überhaupt nicht klar, vielleicht weil Als Nächster spricht für die Bundesregierung der Par- sie bislang nie zum Ziel von Rechtsradikalen geworden lamentarische Staatssekretär Christian Lange. sind und glauben, es nie zu werden. Das Denken nach dem Motto „Mich trifft es ja nicht“ ist, finde ich, erstens (Beifall bei der SPD) zynisch, aber zweitens auch trügerisch. Ich erlaube mir, noch einmal aus der vorhin erwähnten Mail zu zitieren: Christian Lange , Parl. Staatssekretär bei der Bundes- ministerin der Justiz und für Verbraucherschutz: Auch Deine Angestellten im Abgeordnetenbüro und im Außenministerium stehen auf unserer Liste. Wir Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wissen, wer Ihr seid. Wir wissen, wo Ihr seid. Und (B) will Ihnen sagen, was mich wütend macht. Mich macht (D) wir werden Euch kriegen, jeden Einzelnen. wütend, wenn ein Abgeordneter im Deutschen Bundestag unterstellt, dass die Bundesregierung an der Abschaffung Meine Damen und Herren, wir müssen dieser Bedro- der Bundesrepublik Deutschland arbeiten würde. hung Einhalt gebieten. (Konstantin Kuhle [FDP]: Reichsbürger tun (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten das!) der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des Das ist das Ideengut der Identitären Bewegung. Das BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) macht mich wütend. Wollen wir den sich immer weiter auftürmenden Hass stoppen und braune Echokammern durchbrechen und (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem aufbrechen, müssen wir uns einem zentralen Problem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- stellen: dem Hass und der Hetze im Netz. Rechtsextre- ordneten der FDP) misten missbrauchen digitale Plattformen, um die Stim- Meine Damen und Herren, ich beginne mit einem Zitat: mung gezielt anzuheizen und Andersdenkende einzu- „Und dann werden wir Dir Deine Wampe aufschnei- schüchtern. Der grassierende Hass stachelt andere auf, den.“ – Diese Zeilen, die ich soeben zitiert habe, stammen und, schlimmer noch, empfängliche Personen fühlen sich aus einer Mail, die unser Kollege Michael Roth vor eini- ermutigt, den Worten der anderen Taten folgen zu lassen. gen Tagen bekommen hat. Der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke ist ein grausames Beispiel dafür. Am Anfang (Zuruf von der AfD: Das ist gerechter Zorn!) stand nicht mehr als ein YouTube-Video, in dem sich Zum Glück waren es nur Worte. Oft bleibt es aber nicht Lübcke zur Fluchtdebatte geäußert hat. Hieran entzünde- bei Worten. Rechtsextremistische Gewalttaten, wie der te sich die Hetze, deren Opfer er schließlich wurde. Terroranschlag von Halle und der Mord an Walter Lüb- Um zu verhindern, dass Rechtsextremisten ihre men- cke, sind keine Einzelfälle. Sie sind die Spitze des Eis- schenverachtenden Botschaften im Netz verbreiten kön- bergs rechtsterroristischer Hasskriminalität. nen, müssen wir also entschlossen handeln, und wir müs- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sen dafür sorgen, dass Hasskriminalität konsequent der FDP) strafrechtlich verfolgt wird. Allein dieses Jahr hat die Polizei 12 500 Delikte mit (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten politisch rechtsmotiviertem Hintergrund registriert. Die der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- Zahl rechter Gewaltdelikte liegt bei durchschnittlich zwei NISSES 90/DIE GRÜNEN) 15352 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Parl. Staatssekretär Christian Lange (A) Meine Damen und Herren, die Meinungsfreiheit endet sich als ehrenamtlicher Bürgermeister von Tröglitz für (C) dort, wo das Strafrecht beginnt. Das muss der Rechtsstaat Flüchtlinge. Er legte dann sein Amt nieder, als eine durchsetzen, auch im Netz. rechtsextreme Demonstration an seinem Wohnhaus vor- beiführen sollte und er die Sicherheit seiner Familie nicht (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem mehr gewährleistet sah. Meine Damen und Herren, diese BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- ehrenamtlich tätigen Menschen brauchen unsere Hilfe ordneten der LINKEN) und Unterstützung, und das werden wir jetzt auf den Hier wollen wir durch eine Reform des Netzwerkdurch- Weg bringen. setzungsgesetzes ansetzen. Die sozialen Netzwerke müs- sen dem Bundeskriminalamt zukünftig Fälle schwerer (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Hasskriminalität melden, wenn sie durch Nutzerbe- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) schwerden hiervon erfahren. Damit konsequent gegen Deshalb werden wir § 188 Strafgesetzbuch erweitern. diesen Hass vorgegangen werden kann, schlagen wir Wir werden diesen ungezügelten Hass nicht hinnehmen. dem Bundestag vor, gut 400 neue Stellen beim BKA zu Hass gehört nicht in eine zivilisierte Gesellschaft. schaffen. (Zuruf von der AfD: Auch nicht linker!) Aber das Ermitteln der Täter reicht nicht. Wir müssen Wenn einige Menschen meinen, solche barbarischen Ge- es den Gerichten ermöglichen, härter gegen strafbaren fühle ausleben zu müssen, so ist es unser Rechtsstaat, der Hass durchzugreifen. sie daran erinnern muss, dass wir in einer Zivilisation (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Elisabeth leben, in der es Regeln gibt, und diese Regeln sind nicht Winkelmeier-Becker [CDU/CSU]) verhandelbar. Konkret sollen Beleidigungen, die im Internet begangen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten werden, zukünftig schärfer bestraft werden können. Sol- der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE che Beleidigungen erreichen nicht nur ein größeres Pub- GRÜNEN) likum; sie sind wegen der gefühlten Anonymität im Netz Das sind wir nicht nur den Eltern des Grundgesetzes meist auch deutlich aggressiver, und deshalb gehören sie schuldig; das sind wir der freiheitlich-demokratischen auch schwerer bestraft. Grundordnung schuldig. Eines ist mir ganz besonders wichtig, meine Damen Herzlichen Dank. und Herren: Wir müssen die Opfer von rechtsextremer Hasskriminalität besser schützen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (B) der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE (D) (Beatrix von Storch [AfD]: Vielleicht auch von GRÜNEN – [AfD]: Auf einem linksextremer Gewalt! Das kann man ja einmal Auge blind, der Staatssekretär! Stockblind!) erwähnen!)

Deshalb werden wir das Melderecht ändern. Es kann Vizepräsident Thomas Oppermann: nicht sein, dass Adressen von gesellschaftlich und poli- tisch engagierten Menschen als Drohkulisse im Netz kur- Vielen Dank. – Mir liegt inzwischen das von den sieren. Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergeb- nis der Wahl eines Stellvertreters des Präsidenten des (Uwe Schulz [AfD]: Indymedia!) Bundestages, zweiter Wahlgang, vor. Von den 709 Mit- gliedern des Hauses haben 638 ihre Stimme abgegeben; Ganz besonders schützen müssen wir all diejenigen, keine war ungültig. Mit Ja haben gestimmt 189, mit Nein die sich in vorderster Reihe für unseren Rechtsstaat oder haben gestimmt 430, 19 Enthaltungen. Damit hat der Ab- für unsere Sicherheit und unser Gemeinwesen einsetzen. geordnete Paul Viktor Podolay die erforderliche Mehrheit (Uwe Schulz [AfD]: Sie schützen Indymedia! von 355 Stimmen verfehlt und ist nicht zum Stellvertreter 1) Sie unterstützen linksextreme Portale!) des Präsidenten gewählt worden. Dies gilt zuallererst – das hat der Kollege Krings zu Recht Wir fahren fort in der Debatte. Nächster Redner ist der gesagt – für die Kommunalpolitikerinnen und Kommu- Kollege Manuel Höferlin für die Fraktion der FDP. nalpolitiker. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNIS- Manuel Höferlin (FDP): SES 90/DIE GRÜNEN) Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatssekretär Krings, wir werden heute Ihnen, meine Damen und Herren, müssen wir den glei- nicht detailliert auf die Vorschläge eingehen. Ich glaube, chen strafrechtlichen Schutz vor Verleumdung und übler viele Dinge, die Sie vorschlagen, haben ihre Berechti- Nachrede zuteilwerden lassen, wie wir ihn auf Bundes- gung; andere lehnen wir ab. Wir glauben im Kern – das ebene und wie ihn die Kolleginnen und Kollegen auf möchte ich vorweg sagen –, dass wir vorwiegend ein Landesebene bereits genießen. Schließlich sind sie vor Problem der Durchsetzung des Rechts im Internet haben Ort deutlich stärker betroffen.

Ich will Ihnen ein Beispiel nennen, das mir dabei ein- 1) Namensverzeichnis der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Wahl fällt, nämlich Markus Nierth. Anfang 2015 engagierte er siehe Anlage 5 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15353

Manuel Höferlin (A) und dass wir nicht unbedingt neue Gesetze brauchen, um (Beatrix von Storch [AfD]: Oder „bis aufs Blut (C) uns dort durchzusetzen. bekämpfen“! Das war Herr Laschet!)

Wenn wir aber heute über Hassrede und Hasskrimina- Das ist die Fortführung dessen, was Sie hier vorleben. lität sprechen, dann, finde ich, müssen wir vor allen Din- Auch auf der anderen Seite gibt es Worte, die gewählt gen darüber sprechen, wo denn beide ihren Ursprung ha- werden, zum Beispiel, dass man politische Gegner auf- ben. Wir müssen uns darüber unterhalten, ob nicht das fordert, zu schottern. Das ist ein paar Jahre her. Trotzdem wichtigste Werkzeug in unserer Gesellschaft, um die Zu- sind das Worte, die zu realer Gewalt führen, die deshalb kunft zu gestalten, verloren gegangen ist, nämlich die gewählt werden, weil politische Auseinandersetzung of- Fähigkeit, Konflikte mit Worten auszutragen, die Fähig- fensichtlich nicht mehr ausreicht und durch Taten fortge- keit, eine andere Meinung auch als Bereicherung zu emp- führt werden soll. finden, als Teil des demokratischen Diskurses, und die Fähigkeit, mit Sachargumenten anstatt mit Totschlagar- (Widerspruch der Abg. Renate Künast gumenten zu arbeiten. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Niemand hier wird wahrscheinlich widersprechen, – Es ist aber die Verwandlung von Worten in Taten und in wenn ich behaupte, dass wir vor allen Dingen mehr über Gewalt, Frau Kollegin Künast. – Genau das ist es, worü- die Art und Weise, wie wir miteinander diskutieren, spre- ber wir hier sprechen, und die Einsicht liegt bei null, chen müssen, und darüber, dass es gleichzeitig eine Zu- rechts wie links, und dazwischen bewegen sich wahnsin- nahme enthemmter, emotionalisierter, verrohter Sprache nig viele Menschen, die einfach nur möchten, dass wir gibt – an vielen Stellen, nicht nur im Netz, sondern in der uns hier mit Worten in der Sache auseinandersetzen, und Breite der Gesellschaft – und dass der gegenseitige Res- das geht total verloren. pekt für die andere Meinung verloren geht. Das Schlimme (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten daran ist, dass aus den Gedanken, die dem vorangehen, der CDU/CSU) Worte werden, dass den Worten dann Taten folgen. Die Worte sind der Dünger für die Entstehung der Gewalt, die Wir sollten uns also mehr mit dem Sachargument be- danach folgt. schäftigen. Wir sollten mehr einen respektvollen Umgang miteinander pflegen. Wir sollten der Gegenmeinung nicht Wenn wir hier als Parlamentarier darüber reden, wie damit begegnen, dass wir sagen: Der ist politisch völlig Hass in der Gesellschaft zu bekämpfen ist, dann müssen anderer Meinung, ich komme nicht mehr weiter, und jetzt wir aber auch darüber reden, wie wir uns hier verhalten: fange ich an, mit roher Sprache dagegen zu argumentie- Halten wir die Grundregeln des Umgangs miteinander ren. – Der nächste Schritt ist, dass die Sprache zum Straf- (B) ein? Sie haben es vorhin gesagt, Herr Lange – auch einer tatbestand wird, und dem folgt nachher die Gewalt. Viele (D) der Staatssekretäre hat es heute Morgen gesagt –: Die Art, der Kollegen aus allen Fraktionen haben in den letzten wie mit dem Kollegen, der hier am Rednerpult im Plenum Wochen Auseinandersetzungen, Gewalttaten – zum Probleme hatte, umgegangen wurde, ist ekelhaft, und das Glück meistens nicht gegen Leib und Leben – gegen ihre zeugt von null Respekt vor der Menschlichkeit; eine Art Wahlkreisbüros erlebt. Warum? Weil die Worte des poli- der Auseinandersetzung, die auch hier im Parlament exis- tischen Diskurses nicht mehr ausreichen und man an- tiert. fängt, Scheiben einzuschlagen. Das ist der Beginn einer Verrohung, der wir hier auch ein Stück weit vorbeugen (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, müssen. der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jörn König [AfD]) Wenn wir hier das Herz der Demokratie in Deutschland sind, vielleicht auch eines der Herzen in Europa, dann Wenn wir uns hier mit Gegenargumenten auseinander- müssen wir mit gutem Vorbild vorangehen. Dafür braucht setzen – deswegen sind wir hier; wir sind nicht hier, um es keine neuen Gesetze. Dafür braucht es vor allen Din- uns gegenseitig damit zu beweihräuchern, dass wir alle gen die Durchsetzung des Rechtsstaats und Vorbilder, die die gleiche Meinung haben –, dann gehört dazu aber auch wir hier sein müssen. Denn wer, wenn schon wir hier der Respekt vor dem Gegenargument. Dass der nicht nicht ordentlich miteinander diskutieren, soll denn drau- praktiziert wird, erlebe ich hier oft in Form einer vehe- ßen in der Gesellschaft, im Alltag, in der Kommunalpo- menten Brüllwand, die zu hören ist. Diese Brüllwand litik, im Verein und im Ehrenamt miteinander ordentlich kenne ich so aus meiner vorherigen Zeit hier nicht. So debattieren? In dem Sinne fasse ich diese Aktuelle Stunde schlimm war sie noch nie. auch ein Stück weit als Gelegenheit zur Selbstreflexion auf, damit wir hier mit mehr Vorbildcharakter agieren. (Zurufe von der AfD: Oah!) Herzlichen Dank. Es ist aber auch die Art und Weise, in welche Worte (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten etwas gefasst wird. Wenn jemand Worte wählt wie, man der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des werde Kollegen „jagen“ oder Personen „entsorgen“, dann BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sollte man sich klarmachen: Wir sind ein Vorbild für die- jenigen, die aus der gleichen Partei auf kommunalpoliti- scher Ebene dies fortspinnen. Liebe Kollegen der AfD, Vizepräsident Thomas Oppermann: ein kommunalpolitisch tätiger Kollege von Ihnen sagte, Vielen Dank. – Nächste Rednerin für die Fraktion Die man solle den politischen Gegner an die Wand stellen. Linke ist die Kollegin Petra Pau. 15354 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Vizepräsident Thomas Oppermann (A) (Beifall bei der LINKEN) Ich nannte gerade den 11. November 2011. An diesem (C) Tag geschah noch etwas anderes, das sich mir tief einge- Petra Pau (DIE LINKE): prägt hat. Im Bundesamt für Verfassungsschutz wurden Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und massenhaft Akten vernichtet und somit den parlamentari- Kollegen! Die Fraktion Die Linke lehnt Hass und Gewalt schen Untersuchungen zum NSU-Nazi-Mord-Komplex als Mittel der Auseinandersetzung, auch der politischen, entzogen. Zur Verantwortung gezogen wurden die dafür strikt ab. Zuständigen nie. Drei Monate später versprach die Bun- deskanzlerin den Angehörigen und Über- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- lebenden des NSU-Terrors die bedingungslose Aufklä- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) rung. Davon kann bis heute keine Rede sein. Hass und Gewalt sind demokratiefeindlich und un- menschlich. Gleichwohl nehmen Hass und Gewalt dra- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- matisch zu, im Internet und im wahren Leben. Sie be- ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE treffen nicht nur namhafte Persönlichkeiten, sondern GRÜNEN) ebenso Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpoliti- Die Zuständigen haben die Kanzlerin hier in den Meineid ker, Fußballschiedsrichter, Journalisten, Migranten, Men- getrieben. schen mit Behinderungen, Obdachlose – und ich könnte die Liste fortsetzen. Das ist besorgniserregend und nicht Staatliches Versagen dieser Art ist kein Einzelfall, hinzunehmen. Stichwort „Neukölln“, wo Nazis – Faschisten, sage ich – Aber wir müssen auch ehrlich sein, liebe Kolleginnen seit Jahren wüten, Anschläge verüben – gefasst und be- und Kollegen: Das kommt nicht überraschend; es war langt wurden sie bis heute nicht. Das ist ein Skandal. vorhersehbar. Ich war dabei, als Professor Heitmeyer (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- und sein Wissenschaftlerteam am 11. November 2011, neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) also lange bevor zahlreiche Flüchtlinge zu uns kamen, die Ergebnisse einer Langzeitstudie über „Deutsche Zu- Damit zum Schluss. Die Lösung zu alledem liegt nicht stände“ vorstellten. Das Fazit der Wissenschaftler in in immer noch mehr Personal und immer neuen Befug- Kurzfassung: Die gruppenbezogene Menschenfeindlich- nissen für die Sicherheitsbehörden. Ich denke, die Mitar- keit nimmt zu, ebenso die Akzeptanz von Gewalt als beiterinnen und Mitarbeiter müssen besser ausgebildet, Politikersatz. Zu den Ursachen sprachen sie ebenso kurz: mehr sensibilisiert und auch konsequent geführt werden. Das Soziale wird ökonomisiert, die Demokratie entleert. Wir müssen uns eingestehen: Wir haben hier ein gesell- Auf Politikdeutsch nennt man das „neoliberal“. Die Linke schaftliches Problem – und nicht erst dann, wenn etwas (B) lehnt das bekanntlich konsequent ab. passiert ist. Es ist eine Alltagsaufgabe, dass wir uns um (D) Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, Hass und Ge- die Demokratie nicht nur kümmern, sondern für sie walt wüten nicht nur irgendwo da draußen. Seit dem Ein- kämpfen. zug der AfD in den Bundestag werden sie auch hier an (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem diesem Pult gepredigt. Herr Jongen, drei Zitate: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ... wir werden Frau Merkel oder wen auch immer jagen ... Vizepräsident Thomas Oppermann: – Herr Gauland. Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Irene Mihalic für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü- ... Kopftuchmädchen, alimentierte Messermänner nen. und sonstige Taugenichtse werden unseren Wohl- stand ... nicht sichern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Frau Weidel. Wir haben ... mit ... Sozialleistungen Menschen nach Dr. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Marxloh gelockt, die ... dafür gesorgt haben, dass es Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- dort nun Kakerlaken- und Rattenplagen gibt. ren! Leider erleben wir schon lange, was es heißt, wenn die Saat des Hasses aufgeht, und zwar nicht erst seit dem – Herr Sichert. Mord an Walter Lübcke, dem antisemitischen Anschlag Deshalb wiederhole ich: Die AfD ist demokratisch ge- in Halle oder den aktuellen Morddrohungen gegen Mit- wählt, völlig klar. Aber deshalb sind Sie noch lange keine glieder dieses Hauses. Schon seit Jahren breitet sich der demokratische Partei. Hass vor allem im Virtuellen, aber auch außerhalb unver- blümt aus. Menschen, die sich ehrenamtlich für unser (Beifall bei der LINKEN, der SPD, der FDP Gemeinwesen engagieren, leiden darunter, auch weil sie und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie oft schutzlos sind. Deshalb haben sie all unsere Unter- bei Abgeordneten der CDU/CSU) stützung und uneingeschränkte Solidarität verdient. Wer so etwas hier in den Raum stellt, ruft zu Hass auf. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Nun ist diese Aktuelle Stunde zum Thema „Hass und bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abge- Gewalt“ sicher richtig, entscheidend ist aber, dass Hass ordneten der CDU/CSU und des Abg. und Gewalt im Alltag erkannt und auch geahndet werden. Grigorios Aggelidis [FDP]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15355

Dr. Irene Mihalic (A) Schlimm ist, dass sich schon viele an diesen Hass ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) wöhnt haben und ihn inzwischen als etwas völlig Norma- und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten les empfinden. Das Perfide ist aber, dass diejenigen, die der SPD) den Hass kübelweise über andere Menschen auskippen, Es ist gut, dass alle Demokratinnen und Demokraten permanent behaupten, in Deutschland dürfe man ja nichts diese Verantwortung mittlerweile wirklich glasklar be- mehr sagen. Aber Hass ist keine Meinung. nennen und Handlungswillen zeigen. Das ist die richtige Reaktion. Über das Wie werden wir im parlamentarischen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Diskurs selbstverständlich zu diskutieren haben, und ge- bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abge- nau das unterscheidet hier im Haus fünf Fraktionen von ordneten der CDU/CSU und des Abg. der sechsten. Grigorios Aggelidis [FDP]) Die Fraktionen des Verfassungsbogens von der Linken Immerhin: Nach den jüngsten Anschlagsereignissen wird bis hin zur CDU/CSU sind zweifellos politische Gegner immer mehr Menschen das volle Ausmaß des Hasses mit völlig unterschiedlichen politischen Konzepten. Aber bewusst, der über Jahre hinweg kommuniziert, organi- es ist ein Kernelement der parlamentarischen Demokratie siert, vernetzt und mobilisiert wurde. Es ist wirklich in Deutschland nach allen historischen Erfahrungen, dass höchste Zeit, diesem Hass entschlossen zu begegnen, wir politische Konkurrenten sind, aber eben keine Feinde. und zwar mit allem, was unseren demokratischen Rechts- Die AfD denkt nur in Kategorien der Feindschaft. staat ausmacht. (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Völliger Blödsinn! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sie verleumden uns! – Beatrix von Storch sowie bei Abgeordneten der SPD) [AfD]: Schließen Sie nicht von sich auf ande- re!) Genau dieses Signal senden wir heute, liebe Kollegin- Das spiegelt sich in Ihrem ganzen Auftreten wider. Ihnen nen und Kollegen. Ich bin den Koalitionsfraktionen sehr geht es um pure Destruktivität. Es gibt von Ihnen keinen dankbar, dass sie diese Aktuelle Stunde unter genau die- einzigen positiven Debattenbeitrag, sem Titel aufgesetzt haben. Denn genau darum geht es: entschlossen für die zentralen Wesensmerkmale einer of- (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das entscheiden fenen und freien Gesellschaft einzutreten und diese We- Sie doch nicht!) sensmerkmale nicht angstvoll und verschämt zu ver- und den wird es auch nie geben. Ihr natürlicher schweigen oder sogar preiszugeben. Bündnispartner ist der Hass. (B) Diese Klarheit – das muss ich hier leider auch in Er- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (D) innerung rufen – war nicht immer da. Nach den Angriffen bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abge- auf Migrantinnen und Migranten in den frühen 90er-Jah- ordneten der CDU/CSU und der FDP) ren gab es in der Politik einen ganz anderen Reflex. An- Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen von der statt gegenüber der sich neuformierenden Naziszene – wir CDU, bin ich Ihrem Generalsekretär – ich reden hier über die Generation Böhnhardt, Mundlos und sage das nicht oft – für seine klaren Worte sehr dankbar Zschäpe – wirklich kompromisslos klare Kante zu zeigen, und rate Ihnen dazu: Bleiben Sie entschlossen! Kooperie- hat man genau das Gegenteil gemacht und das Problem ren Sie nicht mit den Bündnispartnern des Hasses, bei den Opfern gesucht. Das Grundrecht auf Asyl wurde damals de facto abgeschafft, und damit wurde sogar dem (Beifall der Abg. Dr. Kirsten Kappert-Gonther Kalkül der Täter entsprochen. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Marian Wendt [CDU/CSU]: Nicht mit der AfD und ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: der Linken!) Richtig!) nicht in Thüringen und nicht anderswo! Wir wissen aus Genau wie nach den Anschlägen auf Geflüchtete nach unserer Geschichte, dass Einrahmungsstrategien und 2015: Wieder blieben Täterstrukturen, Vernetzungen und Bündnisse mit Faschisten in die größte Katastrophe der Strategien nahezu unbehelligt. Die Anschläge wurden Menschheit geführt haben. Das ist eine historische Lehre, sogar mit Worten wie „Resonanzstraftaten“ semantisch die wir niemals vergessen sollten. heruntergespielt. Am Ende wurde das Asylrecht wieder (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, verschärft, nach dem Motto: Man muss doch die Wut der bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abge- sogenannten Asylkritiker – was ist das überhaupt für ein ordneten der FDP) Wort? – verstehen. – Nein, muss man nicht. Ich will es ohne Umschweife sagen: Es ist bedrückend, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dass der parteipolitisch organisierte Hass in einigen Bun- und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten desländern ein Viertel der Wählerstimmen auf sich ver- der SPD) einigen kann.

Anschläge gegen Menschen, gegen Geflüchtete, gegen (Beifall des Abg. Lorenz Gösta Beutin [DIE Politiker, gegen Besucher von Moscheen und Synagogen LINKE]) sind verabscheuungswürdig, und es muss alles getan wer- Aber darauf kann man nicht mit der Preisgabe wesent- den, um sie zu verhindern. Punkt! licher demokratischer Prinzipien reagieren oder sich so- 15356 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Dr. Irene Mihalic (A) gar vom Hass die politische Agenda diktieren lassen. Bei Letzterem frage ich mich übrigens: Welche Art von (C) Ganz im Gegenteil: Wir müssen die Menschen für die Posts sollten eigentlich unter diesem Hashtag zusammen- Demokratie gewinnen, indem wir die Stärken des Parla- kommen? Bestimmt nicht Artikel, die das Lebenswerk mentarismus wieder neu leben und kontroverse Diskus- von Udo Lindenberg würdigen. sionen zur Sache führen, sodass wieder jede und jeder im Land bei ganz zentralen Fragen mitdiskutieren kann. (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜND- Nicht in der Einschränkung von Rechtsstaat und Parla- NIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Udo mentarismus liegt die Antwort, sondern darin, diese zent- Theodor Hemmelgarn [AfD]) ralen Bestandteile unseres Zusammenlebens viel stärker Ich muss sagen: Wer im Netz als Mr. Hyde unterwegs und uneingeschränkt zu betonen. Das ist die Lehre in ist, der kann sich nicht an anderer Stelle darauf berufen, Zeiten, in denen Hass und Feindschaft uns alle heraus- als Dr. Jekyll zu agieren. Vielmehr handelt es sich um eine fordern. einzige Person, die sich an ihrem Handeln in dem einen Ganz herzlichen Dank. Fall auch in der anderen Funktion messen lassen muss. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜND- bei der SPD und der LINKEN sowie des Abg. NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- Thomas Hacker [FDP]) ten der SPD, der FDP und der LINKEN) Die Entwicklung mag verschiedene Ursachen haben. Vizepräsident Thomas Oppermann: Der Soziologe Kai Unzicker von der Bertelsmann-Stif- Nächste Rednerin ist die Kollegin Elisabeth tung, also nichts Rechts- oder Linksradikales, jedenfalls Winkelmeier-Becker für die Fraktion der CDU/CSU. führt es konkret auch auf die Rolle der AfD zurück, dass nahezu alles sagbar erscheint, egal wie rassistisch, men- (Beifall bei der CDU/CSU) schenverachtend oder geschichtsvergessen es auch ist. Ich empfehle, sich hierzu mal die Facebook-Seite „Wir Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): werden sie jagen“ anzusehen, wo Zitate von AfD-Politi- Danke schön. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und kern zusammengestellt und dokumentiert werden. Was Kollegen! Liebe Zuhörer auf den Tribünen! Wir hatten hier vielleicht noch unter die nun wirklich zu Recht und schon in der letzten Sitzungswoche Anlass, über die De- gerade im politischen Raum sehr weiten rechtlichen mokratie zu sprechen, über die Bedeutung des freien Grenzen der Meinungsfreiheit einzuordnen ist, hat jeden- Wortes, des Austausches, über dieses wichtige Merkmal falls schon längst jeden Anstand verlassen. unseres Staates: die Meinungsfreiheit, die für diese De- (B) (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der (D) mokratie auch existenzielle Bedeutung hat. LINKEN) Ich denke, es ist klar, dass die Meinungsfreiheit gegen- Und das wirkt. Der Diskurs wird vergiftet. Indirekt über dem Staat uneingeschränkt wirkt und Gültigkeit hat. wird die Meinungsfreiheit anderer eingeschränkt, aber Aber wir sehen immer mehr das Problem, dass aus ande- auch die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen und ihre rer Richtung Grenzen für die Meinungsfreiheit und Be- Handlungsfreiheit. Im Extremfall gefährdet es sogar Leib drohungen erwachsen. Shitstorms und Mobbing, Beleidi- und Leben. Hier verschiebt sich auch unsere Rolle als gung, massive Drohungen, Hass und Hetze in den Social Staat und als Gesetzgeber. Aus dem Recht auf Meinungs- Media – wer will da eigentlich noch von Social Media freiheit folgt nicht nur mehr das Abwehrrecht gegen den reden? Diese Einschränkungen und Bedrohungen gehen Staat, sondern es ruft uns auch auf, zu handeln und Regeln von anderen Nutzern aus. Das sind diejenigen, um die wir zu setzen und durchzusetzen, die die Meinungsfreiheit uns heute kümmern müssen. Wir müssen Hass und Hetze wieder sichern. Dazu braucht es ein gezieltes Vorgehen brandmarken, weil wir sie als Gefahr für unsere Demo- gegen solche Hass- und Hetzrede. kratie sehen. Sie zielen darauf, andere einzuschüchtern, und missbrauchen damit die eigene Meinungsfreiheit. Deshalb ist es gut, dass wir mit dem Paket, das die Innen- und Rechtspolitiker vorgelegt haben, jetzt einstei- Immer weiter werden die Grenzen des Sagbaren ver- gen und weitere Schritte gehen. Aus dem Blickwinkel der schoben. Kann man jetzt wieder sagen: „Ich glaube nicht Rechtspolitik ist es besonders wichtig, dass die Zusam- an den Holocaust“? Kann man Politikerinnen aufs Übel- menarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden verbessert ste sexistisch beleidigen? Darf man missliebige Men- wird; denn da, wo die zuständige Staatsanwaltschaft ei- schen „entsorgen“? Darf man den Wahlzettel bei der nen Post für strafrechtlich relevant hält, muss sie schnell Kanzlerinnenwahl mit zur Toilette nehmen und ein Foto alle möglichen Angaben bekommen, um den Täter zu davon öffentlich posten? Darf man so das Amt der Bun- identifizieren und gegen ihn vorzugehen. Bisher ist im deskanzlerin beschädigen? NetzDG nur geregelt, dass man praktisch einen Briefkas- (Ulli Nissen [SPD]: Nein!) ten hat und eine Antwort bekommt; aber es gibt keinen materiellen Anspruch auf die Daten, die dann gebraucht Ein Bürgerlicher, ein Konservativer würde das nicht tun. werden. Diesen müssen wir jetzt schaffen. Darf man den Hashtag „#Judaslohn“ platzieren und damit antisemitische Klischees bedienen? Ich bin auch sehr froh, dass wir endlich unsere jahre- lange Forderung nach einer Erhöhung des Strafrahmens (Beatrix von Storch [AfD]: Das sagen Sie mal bei Beleidigung im Netz aufgreifen; denn es ist wirklich Herrn Lauterbach! Klassisches Beispiel!) etwas anderes, ob eine Beleidigung auf einem Marktplatz, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15357

Elisabeth Winkelmeier-Becker (A) in der Gaststätte oder eben im Netz passiert, das nichts Nach Ihrer Definition ist das gerade Hate Speech. Warum (C) vergisst. tun Sie nichts gegen diese Hassrede? Na klar, Sie nutzen sie, von der Mitte bis ganz links. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) ( [SPD]: Es gibt auch einen In- telligenznotstand! – Heiterkeit – Gegenruf des Das müssen wir jetzt schnell umsetzen, und auch danach Abg. [AfD]: Der ist in der dürfen wir nicht zur Tagesordnung übergehen; denn es SPD besonders groß!) steht viel auf dem Spiel. In demokratischen Ländern bedeutet Notstand in der Vielen Dank. Regel die Verkürzung des Rechtsschutzes gegen staatli- che Maßnahmen. Wir ahnen, was hier vorbereitet wird: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Verbote, die die Einschränkung der bürgerlichen Gegen- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE wehr bedeuten. Diese umfassen die Nutzung von privaten GRÜNEN) Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor, das Bewohnen von mehr als einer noch festzulegenden Anzahl von Quadrat- Vizepräsident Thomas Oppermann: metern Wohnraum, das Heizen mit fossilen Energieträ- Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der gern, die Erhebung von annähernd kostendeckenden oder AfD der Kollege Martin Hebner. gar renditeorientierten Mieten, die Ermöglichung des Einspruchs gegen Windparks vor dem eigenen Haus, (Beifall bei der AfD) die Inanspruchnahme von Meinungsfreiheit und Bürger- rechten. Martin Hebner (AfD): Herr Präsident! Verehrte Kollegen! Völlig klar ist: Be- All das und noch viel mehr kann unter Umständen wegfallen, natürlich alles nur im Sinne einer guten Sache, stehende Gesetze sind konsequent anzuwenden und der die – ebenso natürlich – von links definiert wird. Wer Rechtsstaat mit Nachdruck zu verteidigen. Dafür steht die AfD. dagegenspricht, spricht Hassrede. (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der AfD – Lachen bei der SPD so- NEN]: Was erzählen Sie da für einen Blöd- wie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ sinn?) DIE GRÜNEN – Yasmin Fahimi [SPD]: Ich wusste gar nicht, dass Sie so viel Selbstironie Bislang landete er dann auf der Meldeplattform eines haben! – [CDU/CSU]: Es sind Herrn Böhmermann. (B) noch vier Tage bis zum 11.11.!) (D) (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Nur linke Hetzplattformen wie Indymedia bleiben heu- NEN]: Machen Sie sich doch nicht immer zum te unangetastet. Und zum Entsetzen vieler Bürger drau- Opfer!) ßen versagt der Staat auch bei der Bekämpfung von kri- Doch jetzt hat Herr Haldenwang den TV-Clown Böhmer- minellen Ausländern, mann abgelöst. Durch den Bundesverfassungsschutz (Zuruf von der CDU/CSU: Bingo!) wurde eine staatliche Melde- und Denunziationshotline eingerichtet. Dort erfolgt wie zu finstersten Zeiten die zum Beispiel bei Ibrahim Miri, wo der Staat bei der Aus- Bürgerbespitzelung. weisung völlig versagt. Oder: der Unwillen des Staates, seine Grenzen zu schützen. Währenddessen haben hier (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Wer hat denn die etliche der Redner im wahrsten Sinne des Wortes Hate Seite eingerichtet für Lehrer? – Gegenruf von Speech auf ihren Lippen. der AfD: Ja, Sie sind das gewöhnt!) Am meisten aber erstaunt die Ruhe, mit der einschnei- Das kommt davon, wenn man einen Mann mit Rückgrat dende rechtliche Änderungen von der Gesellschaft, von wie Herrn Maaßen durch einen willfährigen Bürokraten Medien und Politik quittiert werden. Dabei ist die Erosion ablöst. unserer freiheitlichen Demokratie nicht zu übersehen. (Beifall bei der AfD – Zurufe von der CDU/ Mit Worten beginnt es: Etliche Städte haben hierzulande CSU und der SPD: Oh! – Marian Wendt den „Klimanotstand“ erklärt. In der letzten Woche erfolg- [CDU/CSU]: Schämen Sie sich!) te in Dresden der Ausruf des „Nazinotstands“. Der Tatbestand „Hassrede“ ist bewusst unbestimmt ge- Nun könnte man meinen, dass gerade mit dem Wort halten, weil man erkannt hat, dass mit dem Vorwurf der „Notstand“ ein sensibler Umgang angebracht wäre. Not- Verleumdung, übler Nachrede, Beleidigung oder gar standsgesetze führten nach Weimar direkt in die Nazidik- Volksverhetzung dem freien Denken und Argumentieren tatur; das berüchtigste war das Ermächtigungsgesetz vom der Bürger nicht beizukommen ist. März 1933. Danach wurde das Parlament für die Mitwir- kung an Gesetzen obsolet. (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das ist so blöd, was Sie vorlesen! Das Notstand spaltet die Gesellschaft. kann man nicht verstehen!) (Ulli Nissen [SPD]: Sie spalten die Gesell- Wenn sich aber Nachbarn nun gegenseitig anzeigen kön- schaft!) nen – sogar anonym und damit für den Denunzianten 15358 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Martin Hebner (A) folgenlos –, haben viele der „Roten Socken“, der über- ( [DIE LINKE]: Hoffentlich ist (C) lebenden Nazispitzel und weitere viel erreicht. Und weil das bald zu Ende!) diese Inquisition links ist, ist aus Ihrer Sicht alles Hass- Hier geht es um eine politische Kampagne, und wir stehen reden als rechts zu sehen. für die Freiheit der Bürger und gegen politische Kampag- (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nen, in diesem Falle gegen diese von Ihnen inszenierte NEN]: Sie tun nicht mal so, als würden Sie frei Hetzjagd und das Abwürgen von konservativen Meinun- reden!) gen im gesellschaftlichen Kontext. Und genau das ist Ihr Denkfehler; denn Professor Nadine (Ulli Nissen [SPD]: Sie können nur eines: Hass, Strossen, die ehemalige Vorsitzende der American Civil Hass, Hass!) Liberties Union argumentierte, die Reaktion auf Hate Wir brauchen kein Wahrheitsministerium. Speech in der EU sei vollkommen falsch. Ich zitiere: Vielen Dank. (Zuruf von der SPD: AfD-Propaganda!) (Beifall bei der AfD) Egal wie gut gemeint: In der Praxis ist das Verbot von „Hate Speech“ bestenfalls wirkungslos und im schlimmsten Fall kontraproduktiv. Vizepräsident Thomas Oppermann: Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege Uli Frau Strossen erklärt: Grötsch für die Fraktion der SPD. Hass ist eine Emotion. Es gibt kein allgemeingülti- ges Konzept der „Hate Speech“. Uli Grötsch (SPD): Vielen Dank, sehr geehrter Herr Präsident. – Liebe (Dr. Karamba Diaby [SPD]: Peinlich!) Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie mir zu Beginn – Und weiter: meiner Rede zwei Klarstellungen, zum einen zu dem Thema Notstand – was Sie eben angesprochen haben, In der westlichen Welt scheinen wir den grundlegen- Herr Hebner: Ich glaube eher, dass man im Falle eines den Zusammenhang zwischen Meinungsfreiheit und Notstands sofort konsequent handeln muss, und das, glau- allen anderen Freiheiten in der Gesellschaft verges- be ich, war das, was der Stadtrat von Dresden mit dem sen zu haben. „Weg mit der Redefreiheit“ bedeutet Begriff „Nazinotstand“ zum Ausdruck bringen wollte. „Weg mit der freien Gesellschaft“. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (B) Das ist definitiv nicht im Sinne der Bürger, und dagegen DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der AfD) (D) wenden wir uns als AfD. Und weil beide Redner ihrer Fraktion den Vorschlag (Beifall bei der AfD – Yasmin Fahimi [SPD]: eines „Hinweistelefons Rechtsextremismus“ beim Bun- Hass ist keine Meinung!) desamt für Verfassungsschutz kritisiert haben: Sie wissen wahrscheinlich nicht, dass es eine Forderung Ihrer Frak- Im Übrigen kann ich nur sagen: Die Herren Lindner und tion war, ein „Hinweistelefon Linksextremismus“ einzu- de Maizière haben ja bereits Erfahrungen damit, was pas- richten – also ein typischer Reflex, den wir hier alle ken- siert, wenn man die Büchse der Pandora der Linken über- nen. Also reden Sie nicht über Denunziantentum, sondern lässt. informieren Sie sich erst, wo Ihre eigenen Forderungen liegen. Hate Speech ist im Übrigen ein politischer Begriff und kein juristischer. Dementsprechend ist die Definition po- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ litisch beliebig. DIE GRÜNEN) (Zuruf der Abg. Ulli Nissen [SPD) „Wir werden dir mit einem Messer ein Kreuz in dein Gesicht ritzen, so wie ein Hakenkreuz!“, „Tötet Uli Gröt- Es geht Ihnen hier um ein Machtmittel, um nicht mehr; sch – Genickschuss wie bei Lübcke!“, „Die Phase denn ansonsten würden Sie gegen – und ich zitiere wie- bevorstehender Säuberungen wurde mit Herrn Lübcke derum – Hate Speech wie „Faschist“, „Pack“, „Ratten“, und dem Herrn Hollstein eingeleitet. Es werden ihm noch (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- viele weitere folgen, unter anderem Sie!“ – Diese An- NEN]: Wer hat Ihnen das eigentlich aufge- griffe gegen mich, gegen Claudia Roth, gegen Cem schrieben?) Özdemir, gegen Michael Roth und viele, viele andere fallen nicht vom Himmel, liebe Kolleginnen und Kolle- „Nazidrecksau“ oder auch – was einer Kollegin von den gen. Morddrohungen, Hassreden und Hasskriminalität Grünen passiert ist –„Drecksfotze“ anders einschreiten. mehren sich in diesem Land, seit Rechtsextremisten in den Parlamenten und überall in Deutschland und Europa (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wieder ihr Gift versprühen. NEN]: Sie brauchen mich nicht zu verteidi- gen!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hier der deutliche Hinweis: Hate Speech ist ganz klar etwas anderes als ein Eingriff in die Persönlichkeitsrech- Die allermeisten Straftaten gegen Politikerinnen und te. Politiker seit 2016 sind rechts motiviert. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15359

Uli Grötsch (A) (Jörn König [AfD]: Das stimmt nicht!) (Jörn König [AfD]: Wir bilden die von Ihnen (C) 2016 waren es mehr als 800. Das sind Angriffe auf alle gewollte Spaltung nur ab!) Demokratinnen und Demokraten in diesem Land, und Wir werden unser Maßnahmenpaket gegen Rechtsextre- deshalb müssen wir uns alle wehren. mismus sehr zügig in Gesetzesform gießen; das wurde eben schon gesagt. Hass und Hetze in den sozialen Netz- (Beifall bei der SPD – Jörn König [AfD]: Die werken werden wir konsequent strafrechtlich verfolgen, meisten waren gegen AfD-Mitglieder gerich- tet! – Zuruf von der AfD: Hier wird mit zwei- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) erlei Maß gemessen!) und unsere Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpo- Vielleicht fragen Sie sich einmal, ob es Zufall sein kann litiker werden wir strafrechtlich besser vor Hetze oder Sie es nicht doch so wollen, dass die Hasskrimina- schützen. lität in diesem Land kontinuierlich steigt, seit Sie auf die politische Bühne gestiegen sind. Von 2014 auf 2015 hat (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sich die politisch motivierte Kriminalität von rechts fast des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – verdoppelt, und zwar von 5 000 auf 9 500 Delikte. 2016 Beatrix von Storch [AfD]: Sie haben in den verzeichneten wir einen weiteren Anstieg, nämlich 9 700 letzten zwei Jahren ein Drittel Ihrer Wähler ver- politisch motivierte Straftaten von rechts. loren! Ein Drittel! Schlechte Zeiten für die SPD!) (Zuruf von der AfD: Von rechts? Sie müssen Ich bin vor allem , unserer Bun- auch einmal sehen, wie die Daten ausgewertet desjustizministerin, sehr dankbar, dass sie mit ihrer Null- werden, lieber Kollege!) Toleranz-Haltung gegen rechts ganz klar zeigt, wo ihr und Und weil Sie den Vergleich mit links so lieben: Von unser Schwerpunkt liegt. Gerade wir Sozialdemokraten, links gab es im Jahre 2016 75 politisch motivierte Straf- die Hunderte Opfer des Nazifaschismus zu beklagen ha- taten. ben, wissen, was in unserer Gegenwart auf dem Spiel steht. (Zuruf von der AfD: Hört, hört!) Den Bürgerinnen und Bürgern auf den Tribünen oder Auch das sind 75 zu viel, um das ganz klar zu sagen. vor dem Bildschirm möchte ich zum Schluss noch sagen: (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Mit Gesetzen und Strafverfolgung allein ist es nicht ge- DIE GRÜNEN – Zuruf von der AfD) tan. Die Verteidigung unserer Demokratie ist eine ge- samtgesellschaftliche Aufgabe. Wer ein weltoffenes, frei- Aber es sind 75 im Vergleich zu 9 700! Merken Sie was? (B) heitliches Deutschland will, der muss jeden Tag mit (D) (Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der anpacken, zum Beispiel in der Schule. AfD – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei Abgeordneten der SPD) GRÜNEN]: Die merken leider nichts!) Und deshalb fordere ich auch weniger Plusquamperfekt Und jetzt die erschreckendste Zahl: Kevin Schwarze – und mehr Demokratieunterricht in deutschen Schulen, jetzt sind wir beim Terroranschlag von Halle – war das liebe Kolleginnen und Kollegen. 199. Opfer des Rechtsextremismus seit 1990 nach der Zählung der Amadeu-Antonio-Stiftung. (Beifall bei der SPD) (Zurufe von der AfD: Na, das sind die Richti- Aber auch im Verein, am Arbeitsplatz und in der Fami- gen!) lie sind wir alle gefragt: gegen Spaltung, gegen Hetze; denn zuerst kommt immer das Wort. Die SPD haben Sie Und ich bezweifle, dass Kevin das letzte Opfer bleibt. In an Ihrer Seite. Wir sind mehr, liebe Kolleginnen und Kol- Deutschland befinden sich legale Waffen in den Händen legen von den demokratischen Fraktionen! von fast 800 Rechtsextremisten. Legale Waffen in den Händen von beinahe 800 Rechtsextremisten, liebe Kolle- (Beatrix von Storch [AfD]: Ihr seid bald weg! – ginnen und Kollegen! Die vollständige Entwaffnung der Jörn König [AfD]: Ihr werdet immer weniger!) deutschen Neonaziszene ist deshalb eine zentrale Heraus- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. forderung für die Sicherheitsbehörden. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- ordneten der FDP) Vizepräsident Thomas Oppermann: Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Ich sage es noch einmal: Hasskriminalität kommt ein- Alexander Throm für die Fraktion der CDU/CSU. deutig von rechts, und die AfD bereitet nicht nur den Nährboden – Hass ist ihr Geschäftsmodell. (Beifall bei der CDU/CSU)

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Alexander Throm (CDU/CSU): DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der AfD) Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Und deshalb ist es gut, dass sie samt ihrem Geschäfts- Kollegen! Ich möchte mit einem Beispiel aus der realen modell beim Verfassungsschutz auf dem Prüfstand steht. Welt beginnen. Sie erinnern sich sicherlich alle noch an Ja, es brechen schlechte Zeiten für Sie an. die Pegida-Galgen, die Angela Merkel und Sigmar 15360 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Alexander Throm (A) Gabriel galten und die man später sogar noch als Minia- auf Menschen.“. Und auch die Kollegin Strack- (C) turausgabe über das Internet erwerben konnte. Zimmermann von der FDP: Wenn das respektvolle, kulti- vierte Miteinander in der Sprache „nicht mehr juristisch Cem Özdemir – gerade war er noch da – hat damals geschützt wird, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis den gesagt: Der Galgen grenzt an „Aufruf zu Mord“. Und er Worten Gewalt folgt“. brachte, glaube ich, damit das Grundgefühl aller Demo- kraten zum Ausdruck: Das kann doch nicht legal sein, das Wir haben einen parteiübergreifenden Konsens. Des- kann doch nicht in Ordnung sein! – Zwei Staatsanwalt- wegen, glaube ich, ist es an der Zeit, dass wir unseren schaften haben den Fall geprüft. Beide Ermittlungsver- Worten jetzt endlich Taten folgen lassen. Wir als Gesetz- fahren sind eingestellt worden, weil kein Straftatbestand geber müssen dafür sorgen, dass das, was wir alle für verwirklicht war. Alle Kritik im öffentlichen Bereich, im strafwürdig halten, tatsächlich auch strafbar ist. politischen Bereich, von Frau Künast bzw. auch von Mi- nisterpräsident Kretschmann hat da nicht gewirkt. Es ist (Beifall bei der CDU/CSU) die heute geltende Rechtslage. Deshalb habe ich mit verschiedenen Kollegen meiner So etwas passiert nicht nur in Versammlungen; im In- Fraktion bereits Mitte Oktober eine Initiative gestartet, ternet geht es erst richtig ab. Da sollen Menschen, die um das Befürworten von schweren Straftaten unter Strafe einem nicht passen oder die scheinbar falsche Meinung zu stellen. Den Versuch hat es Ende der 80er-Jahre schon haben, verprügelt, aufgeknüpft und an die Wand gestellt einmal gegeben. Anlehnend an die Volksverhetzung woll- werden. Das ist Alltag – und beileibe nicht nur bei Politi- te man einen § 130b StGB einführen, hat es dann aber kern. wegen damals geringer kriminalpolitischer Bedeutung unterlassen. Damals ging es um Flugblätter, heute geht Ich möchte aus dem Internet ein weiteres Beispiel an- es um Posts, die durch einen Klick hunderttausendfach führen: Ein Politpost, den man auch erwerben kann, der die Menschen erreichen. massenhaft verteilt wird, zeigt ein Foto von Graf Stauf- fenberg, auf dem es heißt: „Merkel länger an der Macht Es muss strafbar werden, dass man die Begehung einer als Hitler. … Und kein Stauffenberg in Sicht.“ Ich finde es Straftat so befürwortet, dass es andere zur Tat verleiten besonders perfide, dies in einen Zusammenhang zu brin- könnte. Genauso wie bei der Volksverhetzung ist das gen. Ich verstehe das als einen Aufruf zum Mord, finde es Schutzgut die Wahrung des öffentlichen Friedens. Bei strafwürdig und habe es deshalb auch zur Anzeige ge- einem Straftatbestand geht es nicht nur darum, möglichst bracht. viele Verurteilungen zu erwirken, sondern er wirkt vor allem präventiv. Jeder Hass-Post, der aus diesem Grund (Beatrix von Storch [AfD]: Richtig so!) gar nicht erst geschrieben wird, ist ein Schritt in die rich- (B) Die Staatsanwaltschaft in Heilbronn ebenso wie eine tige Richtung. Deswegen müssen wir dieses Thema an- (D) zweite haben auch hier entschieden: kein strafbarer Hin- gehen. tergrund; Ich würde mich freuen, wenn wir den Konsens, den wir (Jörn König [AfD]: Und jetzt fragen wir uns, sicherlich haben, gemeinsam umsetzen und diese Straf- wer für diese Gesetze verantwortlich ist!) barkeitslücke schließen. weder Volksverhetzung noch eine öffentliche Aufforde- Herzlichen Dank. rung zu Straftaten, für die es eine besonders hohe Straf- androhung gibt. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das heißt aber: Wir haben hier eine Strafbarkeitslücke, Vizepräsident Thomas Oppermann: Herr Kollege Höferlin. Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der (Dr. [CDU/CSU]: Sehr SPD der Kollege . richtig!) (Beifall bei der SPD) Genau diese Situation machen sich diejenigen zunutze: Sie segeln unter dieser Strafbarkeitsebene und bringen Helge Lindh (SPD): ihren Hass in die Welt, ohne dass sich der Staat hier wehren kann. Und ja: Aus diesem Hass – Sie haben es Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine gesagt –, aus Worten können Taten werden. Wir haben es Zeit lang hing an der Wand in meinem Wahlkreisbüro als im Fall von Walter Lübcke bitter erleben müssen; auch da Leihgabe ein explodierend rotes Gemälde mit der Auf- waren die meisten Posts, die meisten Äußerungen in der schrift „No“. Warum „No“? Hetzkampagne nicht strafbar. Wenn sie dann in lauten Tönen saufend ihrer Dumm- Den Zusammenhang zwischen Hetze im Netz und heit frönen, denn am Deutschen hinterm Tresen, Straftaten haben wir eigentlich alle erkannt. Ich möchte muss nun mal die Welt genesen, dann steh auf und ein paar Aussagen zitieren. Bundespräsident Steinmeier: misch dich ein: Sage nein! „Wo die Sprache verroht, ist die Straftat nicht weit.“. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Angela Merkel: „Sprache kann zu Hetze, Hetze zu Taten werden.“. Herr Habeck von den Grünen: „Wir wissen Das stammt aus einem wunderbaren Lied von Konstantin inzwischen, dass aus gewaltbereiter Sprache wirkliche Wecker, und dieses eigentlich alte Lied ist in diesem Mo- Gewalt wird, … aus dem Appell, zu jagen, wirkliche Jagd ment aktueller denn je. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15361

Helge Lindh (A) Warum müssen wir angesichts von Hasskriminalität und Hasskriminalität den Kampf ansagen. Ihretwegen (C) und Hassrede Nein sagen? Warum sind wir alle gefordert? sind wir hier, und allein ihretwegen müssen wir handeln. Weil wir uns einer Form der Bewaffnung entgegensehen. Diese Bewaffnung fordert dringend Entwaffnung. Sie (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der LIN- fordert dies in Form von ganz konkreten Maßnahmen – KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einige wurden schon benannt –, zum Beispiel dadurch, sowie bei Abgeordneten der FDP) dass die Feinde der Verfassung eben buchstäblich keine Es reicht aber nicht, denke ich, einfach nur dagegen zu Zugänge zu Waffen bekommen, dass wir so etwas wie sein. Wofür sind wir dann? Wofür stehen wir? Wenn hier eine Regelanfrage einführen, dass diejenigen, die als Mit- nämlich der – ich zitiere Herrn Jongen von eben – „ge- glieder verfassungsfeindlicher Vereinigungen bekannt rechte Zorn“ einzieht, sind, nicht mehr die Möglichkeit dazu erhalten, dass es auch eine Nachberichtspflicht gibt. (Manuel Höferlin [FDP]: Unmögliches Wort!) All das sind einige unter vielen Instrumenten dieser wenn also der Hass in seiner eben vorgeführten nackten Entwaffnung. Aber die Entwaffnung meint auch eine Ent- Hässlichkeit auftritt, dann müssen wir dem antworten. waffnung der Sprache und des Digitalen. Denn was ist (Martin Reichardt [AfD]: Verbreiten Sie doch Hassrede anderes als eine Waffe in Bild und Wort, ge- keinen Unsinn hier!) richtet gegen die Schwächeren und Schwächsten in die- sem Land? Diese Entwaffnung ist dringend notwendig; Wir müssen dem antworten mit der Schönheit der Vielfalt aber auch das reicht nicht. und dem Pluralismus, den wir alle darstellen. Wir müssen dem antworten mit der Anmut der Debatte und des Streits Die „lauten Töne“, von denen ich eben mit Konstantin der Argumente von links bis konservativ. Wir müssen Wecker sprach, der Suff des Völkischen und der „Deut- dem antworten mit der Würde der Mehrheiten und der sche hinterm Tresen“ sind mit der AfD in dieses Parla- Minderheiten. Wir müssen dem antworten mit der Aner- ment eingezogen. Der Hass ist in dieses Parlament und in kennung derer, die sich nicht wehren und schützen kön- viele andere eingezogen, und damit die Waffe der Hass- nen. Das ist unsere Aufgabe und nichts anderes. rede und der Begünstigung von Hasskriminalität . (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- bei Abgeordneten der CDU/CSU und des ordneten der CDU/CSU und der FDP) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deshalb sage ich, wenn wir versammelt sind: Wenn Meinungsfreiheit ist eben nicht die Freiheit, alles ein- diejenigen, die sozial abgehängt sind, darum bitten, dass (B) fach sagen zu dürfen. Meinungsfreiheit ist nicht Regel- wir ihnen eine Stimme verleihen, wenn der leider zusam- (D) freiheit. Ein Parlament ist auch nicht die Karikatur eines mengebrochene Kollege Hauer erfahren muss, wie kurz Stammtisches, was Sie heute hier wieder vorgeführt ha- darauf widerliche Hasskommentare im Netz erscheinen, ben. Nein, das ist es alles nicht. Das ist hier ein öffentli- wenn Kollegin Högl von vermeintlichen Lebensschüt- cher Ort, der Respekt und Würde erfordert. Wenn Sie es zern angegriffen wird, wenn Cem Özdemir, Michael wagen, ihn zum Stammtisch zu machen, und hier „die Roth, Claudia Roth unsere Unterstützung an ihrer Seite Deutschen hinterm Tresen“ Weckers markieren, dann be- brauchen, dann sage ich zu euch allen: Hört zu! Lauft hin! kommen Sie von uns allen eine deutliche Antwort darauf. Und seid da! Sage Ja! (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der LIN- bei Abgeordneten der CDU/CSU und des KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sowie bei Abgeordneten der FDP) Aber warum machen wir das alles? Ich glaube, es reicht nicht, über Maßnahmen zu sprechen. Wir brauchen viel- Vizepräsident Thomas Oppermann: mehr die erzählten Geschichten dahinter, und das sind die Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der Geschichten der Opfer. Ich selbst habe reichlich Erfah- CDU/CSU der Kollege Christoph Bernstiel. rung mit Bedrohungen, Beschimpfungen, Morddrohun- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) gen. (Martin Reichardt [AfD]: Ich auch!) Christoph Bernstiel (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Ich habe eine Gewohnheit, dass man mich tituliert als Kollegen! Was an Hass, Hetze, Mobbing und Diskrimi- schwuchteliger Clown oder als Ausgeburt von Inzucht. nierung in unseren sogenannten sozialen Netzwerken un- Aber ich bin privilegiert. Was ist mit den geflüchteten terwegs ist, das sprengt längst die Grenzen des Ertrag- Familien, die ich begleitet habe, die von Sympathisanten baren. Viel zu lange haben wir geglaubt, dass sich die der Identitären Bewegung angerufen werden? Wie fühlen Community selbst regulieren wird, dass wir mit Melde- die sich? Wie fühlten sich die Jüdinnen und Juden in pflichten der Sache Einhalt gebieten können und dass am Halle, die um einen Wimpernschlag dem Mord entgangen Ende der gesunde Menschenverstand und vor allen Din- sind? Wie fühlten sich Musliminnen und Muslime nach gen der Anstand siegen werden. Christchurch während des Freitagsgebets? Wie fühlen sich all die angesichts von Hasskriminalität und Hassre- Wir haben 2006 eine Antidiskriminierungsstelle einge- de? Ihretwegen – nur ihretwegen – müssen wir Hassrede richtet, und wir haben mit dem Netzwerkdurchsetzungs- 15362 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Christoph Bernstiel (A) gesetz zum ersten Mal versucht, diesem Hass Einhalt zu 52 000 Jugendliche gecoacht. Er tut das in seiner sehr (C) gebieten. Doch die Wahrheit ist: Das alles reicht nicht aus. unorthodoxen Art und Weise, nämlich in der Sprache Der Fall Walter Lübcke und auch der furchtbare Anschlag der Jugendlichen. Das stößt bei vielen auf Verwirrung in meiner Heimatstadt Halle zeigen, dass es nach wie vor oder Verwunderung. Aber er ist erfolgreich in dem, was Schutzzonen für diejenigen gibt, die Hass, Gewalt und er tut. An ihm können wir alle uns ein Beispiel nehmen. Hetze im Internet verbreiten. Ich sage an dieser Stelle Denn er schaut hin, und er spricht die Probleme an. auch: Dieses Phänomen haben wir nicht erst, seit es die AfD gibt. Leider gibt es noch viel mehr verwirrte Geister, Eine aktuelle Studie des LKA Niedersachsen zeigt lei- die sich im Internet herumtreiben und bewusst die der, dass 43 Prozent derjenigen, die Hasskriminalität, Schlupflöcher des Rechtsstaates nutzen. Ich nenne die Diskriminierung und Mobbing im Internet wahrnehmen, Beispiele Twitch und Steam. Diese beiden Plattformen schweigen. Lassen Sie uns dieses Schweigen durchbre- fallen nämlich nicht unter das Netzwerkdurchsetzungsge- chen. Lassen Sie uns gegen Hasskriminalität vorgehen. setz, da sie im weitesten Sinne keine Onlinecommunities Werden auch wir alle laut. Nutzen wir die Möglichkeiten, sind. Diese rechtsfreien Räume müssen wir schließen. die der Rechtsstaat bietet. Zeigen wir an. Sagen wir aktiv „Nein, das ist Unsinn, was hier erzählt wird“. Fühlen wir Wenn Horst Seehofer sagt, dass wir mit der Gaming- uns genötigt, auf einen dämlichen Kommentar zu antwor- Szene sprechen müssen, dann meint er natürlich nicht, ten und denjenigen zur Rede zu stellen, der so etwas dass wir die ganze Gaming-Szene unter Verdacht stellen. bringt. Was er meint, ist, dass sich sehr wohl – das weiß ich aus eigener Erfahrung – auf vielen Onlineplattformen Grup- Was auch hilft, ist eine Aktion, wie sie kürzlich von der pen von Rechtsextremisten, Islamisten und teilweise auch Polizei bundesweit durchgeführt wurde. In 13 Bundes- Linksextremisten herumtreiben und zusammenziehen, ländern wurden 30 Hasshetzer aus dem Internet völlig die sich unter ganz eindeutigen Namensbezeichnungen überraschend in ihren Wohnungen aufgesucht und zur austauschen und ihr radikales Gedankengut im Internet Rede gestellt. Zeigen wir diesen Menschen, dass das In- verbreiten. Diese rechtsfreien Räume müssen geschlos- ternet kein rechtsfreier Raum ist und dass sie sich dort sen werden, und wir müssen dort hinschauen. nicht verstecken können. Dafür werden wir kämpfen. Mit dem hier angestoßenen Neun-Punkte-Maßnahmenplan, Im Übrigen: Wir sagen, wir brauchen mehr Gesetze der der Anlass für diese Aktuelle Stunde war, tun wir oder rechtliche Regelungen – ich habe eben ein Beispiel einen Schritt in die richtige Richtung. genannt, wo das tatsächlich angebracht ist –, aber was wir vor allem brauchen, ist etwas mehr Sensibilisierung, und Herzlichen Dank. zwar bei unseren Gerichten und auch bei unseren Sicher- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (B) heitsbehörden. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sich bei ordneten der SPD) (D) fast allen Kollegen hier Beispiele für akute Hetze und Aufrufe zur Gewalt finden, die bei der jeweiligen Polizei- dienststelle angezeigt wurden, und der zuständige Poli- Vizepräsident Thomas Oppermann: zeibeamte oder die Polizeibeamtin waren erst mal über- Vielen Dank. – Als Nächste spricht für die Fraktion der fordert. Wenn man Glück hatte, dann ging das Verfahren SPD die Kollegin Susann Rüthrich. bis zur Staatsanwaltschaft oder sogar zu einem Richter, (Beifall bei der SPD) und dann kam viel zu häufig – ich habe es selber so erlebt – eine Antwort nach dem Motto „Das ist nur ein Susann Rüthrich (SPD): Bagatelldelikt, und das ist jetzt nicht weiter verfolgungs- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und würdig“. Dann müssen wir diese Rechtspraxis angehen. Kollegen! Amerikanischen Cherokees wird folgende Ge- Der aktuelle Fall von Renate Künast – Entschuldigung, schichte zugeschrieben: Ein Großvater sitzt mit seinem dass Sie immer wieder genannt werden – zeigt ja eindeu- Enkel am Lagerfeuer und erzählt ihm von zwei Wölfen, tig, dass es dort an einer Sensibilisierung fehlt. Dazu die in jedem Menschen wohnen und dort einen Kampf brauchen wir nicht mehr Gesetze, sondern vor allen Din- führen. Einer der beiden Wölfe ist böse. Er ist der Zorn, gen mehr Bewusstsein und mehr Schulung bei unserem der Neid, das Vorurteil, der falsche Stolz. Der andere ist juristischen Personal, meine Damen und Herren. gut. Er ist die Freude, die Hoffnung, die Demut, das Mit- gefühl. „Welcher der beiden Wölfe gewinnt?“, fragt der (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Enkel. – „Der, den du fütterst.“ Susann Rüthrich [SPD]) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Hass ist ein starkes Wenn wir über Sensibilisierung reden, dann möchte ich Gefühl. Liebe auch. Der Großvater in der Geschichte er- ein Thema ansprechen, das auch in den Bereich der Hass- innert uns daran, dass wir alle die angenehmen wie die kriminalität, der Diskriminierung und des Mobbings fällt. unangenehmen Gefühle in uns tragen. Es ist die Verant- Es ist ein sehr unschönes Thema. Jeden zweiten Tag stirbt wortung eines und einer jeden von uns, welche unserer in unserem Land ein Jugendlicher aufgrund von Mob- Gefühle wir starkmachen. bing: durch Mobbing in den Selbstmord getrieben. Das ist ein Phänomen, das wir leider nicht so offen behandeln, (Beifall bei der SPD) wie es notwendig wäre. Was bei der einzelnen Person die Liebe ist, das ist für Es gibt einen sehr erfolgreichen Menschen in diesem die Gesellschaft vielleicht der Frieden. Das Mitgefühl Land, der sich den Kampf gegen Mobbing auf die Fahne und die Empathie des Individuums sind in der Gesell- geschrieben hat. Das ist Carsten Stahl. Er hat bisher über schaft vielleicht die Solidarität und der soziale Zusam- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15363

Susann Rüthrich (A) menhalt. Die Freundschaft der Einzelnen wird unter vie- Erinnern wir uns an den Großvater. Es ist unsere Ent- (C) len vielleicht zu Nachbarschaftlichkeit und Kollegialität. scheidung, wen wir unterstützen. Viele dieser Aktiven unterstützen wir bereits mit dem Programm „Demokratie Auf uns alle als Gesellschaft und Politik übertragen leben!“. Das reicht künftig im Bereich der Zivilgesell- heißt das also, dass auch wir gemeinsam dafür verant- schaft für mal zwei, mal sechs Modellprojekte im Land. wortlich sind, welchen Wolf wir füttern: den des Nationa- Es gibt aber viel zu viele, die nicht zu den geförderten lismus, des Rassismus, des Kampfes untereinander oder Projekten gehören. Viel zu viele haben ab 2020 keine den des Gemeinsinns, der Nächstenliebe oder auch der Perspektive mehr für ihre Unterstützung, weil das Geld Schwesterlichkeit und Brüderlichkeit? dem Bedarf der Zivilgesellschaft hinterherhinkt und weil Liebe Kolleginnen und Kollegen, meinen Hass bekom- ohne ein Demokratiefördergesetz alle paar Jahre wieder men die Hassenden nicht – und noch nicht einmal meine alles neu erfunden werden muss, was ein Modell sein heutige Redezeit. Die widme ich nämlich all denen, die will. Tag für Tag Gutes tun. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen doch, was Ich danke denen, die in Zwickau Bäume pflanzen, um wir brauchen: für eine Daueraufgabe eine dauerhafte Fi- der Opfer des NSU zu gedenken. nanzierung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Der Enkel am Lagerfeuer fragt auch uns, welches Ge- der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des fühl gewinnt: das böse oder das gute? – Das, um das du BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) dich am meisten kümmerst! Sie pflanzen die Bäume zur Not auch ein zweites Mal, Vielen Dank. und sie werden dann einzeln angestrahlt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ich danke denen, die den Opfern von Nazis und ande- der FDP und der Abg. Elisabeth Winkelmeier- ren Menschenfeinden beistehen, ob bei der Anzeige, vor Becker [CDU/CSU]) Gericht oder im Alltag, sei es in der Straßenbahn oder auf dem Sportplatz. Ich danke denen, die diese Zivilcourage in Projekttagen an Schulen durch Rollenspiele und Thea- Vizepräsident Thomas Oppermann: terstücke erproben, denen, die die Opfer und Übergriffe Bevor wir in der Debatte fortfahren, will ich das von zu zählen versuchen, und denen, die die Schulleiterin den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Er- oder die Bürgermeisterin beraten, wenn es einen men- gebnis der Wahl eines Mitgliedes des Parlamentarischen schenverachtenden Angriff gab, wenn eine rechtsextreme Kontrollgremiums gemäß Artikel 45d des Grundgesetzes bekannt geben: Von den 709 Mitgliedern haben 634 ihre (B) Gruppe Terror verbreitet, wenn Nazis marschieren und (D) wenn sie selbst oder ihre Stadt- und Gemeinderäte be- Stimme abgegeben, 2 waren ungültig. Mit Ja haben ge- 1) droht werden. stimmt 524, mit Nein 97, es gab 11 Enthaltungen. Ich denke auch an die, die in Gefängnissen mit zu Tä- ( [SPD]: Das sind Ergebnisse!) tern gewordenen Menschen reden, damit sie nicht radika- Die Abgeordnete Dr. Eva Högl hat die nach § 2 Ab- ler aus dem Gefängnis herauskommen, als sie hineinge- satz 3 des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle gangen sind. Ich denke an die Patinnen und Paten, die für nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes erforderli- Menschen, die neu zu uns gekommen sind, da sind. Von che Mehrheit von 355 Stimmen erreicht. Sie ist damit als wem sonst sollen diese Menschen unsere Werte lernen, Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums ge- wenn nicht von anderen Menschen, die sich ehrlich für sie wählt. interessieren? Ich danke denen, die mit Stolpersteinen in ihrer Stadt (Ulli Nissen [SPD]: Deutlich!) an diejenigen erinnern, deren Enkel heute unsere Nach- Herzlichen Glückwunsch! barn wären, wenn ihre Verwandten nicht aus Hass und vollkommener ideologischer Verwahrlosung in die Flucht (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, getrieben oder ermordet worden wären. der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jörn König [AfD]) Ich danke denen, die in ihrer Community durch Empo- werment einen festen Anker in unsere Mitte legen, damit Letzter Redner in dieser Debatte ist nunmehr der Kol- alle bei uns gehört und beteiligt werden, denen, die in lege Carsten Müller für die Fraktion der CDU/CSU. Verbänden und Vereinen lernen, wie man so diskutiert, (Beifall bei der CDU/CSU) dass nicht der Stärkere, sondern das stärkere Argument sich durchsetzt, die sich in Freiwilligendiensten engagie- Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU): ren, die forschen – zu menschenverachtenden Einstellun- Herr Präsident! Meinungsfreiheit ist das Fundament gen beispielsweise –, die als Journalistinnen und Journa- einer offenen und freiheitlichen Gesellschaft. Meinungs- listen berichten, und denen, die Menschen vor dem freiheit erscheint uns heute oftmals als selbstverständlich. Ertrinken retten. Dabei ist sie hart erkämpft worden. Wenn wir heute diese Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich könnte meinen Debatte führen, dann sollten wir auch daran denken, dass Dank noch lange fortsetzen. Einzelne dieser Aktiven zu benennen, ist gar nicht nötig; denn es gibt sie überall im 1) Namensverzeichnis der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Wahl Land. siehe Anlage 6 15364 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Carsten Müller (Braunschweig) (A) buchstäblich nur ganz wenige Meter östlich von hier bis verpflichtet werden, Daten herauszugeben. Dabei geht (C) vor rund 30 Jahren Meinungsfreiheit eben nicht galt. Das es nicht nur um eine formale Verpflichtung, sondern sie macht sie heute für uns alle eben umso wertvoller. müssen auch materielle Ansätze dafür liefern, dass Straf- täter verfolgt werden können. Wir wollen darüber hinaus – Meinungsfreiheit gilt nicht unbegrenzt; es ist nicht al- das ist uns ganz wichtig – eine staatsferne Selbstregulie- les mit ihr zu rechtfertigen. Wir können nicht zulassen, rung etablieren und glauben, dass wir damit eine weitere dass beleidigt wird, verunglimpft wird, die Würde von qualitative Entwicklung des Netzwerkdurchsetzungsge- Menschen herabgesetzt wird, die Verbrechen der Nazizeit setzes bewirken können. geleugnet oder bagatellisiert werden. Wenn wir das nicht zulassen, dann schränkt das die Meinungsfreiheit nicht Wir schauen dabei nicht nur in die eine Richtung, son- ein, sondern dann wird sie dadurch im Kern gestärkt. dern das Thema ist Meinungsfreiheit. Deswegen haben wir uns auch vorgenommen, ganz klar geregelte Verfah- Wir haben in den letzten Wochen und Monaten ganz ren zur Wiedereinstellung von unrechtmäßig gelöschten bedauerlicherweise traurige Ereignisse in diesem Land Inhalten zu etablieren und diese einfach zugänglich zu erleben müssen, und wir haben festgestellt, dass die zu- machen. Das ist eben auch eine Ausprägung von Mei- nehmende Hassrede Hemmschwellen absenkt und den nungsfreiheit. Wir wollen vergleichbare Transparenzbe- Nährboden für physische Hasskriminalität schafft. Die richte sehen – sie sollen gut verständlich sein –, und wir Koalition hat das bereits im Jahr 2017 zum Anlass ge- wollen ein sichtbares und verständliches Meldesystem nommen, das Netzwerkdurchsetzungsgesetz auf den Weg auf diesen sozialen Plattformen haben. zu bringen. Damals hat sie durchaus ganz erheblichen Gegenwind gespürt und entsprechende Bedenken entge- Hinzu kommen weitere Maßnahmen, die von den Vor- gengehalten bekommen. rednern und Vorrednerinnen verschiedener Fraktionen Heute diskutieren wir in einer deutlich sachlicheren zum Teil schon angesprochen worden sind. Atmosphäre. Es haben sich zwischenzeitlich verschiede- Ich will hier auf den Kollegen Bernstiel abheben, der ne Dinge ereignet. Das Urteil, das die Kollegin Künast die Gaming-Szene erwähnte. Er selber kommt aus Halle, betraf, ist heute mehrfach angesprochen worden, und ich und wir haben im Zusammenhang mit der traurigen Tat bin, ehrlich gesagt, ein Stück weit froh darüber, dass wir dort recht intensiv über die Gaming-Szene diskutiert. Uns heute diese sachliche Diskussionsatmosphäre haben. als Union ist auch wichtig, zu betonen: Wir stellen mit Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das ganz wesent- dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz und seiner Novellie- lich Hate Speech bzw. Hassrede entgegenwirken soll, rung niemanden unter Generalverdacht. Wir wollen da hat sich bewährt. Es wirkt, und wir haben uns bereits sehr genau und sorgfältig hinschauen, aber nicht über (B) seinerzeit – vor etwas über zwei Jahren – zum Ziel ge- das Ziel hinausschießen. (D) setzt, dass wir dieses Gesetz ganz genau im Auge behal- Eines ist klar – das gehört eben auch zum Rechtsstaat –: ten und evaluieren. Warum haben wir das gemacht? Weil Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz steht immer vor den das weltweit gesehen ein Prototyp war. Bis dato hatte es Gemeinschaftsregeln. Niemand und nichts steht über dem noch nie einen Ansatz gegeben, mit einer nationalen Ge- Gesetz. setzgebung international operierende soziale Netzwerke zu regulieren und zum Maßhalten anzuhalten. (Beifall bei der CDU/CSU) Es gab seinerzeit, wie gesagt, viel Kritik, und ich will Ich darf Sie bitten, an diesem kurz bevorstehenden Vor- durchaus in Richtung von Bündnis 90/Die Grünen haben mitzuwirken. Meinungsfreiheit ist ein ganz zent- schauen und den Kollegen von Notz aus dem Januar rales Grundrecht – das wichtigste in den Augen vieler 2018 zitieren, der damals behauptete, das Netzwerk- Bundesbürger. Lassen Sie uns gemeinsam an einer Stär- durchsetzungsgesetz richte einen massiven Schaden an kung der Meinungsfreiheit – auch im Netz – arbeiten. und die Meinungsfreiheit werde beschnitten. Wir haben, ehrlich gesagt, das Gegenteil erlebt, und ich bin zufrie- Herzlichen Dank. den, dass selbst Bündnis 90/Die Grünen bei der Anhörung des Rechtsausschusses im Mai dieses Jahres einräumen (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ulli musste – auch die Sachverständigen, die von Ihnen be- Nissen [SPD]) nannt worden sind, haben das gesagt –: Ja, im Kern hat es sich bewährt. Vizepräsident Thomas Oppermann: Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht Wir wollen dieses Gesetz nachschärfen, weil wir damit vor. Die Aktuelle Stunde ist beendet. auf einem guten Wege sind. Die CDU/CSU-Fraktion hat die dringende Erwartung, dass wir das Netzwerkdurch- Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b setzungsgesetz noch im ersten Quartal des nächsten Jah- auf: res umfangreich, intensiv diskutieren und novellieren. a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Worum geht es uns dabei? Es geht uns dabei darum, die desregierung eingebrachten Entwurfs eines Wirksamkeit des Gesetzes dadurch zu verbessern, dass Gesetzes für eine bessere Versorgung wir unter anderem die Strafverfolgungsbehörden stärken, durch Digitalisierung und Innovation sie also personell und sachlich besser ausrüsten – auch (Digitale-Versorgung-Gesetz – DVG) das gehört zum Projekt Rechtsstaat –, und wir wollen die Ermittlungen effizienter gestalten. Netzwerke müssen Drucksachen 19/13438, 19/13548 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15365

Vizepräsident Thomas Oppermann (A) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Ich bin deshalb unserem Minister sehr dankbar, dass er (C) schusses für Gesundheit (14. Ausschuss) endlich die Digitalisierung des Gesundheitswesens zur Priorität gemacht hat. Er hat eine eigene Digitalabteilung Drucksache 19/14867 aufgebaut. b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (14. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord- Und er hat endlich – wartet; das ist mir auch wichtig – neten Maria Klein-Schmeink, Kordula dafür gesorgt, dass 51 Prozent der Anteile jetzt beim Schulz-Asche, Dr. Kirsten Kappert-Gonther, Bund liegen. Damit können wir agieren, und dieses Hin weiterer Abgeordneter und der Fraktion und Her hört endlich auf. Das kann man draußen nämlich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN keinem mehr erklären. – Jetzt klatschen. Der Digitalisierung im Gesundheitswesen (Beifall bei der CDU/CSU) eine Richtung geben und sie im Interesse der Nutzerinnen und Nutzer vorantreiben Mir ist auch wichtig, dass wir durch die Digitalisierung eine gewisse Interprofessionalität herstellen. Es kann Drucksachen 19/13539, 19/14867 nicht sein, dass Wissen irgendwo vorhanden ist, aber an- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die dere Menschen, die ebenfalls am Patienten arbeiten, im Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Dazu höre ich kei- Bereich Pflege, Heilmittel, Hilfsmittel, gar nicht mitbe- nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. kommen, was da eigentlich los ist. Diese Interprofessio- nalität ist Voraussetzung für erfolgreiches Arbeiten, mor- Wenn alle ihren Platz oder den Ausgang gefunden ha- gen und übermorgen. Ich nehme einfach mal das Beispiel ben, dann rufe ich auch gerne den ersten Redner auf. „frühkindliche Skoliose“, wo verschiedenste Leistungs- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege erbringer beteiligt sind. Bisher war es so, dass per Papier Dr. Roy Kühne für die Fraktion der CDU/CSU. übermittelt wurde: Was ist der Cobb-Winkel? Wie oft? Was soll passieren? – Das muss der Vergangenheit ange- (Beifall bei der CDU/CSU) hören. Die Berufe müssen so nah zusammenrücken, dass der Patient spürt: Ah, die reden miteinander, und es ist Dr. Roy Kühne (CDU/CSU): auch gewollt, dass sie miteinander reden. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit dem Di- Meine Erwartung ist ganz klar: Wir brauchen Transpa- gitale-Versorgung-Gesetz schaffen wir nun endlich die renz. Wir müssen mit diesem Gesetz den Bürokratieirr- (B) Grundlage für den Anschluss unseres Gesundheitssys- sinn abbauen. Wir müssen dafür sorgen, dass die Patien- (D) tems an die Digitalstruktur in Deutschland. Drei Dinge ten wissen, wer welche Informationen hat, und dass sie haben dabei für mich oberste Priorität: den Schlüssel dafür auch in der Hand halten, dass sie entscheiden können, wer welche Informationen bekom- Erstens. Digitale Anwendungen und Apps müssen ver- men soll. Es geht auch darum, wie wir damit weiterhin antwortungsvoll in den Versorgungsalltag eingebunden nachhaltig Datenschutz betreiben können. Datenschutz werden. ist für mich immens wichtig, darf aber nicht im Wege stehen. Deshalb müssen wir beobachten – da sind wir Zweitens. Innovative Formen der Zusammenarbeit ein- gerade dabei –, wie dieses Gesetz nachher umgesetzt zelner Leistungsanbieter können und müssen die Arbeit wird. Wir wissen alle: Einige der im GKV-VSG vorge- am Patienten und mit dem Patienten deutlich verbessern. sehenen Maßnahmen – ich erinnere zum Beispiel an die Drittens. Durch digitale Anwendungen – das ist, glaube Software der Kollegen aus der Ärzteschaft – sind bis ich, eines der primären Gebote, die wir mit diesem Gesetz heute immer noch nicht zu hundert Prozent umgesetzt. verfolgen sollten – müssen wir ganz klar bürokratische Wir müssen immer noch nachfragen, was passiert. Also, Hürden abbauen. Uns muss klar sein, dass jede unnötige – wenn wir dieses Gesetz, mit dem wir Leistungserbringer ich betone bewusst: unnötige – Bürokratiezeit schlicht- verpflichten, digital miteinander zu kommunizieren, um- weg Zeit ist, die dem Patienten fehlt, und das können wir setzen wollen, müssen wir auch dafür sorgen, dass es an uns heute nicht mehr leisten. der Basis durchgesetzt wird. Die Verbesserungspotenziale der Digitalisierung sind Deshalb bin ich unserem Minister – ich sage es noch aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Unsere mal – sehr dankbar, dass wir es hier heute diskutieren. Ich Kinder leben damit, werden damit groß und haben da- freue mich, dass wir dieses Gesetz hoffentlich dann auch durch Vorteile. Wir haben in den vergangenen Jahren erfolgreich nach vorne bringen. oftmals wahrscheinlich zu zögerlich, zu zaghaft auf Ar- gumente von einzelnen Gruppen reagiert und haben uns Danke für die Aufmerksamkeit. dadurch in den Rückstand bringen lassen. Wir sehen, was (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- international möglich ist. Wir sehen, welche Vorteile da- ordneten der SPD) durch generiert werden, und wir haben es bisher nicht geschafft, solche Vorteile in Deutschland zu nutzen, ob- wohl wir sie in anderen Ländern immer bestaunen, be- Vizepräsident Thomas Oppermann: wundern und sagen: Das muss doch bei uns auch möglich Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Uwe sein. Witt für die Fraktion der AfD. 15366 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Vizepräsident Thomas Oppermann (A) (Beifall bei der AfD) ist das Konzept der Videosprechstunde für strukturschwa- (C) che ländliche Gegenden in Deutschland wie zum Beispiel Uwe Witt (AfD): in Schleswig-Holstein. Aber genau diese Gegenden Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Lie- weisen neben einer geringen Ärzteversorgung auch eine be Gäste des Hohen Hauses! Herr Minister Spahn! Wie mangelnde digitale Infrastruktur auf. Ich frage Sie, Herr wir bereits wissen, hat die Bundesregierung das Thema Spahn: Wie soll die Videosprechstunde technisch funk- Digitalisierung in den letzten Jahren im Dämmerschlaf an tionieren, wenn der Arzt über Breitbandinternet verfügt sich vorbeiziehen lassen. Nun legt Gesundheitsminister und der Patient nur über einen ISDN-Anschluss? Spahn einen Gesetzentwurf vor, der sich ganz in den Stil der anderen Konzepte der Bundesregierung wie zum Bei- Der zweite Punkt ist mindestens genauso fragwürdig. spiel des Klimaprogramms 2030 einreiht. Gerade die vom Ärztemangel betroffenen älteren Patien- ten sind häufig nicht mit dem notwendigen technischen (Tino Sorge [CDU/CSU]: Dann haben Sie das Equipment ausgestattet, um eine Videosprechstunde nut- Gesetz nicht verstanden! Sie hätten es mal lesen zen zu können. Des Weiteren verfügen sie teilweise nicht sollen! Sie hätten mal in den Gesundheitsaus- über das dazu nötige Know-how zur Anwendung. Sie schuss kommen sollen!) wollen uns doch nicht glauben machen, dass die Digita- lisierungsversäumnisse der Vergangenheit jetzt mit Sie- Statt eines Gesamtkonzeptes zur allgemeinen Verbesse- benmeilenstiefeln nachzuholen sind. rung der digitalen Versorgung gibt es eine Flickschusterei von vielen Einzelmaßnahmen, die zwar gut gemeint, aber Gleiches gilt für die Einführung digitaler Gesundheits- schlecht gemacht sind. Apps. In einem Land, das im Jahr 2019 immer noch weiße Grundsätzlich begrüßen wir von der AfD den Plan, die Flecken auf der Karte für schnelles mobiles Internet auf- digitale Vorsorge voranzutreiben, sehen aber große hand- weist, wollen Sie, Herr Spahn, uns das Blaue vom Him- werkliche Fehler, die dem hektischen Aktionismus des mel versprechen: dass sich die gesundheitliche Vorsorge Gesundheitsministers zuzuschreiben sind. Als größtes durch Apps, die nur suboptimal nutzbar sind, tatsächlich Manko sehen wir die ungeklärte Datenschutzlage des Ge- verbessert. Und auch hier gilt: Viele Mitbürger sind oft- setzentwurfs. Selbst der Bundesbeauftragte für den Da- mals nicht in der Lage, diese Wunderwerke des techni- tenschutz bemängelt in seiner Stellungnahme, die Daten- schen Fortschritts zu bedienen. Wollen Sie Millionen von schutzanforderungen seien unzureichend geregelt. Bürgern IT-mäßig fortbilden, um so eine verfehlte Ar- beitsmarktpolitik zu verschleiern? (Stefan Keuter [AfD]: Hört! Hört! – Harald Weinberg [DIE LINKE]: Wo sind denn bei Gerade bei der Ausbildung von Ärzten, insbesondere (B) Ihnen die Gesundheitspolitiker? Ich sehe kei- von Fachärzten, hapert es in Deutschland. Ist es da nicht (D) nen!) sinnvoller, in die Ausbildung von Ärzten und medizin- ischem Personal zu investieren, statt Millionen, wenn Wer eine zentrale Datensammlung von Gesundheitsdaten nicht gar Milliarden in ein unausgegorenes Projekt wie der Bürger und Bürgerinnen anlegen will, der muss sich Videosprechstunden und Gesundheits-Apps zu stecken? auch im Klaren sein, dass diese extrem anfällig für Miss- Zumal man auch in diesem Gesetzentwurf eine Gegen- brauch und Sicherheitslücken ist. finanzierung vergebens sucht. Stattdessen zahlen die (Beifall bei der AfD) Krankenkassen im ersten Jahr der Einführung die Preise, die von den IT-Dienstleistern verlangt werden. Erst ab Wer garantiert, dass keine Weitergabe an Dritte erfolgt? dem zweiten Jahr erfolgt eine Wirtschaftlichkeitsprüfung. Skandale in dieser Art gab es in der Vergangenheit doch Das erinnert mich doch sehr an Arbeitsminister Heils zur Genüge. Nicht zuletzt deshalb muss jedwede Speiche- Pflegelöhne-Verbesserungsgesetz, das 5 Milliarden Euro rung von Gesundheitsdaten für alle Versicherten freiwil- kosten wird, und das SPD-geführte Ressort weiß leider lig bleiben. Es darf keine Gesundheitsdatenspeicherung nicht, woher das Geld genommen werden soll. durch die Hintertür geben, wie sie in den letzten Spahn’- schen Gesetzen leider üblich war. Ich erinnere hierbei an Herr Spahn, machen Sie Ihre Hausaufgaben, entlasten das Implantationsregister Sie das medizinische Personal, gleich ob Kranken- oder Altenpflege, durch Digitalisierung. Wenn Sie nicht wis- ( [CDU/CSU]: Das heißt „Implan- sen, wie das funktioniert, werfen Sie einen Blick zu un- tateregister“!) seren Nachbarn in den Alpen. Die Schweiz und Öster- oder das Gesetz für schnellere Termine und bessere Ver- reich machen sehr gut vor, wie durch Digitalisierung zum sorgung. Gesundheitsminister Spahn agiert getreu Beispiel bei Vitaldatenüberprüfung eine enorme Entlas- George Orwells „1984“: Big Jens is watching you. tung von Mensch und Geldbeutel erreicht werden kann. (Tino Sorge [CDU/CSU]: Das „big“ stimmt!) Die AfD befürwortet die Digitalisierung in der Vorsor- ge und in der medizinischen Versorgung, aber bitte nicht Wenn man sich jetzt noch weitere Punkte wie die ge- im Rahmen von Klein-Klein-Projekten, sondern im groß- planten Videosprechstunden genauer anschaut, fällt selbst en, längst überfälligen Stil, der den Schutz der persön- dem Laien auf, dass da was nicht zu Ende gedacht ist. lichen Daten unserer Bürgerinnen und Bürger gewähr- Sicherlich wird es nicht das Problem sein, Arztpraxen mit leistet. Dies sehen wir in dem Gesetzentwurf nicht. entsprechender Hard- und Software zu versorgen sowie Daher wird die AfD-Fraktion mit Enthaltung votieren. Weiterbildung für medizinisches Personal zu ermögli- chen. Doch wie sieht es mit den Patienten aus? Gedacht Danke schön. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15367

Uwe Witt (A) (Beifall bei der AfD) Weg. Eine hilfreiche App kann, vergleichbar einem Me- (C) dikament, das verordnet wird, durchaus dazu führen, dass Vizepräsident Thomas Oppermann: eine Behandlung besser funktioniert oder überhaupt funk- tionieren kann. Vielen Dank. – Als Nächster spricht für die Fraktion der SPD der Kollege Dirk Heidenblut. Nehmen wir mal denjenigen, der viele Medikamente nehmen muss. Er ist durch eine App durchaus gut dabei (Beifall bei der SPD) zu unterstützen, dass er oder sie den Zeitplan einhalten kann, er oder sie die Übersicht behalten kann. Das führt Dirk Heidenblut (SPD): dazu, dass die Gesamtbehandlung mit den Medikamenten Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und am Ende deutlich fruchtbarer wird. Künftig kann der Arzt Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Nach der neben dem Medikament auch die App verordnen, die Rede wundert mich allerdings nicht, dass bei der AfD dabei hilft, dass die Medikamente wirksam eingesetzt kein einziger Gesundheitspolitiker anwesend ist. werden. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem Das Gleiche gilt für Psychotherapeutinnen und Psy- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- chotherapeuten; denn gerade im Bereich der Psychothe- ordneten der FDP und der LINKEN) rapie – viele Kassen probieren da auch schon was aus; Als Fachpolitiker wäre es mir auch unangenehm, so etwas über Satzungsleistungen geht so etwas ja durchaus – ha- zu hören. ben wir viele hilfreiche unterstützende Maßnahmen durch Apps. Diese können in Zukunft ebenfalls verordnet wer- Lassen Sie uns jetzt wieder über das Gesetz reden; es den. macht ja viel Sinn. Nicht nur über Digitalisierung im Ge- sundheitswesen reden und die Möglichkeiten anpreisen, Wir sorgen dafür, dass die Patientinnen und Patienten sondern handeln und möglich machen – dazu müssen ganz unmittelbar spüren können, wie die Digitalisierung neue Wege beschritten und neue Verfahren beschleunigt wirkt, und dass sie eine echte Verbesserung durch die werden. Genau das macht die Koalition mit dem vorlie- digitalen Produkte bei der Genesung und bei der Weiter- genden Gesetz. Das hat sie übrigens bei bisherigen Ge- entwicklung haben. setzen an ganz vielen Punkten auch schon gemacht; denn (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Karin wir haben mit nahezu jedem Gesetz, ob es die elektroni- Maag [CDU/CSU]) sche Patientenakte ist, die Veränderung der Struktur der gematik oder die Einführung der Videosprechstunde, ent- Außerdem wollen wir, dass die Kommunikation, dass sprechende Entwicklungen auf den Weg gebracht. das Miteinander verbessert wird, indem wir jetzt neben (B) dem E-Rezept auch die E-Verordnung einführen. Warum (D) Mit dem DVG, das wir heute verabschieden wollen, sollte das, was beim Rezept geht, nicht auch bei der Ver- gehen wir jetzt konsequent die nächsten Schritte. Es geht ordnung von therapeutischen Leistungen, von häuslicher also engagiert weiter beim Aufbau der Digitalisierung im Pflege oder von Heil- und Hilfsmitteln funktionieren? Vor Gesundheitswesen. Das ist wichtig und richtig. Für Pa- diesem Hintergrund macht es Sinn, das zu erweitern. tientinnen und Patienten liegen enorme Chancen in der Digitalisierung des Gesundheitswesens. Und genau das Um das alles aber möglich zu machen – Kollege Roy wollen wir jetzt auch mal richtig spürbar machen. Kühne hat das vorhin schon ausgeführt –, müssen mehr Leute im Netz – ich habe nicht alles verstanden - Längst haben Apps in vielfältiger Form Einzug in das Gesundheitswesen gehalten, im Bereich der Prävention, (Heiterkeit des Abg. Dr. Karamba Diaby aber auch zur Behandlungsunterstützung, natürlich zur [SPD] – Tino Sorge [CDU/CSU]: Das geht Vitalkontrolle und an vielen anderen Punkten. Es gibt, uns doch allen bei ihm manchmal so!) glaube ich, ganz viele, die allein durch den Schrittzähler miteinander kommunizieren können. gefordert worden sind, sich endlich mal wieder mehr zu bewegen. Zumindest gilt das für meine Mitarbeiterinnen Wenn nämlich beim Cobb-Winkel – von dem ich nicht und Mitarbeiter. Seit sie den haben, komme ich kaum weiß, was das ist – der eine versucht, mit dem Fax, der noch hinterher. Das ist ein eindeutig gesundheitsfördern- andere, mit dem Telefon, und der Letzte, mit der Daten- des Programm. übertragung weiterzukommen, werden wir sie nicht zu- sammenkriegen, fürchte ich. Deswegen ist es wichtig, (Heiterkeit des Abg. Tino Sorge [CDU/CSU]) dass wir, erstens, beschleunigt regeln, wie die Leistungs- Da gibt es vieles, aber die Palette ist bunt und unüber- erbringer an unsere Telematik-Infrastruktur kommen. sichtlich. Vor diesem Hintergrund ist es völlig richtig, Das regeln wir für Krankenhäuser und für Apothekerin- dass wir mit einer Listung beim BfArM jetzt dafür sorgen, nen und Apotheker. Es ist aber auch wichtig, dass wir dass diejenigen, die einen Nachweis auf Funktionstüch- andere Berufsgruppen wie Physiotherapeutinnen und tigkeit, Datenschutz und technische Sicherheit und – an- Physiotherapeuten, aber auch den Bereich der Pflege ders, als häufig ausgeführt – im Regelfall auch den Nach- ans Netz bringen. Genau das regelt unser Gesetzentwurf. weis auf Patienten- bzw. Versorgungsnutzen haben, dann in dieser Liste aufgeführt werden und dass aus dieser (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Liste dann künftig auch Apps verordnet werden können. der CDU/CSU) Das heißt, aus dieser Liste es gibt dann Apps auf Rezept Es gäbe noch eine Menge mehr dazu zu sagen. Dafür oder – besser – auf Verordnung. Das ist genau der richtige reicht meine Zeit allerdings nicht. Wir verbessern Video- 15368 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Dirk Heidenblut (A) sprechstunden. Wir binden auch den Bereich der Zahn- (Beifall bei der FDP) (C) ärztinnen und Zahnärzte ein. Auch das ist durchaus eine Vor unseren Änderungsanträgen – das müssen wir hier sinnvolle Entwicklung. Zur Forschung und zur Frage des auch mal klar sagen – spielte der Datenschutz in Ihrem Datenschutzes wird meine Kollegin noch ausführlich et- Gesetzentwurf allerdings eine ziemlich untergeordnete was sagen. Eines sage ich aber schon mal an dieser Stelle: Rolle. Dieses Gesetz ist keineswegs ein gigantischer Verstoß gegen den Datenschutz. Vielmehr haben wir den Daten- (Dirk Heidenblut [SPD]: Quatsch!) schutz hier sehr genau und sehr penibel beachtet. Es ist Da können Sie mal sehen, was Serviceopposition daten- ein gutes Gesetz. Ich hoffe, dass Sie mit mir gemeinsam schutzrechtlich alles erreichen kann. dieses gute und vernünftige Gesetz verabschieden wer- den. (Beifall bei der FDP) Vielen Dank. Aber leider sind Sie den letzten Schritt nicht mit uns gegangen. Was wir hier konkret kritisieren, ist der Daten- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten schutz bei der Datenübermittlung der Abrechnungsdaten. der CDU/CSU) Hier bedarf es erheblicher Nachbesserungen; denn, meine Damen und Herren, das Recht auf informationelle Selbst- Vizepräsident Thomas Oppermann: bestimmung und der Schutz der Versichertendaten müs- Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion sen in jedem Fall gewährleistet sein. Das müssen wir den der FDP die Kollegin Christine Aschenberg-Dugnus. Menschen draußen versprechen. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP – Tino Sorge [CDU/CSU]: Es gibt doch Pseudonymisierung, Anonymisie- Christine Aschenberg-Dugnus (FDP): rung, Verschlüsselung!) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mei- Ich möchte noch mal klarstellen: Ja, wir wollen Ver- ne Damen und Herren auf den Besucherrängen! Und na- sorgungsforschung für die Patientinnen und Patienten, türlich auch: Lieber Herr Minister Spahn! Wir als FDP- aber ohne einen hohen Datenschutz und hohe Datensi- Bundestagsfraktion sehen die Digitalisierung als Chance cherheitsstandards wird weder Versorgungsforschung für alle Patientinnen und Patienten für eine bessere Ge- noch Digitalisierung gelingen, meine Damen und Herren. sundheitsversorgung; das müssen wir erst mal feststellen. Positiv sehen wir, dass zum Beispiel Apps nun den Weg (Beifall bei der FDP) in die Versorgung gefunden haben. Ich muss allerdings Herr Minister, Sie gefährden Ihr gesamtes Projekt mit (B) sagen: Das wurde auch Zeit; denn der Versorgungsalltag der hier vorgeschlagenen Datenübermittlung, indem Sie (D) der Menschen sieht schon ganz anders aus. Da laufen den Datenschutz eben nicht hinreichend berücksichtigen. Dinge, wo Sie hier mit Ihrem Gesetz hinterherhinken. Was wir benötigen, sind Akzeptanz und Vertrauen der Menschen. Sie müssen sicher sein, dass Daten eben nicht (Beifall bei der FDP) rückverfolgbar sind und nicht reidentifizierbar sind. Des Weiteren ist auch positiv, dass Innovationen durch eine Fast Lane schneller in die Versorgung gebracht wer- ( [CDU/CSU]: Das ist totaler den sollen. Das haben wir immer gefordert. Wunderbar, Unsinn! Dann kann man es bleiben lassen!) dass das jetzt auch endlich geregelt wurde. Deshalb haben wir ja im Gegensatz zu allen anderen Op- Aber ich muss auch sagen: Digitalisierung, meine Da- positionsfraktionen mehrere Änderungsanträge zum Da- men und Herren, ist kein Selbstzweck. Der konkrete Nut- tenschutz in den Gesundheitsausschuss eingebracht. Herr zen für alle Beteiligten, also Telemedizin im ländlichen Kollege Heidenblut, auch wir handeln, nicht nur die Re- Raum, schnelle und sichere Übermittlung von Daten, in- gierung. dividuelle Therapien – das müssen wir in den Vorder- (Beifall bei der FDP) grund stellen, und wir tun das auch. Leider haben Sie unseren Antrag zur zusätzlichen Ver- (Beifall bei der FDP) schlüsselung nicht berücksichtigt. Dabei hat doch die öf- fentliche Anhörung gezeigt, dass Verschlüsselung der Aber es gibt auch Verbesserungsbedarf, und unsere hochsensiblen Daten unabdingbar ist. Eine bloße Pseudo- sieben Änderungsanträge scheinen die GroKo überzeugt nymisierung reicht eben nicht aus; das wurde von allen und auch inspiriert zu haben. Zum Beispiel ist unsere Seiten bestätigt. Forderung, die IT-Richtlinie immer an den aktuellen Stand der Wissenschaft anzupassen, jetzt im Gesetz ver- (Christian Dürr [FDP]: So ist es!) ankert. Wunderbar! Gut so! Und noch ein Punkt. Wäre das eigentlich datenschutz- (Christian Dürr [FDP]: Sehr gut! Serviceop- rechtlich verantwortlich im Sinne der Datenschutz- position!) Grundverordnung? Das weiß hier niemand. Das ist nicht geregelt. Ebenso war es aus datenschutzrechtlichen Gründen wichtig, dass die Krankenkassen die Abrechnungsdaten Jetzt komme ich noch mal zu meinen Freunden von den ohne Krankenversicherungsnummer übermitteln müssen. Grünen, die ja in der Öffentlichkeit immer den mangeln- Auch das haben Sie übernommen. Herzlichen Glück- den Datenschutz anprangern, aber komischerweise hier wunsch! keinen einzigen Änderungsantrag vorgelegt haben. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15369

Christine Aschenberg-Dugnus (A) (Sabine Dittmar [SPD]: Das ist ja ganz furcht- und dann grenzüberschreitend an Dritte weitergereicht (C) bar! Das ist ja unverschämt! Das ist ja unglaub- werden. Sie fließen dann also auch an IT-Unternehmen lich!) im Ausland. Sorry, aber wo sind denn eure konkreten Vorschläge zum (Tino Sorge [CDU/CSU]: Gucken Sie doch Datenschutz? Irgendwelche öffentlichen Erklärungen ab- einfach mal ins Gesetz, Herr Kollege!) geben, aber hier nichts unterbreiten – das können wir hier jetzt wirklich nicht richtig ernst nehmen. Herr Minister, ich bin mir sicher, dass die IT-Konzerne nicht nur in Deutschland bereits den Champagner kalt (Beifall bei der FDP – Maria Klein-Schmeink gestellt haben. Im Sinne der Patientinnen und Patienten [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ist das jedenfalls nicht. falsch!) Digitale Gesundheitsanwendungen wie Gesundheits- Meine Damen und Herren, ganz zum Schluss möchte Apps werden künftig ohne wissenschaftliche Prüfung ich noch auf die elektronische Patientenakte und das zwölf Monate lang von den Kassen erstattet. Das Risiko DVG II kommen. Herr Minister, wir werden Ihnen ganz liegt also vollständig bei den Patientinnen und Patienten. genau beim Datenschutz auf die Finger schauen und ge- Das, meine Damen und Herren, ist wirklich verantwor- nau beobachten, was Sie beim DVG II mit der elektron- tungslos. ischen Patientenakte machen. Sie können aber auch gerne unsere Vorschläge übernehmen. (Beifall bei der LINKEN) (Marianne Schieder [SPD]: Besser nicht!) Alle Behandlungsmethoden werden in unserem Sys- tem von der gemeinsamen Selbstverwaltung nach Krite- Hauptsache, es nützt dem Datenschutz. Wir sind und blei- rien des medizinischen Nutzens geprüft. Warum weichen ben eben Serviceopposition. Wir werden uns bei der Ab- Sie bei den digitalen Anwendungen davon ab und über- stimmung über den Gesetzentwurf enthalten. tragen die Prüfung an eine Bundesbehörde, die direkt dem Ministerium unterstellt ist? Diese Schwächung der ge- Danke schön. meinsamen Selbstverwaltung auf Kosten der Patientensi- (Beifall bei der FDP) cherheit lehnen wir entschieden ab. (Beifall bei der LINKEN – Dirk Heidenblut Vizepräsident Thomas Oppermann: [SPD]: Ihr lehnt ja alles ab!) Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege Gesetzliche Krankenkassen sollen künftig unter Ein- (B) Dr. Achim Kessler für die Fraktion Die Linke. satz von 2 Prozent ihrer Rücklagen in digitale Gesund- (D) (Beifall bei der LINKEN) heitsanwendungen investieren können und zu Anteilseig- nern von IT-Unternehmen werden. Dr. Achim Kessler (DIE LINKE): (Tino Sorge [CDU/CSU]: Nein! Völlig Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe falsch! – Karin Maag [CDU/CSU]: Falsch!) Gäste auf der Tribüne! Das Digitale-Versorgung-Gesetz Sie werden selbst mittelbar zu Leistungserbringern, die wird fatale Folgen haben, mit denen wir uns noch lange ihre eigenen Leistungen ganz bequem und ohne Wider- beschäftigen werden. Ich fordere Sie deshalb auf: Verab- spruch auch gleich selbst erstatten können. schieden Sie dieses Gesetz nicht! Denn am Ende werden die Versicherten mit ihren Daten, mit ihren Krankenver- (Tino Sorge [CDU/CSU]: Wieder falsch! Lesen sicherungsbeiträgen und letztendlich auch mit ihrer Ge- Sie das Gesetz!) sundheit teuer dafür bezahlen. Noch dazu erhalten die Krankenkassen das passende Die Gesundheitsdaten aller Versicherten sollen künftig Marketing- und Vertriebsinstrument direkt an die Hand. beim Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversiche- Sie können nämlich den Versicherten künftig individuelle rungen gesammelt und dann einem neuen Forschungsda- Angebote unterbreiten. Es ist doch ganz klar, dass die tenzentrum übergeben werden. Datensätze einzelner Ver- Krankenkassen vor allem digitale Anwendungen empfeh- sicherter sollen ohne Anonymisierung zur Forschung len werden, in die sie selbst investiert haben. Es muss aber weitergegeben werden – und das ohne Zustimmung des nur eine Anwendung floppen, und die Versichertengelder jeweiligen Patienten. Wir sind sehr für die Verbesserung sind komplett futsch. Diese Zweckentfremdung von Bei- der Bedingungen in der Gesundheitsforschung, aber das, trägen der Versicherten als Spekulationskapital lehnen meine Damen und Herren, geht wirklich gar nicht. Des- wir ab. halb bitte ich Sie: Stimmen Sie diesem Verstoß gegen die Datenschutz-Grundverordnung nicht zu. (Karin Maag [CDU/CSU]: Sie wissen es doch besser, Herr Kessler!) (Beifall bei der LINKEN) Das gilt übrigens auch für dieselbe Forderung der Grünen Es ist nicht ausgeschlossen, dass diese Daten auch pri- in ihrem Antrag. vaten, wirtschaftsnahen Forschungseinrichtungen zur Verfügung gestellt werden (Beifall bei der LINKEN – Maria Klein- Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Sabine Dittmar [SPD]: Falsch!) Sie müssen es mal lesen!) 15370 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Dr. Achim Kessler (A) Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund ist da ganz un- Hindernis, sondern Voraussetzung für Akzeptanz und (C) serer Meinung und kritisiert das als eine – ich zitiere – Vertrauen ist, und so müssen wir vorgehen. nicht vertretbare Mehrbelastung der gesetzlichen Kran- kenversicherung. Die hart erarbeiteten Beiträge der Ver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sicherten für Spekulationen freizugeben, ist der sozialpo- Wir lehnen dieses Gesetz ab, und zwar nicht, weil wir litische Offenbarungseid der Regierungsfraktionen. Bedenkenträger wären. Im Gegenteil: Wir haben gesehen, dass Bedenkenträger aus früheren Wahlperioden – Frau (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Da Aschenberg-Dugnus, Herr Jens Spahn – jetzt unter Druck klatscht noch nicht einmal die eigene Fraktion!) sind und das Kind mit dem Bade ausschütten müssen, Das Ganze erweist sich so als ein riesiges Förderpro- weil so lange nicht gehandelt worden ist, weil wir einen gramm für die IT-Wirtschaft mit äußerst fragwürdigem Innovationsstau haben und es eben deshalb nicht schaf- Nutzen für die Patientinnen und Patienten. Damit treiben fen, die Potenziale und Chancen der Digitalisierung wirk- Sie, Herr Spahn, mit Unterstützung der SPD und der lich nutzbar zu machen. CDU/CSU die Kommerzialisierung der Gesundheitsver- sorgung unter dem Deckmantel von Digitalisierung, die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – eigentlich ja positiv ist, und Innovation unerbittlich vo- Zuruf der Abg. Christine Aschenberg-Dugnus ran. Mit Gesundheitspolitik hat das allerdings nichts mehr [FDP]) zu tun. Das ist Wirtschaftsförderung. Wir lehnen dieses Gesetz auch deshalb ab, weil wie in Für uns sind die Patientinnen und Patienten der Maß- der letzten Wahlperiode eine klare Strategie fehlt. Ge- stab und nicht die Interessen der IT-Konzerne. Deshalb meinsam mit den Patientinnen und Nutzerinnen, mit de- lehnen wir das Gesetz ab. ren Verbänden müssen wir die gesundheitspolitischen Ziele festlegen, müssen wir alle Akteure an den Tisch Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. bringen und schauen, wie wir daraus vernünftige Strate- gien herleiten. Genau das ist nicht passiert. Ihr Health (Beifall bei der LINKEN – Marianne Schieder Innovation Hub kann genau das nicht leisten. Er bringt [SPD]: Lesen! Lesen bildet!) eben nicht die wesentlichen Gruppen an den Tisch und sorgt nicht dafür, dass wir in allen Nutzungsbereichen Vizepräsident Thomas Oppermann: tatsächlich eine Strategie haben. Vielen Dank. – Nächste Rednerin in der Debatte ist die Kollegin Maria Klein-Schmeink für die Fraktion Bünd- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – nis 90/Die Grünen. Tino Sorge [CDU/CSU]: Versuchen Sie es doch einmal! Dann werden Sie bestimmt eines (B) (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Besseren belehrt!) Meine Damen und Herren, Digitalisierung ist kein Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Selbstzweck. Sie braucht eine Richtung. Sie muss eine NEN): gesellschaftliche Normierung haben. Auch da fehlt es. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Der Nutzen für die Patienten muss im Vordergrund ste- Kollegen! Lieber Herr Minister! Im Grunde zeigt der Ver- hen. Sie haben uns jetzt ein Gesetz vorgelegt, wo man in lauf der jetzigen Debatte schon, dass wir es mit einem wesentlichen Teilen von Wirtschaftsförderung zulasten Interessenkonflikt zu tun haben und dass dieser Interes- der gesetzlichen Krankenversicherung sprechen muss. senkonflikt derzeit nicht besonders gut aufgelöst wird, Ich habe nichts gegen Wirtschaftsförderung für Start- und zwar weil der Minister so wenig sorgfältig mit dem ups, aber das, bitte schön, ist Aufgabe des Steuerzahlers. Datenschutz umgegangen ist. Wir reden und müssen re- den über Datenschutz und die Wahrung der Selbstbestim- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mungsrechte der Patientinnen und Patienten und der Ver- Nun, digitale Gesundheits-Apps können den Menschen sicherten, weil eben in der jüngsten Zeit gleich zweimal nutzen. Aber sie müssen sich wie alle anderen Anwen- Gesetzesinitiativen ergriffen worden sind, wo genau die- dungen im Gesundheitsbereich auch daran messen lassen, ser Aspekt nicht gewahrt war. (Beifall des Abg. Dr. Achim Kessler [DIE (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) LINKE]) Gerade deshalb sind wir alle und die Öffentlichkeit so ob sie diesen Nutzen auch wirklich erbringen. Es kann sensibel in dieser Frage, weil wir alle wissen: Es handelt nicht sein, dass wir Verfahren schon vorab zulassen und in sich um sensible Daten, mit denen wir sensibel umgehen die Versorgung bringen, für die dieser Nutzen noch nicht müssen, verantwortlich umgehen müssen und umsichtig erwiesen wurde. Das kritisieren wir an diesem Fast-and- umgehen müssen. Das, Herr Minister, haben Sie leider quick-Verfahren, was Sie da vorgelegt haben, was im nicht getan, und das führt auch dazu, dass wir diese De- Übrigen ja nur für solche Apps gilt, die keine wirkliche batte in dieser Weise führen müssen. Behandlungsrelevanz haben; denn genau für diese, die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wirklich wichtig wären, haben Sie gar kein besonderes Zulassungsverfahren. Auch das ist eine Kritik, etwas, was Und es zeigt sich ja auch: Es ist immens wichtig, dass wir Ihnen ankreiden. die Versicherten darauf vertrauen können, dass sorgsam mit ihren Daten umgegangen wird. Es ist eben gerade so, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- dass die Wahrung der Selbstbestimmungsrechte nicht wie des Abg. Harald Weinberg [DIE LINKE]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15371

Maria Klein-Schmeink (A) So wird es dazu kommen, dass die Kassen 400 Millio- das das Wildwest bei den Apps von heute beendet. Die (C) nen Euro – 2 Prozent – aus der Finanzreserve ausgeben Wahrheit ist doch, dass es heute überhaupt keine Orien- für Wirtschaftsförderung statt gezielt für die Verbesse- tierung gibt. Die Apps sind alle da, die kann jeder down- rung der Versorgung mithilfe von digitalen Ansätzen. loaden, die kann sich jeder herunterladen. Keiner sortiert Das wäre der Weg gewesen, den wir hätten gehen müssen. mal: Welche App im Gesundheitswesen hat tatsächlich Wir haben mit unserem Antrag gezeigt, dass das geht. Ich einen Mehrwert? Wo ist nicht nur schönes Marketing, hoffe, Sie nehmen unsere Anregungen an und werden sie nicht nur Gimmick, sondern wo ist ein tatsächlicher Nut- aufnehmen im DVG II, das ja schon angekündigt worden zen für den Patienten in der Versorgung? Das führen wir ist. In diesem Sinne freue ich mich auf die weiteren De- zuerst ein. batten und finde schade, dass wir mit diesem Gesetz nicht wirklich weitergekommen sind. Der zweite Schritt: Wir werden das erste Land auf der Welt sein, in dem die gesetzlichen Kassen das Ganze (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) finanzieren, wenn es einen Mehrwert gibt. Wir zeigen damit für viele, viele andere, wie man es machen kann. Vizepräsident Thomas Oppermann: Und, ja, das ist auch ein Stück Neuland. Ja, wir werden zum ersten Mal Maßstäbe festlegen müssen, wie man Vielen Dank. – Alle in der Debatte aufgelaufenen Fra- einen solchen Mehrwert, einen Zusatznutzen von digita- gen kann jetzt der nächste Redner beantworten. Das Wort len Gesundheitsanwendungen misst. hat der Bundesminister Jens Spahn. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE ordneten der SPD) GRÜNEN]: Haben sie in England auch!) Und, ja, es wird beim ersten Mal auch nicht alles per- Jens Spahn , Bundesminister für Gesundheit: fekt sein – das sage ich Ihnen jetzt schon: Sie können Ihre Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit Rede in sechs Monaten noch mal halten, weil irgendetwas Jahren heißt es, dass wir bei der Digitalisierung in schiefgegangen sein wird –, aber vielleicht sollten wir Deutschland zu langsam sind. Ich habe hier schon man- endlich mal anfangen, auch digitale Innovationen mög- che Rede gehört, insbesondere von denen, denen es jetzt lich zu machen. Wenn wir nur Bedenken haben, aber nie zu schnell geht. Die haben mir gesagt: Es muss doch end- was möglich machen, dann passiert nichts. Wir machen lich auch in der Digitalisierung in Deutschland ein Stück jetzt hier mal was möglich. Tempo rein. – Das galt auch für Gesundheit, ja. Es gab auch, Frau Klein-Schmeink, immer viel Klein-Klein in (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Abg. Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE (B) den Debatten; das stimmt. Das haben wir auch heute wie- (D) der bei Ihrem Beitrag gesehen. GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfra- ge) (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nee!) Und, ja, es geht auch um eine bessere Versorgung durch bessere Forschung mit besseren Daten. Es gibt immer Schwarzmalerei, es gibt Bedenken und ein Verheddern in Einzelfragen, aber nicht den Blick für das, worum es eigentlich geht. Wir wollen jetzt Geschwindig- Vizepräsident Thomas Oppermann: keit machen, Geschwindigkeit, um unser Gesundheitswe- Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage von sen fit zu machen für die digitale Zukunft. Frau Klein-Schmeink? (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Jens Spahn, Bundesminister für Gesundheit: Gerne. Ich kann Ihnen sagen, wenn Sie nach einer Strategie, nach einem Leitmotiv fragen: Dafür braucht man keine hundert Seiten, auch keine fünf Jahre. Das Leitmotiv ist Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ganz einfach. Die digitale Gesundheit ist tatsächlich kein NEN): Selbstzweck. Es geht darum, dass wir die Versorgung von Herr Minister, Sie sprechen davon, dass diese Apps Patientinnen und Patienten in Deutschland konkret im weltweit erstmalig in die Versorgung kommen. Aber Alltag durch bessere Information, bessere Kommunika- wir wissen aus anderen Ländern, dass es durchaus Quali- tion besser machen. Das ist das Leitmotiv: Bessere Ver- tätsmaßstäbe gibt, dass es auch dort Verfahren gibt – ge- sorgung für die Patienten in Deutschland. rade in England, in Großbritannien gibt es das bereits –, in denen Kriterien gebildet worden sind. Wir – daran möchte (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ich Sie erinnern – haben Sie bereits 2015 aufgefordert, ordneten der SPD) genau diese Kriterien zu entwickeln. Damals hat Ihre Das können wir auch konkret machen. Wir beschließen Fraktion genau dieses abgelehnt, genauso wie sie abge- heute hier eine Weltneuheit. Da ist Deutschland ganz vor- lehnt hat, eine Strategie zu entwickeln und zu definieren, ne. Wir werden das erste Land auf der Welt sein, das nicht welche patientenbezogenen Projekte nach vorne gebracht das Klein-Klein, das Wildwest, das Klein-Klein-Wild- werden können. Damals war die Situation, dass wir außer west –, dem Stammdatenmanagement überhaupt nichts definiert hatten. Das haben Sie im Dezember 2015, vor vier Jahren, (Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP) hier an dieser Stelle abgelehnt. 15372 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

(A) Jens Spahn, Bundesminister für Gesundheit: Was mich am meisten wundert, ist: Das Verfahren, das (C) Ja, mag ja sein. wir jetzt hier haben, ist das Verfahren, das es schon seit 15 Jahren gibt. Das hat übrigens Rot-Grün beschlossen. Genau das Verfahren, um das es hier geht, hat Rot-Grün Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- 2004 eingeführt. NEN): Die Frage ist, wie Sie jetzt mit dem Konzept umgehen. (Zuruf der Abg. Maria Klein-Schmeink Bisher sehen wir davon jedenfalls nichts. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Nein, nein, jetzt hören Sie mal genau zu! Ja, ja, ich weiß, Jens Spahn, Bundesminister für Gesundheit: den Skandal kann man schnell mit einer Überschrift ma- Frau Kollegin Klein-Schmeink, zum ersten Teil Ihrer chen, aber wenn es um die Fakten geht, wird es schnell Frage. Ja, es gibt schon Länder, die versucht haben, Kri- schwierig, nicht? terien zu entwickeln. Aber wir werden das erste Land auf der Welt sein, (Beifall der Abg. Karin Maag [CDU/CSU]) (Dr. [AfD]: Wie immer!) Es wurde vor 15 Jahren eingeführt, dass wir Abrech- nungsdaten – es geht nicht um Behandlungsdaten –, die in dem das gesetzliche System auf Rezept, sozusagen auf sowieso genutzt werden, um abzurechnen oder um den Verordnung, zahlt und dem Patienten diese Versorgung Risikostrukturausgleich, die Finanzverteilung der Kassen verfügbar macht. Das ist Weltneuheit. zu regeln, auf dem Weg, den wir heute wählen, über eine Pseudonymisierung und gegenüber denen, die damit for- Ich verstehe Ihre Logik nicht ganz. Sie sagen, Sie hät- schen, immer anonymisiert und nur auf Antrag zur Ver- ten das, was wir heute machen, schon 2015 gewünscht, fügung stellen, nutzen – schneller, ja, und in besserer aber wir hätten es abgelehnt. Jetzt legen wir nicht nur Verfassung, ja –, einen Antrag, sondern ein Gesetz vor, sodass es ab dem 1. Januar passiert, und nun lehnen Sie das ab. Das finde (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE ich, ehrlicherweise, überschaubar logisch. Da müssten GRÜNEN]: Und umfangreicher!) Sie doch voller Begeisterung zustimmen. Oder nicht? damit Forschung besser werden kann, damit man Diabe- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- tikern, Menschen mit Bluthochdruck, Krebspatienten tat- neten der SPD und der FDP – Zuruf der Abg. sächlich sagen kann: Diese Art der Therapie ist besser als Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE die andere. – Dafür erheben wir die Daten, dafür machen GRÜNEN]) wir die Forschung. Das wird seit 15 Jahren auf diesem (B) Weg gemacht. Dass Ihnen vor drei Tagen eingefallen ist, (D) Das ist für mich nicht besonders eingänglich hergeleitet, dass das ein Problem ist, finde ich nicht besonders glaub- aber es ist wahrscheinlich grüne Logik. haft, liebe Frau Klein-Schmeink. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Dage- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Zuruf gen-Partei!) der Abg. Maria Klein-Schmeink [BÜND- Das zweite große Thema, das angesprochen wurde, ist NIS 90/DIE GRÜNEN]) wichtig, weil es sensibel ist. Gesundheitsdaten sind die Herr Präsident, wenn Sie gestatten, ein Letztes dazu: sensibelsten Daten, die es gibt. Deswegen braucht es Da- Wenn Google in diesen Tagen Fitbit kauft, dann höre ich tenschutz und Datensicherheit auf höchstem Niveau. Es von Ihnen nichts. Nichts! Amerikanische Großkonzerne braucht auch deswegen ein Stück Tempo, weil wir sehen, kaufen nach und nach die Gesundheitsdaten der Bürger- dass wir nicht allein sind auf der Welt. Wir haben das innen und Bürger. Ich tippe, sogar einige Kolleginnen und chinesische Modell eines Überwachungsstaates, das für Kollegen haben das Armband dazu. Es wird alles schön den Staat auch die Gesundheitsdaten, die Krankheitsda- zusammengeführt: wo Sie suchen, Ihre Mobilitätsdaten, ten aller Bürgerinnen und Bürger genau wissen und aus- Ihre Gesundheitsdaten. werten will. Wir haben das US-amerikanische Modell eines Überwachungskapitalismus, in dem Großkonzerne (Zuruf der Abg. Katharina Dröge [BÜND- die Daten sammeln und Profit machen. Jetzt geht es um NIS 90/DIE GRÜNEN]) die Frage, ob wir in der Lage sind und sein wollen, hier in Nichts! Aber wenn wir das staatlich in einem sicheren Deutschland, in Europa, mit unserer Vorstellung von Pa- Rahmen von Datenschutz und Datensicherheit machen – tientensouveränität, mit unserer Vorstellung von Daten- nicht damit Konzerne Profit machen, sondern damit wir schutz und Datensicherheit tatsächlich unser Modell zu für Patientinnen und Patienten Forschung betreiben, da- entwickeln, um selbst die Dinge zu gestalten. Wenn wir mit wir für Patientinnen und Patienten mit der Auswer- noch zwei, drei Jahre länger warten und nur wissen, was tung der Daten das Leben besser machen können –, alles nicht geht, dann werden wir nur noch erleiden, was skandalisieren Sie. Wenn es um Großkonzerne geht, die entweder aus China oder den USA kommt, aber sicher Geld machen, dann höre ich von Ihnen nichts. nicht mehr selbst gestalten. Unser Anspruch ist, selber zu gestalten. Deswegen machen wir dieses Gesetz. (Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist falsch!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, passt echt nicht GRÜNEN]: Wenn das denn mal so ist!) zusammen, was Sie hier an dieser Stelle sagen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15373

Bundesminister Jens Spahn (A) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – schneller gehen; denn nur wenn wir die reale Versor- (C) Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE gungssituation kennen, können wir politische, medizini- GRÜNEN]: Es geht um die Zusammenführung sche und gesellschaftliche Konsequenzen daraus ziehen der Daten!) und danach handeln. Wir wollen – darum geht es – das Gesundheitswesen (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) für die digitale Zukunft fit machen: zum Mehrwert der Patienten, für eine bessere Versorgung. Wir wollen das Ich bin froh, dass mit dem vorgelegten Gesetzentwurf vor allem so machen, dass dabei die hohen Standards die schon existente Versorgungsforschung endlich deut- unseres Datenschutzes, unserer Datensicherheit für die lich effizienter wird. Wir müssen dabei nur an wenigen Patientinnen und Patienten hier in Deutschland gelten. Stellschrauben drehen im Vergleich zum Status quo, der Wir wollen in Deutschland und in Europa aus eigener schon seit 2004 gesetzliche Grundlage ist. Kraft ein digitales Gesundheitswesen entwickeln und Was verändern wir? Wir erfassen zukünftig neben den nicht darauf warten, dass es von woanders unter ganz Leistungsdaten der niedergelassenen Ärzte, der Apothe- anderen Maßstäben zu uns kommt. Es geht ein Stück weit ken und der Krankenhäuser auch die Leistungsdaten der um die Selbstbehauptung des Digitalen im deutschen Ge- Hebammen und sonstiger Gesundheitsberufe. Das ist sehr sundheitswesen. Dafür ist dieses Gesetz so wichtig. sinnvoll. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Marianne Schieder [SPD]: Ja!)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Ich betone: Es geht um Leistungsdaten, Abrechnungsda- ten, die sogenannten Routinedaten, und nicht um indivi- Vielen Dank, Herr Minister Spahn. – Vielleicht darf ich duelle Patientendaten wie Röntgenbilder, EKGs oder La- darauf hinweisen, dass ich Sie von Rechts wegen nicht borbefunde, wie leider fälschlicherweise mancher daran hindern kann, hier so lange zu reden, wie Sie wol- Berichterstattung zu entnehmen war. Diese Daten gehen len. Der einzige Leidtragende ist der letzte Redner der kassenartenübergreifend pseudonymisiert an den GKV- Union, dessen Redezeit sich auf zwei Minuten verkürzt Spitzenverband – hier haben wir im parlamentarischen hat. Verfahren zugunsten des Datenschutzes noch einmal (Heiterkeit bei der FDP) nachgeschärft –, und von dort gehen sie über eine Ver- trauensstelle nochmals pseudonymisiert an das staatliche Als nächste Rednerin spricht für die SPD-Fraktion die Forschungsdatenzentrum. Kollegin Sabine Dittmar. Wer kann die Nutzung dieser Daten beantragen? Es (B) (Beifall bei der SPD) gibt schon jetzt strenge gesetzliche Vorgaben zum Nutz- (D) erkreis. Das sind beispielsweise öffentliche Forschungs- Sabine Dittmar (SPD): einrichtungen. Sie müssen klar formulierte Forschungs- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In aufträge vorlegen und erhalten dann die relevanten Daten. den vergangenen Tagen hat es viel Aufregung um das Und es gibt klare Vorgaben, wie diese Daten weiter- DVG und die Frage des Schutzes sensibler Gesundheits- geleitet werden: aggregiert und anonymisiert. daten gegeben. In dieser Debatte ist vieles vermischt und vermengt worden; teilweise fehlte der sachliche Blick auf das, was im Gesetz tatsächlich geregelt werden soll, und Vizepräsident Wolfgang Kubicki: darauf, welche Regelungen es bereits heute gibt. Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss bitte. Ich möchte an dieser Stelle als Erstes betonen: Als Ärztin weiß ich, wie immens wichtig der effektive Schutz Sabine Dittmar (SPD): der persönlichen Gesundheitsdaten ist. Datensicherheit Mit dem Digitale-Versorgung-Gesetz erweitern wir und Datenschutz sind ein sehr hohes Gut. Als Ärztin weiß diesen bereits lange etablierten Kreis noch, nämlich um ich aber auch um die Lücken und Defizite in der derzei- die Universitätskliniken – das ist sehr sinnvoll –, und wir tigen Versorgungsforschung. Aber eine gute Datenlage verhindern – ich weiß, dass es manche Begehrlichkeiten zur Versorgungsrealität nützt jedem Einzelnen von uns. gibt –, dass auch die Industrie auf diese Daten zugreifen kann. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall der Abg. Marianne Schieder [SPD]) Schließlich ist es für uns von hoher Bedeutung, wie sich zum Beispiel die Häufigkeit von bestimmten Erkran- Ich denke, mit diesen wenigen Änderungen - kungen in einer Region entwickelt hat. Gibt es in einer Region oder Bevölkerungspopulation mehr Herz-Kreis- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: lauf-Erkrankungen, mehr Tumorerkrankungen als in ei- Frau Kollegin, kommen Sie jetzt bitte zum Schluss! ner anderen? Warum werden bei mir zu Hause, im Land- kreis Schweinfurt, die Gaumenmandeln achtmal so häufig entfernt wie im 120 Kilometer entfernten Sonne- Sabine Dittmar (SPD): berg? Dies ist das Ergebnis einer Studie aus dem Jahr – verbessern wir die Grundlagen der Versorgungsfor- 2013, die auf Daten aus den Jahren 2007 bis 2010 basiert. schung enorm und helfen, wichtige wissenschaftliche Solche Erkenntnisse, Kolleginnen und Kollegen, brau- Fragen zu klären – unter Beibehaltung unseres hohen chen wir nicht um Jahre zeitversetzt. Das muss sehr viel Datenschutzstandards. 15374 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Sabine Dittmar (A) Ich bitte daher um Zustimmung und danke für die Auf- Wir machen das im Schweinsgalopp. Darüber ist nicht (C) merksamkeit. ausreichend diskutiert worden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Zuruf der Abg. Maria Klein-Schmeink der CDU/CSU) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Wir saßen die letzten Monate in diversen Runden, liebe Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Kollegin Klein-Schmeink, in Podien und Foren, wir ha- Vielen Dank. – Bevor der letzte Redner das Wort zu ben Anhörungen dazu gehabt, und alle haben uns gesagt: seinem Zwei-Minuten-Beitrag erhält, möchte ich auf Fol- Wir müssen schneller, wir müssen besser werden. – Und gendes hinweisen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Nach das machen wir jetzt mit diesem Gesetz; aber das ist dann der bisherigen Geschwindigkeit bei der Tagung werden auch nicht richtig. wir um 5.15 Uhr fertig sein, wenn nicht verkürzende Maßnahmen ergriffen werden. Ich bitte die Geschäftsfüh- Das Forschungsdatenzentrum – ich sehe, ich habe noch rer, vielleicht schon jetzt mit entsprechenden Überlegun- 58 Sekunden – ist etwas richtig Gutes. Wir sammeln näm- gen zu beginnen. lich die Daten, die sowieso schon an den entsprechenden (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Wir Stellen anfallen, und führen sie zusammen. Es geht um sind schon dabei, Herr Präsident! Wir arbeiten pseudonymisierte Daten, es geht um anonymisierte Da- daran!) ten. Wir stellen sicher, dass diese Daten nicht verloren gehen, für die Patientenversorgung und zur Verbesserung – Ich wollte nur darauf hinweisen; 5.15 Uhr wäre wirk- von Behandlungsansätzen genutzt werden können. lich – – Ich gebe ganz offen zu: Ich hätte mir durchaus ge- (Zuruf von der AfD: Und morgen geht es wünscht, dass wir im Verfahren – wir haben ja festgelegt, weiter!) wer, sehr eng limitiert, als Berechtigter auf diese Daten – Ja, dann müssen wir den Saal kurz verlassen, damit hier überhaupt zugreifen darf – und auch bei der Frage, zu saubergemacht werden kann. welchen Zwecken die Daten erhoben werden dürfen – das haben wir auch sehr genau konkretisiert –, auch dieje- Um es klar zu sagen: Ich werde beim nächsten Tages- nigen, die die Innovation im System letztendlich erzeu- ordnungspunkt sehr sorgfältig darauf achten, dass die Re- gen, also die Unternehmen der Gesundheitswirtschaft, dezeiten eingehalten werden, und bitte, zu bedenken, dass stärker einbezogen hätten. Die sind nämlich bisher ex- ich nur einmal darum bitte, zum Schluss zu kommen, und plizit nicht genannt. (B) ansonsten nach weiteren zehn Sekunden das Wort entzie- (D) hen werde. Insofern, glaube ich, haben wir noch viel Diskussions- Herr Kollege Tino Sorge, CDU/CSU Fraktion, Sie ha- bedarf. Das Gesetz können wir noch verbessern. Nach ben das Wort. dem DVG ist vor dem DVG. Ich freue mich auf das DVG II und auf die weiteren Beratungen. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich danke für die Aufmerksamkeit und wünsche uns Tino Sorge (CDU/CSU): gute Beratungen. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Kollegen! Ich wollte in meiner Rede eigentlich dem Mi- ordneten der SPD) nister ganz herzlich danken, aber aufgrund dessen, dass er so lange geredet hat und ich dadurch in meiner Redezeit wesentlich limitierter bin, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank, Herr Kollege Sorge. Sie haben vorbild- (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Dann lich die Zeit eingehalten. – Damit ist die Aussprache be- muss er einen ausgeben!) endet. spare ich mir das jetzt. Tagesordnungspunkt 7 a. Wir kommen zur Abstim- (Heiterkeit) mung über den von der Bundesregierung eingebrachten Trotzdem danke an die Kolleginnen und Kollegen im Gesetzentwurf für eine bessere Versorgung durch Digita- Bundesgesundheitsministerium, die in den letzten Tagen lisierung und Innovation. Der Ausschuss für Gesundheit und Wochen eine Menge Sonder- und Nachtschichten ge- empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung macht haben, damit wir heute über das Gesetz beraten auf Drucksache 19/14867, den Gesetzentwurf der Bun- können. desregierung auf den Drucksachen 19/13438 und 19/ 13548 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte Ich will mich auf einen Punkt konzentrieren, und zwar diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas- auf das Forschungsdatenzentrum. Ich weiß, wir haben in sung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegen- den letzten Wochen und Monaten viel über das For- probe! – Enthaltungen? – Dann ist der Gesetzentwurf in schungsdatenzentrum gesprochen, aber auch über die der Ausschussfassung in zweiter Lesung durch die Frak- Frage, ob wir über das Gesetz länger hätten diskutieren tionen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von müssen; das ist angeklungen. Gerade von den Grünen Bündnis 90/Die Grünen und Linke bei Enthaltung von kam immer wieder der Vorwurf: Das geht alles zu schnell. FDP und AfD angenommen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15375

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) Dritte Beratung um ihren eigenen persönlichen Horizont zu erweitern. All (C) diese Menschen wollen wir zu Piloten ihres eigenen Le- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem bens machen mit dem Versprechen, dass sie ein Leben Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – lang am digitalen Wandel teilhaben können. Wir ermög- Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Dann ist der lichen ihnen Bildung und einen Neuanfang in jeder Le- Gesetzentwurf in dritter Lesung mit den Stimmen von benslage und garantieren ihnen so die Hoheit über den CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/ eigenen Lebenslauf. Die Grünen und Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktionen der AfD und der FDP angenommen. (Beifall bei der FDP) Tagesordnungspunkt 7 b. Beschlussempfehlung des Das erfordert nicht weniger als eine Revolution der Wei- Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Fraktion terbildung, ein zweites Bildungssystem für das ganze Le- Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Der Digitalisie- ben. rung im Gesundheitswesen eine Richtung geben und sie im Interesse der Nutzerinnen und Nutzer vorantreiben“. Liebe Koalition, Sie haben diese große Herausforde- Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Be- rung leider völlig verschlafen. Ihre halbgare Nationale schlussempfehlung auf Drucksache 19/14867, den An- Weiterbildungsstrategie ist nur alter Wein in neuen trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa- Schläuchen. Keine einzige neue innovative Idee! Sie ver- che 19/13539 abzulehnen. Wer stimmt für diese engen den Bildungsbegriff wieder einmal auf die reine Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer berufliche Verwertbarkeit; ein Fehler, den übrigens auch enthält sich? – Dann ist diese Beschlussempfehlung ge- Finanzminister mit seiner ursprünglichen gen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Forderung nach einer Umsatzsteuer auf allgemeine Wei- Enthaltung der Fraktionen der AfD und der FDP mit den terbildung begangen hat – ein völliger Schuss in den Stimmen der CDU/CSU, der SPD und der Fraktion Die Ofen. Das mag für uns im Parlament endlich vom Tisch Linke angenommen. sein, vorläufig, aber in der Stellungnahme des Finanzmi- nisters macht er deutlich, dass die eben zitierten Compu- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf: terkurse für Senioren dann doch weiterhin der Umsatz- steuer unterliegen sollen. Der Zugang zu Weiterbildung Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Jens muss nicht teurer werden, sondern einfacher. Brandenburg (Rhein-Neckar), Johannes Vogel (Olpe), Katja Suding, weiterer Abgeordneter (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Dr. Petra und der Fraktion der FDP Sitte [DIE LINKE] und Beate Walter- Rosenheimer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Niemals ausgelernt, immer neugierig – Ein (B) (D) zweites Bildungssystem für das ganze Leben Wie das gelingen kann, dafür haben wir Ihnen heute ein konkretes Konzept vorgelegt. Zwei Bausteine davon Drucksache 19/14777 möchte ich Ihnen kurz vorstellen. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Erstens. Weiterbildung muss man sich leisten können, Ausschuss für Wirtschaft und Energie unabhängig vom eigenen Geldbeutel. Deshalb fordern Ausschuss für Arbeit und Soziales wir ein persönliches Freiraumkonto, auf dem alle Bürger Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss Digitale Agenda jeweils unbürokratisch eigenes Einkommen, Boni oder Haushaltsausschuss Überstunden einzahlen können und das so angesammelte Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Bildungsguthaben mit entsprechenden Steuervorteilen Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen für Bildungskurse, für Prüfungen, für Bildungsberatung Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. und auch für entsprechende Bildungsauszeiten nutzen können. Vom E-Learning-Kurs in der Straßenbahn bis Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- zum mehrmonatigen Vollzeitstudium ist somit alles mög- ner dem Kollegen Dr. Jens Brandenburg, FDP-Fraktion, lich. das Wort. Vor allem Geringqualifizierte schrecken vor Weiterbil- (Beifall bei der FDP) dung bisher leider allzu oft zurück, meist aus finanziellen Gründen, und das wollen wir ändern. Deshalb schlagen Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar) (FDP): wir ein Midlife-BAföG vor, über das für Geringverdiener Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die bis zu 1 000 Euro im Jahr als Bildungsguthaben auf dieses Digitalisierung verändert unsere Arbeits- und Lebenswelt Bildungskonto eingezahlt werden. Das BAföG hat seiner- fundamental. Heute noch sicher geglaubtes Wissen kann zeit, in den 70er-Jahren, ganzen Generationen die Türen schon morgen überholt sein. Es wird nicht unbedingt we- in die Hochschulen geöffnet und so neue Aufstiegschan- niger Arbeit geben, aber umso größere Umwälzungen in cen geschaffen. Genau das wollen wir nun, im 21. Jahr- jedem Beruf. Somit wird Weiterbildung immer mehr zum hundert, für die Weiterbildung wiederholen. Schlüssel für ein selbstbestimmtes Leben. Das gilt für die (Beifall bei der FDP) Altenpflegerin, die mit Mitte 40 ein Studium des Gesund- heitsmanagements aufnehmen will ganz genauso wie für Zweitens schaffen wir mehr Transparenz im Weiterbil- den Dachdeckermeister, der online seine Vertriebskennt- dungsdschungel. Die Suche nach dem passenden Bil- nisse auffrischt, ebenso wie für die Rentnerin, die einen dungsangebot muss so einfach sein wie das Bestellen Computerkurs belegt, zur gesellschaftlichen Teilhabe und im Onlineshop. Deshalb schlagen wir eine Digitale Bil- 15376 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar) (A) dungsarena als erste Anlaufstelle vor: mit einer guten nden Arbeitswelt nachhaltig zu fördern und alle Weiter- (C) Übersicht über sämtliche Bildungsangebote, online wie bildungsprogramme des Bundes und der Länder zu offline, mit passgenauen, individuellen Empfehlungen bündeln, sie entlang der Bedarfe der Beschäftigten und für die nächsten Bildungsschritte, einer automatischen der Unternehmen auszurichten und eine neue Weiterbil- Verrechnung mit dem persönlichen Freiraumkonto und dungskultur zu etablieren. Wir brauchen eine Kultur der einer direkten Zertifizierung bereits erworbener Kompe- Weiterbildung als breite, nationale Bewegung, die alle tenzen. Alters- und Bevölkerungsgruppen umfasst. Ein Wort zur Union: Ihre MILLA-Idee war anfangs (Beifall bei der CDU/CSU) sehr bürokratisch, ging aber zumindest im Kern in die richtige Richtung. Das haben Sie diese Woche leider völ- Die Welt verändert sich immer schneller, und die An- lig zusammengeschrumpft auf eine reine E-Learning- forderungen am Arbeitsplatz auch. Automatisierung, Di- Plattform, wie sie tausendfach auf dem Markt existiert. gitalisierung, technische Entwicklung, künstliche Intelli- Dafür braucht es nun wahrlich keine staatliche Lösung. genz – das macht den Menschen aber auch Angst. Wir Und wenn nun sogar Frau von der Leyen zum Thema wollen Freude an Weiterbildung vermitteln, und wir „Innovative und agile Verwaltung“ unterrichten soll, hof- möchten, dass die Menschen Vorteile sehen: für ihre per- fe ich nur, dass niemand an diesem Kurs teilnehmen wird. sönliche Entwicklung und für die beruflichen Chancen. Uns als Serviceregierung Ein konkreter Entwurf für ein zweites Bildungssystem liegt Ihnen nun vor. Meine Redezeit ist begrenzt. Ich (Heiterkeit bei der FDP – Dr. h. c. Thomas bekomme vermutlich gleich Druck von hinten. Deshalb Sattelberger [FDP]: Da müssen Sie selber la- als letzter Appell: Lernen Sie bitte nicht aus, bleiben Sie chen!) neugierig, und lassen Sie uns gemeinsam neue Bildungs- ist es wichtig, hier Antworten zu geben und den Men- chancen für jedes Lebensalter schaffen! schen Ängste zu nehmen. Wir schaffen die Voraussetzun- Herzlichen Dank. gen dafür, dass sie gut gerüstet sind – durch regelmäßige Weiterbildungen – für den Arbeitsmarkt der Zukunft. (Beifall bei der FDP) (Beifall des Abg. Dr. Stefan Kaufmann [CDU/ CSU]) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank, Herr Kollege Jens Brandenburg. Wenn Die Nationale Weiterbildungsstrategie ist eine zentrale Sie sich umgedreht hätten, hätten Sie Wind von vorn be- Säule der Fachkräftestrategie der Bundesregierung. kommen; aber Druck von hinten ist auch gut. (B) (Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Die (D) Als nächste Rednerin spricht zu uns die Kollegin bisher nichts bewirkt hat!) Dr. Astrid Mannes, CDU/CSU-Fraktion. Zudem nimmt sie Qualifizierungsstrategien und Aktivitä- (Beifall bei der CDU/CSU) ten der Europäischen Union und auch der OECD mit in den Blick. Sie zielt darauf ab, dass die Übersichtlichkeit Dr. Astrid Mannes (CDU/CSU): der Weiterbildungs- und Beratungsangebote sowie die Fördermöglichkeiten in Bund und Ländern so verbessert Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die FDP werden, dass alle Menschen ihren persönlichen Lern- und bezeichnet sich ja immer sehr gerne als Serviceopposi- Entwicklungsprozess passgenau gestalten können. Be- tion. Den Antrag für heute haben wir gestern Abend vor- stehende Beratungsangebote von Bund, Ländern, Kam- gelegt bekommen. Mit Service hat das recht wenig zu tun. mern, Verbänden, aber auch Bildungswerken sollen zu Davon kann also keine Rede sein. einer flächendeckenden hochwertigen und vernetzten (Dr. Jens Brandenburg [Rhein-Neckar] [FDP]: Beratungsstruktur ausgebaut werden. Das Positionspapier gibt es seit Monaten!) Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat mit MILLA – Der Antrag hingegen ist durchaus besser gelungen; Sie haben es angesprochen – schon ein Modell für ein denn Sie erkennen die Herausforderungen unserer Zeit. umfassendes, übersichtliches Onlineportal für Weiterbil- Die allerdings haben auch die Regierungsparteien längst dungsangebote entwickelt, damit die Menschen bei der ausgemacht, und die Regierung hat mit ihrer großen Na- Vielzahl der Bildungsangebote, die es auf dem Markt tionalen Weiterbildungsstrategie auch längst reagiert. Sie schon gibt, noch durchsteigen und sich leichter orientie- hat diese erarbeitet, zusammen mit den Ländern, mit der ren können. Wirtschaft, den Gewerkschaften, der Bundesanstalt für Arbeit und unter Einbeziehung weiterer Partner aus Wis- Eine Verlängerung der bis Ende 2020 befristeten Rege- senschaft und betrieblicher Praxis. Ein gemeinsames lung zu Weiterbildungsprämien bei erfolgreichen Zwi- Marschieren mit aufeinander abgestimmten Prozessen, schen- und Abschlussprüfungen im Rahmen der Umschu- darin liegt die Stärke. lungen soll geprüft werden. Auch soll informelles berufliches Lernen sichtbar und verwertbar gemacht wer- Die Nationale Weiterbildungsstrategie ist auch als per- den. Mit dem Qualifizierungschancengesetz und der Stär- manenter Prozess der Weiterentwicklung gedacht. Im kung der Weiterbildungs- und Qualifizierungsberatung Koalitionsvertrag haben wir als Ziele definiert, breiten ist schon ein wichtiger Schritt gemacht, ebenso mit der Bevölkerungsteilen den beruflichen Aufstieg zu erleich- Novelle des Aufstiegs-BAföGs, mit der finanzielle Hür- tern, die Beschäftigungsfähigkeit in einer sich wandel- den für die Weiterqualifizierung abgebaut werden. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15377

Dr. Astrid Mannes (A) Sie fordern ein Midlife-BAföG. Über Finanzierung angepriesen, verkauft und anschließend bewertet. Wer (C) und Details werden wir uns im Ausschuss unterhalten. viel kauft, wird am Ende belohnt und bekommt – viel- Ihre anderen Überlegungen gehen weitgehend in der Wei- leicht – einen Job, falls nicht jemand auftaucht, der mehr terbildungsstrategie der Bundesregierung auf. Wir freuen Weiterbildungsangebote in seinem Warenkorb vorweisen uns auf die weiteren Beratungen. kann. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Meine Damen und Herren, wir von der AfD-Fraktion ordneten der SPD) wollen das nicht. Wir wollen bei uns keine amerikani- schen Verhältnisse mit einem verrotteten staatlichen Bil- dungssystem. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Herzlichen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner ist (Beifall bei der AfD) der Kollege Dr. Götz Frömming, AfD-Fraktion. Auf den Verfall der klassischen Bildung im Sinne (Beifall bei der AfD) Humboldts antworten Sie mit einer Ökonomisierung der Bildung. Der Gipfel ist dann noch, dass bei fleißiger Ein- Dr. Götz Frömming (AfD): zahlung und Nutzung des „Freiraumkontos“ Steuer- und Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Sozialversicherungsbeiträge entfallen sollen. Das ist Herren! Es gibt ja einen interessanten Unterschied zwi- abenteuerlich, meine Damen und Herren, und das ist schen Bildungspolitikern, zumindest den meisten, und komplett unsolidarisch. denjenigen, die in der Praxis, also sozusagen an der Front, (Beifall bei der AfD) all das ausbaden müssen, was sich zuvor Theoretiker aus- gedacht und Politiker beschlossen haben. All die hüb- Dazu sagen wir Nein, Nein und nochmals Nein. Die schen Wörter, mit denen die Theoretiker und die Politik FDP nennt das Ganze übrigens „Bildungssparen“. Ich in den letzten Jahren Schulen und Universitäten umge- sage Ihnen, lieber Herr Brandenburg: Bitte ersparen Sie krempelt haben – mit einer Reform nach der anderen uns künftig solche unausgegorenen Anträge! Sie hatten haben sie sie traktiert –, diese hübschen Wörter, meine beim letzten Mal einen viel besseren. Aber dieser hier Damen und Herren, lösen bei vielen Lehrern an Schulen geht wirklich gar nicht. und Hochschulen ein zunehmendes Unbehagen aus. (Beifall bei der AfD) (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Damit ich an dieser Stelle nicht missverstanden werde: Ihre Wörter noch viel mehr!) Leistungsorientierung, Noten, Erfolge und Niederlagen sind selbstverständlich Bestandteil eines guten Bildungs- (B) Ich nenne Ihnen ein paar dieser Wörter: Kompetenzorien- (D) tierung, Humankapital, Output-Steuerung, und Ausbildungssystems. Aber erreichte Bildungsab- schlüsse müssen dann auch anerkannt und von uns res- (Stephan Albani [CDU/CSU]: Was hat das mit pektiert werden. Die Menschen lebenslang durch die Weiterbildung zu tun?) „Bildungsarena“, wie Sie das nennen, zu jagen, gegen- einander aufzuhetzen und auszuspielen, ein solches Bildungsstandards und eben auch lebenslanges Lernen. Wolfsgesetz der Bildung, meine Damen und Herren, leh- Darum geht es der FDP im vorliegenden Antrag, auch nen wir ab. wenn Sie so klug sind, das Wort „lebenslanges Lernen“ zu ersetzen durch „lebensbegleitendes Lernen“, wie Sie Wir wissen schon seit Jahren, dass mindestens die es nennen. Es läuft aber auf dasselbe hinaus. Hälfte der Weiterbildungsmaßnahmen die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllen und diese deshalb oft zu Ver- Ein zweites Bildungssystem für das ganze Leben schla- unsicherung, Enttäuschung und Demotivation bei den gen Sie uns vor, betrieben vor allem durch private Wei- Teilnehmern führen. Bevor wir da etwas Neues draufsat- terbildungsfirmen und privatisierte Angebote des öffent- teln, so wie die FDP es will, sollten wir doch erst einmal lichen Bildungssektors. Finanziert werden soll das Ganze überlegen, woran das liegt. über virtuelle Konten, sogenannte Freiraumkonten, auf die ein Teil des Lohnes umgeleitet und für Weiter- Beständig zu lernen, ist übrigens nicht erst ein Gebot bildungen eingefroren wird. Hinzu kommt ein sogenann- des Internetzeitalters. Das war schon immer so. Schon der tes Midlife-BAföG; es ist eben schon erwähnt worden. chinesische Philosoph Laotse sagte: Lernen ist wie Ru- Meine Damen und Herren, eine gewisse Kreativität bei dern gegen den Strom. Sobald man damit aufhört, treibt der Wortneuschöpfung können wir der FDP nicht abspre- man zurück. – Aber, meine Damen und Herren, dafür chen; brauchen wir keine digitale Bildungsarena, dafür brau- chen wir auch nicht das Geschäftsmodell der FDP, und (Heiterkeit bei der AfD) dafür brauchen wir auch keinen ausufernden privatisier- aber das macht den Inhalt noch nicht besser. ten Weiterbildungsmarkt. (Beifall bei der AfD) Wir, die AfD-Fraktion, denken vom Menschen aus. Das gilt auch für die sogenannte Digitale Bildungsare- (Lachen bei Abgeordneten der SPD, der LIN- na. Was das sein soll, kann man zwischen den Zeilen KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- lesen. In der Digitalen Bildungsarena finden die Anbieter NEN – Marianne Schieder [SPD]: Sie verga- von Bildungsprodukten ihre Käufer. Sozusagen wie in ßen, zu sagen: Nur vom deutschen Menschen einem Onlineshop werden dort Weiterbildungsangebote aus!) 15378 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Dr. Götz Frömming (A) – Hören Sie einmal zu! Da können Sie was lernen. Das In unserem Papier für einen neuen Sozialstaat haben (C) müsste eigentlich Ihre Kritik, also der Linken, sein. – Die wir diese Konten in diesem Jahr „Zeitkonten“ genannt, FDP denkt vom Markt aus. Aus Sicht des Marktes be- dabei aber auch die Idee weiterentwickelt. Uns schwebt greift sie den Menschen als etwas Defizitäres, etwas, das bei Freiräumen nicht nur die reine Teilnahmemöglichkeit den Ansprüchen nie ganz gerecht wird. Deshalb überti- bei Weiterbildungsangeboten vor, was zweifelsohne teln Sie Ihren Antrag auch mit den Worten: „Niemals wichtig ist. Vielmehr sollen unsere Zeitkonten auch mehr ausgelernt“. Meine Damen und Herren, liebe Kollegen Raum für Familien ermöglichen, beispielsweise für die von der FDP, merken Sie denn nicht, dass solche Formu- Pflege von Angehörigen oder die Kindererziehung. lierungen den Menschen draußen Angst machen? Bitte kehren Sie zurück auf den Pfad der Tugend! (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Besonders wichtig ist, dass die angesparte Zeit auch bei Vizepräsident Wolfgang Kubicki: einem Jobwechsel übertragbar wäre. Hier finde ich im vorliegenden Antrag nichts. Kommen Sie zum Schluss, Herr Kollege. (Dr. Jens Brandenburg [Rhein-Neckar] [FDP]: Dr. Götz Frömming (AfD): Doch! Das soll so bleiben und verbessert wer- Halten Sie sich an unser bewährtes Bildungssystem, den!) und ersparen Sie uns diese Luftschlösser! Die Nationale Weiterbildungsstrategie liefert aber auch Vielen Dank. sonst Antworten und Vorschläge auf die Forderungen Ihres Antrags und macht diesen damit obsolet. Was mir (Beifall bei der AfD) auch fehlt, ist die Verknüpfung von Erstausbildung und Weiterbildung. Schon Ihr Titel suggeriert, dass hier Vizepräsident Wolfgang Kubicki: getrennt werden muss. Das finde ich nicht. So möchte Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Ulrike ich hervorheben, dass der Rechtsanspruch auf das Nach- Bahr, SPD-Fraktion. holen eines Berufsabschlusses in der Nationalen Weiter- bildungsstrategie von zentraler Bedeutung ist. Er bietet (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Stephan die Grundlage für die Teilnahme an Weiterbildungsange- Albani [CDU/CSU]) boten. Wir halten fest: Noch immer hängt der Bildungs- grad mit der Bereitschaft zur Teilnahme an einer Weiter- Ulrike Bahr (SPD): bildungsmaßnahme zusammen. Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (B) nen und Kollegen! Liebe Gäste! Erst neulich habe ich in (D) der Zeitung gelesen, dass schon heute ein Roboter die Die Umsetzung der Ergebnisse der Weiterbildungs- Arbeit von 1,6 Menschen ersetzen kann. Das kann beun- strategie werden wir begleiten; das hat auch die Zustim- ruhigen, muss es aber nicht; denn auch wenn sich die mung der Sozialpartner. Es wird halbjährlich evaluiert. Arbeitswelt verändert, so wird uns die Arbeit mit Sicher- Dann sollten wir, falls nötig, nachjustieren. Das ist der heit nicht ausgehen. Allerdings werden andere Qualifika- richtige Weg. tionen und Berufe benötigt. Deshalb ist die SPD-Fraktion Das heißt jedoch nicht, dass wir bis dahin nichts für der Meinung, dass der beruflichen und allgemeinen Wei- bessere Rahmenbedingungen in der Weiterbildungsland- terbildung enorme Relevanz zugeschrieben werden muss. schaft tun. Das Gegenteil ist der Fall. Mit dem Qualifizie- (Beifall bei der SPD) rungschancengesetz und dem von Hubertus Heil ange- kündigten Arbeit-von-morgen-Gesetz sind wir bereits Wer sich weiterbildet, der hat Chancen auf dem Ar- aktiv in die Weiterbildungsförderung eingestiegen und beitsmarkt von morgen. Wir brauchen daher eine gute wollen diese in Zukunft sogar noch ausbauen. Weiterbildungskultur in Deutschland, die alle mitnimmt und keinen zurücklässt. Doch wie stellt man so etwas an? Nach der Novelle des Berufsbildungsgesetzes kommt Unser Vorschlag war die Entwicklung einer Nationalen nun die Reform des Aufstiegs-BaföG, mit der wir die Weiterbildungsstrategie, wie genannt, die wir im Koali- Kosten für die Teilnehmenden an einer individuellen Auf- tionsvertrag festgeschrieben haben. Die Regierung hat stiegsfortbildung erheblich senken werden. Damit moti- dieses Vorhaben gemeinsam mit den Sozialpartnern in vieren wir, in die eigene Weiterbildung zu investieren. Angriff genommen und ihre Ergebnisse im Sommer ver- öffentlicht. Darin sind in zehn Themenfeldern Problems- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) kizzen und Maßnahmen aufgezeigt, wie eine gute Wei- Alleine dafür nimmt der Bund im kommenden Jahr rund terbildungspolitik aussehen kann. 392 Millionen Euro in die Hand. Das sind fast 50 Prozent mehr als noch in diesem Jahr. Das hat nun auch die FDP-Fraktion erkannt und eigene Vorschläge entwickelt. Viel Neues konnte ich dort jedoch Und nebenbei: Auch wenn von der politischen Seite oft nicht lesen. Dennoch hege ich Sympathien für die eine die berufsbezogene Weiterbildungsförderung im Vorder- oder andere Idee, nicht, weil es welche der FDP wären, grund steht, ist für uns klar, dass auch an die individuellen sondern deshalb, weil Sie Vorhaben der SPD aufgreifen, allgemeinbildenden Angebote gedacht werden muss, wie wie beispielsweise den Vorschlag der „Freiraumkonten“. sie zum Beispiel unsere Volkshochschulen anbieten. Die- Diese hießen bei uns 2017 „Chancenkonten“ und zielten se Angebote sind enorm wichtig für unsere Gesellschaft, in die gleiche Richtung. denn sie bieten einen niedrigschwelligen Zugang zu Bil- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15379

Ulrike Bahr (A) dungsleistungen und machen damit lebensbegleitendes Die Folge sind prekäre Beschäftigungsverhältnisse bei (C) Lernen erst möglich. den Lehrenden, insbesondere bei Honorarkräften und bei Selbstständigen. Sie werden oft nicht tarifgebunden und demzufolge auch deutlich niedriger bezahlt. Sie werden Vizepräsident Wolfgang Kubicki: befristet eingestellt und hocken meistens unfreiwillig in Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. Honorarverträgen. So ist weder eine armutsfeste Alters- absicherung möglich, und, was noch viel entscheidender Ulrike Bahr (SPD): ist, jene, die Fort- und Weiterbildung anbieten sollen, Das unterstützen wir auch weiterhin. haben selber gar keine Chance auf Fort- und Weiterbil- dung. Das ist ja sozusagen auch schon der Untergang Vielen Dank. eines solchen Systems, wenn man diese Basis nicht stärkt. Das heißt also, gute Weiterbildung und gute Arbeit sind (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zwei Seiten einer Medaille. der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Danke, Frau Kollegin Bahr. – Als nächste Rednerin hat Drittens. Bildung braucht Zeit. Sie braucht Finanzie- das Wort die Kollegin Dr. Petra Sitte, Fraktion Die Linke. rung. Der gesamte Prozess muss auch vertrauensvoll ge- staltet sein. Anders als im FDP-Antrag ist für uns Weiter- (Beifall bei der LINKEN) bildung mehr als Lernen für beruflichen Aufstieg oder berufliche Umorientierung. Weiterbildung umfasst auch Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): persönliche Bildungsansprüche. Gerade in Zeiten von Fa- ke News und Demokratiestärkung, von der wir hier im- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will mer wieder reden, vertreten wir ein Bildungsverständnis, mich auf drei Punkte konzentrieren, von denen ich meine, das statt persönlicher Abhängigkeit mehr Selbstständig- dass sie im Kontext dieses FDP-Antrages auf keinen Fall keit, mehr Selbstbestimmung und mehr Gleichstellung vergessen werden sollten. ermöglicht. Erstens. Nicht nur Bildung, sondern eben auch Weiter- bildung sind in Deutschland immer noch Spiegelbild so- (Beifall bei der LINKEN) zialer Ungerechtigkeit und Ungleichheit. Hierzulande Dazu bedarf es in der Tat eines umfassenden Netzes an profitiert von einer Qualifizierung vor allem, wer er- Weiterbildungsangeboten. Die Träger sind verlässlich zu werbstätig ist und gut verdient, wer einen guten Real- (B) unterstützen, um dann auch ihre eigene Bezahlung und (D) schulabschluss und einen höheren beruflichen Abschluss damit auch die Beschäftigungsverhältnisse angemessen hat. Erwerbslose, geringqualifiziert Arbeitende oder eben zu vergüten. Zwingend notwendig ist, sich mit den auch Menschen mit Hauptschulabschluss finden hinge- Konzepten der Gewerkschaften wie Weiterbildungs- gen viel schlechter Zugang zu guter Weiterbildung. Ähn- mentorinnen und -mentoren in Betrieben zu öffnen oder lich ergeht es auch den 2 Millionen Menschen ohne sich das Bildungsfreistellungsgesetz des DGB Sachsen Schulabschluss und vor allem den 6 Millionen Menschen, oder die von der GEW geforderten Weiterbildungsfonds die als funktionale Analphabeten gelten. anzuschauen. Der Matthäus-Effekt verstärkt auch hier die Ungleich- heiten: Wer sozial und gesellschaftlich ohnehin benach- Abschließend will ich sagen: Auch in Zeiten von Di- teiligt ist, erlangt deutlich weniger Ressourcen für Bil- gitalisierung und künstlicher Intelligenz ist Qualifizie- dung und damit gleichermaßen auch für Weiterbildung. rung nicht das Allheilmittel zur Lösung von Struktur- Das zieht sich sozusagen wie ein schwarzer Faden durch und Beschäftigungsproblemen. die gesamte Bildungslandschaft. Das muss endlich ein Ende haben. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall bei der LINKEN) Frau Kollegin Sitte, kommen Sie zum Schluss bitte. Mithin lehnt Die Linke auch ab, Wissen für Menschen einseitig nach wirtschaftlicher Verwertbarkeit zu öffnen. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Lebenslanges Lernen soll für alle Lernen fürs Leben sein. Das bleibt eine sozialpartnerschaftliche Aufgabe von Zweitens. Lernen und Lehren brauchen Qualität. Wei- Betrieben, Gewerkschaften und der Politik. terbildungen nach den Sozialgesetzbüchern, beispiels- Danke. weise mit einer direkten Förderung durch die Bundessagentur für Arbeit, haben viel eher etwas mit (Beifall bei der LINKEN) einer Beschäftigungstherapie als mit Qualität zu tun. Das Prinzip, je billiger, desto besser, kommt aber am Ende alle viel teurer zu stehen, weil diese Weiterbildung Vizepräsident Wolfgang Kubicki: weniger nutzt und vor allem weil die Betroffenen dadurch Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin unglaublich demotiviert werden. Das ist absurd. Beate Walter-Rosenheimer, Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 15380 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

(A) Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/DIE so wenig beansprucht wird. Da möchte ich Sie einmal (C) GRÜNEN): auffordern, zu überlegen, warum das kein Erfolgsmodell Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und ist. Warum zum Beispiel möchten Arbeitnehmerinnen Kollegen! Liebe Zuhörer und Zuhörerinnen! „Niemals und Arbeitnehmer im Urlaub wirklich lieber freihaben, ausgelernt, immer neugierig“, was für ein schöner Titel, als Urlaubstage für Weiterbildung anzusparen? Ich sage lieber Herr Brandenburg, ganz in meinem Sinne und ein einmal: Die Urlaubstage sind zur Erholung da, und nicht, schönes Lebensmotto. Digitalisierung und ein eklatanter um sie auf irgendeinem Konto zu sparen. Fachkräftemangel in unserem Land machen „lebensbeg- leitendes Lernen“, wie Sie es nennen, notwendiger denn (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN je und zu einer der zukunftsweisenden Fragen unserer sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Arbeitswelt. Da möchte ich ganz nachdrücklich an die Errungenschaf- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- ten bei den Arbeitnehmerrechten erinnern. wie des Abg. Dr. Jens Brandenburg [Rhein-Ne- ckar] [FDP]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Schön, dass wir mit Ihrem Antrag heute die Gelegenheit Dann zum nächsten Thema. Sie fordern einen Rechts- bekommen, hier Weiterbildung zu diskutieren; denn es ist anspruch auf ein „Midlife-BAföG“. Das klingt ein biss- noch lange nicht alles dazu gesagt. chen nach Krise in der Lebensmitte. Aber jetzt einmal im Ernst: Um was handelt es sich? Sie wollen Menschen Zu einigem, was Sie in Ihrem Antrag schreiben, kön- unter 65 und mit geringem Einkommen einen staatlichen nen wir Grüne Zustimmung geben, und zwar: Ja, lebens- Zuschuss gewähren, der dann auch diesem Freiraumkon- begleitendes Lernen ist wichtig und braucht mehr Auf- to zugeschrieben wird. merksamkeit. Gerade Geringqualifizierte brauchen mehr finanzielle Unterstützung, da bei ihnen fehlende Weiter- (Zuruf von der FDP: Eine super Idee!) bildung oft am leeren Geldbeutel scheitert. Und, ja, wir brauchen mehr Geld; denn Weiterbildung kostet, gerade Wenn ich mir aber die Höhe anschaue – bei voller För- wenn wir ein qualitativ hochwertiges, inklusives und ge- derung maximal 1 000 Euro pro Jahr –, dann muss ich rechtes lebenslanges Lernen für alle wollen. Und, ja, wir leider sagen: Das ist Augenwischerei oder allenfalls ein brauchen eine geeignete Bewertungsmöglichkeit für non- Tropfen auf den heißen Stein. formales Lernen, das dann in formale Abschlüsse der Aus- und Weiterbildung implementiert werden kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Und, ja, wir wollen auch die Hochschulen und andere (B) Einrichtungen besser nutzen für Weiterbildungsangebote. Das macht Weiterbildung wieder am Geldbeutel der Men- (D) schen fest, und das wollen wir Grünen nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Johannes Vogel [Olpe] [FDP]: Ziemlich viel Unabhängig vom Einkommen fordern wir eine Weiter- „ja“!) bildungsunterstützung, die allen zugutekommt. Wir wol- – Ja, ziemlich viel „gut“. len die gesetzliche Verankerung des Rechts auf Weiter- bildung. Ja, Sie haben recht: Der derzeitige Weiterbildungs- markt ist unübersichtlich. Viele Menschen verlieren sich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) in diesem Maßnahmendschungel, und da müssen wir raus. So muss kein neues Bürokratiemonster beim Finanzamt aufgebaut werden, und es ist datenschutzrechtlich weit (Beifall des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/ weniger bedenklich als Ihre Ideen. DIE GRÜNEN] – Johannes Vogel [Olpe] [FDP]: Noch ein „Ja“!) Noch zu Ihrem Vorschlag einer Digitalen Bildungsare- na. Das halten wir aus datenschutzrechtlichen Gründen Ich finde gut, dass wir Sie an unserer Seite mit unserer für keine gute Idee. Denn wie können Millionen von Frei- Forderung nach einer bundes- oder europaweiten digita- raumkonten mit dieser Bildungsarena vernetzt werden, len Weiterbildungsplattform wissen. und wie kann man dann aus diesen abrechnen? Außerdem So, lieber Herr Brandenburg, das war jetzt ein schöner fragen wir uns, wie es klappen soll, dass passgenaue Lö- Strauß Blumen, nicht wahr? Doch leider scheiden sich sungen für eine anfragende Person gegeben werden, unsere Geister da, wo es an die Umsetzung geht. wenn es überhaupt keine persönliche Beratung mehr gibt, also kein Gegenüber mehr für Fragen, Unterstützung oder (Stephan Thomae [FDP]: Bis jetzt war die Rede Beratung. Hier kommt mir Ihr Antrag, Herr Kollege gut!) Brandenburg, dann doch ein bisschen unausgereift vor. Ich will, weil ich nicht so viel Zeit habe, nur einige Punkte Mir fehlt insgesamt mehr Auseinandersetzung mit kriti- noch nennen. schen Punkten wie Datenschutz oder Bürokratie. Ihr An- satz ist uns da zu viel FDP im Sinne von Einzelkämpfer- Sie wollen die schon bestehenden Langzeitkonten nach tum und „Jeder ist seines Glückes Schmied“. Wir wollen dem sogenannten Flexi-II-Gesetz zu einem sogenannten da mehr soziale Verantwortung und mehr Weitblick. Freiraumkonto umbauen; das haben wir schon gehört. Als einen Grund nennen Sie, dass das jetzige Zeitwertkonto (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15381

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: ständig machen, von den Belastungen, die durch den Be- (C) Herzlichen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner ist zug von Aufstiegs-BAföG entstanden sind, freikommen. der Kollege Stephan Albani, CDU/CSU-Fraktion. Wir nehmen 350 Millionen Euro in die Hand, um dieses zu machen. Ich glaube, das ist ein wichtiger Schritt in die (Beifall bei der CDU/CSU) richtige Richtung.

Stephan Albani (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir ver- neten der SPD – Dr. Jens Brandenburg [Rhein- handeln hier einen Antrag der FDP, der, als ich ihn gestern Neckar] [FDP]: Gut, dass Sie unserer Forde- bekam und durchlesen konnte, für mich wieder so ein rung folgen!) bisschen das Bild eines bildungspolitischen Schrotschus- Auch die Nationale Weiterbildungsstrategie hat nichts ses ergab. mit Ihrem Schrotschuss zu tun. Es ist ein strukturiertes Programm, das wir jetzt locker abarbeiten werden. Die (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU Vorschläge, die wir gerne im Ausschuss diskutieren kön- und der SPD) nen, werden noch aufgegriffen. Das heißt, man lädt die Flinte mit putzigen Kugeln, die da Beim Midlife-BAföG bleiben Sie die Antwort auf die heißen „Midlife-BaföG“, „Freiraumkonten“, „Digitale Frage völlig schuldig, wie das Ganze finanziert werden Bildungsarena“ und Ähnliches, und dann schießt man soll. Sie machen dafür keine Vorschläge. Wenn Sie an einmal einfach so in eine Richtung und hofft, dass irgend- dieser Stelle zum Beispiel das AFBG anfassen wollen, was umfällt. dann wird das Midlife-BaföG, das kann ich Ihnen garan- (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, tieren, schnell zur Midlife-Krise. Insofern kann ich Ihnen der SPD und der LINKEN) als Wissenschaftler zusichern – ich bin von Berufs wegen neugierig –: Ich bin gespannt, wie Sie diesen Schrot- Im Grunde ist das aus meiner Sicht eher ein stochastischer schuss letzten Endes zielsicher ins Ziel bringen. Prozess als eine gezielte Planung. Danke. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Insofern würde ich Sie gerne darauf hinweisen, dass die- ser Vorschlag nicht unbedingt im freien Raum stattfindet und schon gar nicht – das sei mir als altem Trekkie er- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (B) laubt – „To boldly go where no man has gone before!“; da Vielen Dank, Herr Kollege Albani. – Als nächste Red- (D) sind schon ein paar. nerin hat das Wort die Kollegin Dr. Manja Schüle, SPD- Fraktion. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) (Beifall bei der SPD)

Es sei hier darauf verwiesen, dass wir im Herbst letzten Dr. Manja Schüle (SPD): Jahres das Qualifizierungschancengesetz verabschiedet Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und haben. In diesem haben wir Fördermöglichkeiten zur be- Kollegen! Liebe Zuschauer auf der Tribüne! Das Spiel ruflichen Weiterbildung für Berufe, die von einem Struk- scheint bekannt: Die Opposition stellt einen Antrag. Die turwandel betroffen sind, geschaffen. Gestaffelt nach regierungstragenden Fraktionen sagen: Machen wir Größe der Unternehmen, können hier entsprechende Zu- schon, machen wir besser, sind wir in Planung, lehnen schüsse gezahlt werden. wir ab. – So einfach will ich es mir aber nicht machen. In Ihrem Antrag kritisieren Sie die Unübersichtlichkeit So einfach hat es sich auch meine Kollegin Bahr nicht der gesamten Weiterbildungssituation. Nachdem Sie heu- gemacht. te Morgen endlich – nach einem Jahr – auch den Inno- Wenn die FDP mit uns über das Bildungssystem disku- vED-Wettbewerb als einen Wettbewerb für exzellente tieren will, dann lohnt sich der Blick auf die Autobiogra- berufliche Bildung anerkannt haben, bin ich mir hundert- fie eines liberalen Bildungspolitikers und Philosophen. prozentig sicher: Sie werden die Gattungsbegriffe des Mit Ihrer Zustimmung darf ich zitieren: neuen Berufsbildungsgesetzes irgendwann als Ordnung begreifen. Die ... Ökonomisierung der gesamten Gesellschaft und damit auch der Bildung ist ... aus meiner Sicht (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU eine der schlimmsten Entwicklungen unserer Zeit. und der SPD) (Dr. Götz Frömming [AfD]: Bravo!) Als nächstes Gesetz kommt das Aufstiegs-BaföG, das wir jetzt auf dem Berufsbildungsmodernisierungsgesetz Herr Sattelberger, wie recht haben Sie, wenn Sie das in aufsetzen können. Hier geht es darum, die Unterhaltsför- Ihrem Buch aus dem Jahre 2015 schreiben derung auf den Weiterbildungsstufen, auf dem DQR 5, 6 und 7, voll zu fördern; „voll“ heißt, man bezieht nicht nur (Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Haben eine Stufe ein, sondern alle Stufen. Es geht darum, an Sie es gelesen? Dann wären Sie heute klüger!) dieser Stelle den Menschen zu ermöglichen, dass sie, und deutlich Wege in der beruflichen Bildung beschrei- wenn sie diese Stufen genommen haben und sich selbst- ben, die sich nicht beschränken lassen auf die Idee des 15382 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Dr. Manja Schüle (A) permanenten ökonomischen Fortschritts. Wir teilen ja Ih- Drittens. Sie fordern ein Bildungsguthaben in Gestalt (C) re Gedanken zum lebenslangen Lernen, aber bitte ohne eines Midlife-BAföG von 18 bis 65 Jahren. Also ganz Vorbedingungen. ehrlich, Herr Brandenburg, Sie scheinen ein unfassbares Vertrauen in die Medizin zu haben, wenn Sie Midlife, also (Beifall bei der SPD) die Lebensmitte, bis 65 Jahre sehen, oder Sie hatten den Herr Sattelberger, freuen Sie sich jetzt, dass ich Sie als Druck, einfach wieder ein neues Schlagwort zu erfinden: „Philosoph“ tituliert habe? ein hippes Wort für einen hippen Antrag. (Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Ich (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Astrid lächle müde!) Mannes [CDU/CSU]) Die Erwartungen an Arbeit, Arbeitszeiten und Weiter- Viertens. Das angesparte Guthaben im Freiraumkonto, bildungsphasen und auch die Vereinbarkeit mit indivi- also Überstunden, Boni, ungenutzte Urlaubstage etc., sol- duellen Lebensentwürfen verändern sich. Die Digitalisie- len die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für Frei- rung und der demografische Wandel beschleunigen diese stellungen nutzen; aber einen Rechtsanspruch auf Frei- Veränderungen. Wir alle spüren doch den Druck; auch stellung gegenüber dem Arbeitgeber wollen Sie diesen wir als Politiker spüren den steigenden Qualifikationsbe- Menschen nicht einräumen. Sie warfen uns vorhin vor, darf. Unser SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil hat da- wir seien ausschließlich für ökonomische Verwertbarkeit; rauf mit dem Qualifizierungschancengesetz reagiert. Dort aber in keiner Silbe Ihres Antrags findet sich etwas zur bauen wir Sozialdemokraten die Weiterbildungs- Verantwortung der Arbeitgeber für die Qualifizierung ih- förderung für Beschäftigte aus; die Kollegin Bahr hat es rer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Ist das wirk- ausgeführt. lich Ihr Ernst, Herr Brandenburg? Wir benötigen aus meiner Sicht aber einen viel umfas- (Beifall bei der SPD) senderen Ansatz, einen Ansatz, wie er sich im Sozial- staatskonzept der SPD wiederfindet. Als wir ihn damals Unterm Strich ist das nicht die neue FDP; das ist die alte vorgestellt haben, haben wir sehr deutlich die Anforde- FDP. Aber: Wo Schatten ist, ist auch Licht. rungen formuliert, die wir bei der Weiterbildungskultur in Deutschland sehen. Es ist unverzichtbare Aufgabe des Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Staates, die neue Arbeitswelt auf neue Chancen vorzuber- Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. eiten, aber bitte auch mit einem Schutz für die Menschen.

(Beifall bei der SPD) Dr. Manja Schüle (SPD): (B) Im Titel Ihres Antrags taucht das schöne Wort „neu- So begrüßen Sie in Ihrem Antrag den auch von uns (D) gierig“ auf. Die Neugier drückt das Verlangen aus, etwas forcierten und geforderten flächendeckenden Ausbau ei- Neues zu erfahren. Ich habe das Problem, dass Ihr Antrag ner lebensbegleitenden Berufsberatung durch die Bun- in Teilen etwas im Ungefähren und bei Schlagwörtern desagentur. Die Grundlage ist ein Anspruch auf Nachho- verbleibt. Das möchte ich Ihnen an ein paar Beispielen len des Berufsabschlusses, auf den wir uns verpflichtet verdeutlichen. haben. Erstens. Im Zusammenhang mit dem Freiraumkonto fordern Sie die Bundesregierung auf, einen Gesetzent- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: wurf vorzulegen, in dem „geltende landesgesetzliche Re- Liebe Frau Schüle, kommen Sie bitte zum Schluss. gelungen zu Bildungsurlaub unberührt bleiben“. Wieso eigentlich? In Sachsen und in Bayern gibt es überhaupt Dr. Manja Schüle (SPD): keinen gesetzlichen Anspruch auf Bildungsurlaub; in an- Liebe FDP, Sie haben recht, wir brauchen eine neue deren Ländern aber schon. Warum wollen Sie denn an Weiterbildungskultur, aber eben auch mit Chancengleich- dieser Praxis festhalten? heit. Nicht immer nur die Sporen anziehen und dann nicht (Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Sie ken- vom Hof reiten; das würde ich mir von der FDP wün- nen den Manteltarif gar nicht! – Dr. Jens Bran- schen. denburg [Rhein-Neckar] [FDP]: Es geht darum, Herzlichen Dank. dass er nicht verrechnet wird!) Ihr Sozialpolitiker Vogel hat in einem Interview im „Han- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten delsblatt“ gesagt: Der Wettbewerb findet nicht zwischen der CDU/CSU) Niedersachsen und statt, sondern zwischen uns, den USA und China. – Doch, der Wettbewerb, den Sie mit Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Ihrem Antrag manifestieren wollen, findet auch zwischen Vielen Dank, Frau Kollegin. – Das war ganz dünnes den Bundesländern statt. Eis. Ich wollte Sie nur darauf hinweisen, dass die von (Beifall bei der SPD) Herrn Dr. Brandenburg ins Auge gefasste Altersgruppe meine ist. Zweitens. Sie fordern KI-gesteuerte Peer-Review-Ver- fahren. Bevor Sie also Menschen weiterbilden, um Auf- (Heiterkeit – Beifall der Abg. Grigorios gaben besser zu erledigen, rationalisieren Sie sie einfach Aggelidis [FDP] und Kersten Steinke [DIE weg. LINKE]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15383

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt hat Augen führen, dass es da Nachholbedarf gibt; aber wir (C) das Wort die Kollegin Dr. Dietlind Tiemann. müssen nicht immerzu die Systeme ändern. (Beifall bei der CDU/CSU) Der eigentliche Wert des Lernens ist unbedingt zu er- höhen. In unserer Gesellschaft wird über vieles gespro- chen und referiert. Aber an welchen Stellen werden Bil- Dr. Dietlind Tiemann (CDU/CSU): dung, Qualifikation und lebenslanges Lernen wirklich in Lieber Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kolle- den Vordergrund gehoben? gen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das alte Sprichwort „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nim- Um die Weiterbildungsbeteiligung zu erhöhen, müssen mermehr“ hat sicherlich seine Bedeutung. Ich denke, es die Möglichkeiten für das Lernen erweitert werden – auch hat sich in der heutigen Zeit überholt, weil lebenslanges da sind wir auf dem Weg; die Kollegin Mannes hat dazu Lernen etwas ist, worüber wir nicht nur irgendwie philo- hervorragend ausgeführt –, etwa indem neue Anreize ge- sophieren, sondern etwas, was für uns schon gelebte Pra- schaffen und bestehende Hindernisse – das soll man ruhig xis ist. Daher bin ich der FDP-Fraktion, lieber Jens Bran- kritisch einschätzen – überwunden werden. Frühkindli- denburg, dankbar, dass wir hier alle die Chance hatten, che Bildungsangebote müssen ausgebaut werden. Wir unsere Auffassungen kundzutun und deutlich zu machen, müssen mehr Chancen für Spätstarter schaffen und für wie wichtig uns Bildung ist. leistungsfähige Schülerinnen und Schüler in gleicher Art und Weise. Es muss aber auch die Möglichkeit ge- Dass das Thema auf der Tagesordnung steht, heißt für schaffen werden, dass Arbeitsprozesse auf jeden Fall uns, noch einmal deutlich zu machen: Stetiges Lernen ist noch lernintensiver gestaltet werden können. Es fehlt an der Schlüssel zum Erlangen von Bildung und damit zur bezahlbaren und bedarfsgerechten Angeboten; auch da- Gestaltung individueller Lebens- und Arbeitschancen. rauf muss man kritisch hinweisen. Das muss uns einfach klar sein. Lebenslanges Lernen ist mittlerweile in aller Munde und gilt schon ein Stück Da ich, lieber Herr Präsident, meine sehr geehrten Da- weit als Selbstverständlichkeit. Ich glaube, da sollte man, men und Herren, mit einem Zitat begonnen habe, ende ich Herr Präsident, die Altersgruppen nicht noch irgendwie auch mit einem Zitat, aber diesmal von Gerhart unterscheiden wollen. Wir sind doch alle gleich. Hauptmann, weil ich denke, dass das ganz hervorragend passt. Es heißt: (Marianne Schieder [SPD]: Nö! Nö!) Sobald jemand in einer Sache Meister geworden ist, Wie sieht die Realität aus? Wenn man auf dem Arbeits- sollte er in einer neuen Sache Schüler werden. markt mithalten will, ist der Schulabschluss manchmal Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (B) nachzuholen oder gar ein neuer, ein weiterer Beruf zu (D) erlernen. In Zeiten, in denen wir einen so hohen Grad (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Beschäftigung haben, stellt es eine große Herausfor- bei Abgeordneten der FDP) derung dar, Zeit für Weiterbildung zu haben; aber genau darum geht es uns. Voraussetzungen für gutes Lernen zu schaffen, ist für uns in der Bundesrepublik eine gesamt- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: gesellschaftliche Aufgabe. Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Tiemann. – Mit diesen bedenkenswerten Worten schließe ich die Aussprache. Das individuelle Lernen über die Erwerbsbiografie hi- naus ist entscheidend für die Perspektive des Einzelnen, Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf den Erfolg der Wirtschaft und die Zukunft unserer Ge- Drucksache 19/14777 an die in der Tagesordnung aufge- sellschaft. Also: Das, was wir als besonders wichtig emp- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie mit diesem finden, das lebenslange Lernen, bedeutet, Deutschlands Überweisungsvorschlag einverstanden? – Ich sehe, das wichtigste Ressource Bildung stärker für persönliche und ist der Fall. Dann verfahren wir so. gesamtgesellschaftliche Aufstiegschancen zu erschlie- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b auf: ßen. Hier sind wir uns sicherlich einig. a) – Zweite und dritte Beratung des von der Globalisierung, Digitalisierung und die dynamische Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Wissensgesellschaft stellen uns dabei vor große Heraus- eines Gesetzes zur weiteren steuerlichen forderungen; auch das ist, glaube ich, hinlänglich von Förderung der Elektromobilität und meinen Vorrednern erklärt worden. Wissenserwerb und zur Änderung weiterer steuerlicher die Fähigkeit, das erworbene Wissen anzuwenden, müs- Vorschriften sen durch stetige persönliche Bereitschaft zum Lernen Drucksachen 19/13436, 19/13712, 19/ angepasst und erweitert werden. Ich glaube, das ist ein 14232, Nr. 1.10 wichtiger Gesichtspunkt, den ich hier noch einmal her- vorheben will; denn nur so können wir persönliche Orien- Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- tierung, gesellschaftliche Teilhabe und Beschäftigungs- nanzausschusses (7. Ausschuss) fähigkeit erhalten und verbessern. Drucksachen 19/14873, 19/14909 Dazu muss man kritisch anmerken, dass in unserer – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- Bundesrepublik nur 38 Prozent der Beschäftigten regel- schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung mäßig Zeit in Weiterbildungen investieren; weltweit liegt die Zahl bei 65 Prozent. Wir müssen uns sicherlich vor Drucksache 19/14874 15384 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) b) Beratung der Beschlussempfehlung und des rer steuerlicher Vorschriften“ trägt. Das ist ein langer (C) Berichts des Finanzausschusses (7. Aus- Name, das ist auch ein zutreffender Name. Darin steckt schuss) aber noch viel mehr; darum ist es auch ein unvollständi- ger Name. – zu dem Antrag der Abgeordneten , Frank Sitta, Grigorios Aggelidis, 242 Seiten stark sind Gesetzentwurf, Begründung und weiterer Abgeordneter und der Fraktion Erläuterungen. Insgesamt werden durch die Maßnahmen der FDP 19 Gesetze angepasst. Zusammenfassend können wir sa- gen, dass das Jahressteuergesetz 2019 erstens gut fürs Anerkennung der Gemeinnützigkeit Klima ist, zweitens sich für Arbeitnehmerinnen und Ar- von Freifunk-Initiativen beitnehmer lohnt, und drittens tritt es bestehender Dis- – zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia kriminierung entgegen. Möhring, Doris Achelwilm, Simone Erstens. Warum ist es gut fürs Klima? Weil wir um- Barrientos, weiterer Abgeordneter und weltfreundliche Mobilität zukünftig weiter und noch stär- der Fraktion DIE LINKE ker fördern werden. Dazu gehören Sonderabschreibungen Umsatzsteuer auf Menstruationspro- bei Lieferfahrzeugen mit Elektroantrieb und steuerfreies dukte absenken Aufladen von Elektrofahrzeugen beim Arbeitgeber. Wer seinen Elektrodienstwagen privat nutzen möchte, wird – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gero steuerlich weiter entlastet. Bei Elektrofahrrädern wird er Clemens Hocker, Frank Sitta, oder sie ganz von der Steuer befreit. Jobtickets werden Dr. Christoph Hoffmann, weiterer Abge- zukünftig pauschal besteuert. ordneter und der Fraktion der FDP (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Hilfe zur Selbsthilfe statt Bail-Out – Risikoausgleichsrücklage einführen Zweitens. Warum lohnt sich das Jahressteuergesetz für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer? Wegen mehr Drucksachen 19/6490, 19/10280, 19/4218, Geld für unterwegs – wir heben die Verpflegungspau- 19/14873, 19/14909 schalen an –, wegen günstigen Wohnens durch einen Der Finanzausschuss hat in seiner Beschlussempfeh- neuen Bewertungsabschlag bei Mitarbeiterwohnungen lung zusätzlich den Antrag der Fraktion der FDP auf und weil Weiterbildungsmaßnahmen des Arbeitgebers Drucksache 19/4218 mit dem Titel „Hilfe zur Selbsthilfe ebenfalls steuerfrei gestellt werden. statt Bail-Out – Risikoausgleichsrücklage einführen“ mi- Meine Damen und Herren, Peter Struck hat einmal hier (B) teinbezogen. im Bundestag den Ausspruch geprägt: Kein Gesetz ver- (D) Über die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses lässt den Bundestag so, wie es eingebracht wurde. – Das zu dem Antrag der Fraktion der AfD auf Drucksache 19/ trifft selbstverständlich auch auf das Jahressteuergesetz in 6007 mit dem Titel „Gleichstellung von Fahrzeugen, die diesem Jahr zu. Ich will dazu zwei Beispiele nennen: mit synthetischen Kraftstoffen oder Biokraftstoffen ange- Erstes Beispiel. Anders als zunächst im ersten Entwurf trieben werden, mit Elektrofahrzeugen“ soll auf Wunsch vorgesehen, verzichten wir heute Abend auf die Neurege- der Fraktion der AfD heute nicht abgestimmt werden. – lung der Umsatzsteuerbefreiung bei Bildungsleistungen, Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann verfahren weil wir uns angesichts der Komplexität des Themas und wir so. der Vielzahl der unterschiedlichen Betroffenen noch Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen mehr Zeit nehmen wollen, um da eine angemessene Lö- zwei Änderungsanträge der Fraktion der FDP, ein Ent- sung zu finden und das auch entsprechend kommunizie- schließungsantrag der Fraktion der AfD, ein Entschlie- ren zu können. Es ist aber klar: Es bleibt für uns der ßungsantrag der Fraktion Die Linke und ein Entschlie- Arbeitsauftrag, dass wir das europarechtskonform ausge- ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. stalten. Für uns als SPD-Fraktion bleibt auch klar: Die Über die beiden Änderungsanträge werden wir später na- Bildungsleistungen, die heute von der Umsatzsteuer be- mentlich abstimmen. freit sind, wollen wir auch zukünftig von der Umsatz- steuer befreit lassen. Wir haben dazu einen Vorschlag Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemacht, für den wir auch weiter werben werden. Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich bitte, die Gespräche einzustellen. – Ich eröffne die Das eine haben wir gestrichen, wir haben aber – das ist Aussprache und erteile als erster Rednerin das Wort das zweite Beispiel – auch etwas neu hinzugefügt, und Dr. Wiebke Esdar, SPD-Fraktion. zwar die Senkung der Umsatzsteuer von 19 auf 17 Pro- zent (Beifall bei der SPD) (Markus Herbrand [FDP]: 7!) Dr. Wiebke Esdar (SPD): für Monatshygieneartikel, also auf Tampons, Binden, Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir Einlagen und Menstruationstassen, die sogenannte Pink verabschieden heute das Jahressteuergesetz 2019, das die Tax. Damit beenden wir drittens die fiskalische Diskrimi- amtliche Bezeichnung „Gesetz zur weiteren steuerlichen nierung von Frauen in diesem Bereich, weil Monatshy- Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weite- gieneartikel eben keine Luxusgüter sind. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15385

Dr. Wiebke Esdar (A) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der AfD) (C) der LINKEN) Dafür instrumentalisieren Sie nun auch noch kaltblütig Wir erwarten jetzt, dass die Steuersenkung auch bei die deutsche Steuerpolitik. Jede Rationalität wird über den Frauen ankommt. Darum mein Appell, dass wir ge- Bord geworfen, nur um es den Ökopopulisten, die hier meinsam mit den Initiatorinnen der Petition, Nanna- sitzen – Herr Hofreiter, Sie sind ja deren Anführer –, recht Josephine Roloff und Yasemin Kotra, und den Jusos, zu machen und der kreischenden Greta und ihrer Ento- die lange dafür gearbeitet haben, jetzt den Druck auf die urage sozusagen anbiedernd entgegenzukriechen. Unternehmen erhöhen, dass wir auch sichtbar machen, ob und wie sie das hoffentlich weitergeben. Heute ist der (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) erste wichtige Schritt, den wir dafür tun, dass wir die Beispiel aus diesem Steuergesetz gefällig? § 6 Absatz 1 gesetzliche Grundlage schaffen. Lassen Sie uns gemein- Nummer 4: Hybridfahrzeuge mit einer Reichweite von sam den zweiten Schritt gehen. 60 Kilometern werden weiterhin bis zum 31. Dezember 2024 mit der halben Bemessungsgrundlage gefördert, ab Meine Damen und Herren, das heute vorgelegte Jah- 1. Januar 2025 bis Ende 2030 sogar, wenn sie üppige ressteuergesetz enthält viele Verbesserungen im Sinne der 80 Kilometer fahren. Jeder, sogar der Bayerische Rund- Umwelt, es enthält eine Besserstellung der Arbeitnehme- funk, weiß inzwischen, dass ein Ökofahrzeug – hier kön- rinnen und Arbeitnehmer, und es leistet einen positiven nen Sie es nachlesen –, Beitrag für mehr Geschlechtergerechtigkeit. Darum freue ich mich über die Zustimmung ganz vieler hier in diesem (Der Redner hält ein Tablet hoch) Haus zu dem Gesetz. ein Elektrofahrzeug oder ein Hybrid, mehr Feinstaub bei Danke schön. der Herstellung produziert als jeder Diesel. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Kann der CDU/CSU) ich leider nicht sehen! Könnten Sie es noch mal hochhalten?) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Und wenn Sie dann noch die 150 000 Kilometer zugrunde Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als nächster Redner hat legen, die hier genannt werden – Sie sind aufgefordert, der Kollege Kay Gottschalk, AfD-Fraktion, das Wort. das zu lesen –, dann ist auch in dieser Hinsicht der Diesel, den Sie gerade kaputtmachen wollen, das bessere Fahr- (Beifall bei der AfD) zeug, meine Damen und Herren.

(B) Kay Gottschalk (AfD): (Beifall bei der AfD) (D) Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen! Verehrte Gäste! Auf der anderen Seite – da tritt insbesondere die Heu- Frau Esdar, Sie haben ja schon vorgetragen, wo die chelei der SPD zutage –: die Pendlerpauschale. Die flei- Schwerpunkte Ihrer Politik liegen. ßigen Menschen werden bestraft. Seit 2004 – und ich Heute diskutieren wir also das Gesetz zur Förderung werde nicht müde, es Ihnen hier zu sagen –, wird diese der Elektromobilität und sonstige steuerliche Anpassun- Pendlerpauschale nicht angepasst. Jeden Tag pendeln gen, kurz: Jahressteuergesetz 2019. Ich nenne es – Ent- fleißige Menschen, die übrigens –, das sei hier auch mal schuldigung, Herr Kollege Lindh – das Ökoermächti- erwähnt –, den Mietdruck aus den Metropolen heraushal- gungsgesetz oder die totale Kapitulation der Ratio. ten, den Sie mit Ihrer vermurksten Politik ermöglichen. Diese Pendler werden seit 2004 systematisch bestraft; (Beifall bei der AfD – Zurufe von der SPD und denn die Pendlerpauschale liegt weiterhin bei 30 Cent dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!) pro gefahrenem Kilometer. Darum fordern wir als AfD in unserem Entschließungsantrag eine Anpassung auf Es knüpft nahtlos an das blumige Jahressteuergesetz 2018 40 Cent pro gefahrenem Kilometer, und das ist auch nur an. Ebenfalls ein Placebo: das Familienentlastungsgesetz. gerecht so, meine Damen und Herren. Herr Steiniger, Unwahrheiten werden nicht dadurch wah- rer, dass Sie sie pausenlos wiederholen. Sie haben nicht (Beifall bei der AfD) entlastet, sondern Sie haben damals Familien davor be- Anders als die Serviceopposition haben wir diese Zah- wahrt, weiter belastet zu werden. Sie haben den Status len im Ausschuss – ich habe sie mir nicht ausgedacht, erhalten und sich damit mal wieder einer kleinen Lüge, sondern aus den Statistiken abgeleitet –, angeführt: Im des Überführens wert, schuldig gemacht. Jahre 2003 lag der Preis für den Liter Superbenzin bei (Widerspruch bei der CDU/CSU) 1,09 Euro. Prägen Sie sich das ein: 1,09 Euro! Heute liegt er durchschnittlich, mit steigender Tendenz, bei 1,43 Eu- In Wahrheit ist es aber ein Klassenkampf, der von der ro, meine Damen und Herren. Das ist ein über 30-prozen- CDU übernommen wird tiger Anstieg. Wer hier noch kopfrechnen kann – bei der (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was? Linken weiß ich das jetzt nicht –: Die und Klassenkampf?) ( [SPD]: Ist das albern! – und durch die nun linksdrehenden Politfraktionen der Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir kön- neuen Blockparteien hier im Hause mit dem neuen Fe- nen sogar „Prozent“ und „Prozentpunkte“ un- tisch Klimawahn abgelöst wird. Nichts anderes betreiben terscheiden! Das haben Sie noch nicht mal Sie hier. drauf!) 15386 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Kay Gottschalk (A) Das sind ungefähr 40 Cent. Und weil wir bei Ihrer Moti- (Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) vation wahrscheinlich wieder 15 Jahre auf die nächste NEN]: Nein, Sie sollten sich schämen!) Erhöhung warten, ist das völlig korrekt, was wir hier be- Deshalb wird meine AfD-Fraktion diesem Jahres- antragen, meine Damen und Herren. steuergesetz nicht zustimmen. Schauen wir uns mal an – auch das ist heuchlerisch –, Ich bedanke mich. wie sich die Steuerbelastung jetzt schon zusammensetzt. Da haben wir die Energiesteuer, die Mehrwertsteuer, die (Beifall bei der AfD) Ökosteuer und noch vieles mehr, was der Autofahrer jetzt schon bezahlt. Und nach den Berechnungen des AvDs Vizepräsident Wolfgang Kubicki: gehen bei einem Preis von 1,55 Euro pro Liter sogar 90,7 Cent an diesen gierigen Staat; Sie erinnern sich noch, Als nächste Rednerin hat für die CDU-Fraktion die wie ich GroKo definiert habe. Kollegin Antje Tillmann das Wort. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Meine Damen und Herren, Sie wollen mir also sagen, bei diesem Steueranteil können Sie die Pendlerpauschale Antje Tillmann (CDU/CSU): nicht erhöhen? Schämen Sie sich was, meine Damen Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ver- und Herren! ehrte Gäste! Wie man bei einem Gesetz, mit dem wir ausschließlich Entlastungen für Bürgerinnen und Bürger (Beifall bei der AfD) beschließen, Und vielleicht auch noch etwas zum Hinter-die-Ohren- schreiben; vielleicht verstehen Sie es, wenn Sie es sich (Zurufe von der SPD: Ja!) aufschreiben: Meine Damen und Herren, der Anteil der hier mit so viel geballter schlechter Laune stehen kann, ist Beschäftigten, die in einem anderen Kreis pendeln, macht mir wirklich schleierhaft. 39 Prozent der arbeitenden Bevölkerung aus. Das sind 12,8 Millionen Menschen, die Sie seit 2004 systematisch (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) benachteiligen. Da schlägt Ihr großes Herz, liebe SPD! Ich kann das gar nicht nachvollziehen. In ganz erheblich- Und deshalb erodieren Sie weiter, und ich hoffe, irgend- em Umfang entlasten wir Bürgerinnen und Bürger. Und, wann scheitern Sie dann endgültig an der 5-Prozent-Klau- Herr Kollege Gottschalk, Sie wissen auch, dass wir die sel. Pendlerpauschale in der nächsten Woche erhöhen. (B) (Beifall bei der AfD – Sebastian Brehm [CDU/ (Dr. Wiebke Esdar [SPD]: Ja!) (D) CSU]: Sie sind im falschen Gesetzesverfah- ren!) Also all das, was Sie kritisiert haben, ist längst in der Beratung. Im Finanzausschuss hätten Sie sich daran be- Lassen Sie mich an dieser Stelle also zusammenfassen: teiligen können. Selbst in dem Punkt haben Sie unrecht. Atomausstieg – wir haben die höchsten Stromkosten in Deutschland. Braunkohleausstieg – die Lausitz und NRW Die Kollegin Esdar hat ja schon dargestellt, was alles werden wieder benachteiligt. an Entlastungen kommt. Das Gesetz hat seinen Namen von den Verbesserungen bei der E-Mobilität, und da gibt (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: es eine ganze Reihe von Entlastungen: bei der privaten Keine Ahnung!) Nutzung von Betriebsfahrzeugen, Steuervorteile beim Steinkohleausstieg. Und jetzt – das bereiten Sie mit Aufladen von Elektro- und Hybridfahrzeugen, Dienst- Ihrer Planwirtschaft wahrscheinlich vor; das wird die fahrräder werden steuerfrei gestellt, und das Jobticket Grünen freuen –, auch noch Ausstieg aus der Automobil- wird begünstigt besteuert. Nicht eine einzige Belastung wirtschaft. Meine Damen und Herren – und das ist nicht der Bürger, die Sie hier erkennen wollen, kann ich auch zum Lachen –, Sie scheinen Spaß daran zu haben, ein erkennen. Das sind alles Entlastungen. ganzes Land unter dem Ökojoch zu versklaven und seiner Das geht nahtlos weiter mit der Erhöhung der Pauscha- wirtschaftlichen Existenz zu berauben. Sie machen schon le bei Verpflegungsmehraufwendungen. Diejenigen, die lange keine Politik mehr für das deutsche Volk, sondern zum Erreichen ihres Arbeitsorts Fernfahrkarten finanzie- führen unter dem ökologischen Vorwand einen Wirt- ren müssen, werden von uns bessergestellt, indem wir die schaftskrieg – ja, und dazu stehe ich – gegen die eigene steuerliche Anerkennung einer 24-stündigen Abwesen- aktive, produktive Bevölkerung. heit von 24 Euro auf 28 Euro pro Tag erhöhen. (Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir haben Anpassungen an moderne Technik vorge- NEN]: Jetzt reicht es aber wirklich!) nommen, indem wir E-Books ermäßigt besteuern. Auf sie wird künftig auch der Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent Vizepräsident Wolfgang Kubicki: angewendet, also ebenfalls eine Entlastung. Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. Noch deutlicher werden die Entlastungen und deren Volumen, wenn wir das Thema Wohnen betrachten. Wir Kay Gottschalk (AfD): haben die Wohnungsbauprämie in allen drei Kriterien Strompreise, Gaspreise, Wasser, Müll, Miete seien da verbessert: Sowohl die Einkommensgrenze als auch der nur genannt. Sie sollten sich alle schämen! Prämiensatz und die Förderhöchstgrenze sind angepasst Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15387

Antje Tillmann (A) worden, und damit stehen wir in einer Reihe mit allen (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (C) anderen Wohnungsbaufördermaßnahmen, die wir in den Eines ist uns noch nicht gelungen, ein Punkt bleibt letzten Jahren schon beschlossen haben. noch offen, aber auch da weiß ich aus dem Finanzminis- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- terium, dass wir uns da auf den Weg machen werden. Der ordneten der SPD) Bundesrat hatte eigentlich angeregt, dass wir schon mit diesem Gesetz das Gemeinnützigkeitsrecht aktualisieren. Neben dem Baukindergeld, neben der Förderung der Wir haben Entscheidungen über die Übungsleiterpau- energetischen Gebäudesanierung, die wir noch verab- schale, über die Ehrenamtspauschale und über Bürokra- schieden werden, und neben der Sonderabschreibung tieabbau im Gemeinnützigkeitsgesetz auf der Tagesord- für Mietwohnungsbau also jetzt auch die Wohnungsbau- nung. Das nehmen wir uns vor; ich weiß, dass wir noch in prämie, damit sich junge Familien dauerhaft Wohneigen- diesem Jahr darüber sprechen werden. Ich bin sicher, dass tum leisten können. Auch das ist eine erhebliche Verbes- wir auch da Verbesserungen für die Bürgerinnen und serung für die Bürgerinnen und Bürger. Bürger schaffen werden, und freue mich auf die Beratun- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- gen in dem Punkt. Ich hoffe, dass alle weiteren Redner ein ordneten der SPD) wenig die Freude, die ich verspüre, teilen und nicht die schlechte Laune meines Vorredners. Wir werden Arbeitgeber unterstützen, wenn sie ihren Mitarbeitern vergünstigten Wohnraum zur Verfügung (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) stellen. Wir möchten soziale Arbeitgeberinnen und Ar- beitgeber, und diejenigen, die sich da zugunsten ihrer Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Mitarbeiter auf den Weg machen, bekommen steuerliche Vielen Dank, Frau Kollegin. – Der nächste gutgelaunte Vorteile, sodass sich ihre Mitarbeiter in teuren Metropo- Redner ist Markus Herbrand von der FDP-Fraktion. len Wohnungen leisten können. Also auch im gesamten Wohnumfeld gibt es weitere Verbesserungen in Fortset- (Beifall bei der FDP) zung dessen, was wir mit den letzten Gesetzen schon ge- tan haben. Markus Herbrand (FDP): Liebe Frau Kollegin Esdar, wir werden den Steuersatz Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- auf Monatshygieneprodukte nicht auf 17 Prozent – da ren! Frau Kollegin, die Freude kann ich nicht ganz teilen. haben Sie sich versprochen –, sondern sogar auf 7 Prozent (Antje Tillmann [CDU/CSU]: Aber ein biss- reduzieren. 85 000 Frauen und Männer in Deutschland chen schon!) haben sich dafür eingesetzt, dass wir die Mehrwertsteuer (B) auf Monatshygieneprodukte reduzieren. Frauen haben Denn wenn es noch eines weiteren Beweises bedurft (D) sich engagiert, weil sie es richtig finden, dass für den hätte, dass diese Große Koalition nicht imstande ist, auch täglichen Bedarf zwingend notwendige Produkte zum er- Großes zu leisten, wäre das tatsächlich das vorliegende mäßigten Satz besteuert werden. Auch das tun wir im Gesetz. Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens. In beachtlicher ( [SPD]: Das stimmt nicht!) Größenordnung werden Frauen hier künftig besserge- stellt als bisher. Es handelt sich um eine diffuse Ansammlung äußerst kleinteiliger Maßnahmen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE (Dr. Wiebke Esdar [SPD]: Es ist das Jahres- GRÜNEN) steuergesetz! – Johannes Steiniger [CDU/ CSU]: Das ist das Wesen eines Jahressteuerge- – Parteiübergreifender Beifall der Damen: Das freut mich setzes!) sehr. Anstatt unser Steuergesetz zu modernisieren, es interna- Auch Arbeitgeber, die ihren Arbeitnehmern kleinere tional wettbewerbsfähig zu machen und von bürokrati- Sachzuwendungen – bis 44 Euro – zukommen lassen schem Unsinn zu befreien, regeln Sie die Steuerfreiheit wollen, können das künftig leichter tun. Auch dieser Be- der Überlassung von Fahrrädern. trag bleibt steuerfrei; wir haben die Voraussetzungen da- für erheblich verbessert. (Beifall bei der FDP) Es ist also ein in allen Punkten gutes Gesetz. Wenn Sie Über 200 Seiten weitgehende steuerpolitische Ambi- dem nicht zustimmen wollen, werden wir uns das merken tionslosigkeit hat die Koalition buchstäblich auf den letz- und auch entsprechend verkaufen; denn tatsächlich ist ten Drücker noch aufzuwerten versucht. In aller Hektik nicht in einem Punkt eine Belastung der Bürgerinnen wurden noch Dutzende Änderungen eingebracht. Leider und Bürger zu verzeichnen, sondern es sind in Größ- setzt auch da die Koalition wieder einmal die falschen enordnungen Entlastungen zu erwarten, auf die ich mich Prioritäten. Deshalb haben wir versucht, im Finanzaus- auch ein bisschen freue, wobei ich auch stolz darauf bin, schuss einige qualitative Angebote zu unterbreiten, die dass wir das hinbekommen haben. ich Ihnen zum Teil vorstellen möchte: Wir werden das in der nächsten Woche fortsetzen mit Erstens. Die Risiken des Klimawandels sollten für der Klimaprämie, mit der Mobilitätsprämie, mit der Pend- Landwirte durch die Möglichkeit einer steuerfreien Risi- lerpauschale. Im Moment sind wir deutlich unterwegs, koausgleichsrücklage zielgenauer berücksichtigt werden, Bürgerinnen und Bürger zu entlasten. als Sie es in Ihrem Gesetz vorhaben. 15388 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Markus Herbrand (A) Zweitens. Der BFH hatte eindeutig festgestellt, dass (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (C) Gewinne und Verluste aus Kapitalanlagen gleichbehan- der LINKEN) delt werden müssen. Dafür setzen wir uns ein. Für diese Änderungen möchten wir in aller Eindringlich- (Beifall bei der FDP) keit werben. Das sind wirklich dringend überfällige Re- formschritte, die endlich angegangen werden müssen. Es Die Bundesregierung versteuert die Gewinne und igno- würde dieses Gesetz mit Qualität und Inhalt füllen. riert die Verluste. Das ist eine sehr fiskalische Sichtweise. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Außerdem machen wir uns sehr stark dafür, dass die sogenannten Freifunk-Initiativen endlich als gemeinnüt- zig anerkannt werden. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank, Herr Kollege Herbrand. – Nächster Red- (Antje Tillmann [CDU/CSU]: Das ist doch gar ner ist für die Fraktion Die Linke der Kollege Jörg nicht mehr drin in dem Gesetz!) Cezanne. Das haben Sie alles abgelehnt. (Beifall bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kernstück und Na- mensgeber des Gesetzes, die in der Tat auch für uns not- Jörg Cezanne (DIE LINKE): wendige Mobilitätswende, ist aus unserer Sicht jedoch Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- vollkommen einseitig zugunsten der ökologisch und auch ren! Steuerliche Förderung der Elektromobilität – das ökonomisch fragwürdigen Elektromobilität ausgestaltet. weckt immerhin die Hoffnung darauf, dass es die Bun- Unser Hauptkritikpunkt an dieser Stelle ist die fehlende desregierung mit der Verkehrswende jetzt vielleicht doch Technologieoffenheit. Hier werden lediglich weitere Sub- etwas ernster nimmt. Allein: Der Eindruck täuscht; es ventionstatbestände geschaffen. In einer sozialen Markt- handelt sich um Etikettenschwindel. wirtschaft sollte der Staat Rahmenbedingungen schaffen und nicht konkrete Wege vorgeben. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der FDP) Was mit Steuernachlässen tatsächlich gefördert wird – und das ist der wesentliche neue Punkt in diesem Gesetz; Zudem sind die Regelungen so kompliziert, dass man alles andere sind kleinteilige Verlängerungen von Regel- tatsächlich befürchten muss, dass der Bürger demnächst ungen, die bereits gültig sind –, ist vielmehr die private vor der Anschaffung eines Pkws zum Finanzamt rennen (B) Nutzung von Dienstwagen. Das ist auch keine Kleinig- (D) muss, um die steuerlichen Konsequenzen zu überprüfen. keit; denn es betrifft mindestens 5 Millionen Autos, also Ein Irrsinn! Kompliziert und eindimensional, das ist die jedes neunte Auto ist ein solcher Dienstwagen oder ein Antwort der Großen Koalition auf dieses Zukunftsthema. gewerblich genutztes Fahrzeug. Aber es kommt darauf Meine sehr geehrten Damen und Herren, deutliche Kri- an, wie man die steuerliche Förderung vornimmt. Und tik üben wir auch an der Neuregelung der steuerlichen hier setzt unsere Kritik an. Behandlung von Gutscheinen. Hier gab es im Verfahren Wenn Sie sich schon nicht zu einem wirklichen Vor- ein verwirrendes Hin und Her. Diese wichtige, für die rang der E-Mobilität im öffentlichen Verkehr auf der Arbeitnehmer auch wertschätzende Regelung ist letztlich Schiene, der der großen Mehrheit der Menschen in un- doch wieder extrem aufwendig, Frau Kollegin, auch serem Land zugutekommen würde, entschließen können, wenn Sie das nicht wahrhaben wollen. Die jetzt ins Ge- dann sollten Sie auch nicht nach dem Gießkannenprinzip setz aufgenommenen Einschränkungen lehnen wir ent- schwere, energieverbrauchsintensive, teilelektrische oder schieden ab. elektrische Geländewagen und Luxuslimousinen fördern. Zum Glück gibt es auch einzelne Lichtblicke. So fin- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) den wir es gut und auch richtig, dass der geplante Unsinn bei der umsatzsteuerlichen Behandlung von Bildungsleis- Auch bei batterieelektrischen Antrieben muss es eine tungen in diesem Gesetz so nicht weiter verfolgt wird. Mindesteffizienzgrenze geben. Dazu haben wir in unse- rem Entschließungsantrag einen Vorschlag gemacht; dem (Beifall bei der FDP) könnten Sie heute gerne zustimmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben jetzt die (Beifall bei der LINKEN) Möglichkeit, das Gesetz noch etwas aufzuwerten. Des- wegen bieten wir Ihnen noch mal namentliche Abstim- Hinzu kommt, dass Steuerermäßigungen grundsätzlich mungen zu zwei bekannten Themen an. Erstens: Lassen diejenigen überdurchschnittlich begünstigen, die auf- Sie uns bitte den Zins für Steuernachzahlungen endlich grund hoher Einkommen auch hohe Steuern zahlen. Also reduzieren. Es ist einfach abenteuerlich, dass der Fiskus auch diese Regelung bei den Dienstwagen hat eine sozia- trotz anhaltender Niedrigzinsphase 6 Prozent erhebt. le Schlagseite und ist deshalb aus unserer Sicht in dieser Form nicht hilfreich. (Beifall bei der FDP) Und zweitens: Lassen Sie uns die Grenze für geringwer- (Beifall bei der LINKEN) tige Wirtschaftsgüter endlich auf 1 000 Euro anheben, wie Soweit Sie damit insbesondere teure und große Wagen von nahezu allen Seiten gefordert. steuerlich günstiger stellen, helfen Sie auch nicht denje- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15389

Jörg Cezanne (A) nigen, die darauf angewiesen wären, dass Elektrofahrzeu- 10 Prozent. So sieht Ihre Elektromobilitätsoffensive (C) ge künftig billiger werden, indem sie in größeren Mengen aus, meine Damen und Herren. Das ist kläglich. produziert werden. Auch hier stimmt das Vorgehen mit dem Ziel nicht überein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jörg Cezanne [DIE LINKE]) (Beifall bei der LINKEN) Aber es ist kein Wunder, wenn umweltschädliche Sub- Dennoch, Frau Tillmann, gibt es durchaus auch einen ventionen wie das Dienstwagenprivileg in Höhe von im- Grund für gute Laune. merhin noch 3 Milliarden Euro jährlich auch für die größ- ten Spritschlucker nach wie vor unangetastet bleiben. (Antje Tillmann [CDU/CSU]: Schön!) Deswegen steht unser Vorschlag nach wie vor: Wir wol- Es gibt eine Reihe von zustimmungsfähigen Maßnahmen; len das Dienstwagenprivileg insgesamt ökologisieren. darüber haben wir ja schon im Ausschuss gesprochen. Die bisherige 1-Prozent-Regel gilt weiter für die Fahr- Insbesondere freut auch uns, dass Sie die Umsatzsteuer zeuge, die den EU-Flottengrenzwert von 95 Gramm für Hygieneprodukte, für Menstruationsprodukte senken CO2-Emission pro Kilometer einhalten. wollen. Das findet unsere Unterstützung. (Zurufe des Abg. Dr. h. c. [Univ Kyiv] Hans (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Antje Michelbach [CDU/CSU]) Tillmann [CDU/CSU] und Lisa Paus [BÜND- Emittieren sie mehr, sinkt der steuerliche Vorteil. Emit- NIS 90/DIE GRÜNEN]) tieren sie weniger, dann steigt der steuerliche Vorteil. Das In dem vorliegenden Antrag meiner Fraktion gehen wir hilft der Mobilitätswende im Autoverkehr wirklich. noch einen Schritt weiter. Dort haben wir vorgeschlagen, dass solche Produkte zukünftig in öffentlichen Gesund- Aber es stehen nicht nur schlechte Dinge in diesem heitsstellen, aber auch in den sanitären Einrichtungen Gesetz. Auch wir begrüßen ausdrücklich die Ausweitung öffentlicher Gebäude kostenlos zur Verfügung gestellt der Förderung auf E-Lastenräder. Wir begrüßen eben- werden. Das können wir ja nächstes Jahr im Jahressteuer- falls, dass Sie die ursprünglich geplante Einschränkung gesetz noch mal aufgreifen. der Umsatzsteuerbefreiung von Bildungsleistungen nach massiven Protesten – das muss man auch mal sagen – (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) zurückgenommen haben. Das war weder bildungspoli- tisch sinnvoll noch europarechtlich in dieser Form not- Letzter Punkt. Auch ich möchte noch mal betonen – wendig, meine Damen und Herren. das hat in der Anhörung ja durchaus eine große Rolle gespielt –, dass wir es sehr begrüßen, dass Sie von der (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- (D) von Ihnen vorgesehenen verunglückten Anpassung der wie bei Abgeordneten der FDP und der LIN- Umsatzsteuer auf Bildungsleistungen an das Europarecht KEN) Abstand genommen haben. Es ist auf jeden Fall sinnvoll, mit den Verbänden hier eine Regelung zu finden, die den Ganz außerordentlich freue ich mich, dass wir mit die- Bedenken der Volkshochschulen und anderer sem Gesetz für alle Frauen etwas – ein klein wenig, aber Bildungsträger Rechnung trägt. mit hoher symbolischer Wirkung – besser machen wer- den; denn zukünftig wird für Tampons und andere mit der Danke schön. monatlichen Periode verbundene Hygieneprodukte end- lich statt 19 Prozent der verminderte Mehrwertsteuersatz (Beifall bei der LINKEN) von 7 Prozent gelten.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herzlichen Dank, Herr Kollege. – Nächste Rednerin sowie bei Abgeordneten der FDP) für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist die Kollegin Vielen, vielen Dank an die über 85 000 Unterstützerinnen Lisa Paus. und Unterstützer der Petition an den Deutschen Bundes- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tag. Sie haben wirklich etwas bewegt. Nicht nur sparen Frauen zukünftig immerhin mehr als 1 000 Euro in ihrem Leben. Ja, Frauen bluten im Schnitt zusammengerechnet Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sechseinhalb Jahre ihres Lebens. Und, ja, Frauen brau- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit diesem chen deutlich mehr als einen Tampon pro Tag; das möchte Gesetz wird die seit Anfang dieses Jahres geltende För- ich für die begeistert rechnenden Männer noch mal aus- derung der Elektromobilität bis 2030 verlängert. Grad- drücklich betonen. messer dafür sollte ja eigentlich der Erfolg dieser steuer- lichen Förderung sein. Deswegen: Schauen wir doch mal, (Zuruf des Abg. [AfD]) was da in diesem Jahr passiert ist. Diese Frauen haben auch das Thema Monatsblutung Ja, der Anteil von E-Autos bei Neuzulassungen ist enttabuisiert, und sie haben deutlich gemacht: Unser leicht gestiegen – von 1 auf 2 Prozent. Der Anteil der deutsches Steuerrecht, das Tierfutter weniger besteuert Neuzulassungen von Hybridfahrzeugen inklusive der als Tampons, ist nicht geschlechtsneutral; denn es gibt großen, schweren Hybrid-SUVs ist ein bisschen stärker noch eine Reihe von weiteren Regeln, die faktisch Frauen gestiegen – auf 6 Prozent. In der Summe liegen wir beim diskriminieren. Ich nenne das Ehegattensplitting, ich Thema Elektro inklusive Hybrid immer noch bei unter nenne das Thema „Freibeträge bei der Altersvorsorge“ 15390 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Lisa Paus (A) etc. Wir brauchen endlich einen Gendercheck des deut- Der erste Punkt ist das Klimapaket der Bundesregie- (C) schen Steuerrechts, meine Damen und Herren. rung; da haben wir uns viel vorgenommen. Es sieht zahl- reiche Maßnahmen vor: Investitionen, Anreize, Beprei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sung von CO2 mit dem Ziel der CO2-Reduktion – sowie bei Abgeordneten der LINKEN) übrigens auch im Verkehr: Da fördern wir die Bahn. Aber Leider stellt dieses Gesetz praktisch eine völlige Fehl- wir wollen auch den Individualverkehr fördern, hier die anzeige beim Schließen von Steuerschlupflöchern dar. Elektromobilität. Deswegen schaffen wir einige Anreize Share Deals, also die Möglichkeit für große Konzerne, bei den Dienstwagen. Warum da? Weil über 60 Prozent keine Grunderwerbsteuer zahlen zu müssen, wurden der Neuzulassungen Dienstwagen sind. Wenn wir eine kurzfristig aus diesem Gesetz herausgenommen und das Änderung in der Flotte wollen, müssen wir also auch da Thema ins nächste Jahr verschoben. Und auch unseren etwas tun. Wir fördern dort auch Fahrzeuge unter Änderungsantrag zu den sogenannten Familiengenossen- 40 000 Euro Anschaffungswert und damit auch Fahrzeu- schaften – das ist ein vor zwei Wochen neu bekanntge- ge, die nicht ganz so teuer sind. So können sich auch wordenes Steuerschlupfloch, bei dem private Anleger Menschen mit normalem Geldbeutel ein E-Auto auf Mitbestimmungsrechte in Genossenschaften schleifen dem Gebrauchtwagenmarkt leisten. Das ist eine richtige und die Genossenschaft nur als Vehikel für steuerfreie Maßnahme. Gewinne missbrauchen – haben Sie abgelehnt. Konse- quenter Kampf gegen Steuervermeidung, meine Damen (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der und Herren, sieht anders aus! CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wir fördern übrigens technologieoffen: Auch wasser- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) stoffbetriebene Autos können gefördert werden. Sonder- abschreibungen für elektrisch betriebene Lieferfahrzeuge Deswegen werden wir uns insgesamt enthalten. und auch Lastenfahrräder sind drin. Dafür sind wir von (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) den Umweltverbänden gelobt worden; ich finde, zu Recht.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Wir machen das, was wir versprochen haben: eine Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner ist der schnelle Umsetzung der Beschlüsse des Klimapakets hier Kollege Michael Schrodi, SPD-Fraktion. im Deutschen Bundestag, und damit fangen wir beim Jahressteuergesetz an. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (B) Michael Schrodi (SPD): (D) Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Da- Der zweite Punkt betrifft ein Problem, das wir aus men und Herren! Gestern im Ausschuss haben wir fest- vielen Regionen kennen: steigende Mieten. Was kann gestellt, dass wir eine sehr kollegiale Atmosphäre haben, man dagegen tun? Wir haben in Bayern jetzt gemeinsam trotz mancher Unterschiede, dass wir eine freundliche, mit Mieterbund und DGB ein Volksbegehren Mieten- auch freudige Atmosphäre haben, Frau Tillmann. Abge- stopp initiiert. Wir müssen aber auch an vielen anderen sehen von vielleicht ein paar Lümmeln aus der rechten Stellen etwas tun. Wir tun auch etwas im Jahressteuerge- Bank setz: Wir finden, dass es zur sozialen Fürsorge der Unter- nehmer gehört, ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- (Heiterkeit des Abg. Markus Herbrand [FDP]) mern Wohnraum anzubieten. lassen wir uns das auch nicht vermiesen. Es ist aber passiert, dass manche da ausgebremst wur- Übrigens: Wir machen nächste Woche etwas zur Pend- den, beispielsweise in München die Barmherzigen lerpauschale. Ich weiß nicht, die Hälfte mancher Rede Schwestern, die ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- ging zur Pendlerpauschale. Das machen wir nächste Wo- mern Wohnungen unter dem ortsüblichen Mietwert ange- che. Sie haben sich in der Woche vertan, Herr Gottschalk. boten hatten. Dafür mussten die Mitarbeiter dann den Aber es steht Ihnen zu, dass Sie etwas hier behandeln geldwerten Vorteil versteuern. Unser Münchner Oberbür- wollen, was eigentlich erst nächste Woche kommt. germeister Dieter Reiter hat uns immer wieder darauf Übrigens: Die Verletzung, die ich habe, das waren kei- hingewiesen, dass wir hier etwas tun müssen. Und jetzt ne Abnutzungskämpfe in der Koalition oder mit der Op- tun wir etwas: Wir führen einen Bewertungsabschlag von position, sondern das ist auf dem Fußballplatz gesche- einem Drittel vom ortsüblichen Mietwert ein. Das wirkt hen – einige waren mit dabei –; ansonsten arbeiten wir wie ein Freibetrag und heißt ganz einfach, dass Arbeit- nehmerinnen und Arbeitnehmer, die in günstigen Werks- hier sehr gut zusammen. wohnungen wohnen, den geldwerten Vorteil nicht mehr (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der versteuern müssen. LINKEN) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir beschließen heute das Jahressteuergesetz 2019; ich nehme jetzt mal den kürzeren und nicht den sperrigen Wir ermöglichen den Erhalt und auch die Schaffung be- Namen. Es sind schon einige Dinge genannt worden, zahlbaren Wohnraums. Darauf hätte Die Linke übrigens die wir hier beschließen. Ich möchte drei Punkte heraus- auch eingehen können; auch dieser Punkt ist Bestandteil heben, die uns wichtig sind: des Jahressteuergesetzes. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15391

Michael Schrodi (A) Zum dritten Punkt. Cum/Cum und Cum/Ex stehen für nehmer abgeschafft würden, und man hatte den Eindruck, (C) Steuergestaltungsmodelle von Steuertricksern, durch die dass Verluste aus Kapitalanlagegeschäften auch nicht dem Staat Milliarden Euro entgangen sind. Immer wenn mehr voll abzugsfähig sein würden. ein Schlupfloch geschlossen wird, taucht irgendwo an- ders ein neues auf. Wir sind dabei, diese Gestaltungsmo- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich danke für die delle abzuschaffen und Schlupflöcher zu schließen. Mit intensive parlamentarische Diskussion. Wir konnten mit diesem Gesetz tun wir auch etwas gegen Schlupflöcher: dieser intensiven parlamentarischen Diskussion eine gan- Mit der Änderung des § 31 Investmentsteuergesetz wird ze Reihe von Punkten klären. Antje Tillmann hat es ge- zum einen der Zuordnungszeitpunkt für Kapitalerträge sagt: Wir konnten mit diesem Gesetz ganz viele Steuer- klargestellt, und zum anderen werden die Regelungen erleichterungen erreichen. zur Verhinderung von Cum/Cum-Gestaltungen verbes- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und sert. des Abg. Michael Schrodi [SPD]) (Beifall der Abg. Metin Hakverdi [SPD] und Die CDU/CSU liefert, liebe Kolleginnen und Kollegen: Dr. Wiebke Esdar [SPD]) Erstens. In den intensiven Diskussionen konnten wir Das ist auch ein wichtiger Schritt in diesem Jahressteuer- die Verteuerung von Bildungsleistungen durch die Um- gesetz, der Erwähnung finden muss. Wir wollen Steuer- satzbesteuerung verhindern. Ein wichtiges Signal: Bil- gestaltungsmodelle, mit denen sich Zocker auf Kosten dungsleistungen bleiben erst einmal umsatzsteuerfrei. der Steuerzahler bereichern, konsequent verhindern. Zweitens. Wir konnten die wichtigen Fragen bei E- Paper-Produkten klären und – systematisch richtig: wie Vizepräsident Wolfgang Kubicki: bei Zeitungen in Papierform – einen ermäßigten Umsatz- Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss. steuersatz vorsehen. Drittens. Wir konnten eine Verlängerung der Begüns- Michael Schrodi (SPD): tigung von reinen Elektrofahrzeugen und aufladbaren Dieses Jahressteuergesetz ist ein großes, ein sehr gutes Hybridfahrzeugen – übrigens auch der Wasserstofffahr- Paket steuerlicher Maßnahmen. zeuge – erreichen. Statt der teuren 1-Prozent-Regelung Ich habe gesagt, Herr Präsident: So schnell kriegen Sie bleibt es bei 0,5-Prozent-Besteuerung für eine private mich hier nicht los. Ich komme nicht so einfach weg. Nutzung von Betriebsfahrzeugen. Das bringt den Arbeit- Deswegen bitte ich jetzt meine Kollegin, mir meine Krü- nehmerinnen und Arbeitnehmern, aber auch den Unter- cken zu bringen. – Ich darf mich dann wieder auf meinen nehmern spürbare Entlastung. (B) Platz begeben. (D) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Viertens. Wir konnten mit der Anhebung der Pauscha- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der len für den Verpflegungsmehraufwand eine weitere Ent- CDU/CSU) lastung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer errei- chen. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Fünftens. Wir konnten – das ist die Handschrift der Herr Kollege, alles Gute weiterhin! Und denken Sie CDU und der CSU – den Sachbezug für die Überlassung daran: Fußball kann auch Verletzungen mit sich bringen, von Betriebswohnungen an Arbeitnehmerinnen und Ar- vor allen Dingen in einem etwas höheren Alter. beitnehmer rechtssicher gestalten. Hier wurden ja gerade in Großstädten wie München Arbeitgeber und damit üb- (Heiterkeit – Zuruf: Die erste längere Midlife- rigens auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer be- crisis, wie gesagt!) straft. Wir haben umgesetzt, dass diese Bestrafung auf- – Ich bin ja schon drüber hinweg. hört, dass die Unternehmer den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern weiterhin verbilligten Wohnraum zur Ver- Liebe Kolleginnen und Kollegen, vielleicht darf ich um fügung stellen können; das ist die Handschrift der CDU Aufmerksamkeit bitten auch für die beiden letzten Red- und der CSU. ner. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Als nächster Redner hat der Kollege Sebastian Brehm, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. Sechstens. Wir halten selbstverständlich auch die Mög- lichkeit von Sachleistungen mit der 44-Euro-Regelung (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) aufrecht, also auch bei Geschenkkarten und Gutschei- nen – außer, die Karten erlauben eine direkte Geldaus- Sebastian Brehm (CDU/CSU): zahlung. Das haben wir auch im Jahressteuergesetz mit- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und einander beschlossen. Auch diese Sachleistungen sind Kollegen! Mit dem heutigen Beschluss über das Jahres- eine Entlastung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- steuergesetz 2019 findet eine intensive Diskussion mit mer. leider vielen Irritationen im Vorfeld ihr Ende. Mit der Siebtens. Wir erweitern die Möglichkeiten des Jobti- Einbringung des Gesetzentwurfs durch das BMF sah es ckets. zunächst so aus, als ob Bildungsleistungen teurer würden. Man hatte den Eindruck, dass Sachleistungen für Arbeit- Achtens. Wir erhöhen die Wohnungsbauprämie. 15392 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Sebastian Brehm (A) Neuntens. Wir entlasten auch den Mittelstand, wir ent- ja, wir brauchen auch nichtfossile Kraftstoffe, wir brau- (C) lasten auch die Handwerker: indem wir eine Sonderab- chen Biokraftstoffe, wir wollen E-Fuels und synthetische schreibung von 50 Prozent für die Anschaffung von Kraftstoffe auch auf dem deutschen Markt haben. Elektrolieferfahrzeugen vorsehen. Aber natürlich, meine sehr geehrten Damen und Her- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ren, brauchen wir auch Elektroautos. Denn sie gehören zu einem klugen Verkehrsmix dazu; ich denke dabei an die Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir hätten noch weitere Innenstädte, an kurze Strecken mit eher leichter Ladung Abschreibungen vorgehabt, aber wir haben da die Mehr- und an viele weitere Anwendungsfälle aus dem Alltag. heit in der Koalition nicht gefunden. Hier wollen wir neue Anreize setzen. Zehntens – das ist ein ganz wichtiger Punkt, liebe Kol- Wie überall beim Klimaschutz setzen wir auf Anreize leginnen und Kollegen; da sollten wir auch alle miteinan- und Innovation statt auf Verbote. der stolz sein, dass wir das umgesetzt haben –: Wir setzen ein deutliches Signal zur Entlastung unserer Landwirte in (Beifall bei der CDU/CSU) Deutschland. Wir haben hier die letzten Jahre immer wie- Deshalb werden wir die Absenkung der Dienstwagenbe- der diskutiert, dass wir einen Risikoausgleich für die steuerung für Elektroautos weiter verlängern und setzen deutschen Landwirte wollen, eben weil aufgrund des Kli- uns bei den Hybriden ambitioniertere Ziele. Wir setzen mawandels auch erhebliche Ernteausfälle zu verzeichnen auch schon eine erste Maßnahme des Klimapakets um: sind. Der Kollege Herbrand hat das diese Woche gefor- Für ein rein elektrisches Auto muss man in Zukunft noch dert, obwohl wir das schon umgesetzt haben. weniger Steuern bezahlen. (Markus Herbrand [FDP]: Ich habe eine bes- Zur Wahrheit gehört auch – Herr Schrodi, Sie haben es sere Regelung gefordert, Herr Kollege!) schon angesprochen –: Elektroautos sind derzeit noch zu Wir haben den Risikoausgleich in das Jahressteuergesetz teuer. Wir wollen jetzt auch einen Gebrauchtwagenmarkt aufgenommen, mit dem neuen § 32c EStG, mit der Ge- entwickeln, und dafür ist diese Dienstwagenbesteuerung winnglättung. Wir setzen ein deutliches Signal für die ein sehr gutes Mittel. Landwirtschaft, und das ist gut so. Des Weiteren werden wir eine Sonderabschreibung für (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) rein elektrische Nutzfahrzeuge einführen. Das dient un- seren Handwerkern. Sie können ihre Flotten umstellen. Anstatt Schaufensteranträge zu machen, sollte die FDP Auch das ist gut für uns hier in Deutschland. diesem Gesetz lieber zustimmen; aber Sie lehnen das Gesetz ab. Zweitens: die Monatshygiene. Der Mehrwertsteuersatz (B) auf Monatshygieneprodukte wird reduziert. Für diese so- (D) (Markus Herbrand [FDP]: Ja!) genannte Tampon Tax haben sich viele Frauen und auch Wir haben ein gutes Jahressteuergesetz. Männer in Deutschland eingesetzt. Die Junge Union hat richtig Druck dafür gemacht, und wir haben es hier im (Markus Herbrand [FDP]: Nein!) Deutschen Bundestag jetzt umgesetzt. Wir sind noch nicht am Ende, wir haben noch viel vor: (Beifall bei der CDU/CSU) Unternehmensteuerreform, Solientlastung und weitere Dinge. Lassen Sie es uns gemeinsam anpacken! Wir als Drittens haben wir die Wohnungsbauprämie massiv CDU/CSU liefern. verbessert. Wir schaffen damit Anreize zur Bildung von Wohneigentum. An dieser Stelle geht ein großer Dank an (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- den Kollegen , der sich seit vielen Jahren für wie des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] dieses Thema eingesetzt hat. [SPD]) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank, Herr Kollege Brehm. – Letzter Redner zu Vizepräsident Wolfgang Kubicki: diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Johannes Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Steiniger, CDU/CSU-Fraktion. Kollegen Gottschalk aus der AfD-Fraktion?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Johannes Steiniger (CDU/CSU): Nein. Johannes Steiniger (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir schließen heu- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: te das Jahressteuergesetz 2019 ab. In den vier Minuten, Des Kollegen Birkwald? die mir zur Verfügung stehen, möchte ich gerne auf vier Themen eingehen, die uns als Union wichtig waren. Johannes Steiniger (CDU/CSU): Nein. Erstens. Wir unterstützen mit diesem Gesetz neue, in- novative und emissionsarme Mobilität. Wir wollen mehr Elektroautos auf die Straße bringen. Natürlich werden wir Vizepräsident Wolfgang Kubicki: das Klima allein mit Elektromobilität nicht retten. Und, Okay. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15393

(A) Johannes Steiniger (CDU/CSU): Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei- (C) Der vierte Punkt betrifft die Landwirtschaft. Deutsch- ner Beschlussempfehlung auf Drucksachen 19/14873 und land erscheint ja oft als ein Land von 80 Millionen Bun- 19/14909, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf destrainern. Ich habe derzeit das Gefühl, dass wir ein Drucksachen 19/13436 und 19/13712 in der Ausschuss- Land von 80 Millionen Bauern sind: Jeder weiß alles fassung anzunehmen. Hierzu liegen zwei Änderungsan- besser, auch wenn er noch nie im Stall gewesen ist oder träge der Fraktion der FDP vor, über die wir auf Verlan- mal im Weinberg gestanden hat. gen der Fraktion der FDP namentlich abstimmen. (Beifall des Abg. Hans-Georg von der Marwitz Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache [CDU/CSU]) 19/14882. Ich bitte die Schriftführerin und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind die Plätze Deswegen sage ich ganz klar: Was derzeit in Deutschland an den Urnen besetzt? – Das ist ersichtlich der Fall. Dann an Bauern-Bashing läuft, geht auf keine Kuhhaut. eröffne ich die erste namentliche Abstimmung über den (Beifall bei der CDU/CSU – Grigorios Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache Aggelidis [FDP]: Das nimmt Ihnen aber kein 19/14882. Landwirt ab! Das glaubt Ihnen kein Bauer Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine mehr!) Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist erkennbar Die Landwirtschaft wird zum Buhmann für alles ge- nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung.1) macht. Dabei sind es die Bauern, die Tag für Tag hoch- Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache wertige Lebensmittel für uns produzieren. Ihre Arbeit 19/14883. Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist verdient unsere Wertschätzung. erkennbar der Fall. Dann eröffne ich die zweite nament- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) liche Abstimmung, und zwar über den Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 19/14883. Deswegen haben wir in diesem Gesetz zwei Maß- nahmen umgesetzt. Zum einen wird es auch weiterhin Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen drin- möglich sein, dass Familienbetriebe sogenannte Tier- gend einen Arzt auf der von Ihnen aus rechten Seite des haltungskooperationen nutzen können. Das ist aus dem Hauses. Grundsteuergesetz herausgeflogen; hier haben wir es an der Stelle geheilt. Ich unterbreche die Abstimmung. Ich bitte alle, sich jetzt wieder hinzusetzen. Die Abstimmung wird wieder- Zum anderen gehen wir die Gewinnglättung an, der holt werden. Kollege Brehm ist schon darauf eingegangen. Sie müssen (B) sich mal die Literatur zur Risikoausgleichsrücklage an- Ich unterbreche die Sitzung für zunächst 15 Minuten. (D) schauen, Herr Kollege Herbrand. Die gesamte Wissen- (Unterbrechung von 18.52 bis 19.09 Uhr) schaft sagt: Das bindet Kapital. – Es ist eben keine Maß- nahme, die zielgenau ist. Jeder sagt im Grunde genommen, dass die Gewinnglättung, die wir jetzt vor- Vizepräsidentin Claudia Roth: haben, das bessere und genauere Mittelmittel ist, weil wir Liebe Kolleginnen und Kollegen, darf ich Sie um Ihre es dadurch schaffen, dass sowohl gute als auch schlechte Aufmerksamkeit bitten? – Erstens möchte ich Sie darüber Jahre miteinander verrechnet werden können. informieren, dass es unserer Kollegin den Umständen entsprechend besser geht. Wir wünschen ihr alles Gute! (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall) In diesem Sinne: Das ist ein sehr guter Gesetzentwurf, dem Sie alle guten Gewissens zustimmen können. Zweitens möchte ich mich bei den Kolleginnen und Kollegen, die Mediziner sind, bedanken. Es war eine un- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – mittelbare und sofortige Unterstützung da von unseren Markus Herbrand [FDP]: Jeder Ihrer Fraktion!) Ärztinnen und Ärzten. Vielen herzlichen Dank! Herzlichen Dank. (Beifall – Dr. Andrew Ullmann [FDP]: Und der (Beifall bei der CDU/CSU) Pflegekräfte!) Mein Kollege, Herr Kubicki, hat die Abstimmung zu Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Recht sofort unterbrochen und angekündigt, dass wir die Vielen Dank, Herr Kollege Steiniger. Abstimmung wiederholen. Wir setzen die Abstimmung also nicht fort, sondern wiederholen sie. Ich hoffe, dass Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur möglichst viele Kolleginnen und Kollegen hier sind, um Abstimmung über den von der Bundesregierung einge- jetzt an der zweiten Abstimmung, die von Neuem be- brachten Gesetzentwurf zur weiteren steuerlichen Förde- ginnt, teilzunehmen. Das heißt, diejenigen, die vor der rung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer Unterbrechung abgestimmt haben, bitte ich jetzt, ihre Ab- steuerlicher Vorschriften unter Tagesordnungspunkt 9 a. stimmungskarten noch mal zu holen, weil die abgebro- Liebe Kolleginnen und Kollegen, etwas mehr Auf- chene Abstimmung natürlich nicht zählt, sondern wir fan- merksamkeit, jedenfalls wenn ich rede, finde ich ange- gen jetzt noch mal von Neuem an. messen, weil ich ja noch sachdienliche Hinweise zu ge- ben habe. 1) Ergebnis Seite 15394 A 15394 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Bis Sie Ihre Abstimmungskarten geholt haben, möchte ratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung be- (C) ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und kanntgeben: abgegebene Stimmkarten 628. Mit Ja haben Schriftführern ermittelte Ergebnis der Abstimmung gestimmt 269 Kolleginnen und Kollegen, mit Nein haben über den Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Florian gestimmt 359. Der Änderungsantrag ist damit abge- Toncar und anderer Kollegen der FDP zur zweiten Be- lehnt.

Endgültiges Ergebnis Jörn König Britta Katharina Dassler Frank Sitta Abgegebene Stimmen: 627; Steffen Kotré Bijan Djir-Sarai davon Dr. Rainer Kraft Christian Dürr Dr. ja: 269 Rüdiger Lucassen Bettina Stark-Watzinger nein: 358 Dr. Dr. Marie-Agnes Strack- Jens Maier Zimmermann Ja Dr. Thomas Hacker AfD Dr. Birgit Malsack- Katja Suding Winkemann Marc Bernhard Katrin Helling-Plahr Michael Theurer Markus Herbrand Stephan Thomae Peter Boehringer Hansjörg Müller Stephan Brandner Katja Hessel Volker Münz Dr. Florian Toncar Jürgen Braun Dr. Gero Clemens Hocker Sebastian Münzenmaier Dr. Andrew Ullmann Marcus Bühl Manuel Höferlin Jan Ralf Nolte Johannes Vogel (Olpe) Petr Bystron Dr. Christoph Hoffmann Sandra Weeser Tino Chrupalla Reinhard Houben Frank Pasemann Tobias Matthias Peterka Olaf In der Beek Dr. Gottfried Curio Jürgen Pohl Thomas Ehrhorn Dr. Christian Jung DIE LINKE Dr. Michael Espendiller Martin Reichardt Dr. Doris Achelwilm (B) Roman Johannes Reusch (D) Daniela Kluckert Gökay Akbulut Dietmar Friedhoff Ulrike Schielke-Ziesing Dr. Pascal Kober Simone Barrientos Jörg Schneider Dr. Lukas Köhler Uwe Schulz Lorenz Gösta Beutin Dr. Götz Frömming Matthias W. Birkwald Thomas Seitz Wolfgang Kubicki Albrecht Glaser Martin Sichert Michel Brandt Franziska Gminder Konstantin Kuhle Detlev Spangenberg Alexander Kulitz Kay Gottschalk Dr. Dirk Spaniel Dr. Birke Bull-Bischoff Armin-Paulus Hampel Ulrich Lechte Jörg Cezanne René Springer Mariana Iris Harder-Kühnel Beatrix von Storch Fabio De Masi Dr. Diether Dehm Dr. (Heilbronn) Dr. Roland Hartwig Anke Domscheit-Berg Dr. Klaus Ernst Till Mansmann Martin Hebner Susanne Ferschl Dr. Dr. Jürgen Martens Udo Theodor Hemmelgarn Uwe Witt Christoph Meyer Waldemar Herdt Dr. André Hahn Alexander Müller Heike Hänsel FDP Roman Müller-Böhm Martin Hess Matthias Höhn Frank Müller-Rosentritt Grigorios Aggelidis Renata Alt Dr. Martin Neumann (Lausitz) Dr. Bruno Hollnagel Christine Aschenberg- Kerstin Kassner Dugnus Leif-Erik Holm Dr. Achim Kessler Bernd Reuther Katja Kipping Jens Beeck Dr. Fabian Jacobi Jutta Krellmann Dr. Jens Brandenburg Dr. h. c. Thomas Dr. Marc Jongen (Rhein-Neckar) Sattelberger Caren Lay Mario Brandenburg Christian Sauter Stefan Keuter (Südpfalz) Frank Schäffler Norbert Kleinwächter Dr. Marco Buschmann Dr. Enrico Komning Carl-Julius Cronenberg Matthias Seestern-Pauly Stefan Liebich Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15395

(A) Dr. Gesine Lötzsch Dr. Kirsten Kappert- (Börde) (C) Gonther Katja Keul Dr. André Berghegger Amira Mohamed Ali Sven-Christian Kindler Dr. Heribert Hirte Maria Klein-Schmeink Christoph Bernstiel Alexander Hoffmann Norbert Müller (Potsdam) Sylvia Kotting-Uhl Zaklin Nastic Dr. Dr. Alexander S. Neu Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Hans-Jürgen Irmer Petra Pau Markus Kurth Michael Brand (Fulda) Dr. Tobias Pflüger Sven Lehmann Steffi Lemke Sebastian Brehm Dr. Dr. Irene Mihalic Torbjörn Kartes Claudia Müller Eva-Maria Schreiber Dr. Beate Müller-Gemmeke Dr. Petra Sitte Dr. Stefan Kaufmann Dr. Helin Evrim Sommer Dr. Konstantin von Notz Kersten Steinke Omid Nouripour Friedrich Straetmanns Michael Kießling Dr. Kirsten Tackmann Marie-Luise Dött Dr. Cem Özdemir Jessica Tatti Hansjörg Durz Lisa Paus Thomas Erndl Filiz Polat Kathrin Vogler Hermann Färber Tabea Rößner Dr. Claudia Roth (Augsburg) Andreas Wagner Carsten Körber Dr. Harald Weinberg Dr. Maria Flachsbarth Corinna Rüffer Thorsten Frei Dr. Günter Krings Ulle Schauws (B) Dr. (D) Stefan Schmidt Rüdiger Kruse Dr. Hans-Peter Friedrich Kordula Schulz-Asche (Hof) Sabine Zimmermann Dr. Roy Kühne (Zwickau) Dr. Wolfgang Strengmann- Kuhn Hans-Joachim Fuchtel Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Margit Stumpp Ingo Gädechens BÜNDNIS 90/ Markus Tressel Dr. Thomas Gebhart Ulrich Lange DIE GRÜNEN Jürgen Trittin Dr. Dr. Julia Verlinden Daniela Wagner Margarete Bause Beate Walter-Rosenheimer Ursula Groden-Kranich Dr. Dr. Danyal Bayaz Hermann Gröhe Dr. Andreas Lenz Canan Bayram Klaus-Dieter Gröhler Antje Lezius Dr. Franziska Brantner Fraktionslos Michael Grosse-Brömer Agnieszka Brugger Dr. Astrid Grotelüschen Katja Dörner Markus Grübel Katharina Dröge Nikolas Löbel Nein Manfred Grund CDU/CSU Fritz Güntzler Dr. Jan-Marco Luczak Kai Gehring Dr. Olav Gutting Stefan Gelbhaar Stephan Albani Jürgen Hardt Karin Maag Katrin Göring-Eckardt Norbert Maria Altenkamp Philipp Amthor Dr. Dr. Thomas de Maizière Anja Hajduk Britta Haßelmann Peter Aumer Thomas Heilmann Dr. Astrid Mannes Dr. Bettina Hoffmann Dorothee Bär Frank Heinrich (Chemnitz) Dr. Thomas Bareiß Mark Helfrich Ottmar von Holtz Rudolf Henke Dr. Dieter Janecek 15396 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

(A) Dr. h. c. (Univ Kyiv) Hans Katrin Staffler Sören Bartol Kirsten Lühmann (C) Michelbach Frank Steffel Bärbel Bas Isabel Mackensen Dr. Mathias Middelberg Dr. Wolfgang Stefinger Lothar Binding (Heidelberg) Karsten Möring Dr. Eberhard Brecht (Rostock) Dr. Axel Müller Dr. Karl-Heinz Brunner Sepp Müller Johannes Steiniger Carsten Müller Christian Frhr. von Stetten (Braunschweig) Dr. Claudia Moll Stefan Müller (Erlangen) Bernhard Daldrup Siemtje Möller Dr. Andreas Nick Stephan Stracke Dr. Karamba Diaby Bettina Müller Dr. Rolf Mützenich Michael Stübgen Sabine Dittmar Dr. Georg Nüßlein Dr. Dr. Wiebke Esdar Ulli Nissen Wilfried Oellers Dr. Hermann-Josef Tebroke Florian Oßner Hans-Jürgen Thies Yasmin Fahimi Mahmut Özdemir Alexander Throm Dr. Johannes Fechner (Duisburg) Henning Otte Dr. Dietlind Tiemann Dr. Aydan Özoğuz Antje Tillmann Dr. Edgar Franke Markus Paschke Dr. Volker Ullrich Dr. Angelika Glöckner Timon Gremmels (Minden) Dr. Christoph Ploß (Kleinsaara) Kerstin Griese Michael Groß Uli Grötsch Dr. Johann David Wadephul Sönke Rix Alexander Radwan Rita Hagl-Kehl (B) (D) Alois Rainer Metin Hakverdi Dr. Martin Rosemann Lothar Riebsamen Albert H. Weiler René Röspel Dirk Heidenblut Dr. Johannes Röring (Hamburg) Gabriela Heinrich Michael Roth (Heringen) Dr. Norbert Röttgen Dr. Susann Rüthrich Peter Weiß (Emmendingen) Bernd Rützel Erwin Rüddel Sabine Weiss (Wesel I) Sarah Ryglewski Albert Rupprecht Gabriele Hiller-Ohm Marian Wendt Axel Schäfer (Bochum) Anita Schäfer (Saalstadt) Kai Whittaker Dr. Eva Högl Dr. Dr. Wolfgang Schäuble Annette Widmann-Mauz Marianne Schieder Bettina Margarethe Wiesmann Dr. Nils Schmid Klaus-Peter Willsch Nadine Schön Elisabeth Winkelmeier- Johannes Kahrs Ulla Schmidt (Aachen) Becker Dagmar Schmidt (Wetzlar) Dr. Klaus-Peter Schulze Emmi Zeulner Gabriele Katzmarek Michael Schrodi (Weil am Dr. Matthias Zimmer Rhein) Cansel Kiziltepe Dr. Manja Schüle SPD Martin Schulz Dr. Bärbel Kofler (Spandau) Ingrid Arndt-Brauer -Emre Frank Schwabe Dr. Ulrike Bahr Christine Lambrecht Rita Schwarzelühr-Sutter Björn Simon Christian Lange (Backnang) Tino Sorge Dr. Jens Spahn Dr. Matthias Bartke Helge Lindh Martina Stamm-Fibich Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15397

(A) Sonja Amalie Steffen Carsten Träger AfD (C) Gülistan Yüksel Kerstin Tack Marja-Liisa Völlers Dirk Vöpel Dr. Joe Weingarten Markus Töns Dr. Jens Zimmermann

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.

Wir stimmen jetzt über den Änderungsantrag der Frak- (Unterbrechung von 19.16 bis 19.24 Uhr) tion der FDP auf Drucksache 19/14883 ab. Ich frage, ob die Urnen besetzt sind. – Ich eröffne die zweite nament- Vizepräsidentin Claudia Roth: liche Abstimmung, und zwar genau über den Änderungs- Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene antrag auf Drucksache 19/14883. Sitzung ist wieder eröffnet. Ich möchte mich auch ganz herzlich bei den Kollegen bedanken, die Pflegekraft sind. Auch die haben natürlich unserer Kollegin sofort geholfen. Ich werde Ihnen jetzt das von den Schriftführerinnen Darf ich fragen, ob Kolleginnen und Kollegen im Haus und Schriftführern ermittelte Ergebnis der zweiten na- sind, die ihre Stimme noch nicht abgegeben haben? – Ich mentlichen Abstimmung bekannt geben. Das war der schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen Antrag der FDP-Fraktion auf Drucksache 19/14883. und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Abgegebene Stimmkarten: 605. Mit Ja haben gestimmt 142 Kolleginnen und Kollegen, mit Nein haben gestimmt Bis zum Vorliegen der beiden Ergebnisse unterbreche 463, keine Enthaltung. Der Änderungsantrag ist abge- ich die Sitzung. lehnt.

(B) Endgültiges Ergebnis Dr. Roland Hartwig Hansjörg Müller Christine Aschenberg- (D) Dugnus Abgegebene Stimmen: 603; Jochen Haug Volker Münz davon Martin Hebner Sebastian Münzenmaier Nicole Bauer ja: 142 Udo Theodor Hemmelgarn Jan Ralf Nolte Jens Beeck nein: 461 Waldemar Herdt Ulrich Oehme Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar) Lars Herrmann Gerold Otten Ja Martin Hess Mario Brandenburg Frank Pasemann (Südpfalz) Karsten Hilse AfD Tobias Matthias Peterka Dr. Marco Buschmann Nicole Höchst Jürgen Pohl Dr. Bernd Baumann Carl-Julius Cronenberg Martin Hohmann Stephan Protschka Marc Bernhard Britta Katharina Dassler Dr. Bruno Hollnagel Martin Reichardt Andreas Bleck Bijan Djir-Sarai Leif-Erik Holm Roman Johannes Reusch Peter Boehringer Christian Dürr Johannes Huber Ulrike Schielke-Ziesing Stephan Brandner Hartmut Ebbing Fabian Jacobi Uwe Schulz Jürgen Braun Dr. Marcus Faber Dr. Marc Jongen Thomas Seitz Petr Bystron Otto Fricke Jens Kestner Martin Sichert Tino Chrupalla Peter Heidt Stefan Keuter Dr. Dirk Spaniel Joana Cotar Katrin Helling-Plahr Norbert Kleinwächter René Springer Thomas Ehrhorn Markus Herbrand Enrico Komning Beatrix von Storch Dr. Michael Espendiller Torsten Herbst Jörn König Dr. Alice Weidel Peter Felser Katja Hessel Steffen Kotré Dr. Harald Weyel Dietmar Friedhoff Dr. Gero Clemens Hocker Dr. Rainer Kraft Wolfgang Wiehle Dr. Anton Friesen Manuel Höferlin Rüdiger Lucassen Dr. Heiko Wildberg Markus Frohnmaier Dr. Christoph Hoffmann Frank Magnitz Uwe Witt Dr. Götz Frömming Jens Maier Reinhard Houben Albrecht Glaser Dr. Birgit Malsack- Ulla Ihnen Kay Gottschalk Winkemann FDP Olaf In der Beek Armin-Paulus Hampel Corinna Miazga Grigorios Aggelidis Dr. Christian Jung Verena Hartmann Andreas Mrosek Renata Alt Karsten Klein 15398 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

(A) Dr. Marcel Klinge Norbert Barthle Michael Hennrich Dietrich Monstadt (C) Daniela Kluckert Maik Beermann Marc Henrichmann Karsten Möring Pascal Kober Manfred Behrens (Börde) Ansgar Heveling Elisabeth Motschmann Dr. Lukas Köhler Sybille Benning Christian Hirte Axel Müller Carina Konrad Dr. André Berghegger Dr. Heribert Hirte Dr. Gerd Müller Wolfgang Kubicki Melanie Bernstein Alexander Hoffmann Sepp Müller Konstantin Kuhle Christoph Bernstiel Dr. Hendrik Hoppenstedt Carsten Müller Alexander Kulitz Erich Irlstorfer (Braunschweig) Alexander Graf Lambsdorff Marc Biadacz Hans-Jürgen Irmer Stefan Müller (Erlangen) Ulrich Lechte Steffen Bilger Thomas Jarzombek Dr. Andreas Nick Christian Lindner Peter Bleser Andreas Jung Petra Nicolaisen Oliver Luksic Norbert Brackmann Ingmar Jung Michaela Noll Till Mansmann Michael Brand (Fulda) Alois Karl Dr. Georg Nüßlein Dr. Jürgen Martens Dr. Reinhard Brandl Anja Karliczek Wilfried Oellers Alexander Müller Silvia Breher Torbjörn Kartes Florian Oßner Roman Müller-Böhm Sebastian Brehm Volker Kauder Josef Oster Frank Müller-Rosentritt Heike Brehmer Dr. Stefan Kaufmann Henning Otte Dr. Martin Neumann Ralph Brinkhaus Ronja Kemmer Ingrid Pahlmann (Lausitz) Dr. Carsten Brodesser Roderich Kiesewetter Sylvia Pantel Hagen Reinhold Gitta Connemann Michael Kießling Martin Patzelt Bernd Reuther Astrid Damerow Dr. Georg Kippels Dr. Joachim Pfeiffer Dr. Stefan Ruppert Alexander Dobrindt Volkmar Klein Stephan Pilsinger Christian Sauter Michael Donth Axel Knoerig Dr. Christoph Ploß Frank Schäffler Marie-Luise Dött Jens Koeppen Eckhard Pols Dr. Wieland Schinnenburg Hansjörg Durz Markus Koob Thomas Rachel Matthias Seestern-Pauly Thomas Erndl Carsten Körber Kerstin Radomski Frank Sitta Hermann Färber Gunther Krichbaum Alexander Radwan Judith Skudelny Uwe Feiler Dr. Günter Krings Alois Rainer Bettina Stark-Watzinger (B) Dr. Maria Flachsbarth Rüdiger Kruse Lothar Riebsamen (D) Dr. Marie-Agnes Strack- Thorsten Frei Michael Kuffer Josef Rief Zimmermann Dr. Astrid Freudenstein Dr. Roy Kühne Johannes Röring Benjamin Strasser Dr. Hans-Peter Friedrich Katharina Landgraf Dr. Norbert Röttgen Katja Suding (Hof) Ulrich Lange Stefan Rouenhoff Linda Teuteberg Michael Frieser Dr. Silke Launert Erwin Rüddel Michael Theurer Hans-Joachim Fuchtel Jens Lehmann Albert Rupprecht Stephan Thomae Ingo Gädechens Dr. Katja Leikert Stefan Sauer Manfred Todtenhausen Dr. Thomas Gebhart Dr. Andreas Lenz Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Florian Toncar Alois Gerig Antje Lezius Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Andrew Ullmann Eberhard Gienger Andrea Lindholz Andreas Scheuer Johannes Vogel (Olpe) Eckhard Gnodtke Dr. Carsten Linnemann Jana Schimke Sandra Weeser Ursula Groden-Kranich Patricia Lips Tankred Schipanski Nicole Westig Hermann Gröhe Nikolas Löbel Christian Schmidt (Fürth) Katharina Willkomm Klaus-Dieter Gröhler Bernhard Loos Nadine Schön Michael Grosse-Brömer Dr. Jan-Marco Luczak Felix Schreiner Fraktionslos Astrid Grotelüschen Daniela Ludwig Dr. Klaus-Peter Schulze Mario Mieruch Manfred Grund Karin Maag Armin Schuster (Weil am Oliver Grundmann Yvonne Magwas Rhein) Torsten Schweiger Nein Fritz Güntzler Dr. Thomas de Maizière Olav Gutting Gisela Manderla Detlef Seif CDU/CSU Jürgen Hardt Dr. Astrid Mannes Johannes Selle Dr. Michael von Abercron Mark Hauptmann Matern von Marschall Reinhold Sendker Stephan Albani Dr. Matthias Heider Andreas Mattfeldt Dr. Patrick Sensburg Norbert Maria Altenkamp Mechthild Heil Dr. Michael Meister Thomas Silberhorn Philipp Amthor Thomas Heilmann Jan Metzler Björn Simon Artur Auernhammer Frank Heinrich (Chemnitz) Dr. h. c. (Univ Kyiv) Hans Tino Sorge Peter Aumer Mark Helfrich Michelbach Jens Spahn Dorothee Bär Rudolf Henke Dr. Mathias Middelberg Katrin Staffler Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15399

(A) Frank Steffel Dr. Eberhard Brecht Susanne Mittag Carsten Träger (C) Dr. Wolfgang Stefinger Leni Breymaier Falko Mohrs Ute Vogt Albert Stegemann Dr. Karl-Heinz Brunner Claudia Moll Marja-Liisa Völlers Andreas Steier Katrin Budde Siemtje Möller Dirk Vöpel Peter Stein (Rostock) Martin Burkert Bettina Müller Dr. Joe Weingarten Sebastian Steineke Dr. Lars Castellucci Dr. Rolf Mützenich Bernd Westphal Johannes Steiniger Dr. Karamba Diaby Dietmar Nietan Dirk Wiese Christian Frhr. von Stetten Esther Dilcher Ulli Nissen Gülistan Yüksel Dieter Stier Sabine Dittmar Thomas Oppermann Dagmar Ziegler Gero Storjohann Dr. Wiebke Esdar Josephine Ortleb Stefan Zierke Stephan Stracke Saskia Esken Mahmut Özdemir Dr. Jens Zimmermann Michael Stübgen Yasmin Fahimi (Duisburg) Aydan Özoğuz Dr. Peter Tauber Dr. Johannes Fechner DIE LINKE Dr. Hermann-Josef Tebroke Dr. Fritz Felgentreu Markus Paschke Doris Achelwilm Hans-Jürgen Thies Dr. Edgar Franke Christian Petry Gökay Akbulut Alexander Throm Ulrich Freese Detlev Pilger Simone Barrientos Dr. Dietlind Tiemann Dagmar Freitag Florian Post Lorenz Gösta Beutin Antje Tillmann Angelika Glöckner Achim Post (Minden) Matthias W. Birkwald Markus Uhl Timon Gremmels Florian Pronold Michel Brandt Dr. Volker Ullrich Kerstin Griese Martin Rabanus Christine Buchholz Arnold Vaatz Michael Groß Andreas Rimkus Dr. Birke Bull-Bischoff Kerstin Vieregge Uli Grötsch Sönke Rix Jörg Cezanne Volkmar Vogel (Kleinsaara) Bettina Hagedorn Dennis Rohde Fabio De Masi Christoph de Vries Rita Hagl-Kehl Dr. Martin Rosemann Dr. Diether Dehm Dr. Johann David Wadephul Metin Hakverdi René Röspel Anke Domscheit-Berg Nina Warken Sebastian Hartmann Dr. Ernst Dieter Rossmann Klaus Ernst Kai Wegner Dirk Heidenblut Michael Roth (Heringen) Susanne Ferschl Albert H. Weiler Gabriela Heinrich Susann Rüthrich Bernd Rützel Nicole Gohlke (B) Marcus Weinberg Marcus Held (D) (Hamburg) Wolfgang Hellmich Sarah Ryglewski Dr. André Hahn Dr. Anja Weisgerber Gustav Herzog Johann Saathoff Heike Hänsel Peter Weiß (Emmendingen) Gabriele Hiller-Ohm Axel Schäfer (Bochum) Matthias Höhn Sabine Weiss (Wesel I) Thomas Hitschler Dr. Nina Scheer Andrej Hunko Ingo Wellenreuther Dr. Eva Högl Marianne Schieder Ulla Jelpke Marian Wendt Frank Junge Udo Schiefner Kerstin Kassner Kai Whittaker Josip Juratovic Dr. Nils Schmid Dr. Achim Kessler Annette Widmann-Mauz Thomas Jurk Uwe Schmidt Katja Kipping Bettina Margarethe Oliver Kaczmarek Ulla Schmidt (Aachen) Jutta Krellmann Wiesmann Johannes Kahrs Dagmar Schmidt (Wetzlar) Caren Lay Klaus-Peter Willsch Elisabeth Kaiser Johannes Schraps Sabine Leidig Elisabeth Winkelmeier- Ralf Kapschack Michael Schrodi Ralph Lenkert Becker Gabriele Katzmarek Dr. Manja Schüle Michael Leutert Oliver Wittke Cansel Kiziltepe Ursula Schulte Stefan Liebich Emmi Zeulner Arno Klare Martin Schulz Dr. Gesine Lötzsch Dr. Matthias Zimmer Lars Klingbeil Swen Schulz (Spandau) Thomas Lutze Dr. Bärbel Kofler Frank Schwabe Pascal Meiser SPD Anette Kramme Andreas Schwarz Amira Mohamed Ali Niels Annen Christian Lange (Backnang) Rita Schwarzelühr-Sutter Niema Movassat Ingrid Arndt-Brauer Dr. Karl Lauterbach Rainer Spiering Zaklin Nastic Ulrike Bahr Helge Lindh Svenja Stadler Dr. Alexander S. Neu Nezahat Baradari Kirsten Lühmann Martina Stamm-Fibich Petra Pau Doris Barnett Isabel Mackensen Sonja Amalie Steffen Victor Perli Dr. Matthias Bartke Katja Mast Mathias Stein Tobias Pflüger Sören Bartol Christoph Matschie Kerstin Tack Ingrid Remmers Bärbel Bas Hilde Mattheis Claudia Tausend Martina Renner Lothar Binding Dr. Matthias Miersch Michael Thews Bernd Riexinger (Heidelberg) Klaus Mindrup Markus Töns Eva-Maria Schreiber 15400 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

(A) Dr. Petra Sitte Margarete Bause Dr. Kirsten Kappert- Cem Özdemir (C) Helin Evrim Sommer Dr. Danyal Bayaz Gonther Lisa Paus Kersten Steinke Canan Bayram Katja Keul Filiz Polat Friedrich Straetmanns Dr. Franziska Brantner Sven-Christian Kindler Tabea Rößner Maria Klein-Schmeink Dr. Kirsten Tackmann Agnieszka Brugger Claudia Roth (Augsburg) Sylvia Kotting-Uhl Jessica Tatti Katja Dörner Dr. Manuela Rottmann Alexander Ulrich Oliver Krischer Katharina Dröge Corinna Rüffer Kathrin Vogler Christian Kühn (Tübingen) Harald Ebner Ulle Schauws Dr. Sahra Wagenknecht Renate Künast Matthias Gastel Stefan Schmidt Andreas Wagner Markus Kurth Kordula Schulz-Asche Kai Gehring Harald Weinberg Sven Lehmann Dr. Wolfgang Strengmann- Katrin Werner Stefan Gelbhaar Steffi Lemke Kuhn Hubertus Zdebel Katrin Göring-Eckardt Dr. Tobias Lindner Margit Stumpp Sabine Zimmermann Erhard Grundl Dr. Irene Mihalic Markus Tressel (Zwickau) Anja Hajduk Claudia Müller Jürgen Trittin Britta Haßelmann Beate Müller-Gemmeke Dr. Julia Verlinden BÜNDNIS 90/ Dr. Bettina Hoffmann Dr. Ingrid Nestle Daniela Wagner DIE GRÜNEN Ottmar von Holtz Dr. Konstantin von Notz Beate Walter-Rosenheimer Lisa Badum Dieter Janecek Omid Nouripour Gerhard Zickenheiner

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der nis 90/Die Grünen und Die Linke, dagegengestimmt Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- haben die Fraktionen von SPD, CDU/CSU, FDP und chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der AfD. Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen. Zu- gestimmt haben die Fraktionen von CDU/CSU und SPD. Tagesordnungspunkt 9 b. Wir setzen die Abstimmung (B) Dagegengestimmt haben die Fraktionen von FDP und zu der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses auf (D) AfD. Enthalten haben sich die Fraktionen der Linken den Drucksachen 19/14873 und 19/14909 fort. Der Aus- und Bündnis 90/Die Grünen. schluss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschluss- empfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Dritte Beratung der FDP auf Drucksache 19/6490 mit dem Titel „Aner- kennung der Gemeinnützigkeit von Freifunk-Initiativen“. und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Keine Enthaltun- Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- gen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zuge- entwurf ist angenommen. Zugestimmt haben die Fraktio- stimmt haben die Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und nen von SPD und CDU/CSU. Dagegengestimmt haben der AfD, dagegengestimmt haben die Fraktionen von die Fraktionen von FDP und AfD. Enthalten haben sich FDP, Linken und Bündnis 90/Die Grünen. die Fraktionen der Linken und Bündnis 90/Die Grünen. Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe d Wir kommen nun zu den Entschließungsanträgen. seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags Entschließungsantrag der Fraktion der AfD auf Druck- der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/10280 mit dem sache 19/14884. Wer stimmt für diesen Entschließungs- Titel „Umsatzsteuer auf Menstruationsprodukte absen- antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der ken“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Entschließungsantrag ist abgelehnt. Zugestimmt hat die Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Die Be- AfD bei Gegenstimmen aller anderen Fraktionen. schlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben die Fraktionen von SPD, CDU/CSU, FDP und AfD, da- Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf gegengestimmt haben die Fraktionen der Linken und Drucksache 19/14885. Wer stimmt für diesen Entschlie- Bündnis 90/Die Grünen. ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Keine Enthaltun- gen. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Zugestimmt Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe e hat die Fraktion Die Linke, dagegen waren alle anderen seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags Fraktionen. der Fraktion der FDP auf Drucksache 19/4218 mit dem Titel „Hilfe zur Selbsthilfe statt Bail-Out – Risikoausg- Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die leichsrücklage einführen“. Wer stimmt für diese Be- Grünen auf Drucksache 19/14886. Wer stimmt für diesen schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun- Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- gen sehe ich keine. Die Beschlussempfehlung ist tungen sehe ich keine. Der Entschließungsantrag ist ab- angenommen. Zugestimmt haben die Fraktionen von gelehnt. Zugestimmt haben die Fraktionen von Bünd- CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und SPD, dagegen- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15401

(A) gestimmt haben die Fraktionen der FDP, der AfD und der sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos- (C) Linken. sen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a bis 10 d auf: Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort an Dr. Manja Schüle für die SPD-Fraktion. a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs (Beifall bei der SPD) eines Gesetzes zur steuerlichen Förde- rung von Forschung und Entwicklung Dr. Manja Schüle (SPD): (Forschungszulagengesetz – FZulG) Sehr geehrte Frau Präsidentin, bevor ich mit der Rede Drucksachen 19/10940, 19/11728, 19/ beginne, geben Sie mir bitte die Möglichkeit, zum Aus- 13175 Nr. 11 druck zu bringen, dass ich hoffe, dass es der Kollegin wieder besser geht und dass ich ihr persönlich alles Gute Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- und eine schnelle Erholung wünsche. nanzausschusses (7. Ausschuss) Drucksache 19/14875 (Beifall) – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Kollegen! Liebe Zuschauer auf den Tribünen! Wirklich viele deutsche Regierungen und viele deutsche Finanz- Drucksache 19/14876 minister haben sich an der steuerlichen Forschungsförde- rung versucht, aber wir sind es, die sie nach vielen Dis- b) Beratung der Beschlussempfehlung und des kussionen mit dem sozialdemokratischen Finanzminister Berichts des Finanzausschusses (7. Aus- Olaf Scholz einführen werden. schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Götz Frömming, Dr. Michael Espendiller, (Beifall bei der SPD) Dr. Alexander Gauland, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der AfD – Ja, das ist einen Applaus wert. Für ein innovationsfreundliches Steuer- Schade, dass die Kollegin Andreae von Bündnis 90/ system – Steuerliche Forschungs- und Ent- Die Grünen nicht mehr dem Hohen Hause angehört. Bei wicklungsförderung einführen meiner letzten Rede im Oktober 2018 um 0.44 Uhr habe ich ihr versprochen, dass wir liefern werden. Ich habe Drucksachen 19/4844, 19/14875 gesagt: Liebe Frau Andreae, seien Sie mal nicht so skep- (B) (D) c) Zweite und dritte Beratung des von den Ab- tisch, wir können als SPD gute Regierungsarbeit, und wir geordneten Kerstin Andreae, Anja Hajduk, werden in dieser Legislatur liefern. Dr. Anna Christmann, weiteren Abgeordne- (Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Und wann fangt ihr ten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE an?) GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur steuerlichen Förderung von Und hier ist der Gesetzentwurf. Schönen Gruß! Sagen Sie Forschung und Entwicklung kleinerer ihr, wir haben es geschafft. Ja, Sie können auch stellver- und mittlerer Unternehmen (KMU-For- tretend für sie klatschen. schungsförderungsgesetz) (Beifall bei der SPD) Drucksache 19/4827 Viele glauben, in der Politik käme es nur darauf an, Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- Recht zu haben, dann wird es schon wie am Schnürchen nanzausschusses (7. Ausschuss) laufen, aber man muss auch Recht bekommen, und dafür muss man etwas tun. Man braucht gestalterischen Willen, Drucksache 19/7958 das Talent, Mehrheiten zu organisieren, und die Kraft, das d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Vorhaben dann auch umzusetzen. Wir haben mit dem Berichts des Finanzausschusses (7. Aus- vorliegenden Gesetzentwurf bewiesen, dass wir das alles schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten können, frei nach Wehner: Politik ist nicht zuletzt auch Katja Hessel, Dr. h. c. Thomas Sattelberger, organisieren. Dr. Florian Toncar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP (Beifall bei der SPD) Einführung einer steuerlichen For- Unsere Unternehmen müssen breit und technologieof- schungsförderung fen aufgestellt sein, wenn sie auch in Zukunft in zahlrei- chen Nischen Weltmeister werden wollen. Das gilt im Drucksachen 19/3175, 19/7958 Übrigen für große Unternehmen wie für die kleinteilige, aber sehr vitale Unternehmensstruktur in Ostdeutschland. Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt je ein Gute nachhaltige Forschungspolitik ist für uns vor allen Entschließungsantrag der Fraktion der FDP und der Frak- Dingen auch gute nachhaltige Arbeitsmarktpolitik; denn tion Die Linke vor. die Arbeitgeber von heute können mit innovativen Ideen Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die die Arbeitsplätze von morgen garantieren. Dabei unter- Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Dazu höre und stützen wir die Hidden Champions auf der Schwäbischen 15402 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Dr. Manja Schüle (A) Alb genauso wie die Superstarts aus Potsdam oder der bei, und Machiavelli sagt: Die Menschen urteilen mit den (C) Mittelmark. Augen. – Meine Augen blitzen. Es ist ein super Gesetz für den Forschungsstandort Deutschland. Es ist ein super Ge- (Beifall bei der SPD) setz für sichere Arbeitsplätze von morgen. Es ist ein super Und wie genau machen wir das? Wir geben Unternehmen Gesetz für unsere Wirtschaft. Bitte, liebe Opposition, ge- eine steuerliche Gutschrift für Personal- und Auftrags- ben Sie sich einen Ruck, und stimmen Sie einem super kosten, so diese im Bereich Forschung und Entwicklung Gesetz zu. aktiv sind. Herzlichen Dank. Jetzt ist Steuerrecht Hoheitsgebiet der Finanzpolitiker, und in dieser Debatte reden außer mir als Forschungs- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) politikerin fast nur Finanzpolitiker. Wir haben mit Olaf Scholz nicht nur einen schlauen Finanzminister, sondern Vizepräsidentin Claudia Roth: mit Lothar Binding auch einen sehr schlauen finanzpoli- Vielen Dank, Manja Schüle. – Nächster Redner: für die tischen Sprecher, der die Forschungspolitiker mit einbe- AfD-Fraktion Stefan Keuter. zogen hat. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der SPD) Stefan Keuter (AfD): Wir sind nach dem Paulus-Prinzip vorgegangen: Prüfe alles und behalte das Beste. Und das Beste heißt für uns Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und ganz konkret: Herren! Wir reden heute über Forschungsförderung. Schauen wir uns einmal die Chronologie an: Im Koali- Erstens. Wir unterstützen privatwirtschaftliche Inves- tionsvertrag ist die steuerliche Forschungsförderung er- titionen in Forschung und Entwicklung durch eine steuer- wähnt. Dann passierte lange nichts, still ruhte der See. Im liche Gutschrift auf Personalkosten. Wir unterstützen die Oktober 2018 kam dann der erste Antrag zum Thema Kooperation von Wirtschaft und Wissenschaft durch eine Forschungsförderung, und zwar von der AfD-Bundes- steuerliche Gutschrift auf Auftragskosten. Zur Erklärung tagsfraktion. für alle, die nicht tagtäglich mit dem Thema zu tun ha- ben – da gucke ich mal auf die Tribüne –: Das heißt, (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und entweder beschäftige ich Mitarbeiter in meinem Unter- der SPD) nehmen, die forschen, dann wird die steuerliche Förde- Es hat dann bis zum Juni 2019 gedauert, bis der Gesetz- rung direkt sichtbar, weil sie sich in der Lohnsumme entwurf der Bundesregierung vorgelegt wurde, der jetzt (B) niederschlägt, oder aber ich habe als Unternehmen keinen im November abschließend beraten werden soll. In die- (D) forschenden Mitarbeiter, aber eine pfiffige Idee beispiels- sem Zusammenhang habe ich eine nette Anekdote für weise für eine Weiterentwicklung eines Produkts, die ich Sie: Letzten Dienstag hat ein Berichterstattergespräch umsetzen möchte, dann kann ich einen Auftrag an eine zum Thema stattgefunden. Das ist extrem konstruktiv Forschungseinrichtung vergeben, und auch das wird mir verlaufen. Das Einzige, was auffiel, war, dass die Grünen steuerlich gutgeschrieben. Gute Sache, wie ich finde. Im und die Linken nicht mit Abgeordneten vertreten waren. Übrigen: Die Mehrheit der Expertinnen und Experten, die Das hat mich schon gewundert, und meine Frage an Sie wir angehört haben, hat es genauso gesehen. ist: Interessiert Sie das Thema „steuerliche Forschungs- Zweitens. Die Forschungszulage geht nicht zulasten förderung“ gar nicht? anderer Förderprogramme wie ZIM oder INNO-KOM. (Antje Tillmann [CDU/CSU]: Das ist echt un- Drittens. Von der Steuergutschrift auf Innovationen verschämt!) profitieren jetzt auch europäische Unternehmen; denn Die erfolgreiche Oppositionspolitik der AfD kommt schließlich ist Europa die Antwort. mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zum Ausdruck. Und viertens. Der Entwurf sieht Regelungen vor, die (Beifall bei der AfD – Lachen bei Abgeordne- möglichst wenig bürokratischen Aufwand für Unterneh- ten der SPD) men und Forschungseinrichtungen auslösen. Auch das war uns ein Anliegen. Der Antrag der AfD 2018 enthielt verschiedene gute For- derungen: Förderung von Forschung und Entwicklung (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten neben projektbezogener Forschungsförderung. Die Be- der CDU/CSU) messungsgrundlage sollten die Personalkosten im For- – Da könnte auch die FDP mal applaudieren. schungs- und Entwicklungsbereich sein. FuE-Unterneh- men, auch die Unternehmen ohne Gewinn, sollten Zu guter Letzt: Zur guten wissenschaftlichen Praxis Nutznießer der steuerfreien Zuschläge sein. Die Kernfor- gehört im Übrigen auch die Überprüfbarkeit. Deswegen derungen der AfD, die mit dem Gesetzentwurf der Bun- haben wir eine zeitnahe Evaluierung festgeschrieben. Wir desregierung jetzt vorgelegt worden sind, sind erfüllt werden abschätzen: Haben die Regelungen gewirkt, oder worden: Arbeitsplätze, Wohlstand, Standortsicherung, müssen wir Rahmenbedingungen verändern? technologisches Wissen. Aber unter dem Dogma des Kli- mawandels wird das alles mutwillig vernichtet. Ich bin überzeugt: Das ist ein sehr gutes Gesetz. Und wer Wehner am Anfang seiner Rede zitiert und Paulus in Schauen wir einmal in die Vergangenheit. Es gab große der Mitte, der kommt am Ende an Machiavelli nicht vor- deutsche Erfindungen: der Computer, der Buchdruck, der Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15403

Stefan Keuter (A) erste Elektromotor, das erste Auto mit Verbrennungsmo- Dr. Thomas de Maizière (CDU/CSU): (C) tor, das erste Düsenflugzeug, die Me 262, die erste Rakete Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! im Weltall, das Aggregat 4, die Ohrstöpsel von Ohropax, Auch ich will eine Vorbemerkung machen, was den Tag heute insgesamt betrifft: Vielleicht sollten wir mal ein (Zuruf von der SPD: Ja, die könnte ich gebrau- bisschen darüber nachdenken, wie wir manchmal mitei- chen! – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/ nander umgehen und was wir wichtig finden, und viel- CSU und der SPD) leicht wird auch mancher, der mit Häme über Politiker der Doppelkammerteebeutel von 1949 – Produkte, die spricht, angesichts dessen, was heute passiert ist, etwas milliardenfach angewendet und gekauft wurden, entwi- demütiger. Das würde ich mir jedenfalls wünschen. ckelt und produziert von deutschen Unternehmern. Nach 1950 wird es relativ dünn. Da sind zu erwähnen die Chip- (Beifall im ganzen Hause) karte von Jürgen Dethloff 1969 und das MP3-Format Nun muss ich zu Frau Schüle sagen: Sie haben hier eine 1994. kernige Rede gehalten. Ich stelle fest, dass die deutsche Innovationskraft rück- (Dr. Manja Schüle [SPD]: Danke!) läufig ist, auch wenn sie im internationalen Vergleich noch relativ gut dasteht. Ich mache mir Sorgen, insbeson- Ich würde mir wünschen, Sie würden die mal auf einem dere wenn ich auf den Bloomberg Innovation Index gu- SPD-Parteitag halten, wenn es darum geht, zu bewerten, cke: Deutschland ist abhängig von Daimler, Volkswagen wie famos diese Regierung arbeitet. Wie wäre das? und Bosch, und diese Unternehmen leiden unter Ihrer links-grün ideologisch getriebenen Politik. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der AfD) Eine Korrektur würde ich aber anbringen wollen: Das ist Abgehängt sind wir in den Bereichen Hightech und jetzt kein SPD-Gesetzentwurf, sondern das ist ein ge- künstliche Intelligenz. Diese Positionen gilt es zu vertei- meinsamer Gesetzentwurf der Koalition, und wir haben digen bzw., je nach Blickwinkel, zurückzuerobern, meine dazu beigetragen, dass er noch ein bisschen besser ge- Damen und Herren. worden ist. Deswegen sollten wir gemeinsam stolz darauf sein. Forschungsförderung ist der geeignete Weg zur Stär- kung von Forschungsaktivitäten. Wir haben allerdings (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- auch einige Kritikpunkte am Gesetzentwurf der Bundes- ordneten der FDP) regierung. Wir sehen drohende Mitnahmeeffekte. Frau (B) Schüle, Ihre Einschätzung zu einem zeitnahen Control- Was meine ich damit? Sie haben den Gesetzentwurf (D) ling kann ich nicht teilen. Ihr Entwurf sieht die erste vorgestellt. Das will ich im Einzelnen nicht noch einmal Evaluierung nach fünf Jahren vor. Die Deckelung auf tun. Für uns war in den Beratungen das Thema Auftrags- 500 000 Euro bis maximal 2 Millionen Euro Personal- forschung wichtig. In dem Gesetzentwurf des Finanzmi- kosten scheint uns sehr willkürlich. Die AfD wünscht sich nisters war geregelt, dass die zu Fördernden bei der Auf- außerdem die Berücksichtigung von Kosten für Freibe- tragsforschung die Auftragnehmer sein sollten. Wir rufler zusätzlich zu den eigenen Personalkosten. Die Bü- waren immer anderer Auffassung; ich habe das hier in rokratie ist sehr groß, gerade wenn man auf die Beschei- der ersten Lesung gesagt. Auch bei der SPD waren viele nigung für das Finanzamt schaut, der elektronische Weg dieser Meinung; die haben das aber nicht ganz so laut ist hier nicht vorgesehen. Das wäre wünschenswert. gesagt, weil der Finanzminister eine andere Position ver- treten hat. Die FDP war dafür, die Grünen waren dafür. Wir sehen erheblichen Nachjustierungsbedarf, ziehen Jetzt hat die EU geholfen, beihilferechtlich, und siehe da, aber das Fazit, dass die Bundesregierung dem Antrag der jetzt ist der Auftraggeber derjenige, der steuerlich unter- AfD weitgehend folgt, stützt wird. Wir finden das richtig. Warum? Weil kleine (Lachen bei der CDU/CSU und der SPD sowie Mittelständler, die keine eigene Forschungsabteilung ha- des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE ben, die aber zur Forschung angeregt werden sollen, GRÜNEN]) wenn sie einen Auftrag vergeben, den steuerlichen Vorteil davon haben. Wir finden das richtig. Das ist aber eine für uns leider nicht weit genug. Trotzdem stimmen wir Verbesserung des Gesetzentwurfs durch die Koalition, dem Gesetzentwurf zu. Ich stelle zum Schluss die Frage: liebe Frau Kollegin Schüle. Warum sollte nicht wieder eine bahnbrechende, sich welt- weit auswirkende Erfindung aus Deutschland kommen? (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vielen Dank, meine Damen und Herren. Das Zweite, was wir wollten – da waren wir allerdings von Anfang an einer Meinung –: Wir wollten gerne, dass (Beifall bei der AfD) eine steuerliche Forschungsförderung auch denen zugu- tekommt, die Verluste machen, nicht weil wir Verluste Vizepräsidentin Claudia Roth: besonders gut finden, sondern weil gerade Start-ups und Danke, Stefan Keuter. – Nächster Redner: für die andere junge Unternehmen in ihrer Gründungsphase, in CDU/CSU-Fraktion Dr. Thomas de Maizière. der Phase, in der sie sich entwickeln, in der sie neue Ideen haben, Forschungsbedarf haben, aber keine Gewinne ma- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- chen. Es war gar nicht so leicht, das rechtlich zu kon- ordneten der FDP) struieren. Der Vorschlag vom Finanzministerium ist gut 15404 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Dr. Thomas de Maizière (A) und richtig: Das wird auf die Einkommensteuerschuld (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (C) angerechnet. Das heißt, wenn ein Unternehmer Verluste ordneten der SPD und der FDP) macht, muss er nicht weniger Steuern zahlen – er zahlt ja sowieso keine, weil er Verluste macht –, sondern er be- Vizepräsidentin Claudia Roth: kommt diesen steuerlichen Vorteil als Zulage ausgereicht. Vielen Dank, Dr. de Maizière. – Nächste Rednerin: für Das finden wir richtig. Das ist gut so. die FDP-Fraktion Katja Hessel. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. h. c. Dr. Stefan Ruppert [FDP]) [Univ Kyiv] Hans Michelbach [CDU/CSU]) Jetzt will ich noch ein klein wenig Wasser in den Wein gießen. Es geht um die Frage, wie es jetzt weitergeht. Wir Katja Hessel (FDP): haben ja ein zweistufiges Verfahren: Derjenige, der Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! steuerlich begünstigt werden soll, stellt einen Antrag bei Liebe Zuschauer! Auch ich möchte ganz kurz beste Grü- einer bewilligenden Stelle, nicht beim Finanzamt. Diese ße an die Kollegin und den Kollegen richten. Gute Bes- entscheidet, ob das Forschung ist. Wir wollten nicht – da serung! Ich hoffe, dass wir beide hier bald wiedersehen. waren wir uns alle einig –, dass die Finanzämter entschei- Vielleicht ist es wirklich angemessen, noch einmal in sich den, was Forschung ist, nicht dass wir ihnen das nicht zu gehen und zu überlegen, wie wir miteinander umge- zutrauen, aber das ist nicht ihr Kerngeschäft. Deswegen hen. brauchen wir eine bewilligende Stelle. Nun darf diese bewilligende Stelle aber nicht so arbeiten wie jetzt bei (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der Prüfung der Projektförderung gearbeitet wird: Gut- der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des achten, Erfolgsaussicht, kompliziert und teuer. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir haben heute einen fast guten Tag. In 5 der 36 Wie sorgt man dafür, dass das funktioniert? Das Er- OECD-Länder gibt es keine steuerliche Forschungsförde- gebnis war eine Verordnungsermächtigung – so nennen rung. Wir waren eins davon. Keine Forschungsförderung wir das –, also eine Ermächtigung an die Bundesregie- zu haben, ist ein wesentlicher Nachteil, wenn es darum rung, die Details zu dieser bewilligenden Stelle zu regeln. geht, Innovation zu fördern, und wir brauchen mehr Inno- Wir wollten aber nicht die Katze im Sack kaufen, wie die vation für unsere mittelständischen Unternehmen. Da Kollegin Hessel von der FDP es völlig misstrauensge- sind wir einen großen Schritt weiter, wenn dieser Gesetz- tränkt, wie die Opposition nun mal ist, sagt. Wir haben entwurf heute verabschiedet wird. selber daran gedacht und gesagt: Wir ermuntern die Bun- desregierung, bei der Verordnung, die da entsteht, ein An dieser Stelle ein großes Dankeschön an den Kol- (B) paar Kriterien zu beachten. Ich bin dankbar, dass die legen de Maizière, der mir versprochen hat – ich kann (D) Bundesregierung das gerne aufgenommen hat. Ich will mich noch entsinnen –: Hier wird noch vieles verändert diese Kriterien kurz nennen: werden. – Und es ist auch viel passiert. Erstens. Wir wollen, dass die zentrale Stelle oder je- Frau Kollegin Dr. Schüle, um den Fakt, dass dieser denfalls eine der im Land verteilten Stellen in den ost- Gesetzentwurf so gut geworden ist, dem Finanzminister deutschen Ländern ist. Das ist, glaube ich, nicht mehr als anzurechnen, muss man wirklich tief in die Trickkiste recht und billig. greifen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zweitens. Wir wollen gerne, dass die Anträge digital gestellt und bearbeitet werden. Der Gesetzentwurf wurde besser – so viel Ehrlichkeit muss bitte sein –, weil die EU-Kommission drüberge- Drittens. Wir wollen gerne, dass über die Anträge guckt hat und gesagt hat: So geht es nicht. – Das war schnell entschieden wird. Uns schwebt eine Dauer von der Brückenschlag. Dadurch ist es der Union gelungen, drei Monaten vor. die Auftragsforschung in diesen Gesetzentwurf hineinzu- Viertens. Wir wollen, dass der Antrag und der Bescheid bringen. Hierfür Lob für den Finanzminister haben zu umfangmäßig begrenzt werden, damit die Verfahren nicht wollen, ist nicht rechtens. ausufern. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Und wir wollen diese Verordnung sehen, bevor die der CDU/CSU – Grigorios Aggelidis [FDP]: Er Bundesregierung sie im Kabinett beschließt. Also, das soll auch nicht so gut sein! Das tut weh!) ist keine Katze im Sack, liebe Frau Hessel. Das ist so Wir haben die Auftragsforschung jetzt drin, mit 60 Pro- transparent wie nur irgend möglich. zent. Das Gesetz ist bürokratiearm, weil wir eine Pau- schale haben. Ich denke, damit können alle ganz gut le- So haben wir alles in allem nicht nur einen guten Ge- ben. setzentwurf gemacht – das ist ein gemeinsamer Gesetz- entwurf –, sondern wir sorgen mit einer guten Verordnung Wir werden dem Gesetzentwurf aber trotzdem nicht auch dafür, dass das Gesetz so angewendet wird, dass es zustimmen, weil wir ein Stück weit doch die Katze im der Forschung dient. Dies ist ein guter Tag für die For- Sack kaufen. Ich kann mich entsinnen, es ist uns verspro- schung in Deutschland. chen worden: Die Rechtsverordnung wird vorgelegt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15405

Katja Hessel (A) Bevor die Rechtsverordnung hier nicht vorliegt, wird die- (Beifall) (C) sem Gesetzentwurf nicht zugestimmt werden. Die Rechtsverordnung liegt nicht vor. Wir haben jetzt eine Herr Keuter, Sie haben bahnbrechende Erfindungen für Protokollerklärung, die gewisse Punkte für diese zertifi- Deutschland gefordert. Eines ist klar: Die AfD ist es zierende Stelle enthält. Das geht uns aber – das ist die schon mal nicht. Krux mit der Opposition – nicht weit genug. Wir hätten (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie diese Verordnung gerne vorliegen gehabt. bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und In einem zweiten Schritt sind auch noch Gebühren für des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) die weiteren Bescheinigungen hinzugekommen. Eine Be- Weil Sie ja bemängelt haben, dass Grüne und Linke ab- scheinigung der Zertifizierungsstelle ist frei. Alle weite- geordnetenseitig mal bei einer Anhörung nicht vertreten ren Bescheinigungen innerhalb eines Jahres sind gebüh- waren: Also, wenn wir bei einer Anhörung nicht vertreten renpflichtig. Liebe Kollegen, wenn die steuerliche sind, dann fällt das meistens negativ auf. Wenn Sie bei Forschungsförderung ziehen soll, dann muss sie bürokra- einer Anhörung fehlen, ist das meistens eine Bereiche- tiearm sein, dann müssen die Unternehmer, gerade die rung in der Substanz. kleinen und mittelständischen, sie annehmen können, weil sie kein Bürokratiemonster ist. Wenn wir jetzt eine (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie Gebühr zur Abschreckung einführen, bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/ (Dr. Thomas de Maizière [CDU/CSU]: Das DIE GRÜNEN) werden wir nicht tun!) Die Linke unterstützt die Förderung von Forschung dann bin ich mir nicht so sicher, ob das für die steuerliche und Innovation in Unternehmen. Die steuerliche For- Forschungsförderung, die wir brauchen, förderlich ist. – schungsförderung erscheint uns dafür aber ungeeignet. Ich habe Sie gerade schon gelobt, Herr de Maizière. Das sehen auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsfor- (Dr. Thomas de Maizière [CDU/CSU]: Ich ha- schung so be es gehört! – Dr. Manja Schüle [SPD]: Dann (Dr. Thomas de Maizière [CDU/CSU]: Als stimmen Sie doch zu!) einziges!) – Hätten wir sie vorliegen gehabt, hätten wir auch zuge- stimmt. Wir hatten die Chance, die Vorlage durch einen und die Industrieländerorganisation OECD. Dabei geht es Entschließungsantrag noch ein bisschen besser zu ma- bei dem Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht um die Förderung der Forschung von kleinen und mittelständi- (B) chen. Wir haben gesagt: Legt uns die Rechtsverordnung (D) vor; ihr seid ja schon drüber. – Dann hätten wir uns das schen Unternehmen, sondern in erster Linie um die För- noch einmal überlegen können. Aber das ist für mich derung des internationalen Steuerwettbewerbs im Interes- immer noch ein Stück weit die Katze im Sack, und die se großer Konzerne. Der Gesetzentwurf ist eine Reaktion Katze im Sack werden wir nicht kaufen, da werden wir auf die Steuerreform Donald Trumps und die Drohung nicht zustimmen. von Boris Johnson, nicht auf die Herausforderungen durch Tesla, Google und Co. Dieser Befund gilt für uns Nichtsdestotrotz freuen wir uns, dass wir eine steuer- trotz Verbesserungen am Gesetzentwurf. liche Forschungsförderung bekommen, nach zehn Jahren, nach etlichen Koalitionsverträgen. Warum? Erstens. Es gibt empirisch keinen nachweis- baren Zusammenhang zwischen Ausgaben für Forschung (Dr. Manja Schüle [SPD]: An einer Regierung und Innovation und steuerlicher Forschungsförderung. waren Sie auch beteiligt!) Zweitens. Die steuerliche Förderung ist im Vergleich Wir hoffen, dass das der Innovation am Wirtschaftsstand- zur direkten Projektförderung ineffektiv und ineffizient. ort Deutschland guttut. Ja, sie ist teuer; denn sie erlaubt eben keine gezielte In- dustrie- und Technologiepolitik. Es werden Mittel mit der (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Gießkanne verteilt, statt Unternehmen gezielt zu fördern, der CDU/CSU) die diese Unterstützung brauchen.

Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall bei der LINKEN) Vielen Dank, Katja Hessel. – Nächster Redner: für die Drittens. Die steuerliche Forschungsförderung ver- Fraktion Die Linke Fabio De Masi. drängt durch Steuerausfälle von über 1 Milliarde Euro (Beifall bei der LINKEN) jährlich die direkte Förderung. Viertens. Die Forschungsförderung ist für kleine und Fabio De Masi (DIE LINKE): mittelständische Unternehmen nicht geeignet, denn Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir KMUs haben ein anderes Innovationsverhalten. Groß- bedanken uns zunächst für die Genesungswünsche für unternehmen können aufgrund ihrer Forschungsabteilun- unsere Kollegin und richten diese auch an den Kollegen gen eigene FuE-Tätigkeiten ohne großen Aufwand nach- der SPD, der sich heute verbrüht hat. Vor allem sind un- weisen, brauchen aber häufig gar keine Förderung. sere Gedanken natürlich bei Matthias Hauer, der wirklich Demgegenüber haben zwei Drittel der KMUs keine eige- ein ganz feiner und engagierter Kollege ist. ne FuE-Abteilung. 15406 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Fabio De Masi (A) Durch die Umstellung bei der Auftragsforschung auf tiert wird. Hier geht es nicht nur um die Frage von Wett- (C) Förderung der Auftraggeber können KMUs diese nun bewerbsfähigkeit oder Technologieführerschaft. Es geht besser nutzen. Das ist positiv. Sinnvoller wäre aber eine hier um die Frage von Systemwettbewerb, meine Damen gezielte Förderung von KMUs durch eine bessere Ein- und Herren. Deswegen müssen auch wir uns natürlich stiegsförderung für FuE, weniger Bürokratie und Anpas- hier fragen: Wie kann der Staat bei uns aktiv Innovationen sung des Zuwendungsrechts. im Sinne unseres Wertesystems antreiben? Erfindergeist lässt sich nicht von oben verordnen. Menschen und Un- (Beifall bei der LINKEN) ternehmen brauchen Freiräume. Sie brauchen ein inspi- Wir brauchen eine Aufstockung des Volumens der be- rierendes Umfeld, um neue Ideen zu entwickeln. Ja, stehenden KMU-Programme. Die Linke fordert daher die steuerliche Anreize können dabei helfen, genau ein sol- Verstärkung des Zentralen Innovationsprogramms Mit- ches Umfeld zu schaffen, meine Damen und Herren. telstand, ZIM, sowie der industriellen Gemeinschaftsfor- schung. Wir fordern ebenso einen Fonds zur Förderung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sozialer, gemeinnütziger Innovationen im digitalen Be- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) reich. Allerdings war die lange Unsicherheit darüber, wie die In meiner Heimatstadt Hamburg sieht man überall die Auftragsforschung gefördert werden soll, weniger inspi- MOIA-Sammeltaxen herumfahren, die eine Datentech- rierend. Es ist doch klar, dass Forschung immer da ge- nologie nutzen. Das ist tatsächlich eine spannende Inno- fördert werden muss, wo das wirtschaftliche Risiko liegt, vation. Sie kann auch ökologisch genutzt werden, weil also beim Auftraggeber. Eigentlich ist das eine Selbstver- man eben im Unterschied zu den klassischen Taxen mehr ständlichkeit in der Marktwirtschaft. Aber das Bundes- Leute in ein Sammeltaxi setzen kann, indem man digital finanzministerium wollte das lange nicht anerkennen. schneller ermitteln kann, ob sie einen ähnlichen Fahrweg Aber zum Glück ist der Deutsche Bundestag ein Arbeits- haben. parlament, und manche Gesetze verlassen den Bundestag eben besser, als sie hereingekommen sind, meine Damen Wir glauben aber: So etwas sollte nicht durch die und Herren. Volkswagen AG auf den Markt kommen, die dann das Taxigewerbe mit viel Kapital im Rücken kaputtmacht, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- sondern wir bräuchten Innovationen, die zum Beispiel wie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Fritz dem öffentlichen Nahverkehr dienten. Dort brauchen Güntzler [CDU/CSU]: Das war jetzt ein Lob, wir auch eine Förderung von Forschung. oder?) (Beifall bei der LINKEN) – Wir haben da alle mitgearbeitet, Herr Güntzler. – Von (B) dieser Änderung gegenüber dem Regierungsentwurf wer- (D) Deswegen, sagen wir, ist dieser Gesetzentwurf nicht ge- den ja nicht nur Forschungsinstitute profitieren, sondern – eignet, dieses Ziel zu erreichen. das haben wir schon ein paarmal gehört – vor allem kleine Vielen Dank. und mittlere Unternehmen, Start-ups. Die verfügen an- ders als Konzerne oft nicht über eigene Forschungsabtei- (Beifall bei der LINKEN) lungen. Sie sind auf Auftragsforschung von Unis, Hoch- schulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen Vizepräsidentin Claudia Roth: angewiesen. Vielen Dank, Fabio De Masi. – Nächster Redner für Kleine und mittlere Unternehmen sind ja auch die, die Bündnis 90/Die Grünen: Dr. Danyal Bayaz. durch steuerliche Forschungsförderung zu zusätzlichen Forschungsinvestitionen angeregt werden. Das ist für (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) uns schon ein zentrales Ziel. Wir können nicht einfach nur blind Forschung fördern, sondern wir sollten zu- Dr. Danyal Bayaz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sätzliche Forschung unterstützen, meine Damen und Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herren. Deswegen hat Ihr Gesetzentwurf eine kleine Zehn Jahre hat es gedauert: 2009 stand zum ersten Mal Schwachstelle, nämlich die, dass Sie sich nicht klar auf die steuerliche Forschungsförderung im Koalitionsver- die Förderung von kleineren und mittleren Unternehmen trag. Zehn Jahre später wird sie dann Realität. Glück- fokussieren. Unser Anspruch sollte es sein, Gelder immer wunsch an die Koalition, an uns alle. mit der bestmöglichen und der größtmöglichen Wirkung (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und einzusetzen. der SPD) Nehmen wir als Beispiel einmal die Volkswagen AG. Ich glaube, das ist ein gutes Zeichen für den Innovations- Sie wird durch diese 500 000 Euro nicht die neue Mobi- standort Deutschland. Denn Innovation ist, so sagt es der lität erfinden. Ich hoffe, dass sie sowieso daran arbeitet. Publizist Wolf Lotter – ich zitiere –, „Anlass für die Hoff- Aber Volkswagen nimmt diese 500 000 Euro mit, aber ob nung, dass es besser wird“. Deswegen können wir hoffen, dadurch zusätzliche – zusätzliche! – Forschungsanstren- meine Damen und Herren. gungen unternommen werden, da würde ich ein Frage- zeichen machen. Wir waren ja als Finanzausschuss vor ein paar Wochen gemeinsam in China, und wir konnten dort beobachten, Frau Schüle, Sie sagten ja vorhin, die Opposition solle mit welcher Aggressivität, mit welchen Summen in China sich einen Ruck geben und dem Gesetzentwurf zustim- im Bereich Forschung und künstliche Intelligenz inves- men. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15407

Dr. Danyal Bayaz (A) (Beifall des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] morgen; denn zukunftsfähige Produkte bedeuten zu- (C) [SPD] – Dr. Thomas de Maizière [CDU/CSU]: kunftsfeste Arbeitsplätze. Das gilt insbesondere für un- Genau!) sere Exportnation Deutschland. Jetzt reden wir über Innovation. Richtig innovativ wäre Unsere wirtschaftliche Stärke beruht vor allem auf der es – wir haben einen Gesetzentwurf eingebracht, der den Fähigkeit, aus Ideen hochinnovative Produkte und Lö- Fokus genau auf KMUs legt –, wenn die Regierung einen sungen zu entwickeln. Aber gerade die leistungsfähigen coolen Gesetzentwurf der Opposition unterstützte. Das mittelständischen Unternehmen stoßen rasch an Grenzen, wäre innovativ, meine Damen und Herren. wenn es darum geht, aus Ideen durch Forschungsprojekte innovative Produkte zu machen. Manche Innovationen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bleiben so leider im Ansatz stecken. Das ist so etwas sowie bei Abgeordneten der FDP) wie ein doppelter Schaden. Zum einen entstehen keine Zum Schluss will ich noch sagen: Wir können uns nicht neuen Arbeitsplätze. Zum anderen wird die Zukunftsfä- zurücklehnen. Obwohl wir in Forschungspersonal inves- higkeit unserer Wirtschaft beeinträchtigt. tieren, gilt nach wie vor, was der MIT-Ökonom Daron Acemoglu feststellt – ich zitiere –: Der Staat belohnt Meine Damen und Herren, deshalb ist es ein großer und subventioniert Unternehmen, wenn sie Maschinen Erfolg, dass wir die jahrelange Diskussion über die einsetzen, und bestraft sie, wenn sie Arbeitskräfte einstel- steuerliche Forschungsförderung heute zu einem guten len. Wer als Unternehmer eine Maschine anschafft, be- Abschluss bringen. kommt staatliche Hilfen in Form von Steuernachlässen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wer hingegen Arbeitskräfte einstellt, wird vom Staat mit hohen Steuern und Sozialabgaben belastet. Genau vor 25 Jahren, genau in dieser Woche, bin ich in den Deutschen Bundestag gekommen. Schon 1994 haben Ich finde, die Forschungsförderung wird auch zu mehr wir, so habe ich nachgelesen, über eine steuerliche For- Automatisierungs- und Digitalisierungsprozessen beitra- schungsförderung gestritten. Da waren wir, Frau Hessel, gen und diese beschleunigen. Das ist auch erst mal gut so. mit Ihrer Fraktion in einer Koalition. Aber damit eben nicht die Stammbelegschaft in Unter- nehmen auf der Strecke bleibt, müssen wir noch viel stär- (Katja Hessel [FDP]: Ich war da noch nicht ker darüber nachdenken, wie wir in die Köpfe aller Ar- dabei! Da war ich zu jung!) beitnehmerinnen und Arbeitnehmer investieren. – Sie waren damals nicht dabei; das ist klar. Dafür können Wissenskapital gewinnt zunehmend an Bedeutung. Sie nichts. – Es ist damals nicht gelungen. Jetzt ist es mit Dafür muss man sich nur das Jahresgutachten des Sach- der Großen Koalition gelungen. Das heißt für uns alle: (B) verständigenrats, das gestern herausgekommen ist, an- Niemals aufgeben! Das ist die Botschaft für unsere poli- (D) schauen. Wer also über steuerliche Forschungsförderung tische Agenda. redet, der muss auch immer über steuerliche Förderung von Weiterbildung und Qualifizierung reden, meine Da- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der men und Herren. SPD und der FDP) Das Gesetz ist gelungen, weil es zielgenau ist. Wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) haben da besonders die kleinen und mittleren Unterneh- Deswegen: Lehnen wir uns nicht zurück; denn auch hier men im Auge. Sie sind ein wichtiges Standbein unserer hat Wolf Lotter recht: Wirtschaft, verfügen vielfach aber nicht über eigene For- schungsabteilungen, könnten aber gleichwohl über ent- Innovationsarme Gesellschaften sind auch materiell sprechende Auftragsvergaben innovative Potenziale he- arm. Wer den Fortschritt nicht hineinlässt, der scha- ben. Sie können künftig als Auftraggeber einer det allen. Auftragsforschung von den neuen Regelungen stark pro- In diesem Sinne: Herzlichen Dank. fitieren. Es ist ein hervorragender Weg, dass das letzten Endes zur Vernunft geführt hat, zur Durchsetzung in die- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – sem Gesetz. Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Das ist ja Funda- mentalkritik an den Grünen!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) So sind wir jetzt in Sachen steuerlicher Forschungs- Vizepräsidentin Claudia Roth: förderung international auf Augenhöhe und wettbewerbs- Vielen Dank, Danyal Bayaz. – Nächster Redner: für die fähig. Dass wir es in zahlreichen Gesprächen geschafft CDU/CSU-Fraktion Dr. Hans Michelbach. haben, einen möglichst bürokratiearmen und schnellen Weg zur Förderung zu finden, begrüße ich sehr; denn (Beifall bei der CDU/CSU) das ist eine wichtige Voraussetzung für eine attraktive Forschungsförderung, die auch wirkt. Vorgesehen ist ein Dr. h. c. (Univ Kyiv) Hans Michelbach (CDU/ einfaches Verfahren über eine Bescheinigungsstelle, die CSU): die F-und-E-Qualität eines Vorhabens bestätigt und nicht Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Es geht wie bisher analysieren muss. Die Förderung wird dann heute Abend um die Zukunft. Investitionen in Forschung unmittelbar mit der aktuellen Steuerschuld eines Unter- und Entwicklung von heute bedeuten Arbeitsplätze, nehmens verrechnet. Unternehmen, die mit einem Jahres- Wohlstand und Lebensqualität für die Menschen von verlust abschließen, erhalten die Fördersumme ausge- 15408 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Dr. h. c. (Univ Kyiv) Hans Michelbach (A) zahlt. Das gilt insbesondere für Start-up-Unternehmen, Antrag der Grünen ab; das Kleid ist also insofern kein (C) die noch keine Gewinne erwirtschaften. Commitment für den Antrag der Grünen. Meine Damen und Herren, wer den ursprünglichen Ge- Der FDP-Antrag ist sehr allgemein: Die Bemessungs- setzentwurf mit dem vergleicht, was jetzt auf dem Tisch grundlage ist nicht klar definiert; der Nachweis der För- liegt, wird erhebliche Unterschiede finden. Das ist ein derung ist nicht ganz klar beschrieben. Ich wollte damit Ergebnis der intensiven Beratungen in diesem Parlament. andeuten, dass wir uns richtig gut gestritten haben. Das Ich glaube, unser Kollege Thomas de Maizière, der die gehört zu einer guten Demokratie. Federführung in den Verhandlungen hat, hat – gemeinsam mit dem Koalitionspartner – ein Lob verdient. Wir ma- Jetzt will ich auf etwas Bestimmtes zurückkommen. chen jetzt den Weg frei für die steuerliche Forschungs- Wir machen seit zwei Stunden Finanzpolitik. Wir hatten förderung. vorhin ein Gesetz, bei dem es um die Förderung von Elektrofahrzeugen, von Elektrorädern, von Lastenfahrrä- Herzlichen Dank. Guten Abend. dern ging. Jetzt will ich den acht anwesenden Kollegen von der AfD mal etwas sagen: Da kam doch tatsächlich (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ein Kollege von Ihnen auf die Idee, dieses Gesetz, bei ordneten der SPD und der FDP) dem es um Elektrofahrräder und so etwas geht, mit dem Ermächtigungsgesetz zu vergleichen, dem schlimmsten Vizepräsidentin Claudia Roth: Gesetz in unserer Geschichte – kein „Vogelschiss“; das Vielen Dank, Dr. Michelbach. – Nächster Redner: für wissen wir alle. die SPD-Fraktion Lothar Binding. (Markus Frohnmaier [AfD]: Welcher Kollege (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten war das denn? Wer soll das gesagt haben?) der CDU/CSU) Ist das nicht eine Entgleisung besonderer Art? Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des Sehr geehrte Damen und Herren! Manja Schüle und Kol- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) lege de Maizière haben das Gesetz schon schön erklärt. Offen gestanden, ging es eine ganze Zeit lang um die – Dass Sie von der AfD nicht zuhören, ist in Ordnung. – Auftragsforschung; das stimmt. Die CDU wollte das; Aber Sie verharmlosen etwas: das menschenverachtends- aber sie hat auch eine ganz starke Verbündete gehabt, te Gesetz, das wir je hatten: Abschaffung der Demokratie, (B) nämlich die SPD-Arbeitsgruppe Bildung und Forschung, der Einstieg in eine Diktatur. Und diesen Begriff holen (D) an vorderster Front Manja Schüle, die das von Anfang an Sie in dieses Parlament, das sich absolut demokratisch wollte – wie viele von uns. und streitfreudig um die Sache kümmert. Also, das finde ich eine Unverschämtheit der besonderen Art. Ich bin Allerdings muss man auch den Minister verstehen. erschüttert. (Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Der hat gebremst!) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, Der Minister wollte prüfen und hat lange geprüft, ob diese der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Idee dem deutschen Forschungsstandort schaden kann. GRÜNEN) Es ist klug, eine solche Prüfung zu machen; denn wir Dass Deutschland mit seiner Forschungslandschaft gut wollen ja nicht gemeinschaftlich dem deutschen For- aufgestellt ist, das kann man im OECD-Vergleich sehr schungsstandort schaden. schnell erkennen. Wir sind in dieser Hinsicht, bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt, besser als Italien, Frank- (Beifall bei der SPD) reich, Großbritannien. Die USA, Schweden und Japan Also, wenn wir schwarz-weiß malen, dann bleibt immer sind besser, und das verdanken wir übrigens der Industrie. eines hängen; es bleibt schwarz-weiß. Die Industrie hat 66 Prozent dieser Anstrengungen über- nommen, den Rest der Staat. Also, wir sehen: Die Indust- Übrigens, der Antrag der Grünen gefällt uns ganz gut; rie ist bei der Projektförderung gut aufgestellt. das muss ich sagen. Er ist konzentriert auf KMUs. Das ist eine alte Idee von uns; das wollten wir auch. Aber die Jetzt haben wir alle gemerkt: Kleine und mittlere Un- Grenzziehung ist immer schwierig. Sie, die Grünen, wol- ternehmen schaffen es nicht immer, einen Projektantrag len zum Beispiel Unternehmen mit 252 Mitarbeitern nicht zu stellen. Das ist sehr kompliziert und in der Vorberei- mehr fördern – eine schwierige Angelegenheit. Unterneh- tung teuer. Es ist ein bisschen unsicher. Deshalb ist es men mit 249 Mitarbeitern wollen die Grünen noch för- klug, neben diese Projektförderung nun eine steuerliche dern. In dieser Abgrenzungsproblematik haben wir uns Förderung zu stellen. Die alten Kritikpunkte bleiben. Es überlegt, dass die Abgrenzung, die die Grünen im Hin- gibt Mitnahmeeffekte. Es ist nicht absolut zielgenau; aber blick auf KMUs vornehmen, nicht hinreichend ist. Auch es bereitet eine Landschaft, über die wir sagen: Wir haben bei der Bilanzsumme setzt man scharfe Kanten. Wer eine eine dicke Säule Projektförderung. Wir fügen eine dicke Bilanzsumme kurz vor einer solchen Kante hat, kriegt die Säule Steuerförderung hinzu und heben damit intellek- Förderung; wer kurz dahinter liegt, schon nicht mehr. Das tuelles, kognitives und auch erfinderisches Potenzial. finden wir nicht sehr geschickt. Auch wenn Manja Schüle Dieses Potenzial nicht zu verschwenden, zu vergeuden, heute ein so schönes grünes Kleid anhat, lehnen wir den dafür dient dieses Gesetz. Jetzt merkt jeder: Das hat eine Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15409

Lothar Binding (Heidelberg) (A) eigene Komponente, und es lohnt sich – auch für die wir genauso erfüllen müssen, damit wir international (C) Opposition –, zuzustimmen. wettbewerbsfähig bleiben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der CDU/CSU) der CDU/CSU) Klug ist es auch, dass wir die Anwendung nicht be- schränkt haben. Lothar Binding hat darauf hingewiesen, Vizepräsidentin Claudia Roth: welche Abgrenzungsprobleme wir dann hätten. Mir ist Vielen Dank, Lothar Binding. – Letzter Redner in die- wichtig, noch einmal herauszustellen, dass wir zwei un- ser Debatte: Fritz Güntzler für die CDU/CSU-Fraktion. terschiedliche Ziele verfolgen. Bei den KMUs geht es darum, zusätzliche Ausgaben für Forschung und Ent- (Beifall bei der CDU/CSU) wicklung zu erzeugen. Von daher ist es klug, die Auf- tragsforschung jetzt mit aufzunehmen. Ich will nur darauf Fritz Güntzler (CDU/CSU): hinweisen: Wenn wir die Auftragnehmer gefördert hätten, Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und wäre die Förderung oft ins Leere gelaufen, weil For- Kollegen! Liebe Zuschauer! Im Koalitionsvertrag, über schungseinrichtungen oft steuerfrei gestellt sind und sie den wir ja lange gestritten und verhandelt haben, heißt es: diese dann gar nicht bekommen hätten; das wäre syste- „Deutschland muss ein Innovationsland bleiben.“ Auch matisch falsch gewesen. Dass wir das gedreht haben, ist dort haben wir die steuerliche Forschungsförderung als für die KMUs eine gute Sache und wird neue Ausgaben wichtigstes Instrument dafür gesehen. Wir haben verein- induzieren. bart, dass der Bund gemeinsam mit den Ländern und der Bei den großen Unternehmen, die anscheinend ein Wirtschaft bis zum Jahr 2025 mindestens 3,5 Prozent des bisschen böse sind, geht es in erster Linie gar nicht darum, Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung ob es zusätzliche Forschung gibt, sondern um die Frage, aufwendet. Ich glaube, das, was wir heute beschließen, wo diese Forschung in Zukunft stattfindet. Denn wenn ist ein wichtiges Instrument, dieses Ziel zu erreichen. wir nichts machen, werden Forschungseinrichtungen – Immerhin nehmen wir dafür nach der Schätzung des Bun- das haben wir schon beobachtet – aus Deutschland ver- desfinanzministeriums 1,2 Milliarden Euro Steuermin- legt. Von daher ist es klug, eine gute Standortpolitik zu dereinnahmen pro Jahr in Kauf. machen und die großen Unternehmen mitzunehmen. Sie haben heute schon mehrfach gehört, dass wir sehr (Beifall bei der CDU/CSU) lange darüber diskutiert haben. Hans Michelbach hat ganz alte Erinnerungen aus 1994 herausgeholt. Ich habe Über das Verfahren ist auch schon gesprochen worden. gehört, im Koalitionsvertrag 2009 sei das alles auch Wir hätten gerne die Rechtsverordnung gehabt. In den (B) (D) schon vereinbart gewesen. Dann stellt sich ja die Frage, Debatten haben wir uns das österreichische Modell ange- warum so etwas so lange diskutiert wird. Als Steuerpoli- schaut, bei dem mit der Bescheinigung gearbeitet wird. tiker muss man sich natürlich überlegen: Ist es richtig, Übrigens gibt es dort ein verpflichtendes Erledigungsda- dass wir im deutschen Steuerrecht Subventionen haben? tum mit einem Soll nach zwei, maximal vier Monaten. Wir haben oft darüber diskutiert, indirekte Subventionen Das ist sehr bürokratiearm und grundsätzlich ohne Ge- abzuschaffen – und diese Förderung ist eine Subvention. bühren. Wir können uns von Österreich so einiges abgu- Von daher war es ein langwieriger Abwägungsprozess, cken. Ich hoffe, es gelingt uns, keine Mammutbehörde den wir durchgeführt haben. Wir sind im Ergebnis dann aufzubauen, sondern alles sehr bürokratiearm zu organi- dazu gekommen, dass die gesamtwirtschaftlichen Impli- sieren, damit die Unternehmen tatsächlich an das Geld kationen so positiv sind, dass wir es doch machen müs- kommen. Das ist, wie ich finde, eine gute Lösung. Sie sen, auch weil wir im Wettbewerb sind. wird Investitions- und Innovationsanreize geben und den Standort Deutschland stärken. Lieber Fabio de Masi, wenn ich Sie richtig verstanden habe, meinen Sie, es werde überhaupt keine Wirkung ent- Herzlichen Dank. faltet. Wir haben die Expertenkommission Forschung und Innovation, die 2017 einen sehr umfassenden Bericht zu (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- dieser Frage vorgelegt hat. Sie hat über die vielen Stu- ordneten der SPD) dien, die es gibt, ermittelt, dass 1 Euro Steuerminderein- nahmen ungefähr 1,33 Euro Zuwachs bei Aufwendungen Vizepräsidentin Claudia Roth: für Forschung und Entwicklung impliziert. Von daher ist Vielen Dank, Fritz Güntzler. – Damit schließe ich die das sehr zielgerichtet, und von daher ist es gut, dass wir Debatte. das so machen. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- In der Gesetzesbegründung finden wir dann natürlich desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur steuerli- auch den wichtigen Hinweis, dass wir das machen, um chen Förderung von Forschung und Entwicklung. Der international wettbewerbsfähig zu sein und die entsprech- Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be- enden Rahmenbedingungen zu schaffen. Ich sage aber schlussempfehlung auf Drucksache 19/14875, den Ge- sehr deutlich, auch im Namen der CDU/CSU-Fraktion: setzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 19/ Wir sollten an diesem Punkt nicht Schluss machen; das ist 10940 und 19/11728 in der Ausschussfassung anzuneh- ein wichtiger Punkt. Wir haben gerade ein Papier zur men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Modernisierung des deutschen Unternehmensteuerrechts Ausschussfassung zustimmen wollen, jetzt um ihr Hand- aufgesetzt. Dort sind weitere wichtige Aspekte drin, die zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der 15410 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenom- 3175 mit dem Titel „Einführung einer steuerlichen For- (C) men. Zugestimmt haben die Fraktionen von SPD, CDU/ schungsförderung“. Wer stimmt für diese Beschlussemp- CSU und AfD. Dagegengestimmt hat die Fraktion der fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Linken. Enthalten haben sich Bündnis 90/Die Grünen Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt und die FDP. haben die Fraktionen der Linken, der SPD, der CDU/CSU und der AfD. Dagegengestimmt hat die Fraktion der FDP. Dritte Beratung Enthalten hat sich die Fraktion von Bündnis 90/Die Grü- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem nen. Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben. – Die heutige Tagesordnung soll um die Beratung einer Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent- Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, wurf ist angenommen. Zugestimmt haben die Fraktionen Immunität und Geschäftsordnung – Drucksache 19/ von CDU/CSU, SPD und AfD. Dagegengestimmt hat die 14916 – zu einem Antrag auf Genehmigung zur Durch- Fraktion Die Linke. Enthalten haben sich die Fraktionen führung eines Strafverfahrens erweitert und diese jetzt von Bündnis 90/Die Grünen und der FDP. gleich als Zusatzpunkt 13 aufgerufen werden. Dieses Ver- Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie- fahren entspricht, wie Sie wissen, der langjährigen Praxis ßungsanträge. Entschließungsantrag der Fraktion der im Deutschen Bundestag. Erhebt sich dagegen Wider- FDP auf Drucksache 19/14891. Wer stimmt für diesen spruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlos- Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- sen. tungen – sehe ich keine. Der Entschließungsantrag ist Ich rufe den soeben aufgesetzten Zusatzpunkt 13 auf: abgelehnt. Zugestimmt haben die Fraktionen von FDP, AfD und Bündnis 90/Die Grünen. Dagegengestimmt ha- Beratung der Beschlussempfehlung des Aus- ben die Fraktionen CDU/CSU, SPD und Die Linke. schusses für Wahlprüfung, Immunität und Ge- schäftsordnung (1. Ausschuss) Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/14890. Wer stimmt für diesen Antrag? – Antrag auf Genehmigung zur Durchführung Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Niemand. Der eines Strafverfahrens Entschließungsantrag ist abgelehnt. Zugestimmt hat die Drucksache 19/14916 Fraktion Die Linke. Dagegengestimmt haben alle ande- ren Fraktionen. Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Der Ausschuss empfiehlt, die Genehmigung zu erteilen. Wer stimmt für Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfeh- diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – (B) lung des Finanzausschusses auf Drucksache 19/14875 Keine Enthaltungen. Die Beschlussempfehlung ist ein- (D) fort. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab- stimmig von allen Fraktionen angenommen. lehnung des Antrags der Fraktion der AfD auf Drucksa- che 19/4844 mit dem Titel „Für ein innovationsfreundli- Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 11 a bis 11 c ches Steuersystem – Steuerliche Forschungs- und auf: Entwicklungsförderung einführen“. Wer stimmt für diese a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Die Be- Jürgen Trittin, Margarete Bause, schlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordne- die Fraktionen Die Linke, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE CDU/CSU und FDP. Dagegengestimmt hat die Fraktion GRÜNEN der AfD. Keine weitere Eskalation in Hongkong – Tagesordnungspunkt 10 c. Abstimmung über den Ge- Das Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“ setzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur wahren steuerlichen Förderung von Forschung und Entwicklung kleinerer und mittlerer Unternehmen. Der Finanzaus- Drucksache 19/14823 schuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussemp- Überweisungsvorschlag: fehlung auf Drucksache 19/7958, den Gesetzentwurf der Auswärtiger Ausschuss (f) Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/ Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie 4827 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz- Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe entwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf b) Beratung der Beschlussempfehlung und des ist in zweiter Beratung abgelehnt. Zugestimmt hat die Berichts des Ausschusses für Menschenrech- Fraktion der Grünen. Dagegengestimmt haben die Frak- te und humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu tionen der SPD, der CDU/CSU, der Linken und der AfD. dem Antrag der Abgeordneten Margarete Enthalten hat sich die FDP. Damit entfällt nach unserer Bause, Kai Gehring, Jürgen Trittin, weiterer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Tagesordnungspunkt 10 d. Wir setzen die Abstimmung NIS 90/DIE GRÜNEN zur Beschlussempfehlung des Finanzausschusses auf Schwere Menschenrechtsverletzungen in Drucksache 19/7958 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Xinjiang beenden, aufklären und ahnden Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 19/ Drucksachen 19/5544, 19/7294 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15411

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) c) Beratung der Beschlussempfehlung und des und der LINKEN und des Abg. Frank Schwabe (C) Berichts des Ausschusses für Menschenrech- [SPD]) te und humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu Ich will es in aller Deutlichkeit sagen: Wir stehen an der dem Antrag der Abgeordneten Margarete Seite der friedlichen Demonstrantinnen und Demonstran- Bause, Jürgen Trittin, Kai Gehring, weiterer ten. Sie haben recht, wenn sie eine unabhängige und un- Abgeordneter und der Fraktion BÜND- parteiische Aufarbeitung der Gewalt fordern. Ich kann NIS 90/DIE GRÜNEN mir gar keinen anderen als diesen Weg vorstellen, um 30 Jahre Niederschlagung der friedlichen zu einer Deeskalation zu kommen. Proteste am Platz des Himmlischen Frie- Diese Auseinandersetzungen gefährden auch den Sta- dens – Für eine umfassende Aufarbeitung tus von Hongkong. 1984 vereinbart, gilt ein Grund- und die Achtung der Bürger- und Men- prinzip, das lautet: „Ein Land, zwei Systeme“. Dieses schenrechte wurde im Basic Law Hongkongs niedergelegt. Darin ga- Drucksachen 19/10222, 19/14277 rantiert China grundlegende Freiheitsrechte wie die Mei- nungsfreiheit, die Pressefreiheit und die Versammlungs- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die und Vereinigungsfreiheit. Es garantiert unterschiedliche Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Sozial- und Wirtschaftssysteme, eigene Zölle, eine eigene Widerspruch. Währung. „Ein Land, zwei Systeme“ ist – darauf legen die Chinesen immer Wert – eine Absage an Separatismus, Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die an der aber es ist gleichzeitig der Anspruch an Vielfalt in der Debatte nicht teilnehmen wollen, sich entweder zu setzen Einheit, und deshalb darf es in Hongkong nur eine fried- und etwas dazuzulernen oder den Saal zu verlassen. – Ich liche Lösung auf der Grundlage des Basic Law geben. gehe davon aus, dass sich der Vorsitzende des Auswärti- gen Ausschusses, Herr Röttgen, auch dafür interessiert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Jürgen Trittin der FDP und der LINKEN) für Bündnis 90/Die Grünen. Ich weiß, dass das nicht einfach ist. Es sind wirklich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zwei unterschiedliche Systeme. Hongkong galt einmal als die liberalste Marktwirtschaft der Welt. 51,5 Stunden Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): durchschnittliche Arbeitszeit – das ist die längste der Welt Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, mit gewesen. Es gibt dort viele Millionäre und Milliardäre, (B) der Situation in Xinjiang und der Erinnerung an Tianan- aber es gibt auch unzählige Menschen, die sehr, sehr arm (D) men haben wir keine angenehmen Themen auf der Tages- sind. 20 Prozent der Bevölkerung in Hongkong verdienen ordnung. Hinzu kommt die Situation in Honkong. 70 Jah- weniger als die Hälfte des mittleren Einkommens, sind re nach Gründung der Volksrepublik und 22 Jahre nach also Armut ausgesetzt. Beendigung der britischen Kolonialherrschaft demonst- Diese Ungleichheit ist auch ein Treiber der Proteste. rieren seit Wochen Hunderttausende von Menschen in Aber ich will eines hinzufügen: Diese Entwicklung und Hongkong für ihre Rechte. die Infragestellung von „Ein Land, zwei Systeme“ wer- Zunächst richtete sich ihr Anliegen auf die Zurückzie- den auch durch die Veränderungen in China selbst ver- hung eines Auslieferungsabkommens mit China. Das ist ursacht. Aus einer lange Zeit autoritären, aber fragmen- nun viel zu spät und formal immer noch nicht von Carrie tierten Herrschaft ist unter Xi Jinping ein immer Lam zurückgezogen worden. Aber die Demonstrationen autoritäreres – manche sagen auch: totalitäreres – System hören nicht auf. Es kommt immer wieder zu gewaltsamen geworden. Während in Hongkong Menschen für ihre so- Zusammenstößen. Bis heute wurden Tausende von zialen Rechte auf die Straße gehen, müssen in China mitt- Menschen festgenommen, darunter Jugendliche und lerweile Journalisten über Apps Tests absolvieren, um Kinder. Viele von ihnen mussten erst per Gerichtsbe- ihren Presseausweis verlängert zu bekommen. Da steht schluss wieder freigelassen werden. Bei den Demos wur- dann zur Auswahl, der Journalist habe sich a) streng an den Menschen zum Teil sehr, sehr schwer verletzt. den Wahrheitsgehalt der Nachricht zu halten oder b) Schlägerbanden griffen vermeintliche Wortführer der De- streng daran zu halten, positive Propaganda hervorzuhe- mokratiebewegung an, und die Polizei schaute unzählige ben. Es versteht sich von selbst, dass b) die richtige Ant- Male weg. Aber auch aus friedlichen, geduldeten De- wort ist. monstrationen heraus kam es zu gewaltsamen Protesten, Ich will nur darauf verweisen, dass der Begründer von zur Zerstörung von U-Bahnhöfen, zum Abwurf von Mo- „Ein Land, zwei Systeme“, ein gewisser Deng Xiaoping, lotowcocktails auf Polizeireviere oder zu Angriffen auf das anders gesehen hat. Der wurde nämlich berühmt mit Geschäfte. der Parole „Die Wahrheit in den Fakten suchen“. Ich Diese Situation muss uns besorgen – nicht etwa, weil es finde, das ist der wichtigste Grund, weswegen es einer in Hongkong 600 deutsche Unternehmen gibt, die dort unabhängigen Untersuchung der Vorfälle in China bedarf. tätig sind, sondern weil die Gewalt die Grundrechte der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- in Hongkong lebenden Menschen gefährdet. wie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- und der LINKEN) wie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP Ich füge zum Schluss hinzu: - 15412 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

(A) Vizepräsidentin Claudia Roth: länger zurück, nicht im Inneren und auch immer weniger (C) Denken Sie bitte an die Redezeit. nach außen. Man schreckt selbst nicht davor zurück, dem deutschen Parlament vorschreiben zu wollen, was hier im Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Hohen Hause diskutiert werden dürfe und was nicht. In – Ich habe dieser Tage gelesen, dass Xi Jinping und einer offiziellen Erklärung der Botschaft in Berlin hat Emmanuel Macron erklärt haben, sie wollten das Pariser China vor genau einem Jahr versucht, uns hier mundtot Abkommen zum Klimaschutz unumkehrbar machen. Sie zu machen. Man muss sich das auf der Zunge zergehen haben sich zum Multilateralismus bekannt. Ich finde, man lassen: Es gab eine vierseitige Stellungnahme für alle muss Xi Jinping an dieser Stelle beim Wort nehmen: Wer Redner nach der Debatte. Dort heißt es: den Multilateralismus lobt, der muss völkerrechtliche Am 8. November wurde, ungeachtet des starken Ein- Verträge einhalten. Nichts anderes verlangen wir, wenn wandes der chinesischen Seite, die so genannte wir sagen: Das Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“ muss in Menschenrechtslage in der chinesischen Provinz Hongkong auch von China respektiert werden. Xinjiang im deutschen Bundestag beraten. Die chi- nesische Seite ist hierüber äußerst unzufrieden und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bringt dem deutschen Bundestag und der Bundesre- und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten gierung ernsthafte Demarche entgegen. der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Das geht über vier Seiten so weiter. Vizepräsidentin Claudia Roth: Ich sage, an die chinesische Botschaft gerichtet, klar: Vielen Dank, Jürgen Trittin. – Nächster Redner: für die Ihr könnt euch morgen das Fax sparen. Wir sind ein freies CDU/CSU-Fraktion Michael Brand. und ein souveränes Land. Hören Sie auf mit diesen un- würdigen Einschüchterungsversuchen! Es wird auch (Beifall bei der CDU/CSU) nichts bringen. Wir lassen uns von niemandem vorschrei- ben, worüber wir hier im Deutschen Bundestag zu beraten Michael Brand (Fulda) (CDU/CSU): und zu diskutieren haben. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die vorliegenden Anträge zum Thema „Menschenrechte (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜND- in China“ beleuchten Verletzungen zentraler Grundrechte NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- durch das Regime und seinen Kampf gegen das eigene ten der SPD und der FDP) Volk. Von der Besetzung Tibets im Jahr 1959 über die Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Deutschland und Niederschlagung der Demokratiebewegung beim Tianan- in Europa braucht es eine Intensivierung der Debatte um (B) men-Massaker 30 Jahre später, 1989, bis hin zum gewalt- die geopolitische Aggression der neuen chinesischen (D) samen Kampf gegen die Demokratiebewegung in Hong- Führung. Wir werden nicht darauf verzichten, auf der kong wieder 30 Jahre später, 2019, zieht sich ein roter Universalität der Menschenrechte zu bestehen, was nie- Faden: Es ist der Faden der Unterdrückung. mals eine Einmischung in innere Angelegenheiten sein Aktuell wird die Minderheit der muslimischen Uiguren kann. China hat die Charta unterschrieben, die vor 70 Jah- besonders hart verfolgt: über 1,3 Millionen Menschen, ren verabschiedet worden ist. Und wir werden es nicht die im Jahr 2019 mit Totalüberwachung und Einsatz unterlassen, auch die Rechte derjenigen zu verteidigen, künstlicher Intelligenz interniert werden. Dies wird inter- die unter der chinesischen Diktatur besonders hart zu lei- national zu Recht als Schandfleck für China offen thema- den haben. tisiert; denn es handelt sich nicht, wie die Führung in Europa hat im Übrigen überhaupt keinen Grund, vor Peking behauptet, um Kampf gegen Terrorismus; es ist diesem totalitären Regime in die Knie zu gehen. Wir sind blanker Terror gegen das eigene Volk. wirtschaftlich stärker, und wir sind – um diesen Begriff einmal zu benutzen – auch ideologisch stärker: Es geht Das Muster ist nicht neu. Seit Jahrzehnten gibt es sys- um Freiheitsrechte, es geht um Menschenrechte. Wir bie- tematische Verfolgung, auch von Tibetern und Christen. ten China den Dialog an, aber wir werden der Unterdrü- Im Übrigen: In den drei Anträgen der Grünen findet sich ckung von Millionen Menschen nicht einfach stumm zu- nicht einmal das Wort „Christen“. Das ist ein grundlegen- sehen. des Manko der Anträge; denn auch diese Religionsgruppe wird terrorisiert, interniert, die Freiheit des Glaubens Ein ernsthafter Dialog ist für Hongkong wie für ganz massiv bekämpft. Wir sagen immer: Das sind ja gar nicht China – das hat mein Vorredner auch gesagt, lieber Kolle- so viele. – Es sind aber mehr, als wir Einwohner haben. ge Trittin – die einzige Möglichkeit, die Stabilität dieses China ist ein großes Land. Es gibt über 80 Millionen Riesenreichs auf Dauer aufrechtzuerhalten. Weder mit Christen, die verfolgt werden; diese brutale Verfolgung maximalem Druck noch mit intensiver Propaganda wer- gilt auch für die Tibeter und in diesen Zeiten ganz beson- den sich die stärker werdenden Zentrifugalkräfte – und ders für die Uiguren. das sieht doch auch jeder – in der chinesischen Gesell- schaft binden lassen. Die kommunistische Führung in Das alles hat ein klares Motiv: Die Religionsfreiheit China ist gut beraten, von Arroganz und auch von ag- wird vom kommunistischen Regime wie jede Freiheit als gressivem Nationalismus abzulassen und endlich im Gefahr für seine Existenz betrachtet, und das nur, weil 21. Jahrhundert anzukommen. Menschen auf der Grundlage der UN-Menschenrecht- scharta, die auch China unterschrieben hat, ihren Glauben Es geht im Inneren wie international um Miteinander, frei ausüben wollen. Das Regime hält sich unter Xi nicht nicht um Konfrontation. Deutschland kann China dabei Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15413

Michael Brand (Fulda) (A) aus der eigenen Geschichte in vielen Bereichen ein ehr- Wir Deutschen wissen aus eigener Erfahrung, dass es (C) licher und guter Partner sein. Hongkong, die nationalen Zeit braucht, zwischen den in Jahrzehnten der Trennung und internationalen Proteste, Chinas wirtschaftliche Pro- gewachsenen unterschiedlichen Perspektiven und Identi- bleme und die Folgen seiner aggressiven Politik für Part- täten zu vermitteln. Wie wir in unserem eigenen Land ner in Asien, Europa und den USA sollten der chinesi- sehen, ist es ein Prozess, bei dem es Fortschritte, aber schen Führung Alarmzeichen genug sein, dass man auch Rückschritte gibt. endlich einen anderen Weg als den der totalen Repression einschlagen muss. Die deutsch-deutsche Trennung war weniger lang als die Trennung der Hongkonger von den Festlandchinesen. Der Deutsche Bundestag war und bleibt zum Dialog Wir Deutschen sind auch schon länger wieder in einem bereit. Die Verweigerung der Einreise deutscher Abge- Staat vereint als die Chinesen. Legen wir doch daher an ordneter, ja ganzer Ausschüsse ist Zeichen von Schwäche China bitte nicht strengere Maßstäbe an als an uns selbst, und nicht von Souveränität und Stärke. wenn sie dabei sind, ihren gesellschaftlichen Frieden zu finden. Vor allem appellieren wir heute in dieser Debatte an China: Respektieren Sie endlich die Menschenrechte! (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kein Druck, keine totale Überwachung retten ein Re- Den gesellschaftlichen Frieden? Mit Polizei- gime, das vom eigenen Volk nicht respektiert und getra- knüppeln?) gen wird. Chinas Führung kann den ehrlichen Respekt des eigenen Volkes und den Respekt der Welt erst dann Eine weitere Sorge vieler Menschen in Hongkong sind verdienen, wenn sie selbst die Rechte der Menschen in die sehr hohen Wohnungspreise. Der Handlungsbedarf in China respektiert. diesem Bereich ist in dieser Woche ja auch in Gesprächen der Hongkonger Regierungschefin mit der Zentralregie- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie rung noch einmal unterstrichen worden. Auch hier bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNIS- braucht man, glaube ich, keine Belehrungen aus Deutsch- SES 90/DIE GRÜNEN) land. (Beifall bei der AfD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Michael Brand. – Nächster Redner: für Lassen Sie uns lieber zusehen, dass wir die durch Mas- die AfD-Fraktion Dr. Roland Hartwig. senzuwanderung und verfehlte Euro-Politik in Deutsch- land stark gestiegenen Wohnungspreise in den Griff be- (Beifall bei der AfD) kommen, bevor sie sich hier zu sozialem Sprengstoff entwickeln. (B) Dr. Roland Hartwig (AfD): (D) Sie schreiben in Ihrem Antrag: Menschenrechte, De- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeord- mokratie und Rechtsstaatlichkeit bilden das Fundament neten! Im 19. Jahrhundert wehrten sich die Chinesen ge- Hongkongs als Wirtschafts- und Finanzstandort. – Ja, gen die Überschwemmung ihres Landes mit Opium. Die Hongkong hat sich unter britischer Herrschaft zu einem sich daraus entwickelnden Kriege verlor China und mit Wirtschafts- und Finanzstandort von internationaler Be- ihnen Hongkong, das zu einer britischen Kolonie wurde. deutung entwickelt. In dieser Zeit war Hongkong aber Die Rückgabe Hongkongs an China ist 1997 ohne große keine Demokratie, es war eine britische Kolonie. Die Verwerfungen für das Leben der Hongkonger Bevölke- Gouverneure – auch der letzte, Chris Patten – wurden rung verlaufen. Seit 2010 kommt es nun in Hongkong vom britischen Monarchen eingesetzt. vermehrt zu größeren Demonstrationen. Die Frage ist: Wie soll sich Deutschland dazu positionieren? (Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]: Wollen Grundlage unserer Überlegungen sollte sein, dass Sie das vergleichen?) Hongkong primär eine innere Angelegenheit Chinas ist, Nach Rückgabe Hongkongs an China 1997 hatte die in die wir uns ohne triftigen Grund nicht einmischen soll- Hongkonger Bevölkerung, repräsentiert durch 1 200 ten. Wahlmänner, erstmals die Möglichkeit, mitzubestimmen, wer Gouverneur wird. Die Demonstrationen in den letz- (Beifall bei der AfD) ten Jahren finden also zu einem Zeitpunkt statt, zu dem Und ein solcher triftiger Grund ist meines Erachtens nicht Hongkong so demokratisch und so autonom ist wie noch gegeben. nie zuvor in seiner Geschichte. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich kann mich an keine internationalen Solidaritätsbe- Wie bitte?) kundungen für mehr Demokratie in Hongkong erinnern, als Hongkong noch britische Kolonie war. Und ich glaube Lassen Sie mich auf einzelne Punkte des Antrags der auch nicht, dass eine internationale Einmischung in den Grünen zu sprechen kommen. aktuellen innerchinesischen Diskurs hilfreich ist. Auslöser der Proteste – Sie erwähnten es – ist das Aus- lieferungsgesetz. Ein Gesetzentwurf allein löst aber keine (Margarete Bause [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- fünfmonatigen Massenproteste aus. Die eigentlichen Ur- NEN]: Das Völkerrecht ist Ihnen egal!) sachen liegen tiefer. Ein wesentlicher Faktor ist die Frage Sie kritisieren weiter in Ihrem Antrag, dass an der der eigenen Identität, die für viele Hongkonger relevant Grenze zu Hongkong Hunderte chinesische Sicherheits- ist. kräfte aufmarschiert seien. Schauen Sie sich doch bitte 15414 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Dr. Roland Hartwig (A) einmal an, wie viele Sicherheitskräfte der deutsche Staat gesagt haben, Herr Dr. Hartwig. Ich empfehle aber – (C) bei den gewalttätigen linksextremistischen Ausschreitun- und es fällt mir bei ganz vielen Themen auf, dass es bei gen in Hamburg im Zusammenhang mit dem G-20-Gipfel der AfD wild durcheinandergeht –: Vielleicht klären Sie zusammenziehen musste. Es ist nämlich eine der Kern- das mal – Herr Braun sitzt jetzt da hinten, er ist ja Ihr aufgaben eines Staates, die öffentliche Sicherheit zu ge- Sprecher für Menschenrechte – mit ihm, da er im Aus- währleisten. schuss eine ganz andere Position vertreten hat. Insofern: Versuchen Sie mal, Ihre Positionen ein bisschen abzu- (Beifall bei der AfD) stimmen. Sie kritisieren die Hongkonger Regierung dafür, ein Vermummungsverbot bei Demonstrationen erlassen zu (Zuruf von der CDU/CSU: Herr Braun ist für haben. die Menschenrechte zuständig! – Frank Pasemann [AfD]: Wir sind bunt und weltof- (Ottmar von Holtz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- fen!) NEN]: Meine Güte!) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir diskutieren Es hat sich vielleicht gerade bei Ihnen noch nicht herum- heute anhand von drei Anträgen, die die Grünen dankens- gesprochen – und bei vielen anderen Linken auch nicht –: werterweise vorgelegt haben, die Menschenrechtslage in Ein Vermummungsverbot bei Demonstrationen gibt es China. Und es ist gar keine Frage: Wir wollen gute Be- auch in Deutschland. ziehungen zu China haben. China hat eine gewachsene (Beifall bei der AfD – Jürgen Trittin [BÜND- internationale Verantwortung, insbesondere in Fragen des NIS 90/DIE GRÜNEN]: Erzählen Sie das mal Klimaschutzes. Aber wir müssen, glaube ich, deutlich Ihren Kumpels von der Identitären Bewegung!) machen – und ich hoffte, dass dies die gemeinsame Hal- tung dieses Hauses ist –, dass wir in der Frage der Men- Und rührend fand ich, dass die Fraktion der Grünen schenrechte ganz klar sind: Wenn wir mit China über sich darum sorgt, dass der Finanz- und Wirtschaftsstand- Menschenrechtsfragen reden, dann stehen wir zu den ort Hongkong gefährdet wird. Wenn wir uns um einen Menschenrechten, und dann machen wir deutlich, dass Wirtschaftsstandort wirklich Sorgen machen müssen, Menschenrechte universell sind, und zwar deshalb, weil dann um unseren. es auch in China – in Xinjiang, Hongkong und anderswo – (Beifall bei der AfD) Menschen gibt, die die Menschenrechte einfordern. Wir müssen diese Fragen also immer wieder ansprechen. Er wird durch eine inzwischen von der CDU mitgetrage- ne links-grüne Politik zunehmend zerstört. (Beifall bei der SPD) (B) (D) (Zuruf des Abg. Michael Brand [Fulda] [CDU/ Deswegen unterstütze ich die Kritik – und würde mir CSU]) wünschen, dass wir diese Kritik gemeinschaftlich unter- Lassen Sie mich zum Schluss kommen. stützen –, dass dieses offene Ansprechen von Menschen- rechtsverletzungen kein Grund sein kann, Politikerinnen (Ottmar von Holtz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und Politiker aus dem Deutschen Bundestag in irgendein NEN]: Endlich!) Land der Welt nicht einreisen zu lassen.

Hongkong und Festlandchina haben sich unter sehr unter- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten schiedlichen Vorzeichen sehr erfolgreich entwickelt. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Trauen Sie den Menschen also zu, dass sie auch für die aktuellen Herausforderungen eine Lösung finden, Das ist in hohem Maße inakzeptabel, und es ist auch ein unfreundlicher Akt. Wir fordern die volle Transparenz in (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Sagen China und im Übrigen auch die volle Kooperation mit Sie auch noch etwas zu den Menschenrechts- UN-Gremien. verletzungen?) und versuchen wir, Antworten auf unsere Probleme zu In diesen Tagen – man kann es draußen sehen – feiern finden! Mit Verlaub, Herr Trittin, auch hier gilt: Global wir zu Recht 30 Jahre deutsche Einheit. In China ist es denken – national handeln! leider die Erinnerung an das Tiananmen-Massaker vor 30 Jahren, wo Hunderte, wenn nicht gar Tausende Men- Vielen Dank. schen ums Leben gekommen sind. Aber das Streben nach (Beifall bei der AfD) Freiheit, Demokratie, Gerechtigkeit und Menschenrech- ten lässt sich eben – das zeigt die Geschichte – nicht aufhalten. Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Dr. Hartwig. – Nächster Redner: für die SPD- (Zuruf von der AfD: Das zeigt sich auch in Fraktion Frank Schwabe. Deutschland! Darum sind wir ja da!) (Beifall bei der SPD) Das zeigt auch die Entwicklung in Hongkong. Und ich glaube, es ist wichtig, dass wir – egal, wo auf der Welt – Frank Schwabe (SPD): klarmachen: Es ist keine Einmischung in innere Angele- Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Inhalt- genheiten, wenn wir uns an die Seite derjenigen stellen, lich will ich gar nicht groß auf das eingehen, was Sie die für Menschenrechte weltweit einstehen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15415

Frank Schwabe (A) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Vizepräsidentin Claudia Roth: (C) DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Vielen Dank, Frank Schwabe. – Nächster Redner: für CDU/CSU und der FDP) die FDP-Fraktion Bijan Djir-Sarai. Deswegen danke ich auch der Bundesregierung – Heiko (Beifall bei der FDP) Maas vorneweg – dafür, das deutlich zu machen, auch durch Treffen, die es hier mit Joshua Wong gegeben hat. Bijan Djir-Sarai (FDP): Das, was wir in Hongkong erleben, ist ein schleich- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit un- ender Prozess – der hat nicht jetzt erst eingesetzt; jetzt gefähr sechs Monaten müssen wir zusehen, wie die Si- sehen wir das international –, ein schleichender Prozess cherheitskräfte in Hongkong mit Gewalt gegen Demonst- der Entdemokratisierung. Wenn wir gucken, wie es im ranten vorgehen, die für mehr Freiheit, Demokratie und Bereich der Medienfreiheit aussieht: Da macht Reporter Rechtsstaatlichkeit kämpfen. Zu lange hat der Westen ge- ohne Grenzen deutlich, dass es in relativ kurzer Zeit einen genüber Menschenrechtsverletzungen in China ge- Abstieg von Platz 18 auf Platz 73 gegeben hat. Deswegen schwiegen. Zu lange wurde Peking nur wirtschaftspoli- noch mal: Es ist richtig, von uns aus alles zu tun, um die tisch betrachtet. Es ist an der Zeit, dass diese Naivität Demokratiebestrebungen zu unterstützen. aufhört und die Dinge benannt werden, wie sie vor Ort sind. Es ist höchste Zeit, China realistisch zu betrachten. Ein weiterer Antrag handelt von den Menschenrechts- verletzungen in Xinjiang, wo es in der Tat schlimmste (Beifall bei der FDP) Verletzungen, nicht nur an den Uiguren, gibt. Ich begrüße an der Stelle noch mal ausdrücklich, dass Ilham Tohti den Das brutale Vorgehen der Regierung in Hongkong ist Vaclav-Havel-Menschenrechtspreis des Europarats und der dramatische Höhepunkt einer Entwicklung, die sich den Sacharow-Preis der Europäischen Union bekommen schon lange abgezeichnet hat. Was die Demonstranten hat. Herzlichen Glückwunsch dazu! fordern, ist das, was die Volksrepublik ihnen mit dem Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“ versprochen hat. Es (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem ist auch eine Frage der Glaubwürdigkeit. Aber heute wer- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- den die Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit ordneten der FDP) schrittweise immer weiter abgebaut. Immer öfter werden kritische Stimmen zensiert, verfolgt oder auch bedroht. Er muss umgehend aus dem chinesischen Gefängnis frei- gelassen werden. China hat eine außerordentlich wichtige Bedeutung für die Weltwirtschaft. Daher glaubt Peking, dass Deutsch- (B) Es ist ein ganzes Volk, das in Unfreiheit gehalten wird. land und Europa aufgrund Chinas wirtschaftlicher Bedeu- (D) tung im Falle weiterer Menschenrechtsverletzungen (Martin Reichardt [AfD]: Was tun Sie denn schweigen werden. Und ich kann nur hoffen, meine Da- dafür?) men und Herren, dass diese Annahmen falsch sind. An- Es gibt 1 Millionen Menschen – so lauten Berichte, die statt Angst vor möglichen Reaktionen aus Peking zu ha- die Chinesen jedenfalls nicht widerlegen –, die in Inter- ben, muss die Bundesregierung den Mut haben, das nierungslagern gefangen gehalten werden und umerzo- brutale Vorgehen gegen Aktivisten, gegen religiöse Min- gen werden sollen. Deswegen ist es richtig, dass Deutsch- derheiten oder kritische Journalisten im Dialog mit China land diese Fragen anspricht, auch international wie vor zu verurteilen. einer Woche beim UN-Menschenrechtsausschuss im (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Rahmen der Generalversammlung der Vereinten Natio- der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- nen. NEN) Die Frage von Menschenrechten – auch das will ich Das ist eine Frage der politischen Glaubwürdigkeit und noch mal betonen, weil es gelegentlich Ausführungen Handlungsfähigkeit der deutschen Außenpolitik, meine gibt, ob das etwas mit Kommunismus, mit Sozialismus Damen und Herren. oder mit Kapitalismus zu tun hat – ist eine universelle. Es gibt leider Menschenrechtsverletzungen in Regimen ganz Die Bundesregierung muss signalisieren, dass die unterschiedlicher Art und auch ganz unterschiedlicher ge- Grundlage für Wirtschaftsbeziehungen das Einhalten samtpolitischer Ausrichtung. von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit ist. Es ist zum Teil zu beobachten, wie einige Vertreter der deut- Für uns ist es wichtig, dass wir gute Beziehungen zu schen Wirtschaft vor Ort sich der chinesischen Staatsfüh- China haben. Für uns ist aber elementar, solche Men- rung anbiedern. Menschenrechte sind aber universell und schenrechtsverletzungen immer wieder anzusprechen. unteilbar, und Wirtschaftsinteressen dürfen niemals über Und damit muss China rechnen, dass wir das auch immer Menschenrechten stehen. wieder tun. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Vielen herzlichen Dank. der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Auch deutsche und europäische Unternehmen dürfen sich GRÜNEN) daher von China nicht unter Druck setzen lassen. 15416 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Bijan Djir-Sarai (A) Meine Damen und Herren, nächstes Jahr übernimmt ich das gemacht habe, hat natürlich sofort die Peking- (C) Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft, und für den Verteidigungsfront gesagt: Ja, das ist klar: Liebich, das Herbst 2020 ist ein EU-China-Gipfel angekündigt. Es transatlantische U-Boot bei der Linkspartei. Wir erwarten ist also an der Zeit, mit deutlichen Worten die chinesische da nichts anderes. Führung an ihre völkerrechtlichen Pflichten zu erinnern. Kurz danach habe ich bei der Heldenverehrung für Wir fordern die Regierungen in Peking und Hongkong Joshua Wong nicht mitgemacht. Denn ich finde tatsäch- auf, die Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit lich seinen Vergleich mit der DDR und der Wiederver- zu schützen, sich an internationales und nationales Recht einigung schief, ich finde den positiven Bezug auf die zu halten, die politisch motivierten Strafverfolgungen Zeit des Kolonialismus absurd, und ich finde die Unab- von friedlichen Demonstranten zu beenden, eine unab- hängigkeitsbestrebungen falsch. Ich habe auch öffentlich hängige Untersuchung der massiven Polizeigewalt zu bil- gesagt, dass Gewaltfreiheit Voraussetzung für unsere So- ligen und schlussendlich das Recht auf allgemeine und lidarität ist und ich die Besetzung von U-Bahnen und freie Wahlen zu gewähren. Flughäfen für ein ungeeignetes Mittel halte. Als ich das Meine Damen und Herren, die Entwicklungen in gesagt habe, kam natürlich die Gegenreaktion: Logisch, Hongkong und auf dem chinesischen Festland müssen dass der linke Liebich seinen Kommunistenfreunden in aber auch ein mahnendes Beispiel für unsere innenpoliti- Peking wieder den Rücken stärkt. schen Debatten und Entscheidung sein. Die nicht vorhan- (Zuruf des Abg. Michael Brand [Fulda] [CDU/ dene Meinungsfreiheit und die Massenüberwachung CSU]) durch Peking können wir nicht ignorieren. Wenn wir demnächst hier im Deutschen Bundestag über Zukunfts- Aber so ist das manchmal in der Außenpolitik. themen wie beispielsweise 5G-Strategien im Zusammen- hang mit einem bestimmten Unternehmen diskutieren, Ich bin den Grünen ganz dankbar, dass wir heute in dann dürfen wir die Debatten, die wir heute führen, nicht Ruhe etwas differenzierter anhand der drei Anträge Stel- vergessen; wir müssen diese Debatten im Hinterkopf ha- lung nehmen können, und das möchte ich auch machen. ben. Wir reden von diesem Land China, und wir können Wir als Linke unterstützen gewaltfreien Einsatz für derzeit kein Vertrauen erkennen. Demokratie und Menschenrechte – überall, auch in (Beifall der Abg. Margarete Bause [BÜND- Hongkong, auch in der Volksrepublik China insgesamt. NIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der LINKEN – Martin Reichardt Von daher müssen wir auch bei diesen Debatten höchst [AfD]: Nur nicht in Deutschland!) (B) sensibel sein. Hier muss der Deutsche Bundestag mitre- Wir Linke verurteilen die gewaltsame Niederschlagung (D) den, meine Damen und Herren. der Protestbewegung auf dem Platz des Himmlischen Vielen Dank. Friedens vor 30 Jahren. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der LINKEN) der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNIS- Und wir Linke finden: Die Menschenrechtsverletzungen SES 90/DIE GRÜNEN) in Xinjiang gegenüber den Uigurinnen und Uiguren, den Kasachinnen und Kasachen müssen enden. Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Bijan Djir-Sarai. – Nächster Redner: für (Beifall bei der LINKEN) die Linke nicht Matthias W. Birkwald, sondern – wir Und wir finden auch, dass sich die Regierung der Volks- wollen ja über das Thema reden – Stefan Liebich. republik China – Jürgen Trittin hat darauf hingewiesen – (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. nun einmal völkerrechtlich verbindlich auf das Prinzip Dr. Bärbel Kofler [SPD]) „Ein Land, zwei Systeme“ für Hongkong verpflichtet hat. Jeder, der das einfordert, hat vollständig recht. Stefan Liebich (DIE LINKE): (Beifall bei der LINKEN) Frau Präsidentin! Bestimmt hätte auch mein Kollege Birkwald kluge Dinge zum Thema China sagen können – Ich möchte hier aber über einen Aspekt reden, der rela- da habe ich keinen Zweifel –; aber wir haben uns ver- tiv selten in unseren Debatten eine Rolle spielt. Das ist ständigt, dass ich das doch mache. nämlich die deutsche Vergangenheit in China. Deutsch- land selbst hatte nämlich einmal eine koloniale Rolle. Die Wer differenziert, verliert – das ist manchmal in der ist vielleicht hier in Deutschland vergessen, nicht aber in Außenpolitik der Fall, und das ging mir bei den Debatten China. um Hongkong auch wieder so. Als nämlich die Proteste losgingen und die Bundesregierung sehr lange sehr leise 1860 ist die preußische Armee nach China gegangen, war, habe ich das öffentlich kritisiert, gerade auch, weil hat dort Land besetzt und gewaltsam eine Verpachtung ich noch im Ohr hatte, dass die Bundesregierung bei den erzwungen. Damals haben viele internationale Mächte Protesten in Venezuela absurderweise sofort eine Gegen- China als einen Selbstbedienungsladen empfunden, auch regierung anerkannt hat. Ich dachte: Ihr könnt hier nicht Deutschland. Als es dagegen Aufstände gab, sind diese schweigen. – Da hatte man den Eindruck, da stehen die brutal niedergeschlagen worden. Der deutsche Kaiser war Interessen deutscher Unternehmen im Vordergrund. Als sogar stolz, dass es einen deutschen Oberbefehlshaber Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15417

Stefan Liebich (A) dieser internationalen Allianz gegen China gegeben hat. Ich möchte einen Punkt ansprechen, der in der Debat- (C) Der Kaiser hielt eine Rede: te – der Rest ist ja weitestgehend von allen gesagt – aus meiner Sicht etwas untergegangen ist, nämlich die Frage: Kommt Ihr vor den Feind, so wird er geschlagen, Warum verhält sich China gegenwärtig anders als in den Pardon wird nicht gegeben; Gefangene nicht ge- letzten Jahren, als man sich eigentlich kontinuierlich eher macht. Wer Euch in die Hände fällt, sei in Eurer optimistisch und wohlwollend verhalten hat? Wir hatten Hand. ja den Eindruck, da ändert sich vieles zum Positiven. Wir In diesem Krieg sind 5 000 chinesische Zivilisten und waren mit einer Delegation des Auswärtigen Ausschusses 2 000 chinesische Soldaten getötet worden. Warum erz- in Peking und haben festgestellt, dass die Wortwahl sich ähle ich das hier? Weil es immer noch ein Thema ist hier geändert hat, dass die Begründungen sich verändert ha- in unserer Stadt Berlin: Es gibt hier, gar nicht so weit vom ben, dass es in China offenkundig einen, ich will nicht Deutschen Bundestag, eine Straße, die heißt Iltisstraße, sagen, Paradigmenwechsel, aber einen politischen Wech- die ist nicht nach einem niedlichen Marder benannt, son- sel gibt. Das müssen wir attestieren. Unsere Gesprächs- dern nach dem Kanonenboot, das damals diesen Angriff partner aus dem Nichtregierungsumfeld sagen uns: Es gefahren hat. Auch nach dem Kommandanten dieses Bo- gibt eine sicherheitspolitische Paranoia, und die liegt da- otes, Wilhelm Lans, ist in Berlin noch eine Straße be- ran, dass natürlich die Handelssanktionen der Vereinigten nannt. Das ist nun wirklich nicht länger akzeptabel. Staaten die chinesische Führung tief getroffen haben, dass sich die wirtschaftliche Entwicklung in China deut- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- lich verändert hat, aber auch die Proteste in Hongkong neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) vieles doch sehr verändert haben. – Die deutsche Wirt- Wir müssen uns von diesem Unrecht verabschieden! Ich schaft sagt, sie habe noch nie so viel Unruhe und Angst bedaure es sehr – das sei hier auch ausgesprochen –, dass verspürt und sie habe die Sorge, dass das die Ruhe vor es eine Koalition aus CDU und Bündnis 90/Die Grünen in einem ganz großen Gewitter ist. All das muss uns natür- Steglitz-Zehlendorf ist, die diese Umbenennung seit Jah- lich grundsätzlich umtreiben, wir müssen uns die Frage ren verhindert. stellen: Was können wir eigentlich tun? Wie können wir mit Worten und Taten dazu beitragen, dass das nicht Auch Hongkong ist durch die britische Armee militä- weiter eskaliert? risch China abgepresst worden. Bei aller notwendigen Kritik an der chinesischen KP sagen ich: Es ist gut, dass Ich will abschließend einen Blick auf Hongkong wer- dieses koloniale Unrecht zu Ende ist. fen, weil ich schon den Eindruck habe, hier geht manches durcheinander. Dazu zählt unter anderem auch die Ver- Danke schön. mutung, dass China immer noch auf Hongkong angewie- (B) (D) (Beifall bei der LINKEN) sen sei. Das war vielleicht vor einigen Jahren so; da hatte Hongkong 20 Prozent des Bruttoinlandprodukts von Chi- na. Das hat sich mittlerweile dramatisch verändert: Hong- Vizepräsidentin Claudia Roth: kong hat noch 3 Prozent des Bruttoinlandprodukts von Vielen Dank, Stefan Liebich. – Nächster Redner: Frank China. Durch die Greater Bay Area, den Zusammen- Steffel für die CDU/CSU-Fraktion. schluss von Hongkong, Macao und neun chinesischen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Regionen, ist eine Riesenregion mit einem Schwerpunkt in Shenzhen auf dem chinesischen Festland entstanden. Frank Steffel (CDU/CSU): Das heißt, die Bedeutung von Hongkong hat abgenom- men. Ich sage uns auch politisch: Bedenke das Ende! Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank.- Ich finde es richtig, dass wir sehr intensiv Ich will Ihnen ganz kurz drei Zahlen nennen. Erste über die Menschenrechtsverletzungen in China-Festland Zahl: 80 Prozent der Wasserversorgung von Hongkong sprechen. Das meiste, was dazu gesagt wurde – mit Aus- kommen aus China. 50 Prozent der Touristen, von denen nahme der AfD, die das ja auf ihre Weise differenziert und Hongkong – gerade diejenigen, die weniger Geld verdie- anders gesehen hat als alle anderen –, finde ich auch nen – nicht zuletzt gut lebt, kommen aus China. Und wichtig und zutreffend. Ich fand auch die Darstellung 50 Prozent der Transporte im Hafen von Hongkong – von Ihnen, Herr Liebich, wohltuend differenziert und will der unglaublich wichtig ist für die Bedeutung von Hong- Herrn Trittin auch ausdrücklich recht geben, weil es aus kong, wie wir alle wissen – kommen ebenfalls aus China. Ihrem Munde, finde ich, besonders glaubwürdig ist, wenn Alle drei Ströme – Wasser, Transporte und Touristen – Sie zu Recht darauf hinweisen, dass wir bei den Demonst- könnte China relativ unkompliziert, mit einfachen Ent- ranten in Hongkong natürlich differenzieren müssen. scheidungen der kommunistischen Partei, stoppen – mit Das, was dort friedlich stattfindet, hat unsere volle Unter- all den Auswirkungen auf Hongkong, die wir wahr- stützung. Aber das, was gewalttätig ist, muss auch als scheinlich gemeinsam nicht wollen. Insofern empfehle gewalttätig beschrieben werden, und natürlich sind Be- ich uns, alles dafür zu tun, eine Eskalation in Hongkong setzungen von Flughäfen und Angriffe auf Geschäfte und zu vermeiden – der Stärkere wird im Zweifelsfalle China das Anzünden von Autos in jedem Land der Welt auch sein. von der jeweiligen Staatsführung zu unterbinden. Inso- fern muss man auch in Bezug auf Hongkong hier glaub- Das heißt, wir müssen überlegen: Was können wir tun? würdig bleiben und differenzieren. Ansonsten machen Es wurde angesprochen: Wir müssen schauen, dass die wir auch unsere Kritik an anderer Stelle damit nicht redli- Aufarbeitung stattfindet. Wir müssen zur Kenntnis neh- cher und nicht glaubwürdiger. men, dass – nach allem, was uns Gesprächspartner in 15418 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Frank Steffel (A) Hongkong sagen – die sozialen Probleme die wesentliche um einer Gehirnwäsche unterzogen zu werden. Es geht (C) Ursache für die Massenproteste sind. Und wir müssen nicht an, dass die Minderheiten der Uiguren und der Ka- auch ehrlich und konsequent sagen: Eine Unabhängigkeit sachen mit einer Totalüberwachung konfrontiert sind. Hongkongs zu fordern, ist mehr als unrealistisch. Das hat hier in der Debatte auch nicht stattgefunden. Mit einer Wir müssen feststellen, dass es keinen Raum für eine solchen Forderung – wenn wir den Eindruck erweckten, chinesische Öffentlichkeit gibt, die dieses Regierungs- es gäbe eine Chance für Hongkong, unabhängig zu wer- handeln anprangern könnte. Das chinesische System ist den – täten wir unseren Gesprächspartnern in Hongkong nicht in der Lage, solche schreienden Ungerechtigkeiten, keinen Gefallen. Hongkong hat große Chancen. Es sind solche Fehlentwicklungen innerhalb eigener gesellschaft- noch einige Jahre Zeit bis 2047. Wir sollten durch unser licher Strukturen zu korrigieren, weder auf der Ebene der Handeln und durch unser Reden dazu beitragen, diese Zivilgesellschaft noch auf der Regierungs- bzw. Füh- Chancen nicht dadurch noch schwieriger zu machen, in- rungsebene; denn das System der kollektiven Führung dem wir die chinesische Führung an Stellen kritisieren, gibt es nicht mehr. Das muss uns mit großer Sorge im wo Kritik nicht zutreffend ist. Dann ist unsere Kritik an Umgang mit China erfüllen. den Stellen, wo sie zutreffend ist, umso glaubwürdiger. Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Zeiten von Geo- Vielen Dank. economics ist die Trennung von Innen- und Außenpolitik nicht immer zielführend. Wir müssen heute im Hinblick (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) auf unser Verhältnis zu China und anderen außereuropäi- schen Mächten Wirtschaftspolitik, Außen- und Sicher- heitspolitik und Menschenrechte zusammendenken. Die Vizepräsidentin Claudia Roth: Menschheit ist durch Echtzeitkommunikation, durch Vielen Dank, Frank Steffel. – Nächster Redner: für die Wertschöpfungsketten, durch das weltweite Klima und SPD-Fraktion Metin Hakverdi. natürlich durch das Internet miteinander verwoben wie (Beifall bei der SPD) nie zuvor. Eine künftige europäische Außenpolitik muss diesem Umstand Rechnung tragen. Metin Hakverdi (SPD): Dazu gehört auch die digitale Souveränität Europas. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Wir müssen uns vor dem Import des digitalen Überwa- Kollegen! Deutschland wird im kommenden Jahr von Juli chungsstaates schützen. Deshalb müssen wir uns auf dem an die europäische Ratspräsidentschaft übernehmen. Feld der künstlichen Intelligenz bzw. der digitalen Infra- Richtig und wichtig ist das Vorhaben eines EU-China- struktur auf die Höhe der Zeit bringen. Diese Herausfor- Gipfels im kommenden Jahr in Leipzig. Wir unterstützen derung ist riesig, unser Rückstand erheblich. Wir sollten (B) (D) ausdrücklich das Ansinnen, die China-Politik zu einem hier größer und europäischer denken als bisher. Liebe Schwerpunkt der deutschen Ratspräsidentschaft zu ma- Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen ein Apollo-Pro- chen. Es ist höchste Zeit, unser Verhältnis zu China zu gramm in Sachen Technologieführerschaft in der digita- überprüfen und es an die Herausforderungen unseres len Infrastruktur. Der Airbus-Konzern erinnert uns: Jahrhunderts anzupassen; das zeigen die Anträge der Grü- Durch gezielte industriepolitische Zusammenarbeit auf nen, die heute vorliegen, das zeigt aber auch die Debatte europäischer Ebene besitzen wir heute einen vollwertigen um den 5G-Ausbau in unserem Land und die Beteiligung Global Player in der Luft- und Raumfahrt. Ein zukünft- von Huawei. iges 6G-Netz sollte von einem Konsortium europäischer Unternehmen aufgebaut werden. Das muss unser erklär- Die Welt hat sich verändert. Die Hoffnung eines Wan- tes Ziel sein. dels durch Annäherung hat sich im Falle Chinas nicht erfüllt. Heute ist China weder eine Demokratie noch eine Und natürlich müssen wir im Dialog mit China blei- soziale Marktwirtschaft. Die Volksrepublik ist zu einem ben – trotz oder gerade erst recht wegen aller Heraus- Systemrivalen geworden. Die Volksrepublik verkündet, forderungen. wirtschaftlich und technologisch die weltweite Führung Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. übernehmen zu wollen. Mit dieser Entwicklung muss un- sere Außenpolitik Schritt halten. Deshalb brauchen wir (Beifall bei der SPD) jetzt diese China-Debatte. Dafür müssen wir uns vergewissern, wo wir selbst als Vizepräsidentin Claudia Roth: Deutschland, als Europa, als Europäische Union hinwol- Vielen Dank, Metin Hakverdi. – Letzter Redner in die- len. Ein wesentlicher Baustein künftiger Außenpolitik be- ser Debatte: Sebastian Brehm für die CDU/CSU-Frak- trifft unsere Wirtschaftspolitik. Wir wollen unsere Wirt- tion. schaft ökologisch und sozial nachhaltig umbauen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wirtschaftliche Aktivitäten, (Beifall bei der CDU/CSU) die die Verletzung von Menschenrechten befördern oder unterstützen, passen nicht zum Selbstverständnis der Eu- Sebastian Brehm (CDU/CSU): ropäischen Union. Wir werden auch weiterhin sehr genau Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und die Entwicklung der Menschenrechtslage in China be- Kollegen! Schon in den letzten Monaten konnten wir über obachten. Die Lage der uigurischen Minderheit in China einen Teil dieser heute noch mal aufgerufenen Anträge im verheißt leider nichts Gutes. Es geht nicht an, dass circa Parlament sprechen, insbesondere über die schweren 1 Million Uiguren in Umerziehungslagern interniert sind, Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang und über Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15419

Sebastian Brehm (A) 30 Jahre Niederschlagung der friedlichen Proteste am Wenn wir aktuell nach Hongkong blicken, dann sind (C) Platz des Himmlischen Friedens in Peking. wir in großer Sorge. Wir stehen an der Seite der fried- lichen Demonstrantinnen und Demonstranten. Sie setzen Das Ausmaß an negativen Ereignissen in China steigt sich für freie Meinungsäußerung, für Versammlungsfrei- leider weiter an. Eine Meldung ist schlimmer als die an- heit und für Demokratie – die Grundzüge unseres Ge- dere – und das 70 Jahre nach der Verabschiedung der meinwesens – ein. Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen in Paris, und auch China hat diese (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. damals unterzeichnet. Margarete Bause [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und NEN]) Rechten geboren.“ So steht es in Artikel 1. Die Vereinten Viele sagen, wir dürften diese Maßstäbe nicht im Aus- Nationen haben damit jedem Menschen auf dieser Erde – land und schon gar nicht in China ansetzen. China ist unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Religion und so- einer der bedeutendsten Handelspartner – auch für die zialem Status – die gleichen Rechte und Freiheiten zuge- deutsche Wirtschaft. Sie wissen: Ich bin auch Steuer- sichert. Blicken wir auf die letzten 70 Jahre in China und Finanzpolitiker. Dass China ein bedeutender Han- zurück, so scheint es, dass diese Allgemeine Erklärung delspartner ist, ist unstrittig und sicherlich richtig. Be- der Menschenrechte bis heute keine große Rolle spielt. kanntlich entsteht Wandel durch Handel, und diesen Wan- 30 Jahre sind in der Zwischenzeit vergangen, seit die del durch Handel sollten wir unbedingt weiter fortsetzen. chinesische Regierung die friedlichen Proteste von meh- Aber ich bin auch überzeugter Menschenrechtler, und reren Tausend Studentinnen und Studenten am Platz des wir können die Menschenrechtsverletzungen in China Himmlischen Friedens in Peking brutal niederschlug. Bis nicht einfach so hinnehmen; wir dürfen da nicht wegse- heute ist die genaue Zahl der Toten nicht geklärt, und bis hen, meine lieben Damen und Herren. heute befinden sich diejenigen, die daran friedlich betei- ligt waren, zum Teil unter fortdauerndem Hausarrest und (Beifall bei der CDU/CSU) unter Beobachtung. Alle Informationen sind in China ver- Deshalb müssen wir diese Punkte immer wieder anspre- schwunden; eine Aufarbeitung dieser Menschenrechts- chen. verletzungen findet nicht statt. Ebenso dauern seit Jahrzehnten die ethnischen Span- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: nungen in der autonomen Region Xinjiang im Nordwes- Kommen Sie bitte zum Ende. ten Chinas an. Die Rechte der muslimischen Minderheit, der Uiguren, der muslimischen Kasachen und der Tibeter (B) Sebastian Brehm (CDU/CSU): (D) werden von der chinesischen Regierung mit Füßen ge- treten. Über 1 Million Menschen – überwiegend Musli- Deshalb müssen wir auch immer wieder auf die Miss- me – werden in sogenannten Umerziehungslagern in Xin- stände hinweisen. jiang interniert. Das ist ein nicht hinnehmbarer Zustand, Anders als die AfD, die heute gesagt hat, es bestehe liebe Kolleginnen und Kollegen. überhaupt kein Grund, hier einzugreifen, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Übel! neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Kein Wort von Menschenrechtsverletzungen!) GRÜNEN) sage ich: Es besteht Grund, hier einzugreifen! Wir müssen Ich sage das auch als aktiver Christ mit großem Be- hier handeln. Es werden schwere Menschenrechtsverlet- dauern: Seit 2018 ist ein verschärftes Vorgehen vor allem zungen begangen. Deswegen müssen wir was tun, und gegen Christen zu beobachten. Allein im vergangenen deswegen werden wir das auch immer wieder anspre- Jahr sollen laut Nichtregierungsorganisationen mehr als chen. 10 000 Christen verhaftet worden sein. Herzlichen Dank. Berichte von Amnesty International und Human Rights Watch über einen systematischen Ausbau der Überwa- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- chung ergänzen das schlimme aktuelle Bild. neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Es ist dramatisch!) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Die Regierung hat sogenannte Sicherheitsgesetze verab- Ich schließe die Aussprache. schiedet, die Verhaftungen, Hausarrest, Folter und Ver- schwindenlassen ohne Gerichtsverfahren ermöglichen – Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf nach unserem Rechtsstaatsverständnis undenkbar. Drucksache 19/14823 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- Menschenrechtler werden verfolgt und gefoltert. Al- verstanden? – Das ist der Fall. Dann verfahren wir so. lein im vergangenen Jahr wurden laut Amnesty Interna- tional 321 Menschenrechtler in China ermordet. China Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus- lässt zudem nach einem Bericht des Auswärtigen Amtes ses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zum Antrag jährlich mehr zum Tode verurteilte Personen hinrichten der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel als alle anderen Staaten zusammen. „Schwere Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang be- 15420 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) enden, aufklären und ahnden“. Der Ausschuss empfiehlt (Beifall bei der SPD – Dr. Stefan Ruppert (C) in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/7294, [FDP]: Dass uns noch mal ein Minister im Ple- den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf num beehrt!) Drucksache 19/5544 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind SPD, CDU/CSU und Hubertus Heil , Bundesminister für Arbeit und Sozia- AfD. Gegenstimmen? – Die Grünen sowie die FDP. – les: Enthaltungen? – Die Linke. Damit ist die Beschlussemp- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und fehlung angenommen. Kollegen! Der Deutsche Bundestag berät an diesem Beschlussempfehlung des Ausschusses für Menschen- Abend aus meiner Sicht zwei wichtige Gesetze, die mit rechte und humanitäre Hilfe zum Antrag der Fraktion der Frage zu tun haben, wie menschlich unsere Gesell- Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „30 Jahre Nieder- schaft am Ende des Tages sein wird. schlagung der friedlichen Proteste am Platz des Himmli- Später am Abend werden wir über das Soziale Ent- schen Friedens – Für eine umfassende Aufarbeitung und schädigungsrecht sprechen. Dabei geht es um die Frage, die Achtung der Bürger- und Menschenrechte“. Der Aus- wie die Gesellschaft mit Opfern von Gewalttaten und An- schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf schlägen umgeht, wie wir Menschen helfen, die Opfer Drucksache 19/14277, den Antrag der Fraktion Bünd- geworden sind. Dazu wird nachher Staatssekretärin nis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/10222 abzulehnen. Kerstin Griese sprechen, weil sie das mutmaßlich am Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind meisten verhandelt hat. wieder SPD, CDU/CSU sowie die AfD. Gegenprobe! – Die Grünen und die FDP. Enthaltungen? – Die Linke. Die Aber jetzt geht es um ein Gesetz, das ebenso über die Beschlussempfehlung ist damit angenommen. Menschlichkeit unserer Gesellschaft entscheidet. Es geht nämlich um die Frage, wie wir in dieser älter werdenden Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 a und 16 b auf: Gesellschaft mit dem Thema Pflege umgehen. a) – Zweite und dritte Beratung des von der Ja, dabei geht es um die zu pflegenden Menschen, und Bundesregierung eingebrachten Entwurfs deshalb war es richtig, dass der frühere Gesundheitsmi- eines Gesetzes zur Entlastung unter- nister Hermann Gröhe – ich möchte ihn ansprechen – in haltsverpflichteter Angehöriger in der der letzten Legislaturperiode mit dem Gesetz zur Pflege- Sozialhilfe und in der Eingliederungs- reform dafür gesorgt hat, dass Menschen, die pflegebe- hilfe (Angehörigen-Entlastungsgesetz) dürftig sind, über die Pflegeversicherung besser versorgt werden. Die Pflegegrade und auch die Leistungen für (B) Drucksachen 19/13399, 19/14384, 19/ demenziell erkrankte Menschen sind wichtig. (D) 14495 Nr. 4 Es geht dabei auch um die Menschen, die professionell Beschlussempfehlung und Bericht des in der Pflege arbeiten, die dieser Deutsche Bundestag mit Ausschusses für Arbeit und Soziales dem Gesetz für bessere Löhne in der Pflege unterstützt, (11. Ausschuss) weil wir bessere Löhne und Arbeitsbedingungen für die Menschen brauchen, die in der Pflege arbeiten. Drucksache 19/14868 Aber, meine Damen und Herren, heute Abend geht es – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- um die Angehörigen von zu pflegenden Menschen. Jeder, schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung der selbst schon mal erlebt hat – und jeder von uns kann es Drucksache 19/14869 erleben –, dass ein geliebter Mensch ein Pflegefall wird und versorgt werden muss, der weiß, was das emotional b) Beratung der Beschlussempfehlung und des für viele Familien bedeutet, der weiß, was es organisato- Berichts des Ausschusses für Arbeit und So- risch bedeutet, wenn man sich kümmern muss, und der ziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Ab- weiß, dass wir diesen Menschen Lasten von den geordneten Corinna Rüffer, Anja Hajduk, Schultern nehmen müssen. Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und Da die gesetzliche Pflegeversicherung keine Pflege- der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vollsicherung mit Pflegevollkasko ist – das wird sie auch 10 Jahre UN-Behindertenrechtskonven- in kürzerer Zeit nicht sein –, ist es ganz oft so, dass Men- tion in Deutschland – 10 Punkte für ein schen, die pflegebedürftig werden, ergänzende Hilfe zur selbstbestimmtes Leben Pflege vom Amt brauchen. Das Problem ist nur, dass es einen Unterhaltsrückgriff auf die Kinder gibt. Drucksachen 19/8288, 19/14868 Wenn man sich vergegenwärtigt, dass es für viele Fa- Interfraktionell sind 38 Minuten für die Aussprache milien emotional belastend ist, wenn Angehörige pflege- vereinbart. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das bedürftig werden, dass es organisatorisch anstrengend ist, so beschlossen. dass es oft Menschen sind, die in der Mitte des Lebens stehen, die arbeiten, die vielleicht noch Kinder erziehen, Ich eröffne die Aussprache, und der erste Redner ist der dann weiß man: Es ist unsere verdammte Pflicht und Bundesminister Hubertus Heil. Herr Minister, Sie haben Schuldigkeit, diesen Menschen jedenfalls unkalkulierba- das Wort. re finanzielle Risiken beim Unterhaltsrückgriff von den Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15421

Bundesminister Hubertus Heil (A) Schultern zu nehmen, und das machen wir heute, meine fraktionen um Unterstützung dieses Gesetzes bitten. Das (C) Damen und Herren. ist ein wichtiger Schritt. Und ehrlich gesagt, hätte diese Debatte auch eine andere Tageszeit vertragen, damit die (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Menschen wissen, was wir in diesem Land machen. Das LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜND- ist ein Arbeitsparlament. Es ist anstrengend, hier mitzu- NISSES 90/DIE GRÜNEN) machen. Aber wir leisten heute einen Beitrag, das Leben Mit dem vorliegenden Gesetz stellen wir Menschen mit von Menschen konkret zu verbessern, und das ist auch einem Jahreseinkommen von weniger als 100 000 Euro – unsere Aufgabe. und das ist immer noch die Mehrheit in diesem Land, Herzlichen Dank. auch wenn man manchmal das Gefühl vermittelt be- kommt: in unserem Land leben nur noch Menschen, die (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Millionenvillen besitzen – von dem Unterhaltsrückgriff auf die Kinder frei. Ich finde es gut, dass es im Rahmen Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: der Gesetzgebung auch gelungen ist, dass wir das nicht nur wirkungsgleich auf die Situation von Eltern von Kin- Vielen Dank, Herr Minister. – Das Wort hat für die dern mit Behinderung übertragen, sondern dass wir diese AfD-Fraktion der Kollege Jürgen Pohl. vollständig vom Unterhaltsrückgriff entlasten. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Hermann Jürgen Pohl (AfD): Gröhe [CDU/CSU]) Herr Präsident! Verehrte Kollegen! Sehr geehrte Da- Auch das ist ein Beitrag dazu, das Leben für die Men- men und Herren an den Geräten! Die Anhörung der Sach- schen leichter zu machen. verständigen und die Sitzung im Ausschuss haben erge- ben, dass das Angehörigen-Entlastungsgesetz ein großer Ich möchte mich bei diesem Parlament bedanken, dass Wurf zur Entlastung der Kranken und Pflegebedürftigen die parlamentarischen Beratungen zu diesem wichtigen und ihrer Kinder hätte werden können. Herausgekommen Gesetz zügig stattgefunden haben; denn die Menschen ist jedoch eine rechtliche Regelung, der es an vielem warten auf dieses Signal. Ich antizipiere mal, dass in mangelt. Richtig ist, Herr Minister – das unterstreiche der parlamentarischen Debatte, die jetzt noch folgen wird, ich genauso wie Sie –: Es darf durch die Pflege kein die einen oder anderen sagen: Ja, aber ihr müsst insgesamt Pflegebedürftiger und kein Angehöriger zum Sozialfall was dafür tun, dass die Eigenanteile in der Pflege bei- werden. Das muss ehernes Ziel unserer Gesellschaft sein. spielsweise zukünftig gedeckelt werden. – Da sind wir ganz ihrer Meinung; das ist auch Teil der Konzertierten (B) (Beifall bei der AfD) (D) Aktion Pflege. Das werden wir im nächsten Jahr auch zu besprechen haben. Aber dass wir mit dem Angehörigen- Aber – ein großes Aber – stattdessen machen Sie mit Entlastungsgesetz einen wesentlichen Schritt machen diesem Gesetz die Kommunen zum Sozialfall unserer können, um Menschen das Leben einfacher zu machen, Gesellschaft; dazu komme ich später. Ein Blick in die um einen Beitrag zur Menschlichkeit bis in die Mitte der Nachbarländer zeigt, dass die angedachte rechtliche Re- Gesellschaft zu leisten, ist eine große Chance, meine Da- gelung eine massive Steigerung der stationären Pflege- men und Herren, die wir heute Abend nutzen sollten. leistungen hervorbringen wird, und zwar bis zu 25 Pro- zent. Diese Steigerung wird zu verschiedenen Problemen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten führen. der CDU/CSU) Erstens. Die Vorrangigkeit der ambulanten Pflege – das In diesem Gesetz gibt es noch weitere Maßnahmen, die heißt, unsere Eltern dürfen in gewohnter Umgebung, zu vor allen Dingen mit dem Thema Inklusion zu tun haben, Hause in Würde altern – wird durch dieses Gesetz kon- mit der gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit terkariert; denn dieses Gesetz bevorzugt die ambulante Behinderung. Ich bin froh, dass es gelungen ist, die un- häusliche Pflege nicht. Es bevorzugt die stationäre Pflege. abhängige ergänzende Teilhabeberatung für Menschen Dabei ist es gerade die häusliche Pflege, verbunden mit mit Behinderung, die wir im BTHG auf den Weg gebracht der Liebe zu unseren Eltern, die unserer Gesellschaft ih- haben, jetzt dauerhaft zu entfristen. Damit Menschen, die ren humanen Rückhalt gibt. Das ist entscheidend. Unterstützung brauchen, dass sie ein gleichberechtigter Teil dieser Gesellschaft sein und am Leben teilhaben kön- (Beifall bei der AfD) nen, ohne große Schwellen diese Unterstützung bekom- Warum wir den Vorrang der ambulanten Pflege verlas- men – rechtskreisübergreifend –, von Menschen, die zum sen, wenigstens wirtschaftlich verlassen, das bleibt bisher Teil selbst Menschen mit Behinderung sind, die sich aus- völlig im Dunkeln. Gerade die Kinder dieser Eltern, die kennen. Ich finde es auch gut, dass wir mit diesem Gesetz zu Hause bleiben, tragen die Hauptlast der Pflege und neben dem Budget für Arbeit, das Teil der Inklusion ist hätten es verdient, von der Gesellschaft anerkannt und auf dem ersten Arbeitsmarkt, auch ein Budget für Aus- besser gefördert zu werden. bildung schaffen, meine Damen und Herren. (Beifall des Abg. Stephan Brandner [AfD]) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Aber es gibt noch ein zweites großes Problem. Wir Bei allem, was man sich sonst noch wünschen kann, wissen es, die Kommunen sagen es: Unter der Last der möchte ich den Koalitionsfraktionen ganz herzlich für die Finanzierung dieses Gesetzes werden viele Kommunen Unterstützung danken. Und ich möchte die Oppositions- zusammenbrechen. 15422 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Jürgen Pohl (A) (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (C) ist ja lächerlich!) ordneten der SPD) Der Gesetzentwurf rechnet mit Kosten für den Bund von Im Ausschuss ist er sogar noch weitergegangen und hat circa 24 Millionen Euro. Machbar. Den Kommunen wer- gesagt, die ambulante Pflege sei von dem Angehörigen- den 300 Millionen Euro aufgelastet. Im Rahmen der An- Entlastungsgesetz gar nicht erfasst. Auch das stimmt hörung sprachen die Sachverständigen von Kosten von nicht, weil wir hier im Rahmen der Hilfe zur Pflege so- rund einer halben Milliarde Euro, und das zu Anfang. wohl die ambulante als auch die stationäre Pflege meinen. Wenn die Kommunen dann pleite sind, haben wir neben Und das ist im Gesetz ausdrücklich so erwähnt. der Pflege die nächste große Herausforderung in unserer Gesellschaft, das nächste große Problem. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Eine Bevorteilung kann ich hier nicht sehen. Das weisen Drittens. Wir müssen uns folgendem Problem stellen: wir an dieser Stelle auch ausdrücklich zurück, da wir die Bei einem Aufwuchs des Bedarfes der stationären Pflege, ambulante Pflege als wesentlichen Teil der Pflege für verbunden mit dem Altern unserer Gesellschaft, müssen notwendig halten. wir uns fragen: Wo sind die Pflegekräfte, die wir dann brauchen? Wo sind die Heime, die Heimplätze, die wir Zur angesprochenen Thematik der finanziellen Belas- brauchen? Wer trägt die Kosten dieser notwendigen In- tung der Kommunen. Ja, es ist richtig, dass die Kommu- vestitionen? Das sind die Fragen, die heute auch anste- nen diese Kosten zu tragen haben. Aber ich weise auch hen, wenn wir über dieses große Gesetz sprechen wollen. darauf hin, dass wir im Ausschuss gerade übereingekom- men sind, dass wir eine wissenschaftliche Evaluation bis In einer Gesamtschau sieht es wie folgt aus: Es wird die 2025 anstreben, in der wir uns die Entwicklung dieser ambulante Pflege de facto mal wieder außen vor gelassen. Kosten ganz genau anschauen werden. Wenn es nötig Es gibt eine Einkommensgrenze, die völlig unflexibel ist ist, wird da entsprechend nachjustiert. Ich will auch da- und kein Vermögen berücksichtigt. Da werden Unge- rauf hinweisen, dass wir in der jüngsten Vergangenheit, rechtigkeiten bei der Bewertung von Einkommen bei Be- insbesondere in der letzten Legislaturperiode, die Kom- amten und Selbstständigen zugelassen. Da wird ein Ge- munen massiv finanziell entlastet haben. Und wenn es an setz vorgelegt, ohne dass die Finanzierung steht. Auch dieser Stelle wieder nötig ist, werden wir das auch tun und wenn das Thema viel zu ernst ist, ich muss es sagen: Hier uns dafür einsetzen. wird einfach ins Blaue hinein eines Ihrer Gute-Laune- Gesetze verabschiedet. Ich sage Ihnen: Um die Realität (Beifall der Abg. Angelika Glöckner [SPD]) müssen sich dann irgendwelche anderen kümmern. Ein weiterer Punkt, der wichtig ist, ist die Entfristung (B) Wir sind der Meinung: Setzen Sie sich noch einmal hin, der Mittel zur Ergänzenden unabhängigen Teilhabebera- (D) machen Sie Ihre Hausaufgaben, kümmern Sie sich um die tung. In der jüngsten Vergangenheit wurde in meinem Finanzierung und um die Ausgestaltung! Bis dahin kön- Wahlkreis eine entsprechende Stelle der EUTB eingerich- nen wir diesem Gesetzentwurf in dieser Form nicht zu- tet. Sie ist ein wesentlicher Baustein des Bundesteilhabe- stimmen. Wir werden uns enthalten. gesetzes, damit man im Rahmen der gesamten Förder- programme, die es gibt, einen Kompass hat und richtig Danke schön. beraten wird. (Beifall bei der AfD) Ein wichtiger Punkt, den wir im Rahmen der parlamen- tarischen Beratungen aufgenommen haben, ist die Ergän- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: zung des § 134 Absatz 4 SGB IX. Es geht dabei um die Der nächste Redner: für die CDU/CSU-Fraktion der Thematik der Personenzentrierung und insbesondere um Kollege Wilfried Oellers. Minderjährige, die in Wohngruppen leben. Hier hätten wir nach dem Bundesteilhabegesetz wahrscheinlich die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Situation – so ist es uns auch von vielen Sachverständigen ordneten der SPD) bestätigt worden –, dass die Minderjährigen mit Eintritt der Volljährigkeit in ein anderes System kommen und Wilfried Oellers (CDU/CSU): dann nicht mehr in Wohngruppen untergebracht sein Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und könnten. Um gerade diesen wichtigen Bereich des Über- Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir gangs zur Volljährigkeit, in dem bestimmte Lebensab- beraten heute das Angehörigen-Entlastungsgesetz und schnitte, zum Beispiel eine Ausbildung, beendet werden, damit ein Gesetzespaket, mit dem im ersten Punkt die keine Unruhe in das Leben der jungen Menschen zu brin- Angehörigen von zu pflegenden Personen sehr stark ent- gen, war es uns wichtig, diesen Bereich des Übergangs lastet werden. Die Einkommensgrenze von 100 000 Euro zur Volljährigkeit fließend zu gestalten, sodass, wenn ein brutto im Jahr wurde schon genannt. Den Worten von Minderjähriger in einer Wohngruppe volljährig wird, der Minister Heil kann ich mich nur anschließen, was die Übergang in das nächste System in einem Zeitraum von Umschreibung der gesamten Thematik betrifft. drei Jahren erfolgen kann. Voraussetzung ist hierbei na- türlich, dass die Jugendlichen ununterbrochen in den Ich möchte in diesem Zusammenhang auf zwei Punkte Wohngruppen gelebt haben. eingehen, die mir wichtig sind. Herr Pohl hat gerade ge- schildert, dass – angeblich – die stationäre Pflege gegen- Ein ganz besonderer Teil ist das Budget für Ausbil- über der ambulanten Pflege bevorteilt werden soll. Das ist dung. Das ist uns gerade als Ergänzung zum bereits be- nicht der Fall. schlossenen Budget für Arbeit ganz wichtig. Wir ziehen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15423

Wilfried Oellers (A) hier eine logische Konsequenz und sorgen dafür, dass die (Beifall bei der FDP sowie des Abg. (C) Jugendlichen mit einer Beeinträchtigung finanziell unter- Dr. Matthias Bartke [SPD]) stützt werden und auch auf dem ersten Arbeitsmarkt eine Es muss ein Ende haben, dass Menschen, die sich lange Ausbildung absolvieren können. Zeit um ihre Angehörigen gekümmert haben, dann, wenn (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- eine stationäre Versorgung oder eine ambulante Unter- NEN]: Dann dürfen die Hürden aber nicht so stützung durch Pflegedienste erforderlich wird, Angst hoch sein!) um die eigene finanzielle Existenz haben müssen. Wir hätten uns im parlamentarischen Verfahren ge- (Reinhard Houben [FDP]: So ist es!) wünscht, dass wir den Anwendungsbereich etwas weiter hätten fassen können. Ich hatte das auch in meiner Rede Das betrifft sowohl Menschen in Pflegeeinrichtungen als zur ersten Lesung erwähnt; aber wir mussten im Rahmen auch Menschen mit Behinderung in Einrichtungen der des parlamentarischen Verfahrens feststellen, dass das Eingliederungshilfe. Wie gesagt, wir unterstützen das nicht ganz so einfach ist. Deswegen sind wir übereinge- ausdrücklich. kommen, dass wir diese Fragen sofort im Anschluss an Aber: Besser wäre es, nicht nur dieses Gesetz zu ver- dieses Gesetzgebungsverfahren noch mal in Ruhe debat- abschieden, sondern auch die Finanzverantwortung dort- tieren werden und auch einen entsprechenden Ergän- hin zu legen, wo das Gesetz verabschiedet wird. Diese zungsgesetzentwurf einbringen werden, der den Perso- Finanzlast den Kommunen aufzubürden, ist grundfalsch, nenkreis insbesondere auf diejenigen ausweitet, die in den Werkstätten tätig sind. Personen, die auf dem ersten (Beifall bei der FDP) Arbeitsmarkt tätig waren, sollen, wenn sie in eine Werk- weil es sich um eine nationale Aufgabe handelt, für die statt kommen, auf das Budget für Ausbildung zurückgrei- der Bund die Verantwortung tragen muss. Es ist auch fen können. deswegen falsch, weil wir die Kommunen bereits durch andere Gesetzgebungsvorhaben, beispielsweise im Be- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: reich des Bundesteilhabegesetzes, stark belastet haben. Kommen Sie bitte zum Ende. Ich bin mir aber sicher, dass über den Umweg des Ver- mittlungsausschusses auch dieses Gesetz noch eine Ver- Wilfried Oellers (CDU/CSU): besserung erfahren wird. Sofort, Herr Präsident. – Die Zusammenarbeit der (Pascal Kober [FDP]: Schade, dass es diesen Träger der Eingliederungshilfe mit der BA soll besser braucht! – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/ (B) gestaltet werden. Insbesondere soll direkt anschließend CSU]: Bestimmt nicht!) (D) an das Budget für Ausbildung ein Budget für Arbeit mög- lich sein. Ich komme damit zu den weiteren inhaltlichen Punk- ten. Die Bundesregierung repariert mit diesem Gesetz weitere lange bekannte offene Baustellen im Bereich Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: des SGB IX-neu endlich; aber sie verpasst mit diesem Herr Kollege. letzten Gesetz, das zum 1. Januar 2020 Rechtswirksam- keit erlangen wird, auch die Gelegenheit, eine ganze Rei- (Stephan Brandner [AfD]: Die Zeit ist um! he weiterer offener Baustellen zu beseitigen. Die massi- Schon lange!) ven Verwerfungen, die zum 1. Januar 2020 drohen, sehr geehrter Herr Bundesminister Heil, werden damit in Wilfried Oellers (CDU/CSU): großen Teilen nicht adressiert. Dieser Übergang soll einfach, unkompliziert und un- bürokratisch erfolgen. Das sind Dinge, die wir hier noch Was geschieht mit den Menschen, die zum 1. Januar angehen wollen. 2020 keinen Antrag – keinen weiteren Antrag – auf Grundsicherung gestellt haben? Was passiert, wenn sie Herzlichen Dank. das möglicherweise im Februar oder März auch noch (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- nicht getan haben, in der Systematik unseres Sozial- ordneten der SPD) rechts? Wann wird den Einrichtungen endlich rechtssi- cher vorgelegt, welche Flächen, welche Dienstleistungen und welche Tätigkeiten der Eingliederungshilfe nach dem Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: SGB IX zuzuordnen sind und welche der Existenzsiche- Der Kollege Jens Beeck ist der nächste Redner für die rung nach dem SGB XII? Bis heute ist das an vielen FDP-Fraktion. Stellen unklar. (Beifall bei der FDP) Sie adressieren bis heute nicht die Sorgen der Betroffe- nen und der ehrenamtlichen und hauptamtlichen Jens Beeck (FDP): Betreuer, die immer noch nicht wissen, wie die Heraus- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- forderungen der vielen erforderlichen neuen Vertrags- ren! Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste des Hauses! schlüsse zum 1. Januar 2020 und wie die Begleitung im Kernstück des Gesetzes ist die Entlastung von Angehöri- Rahmen der Teilhabe- und Gesamtplanverfahren von gen mit einem Jahreseinkommen von bis zu 100 000 Euro. ihnen eigentlich bewältigt werden sollen – mit der Folge, Die Freien Demokraten begrüßen das ausdrücklich. dass unsere Familiengerichte reihenweise Kündigungen 15424 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Jens Beeck (A) von gerichtlich bestellten Betreuungen zum 31. Dezember Einige Beispiele: Erstens. Ja, Sie heben die Grenze für (C) dieses Jahres haben. Auch das ist nicht gelöst. den Unterhaltsrückgriff auf 100 000 Euro an. Und das ist gut. Aber Sie heben sie nicht auf, so wie man das in den Heute Nachmittag haben Sie die Chance verpasst, in Niederlanden oder in Österreich getan hat. Die Grund- der umsatzsteuerrechtlichen Frage zu verhindern, dass satzdebatte über den Elternunterhalt, die seit 2014 ernst- Mittagessen in den Einrichtungen der Eingliederungshil- haft gefordert wird, fällt wieder aus. Und das ist schlecht. fe nicht nur unterschieden werden müssen nach Einkauf von Ware und Zubereitung von Essen. (Beifall bei der LINKEN) (Christian Dürr [FDP]: Ja, das stimmt!) Und das, obwohl wir über ein Prinzip aus dem Jahr 1900 reden! Das ist so, als würde immer noch gelten, dass Das eine ist SGB XII, das andere ist SGB IX. Vielmehr Blutsbande und der Zufall der Geburt mehr Bedeutung soll der eine Teil, der dem SGB XII zugeordnet ist, jetzt hätten als gelebte Werte. auch noch umsatzsteuerveranlagt werden. Zweitens. Sie entlasten Angehörige, aber nicht die Be- Auch das kann ja nicht Ihr Ernst sein. troffenen mit Beeinträchtigungen. Weder werden die (Beifall bei der FDP) Pflegekosten für alle Menschen mit Pflegebedarf solida- risch und vollumfänglich finanziert, noch wird die Gren- Keine dieser Fragen haben Sie geklärt. Die Situation in ze für den Unterhaltsrückgriff für die Menschen mit Be- den Ländern ist ebenso konfus, weil das Gesetz so kom- hinderungen selbst ebenfalls auf 100 000 Euro pliziert ist. Deswegen ist das alles nicht der große Wurf. angehoben. Und das ist schlecht. Dabei wäre das immer- (Pascal Kober [FDP]: Ein ganz kleiner Wurf!) hin ein Übergangsschritt hin zu einkommens- und ver- mögensunabhängigen Leistungen. Sie, Herr Bundesminister, haben das Budget für Aus- bildung angesprochen. Auch das unterstützen wir aus- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- drücklich, aber Sie bilden es im Grunde dem Budget für neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Arbeit nach, das älter ist und von dem wir wissen, Herr Und es bleibt leider dabei. Durch dieses Gesetz wird es Kollege Oellers, dass es nicht funktioniert. Sie haben ge- keinen einzigen Menschen weniger geben, der Sozialhilfe rade gesagt, Sie wollten da nachbessern. Das ist im beantragen muss. Grundsatz und in der Sache löblich. Nur, nachdem Sie im Koalitionsvertrag vereinbart haben, das Budget für Drittens. Sie entlasten schätzungsweise 30 000 Angehö- Arbeit einzuführen, in dieser Wahlperiode zweimal einen rige im Rahmen der Hilfe zur Pflege; aber die mehr als Anlauf unternommen und es nicht hinbekommen haben, 3 Millionen pflegenden Angehörigen warten weiter auf (B) ist es auch keine so ganz große Leistung, dass Sie jetzt soziale Sicherung. Und das ist schlecht. (D) selbst sagen müssten, Sie müssen an der Stelle noch ein- Sie entlasten, viertens, pflegende Eltern volljähriger mal nachbessern. Kinder mit Behinderungen. Gut. Die pflegenden Eltern Ich komme zum Ende, Herr Präsident. Das Gesetz hat minderjähriger Kinder dagegen entlasten Sie nicht. ein paar richtige Ansätze, aber ganz viele Dinge lösen Sie Schlecht. leider nach wie vor nicht. Damit gilt das, was bei Ge- setzen, die Sie für Menschen mit Behinderung machen, (Dr. Matthias Bartke [SPD]: Falsche Rede!) häufig gilt. Sie haben den richtigen Willen, Artikel 3 Ab- Denn Sie wissen um die Gefahr: Das würde die Heran- satz 3 Satz 2 Grundgesetz und die Behindertenrechtskon- ziehung von Einkommen und Vermögen in der Einglie- vention gemeinsam umzusetzen, aber es fehlt Ihnen an derungshilfe grundsätzlich kippen. Nicht einmal die Mi- der richtigen Methodik, das auch so zu tun, dass das bei nimalvorschläge aus der Anhörung für diese Eltern – den Menschen ankommt. Das ist schade. Deswegen ist mehr Kinderkrankentage oder längerer Elterngeldbezug – das Gesetz nicht zustimmungsfähig. greift Ihr Gesetzentwurf auf. Herzlichen Dank. Fünftens. Ja, Sie schaffen ein Budget für Ausbildung, aber Sie fassen den berechtigten Personenkreis viel zu (Beifall bei der FDP) eng. Diese Leistung muss unseres Erachtens beispiels- weise wegen der Inklusionsverpflichtung der UN-Behin- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: dertenrechtskonvention schon vor dem Eintritt in eine Der nächste Redner ist für die Fraktion Die Linke der Werkstatt greifen. Kollege . (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. (Beifall bei der LINKEN) Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]) Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Sechstens. Sie entfristen die Ergänzende unabhängige Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- Teilhabeberatung, aber Sie dynamisieren die Leistungs- ren! „Alles wird besser, aber nichts wird gut“, sang Ta- beträge für dieses Erfolgsmodell nicht, und Sie senken die mara Danz von der DDR-Rockband Silly. Irgendwie gilt ursprünglich vorgesehene Finanzierung sogar ab. Das ist das auch für das Angehörigen-Entlastungsgesetz; denn ganz schlecht. jede Regelung in diesem Gesetzentwurf hat eine weiße und eine schwarze Seite. Doch die Seiten sind nicht im (Beifall bei der LINKEN – Angelika Glöckner Gleichgewicht – leider. [SPD]: Wir erhöhen!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15425

Matthias W. Birkwald (A) Siebtens. Mehr Menschen werden ihr Recht auf Sozial- behinderter Kinder. Da hat eine Sachverständige geschil- (C) hilfe auch nutzen. Das ist nur gerecht. Aber auch die dert, wie das so ist, wenn man Kinder zu pflegen hat, die Nachfrage nach professionellen Pflegeleistungen wird behindert sind: Man muss sie medizinisch versorgen. wachsen, auch durch dieses Gesetz. Doch bei den Kosten Man muss ihnen das Essen reichen. Man kann nachts dafür mauert die Regierung und rechnet klein. Das Risiko nicht schlafen, weil man sie umbetten muss. Man muss dafür sollen die Kommunen tragen, und wenn sie das die Therapien sicherstellen, und man muss tagsüber da- nicht können, bleiben nur private Investitionen. Dabei rum kämpfen, dass die Therapien weitergehen und dass könnten Sie, meine Damen und Herren, über eine Vermö- das finanziert wird, was diese Kinder zum Leben brau- gensteuer Reiche endlich wirklich in die Verantwortung chen. Das ist natürlich belastend, das ist eine Knochen- nehmen. Das wäre einmal ein guter Anfang. arbeit, und es hindert viele Menschen daran, einer Er- werbsarbeit nachzugehen. Wer die finanziellen Folgen (Beifall bei der LINKEN – Christian Dürr zu tragen hat, das können wir uns alle vorstellen. Es sind [FDP]: Das ist aber schlecht!) trotz all der liebenden Väter, die das auch tun, in aller- Nicht einmal die vom Bundesrat geforderte Kosteneva- erster Linie die Mütter, die das zu zahlen haben, die die- luation wird kommen. sen Aufwand zu betreiben haben. Achtens. Sie setzen den Koalitionsvertrag um, aber die Ich weiß, liebe Kolleginnen und Kollegen von der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Be- Union, dass Sie das auch sehen. Sie haben vor einiger hinderungen setzen Sie nicht um. Und eine bedarfsde- Zeit ein Papier vorgelegt, in dem Sie Vorschläge gemacht ckende Pflegefinanzierung führen Sie auch nicht ein. Da- haben, diese solidarische Entlastung für Familien zu er- bei wäre die dringend nötig. bringen. Wir hoffen, dass wir in diesen Prozess der Dis- kussion miteinander einsteigen können, auch vor der De- Alle, auch wir Linken, wollen unterhaltsverpflichtete batte, die wir führen um die Frage der Ausweitung der Töchter und Söhne sofort und wirksam entlasten, aber Pränataldiagnostik. Ich finde, es ist eine ganz existenz- nicht nur diese. Das allein ist nämlich zu wenig. Wieder ielle Frage für unsere Gesellschaft, wie wir als Menschen verpassen oder verbauen Sie eine Chance, etwas gut zu miteinander in Zukunft zusammenleben wollen. machen. Sie regeln immer nur das Nötigste, immer nur ein Stück und immer nur für kleine Gruppen. Es fehlt der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- Entwurf für alle Betroffenen, für alle Menschen mit Pfle- wie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LIN- gebedarf, für alle pflegenden Angehörigen und für alle KE]) Menschen mit Behinderung. Deshalb wird sich Die Linke bei diesem Gesetz enthalten. Wir sollten uns auch mit der Situation erwachsener (B) behinderter Menschen beschäftigen, die einer Erwerbs- (D) (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: tätigkeit nachgehen, weil für die nämlich ganz andere Toll!) Grenzen gelten. Für die gilt nicht eine Grenze von Dem Grünenantrag stimmen wir zu, weil da vieles drins- 100 000 Euro, sondern nach derzeitigem Stand eine Gren- teht, was wir selber fordern. Insofern: Schönen Abend ze von 30 000 Euro. Das sind Leute, die in der Regel nicht noch! nur in einer bestimmten Lebensphase auf Pflege und auf Unterstützung, auf Assistenz angewiesen sind, sondern Danke schön. ein ganzes Leben lang. Auch dazu haben wir in der An- hörung am Montag Erhellendes gehört, so zum Beispiel: (Beifall bei der LINKEN) Wenn der Gesetzgeber schon nicht einkommens- und ver- mögensunabhängige Teilhabeleistungen anbietet, dann Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: möge er doch bitte eine einheitliche Einkommensgrenze, Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort die Kollegin und zwar für alle – für Angehörige, für Eltern und eben Corinna Rüffer. Menschen mit Behinderungen –, einziehen. Das wäre mindestens geboten auf dem Weg dahin, diese Anrech- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nung von Einkommen und Vermögen gänzlich zu strei- chen. Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Einen schönen guten Abend an alle! Sehr geehrter Herr (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Präsident! Wir werden – ich nehme es vorweg – dem sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Gesetz zustimmen, weil es natürlich richtig ist, Familien Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir wirklich – zu entlasten, die Angehörige pflegen, unterstützen und für das setze ich einmal voraus – eine solidarische Entlastung sie da sind. Das steht, glaube ich, außer Zweifel. erreichen wollen, dann reicht es eben nicht, diesen ein- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zelnen Regenschirm aufzuspannen, sondern dann brau- chen wir wesentlich mehr. Dann, sage ich einmal als Aber das, was wir heute Abend tun, ist ein bisschen so, Grüne, brauchen wir in diesem Fall tatsächlich einen Kli- als würden wir nur einen Regenschirm aufspannen, ob- mawandel, um unsere Gesellschaft inklusiv zu gestalten. wohl es ganz viele andere Gruppen gibt, die weiter im Dann müssen wir radikal diese Gesellschaft verändern. Regen stehen, und das ist ein Riesenproblem. Wir hatten am Montag eine Anhörung. Da haben wir über diese (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- Gruppen geredet, die immer noch im Regen stehen wer- wie bei Abgeordneten der LINKEN und der den. Das sind unter anderem Eltern minderjähriger Abg. Ulli Nissen [SPD]) 15426 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Corinna Rüffer (A) Das heißt zum Beispiel, Unterstützungssysteme syste- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (C) matisch und verlässlich zur Verfügung zu stellen. Sie wis- sen alle aus Ihren Wahlkreisen, dass sich Familien mel- Pflege ist eine der wichtigsten gesellschaftspolitischen den, dass sich Menschen mit Behinderungen selbst an Sie Herausforderungen unserer Zeit. Das Angehörigen-Ent- wenden und sich darüber beklagen, dass sie in Behörden lastungsgesetz hilft Pflegebedürftigen, aber auch Ange- schlecht behandelt werden. Das muss sich ändern. Da hörigen: den Pflegebedürftigen, weil ihnen eine optimale müssen wir alle sagen: Das ist nicht in Ordnung; diese Betreuung gewährleistet werden kann, und den Angehö- Frage müssen wir angehen, damit hier gleichberechtigte rigen, denn für sie ist die Finanzierung der Pflege oftmals Teilhabe stattfinden kann. ein großer finanzieller Kraftakt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- In meinem Wahlkreis, liebe Kolleginnen und Kollegen, wie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der werde ich wahrscheinlich genauso oft wie Sie auf dieses LINKEN) Thema angesprochen. Es bewegt nicht nur die direkt Be- troffenen, sondern auch deren Freunde, Bekannte und Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Kollegen. Jeder, der heute schon einen Pflegefall in seiner Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende. Familie hat, weiß, wie belastend diese Situation ist, wie fordernd und wie emotional es ist, wenn man die Pflege für seine eigenen Eltern organisieren muss. Das kann die Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Politik den Menschen zwar nicht abnehmen, aber wir Das mache ich. – Deshalb bitte ich Sie, unserem Antrag können dafür sorgen, dass dazu nicht auch noch große zu 10 Jahren UN-Behindertenrechtskonvention Ihre Zu- finanzielle Sorgen kommen. Wir nehmen die Sorgen stimmung zu geben; denn genau diese Frage der Verläss- und Nöte der Menschen in der Großen Koalition ernst. lichkeit des Sozialstaates sprechen wir hierin an. Ich freue Deshalb heute auch dieses Angehörigen-Entlastungsge- mich darauf, dass wir darüber diskutieren werden, um setz. endlich weiterzukommen bei der Entwicklung einer in- klusiven Gesellschaft. Einen schönen Abend noch! (Beifall bei der CDU/CSU) Danke. In diesem Gesetz geht es aber um mehr. Wir erweitern (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Bundesteilhabegesetz um ein Budget für Ausbildung. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) In meinen Augen ist das die logische Konsequenz unseres bisherigen Handelns, nachdem wir das Budget für Arbeit eingeführt haben. Das Budget für Ausbildung umfasst (B) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: zum einen die Erstattung der gesamten Ausbildungsver- (D) Der nächste Redner: für die CDU/CSU-Fraktion der gütung und zum anderen die Aufwendungen für die we- Kollege Peter Aumer. gen der Behinderung erforderliche Anleitung und Beglei- (Beifall bei der CDU/CSU) tung am Arbeitsplatz oder in die Berufsschule. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Menschen mit Behinderungen Peter Aumer (CDU/CSU): dadurch einen besseren Zugang zur Ausbildung bekom- men, dass sie mehr Begleitung bekommen, um eine Aus- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und bildung abzuschließen, und dadurch auch besser in den Kollegen! Mit dem Angehörigen-Entlastungsgesetz ver- Arbeitsmarkt integriert werden können. abschieden wir heute ein richtiges Familienentlastungs- gesetz. Die Unterhaltsheranziehung von Angehörigen für Meine sehr geehrten Damen und Herren, zum Schluss ihre Eltern oder Kinder greift in Zukunft erst bei einem verstetigen wir auch noch die Mittel für die Ergänzende Einkommen von über 100 000 Euro. Das nenne ich ein unabhängige Teilhabeberatung, eine ganz wichtige Stütze starkes Signal. Mit diesem Gesetz wird die Handschrift des Bundesteilhabegesetzes. Ich weiß das aus meinem der CSU in dieser Koalition deutlich. Wir haben den Un- Wahlkreis. Wir haben auch eine solche Beratungsstelle. terhaltsrückgriff in den Koalitionsvertrag verhandelt und Ich weiß, wie wichtig diese zusätzliche Beratung für erfüllen heute dieses Versprechen, das wir den Menschen Menschen mit Behinderungen ist, vor allem, weil dort im Bundestagswahlkampf gegeben haben. auch Menschen mit Behinderungen beraten. Deswegen (Christian Dürr [FDP]: Der Heil macht reine ist es gut, wichtig und richtig, dass wir diese Mittel ver- CSU-Politik!) stetigen. Meine Damen und Herren, das ist verlässliche Politik der Deswegen bitte ich Sie alle, diesem Gesetzentwurf zu- Großen Koalition. Ich denke, bei solchen Themen, meine zustimmen, zum einen, um die Angehörigen zu entlasten, Herren der FDP – zum großen Teil Herren –, ist die Partei wenn es um das Thema Pflege geht, zum anderen aber fast egal; aber ich glaube, man sollte doch auch sagen, auch, um die Chancen von Menschen mit Behinderungen wer es auf den Weg gebracht hat. am Arbeitsmarkt zu verbessern. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine sehr geehrten Damen und Herren, herzlichen Herr Pohl, wenn ich schon bei der Opposition bin: Dank für die Aufmerksamkeit. Spielen Sie doch bitte nicht stationäre und ambulante Pflege gegeneinander aus. Das wird den schweren Ent- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- scheidungen der Angehörigen nicht gerecht. ordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15427

(A) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: kreis, wenn Sie am Bildschirm sitzen: Ja, heute werden (C) Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Angelika wir dieses Gesetz beschließen. Glöckner das Wort. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Auf Wunsch der Länder und der Einrichtungen – Herr Oellers hat es, glaube ich, erwähnt – werden wir für junge Angelika Glöckner (SPD): Erwachsene im Alter von 18 bis 21 Jahren ausnahmswei- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und se die Hilfen nicht aufsplittern. Wir werden sie weiterhin Kollegen! „Ich hoffe so sehr auf die Verabschiedung des als Komplexleistung gewähren. Das vermindert den bü- Angehörigen-Entlastungsgesetzes.“ Eine E-Mail mit die- rokratischen Aufwand für diese Einrichtungen und damit sen Worten erreichte mich vor zwei Tagen von einer Be- auch das Risiko, dass die Jugendlichen nicht aus den Ein- wohnerin aus Zweibrücken, einer Stadt in meinem Wahl- richtungen entlassen werden und sinnvolle pädagogische kreis. Sie schilderte mir, dass sie eine 89-jährige Maßnahmen abbrechen müssen. Das wollten wir auf je- Schwiegermutter mit Pflegegrad 5 hat, schwer dement. den Fall verhindern. Sie sei in einer Einrichtung, werde dort gepflegt. Sie selbst könne sie nicht pflegen, weil sie ebenfalls sehr Zu den kommunalen Vertretern. Ja, sie haben auch in schwer erkrankt ist. Nun sei auch ihr Ehemann erkrankt. der Anhörung diesen Gesetzentwurf durchweg bevorzugt Man weiß noch nicht genau, ob er, wenn er zurückkommt, und befürwortet. Wir werden – das wurde auch gesagt – nicht auch pflegebedürftig werde. Weiter fragt sie: Was 2025 wissenschaftlich begleitete Lösungsansätze eva- ist, wenn er nun auch zum Pflegefall wird? Wir haben luieren. Wir denken, dass wir wichtige Lösungsansätze beide 47 Jahre gearbeitet und in die Rentenkasse einge- bis dahin finden. zahlt. Ich werde die Debatte verfolgen, schreibt sie mir, Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde, es ist ein und hoffe auf ein positives Resultat. – Ich finde, diese eindrucksvolles, ein sehr wichtiges, ein sehr gutes Gesetz. Schilderung zeigt sehr eindrucksvoll, wie notwendig es Zum Antrag von Bündnis 90/Die Grünen, die einen 10- ist, dass wir heute das Angehörigen-Entlastungsgesetz Punkte-Plan fordern, habe ich einiges auf meinem Blatt beschließen. Papier stehen, aber meine Zeit ist abgelaufen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Zurufe von der SPD: Nein! – Matthias W. Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten Birkwald [DIE LINKE]: Nur die Redezeit, ist es eines der wichtigsten Gesetze dieser Wahlperiode; Frau Kollegin!) denn genau dieser Fall zeigt auf, welche Bedeutung die- – Die Redezeit ist abgelaufen. – Er enthält viele wichtige (B) ses Gesetz für viele Menschen in unserem Land hat. Was Hinweise. Er ist aber sehr schwer realisierbar und nicht (D) beschließen wir heute genau? Ich will das an drei Punkten umsetzbar. Einen Punkt möchte ich noch ganz kurz auf- erörtern. greifen. Erstens. Wir entlasten die Eltern und Kinder von pfle- gebedürftigen Angehörigen in Einrichtungen mit weniger Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: als 100 000 Euro Jahresbruttoeinkommen. Künftig wird Frau Glöckner. es keine Rückgriffsmöglichkeit der Sozialhilfeträger mehr geben. Angelika Glöckner (SPD): Zweitens. Die Ergänzende unabhängige Teilhabebera- Was wir gar nicht befürworten, ist, dass Sie dafür ste- tung werden wir ab 2023 entfristen, und wir stocken die hen, dass Werkstätten abgeschafft werden. Das ist nicht Haushaltsmittel auf 65 Millionen Euro auf. Damit schaf- unser Ding. fen wir die Basis, dass diese wichtigen Beratungsstellen Ansonsten bitte ich Sie: Stimmen Sie diesem Gesetz- landauf, landab ausgebaut und weiterentwickelt werden. entwurf zu. Es war gerade uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemo- kraten ein wichtiger Aspekt – das wurde schon gesagt –, Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) dass Menschen in schwierigen Lebenslagen genau diese professionelle Beratung erhalten. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist Drittens. Es freut mich auch sehr, dass wir das Budget der Kollege Thomas Heilmann für die CDU/CSU-Frak- für Ausbildung schaffen und erstmals die Möglichkeit tion. einräumen, dass außerhalb von Werkstätten wichtige Un- terstützungen bei der Ausbildung eingeräumt werden. (Beifall bei der CDU/CSU)

(Beifall bei der SPD) Thomas Heilmann (CDU/CSU): Sie sehen: Wir gehen weitere wichtige Schritte, um Herr Präsident! Lieber Hubertus Heil! Meine Damen Menschen mit Behinderungen und ihren Angehörigen und Herren auf der Tribüne, an den digitalen Endgeräten Teilhabe in Arbeit und Gesellschaft zu ermöglichen und und hier im Saal! Alle Redner der letzten 30 Minuten um sie zu entlasten. Sehr geehrte Mitbewohnerin aus haben die großen Vorteile dieser Entlastung für die Fami- Zweibrücken, aus meinem südwestpfälzischen Wahl- lien betont. Auch die Opposition stimmt entweder zu oder 15428 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Thomas Heilmann (A) enthält sich wenigstens, auch wenn sie natürlich weiter- In der verbleibenden Zeit, Herr Birkwald, kann ich (C) gehende Forderungen hat. Es stellt sich die Frage: Ist alles nicht lange auf Sie eingehen, aber eines verstehe ich bei gut? Da muss man leider sagen: Nicht ganz. Was hier Ihrer Kritik wirklich nicht – jetzt hört er nicht zu –: Herr nach großer Einigkeit aussieht, verdeckt doch mindestens Birkwald, Sie wollen, dass Steuergelder von Leuten, die zwei, drei Differenzen, auf die ich hier gerne eingehen weniger als 100 000 Euro bezahlen – das ist die Masse der möchte. Insbesondere möchte ich auf meine Vorredner Steuerzahler –, dafür verwandt werden und dass Leute, eingehen. die mehr als 100 000 Euro bekommen, Solidarbeiträge bezahlen. Und das von der Linkspartei. Das verstehe, wer Frau Glöckner, den Wunsch Ihrer Bürgerin aus Ihrem will. Natürlich ist eine Einkommensgrenze in diesem Zu- Wahlkreis kann ich nur teilen. Aber dieser Appell richtet sammenhang total sinnvoll. sich vor allen Dingen an die FDP und die Grünen, die diesem Gesetzentwurf offensichtlich hier wie auch im (Beifall bei der CDU/CSU) Ausschuss zustimmen wollen. Aber meine lieben Kolle- gen von der FDP und den Grünen, das ist nicht viel wert. Letzter Punkt, Herr Pohl. Sie haben es im Ausschuss zweimal gesagt, Sie haben es in der Anhörung gesagt. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Jedes Mal ist Ihnen gesagt worden: Es gilt genauso für NEN]: Was? – Peter Weiß [Emmendingen] die ambulante Pflege wie für die stationäre. Es gibt keine [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Bevorzugung. Wie Sie jetzt wieder sagen können, es gäbe Der eigentliche Lackmustest findet im Bundesrat statt. eine Bevorzugung der stationären Pflege, ist mir schlicht Ob Sie hier zustimmen oder nicht, ist den Betroffenen schleierhaft. Ich weiß auch nicht, wie man das seriöse weitgehend egal. Die Frage, ob Sie den Vermittlungsaus- Politik nennen kann. schuss anrufen oder dem Gesetz zustimmen, ist für die (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Die Bürgerin in Zweibrücken und alle anderen Betroffenen wollen keine machen!) die entscheidende Frage. Obwohl Sie es im Gesetzentwurf nachlesen können, ob- (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: wohl es Ihnen die Sachverständigen sagen und wir alle es Sehr richtig!) Ihnen im Ausschuss sagen, wiederholen Sie es hier ein- Den Lackmustest begründen Sie mit der Frage der Finan- fach. zierbarkeit. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Er hält das (Jens Beeck [FDP]: Genau!) für Fake News!) (B) Dazu muss man erst einmal wissen, dass wir in 14 Tagen Ehrlich gesagt: Wie wäre es mit einer Alternative für (D) einen Haushalt verabschieden und wir den Kommunen Deutschland, die irgendwo auch eine Alternative ist? wieder eine Rekordsumme von mehr als 31 Milliarden Das ist doch purer Populismus, den Sie hier vortragen, Euro überweisen werden. Das tun wir übrigens die ganze wider besseres Wissen. Auch das gehört leider zu den Zeit. Diese Große Koalition hat in den letzten beiden traurigen Kapiteln eines an sich sehr guten Gesetzes. Legislaturperioden nichts mehr gemacht, als die Kommu- nen unterstützt. Wir bedanken uns für die Zusammenarbeit bei diesem Gesetz, lieber Hubertus. Ich kann nur hoffen, dass der (Beifall bei der CDU/CSU) Bundesrat seiner Verpflichtung auch nachkommt. Nun sind die Schätzungen, was das die Kommunen wirklich kostet, unterschiedlich. Aber wir reden von einer Vielen Dank. Größenordnung von 1 bis 2 Prozent dieser großen Sum- me. Wir tun also so, als wenn die Kommunen plötzlich (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) eine außerordentliche Last tragen. Das eigentliche Thema ist: Ganz viele Bundesländer geben Geld, das wir ihnen Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: geben und das für die Kommunen gedacht ist, nicht an die Vielen Dank, Herr Kollege Heilmann. – Ich schließe Kommunen weiter. die Aussprache. (Christian Dürr [FDP]: Stimmt nicht! – Ulli Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- Nissen [SPD]: Pfui!) desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Entlas- Meine Damen und Herren, ich finde, dieser Vorgang, tung unterhaltsverpflichteter Angehöriger in der Sozial- dass Sie das machen und dann sagen, mit den Stimmen hilfe und in der Eingliederungshilfe. Der Ausschuss für Ihrer Vertreter im Bundesrat schicken wir das Gesetz in Arbeit und Soziales empfiehlt unter Buchstabe a seiner den Vermittlungsausschuss, gehört ans Licht der Öffent- Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/14868, den Ge- lichkeit, weil Sie letztlich die Angehörigen als Geiseln setzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 19/ nehmen, um im Bundesrat nicht zuzustimmen. Ehrlich 13399 und 19/14384 in der Ausschussfassung anzuneh- gesagt finde ich, dass Sie dann hier auch nicht zustimmen men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der können. Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- chen. – CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen. Wer (Christian Dürr [FDP]: Das richtet sich an Ihre stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Enthaltungen bei eigene Landesregierung, an der Sie beteiligt AfD, FDP und Linke. Der Gesetzentwurf ist damit in sind!) der zweiten Beratung angenommen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15429

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) Dritte Beratung kleines Schurkenstück, was die USA hier abliefern, näm- (C) lich exterritoriale Gesetzgebung im Kolonialstil, andere und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Nationen gegen Nord Stream 2 aufzuhetzen und fremde Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Unternehmen mit Sanktionen zu bedrohen. Das sind wieder die SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU. Gegenprobe! – Keine Gegenstimmen. Ent- (Timon Gremmels [SPD]: Mit Hetze kennen haltungen? – Enthaltungen wieder bei den Fraktionen Sie sich ja aus!) Die Linke, FDP und AfD. Der Gesetzentwurf ist damit Das ist schon eine Art neokolonialistische Politik, meine angenommen. Damen und Herren. Merkel hatte richtigerweise festge- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) stellt, dass Nord Stream 2 ein rein wirtschaftliches Projekt zwischen zwei Staaten ist. Da hat sich niemand einzu- Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und mischen, und wenn er es doch tut, dann muss die Bun- Soziales zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die desregierung erst recht und unmissverständlich Grenzen Grünen mit dem Titel „10 Jahre UN-Behindertenrechts- setzen. Wir sind Partner, keine Befehlsempfänger, aber konvention in Deutschland – 10 Punkte für ein selbstbes- diese ganz klare Aussage fehlt. timmtes Leben“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buch- stabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/ (Zuruf von der AfD: Wer soll das denn da ma- 14868, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen chen?) auf Drucksache 19/8288 abzulehnen. Wer stimmt für die- Kommen wir zu den Argumenten gegen Nord Stream 2, se Beschlussempfehlung des Ausschusses? – CDU/CSU die allesamt an den Haaren herbeigezogen sind. Noch und SPD. Gegenprobe! – Die Grünen und die Linken. einmal zur Verdeutlichung: Es geht um eine Gasleitung. Enthaltungen? – FDP und AfD. Die Beschlussempfeh- Es geht um die Gaslieferung nach Deutschland und Eu- lung ist damit angenommen. ropa. Wir bekommen Gas und nichts anderes. Wir müssen Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: demnächst auch Lücken schließen, Lücken bei den Liefe- rungen der Niederländer und der Norweger, die nicht Beratung des Antrags der Abgeordneten mehr liefern können wie bisher. Die Lücke wird mit Dr. Heiko Heßenkemper, Steffen Kotré, Enrico 120 Milliarden Kubikmeter Gas prognostiziert. Zum Ver- Komning, weiterer Abgeordneter und der Frak- gleich: Nord Stream 2 liefert jährlich lediglich 55 Milliar- tion der AfD den Kubikmeter Gas, das ist nicht einmal die Hälfe. Wenn Energieversorgung Deutschlands gewährleis- man noch weiterdenkt, dann könnte man Überlegungen ten – Nord Stream 2 vor der Sanktionspolitik anstellen, ob wir nicht gleich Nord Stream 3 projektieren (B) schützen wollen. Das russische Gas ist preiswert, es scheint wirk- (D) lich das preiswerteste Gas auf dem Markt zu sein. Das ist Drucksache 19/14763 ein Vorteilsgeschäft für beide Parteien. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Aber kommen wir wieder zu den Argumenten. Ja, die Auswärtiger Ausschuss Abhängigkeit steigt, aber die der Russen von den ent- Interfraktionell ist eine Debattenzeit von 38 Minuten sprechenden Einnahmen. Sie brauchen die gesicherten vereinbart. Ich darf alle ermutigen, ihre Reden zu Proto- Einkünfte mehr als wir ihr Gas. Wir haben genügend, koll zu geben, wenn sie die schriftlich vorliegen haben. – wenn auch alltagsuntauglich teure Alternativen. Im Üb- Es gibt keinen Widerspruch zu der interfraktionellen Ver- rigen reden wir hier von 6 Prozent des Anteils von russi- einbarung. Dann ist das so beschlossen. schem Gas am europäischen Energiemix. Und nein, die Russen haben uns noch nie im Stich gelassen. Sie haben Ich eröffne die Aussprache, und es beginnt der Kollege noch nie Rohstofflieferungen als Waffe eingesetzt. Sie Steffen Kotré für die AfD-Fraktion. haben immer zuverlässig geliefert, auch zu Zeiten des Kalten Krieges, und da hätten sie sicherlich stärkere Mo- (Beifall bei der AfD) tive gehabt, den Gashahn zuzudrehen. Russland hat uns Steffen Kotré (AfD): auch noch nie erpresst. Aber das ist genau das, was die USA mit ihren Sanktionsandrohungen und mit der Auf- Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Als wiegelei anderer europäischer Staaten gegen Nord wir letztens hier schon eine Aktuelle Stunde zur Sankt- Stream 2 gerade machen. ionspolitik der USA gegen unsere Gasversorgung hatten, war erfreulicherweise klar: Die meisten Fraktionen dieses Europa hat ein vitales Interesse an einer stabilen Uk- Hauses stellen sich hinter Nord Stream 2; bis auf eine raine. Aber Verhandlungen zu Transitgebühren, noch da- Fraktion, die Grünen, aber die wollen anscheinend lieber, zu von den USA instrumentalisiert, helfen an dieser Stelle dass wir frieren, wenn kein Wind weht. Das kann Herr nicht weiter. Trittin in seinem Redebeitrag gleich klarstellen; vielleicht ein bisschen klarer als beim letzten Mal. (Beifall bei der AfD) Um was geht es den USA eigentlich bei ihrem Angriff (Beifall bei der AfD) auf Nord Stream 2 wirklich? Sie wollen einzig und allein Vor dem Hintergrund der allgemeinen Zustimmung er- ihr überteuertes Flüssiggas bei uns verkaufen, um nichts staunt es mich schon, wie die Bundesregierung es hin- anderes geht es hier. Alles andere ist vorgeschoben. Es nimmt, dass die USA sich in die inneren Angelegenheiten geht um ganz knallharte, eigensüchtige Interessen an die- Deutschlands und Europas einmischt. Es ist schon ein ser Stelle. 15430 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Steffen Kotré (AfD) (A) (Beifall bei der AfD) europäische Nachbarländer weitergeleitet. Nord Stream 2 (C) Die Bundesregierung ist aufgefordert, sich schützend vor ist damit ein wichtiger Baustein zur Lösung des europä- die Akteure von Nord Stream 2 zu stellen. Wir erwarten ischen und deutschen Energieproblems. von der Bundesregierung, jeden Angriff verbal und auch Bislang wurden bereits mehr als 2 100 Kilometer der diplomatisch zurückzuweisen. Pipeline verlegt. Das sind immerhin fast 90 Prozent. Seit der letzten Woche haben wir Gewissheit, dass Nord Vielen Dank. Stream 2 in wenigen Monaten fertiggestellt wird. Die (Beifall bei der AfD – Dr. Götz Frömming Dänen haben nämlich den Bau der Erdgasleitung durch [AfD]: Keine Angst vor Trump!) ihre Gewässer genehmigt. Klar ist aber auch, dass wir langfristig Erdgas durch synthetisches Gas aus erneuer- baren Quellen ersetzen müssen. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort der Kollege (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Mark Helfrich. der SPD – Timon Gremmels [SPD]: Da könn- ten die Grünen auch mal klatschen!) (Beifall bei der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Nord Stream 2 ist Mark Helfrich (CDU/CSU): eine Maßnahme, um die Energieversorgung in Deutsch- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- land zu sichern, aber beileibe nicht die einzige. Wir wol- ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren len uns nämlich nicht von nur einem Energielieferanten jetzt bereits zum zweiten Mal innerhalb von fünf Mona- oder nur einer Energiequelle abhängig machen. Deshalb ten auf Antrag der AfD-Fraktion über dasselbe Thema. setzen wir in Deutschland und Europa richtigerweise auf Diversifizierung. (Steffen Kotré [AfD]: Ist ja auch notwendig!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Das ist „waste of time and waste of energy“. Aber sei’s ordneten der SPD) drum: Jetzt bin ich heute hier, um erneut zu diesem The- Diese führt zu einer kostengünstigen und zuverlässigen ma zu reden, und ich sage Ihnen: Deutschland braucht Erdgasversorgung und ist elementar für die Energiesi- einen starken und unabhängigen Energiemarkt. Dieser cherheit in Europa. Wir Europäer brauchen daher zukünf- muss Versorgungssicherheit, bezahlbare Preise und Ak- tig auch Pipelinegas aus Aserbaidschan oder aus Nord- zeptanz zur Grundlage haben, und er muss die Einhaltung afrika. der Klimaziele von Paris gewährleisten. Wenn wir dafür (B) Kohle- und Atomkraftwerke in Deutschland vom Netz Darüber hinaus setzen wir auf eine Versorgung mit (D) nehmen, müssen wir die entstehenden Lücken in der LNG, das mit Schiffen nach Europa gebracht wird. Knapp Energieversorgung natürlich schließen, und dies geht 10 Prozent der europäischen Gasimporte sind derzeit nur, wenn wir in Zukunft neben dem verstärkten Ausbau Flüssigerdgas, Tendenz steigend. der erneuerbaren Energien noch mehr auf Gas setzen. Beide werden zukünftig das Rückgrat unserer Energie- (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das nennt versorgung bilden. sich Fracking-Gas!) – Falsch! Das kommt aus verschiedensten Quellen. – Wir Aktuell beziehen wir 40 Prozent des Erdgases aus müssen daher in die europäische Terminalinfrastruktur Russland, rund 26 Prozent aus Norwegen und ebenso viel investieren, aber vor allem in die deutsche. Und als aus den Niederlanden. Magere 4 Prozent stammen aus Schleswig-Holsteiner hoffe ich natürlich, dass es auch heimischer Förderung. Deutschland ist nicht nur der welt- ein LNG-Terminal in Brunsbüttel geben wird. größte Erdgasimporteur, nein, wir sind auch einer der größten Gasverbraucher der Welt. Das Problem ist je- Aber was bedeuten Nord Stream 2 und LNG neben der doch, dass die Gasproduktion in Deutschland stark rück- Versorgungssicherheit für private Haushalte und die Wirt- läufig ist. Mit dem Abschalten der Kohlekraftwerke wird schaft in Deutschland? Ein hohes Angebot, mehr Wett- unser Gasbedarf zudem weiter anwachsen. Aber nicht nur bewerb und in der Folge bezahlbare Preise für alle Gas- Deutschland, sondern auch die Europäische Union wird verbraucher. in Zukunft mehr Gasimporte brauchen als heute; denn auch die niederländische und die britische Gasförderung (Beifall des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE sind rückläufig. Im Übrigen ist der Kohleausstieg keine LINKE]) deutsche Erfindung, sondern wird auch in vielen anderen Am Ende profitiert davon der gesamte Standort Deutsch- europäischen Ländern kommen. land. Wir müssen uns also die Frage stellen, wie wir unsere Meine Damen und Herren, ich möchte noch kurz auf Energieversorgung in Deutschland und Europa zukünftig die von der AfD so dramatisierte Sanktionspolitik einge- sichern wollen. Die Antwort ist eine Erhöhung der Kapa- hen. Im Hinblick auf die US-amerikanischen Sanktion- zitäten für Gasimporte. Diese schaffen wir unter anderem sandrohungen lässt sich doch eines ganz deutlich sagen: durch Nord Stream 2. Mit deren Hilfe können jedes Jahr Viel Lärm um nichts. Ein entsprechender amerikanischer rund 55 Milliarden Kubikmeter russisches Gas nach Eu- Gesetzentwurf steckt seit Monaten im Kongress fest. Er ropa geliefert werden. Das wären ungefähr 40 Prozent des sieht in der Tat schwere Strafen für am Bau beteiligte für Europa prognostizierten Mehrbedarfs. Natürlich wird Firmen vor, insbesondere für die Betreiber der hochspe- dieses russische Erdgas von Deutschland aus dann an zialisierten Verlegeschiffe. Mit der Erteilung der letzten Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15431

Mark Helfrich (A) Genehmigung durch Dänemark und der Fertigstellung (Beifall bei der FDP sowie des Abg. René (C) der Pipeline bis Ende des Jahres schließt sich doch das Röspel [SPD]) Zeitfenster für US-amerikanische Drohungen. Mit dieser Leitung, mit dieser Pipeline Politik zu machen, Mit der geänderten EU-Gasmarktrichtlinie soll EU- ist schäbig – egal wer es tut. Und die AfD macht damit Recht auch auf Pipelines angewendet werden, die aus Politik. Wir, meine Damen und Herren, setzen auf einen Drittstaaten in der EU anlanden; dazu mehr heute Nacht funktionierenden Gasmarkt und vor allen Dingen auf Ver- auf derselben Bühne. Damit gilt die Richtlinie auch für sorgungssicherheit. Nord Stream 2. Daran ist per se erst einmal gar nichts verkehrt, wenngleich das auch Ausdruck der Tatsache ist, Die Leitung wird durch privates Geld finanziert und ist dass das Projekt in Europa tatsächlich umstritten ist. Und notwendig zum Erhalt der Versorgungssicherheit. Die Sie von der AfD wissen ganz genau, dass sich die Bun- Gasnachfrage wird auch in Zukunft mindestens konstant desregierung in der EU sehr stark eingesetzt hat für das bleiben. Wir wissen aber auch, dass das europäische An- Projekt Nord Stream 2. Wir haben erreicht, dass wesent- gebot zurückgeht. Investitionsentscheidungen in diesem liche Teile der Regulierung in den Händen des Staates Zusammenhang wurden schon vor langer Zeit getroffen, liegen, in dem eine Gaspipeline ankommt. Damit bleibt und der Bau der Pipeline ist weit fortgeschritten. Ich ver- die regulatorische Aufsicht über Nord Stream 2 bei rate kein Geheimnis, wenn ich sage, dass Investoren Ver- Deutschland. trauen und Planungssicherheit brauchen. Im Übrigen muss man ganz klar sagen, dass Nord Der Antrag der AfD setzt auf Spaltung Stream 2 ein in erster Linie privatwirtschaftliches Projekt (Beatrix von Storch [AfD]: Auch auf Hetze!) ist, das von Anfang an mit erheblichem unternehmer- ischem Risiko verbunden war. und ein Ende des globalen Gasmarktes. Das schafft weder Vertrauen noch Planungssicherheit. Ihnen von der AfD dürfte auch klar sein, dass Nord Stream 2 jetzt, da alle Genehmigungen der beteiligten (Beifall bei der FDP) Länder vorliegen, in jedem Fall fertiggestellt wird. Und das zeigt doch vor allem eines: Ihnen geht es nicht um die Der Antrag der AfD ist daher obsolet. Das von der AfD Energiesicherheit in Deutschland oder in Europa, es geht Geforderte würde vielmehr zu einer weiteren Verschär- Ihnen auch nicht um die beteiligten europäischen Unter- fung des verbalen Schlagabtausches führen und für uns nehmen, sondern es geht Ihnen wieder einmal um die wichtige Partner verprellen. Das könnte auch für unsere symbolträchtige Pflege Ihrer Russland-Connection. Energieversorgung Folgen haben; denn die USA bleiben langfristig für uns ein wichtiger Partner, (B) Danke schön. (D) (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) insbesondere hinsichtlich des Imports von LNG bzw. er- neuerbarem Gas.

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Wie funktioniert ein Gasmarkt? Weder Russland, mei- Für die FDP-Fraktion hat das Wort der Kollege ne Damen und Herren, noch die USA können uns ihr Gas Dr. Martin Neumann. aufzwingen. Der Marktpreis entscheidet, wo das Gas in Zukunft herkommt. Wir sind also, um das an dieser Stelle (Beifall bei der FDP) noch einmal deutlich zu sagen, weder von Russland noch von den USA abhängig. Abhängigkeiten, meine Damen Dr. Martin Neumann (FDP): und Herren, sind gerade auf dem Sektor der Energiever- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu später sorgung schlimm. Diese Abhängigkeiten müssen auf je- Stunde geht es um ein für Deutschland wichtiges Thema. den Fall vermieden werden. Zentral für die Zukunft der Wie steht es um Nord Stream 2? Wir haben in der letzten Energieversorgung ist deshalb eine möglichst hohe Di- Woche vernommen, dass nun die Genehmigung Däne- versität, also eine Vielfalt am Markt. marks zur Durchführung des Projekts in dänischen Ge- wässern vorliegt. Nord Stream 2 kann also – das ist wich- (Beifall bei der FDP) tig für den europäischen Markt – quasi Ende des Jahres Diese Vielfalt ist mit Gasimporten aus Russland, den fertiggestellt werden. USA und vielen anderen Ländern möglich, aber auch durch die heimische Erzeugung erneuerbarer Gase. Die Bundesregierung jedoch – jetzt komme ich auf sie zu sprechen – hat in Europa bei Nord Stream 2 keine gute Herzlichen Dank. Figur gemacht. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Zuruf von der FDP: So ist es!) der CDU/CSU) Es fehlen Abstimmungen mit den europäischen Partnern. Es fehlt die Einbindung wichtiger Prozesse. Das hat viel Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Vertrauen in Europa zerstört. Aber die AfD geht noch Für die SPD-Fraktion hat das Wort der Kollege Timon einen Schritt weiter. Sie will mit ihrem Antrag keines- Gremmels. wegs Vertrauen schaffen, sondern sie will vielmehr spal- ten. (Beifall bei der SPD) 15432 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

(A) Timon Gremmels (SPD): die Hände Putins begibt. Nein, es geht ihm doch um etwas (C) Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- ganz anderes. ren! Kein „America First“ in der Energiepolitik, sondern „Europe United“ auch bei Nord Stream 2 – das ist unser (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Richtig!) Motto als SPD, meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Trump möchte sein überteuertes gefracktes US- und unsere Antwort. LNG nach Deutschland bringen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Darum geht es doch Herrn Trump (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wirklich. NEN]: Das ist Sozialdemokratie im Jahr 2019!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Ich sage Ihnen: Wir brauchen keine Belehrungen und LINKEN) keine Ratschläge von US-Präsident Trump. Wir brauchen aber auch keine Anträge der AfD-Fraktion, meine sehr Ehrlich gesagt sollte – das muss man in aller koalitio- verehrten Damen und Herren. närer Freundschaft Herrn Altmaier oder Herrn Hirte, also dem Wirtschaftsministerium, mal sagen – der Herr (Beifall bei der SPD) Altmaier in Richtung Amerika etwas deutlichere Worte finden. Aber statt dort auch kritisch zu sein und den Ar- Wir müssen uns von der AfD-Fraktion nicht sagen lassen, gumenten standzuhalten, hat er am 12. Februar 2019 zu wie man Energiepolitik auch mit Russland macht. Es war einer deutsch-amerikanischen LNG-Konferenz eingela- Willy Brandt, der als Bundeskanzler im Jahre 1973 die den. Ich finde, das sind die falschen Signale gegenüber erste Pipeline für russisches Gas in Deutschland willkom- den USA. men hieß. Wir haben auch in Zeiten des Kalten Krieges dafür gesorgt, dass die Energieversorgung Deutschlands – (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) auch mit Russland -funktioniert hat, meine sehr verehrten Damen und Herren. Da braucht es keine Belehrungen und Ich zitiere jetzt Sigmar Gabriel; das kommt nicht oft keine Anträge der AfD. vor. Aber Sigmar Gabriel hat gesagt: Sanktionspolitik ist weder ein geeignetes noch ein (Beifall bei Abgeordneten der SPD) angemessenes Instrument zur Beförderung nationa- Natürlich ist dieses Beispiel aus dem Kalten Krieg ler Exportinteressen und der heimischen Energie- auch Maßstab dafür, wie wir heute mit Russland umgehen branche. können. Es war in den 80er-Jahren so, dass oftmals die Recht hat Sigmar Gabriel. Ich wünschte mir vom amtie- Energiediplomatie immer wieder die politische Diploma- renden Wirtschaftsminister auch solche klaren Signale (B) tie mit Russland unterstützte, manchmal korrigierte, Richtung USA, meine sehr verehrten Damen und Herren. (D) manchmal ihr sogar vorausging. Das war immer auch Mittel zum Zweck und ein Weg, um mit Russland im (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Gespräch zu bleiben. Genau das müssen wir jetzt auch der LINKEN) machen. Hinzu kommt doch, dass wir genau das in den 80er- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Jahren gemacht haben. Ein Blick ins Geschichtsbuch hilft. Russland ist nämlich keine lupenreine Demokratie. Russ- land ist auch weit weg von menschenrechtlichen Stan- (Otto Fricke [FDP]: Wer war Außenminister?) dards. Der dortige Umgang mit der LGBTI-Community Auch da war es doch ganz klar so, dass die Amerikaner und mit vielen anderen Gruppen, etwa mit Menschen- versucht haben, Druck auf Deutschland und Europa zu rechtlern, ist nicht in Ordnung. Da müssen wir mit Russ- machen, damit wir weniger Gas von Russland, von der land ein ernstes Wort reden, meine sehr verehrten Damen damaligen UdSSR, abnehmen. Wir waren standhaft und und Herren. Da kann eine solche Pipeline auch eine wich- haben vor den Amerikanern nicht gekuscht. Das waren tige Brücke sein. Das möchte ich ganz klar auch in Rich- deutlich schwierigere Zeiten, als sie es heute sind. Inso- tung der AfD sagen. fern: Auch da erwarten wir von unserem Wirtschaftsmi- Kommen wir jetzt aber zurück zu den Trump-Argu- nister einen etwas härteren Einsatz für die Interessen von menten. Trump sagt doch, dass wir uns mit dieser Pipeline Deutschland und Europa, meine sehr verehrten Damen von Russland abhängig machen. Das Gegenteil ist doch und Herren. der Fall. Umgekehrt wird ein Schuh draus. Russland ist (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten auf die Devisen, auf das Geld aus Europa angewiesen. der LINKEN – Steffen Kotré [AfD]: Deswegen Ehrlich gesagt, halte ich es für richtig und besser, wenn dieser Antrag!) wir russisches Gas abnehmen, als wenn sich Russland Richtung China orientieren würde. Ich glaube, das kann Ich sage Ihnen: „Europe United“, auch bei Nord nicht der Weg sein, den wir gehen wollen, meine sehr Stream 2; denn es geht hier nicht um ein deutsch-russi- verehrten Damen und Herren. sches Projekt. Unternehmen aus fünf Ländern sind betei- ligt: Russland, Frankreich, Österreich, Holland und Darüber hinaus ist das Argument ja auch nicht ganz Deutschland. Das Gas, das aus Russland kommt, fließt ernst gemeint. Herr Trump macht sich ja nicht wirklich nur zu einem ganz kleinen Teil nach Deutschland. Viel Sorgen und hat auch keine schlaflosen Nächte, weil er Gas leiten wir weiter. Zwei Drittel soll von der Anlande- Angst hat, dass Deutschland, dass sich Europa jetzt in station in Lubmin zur österreichischen Energie-Erdgas- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15433

Timon Gremmels (A) Drehscheibe Baumgarten transportiert und von dort nach für eine Übergangszeit auch Gas aus Russland. Aber klar (C) ganz Europa umverteilt werden, meine sehr verehrten ist: Auch dieses Gas muss perspektivisch grüner werden. Damen und Herren. Insofern ist es ein europäisches Pro- jekt. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen alles Gute, und ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Ich sage Ihnen: Selbst die Ukraine und Osteuropa kön- nen davon über die sogenannte Schubumkehr profitieren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Auch von dort versorgen wir dann mit dem Gas Osteuro- der CDU/CSU) pa und die Ukraine. Ich finde, dass wir da auch solidarisch zu unseren Freundinnen und Freunden in der Ukraine Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: stehen sollten. Wir sind dafür, dass wir den Dialog mit Für die Fraktion Die Linke hat das Wort der Kollege der Ukraine in dieser Frage fortsetzen sollten, da wir sie Klaus Ernst. als wichtiges Transitland für russisches Erdgas weiter benötigen. Deswegen bin ich froh, dass auch die Bundes- (Beifall bei der LINKEN) republik Deutschland unterstützt, dass es in naher Zu- kunft zu einem neuen Gastransitvertrag zwischen Russ- Klaus Ernst (DIE LINKE): land und der Ukraine kommt. Den brauchen wir ganz Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- dringend. Dafür brauchen wir auch Investitionen in das ren! Nord Stream 2 wird gebaut; das ist gut so. Die Dänen ukrainische Gasnetz. Da stehen deutsche und europäische haben grünes Licht gegeben. Ich gehe davon aus, dass das Unternehmen bereit, um der Ukraine an dieser Stelle zu nicht an meinem Gespräch mit dem dänischen helfen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Botschafter, das ich vor Kurzem mit ihm führte, lag. Aber das Gespräch war trotzdem interessant; denn bei diesem Ich möchte, weil ich noch zwei Minuten Redezeit habe, Gespräch – wir haben dabei die Handys weggelegt und auch etwas zur Gasbinnenmarktrichtlinie sagen. Es ist sind in einen anderen Raum gegangen, damit keiner mit- wichtig, dass wir sie heute in nationales Recht umsetzen. hört – wurde deutlich, dass die Dänen den Bau der Lei- Ich lese in der „Bild“-Zeitung und jetzt gerade online im tungen so lange behindert haben, dass das nicht ganz frei- „Handelsblatt“, dass dazu im Wirtschaftsausschuss an- willig war, sondern da gab es schon jemanden im geblich etwas beschlossen worden wäre und dass wir Hintergrund. Da muss man einfach die Realitäten sehen. das sozusagen in einer Nacht-und-Nebel-Aktion umset- zen wollten. Ja, meine sehr verehrten Damen und Herren, Meine Damen und Herren, vielleicht war es dennoch es gibt einen europäischen Konsens. Die Gasbinnen- Trump, der die Dänen dazu gebracht hat, doch zuzustim- marktrichtlinie ist im Mai dieses Jahres von 27 der 28 men. Wahrscheinlich wollte er das gar nicht erreichen. (B) EU-Länder beschlossen worden. Dahinter steht Europa, Aber wenn man mit den Dänen so komisch umgeht und (D) meine sehr verehrten Damen und Herren. Wir müssen sagt: „Wir kaufen euch euer Grönland ab, macht da mal diese Richtlinie jetzt in nationales Recht umsetzen, damit ein bisschen flotter“, dann kann es schon sein, dass die es hier Investitionssicherheit gibt. Dänen sauer waren und deshalb gesagt haben: So, jetzt reicht es mal mit Trump. – Wenn das so ist: Hervorragend, (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) meine Damen und Herren! Es ist für einen Rechtsstaat entscheidend, dass die Un- (Beifall bei der LINKEN) ternehmen Investitionssicherheit haben, Aber jetzt muss ich natürlich schon etwas zur AfD (Zuruf des Abg. Oliver Krischer [BÜND- sagen. Ich dachte, ihr habt so einen guten Kontakt zu NIS 90/DIE GRÜNEN]) dem Trump. ganz egal, ob sie aus Russland, aus den USA oder wo auch immer kommen. (Zurufe von der AfD) Ich dachte, er ist irgendwie euer Kumpel, so ein Bruder (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) im Geiste vielleicht. Wir brauchen hier Investitionssicherheit. Deswegen wird diese Richtlinie eins zu eins umgesetzt. (Heiterkeit des Abg. Bernd Westphal [SPD]) Wenn das so ist, dann stellt doch keine Anträge, sondern (Beifall des Abg. Bernd Westphal [SPD]) fahrt hin und sagt ihm, er soll mit dem Unsinn der Sank- Das ist gut für alle, die hier investieren, meine sehr ver- tionen aufhören. Das ist wichtiger, als einen Antrag zu ehrten Damen und Herren. Damit kann Nord Stream 2 stellen, insbesondere zum jetzigen Zeitpunkt. fristgerecht fertiggestellt werden. Mittlerweile sind auch schon über 80 Prozent der Leitungen verlegt. Auch Dä- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- nemark hat endlich die Genehmigung erteilt. Das ist eine neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) gute Nachricht für diese Pipeline. Das wäre vielleicht eine Idee. Ich sage Ihnen ganz klar und deutlich, auch für die Aber, meine Damen und Herren, darüber brauchen wir Sozialdemokratie, damit da keine Missverständnisse auf- uns nicht lange zu echauffieren. Nord Stream 2 wird ge- kommen: Wir brauchen Erdgas, auch aus Russland, für baut – trotz aller Versuche der Vereinigten Staaten, trotz eine Übergangszeit, um die Energiewende in Deutschland Drohungen gegen die Bundesrepublik, trotz Drohungen hinzubekommen. Wir haben den Kohleausstieg bis 2038. gegen Dänemark, trotz Drohungen gegen Unternehmen, Wir haben den Atomausstieg bis 2022. Da brauchen wir die sich daran beteiligen wollen. 15434 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Klaus Ernst (A) Herr Neumann, Sie haben von der transatlantischen Nur mit Wattebäuschchen schmeißen wird den amerika- (C) Freundschaft gesprochen. Ich weiß nicht, was Sie sonst nischen Präsidenten nicht umstimmen. für Freunde haben. Danke fürs Zuhören. (Dr. Martin Neumann [FDP]: Viele!) (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Timon Aber wer solche Freunde wie den Trump hat, der braucht Gremmels [SPD] und Hansjörg Müller [AfD]) keine Feinde mehr. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Der Kollege Jürgen Trittin hat das Wort für Bündnis 90/ Das ist doch der Zustand. Wir müssen doch langsam er- Die Grünen. kennen, dass sich an dem Verhältnis was geändert hat, dass es eben nicht die deutschen Interessen sind, die beim (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) amerikanischen Handeln im Vordergrund stehen. Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Meine Damen und Herren, es ist schon viel gesagt worden, aber eins möchte ich noch mal hervorheben: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber die Frage der Abhängigkeit. Es wird so getan, als würden Klaus Ernst, es geht auch nicht um Wattebäuschchen. wir durch die Leitung abhängiger werden. Dann dürften Wie man souverän mit solchen Beleidigungen wie dem wir die Leitungen gar nicht bauen. Darum geht es aber Ansinnen, Grönland zu kaufen, umgehen kann, das hat ja auch den Polen nicht. Ihnen geht es darum, dass die Lei- gerade die dänische Regierung bewiesen: Sie hat einfach tungen durch ein anderes Land gebaut werden. Es bleibt gehandelt. Ich hätte mir eigentlich gewünscht, dass wir dann aber russisches Gas. Also, die Abhängigkeit wäre mit einer Debatte darüber anfangen, was jetzt ist. Nord vollkommen gleich. Es geht dabei vielmehr um etwas Stream 2 ist genehmigt: Was folgt daraus? anderes. Da geht es einfach darum, dass die Ukrainer Das Erste, was daraus folgen müsste, wäre, dass dafür und auch andere gerne Transitgebühren für unser Gas gesorgt wird, dass der Betrieb dieser Pipeline auf der nähmen. Ich habe ja nichts dagegen, dass sie Geld be- Basis europäischen Rechts geschieht. kommen; aber dann sollen sie zur EU gehen und es nicht über unsere Gasleitungen versuchen. Das wäre doch mal (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- ein Vorschlag; den richte ich jetzt auch an die Union. SES 90/DIE GRÜNEN) Warum sollen wir zulassen, dass man denen über den Es kann ja nicht sein, dass diese Pipeline 8 Kilometer Bezug von Gas was zuschanzt? Umweg macht, aber Sie das zum Anlass nehmen, das (B) (D) Dass die Amerikaner selber eigene Interessen verfol- europäische Recht zu umgehen, und an dieser Stelle das gen, ist auch schon gesagt worden. Trump will sein eige- Unbundling nicht durchsetzen. Das ist das, was Sie heute nes Gas verkaufen. Abend vorhaben. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das US-Ministerium für Energie nennt das Gas, das Das Zweite, was ich gerne von der Bundesregierung Amerikaner verkaufen wollen, inzwischen „freedom gehört hätte, betrifft etwas anderes. Wir alle sind massiv gas“, also Freiheitsgas. Donald Trump schwärmt von Fra- daran interessiert, dass es keine weitere Destabilisierung cking als der Technologie, die aus den USA – Zitat – „die der Ukraine gibt. Was sind jetzt Ihre Schritte, liebe Bun- größte Energiesupermacht der Weltgeschichte“ geformt desregierung, lieber Michael Roth, um dazu beizutragen, hat. Wenn ich ganz ehrlich bin: Ich weiß nicht, ob ich dass der Dauerstreit über den Transit gelöst wird? Was nicht mehr Angst vor der Abhängigkeit von Trump habe werden Sie tun, um das Versprechen der Bundeskanzlerin als vor dem, was momentan mit den Russen läuft. einzulösen, dass es auch in Zukunft einen relevanten Transit über die Ukraine gibt, wovon unter anderem die (Beifall bei der LINKEN – Zurufe der Abg. Stabilität dieses Landes abhängt? Darauf gibt es keine Mark Helfrich [CDU/CSU] und Jürgen Trittin Antwort. Stattdessen nostalgische Erklärungen aus der [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vergangenheit. Wenn ich mir vorstelle, wir wären von Trump abhängig, (Bernd Westphal [SPD]: Ganz klar mit einbe- dann weiß ich nicht, ob das gut wäre. Zölle erhebt er. zogen! – Timon Gremmels [SPD]: Haben Sie Unternehmen werden unter Druck gesetzt. In anderen mir nicht zugehört?) Zusammenhängen werden exterritoriale Sanktionen ver- hängt. Bitte schön, also wenn man sich von dem abhängig Ich will eine letzte Bemerkung, nach vorne gerichtet, machen würde – Katastrophe! machen. Haben Sie sich eigentlich mal ausgemalt, was es heißt, wenn die Kommission unter Insofern bin ich froh, dass die Haltung der Bundesre- das umsetzt, was sie in ihren Richtlinien angekündigt hat. gierung auch in dieser Frage klar war. Ich bin auch froh, Es wurde verlautet, dass man in den ersten 100 Tagen dass wir nun die Änderung der EU-Gasrichtlinie umset- dieser Kommission ein Klimagesetz verabschiedet, mit zen und dass damit Nord Stream 2 zustande kommt. Wir dem verbindlich – verbindlich! – festgelegt wird, dass müssten allerdings mal darüber reden, ob die Bundesre- Europa 2050 klimaneutral ist. Das ist erst mal die Defini- gierung nicht insgesamt ein wenig konsequenter gegen tion, lieber Kollege Gremmels, des Rahmens bezüglich diese amerikanische Handelspolitik vorgehen sollte. Übergangstechnologie. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15435

Jürgen Trittin (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir haben aber schon einige Inhalte besprochen. Ich glau- (C) Es ist gleichzeitig die Definition dessen, wie lange die be, es lohnt sich schon, dass wir noch mal auf diese Gas- Abschreibungsfrist für diese Pipeline läuft. richtlinie schauen. Es ist so, dass wir hier natürlich eine EU-rechtskonforme Umsetzung vorlegen werden; das ist Haben Sie sich mal überlegt, was das für Deutschland überhaupt keine Frage. Das wurde auch entsprechend ju- heißt? 2050 klimaneutral zu sein, hieße für Deutschland, ristisch geprüft. wir müssten 2030 mindestens 50, besser 55 bis 60 Prozent Die Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt der EU in Europa eingespart haben. Ihr Klimapäckchen ist nicht sollen künftig auch für Leitungen nach und aus Drittlän- mal in der Lage, das deutsche Klimaziel von 55 Prozent dern gelten, wenn sie auf dem Territorium oder im Küs- zu erreichen. Da fehlen mindestens 6 oder 7 Prozent tengewässer eines EU-Mitgliedstaates verlaufen. Für be- punkte. Was passiert, wenn Deutschland das nicht er- stehende Leitungen gilt dabei ein Bestandsschutz, wenn reicht? Europa wird das alte Ziel ebenfalls verfehlen. er entsprechend beantragt wird. Aber wenn die Kommission sich mit ihrem Ansatz durch- setzt – ich habe von Ihnen keine Kritik daran gehört –, Zu den wichtigsten Elementen der EU-Erdgasbinnen- dann muss Deutschland bis 2030 nicht 55, sondern 65 bis marktrichtlinie werden gehören eine Entflechtung der Ei- 70 Prozent CO2 einsparen. Können Sie mir mal erklären, gentumsverhältnisse, der Netzzugang Dritter, nichtdiskri- wie Sie das mit Ihren Vorstellungen, mal eben Kohle minierende Tarife und Transparenzanforderungen. Jetzt durch Gas zu ersetzen, hinkriegen wollen? Das geht gar ist es so, dass auch die EU in Artikel 49a dieser Richtlinie nicht. die Versorgungssicherheit adressiert, dass sie auf die Ver- sorgungssicherheit abzielt. Die Versorgungssicherheit ist (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und bleibt also auch auf europäischer Ebene ein sehr, sehr Es geht noch viel weniger, meine Damen und Herren, wichtiges Ziel. wenn Sie Gas auch noch über den Südlichen Gaskorridor Gas dient als Energieträger eben der Erreichung der beziehen oder mit Subventionen für LNG-Terminals. entsprechenden Versorgungssicherheit. Wir brauchen Denn die CO -Bilanz des Gases, das an den LNG-Ter- 2 Gas auch zukünftig, um die schwankende Produktion minals ankommt, zum Beispiel aus Fracking-Produktio- von erneuerbaren Energien auszugleichen. Die flexibel nen in den USA – es gibt übrigens auch Fracking-Gas aus und schnell hochfahrbaren Gaskraftwerke eignen sich Russland, aus Australien –, ist schlechter als die CO - 2 hier wie kein anderer Energieträger. Zudem verfügt Gas Bilanz von Steinkohle. Wie wollen Sie also diese Klima- über die beste CO -Bilanz unter den fossilen Energieträ- schutzziele vor dem Hintergrund Ihrer Jubelarien über 2 gern. Gas wird also helfen, die Energie- und Klimaschutz- Nord Stream 2 tatsächlich erreichen? ziele Deutschlands und auch der Europäischen Union ins- (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gesamt zu erreichen. Gas ist letztlich Teil der Lösung und (D) nicht Teil des Problems, meine sehr geehrten Damen und Ich will Ihnen eins sagen: Nord Stream 2 wird kom- Herren. men. Nord Stream 2 ist eine Wette gegen die europäische Klimaschutzpolitik. Vielleicht konnte oder wollte man Derzeit verbraucht Deutschland pro Jahr circa 88 Mil- Nord Stream 2 auch nicht verhindern. Aber wir können liarden Kubikmeter Gas. Gas deckt zu 23 Prozent den dafür sorgen, dass die fossilen Fossile, die gewisserma- deutschen Primärenergiebedarf, und es trägt zu 18 Prozent ßen gegen die Klimaschutzpolitik wetten, diese Wette der Stromerzeugung bei. Dieser Anteil wird eher zu- als tatsächlich verlieren. Wir müssten aber anfangen, Klima- abnehmen, zumindest mittelfristig. Wir haben natürlich schutz zu betreiben. auch bei der Gasinfrastruktur den Vorteil, dass wir sie auch für die Erneuerbaren, für Power-to-X, nutzen kön- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nen, und wir werden das auch entsprechend machen. Die Frage, ob das für den privaten Betreiber zukünftig wirt- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: schaftlich sein wird, ist eine Frage, die sich der private Der letzte Redner ist der Kollege Dr. Andreas Lenz, Betreiber stellen muss, meine sehr geehrten Damen und CDU/CSU-Fraktion. Herren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir haben im Vergleich momentan allerdings eine komfortable Situation hinsichtlich der Versorgung mit Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Erdgas. Lediglich knapp 40 Prozent des deutschen Ver- brauches stammen aus Russland, 20 Prozent aus Norwe- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und gen, 30 Prozent aus dem Rest Europas und 7 Prozent aus Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Von Grön- Deutschland selbst. Zudem planen verschiedene Unter- land, Russland, USA vielleicht wieder zurück auf die nehmen den Bau von drei größeren LNG-Terminals in Ebene der Europäischen Union. Im April dieses Jahres Deutschland, was zusätzlich ein Volumen von circa wurde durch die EU eine Änderung der Richtlinie für den 25 Milliarden Kubikmetern Gas pro Jahr nach Deutsch- Erdgasbinnenmarkt, der EU-Gasrichtlinie, verabschiedet. land ans Netz bringen wird. Hintergrund war ein vorausgegangener Kompromiss zwi- schen Deutschland und Frankreich. Wir werden nach Mit- Global betrachtet werden derzeit zahlreiche neue Gas- ternacht noch die entsprechenden Änderungen im Ener- quellen erschlossen, Stichwort „EastMed“ oder auch der giewirtschaftsgesetz vornehmen, Stand jetzt um 2.22 Uhr. Südliche Gaskorridor. Ein Mehr an Angebot, auch durch Herr Kotré wird sicher noch da sein und sprechen, wäh- Nord Stream 2, wird nicht zu mehr Abhängigkeit führen, rend die anderen Redner ihre Rede zu Protokoll geben. sondern ganz im Gegenteil zu einem Mehr an Versor- 15436 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Dr. Andreas Lenz (A) gungssicherheit und zu einem Mehr an Diversifizierung Interfraktionell sind 38 Minuten für die Aussprache (C) für Deutschland insgesamt. Wir wollen also die EU-Gas- vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist richtlinie umsetzen, und zwar europarechtskonform, und das so beschlossen. wir glauben, dass das nicht im Widerspruch zu Nord Stream 2 steht. Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt für die Bundes- regierung die Parlamentarische Staatssekretärin Kerstin Sie von der AfD sprechen in Ihrem Antrag vom Schutz Griese. deutscher Unternehmen. Ich finde ganz interessant, dass (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Hermann nach Rücksprache diese Unternehmen von Ihnen gar Gröhe [CDU/CSU]) nicht geschützt werden wollen. Übrigens gibt es im Be- reich des Investitionsschutzes nach dem Energiecharta- Vertrag klare Regelungen, auch und gerade, was den Be- Kerstin Griese, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- reich des Investitionsschutzes betrifft. Genau diese Re- minister für Arbeit und Soziales: gelungen zum internationalen Investitionsschutz lehnen Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Sie an anderer Stelle grundsätzlich ab. Außerdem ist es Kollegen! Der Deutsche Bundestag berät und beschließt seltsam, dass Sie zwar zum einen die besten Freunde von heute das Gesetz zur Regelung des Sozialen Entschädi- Trump sind, zum anderen hier aber antiamerikanische gungsrechts. Meine Damen und Herren, mit diesem Ge- Ressentiments schüren. Das passt nicht ganz zusammen. setz schreiben wir Sozialgeschichte. Deswegen lehnen wir Ihren Antrag insgesamt ab. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Hermann Wir werden die EU-Gasrichtlinie umsetzen; wir wer- Gröhe [CDU/CSU] und Jens Beeck [FDP]) den das Projekt Nord Stream 2 entsprechend begleiten. Es Was mir besonders wichtig ist: Wir werden diese wichtige ist insgesamt ein privatwirtschaftliches Projekt. Jetzt ha- Reform hoffentlich in einem großen Konsens aller demo- ben wir eigentlich schon alles zum TOP 22, der später kratischen Fraktionen im Deutschen Bundestag beschlie- noch besprochen werden wird, gesagt. Aber lieber Herr ßen. Kotré, wir kommen natürlich wieder – oder auch nicht – und werden uns dann Ihre Märchengeschichte „Nord (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Stream 3 – die Fortsetzung“ anhören und unsere Umset- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der zung der Gasrichtlinie beschließen. FDP und des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit und bis spä- Daher möchte ich zu Beginn ein Wort des Dankes an die ter. Regierungsfraktionen von CDU/CSU und SPD und an die (B) (D) (Beifall bei der CDU/CSU) Oppositionsfraktionen von FDP, Die Linke und Bünd- nis 90/Die Grünen richten. Denn wir haben gemeinsam sehr konstruktiv und engagiert an dieser wichtigen So- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: zialreform gearbeitet. Herzlichen Dank dafür! Vielen Dank, lieber Kollege Lenz. – Ich schließe die Aussprache. (Beifall bei der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf bei Abgeordneten der CDU/CSU) Drucksache 19/14763 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind damit ein- Der Bundesregierung ist sehr daran gelegen, dass diese verstanden. Dann verfahren wir so. wichtige Reform nicht gegen, sondern mit den Betroffe- nen von Gewalt beschlossen wird. Deshalb auch ein herz- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: licher Dank an die Verbände, die die Entwicklung dieses Gesetzes intensiv begleitet haben. – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Gesetzes zur Regelung des Sozialen Ent- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- schädigungsrechts ordneten der CDU/CSU und der FDP) Drucksache 19/13824 Das sei mir an dieser Stelle auch erlaubt: ein besonders herzlicher Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- des BMAS, die teilweise seit Jahren an dieser wichtigen schusses für Arbeit und Soziales (11. Aus- Aufgabe arbeiten. schuss) (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Drucksache 19/14870 BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- ordneten der CDU/CSU und der FDP) – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- Meine Damen und Herren, Opfern von Gewalttaten ist schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung oftmals unermessliches Leid zugefügt worden. Erlittenes Drucksache 19/14879 Leid lässt sich niemals rückgängig machen. Aber der Staat kann dieses Leid anerkennen, kann Hilfen anbieten Es liegen dazu zwei Entschließungsanträge der Frak- und unterstützen und zumindest materiell entschädigen. tion der AfD vor. Unsere geltenden Regelungen basieren aber noch auf der Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15437

Parl. Staatssekretärin Kerstin Griese (A) Kriegsopferversorgung für die Opfer beider Weltkriege Ich bitte Sie um Zustimmung zu dem neuen Sozialen (C) aus den 50er-Jahren. Jetzt brauchen wir ein neues Recht, Entschädigungsrecht, das eine wichtige und notwendige bei dem die Betroffenen von Gewalttaten, auch von psy- Grundlage ist für mehr Vertrauen und bessere und um- chischer und sexualisierter Gewalt, genauso wie ihre An- fassendere Leistungen für Betroffene von Gewalt und gehörigen und Hinterbliebenen im Mittelpunkt stehen. Terror; denn sie verdienen alle unsere Hilfe und Solida- Ihnen muss schnell und umfassend geholfen werden. rität. Das ist Aufgabe aller staatlichen Stellen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- Das Gesetz, das wir heute beschließen, setzt nach der ordneten der CDU/CSU und der FDP) Ausschussberatung genau hier mit Verbesserungen an. Opfer von Gewalttaten sollen möglichst schnell und ein- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: fach alle verfügbaren Hilfen erhalten. Ziel ist es, dass sie Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. – Für die AfD- die Tat und ihre Folgen überwinden und in ihren Alltag Fraktion hat das Wort der Kollege Uwe Witt. zurückfinden. Eine ganz wichtige Aufgabe kommt dabei den Traumaambulanzen zu; denn hier sollen Betroffene, (Beifall bei der AfD – Hermann Gröhe [CDU/ die eine Gewalttat erlebt haben, schnelle und unbürokra- CSU]: Jetzt sich einfach entschuldigen!) tische Hilfe erhalten. Dauerhafte psychische Schäden können so vermieden, zumindest aber gemindert werden. Uwe Witt (AfD): Da vor allem Kinder und Jugendliche eine besondere Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste des Ho- Unterstützung benötigen, wurde für sie die Anzahl der hen Hauses! Nach dem feigen und hinterhältigen An- vorgesehenen Stunden in den Traumaambulanzen im par- schlag auf dem Breitscheidplatz am 19. Dezember 2016 lamentarischen Verfahren noch einmal von 15 auf mit 12 Mordopfern und 50 Verletzten ist die Einführung 18 Stunden erhöht. eines neuen Entschädigungsrechts dringendst notwendig geworden. Daher begrüßen wir als AfD es grundsätzlich, (Beifall bei der SPD) dass die Regierung endlich versucht, für soziale Gerech- Wir haben das Anliegen der genannten Fraktionen, der tigkeit in Deutschland zu sorgen. Verbände und auch einiger Länder aufgegriffen, dass von Doch in einigen Teilen des SGB XIV ist es leider bei Gewalttaten Betroffene die Leistungen der Traumaambu- einem Versuch geblieben. Der Koalitionsvertrag zwi- lanzen schon früher, bereits ab dem Jahr 2021, erhalten (B) schen CDU, CSU und SPD sieht zwar vor, dass mit der (D) können. Vielen Dank auch dafür. Gesetzesreform keine Leistungsverschlechterung für Op- fer von Gewalttaten jeglicher Art hervorgehen soll. Die (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Realität sieht aber leider anders aus. Dass Sie als Koali- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- tion das neue SGB XIV innerhalb von drei Wochen durch ordneten der CDU/CSU und der FDP) die Gremien peitschen und am heutigen Tage im Bundes- Noch ein ganz wichtiger Punkt, an dem wir den Ge- tag verabschieden wollen, ist eine sportliche Leistung, setzentwurf gemeinsam mit den Regierungsfraktionen und den drei genannten Oppositionsfraktionen noch mal (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Wir verbessert haben: Sexueller Missbrauch, egal gegen wen, können halt auch was!) egal von wem er verübt wurde, ist ein schlimmes Ver- birgt aber die Gefahr, dass der gute Wille zu einer Ver- brechen. Daher haben wir im Gesetzentwurf klargestellt, schlimmbesserung führt. dass alle Opfer von sexuellem Missbrauch künftig Leis- tungen nach dem neuen Sozialen Entschädigungsrecht Ich weiß nicht, ob die Genossen der SPD Angst vor erhalten können. ihrem eigenen Bundesparteitag im Dezember haben; aber anders kann ich mir nicht erklären, warum deshalb die (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem sozialen Gesetze wie erst kürzlich das Pflegelöhnever- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- besserungsgesetz im Schweinsgalopp auf den Weg ge- ordneten der CDU/CSU und der FDP) bracht werden. Wir haben bei Bildungsaufenthalten im Ausland, wenn Wir als AfD-Fraktion haben in dem Bereich der Sozia- dort jemand eine Gewalttat erlebt hat, die Zeit, in der das len Entschädigung zwei Entschließungsanträge einge- Soziale Entschädigungsrecht greift, auf ein Jahr verlän- bracht, auf die ich gern näher eingehen möchte. Wir for- gert. Das bedeutet eine Verbesserung für alle, die zum dern die Einführung einer Clearingstelle, also einer Beispiel im Rahmen eines Schüleraustausches, im Stu- Einrichtung zur Koordination und Schlichtung zwischen dium oder im Freiwilligendienst im Ausland sind, was Trägern und Betroffenen. Gestellte Anträge werden zur- oft ein Jahr andauert. zeit in der Regel in einem Zeitraum zwischen einem und drei Jahren bearbeitet. Kommt es dann noch zu einem Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Widerspruchsverfahren, verzögert sich der Vorgang auf Kollegen, das sind nur einige der Änderungen. Insgesamt unbestimmte Dauer. Wir erwarten, dass mit der Einfüh- liegt jetzt mit Ihrer konstruktiven Unterstützung aus dem rung einer Clearingstelle der hohe Prüf- und Verwaltungs- Parlament ein sehr gutes Gesetz zur Abstimmung vor. aufwand deutlich reduziert werden kann; denn 2017 Dafür danke ich Ihnen herzlich. wurden 50 Prozent der Anträge abgelehnt. Durch die Ein- 15438 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Uwe Witt (A) schaltung einer Clearingstelle werden der Verwaltung Herr Präsident, ich komme jetzt zum Schluss. (C) Möglichkeiten zu weiteren Verfahrensweisen aufgezeigt und damit das Risiko langer Verfahrensdauern gemindert. (Dr. Matthias Bartke [SPD]: Das ist gut!) Kommen wir jetzt zu unserem zweiten Antrag. Die Das Gesetz verbessert sicherlich vieles, es führt aber auch Einführung eines neuen Entschädigungsrechts sieht unter teilweise, wie ausgeführt, zu Verschlechterungen, die wir § 138 SGB XIV leider keine Verbesserung gegenüber als AfD im Sinne der Geschädigten verhindern wollen. § 10a des alten Opferentschädigungsgesetzes vor. Im Ge- Da dieses Gesetz für die Opfer und nicht für den Partei- genteil: Der § 10a Opferentschädigungsgesetz samt der proporz gemacht wurde, Härtefallregelung wurde in § 138 Absatz 3 ff. SGB XIV (Zurufe von der SPD: Oh!) eins zu eins übernommen. Das bedeutet, der Anspruch auf einen Berufsschadensausgleich bleibt den Betroffe- verstehen wir umso weniger, warum Sie unsere Vorschlä- nen, die vor dem 16. Mai 1976 Opfer einer Gewalttat ge ablehnen. Ich appelliere noch einmal an Sie: Denken wurden, auch weiterhin verwehrt. Ebenso bleiben den Sie bitte an die Opfer und nicht daran, reflexartig alle Betroffenen Heilbehandlungen, Rehamaßnahmen und Anträge der AfD abzulehnen. andere Hilfen als Folge der Schädigung versagt. Vielen Dank. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Herr (Beifall bei der AfD – Sven Lehmann [BÜND- Witt, sagen Sie mal was zu der Sichert-Rede NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben sich disqua- von der ersten Lesung! Da höre ich gar nichts lifiziert!) mehr von!)

Im Falle einer Bedürftigkeit erhalten sie bestenfalls eine Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Erwerbsminderungsrente, die sehr gering ausfällt und auf Der nächste Redner: für die CDU/CSU-Fraktion der andere Leistungen wie zum Beispiel Arbeitslosengeld II Kollege Peter Weiß. angerechnet wird. (Beifall bei der CDU/CSU) (Dr. Matthias Bartke [SPD]: Wo haben Sie denn Herrn Sichert gelassen?) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Sie, Herr Heil – leider ist er nicht mehr da –, fordern im Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! neuen Entschädigungsrecht auch noch eine Heranziehung Der erste Abgeordnete meines Wahlkreises, Heinrich von Vermögen bei der Beurteilung, ob eine Bedürftigkeit Höfler, war 1950 der Berichterstatter für das Kriegsopfe- vorliegt oder nicht. Dies ist eine Verhöhnung der Opfer, rentschädigungsrecht. Das war damals eine große Leis- (B) (D) insbesondere wenn man an Ihre vehemente Weigerung in tung, und deswegen freue ich mich persönlich, dass ich der aktuellen Diskussion um die Bedürftigkeitsprüfung heute zu dem Thema „neues Soziales Entschädigungs- bei der Grundrente denkt. Für die Opfer aber bedeutet recht“ sprechen kann. Das Sozialgesetzbuch XIV ist ein diese Bedürftigkeitsprüfung eine deutliche und spürbare Gesetz, mit dem wir uns allen Opfern zuwenden – den Verschlechterung. Kriegsopfern, den Gewaltopfern, den Terroropfern und Das neue Entschädigungsrecht sieht auch immer noch den Opfern sexualisierter Gewalt – und ein neues, moder- keine Gleichstellung von Leistungen in den neuen und in nes Opferentschädigungsrecht schaffen, das für alle ver- den alten Bundesländern vor. Wie soll man es jemandem besserte Leistungen bringt. plausibel machen, dass der Regierung das Leid, das zum Übrigens – weil der Weiße Ring gerade erwähnt wor- Beispiel durch Missbrauch entstanden ist, von Opfern aus den ist –: Der Weiße Ring, eine verdienstvolle Organisa- dem Osten weniger wert ist als das von Opfern aus dem tion, die sich um Opfer kümmert, begrüßt dieses Gesetz Westen? 30 Jahre nach der Wiedervereinigung sollte man ausdrücklich. Ich freue mich, dass wir als Gesetzgeber doch meinen, dass diese Ungleichheit zwischen Ost und uns mit der bedeutendsten Opferschutzvereinigung in West endlich mal ein Ende hat. Deutschland, dem Weißen Ring, einig darüber sind, was (Beifall bei der AfD – Leni Breymaier [SPD]: gut und richtig ist. So ein Quatsch!) (Beifall bei der CDU/CSU) Mit unseren Entschließungsanträgen wollen wir für die Wir wollen mit diesem Opferentschädigungsrecht eine betroffenen Opfer eine tatsächliche und gerechte Verbes- Vielzahl von Einzelgesetzen zusammenfassen, sie für die serung schaffen. Ohne diese Veränderungen sehen wir Betroffenen verständlicher und nachvollziehbarer ma- mit der Einführung des neuen SGB XIV teilweise eine chen und vor allen Dingen auch für schnellere Hilfe sor- deutliche Verschlechterung der Situation der Geschädig- gen. Deswegen ist dieses Gesetz ein Gesetz, das zum ten, Ersten ein ganzes Stück Entbürokratisierung bringt und (Dr. Matthias Bartke [SPD]: Das ist ja echt zum Zweiten den Betroffenen schnellere Hilfe ermög- absurd!) licht. da die Probleme aus der alten Gesetzeslage mit in das Meine sehr geehrten Damen und Herren, ein modernes neue Gesetz übernommen werden und für die Betroffenen Opferentschädigungsrecht nimmt zu Recht auch die Fol- in den genannten Bereichen keine Verbesserungen ent- gen psychischer Gewalt in den Blick und wendet sich vor stehen. Das sieht der Weiße Ring übrigens auch so, Herr allen Dingen – Frau Staatssekretärin Griese hat es vorge- Kollege Bartke. tragen – auch den vielfältigen Formen sexualisierter Ge- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15439

Peter Weiß (Emmendingen) (A) walt zu, sodass wir den Opfern entsprechende Hilfe zu- serem Land, die sie verdient haben, eine Solidarität, zu (C) kommen lassen können. der wir als Staat und Gesellschaft insgesamt stehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Vielen Dank. neten der SPD und des Abg. Jens Beeck [FDP]) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Großen Wert haben wir auf schnelle Hilfe gelegt. Wir bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE wollen flächendeckend Traumaambulanzen in Deutsch- GRÜNEN) land errichten, auch Traumaambulanzen, die speziell auf die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen eingestellt Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: sind. Für die FDP-Fraktion hat das Wort der Kollege Jens Meine sehr geehrten Damen und Herren, Opferent- Beeck. schädigungsleistungen machen eine Gewalttat nicht un- (Beifall bei der FDP) geschehen. Aber mit der Opferentschädigung geben wir den Opfern ein Stück ihrer Würde zurück, und vor allen Jens Beeck (FDP): Dingen zeigt dieser Staat, zeigen wir als Gesellschaft Solidarität mit den Opfern. Das hat nicht nur finanziell, Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin- sondern auch ideell für die Opfer und ihre Angehörigen nen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste des Hauses! Ein eine große Bedeutung. neues Sozialgesetzbuch auf den Weg zu bringen, ist wahr- lich nichts, was hier so oft passiert. Das Soziale Entschä- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie digungsrecht als besonders nobler Ausdruck der Bezie- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE hung zwischen dem Sozialstaat und seinen Bürgerinnen GRÜNEN) und Bürgern blickt in Deutschland mit dem Allgemeinen Preußischen Landrecht auf eine Erfahrung bis in das Jahr Dass wir nicht nur an Geldleistungen, sondern auch an 1794 zurück. personelle Hilfe denken, zeigt die Tatsache, dass wir für professionelle Begleitung und Unterstützung durch Fall- Mit der heutigen Verabschiedung eines Sozialgesetz- manager sorgen wollen, die eine zentrale Bedeutung im buchs XIV widmen wir uns Leistungsansprüchen für Op- neuen Sozialgesetzbuch XIV erhalten. fer von Gewalttaten, für Opfer von Terrortaten, für Opfer sexualisierter Gewalt – psychischer wie physischer – und Verehrte Kolleginnen und Kollegen, mit diesem neuen beispielsweise auch für diejenigen, die als Kinder und Gesetz haben wir darauf geachtet, dass Hilfe unbürokra- Jugendliche in kirchlichen und/oder staatlichen Einrich- tisch geleistet wird, dass nicht noch zusätzlicher Verwal- tungen schwerstes Leid erfahren haben. (B) tungsaufwand entsteht und auf die Betroffenen zukommt. (D) Wir gestatten den Ländern, wenn sie das wollen, Aufga- Ungewöhnlich ist, dass die Fraktionen der Regierungs- ben auch auf die Unfallkassen zu übertragen. koalition, aber auch von FDP, Die Linke und Bündnis 90/ Die Grünen in diesem Hause und das BMAS mit seinem Es ist von Frau Staatssekretärin Griese schon gesagt großen Stab für das Soziale Entschädigungsrecht gemein- worden: Das Sozialgesetzbuch XIV ist wirklich ein Stück sam daran gearbeitet haben, ein solches Gesetz erfolg- Sozialgeschichte, ein Meilenstein in der Sozialgesetzge- reich auf den Weg zu bringen, und im Grunde bis zum bung. Deswegen möchte ich vor allen Dingen den beiden Montagabend dieser Woche noch Verbesserungen einge- Berichterstattern der Koalitionsfraktionen, die sich ja bracht haben. schon im Vorfeld der Erarbeitung des Entschädigungsge- setzes diesem Thema gewidmet haben, die sich in eine Uns Freien Demokraten war es besonders wichtig, dass komplizierte Materie tief eingearbeitet haben und mit ei- nun klargestellt ist, dass auch alle ehemaligen wehr- ner Vielzahl von Anträgen das Gesetz weiter verbessert dienstbeschädigten Soldaten von der 25-prozentigen Er- haben, nämlich dem Ausschussvorsitzenden Matthias höhung des Berufsschadensausgleichs profitieren wer- Bartke und unserem Kollegen Peter Aumer, ein ausdrück- den. Ein anderer wichtiger Punkt war für uns, dass die liches Dankeschön von den Koalitionsfraktionen – aber Opfer in den Traumaambulanzen, die vor 2024 eingerich- ich denke, auch des ganzen Hauses – sagen. tet werden sollen, Termine wahrnehmen können, ohne dass ihnen das bei auftretenden Spätfolgen nach dem (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie 1. Januar 2024 zum Nachteil gereicht. Ebenso bedeutsam bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Sven ist für uns, dass Fallmanager durch die komplexe Struktur Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) mit all den Schnittstellen, die an dieser Stelle leider auch neu geschaffen werden müssen, führen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, eigentlich hätte man sich gewünscht, dass so ein Gesetz zu einer viel (Beifall bei der FDP) prominenteren Uhrzeit im Deutschen Bundestag beraten und beschlossen wird. Aber es liegt an uns, die gute Bot- Ebenso ist wichtig, dass das Trauma durch das eigent- schaft anschließend auch nach draußen zu tragen. liche Schadensereignis nicht auch noch durch abschre- ckende Verwaltungsbürokratie verlängert wird, und ich Ich finde, dieses neue Opferentschädigungsrecht ist – hoffe sehr, dass das neue Soziale Entschädigungsrecht alles zusammengefasst – eine tolle und gute Leistung, auf dazu heute durch eine im großen Konsens aller Fraktio- die wir stolz sein können. Ich finde, wir haben etwas nen im Hause getragene Verabschiedung beitragen kann. Gutes geschaffen. Vor allen Dingen ist es ein deutliches Schneller, unbürokratischer Hilfe zu leisten, das ist das und klares Zeichen der Solidarität mit den Opfern in un- Ziel, dem wir uns heute verschrieben haben. 15440 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Jens Beeck (A) Es ist schon erwähnt worden: Die offensichtlichen Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): (C) Defizite im bisher bestehenden Recht sind besonders Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist gut, deutlich geworden im März 2015 beim Absturz der Ger- dass wir heute ein umfassendes und deutlich verbessertes manwings-Maschine und beim Terroranschlag am Breit- Soziales Entschädigungsrecht als neues Sozialgesetz- scheidplatz im Dezember 2016. Gerade der Terroran- buch XIV auf den Weg bringen. Menschen, die unver- schlag machte deutlich, dass Opfern und Angehörigen schuldet durch die Gewalt anderer schwerwiegende Fol- durch die sehr komplizierten Verfahren danach eine wei- gen zu tragen haben, brauchen schnelle und zielgerichtete tere unnötige und zusätzliche Belastung wiederfahren ist. Hilfe, auch staatliche. Und die wird es künftig geben. Er hat übrigens auch deutlich gemacht, dass das Soziale Fünf Punkte will ich hervorheben: Entschädigungsrecht jeden betrifft; denn keines der Opfer am Breitscheidplatz war individuell gemeint, sondern ge- Erstens. Alle Menschen, die in Deutschland Gewalt meint war unsere freie Gesellschaft. Es hätte jeden von erleben, werden nun im Entschädigungsrecht gleichbe- uns treffen können, und daraus ergibt sich zu Recht das handelt, egal welcher Herkunft sie sind oder welche Na- Eintreten des Staates für das, was an Folgen hinterher tionalität sie haben. Das ist gut. abzumildern ist. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ten der SPD) der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zweitens. Die Opfer werden deutlich mehr Geld erhal- ten. Das ist gut. Meine sehr verehrten Damen und Herren, jedes einzel- ne Gewaltopfer hat eine eigene Biografie, unterschied- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) liche Verletzungen, individuelle Ansprüche und Bedürf- Drittens. Die schnellen Hilfen werden durch Traum- nisse. Mit den neuen Regelungen werden wir darauf aambulanzen ermöglicht, und Fallmanager und Fallma- besser als bisher reagieren können, und es wird sich zei- nagerinnen werden die Betroffenen unterstützen, sich im gen, ob wir weitere Evaluierungen vornehmen müssen. In Verfahren zurechtzufinden. Das ist gut. jedem Fall gelingt mit dem heutigen Gesetz eine deut- liche Verbesserung gegenüber dem bisherigen Status (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- quo. Der weittragenden Auswirkungen eines jetzt wieder neten der SPD) zeitgemäßen Entschädigungsrechts sind wir uns sehr be- Viertens. Psychische Gewalt und Stalking werden ex- wusst. Aus einer Hand, unbürokratisch, ausreichend und plizit in das Gesetz aufgenommen. Das ist gut. schnell – daran wird sich das neue Recht messen lassen (B) müssen. Fünftens. Die Traumaambulanzen werden bereits zum (D) Jahr 2021 in den Ländern eingerichtet werden und nicht – (Beifall bei der FDP) wie von der Koalition zunächst geplant – erst ab 2024 ihre Die Novelle war notwendig, sie war lange überfällig, Arbeit aufnehmen. Das ist gut und wurde von der Op- und wenn wir nach neun Jahren heute dabei zu einem position in den Gesetzentwurf hineinverhandelt. guten Ergebnis kommen, dann ist das ein Erfolg für alle (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- sozialpolitisch verantwortlich denkenden Abgeordneten NIS 90/DIE GRÜNEN) in diesem Haus, nie wieder den Kern aus den Augen zu verlieren: Menschen, die von ganz besonderen Wir Linken begrüßen es außerdem ganz besonders, Schicksalsschlägen getroffen worden sind, schnell und dass alle Formen von Angriffen auf die sexuelle Selbst- effektiv zu helfen. bestimmung von Kindern und Jugendlichen sowie von Erwachsenen vom Entschädigungstatbestand erfasst sind. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Darauf haben wir uns in einer gemeinsamen Beschluss- der SPD und der LINKEN) empfehlung der Regierungsfraktionen und der Fraktionen der demokratischen Opposition verständigt, und das war Dazu leisten wir heute einen wichtigen Beitrag. und ist der Linksfraktion außerordentlich wichtig. Und – Herr Präsident, letzter Satz –: Ich bin stolz da- (Beifall bei der LINKEN) rauf in der Sache und ein wenig froh und auch stolz auf Warum? Es bedeutet: Die Betroffenen erhalten jetzt die das Verfahren, das wir gemeinschaftlich gewählt haben. notwendige Rechtssicherheit. Auch das ist ein gutes Signal. Die Freien Demokraten werden diesem Gesetzentwurf heute sehr gerne zustim- Meine Damen und Herren, für eine Opfergruppe ist men. Gewalt meistens kein einmaliges Ereignis, sondern leider oft Alltag: Hunderttausende Frauen – und einige Tausend (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD Männer – erleben in Deutschland Gewalt durch ihren und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) eigenen Partner, ihre Partnerin, durch Bekannte oder auch durch Fremde. Frauen sind besonders betroffen; denn je- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: de vierte Frau hat schon mindestens einmal in ihrem Le- Für die Fraktion Die Linke hat das Wort der Kollege ben häusliche Gewalt erleben müssen, und jede dritte Matthias Birkwald. Frau erlebt im Verlaufe ihres Lebens häusliche oder se- xualisierte Gewalt. Doch ausgerechnet diese größte aller (Beifall bei der LINKEN) Opfergruppen erhielt nach dem alten Recht oft keine Ent- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15441

Matthias W. Birkwald (A) schädigung. Ihnen wurden oft Leistungen wegen soge- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (C) nannter Unbilligkeit oder Mitverursachung versagt. Das Vielen Dank, lieber Kollege Matthias Birkwald. – Ich betraf und betrifft insbesondere Frauen, die „zu lange“ in erteile das Wort der Kollegin Katja Keul, Bündnis 90/Die der „Partnerschaft“ geblieben sind oder sogar in die Ge- Grünen. waltbeziehung zurückgingen. Aus der Praxis der Bera- tungsstellen, aus der Praxis der Frauenhäuser und aus (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der Wissenschaft wissen wir aber, dass diese Frauen meist gar keine andere Chance hatten. Und deshalb ist es gut Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): und richtig, dass nun alle Formen von Angriffen auf die Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kol- sexuelle Selbstbestimmung von Kindern und Jugendli- leginnen! Erinnern wir uns kurz an die Rechtslage, mit chen sowie von Erwachsenen vom Entschädigungstatbe- der die Opfer des Attentats vom Breitscheidplatz 2016 stand des § 13 Absatz 1 SGB XIV umfasst sind. Diesen konfrontiert waren: Nach dem Opferentschädigungsge- Punkt hat Die Linke im Beratungsprozess besonders stark setz hätte es Rentenansprüche geben können – aber leider betont. nicht, wenn die Tat mit einem Kraftfahrzeug verursacht worden ist. Auch für Ausländer sah das Gesetz keine An- (Beifall bei der LINKEN) sprüche vor. Dafür gab es Ansprüche aus dem Verkehrs- Das gilt für die Verbesserung der Situation von Betrof- opferhilfe-Fonds, der den Sachschaden und das Schmer- fenen häuslicher Gewalt; denn dazu gehört, dass der Ver- zensgeld erfasste, aber eben keine Versorgungsrenten. bleib in einer häuslichen Gemeinschaft mit einem Außerdem sind diese Hilfen auf einen unzureichenden Schädiger nicht grundsätzlich als vorwerfbare Selbstge- Gesamtbetrag gedeckelt. fährdung gewertet werden soll. Von Gewalt betroffene Aus dem Härtefonds für Opfer von Terroranschlägen Frauen müssen nun auch nicht mehr Anzeige erstatten, konnten ebenfalls Leistungen erfolgen, allerdings nur um Leistungen zu erhalten. Damit wird eine wesentliche nach Ermessen; denn hier wiederum besteht kein Rechts- Hürde abgebaut, und das ist gut so. anspruch. Und als ein Jahr später in Münster ein psy- chisch Kranker mit einem Auto in eine Menschenmenge (Beifall bei der LINKEN) raste, fielen die Opfer weder unter das Opferentschädi- Wir hätten uns an dieser Stelle noch deutlichere Regel- gungsgesetz noch unter den Härtefonds, weil es sich nicht ungen gewünscht. Es braucht eine eindeutige Klarstel- um einen Terrorakt handelte. Diese juristische Komple- lung, dass das Verbleiben in einer Gewaltbeziehung nicht xität ist nicht nur für die Betroffenen unübersichtlich und zu „Unbilligkeit“ und damit zum Leistungsausschluss ein einziges Durcheinander. führt. Nun heißt es in der Beschlussempfehlung, dass (B) Am Ende hat man eine Härtefallklausel im Gesetz ge- (D) das Verbleiben in häuslicher Gemeinschaft nicht grund- nutzt, um die Opfer zu entschädigen, aber die Reform- sätzlich als Selbstgefährdung gewertet wird. Immerhin. bedürftigkeit der Norm war unübersehbar. Es ist daher Hier hätte das Gesetz aber klarer sein dürfen. gut, dass jetzt immerhin das Opferentschädigungsgesetz Ein Kritikpunkt zum Schluss: Wir halten es immer und das Bundesversorgungsgesetz in einem modernen noch für problematisch, dass das Gesetz erst ab dem Jahr und einheitlicheren Sozialgesetzbuch XIV zusammenge- 2024 gelten wird; denn damit werden die Erfassung von führt worden sind. psychischen Gewalttaten und die Beweiserleichterungen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) für die Opfer, die zwischen 2020 und 2024 Gewalt er- leiden müssen, nicht umgesetzt, und das ist schlecht. Sie sind dabei dankenswerterweise unserem Vorschlag aus der letzten Legislaturperiode gefolgt und haben die Meine Damen und Herren, als letzten Satz: Ich möchte Ausnahmeregelung für Straftaten, die mittels Kraftfahr- mich für das ausgesprochen transparente und wertschät- zeug begangen werden, gestrichen. Es ist gut, dass jetzt zende sowie konstruktive Verfahren und den Arbeitspro- alle gleichbehandelt werden, egal ob bei der Tat ein Pkw zess herzlich bei den Kollegen Matthias Bartke, Sven zum Einsatz kam oder nicht. Und auch die Staatsange- Lehmann, Jens Beeck, Peter Ammer und – stellvertretend hörigkeit ist kein Ausschlusskriterium mehr. fürs Ministerium – bei der Parlamentarischen Staatssek- retärin Kerstin Griese für die Union bedanken. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem Noch besser hätte ich es gefunden, wenn Sie noch ei- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nen Schritt weiter gegangen wären und auch die Ansprü- Trotz unserer Kritikpunkte und obwohl wir gerne wei- che auf Schmerzensgeld mit in das Gesetz aufgenommen tere Klarstellungen und Ergänzungen gesehen hätten, hätten. wird Die Linke diesem insgesamt guten Gesetzentwurf (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zustimmen. Das wäre zwar rechtssystematisch ungewohnt, aber aus Herzlichen Dank. der Perspektive der Opfer eine Erleichterung, zumal ein Schmerzensgeld eine andere Funktion hat als eine Ver- (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem sorgungsrente. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- ordneten der CDU/CSU und des Abg. Jens Richtig ist hingegen, dass der Fonds der Verkehrsop- Beeck [FDP]) ferhilfe in solchen Fällen vorrangig in Anspruch genom- 15442 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Katja Keul (A) men werden muss; denn das neue Gesetz soll schließlich (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (C) die Opfer und nicht die Haftpflichtversicherer besserstel- CDU/CSU) len. Wichtigste Verbesserung der Rechtslage ist die Einbe- Dr. Matthias Bartke (SPD): ziehung von Opfern psychischer Gewalt wie beispiels- Sehr geehrte Frau Präsidentin, vielen Dank für die Vor- weise von schwerem Stalking und Opfern sexueller Ge- schusslorbeeren! – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das walt. Schade ist allerdings, dass gerade diese Betroffenen Soziale Entschädigungsrecht ist ein wenig bekanntes Ge- erst für Taten ab 2024 Entschädigungsleistungen be- biet im Sozialrecht. Für die Opfer von Gewalttaten ist es kommen sollen. Dass die Behörden sich auf die neue aber das wichtigste Sozialgesetz überhaupt. Mit dem Rechtslage umstellen müssen, ist aus meiner Sicht keine neuen Sozialgesetzbuch XIV sortieren wir das Opferent- Rechtfertigung, die Betroffenen weitere drei Jahre schädigungsrecht jetzt in die Reihe der Sozialgesetzbü- schlechterzustellen. cher ein. Das ist keine kleine, formelle Änderung, es ist eine große Reform, die viele Verbesserungen für die Op- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fer bringt. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Positiv ist die Einführung eines Fallmanagers, damit (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie die Betroffenen möglichst aus einer Hand beraten werden bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNIS- und auch aus einer Hand Leistungen erhalten. SES 90/DIE GRÜNEN) Ebenfalls positiv ist die Beweiserleichterung durch Liebe Kolleginnen und Kollegen, Gewalt hat viele Glaubhaftmachung der schädigenden Straftat, wenn sonst hässliche Gesichter, und sie ist nicht immer nur körper- keine Beweismittel vorliegen. Damit ist auch das Erstat- lich. Mit dem SGB XIV bekommen Opfer psychischer ten einer Strafanzeige keine Voraussetzung mehr für den Gewalt erstmals auch die Möglichkeit, Leistungen zur Leistungsanspruch. Hilfreich ist in diesem Zusammen- Entschädigung zu erhalten. Das betrifft zum Beispiel Op- hang auch die neue Vermutungsregelung in § 4 Absatz 5 fer von Menschenhandel oder Stalking. Bei psychischer für die Fälle der psychischen Gesundheitsstörung. Da- Gewalt wird dem Opfer körperlich meist kein Haar ge- nach genügt künftig die Wahrscheinlichkeit des ursäch- krümmt. Aber psychisch schafft es der Täter, schwerste lichen Zusammenhangs. Ängste auszulösen und die normale Alltagsgestaltung komplett zu zerstören. Wenn durch diese psychische Die Beweiserleichterung gilt allerdings nicht für den Form von Gewalt massive gesundheitliche Folgen zu- Grad der körperlichen Beeinträchtigung; dieser wird nach rückbleiben, hat ein Opfer nach dem neuen Sozialgesetz- der Versorgungsmedizin-Verordnung bewertet und kann (B) buch XIV nun auch Anspruch auf Leistungen. Das ist (D) sich ohne Mitwirkung des Gesetzgebers jederzeit durch neu, und das ist wichtig. Anpassungen auch zulasten der Betroffenen ändern. Ge- rade ältere Menschen, die bereits über Jahrzehnte Leis- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten tungen beziehen, können jetzt von einer Änderung der der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Verordnung negativ betroffen sein. Hier ist vergessen GRÜNEN) worden, den Betroffenen Bestandsschutz für ihre Ansprü- che nach altem Recht zu sichern. Wir haben bei dieser Reform genau hingeschaut, woran gerade Opfer sexueller Gewalt bisher scheiterten, wenn (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- sie zu ihrem Recht kommen wollten. Deshalb bauen wir SES 90/DIE GRÜNEN) Hürden nun ab. Für einen Antrag auf Leistungen nach Trotz dieser einzelnen Mängel ist das neue Gesetz ins- dem Sozialgesetzbuch XIV reicht es künftig aus, wenn gesamt ein großer Schritt in die richtige Richtung, dem das Opfer seine Angaben glaubhaft schildert; Frau Keul wir gerne unsere Zustimmung geben. hat es eben dargestellt. Wenn es ansonsten keine Beweis- mittel für die Tat gibt, die Angaben aber glaubhaft er- Auch ich möchte mich im Namen meiner Fraktion scheinen, dann wird dem Opfer auch geglaubt. Das hilft noch einmal ganz herzlich für die wirklich konstruktive vor allem Opfern von sexueller Gewalt; denn – das wis- interfraktionelle Zusammenarbeit bedanken, ganz beson- sen wir alle – bei Sexualdelikten gibt es bekanntlich häu- ders bei der Staatssekretärin Kerstin Griese, die das so fig keine Zeugen. ermöglicht hat. Und, meine Damen und Herren, wir schaffen neue und Vielen Dank. bessere Leistungen, um die Opfer auf ihrem Weg der Ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, nesung zu unterstützen: Das sind die erhöhten monatli- bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abge- chen Entschädigungszahlungen. Das sind die Leistungen ordneten der CDU/CSU) zur Teilhabe. Das sind die Traumaambulanzen, die jetzt schon 2021 starten können, Herr Birkwald. Das ist das Fallmanagement, das die Opfer in den Behörden beglei- Vizepräsident in Claudia Roth: tet, und vieles mehr. Vielen Dank, Katja Keul. – Einen schönen guten Abend, liebe Kolleginnen und Kollegen, von mir und Meine Damen und Herren, heute ist ein historischer Ihnen weiterhin einen guten Verlauf! Es ist ziemlich si- Tag: Heute beenden wir ein Gesetzgebungsverfahren, cher, dass es jetzt passiert mit Dr. Matthias Bartke als das fast neun Jahre gedauert hat. Die letzten beiden Koa- nächstem Redner. litionen sind daran gescheitert – wir haben es geschafft. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15443

Dr. Matthias Bartke (A) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (Beifall des Abg. Peter Weiß [Emmendingen] (C) CDU/CSU) [CDU/CSU]) Und nicht nur das: Das Gesetz ist im Ausschuss fast ein- Das neue Soziale Entschädigungsrecht ist getragen von stimmig verabschiedet worden. Nur die AfD hat natürlich diesem Respekt. Das Sozialgesetzbuch XIV, das wir heu- dagegengestimmt. Wenn Sie zugestimmt hätten, wäre das te beschließen, ist eines der modernsten und durchdach- nach der Rede von Herrn Sichert in der ersten Lesung testen Opferentschädigungsgesetze in ganz Europa – des- auch geradezu makaber gewesen. wegen hat es wahrscheinlich auch neun Jahre gedauert. Die Bedürfnisse und Interessen der Opfer und deren An- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem gehörigen stehen im Mittelpunkt dieses Gesetzes. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- ordneten der CDU/CSU und der FDP – Zuruf Einige Beispiele dafür: Die Entschädigungszahlungen des Abg. Uwe Witt [AfD]) werden deutlich erhöht. Darüber hinaus erreichen wir – Sie haben sich enthalten. Sie haben nicht zugestimmt. mehr Menschen, unabhängig von ihrer Nationalität. Das war eine Lehre des Attentats vom Breitscheidplatz. Ich möchte mich ausdrücklich bei den Oppositions- Traumaambulanzen und schnelle Hilfen werden gewähr- fraktionen FDP, Linke und Bündnis 90/Die Grünen be- leistet. Opfer psychischer Gewalt und Schockschadens- danken für ihre außerordentlich konstruktive Mitarbeit. opfer erhalten Ansprüche. Opfer von sexueller Gewalt Ich fand das schön und der Sache auch angemessen. werden durch eine erleichterte Beweisführung besser in das SER und dessen Ansprüche aufgenommen. Und auch (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der die Angehörigen bekommen Leistungen des Sozialen LINKEN) Entschädigungsrechtes. Bedanken möchte ich mich auch bei meinem Berichters- tatterkollegen Peter Aumer, mit dem ich ganz großartig Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolle- zusammengearbeitet habe, und ganz besonders bei Frau ginnen und Kollegen, nach einigen Anläufen liegt heute Staatssekretärin Kerstin Griese, die unermüdlich für das das neue Sozialgesetzbuch XIV in zweiter und dritter Soziale Entschädigungsrecht tätig gewesen ist. Lesung zur Abstimmung vor. Dieses Sozialgesetzbuch ist getragen von einer großen Mehrheit dieses Hauses. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Es war schön, zu sehen, dass fast alle Oppositionsfraktio- der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des nen – bis auf die AfD – mitgeholfen haben, dieses neue BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Soziale Entschädigungsrecht zu etwas Besonderem zu Dort oben auf den Tribünen sehe ich die Mitarbeiter des machen: (B) Bundesministeriums, die ganz intensiv daran gearbeitet (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (D) haben. Ein riesiges Dankeschön an Sie! Richten Sie es der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des auch Ihren Kollegen aus! BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vielen Dank. einem Gesetz, das in enger Abstimmung mit den Opfer- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten verbänden verbessert worden ist – deren Erfahrungen und der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des tägliche Arbeit mit den Opfern finden sich in diesem BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Gesetz wieder –, einem Gesetz, das der Verantwortung des Staates für erbrachte Sonderopfer und erlittenes Un- recht in angemessener Weise Rechnung trägt, einem Ge- Vizepräsident in Claudia Roth: setz, das das Spannungsverhältnis zwischen Förderung Vielen Dank, Dr. Bartke. – Nächster Redner: der schon von Selbstbestimmung und Teilhabe am Arbeitsleben mit Dank bedachte und dem individuellen Schadensausgleich auflöst. (Heiterkeit) Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben in Peter Aumer für die CDU/CSU-Fraktion. einer Beschlussempfehlung des Ausschusses mehrere Punkte ganz besonders hervorgehoben. Die Kollegen, (Beifall bei der CDU/CSU) die vor mir geredet haben, haben schon viele herausge- hoben. Ich möchte nur noch einige Punkte nennen. Dass Peter Aumer (CDU/CSU): der Fonds Sexueller Missbrauch fortgeführt werden soll, Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und war ein Punkt. Dass die Traumaambulanzen schon 2021 Kollegen! Mit dem Sozialen Entschädigungsrecht, das in eingeführt werden sollen, ein anderer. Und wie Peter einem neuen Sozialgesetzbuch geregelt wird, kommen Weiß vorher gesagt hat: Auch das Thema Traumaambu- wir einem Versprechen nach: dem Versprechen, dass lanzen für Kinder und Jugendliche ist ein wichtiges The- Menschen, die vom Staat nicht geschützt werden konn- ma. Das wurde ebenfalls betont. ten, zum Beispiel vor Terroranschlägen, oder missbraucht wurden, die beste Begleitung und Versorgung unseres Vizepräsident in Claudia Roth: Staates gewährleistet bekommen. Das, meine sehr geehr- ten Damen und Herren, ist eine Frage des Respekts. Entschuldigen Sie bitte. – Ich würde wirklich bitten, vor allen Dingen bei der FDP-Fraktion, jetzt dieser Rede Genauso war der Brief der Angehörigen der Opfer vom zuzuhören. Das ist eine sehr intensive Diskussion. Ich Breitscheidplatz an die Bundeskanzlerin überschrieben: bitte die Kolleginnen und Kollegen, dieser Debatte jetzt „Eine Frage des Respekts“. bis zum Ende zu folgen. 15444 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Vizepräsident in Claudia Roth (A) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der CDU/CSU und des Abg. Matthias W. Birkwald (C) SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- [DIE LINKE]) NEN) Nicht nur das: Staatsangehörigkeit und Aufenthaltssta- tus sind nach unseren Anregungen nicht mehr maßgeb- Peter Aumer (CDU/CSU): lich. Das bedeutet beispielsweise, dass – im Gegensatz Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kol- zum auf Anschlag auf dem Breitscheidplatz – ein Israeli legen! Dass dieses Gesetz heute so zustande gekommen unter das geltende Recht fallen kann. Auch das ist wich- ist, ist auch dem Druck der Bundeskanzlerin zu verdan- tig: dass der Aufenthaltsstatus keine Rolle mehr spielt. ken, der eine Einigung auch wichtig war. Deswegen, glaube ich, ist die Einigung auch ein kleines bisschen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ beschleunigt worden. DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Matthias W. Birkwald Meine sehr geehrten Damen und Herren, dass dieses [DIE LINKE]) Gesetz heute von fast allen Fraktionen mitgetragen wird, ist ein wichtiges Zeichen für die Opfer und deren Ange- Für mich ist auch positiv, dass der Leistungsmaßstab hörige. Ich möchte den Dank erwidern: an alle, die das gegenüber der Krankenversicherung erheblich angeho- vorher schon gemacht haben, an die drei Oppositions- ben worden ist. Das war auch ein Thema. Jetzt kann der fraktionen, an dich, lieber Matthias, an Kerstin Griese, Leistungsmaßstab fast mit der gesetzlichen Unfallversi- an die Mitarbeiter des Ministeriums. cherung verglichen werden, entspricht fast einer Rehabi- litation mit allen geeigneten Mitteln. Auch dafür bedanke Ich möchte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, bit- ich mich ganz herzlich. ten, heute diesem Gesetz zuzustimmen – einem Gesetz, das getragen ist vom Respekt vor den Opfern und ihren (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Angehörigen. Die Opfer und ihre Angehörigen stehen im Der Zugang zu Traumaambulanzen und die Be- Mittelpunkt dieses Gesetzes. Stimmen Sie deshalb die- treuungsqualität wurden erheblich verbessert. Was ich sem Gesetz zu, weil jede Stimme für dieses neue Soziale auch sagen muss: Man kann zwar – das wurde vorhin Entschädigungsrecht ein Zeichen des Respekts ist! von Herrn Weiß gesagt – mit Finanzmitteln kein Leid Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ausgleichen. Aber es sind jetzt Renten von über 2 000 Euro pro Monat möglich. Auch das ist wichtig und richtig. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNIS- Schließlich und endlich ist auch eine Leistung aus einer SES 90/DIE GRÜNEN) Hand möglich. Die Länder können zum Beispiel auch der (B) gesetzlichen Unfallversicherung die Aufgaben übertra- (D) gen. Vizepräsident in Claudia Roth: Vielen Dank, Peter Aumer. – Der letzte Redner, der in Dieses Gesetz ist richtungsweisend. Dieses Gesetz dieser Debatte redet, ist Dr. Edgar Franke für die SPD- setzt ein eindeutiges politisches Signal; denn Terroropfer Fraktion. sind stellvertretend für den Staat angegriffen worden, sei es auf dem Breitscheidplatz oder sei es in Halle, wo ich (Beifall bei Abgeordneten der SPD) vor drei Wochen war.

Dr. Edgar Franke (SPD): Ich möchte schließen: Opfer von Gewalttaten haben, meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht nur die Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und bestmögliche Versorgung, sondern auch unsere Solidari- Herren! Das SGB XIV ist wahrlich ein gutes Gesetz. Es tät, die Solidarität der Gesellschaft, verdient. ist ein Gesetz, das Opfer von Gewaltkriminalität, aber auch Terroropfer wesentlich besserstellt als bisher. Viele Ich danke Ihnen ganz herzlich. Anregungen – auch von mir als Opferbeauftragtem der Bundesregierung – sind in das Gesetz aufgenommen wor- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten den. Kerstin Griese und das Ministerium sind schon sehr der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des gelobt worden. Ich darf mich aber auch ganz herzlich BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) bedanken, dass ich frühzeitig einbezogen wurde und viele meiner Anregungen aufgenommen worden sind. Vizepräsident in Claudia Roth: Vielen Dank, Dr. Edgar Franke. – Der Kollege Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben 1) aus den Erfahrungen gelernt. Am Breitscheidplatz stand Torbjörn Kartes gibt seine Rede zu Protokoll. zum Beispiel ein Vater mit seinen vier Kindern an der (Beifall des Abg. Grigorios Aggelidis [FDP]) Ampel und musste den Anschlag miterleben. Seitdem konnte er nicht mehr arbeiten. Er fiel nicht unter das alte Damit schließe ich die Aussprache. Recht. Wir haben jetzt eine Regelung, dass in Zukunft alle Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- unmittelbaren Tatzeugen im neuen SGB XIV erfasst wer- desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Regelung den. Das ist eine wichtige und richtige Regelung, meine des Sozialen Entschädigungsrechts. Der Ausschuss für sehr verehrten Damen und Herren. Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussemp- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der 1) Anlage 7 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15445

Vizepräsident in Claudia Roth (A) fehlung auf Drucksache 19/14870, den Gesetzentwurf der geln: Es kommt auf die Sprache an. Der Ton macht die (C) Bundesregierung auf Drucksache 19/13824 in der Aus- Musik. Und: Unterscheide zwischen dem Problem und schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem der Person! Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol- len, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer Bundesaußenminister Maas hat es geschafft, in einer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter einzigen Pressekonferenz alle diese Regeln zu missach- Beratung angenommen. Zugestimmt haben die Fraktio- ten. Der Bundesaußenminister war Ende Oktober als nen der Linken, der SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/ Chefdiplomat der Bundesrepublik in der Türkei. Er hat CSU und FDP. Enthalten hat sich die AfD-Fraktion. dort mit seinem türkischen Amtskollegen eine Pressekon- ferenz abgehalten. Ein Journalist stellte eine Frage zu Dritte Beratung dem neuen Vorschlag der Bundesministerin Frau und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Kramp-Karrenbauer für eine UNO-Schutzzone in Nord- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – syrien. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- Eine Frage kann man so oder so beantworten, man hat entwurf ist angenommen. Zugestimmt haben die Fraktio- in Sprache, Ton und Adressat ziemlich freie Wahl. Dass nen der Linken, der SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/ Minister Maas das weiß und auch beherrscht, das hat er CSU, FDP bei Enthaltung der AfD. gestern hier in der Regierungsbefragung eindrucksvoll (Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei demonstriert: Mehrfach gefragt, ob er seine Äußerungen der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE zu Kramp-Karrenbauer bedauere, hat er es geschafft – GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP immer wieder, mehr oder weniger elegant –, diese Frage und der LINKEN – Abgeordnete der SPD er- eben nicht zu beantworten. heben sich von ihren Plätzen – Zuruf von der In der Pressekonferenz in Ankara dagegen hat sich der AfD: Parteitag! Parteitag!) Minister, wie wir jetzt schlussfolgern müssen, wissentlich Wir kommen zur Abstimmung über zwei Entschlie- und willentlich dazu entschieden, den Vorschlag der Bun- ßungsanträge der Fraktion der AfD. Entschließungsan- desverteidigungsministerin für vollkommen irrelevant zu trag auf Drucksache 19/14887. Wer stimmt für diesen erklären. Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- tungen sehe ich keine. Der Entschließungsantrag ist ab- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) gelehnt bei Zustimmung der AfD und Ablehnung aller Er hat damit inhaltliche Differenzen innerhalb der Bun- anderen Fraktionen. desregierung bei einem wichtigen außen- und sicherheits- (B) Entschließungsantrag auf Drucksache 19/14888. Wer politischen Vorstoß herausgestellt – im Ausland, noch (D) stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dazu in der Türkei, die eine der Konfliktparteien ist. Mei- dagegen? – Enthaltungen sehe ich keine. Der Entschlie- ne Damen und Herren, das geht gar nicht! ßungsantrag ist abgelehnt. Zugestimmt hat die AfD bei (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Gegenstimmen aller anderen Fraktionen. der CDU/CSU) Vielen herzlichen Dank. Es ist ja so: Der Außenminister war weder privat noch (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: als SPD-Politiker in der Türkei; er war dort als Mitglied So schön kann Gesetzgebung sein!) der Bundesregierung. Er hat auch nicht die Person Anne- gret Kramp-Karrenbauer oder – was eindeutig seine Ab- Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf: sicht war – die CDU-Bundesvorsitzende desavouiert, Beratung des Antrags der Abgeordneten nein, er hat eine Kabinettskollegin der Lächerlichkeit Alexander Graf Lambsdorff, Grigorios preisgegeben und hat damit Deutschlands Ansehen und Aggelidis, Renata Alt, weiterer Abgeordneter Deutschlands Interessen Schaden zugefügt. und der Fraktion der FDP (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Missbilligung von Äußerungen und Amtsfüh- der CDU/CSU – Andreas Bleck [AfD]: Das rung des Bundesministers des Auswärtigen macht er doch schon immer! – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das hat sie Drucksache 19/14778 schon selber gemacht!) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Lassen Sie mich hier eines deutlich sagen: Inhaltlich Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Dazu höre ich kei- kann man über den Vorschlag der Bundesverteidigungs- nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. ministerin streiten. Man kann ihn für zu theoretisch oder Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Alexander schlecht getimt halten. Man kann sich auch darüber wun- Graf Lambsdorff für die FDP-Fraktion. dern, ja ärgern, wie einem solch ein Vorschlag mitgeteilt wird. Man sollte dann aber in der Lage sein, zu sehen, (Beifall bei der FDP) dass die inhaltliche Debatte sowie der politische Ärger über den Koalitionspartner auf der einen Seite, aber auf Alexander Graf Lambsdorff (FDP): der anderen Seite das Ansehen der Bundesrepublik Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zum Ein- Deutschland steht. Wir dürfen von unserem Außenminis- maleins der Diplomatie gehören ein paar einfache Re- ter erwarten, dass er den SPD-Politiker in sich hintan- 15446 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Alexander Graf Lambsdorff (A) stellt, wenn es um das Ansehen und die Glaubwürdigkeit (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Stefan Ruppert (C) der deutschen Politik im Ausland geht. [FDP]: Vielleicht gibt es ja doch noch Fans von AKK jenseits der FDP!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Grigorios Aggelidis [FDP]: Jürgen Hardt (CDU/CSU): Schaumschläger, der Mann!) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Er selbst hat den Vorschlag der Verteidigungsministe- Auch wir in der CDU/CSU-Fraktion waren natürlich irri- rin mit den Worten kommentiert – Zitat –: tiert von den Äußerungen des Bundesaußenministers auf der Pressekonferenz. Das war mit Sicherheit keine Glanz- Es geht auch um das Vertrauen in die deutsche Au- leistung, es war, um es landläufig zu sagen, vielleicht eher ßenpolitik. kleines Karo. Genau das ist der Punkt, genau dieses Vertrauen hat Heiko (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Maas erschüttert. Genau deshalb ist es die Obliegenheit der FDP) des Deutschen Bundestages, seine Amtsführung zu miss- billigen, meine Damen und Herren. Gleichwohl würde ich mich gerne mit diesem Thema inhaltlich auseinandersetzen. Zunächst einmal hat der (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Grigorios Bundesaußenminister in dieser Pressekonferenz gesagt, Aggelidis [FDP]: Schlechtester Außenminister überall höre man ja, dass der Vorschlag von Annegret der Bundesrepublik! – Jürgen Trittin [BÜND- Kramp-Karrenbauer unrealistisch sei. Ich habe das jetzt NIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben Sie denn sinngemäß zitiert; ich glaube, das stimmt so. erwartet?) (Grigorios Aggelidis [FDP]: Sie glauben nur! Ich finde es in diesem Zusammenhang mehr als bemer- Das sollten Sie wissen!) kenswert, dass die Fraktionen der Großen Koalition un- Ich glaube, das ist sachlich schlicht falsch. Denn sowohl serem Antrag auf Sofortabstimmung nicht folgen wollen. einige wichtige Verteidigungsminister bei der NATO als Stattdessen soll der Vorgang noch mal ausführlich im auch die Vereinigten Staaten von Amerika als auch das Auswärtigen Ausschuss diskutiert werden. Das ist schon Europaparlament haben sich hinter die Idee gestellt, die- für sich genommen ein klares Misstrauensvotum gegen sen Versuch zu wagen, und auch Professor Ischinger, der den Bundesaußenminister. mit komplizierten diplomatischen Angelegenheiten ja (Beifall bei Abgeordneten der FDP) durchaus eigene Erfahrungen hat, hat diesen Vorschlag als gut bezeichnet in dem Sinne, dass endlich mal ein (B) Was der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses – konstruktiver Beitrag zur Diskussion kommt, welche immerhin Koalitionspartner – vom Minister hält, konnten Rolle eigentlich die Europäische Union und welche Rolle wir ja vor einigen Tagen in der „New York Times“ lesen – Deutschland bei der Bewältigung des Syrien-Konflikts ich zitiere –: Der Außenminister ist eine „Leerstelle“. spielen kann. Aber auch die Bundeskanzlerin wurde gescholten – (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zitat –: Sie „weiß alles“ und „tut nichts“. – Einen voll- Herr Maas kann – ich verstehe das – heute leider nicht (- ständigen „Zusammenbruch von Kompetenz und Ener- hier sein, weil er einen wichtigen Job mit Herrn Außen- D) gie“ attestierte der Vorsitzende den beiden maßgeblichen minister Pompeo von den Vereinigten Staaten von Ame- Akteuren der deutschen Außenpolitik. rika hat, dessen Besuch in Deutschland, wie ich finde – Als Oppositionspolitiker könnte ich mich darüber nach der Presselage –, sehr gelungen ist. Der Minister hat freuen – als Staatsbürger will es mir nicht recht gelingen. mit klaren Äußerungen die Rolle der Vereinigten Staaten von Amerika bei der Wiedervereinigung betont, (Beifall bei der FDP) (Beifall des Abg. Sönke Rix [SPD]) Als Freie Demokraten, aber auch als Bürger unseres was ich sehr begrüße. Deswegen kann Herr Maas heute Landes, die das Ansehen Deutschlands in der internatio- nicht hier sein. Das ist im Übrigen auch allen Fraktionen nalen Gemeinschaft hochhalten wollen, fordern wir den des Deutschen Bundestages am Dienstag mitgeteilt wor- Bundesaußenminister auf: Üben Sie Ihr Amt mit dem den. Alle haben signalisiert, dass sie das akzeptieren, weil Takt, der Wortwahl und dem Anstand aus, den dieses die Staatsräson an dieser Stelle natürlich vorgeht – sonst verantwortungsvolle Amt erfordert! hätten wir den Termin heute irgendwie umlegen müssen. (Dr. Matthias Bartke [SPD]: Oho! Darunter (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und machen Sie es nicht!) der SPD und der Abg. Dr. Franziska Brantner Ich danke Ihnen. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Zum Inhalt des Vorschlags selbst möchte ich kurz ei- (Beifall bei der FDP) nige Dinge anmerken. Der Vorschlag von Annegret Kramp-Karrenbauer steht ja nicht in Konkurrenz oder Vizepräsident in Claudia Roth: gar im Widerspruch zu irgendeinem anderen Vorschlag, Vielen Dank, Graf Lambsdorff. – Nächster Redner: wo man jetzt sagen könnte: „Plan B ist besser“, sondern Jürgen Hardt für die CDU/CSU-Fraktion. das ist ein Vorschlag, der versucht, die Tatenlosigkeit zu Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15447

Jürgen Hardt (A) überwinden, diese ständige Zaungastrolle, die wir dort Petr Bystron (AfD): (C) innehaben. Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol- legen! Vor allem: Liebe Kollegen von der FDP! Sie haben Wir haben selbst als Deutsche vor über fünf Jahren auf einen Missbilligungsantrag gestellt. Das ist ein Instru- der Münchner Sicherheitskonferenz – der damalige Au- ment, dessen es seit 30 Jahren im Bundestag nicht bedurf- ßenminister Frank-Walter Steinmeier, der damalige Bun- te. Jetzt ist die Situation so. Kompliment, dass Sie sich despräsident Joachim Gauck, die damalige Verteidi- daran erinnert haben! gungsministerin Ursula von der Leyen – Erwartungen bei unseren Partnern geweckt, dass Deutschland bereit Allerdings, muss man fairerweise sagen, hat Heiko ist, mehr Verantwortung zu übernehmen, wenn es von Maas es Ihnen nicht besonders schwer gemacht. unseren Partnern gewünscht wird. Wir verspüren leider (Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP) bisher keine konkrete Umsetzung dieses Themas in vielen Punkten. Laut aktuellen Umfragen sind lediglich 4,5 Prozent der Deutschen mit seinen Leistungen sehr zufrieden. Das (Beifall des Abg. Frank Müller-Rosentritt mag einigen Kollegen von der SPD angesichts der aktuel- [FDP]) len Wahlergebnisse wie eine hohe Zahl erscheinen, Es gibt zum Beispiel im Libyen-Konflikt, wie ich finde, (Beifall bei Abgeordneten der AfD) gute Ansätze. Aber was Syrien angeht, glaube ich, hätte die deutsche Rolle in den letzten Jahren eine stärkere sein aber uns anderen macht es deutlich, wie schlecht die können. Amtsführung von ist. Ich denke, man kann hier mit Fug und Recht behaupten: Wir haben hier den Deswegen wäre es gut, wenn die gesamte Bundesre- schlechtesten Außenminister aller Zeiten. gierung sich jetzt auf den Weg macht und zunächst einmal (Beifall bei der AfD) versucht, die fünf EU-Mitglieder im UN-Sicherheitsrat – es sind ja fünf Staaten, die der EU angehören, inklusive Das Auswärtige Amt hat in der Vergangenheit ein ho- Großbritannien – zu einer gemeinsamen Initiative zu be- hes Ansehen genossen – ich denke da an wirklich große wegen, einmal auszubuchstabieren, was das konkret be- Außenminister: Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher –; deuten könnte, dann in einem nächsten Schritt die Verei- unsere Diplomaten waren in aller Welt respektiert. Nach nigten Staaten von Amerika für dieses Projekt zu zwei Jahren Heiko Maas ist Deutschland in der Welt iso- gewinnen, dann gemeinsam mit diesem Vorschlag auf liert. Die Beamten wurden oft der Lächerlichkeit preisge- Russland und China zuzugehen, um am Ende des Tages geben. Kurzum: Der gute Ruf der deutschen Diplomatie und auch unseres Landes wurde beschädigt. (B) vielleicht doch den Weg zu bereiten für eine UN-Resolu- (D) tion. (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Die Vorstellung, dass die Vereinten Nationen eine Heiko Maas macht keine Diplomatie, Heiko Maas macht größere Rolle spielen müssten, ist ja auch enthalten in eine Ausbildung zum Außenminister auf Kosten des deut- dem Friedensprozess, der in Genf stattfindet. Denn es schen Steuerzahlers. wird sich ja keiner vorstellen können, dass ein Ergebnis einer Syrien-Friedenskonferenz in Genf zustande kommt (Beifall bei Abgeordneten der AfD) und implementiert wird, ohne dass die Vereinten Natio- Das wird besonders deutlich an den Beziehungen zu nen dazu eine schützende, eine begrüßende, eine unter- den drei wichtigsten Ländern, zu den USA, zu Russland, stützende Entschließung fassen. zu China. Schauen Sie, was gerade mit China passierte. China ist einer der wichtigsten Handelspartner Deutsch- Wir müssen also die Vereinten Nationen jetzt in diese lands. Gerade in einer weltpolitisch fragilen Lage, wo es Frage involvieren, statt dieses Feld einfach Russland und Spannungen zwischen China und den USA gibt, wo es der Türkei zu überlassen, die meinen, jetzt im Nordosten Fingerspitzengefühl in der Diplomatie bedürfte, was Syriens Fakten schaffen zu können. Das, finde ich, wäre macht da Heiko Maas? Er trifft sich ausgerechnet mit als Initiative richtig. dem Protestler aus Hongkong, Joshua Wong. Wozu führt Vielleicht hat der Bundesaußenminister sein Gespräch das? Natürlich: Der chinesische Botschafter ist verärgert, mit Secretary Pompeo heute ja auch genutzt, um das an- spricht von Einmischung in Chinas innere Angelegenhei- zusprechen. Ich bin sicher, dass Annegret Kramp-Karren- ten. Die Führung in Peking spricht von einem Akt der bauer und die Bundeskanzlerin das morgen machen wer- Respektlosigkeit. den. (Dr. Matthias Bartke [SPD]: Das machen Sie In diesem Sinne: Herzlichen Dank. sich zu eigen!) – Das ist Diplomatie à la Maas. (Beifall bei der CDU/CSU) (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das hat etwas mit Menschenrechten zu tun!) Vizepräsident in Claudia Roth: Vielen Dank, Jürgen Hardt. – Nächster Redner: für die Übrigens: Wenn sich Maas auf die Menschenrechte AfD-Fraktion Petr Bystron. beruft, dass die ihm wichtig seien, ist das pure Heuchelei. Denn als in Frankreich die Gelbwesten protestiert haben (Beifall bei der AfD) und zusammengeschossen wurden, 50 Menschen schwer 15448 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Petr Bystron (A) verletzt wurden, das Augenlicht verloren haben, zum Teil (Beifall bei der AfD – Widerspruch bei der (C) abgerissene Hände hatten, da hat er nicht interveniert, da SPD) waren ihm die Menschenrechte völlig egal. (Beifall bei der AfD) Vizepräsident in Claudia Roth: Vielen Dank. – Nächste Rednerin: Gabriela Heinrich Beim Verhältnis zu Russland ist die Lage nicht viel für die SPD-Fraktion. besser: Er hat sich mit dem russischen Präsidenten Putin angelegt, hat die Legitimität der Wahlen angezweifelt, (Beifall bei der SPD) mit Außenminister Lawrow hat er sich in Moskau auf offener Bühne gestritten – angeblich, weil ihm die Presse- freiheit so wichtig ist. Komisch, dass er dann einen deut- Gabriela Heinrich (SPD): schen Journalisten im venezolanischen Knast über Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- 100 Tage verrotten ließ. ren! Vielleicht vorab: Dass Gelbwesten in Frankreich je- mals erschossen wurden, ist schlicht gelogen und falsch. (Beifall bei der AfD – Zuruf des Abg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]) (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Tino Als genau dieser russische Außenminister – das ist die Chrupalla [AfD]: Sie müssen mal zuhören! Ironie der Geschichte – diesen Journalisten aus dem Kommen Sie aus Ihrer Blase heraus!) Knast rausgeholt hat, hat Heiko Maas sich nicht mal be- Und das wird überhaupt nicht wahr, wenn man an dieser dankt. Stelle versucht, sich so aufzuführen. Zur USA. Wie sind die Beziehungen zur USA? Das ist durch Umfragen empirisch belegt: Wir haben das Ich beginne hier – mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsiden- schlechteste Verhältnis zu den USA seit dem Zweiten tin – mit einem Zitat: Wir sind „mehr als irritiert über das Weltkrieg, liebe Freunde. Vorgehen Kramp-Karrenbauers“. Es geht weiter – Zitat –: (Lachen bei Abgeordneten der SPD – Da kommt endlich mal ein außenpolitischer Vor- Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Oh mein schlag der Bundesregierung Gott!) (Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Von Heiko Maas!) – Ja, da lachen Sie; aber das scheint ja die Linie der SPD zu sein; denn Ihr Bundespräsident macht genau da weiter. und wir erfahren staunend, dass das Auswärtige Amt Er beschimpft den US-amerikanischen Präsidenten als per SMS ‚informiertʼ, mit Frankreich, USA etc. aber (B) (D) Hassprediger und gratuliert ihm nicht zur Amtseinfüh- ‚abgestimmtʼ wurde. … „Besser wäre aber, wenn rung, dafür aber dem iranischen Regime zu 40 Jahren Kramp-Karrenbauer einen professionellen Vor- Revolution, Folter und Unterdrückung. schlag gemacht hätte, der rechtlich und politisch umsetzbar wäre“. (Beifall bei der AfD) Jüngstes Beispiel – Sie haben das schon angespro- (Dr. Götz Frömming [AfD]: Also wäre das eine chen –: 30 Jahre Mauerfall. Heiko Maas veröffentlicht Retourkutsche!) in allen möglichen Zeitungen hier in Europa einen Arti- Das hat die FDP am 25. Oktober, also am Vortag der kel, in dem er sich bei Rumänien, Estland, Lettland, Li- Pressekonferenz in Ankara, so auf ihre Homepage ge- tauen bedankt. Aber den USA dankt er ostentativ nicht. stellt. Ausgerechnet unserem Befreier, ausgerechnet dem wich- tigsten Verbündeten und dem Land, das die UdSSR in die (Katja Mast [SPD]: Aha! Hört! Hört!) Knie gezwungen hat, dankt er nicht. Da sagt selbst Ihr Koalitionspartner von der CDU, der Vorsitzende des Aus- Als Erstes haben Sie Frau Kramp-Karrenbauer attackiert, wärtigen Ausschusses, der von uns allen geschätzte und jetzt ist Heiko Maas dran – aufgrund einer Presse- Dr. Norbert Röttgen: Das war ein „historischer Fehltritt“. konferenz und einer spontanen Äußerung. Und die „Bild“-Zeitung schreibt: „Jetzt steht unser Au- ßenminister mit beiden Füßen im Fettnapf“. (Beifall bei der AfD und der FDP – Grigorios Aggelidis [FDP]: Sie wissen aber schon, dass (Kerstin Tack [SPD]: Tosender Beifall! – wir nicht Regierungspartei sind?) Dr. Matthias Bartke [SPD]: Da klatscht noch nicht einmal Ihre eigene Fraktion!) Über die Forderung einer internationalen Schutzzone oder über Blauhelme in Nordsyrien kann man ja disku- Ich schließe mit Ausführungen von Heiko Maas von tieren. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, gestern. Er hat gestern nämlich gesagt, er habe die USA in waren ja schon vor der Verteidigungsministerin für eine seinem Artikel ausreichend – ausreichend! – erwähnt. solche Mission. Mit diesem Antrag kommen Sie Ihrem Lieber Heiko Maas, wenn sich der ehemalige und der Anliegen aber keinen Schritt näher; denn Heiko Maas hat aktuelle amerikanische Botschafter über Ihre Äußerun- unserer Meinung nach zu Recht festgestellt, dass eine gen ärgern, wenn Generäle sich darüber ärgern, wenn solche Initiative derzeit keine realistische Chance auf selbst Ihr Koalitionspartner peinlich berührt ist, dann ist Umsetzung hat. Ihre Leistung nicht ausreichend, dann ist sie ungenügend. Note 6! Sie sind bei dieser Prüfung durchgefallen! (Unruhe) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15449

(A) Vizepräsident in Claudia Roth: (Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Traut sich nicht (C) Ich würde bitten, dass Sie der Kollegin jetzt genauso einmal, über das Thema zu sprechen!) zuhören, wie Sie den anderen auch zugehört haben. „Finanziell“ sage ich mit Blick auf den Bundeshaushalt, (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des und das wird vom Außenminister ausdrücklich unter- Abg. Grigorios Aggelidis [FDP]) stützt. (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Die Rede ist Gabriela Heinrich (SPD): ein Armutszeugnis!) Zu unterstellen, liebe Kolleginnen und Kollegen, „Politisch“ müssen wir weiterhin daran arbeiten, auch bei Heiko Maas billige – und das schreiben Sie in Ihrem An- schwierigen Akteuren dafür zu sorgen, dass die humani- trag – den türkischen Einmarsch, nur weil er einen ande- täre Hilfe zu den notleidenden Menschen kommen kann. ren Vorschlag aktuell für unrealistisch hält, ist doch arg übertrieben. Und das, liebe Kolleginnen und Kollegen, Ich möchte an uns alle appellieren: Lassen Sie uns weisen wir entschieden zurück! diesen Konflikt um Syrien nicht innenpolitisch hochzie- hen. Jeder muss seinen Teil dazu beitragen, hier zu ver- (Beifall bei der SPD) nünftigen Lösungen zu kommen. Die SPD ist der Auffassung, dass die Türkei-Reise des Ich bedanke mich. Außenministers zu diesem Zeitpunkt richtig war. (Beifall bei der SPD – Dr. Stefan Ruppert (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Pressekonfe- [FDP]: Boah, war das arm! Letztes Aufgebot renz! – Weiterer Zuruf von der AfD: Kommen des Außenministers!) Sie mal zum Thema!) Gerade in der angespannten Lage können die Erwartun- Vizepräsident in Claudia Roth: gen Deutschlands in Vieraugengesprächen besonders Vielen Dank, Gabriela Heinrich. – Nächster Redner: deutlich gemacht werden. Das Thema Sicherheitszone Tobias Pflüger für die Fraktion Die Linke. war, wie Sie wissen, nur ein kleiner Teil der Gespräche. Es ging vielmehr um Waffenruhe, den Kampf gegen den (Beifall bei der LINKEN) IS, humanitäre Hilfe und den politischen Prozess in Sy- rien. Tobias Pflüger (DIE LINKE): Teil einer politischen Lösung kann die Arbeit des Ver- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (B) fassungskomitees werden, die nun begonnen hat. Wir Auch wir als Linke missbilligen so manche Äußerungen (D) müssen abwarten, wie ernst der Prozess von den Beteilig- von Heiko Maas, ten genommen wird. (Reinhard Houben [FDP]: Sie aber nicht!) (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Kommen aber dem Antrag der FDP können wir nicht zustimmen, Sie doch endlich mal zur Sache!) weil er diesen Konflikt so offensichtlich für eine innen- Fakt ist, dass zum ersten Mal seit Jahren über die Zu- politische Frage instrumentalisiert. kunft dieses Landes verhandelt wird – von Akteuren, die (Zuruf von der AfD: Oh! – Lachen bei der FDP) sonst einander bekämpfen. Wenn sich Verteidigungsministerin und Außenminister (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Amtsführung öffentlich – auch noch im Ausland – streiten, dann ist das des Außenministers! Das ist das Thema!) keine Glanzleistung dieser Regierung. Deswegen hat Deutschland gut daran getan, die Arbeit (Beifall bei der FDP) dieses Formats in Genf weiter politisch und finanziell zu unterstützen. Dafür setzt sich der Außenminister ein. Auslöser der Diskussion ist ein Vorschlag von Annegret Kramp-Karrenbauer für eine militärische Schutzzone, (Beifall bei der SPD – Dr. Stefan Ruppert den Heiko Maas abgelehnt hat. Eigentlich geht es darum, [FDP]: Sie winden sich jetzt! Sie sprechen dass die türkische Regierung Krieg gegen Kurden und die zum falschen Thema! Falsche Rede einge- mehrheitlich kurdische Selbstverwaltung in Rojava, packt!) Nordsyrien, führt. Dass die Bundesregierung dagegen nicht wirklich ernsthaft was unternimmt und nicht mal Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin der Auffas- die Waffenlieferungen an die Türkei stoppt, ist der eigent- sung, dass wir bei allen unterschiedlichen Ansätzen, die liche Skandal. wir jetzt diskutieren, um in Syrien voranzukommen, die Menschen nicht aus dem Blick verlieren dürfen. Gemäß (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. den Vereinten Nationen waren in Nordsyrien schon vor Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) der türkischen Offensive über 1,7 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen. Durch die türkische Es geht darum, dass dort Krieg herrscht. Es gibt dort Militäroffensive steigt diese Zahl weiter. Vertreibungen, es werden in dieser mehrheitlich kur- disch-autonomen Region durch die türkische Armee Wir dürfen nicht nachlassen, für genügend humanitäre und islamistische Hilfstruppen, bei denen inzwischen Hilfe zu sorgen. Und wieder gilt: finanziell und politisch. Waffen aus Deutschland gesichtet wurden, Städte besetzt. 15450 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Tobias Pflüger (A) (Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Der letzte Fan von Missbilligen wir, was Heiko Maas gesagt hat? Natür- (C) Heiko Maas!) lich! Aber wir missbilligen ebenfalls den Vorschlag von Es geht um Schwerverletzte, Sterbende und Menschen- Annegret Kramp-Karrenbauer, die Bundeswehr in Kriege im Nahen Osten zu verwickeln. Deshalb lehnen wir den leben und nicht um das Ansehen Deutschlands, liebe Kol- leginnen und Kollegen von der FDP. FDP-Antrag ab. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Der letzte Fan von Heiko Maas!) (Beifall bei der LINKEN – Markus Grübel Heiko Maas hat bei seinem Auftritt in Ankara an der [CDU/CSU]: Eigene Ideen habt ihr keine! – Seite des türkischen Außenministers jede direkte Kritik Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Aber an dem türkischen Krieg gegen die Kurden vermieden. im Ergebnis war das okay!) Und das kritisieren wir klipp und klar! Vizepräsident in Claudia Roth: (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Vielen Dank, Tobias Pflüger. – Der letzte Redner, der neten der FDP) in dieser Debatte leibhaftig redet, ist Omid Nouripour für Die Bundesregierung muss gegenüber der türkischen Re- Bündnis 90/Die Grünen. gierung deutlich machen, dass der Einmarsch in die kur- dischen Gebiete bestialisch abläuft, völkerrechtswidrig (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – ist und sofort beendet werden muss. Zuruf von der SPD: Der Leibhaftige! – Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Die anderen trauen (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- sich nicht mehr!) neten der FDP) Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist besonders beschämend, dass die Bundesregie- rung immer noch Waffenlieferungen an die Türkei zu- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist lässt. Wir wissen inzwischen, dass es die Bundesregie- richtig, was die FDP im Antrag feststellt: Das Ansehen rung war – explizit das Auswärtige Amt –, die verhindert und die Interessen der Bundesrepublik Deutschland ha- hat, dass die EU bereits genehmigte Rüstungsexporte ben Schaden genommen. stoppt. Der groß verkündete Exportstopp gilt also nur (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für neue Waffenlieferungen und deren Genehmigungen. und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der In diesem Jahr wurden bereits Rüstungsgüter im Wert von AfD) 250 Millionen Euro in die Türkei exportiert – so viel, wie (B) noch nie seit dem Jahr 2005. Und das ist skandalös! Dennoch stimmen wir Ihrem Antrag nicht zu. (D) (Beifall bei der LINKEN) (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Könntet ihr aber mal machen!) Wir als Linke missbilligen explizit auch den Vorschlag von Annegret Kramp-Karrenbauer, und zwar nicht nur, Wir stimmen dem Antrag nicht zu, weil er nur einen Teil weil sie ihn nicht mit der eigenen Regierung abgespro- der Gründe für diesen Schaden beschreibt. chen hat und sich deshalb nicht wundern muss, dass der Es ist richtig, dass es sich für einen Außenminister Außenminister ihr nicht sofort beipflichtet. Ich habe da- nicht gehört, öffentlich in Ankara – ausgerechnet in An- rüber hinaus manchmal den Eindruck, dass die Tragweite kara – zu erklären, dass die Vorschläge seiner Amtskolle- dieser sogenannten Schutzzonen gar nicht richtig begrif- gin nicht realitätstauglich seien. Es ist richtig, dass sich fen wird. Das Magazin „Loyal“ vom Reservistenverband Verteidigungsministerin und Außenminister – egal wie der Bundeswehr schreibt von einer Zäsur für die deutsche sie heißen – immer bewusst sein müssen, dass ihre Worte Außenpolitik; denn mit Kramp-Karrenbauers Vorschlag im Ausland sehr genau gehört werden. Deshalb müssen sei – Zitat – sie auch genau darauf achten, was sie sagen. nicht weniger als der offensive Einsatz der Bundes- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wehr in einem Kriegsgebiet verbunden. Das wäre und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der ein bisher einmaliger Vorgang. AfD) Offensichtlich wollte sich Annegret Kramp-Karren- Es ist sicher nicht hilfreich, dass der Außenminister bauer damit als Kanzlerkandidatin profilieren. Zum Ende diese Woche noch einmal wiederholt hat, dass die Art des bestialischen türkischen Angriffskriegs trägt dieser und Weise, in der die Verteidigungsministerin vorge- Vorschlag nichts, aber auch gar nichts bei. prescht sei, keinen guten Eindruck machte, weder inner- halb noch außerhalb Deutschlands. Das ist auch innerhalb (Beifall bei der LINKEN) des Kabinetts sicher nicht solidarisch. Dem stimmen wir Im Verteidigungsausschuss konnte Annegret Kramp- auch zu. Karrenbauer auf die Nachfragen keine substanziellen De- tails nennen. Welche staatlichen Akteure würden einem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN solchen Vorschlag zustimmen? Woher kommt die wahn- und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der witzige Idee, dass der Kriegsaggressor, die Türkei, einem CDU/CSU und der AfD) solchen Vorschlag zustimmen sollte? AKKs Schutzzo- Trotzdem stellt sich mir ein bisschen die Frage – diese nenvorschlag erwies sich als spektakulärer Fehlschlag. Kritik von Maas ist ja völlig berechtigt –: Hat er eigent- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15451

Omid Nouripour (A) lich niemanden in seiner Fraktion, der für ihn diese Kritik doch wissen, wovon sie redet, wenn sie von mehr Ein- (C) äußert? Muss er das selber machen? sätzen spricht. (Beifall bei der FDP) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Damit sind wir beim anderen Teil des Problems. Die Vor allem: Wo bleibt die Evaluation bisheriger Einsät- Frau Verteidigungsministerin wünscht sich jetzt einen ze, damit man die Fehler, die man jetzt in Mali macht und Bundessicherheitsrat, damit man sich besser abstimmen die man vorher in Afghanistan schon gemacht hat, und koordinieren kann. Wenn Sie Sonntagabend zusam- schlicht abstellt? Einfach nur pauschal zu sagen: „Wir mensitzen und die Verteidigungsministerin spricht die wollen mehr machen“, ist – ohne eine Evaluation – Idee, die sie am Montag groß verkündet, nicht einmal schlicht falsch und schadet dem Ansehen der Bundesre- an: Was hilft es dann, wie das Gremium heißt, in dem publik Deutschland. Sie zusammensitzen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der Petr Bystron [AfD]) SPD) Im Übrigen zeugt das auch von einem massiv binären Wenn man kommunizieren will, wenn man koordinie- Denken derjenigen innerhalb der Union, die das unter- ren will, dann braucht man den Willen zur Kommunika- stützen, weil es nicht nur um Militäreinsätze gehen darf. tion, und ist dieser Kommunikationswille zwischen Ver- Sie sagen ja die ganze Zeit: Militär oder gar nichts! – teidigungsministerium und Außenministerium nicht da, Dabei gibt es so viel, was dazwischen passieren kann, dann entsteht eben ein solcher Schaden. Dazu gehören und das macht die Bundesregierung nicht. Ich denke bei- in diesem Fall zwei, wenn nicht sogar mehr. spielsweise an die Hermesbürgschaften für die Türkei, die man aussetzen müsste. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schaden gibt es aber im Übrigen auch, wenn der Aus- und bei der FDP – Alexander Graf Lambsdorff schussvorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, [FDP]: Wir können mit unserem Antrag aber Norbert Röttgen, in der „New York Times“ sagt – das nur einen missbilligen!) Zitat ist gerade gefallen –, diese Regierung sei ein Total- – Sie hätten auch zwei Anträge stellen können. ausfall, es gebe keine Kompetenz und keine Energie mehr, Wir sind wirklich dankbar für jede Idee, die die Inten- tion hat, den Menschen in Syrien zu helfen. Das Problem (Petr Bystron [AfD]: Recht hat er! Was soll er (B) ist aber, dass der Begriff „Schutzzone“ – ohne dass wir sonst sagen?) (D) wissen, was sich dahinter verbirgt; nach zweieinhalb Wo- während er gleichzeitig in Deutschland Unterschriften chen wissen wir das bis heute nicht – so viel Hoffnung dafür sammelt, dass innerhalb der Union keine Personal- geschürt hat. Es gibt Menschen hier draußen, die auf un- debatten geführt werden können. Das ist heuchlerisch und seren Straßen demonstrieren, weil sie nicht wissen, wo schadet dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland. ihre Großmütter sind, da sie im Norden Syriens durch die türkische Armee aus Dörfern vertrieben werden. Die wis- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sen nicht, wo sie sind. Sie hören diesen Begriff und und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der schöpfen Hoffnung. Die Art und Weise, mit der diese SPD) Regierung vorgeht, die dilettantischen Fehler in der Kom- Letzter Punkt, Frau Präsidentin: Wenn die FDP es ernst munikation dieser Regierung, führt dazu, dass diese Hoff- damit meint, Schaden im Hinblick auf das Ansehen der nung schon am Anfang durch Verfahrensfehler zunichte deutschen Außenpolitik abwenden zu wollen, dann wäre gemacht wird. es hilfreich gewesen, wenn Sie unseren Anträgen im Haushaltsausschuss zugestimmt hätten. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN und der FDP) (Zurufe von der FDP: Oh!) Diese Hoffnungen zu wecken, ohne irgendwas liefern zu Wir haben im Auswärtigen Ausschuss einen Personal- können – das gilt in Richtung der Verteidigungsministe- mangel ohne Ende. Es wäre sinnvoll, wenn wir zusam- rin –, ist schlicht unanständig, und das gehört sich schlicht men daran arbeiten würden, diesen zu beheben. nicht. (Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Wir sollten gemein- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sam für einen besseren Außenminister arbei- und bei der FDP – Alexander Graf Lambsdorff ten!) [FDP]: Das war ja auch unsere Kritik an der In diesem Jahr haben Sie leider alle unsere Anträge ab- Sache!) gelehnt. Ich hoffe, das ändert sich im nächsten Jahr. Es gibt aber noch mehr Schaden. Sie fordert jetzt pau- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schal mehr Einsätze der Bundeswehr. Warum? Es muss ja einen Anlass geben. Sie muss sich ja was dabei gedacht haben. Sie sagt aber nicht, was für Einsätze sie meint. Vizepräsident in Claudia Roth: Bundeswehreinsätze sind keine vorweihnachtlichen Ein- Vielen Dank, Omid Nouripour. – Die Kollegen käufe, die man dann unter den Baum stellt. Wir wollen Henning Otte, CDU/CSU-Fraktion, Dr. Nils Schmid, 15452 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Vizepräsident in Claudia Roth (A) SPD-Fraktion, und Christian Schmidt, CDU/CSU-Frak- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die (C) tion, geben ihre Reden zu Protokoll.1) Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre ziemlich viel, aber keinen Widerspruch dazu. Dann ist das so be- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) schlossen. Damit schließe ich die Aussprache. Ich darf darum bitten, schleunigst Platz zu nehmen und Wir kommen nun zum Antrag der Fraktion der FDP auf die Gespräche einzustellen. Drucksache 19/14778 mit dem Titel „Missbilligung von Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Bundes- Äußerungen und Amtsführung des Bundesministers des regierung hat Dr. Thomas Gebhart. Auswärtigen“. Die Fraktion der FDP wünscht Abstim- mung in der Sache. Die Fraktionen der CDU/CSU und Dr. Thomas Gebhart , Parl. Staatssekretär beim Bun- SPD wünschen Überweisung an den Auswärtigen Aus- desminister für Gesundheit: schuss. Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den Herren! Gesetz für bessere und unabhängigere Prüfun- Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Ich frage deshalb: gen – MDK-Reformgesetz –: Das klingt möglicherweise Wer stimmt für die beantragte Überweisung? – Wer technisch. Es geht in der Tat um Strukturveränderungen, stimmt dagegen? - um Strukturverbesserungen. Am Ende profitieren aber die Menschen, die Patientinnen und Patienten, von dem, (Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Eindeutig die was in diesem Gesetz geregelt wird. Das Personal in den Mehrheit! – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Krankenhäusern wird von Verwaltungsaufwand entlastet, Mehrheit! Das war die Mehrheit!) und das ist eine gute Nachricht. Enthaltungen? - (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) (Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Das war die Mehr- heit! – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: War Worum geht es in diesem Gesetzentwurf konkret? Ich die Mehrheit! – Weiterer Zuruf: Sogar CDU- will drei Punkte nennen: Abgeordnete haben zugestimmt!) Der erste Punkt. Wir stärken die Unabhängigkeit der Wir machen jetzt eine Gegenprobe. Noch einmal: Wer Medizinischen Dienste. Sie werden künftig organisato- stimmt für die beantragte Überweisung in den Aus- risch von den Krankenkassen gelöst, sie werden eigen- schuss? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? - ständige Körperschaften des öffentlichen Rechts, und künftig gelten bundesweit verbindliche Richtlinien für (B) (D) (Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Das war die Mehr- die Prüfungen. Wer landauf, landab die Diskussionen heit! – Gegenruf der Abg. Marianne Schieder kennt, der weiß, dass genau das ein ganz wichtiger Punkt [SPD]: Schmarrn!) ist. Wir sind uns einig: Die Mehrheit war knapp, aber sie war Auch wie Verwaltungsräte der Medizinischen Dienste bei der Großen Koalition. künftig besetzt werden, regeln wir neu. Vertreter der Pa- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und tientinnen und Patienten sowie der Pflegebedürftigen be- der SPD – Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Okay!) kommen eine Stimme in den Verwaltungsräten, und ihre Perspektive wird berücksichtigt. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Damit stim- men wir heute über den Antrag auf Drucksache 19/14778 Daneben stärken wir die Rechte der Versicherten. Bei nicht in der Sache ab. jedem Medizinischen Dienst schaffen wir unabhängige Anlaufstellen. Die Versicherten können sich mit ihren (Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Mann, seid ihr Beschwerden dorthin wenden, und diese werden vertrau- schlecht!) lich behandelt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: Der zweite Punkt. Die Anzahl der Krankenhausabrech- nungen, die durch den Medizinischen Dienst überprüft Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- werden, wird begrenzt. Gleichzeitig wird es für Kranken- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes häuser starke Anreize geben, korrekt abzurechnen. Je für bessere und unabhängigere Prüfungen besser die Qualität der Abrechnungen, desto weniger (MDK-Reformgesetz) Rechnungen werden in der Folge geprüft werden. Damit Drucksachen 19/13397, 19/13547 begrenzen wir insgesamt die Prüfungen der Krankenhau- sabrechnungen. Das entlastet von Verwaltungsaufwand. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Auch digitale Übermittlungswege helfen, Bürokratie zu ses für Gesundheit (14. Ausschuss) reduzieren. Drucksache 19/14871 Wir alle wissen: In der Praxis kommt es immer wieder zu strittigen Abrechnungsfragen, zu strittigen Kodierfra- Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der gen. Wir sehen mit diesem Gesetzentwurf jetzt vor, dass AfD vor. deren Anzahl künftig durch verschiedene Maßnahmen systematisch reduziert wird, und daraus folgen verschie- 1) Anlage 8 dene Vorteile. Wenn schneller geklärt wird, was abge- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15453

Parl. Staatssekretär Dr. Thomas Gebhart (A) rechnet werden darf, dann entsteht dadurch mehr Rechts- der Streitigkeiten über Kodierungen und Abrechnungen (C) sicherheit sowohl für die Krankenkassen auf der einen ist durch eine neue Rechtsform aber natürlich nicht zu Seite als auch für die Krankenhäuser auf der anderen beenden, sondern nur durch klare Abrechnungsmodalitä- Seite. ten. DRG und die Fallpauschalen sind in diesem Fall zu hinterfragen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Ich habe mich gefragt, warum die Krankenhäuser Zudem werden wir die ambulanten Behandlungsmög- 2,8 Milliarden Euro an die Krankenkassen zurückzahlen lichkeiten in den Krankenhäusern erweitern. Auch da- mussten. Darüber habe ich mit Vertretern der Kranken- durch reduzieren wir die Zahl der Prüfungen – hier ins- häuser gesprochen – heute, vor einer Stunde, noch mal –, besondere an der Grenze zwischen stationärer und und sie haben mir erklärt, wie so was zustande kommt. ambulanter Versorgung. Belegzeiten wurden zum Beispiel nicht anerkannt. Nach den Fallpauschalen hätte der Patient nach ein oder zwei Der dritte Punkt. Mit diesem Gesetzentwurf sehen wir Tagen aus dem Krankenhaus nach Hause oder irgendwo eine ganze Reihe weiterer Regelungen vor. Ich kann sie anders hin verlegt werden müssen. Das war medizinisch aufgrund der Kürze der Zeit nur stichpunktartig nennen: nicht möglich. Die Krankenkassen haben das aber nicht Die Dauer des Hygieneförderprogramms wird um drei akzeptiert und nur den Satz angerechnet, der nach der Jahre verlängert. Die Mitglieder der gesetzlichen Kran- Fallpauschale dafür gezahlt wird, obwohl aus medizin- kenkassen können ihre Kasse künftig einfacher und un- ischen Gründen ein anderes Vorgehen nicht möglich war. bürokratischer wechseln. Die Krankenkassen müssen im nächsten Jahr überschüssige Finanzreserven abbauen; das (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE kommt ganz konkret und zeitnah den Versicherten zugu- GRÜNEN]: Können Sie ein bisschen langsa- te. Bei den Sozialwahlen wird eine Geschlechterquote bei mer reden?) der Listenaufstellung eingeführt. Die öffentlichen Sitzun- Man sieht also: Hier gibt es sehr viele Differenzen, die nur gen des Gemeinsamen Bundesausschusses werden künf- durch ein klares Abrechnungssystem beseitigt werden tig live im Internet übertragen. Das schafft Transparenz. können. Schließlich ein Punkt, der vor allem den Krankenhäu- Allerdings gibt es auf der anderen Seite auch sehr al- sern zugutekommen wird: Es wird in Zukunft mehr Geld berne Begründungen. Man wirft den Kassen vor, sie hät- für Maßnahmen geben, die die Pflege entlasten. Wir erhö- ten aus Wettbewerbsgründen zu viel geprüft. Das ist na- hen die Mittel dafür von 3 auf 4 Prozent des Budgets. Das türlich totaler Quark. Wie will ich denn mit Prüfungen ist eine gute Nachricht für die Krankenhäuser. einen Vorteil im Wettbewerb erreichen? Ich kann höchs- (B) (D) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und tens mein Geld zurückbekommen, was mir eh zusteht. Ich der SPD) denke, das hat mit Wettbewerb wenig zu tun. Unter dem Strich können wir sagen: Dieser Gesetzent- (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE wurf ist sinnvoll. Er entlastet an den richtigen Stellen und GRÜNEN]: Wovon reden Sie gerade eigent- kommt den Patientinnen und Patienten in diesem Lande lich?) zugute. Deswegen bitte ich Sie um Ihre Zustimmung. Die Forderungen, die jetzt aufgestellt wurden, sollen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Anreize – das wurde eben noch mal gesagt – für „regel- der SPD) konforme Abrechnungen“ sein. Das kann ich nicht ver- stehen. Eine Abrechnung muss immer korrekt sein, auch Vizepräsident in Claudia Roth: ohne dass ich jemanden – ich sagte das schon mal – zum Vielen Dank, Dr. Gebhart. – Nächster Redner: für die Kaffee einlade und nett mit ihm rede, damit er ordentlich AfD-Fraktion Detlev Spangenberg. abrechnet. Ich denke, es müsste unstrittig sein, dass eine Abrechnung immer stimmen muss. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Detlev Spangenberg (AfD): Meine Damen und Herren, „strittige Kodier- und Ab- Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! rechnungsfragen werden … weiterentwickelt“: Das ist Gesetz für bessere und unabhängigere Prüfungen – das Ziel. Wunderbar; so muss es sein! Das würde aber, MDK-Reformgesetz –: Dazu liegt unser Entschließungs- wie gesagt, die bisherige Rechtsform auch nicht berühren. antrag vor. Jetzt werden Prüfquoten eingeführt. Ein hoher Anteil Ich gehe mal kurz zurück: Seit 1989 wird geprüft. unbeanstandeter Abrechnungen führt zu einer geringen Grund war die Steigerung der Kosten bei den gesetzli- Prüfquote, wurde eben gesagt; das habe ich auch schon chen Krankenversicherungen. Die Kritik daran ist be- ausgeführt. Das ist an und für sich die klare Handhabung kannt. Man sagte, die Abhängigkeit der MDKs von den durch die Finanzämter; das kennen wir alles. Das ist also Kranken- und Pflegekassen führe bei den Kassen zu keine große Weisheit. günstigeren Prüfungsergebnissen; das war ja die Kritik. Mit einer neuen Rechtsform will man die Unabhängigkeit Weiter heißt es, die „Verringerung von Prüfquoten“ – herstellen. Das Ziel ist also, die vermutete Abhängigkeit das ist hochinteressant – wirke sich auf die „Summe der der MDKs von den Kassen zu beenden. Die Begründung Rückzahlungsbeträge“ an die Krankenkassen aus. 15454 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Detlev Spangenberg (A) (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE Aus unserer Sicht ergibt sich aus unserem Entschlie- (C) GRÜNEN]: Wovon redet der Mann?) ßungsantrag Folgendes: Wir lehnen die Quote ab, Man sagt also, Unregelmäßigkeiten werden damit hinge- (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE nommen, aber durch gezielte tiefere Prüfungen können GRÜNEN]: Bei Ihnen würde die Quote beson- höhere Rückzahlungen erreicht werden. Das besagt im ders gut passen!) Grunde genommen: Wenn ich früher schon tiefer geprüft hätte, wären die Rückzahlungsforderungen noch höher da eine Missbrauchsgefahr gegeben ist, wenn nicht ge- gewesen; denn wenn ich jetzt tiefer prüfe, komme ich prüft werden kann, weil die Quote nicht erfüllt wird. Prüf- auf das Gleiche, als wenn ich viel prüfen würde. – Das ungen in einem angemessenen Rahmen: Der Medizini- ist sehr merkwürdig formuliert. Man könnte das auch als sche Dienst – so heißt es dann ja – soll entsprechend Unterstellung gegenüber den Krankenhäusern werten. prüfen. Das sehen wir auch so; das kann man machen. Prüfungen bei begründetem Verdacht müssen aber grund- Jetzt komme ich zu dem Thema „Verwaltungsgremien/ sätzlich möglich sein. Geschlechterparität“. Ich habe schon im Ausschuss darü- ber gesprochen, und ich drehe es jetzt herum, damit Sie Eine eindeutige Definition der zu prüfenden Leistung beruhigt sind: Stellen Sie sich vor: Sie haben fünf gute ist auch eine Bedingung – daran darf nicht gedreht wer- Frauen und keinen einzigen Mann als Bewerber. Die fünf den –, sodass es keine Streitigkeiten mehr gibt. Ich habe Frauen sind top und wären gut geeignet. Sie nehmen sie das soeben erläutert. nicht, weil ein Mann fehlt. Nach § 17c Absatz 2a Krankenhausfinanzierungsge- setz – das ist auch sehr merkwürdig und hält an und für (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE sich auch keiner betriebswirtschaftlichen Prüfung stand – GRÜNEN]: Was erzählen Sie für einen Un- soll eine Abrechnungskorrektur der Krankenhäuser an die fug!) Krankenkassen nicht mehr möglich sein. Das ist doch so ein Quark! Es muss doch nach der Qua- lifikation gehen und darf nicht danach gehen, ob man ein Vizepräsident in Claudia Roth: Mann, eine Frau, groß, klein, dick oder dünn ist. Es geht doch allein um die Qualifikation. Herr Kollege, denken Sie an die Redezeit; sie ist abge- laufen. (Beifall bei der AfD – Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich sage ganz Detlev Spangenberg (AfD): einfach, dass Sie ein ganz fürchterlicher Mann Ja, ich komme zum Schluss. – Natürlich muss eine (B) sind und von nichts eine Ahnung haben!) Korrektur der Abrechnung immer möglich sein; das ist (D) Es geht jetzt noch weiter – Sie wissen es doch –: Wenn normaler Handelsbrauch. Das sind ja auch Geschäftspart- Sie die Quote nicht einhalten, dann wird der Verwaltungs- ner. rat immer kleiner. Das heißt, die Arbeitsfähigkeit ist dann Meine Damen und Herren, gute Beziehungen der Ver- nicht mehr gegeben, weil Sie Ihre alberne Quote nicht tragspartner – Krankenhäuser und Krankenkassen – die- erreichen können. So einen Blödsinn habe ich noch nie nen auch dem Wohle der Patienten. gehört. Vielen Dank. (Beifall bei der AfD – Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So einen (Beifall bei der AfD – Kordula Schulz-Asche Quatsch, den Sie gerade erzählen, haben wir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist ja wirklich noch nie gehört!) unfassbar!) Ich habe in der ersten Lesung den § 387 BGB, Auf- rechnungsverbot, angesprochen, in dem es um die Vo- Vizepräsident in Claudia Roth: raussetzungen für eine Aufrechnung geht. Das hier ist ja Vielen herzlichen Dank, Herr Spangenberg. – Nächste totaler Unsinn. Gleichwertige Forderungen können im- Rednerin: Sabine Dittmar für die SPD-Fraktion. mer aufgerechnet werden. Zu meiner großen Freude – (Beifall bei der SPD) vielleicht war ich sogar der Urheber; das würde mich stolz machen – ist ein Änderungsantrag der Koalition Sabine Dittmar (SPD): zu dem § 109 Absatz 6 Sozialgesetzbuch V eingegangen. Sie können jetzt also wieder aufrechnen. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, die Medizin- (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE ischen Dienste der Krankenversicherung zu stärken und GRÜNEN]: Was erzählen Sie denn da? Bei deren Unabhängigkeit zu gewährleisten. Mit dem MDK- welchem Thema sind Sie gerade?) Reformgesetz setzen wir nun dieses Vorhaben um. Die Erklärung dazu, dass die Forderung anerkannt oder Die Medizinischen Dienste nehmen eine wichtige Auf- gerichtlich festgestellt sein muss, ist natürlich nicht nötig. gabe wahr: Sie stellen sicher, dass alle Versicherten nach Das ist sowieso eine Bedingung, wenn ich aufrechnen ihrem individuellen Bedarf den gleichen Anspruch auf will. Ich freue mich aber, dass das jetzt wieder drin ist. Leistungen der Kranken- oder Pflegekasse haben. Jeder Vielleicht ist das der AfD zu verdanken. Das könnte doch muss die für ihn notwendigen medizinischen und pflege- sein. rischen Leistungen erhalten, aber es ist auch im Sinne der Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15455

Sabine Dittmar (A) Beitragszahler, unnötige und unwirtschaftliche Leistun- Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich Ihnen mitteile, (C) gen abzulehnen. dass meine Fraktion und auch ich keine Freunde von starren Prüfquoten sind. Das macht das System erheblich Die Begutachtungen und Prüfungen werden durch un- strategieanfällig, und wir sind auch nach wie vor der Mei- abhängige und nicht weisungsgebundene Gutachter aus nung, dass mit anderen in diesem Gesetz verankerten der Ärzteschaft und der Pflege durchgeführt. Das war so Maßnahmen eine Deeskalation der Prüfungen zu errei- und wird auch in Zukunft so sein. chen gewesen wäre. Diese Position war jedoch nicht durchzusetzen. Ich sage aber voller Überzeugung: Wir Im parlamentarischen Verfahren war es für uns, die haben einen guten Kompromiss verhandelt, der den Inte- SPD, klar: Eine Schwächung der Selbstverwaltung wer- ressen beider Partner – denen der Krankenkassen und den wir nicht hinnehmen. denen der Krankenhäuser – gerecht wird. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir werden im ersten Jahr die Prüfquote von 10 auf Die ursprünglich vorgesehene Regelung, nach der die 12,5 Prozent erhöhen und bereits 2020 die Sanktionen bei Vertreter der Beitragszahler im neu strukturierten Verwal- Fehlabrechnungen greifen lassen. Außerdem entfällt der tungsrat der Medizinischen Dienste nicht mehr gleichzei- Sanktionsdeckel der Krankenhäuser. Die Krankenhäuser tig im Verwaltungsrat einer Kasse tätig sein sollten, hat empören sich hier über eine Selbstverständlichkeit; denn die SPD von Anfang an abgelehnt. Diese Unvereinbar- wer korrekt abrechnet, der muss auch keine Sanktion keitsregelung wäre für uns ein nicht akzeptabler Angriff fürchten. auf die Selbstverwaltung gewesen. Also, meine Damen und Herren, wir können einen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) weiteren Haken auf die To-do-Liste dieser Koalition set- zen, und dieser Haken bedeutet nicht nur „Abgearbeitet“, Ich freue mich, dass wir auch unseren Koalitionspart- sondern auch „Gut gemacht“. ner davon überzeugen konnten. Es werden nun auch zu- künftig durch Sozialwahlen legitimierte Vertreter der Bei- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten tragszahler, also der Arbeitnehmer und Arbeitgeber, ihre der CDU/CSU) fachliche Expertise in den Verwaltungsrat einbringen, und das ist gut so. Hier wird wieder einmal deutlich, Vizepräsident in Claudia Roth: wie wichtig es ist, dass die SPD mitregiert. Vielen Dank, Sabine Dittmar. – Nächster Redner: (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Lachen Dr. Andrew Ullmann für die FDP-Fraktion. bei Abgeordneten der AfD) (B) (Beifall bei der FDP) (D) Meine Damen und Herren, häufig hört man den Vor- wurf, dass die Medizinischen Dienste einseitig die Inte- Dr. Andrew Ullmann (FDP): ressen der Krankenkassen vertreten. Dem begegnen wir mit noch mehr Transparenz. Zukünftig sitzen stimmbe- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- rechtigte Patientenvertreter mit am Tisch – und in bera- ren! Mit einem Lob an das Bundesministerium für Ge- tender Funktion die Berufsgruppen. Außerdem wird es sundheit möchte ich gerne starten; denn unter dem Deck- bei den Medizinischen Diensten eine unabhängige Om- mantel des MDK-Reformgesetzes haben Sie das Thema budsperson geben, Infektionskrankheiten versteckt. Es ist zwar die Verlän- gerung eines bereits bestehenden Förderprogramms, aber (Beifall der Abg. Marianne Schieder [SPD]) allein die Erwähnung und Förderung des Facharztes für Innere Medizin und Infektiologie ist etwas Gutes. an die sich Beschäftigte und Versicherte wenden können. Allerdings gibt es diesen Facharzt in Deutschland nur Kolleginnen und Kollegen, auch bei der Krankenhaus- in Mecklenburg-Vorpommern – sonst nirgends. Daher rechnungsprüfung haben wir deutliche Akzente gesetzt. meine Bitte an Herrn Spahn und an Sie, Herr Dr. Gebhart: Alle Experten stimmen darin überein, dass bei den Prüf- Suchen Sie das Gespräch mit der Bundesärztekammer, ungen von Krankenhausrechnungen etwas aus dem Ruder motivieren Sie bitte die Bundesärztekammer, diesen gelaufen ist. Krankenkassen und Krankenhäuser sind in Facharzt endlich in die Musterweiterbildungsordnung einem irren Wettlauf von Prüfungen, Rechnungskorrek- zu implementieren. Ich selber werde das auch tun, und turen und Aufrechnungen gefangen, und das werden wir ich bedanke mich an dieser Stelle für Ihre Mühen. beenden. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Nun aber direkt zum MDK-Reformgesetz. Wieder ein- Allerdings war der von Minister Spahn vorgeschlagene mal packt der Bundesgesundheitsminister ein wichtiges Weg für uns der falsche. Er sah vor, dass im Jahr 2020 nur Thema nur oberflächlich an. Er will den MDK reformie- noch 10 Prozent der Rechnungen den Medizinischen ren – das ist richtig so –, und er will die Unabhängigkeit Diensten zur Überprüfung vorgelegt werden dürfen. Da- des Medizinischen Diensts stärken – auch das ist richtig mit wäre den Krankenkassen ein Verlust von über 1 Mil- so. Diese Punkte unterstützen wir nachdrücklich. Doch ist liarde Euro entstanden. Die Prüfspirale wäre einseitig auf der Gesetzentwurf wirklich gelungen? dem Rücken der Beitragszahler beendet worden. Das ha- ben wir korrigiert. Vier Kritikpunkte möchte ich gerne aufzählen: 15456 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Dr. Andrew Ullmann (A) Erstens. Die soziale Selbstverwaltung wird ge- auszuüben. Diese Fachkräfte in ein festes Anstellungsver- (C) schwächt. Mit dem Gesetzentwurf wird das legitime In- hältnis in einem Krankenhaus zu zwingen, lehnen wir ab. teresse der Beitragszahlenden, also der Versicherten und Arbeitgeber, nicht mehr hinreichend abgebildet. (Beifall bei der FDP) Zweitens. Sie erweitern zwar den Katalog zum ambu- Wer nachhaltig etwas erreichen will, muss weiter- lanten Operieren, doch das strukturelle Problem fehlen- denken, sinnvoller agieren und vor allem die Kausalität der intersektoraler Vergütungssysteme wird nicht gelöst. der Probleme erkennen. Nur so funktioniert gute Politik. Daher können wir diesem Gesetzentwurf nicht zustim- Drittens. Die Neuregelung des Verfahrens der Abrech- men. nungsprüfung bei den Krankenhäusern ist nicht nachhal- tig. Danke schön. Viertens. Die begrenzte Bezahlung der Leiharbeit in (Beifall bei der FDP) der Pflege ist falsch. (Zuruf von der SPD: Steht doch drin!) Vizepräsident in Claudia Roth: Vielen Dank, Dr. Ullmann. – Harald Weinberg, Die Die letzten beiden Punkte möchte ich gerne ein wenig Linke, gibt seine Rede zu Protokoll, Maria Klein- herausarbeiten: Schmeink, Bündnis 90/Die Grünen, gibt ihre Rede zu Allein im Jahr 2018 gab es 2,6 Millionen Abrech- Protokoll, Emmi Zeulner, CDU/CSU, gibt ihre Rede nungsprüfungen mit einem Rückforderungsvolumen zu Protokoll,1) Claudia Moll, SPD-Fraktion, redet. von insgesamt knapp 3 Milliarden Euro. Warum ist das so? Die Ursachen zunehmender Abrechnungsstreitigkei- (Beifall bei der SPD) ten liegen klar auf der Hand: die immer weiter steigende Komplexität des Vergütungssystems und falsche Anreize. Claudia Moll (SPD): Ihr Gesetzentwurf birgt die Gefahr drastischer Mehr- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und ausgaben und neuer Fehlanreize in der stationären Ver- Kollegen! Einen wunderschönen guten Abend! sorgung; denn wir haben ein Vergütungssystem, das keine (Zurufe: Guten Morgen!) echte Qualität abbildet. Der Gesetzentwurf geht an die- sem Thema und an diesem Problem vorbei. Sie wollen In meiner Zeit in der Altenpflege habe ich über Jahre offensichtlich keine strukturelle Reform der stationären hinweg fast täglich Kontakt mit dem Medizinischen (B) Versorgung angehen. Dienst der Krankenversicherung gehabt. Ich kann von (D) guter und von vertrauensvoller Zusammenarbeit berich- Auch durch die willkürliche Quotierung der Abrech- ten. Dennoch genießt der Medizinische Dienst in der öf- nungsprüfungen, die gerade auch von Frau Dittmar ange- fentlichen Wahrnehmung keinen besonders guten Ruf. sprochen wurde, gießen Sie noch mehr Öl ins Feuer. So- Gibt es dafür Gründe, die in der Arbeit des Medizinischen wohl im Grundsatz als auch in der beabsichtigten Höhe ist Dienstes liegen, oder spielen andere Gründe eine Rolle? sie abzulehnen. Ich bin überzeugt: Ein wichtiger Grund ist die derzei- Meine Damen und Herren, will man wirklich eine tige Organisationsstruktur. Bei einer Pflegebegutachtung nachhaltige Lösung des Problems, bedarf es einer tief- beispielsweise sind am Ende nicht immer beide Seiten greifenden ordnungspolitischen Anpassung der Einrich- zufrieden. Dadurch wurde in der Vergangenheit haupt- tungsstrukturen und des Vergütungssystems. sächlich von Patienten immer wieder kritisch hinterfragt, (Beifall bei Abgeordneten der FDP) wie unabhängig der Medizinische Dienst überhaupt agiert, wenn er doch organisatorisch von den Kranken- Hier ist erheblicher Reformbedarf. Von der Regierung und Pflegekassen abhängig ist. kommt nichts – nur eine oberflächliche symptomatische Therapie. Mit diesem Gesetzentwurf werden wir hier Abhilfe schaffen. Kernstück des Gesetzentwurfs ist die Heraus- Nun zum Thema Pflegebudget. Wir lehnen die Begren- lösung des Medizinischen Dienstes aus den Krankenkas- zung des Pflegebudgets bei der Leiharbeit ab. sen, hin zu einer eigenständigen Körperschaft des öffent- (Beifall bei der FDP) lichen Rechts. Bereits heute ist die von Ihnen gewollte Herausnahme der Im Laufe des parlamentarischen Verfahrens ging es für Pflegekosten aus dem DRG-Fallpauschalensystem ein uns besonders darum, wie sich diese neue Organisation ordnungspolitischer Irrweg. Krankenhäuser sind deswe- von innen gestaltet. Uns war und ist es wichtig, dass die in gen auf Leiharbeit angewiesen. Nur so erfüllen sie die den Sozialwahlen gewählten Vertreterinnen und Vertreter Personaluntergrenzen und halten die regionale Versor- der Selbstverwaltung des Gesundheitswesens auch in Zu- gung aufrecht. Sie sind daher auch vollständig zu finan- kunft Mitglieder in den Verwaltungsräten des Medizin- zieren. ischen Dienstes sein dürfen. (Claudia Moll [SPD]: Nein!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Es ist auch falsch, auf gut ausgebildete Pflegekräfte, die sich bewusst für die Leiharbeit entscheiden, Druck 1) Anlage 9 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15457

Claudia Moll (A) Wir haben engagiert diskutiert und sind froh, dass wir Vizepräsident in Claudia Roth: (C) so den Vorwurf, es gebe hier einen Angriff auf die Selbst- Vielen Dank, Claudia Moll. – Lothar Riebsamen gibt verwaltung, aus dem Weg räumen konnten. seine Rede zu Protokoll.1)

(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Gleichzeitig schaffen wir hiermit die notwendige Unab- Abstimmung über den von der Bundesregierung einge- hängigkeit von Kostenträgern. brachten Gesetzentwurf für bessere und unabhängigere Prüfungen (MDK-Reformgesetz). Der Ausschuss für Ge- Ein genauso wichtiges Anliegen war für uns die Stär- sundheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf kung der Stellung des Patienten. Wie können Streitigkei- Drucksache 19/14871, den Gesetzentwurf der Bundesre- ten bei einer Begutachtung oder bei einem Antrag auf gierung auf Drucksachen 19/13397 und 19/13547 in der bestimmte Leistungen einer Krankenkasse besser gelöst Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die werden? Deshalb wird, wie es schon im Gesetzentwurf dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen vorgesehen war, beim Medizinischen Dienst eine Om- wollen, um ihr Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – budsperson geschaffen, die Unregelmäßigkeiten und Be- Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zwei- einflussungsversuche beobachten und darüber berichten ter Beratung angenommen. Zugestimmt haben die Frak- soll. Ich bin froh, dass diese Berichte in Zukunft auch tionen von SPD und CDU/CSU, dagegengestimmt haben veröffentlicht werden. die Fraktionen der FDP und der AfD, und enthalten haben sich die Fraktionen der Linken und Bündnis 90/Die Grü- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) nen. Das schafft Transparenz und sorgt für mehr Vertrauen. Dritte Beratung (Beifall bei Abgeordneten der SPD) und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Sowohl Kranken- als auch Pflegekassen müssen in Zu- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben. – kunft immer auf diese Möglichkeiten hinweisen. Bei ab- Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent- gelehnten Leistungen müssen Patienten in Zukunft auch wurf ist damit angenommen. Zugestimmt haben die Frak- immer in leichter und verständlicher Form über die Gut- tionen von SPD und CDU/CSU, dagegengestimmt FDP achten des Medizinischen Dienstes aufgeklärt werden. und AfD, und enthalten haben sich Bündnis 90/Die Grü- Ein weiterer großer Aufgabenbereich des Medizin- nen und Die Linke. ischen Dienstes ist die Prüfung von Krankenhausab- rechnungen. Wir ergreifen Maßnahmen, den Aufwand Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- (B) abzubauen. In Zukunft sollen die Strukturen von Kran- ßungsantrag der Fraktion der AfD auf Drucksache 19/ (D) kenhäusern darauf geprüft werden, ob sie bestimmte 14889. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Leistungen überhaupt erbringen können. Dadurch entfal- Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen – sehe ich keine. len viele Einzelfallprüfungen, und es wird klare Vorgaben Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Zugestimmt hat geben. Das erleichtert die Arbeit ungemein. die AfD-Fraktion. Dagegen waren alle anderen Fraktio- nen. Drei Punkte in dem Gesetzentwurf waren mir ein be- sonderes Anliegen. Erstens. Die Krankenhäuser erhalten Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 c bis 17 f mehr Geld für pflegeentlastende Maßnahmen, die neben auf: den tatsächlichen Pflegepersonalkosten im Pflegebudget berücksichtigt werden können. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Kathrin Vogler, Heike Zweitens haben wir mit einer Klarstellung dafür ge- Hänsel, weiterer Abgeordneter und der Frak- sorgt, dass die Abrechnung für Gebärdensprachdolmet- tion DIE LINKE scher, die bei Behandlung von gehörlosen Menschen be- nötigt werden, deutlich vereinfacht wird Friedensprozesse in Syrien fördern, Völ- kerrecht wiederherstellen (Beifall bei der SPD) und das Leistungsspektrum ausgeweitet wird, sodass es Drucksache 19/8357 hier in Zukunft deutlich weniger Schwierigkeiten geben Überweisungsvorschlag: sollte. Auswärtiger Ausschuss (f) Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Und zu guter Letzt darf die Pflegebegutachtung auch Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung durch die Pflegefachkräfte stattfinden und nicht mehr nur in Zusammenarbeit mit den Ärzten. Wer kann besser eine c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Pflegebegutachtung durchführen als eine Pflegefach- Berichts des Auswärtigen Ausschusses kraft? (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord- neten Heike Hänsel, Sevim Dağdelen, Danke schön. Dr. Alexander S. Neu, weiterer Abgeordneter (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE der CDU/CSU und der Abg. Kordula Schulz- Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) 1) Anlage 9 15458 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Vizepräsident in Claudia Roth (A) Militärische Angriffe von den USA und Was wir jetzt brauchen, ist eine stringente Syrien-Stra- (C) der Türkei auf Syrien als völkerrechtswid- tegie der EU. Wir Europäer sind unmittelbare Nachbarn rig verurteilen von Syrien. Eine gute Entwicklung ist in unserem ureige- nen Interesse. Drucksachen 19/2518, 19/5027 d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Eine Syrien-Strategie muss verschiedene Punkte bein- Berichts des Ausschusses für Menschenrech- halten. Der erste und wichtigste Punkt: Die EU über- te und humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu nimmt Verantwortung. Dazu gehört eine Schutzzone im dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Norden unter internationaler Kontrolle. Katja Keul, Agnieszka Brugger, weiterer Ab- Wir müssen die Lebensbedingungen vor Ort verbes- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ sern. Rund 80 Prozent der Syrer leben in großer Armut. DIE GRÜNEN Die Menschen in Syrien brauchen wieder eine Perspek- Syrien – Beweise sichern, Völkerstraftaten tive; sonst bleiben sie nicht im Land. Gerade von den ahnden Christen in Syrien höre ich, dass sie ein starkes Signal von Deutschland und Europa erwarten. Drucksachen 19/1876, 19/5029 Nur so können Fluchtursachen vermindert werden. Die e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Zerstörung der Infrastruktur, der Produktionsanlagen und Berichts des Auswärtigen Ausschusses der Wohnungen durch Assads Armee und die russische (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord- Luftwaffe hat ganze Arbeit geleistet. Ich meine die Zer- neten Agnieszka Brugger, Omid Nouripour, störung von Städten wie Aleppo und Homs. Katja Keul, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Von den Bomben der russischen Luftwaffe ist in den Völkerrecht in Syrien hochhalten – Eska- Anträgen der Linken überhaupt nichts zu lesen. Mit sol- lation verhindern und den politischen Pro- chen ideologischen Anträgen kann man sich darum nicht zess vorantreiben ernsthaft befassen. Drucksachen 19/2513, 19/5028 Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Menschen brau- chen eine Perspektive. Darum müssen wir auch über das f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Thema Sanktionen reden. Ich meine nicht die Sanktionen Berichts des Auswärtigen Ausschusses gegenüber der verbrecherischen Führung des Landes, die (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord- die Menschenrechte verletzt und das Völkerrecht gebro- (B) neten Agnieszka Brugger, Claudia Roth chen hat. Diese Sanktionen müssen bleiben. (D) (Augsburg), Cem Özdemir, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Es gibt aber auch Sanktionen, die mehr das Volk treffen DIE GRÜNEN als die verbrecherische Führung. Und sie führen dazu, dass den Menschen eine Perspektive im Land fehlt. Militäroffensive der Türkei in aller Schär- fe als völkerrechtswidrig verurteilen und (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- klare Konsequenzen ziehen NEN]: Welche?) Drucksachen 19/14094, 19/14865 Ich denke zum Beispiel an Ersatzteile für die Wasser- und Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Stromversorgung, an Maschinen für Handwerker und Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Baumaschinen. Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Die Aufhebung dieser Sanktionen, die die Menschen Die erste Rednerin Heike Hänsel gibt ihre Rede zu treffen und am wenigsten die Führung, muss an Bedin- Protokoll.1) Deswegen ist der erste leibhaftige Redner gungen geknüpft werden. Dazu gehören die Freilassung der Kollege Markus Grübel für die CDU/CSU-Fraktion. der von Assad eingekerkerten Menschen, die Aufklärung über die vielen Tausend Menschen, die verschwunden (Beifall bei der CDU/CSU) sind, Sicherheit und Straffreiheit von Rückkehrern und auch, dass die Enteignungen von Flüchtlingen – deren Markus Grübel (CDU/CSU): Immobilien enteignet wurden – rückgängig gemacht wer- Das hört sich komisch an mit dem „leibhaftig“. – Frau den. Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die USA haben in Syrien ein Vakuum hinterlassen, indem sie sich Zu einer Versöhnung gehört auch die Bestrafung der ohne Not aus dem Norden zurückgezogen haben. Dieses Haupttäter. Syrien ist – wie der Irak – kein Vertragsstaat Vakuum haben die Türkei, Russland und Assads Truppen des Römischen Statuts. Daher muss die EU darauf hin- gefüllt. wirken, dass der UN-Sicherheitsrat dem Internationalen Strafgerichtshof oder einem Sondertribunal das Verfah- Erdogan, Putin und Assad haben neue Fakten geschaf- ren zuweist. Denken wir an Ruanda oder Jugoslawien. fen. Europa und damit auch Deutschland haben schon viel zu lange zugeschaut. Das wird im UN-Sicherheitsrat gegen China und gegen Russland sicherlich kein einfaches Unterfangen. Aber ich 1) Anlage 10 bin der Überzeugung, wir müssen dafür kämpfen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15459

Markus Grübel (A) Zur Strafverfolgung ist eine Beweissicherung zwin- gierung wie die Assad-Regierung zugeht und mit ihr da- (C) gend erforderlich. Insofern teile ich das Anliegen aus rüber verhandelt, was möglich ist und was nicht. Genau den vorliegenden Anträgen der Grünen. das haben wir die ganze Zeit nicht getan. Herr Maas hat gestern wiederholt, dass man sich so lange verweigert, bis Wir müssen auch darauf drängen, dass der Verfas- die Verfassungskommission in Genf zu einem Ergebnis sungsprozess ernsthaft betrieben wird. Es besteht die Ge- kommt. Meine Damen und Herren, da können wir auf den fahr, dass der Verfassungsprozess nur scheinbar betrieben Sankt-Nimmerleins-Tag warten, bis das endlich Realität wird, damit dem Westen unter Gesichtswahrung ermög- wird. licht wird, den Wiederaufbau zu finanzieren. Darum ist Voraussetzung für eine Unterstützung des Wiederaufbaus (Beifall bei der AfD) eine glaubwürdige Veränderung in Syrien. Um es klar zu sagen: Eine Schutzzone genau in dem Vielen Dank. Bereich, in dem die Türken jetzt intervenieren, hätte da- mals Sinn gemacht. Man hätte die Binnenflüchtlinge, die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- damals noch nicht nach Deutschland geflüchtet sind, in ordneten der SPD) diesen Schutzzonen unter einem robusten UN-Mandat schützen und sicher unterbringen können, und man hätte Vizepräsident in Claudia Roth: gleichzeitig einen Puffer gegen die Einflussnahme der Vielen Dank, Markus Grübel. – Nächster Redner: für Türken geschaffen. Damals wäre es möglich gewesen, die AfD-Fraktion Armin-Paulus Hampel. heute nicht. (Beifall bei der AfD) Zurück zu der Einwirkung auf Assad. Was müssen wir denn heute machen? Wir können jetzt in unserer Position Armin-Paulus Hampel (AfD): im Weltsicherheitsrat versuchen, das Rad zu drehen; das Schönen guten Morgen, meine Damen und Herren! ist nach der Entscheidung von Sotschi schwer genug, aber Liebe Kollegen! Es ist schön, dass sich zumindest in versuchen muss man es auf jeden Fall. Wir haben wiede- der Union einiges bewegt, zumindest bei Frau Kramp- rum 200 000 Binnenflüchtlinge in dieser Region, und ich Karrenbauer. Und auch bei Ihnen, Kollege Markus ahne – das habe ich schon mehrfach gesagt –, wenn wir Grübel, freue ich mich, dass es einige Erkenntnisse gibt, diesen Konflikt nicht lösen, wohin diese 200 000 Binnen- da nämlich die Vorschläge der AfD-Fraktion und noch flüchtlinge sich in Bewegung setzen werden, nämlich frühere Vorschläge, als wir noch gar nicht in diesem Hau- nach Europa, und 90 Prozent davon – ich verspreche es se saßen, jetzt aufgenommen werden. Ihnen – nach Deutschland. Und das wollen wir als AfD- Fraktion nicht. (B) (Beifall bei der AfD) (D) (Beifall bei der AfD) Frau Kramp-Karrenbauer hat ja recht, allerdings viel zu spät. 2015 hätte ihr Vorschlag Sinn gemacht und Aus- Wir haben heute nur dann die Möglichkeit, in den Pro- sicht auf Erfolg gehabt. 2015, als die Gemengelage noch zess einzugreifen, wenn wir anbieten, bei dem Wieder- eine ganz andere war als heute, als sich Russen und Tür- aufbau Syriens unterstützend zu helfen. Militärisch haben ken noch nicht in Sotschi geeinigt haben, wie sie dort wir keine Möglichkeiten mehr, zu intervenieren. Wir kön- vorgehen wollen, hätte man in der Tat mit den Amerika- nen nur noch politisch intervenieren und, was Russen und nern gemeinsam und mit den Russen zusammen unter andere vielleicht nicht können, finanzielle Unterstützung Beteiligung der Türken, zumindest beratend von der anbieten. Lieber Herr Grübel, ich gebe Ihnen völlig recht: westlichen Seite, den NATO-Ländern, genau solche Man muss das Assad-Regime dazu zwingen – und es ist Schutzzonen schaffen sollen, wie sie Frau Kramp-Kar- möglich, wenn man mit dem Wiederaufbau winkt – und renbauer jetzt gefordert hat. Damals hätte es erfolgreich sagen: Das geht nur, wenn den Heimkehrern eine sichere sein können. Heute ist es viel schwieriger, weil man in Heimkehr garantiert wird, sie nicht politisch verfolgt wer- dieser Regierung vier Jahre gepennt hat, meine Damen den und sie ihr Eigentum selbstverständlich zurückbe- und Herren. kommen. Das wäre meines Erachtens verhandlungstech- nisch auch heute noch möglich. (Beifall bei der AfD) Allerdings sehe ich gerade die Entwicklung im Liba- Sie haben es gerade angeführt. Rückführung der non, wo durch die internen Konflikte der Druck auf die Flüchtlinge, sagen wir. Sie sagen: Ja, das auch, und zwar 1 Million Flüchtlinge dort sich ebenfalls stark erhöht und wenn man mit Herrn Assad verhandelt. – Dazu gehört wir bis dato wiederum nichts unternehmen, um auf eine aber auch, Herr Grübel, dass man anerkennt, dass, ob Lösung des Konfliktes friedlich einzuwirken. Denn wenn man es will oder nicht, das Assad-Regime sich in diesem die Entwicklung im Libanon eskaliert, bedeutet das, dass Konflikt durchgesetzt hat. sich eine weitere Million Menschen aus der Region auf den Marsch nach Europa machen – und wieder mal zu (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- uns. NEN]: Nein! Putin hat sich durchgesetzt!) Ob uns das gefällt, ist eine völlig andere Frage. Aber er Wir müssen jetzt allein ein Ziel verfolgen. Statt in hat sich durchgesetzt. Deutschland an die 50 Milliarden Euro für Sozialkosten aufzuwenden, können wir mit einem Bruchteil dieser Zur Diplomatie gehört aber auch – und da fehlt die Summe mit deutschen Firmen beim Wiederaufbau Sy- deutsche Außenpolitik wieder –, dass man auf eine Re- riens helfen. 15460 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Armin-Paulus Hampel (A) Ich habe es gerade erwähnt: Wir können das meines (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (C) Erachtens mit dem Assad-Regime aushandeln, indem wir ganz klar festlegen: keine Verfolgung der Heimkehrer das wird dem Ernst der Lage in Syrien nicht gerecht. Es und Rückgabe ihres Eigentums. wird auch der fragilen Situation, in der die EU sich be- findet, nicht gerecht, und es wird vor allen Dingen unse- Jetzt mache ich Ihnen einen weiteren Vorschlag. Das ren Ansprüchen an uns selber und unsere ethischen Prin- können Sie nur über ein UN-Mandat machen, und das zipien nicht gerecht. muss mit einer UN-Person und einer Vertrauensperson gefüllt werden. Sie haben diese Person in Ihren Reihen: Weltpolitische Probleme bedürfen globaler Allianzen. mein Freund, den früheren Umweltminister und UN-En- Die Menschen in Syrien haben zumindest ein abgespro- voy Klaus Töpfer. Das wäre eine Person, die hervorra- chenes Vorgehen der europäischen Mitgliedstaaten der gend geeignet wäre – ich komme zum Schluss, Frau Prä- NATO oder der gewillten EU-Mitgliedstaaten verdient. sidentin –, als Garant für die Durchsetzung dieser Nationale Alleingänge führen nur zu Vielstimmigkeit Forderung in Syrien zu wirken. Dann würden Sie für und öffentlich zur Schau getragener Uneinigkeit – zulas- die Menschen Syrien Gutes tun. Wir würden die Heim- ten der bedrohten und notleidenden Menschen. kehr der Flüchtlinge unterstützen und ihre Sicherheit Es ist an der Zeit, tragfähige Lösungen zu erarbeiten. ebenfalls garantieren. Folgen Sie diesem Vorschlag! Deshalb ist es vollkommen richtig, dass Deutschland in- Danke schön. nerhalb der EU, innerhalb der NATO und innerhalb der UN seine Handlungsspielräume auslotet und sich Partner (Beifall bei der AfD) sucht: internationale Partner wie die Mitglieder der Small Group zu Syrien und europäische Partner, die beispiels- Vizepräsident in Claudia Roth: weise Mitglieder der NATO sein können. Danke, Herr Hampel. – Nächste Rednerin: Siemtje Zugleich ist es richtig, sich mit den unmittelbaren Möller für die SPD-Fraktion. Nachbarn der Türkei, mit Griechenland, mit Bulgarien, (Beifall bei der SPD) aber auch mit Rumänien, Albanien, Mazedonien über die Auswirkungen des EU-Türkei-Flüchtlingsabkommens auseinanderzusetzen. Auch hier müssen wir Handlungs- Siemtje Möller (SPD): optionen entwickeln, damit Erdogan uns nicht länger er- Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! pressen kann. Nur so können wir als Europa tatsächlich zu „Wir verurteilen die türkische Offensive im Nordosten einer Handlungsperspektive kommen. Syriens auf das Schärfste.“ Das, meine Damen und Her- (B) ren, ist kein Zitat aus den vorliegenden Anträgen, sondern Es ist auch richtig, dass das Auswärtige Amt mit Hoch- (D) Teil der sofortigen Reaktion unseres Außenministers, druck daran arbeitet, Zugang für humanitäre Hilfe für die Heiko Maas, die gemeinsam mit dem Präsidenten der Menschen vor Ort zu schaffen. EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, abgegeben wur- de und die unsere unumstößliche Position deutlich macht: Es ist auch richtig, in mühsamer Kleinstarbeit daran Die Offensive ist völkerrechtswidrig, und wir verurteilen mitzuwirken, dass der Prozess der Verfassungsbildung diese Seitʼ an Seitʼ oder, wenn man so will, im Gleich- weitergehen kann. schritt mit der Europäischen Union. Und es ist auch richtig, alle noch so kleinen Bemühun- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) gen zu wagen, um mit Russland und dem Iran ins Ge- spräch zu kommen. All das ist so viel mehr als ein öffent- Die türkische Offensive in Syrien ist unbenommen ein lichkeitswirksam erhobener moralischer Zeigefinger, wie weltpolitisches Problem, ausgelöst durch den unvorher- Sie es hier tun – wohlgemerkt ein Zeigefinger, der nur auf gesehenen Abzug der USA und die damit einhergehenden die innerdeutsche Debatte zielt. geostrategischen Veränderungen in der Region. Offen- kundig wird nun der Einfluss des Iran, offenkundig wird Genau in diesem Zusammenhang müssen wir uns alle – die Zerstrittenheit der Kurden untereinander, und offen- auch Sie, liebe Opposition – die Fragen gefallen lassen: kundig wird auch die unsichtbare Hand des russischen Wie kann denn Frieden in Syrien geschaffen werden? Einflusses. Offenkundig wird aber auch, dass in dieser Was gehört eigentlich dazu? Was wäre uns dieser Frieden Region nun Weltpolitik ohne die westliche Allianz, ohne wert? Wie hinterlegen wir vollmundige Verurteilungen Europa und ohne Deutschland gemacht wird. Denn wir so, dass auch Autokraten wie Erdogan verstehen, dass finden in der Diskussion der Akteure vor Ort nicht statt. es uns ernst damit ist? Welche Bündnisse, welche Allian- Angesichts des Fundaments, auf dem die EU aufgebaut zen, welche Druckmittel und am Ende auch welche Kon- wurde, und unserer ureigenen Interessen an einem stabi- sequenzen – militärischen Mittel – können wir zumindest len Mittleren Osten und an der Verbreitung und Wahrung als Drohkulisse oder auch als Schutzkulisse aufbauen? der Menschenrechte halte ich das für eine absolut bedenk- Das sind zugegebenermaßen unbequeme Fragen. Aber liche Entwicklung. wir dürfen uns nicht aus Angst vor unbequemen Antwor- ten in innenpolitisch motivierte Diskussionen zurückzie- Die Krise in Syrien ist eine weltpolitische Krise, die in hen. Dafür geht es um zu viel. vielerlei Hinsicht – so auch hier – bisher zur Profilierung in der innerdeutschen Debatte missbraucht wurde. Ich finde, das wird der Krise und den notleidenden Menschen Vizepräsident in Claudia Roth: nicht gerecht, Kommen Sie zum Schluss, bitte. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15461

Vizepräsident in Claudia Roth (A) (Beifall bei Abgeordneten der FDP) terhergeschickt hat. Man ist schlicht fassungslos, meine (C) Damen und Herren! Siemtje Möller (SPD): Ich bin überzeugt: Es ist an Deutschland, seine erfah- In dieser schwierigen Situation hat unser Graf rene und besonnene Stimme in dieser unübersichtlicher Lambsdorff sehr frühzeitig eine UN-Schutzzone vorge- werdenden Welt einzubringen. schlagen. Meine Fraktion hat damit bereits am 9. Oktober eine Blauhelmmission ins Spiel gebracht, um die Kon- Vielen Dank. fliktparteien auseinanderzuhalten. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Jürgen (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Märchenstun- Hardt [CDU/CSU]) de!) Es hatte mich daher zunächst gefreut, als die Verteidi- Vizepräsident in Claudia Roth: gungsministerin und CDU-Vorsitzende Annegret Kramp- Vielen Dank, Frau Möller. – Nächster Redner: für die Karrenbauer am 21. Oktober diesen Vorschlag aufgriff FDP-Fraktion Ulrich Lechte. und ebenfalls eine Schutzzone forderte. (Beifall bei der FDP) (Michael Theurer [FDP]: Den Lambsdorff- Plan!) Ulrich Lechte (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und – Den Lambsdorff-Plan, genau. – Aber leider ist sie dabei Kollegen! Sehr geehrte drei Gäste oben auf der Tribüne! sehr dilettantisch vorgegangen, wie wir vorhin schon ge- Meine Jungfernrede im Deutschen Bundestag hatte ich hört haben. Sie hat den Vorschlag nicht mit dem zuständi- zur völkerrechtswidrigen türkischen Militäroffensive gen Außenminister Heiko Maas abgestimmt und ihn nicht „Olivenzweig“ gehalten. Damals ging es um die Belage- einmal ansatzweise durchdacht. rung der Stadt Afrin in Nordsyrien. Das ist mehr als an- Ihr weiterer Vorschlag, dies als NATO-Mission statt als derthalb Jahre her. UN-Mission zu gestalten, hat bei einigen, vielleicht gar Derzeit habe ich ein kleines Déjà-vu-Erlebnis; denn bei allen Experten im In- und Ausland nur zu Kopf- vieles wiederholt sich: Die neue türkische Militäroffen- schütteln geführt. Damit hat Kramp-Karrenbauer dem sive hat einen euphemistischen Namen: Friedensquelle. richtigen Anliegen einer Schutzzone und der deutschen Der kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich Außenpolitik bereits einen Bärendienst erwiesen. Ent- erneut um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg han- scheidungen im NATO-Rat erfolgen nämlich einstimmig. delt, wie Heiko Maas selbst am Mittwoch hier bestätigte. Das scheint unserer Ministerin der Verteidigung nicht (B) bekannt gewesen zu sein. Die Türkei wird dort sicher (D) Doch die Sache ist noch viel schlimmer als im vorhe- nicht gegen ihre eigenen Interessen stimmen. Das Ver- rigen Jahr, und unsere Bundesregierung gibt ein katastro- halten der Fachministerin ist damit – für mich zumindest – phales Bild ab. völlig absurd. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Omid Warum? Zunächst muss man fairerweise dazu sagen, dass Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) die Lage äußerst schwierig ist; denn unsere eigenen Ver- Doch wer dachte, dass dies schon ein Tiefpunkt der bündeten haben schwere Fehler begangen. deutschen Politik war, der wurde kurz darauf eines Bes- Die Türkei – immer noch unser Verbündeter als seren belehrt. Denn dann kam Außenminister Heiko NATO-Mitglied – hat bereits in Afrin völkerrechtswidrig Maas und hat diesen Dilettantismus seiner neuesten Kol- gehandelt und aus unserer bemerkenswerten Reaktion ge- legin noch getoppt: Am 26. Oktober, wie wir heute schon lernt: Wir haben weiter Rüstungsgüter in die Türkei ex- gehört haben, stellte Maas sich in Ankara neben den tür- portiert. Wir haben die EU-Beitrittsgespräche nicht abge- kischen Außenminister und lästerte in einer Pressekonfe- brochen. Wir haben nicht entschieden auf die Fehler renz über den „theoretischen“ Vorschlag seiner Minister- unseres Verbündeten Türkei reagiert. Erdogan hat daraus kollegin Kramp-Karrenbauer. Kurz nachdem Erdogan den Schluss gezogen, dass er so weitermachen kann wie Maas noch als Dilettant verspottet hatte, führte gekränkte bisher. Eitelkeit bei Heiko Maas zu einem Fauxpas par excellen- ce, nur um innenpolitisch eine Spitze gegen den eigenen (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Koalitionspartner loszuwerden. Unser NATO-Partner USA hat auch seinen Beitrag zur Verschlechterung der Situation geleistet: Trump hat ent- Vizepräsident in Claudia Roth: schieden, unsere kurdischen Alliierten im Kampf gegen Und die Redezeit ist vorbei. den IS schlicht im Stich zu lassen. Und leider wurde diese Entscheidung eins zu eins umgesetzt, ohne Rücksichtnah- me auf gegenteilige Ratschläge der Administration und Ulrich Lechte (FDP): von Parlamentariern im eigenen Land oder gar Rückspra- Wer unserer Außenpolitik derart schadet, nur um in- che mit internationalen Partnern wie uns. Dies war ein nenpolitisch zu punkten, der hat das Amt des Außenmi- klares Signal an Erdogan, dass er freie Bahn hat. Der nisters nicht richtig verstanden. Fazit: Heiko Maas hat faktische Rückzug der USA ist Realität, garniert mit ei- nicht nur seinem ehrenwerten Amt geschadet, sondern nem wirren Brief, den Trump dann noch an Erdogan hin- auch der internationalen Syrien-Politik, - 15462 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

(A) Vizepräsident in Claudia Roth: stellt sich nicht nur die Frage, ob unsere Panik falsch ist, (C) Die Redezeit ist vorbei. – Sonst mache ich den sondern dann stellt sich auch die Frage, wie wir dem Kubicki. entgehen können. Die Antwort darauf ist: Bedingungen stellen. (Heiterkeit) Herr Kollege Grübel, ich habe viele Ihrer Ausführun- Ulrich Lechte (FDP): gen nicht geteilt – abgesehen vom Lob für unsere An- – vom Ansehen Deutschlands auf dem diplomatischen träge –, aber jenseits davon bin ich sehr dankbar, dass Parkett ganz zu schweigen. Sie Bedingungen genannt haben. Dazu gehört natürlich in erster Linie, dass über 100 000 politische Gefangene in Vielen Dank, Frau Präsidentin. Ich bin am Ende meiner diesem Land freigelassen werden. Rede. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP) Dazu gehört natürlich in erster Linie, dass wir erfahren, wo die ganzen Verschwundenen hingekommen sind. Da- Vizepräsident in Claudia Roth: zu gehört, dass wir erfahren, was mit denjenigen ge- Danke, Herr Kollege Lechte. – Nächster Redner: Omid schieht, die zurückgehen, und was aus ihrem Hab und Nouripour für die Grünen. Gut wird, das konfisziert worden ist, als sie plötzlich nicht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mehr da waren. All das fehlt. Nichtsdestotrotz ist die zentrale Aufmerksamkeit der- Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): zeit auf die Situation im Norden gerichtet, auf den Deal Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist in von Sotschi und auf die Aggression der Türkei. Das ist der Tat mit das ernsteste Thema, das man diskutieren eine Herausforderung, der die Bundesregierung nicht ge- kann. Was in Syrien als friedliche Demonstration begann, recht worden ist in den letzten Wochen. Nicht nur sind auf die geschossen wurde, ist acht Jahre später eine un- naheliegende Instrumente wie beispielsweise eine Aus- endliche Geschichte von Leid mit über einer halben Mil- setzung der Hermesbürgschaften nicht ergriffen worden. lion toten Menschen. Es gibt viele Verantwortliche dafür. In einem zentralen Feld der Auseinandersetzung fehlen Es gibt Kriegsverbrechen aller Parteien. Die Hauptver- derzeit auch jegliche Aktivitäten. antwortung trägt unbestritten das Regime von Assad. Das Eingreifen der Türkei führt gerade dazu, dass der Das Leid ist aber gerade massiv verstärkt worden durch Dschihadismus in einer sehr großen Stärke – und vor das Eingreifen der Türkei. Diese Offensive ist völker- (B) allem der „Islamische Staat“ als Organisation – wieder (D) rechtlich, humanitär und auch für die NATO als Organi- sehr stark zurückkommt. Das ist verheerend. Und wenn sation eine immense Herausforderung. Allein die Tatsa- Erdogan beispielsweise sagt: „Ich werde nicht zulassen, che, dass zurzeit humanitäre Organisationen im Norden dass Dschihadisten die Grenzen Syriens verletzen“, dann Syriens kaum arbeiten können, während 300 000 Men- ist das der reinste Hohn, wenn man bedenkt, dass das schen auf der Flucht sind, zeigt, wie dramatisch die Lage größte Lager, in dem gefangene Dschihadisten von kurdi- ist. schen Milizen festgehalten worden sind, al-Hol, etwa Das darf nicht dazu führen, dass wir die Aufmerksam- 15 Kilometer von der irakischen Grenze, die halbwegs keit von dem, was im restlichen Syrien und vor allem von offen ist an der Stelle, entfernt ist. Seit Monaten flehen dem, was derzeit in Idlib passiert, abziehen. Dort sind wir die Bundesregierung geradezu an, dafür zu sorgen, zwar jetzt die Kampfhandlungen halbwegs weniger ge- dass wenigstens diejenigen, die bei uns, in unseren Ge- worden, weil sowohl die Türkei als auch Syrien ihre sellschaften, radikalisiert worden sind – die deutschen Streitkräfte für die anderen Schlachten abgezogen haben. Staatsbürgerinnen und Staatsbürger unter den Dschiha- Aber dort sind über 2 Millionen Menschen eingeschlos- disten und vor allem ihre Kinder –, geordnet zurückge- sen in einer Region, in der nahezu alle Krankenhäuser bracht werden. Die Bundesregierung hat nichts getan, bis systematisch weggebombt worden sind. Das ist eine Ver- die Kontrolle über dieses Lager mehr oder minder ver- pflichtung für uns, nicht zu vergessen, was dort passiert, loren gegangen war. Das ist extrem fahrlässig. Das be- und auch weiterhin hinzuschauen. deutet einen Riesenrückenwind für den Dschihadismus, der durch die Passivität dieser Bundesregierung mit ver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) stärkt worden ist. Hier wird manchmal ein Pappkamerad aufgestellt, man müsse doch mal mit Assad reden. Es war in den letzten Vizepräsident in Claudia Roth: Jahren nie anders. Die Vereinten Nationen haben durch Herr Nouripour, die Redezeit. den Genfer Prozess ständig mit Assads Vertretern gespro- chen. Aber die Frage ist: Wohin führt das, und was sind die Bedingungen dafür? Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Letzter Satz, Frau Präsidentin. – Es ist wirklich bizarr, Wenn Assad jetzt kommt und sagt: „Ihr habt Panik vor wenn Sie sagen, Länder wie Tunesien müssten ihre Flüchtlingen? Ich nehme euch die Angst, ich nehme die Dschihadisten zurücknehmen, Sie selbst das aber nicht Leute auf – wenn ihr mir Milliarden gebt“, und wenn tun. Das ist geballte Heuchelei. Das muss aufhören! Erdogan quasi mit derselben Rechnung – mit einem Preisschild von 27 Milliarden – genau dasselbe tut, dann (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15463

(A) Vizepräsident in Claudia Roth: Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschlie- (C) Vielen Dank, Omid Nouripour. – Dr. Andreas Nick gibt ßend sagen: Die Situation in Syrien hat uns vor Augen seine Rede zu Protokoll. Aydan Özoğuz ihre Rede zu geführt, dass in einer Region, aus der sich die Amerikaner Protokoll.1) – Der letzte Redner in dieser Debatte: zurückziehen, ein Vakuum entsteht. Dieses Vakuum wird Alexander Radwan für die CDU/CSU-Fraktion. relativ schnell von Ländern bzw. Machthabern gefüllt, die nicht unsere Werte teilen und die in einer Art und Weise (Beifall bei der CDU/CSU) Fakten schaffen, die nicht in unserem Interesse sind, auch nicht im deutschen Interesse. Umso mehr ist es geboten, Alexander Radwan (CDU/CSU): dass wir die Diskussion der Verteidigungsminister end- Guten Morgen! Meine sehr verehrten Damen und Her- lich ernst nehmen, statt sie für innenpolitische Zwecke zu ren, dass wir die Debatte heute um 0.45 Uhr führen, be- missbrauchen, und dafür sorgen, dass wir in Europa und daure ich sehr, und alle, die unmittelbar von diesem The- in Deutschland endlich dazu kommen, unsere eigenen ma betroffen sind und dieses möglicherweise beobachten, Interessen in der Welt zu vertreten. sollen nicht daraus schließen, dass dieses Thema für uns keine Bedeutung hat. Der Kollege Omid Nouripour hat es Besten Dank. gesagt: Das ist ein sehr wichtiges Thema. Ich hätte es sehr (Beifall bei der CDU/CSU) begrüßt, wenn mit anderen Themen, die tagsüber beraten worden sind und die vielleicht nicht diese Bedeutung ha- ben, getauscht worden wäre. Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Alexander Radwan. – Damit schließe ich Es wurde bereits angesprochen: Die USA haben sich die Aussprache. aus Syrien zurückgezogen, haben ein entsprechendes Va- kuum hinterlassen. Nur wenige Stunden später haben Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Russland, die Türkei und Assad Fakten geschaffen, haben Drucksache 19/8357 an die in der Tagesordnung aufge- dieses Vakuum gefüllt. führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie mit diesem Überweisungsvorschlag einverstanden? – Dann verfah- Meine Damen und Herren, darum sage ich Ihnen klipp ren wir so. und klar: Die Diskussion, die durch die Bundesverteidi- gungsministerin angestoßen wurde, ist aktueller denn je, Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp- zeigt uns, dass es notwendig ist, dass wir in Europa end- fehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der lich dazu kommen, hier entsprechende Verantwortung zu Fraktion Die Linke mit dem Titel „Militärische Angriffe übernehmen. von den USA und der Türkei auf Syrien als völkerrechts- (B) widrig verurteilen“. (D) Das eine betrifft die Aufgabe, die Waffenruhe zu stabilisieren und eine Sicherheitszone zu schaffen. Herr (Markus Grübel [CDU/CSU]: Und wo ist Kollege Lechte, Sie mögen mit dem Begriff der NATO in Russland?) dem Bereich agieren, aber erklären Sie uns erst einmal, wie Sie mit den Russen im UN-Sicherheitsrat Einstim- – Wir sind gerade in der Abstimmung. migkeit herstellen wollen. Von daher sage ich Ihnen: Man muss beides probieren, und man sollte es jetzt nicht von (Markus Grübel [CDU/CSU]: Aber es stimmt einer Seite zur anderen schieben und letztendlich zu in- trotzdem!) nenpolitischen Zwecken nutzen. – Aber wir sind jetzt in der Abstimmung, und ich bin Humanitäre Hilfe vor Ort ist dringend geboten; denn müde. – Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- die Menschen, die in Not sind – insbesondere die Kur- empfehlung auf Drucksache 19/5027, den Antrag der den –, brauchen unsere Hilfe in der elenden Situation. Der Fraktion die Linke auf Drucksache 19/2518 abzulehnen. politische Prozess zur Stabilisierung in Syrien ist drin- Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer gend notwendig. stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Darf ich noch einmal fragen: Die AfD? – Sie enthalten sich, okay. Die Be- Ein Punkt ist bisher nicht angesprochen worden: Wir schlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben dürfen bei all diesen Entwicklungen natürlich nicht den die Fraktionen von SPD, CDU/CSU, FDP und Bünd- Kampf gegen den IS aus den Augen verlieren. Die ur- nis 90/Die Grünen. Dagegengestimmt hat die Fraktion sprüngliche Situation im Kampf gegen den IS ist nach wie der Linken, und enthalten hat sich die Fraktion der AfD. vor gegeben. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus- Die Finanzierung des Wiederaufbaus ist notwendig, schusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zum damit wir helfen, dem Land wieder Struktur und den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Menschen wieder eine Basis zum Leben zu geben. Wir Titel „Syrien – Beweise sichern, Völkerstraftaten ahn- müssen die Bedingungen dafür schaffen; der Kollege hat den“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp- es angesprochen. Und natürlich brauchen wir von europä- fehlung auf Drucksache 19/5029, den Antrag der Fraktion ischer und deutscher Seite eine entsprechende Internatio- Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/1876 abzu- nalisierung und eine regionale Gruppe, die wir hier ein- lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – binden können. Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen sehe ich keine. Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustim- 1) Anlage 10 mung der Fraktionen der Linken, SPD, CDU/CSU, FDP 15464 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) und AfD und bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Das ist genau der strategische Ansatz unserer Auswärti- (C) Grünen. gen Bildungspolitik: vielen Menschen eine mit Deutsch- land verbundene Bildungsbiografie zu ermöglichen, mit Tagesordnungspunkt 17 e. Beschlussempfehlung des unserer Sprache, unserer Kultur, unseren Werten als Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Fraktion wichtigem Element. Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Völkerrecht in Syrien hochhalten – Eskalation verhindern und den poli- Am Anfang dieser Bildungsbiografien, am Anfang je- tischen Prozess vorantreiben“. Der Ausschuss empfiehlt der Laufbahn steht eine Schule, und zwar nicht nur eine: in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/5028, Wir können auf mehr als 2 000 PASCH-Schulen, also den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Partner-Schulen, zählen, an denen über 600 000 Drucksache 19/2513 abzulehnen. Wer stimmt für diese Schülerinnen und Schüler verstärkt Deutsch lernen. Und Beschlussempfehlung? wir können vor allem auf 140 deutsche Auslandsschulen in 70 Ländern zählen, die junge Menschen zu unseren (In den Reihen der FDP klingelt ein Wecker) Freunden machen. – Guten Morgen! Der Wecker um halb acht, ja! Im Koalitionsvertrag heißt es: (Heiterkeit) Der härter werdende globale Wettbewerb um Köpfe, – Entschuldigen Sie bitte! – Noch einmal: Wer stimmt für Ideen und Werte verdeutlicht die wichtige Aufgabe diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik … für Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist ange- Deutschlands Ansehen und Einfluss in der Welt. nommen. Zugestimmt haben die Fraktionen der Linken, Die Schulen sind dabei seit langer Zeit ein wichtiger Bau- der SPD, der CDU/CSU und der FDP, dagegengestimmt stein, hat Bündnis 90/Die Grünen, und enthalten hat sich die Fraktion der AfD. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Ulla Schmidt [Aachen] [SPD] und Tagesordnungspunkt 17 f. Beschlussempfehlung des Frank Müller-Rosentritt [FDP]) Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Militäroffensive Sie haben eine Wandlung, eine Entwicklung hinter sich: der Türkei in aller Schärfe als völkerrechtswidrig verur- Waren sie früher Inseln für Kinder von Botschaftsange- teilen und klare Konsequenzen ziehen“. Der Ausschuss stellten und für Kinder von ins Ausland entsandten Mi- empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- tarbeiterinnen und Mitarbeitern deutscher Firmen, sind che 19/14865, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die die meisten dieser Schulen heute sogenannte Begeg- (B) Grünen auf Drucksache 19/14094 abzulehnen. Wer nungsschulen, das heißt, sie werden überwiegend von (D) stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt einheimischen Schülerinnen und Schülern besucht. Un- dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung sere deutschen Auslandsschulen sind Orte der Begegnung ist angenommen. Zugestimmt haben die Fraktionen von und des interkulturellen Dialogs. Sie legen Wert auf SPD, CDU/CSU, FDP und AfD, dagegengestimmt hat Mehrsprachigkeit und individuelle Förderung, damit die Bündnis 90/Die Grünen, und enthalten hat sich die Frak- Schülerinnen und Schüler sowohl deutsche als auch ein- tion der Linken. heimische als auch internationale Abschlüsse erwerben können. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: Unsere deutschen Auslandsschulen sind zukünftig Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, auch die Quelle für Fachkräfte, die unser Land dringend SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN benötigt. Wir wollen deshalb prüfen, wo wir gerade die Deutsches Auslandsschulwesen weiter stärken berufliche Bildung noch stärker ausbauen können. und auf breiter Basis entwickeln (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Drucksache 19/14818 des Abg. Frank Müller-Rosentritt [FDP]) Nach interfraktioneller Vereinbarung sind für die Aus- Unsere deutschen Auslandsschulen sind aber vor allem sprache 27 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Wider- eines: ein Aushängeschild für unser Land. Hier wird sehr spruch. Dann ist das so beschlossen. gute Arbeit geleistet. Das Wort hat Thomas Erndl für die CDU/CSU-Frak- Unsere Aufgabe ist es, für die richtigen Rahmenbedin- tion. gungen zu sorgen. Die haben wir mit dem Auslandsschul- gesetz bereits 2014 gesetzt, und die werden nun über- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. prüft. Die Qualität der Schulen hängt selbstverständlich Frank Müller-Rosentritt [FDP]) von den Lehrerinnen und Lehrern ab. Es ist mittlerweile eine große Herausforderung, Stellen zu besetzen, beson- Thomas Erndl (CDU/CSU): ders in den MINT-Fächern und bei den Schulleitern. Wir Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Meine Kollegin- müssen dafür sorgen, dass der Auslandsschuldienst ge- nen und Kollegen! Unser Land profitiert umfassend von nügend attraktiv ist. Wir haben bei der Lehrerbesoldung der Globalisierung, profitiert umfassend von internatio- bereits einiges erreicht. Bei dem wichtigen Thema „Ver- naler Vernetzung. Ein erfolgreiches Netzwerk ist mög- sorgungszuschlag für beurlaubte beamtete Lehrerinnen lichst vielgliedrig, mit möglichst vielen Freunden und Lehrer“ bin ich zuversichtlich, dass wir ab dem Deutschlands in möglichst vielen Ländern dieser Welt. Schuljahr 2020/21 eine versorgungsrechtliche Gleichstel- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15465

Thomas Erndl (A) lung sicherstellen können, damit Lehrerinnen und Lehrer Der Deutsche Bundestag stellt fest: (C) im Ausland keine finanziellen Nachteile erleiden. In einer Welt, die aus den Fugen geraten scheint, in der alte Ordnungen sich auflösen und Populismus (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- und Nationalismus auch im Herzen Europas auf neten der FDP und der Abg. Ulla Schmidt [Aa- dem Vormarsch sind, kommt der Auswärtigen Kul- chen] [SPD]) tur- und Bildungspolitik … eine wachsende Bedeu- Liebe Kolleginnen und Kollegen, in unserem Antrag tung zu, die Hoffnung macht und Wege aufzeigt. ist uns bzw. der Koalition auch wichtig, dass Schüle- (Beifall des Abg. Frank Müller-Rosentritt rinnen und Schüler aus einkommensschwachen Familien [FDP]) unsere Auslandsschulen mit einem ermäßigten Beitrag besuchen können. Wir sprechen uns dafür aus, dem The- Mal ehrlich, liebe Kollegen: Wollen Sie wirklich, dass der ma Inklusion die notwendige Aufmerksamkeit zu wid- Deutsche Bundestag diesen geistigen Tiefflug feststellt? men, mit verstärkter Werbung den Wettbewerb im Bil- dungswesen in den Gaststaaten anzunehmen, deutsche (Beifall bei der AfD) Unternehmen vor Ort noch stärker einzubinden und vor Pädagogen würden hier von externer Kausalattribuierung allem zu prüfen, ob die starre Förderung nach Abschluss- sprechen. zahlen auch in der Zukunft der geeignete Maßstab ist. Wer wie Sie die Axt an die Grundpfeiler unserer Ge- (Beifall der Abg. Ulla Schmidt [Aachen] sellschaft anlegt, unser Geld entwertet, stabile Arbeits- [SPD]) verhältnisse mit allen Mitteln bekämpft Meine Damen und Herren, ich kann Sie nur ermuntern, auf Auslandsreisen immer auch eine deutsche Auslands- (Marianne Schieder [SPD]: Ui, ui!) schule zu besuchen. Sie erleben dort hochengagierte Leh- und die klaren Definitionen und den Zusammenhalt der rerinnen und Lehrer und auch Eltern in den Trägerver- Familie, der Gesellschaft und der Geschlechter zu zer- einen, die dafür sorgen, dass junge Menschen lebenslang trümmern sucht, positiv mit unserem Land verbunden bleiben und zusätz- liche Glieder in unserem globalen Netzwerk bilden. Die (Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Luft holen bitte!) Stärkung und Förderung der deutschen Auslandsschulen ist Wirtschaftspolitik, Integrationspolitik, Beschäfti- dessen Welt gerät nicht aus den Fugen, sondern der hebt gungspolitik, Sozialpolitik, Friedenspolitik und so vieles unsere Gesellschaft aus den Angeln. Die Menschen, die mehr. Ich bitte Sie deshalb, den Koalitionsantrag zu unter- wollen diesen Postmodernismus nicht, und sie bewerten (B) stützen. Ihre Politik – wie auch ich jetzt Ihren Antrag zu bewerten (D) habe: Mehr als eine Fünf kommt dabei nicht heraus. Herzlichen Dank. (Beifall bei der AfD – Dr. Karl-Heinz Brunner (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und [SPD]: Eine sechs ist das!) der SPD und des Abg. Frank Müller-Rosentritt [FDP]) Ihr Antrag strotzt vor ideologischer Arroganz. Diver- sität und Inklusion bilden eindrucksvolle Wortwiederho- lungsketten. Sie sprechen von Wirtschaftsfaktoren und Vizepräsidentin Claudia Roth: dem Bildungsmarkt, in dessen Wettbewerb sich Aus- Vielen Dank, Thomas Erndl. – Das ist nicht nur ein landsschulen zu stürzen hätten. Sie wollen sogar die Koalitionsantrag, wenn ich das mal sagen darf; aber gut. Fachkräfteeinwanderung über deutsche Auslandsschulen mit regeln, in der Hoffnung, die Schüler werden in Bunt- Nächster Redner: für die AfD Fraktion Norbert land ihr ganzes Berufsleben verbringen. Zu diesem Kleinwächter. Zweck wollen Sie möglichst früh berufliche Bildung in (Beifall bei der AfD) die Curricula integrieren und deutsche Unternehmen in die Rekrutierung für den deutschen Arbeitsmarkt einbe- Norbert Kleinwächter (AfD): ziehen. Guten Morgen allerseits! Gemäß Titel soll dieser An- Abgesehen davon, dass Sie auf diese Weise nicht das trag von Union, SPD und Grünen das deutsche Auslands- Desaster der verfehlten deutschen Einwanderungspolitik schulwesen stärken. Das wird diesem wohlfeilen Antrag wiedergutmachen können, betreiben Sie mit der Abwer- allerdings nicht gelingen. bung qualifizierter junger Leute aus anderen Ländern Auslandsschulen sind in der Tat sehr wichtig. Sie tra- postkolonialistische Arbeitsmarktpolitik. gen zum Verständnis unserer kulturellen Werte, unserer Wir als AfD haben da einen völlig anderen Ansatz, Traditionen und unserer Geschichte bei. Deswegen soll- nämlich einen ideologie- und zweckfreien. ten wir sie fördern und sie auch finanziell stärken. Aber davon ist in Ihrem Antrag keine Rede. (Lachen bei der SPD – Markus Grübel [CDU/ CSU]: Sie verwechseln das mit sinnfrei!) Als Lehrer habe ich früher immer meinen Schülern beigebracht, sie sollen den ersten Satz mit Bedacht wäh- Wir sind einem humanistischen Bildungsideal verpflich- len, weil er einen Text vorprägt. Schauen wir also, was die tet. Deswegen haben wir vor allem drei Wünsche für die übergroße Koalition hier niedergelegt hat: deutschen Auslandsschulen: 15466 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Norbert Kleinwächter (A) Erstens. Wir möchten den Deutschunterricht dort wie- Frauen- und Mädchenrechte stärken – (C) der fördern und stärken und auf hohem Niveau die deut- Gesundheit und Bildung für alle welt- sche Kultur und Sprache vermitteln. weit Zweitens. Wir wollen den Lehrermangel lösen, und – zu dem Antrag der Abgeordneten Ottmar zwar nicht durch ineffiziente Werbeaktionen, wie Sie von Holtz, Uwe Kekeritz, Anja Hajduk, das vorschlagen, sondern durch erhöhte Zuschüsse für weiterer Abgeordneter und der Fraktion ins Ausland gehende Lehrer und für die finanziell be- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nachteiligten Ortslehrkräfte. Das Recht von Mädchen auf Bildung Und wir fordern mehr Autonomie für die deutschen und Gesundheit in Krisen- und Kon- Auslandsschulen. Das kann auch durch eine Stärkung fliktgebieten stärken und die G7-Dekla- der Schulvorstände geschehen, die sich vor Ort engagie- ration zügig und konsequent umsetzen ren und Verantwortung für die Entwicklung der Schulen Drucksachen 19/11103, 19/6439, übernehmen. 19/14866 Fazit: Von all dem ist in Ihrem Antrag nichts zu lesen. ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Union, SPD und Grüne bemühten sich um eine erste An- Dr. Christoph Hoffmann, Alexander Graf näherung an das Thema. Lambsdorff, Till Mansmann, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der FDP (Beifall bei der AfD) Weltbevölkerungskonferenz einberufen – Kli- Vizepräsidentin Claudia Roth: mawandel, Lebensmittelversorgung und Be- völkerungswachstum gemeinsam bewältigen Vielen Dank, Norbert Kleinwächter. – Ulla Schmidt gibt ihre Rede zu Protokoll. Alexander Kulitz, FDP- Drucksache 19/14779 Fraktion, gibt die Rede zu Protokoll. Dr. Diether Dehm gibt zu Protokoll. Claudia Roth gibt zu Protokoll. Ursula ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Till Groden-Kranich gibt die Rede zu Protokoll.1) – Ich Mansmann, Olaf in der Beek, Alexander Graf schließe die Aussprache. Lambsdorff, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der FDP Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Finanzierungslücken durch wegfallende US- Fraktionen der CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grü- Finanzierung im Rahmen der Global Gag nen auf Drucksache 19/14818 mit dem Titel „Deutsches (B) Rule schließen (D) Auslandsschulwesen weiter stärken und auf breiter Basis entwickeln“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer Drucksache 19/14780 stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist angenommen. Zugestimmt haben die Fraktionen der Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die SPD, von Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP, Aussprache 27 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen dagegengestimmt hat die AfD, enthalten hat sich die Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Fraktion Die Linke. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Dr. Maria Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b sowie Flachsbarth für die Bundesregierung. Zusatzpunkte 8 und 9 auf: (Beifall bei der CDU/CSU) 19 a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Dr. Maria Flachsbarth , Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und 25 Jahre Weltbevölkerungskonferenz von Entwicklung: Kairo – Sexuelle und reproduktive Ge- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten und lieben Kol- sundheit und reproduktive Rechte welt- leginnen und Kollegen! Die Kairoer Konferenz vor weit stärken 25 Jahren brachte einen Paradigmenwechsel in der Bevöl- kerungspolitik. Sie stellte erstmals den Menschen und Drucksache 19/14749 nicht die demografischen Vorgaben in den Mittelpunkt. Kairo hatte eine Vision: Alle Menschen – insbesondere b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Frauen und Mädchen – sollen darüber entscheiden kön- Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche nen, ob sie Kinder bekommen möchten und, wenn ja, mit Zusammenarbeit und Entwicklung (19. Aus- wem, wann und wie viele – frei von Diskriminierung, schuss) Zwang und Gewalt. – zu dem Antrag der Abgeordneten Helin Doch diese Vision haben wir 25 Jahre später längst Evrim Sommer, Eva-Maria Schreiber, noch nicht umgesetzt, obwohl diese Entscheidungsfrei- Sylvia Gabelmann, weiterer Abgeordneter heit ein grundlegendes Menschenrecht ist und obwohl und der Fraktion DIE LINKE sie entscheidend für die gesellschaftliche Teilhabe von Frauen und Mädchen ist; denn nur so können sie ihre 1) Anlage 11 Lebensplanung selbst in die Hand nehmen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15467

Parl. Staatssekretärin Dr. Maria Flachsbarth (A) Realität ist vielmehr: Es gibt in den Entwicklungslän- Danke schön. (C) dern jedes Jahr 89 Millionen ungewollte Schwanger- schaften; das sind 43 Prozent aller Schwangerschaften (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- dort. In Subsahara-Afrika kann jede zweite Frau, die eine ordneten der SPD) Schwangerschaft verhindern möchte, nicht verhüten. Ei- ne ungewollte Schwangerschaft beendet oft den Bil- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: dungsweg der betroffenen Mädchen und Frauen und ver- Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. – Der nächste Red- ringert – ja, verhindert – in den meisten Fällen ihre ner: Dietmar Friedhoff für die AfD-Fraktion. Chancen auf ein gutes Einkommen und ein selbstbes- timmtes Leben. Dabei wissen wir doch: Gut ausgebildete (Beifall bei der AfD) Mütter haben gesündere Kinder und können ihnen eine bessere Bildung ermöglichen. Dietmar Friedhoff (AfD): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Leider gibt es derzeit viel Gegenwind beim Thema Es geht um sexuelle und reproduktive Gesundheit, „sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte“ – Gleichberechtigung und Bildung für Frauen und Kinder, seien es dramatische Mittelkürzungen in der Entwick- Hunger, Krieg, Armut, Nachhaltigkeit und Teilhabe im lungszusammenarbeit durch die USA oder regressive Kontext des Bevölkerungswachstums. Ich möchte hier Formulierungsvorschläge beim VN-Gesundheitsgipfel aus drei Berichten zitieren: in New York. Erstens. Das BMZ schrieb: „Für die nachhaltige Ent- Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit setzt sich wicklung“ von Entwicklungsländern „ist es wichtig, das deshalb noch entschiedener für sexuelle und reproduktive Bevölkerungswachstum abzuschwächen“. Gesundheit und Rechte ein, weil wir davon überzeugt sind, dass eine gute Entwicklung unserer Partnerländer Zweitens. In der Declaration of Population – 1964 und nur dann möglich ist, wenn die Bevölkerungsentwicklung 1966 – schrieb die UN: Ziel war es, das Bevölkerungs- den Ressourcen des Landes entspricht. Wir sind davon wachstum in den Entwicklungsländern zu begrenzen. überzeugt, dass jedes Kind, jeder junge Mensch das Recht Drittens. Der Schlusssatz der Weltbevölkerungskonfe- auf ausreichend Nahrung, Gesundheitsvorsorge, Bildung renz in Kairo 1994 lautete: Vonseiten der Eltern sollten und einen Job hat – und damit die Chance auf ein selbst- die Bedürfnisse der lebenden und zukünftigen Kinder bestimmtes Leben. sowie die Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft Alle Mädchen und Frauen müssen deshalb Zugang zu berücksichtigt werden. umfassender Sexualaufklärung und zu modernen Kontra- (B) Es geht also um Bevölkerungsbegrenzung und Verant- (D) zeptiva haben. Unsere Initiative für selbstbestimmte Fa- wortung. Das muss uns bei der Begrifflichkeit „reproduk- milienplanung und Müttergesundheit zielt darauf ab, dass tive Gesundheit“ klar sein. Es geht um ein selbstbestimm- jede Schwangerschaft erwünscht und jede Geburt profes- tes sexuelles Leben jenseits von Kinderehen, sionell begleitet und sicher ist. Das ist mir ein persönli- Beschneidungen, Misshandlungen und Drangsalierun- ches Anliegen als Parlamentarische Staatssekretärin im gen. Es geht um die freie Entscheidung, Kinder zu be- Entwicklungsministerium und als deutscher Champion kommen, jenseits pseudoreligiöser oder pseudogesell- der globalen Initiative „SheDecides“. schaftlicher Dogmen der Zwangsbeglückung und mit Daher werde ich auf der Weltbevölkerungskonferenz dem Ziel: weniger Kinder und mehr gesellschaftliche in Nairobi in der nächsten Woche den deutschen Einsatz Teilhabe aller Menschen. für die Vision von Kairo bestärken. Das BMZ wird die Im Hinblick auf ein zukünftiges Wachstum um 3 Mil- Umsetzung der Kairoer Vision mit mehreren Zusagen be- liarden Menschen in 30 Jahren in den Armutsgebieten der schleunigen. So wird die Initiative für selbstbestimmte Welt ist Bevölkerungswachstum doch das zentrale The- Familienplanung und Müttergesundheit bis 2023 verlän- ma, auch unter Berücksichtigung nie dagewesener Um- gert und mit bis zu 100 Millionen Euro jährlich ausge- weltzerstörungen, Ernährungsunsicherheiten und des stattet. Ressourcenwahnsinns. Außerdem haben wir die Weltbevölkerungskonferenz Kommen wir zum Schluss aber noch mal zum Bericht zum Anlass genommen, noch dieses Jahr die Mittel für von Kairo aus dem Jahr 1994 und hier insbesondere zum Familienplanungsvorhaben in Niger, in Malawi und in Thema Verantwortung, zu der Verantwortung anderen ge- Kamerun aufzustocken. genüber: Verantwortung bedeutet, für seine Handlungen (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Das ist selbstverantwortlich einzustehen, Rechenschaft abzule- alles viel zu wenig!) gen oder Strafen zu akzeptieren. Das setzt Verantwor- tungsgefühl sowie die Kenntnis von Wertevorstellungen Und schließlich erhöhen wir die deutschen Kernbeiträge und sozialen Normen voraus. für den UN-Bevölkerungsfonds UNFPA und die Interna- tional Planned Parenthood Federation auf 33 bzw. 12 Mil- Und genau hier kommt es zu einem Wertedilemma. lionen Euro in 2019. Was, bitte, wenn es verschiedene Normen und Wertevor- stellungen gibt, so zum Beispiel die UN-Menschenrechts- Daher danke ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kolle- erklärung gegenüber der Islamischen Menschenrechtser- gen, sehr herzlich für Ihre Unterstützung bei den Haus- klärung von Kairo aus dem Jahr 1990? Hierin erhebt der haltsverhandlungen zu diesem Thema. Islam die Scharia über jedes staatliche Recht und den 15468 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Dietmar Friedhoff (A) Mann über die Frau. Welche Werte sollen nun das Leben schlussempfehlung? – CDU/CSU, SPD, FDP und AfD. (C) der betroffenen Menschen bestimmen? Ihre? Unsere? Gegenprobe! – Die Linke. Enthaltungen? – Die Grünen. Andere? Dann ist die Beschlussempfehlung so angenommen. Im Hinblick auf das Bevölkerungswachstum, die Frei- Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp- heit von Menschen und die Erhaltung unserer Welt fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak- braucht es eine offene, differenzierte, aber auch kritische tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/6439 mit Auseinandersetzung mit dem instrumentalisierten Islam, dem Titel „Das Recht von Mädchen auf Bildung und Ge- dem politischen Islam, aber auch den patriarchalischen sundheit in Krisen- und Konfliktgebieten stärken und die Staaten und Gesellschaften; denn oft liegt genau hier G7-Deklaration zügig und konsequent umsetzen“. Wer das Problem. Das wäre eine echte Weiterentwicklung stimmt für diesen Antrag? – Das sind AfD, CDU/CSU im Sinne einer selbstverantwortlichen Selbstentwick- und SPD. Wer stimmt dagegen? – Die Grünen. Enthaltun- lungspolitik. gen? – FDP und Linke. Die Beschlussempfehlung ist an- genommen. Sie haben 60 Jahre lang Entwicklungspolitik betrieben. Erfolg? Die Welt schreit wie nie vor Hunger, Armut, Zusatzpunkt 8. Abstimmung über den Antrag der Frak- Krieg, Ausbeutung und Korruption. Wollen Sie wirkliche tion der FDP auf Drucksache 19/14779 mit dem Titel Teilhabe und eine ehrliche Entwicklung für alle Men- „Weltbevölkerungskonferenz einberufen – Klimawandel, schen, darf es bei der Bewältigung der Herausforderun- Lebensmittelversorgung und Bevölkerungswachstum ge- gen keine Tabus mehr geben. Ihre Anträge erfüllen diese meinsam bewältigen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Anforderung bei Weitem nicht. Das ist die FDP. Wer stimmt dagegen? – Das sind alle übrigen Fraktionen des Hauses. Enthaltungen? – Keine. Der Antrag ist damit abgelehnt. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Herr Kollege. Zusatzpunkt 9. Abstimmung über den Antrag der Frak- tion der FDP auf Drucksache 19/14780 mit dem Titel Dietmar Friedhoff (AfD): „Finanzierungslücken durch wegfallende US-Finanzie- Denn dazu bedarf es mehr Klartext, rung im Rahmen der Global Gag Rule schließen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Die FDP. Wer stimmt dage- (Zuruf von der CDU/CSU: Die Redezeit ist gen? – AfD, CDU/CSU, Grüne und SPD. Enthaltungen? – vorbei!) Die Linke. Der Antrag ist abgelehnt. mehr Realität hinsichtlich der Machbarkeit und Mut zur Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: (B) Wahrheit. (D) Erste Beratung des von den Fraktionen FDP, DIE Danke schön. LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung (Beifall bei der AfD) des Grundgesetzes (Änderung des Artikels 3 Absatz 3 – Einfügung des Merkmals sexuelle Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Identität) Vielen Dank, Kollege Friedhoff. – Die Kolleginnen Drucksache 19/13123 und Kollegen Gabriela Heinrich, Dr. Christoph Hoffmann, Helin Evrim Sommer, Ottmar von Holtz und Überweisungsvorschlag: Dr. Wolfgang Stefinger geben ihre Reden zu Protokoll,1) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Inneres und Heimat sodass ich die Aussprache schließen kann. Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Interfraktionell sind 38 Minuten für die Aussprache Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 19/ vereinbart. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das 14749 mit dem Titel „25 Jahre Weltbevölkerungskonfe- so beschlossen. renz von Kairo – Sexuelle und reproduktive Gesundheit und reproduktive Rechte weltweit stärken“. Wer stimmt Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der für diesen Antrag? – Das sind CDU/CSU und SPD. Wer Kollegin Ulle Schauws, Bündnis 90/Die Grünen. stimmt dagegen? – Das ist die AfD. Enthaltungen? – FDP, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Grüne und Linke. Der Antrag ist damit angenommen. Tagesordnungspunkt 19 b. Beschlussempfehlung des Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Entwicklung auf Drucksache 19/14866. Kollegen! Auch noch 70 Jahre nach Entstehung unserer Verfassung wird eine Vielzahl von Bürgerinnen und Bür- Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be- gern im Grundgesetz nicht erwähnt. Das Fehlen der se- schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak- xuellen Identität in Artikel 3 Absatz 3 schreibt bis heute tion Die Linke auf Drucksache 19/11103 mit dem Titel eine Rechtsungleichheit fort. Aus diesem Grund legen „Frauen- und Mädchenrechte stärken – Gesundheit und wir Grünen zusammen mit FDP und Linken diesen Ge- Bildung für alle weltweit“. Wer stimmt für diese Be- setzentwurf vor, weil endlich auch die letzte von den Nationalsozialisten verfolgte Gruppe explizit im Grund- 1) Anlage 12 gesetz genannt werden muss. Die sexuelle Identität von Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15469

Ulle Schauws (A) Menschen unter den Schutz unserer Verfassung zu stel- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) len, ist jetzt das Gebot der Stunde. und bei der LINKEN)

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Verfassung ist und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der überdies die zentrale Grundlage, auf der wir festlegen, LINKEN) welche Werte wir teilen. Sie ist richtungsweisend für eine solidarische, gerechte Gemeinschaft. In Schulen oder In- Der gerade verstorbene, hochgeschätzte Bundesanwalt tegrationskursen wird die Verfassung im Unterricht be- Manfred Bruns, den wir in würdevoller Erinnerung be- handelt. Solange die sexuelle Identität im Grundgesetz halten werden, sagte es auf den Punkt: Die Verfassung fehlt, sind auch bestehende Anfeindungen unsichtbarer behandelt „Homosexuelle als Bürger zweiter Klasse“. Ich und werden sie so bagatellisiert. sage: Damit muss nach 70 Jahren Schluss sein. Alle, die das Grundgesetz lesen, sollen dort sich selbst, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ihre Freundinnen und Freunde und ihre Familienmitglie- und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der der wiederfinden. Nach 70 Jahren steht es dieser groß- LINKEN) artigen Verfassung gut zu Gesicht, vervollständigt zu werden. Es geht hier nicht um Symbolik, sondern es geht Liebe Kolleginnen und Kollegen, wäre bereits 1949 die um den Abbau rechtlicher Nachteile. Homo- und bise- sexuelle Identität im Grundgesetz verankert worden: Hät- xuelle Menschen sind keine Bürgerinnen und Bürger te es den Unrechtsparagrafen 175 StGB dann noch ge- zweiter Klasse. Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf des- geben? Hätte es dann den Kampf für die Ehe für alle wegen zu! gegeben? Wären Regenbogenfamilien dann noch immer Vielen Dank. rechtlich schlechter gestellt? Wären die schädlichen, menschenverachtenden Konversionstherapien dann mög- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, lich gewesen? Die Antwort ist: Nein. All dies wäre mit bei der FDP und der LINKEN) dem Merkmal der sexuellen Identität in Artikel 3 Absatz 3 Grundgesetz schwerlich gegangen. Vielen Menschen wä- re viel Leid erspart geblieben. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Der nächste Redner ist der Kollege Dr. Volker Ullrich, Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir Grünen haben CDU/CSU-Fraktion. bereits vor zehn Jahren eine Ergänzung des Grund- (Beifall bei der CDU/CSU) gesetzes gefordert. Die heutige Justizministerin Lambrecht hat das damals unterstützt. Wir können sicher- Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): (B) lich sagen, dass sich in puncto gleiche Rechte vieles ver- (D) bessert hat, und Errungenschaften wurden mit Freude ge- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- feiert. Aber in Zeiten, in denen Rechtsextreme im ren! Wir debattieren über eine Änderung im Herzen un- Bundestag beantragen, die Ehe für alle wieder abzuschaf- seres Grundgesetzes, im Bereich der Grundrechte. Des- fen, in denen eine Parteivorsitzende Kramp-Karrenbauer wegen sollten wir über diese Frage sehr sorgsam und auch auf Kosten von gesellschaftlichen Minderheiten Witze wohlüberlegt sprechen. reißt und in denen eine Bildungsministerin Karliczek Ich glaube, zunächst einmal ist wichtig, deutlich zu mit Vorurteilen gegen LSBTI irrlichtert, braucht es un- machen, dass der Artikel 3 des Grundgesetzes, um den missverständlich auch den Schutz von Lesben, Schwulen es geht, zwei Abschnitte hat: zum einen den allgemeinen und Bi im Grundgesetz. Es darf nie wieder geschehen, Gleichbehandlungsgrundsatz und zum anderen die soge- dass eine politische Stimmungslage zur Gefahr für die nannten Diskriminierungsverbote. Wir sprechen heute Freiheit und Würde Einzelner werden kann. davon, ob man in die Diskriminierungsverbote noch das Merkmal der sexuellen Identität aufnimmt oder nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN) Gewiss vermag ein Blick zu den Verfassungsmüttern und Verfassungsvätern hier nicht so recht weiterhelfen. Das lehrt uns die Geschichte unseres Landes, in dem Im Mai 1949, zur Zeit der Entstehung des Grundgesetzes, Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identität menschen- war die Diskriminierung von Homosexuellen nämlich rechtswidrig verfolgt wurden. noch gang und gäbe – Stichwort: § 175 des Strafgesetz- buchs. Die Weltanschauungen haben sich in den letzten Eine Erweiterung von Artikel 3 Absatz 3 bedeutet, 70 Jahren sukzessive geändert – zu Recht. Wir haben das verantwortungsvoll mit der eigenen Geschichte umzuge- abgebildet, indem wir als Deutscher Bundestag gesagt hen – so, wie es bereits mit der Ergänzung durch die haben: Es war unrecht, dass Menschen zwischen 1949 Verankerung des Merkmals „Behinderung“ 1994 passiert und 1969 unter Geltung dieses Grundgesetzes wegen ho- ist. Darum an Sie, Kolleginnen und Kollegen der Union, mosexueller Handlungen verurteilt worden sind. – Diese und insbesondere an Herrn Kollegen Frei gerichtet: Es ist Rehabilitierung war ein ganz wichtiges Zeichen. nicht glaubwürdig, die wichtige Ergänzung als „Aufblä- hung“ zu bezeichnen. Sie alle wissen, dass ein ausdrück- Jetzt geht es um die Frage, ob wir im Grundgesetz licher Verfassungswortlaut eine größere Strahlkraft hat selbst – im Diskriminierungsverbot – das Merkmal „Se- als die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. xuelle Identität“ brauchen oder nicht. Ich meine, wir soll- Darum: Machen Sie sich ehrlich! Springen Sie hier über ten diese Debatte offen und ehrlich und auch konstruktiv Ihren Schatten! führen. 15470 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Dr. Volker Ullrich (A) Zunächst einmal ein Blick auf die internationale wir in unserem Land keine Diskriminierungen dulden, (C) Rechtsordnung: In der Europäischen Menschenrechts- weil ein Menschen so oder so liebt oder diese oder jene konvention gibt es ein solches Diskriminierungsverbot sexuelle Identität oder Ausrichtung hat. Das darf in die- in Bezug auf die sexuelle Identität ausdrücklich nicht, sem Land nicht vorkommen. wenngleich der Europäische Gerichtshof für Menschen- rechte in seiner Rechtsprechung ein solches Merkmal ste- (Beifall bei der CDU/CSU, der LINKEN und tig einfordert. Auf der anderen Seite sagt die Europäische dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Grundrechtecharta in Artikel 21, dass es verboten ist, Abgeordneten der SPD) jemanden wegen seiner sexuellen Ausrichtung zu diskri- Wir stellen uns auch gegen all diejenigen, die das Rad minieren. bei dieser Frage zurückdrehen wollen. Es ist vom Deut- Ich glaube, wir müssen mit Fug und Recht darüber schen Bundestag entschieden worden, und es geht jetzt sprechen, in welchem Umfang wir uns eine solche Ände- darum, dass wir in der Gesellschaft genügend Akzeptanz rung vorstellen könnten. Zunächst einmal wäre die Frage dafür schaffen, dass Menschen nicht diskriminiert wer- des Begriffs – ob wir über „Identität“ oder „Ausrichtung“ den, weil sie homosexuell oder intersexuell sind oder weil sprechen – zu klären. Identität ist etwas, was ein Mensch sie ihr Leben anders, als manche sich das vielleicht vor- in sich selbst hat, während die Ausrichtung etwas ist, was stellen, gestalten wollen. Das ist eine Frage von Respekt auf den anderen bezogen ist. Das ist der Grund, weshalb und Toleranz und eines friedlichen Umgangs, und den wir sagen: Lasst uns diese Fragen durch eine Anhörung in wollen und sollten wir weiterhin pflegen. Deswegen: Las- Ruhe klären und dann daraus ableiten, was das für die sen Sie uns mit offenem Ergebnis intensiv über diese Praxis bedeutet. Grundgesetzänderung beraten! Ich glaube, dass wir durch eine grundgesetzliche Ver- Herzlichen Dank. ankerung dieses Merkmals auf alle Fälle Menschen noch (Beifall bei der CDU/CSU) stärker vor Diskriminierungserfahrungen schützen kön- nen und dass wichtige gesetzgeberische Entscheidungen dadurch eine verfassungsrechtliche Fundierung bekom- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: men. Vielen Dank, Kollege Ullrich. – Der nächste Redner: der Kollege Fabian Jacobi, AfD-Fraktion. Wir wollen im Deutschen Bundestag demnächst darü- ber entscheiden, ob wir das Verbot der sogenannten ge- (Beifall bei der AfD) schlechtszuweisenden Operationen endlich umsetzen. Wir wollen darüber sprechen, dass sogenannte Konver- Fabian Jacobi (AfD): (B) sionstherapien verboten gehören, weil es letztlich unrecht (D) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vor- ist, den Eindruck zu erwecken, es sei ein Schaden oder liegende Gesetzentwurf der Fraktionen Linke, Grüne etwas Minderwertiges, wenn jemand eine andere sexuelle und FDP möchte das Grundgesetz ändern und in dessen Orientierung hat. Das gehört nicht mehr in das Jahr 2019. Artikel 3 Absatz 3 zu den dort aufgezählten Eigenschaf- Wir müssen hier deutlich machen, dass wir die Menschen ten noch das neue Merkmal der sexuellen Identität hinzu- eindeutig gleich behandeln. fügen. Über die entscheidende Frage, ob das Diskriminie- Die Lektüre des Werkes lässt den Leser zunächst eini- rungsverbot bezüglich der sexuellen Identität nicht schon germaßen ratlos zurück. durch den Begriff des Geschlechts abgebildet ist oder nicht, lässt sich trefflich streiten. Aber das sollte uns nicht (Zuruf von der SPD: Sie sind ratlos!) von vornherein davon abhalten, Nein zu sagen. Ich glau- be, wir müssen uns insgesamt das Verfassungsgefüge mit So besteht die Begründung des Entwurfs großenteils aus Blick auf die Frage ansehen, was eine solche Grundge- Ausführungen, in denen seine eigene Überflüssigkeit dar- setzänderung ganz konkret in der Praxis bedeuten kann. gelegt wird. Wir haben – ich sage das ganz offen und ehrlich – bei (Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der Diskussion über die Ehe für alle einige Kollegen ge- NEN]: Überflüssig ist ein gutes Stichwort!) habt, die die Ehe für alle auch deswegen abgelehnt haben, Detailreich wird ausgeführt, wie die deutsche und europä- weil sie gesagt haben: Dazu fehlt es auch an einer ver- ische Rechtsordnung und Rechtsprechung vergangene fassungsrechtlichen Grundlage. – Eine solche Einfügung Zeiten und Zustände überwunden haben und heute den in Artikel 3 Grundgesetz könnte diese verfassungsrecht- Schutz vor Benachteiligung – beispielsweise wegen der liche Grundlage, die die Kollegen damals vermisst haben, Homosexualität eines Menschen – sehr gründlich ge- letztlich schaffen. währleisten. Was genau dann eigentlich die beantragte Sie sehen also, es gibt hier einige Aspekte, die wir zu Änderung des Grundgesetzes konkret bewirken soll, wird bedenken haben, und ich glaube, das sollten wir offen und nicht recht klar. Man ist versucht, sich an dieser Stelle den ehrlich auch in einer Anhörung diskutieren. alten Merksatz ins Gedächtnis zu rufen: „Wenn es nicht nötig ist, ein Gesetz zu machen, dann ist es nötig, kein Ich will abschließend eines sagen – unabhängig von Gesetz zu machen“ – und es dabei zu belassen. der Frage, ob in Artikel 3 Grundgesetz „Sexuelle Identi- tät“ oder „Sexuelle Ausrichtung“ steht –: Es muss die (Beifall bei der AfD – Marianne Schieder klare Botschaft von diesem Bundestag ausgehen, dass [SPD]: Man muss auch nicht reden!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15471

Fabian Jacobi (A) Eine weitere Lektüre der Entwurfsbegründung führt (Zuruf der Abg. Katrin Werner [DIE LINKE]) (C) dann allerdings zu einem Satz, der vielleicht etwas tiefer Eine Bedrohung von Homosexuellen jedenfalls geht in blicken lässt. Dieser Satz beklagt eine – Zitat – „jahrzehn- Deutschland heutzutage wohl kaum vom deutschen Staat telange gesellschaftliche wie politische Unsichtbar- aus, an den sich eine Grundgesetzänderung richten wür- machung“ von homosexuellen Menschen. Das danach de, sondern von ganz anderen Akteuren. offenbar angestrebte Gegenteil der angeblichen Unsicht- barmachung wäre dann wohl die Sichtbarmachung. Das (Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- aber würde ein Herausheben und damit Absondern von NEN]: Ja, von der AfD zum Beispiel!) Menschen aufgrund ihrer Homosexualität bedeuten. Sinnvoller könnte es deshalb sein, zum Beispiel darüber (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nachzudenken, wie in Deutschland die Propagierung re- NEN]: Das Interpretieren haben Sie in der ligiöser Wahnlehren, die Homosexuelle zu Untermen- Schule aber falsch gelernt! Waren Sie nicht Ju- schen erklären, effektiv unterbunden werden kann. rist? Ich glaube, ja! – Dr. Volker Ullrich [CDU/ CSU]: Es geht hier um Diskriminierungs- (Beifall bei der AfD – Ottmar von Holtz schutz!) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit den Evan- gelikalen zum Beispiel! Bei euern Leuten! Da Nun entspricht es der Lebenserfahrung, dass es eine fangen wir an! Bei euch fangen wir an!) kleine Minderheit von Menschen gibt, die sich durch eine gewisse übersteigerte Fixierung auf Sexualität – ihre In diesem Sinne: Vielen Dank für Ihre Aufmerksam- eigene und die anderer Menschen – auszeichnen und keit. dem Rest der Menschheit damit nachhaltig auf die Ner- (Beifall bei der AfD) ven gehen. (Beifall bei der AfD – Sven Lehmann [BÜND- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: NIS 90/DIE GRÜNEN]: Guck sie dir an, die Für die SPD-Fraktion hat das Wort der Kollege ganzen alten Säcke!) Dr. Karl-Heinz Brunner. Keinesfalls trifft dies jedoch generell auf homosexuelle (Beifall bei der SPD) Menschen zu. Im Gegenteil darf man wohl getrost davon ausgehen, dass die große Mehrheit sowohl der homose- Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): xuellen wie der heterosexuellen Menschen in ihrem Le- Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und ben das praktiziert, was den Kern bürgerlicher Lebens- Kollegen! Wir haben jetzt weit nach Mitternacht, und ich weise ausmacht: (B) frage mich ernsthaft, ob dieser Zeitpunkt der wichtigen (D) (Beifall bei der AfD) Thematik wirklich angemessen ist. – Nein, ich frage mich nicht mehr; denn die Ausführungen von Herrn Jacobi der die Trennung von gesellschaftlicher und privater Sphäre, AfD haben gezeigt, dass es sehr notwendig ist, auch zu wobei die Sexualität klar der letzteren zugeordnet ist. später Stunde über dieses Thema zu sprechen, (Beifall des Abg. Norbert Kleinwächter [AfD] – (Manfred Grund [CDU/CSU]: Das ist eine frü- Marianne Schieder [SPD]: Aus welchem Jahr- he Stunde! – Marianne Schieder [SPD]: Es hilft hundert sind Sie denn übrig geblieben?) doch nichts! – Leni Breymaier [SPD]: Sinnlos!) Mit anderen Worten: Die Unterstellung des Gesetzent- und zwar ganz gleich, ob man bei diesem Thema der wurfs, dass homosexuelle Menschen sich angeblich be- Gruppe der homosexuellen, bisexuellen, transexuellen sonders wünschten, in ihrer Sexualität „gesellschaftlich Menschen angehört oder nicht. sichtbar gemacht“ zu werden, dürfte in den allermeisten Fällen eine Anmaßung und eine Übergriffigkeit sein. Ich sage ganz deutlich, verehrte Kolleginnen und Kol- legen: So eine gute Sache auf den schnellen Weg zu brin- (Beifall bei der AfD) gen, wie das die drei Oppositionsparteien FDP, Linke und Schon deshalb folgen wir diesem Antrag nicht. Grüne machen, tut mir persönlich mit Blick auf die Sache ein bisschen weh. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Aufgrund Ihrer Aussage braucht man (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- genau dieses Gesetz und diese Erweiterung! NEN]: Wir hätten uns auch gewünscht, dass Sie diskriminieren allein schon mit Worten!) ihr es früher gemacht hättet, lieber Karl-Heinz!) Die Entwurfsverfasser halten es lustigerweise auch für Ich sage deshalb „weh“, weil ich zwar der tiefen und nötig, in ihrem Text ausdrücklich zu versichern, es handle festen Auffassung bin, dass es notwendig ist, diese sich bei ihrem Gesetzentwurf nicht etwa um reine Sym- Grundgesetzänderung durchzuführen – dies wünscht die bolpolitik. Das ist auch wieder bezeichnend; denn natür- Sozialdemokratie seit vielen Jahren –, dazu aber ein groß- lich ist er genau das. er gesellschaftlicher und parlamentarischer Konsens her- beizuführen ist, der für eine stabile Zweidrittelmehrheit in Anstatt mit dem nutzlosen Versuch des Herumschrau- diesem Hause und im Bundesrat erforderlich ist. bens an der Verfassung nach vermeintlich billigem Ap- plaus zu haschen, könnten sich die antragstellenden Frak- (Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tionen auch relevanteren Aufgabenstellungen zuwenden. NEN]: Da können wir ja lange warten! – 15472 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Dr. Karl-Heinz Brunner (A) Dr. Jens Brandenburg [Rhein-Neckar] [FDP]: auch ohne die Herren und Damen auf der rechten Seite (C) Dafür geben wir es ja in den Ausschuss!) gelingen. Deshalb die Frage: Um was geht es denn wirklich? Es Ich bedanke mich. Ich wünsche noch eine gute Nacht geht darum, dass Artikel 3 unseres Grundgesetzes zum und hoffe, dass wir alle gesund und heil morgen in der einen sagt: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“ Früh wieder anfangen können. Sind sie das aber wirklich? Denn in Absatz 3 wird zum anderen gesagt: (Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner reli- giösen oder politischen Anschauungen benachteiligt Für die FDP-Fraktion hat das Wort der Kollege Dr. Jens oder bevorzugt werden. Brandenburg. Übrigens: „Heimat und Herkunft“ ist hier aufgeführt; das (Beifall bei der FDP) Diskriminierungsverbot gilt für alle Menschen, die eine Heimat und eine Herkunft haben. Schließlich folgt die Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar) (FDP): Ergänzung: „Niemand darf wegen seiner Behinderung Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Je- benachteiligt werden.“ der Mensch soll sich frei entfalten können – so wie man ist und so wie man fühlt. Niemand darf aufgrund seiner Ist Ihnen was aufgefallen? Da fehlt doch was! Denn sexuellen Identität diskriminiert werden. Genau diesen dieser Schutz wird nicht allen Menschen – was eigentlich Schutz wollen wir im Wortlaut im Grundgesetz festhal- selbstverständlich sein sollte – gewährt: Schwule, Les- ten. ben, Bi- und Transsexuelle, Intermenschen und andere Diversitäten werden nicht genannt. Sie gehören ganz ein- Als Gegenargument hat Thorsten Frei von der Union – fach nicht dazu. Wollen wir nicht, dass sie zu diesem ich sehe ihn hier nicht, aber er hat sich in der „FAZ“ Land dazugehören? Doch, sie gehören dazu. geäußert – angeführt, eine solche Änderung blähe das Grundgesetz auf und sei ohnehin gar nicht notwendig. Genau deshalb wiederhole ich seit vielen Jahren ge- Stimmt das? Ich habe einmal nachgeschaut: Das Grund- betsmühlenartig, dass der Marsch des Stolzes, der am gesetz ist aktuell 23 794 Wörter lang. Eine Erweiterung 28. Juni 1969 in New York begonnen hat, noch nicht zu um weitere 3 Wörter wäre wohl verkraftbar. Ende ist. Ja, wichtige Marken sind in den vergangenen Jahrzehnten erreicht worden: 1969 die Legalisierung (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (B) (D) gleichgeschlechtlichen Geschlechtsverkehrs unter Er- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) wachsenen, übrigens ein Erfolg der SPD und von Und wenn Sie sich Artikel 3 Absatz 3 anschauen, stellen Bundesjustizminister Heinemann, Sie fest: Da wäre sogar noch ein bisschen Platz. (Beifall bei der SPD – Sven Lehmann [BÜND- Oder meinen Sie vielleicht eine angebliche inhaltliche NIS 90/DIE GRÜNEN]: Von wem sonst?) Aufblähung des Grundgesetzes? Entweder sind Sie in- haltlich gegen den Schutz der sexuellen Identität – dann 1994 die Aufhebung des § 175 Strafgesetzbuch, übrigens sollten Sie das offen sagen –, oder Sie halten den Schutz ein Geschenk der Wiedervereinigung – das dürfen wir in auch ohne expliziten Wortlaut bereits für gewährleistet – diesen Tagen nicht vergessen –, dann überzeuge ich Sie gerne vom Gegenteil. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Mit meinen 33 Jahren bin ich in einem Land aufge- 2001 die Einführung der Lebenspartnerschaft, übrigens wachsen, in dem das Bundesverfassungsgericht und all- eingeführt durch SPD und Grüne, mählich auch die Politik dem Schutz von Lesben, Schwulen und bisexuellen Menschen in Deutschland ei- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) nen hohen Stellenwert einräumen. Das ist leider keine 2017 die Öffnung der Ehe; auch dies durch Hartnäckig- Selbstverständlichkeit. Das war in Deutschland nicht im- keit der SPD, und hier darf ich auch die Grünen und die mer so. Noch in den 1950er- und 1970er-Jahren haben die Linke nennen. Bundesverfassungsrichter auf Basis desselben Grund- gesetzes die strafrechtliche Verfolgung homosexueller (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Männer gebilligt. Zehntausende Männer wurden inhaf- tiert, weil sie in den Augen des deutschen Staates eine Was aber fehlt, ist die Verankerung dieser gewonnenen Person des vermeintlich falschen Geschlechtes liebten. Rechte im Grundgesetz über den Tag hinaus, und zwar in Ein solches Unrecht darf sich nie wiederholen. Artikel 3 Absatz 3 unseres Grundgesetzes, was wir im Übrigen seit vielen Jahren verlangen. (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem Ich glaube, dass eine Zweidrittelmehrheit mit Unter- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- stützung einer öffentlichen Anhörung und durch intensive ordneten der CDU/CSU und der SPD) Gespräche mit unserem Koalitionspartner zu erreichen Das Grundgesetz schützt die freie Entfaltung der Per- ist. Ich glaube daran und möchte für diese Mehrheit im sönlichkeit, stellt sie aber unter den Vorbehalt des Sitten- Deutschen Bundestag und im Bundesrat werben. In Bun- gesetzes, einer Norm also, die dem gesellschaftlichen destag und Bundesrat – da bin ich mir sicher – wird dies Wandel unterliegt. Gesellschaftlicher Wandel ist keine Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15473

Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar) (A) Einbahnstraße. Zunehmende Aufklärung und Toleranz Zum Hintergrund: Der Gleichheitssatz in Artikel 3 Ab- (C) sind keine Selbstläufer. Die politische Radikalisierung satz 3 Grundgesetz benennt seit 70 Jahren Merkmale, in Deutschland, aber auch weltweit zeigt, wie zerbrech- aufgrund derer keine Bevor- oder Benachteiligung ge- lich vermeintlich sicher geglaubte Minderheitenrechte schehen soll, darunter Herkunft, Glaube, politische An- eigentlich sind. Politische Stimmungslagen dürfen nicht schauung – praktisch eine Konsequenz aus der Nazizeit, zur Gefahr für Freiheit und Würde des Einzelnen werden. als Minderheiten aufgrund dieser Merkmale systematisch Spekulieren wir also nicht auf eine hoffentlich wohlwol- verfolgt wurden. Sexuelle Identität gehörte als Verfol- lende Zusammensetzung künftiger Bundesverfassungs- gungsgrund dazu, war aber 1949 als Formulierung nicht gerichte, sondern garantieren wir diesen Schutz der se- durchsetzbar. Zum Nachtrag kam es seitdem nicht, auch xuellen Identität im Wortlaut des Grundgesetzes. Daran nicht 1994, als das Grundgesetz im Zuge der Einheit re- dürfen wir als Gesetzgeber keinen Zweifel lassen. formiert wurde. (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem Was aber 1994 gemacht wurde, war die überfällige BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aufhebung des unter dem NS-Regime rabiat verschärften § 175 Strafgesetzbuch. Der § 175 kriminalisierte Homo- Schließen möchte ich mit einer aufrichtigen persönli- sexualität seit dem Kaiserreich. Ganze Generationen chen Bitte an die Kolleginnen und Kollegen der Union. schwuler Männer, aber auch lesbischer Frauen wurden Die Frage nach der Notwendigkeit einer Grundgesetzän- in seinem Namen per Gesetz verfolgt und beschädigt. Erst derung, wie sie gerade aufgeworfen wurde, ist immer be- in der letzten Zeit folgten öffentliche Entschuldigung, rechtigt. Lassen Sie uns gemeinsam die Ausschussbera- Rehabilitation und potenzielle Entschädigungsleistungen tung und die Expertenanhörung nutzen, um diese Frage gegenüber den noch lebenden Betroffenen. Jahrzehnte ehrlich zu beantworten. Sie wissen ja, dass auch die FDP- beschämendster Kriminalisierung wären vermeidbar ge- Fraktion früher in dieser Frage eine andere Position ver- wesen, wenn vor 70 Jahren die Chance ergriffen worden treten hatte. Tun Sie es meiner Fraktion gleich, und lassen wäre, das Grundgesetz um zwei bis drei Schlüsselworte Sie sich ohne Scheuklappen von besseren Argumenten zu erweitern. Was spricht heute dagegen, diese Lücke zu überzeugen. schließen? Wir leben in Zeiten, in denen eine politische wie ge- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- sellschaftliche Mehrheit die Würde und Freiheit des Ein- NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- zelnen erkennt und achtet. Solche Jahre sollte man nut- ten der FDP) zen, um den Wortlaut des Grundgesetzes für stürmischere Zeiten zu wappnen. Sie haben es in der Hand, ob sich die Es stimmt: Durch beharrliche emanzipatorische Kämp- kommenden Generationen homo- und bisexueller Men- fe haben sich Akzeptanz und Rechtslage trotzdem stark (B) schen in Deutschland zweifelsfrei auf das Grundgesetz verbessert. Aber das Erreichte ist brüchig, lückenhaft und (D) verlassen können. Seien Sie sich dieser Verantwortung unter Beschuss. Der Gesetzentwurf der AfD zur Rückab- bewusst. wicklung der Eheöffnung ging ja schon über unsere Ti- sche, zwar ohne Erfolgsaussichten, aber die Absicht von (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ rechts, den mühsam erreichten Fortschritt umzukehren, DIE GRÜNEN) ist unverkennbar da. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Die Abwertung von sexuellen und geschlechtlichen Die nächste Rednerin ist für die Fraktion Die Linke die Minderheiten gründet gesellschaftlich tief. Erst 1995 Kollegin Doris Achelwilm. wurde Homosexualität in Deutschland aus dem WHO- Katalog der Krankheiten genommen. Transrechte hängen (Beifall bei der LINKEN) in diesem menschenrechtlichen Handlungsfeld am Doris Achelwilm (DIE LINKE): schlimmsten hinterher. Die Abschaffung des Transse- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und xuellengesetzes bedeutet Hoffnung, kommt aber nicht Kollegen! Wir behandeln hier zu sehr später Stunde einen von der Stelle. Gegen alle, die in seinen Wirkungskreis Gesetzentwurf von Gewicht. fallen, gibt es besonders viel Gewalt und Hasskriminali- tät, die gegen queere Menschen allgemein extrem alarm- (Norbert Kleinwächter [AfD]: Ah! Ganz ierend ist. Noch einmal: Das wollen wir ändern. schlechter Witz, Frau Achelwilm!) (Beifall bei der LINKEN, der FDP und dem Die demokratischen Kräfte der Opposition – also FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Grüne, Linke – wollen, dass das Grundgesetz anders vor Diskriminierungen schützt, die aufgrund der sexuellen Eine Ergänzung im Grundgesetz kann die Aufgaben Identität verübt werden. und Probleme sicherlich nicht auf einen Schlag heilen; aber sie setzt einen anderen Rahmen. Das öffentliche In- Die Idee ist keine, an die noch niemand gedacht hätte. teresse an der Grundgesetzerweiterung ist tatsächlich Weltweit gibt es dieses Diskriminierungsverbot von Ver- groß. fassungsrang zum Beispiel in Portugal, in Schweden, in Mexiko. Auch in vielen deutschen Landesverfassungen, (Andreas Bleck [AfD]: Ja, vor allem bei Ihrer wie etwa der meines Bundeslandes Bremen, ist es aufge- Fraktion!) nommen, auf Grundgesetzebene trotz einiger Zeitfenster, die es dafür gab, leider nicht. Das wollen wir ändern. Seit zehn Jahren wird die Forderung von Millionen CSD- Teilnehmerinnen und -Teilnehmern auf die Straße getra- (Beifall bei der LINKEN) gen. Die Schutzrechte von unter anderem lesbischen, 15474 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Doris Achelwilm (A) schwulen, trans-, bisexuellen Menschen ernst zu nehmen, Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- (C) gebietet die Vergangenheit und hilft heute. ses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) (Beifall bei der LINKEN) Drucksache 19/14878 Und es wirkt in eine ungewisse Zukunft. Weil wir wissen, Interfraktionell sind 27 Minuten vereinbart. – Ich höre dass Mehrheiten unter Umständen bereit sind, Minder- keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. heitenrechte preiszugeben, sollten wir Gleichheitsgrund- sätze so verbindlich wie möglich machen. Ich eröffne die Aussprache und erteile – nachdem Mark Helfrich seine Rede zu Protokoll3) gegeben hat – dem Vielen Dank an dieser Stelle an den Lesben- und Kollegen Steffen Kotré von der AfD-Fraktion das Wort. Schwulenverband LSVD, der das Thema mit seiner Kam- pagne „#Artikel 3“ sehr hochgehängt hat. Es wäre Zeit für (Beifall bei der AfD – Marianne Schieder parlamentarische Umsetzung und Unterstützung. [SPD]: Heute bleibt uns nichts erspart!) Vielen Dank. Steffen Kotré (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und (Beifall bei der LINKEN, der FDP und dem Herren! Diese EU-Richtlinie verstößt gegen geltendes BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) EU-Recht – so wie es in den EU-Verträgen dargelegt ist. Die EU ist für den Binnenmarkt zuständig, aber nicht Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: für Gasleitungen, die aus einem Drittland in einem Mit- Vielen Dank, Frau Kollegin Achelwilm. – Die Kolle- gliedsland anlanden. gen Jan-Marco Luczak und Sonja Amalie Steffen geben ihre Reden zu Protokoll1), sodass ich die Aussprache Die EU wollte Nord Stream 2 verhindern. schließen kann. (Zuruf von der CDU/CSU: Hatten wir heute Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs schon!) auf Drucksache 19/13123 an die in der Tagesordnung Sie hat versucht, die bestehenden Regeln widerrechtlich aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es weitere auszulegen und sich Nord Stream 2 unter den Nagel zu Überweisungsvorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann reißen. Das ist misslungen. Der eigene Wissenschaftliche verfahren wir so. Dienst hat gesagt: Nein, das ist nicht so. – Dann wollte sie das Verhandlungsmandat, mit Russland zu verhandeln, an Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: sich reißen. Das ist natürlich auch abgelehnt worden. Und der dritte Angriff jetzt, nämlich diese neu gefasste EU- (B) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- (D) gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einfüh- Richtlinie, hat dann letztendlich zum Ziel geführt. Damit rung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüber- wird unsere Gasversorgung künstlich verteuert und unsi- schreitender Steuergestaltungen cherer. Was wir durch solche Regelungen erwarten können, Drucksache 19/14685 sehen wir zum Beispiel an dem Verbot der vollen Nut- Überweisungsvorschlag: zung der OPAL-Gasleitungen. Da haben wir einen klei- Finanzausschuss (f) nen Vorgeschmack, wie die EU unserer Energieversor- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Haushaltsausschuss gungssicherheit schadet. Die EU betreibt an dieser Stelle das Geschäft der USA. Das ist ganz gut daran zu Hierzu waren interfraktionell 27 Minuten vorgesehen. 2) sehen, dass die EU und die USA übereingekommen sind, Alle Reden gehen zu Protokoll. dass die Flüssiggaslieferungen aus den USA jetzt extrem Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs gesteigert werden; das ist der wahre Grund. auf Drucksache 19/14685 an die in der Tagesordnung Dass sich die Bundesregierung nun diesem wirtschaft- aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es andere lichen Angriff unterwirft, ist ein Ausdruck von Kapitula- Überweisungsvorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann tion. Sie ist nicht mehr in der Lage, deutsche Interessen zu verfahren wir so. vertreten, Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: (Marianne Schieder [SPD]: Diese Rede ist ein Ausdruck von Unkenntnis!) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes geschweige denn sie überhaupt noch durchzusetzen. Vor zur Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes einem Jahr noch hatte die Bundesregierung den richtigen zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/692 Standpunkt. Merkel – auch an dieser Stelle noch mal des Europäischen Parlamentes und des Rates betont – hat gesagt: Nein, das ist ein bilaterales wirt- über gemeinsame Vorschriften für den Erd- schaftliches Projekt von einem Mitgliedstaat und einem gasbinnenmarkt Drittstaat. Die EU hat dort nicht mitzureden. – Dass sie nun umgekippt ist, ist erbärmlich und zeugt von einer Drucksachen 19/13443, 19/14285, 19/14495 mangelnden Souveränität Deutschlands. Nr. 2 (Beifall bei der AfD)

1) Anlage 13 2) Anlage 14 3) Anlage 15 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15475

Steffen Kotré (AfD) (A) Wieder einmal werden wir von der real existierenden (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der (C) EU über den Tisch gezogen. Denn die EU-Regeln machen SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜND- das Gas teurer, und wir Deutsche zahlen wieder einmal NISSES 90/DIE GRÜNEN) drauf, wie schon zum Beispiel bei den Zahlungen an die Bitte schön, Herr Kollege. EU insgesamt. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Norbert Kleinwächter (AfD): NEN]: Wie kann man so einen Unsinn erzäh- Werter Herr Präsident, laut der Geschäftsordnung kann len?) eine Fraktion bis zum Beginn der Abstimmung eine na- mentliche Abstimmung beantragen. Ein anderes Beispiel ist, dass deutsche Sparer von der EZB abgezockt werden: 54 Milliarden Euro in diesem (Manfred Grund [CDU/CSU]: Nein! Wir sind Jahr, 650 Milliarden Euro insgesamt. in der Abstimmung!) (Marianne Schieder [SPD]: Oh Gott, oh Gott, Dies tun wir hiermit. oh Gott!) Wir finanzieren fremde Staaten. Für uns stehen mehr als Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: 2 Billionen Euro im Feuer, und wir wissen nicht, ob wir Gut, dann machen wir eine namentliche Abstimmung. dieses Geld wiederbekommen, noch bekommen. Das Er- (Zuruf, an die AfD gerichtet: Ihr seid so mini! – gebnis ist, dass wir Deutsche nicht – wie Frau Merkel das Weiterer Zuruf, an die AfD gerichtet: Das war immer behauptet – reich sind, sondern wir sind unter- ja toll! – Gegenruf von der AfD) durchschnittlich, Ich unterbreche gleich kurz die Sitzung. (Timon Gremmels [SPD]: Ihr redet unter- durchschnittlich!) (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN], an die AfD gerichtet: Sehr arbeitnehme- was das Nettogeldvermögen pro Kopf anbelangt. Da rinnenfreundlich! Bei den sozial muss sich die Bundesregierung natürlich fragen, wie sie Schwächeren!) unter diesen Umständen noch glaubwürdig sein kann, wenn sie von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit Wir führen dann sofort eine namentliche Abstimmung spricht – handeln tut sie gegenteilig. durch. Wir müssen noch einige technische Vorkehrungen vornehmen, weil wir ja auch die personelle Ausstattung Vielen Dank. jeweils sicherstellen müssen. Ich bitte um Nachsicht, dass (Beifall bei der AfD) ich jetzt noch ein bisschen warten muss. Ich bitte um Verständnis: Wir müssen warten, bis die Urnen herbeige- (B) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: bracht werden. (D) Die übrigen Kollegen – Timon Gremmels, Martin (Unterbrechung von 1.48 bis 1.51 Uhr) Neumann, Lorenz Gösta Beutin, Julia Verlinden und 1) Andreas Lenz – geben ihre Reden zu Protokoll. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Beifall bei Abgeordneten der SPD) So, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie bitte wieder Platz nehmen. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zunächst zur Abstimmung, in der zweiten Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- Lesung, über den von der Bundesregierung eingebrachten desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung Gesetzentwurf zur Änderung des Energiewirtschaftsge- des Energiewirtschaftsgesetzes zur Umsetzung der Richt- setzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/692 des linie (EU) 2019/692 des Europäischen Parlamentes und Europäischen Parlamentes und des Rates über gemein- des Rates über gemeinsame Vorschriften für den Erdgas- same Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt. Der Aus- binnenmarkt. – Bitte schön, Herr Kollege. schuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/14878, den Ge- Dr. Götz Frömming (AfD): setzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 19/ Herr Präsident, meine Fraktion zweifelt die Beschluss- 13443 und 19/14285 in der Ausschussfassung anzuneh- fähigkeit des Plenums an. men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- (Zurufe: Nein! – Marianne Schieder [SPD]: chen. – Das sind CDU/CSU, SPD, FDP. Gegenprobe! – Alter Hut!) Das sind die AfD und die Grünen. (Marianne Schieder [SPD]: Vereinzelt anwe- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: sende Abgeordnete der AfD!) Die AfD-Fraktion zweifelt die Beschlussfähigkeit an. – Es sieht aber ganz gut aus. Enthaltungen? – Bei Enthaltung der Fraktion Die Linke. Der Gesetzentwurf ist damit in der zweiten Beratung an- (Lachen bei der AfD) genommen. – Also, wir sind im Präsidium der Meinung, dass die Dritte Beratung Beschlussfähigkeit gegeben ist. und Schlussabstimmung. Für die dritte Beratung und Schlussabstimmung beantragt die Fraktion der AfD na- 1) Anlage 15 mentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen 15476-15498 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzuneh- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (C) men. – Sind die Urnen besetzt? – Die Urnen sind besetzt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wurden 133 Stim- Ich eröffne die Abstimmung. men abgegeben. Zur Beschlussfähigkeit sind jedoch 355 Stimmen erforderlich. Das Haus ist also nicht beschluss- Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine fähig. Infolge der Beschlussunfähigkeit hebe ich die Sit- Stimme nicht abgegeben hat? – Alle haben abgegeben. zung gemäß § 20 Absatz 5 unserer Geschäftsordnung auf. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer- innen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- tages auf Freitag, 8. November, 9 Uhr, ein. Ich muss jetzt unterbrechen, weil wir erst auszählen müssen. Die Sitzung ist geschlossen. (Unterbrechung von 1.58 bis 2.08 Uhr) (Schluss: 2.09 Uhr)

(B) (D) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15499

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Entschuldigte Abgeordnete

Abgeordnete(r) Abgeordnete(r)

Annen, Niels SPD Sarrazin, Manuel BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Bluhm-Förster, Heidrun DIE LINKE Schmidt, Dr. Frithjof BÜNDNIS 90/ Bülow, Marco fraktionslos DIE GRÜNEN Christmann, Dr. Anna BÜNDNIS 90/ Schmidtke, Dr. Claudia CDU/CSU DIE GRÜNEN Schneidewind-Hartnagel, BÜNDNIS 90/ Dağdelen, Sevim DIE LINKE Charlotte DIE GRÜNEN Elsner von Gronow, Berengar AfD Schnieder, Patrick CDU/CSU Espendiller, Dr. Michael AfD Schulz, Jimmy FDP Freihold, Brigitte DIE LINKE Schwartze, Stefan SPD Gauland, Dr. Alexander AfD Ullrich, Gerald FDP Gerdes, Michael SPD Weber, Gabi SPD Gottberg, Wilhelm von AfD Ziemiak, Paul CDU/CSU Haase, Christian CDU/CSU *aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes Hahn, Florian CDU/CSU (B) (D) Heßenkemper, Dr. Heiko AfD Anlage 2 Jensen, Gyde* FDP Zu Protokoll gegebene Reden Kamann, Uwe fraktionslos zur Beratung Kemmerich, Thomas L. FDP a) des von den Abgeordneten Peter Boehringer, Kolbe, Daniela SPD Tobias Matthias Peterka, Stephan Brandner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der Kühn (Dresden), Stephan BÜNDNIS 90/ AfD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes DIE GRÜNEN zur Änderung des Grundgesetzes zum Schutz der Bargeldnutzung (Artikel 14) Lämmel, Andreas G. CDU/CSU b) der Antwort der Bundesregierung auf die Groß- Maas, Heiko SPD e Anfrage der Abgeordneten Stefan Keuter, Kay Gottschalk, Dr. Bruno Hollnagel, Franziska Marks, Caren SPD Gminder und der Fraktion der AfD: De facto- Besteuerung und -Entwertung von Bargeld Marwitz, Hans-Georg von der CDU/CSU (Tagesordnungspunkt 4 a und b) Mayer (Altötting), Stephan CDU/CSU Meiser, Pascal DIE LINKE Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): Meine Gedanken sind bei Matthias Hauer, dem ich zunächst gute Genesung Möhring, Cornelia DIE LINKE wünsche. Er hat zu diesem Tagesordnungspunkt die we- sentlichen Punkte bereits gesagt. Ich will sie hier noch Müller (Chemnitz), Detlef SPD einmal aufgreifen, auch um aufzuzeigen, wie überflüssig dieser Tagesordnungspunkt war. Petry, Dr. Frauke fraktionslos Schon der Ausgangspunkt ist falsch; denn das niedrige Poschmann, Sabine SPD Zinsniveau, das wir derzeit haben, ist nur zu einem ganz kleinen Teil Folge der Geldpolitik der EZB. Vielmehr Rehberg, Eckhardt CDU/CSU sind es die allgemeinen volkswirtschaftlichen Rahmen- 15500 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

(A) daten, das fehlende Wirtschaftswachstum, auch infolge könnte dazu führen, dass solche Preisdifferenzierungen (C) der demografischen Entwicklung, die hier in erster Linie verfassungswidrig würden. Auch hier: abenteuerlich. verantwortlich zeichnen. Das zeigt sich besonders deut- lich daran, dass die Lage in den USA und Japan nicht viel Schließlich unterschlagen Sie, dass auch Bargeld Kos- anders ist. Und es ist auch nicht so, dass das Zinsniveau ten für seine Aufbewahrung und Versicherung auslöst. und – soweit darauf zurückzuführen – die Geldpolitik der Aber das ist nur noch ein Seitenaspekt eines Antrages, EZB nur Verlierer in Deutschland produzieren würden. mit dem Sie uns ins Mittelalter zurückbefördern möchten. Vielmehr verdanken wir ihr unsere Vollbeschäftigung, Deshalb kann ich nicht wie sonst sagen: Ich freue mich und jeder auch nur halbwegs historisch erfahrene Bürger auf die weitere Diskussion. – Nein, ich freue mich nicht, weiß, welche Folgen Massenarbeitslosigkeit auslöst. weil sie überflüssig ist.

Im Übrigen lässt sich auf das niedrige Zinsniveau in- Sepp Müller (CDU/CSU): Melanie Lehmann, allein- nerhalb unserer Rechtsordnung auch mit einfachgesetz- stehend mit zwei Kindern, arbeitet für 1 800 Euro brutto lichen Mitteln antworten: So haben wir bereits den Ab- bei Edeka an der Kasse und muss um 12 Uhr zur Schicht. zinsungszinssatz für Pensionsrückstellungen im Sie denkt sich: Schalte ich doch kurz mal auf Phoenix und Handelsrecht reduziert. Vergleichbare Schritte im Steuer- schaue, was die da im Bundestag so treiben. – Sie fragt recht ebenso wie eine Anpassung des Zinssatzes für sich seit fast einer Stunde, sofern sie noch nicht wegge- Nachzahlungs- und Erstattungszinsen in der Abgaben- schaltet hat, was das für eine Märchenstunde ist. Liebe ordnung werden folgen. All dies wurde im Übrigen aus- Melanie, du hast vollkommen recht, die Rechtspopulisten führlich in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundes- in diesem Haus nutzen den Deutschen Bundestag, um verfassungsgericht über das Anleihekaufprogramm PSPP Ihre Wolkenkuckucksheime zu verbreiten. Es werden Sa- diskutiert. chen thematisiert, die nicht zur Debatte stehen. Haben wir keine anderen Probleme? Von einem Bargeldverbot zu Zur rechtlichen Analyse: Matthias Hauer hat es richtig reden, schürt Ängste und Sorgen. Eigentlich könnte ich gesagt, es besteht keinerlei Handlungsbedarf, weil sich meine Rede beenden, sofern die Verschwörungstheoreti- aus unserem Grundgesetz schon heute der Schutz anony- ker aus der blauen Ecke des Lesens mächtig sind. mer Zahlungsweisen für normale Zahlungsvorgänge er- Wird die Bundesregierung internationale Initiativen gibt. Auch in unserem Koalitionsvertrag auf Seite 44 zur Bargeldabschaffung unterstützen? Nein. heißt es deshalb: „Anonymes Bezahlen mit Bargeld muss weiterhin möglich bleiben.“ Kann die Bundesregierung die Abschaffung des Bar- gelds als gesetzliches Zahlungsmittel in Deutschland aus- Fragen der Zahlungsweise oder ihrer Grenzen sind im schließen? Ja. (B) Übrigen ein Problem der allgemeinen Handlungsfreiheit, (D) die in Artikel 2 GG verortet ist. Aus dieser Bestimmung Und dennoch nutze ich diese Zeit, um mit diesem Am- des Grundgesetzes, auch in Verbindung mit Artikel 1 GG, menmärchen aufzuräumen. Nicht nur, dass die Bundes- folgt im Übrigen auch das eigentlich hier entscheidende regierung die Frage eindeutig beantwortet hat. Auch wir Datenschutzgrundrecht, das das Bundesverfassungsge- als Union, liebe Melanie, stehen zu unserem Wort. Du richt entwickelt hat und das inzwischen Vorbildcharakter kannst weiterhin Bargeld an der Kasse bei Edeka anneh- für die gesamteuropäische Regulierung in Form der men. DSGVO bekommen hat. Mit Artikel 14 GG hat all dies Neben diesen haltlosen Aussagen aus der rechten Ecke nichts zu tun. werden bewusst Unwahrheiten verbreitet. Am 29. Okto- ber hat in Solingen der AfD-Bundestagsabgeordnete Sodann: Wer Verfassungsrecht schafft, wird verfas- Stefan Keuter gesprochen. Schützen Sie lieber Ihre Ner- sungsgerichtliche Rechtsprechung ernten. – Und da gilt ven. In Kurzform entlarve ich seine Falschaussagen: es zu erinnern: Wer zu bestimmten Zeiten und an be- stimmten Orten zu viel Bargeld bei sich führt, gilt nach Die AfD behauptet, der IWF will das Bargeld abschaf- polizeilicher Erfahrung als suspekt, und das ist gut und fen. Falsch! Es sind persönliche Äußerungen von zwei richtig so. Das gilt gleichermaßen für denjenigen, der Mitarbeitern des IWF in einem Diskussionsforum. Bargeld gerade unter der 10 000-Euro-Grenze beim Grenzübertritt bei sich führt, oder den – ein aktueller Die AfD spricht von einer Identitätspflicht bei Kunst Fall – Arzt, der Nebenleistungen immer nur bar abrech- und Antiquitäten ab 5 000 Euro und von einem Nachweis, net. Steuerhinterziehung oder Geldwäsche stehen dann zu wo das Geld herkommen soll. Falsch! Kunsthändler und Recht als Verdacht im Raum. Auf der Grundlage des Auktionshäuser müssen weiterhin erst ab 10 000 Euro die AfD-Antrages wäre dann in all diesen Fällen der Weg Identität feststellen, also den Personalausweis desjenigen zur Verfassungsbeschwerde eröffnet, weil solche Beweis- festhalten, der das gute Stück kauft – nicht mehr. würdigungen ja gegen einen grundrechtlichen Schutz des Die AfD spricht davon, dass wir Arbeitsplätze verlie- Bargeldes verstoßen könnten – abenteuerlich. Daher: Sie ren. Falsch! Arbeitslosigkeit: 2 204 000. Quote: 4,8 Pro- schützen nicht das Bargeld, sondern die Straftäter. zent. Positive Entwicklung: minus 30 000 gegenüber dem Vormonat. Und Sie blockieren die Digitalisierung: Denn schon heute räumen etwa zahlreiche Verkehrsbetriebe Rabatte Die AfD spricht davon, dass wir uns in einer Rezession ein, wenn elektronisch gezahlt wird, und das zu Recht. befinden. Falsch! Wir haben ein Wirtschaftswachstum, Und der überwiegende Teil der Kunden macht von dieser das gegenüber dem letzten Quartal des Vorjahres um Möglichkeit Gebrauch – aus Überzeugung. Ihr Ansatz 0,4 Prozent gestiegen ist. Insgesamt gehen wir von Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15501

(A) 0,5 Prozent für dieses Jahr und für nächstes Jahr von fung angeführt werden, als Scheinargumente an. Ein (C) 1 Prozent aus – das alles bei stetig steigender Beschäfti- Schelm, wer Böses dabei denkt. Bargeld hängt halt aber gung. auch immer mit Geldwäsche zusammen. Wir alle wissen, dass die gestiegene Terrorgefahr und der Umfang an Sehr geehrte Rechtspopulisten, wir lieben unser Land. Geldwäsche durch Mafia und organisierte Kriminalität Wir lassen es uns nicht durch Fake News schlechtreden. es dringend nötig machen, Geldwäsche entschieden zu Wir als Union und wir als GroKo dienen Deutschland. bekämpfen. Wo Betrug, wo Drogenhandel, wo Prostitu- Wir wollen, dass es den Menschen in unserem Land tion und Menschenhandel sind, da sind auch immer Geld- besser geht. Dafür werden wir keine Woche ruhen, wir wäsche und enorme Summen Bargeld im Spiel. werden keinen Tag stillstehen. Wir sorgen für Verbesse- rung. Auch der Regelungssatz „Die Nutzung von Bargeld unterliegt im Allgemeinen keinen Beschränkungen“ Deswegen, liebe Melanie, haben wir als Große Koali- usw., da stellt man sich schon die Frage, ob sie hier ihre tion gehandelt: Du hast zukünftig deutlich mehr Geld zur eigenen nicht angegebenen Spenden waschen wollen Verfügung, weil wir Familien fördern. Was haben wir oder ob sie ihre Untergrundorganisationen finanzieren dafür getan? Wir erhöhen das Kindergeld. Ab 2021 be- wollen. Eine Spendenaffäre nach der anderen betreffen kommst du insgesamt 50 Euro monatlich mehr für deine eine einzige Partei in diesem Hause, und zwar die AfD. zwei Kinder. In Deutschland verteidigt eine Koalition aus allen im Das Land Sachsen-Anhalt nutzt das Gute-KiTa-Gesetz Bundestag vertretenen Fraktionen das Recht auf Bargeld. der GroKo dafür, dass dein zweites Kind in der Krippe Ich kann Ihnen versichern: Niemand will ein Bargeldver- keinen Beitrag mehr zahlen muss. Somit sparst du 190 Eu- bot. Alle sprechen sich gegen eine Abschaffung aus. Des- ro monatlich. Wusstest du das schon? wegen ist diese ganze Debatte total überflüssig. Schluss- Melanie, du liebst deine Kinder, wie jede Mutter und endlich ist der Gesetzentwurf zur Festschreibung des jeder Vater seine Kinder liebt. Deswegen möchtest du Bargelds im Grundgesetz nur wieder ein trauriger Ver- einen Teil dieses gesparten Geldes für deine Kinder an- such der AfD, einen neuen Konflikt zu schaffen, der ihr legen. Aus diesem Grund werden wir die Fördersätze für mehr Aufmerksamkeit und Wähler bringen soll. das Bausparen anheben. Ab 2021 bekommst du 10 Pro- zent Wohnungsbauprämie für deine Kinder. Bausparen ist Cansel Kiziltepe (SPD): Ich sage es Ihnen direkt: Mit sexy. dem vorgelegten Antrag und Gesetzentwurf verbreitet die AfD eine neue Verschwörungstheorie, schürt Ängste und Und, liebe Melanie, weil du dir den Traum einer eige- Sorgen in der Bevölkerung. Für den Antrag gibt es keinen nen Wohnung erfüllen möchtest, haben wir das Baukin- Anlass, und deswegen lehnen wir ihn ab. (B) dergeld eingeführt. Für deine beiden Kinder erhältst du in (D) den nächsten zehn Jahren 24 000 Euro. Somit kannst du Die AfD-Fraktion tut so, als ob sie Sorgen vor einer dir die langersehnte Eigentumswohnung in Dessau-Roß- Entwertung des Bargeldes hätte. Wenn das aber der Fall lau endlich leisten. wäre, dann müsste sie den Euro feiern. Seit mehreren Jahren ist die Inflationsrate unter zwei Prozent. Das hat Du siehst, Melanie: Wir als Union lieben unser Land. die Deutsche Mark nie geschafft. Die hat ihren Wert Wir als Große Koalition handeln für unser Land. Und schneller verloren, im Schnitt mit 2,6 Prozent im Jahr. deswegen, Melanie, falle nicht auf die Falschinformatio- Doch diese realen Fakten wollen Sie nicht wahrhaben. nen der Rechtspopulisten herein. Vielleicht sind wir nicht ganz so laut wie die da drüben. Aber eines ist sicher: In Stattdessen schüren Sie Angst vor einer angeblich der Ruhe liegt die Kraft. Deswegen gilt für dich: Mit der drohenden Entwertung des Bargelds. Als Beweis dient GroKo hast du am Ende mehr Bargeld in der Tasche als Ihnen ein Blog-Beitrag von zwei IWF-Wissenschaftlern. ohne. Deren Anliegen müsste eigentlich in Ihrem Sinne sein: Die Wissenschaftler suchen nach Wegen, um aus der un- Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Die Liebe zum Bar- konventionellen Geldpolitik auszusteigen. Das sind die geld in Deutschland ist sehr stark. Fast nirgendwo wird Ankaufsprogramme der Zentralbanken, die Sie so gerne das Bezahlen mit Scheinen und Münzen so vehement kritisieren. Doch in Ihrer Vorstellung von Meinungsfrei- verteidigt wie bei uns. Der Gesetzentwurf – eingereicht heit sind solche Gedankenexperimente nicht erlaubt. von der AfD – soll davor bewahren, dass die deutsche Ihnen geht es doch nur um eins: Sie wollen Angst und Bundesregierung das Bargeld abschaffen kann. Verunsicherung verbreiten – eine Methode, mit der Sie sehr viel Erfahrung haben. Die AfD geriert sich in ihrem Gesetzentwurf als Ret- terin des kleinen Sparers und als Datenschützerin gegen Viel zu oft mussten wir schon erleben, wie Sie mit der einen Überwachungsstaat und will Angst vor Big Data Angst Politik machen, etwa um den Hass gegen Men- der Großkonzerne machen. Die AfD im Bundestag will schen in diesem Land zu schüren. Das ist eine Politik, Bargeld als Zahlungsmittel im Grundgesetz schützen las- der wir uns entschieden entgegenstellen. Deswegen sage sen. „Bargeld ist in unserem Sinn gedruckte Freiheit“, ich es noch mal ganz klar: Das Bargeld ist gesetzliches sagte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer Bernd Zahlungsmittel in Deutschland und wird es auch bleiben – Baumann; es schütze die Bürger vor finanzieller Über- heute und in der Zukunft. Das garantieren wir Ihnen als wachung und vor Enteignung durch Negativzinsen. SPD. Außerdem sieht sie die Argumente, die im Rahmen von Und wer das Bargeld nur schützen will, damit Frauen Geldwäsche- bzw. der Kriminalitäts- und Terrorbekämp- nicht wissen, was ihre Ehemänner mit dem Geld machen – 15502 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

(A) wie Herr Keuter bei AfD-Veranstaltungen andeutete –, bezahlt werden können, ohne gleich in Ihre Hysterie der (C) der hat das Thema völlig verfehlt. Das heißt aber nicht, Bargeldabschaffung abzurutschen. Die wenigsten Bür- dass wir nicht über die Nutzung von Bargeld diskutieren. gerinnen und Bürger haben ein Interesse daran, ihre Im- Denn wenn jemand 2 Millionen Euro in bar anbietet, um mobilie bar zu bezahlen. Wessen Interessen vertreten Sie eine Villa oder einen Ferrari zu kaufen, dann müssen bei hier? Sie versuchen, die Kleinsparer zu verunsichern, und uns die Alarmglocken schrillen. machen sich zu Komplizen der großen Geldwäscher. Ihr Populismus stärkt die Geldwäsche und organisierte Kri- Und wenn sich die AfD als Bargeldpartei inszeniert minalität in Deutschland! und die Übergabe von Millionenbeträgen in bar vertei- digt, dann ist klar: Sie stellt sich schützend vor die orga- Schauen wir doch mal, wie es mit dem Bezahlen in nisierte Kriminalität aus dem In- und Ausland. Diese Deutschland wirklich aussieht: Bar können Sie überall wäscht nämlich so ihr Geld in Deutschland, und das wol- zahlen, aber probieren Sie mal, mit Ihrer Girokarte zu len wir nicht. Die SPD setzt sich dafür ein, dass es in der zahlen. Ausgeschlossen werden doch eher alle Menschen, Wirtschaft mit Recht und Ordnung zugeht. die nicht bar zahlen möchten. Und mal ganz abgesehen davon, bekennen wir uns, bekennen sich die Bundesre- Dr. Jens Zimmermann (SPD): Wir sprechen heute gierung, die Bundesbank zur Bargeldnutzung. Bargeld ist über Bargeld; ein Thema, über das auch die Bundesbank und bleibt das am meisten genutzte Zahlungsmittel – und genauestens Statistik führt: Drei von vier Zahlungen wer- das, obwohl die Abwicklung von Bargeldzahlungen teuer den in Deutschland bar getätigt. Bargeld ist und bleibt für die Wirtschaft ist. In Deutschland hat die Barzahlung damit das beliebteste Zahlungsmittel. weiterhin einen hohen Stellenwert. Ich zitiere dazu auch gerne aus der Antwort der Bun- Gleichzeitig sollten wir den Bürgerinnen und Bürgern desregierung auf die Anfrage der AfD: „Die Bundesre- auch die Vorteile bieten, die bargeldloses Zahlen schafft. gierung … bekennt sich zum Fortbestand des Bargeldes.“ Sie können transparent ihre Zahlungen kontrollieren, Dahinter steht selbstverständlich die SPD, und dahinter schnell einkaufen, die Haltung des Bargelds ist nicht stehe ich. mehr nötig. Wir arbeiten zukunftsgewandt. An erster Umso spannender, dass Sie nun diesen Gesetzentwurf Stelle stehen für uns dabei der Verbraucherschutz und vorlegen. Denn gestern im Finanzausschuss haben Sie die Wahlfreiheit der Bürgerinnen und Bürger. noch sehr „wohlwollend“ über die Facebook-Kryptowäh- Freiheit bedeutet, Wahlfreiheit zu haben; Wahlfreiheit rung Libra gesprochen. Die AfD unterstützt also die Da- darüber, wie wir bezahlen möchten – bar oder digital. Die tenkrake Facebook bei der Sammlung sensibler Daten SPD-Fraktion hat die Chancen und Rechte der Einzelnen aller Bürgerinnen und Bürger. Sie unterstützt ein Kartell im Blick. Wir möchten Menschen Möglichkeiten und (B) an Unternehmen, das europäische Wettbewerber ver- Freiheiten geben; Möglichkeiten, so zu leben, wie sie es (D) drängt und dem der Verbraucherschutz und die Finanz- für richtig halten; so zu bezahlen, wie sie es für richtig marktstabilität – das haben wir bei der Anhörung gehört – halten. egal sind. Und gleichzeitig stellen Sie sich hierhin und kritisieren die Bundesregierung, die sich klar gegen das Tobias Matthias Peterka (AfD): Vorliegender Ge- Projekt positioniert hat. Das ist absurd. Es macht deutlich, setzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes tut not dass Sie mal wieder diejenigen sind, die Politik gegen die und wird, sofern Sie sich einen Ruck geben, einen wich- Interessen der Bürgerinnen und Bürger machen. tigen Damm gegen den Freiheitsverlust in diesem Land Mich wundert es aber nicht, dass Sie Probleme mit darstellen. Das Privateigentum ist die Grundfeste eines mehr Transparenz bei Zahlungsvorgängen haben. Die jeden nichttotalitären Staates. Bis auf ganz links außen AfD hat bereits über 400 000 Euro an Bußgeldbescheiden hier sollten wir uns da zumindest einig sein. von der Bundestagsverwaltung wegen illegaler Partei- Dieses Grundrecht muss aber auch effektiv sein. Will spenden kassiert. In Thüringen haben Sie 500 000 Propa- heißen: Es muss mit der Zeit gehen. Also bitte unterlassen gandablätter verteilt und bis heute nicht offengelegt, wer Sie doch Scheinargumente wie „Kein Bedarf“ oder „Ha- die Geldgeber waren. Sie haben einen Gold-Shop betrie- ben wir noch nie so gemacht“. Denn bisher wurde auch ben, um das Parteiengesetz zu umgehen. Ich könnte noch noch nie ein Finanzsystem von der Größe des Euro auf mehr Fälle auflisten, aber ich denke, mein Punkt ist ein- toxische Minuszinsen gesetzt. Und kombiniert mit den deutig. zugegeben angenehmen Möglichkeiten, überall bargeld- Aber ich möchte noch ein anderes Thema aufgreifen. los zu zahlen, entsteht hier eine gesellschaftliche Falle, in Deutschland ist eines der wenigen europäischen Länder, die wir keinesfalls tappen dürfen. Bargeld muss jedem die keine Bargeldobergrenzen haben. In Frankreich liegt Bürger auch künftig ohne Nachteile zur Verfügung ste- die Bargeldobergrenze bei 1 000 Euro, in Italien bei hen. knapp 3 000 Euro, in Spanien bei 2 500 Euro. In vielen Wir haben hier gehört: Niemand hat die Absicht, eine Ländern ist der Kauf von Immobilien mit Bargeld nicht Mauer zu bauen. Doch! Wie wir hier sitzen, wird das möglich. Doch in Deutschland können Sie aktuell Ihre 5- Bargeld von entscheidender Stelle angegriffen. In einem Millionen-Euro-Villa mit Bargeld zahlen. Ich weiß nicht, Dutzend Euro-Staaten gibt es Transaktionslimits, der wie viele Koffer man dafür braucht: sechs, sieben? Das ist 500-Euro-Schein wurde abgeschafft, Deutschland senkt doch absurd. den Betrag freier Goldankäufe, und EZB und IWF Wir müssen differenziert darüber reden können, ob es schwadronieren offen darüber, wie man die Flucht der sinnvoll ist, dass Immobilien für Millionenbeträge bar Bürger vor Minuszinsen auf dem Konto unterbinden Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15503

(A) kann. Und oh Wunder: natürlich durch die Abschaffung, Wie immer aber man zu diesen drei Motiven steht, (C) aber auch die Benachteiligung von Bargeld. eines steht fest: Die konkrete Verfassungsänderung wird diesen Zwecken gar nicht gerecht. Denn Ihr Normtext Beides verhindert unser Gesetzentwurf. So könnte an- bindet seinen Inhalt an den Inhalt der Eigentumsgarantie sonsten zum Beispiel eine Schuld von 1 000 Euro durch- in Artikel 14 Absatz 1 GG. Denn Sie wollen Ihren neuen aus noch bar bezahlbar sein, dann jedoch 1 050 Euro in Verfassungsabsatz mit den Worten beginnen: „… zur Ver- bar erfordern. Die Bürger würden zähneknirschend ihre wirklichung des in Absatz 1 bezeichneten Eigentums- Freiheit aufgeben oder sich je nach Propagandalage sogar grundrechts …“ Das Problem ist nur, dass all die Zwecke, noch über vermeintliche Rabatte freuen. Dies nennt der die Sie zur Begründung anführen, gar nicht aus der Ei- IWF dann übrigens ganz offen nachlesbar: Vermeiden gentumsgarantie ableitbar sind: Der Schutz der Privat- öffentlicher Diskussionen. sphäre ergibt sich nicht aus Artikel 14 Absatz 1 GG, sondern aus Artikel 2 Absatz 1 GG. Der Schutz vor einem Meine Damen und Herren, natürlich kann man eine Kontraktionszwang mit Banken ergibt sich aus der Ver- moderne digitale Wirtschaft bargeldfeindlich über Ra- tragsfreiheit, die nicht in Artikel 14 Absatz 1 GG verortet battprogramme und Konsumdruck durch Minuszinsen ist, sondern auch in Artikel 2 Absatz 1 GG. Und den betreiben. Natürlich kann man jede Transaktion verfolg- Schutz der Kaufkraftstabilität kann die Verfassung kaum bar machen, um mit dem gläsernen Konsumenten angeb- garantieren. Denn die Kaufkraft einer Währungseinheit lich Verbrechen zu bekämpfen. Aber dies hätte nichts hängt ja nicht vom Handeln des Staates und der Zentral- mehr mit einem freiheitlichen, bürgerlichen Gemeinwe- banken allein ab, sondern auch ganz beträchtlich von der sen zu tun. Leistungsfähigkeit der betroffenen Volkswirtschaft. Da- Es wäre sicher der feuchte Traum des linksmittigen her lehnen die ganz herrschende Meinung der Literatur Spektrums hier, dass nicht nur Amazon dem Kunden Ver- und auch das Bundesverfassungsgericht es ab, dass man haltensempfehlungen geben kann, sondern gleich der dies aus Artikel 14 Absatz 1 GG herleiten könnte. Staat dem Bürger. Wäre ja nur freiwillig! Kartenskonto Das ist nur eines von vielen Problemen dieses hand- und Bonusprogramme muss man ja nicht wahrnehmen. werklich nicht überzeugend gemachten Gesetzentwurfs. Sicherlich: Ich würde gerne die Käufer sehen, die 10 Pro- Selbst also, wenn man ein großer Freund des Bargeldes zent mehr zahlen, sollte ihnen überhaupt noch Bargeld ist, und selbst also, wenn man den Schutz des Bargeldes zur Verfügung stehen. für so wichtig hält, dass man ihn in die Verfassung auf- nehmen sollte, wird man Abstand von Ihrem vorgeschla- Die Datensätze aller unbaren Käufe sind bereits jetzt in genen Modell nehmen müssen. Ich befürchte auch, dass der Welt. Dass Datenschutzgesetze schnell einmal dem die Mängel so tiefgreifend sind, dass sie auch im Rahmen (B) Wandel unterliegen, zeigt Minister Spahns Initiative bei der Ausschussberatung kaum zu heilen sind. (D) Patientendaten, also einem ungleich sensibleren Bereich als mein letzter Aldi-Einkauf. Frank Schäffler (FDP): Die Einschränkung des Bar- geldes ist der Kollateralschaden der Null- und Negativ- Sollte das Bargeld, gerade im Umfeld von Minuszin- zinspolitik der Europäischen Zentralbank. sen, abgeschafft oder benachteiligt werden, geht das Fun- dament einer bürgerlichen Gesellschaft nachhaltig in die Der sogenannte Leitzins liegt bereits seit März 2016 Brüche. Wohlhabendere würden sich in Sachwerte flüch- bei 0 Prozent, der Zinssatz für die Einlagefazilität neu- ten und damit die Immobilienblase anheizen. Geringver- erdings sogar bei minus 0,5 Prozent. Der letzte Woche aus diener hingegen würden sich sofort vermeintlich tollen dem Amt geschiedene EZB-Präsident Mario Draghi hat Rabattsystemen ergeben und ihre Daten verramschen. in seiner achtjährigen Amtszeit kein einziges Mal die Und dass eine Regierung, die zunehmend Klimaneutrali- Zinsen angehoben. Nicht nur über den Zins greift die tät einfordert, vor der Erfassung und Kontrolle von Ein- EZB in den Geldmarkt ein. Pro Monat werden von der kaufsverhalten zurückschreckt, können Sie mir garantiert EZB wieder Wertpapiere im Umfang von 20 Milliarden nicht erzählen. Euro erworben. Bis Ende 2018 wurden bereits Staatsan- leihen und andere Wertpapiere im Volumen von 2,6 Bil- Auf eine perverse Art hätten Konsumententum und lionen Euro erworben. linker Staatsglauben Hand in Hand gewonnen. Diese Iro- nie der Geschichte dürfen wir nicht zulassen. Die Folgen dieser fatalen Geldpolitik machen sich im- mer mehr bei den Bürgern bemerkbar. So verlangen die ersten Geldinstitute Strafzinsen von ihren Privatkunden. Dr. Marco Buschmann (FDP): Als ich vom Anliegen Derzeit werden die Zinsen in der Regel erst ab Einlagen der AfD hörte, habe ich sehr offen reagiert. Denn grund- von 100 000 Euro erhoben, aber die ersten Banken unter- sätzlich kann man gut darüber nachdenken, ob wir hier schreiten diese Grenze bereits. So erhebt die Volksbank einen verfassungsrechtlichen Regelungsbedarf haben. Magdeburg künftig ab 75 000 Euro ein sogenanntes Ver- Dafür kann man gute Gründe anführen: erstens Schutz wahrungsentgelt. Wenn wir keine Zinswende bekommen, der Privatsphäre, weil Bargeldzahlung die anonyme Form wird die Grenze immer weiter sinken, bis am Ende alle der Bezahlung schlechthin ist, zweitens Schutz vor einem Bürger negative Zinsen auf ihre Sparguthaben erhalten. faktischen Kontraktionszwang mit Banken in einer Phase der steigenden Gebühren und fallenden Zinsen. Zudem Nach einer Studie der DZ Bank haben die Sparer in schwingt drittens bei der AfD immer die Hoffnung mit, Deutschland seit 2010 bereits 648 Milliarden Euro durch man könne mit dem Verfassungsrecht Geldwertstabilität die Nullzinspolitik verloren. Dagegen stehen Zinserspar- garantieren. nisse für Kreditnehmer von 290 Milliarden Euro. Schon 15504 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

(A) daran sieht man, dass dies kein Nullsummenspiel ist. Al- der Staat weiß, wofür Sie Geld ausgeben. Sie haben aber (C) lein in 2019 beträgt der Verlust 54 Milliarden Euro. kein Problem damit, auf dem Schoß von Mark Zucker- berg zu sitzen und Daten der Bevölkerung in Deutschland Letzte Woche war der Weltspartag. Früher war dies ein der US-Datenkrake Facebook, mit mehr als 2 Milliarden Fest, heute ist es ein Trauerereignis. Diese Enteignungs- Nutzern, auszuhändigen. Wie kaputt ist das denn? Sie politik muss endlich beendet werden! wollen uns von US-Konzernen abhängig machen. Dies Um den Negativzinsen zu entkommen, flüchten sich untergräbt die währungspolitische Souveränität Europas. Bürger und Banken ins Bargeld. Daher steht der Verdacht Die Linke ist ganz klar gegen die vollständige Abschaf- im Raum, dass dieses abgeschafft werden soll, um diese fung von Bargeld. Aber wir sind auch gegen die Macht Währungspolitik auch weiter durchsetzen zu können. der Finanzkonzerne wie Amazon Pay, Alipay etc. Die Bundesregierung trägt dazu aktiv bei, indem sie den Bargeldverkehr immer weiter gängelt: Die Melde- Die AfD will mehr Macht für Facebook und Co. Sie grenze bei Tafelgeschäften beim Goldkauf soll von verteidigen das Darknet der Finanzen wie Bitcoin. Zur 10 000 Euro auf 2 000 Euro herabgesetzt werden. Banken Geldwäsche der Reichen, Mächtigen und Kriminellen müssen Münzen auf Echtheit prüfen, was mit erheblichen wie bei den Panama Papers bemerkten Sie, dies sei Not- Kosten einhergeht. Selbst den Rundfunkbeitrag kann man wehr gegen den Staat. Das überrascht nicht: Eine aus dem nicht in bar bezahlen, obwohl die Euro-Banknote eigent- Ausland gekaufte Partei muss ja ihre Schweizer Franken lich das einzige unbeschränkte gesetzliche Zahlungsmit- irgendwie über die Grenze schaffen. Aber die Berliner tel ist. Staatsanwaltschaft und die Kriminalpolizei haben zu Ih- ren Vorschlägen in der Geldwäsche-Anhörung ganz klar Diese Regelungen gehören abgeschafft. Denn Bargeld gesagt, dass Sie einen Schutzraum für Terroristen und ist nicht weniger als der in Münzen geschlagene Teil un- Kinderpornografie verteidigen. Facebook, der „Islami- serer Freiheit. sche Staat“ und Kinderschänder, das sind tolle Freunde. Leider geht die Bundesregierung genau in die falsche Nun zum wichtigen Thema Bargeld. Warum ist Bar- Richtung. geld wichtig? Die gestern bekanntgewordene Zustimmung von Olaf Erstens. Bargeld ist der Kreditschöpfung der Banken ent- Scholz zu einer europäischen Einlagensicherung ist ein zogen. Das meiste Geld sind nicht Scheine und Münzen, weiterer Dammbruch für die Sparer in Deutschland. sondern elektronische Zahlen, die von Banken per Knopf- Künftig werden die Kunden von Sparkassen und Volks- druck geschaffen werden. Wenn eine Bank mein Einkom- banken für die Schieflage italienischer Banken zur Kasse men prüft und mir dann einen Kredit einräumt, schafft die (B) (D) gebeten. Bank Geld aus dem Nichts. Das Problem ist, dass Banken Das ist das Verständnis der SPD von einer Politik für im Boom oft zu viele Kredite schöpfen. Und Banken den kleinen Mann. Ändern Sie diese fatale Politik, wenn können pleitegehen. Die EZB kann aber in eigener Wäh- Sie sich für den Sparer in Deutschland einsetzen wollen. rung nie pleitegehen, weil sie im Zweifel ja immer Euro drucken kann. Daher ist Bargeld sicheres Geld, weil es Fabio De Masi (DIE LINKE): Matthias Hauer ist einer von der EZB garantiert wird. der feinsten Kollegen im Bundestag. Er ist der Typ, der Zweitens. Bargeld erlaubt Schutz vor totaler Überwa- immer noch einen lockeren Spruch auf den Lippen hat chung. Wenn wir immer mehr Dinge nur noch online und sich nie beklagt. Er ist unermüdlich in seinem Wahl- und im Internet bezahlen können, haben wir keine Privat- kreis Essen unterwegs. Er macht nur einmal im Jahr kurz sphäre mehr. Urlaub. Sein Zusammenbruch zeigt: Es gibt wichtigere Dinge im Leben als den politischen Streit. Ich wünsche Drittens gibt es eine Diskussion beim Internationalen ihm von Herzen alles Gute! Währungsfonds, IWF, und bei Zentralbanken. Es wird Das Thema ist heute der Schutz des Bargelds. Die AfD dabei diskutiert, ob Bargeld zurückgedrängt werden soll, will dazu das Grundgesetz ändern lassen. Leider ist die um Minuszinsen auf die Konten von Bürgern zu erleich- tern, zum Beispiel indem man sagt: Wer sein Geld abhebt, AfD bei diesem Thema maximal unglaubwürdig. Die AfD warnt vor der Abschaffung des Bargelds. Richtig muss einen Strafzins zahlen, und wer es zu lange auf dem ist, dass bei vollständiger Abschaffung des Bargelds der Konto lässt, auch. Wenn die Bürger ihr Geld aber nicht mehr unter das Kopfkissen legen können, ohne dafür be- Verlust jeder Privatsphäre droht, weil jeder Einkauf eine elektronische Datenspur hinterlässt. Herr Keuter von der straft zu werden, kann man sie zum Konsum zwingen – AfD hat in einem auf YouTube zirkulierenden Video üb- egal wie mies der Lohn ist. Strafzinsen für Bürger sind keine offizielle Position des IWF. Aber das muss natür- rigens angedeutet, warum er gegen die Abschaffung des Bargelds sei. Man könne ja dann nicht mehr ungestört ins lich verhindert werden. Wer aber gegen Minuszinsen ist, Bordell gehen. Mit Verlaub: Das ist eine sehr eigentüm- der muss mehr öffentlich investieren. Denn die Zinsen liche Begründung für eine Änderung des Grundgesetzes. sind ja nicht nur wegen der EZB niedrig. Sie sind es auch in der Schweiz und anderswo. Denn viel Kapital stehen zu Die AfD ist zudem die einzige Fraktion, die für Face- wenige Investitionen gegenüber. Die AfD will aber weni- books digitalen Coin Libra mit der Begründung wirbt, ger Staatsausgaben. Und wahr ist auch: Die Realzinsen in dass sie für die Freiheit seien. Sie vertrauen nicht Herrn Deutschland waren selbst zu D-Mark-Zeiten schon nied- Weidmann von der Bundesbank, dass er unser Bargeld riger. Wer niedrige Zinsen für Kleinsparer beklagt, der gemäß Bundesbankgesetz schützt, und wollen nicht, dass darf nicht immer mehr Menschen in die private Alters- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15505

(A) vorsorge treiben. Der AfD-Politiker Jörg Meuthen fordert and-Order-Partei zu gerieren, aber gleichzeitig sind Sie (C) aber Riester-Pflicht für alle. die Ersten, die sich gegen jede sinnvolle Maßnahme zur Bekämpfung der Terrorfinanzierung und Geldwäsche Viertens gibt es aber das reale Problem von Bargeld in der aussprechen. Schattenwirtschaft. Der Anti-Mafia-Staatsanwalt von Pa- lermo sagt, wäre er Mafioso, würde er in Deutschland Ihr Antrag ist auch deshalb widersprüchlich, weil Sie investieren. Wir müssen Bargeld schützen; aber es ist einerseits behaupten, Sie seien die Partei, die den Schutz doch absurd, dass man in Deutschland ganze Immobilien der Bürger vor Überwachung im Sinn habe – deshalb Ihr mit Bargeld aus einem Rindslederkoffer bezahlen kann Einsatz für Bargeld –, andererseits begrüßen gerade Sie und irgendwelche saudischen Scheichs hier ihr Geld wa- von der AfD ein digitales Geldprojekt wie Libra von der schen und die Mieten treiben. Wir brauchen daher auch größten Datensammelkrake der Welt, von Facebook, und Bargeldobergrenzen wie in anderen EU-Ländern. verschicken begeisterte Pressemitteilungen dazu! Ich zi- Wir brauchen mehr öffentliche Investitionen, um die tiere Jörn König, AfD: „Als einzige Fraktion sprach sich Geldpolitik endlich wieder zu entlasten. Nur dann gibt die AfD-Fraktion wohlwollend für das Projekt aus.“ Das es überhaupt die Chance, das Zinsniveau wieder zu nor- ist Schizophrenie à la AfD! malisieren. Wir müssen prüfen, ob es erforderlich ist, die Ihr Antrag ist drittens rückwärtsgewandt; denn im Zeit- Bürger vor Strafgebühren und Minuszinsen der Banken alter der Digitalisierung wird die Bargeldnutzung zurück- zu schützen, wenn diese die Einlagensicherung von gehen: nicht, weil der Staat oder die EZB das verordnen, 100 000 Euro untergraben. sondern weil die Bürgerinnen und Bürger es so wollen! Die Zurückdrängung des Bargelds im digitalen Zeitalter Wegen der Bequemlichkeit oder wegen anderer prakti- bedroht die Privatsphäre. Wir brauchen daher einen digi- scher Vorteile von digitalen Bezahlverfahren. Oder weil talen staatlichen Euro, der Kreditschöpfung von Banken sie nicht wie beim Bargeld analog abgekoppelt sein wol- und Datenkraken wie Facebook entzogen ist, etwa durch len, sondern weil sie auch digital teilhaben wollen. Und unverzinste Konten der Bürger bei der EZB. Guthaben deshalb ist es im Zeitalter der Digitalisierung viel wich- bei der EZB wären so sicher wie Bargeld, weil sie von der tiger, sich für hohe Datenschutzstandards bei digitalen EZB garantiert sind. Die Anonymität von Transaktionen Bezahlverfahren einzusetzen; viel wichtiger, dafür zu sor- könnte man unterhalb gewisser Schwellenwerte durch gen, dass die Privatsphäre bei digitalen Bezahlverfahren eine Blockchain sichern. gewahrt werden kann. Eine Änderung des Grundgesetzes ist zum Schutz des Aber wie ist die Position der AfD zum Datenschutz? Bargelds nicht erforderlich. Stattdessen muss die Macht Sie fordern die Aussetzung der DSGVO! Im Übrigen (B) von Konzernen wie Facebook über unser Geldsystem be- wimmelt es bei Ihrer Formulierung zur Grundgesetzän- (D) schränkt werden. Die AfD hat hier nichts anzubieten. derung nur so von unbestimmten Rechtsbegriffen – damit produzieren Sie erhebliche Auslegungsschwierigkeiten Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die AfD und verhunzen einfach unser schönes Grundgesetz! sieht mal wieder das Bargeld in Gefahr. Um dem auch die richtige Dramatik zu verleihen, fordert sie gar die Und schließlich: Ich verstehe überhaupt nicht, warum Änderung von Artikel 14 Grundgesetz zum Schutz des Sie der Zentralbank die Verknappung des Bargeldes Eigentums des Grundgesetzes, um das Bargeld als ein- grundgesetzlich verbieten wollen. Wenn die EZB die ziges gesetzliches Zahlungsmittel zu sichern. Preisstabilität wahren soll – ein Ziel, das doch gerade Ihnen angeblich so am Herzen liegt –, dann muss sie Meine Herren und Damen von der AfD, Ihr Antrag ist natürlich das Bargeld verknappen können! Erstes Semes- erstens überflüssig, zweitens widersprüchlich und drit- ter VWL: Wo waren denn da Ihre Wirtschaftsprofessoren, tens rückwärtsgewandt, und deshalb werden wir ihn ab- als Sie den Antrag beschlossen haben!? lehnen. Alles in allem ist der Antrag ein weiterer Beweis: Der Ihr Antrag ist erstens überflüssig, weil das Bargeld AfD geht es nicht um Sachpolitik, sondern nur um Stim- bereits jetzt gesetzliches Zahlungsmittel ist, bereits jetzt mungsmache. Und auch deswegen werden wir Ihren An- so geschützt ist, wie es die AfD mit ihrem Antrag erst trag ablehnen. einführen will, und zwar nicht nur vom Grundgesetz, sondern es steht sogar im EU-Vertrag. So heißt es – ich zitiere – im § 128 AEUV: „Die von der Europäischen Zentralbank und den nationalen Zentralbanken ausgege- Anlage 3 benen Banknoten sind die einzigen Banknoten, die in der Union als gesetzliches Zahlungsmittel gelten.“ Erklärung nach § 31 GO Das heißt, es bräuchte mehr als eine Zweidrittelmehr- heit in Bundestag und Bundesrat, um dem Bargeld diese der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann (DIE Einzigartigkeit zu nehmen, es bräuchte Einstimmigkeit LINKE) zu der Abstimmung über die Beschluss- aller EU-Mitgliedstaaten, um das zu ändern. Mehr recht- empfehlung des Petitionsausschusses: Sammel- liche Garantie für das Bargeld als einziges gesetzliches übersicht 365 zu Petitionen auf Drucksache 19/ Zahlungsmittel geht nicht! 14391, Petition 3-19-10-787-006685 (biologische Vielfalt) Ihr Antrag ist zweitens widersprüchlich; denn Sie ver- suchen zwar mit diesem Antrag, sich mal wieder als Law- (Tagesordnungspunkt 36 h) 15506 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

(A) Der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses Anlage 4 (C) zur Petition 3-19-10-787-006685 stimme ich zu. Diese Petition thematisiert ein sehr wichtiges Zu- Erklärungen kunftsthema; denn der Verlust an biologischer Vielfalt, insbesondere bei den Insekten, ist besorgniserregend des Abgeordneten Carsten Schneider (Erfurt) und zwingt auch den Gesetzgeber, endlich konsequent (SPD) zur Beschlussempfehlung des Ausschusses zu handeln. Die Komplexität der Ursachen darf keine nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungs- Ausrede sein, weiter zu zögern. ausschuss) zu dem Gesetz zur Durchführung des Zensus im Jahr 2021 (Zensusgesetz 2021 – ZensG Nicht zuletzt eine gerade veröffentlichte Studie der 2021) Technischen Universität München belegt die dramatische Situation. Zwischen 2008 und 2017 sind die Insekten um (Zusatzpunkt 3) bis zu 60 Prozent zurückgegangen. Untersucht wurden Insektengruppen aus Thüringen, Baden-Württemberg 1. Als Berichterstatter des Bundestages zu den ab- und meinem Bundesland Brandenburg. schließenden Verhandlungen des Vermittlungsausschus- ses am 6. November 2019 mache ich darauf aufmerksam, Gerade wegen der Dringlichkeit des Anliegens freut dass sich die Bundesregierung bereit erklärt hat, in der mich die einstimmige Unterstützung des Petitionsaus- Sitzung des Bundesrates am 8. November 2019 die fol- schusses. Das ist ein kleiner Schritt in die richtige Rich- gende Protokollerklärung abzugeben: tung und dennoch ein sehr wichtiges Signal, dass mit Druck aus der Gesellschaft und im Parlament erreicht Nach Auffassung der Bundesregierung hat das Statis- wurde, dass fraktionsübergreifend Handlungsbedarf und tische Bundesamt den statistischen Ämtern der Länder in mehr Unterstützung für das Anliegen anerkannt wird. Das der vom Statistischen Bundesamt bereitgestellten Aus- muss zu einem Türöffner werden für konsequentes und wertungsdatenbank nur Zugriff auf diejenigen Daten, sehr zügiges Handeln in vielen weiteren Schritten, damit die sie nach § 34 des Zensusgesetzes 2021 als Kopie er- nicht nur Symptome gelindert, sondern auch die Ursa- halten können, für ausschließlich statistische Zwecke des chen beseitigt werden. Landes im Rahmen des § 1 Absatz 3 Nummer 3 des Pflanzung von alten Obstbäumen, insbesondere an Zensusgesetzes 2021 zu gewähren. Straßenrändern und auf Brachen, als erweitertes Futter- 2. Als Berichterstatter des Bundestages zu den ab- angebot für Bienen, ist eine der sinnvollen Maßnahmen schließenden Verhandlungen des Vermittlungsausschus- und muss die Pflege dieser Obstbestände einschließen. ses am 6. November 2019 gebe ich nachfolgend zur Gerade Streuobst ist nicht nur ein wertvolles Strukturele- (B) Kenntnis: (D) ment der Agrar- und Kulturlandschaft, sondern Nah- rungsgrundlage und Lebensraum für Insekten, die ihrer- Mit der vom Vermittlungsausschuss nach dem Vorbild seits nicht nur für die Bestäubung, sondern auch für das des § 25 ZensG 2011 eingefügten Regelung zu einer gesamte Ökosystem bedeutsam sind, zum Beispiel für Finanzzuweisung des Bundes an die Länder (§ 36-neu) insektenfressende Vögel und Säugetiere. So wird nicht wird das Zensusgesetz 2021 gemäß Artikel 106 Absatz 4 nur die Insektenfauna unterstützt, sondern auch die bio- Satz 2 GG zustimmungsbedürftig. Das ZensG 2011 ist logische Vielfalt insgesamt. im Hinblick auf diese Regelung mit Zustimmung des Es bleibt wichtig, nicht nur die Honigbiene und nicht Bundesrates erlassen worden. Darüber hinaus wird das nur die bestäubenden Insekten im Blick zu behalten, son- Zensusgesetz 2021 auch durch die in § 20 Absatz 3 dern auch Wildbienen und andere Insekten oder Spinnen. Satz 2-neu eingefügte Regelung, wonach die Aufwand- Ihre Präsenz oder Abwesenheit steht für den Zustand des sentschädigungen der Erhebungsbeauftragten nicht der gesamten Ökosystems und damit unserer natürlichen Le- Einkommensteuer unterliegen, gemäß Artikel 105 Ab- bensgrundlage. Die biologische Vielfalt ist unser aller satz 3 GG i. V. m. Artikel 106 Absatz 3 Satz 1, 2 GG natürlicher Reichtum, den zu schützen in unser aller In- zustimmungspflichtig. teresse ist. Jede und jeder kann im eigenen Umfeld dazu beitragen.

Anlage 5 Ergebnis und Namensverzeichnis der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl eines Stellvertreters des Präsidenten des Deut- schen Bundestages teilgenommen haben (2. Wahlgang) (Zusatzpunkt 4) Abgegebene Stimmkarten: 638 Abgeordnete/r Ja-Stimmen* Nein-Stimmen Enthaltungen Ungültige Stimmen Paul Viktor Podolay 189 430 19 –

* Zur Wahl sind mindestens 355 Ja-Stimmen erforderlich. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15507

(A) CDU/CSU Oliver Grundmann Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Klaus-Peter Schulze (C) Dr. Michael von Abercron Monika Grütters Daniela Ludwig Stephan Albani Fritz Güntzler Karin Maag Armin Schuster (Weil am Rhein) Norbert Maria Altenkamp Olav Gutting Yvonne Magwas Torsten Schweiger Philipp Amthor Dr. Thomas de Maizière Detlef Seif Artur Auernhammer Jürgen Hardt Gisela Manderla Johannes Selle Peter Aumer Mark Hauptmann Dr. Astrid Mannes Reinhold Sendker Dorothee Bär Dr. Matthias Heider Matern von Marschall Dr. Patrick Sensburg Thomas Bareiß Mechthild Heil Andreas Mattfeldt Thomas Silberhorn Norbert Barthle Thomas Heilmann Dr. Michael Meister Björn Simon Maik Beermann Frank Heinrich (Chemnitz) Dr. Angela Merkel Tino Sorge Manfred Behrens (Börde) Mark Helfrich Jan Metzler Jens Spahn Sybille Benning Rudolf Henke Dr. h. c. (Univ Kyiv) Hans Michelbach Katrin Staffler Dr. André Berghegger Michael Hennrich Dr. Mathias Middelberg Frank Steffel Melanie Bernstein Marc Henrichmann Dietrich Monstadt Dr. Wolfgang Stefinger Christoph Bernstiel Ansgar Heveling Karsten Möring Albert Stegemann Peter Beyer Dr. Heribert Hirte Elisabeth Motschmann Andreas Steier Marc Biadacz Alexander Hoffmann Axel Müller Peter Stein (Rostock) Steffen Bilger Karl Holmeier Dr. Gerd Müller Sebastian Steineke Peter Bleser Dr. Hendrik Hoppenstedt Sepp Müller Johannes Steiniger Michael Brand (Fulda) Erich Irlstorfer Hans-Jürgen Irmer Carsten Müller Christian Frhr. von Stetten Dr. Reinhard Brandl (Braunschweig) Dieter Stier Silvia Breher Thomas Jarzombek Andreas Jung Stefan Müller (Erlangen) Gero Storjohann Sebastian Brehm Dr. Andreas Nick Stephan Stracke Heike Brehmer Ingmar Jung Alois Karl Petra Nicolaisen Karin Strenz Ralph Brinkhaus Michaela Noll Michael Stübgen Dr. Carsten Brodesser Anja Karliczek Dr. Georg Nüßlein Dr. Peter Tauber Gitta Connemann Torbjörn Kartes Wilfried Oellers Dr. Hermann-Josef Tebroke (B) Astrid Damerow Volker Kauder (D) Florian Oßner Hans-Jürgen Thies Alexander Dobrindt Dr. Stefan Kaufmann Josef Oster Alexander Throm Michael Donth Ronja Kemmer Henning Otte Dr. Dietlind Tiemann Marie-Luise Dött Roderich Kiesewetter Ingrid Pahlmann Antje Tillmann Hansjörg Durz Michael Kießling Sylvia Pantel Markus Uhl Thomas Erndl Dr. Georg Kippels Martin Patzelt Dr. Volker Ullrich Hermann Färber Volkmar Klein Axel Knoerig Dr. Joachim Pfeiffer Kerstin Vieregge Uwe Feiler Jens Koeppen Dr. Christoph Ploß Volkmar Vogel (Kleinsaara) Enak Ferlemann Markus Koob Eckhard Pols Christoph de Vries Axel E. Fischer (Karlsruhe- Kees de Vries Land) Carsten Körber Thomas Rachel Dr. Maria Flachsbarth Gunther Krichbaum Kerstin Radomski Nina Warken Thorsten Frei Dr. Günter Krings Alexander Radwan Kai Wegner Dr. Astrid Freudenstein Rüdiger Kruse Alois Rainer Albert H. Weiler Dr. Hans-Peter Friedrich Michael Kuffer Lothar Riebsamen (Hof) Dr. Roy Kühne Josef Rief Marcus Weinberg (Hamburg) Michael Frieser Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Johannes Röring Dr. Anja Weisgerber Ingo Gädechens Katharina Landgraf Dr. Norbert Röttgen Peter Weiß (Emmendingen) Dr. Thomas Gebhart Ulrich Lange Stefan Rouenhoff Sabine Weiss (Wesel I) Alois Gerig Dr. Silke Launert Erwin Rüddel Ingo Wellenreuther Eberhard Gienger Jens Lehmann Albert Rupprecht Marian Wendt Eckhard Gnodtke Paul Lehrieder Stefan Sauer Kai Whittaker Ursula Groden-Kranich Dr. Katja Leikert Anita Schäfer (Saalstadt) Annette Widmann-Mauz Hermann Gröhe Dr. Andreas Lenz Dr. Wolfgang Schäuble Bettina Margarethe Klaus-Dieter Gröhler Antje Lezius Andreas Scheuer Wiesmann Michael Grosse-Brömer Andrea Lindholz Jana Schimke Klaus-Peter Willsch Astrid Grotelüschen Dr. Carsten Linnemann Tankred Schipanski Elisabeth Winkelmeier- Markus Grübel Patricia Lips Nadine Schön Becker Manfred Grund Nikolas Löbel Felix Schreiner Oliver Wittke 15508 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

(A) Emmi Zeulner Ralf Kapschack Carsten Schneider (Erfurt) Dr. Roland Hartwig (C) Dr. Matthias Zimmer Gabriele Katzmarek Johannes Schraps Jochen Haug Cansel Kiziltepe Michael Schrodi Martin Hebner SPD Arno Klare Dr. Manja Schüle Udo Theodor Hemmelgarn Lars Klingbeil Ursula Schulte Waldemar Herdt Ingrid Arndt-Brauer Dr. Bärbel Kofler Swen Schulz (Spandau) Lars Herrmann Heike Baehrens Elvan Korkmaz-Emre Frank Schwabe Martin Hess Ulrike Bahr Christine Lambrecht Andreas Schwarz Dr. Heiko Heßenkemper Nezahat Baradari Christian Lange (Backnang) Rita Schwarzelühr-Sutter Karsten Hilse Doris Barnett Dr. Karl Lauterbach Rainer Spiering Nicole Höchst Dr. Matthias Bartke Helge Lindh Svenja Stadler Martin Hohmann Sören Bartol Kirsten Lühmann Martina Stamm-Fibich Dr. Bruno Hollnagel Lothar Binding (Heidelberg) Isabel Mackensen Sonja Amalie Steffen Leif-Erik Holm Dr. Eberhard Brecht Katja Mast Mathias Stein Johannes Huber Leni Breymaier Christoph Matschie Kerstin Tack Fabian Jacobi Dr. Karl-Heinz Brunner Hilde Mattheis Claudia Tausend Dr. Marc Jongen Katrin Budde Dr. Matthias Miersch Michael Thews Jens Kestner Klaus Mindrup Stefan Keuter Martin Burkert Markus Töns Susanne Mittag Norbert Kleinwächter Dr. Lars Castellucci Carsten Träger Falko Mohrs Enrico Komning Bernhard Daldrup Ute Vogt Claudia Moll Jörn König Dr. Karamba Diaby Marja-Liisa Völlers Siemtje Möller Steffen Kotré Esther Dilcher Dirk Vöpel Bettina Müller Dr. Rainer Kraft Sabine Dittmar Dr. Joe Weingarten Dr. Rolf Mützenich Rüdiger Lucassen Dr. Wiebke Esdar Bernd Westphal Dietmar Nietan Frank Magnitz Saskia Esken Dirk Wiese Ulli Nissen Jens Maier Yasmin Fahimi Gülistan Yüksel Thomas Oppermann Dr. Lothar Maier Dr. Johannes Fechner Dagmar Ziegler Josephine Ortleb Stefan Zierke Dr. Birgit Malsack- Dr. Fritz Felgentreu Winkemann (B) Mahmut Özdemir Dr. Jens Zimmermann (D) Dr. Edgar Franke (Duisburg) Corinna Miazga Ulrich Freese Aydan Özoğuz Andreas Mrosek AfD Dagmar Freitag Markus Paschke Hansjörg Müller Christian Petry Dr. Bernd Baumann Volker Münz Angelika Glöckner Detlev Pilger Marc Bernhard Timon Gremmels Florian Post Andreas Bleck Jan Ralf Nolte Kerstin Griese Achim Post (Minden) Peter Boehringer Ulrich Oehme Michael Groß Dr. Stephan Brandner Gerold Otten Uli Grötsch Martin Rabanus Jürgen Braun Frank Pasemann Bettina Hagedorn Andreas Rimkus Marcus Bühl Tobias Matthias Peterka Rita Hagl-Kehl Sönke Rix Petr Bystron Paul Viktor Podolay Metin Hakverdi Dennis Rohde Tino Chrupalla Jürgen Pohl Sebastian Hartmann Dr. Martin Rosemann Joana Cotar Stephan Protschka Dirk Heidenblut René Röspel Dr. Gottfried Curio Martin Reichardt Gabriela Heinrich Dr. Ernst Dieter Rossmann Martin Erwin Renner Marcus Held Michael Roth (Heringen) Thomas Ehrhorn Roman Johannes Reusch Wolfgang Hellmich Susann Rüthrich Dr. Michael Espendiller Ulrike Schielke-Ziesing Dr. Barbara Hendricks Bernd Rützel Peter Felser Jörg Schneider Gustav Herzog Sarah Ryglewski Dietmar Friedhoff Uwe Schulz Gabriele Hiller-Ohm Johann Saathoff Dr. Anton Friesen Thomas Seitz Thomas Hitschler Axel Schäfer (Bochum) Markus Frohnmaier Martin Sichert Dr. Eva Högl Dr. Nina Scheer Dr. Götz Frömming Detlev Spangenberg Frank Junge Marianne Schieder Albrecht Glaser Dr. Dirk Spaniel Josip Juratovic Udo Schiefner Franziska Gminder René Springer Thomas Jurk Dr. Nils Schmid Kay Gottschalk Beatrix von Storch Oliver Kaczmarek Uwe Schmidt Armin-Paulus Hampel Dr. Harald Weyel Johannes Kahrs Ulla Schmidt (Aachen) Mariana Iris Harder-Kühnel Wolfgang Wiehle Elisabeth Kaiser Dagmar Schmidt (Wetzlar) Verena Hartmann Dr. Heiko Wildberg Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15509

(A) Dr. Christian Wirth Roman Müller-Böhm Katja Kipping Kai Gehring (C) Uwe Witt Frank Müller-Rosentritt Jan Korte Stefan Gelbhaar Dr. Martin Neumann Jutta Krellmann Katrin Göring-Eckardt FDP (Lausitz) Caren Lay Erhard Grundl Hagen Reinhold Sabine Leidig Grigorios Aggelidis Anja Hajduk Bernd Reuther Ralph Lenkert Renata Alt Britta Haßelmann Dr. Stefan Ruppert Michael Leutert Dr. Bettina Hoffmann Christine Aschenberg- Dr. h. c. Thomas Sattelberger Dugnus Stefan Liebich Dr. Anton Hofreiter Christian Sauter Nicole Bauer Dr. Gesine Lötzsch Ottmar von Holtz Jens Beeck Frank Schäffler Thomas Lutze Dieter Janecek Dr. Jens Brandenburg Dr. Wieland Schinnenburg Amira Mohamed Ali Dr. Kirsten Kappert-Gonther Matthias Seestern-Pauly (Rhein-Neckar) Niema Movassat Uwe Kekeritz Frank Sitta Mario Brandenburg Norbert Müller (Potsdam) Katja Keul (Südpfalz) Judith Skudelny Zaklin Nastic Sven-Christian Kindler Dr. Marco Buschmann Dr. Hermann Otto Solms Dr. Alexander S. Neu Maria Klein-Schmeink Bettina Stark-Watzinger Thomas Nord Sylvia Kotting-Uhl Carl-Julius Cronenberg Dr. Marie-Agnes Strack- Petra Pau Zimmermann Oliver Krischer Britta Katharina Dassler Sören Pellmann Benjamin Strasser Christian Kühn (Tübingen) Bijan Djir-Sarai Victor Perli Linda Teuteberg Renate Künast Christian Dürr Tobias Pflüger Michael Theurer Markus Kurth Hartmut Ebbing Ingrid Remmers Stephan Thomae Monika Lazar Dr. Marcus Faber Martina Renner Manfred Todtenhausen Sven Lehmann Daniel Föst Bernd Riexinger Dr. Florian Toncar Steffi Lemke Otto Fricke Eva-Maria Schreiber Thomas Hacker Dr. Andrew Ullmann Dr. Tobias Lindner Dr. Petra Sitte Peter Heidt Johannes Vogel (Olpe) Dr. Irene Mihalic Helin Evrim Sommer Katrin Helling-Plahr Sandra Weeser Claudia Müller Kersten Steinke Markus Herbrand Nicole Westig Beate Müller-Gemmeke Friedrich Straetmanns Torsten Herbst Katharina Willkomm Dr. Ingrid Nestle (B) Dr. Kirsten Tackmann (D) Katja Hessel Dr. Konstantin von Notz Jessica Tatti Dr. Gero Clemens Hocker Omid Nouripour DIE LINKE Alexander Ulrich Manuel Höferlin Friedrich Ostendorff Doris Achelwilm Kathrin Vogler Reinhard Houben Cem Özdemir Gökay Akbulut Dr. Sahra Wagenknecht Ulla Ihnen Lisa Paus Simone Barrientos Andreas Wagner Olaf In der Beek Filiz Polat Dr. Dietmar Bartsch Harald Weinberg Dr. Christian Jung Tabea Rößner Lorenz Gösta Beutin Katrin Werner Karsten Klein Claudia Roth (Augsburg) Matthias W. Birkwald Hubertus Zdebel Dr. Marcel Klinge Dr. Manuela Rottmann Michel Brandt Pia Zimmermann Daniela Kluckert Corinna Rüffer Christine Buchholz Sabine Zimmermann Pascal Kober Ulle Schauws Dr. Birke Bull-Bischoff (Zwickau) Dr. Lukas Köhler Stefan Schmidt Carina Konrad Jörg Cezanne BÜNDNIS 90/ Kordula Schulz-Asche Wolfgang Kubicki Fabio De Masi Dr. Diether Dehm DIE GRÜNEN Dr. Wolfgang Strengmann- Konstantin Kuhle Kuhn Anke Domscheit-Berg Lisa Badum Alexander Kulitz Margit Stumpp Klaus Ernst Annalena Baerbock Alexander Graf Lambsdorff Markus Tressel Susanne Ferschl Margarete Bause Ulrich Lechte Jürgen Trittin Nicole Gohlke Dr. Danyal Bayaz Christian Lindner Dr. Julia Verlinden Dr. André Hahn Canan Bayram Michael Georg Link Daniela Wagner (Heilbronn) Heike Hänsel Dr. Franziska Brantner Beate Walter-Rosenheimer Oliver Luksic Matthias Höhn Agnieszka Brugger Gerhard Zickenheiner Till Mansmann Andrej Hunko Ekin Deligöz Dr. Jürgen Martens Ulla Jelpke Katharina Dröge Christoph Meyer Kerstin Kassner Harald Ebner Fraktionslos Alexander Müller Dr. Achim Kessler Matthias Gastel Mario Mieruch

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt. 15510 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

(A) Anlage 6 (C) Ergebnis und Namensverzeichnis der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl eines Mitglieds des Parlamentarischen Kontroll- gremiums gemäß Artikel 45d des Grundgesetzes teilgenommen haben (Zusatzpunkt 5) Abgegebene Stimmkarten: 634 Abgeordnete/r Ja-Stimmen* Nein-Stimmen Enthaltungen Ungültige Stimmen Dr. Eva Högl 524 47 11 –

* Zur Wahl sind mindestens 355 Ja-Stimmen erforderlich.

CDU/CSU Dr. Hans-Peter Friedrich Dr. Stefan Kaufmann Karsten Möring (Hof) Ronja Kemmer Elisabeth Motschmann Dr. Michael von Abercron Michael Frieser Roderich Kiesewetter Dr. Gerd Müller Stephan Albani Ingo Gädechens Michael Kießling Sepp Müller Norbert Maria Altenkamp Dr. Thomas Gebhart Dr. Georg Kippels Carsten Müller Philipp Amthor Alois Gerig Volkmar Klein (Braunschweig) Artur Auernhammer Eberhard Gienger Axel Knoerig Stefan Müller (Erlangen) Peter Aumer Eckhard Gnodtke Jens Koeppen Dr. Andreas Nick Dorothee Bär Ursula Groden-Kranich Markus Koob Petra Nicolaisen Thomas Bareiß Hermann Gröhe Carsten Körber Michaela Noll Norbert Barthle Klaus-Dieter Gröhler Gunther Krichbaum Dr. Georg Nüßlein Maik Beermann Michael Grosse-Brömer Dr. Günter Krings Wilfried Oellers Manfred Behrens (Börde) Astrid Grotelüschen Rüdiger Kruse Florian Oßner Sybille Benning Markus Grübel Michael Kuffer Josef Oster Dr. André Berghegger Manfred Grund Dr. Roy Kühne Henning Otte (B) Melanie Bernstein Oliver Grundmann Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Ingrid Pahlmann (D) Christoph Bernstiel Monika Grütters Katharina Landgraf Sylvia Pantel Peter Beyer Fritz Güntzler Ulrich Lange Martin Patzelt Marc Biadacz Olav Gutting Dr. Silke Launert Dr. Joachim Pfeiffer Steffen Bilger Christian Haase Jens Lehmann Dr. Christoph Ploß Jürgen Hardt Peter Bleser Paul Lehrieder Eckhard Pols Mark Hauptmann Michael Brand (Fulda) Dr. Katja Leikert Thomas Rachel Dr. Matthias Heider Kerstin Radomski Dr. Reinhard Brandl Dr. Andreas Lenz Mechthild Heil Alexander Radwan Silvia Breher Antje Lezius Thomas Heilmann Alois Rainer Sebastian Brehm Andrea Lindholz Frank Heinrich (Chemnitz) Lothar Riebsamen Heike Brehmer Dr. Carsten Linnemann Mark Helfrich Patricia Lips Josef Rief Ralph Brinkhaus Rudolf Henke Nikolas Löbel Johannes Röring Dr. Carsten Brodesser Michael Hennrich Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Norbert Röttgen Gitta Connemann Marc Henrichmann Daniela Ludwig Stefan Rouenhoff Astrid Damerow Ansgar Heveling Karin Maag Erwin Rüddel Alexander Dobrindt Dr. Heribert Hirte Yvonne Magwas Albert Rupprecht Michael Donth Alexander Hoffmann Dr. Thomas de Maizière Stefan Sauer Marie-Luise Dött Karl Holmeier Gisela Manderla Anita Schäfer (Saalstadt) Hansjörg Durz Dr. Hendrik Hoppenstedt Dr. Astrid Mannes Dr. Wolfgang Schäuble Thomas Erndl Erich Irlstorfer Matern von Marschall Andreas Scheuer Hermann Färber Hans-Jürgen Irmer Andreas Mattfeldt Jana Schimke Uwe Feiler Thomas Jarzombek Dr. Michael Meister Tankred Schipanski Enak Ferlemann Andreas Jung Dr. Angela Merkel Nadine Schön Axel E. Fischer (Karlsruhe- Ingmar Jung Jan Metzler Felix Schreiner Land) Alois Karl Dr. h. c. (Univ Kyiv) Hans Dr. Klaus-Peter Schulze Dr. Maria Flachsbarth Anja Karliczek Michelbach Uwe Schummer Thorsten Frei Torbjörn Kartes Dr. Mathias Middelberg Armin Schuster (Weil am Dr. Astrid Freudenstein Volker Kauder Dietrich Monstadt Rhein) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15511

(A) Torsten Schweiger SPD Lars Klingbeil Swen Schulz (Spandau) (C) Detlef Seif Ingrid Arndt-Brauer Dr. Bärbel Kofler Frank Schwabe Johannes Selle Heike Baehrens Elvan Korkmaz-Emre Andreas Schwarz Reinhold Sendker Ulrike Bahr Christine Lambrecht Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Patrick Sensburg Nezahat Baradari Christian Lange (Backnang) Rainer Spiering Thomas Silberhorn Doris Barnett Dr. Karl Lauterbach Svenja Stadler Björn Simon Dr. Matthias Bartke Helge Lindh Martina Stamm-Fibich Tino Sorge Sören Bartol Isabel Mackensen Sonja Amalie Steffen Jens Spahn Lothar Binding Katja Mast Mathias Stein Katrin Staffler (Heidelberg) Christoph Matschie Kerstin Tack Frank Steffel Dr. Eberhard Brecht Hilde Mattheis Claudia Tausend Dr. Wolfgang Stefinger Leni Breymaier Dr. Matthias Miersch Michael Thews Albert Stegemann Dr. Karl-Heinz Brunner Klaus Mindrup Markus Töns Andreas Steier Katrin Budde Susanne Mittag Carsten Träger Peter Stein (Rostock) Martin Burkert Falko Mohrs Ute Vogt Sebastian Steineke Dr. Lars Castellucci Claudia Moll Marja-Liisa Völlers Johannes Steiniger Bernhard Daldrup Siemtje Möller Dirk Vöpel Christian Frhr. von Stetten Dr. Karamba Diaby Bettina Müller Dr. Joe Weingarten Dieter Stier Esther Dilcher Dr. Rolf Mützenich Bernd Westphal Gero Storjohann Sabine Dittmar Dietmar Nietan Dirk Wiese Stephan Stracke Dr. Wiebke Esdar Ulli Nissen Gülistan Yüksel Karin Strenz Saskia Esken Thomas Oppermann Dagmar Ziegler Michael Stübgen Yasmin Fahimi Josephine Ortleb Stefan Zierke Dr. Peter Tauber Dr. Johannes Fechner Mahmut Özdemir Dr. Jens Zimmermann (Duisburg) Dr. Hermann-Josef Tebroke Dr. Fritz Felgentreu Aydan Özoğuz Hans-Jürgen Thies Dr. Edgar Franke AfD Markus Paschke Alexander Throm Ulrich Freese Christian Petry Dr. Bernd Baumann Dr. Dietlind Tiemann Dagmar Freitag Detlev Pilger Marc Bernhard (B) Antje Tillmann Martin Gerster (D) Florian Post Andreas Bleck Markus Uhl Angelika Glöckner Achim Post (Minden) Peter Boehringer Dr. Volker Ullrich Timon Gremmels Dr. Sascha Raabe Stephan Brandner Kerstin Vieregge Kerstin Griese Martin Rabanus Jürgen Braun Volkmar Vogel (Kleinsaara) Michael Groß Uli Grötsch Andreas Rimkus Marcus Bühl Christoph de Vries Bettina Hagedorn Sönke Rix Petr Bystron Kees de Vries Rita Hagl-Kehl Dennis Rohde Tino Chrupalla Dr. Johann David Wadephul Metin Hakverdi Dr. Martin Rosemann Dr. Gottfried Curio Marco Wanderwitz Sebastian Hartmann René Röspel Siegbert Droese Nina Warken Dirk Heidenblut Dr. Ernst Dieter Rossmann Thomas Ehrhorn Kai Wegner Gabriela Heinrich Michael Roth (Heringen) Dr. Michael Espendiller Albert H. Weiler Marcus Held Susann Rüthrich Peter Felser Marcus Weinberg Dietmar Friedhoff (Hamburg) Wolfgang Hellmich Bernd Rützel Dr. Anton Friesen Dr. Anja Weisgerber Dr. Barbara Hendricks Sarah Ryglewski Markus Frohnmaier Peter Weiß (Emmendingen) Gustav Herzog Johann Saathoff Dr. Götz Frömming Sabine Weiss (Wesel I) Gabriele Hiller-Ohm Axel Schäfer (Bochum) Albrecht Glaser Ingo Wellenreuther Thomas Hitschler Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Franziska Gminder Marian Wendt Dr. Eva Högl Udo Schiefner Kay Gottschalk Kai Whittaker Frank Junge Dr. Nils Schmid Armin-Paulus Hampel Annette Widmann-Mauz Josip Juratovic Uwe Schmidt Mariana Iris Harder-Kühnel Bettina Margarethe Thomas Jurk Wiesmann Oliver Kaczmarek Ulla Schmidt (Aachen) Verena Hartmann Klaus-Peter Willsch Johannes Kahrs Dagmar Schmidt (Wetzlar) Dr. Roland Hartwig Elisabeth Winkelmeier- Elisabeth Kaiser Carsten Schneider (Erfurt) Jochen Haug Becker Ralf Kapschack Johannes Schraps Martin Hebner Oliver Wittke Gabriele Katzmarek Michael Schrodi Udo Theodor Hemmelgarn Emmi Zeulner Cansel Kiziltepe Dr. Manja Schüle Waldemar Herdt Dr. Matthias Zimmer Arno Klare Ursula Schulte Lars Herrmann 15512 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

(A) Martin Hess Christine Aschenberg- Christian Sauter Amira Mohamed Ali (C) Dr. Heiko Heßenkemper Dugnus Frank Schäffler Niema Movassat Karsten Hilse Nicole Bauer Dr. Wieland Schinnenburg Norbert Müller (Potsdam) Nicole Höchst Jens Beeck Matthias Seestern-Pauly Zaklin Nastic Martin Hohmann Dr. Jens Brandenburg Frank Sitta Dr. Alexander S. Neu (Rhein-Neckar) Dr. Bruno Hollnagel Judith Skudelny Thomas Nord Mario Brandenburg Leif-Erik Holm (Südpfalz) Dr. Hermann Otto Solms Petra Pau Johannes Huber Dr. Marco Buschmann Bettina Stark-Watzinger Victor Perli Fabian Jacobi Karlheinz Busen Dr. Marie-Agnes Strack- Tobias Pflüger Zimmermann Dr. Marc Jongen Carl-Julius Cronenberg Ingrid Remmers Benjamin Strasser Jens Kestner Britta Katharina Dassler Martina Renner Linda Teuteberg Stefan Keuter Bijan Djir-Sarai Bernd Riexinger Michael Theurer Norbert Kleinwächter Christian Dürr Eva-Maria Schreiber Stephan Thomae Enrico Komning Hartmut Ebbing Dr. Petra Sitte Manfred Todtenhausen Jörn König Dr. Marcus Faber Helin Evrim Sommer Dr. Florian Toncar Kersten Steinke Steffen Kotré Daniel Föst Dr. Andrew Ullmann Friedrich Straetmanns Dr. Rainer Kraft Otto Fricke Johannes Vogel (Olpe) Dr. Kirsten Tackmann Rüdiger Lucassen Thomas Hacker Sandra Weeser Jessica Tatti Frank Magnitz Peter Heidt Nicole Westig Alexander Ulrich Jens Maier Katrin Helling-Plahr Katharina Willkomm Kathrin Vogler Dr. Lothar Maier Markus Herbrand Dr. Sahra Wagenknecht Dr. Birgit Malsack- Torsten Herbst Winkemann Andreas Wagner Katja Hessel DIE LINKE Corinna Miazga Harald Weinberg Dr. Gero Clemens Hocker Gökay Akbulut Andreas Mrosek Katrin Werner Manuel Höferlin Simone Barrientos Hansjörg Müller Hubertus Zdebel Reinhard Houben Dr. Dietmar Bartsch Christoph Neumann Pia Zimmermann Ulla Ihnen Lorenz Gösta Beutin Jan Ralf Nolte Sabine Zimmermann Olaf In der Beek Matthias W. Birkwald Ulrich Oehme (Zwickau) (B) Dr. Christian Jung Michel Brandt (D) Gerold Otten Karsten Klein Christine Buchholz Frank Pasemann BÜNDNIS 90/ Dr. Marcel Klinge Dr. Birke Bull-Bischoff Tobias Matthias Peterka DIE GRÜNEN Daniela Kluckert Jörg Cezanne Paul Viktor Podolay Lisa Badum Pascal Kober Fabio De Masi Jürgen Pohl Annalena Baerbock Dr. Lukas Köhler Dr. Diether Dehm Stephan Protschka Margarete Bause Carina Konrad Anke Domscheit-Berg Martin Reichardt Dr. Danyal Bayaz Wolfgang Kubicki Klaus Ernst Martin Erwin Renner Canan Bayram Konstantin Kuhle Susanne Ferschl Roman Johannes Reusch Dr. Franziska Brantner Alexander Kulitz Nicole Gohlke Ulrike Schielke-Ziesing Agnieszka Brugger Alexander Graf Lambsdorff Dr. Gregor Gysi Jörg Schneider Ekin Deligöz Ulrich Lechte Dr. André Hahn Uwe Schulz Katharina Dröge Christian Lindner Heike Hänsel Thomas Seitz Harald Ebner Michael Georg Link Matthias Höhn Martin Sichert (Heilbronn) Matthias Gastel Andrej Hunko Detlev Spangenberg Oliver Luksic Kai Gehring Ulla Jelpke Dr. Dirk Spaniel Till Mansmann Stefan Gelbhaar Kerstin Kassner René Springer Dr. Jürgen Martens Katrin Göring-Eckardt Dr. Achim Kessler Beatrix von Storch Christoph Meyer Erhard Grundl Katja Kipping Dr. Harald Weyel Alexander Müller Anja Hajduk Jan Korte Wolfgang Wiehle Roman Müller-Böhm Britta Haßelmann Jutta Krellmann Dr. Heiko Wildberg Frank Müller-Rosentritt Dr. Bettina Hoffmann Caren Lay Dr. Christian Wirth Dr. Martin Neumann Dr. Anton Hofreiter Sabine Leidig Uwe Witt (Lausitz) Ottmar von Holtz Hagen Reinhold Ralph Lenkert Dieter Janecek Bernd Reuther Michael Leutert Dr. Kirsten Kappert- FDP Dr. Stefan Ruppert Stefan Liebich Gonther Grigorios Aggelidis Dr. h. c. Thomas Dr. Gesine Lötzsch Uwe Kekeritz Renata Alt Sattelberger Thomas Lutze Katja Keul Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15513

(A) Sven-Christian Kindler Dr. Irene Mihalic Claudia Roth (Augsburg) Dr. Julia Verlinden (C) Maria Klein-Schmeink Claudia Müller Dr. Manuela Rottmann Sylvia Kotting-Uhl Beate Müller-Gemmeke Corinna Rüffer Daniela Wagner Oliver Krischer Dr. Ingrid Nestle Ulle Schauws Beate Walter-Rosenheimer Christian Kühn (Tübingen) Dr. Konstantin von Notz Stefan Schmidt Renate Künast Omid Nouripour Kordula Schulz-Asche Gerhard Zickenheiner Markus Kurth Friedrich Ostendorff Dr. Wolfgang Strengmann- Monika Lazar Cem Özdemir Kuhn Sven Lehmann Lisa Paus Margit Stumpp Fraktionslos Steffi Lemke Filiz Polat Markus Tressel Dr. Tobias Lindner Tabea Rößner Jürgen Trittin Mario Mieruch

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.

Anlage 7 Mich haben nun einige im Rahmen dieses Gesetzge- bungsverfahrens gefragt, wie schnell wir das schaffen Zu Protokoll gegebene Rede werden. Klar ist, das geht nicht über Nacht, gerade auch in dieser Arbeitsmarktsituation. Unser gemeinsames Ziel zur Beratung des von der Bundesregierung einge- ist es, diese Einrichtungen bis 2021 an den Start zu brin- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des gen; das ist sportlich, aber alle Anstrengungen wert – und Sozialen Entschädigungsrechts dazu muss auch die Bundesregierung ihren Beitrag leis- ten, indem sie eine Initiative startet, um die Qualifizie- (Tagesordnungspunkt 14) rung von Beschäftigten in Traumaambulanzen zu unter- stützen. Torbjörn Kartes (CDU/CSU): Am Ende dieser De- Wichtig ist bei dem Aufbau der Traumaambulanzen batte und zum Abschluss dieses Gesetzgebungsverfah- auch, dass wir den besonderen Bedarfen von Kindern rens möchte ich noch einmal deutlich machen: Wir regeln und Jugendlichen Rechnung tragen und im Rahmen der unser soziales Entschädigungsrecht umfassend neu. Das Umsetzung auch prüfen, ob es möglich ist, eigene An- (B) ist alles andere als ein kleines Gesetzgebungsverfahren, (D) laufstellen für Kinder und Jugendliche zu schaffen. als eine kleine Korrektur des bestehenden Systems. Das ist nicht ganz selbstverständlich, auch in der großen Ei- Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass wir im Zu- nigkeit, in der wir das hier gemeinsam gemacht haben, sammenhang mit diesem Gesetzgebungsverfahren nun aber es ist vor allem an der Zeit. Wir wissen, dass unsere auch Konsens darüber erzielen konnten, dass der Fonds aktuellen Regelungen in die Jahre gekommen sind und Sexueller Missbrauch dauerhaft fortgeführt werden soll. nicht mehr die richtigen Antworten geben können, gerade Aus dem Fonds erhalten Menschen Unterstützung, deren auf Ereignisse dieser Zeit, die wir mit aller Kraft zu ver- Bedürfnisse nicht durch das bestehende sozialrechtliche hindern versuchen, aber die nicht immer zu verhindern Hilfesystem gedeckt werden, auch nicht durch das neue sind. Opferentschädigungsrecht. Der Fonds ist und bleibt daher eine wichtige Ergänzung auch in Zukunft. Vor diesem Wir treten damit Menschen zur Seite, denen Unrecht, Hintergrund sollten wir nun dann auch die notwendigen Schmerz und Leid widerfahren ist. Wir wollen Menschen Strukturveränderungen auf den Weg bringen und durch in diesen unfassbar belastenden Situationen besser bei- geschultes Personal und schnellere Verfahren die derzei- stehen, ihnen bei der Bewältigung eines Traumas helfen tige Bearbeitungsdauer von 26 Monaten mindestens hal- und Schädigungsfolgen so gering wie möglich halten. bieren. Und deshalb ist es so wichtig, dass wir dieses Gesetzge- bungsverfahren heute zum Abschluss bringen. Entscheidend für den Erfolg des neuen Entschädi- gungsrechts wird aber sein, dass wir dafür überhaupt Ich möchte auf ganz wenige Punkte noch einmal kurz ein Bewusstsein schaffen. Polizistinnen und Polizisten, eingehen. Entscheidende Bedeutung im neuen sozialen Fachkräfte in der Seelsorge und im Rettungsdienst, Ärz- Entschädigungsrecht hat die flächendeckende Einrich- tinnen und Ärzte – sie alle müssen Kenntnis von den tung von Traumaambulanzen. Dort erhalten Betroffene neuen Möglichkeiten haben. Sie brauchen diese Informa- die so wichtige psychotherapeutische Akutversorgung. tionen, um den Betroffenen bestmöglich zur Seite zu ste- Diese Angebote werden nun zum ersten Mal gesetzlich hen. Deshalb müssen wir über eine verstärkte persönliche verankert und sollen als möglichst niederschwelliges An- Ansprache, über alle Kommunikationswege und auch gebot eingerichtet werden. Ich habe dazu schon in meiner über zielgerichtete Informationen durch die zuständigen ersten Rede hierzu gesagt: Wer in meinem Wahlkreis, in Stellen das neue Soziale Entschädigungsrecht bekannt Frankenthal oder in Ludwigshafen, zum Opfer wird, muss machen. heute nach Kaiserslautern oder Mainz fahren, um Akut- hilfe zu erhalten. Dieser Weg ist zu weit, und daher än- Es ist ein Signal an die Betroffenen: Wer Hilfe braucht, dern wir das nun. soll sie bekommen! 15514 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

(A) Anlage 8 Die Initiative für die Sicherheitszone in Nordsyrien (C) muss ein erster Baustein einer Strategiewende in der deut- Zu Protokoll gegebene Reden schen Sicherheitspolitik sein. Das Mehr an Verantwor- tung in der Welt haben wir uns oft gegenseitig verspro- zur Beratung des Antrags der Abgeordneten chen, aber passiert ist seither wenig. Alexander Graf Lambsdorff, Grigorios Aggelidis, Renata Alt, weiterer Abgeordneter und der Frak- Deswegen danke ich der Bundesministerin der Vertei- tion der FDP: Missbilligung von Äußerungen und digung Annegret Kramp-Karrenbauer, dass sie heute in Amtsführung des Bundesministers des Auswärti- ihrer Grundsatzrede an der Universität der Bundeswehr gen den richtigen Weg aufgezeigt hat: Wir haben strategische Interessen, die wir klar benennen müssen. Wir müssen (Zusatzpunkt 7) selbst Initiative ergreifen für unsere Sicherheit, wo not- wendig auch militärisch und robust. Wir müssen hand- Henning Otte (CDU/CSU): Zuerst möchte ich fest- lungsfähiger werden. halten: Vor uns liegt ein typischer FDP-Antrag. Noch Das bedeutet, wir müssen unsere Bundeswehr besser Ende Oktober haben Christian Lindner und Graf ausrüsten, aber wir müssen auch die Strukturen unserer Lambsdorff der Verteidigungsministerin für ihren Vor- Sicherheitsarchitektur für die heutigen Herausforderun- schlag, eine Schutzzone in Nordsyrien einzurichten, in gen anpassen. Und wir müssen bereit sein, mehr Geld der Presse Profilierungsversuche und Unprofessionalität für unsere Sicherheit in die Hand zu nehmen. 2 Prozent vorgeworfen. vom Bruttoinlandsprodukt für die Bundeswehr: Das ist Nun aber steht die FDP vor uns mit einem Antrag, der unsere Zukunftsinvestition für die Sicherheit künftiger den Außenminister für eine sehr ähnliche Meinungsäuße- Generationen. rung rügt. Zwei Wochen, drei Meinungen, nicht Fisch, Frau Ministerin, bei dieser Strategiewende für die Si- nicht Fleisch: So kennen wir die FDP. cherheit Deutschlands haben Sie unsere volle Unterstüt- Aber zum Inhalt: Die Verteidigungsministerin hat sich zung. Die Bürger haben einen Anspruch auf eine glaub- für eine Sicherheitszone unter UN-Mandat im Nordosten würdige Sicherheitsvorsorge durch den Staat. Dieses Syriens ausgesprochen. Und dann kommt der Außenmi- Vertrauen müssen wir den Menschen zurückgeben. Und nister und beschwert sich über die Art und Weise, wie er dafür stehen CDU und CSU. darüber in Kenntnis gesetzt worden ist. Nun folgt die FPD und beschwert sich über die Art und Weise, wie der Au- Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU): Es war ja ßenminister seine Kritik an der Verteidigungsministerin ausgiebig in den Medien: Nicht immer ist man in einer (B) kundgetan hat. Koalition einer Meinung. Das geschieht auch in der Au- (D) ßen- und Sicherheitspolitik. Hier haben Union und SPD Hier beschwert man sich wechselseitig über Formal- unterschiedliche Traditionen und Schwerpunkte, sie sind itäten, anstatt über Inhalte zu sprechen. Und damit ist sich aber gemeinsam ihrer Verantwortung bewusst. schon das ganze Drama der deutschen Sicherheitspolitik umrissen. Richtig ist doch, dass Deutschland viel mehr Die Frage einer Schutzzone in Nordsyrien wurde viel für seine eigene Sicherheit tun muss. diskutiert. Der Vorschlag kam von der Bundesministerin der Verteidigung, Annegret Kramp-Karrenbauer. Es geht hier doch nicht um die verletzten Eitelkeiten einzelner Politiker. Es geht um die Sicherheit unserer Da war zu hören, dies sei kein realistischer Vorschlag. Bürgerinnen und Bürger, und es geht um die Stabilität Dem ist grundsätzlich zu widersprechen. Bei Politik geht einer direkten Nachbarregion Europas. es nicht darum, die Machtlosigkeit zu managen. Es geht darum, Lösungen für Probleme zu entwickeln und anzu- Alles, was in Syrien passiert, wirkt sich hier in unserer gehen. Heimat aus: durch Flüchtlinge, die vor Gewalt fliehen, durch den Export von Terrorismus und durch humanitäres In Syrien haben die Europäer, haben wir Deutschen zu Leid, mit dem wir konfrontiert sind. lange zugesehen und nichts getan. Dass die Türkei nun Fakten nach ihren Vorstellungen schafft, ist ein Ergebnis Darauf müssen wir Antworten finden, das ist Teil un- dieser Tatenlosigkeit. Wir sollten aber gegenüber der tür- serer Verantwortung, meine Damen und Herren. Deswe- kischen Regierung nicht den Eindruck erwecken, dass wir gen ist es richtig, dass unsere Bundesministerin der Ver- uns sofort wieder aus der weiteren Entwicklung heraus- teidigung sich zu dieser Verantwortung bekennt und die nehmen. Initiative ergreift – insbesondere vor dem Hintergrund einer vollkommen uninspirierten Außenpolitik. Am 9. November begehen wir den 30. Jahrestag des Falls der Berliner Mauer. Bis dies möglich wurde, bedurf- Die Ziele sind klar: Die Türkei muss sich aus den von te es aktiver deutscher Außenpolitik. Diese Aktivität ba- ihr besetzten Gebieten zurückziehen. Wir müssen Flücht- sierte auf einer klaren konzeptionellen Vorstellung, was lingen die Rückkehr in ihre Heimat ermöglichen. Und wir man für Europa und was man für Deutschland wollte. müssen ein Wiedererstarken der Terrororganisation „Isla- mischer Staat“ verhindern. Zu solchen gemeinsamen Konzeptionen für die Fragen von heute muss die Bundesregierung in der Außen- und Dafür brauchen wir eine Mission auf UN-Ebene unter Sicherheitspolitik insgesamt wieder kommen. Das bedarf Beteiligung der Türkei und Russlands. Das ist ein wichti- keiner Kommentierungen aus dem Ausland oder im Aus- ges Ziel der deutschen Sicherheitspolitik. land, sondern gemeinsamer Arbeit in Berlin und Brüssel. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15515

(A) Dass die FDP nun das Vorgehen des Bundesaußenmi- ses Vorgehen zum Gegenstand Ihres Antrags gemacht (C) nisters vom Bundestag missbilligen lassen will, ist ein hätten. nettes Oppositionsgeplänkel, das zu nichts führt. Seien Sie sicher: Diese Bundesregierung macht das unter sich Der außenpolitische Vorschlag zur Einrichtung einer aus und führt dann das Land in großem Verantwortungs- internationalen Sicherheitszone ist mittlerweile von den bewusstsein. neuen Realitäten am Boden, die vor allem Russland und die Türkei geschaffen haben, eingeholt worden. Deshalb Ich wäre mehr daran interessiert, zu hören, wo die FDP will ich keine Zeit mehr auf die Kritik daran verschwen- an die große Zeit ihrer Außenminister anknüpfen will und den. Auch ist über die Art und Weise, wie der Vorschlag zu den Vorschlägen der Bundesministerin der Verteidi- gemacht wurde, in den letzten Tagen genug geschrieben gung und des Bundesministers des Auswärtigen ihre Po- und gesagt worden. sitionen vorträgt. Anstatt uns mit solchen Debatten aufzuhalten, sollten wir uns darum bemühen, Antworten auf die Frage zu Dr. Nils Schmid (SPD): Ihre Forderung, dass der finden, wie wir jetzt schnellstmöglich politische Lösun- Deutsche Bundestag die Äußerungen und die Amtsfüh- gen für den Konflikt in Syrien erreichen können. Außen- rung des Außenministers Heiko Maas missbilligen soll, minister Heiko Maas arbeitet unermüdlich an konkreter weise ich entschieden zurück. Die Äußerungen des Bun- Hilfe für die Menschen in Syrien. desaußenministers während seiner Pressekonferenz in Ankara, die er zusammen mit seinem türkischen Amts- Die nächsten Schritte zur Stabilisierung der Lage in kollegen abgehalten hat, dafür als Begründung heranzu- Syrien müssen unter dem Mantel der Vereinten Nationen ziehen, ist mehr als fragwürdig. Als Reaktion auf eine stattfinden. Es war deshalb wichtig, dass das syrische Pressefrage hatte der Außenminister zu den Vorschlägen Verfassungskomitee am 30. Oktober nach langer Vorar- der deutschen Verteidigungsministerin, eine internationa- beit nun zum ersten Mal zusammengekommen ist. Das ist le Sicherheitszone in Nordsyrien zu etablieren, Stellung auch ein Verdienst der deutschen Diplomatie, die diesen genommen, und zwar exakt auf derselben Linie, wie er Prozess von Beginn an unterstützt hat. Das ist der richtige das auch schon zuvor in Deutschland getan hatte. Weg, den wir weitergehen müssen. Seine Äußerungen und sein Verhalten – so steht es in Darüber hinaus werden wir auch in unserem humanitä- Ihrem Antrag geschrieben – seien geeignet, dem Ansehen ren Engagement für die Menschen in Syrien nicht nach- und den Interessen der Bundesrepublik Deutschland zu lassen. Ich bin zuversichtlich, dass sich dies auch in dem schaden. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, demnächst vom Deutschen Bundestag zu verabschieden- ich will ganz klar sagen: Nicht das Gesagte und Getane den Bundeshaushalt für 2020 widerspiegeln wird. (B) des Ministers ist es, das geeignet ist, Schaden zu erzeu- (D) gen, nein, Schaden entsteht durch das Geschriebene in Ihrem Antrag, und zwar Schaden für das Ansehen der FDP. Mit Blick auf die großen liberalen Außenpolitiker – Anlage 9 wie etwa Walter Scheel oder Hans-Dietrich Genscher – erscheint Ihr heutiger Vorstoß doch etwas sehr kleingeis- Zu Protokoll gegebene Reden tig. zur Beratung des von der Bundesregierung einge- Unhaltbar ist außerdem die Behauptung, dass der Bun- brachten Entwurfs eines Gesetzes für bessere und desaußenminister, weil er seine Kritik an dem Vorschlag unabhängigere Prüfungen (MDK-Reformgesetz) der Verteidigungsministerin an der Seite des Außenminis- ters und auf dem Staatsgebiet der Republik Türkei vorge- (Tagesordnungspunkt 12) tragen hat, den Eindruck erweckt habe, dass Außenminis- ter Maas die völkerrechtswidrige Errichtung einer Lothar Riebsamen (CDU/CSU): „Zehntausende Kla- Sicherheitszone durch die Republik Türkei billige. Wie- gen im Jahr von Krankenkassen gegen Kliniken wegen derholt hat der Außenminister – genauso wie die SPD- sogenannter Falschabrechnungen“, „Krankenkassen leh- Bundestagsfraktion – scharf das Vorgehen der Türkei in nen massenhaft Leistungen ab“ – mit solchen oder ähn- Nordsyrien kritisiert, und das wissen Sie auch. lichen Negativschlagzeilen geraten die Prüfungen des MDK, also des Medizinischen Dienstes der Krankenkas- Darüber hinaus verwundert Ihr Antrag doch sehr, da sen, insgesamt unter Beschuss, und das schon seit Jahren. Sie selbst mit der inhaltlichen Kritik des Außenministers übereinstimmen; darauf lassen zumindest die Äußerun- Klar ist, dass im Kranken- und Pflegeversicherungs- gen Ihres stellvertretenden Vorsitzenden, Alexander Graf system in unserem Land der Markt nur eine einge- Lambsdorff, schließen. Oder wie sollen wir die Aussagen schränkte Rolle spielen kann, Qualität dagegen eine he- von ihm gegenüber der Presse interpretieren, dass es rausragende Rolle spielen muss, weil es eben um besser gewesen wäre, wenn – ich zitiere – „Kramp-Kar- Patientinnen und Patienten und um pflegebedürftige renbauer einen professionellen Vorschlag gemacht hätte, Menschen geht. der rechtlich und politisch umsetzbar wäre“? Es braucht aus diesem Grund eine Instanz, auf die alle Ihre Fraktion und andere Teile der Opposition haben vertrauen können: diejenigen, die die Leistungen erbrin- die Umstände der Veröffentlichung des Vorschlags kriti- gen, ebenso wie diejenigen, die sie in Anspruch nehmen siert. Das ist Ihr gutes Recht. Deshalb wäre es vielleicht müssen und bezahlen. Dieses Vertrauen hat gelitten, und die konsequentere Entscheidung gewesen, wenn Sie die- dies hat im Wesentlichen zwei Gründe: 15516 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

(A) Erstens. Es handelt sich um den Medizinischen Dienst ist, muss es darum gehen, Pflege zu entlasten und mehr (C) der Krankenkassen, und zwar exklusiv der Krankenkas- Innovation und Effizienz zu generieren. Auch hier macht sen, die natürlich ein Interesse daran haben, Geld zu das Gesetz einen wichtigen Schritt hin zu einer zukunfts- sparen, und dabei zu wenig auf die Notwendigkeit von fähigen Pflege in unseren Krankenhäusern. Leistungen achten; zumindest wird dies unterstellt. Zwei- Wir beschließen heute ein Gesetz, das nicht nur die tens ist dies der Abrechnungswahnsinn zwischen den Grundsätze der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversi- Krankenhäusern und der gesetzlichen Krankenversiche- cherung und der Leistungserbringer berührt, sondern die- rung. ses System, das eines der besten in der Welt ist, auch noch Genau an diesen zwei wichtigen Punkten setzt das neue besser macht. Aus diesem Grund danke ich Minister MDK-Reformgesetz an. Es geht darum, Vertrauen wie- Spahn, aber auch allen Kolleginnen und Kollegen – auch derherzustellen. Der Schlüssel dazu ist, den Medizin- der SPD-Fraktion –, die konstruktiv an diesem Gesetz ischen Dienst rechtlich auf eigene Beine zu stellen. Es gearbeitet haben. Es handelt sich um eine gute und beach- soll sich eben nicht mehr um den Medizinischen Dienst tliche Weiterentwicklung für die Patientinnen und Patien- der Krankenkassen handeln, sondern es geht darum, eine ten in unserem Land! unabhängige Instanz zu schaffen, und dies gelingt mit diesem Gesetz. Emmi Zeulner (CDU/CSU): „Wir hören zu“ ist für mich keine leere Floskel. „Wir hören zu“ bedeutet für Der zweite wichtige Punkt ist, Ordnung in die Prüfung mich als Politikerin, dass ich die vielen Gespräche mit der Krankenhausabrechnungen hineinzubringen. Dabei den Menschen in meiner Heimat und darüber hinaus sehr ist festzustellen – und dies ist auch ein Ergebnis der öf- ernst nehme. Die Aufgabe der Politik ist meiner Ansicht fentlichen Anhörung –, dass es immer wieder um diesel- nach dann, die berechtigten Bedenken zu nehmen und ben Streitfragen zwischen Krankenhäusern und MDK daraus einen politischen Willen zu formen und so über geht. Am häufigsten handelt es sich um die Frage, ob Gesetze wirkliche Verbesserungen für die Menschen zu ein Fall überhaupt ins Krankenhaus gehört oder dieser schaffen. nicht hätte ambulant behandelt werden können. Das Ge- setz sieht an dieser Stelle vor, dass sich Krankenhäuser Ein Thema, das im Gesundheitsbereich immer wieder und Krankenkassen zusammensetzen, um einen noch auftaucht, ist die Unzufriedenheit mit der gefühlt fehlen- aussagefähigeren Katalog zu erstellen, der regelt, welche den Objektivität der Entscheidungen des MDKs. Und ja, Leistungen ambulant und welche stationär zu erbringen wenn man es nüchtern von außen betrachtet, ist der bis- sind. Dies alleine wird jedoch noch nicht reichen. Des- herige MDK als Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassen wegen wird ein Schiedsausschuss gegründet, der sich mit ausgestaltet. Ohne einen Generalverdacht aussprechen zu (B) allen grundsätzlichen Fragen beschäftigt, die immer wie- wollen, ist eine Objektivität schwer zu erklären, wenn (D) der zwischen Krankenkassen und Krankenhäusern offen derjenige, der zahlt, auch das Prüfgeschehen mit be- sind. Mit dieser grundsätzlichen Befassung – von der Ver- herrscht. weildauer bis zur korrekten Codierung – soll ein erhebli- Auch deswegen haben wir als CSU für die Unabhän- cher Teil der Streitfragen ein für alle Mal geklärt werden. gigkeit der Medizinischen Dienste im Koalitionsvertrag Allein die schiere Menge der Prüfungen führt dazu, gekämpft. Mit dem MDK-Reformgesetz haben wir ein dass Ressourcen in den Krankenhäusern, aber auch beim wirklich gutes und rundes Paket geschnürt, das auf der Medizinischen Dienst bis hin zu den Sozialgerichten in einen Seite für mehr Transparenz und vor allem Unab- nicht mehr vertretbarer Weise gebunden werden. Deswe- hängigkeit der Medizinischen Dienste steht und auf der gen kommt es darauf an, Prüfquoten zielgenauer festzu- anderen Seite die Problematik der Krankenhausabrech- legen. Zielgenau heißt, dass diejenigen Krankenhäuser, nungen gezielt angeht. So schaffen wir Vertrauen durch die weniger auffällig sind, ab dem Jahr 2021 deutlich Transparenz. weniger geprüft werden, nämlich nur noch bis zu 5 Pro- Der erste große Teil des Pakets betrifft die Neugestal- zent der Fälle pro Quartal, bis zu einer Spannbreite von tung der Medizinischen Dienste. 15 Prozent der Fälle in den Krankenhäusern, die beson- ders auffällig sind. Grundlage wird das Jahr 2020 sein, in Erstens. Wir schaffen Unabhängigkeit gegenüber den dem pro Quartal bis zu 12,5 Prozent der Fälle geprüft Krankenkassen: Die Medizinischen Dienste sind keine werden können. Dies bedeutet unter dem Strich eine Re- Arbeitsgemeinschaften der Krankenkassen mehr, son- duzierung der Prüfquote bei größerer Zielgenauigkeit. dern werden als Körperschaften des öffentlichen Rechts Auch Verrechnungen bei umstrittenen Abrechnungen auf neue eigenständige Beine gestellt. können nur noch dann vorgenommen werden, wenn der Fall rechtlich geklärt ist. Zweitens. Wir brechen alte und teilweise verkrustete Strukturen auf, indem wir den Verwaltungsrat neu gestal- Ein anderer wichtiger Punkt, der im Gesetz geregelt ist, ten: Statt der ursprünglich vorgesehenen Unvereinbarkeit betrifft nicht den Medizinischen Dienst, sondern es geht des Ehrenamtes im Verwaltungsrat eines MD mit dem hierbei um eine Verbesserung gegenüber dem Pflegeper- Ehrenamt im Verwaltungsrat einer Kasse begrenzen wir sonal-Stärkungsgesetz. Dort haben wir geregelt, dass nun die Anzahl solcher Ehrenämter auf maximal zwei Krankenhäuser für pflegeentlastende Maßnahmen 3 Pro- Stück. So verhindern wir eine Ämterhäufung. Darüber zent des Pflegebudgets zusätzlich einsetzen können, um hinaus begrenzen wir auch die zulässigen Amtsperioden die Pflege zu entlasten. Mit diesem Gesetz erhöhen wir im Verwaltungsrat eines MD auf maximal zwei Amtszei- diesen Betrag auf 4 Prozent des Pflegebudgets. Gerade in ten und schaffen so einen guten und gesunden Durchlauf einer Zeit, in der Pflegepersonal ein extrem knappes Gut der Verwaltungsräte. Und zukünftig werden auch Patien- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15517

(A) tenvertreter, Pflegeberufe und Ärztevertreter in diesen Im Kernbereich geht es um den Medizinischen Dienst (C) Gremien vertreten sein. der Krankenkassen, der zu einem unabhängigen Medizin- ischen Dienst in Form einer Körperschaft des öffentlichen Drittens. Wir schaffen mehr Transparenz: Durch die Rechts umgewandelt werden soll. Die Argumentation der Einführung einer Ombudsperson bei den Medizinischen Kassen war immer, dass diese Unabhängigkeit bereits Diensten können problematische Strukturen gezielt auf- jetzt gegeben sei und es deshalb dieses Manövers nicht gedeckt und angegangen werden. Deren jährlicher Be- bedarf. Das ist insofern ein etwas schwaches Argument, richt wird veröffentlicht, und auch ich werde hier ganz weil es dann ja auch nicht problematisch ist, die Unab- genau hinschauen, wo sich Probleme auftun. Mehr Trans- hängigkeit auch in der Rechtsform zum Tragen zu brin- parenz bedeutet für mich auch mehr Verantwortung. gen. Folglich war denn auch der Widerstand der Kassen Selbstverständlich müssen wir dann vonseiten der Politik gegen den Teil der Reform nicht sehr stark. auch kurzfristig nachjustieren, wenn sich Probleme zei- gen. Allerdings wurde dies von Minister Spahn erneut ver- bunden mit einem Generalangriff auf die soziale Selbst- Viertens. Wir schaffen auch für den einzelnen Versi- verwaltung, die im ursprünglichen Referentenentwurf cherten mehr Transparenz: Künftig müssen die Ergebnis- nahezu vollständig ersetzt werden sollte. Diese fortge- se und die wesentlichen Gründe eines Bescheides, der auf setzten Angriffe auf die soziale Selbstverwaltung haben Grundlage eines Gutachtens des MD erlassen wurde, in ja inzwischen Methode. Und diese Methode scheint darin verständlicher Form mitgeteilt werden. Das hilft ganz zu bestehen, zunächst sehr weitgehende Änderungen vor- konkret bei dem Verständnis einer Entscheidung und zusehen, die dann in mühsamen Verhandlungen zwischen macht diese für jeden Einzelnen transparent. den Koalitionspartnern durch die SPD wieder abgemil- Fünftens. Wir stärken die Frauen: Bei der Listenauf- dert werden müssen (dafür an dieser Stelle unseren auf- stellung für die Wahl der Verwaltungsräte der Kranken- richtigen Dank), aber eben die Beschädigung der sozialen kassen führen wir eine Quote von 40 Prozent ein, um eine Selbstverwaltung nicht vollständig verhindern können. angemessene Repräsentanz von Frauen und Männern zu Aber es sei an dieser Stelle noch mal deutlich gesagt: erreichen. Die soziale Selbstverwaltung ist eine historische Errun- genschaft jener, die die ganze Veranstaltung „Gesund- Der zweite große Teil des Pakets betrifft die Kranken- heitswesen“ mit ihren Beiträgen finanzieren und am Lau- häuser. Lassen Sie mich hier aufgrund der Zeit nur ein fen halten. Diese zu suspendieren oder zu beschädigen, ist paar einzelne Punkte nennen: ein Angriff auf demokratische Rechte und auch ein Teil Erstens. Wir werden im nächsten Jahr die größte Re- der fortgesetzten Enteignung der Beitragszahler, die zwar finanzieren sollen, aber immer weniger mitreden sollen, (B) form der Finanzierung der Pflege in den Krankenhäusern (D) erleben. Durch die Herausnahme der Pflegekosten aus wie und für was ihr Geld im Gesundheitswesen ausge- den Fallpauschalen legen wir einen Schutzschirm über geben wird. das Geld, was der Pflege am Bett zusteht. Es kann also Nun ist im Kern die soziale Selbstverwaltung im MD zukünftig nichts mehr für fremde Leistungen zum Nach- erhalten geblieben. Die Einschränkungen hinsichtlich der teil der Pflege weggeleitet werden. Unsere Idee war dabei Amtszeit und der Ämterzahl sind hinnehmbar. Die zu- nie, Leiharbeit und ihre dazugehörigen Vermittlungskos- sätzliche Vertretung von Patientenorganisationen muss ten zu refinanzieren. Deshalb ist es richtig, dass wir nur erprobt werden, kann aber eine wichtige Perspektive bis zur Höhe der tarifvertraglichen Vergütung eine Erstat- mit in die Verwaltungsräte hineinbringen, wird also von tung ermöglichen. uns positiv gesehen. Die Hineinnahme der Leistungser- Zweitens. Wir erhöhen den Umfang pflegeentlastender bringerseite durch je einen Vertreter der Ärzte und der Maßnahmen von 3 auf 4 Prozent. Somit gehört es hoffent- Pflege (allerdings nur beratend und ohne Stimmrecht) lich bald der Vergangenheit an, dass Pflegekräfte auf die halten wir für einen systematischen Bruch mit dem Prin- dringend notwendigen Hilfsmittel, wie beispielsweise zip der sozialen Selbstverwaltung und lehnen dies daher Aufstehhilfen für Patienten, verzichten müssen. ab. Drittens. Und wir durchbrechen eine ganz entscheiden- Ein weiterer Teil beschäftigt sich mit den Krankenhau- de Spirale im Zusammenspiel der Kassen und der Kran- sabrechnungen. Hier haben wir in den letzten Jahren unter kenhäuser: Denn überspitzt gesagt gewinnt man den den Bedingungen einer Finanzierung durch diagnose- Eindruck, dass zwischen den Beteiligten eine Art Gentle- orientierte Fallpauschalen eine regelrechte wechselseiti- manʼs Agreement besteht. Die eine Seite kodiert nach ge Aufrüstung von MDK und Krankenhäusern erlebt, der oben, und die andere Seite holt sich zurück, so viel es in einen „Abrechnungskrieg“ ausgeartet ist. Immer häufi- geht. Dieses gegenseitige Wettrüsten macht keinen Sinn. ger wurden damit die Sozialgerichte beschäftigt, zuletzt Und hier geben die Prüfquoten genau die richtige Ant- in einer regelrechten Klageflut gegen Ende des letzten wort. Jahres. Die im Gesetz vorgesehenen Regelungen sollen diese Auseinandersetzungen befrieden und das Prüfwe- Kurz gefasst: Je korrekter abgerechnet wird, desto we- sen des künftigen MD einschränken und auf die Kranken- niger wird kontrolliert. Das Paket stimmt also. häuser konzentrieren, die auffällig häufig Abrechnungs- fehler machen. Wir teilen das Ziel, das hier angestrebt Harald Weinberg (DIE LINKE): Das heute zur Ab- wird, sind jedoch sehr skeptisch, ob diese schlichte Be- stimmung stehende Gesetz ist ein Zwitter, so wie viele der grenzung der Abrechnungsprüfungen dafür geeignet ist. Gesetze aus dem Hause von Minister Spahn. Das DRG-System ist ein hochkomplexes System, das mit 15518 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

(A) jedem Jahr noch an Komplexität gewinnt und daher stän- Die Prüfquotenregelung wird voraussichtlich dazu füh- (C) dig neue Auslegungsfragen und damit Streitfragen über ren, dass beide Seiten, Krankenhäuser wie Krankenkas- berechtigte oder unberechtigte Abrechnungen produziert. sen, erneut aufrüsten werden, um algorithmengestützt Die vorgesehene Quotenregelung bei den Prüfungen än- weiterhin das Optimale für sich herauszuholen. Bei den dert an dem Grundproblem dieser Finanzierungssystema- auffälligen Abrechnungen geht es nicht in erster Linie um tik nichts und ist wieder nur eine weitere Reaktion auf die fehlerhafte Abrechnungen, sondern um Leistungen, die Fehlanreize, die diese Finanzierungsform systematisch zumeist erbracht wurden, aber nach den Maßstäben der generiert. Es gibt inzwischen einen breiten Konsens darü- Krankenkassen nicht hätten erbracht werden dürfen. Da- ber, dass dieses Finanzierungssystem über DRGs drin- zu gehören die primäre und sekundäre Fehlbelegung oder gend auf den Prüfstand gehört. Auch die bisherige Praxis, Leistungen, die auch ambulant hätten erbracht werden dass die Kassen ihre Forderungen aus den MDK-Prüfun- können. Es ist jedoch für Krankenhäuser nicht immer gen einfach mit anderen Rechnungen der Krankenhäuser möglich, streng nach dieser Finanzierungslogik zu han- verrechnen, soll eingeschränkt werden. Das ist an sich ein deln. Zur sekundären Fehlbelegung kann es zum Beispiel richtiger Schritt. Nun wird die Einschränkung aber erst ganz leicht kommen, wenn keine Anschlussbehandlung zum 1. Januar 2020 wirksam. Es braucht keine hellseheri- oder ein Kurzzeitpflegeplatz zur Verfügung stehen. schen Fähigkeiten, hier vorauszusagen, dass die Kassen diese Verrechnungspraxis bis dahin noch einmal richtig Darum ist es gut, dass mit den Strukturprüfungen und hochfahren werden. Das wird das eine oder andere ohne- dem Katalog für ambulantes Operieren im Gesetz ein hin finanzklamme Krankenhaus noch einmal so richtig in paar Maßnahmen getroffen werden, die den Druck von eine schwierige Liquiditätssituation bringen, wobei Insol- den Einzelfallprüfungen nehmen. Doch das Problem der venzen dann nicht ausgeschlossen sind. Ein handwerkli- fehlenden Anschlussbetreuung bleibt ungelöst. Es darf cher Fehler mit womöglich fatalen Folgen. nicht sein, dass Krankenhäuser in solchen Fällen auf den Pflegekosten sitzen bleiben und in Zukunft dafür Insgesamt also einige gute Ansätze, aber auch viel auch noch Sanktionen hinnehmen müssen. Problematisches oder Inkonsequentes oder handwerklich Bedenkliches. Daher können wir sicher nicht zustimmen Über die Einführung einer Geschlechterquote für die und werden uns enthalten. Verwaltungsräte der Krankenkassen freuen wir uns. Wir fragen uns allerdings, warum die Koalition dann unseren Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Antrag, auch für die Kassenvorstände eine Frauenquote NEN): Wir Grüne begrüßen das zentrale Element des einzuführen, abgelehnt hat. Hier bleibt weiterhin viel zu MDK-Reformgesetzes, nämlich die Neuorganisation der tun. Medizinischen Dienste als eigenständige öffentlich- (B) Hinter dem Änderungsantrag zur Vereinfachung des (D) rechtliche Einrichtung, getragen durch Gremien der Kassenwechsels steckt reine Preislogik: Adressiert wer- Selbstverwaltung. Der MDK wird von Versicherten häu- den die gesunden, preisbewussten Versicherten und nicht fig als verlängerter Arm der Kassen wahrgenommen. diejenigen, die auf gute Versorgung angewiesen sind. Das Allein deshalb war die organisatorische Entflechtung belohnt die billigste Kasse und nicht die, die sich für ihre überfällig. Auch dass die Patientenvertreter und Patien- Versicherten ins Zeug legt. Wir wollen, dass Versicherte tenvertreterinnen mehr Einfluss im Verwaltungsrat be- erkennen können, welche Kasse sich wie für Service und kommen, begrüßen wir ausdrücklich. Versorgung engagiert. Dazu haben wir bereits einen An- Wir bedauern es jedoch, dass keine weiteren Schritte trag vorgelegt, den wir zusammen mit dem Faire-Kassen- unternommen werden, um das Gutachterwesen transpa- wettbewerb-Gesetz beraten werden. renter und versichertengerechter auszugestalten. Ein ers- Transparenz und Qualität, Anreize für gute, bedarfsge- ter Schritt für mehr Transparenz wäre es, den Versicher- rechte Versorgung sollten auch bei einer Reform der Me- ten bei Ablehnung einer Leistung das Gutachten regelhaft dizinischen Dienste maßgeblich sein; denn hier geht es auszuhändigen. Sie hätten es dann auch direkt zur Hand, unmittelbar um Vertrauen. wenn sie Widerspruch gegen einen Bescheid einlegen oder klagen wollen. Heute geht in diesen Fällen wertvolle Fazit: Richtige Themen angepackt, aber halbherzige Zeit durch die Forderung zur Akteneinsicht verloren. Lei- oder unzulängliche Lösungen. Deshalb wird meine Frak- der soll den Versicherten künftig nur der Inhalt des Gut- tion sich enthalten. achtens mitgeteilt werden. Das ist nicht nachvollziehbar. In der Pflege wird das Gutachten regelhaft an die Ver- sicherten geschickt. Dort sind auch die Kriterien zur Leis- tungsgewährung klarer. Entsprechend ist das Ansehen Anlage 10 des Medizinischen Dienstes in der Pflege grundsätzlich besser. Zu Protokoll gegebene Reden Mit den Prüfungen von Krankenhausrechnungen ad- zur Beratung ressiert das Gesetz ein schon länger währendes Problem, das auf allen Seiten viel Geld und Ressourcen verschlingt, a) des Antrags der Abgeordneten Sevim Dağdelen, zu gegenseitigem Misstrauen und rufschädigenden De- Kathrin Vogler, Heike Hänsel, weiterer Abge- batten führt und zudem einen Gutteil der Gutachter der ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Frie- Medizinischen Dienste blockiert, die dann für andere densprozesse in Syrien fördern, Völkerrecht Aufgaben nicht zur Verfügung stehen. wiederherstellen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15519

(A) b) des Antrags der Abgeordneten Waldemar Mandatierung. Und erst wenn viertens diese Schritte er- (C) Herdt, Armin-Paulus Hampel, Dr. Roland folgt sind, stellt sich die Frage nach der operativen Pla- Hartwig, weiterer Abgeordneter und der Frak- nung durch die Aufstellung einer Mission. tion der AfD: Für eine neue Syrienpolitik – Frie- den sichern, Wiederaufbau fördern Lassen Sie mich festhalten: Der Vorschlag der Minis- terin ist international auf großes Interesse gestoßen und c) der Beschlussempfehlung und des Berichts des hat Dynamik in die Debatte um ein stärkeres deutsches Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der und europäisches Engagement gebracht, das unseren Abgeordneten Heike Hänsel, Sevim Dağdelen, Werten, Interessen, aber auch unserer Verantwortung in Dr. Alexander S. Neu, weiterer Abgeordneter der Welt entspricht. Es hätte auch dem Außenminister gut und der Fraktion DIE LINKE: Militärische An- angestanden, sich konstruktiv an dieser Debatte zu betei- griffe von den USA und der Türkei auf Syrien ligen, statt durch missglückte Auftritte von seiner eigenen als völkerrechtswidrig verurteilen Untätigkeit abzulenken. d) der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und humani- Drittens. Die türkisch-russischen Vereinbarungen von täre Hilfe zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Sotschi machen die Umsetzung des Vorschlags nicht un- Gehring, Katja Keul, Agnieszka Brugger, bedingt einfacher. Gleichwohl ist zu bezweifeln, ob diese weiterer Abgeordneter und der Fraktion Absprachen nachhaltig zu Befriedung und Stabilisierung BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Syrien – Beweise in Syrien führen werden. Deutschland und die EU werden sichern, Völkerstraftaten ahnden hier also mögliche Akteure bleiben und müssen sich als solche weiter einbringen. e) der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Um im Konflikt der Türkei mit PKK und YPG, aber Abgeordneten Agnieszka Brugger, Omid auch im Konflikt in Syrien einen konstruktiven und wirk- Nouripour, Katja Keul, weiterer Abgeordneter samen Beitrag zu leisten, muss unsere Strategie daher drei und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aspekten Rechnung tragen: Jeder denkbare Lösungsan- Völkerrecht in Syrien hochhalten – Eskalation satz muss erstens die legitimen Sicherheitsinteressen un- verhindern und den politischen Prozess voran- seres NATO-Partners mitberücksichtigen. Es war doch treiben gerade der Fehler der US-Außenpolitik, die militärische f) der Beschlussempfehlung und des Berichts des Unterstützung für die YPG nicht in einen politischen Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Rahmen einzubetten, der die spezifische türkische Bedro- (B) Abgeordneten Agnieszka Brugger, Claudia hungswahrnehmung ernst nimmt. Zweitens müssen Mög- (D) Roth (Augsburg), Cem Özdemir, weiterer Ab- lichkeiten zur freiwilligen Rückkehr von Flüchtlingen aus geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE der Region nach den Grundsätzen und Standards des GRÜNEN: Militäroffensive der Türkei in aller UNHCR geschaffen werden. Dabei ist für uns klar, dass Schärfe als völkerrechtswidrig verurteilen und es keine Wiederaufbaufinanzierung der EU für erzwun- klare Konsequenzen ziehen gene Umsiedlungen geben kann. Ebenso muss drittens Sicherheit für die kurdische Minderheit in Syrien gewähr- (Tagesordnungspunkt 17) leistet sein. Dies schließt auch Möglichkeiten und Struk- turen regionaler Autonomie und politischer Selbstverwal- Dr. Andreas Nick (CDU/CSU): Erstens. Bereits am tung mit ein. 16. Oktober haben wir in einer Aktuellen Stunde in die- sem Hause festgestellt, dass die Militäroffensive der Tür- Viertens. Wenig zielgerichtete Sanktionen, so wie sie kei mit dem Völkerrecht nicht vereinbar ist. Entsprechend der hier vorliegende Antrag der Grünen vorschlägt, wären richtig ist es deshalb, dass das türkische Vorgehen sowohl dabei kontraproduktiv; denn sie würden die wirtschaftlich durch die Bundesregierung als auch hier im Bundestag angespannte Lage in der Türkei verschärfen und sehen- einhellig kritisiert worden ist. Es reicht aber nicht aus, es den Auges weitere ökonomische Einflussmöglichkeiten dabei zu belassen. Wir müssen uns über die berechtigte für Russland und China schaffen. Das dient weder unse- Kritik hinaus auch für die Entwicklung von Konfliktlö- ren strategischen Interessen noch denen der Türkei. Die sungen einsetzen. Türkei ist durch ihre Mitgliedschaft im Europarat und der Zweitens. Verteidigungsministerin Annegret Kramp- NATO nach wie vor fest in westlichen Institutionen ver- Karrenbauer hat dazu in den vergangenen Wochen den ankert. Vorschlag für eine international überwachte Schutzzone in die Diskussion eingebracht. Es handelt sich dabei zu- Fünftens. Und dies bietet einen wichtigen Rahmen für nächst und zuallererst um eine politisch-diplomatische einen kontroversen, aber konstruktiven Dialog: Ich selbst Initiative und nicht vordergründig um eine militärische. habe heute Abend den neuen Oberbürgermeister von Is- tanbul getroffen. Kommende Woche ist eine überfraktio- Denn ein solches Vorgehen muss vier Schritte mitei- nelle Delegation der Großen Nationalversammlung der nander verbinden: erstens die intensive Abstimmung mit Türkei in Berlin zu Gast. Statt Megafon-Diplomatie zu unseren Freunden und Partnern in EU und NATO, zwei- betreiben, sollten wir Parlamentarier auch diese Kanäle tens eine Einbindung der im Konflikt beteiligten Akteure nutzen, um im Dialog mit der Türkei nicht nur klare Po- Türkei und Russland, drittens eine Befassung des Sicher- sitionen zu vertreten, sondern auch tragfähige Lösungs- heitsrates der Vereinten Nationen mit dem Ziel einer ansätze zu diskutieren. 15520 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

(A) Aydan Özoğuz (SPD): Vor drei Wochen haben wir sammensetzen, haben sich der furchtbarsten Massaker an (C) hier im Plenum über die Militäroffensive der Türkei ge- der kurdischen Zivilbevölkerung auch noch gebrüstet. sprochen, diese verurteilt und ihr Ende gefordert. Sie fand dann auch recht schnell ein vorläufiges Ende, mit dem Dass die Bundesregierung weiterhin keinen umfassen- Ausgang, dass sich der Nordosten Syriens nun unter tür- den Waffenstopp für die Türkei verhängt und auf EU- kisch-russischer Kontrolle befindet – geduldet vom syri- Ebene Anweisung gegeben hat, einen umfassenden Rüs- schen Machthaber Assad, der sich nun wohl endgültig als tungsexportstopp auch noch zu hintertreiben, ist skan- Gewinner dieses Krieges sehen darf. dalös. Aber damit nicht genug! Auf unsere Anfragen mussten Sie jetzt einräumen, dass Sie das Büro der Na- Von dauerhaftem Frieden und einer sicheren Lebens- tionalkoalition hier in Berlin, die den Einmarsch von Er- grundlage für alle Menschen im Land als auch eventueller dogans Truppen begrüßt, über Jahre hinaus finanzierten. Rückkehrer sind wir noch sehr weit entfernt. Es muss nun Diese Leute verstehen sich als der politische Arm der zunächst einmal gelingen, die aktuelle Waffenruhe, die ja islamistischen Soldateska und dürfen hier in Berlin syri- zurzeit auch größtenteils eingehalten wird, dauerhaft zu sche Botschaft spielen. etablieren. Das, was die Bundesregierung hier macht, ist jedenfalls Zugleich gilt es bei der fragilen Situation im Nordosten kein Beitrag zum Frieden, genauso wenig wie die Tat- des Landes, alles dafür zu tun, dass der „Islamische Staat“ sache, dass Sie über den Wiederaufbaufonds Syrien auch nicht wieder zu Stärke findet. Völlig ungeklärt ist auch, die Infrastruktur in der von der al-Qaida gehaltenen Pro- wohin die Kinder und Frauen von IS-Kämpfern mit deut- vinz Idlib in Syrien mitfinanzierten. Nein, wir brauchen schen und anderen europäischen Staatsangehörigkeiten eine grundlegende Wende in der Syrienpolitik. Die Bun- gehen sollen. Die europäischen Staaten müssen zu einem desregierung muss endlich mit ihrer Regime-Change-Po- ehrlicheren Umgang damit kommen. litik brechen, die dazu beigetragen hat, große Teile der Die Türkei hat mehrfach erklärt, sich nicht dauerhaft Bevölkerung Syriens ins Elend zu stürzen. auf syrischem Territorium aufhalten zu wollen und dass syrische Flüchtlinge aus der Türkei nur auf freiwilliger Das bedeutet aber auch, dass Deutschland sich am Wie- Basis zurückgeführt werden, was nicht realistisch er- deraufbau Syriens beteiligen muss und dass die Wirt- scheint. Warum sollten syrische Flüchtlinge freiwillig in schaftssanktionen, die die Bevölkerung weiter verarmen die Arme des Machthabers zurückkehren, vor dem sie lassen und den Menschen selbst den Zugang zu einfachs- geflohen sind? Und wie sollen sie in diesem schmalen ten Medikamenten verwehren, endlich gekippt und been- und unbefriedeten Korridor leben? det werden müssen. Oder wollen Sie dies den Golfdikta- turen wie den Emiraten und Saudi-Arabien überlassen, (B) Wie das Land zukünftig aussehen soll, darüber spre- die jetzt eine 180-Grad-Wende ihrer Politik in Syrien ein- (D) chen seit vergangener Woche 150 Vertreterinnen und Ver- leiten, diplomatische Beziehungen aufnehmen und die treter der syrischen Regierung, Opposition und Zivilge- Finanzierung des Wiederaufbaus anbieten? sellschaft im Rahmen des in Genf angesiedelten Verfassungskomitees. Sie sollen ohne festgesetzten Zeit- Ich frage mich: Warum kommt von Ihnen denn gar rahmen entscheiden, welche Verfassung der Staat Syrien keine einzige diplomatische Initiative, um den Verfas- in Zukunft haben soll. Die Machtverhältnisse im Land sungsprozess in Syrien mit zu unterstützen? Bisher sind und der Einfluss externer Kräfte wie Russland, Türkei die Kurden nicht mit am Tisch, weil Ihr NATO-Partei oder Iran sowie die USA als Wächter der Ölfelder lassen Türkei und die von ihm gehätschelte islamistische Op- aktuell jedoch befürchten, dass das Gremium nicht allzu position dies nicht zulassen. Warum machen Sie sich schnell zu einer politischen Lösung kommen kann. Was denn nicht stark dafür, dass die kurdische Autonomie in die Zugeständnisse an die Bevölkerungsgruppen des Syrien erhalten wird und die Kurden mit am Verfassungs- Landes angeht, ist Assad wohl nicht unter besonders prozess in Genf teilnehmen können? Meinen Sie, dies großem Druck, sich zu bewegen. So kann die Arbeit würde Ihre guten Beziehungen zu Ihrem Partner Erdogan des Komitees eine sehr langwierige Aufgabe werden – zu stark stören? aber sie ist der richtige Weg. Es liegt auf der Hand, woran das liegt. Sie haben sich Den Menschen, insbesondere in den zuletzt umkämpf- von jeder Art eigenständiger Politik verabschiedet. Jede ten Gebieten, in denen mehrere Hunderttausend auf der Wendung des US-Präsidenten Trump ist für Sie ein Flucht sein sollen, bleibt aber keine Zeit für langwierige Befehl. Jetzt erklärt Trump offen, die US-Soldaten blie- Lösungen. Ihnen muss jetzt geholfen werden, der Zugang ben in Syrien, um das Öl zu sichern, und er twittert fröh- für humanitäre Hilfe für die zivile Bevölkerung gewähr- lich frei heraus zu diesem imperialistischen Völkerrechts- leistet werden. Deutschland und die EU sollten sich dabei bruch – und das Auswärtige Amt getraut sich nicht als starke und verlässliche Partner zeigen. einmal, dazu eine kritische Stellungnahme abzugeben.

Heike Hänsel (DIE LINKE): Es ist unerträglich, dass Ja, Sie müssen doch der Öffentlichkeit jetzt hier reinen die Angriffe des NATO-Partners Türkei in Syrien jeden Wein einschenken. Ihr sogenannter Anti-IS-Einsatz der Tag weitergehen. Auch nach dem Abkommen von Sot- Bundeswehr dient lediglich dazu, den USA zu helfen, schi versucht die türkische Armee, an der Seite islamisti- das Öl in Syrien zu sichern. Sie treten das Grundgesetz scher Terrormilizen weiter vorzurücken. Die Einheiten und das Völkerrecht mit Füßen. Das Leben der Bundes- dieser sogenannten Syrischen Nationalen Armee, die sich wehrsoldaten setzen Sie dort für die Rohstoffsicherung zu einem großen Teil aus ehemaligen FSA-Einheiten zu- ein. Das ist unerträglich. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15521

(A) Die Linke fordert, diesen Wahnsinn sofort zu beenden auch vom Niveau des Lehrstoffs (das in manchen Län- (C) und die Missionen zu stoppen. Statt für imperiale Militär- dern übrigens höher ist als in vielen deutschen Bundes- einsätze im Stile des 19. Jahrhunderts sollten Sie sich ländern; dies aber nur nebenbei bemerkt). endlich für die Menschen in Syrien engagieren – und für Lebensbedingungen dort, die nicht immer mehr Men- Der zweite Punkt, der mir sehr am Herzen liegt, ist die schen aus Verelendung heraus in die Flucht treiben. berufliche Bildung, die wir mit unseren Auslandsschulen noch stärker ins Visier nehmen sollten. Schulabschlüsse sind kein Selbstzweck, sondern der erste entscheidende Schritt in eine heute immer längere Berufslaufbahn. Um- Anlage 11 so wichtiger ist also die Forderung des Antrags, unsere deutschen Unternehmen hier noch stärker einzubinden, um bedarfsgerecht auszubilden. Von großen Unterneh- Zu Protokoll gegebene Reden men aus meinem Wahlkreis Mainz weiß ich, dass wir zur Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/ als Politiker bei solch international aufgestellten Firmen CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Deut- in aller Regel weit offene Türen einrennen. sches Auslandsschulwesen weiter stärken und auf breiter Basis entwickeln In diesem Zusammenhang würde ich es auch begrüßen, wenn wir – ergänzend zum Kontakt mit Wirtschaftsunter- (Tagesordnungspunkt 18) nehmen – häufiger auch NGOs und kirchliche Stiftungen als Partner in der beruflichen Bildung einbeziehen; denn Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU): Im Koalitions- auch diese sind ohnehin schon vor Ort und können unse- antrag stehen 16 Punkte, mit denen wir die deutschen ren Auslandsschulen aus erster Hand berichten, wer wann Auslandsschulen unterstützen, stärken, ausbauen und an- wo gebraucht wird. erkennen wollen. Jeder einzelne davon ist wichtig. Lassen Sie mich jedoch in der Kürze der Zeit nur zwei Punkte Aus Brasilien weiß ich, dass ein Vorwurf an deutsche herausnehmen, die mir persönlich besonders am Herzen Auslandsschulen mitunter lautet, dass sie in erster Linie liegen. die dortigen „Eliten“ stärken würden. Mein Eindruck ist jedoch, dass gerade in weniger entwickelten Ländern ein Da ist zum einen das Gemischtsprachige International besonders wertvolles Potenzial der Auslandsschulen da- Baccalaureate, also vereinfacht ein „zweisprachiges Abi- rin liegt, dass sie helfen, eine stabile, leistungsfähige Mit- tur“. Es wird schon an vielen Auslandsschulen angeboten, te auszubilden, die die Gesellschaft auf breiter Basis trägt es dürften und müssten aber meines Erachtens noch viel und dann wiederum ein Teil der Lösung ist. Sprich: Deut- (B) mehr Schulen sein; denn ein gemischtsprachiger Schul- sche und einheimische Schülerinnen und Schüler werden (D) abschluss ist im Idealfall doch die Quintessenz einer Aus- an unseren Schulen ausgebildet, um dann idealerweise landsschule: eben nicht ein „ deutsches Abitur“ an einer vor Ort als Lehrkräfte oder Unternehmer oder in der Ver- sicherlich hervorragenden Schule, die wie eine Enklave waltung zu arbeiten. Das ist Auslandsschulbildung mit für deutsche Kinder im Ausland funktioniert, sondern ein „Zinseszins“-Effekt, die nachhaltig wirkt und die wir im besten Sinne praktisches Beispiel für sprachen- und nach Kräften unterstützen sollten. länderübergreifende Bildung, Ausbildung, Verständigung und Kommunikation. Dringend geboten sind allerdings Ulla Schmidt (Aachen) (SPD): Die Deutschen eine bessere Vergleichbarkeit und Anerkennung dieses Schulen im Ausland sind ein elementarer Bestandteil un- Abschlusses, damit er tatsächlich in Deutschland genauso serer Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik und prä- wie im jeweiligen Ausland problemlos in die weitere gen das Bild von Deutschland in der Welt. Sie sind eines Ausbildung führen kann. der großartigsten außenpolitischen Instrumente, die Dringend geboten ist gerade aus deutscher Sicht aber Deutschland überhaupt hat; denn gemeinsame Bildung auch – und das sage ich bewusst als Mutter einer Tochter, verbindet unterschiedliche Sichtweisen und Blickrichtun- die gerade in England sehr hart an ihren A-Levels arbei- gen, schafft ein gemeinsames Verständnis der Herausfor- tet –, dass für uns „Vergleichbarkeit“ nicht bedeuten darf, derungen, denen wir gegenüberstehen, und fördert ge- die fremden Abschlüsse und Leistungen möglichst auf meinsame Lösungen. ihre Mängel zu überprüfen und die „hohen deutschen Standards“ reflexartig vor einer „Abwertung“ beschützen Ich danke an dieser Stelle ganz besonders unserem zu wollen. Ähnlich wie bei Freihandelsabkommen – ehemaligen Außenminister Frank-Walter Steinmeier, TTIP lässt grüßen – sollten wir hier, salopp gesagt, ab der 2008 die Partnerschul-Initiative ins Leben gerufen und an vom hohen deutschen Ross heruntersteigen oder hat. Sie vernetzt heute mehr als 2 000 Schulen weltweit, zumindest nicht so oft ausländische Äpfel mit deutschen an denen verstärkt Deutsch gelernt wird – mit über Birnen vergleichen. 600 000 Schülerinnen und Schülern übrigens ungefähr so viele wie im Bundesland Hessen. Hierzu gehören auch Ganz konkret gesagt: Unser Abitur ist als „allgemeine die 140 offiziellen Deutschen Auslandsschulen. Ich weiß, Hochschulreife“ zurecht sehr breit angelegt und interna- viele von Ihnen nehmen diese Möglichkeit bereits wahr, tional sehr anerkannt. Wenn es aber um die Zulassungs- aber ich möchte auch bei allen anderen Kolleginnen und bedingungen für konkrete Studienfächer geht, ist es we- Kollegen dafür werben: Wenn Sie ins Ausland reisen, nig einleuchtend, dass Schülerinnen und Schüler im besuchen Sie eine Auslandsschule und überzeugen Sie Ausland quasi eins zu eins die deutschen Leistungskurse sich von der großartigen und wichtigen Arbeit, die vor absolvieren sollen, sowohl in der Fächerkombination als Ort geleistet wird! 15522 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

(A) Die Qualität der Deutschen Auslandsschulen steht und hohen interkulturellen Kompetenz hervorragend geeig- (C) fällt mit der Qualität der Lehrerinnen und Lehrer, und es net, um den Herausforderungen einer heterogener werd- wird immer schwieriger, qualifiziertes Personal zu fin- enden Schülerschaft zu begegnen. den, insbesondere im MINT-Bereich und bei den Schulleiterstellen. Hierfür gibt es vor allem zwei Gründe: Für den Erhalt und den Ausbau eines qualitativ hoch- einerseits den Lehrermangel in Deutschland und anderer- wertigen Auslandsschulwesens sind keine Milliardenbe- seits die fehlende Attraktivität des Auslandsschuldiens- träge nötig, wir reden insgesamt von vielleicht 50 bis tes. 100 Millionen Euro, die die Deutschen Auslandsschulen unheimlich viel weiter bringen würden. Ich bitte Sie heu- In der Vergangenheit konnten wir, etwa durch die te: Stimmen Sie unserem Antrag zu und setzen Sie sich Neuordnung der Lehrerbesoldung, schon einiges korri- mit uns für ein starkes Auslandsschulwesen und eine aus- gieren. Wir sind aber noch nicht da, wo wir sein wollen, reichende Finanzierung ein. Es lohnt sich! insbesondere was die ausreichende Vergütung der Schul- leiterinnen und Schulleiter betrifft. Seit langer Zeit be- schäftigt uns außerdem die fehlende Finanzierung des Alexander Kulitz (FDP): Wir als Freie Demokraten Versorgungszuschlages für beurlaubte beamtete Lehre- stehen für weltbeste Bildung für jeden – nicht nur an rinnen und Lehrer aus den Schuldiensten der Länder. unseren Schulen hier in Deutschland, sondern auch an Im Gegensatz zu von der ZfA vermittelten Auslands- unseren Auslandsschulen weltweit. dienstlehrkräften müssen sie, wenn sie sich entscheiden, Vergangene Woche nahm ich an einem Gespräch mit ins Ausland zu gehen, bislang mit Kürzungen bei den Schülerinnen und Schülern der Deutschen Schule Abu Pensionszahlungen rechnen. Dhabi teil. Diese Erfahrung bestätigte mir erneut: Das Ich bin sehr froh, dass wir mit den Ländern nun die gemeinsame Lernen von einheimischen und deutschen Vereinbarung getroffen haben, dass der Versorgungszu- Schülerinnen und Schülern fördert den interkulturellen schlag ab dem Schuljahr 2020/21 für alle beurlaubten Austausch wie anders kaum möglich. An unseren Aus- Lehrerinnen und Lehrer je hälftig von Bund und Ländern landsschulen wird kulturell vielfältige Umwelt gelernt übernommen und damit die versorgungsrechtliche und gelebt. Gleichstellung erreicht wird. Ich begrüße es außerdem Meine Damen und Herren, bekanntermaßen unterstützt sehr, dass nach drei Jahren überprüft wird, ob die Maß- die FDP die in Aussicht gestellte Evaluierung des Aus- nahmen nachhaltig zu mehr Attraktivität im Auslands- landsschulgesetzes – eine Initiative, die seinerzeit von schuldienst geführt haben. Unser Ziel bleibt weiterhin: als zuständige Staatsministerin im Aus- Lehrerinnen und Lehrer, die ins Ausland gehen, dürfen wärtigen Amt angestoßen wurde, damals teils gegen er- finanziell nicht schlechter gestellt werden als im Inland. (B) hebliche Widerstände. Natürlich wissen wir jedoch auch, (D) Vor über fünf Jahren, im Januar 2014, ist das Auslands- dass bei Prototypen immer nachgebessert werden muss. schulgesetz in Kraft getreten. Das war sicher ein sehr wichtiger Schritt. Das Problem ist jedoch: Von den 140 Letzte Woche habe ich in der Deutschen Schule Abu anerkannten Deutschen Auslandsschulen haben mehr als Dhabi die Frage gestellt, wer von den Schülerinnern und ein Drittel keinen Rechtsanspruch auf Förderung, son- Schülern vorhat, in Deutschland zu studieren. Fast alle dern erhalten sie nur in dem Maße, wie entsprechende haben die Hand gehoben. Auch die emiratischen Haushaltsmittel zur Verfügung stehen. Das führt zu einer Schülerinnern und Schüler. Wir müssen ein aktives Inte- Situation, in der vielen Schulen die so dringend benötigte resse daran haben, dass diese sehr gut ausgebildeten und Planungssicherheit verwehrt bleibt. Deshalb fordern wir interkulturell geprägten Schulabgänger in Deutschland das Auswärtige Amt in dem vorliegenden Antrag dazu studieren und arbeiten wollen. Die Begeisterung an auf, im Rahmen der Evaluation des Auslandsschulgeset- Deutschland während der Schulzeit sollte durch Aus- zes Wege zu finden, die entstandene „Zweiklassengesell- tausch- und Stipendienprogramme gefördert werden. schaft“ im Auslandsschulwesen zu beenden. Eines unserer Hauptanliegen muss auch sein, den Ab- Außerdem brauchen wir eine stärkere Förderung der solventen und Absolventinnen der deutschen Auslands- beruflichen Bildung, höhere Pauschalen zur Ermäßigung schulen den Zugang an Hochschulen in Deutschland zu der Schulbeiträge, damit auch Schülerinnen und Schüler erleichtern. Aus diesem Grund befürworten wir die brei- aus einkommensschwachen Familien unsere Auslands- tere Anerkennung des Internationalen Baccalaurete, das schulen besuchen können, sowie mehr Einsatz für Inklu- mittlerweile an vielen Auslandsschulen angeboten wird. sion, um nur einige Punkte zu nennen. Hier muss jedoch überlegt werden, die Regelungen bei Sprachprüfungen für die Aufnahme an einer deutschen Ich appelliere an Sie alle: Mit einem qualitativ hoch- Uni zu überprüfen. wertigen Auslandsschulwesen gewinnen wir so vieles für vergleichsweise wenig Geld: Die Absolventinnen und Doch bei all der Wertschätzung und dem Lob der Ar- Absolventen von Auslandsschulen, die ganz überwiegend beit an den Auslandsschulen, die hier in diesem Hohen aus den Sitzstaaten kommen, verbindet eine lebenslange Haus aufgebracht werden, müssen wir uns nicht irgend- positive Beziehung mit Deutschland, und manche von wann dazu verpflichten, finanzielle Unterstützung zu ihnen finden später vielleicht den Weg nach Deutschland leisten? Beispielsweise im Rahmen der Versorgungszu- als Fachkräfte, die wir hier so dringend brauchen. Und die schläge für Ortslehrkräfte oder der Kindergeldzahlungen Lehrerinnen und Lehrer sind nach ihrer Rückkehr aus für die Lehrkräfte? Der Antrag in seinem Ansatz ist in dem Auslandsschuldienst aufgrund ihrer dort erworbenen diesen Punkten definitiv noch ausbaufähig. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15523

(A) Meine Damen und Herren, an der deutschen Schule in Neben diesen grundsätzlichen Problemen liegt mein (C) den Vereinigten Emiraten habe ich ein Paradebeispiel er- Augenmerk auf der Situation der Lehrkräfte, und ich ste- lebt, wie eine deutsche Auslandsschule in einer fremden he dazu im Austausch mit der Arbeitsgruppe Auslands- Kultur funktionieren und die Begeisterung für Deutsch- lehrerinnen und -lehrer (AGAL) bei der GEW. land bei jungen Menschen fördern kann. Da gilt es zunächst einmal zu konstatieren, dass ähnlich Weltbeste Bildung für jeden sollte auch an unseren dem inländischen Schuldienst auch die Auslandsschulen Auslandsschulen unser Ziel sein. Aus diesem Grund un- an Lehrermangel leiden. Die im Gesetz beschlossene Re- terstützt auch die Fraktion der Freien Demokraten den duktion der Zahl der Auslandsdienstlehrkräfte (ADLK) Antrag der Koalition und der Grünen. von 1 400 auf 900 ist da ein völlig falscher Ansatz und geht zusätzlich zulasten der Lehrenden; denn die ADLK Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Die Linksfraktion hat einen inländischen Dienstvertrag. Damit sind Pau- hat ein ambivalentes Verhältnis zu Auslandsschulen. schalen für Flug, Umzug, Kitabetreuung, Arztbesuch Der Anspruch, interkulturellen Dialog zu ermöglichen und Altersrückstellung für die Rente geregelt, wenn mir und zu befördern, klingt großartig und wäre ein nicht zu auch Fälle bekannt sind, in denen die Zentralstelle für das unterschätzender Beitrag für eine friedlichere Welt. Auslandsschulwesen (ZfA) erst mit monatelanger Verzö- gerung Kosten erstattete, was die Betroffenen zwischen- Durch das nunmehr in der Evaluierung befindliche zeitlich in eine große finanzielle Notlage brachte. Auslandsschulgesetz jedoch wurde mit dem System von gesetzlich und freiwillig geförderten Schulen ein Zwei- Kompensiert wird die reduzierte Zahl von ADLK vor klassensystem eingeführt. Die nicht vorhandene finanz- allem durch Ortslehrkräfte (OLK), die am schlechtesten ielle Planungssicherheit muss dann zwangsläufig durch gestellt sind, da der Trägerverein vor Ort ihr Arbeitgeber die Einnahmen aus privaten Schulgeldern kompensiert ist und sie zu ortsüblichen Bedingungen beschäftigt sind. werden. Damit ist aber auch klar, dass der Besuch einer Das macht sich vor allem bei Kündigungsfristen, Rechten Deutschen Auslandsschule nicht jedem Kind gleicherma- und dem Gehalt bemerkbar. Hinzu kommt, dass noch ßen offensteht, sondern vom Geldbeutel der Eltern ab- immer eine Regelung zur Übernahme des Versorgungs- hängt. Und wer seine Augen nicht davor verschließt, zuschlags durch den Bund fehlt. Gegenwärtig ist es so, weiß, dass Bildung als privat zu finanzierende Leistung dass eine OLK bis zu einem Drittel ihres Gehalts für nie Chancengleichheit gewährt, sondern Elitenförderung Rückstellungen für das Alter aufwenden muss. Wem wol- ist. len Sie das als attraktiv anbieten? Alles in allem nehme ich eine zunehmende Verände- Auch die Tatsache, dass im außereuropäischen Aus- rung des Bildungsverständnisses wahr, das sich auch land tätige Lehrkräfte keinen Anspruch auf Kindergeld (B) (D) durch den vorliegenden Antrag von Union, SPD, FDP haben, ist ein Problem. Ein weiterer Punkt, der – auch und Grünen zieht, wenn da gefordert wird, den interna- um die Attraktivität einer Lehrtätigkeit im Ausland zu tionalen Wettbewerb im Bildungswesen anzunehmen und erhöhen – gelöst werden muss. aktiv zu gestalten. Bildung als Standortfaktor und Wett- Und wenn ich dann zu hören bekomme, dass sich et- bewerbsvorteil verkommt damit zur Ware; also etwas liche Landesvertreter im zuständigen Bund-Länder-Aus- völlig anderes, als es einer „Kulturnation“ anstünde. schuss durch Desinteresse an der Situation der aus ihren Und es unterminiert den allenthalben formulierten An- Bundesländern entsandten Lehrkräfte während deren spruch, wonach gerade die Schulförderung als Bestand- Aufenthalt im Ausland auszeichneten, dann stelle ich fest, teil der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik (AKBP) dass offenbar noch viel Gesprächs- und Sensibilisie- die Deutschen Auslandsschulen (DAS) zu etwas substan- rungsbedarf bei 14 Landesschulministerien besteht; denn ziell anderem als Privatschulen mache. einzige Ausnahmen sind: Berlin und Thüringen. Bei der laufenden Evaluation des Auslandsschulgeset- zes wird meine Fraktion für eine Sozialklausel werben, Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die sicherstellen soll, dass das Schulgeld für ärmere Fa- NEN): In einer Welt der Unordnung, in der Rechtsstaats- milien kein Ausschlusskriterium ist. Mein Fraktionskol- verächter, Demokratiefeinde, in der die Gegner von lege Stefan Liebich berichtete nämlich anlässlich einer Gleichstellung und Pluralität nicht nur lauter, sondern Delegationsreise nach Brasilien von einer DAS in São auch stärker werden, in einer solchen Welt sind Bildungs- Paulo, an der durch einen Umverteilungsmechanismus freiheit und Wissenszugänge, Austausch und Einblick in zumindest Berufsschülern aus armen Haushalten die Aus- andere Lebenswelten von immenser Bedeutung. Bildung bildung an der Schule ermöglicht wird. ist dabei nicht nur Schlüssel für gesellschaftliche Teilha- be, sondern auch Stabilisator von Demokratie und Motor Nach meinem Eindruck liegt der Schwerpunkt des vor- von Entwicklung, umso mehr in einer Zeit, da sich Nach- liegenden Antrags darauf, DAS vordringlich als Mittel richten auch dann blitzschnell verbreiten, wenn sie falsch zur Gewinnung von Fachkräften einzusetzen. Das geht sind, da Wissen gezielt manipuliert wird, da fundierte zulasten von Perspektive und Entwicklung in den Her- wissenschaftliche Erkenntnisse öffentlich infrage gestellt kunftsländern und gilt spiegelbildlich für Bildungs- und werden, umso mehr in einer Welt, die uns vor beachtliche Förderungsperspektiven von Menschen hierzulande. Sie Herausforderungen stellt, umso mehr in einer Welt voller wissen doch selbst, dass, wenn dort die gut Ausgebildeten Krisen, Kriege und Konflikte. fehlen, sich weder wirtschaftliche Entwicklung noch Prosperität einstellen werden – mit allen schlimmen Kon- Liebe Kolleginnen und Kollegen, laut UNESCO-Welt- sequenzen. bildungsbericht können 264 Millionen Kinder und Ju- 15524 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

(A) gendliche weltweit nicht zur Schule gehen. Viel zu oft ist Anlage 12 (C) Bildung noch immer Privileg derer, die sich Bildung leis- ten können. Viel zu oft ist es auch nach wie vor eine Frage Zu Protokoll gegebene Reden des Geschlechts, ob und wie weitgehend Bildung ermög- licht wird. Gerade deshalb bleibt es unsere Aufgabe und zur Beratung Pflicht, das Recht jedes einzelnen Menschen auf Bildung a) des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und in den Mittelpunkt auch unserer Außenpolitik zu rücken. SPD 25 Jahre Weltbevölkerungskonferenz von Bildung nämlich ist kein Luxus, sondern Menschenrecht. Kairo – Sexuelle und reproduktive Gesundheit Nicht ohne Grund heißt es in Artikel 26 der Allgemeinen und reproduktive Rechte weltweit stärken Erklärung der Menschenrechte: „Jeder Mensch hat das Recht auf Bildung“. b) der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenar- So universell aber das Menschenrecht auf Bildung ist, beit und Entwicklung so weltumspannend sollte unser Anspruch in der Ver- wirklichung sein. In einer globalisierten Welt bedeutet – zu dem Antrag der Abgeordneten Helin gute Schulbildung vor diesem Hintergrund auch Kenntnis Evrim Sommer, Eva-Maria Schreiber, Sylvia über andere Sprachen und Wissen um den Reichtum, um Gabelmann, weiterer Abgeordneter und der die Vielfalt anderer Kulturen. Nur wer den Austausch Fraktion DIE LINKE: Frauen- und Mäd- über die Landesgrenzen hinweg früh kennenlernt und chenrechte stärken – Gesundheit und Bil- lernt, dass gemeinsame Probleme nur gemeinsame Lö- dung für alle weltweit sungen kennen, wird die immer grenzenloseren Heraus- – zu dem Antrag der Abgeordneten Ottmar forderungen unserer Zeit entsprechend einordnen, wo- von Holtz, Uwe Kekeritz, Anja Hajduk, wei- möglich gar zu ihrer Bewältigung beitragen können. terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Das Recht von Mäd- Für eine solche Schulbildung im Ausland wiederum ist chen auf Bildung und Gesundheit in Krisen- das deutsche Auslandsschulwesen mit seinem großen und Konfliktgebieten stärken und die G7-De- Netzwerk unabdingbar. In diesem Zusammenhang begrü- klaration zügig und konsequent umsetzen ßen wir grundsätzlich, dass das Auslandsschulgesetz von 2014 nun seitens des Auswärtigen Amtes evaluiert wird. – des Antrags der Abgeordneten Dr. Christoph Der Weg dahin war lang und lässt es umso dringlicher Hoffmann, Alexander Graf Lambsdorff, Till erscheinen, dass wir nun nachjustieren und auf aktuelle Mansmann, weiterer Abgeordneter und der Bedarfe reagieren. Fraktion der FDP: Weltbevölkerungskonferenz (B) einberufen – Klimawandel, Lebensmittelversor- (D) Einer dieser Bedarfe sei beispielhaft erwähnt: Wie gung und Bevölkerungswachstum gemeinsam schaffen wir es, die Attraktivität unseres Auslandsschul- bewältigen wesens für Lehrerinnen und Lehrer zu erhöhen? Der Mangel an Lehrkräften nämlich und der Generationen- – Beratung des Antrags der Abgeordneten Till wechsel unter ihnen machen leider auch vor den Aus- Mansmann, Olaf in der Beek, Alexander Graf landsschulen nicht halt. Es braucht hier gezielte Anreize Lambsdorff, weiterer Abgeordneter und der und Unterstützung, die über das Bisherige hinausgehen. Fraktion der FDP: Finanzierungslücken durch Gemessen am Gesamthaushalt des Auswärtigen Amtes wegfallende US-Finanzierung im Rahmen der sollte die Gewährung eines entsprechenden Handlungs- Global Gag Rule schließen spielraums hoffentlich Konsens sein. (Tagesordnungspunkt 19 sowie Zusatzpunkt 8 und 9) Wir haben hier im Bundestag, insbesondere im Unter- ausschuss Auswärtige Kultur und Bildungspolitik, lange Dr. Wolfgang Stefinger (CDU/CSU): Nach dafür gekämpft, dass Besoldung und Zuschüsse an Le- Schätzungen der Vereinten Nationen haben 214 Millionen bensrealitäten angepasst werden, dass Transparenz zu an- Mädchen und Frauen in Entwicklungsländern keinen deren Beschäftigten im Auslandseinsatz herstellt wird, oder nur eingeschränkten Zugang zu sicheren und wirk- dass der Auslandsschuldienst nicht zum Nachteil für die samen Methoden der Familienplanung. Damit besitzen teilnehmenden Lehrkräfte wird – weder in ihrer aktiven sie keine Möglichkeiten, selbstbestimmt über die eigene Zeit noch im Ruhestand. Familienplanung – und letztendlich über ihr Leben – zu Es bleibt entsprechend zu hoffen, dass sich aus der entscheiden. So zählen Schwangerschafts- und Geburts- anstehenden Überprüfung eine Verstetigung und Auswei- komplikationen in Entwicklungsländern zu den häufigs- tung dieser Versprechen an die Lehrerinnen und Lehrer ten Todesursachen für Mädchen bzw. junge Frauen zwi- ergibt. Unsere Auslandsschulen nämlich sind nicht weni- schen 15 und 19 Jahren. Auch die Säuglingssterblichkeit ger als Leuchttürme der Demokratie in unruhigen Zeiten. ist in dieser Altersgruppe hoch. Sie verbinden Menschen und Gesellschaften, bisweilen Vielfach bleibt diesen jungen Müttern auch der Zugang auf Lebenszeit. Sie bauen Brücken und schaffen Verstän- zu Bildung verwehrt. Häufig endet der Schulbesuch mit digung, wo viele andere Kanäle schweigen. Gerade des- der Schwangerschaft oder spätestens der Geburt des Kin- halb verdienen sie unsere volle Unterstützung. des. Damit haben sie deutlich geringere Chancen, eine vernünftige Arbeit zu finden und ökonomische Unabhän- gigkeit zu erzielen. Und der fehlende oder eingeschränkte Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15525

(A) Zugang zu Aufklärung und Verhütungsmitteln führt dazu, Zweitens. Deutschland gehört zu den fünf größten Ge- (C) dass sich Mädchen und Frauen nicht ausreichend vor Ge- bern im Bereich der reproduktiven Gesundheit und Fami- schlechtskrankheiten schützen können. Drei von vier lienplanung. Unsere Beiträge an internationale Organisa- Neuinfektionen mit HIV/Aids in der Altersgruppe der tionen wie den Bevölkerungsfonds der Vereinten 15- bis 19-Jährigen in Afrika südlich der Sahara betreffen Nationen haben wir im Haushalt 2019 noch einmal deut- Mädchen und junge Frauen. Dementsprechend häufig ist lich erhöht. Und auch in den aktuellen Haushaltsberatun- bei ihnen deshalb auch Aids die Todesursache. gen haben wir eine weitere Aufstockung gefordert. In Subsahara-Afrika sind wir sogar der drittgrößte Geber Vor diesem Hintergrund wird klar, dass Mütter- und in diesem Bereich. Und das Bundesentwicklungsministe- Neugeborenengesundheit, Sexualerziehung und der Zu- rium finanziert als einer der größten bilateralen Geber gang zu Familienplanung zu den kosteneffizientesten über die KfW-Entwicklungsbank die Versorgung von Entwicklungsmaßnahmen überhaupt zählen. Denn diese Partnerländern mit Produkten zur Familienplanung und Maßnahmen stärken die Gleichberechtigung, sie stärken HIV-Prävention. Jetzt geht es darum, diese Mittel zu ver- die Bildung, sie führen zu weniger Geburten, und sie stetigen! unterstützen die wirtschaftliche Entwicklung. Wenn Mädchen und Frauen selbstbestimmt leben können und Drittens. Wir müssen verstärkt bei unseren Partnerlän- die Mittel haben, gemäß den eigenen Wünschen und Vor- dern ansetzen. Zum einen müssen wir sie sensibilisieren stellungen über Familienplanung zu entscheiden, ent- und sie auf die Notwendigkeit jugendfreundlicher Ge- scheiden sie sich meist für weniger Kinder. Damit spielt sundheitsangebote, einer HIV/Aids-Prävention und um- Familienplanung eine maßgebliche Rolle für den allge- fassenden Sexualerziehung hinweisen. Auch der Aufbau meinen Entwicklungsfortschritt eines Landes. ziviler Registrierungssysteme ist elementar. Immer noch besitzen drei von zehn Kindern unter fünf Jahren keine Nächste Woche findet die Weltbevölkerungskonferenz Geburtsurkunde! Zum anderen müssen wir ihnen das in Nairobi statt und feiert ihr 25-jähriges Jubiläum. Hier Thema stärker als bisher als Thema der Zusammenarbeit wollen wir mit unserem Antrag ein Zeichen setzen. Es ist vorschlagen. Hierfür bedarf es einer kultursensiblen uns wichtig, dass die Bundesregierung ihr Engagement Schulung der inhaltlich befassten Mitarbeiterinnen und zum einen fortsetzt, zum anderen da, wo es möglich ist, Mitarbeiter des BMZ. stärkt und in der EU und international dafür eintritt, die- Wir können mit unseren Projekten viel erreichen: So sem Aufgabenfeld größere Aufmerksamkeit zu schenken. haben wir in Benin, Guinea-Bissau und Niger – alles In unserem Antrag geht es aber nicht – und das möchte ich Länder mit hohem Bevölkerungswachstum und hoher hier auch noch einmal in aller Klarheit deutlich machen – Mütter- und Kindersterblichkeit – erreichen können, dass um Maßnahmen, die auf die Schaffung eines einschrän- (B) sich der Anteil von Nutzerinnen und Nutzern moderner (D) kungslosen Rechts auf Abtreibung abzielen. Verhütungsmittel verdoppelt hat. Im bürgerkriegsge- Ich möchte auf drei Punkte unseres Antrags näher ein- schüttelten Jemen konnten wir 90 Prozent der Gesund- gehen. heitszentren in den Projektgebieten so ausstatten, dass sie Dienstleistungen zur Mutter-Kind-Gesundheit anbieten. Erstens. Es ist uns wichtig, dass der Bewusstseinswan- Und in Guinea unterstützen wir die Ausbildung von Ge- del, der vor nunmehr genau 25 Jahren mit der ersten Welt- burtshelferinnen, ermöglichen insbesondere Mädchen bevölkerungskonferenz in Kairo eingesetzt hat, keinen und Frauen einen verbesserten Zugang zu modernen Ver- Rückschlag erleidet. Damals wurde von 179 Staaten ein hütungsmitteln und bieten Aufklärungsangebote für Ju- Aktionsprogramm verabschiedet, das Menschenrechte, gendliche an. Selbstbestimmung und die Stärkung des Individuums Abschließend möchte ich aber noch erwähnen, dass ins Zentrum der internationalen Bevölkerungspolitik wir auch von Jungen und Männern eine aktive Rolle ein- stellte. Damit rückte die Staatengemeinschaft von der fordern: Sie tragen in den vielfach patriarchalisch gepräg- Vorstellung ab, Regierungen sollten Zielgrößen für das ten Gesellschaften wesentlich dazu bei, die Gesundheit Bevölkerungswachstum setzen. Sexuelle und reprodukti- und Rechte von Mädchen und Frauen in vollem und ve Gesundheit wurden Teil des Menschenrechtes auf Ge- gleichberechtigtem Umfang zu ermöglichen. Dabei müs- sundheit. sen wir sie unterstützen. Heute – 25 Jahre später – haben wir schon viel erreicht. Gabriela Heinrich (SPD): Sexuelle und reproduktive Aber es wird immer schwieriger, auf internationaler Ebe- Gesundheit und reproduktive Rechte oder kurz SRGR – ne einen Konsens herzustellen oder sogar Rückschritte zu das ist ein etwas sperriger Begriff. Dabei ist es eigentlich vermeiden. Hier appellieren wir an die Bundesregierung, einfach: Es geht um selbstbestimmte Familienplanung. ihr politisches Gewicht zu nutzen und sich für die Fort- Diese ist in Ländern wie Deutschland eine Selbstver- entwicklung von Maßnahmen zur Mütter- und Neugebo- ständlichkeit. In vielen Teilen der Welt haben aber Frauen renengesundheit sowie Familienplanung einzusetzen. Es und Mädchen, Männer und Jungen, keinen Zugang zu ist begrüßenswert, dass das Bundesentwicklungsministe- Aufklärung und zu Verhütungsmitteln. Dieser mangelnde rium seit einem Jahr die SheDecides-Bewegung politisch Zugang hat Konsequenzen: ungewollte Schwanger- unterstützt, die sich international für die sexuelle und re- schaften, Ausbreitung von Geschlechtskrankheiten wie produktive Gesundheit und Rechte von Mädchen und HIV/Aids, Schwangerschaften bei Minderjährigen. Frauen starkmacht. Unsere Parlamentarische Staatssekre- tärin Maria Flachsbarth ist inzwischen eine Botschafterin Schwangerschaft und Geburt gehören zu den häufigs- der Bewegung. ten Todesursachen für junge Frauen und Mädchen in Ent- 15526 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

(A) wicklungsländern. Schätzungsweise 214 Millionen Mäd- ein Einfallstor für Frühverheiratungen. Wir wollen daran (C) chen und Frauen in Entwicklungsländern haben keinen mitarbeiten, dieses Problem weltweit zu lösen. oder nur eingeschränkten Zugang zu modernen, sicheren und wirksamen Familienplanungsmethoden. Dadurch Insgesamt sind sexuelle und reproduktive Gesundheit gibt es auch mehr Geburten, als die Frauen sich das wün- und reproduktive Rechte nicht von anderen Bereichen zu schen. Und das hat mehr Folgen, als es auf den ersten trennen. Gleichberechtigung der Geschlechter gehört da- Blick scheint: Hohe Geburtenraten beeinflussen die Ent- zu; Frauen und Mädchen müssen ihre Rechte wahrneh- wicklungschancen eines Landes. Und hochgerechnet hat men und durchsetzen können. Bildung gehört dazu, um die Anzahl der Menschen auf der Welt natürlich Folgen überhaupt die eigenen Rechte zu kennen. Gesundheits- bis hin zum Klimaschutz. Selbstbestimmte Familienpla- systeme sind wiederum eine Voraussetzung dafür, dass nung ist insofern ein Beitrag zur Lösung globaler Proble- überhaupt Unterstützung geleistet werden kann. Rechts- me. staatlichkeit brauchen wir, um Praktiken wie Kinderhei- rat, Frühverheiratung und Genitalverstümmelung zu un- Vor 25 Jahren rückten sexuelle und reproduktive Ge- terbinden. sundheit und reproduktive Rechte endlich stärker in das Es geht also in unserer Entwicklungszusammenarbeit Bewusstsein der Weltgemeinschaft. Ausschlaggebend um ein breites Paket der Maßnahmen, die ineinandergrei- war die Weltbevölkerungskonferenz in Kairo, an die wir fen. Darauf weist unser Antrag hin. Wir sind dafür gut mit unserem Antrag heute auch erinnern wollen. Sexuelle vorbereitet. Der Etat für die Entwicklungszusammenar- und reproduktive Gesundheit und reproduktive Rechte beit liegt in diesem Jahr erstmals über 10 Milliarden Euro wurden erstmals als Teil des fundamentalen Menschen- im Jahr, und wir werden ihn auch im kommenden Jahr rechts auf Gesundheit festgeschrieben. Die Konferenz weiter steigern. Zum Vergleich: Vor fünf Jahren waren es verabschiedete ein Aktionsprogramm und war ein Mei- nur etwas über 6 Milliarden Euro. Das ist ein massiver lenstein in der Geschichte der Menschenrechte. Aufwuchs, und das zeigt, dass wir nicht nur reden, son- Wir nehmen das Recht auf selbstbestimmte Familien- dern auch handeln. planung ernst. Deutschland gehört zu den fünf größten Wir denken, dass wir mit unserem Antrag diesem Gebernationen im Bereich der reproduktiven Gesundheit wichtigen Thema gerecht werden, lehnen daher die An- und Familienplanung. Fast zwei Drittel der Mittel fließen träge der Opposition ab und werben um Zustimmung zu nach Afrika südlich der Sahara. Den deutschen Beitrag unserem Antrag. für den Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen, UN- FPA, haben wir in den letzten Jahren massiv erhöht, auf Dr. Christoph Hoffmann (FDP): Bevölkerungsex- zuletzt 33 Millionen Euro. Wir unterstützen auch die plosion – die gibt es nicht. Aber wir haben eine drama- IPPF, die International Planned Parenthood Federation, (B) tische, sehr dynamische Entwicklung der Weltbevölke- (D) allein im kommenden Jahr voraussichtlich mit 12 Millio- rung. nen Euro. Schon die Kairoer Bevölkerungskonferenz vor 25 Jah- Letztlich haben wir auch gar keine Wahl, als unser ren hat dazu auch Beschlüsse gefasst. Aber diese waren Engagement im Bereich der Familienplanung auszu- kaum wirksam, obwohl die Konferenz einen Wendepunkt bauen. Denn andere ziehen sich zurück – Stichwort darstellte – man sprach erstmals überhaupt über Familien- USA unter Donald Trump. Da müssen wir gegenhalten, planung. und gerade auch deswegen wollen wir unser Engagement für die sexuelle und reproduktive Gesundheit und repro- Im Jahr 1800 gab es 1 Milliarde Menschen. 200 Jahre duktive Rechte weltweit weiter ausbauen. später das Siebenfache, heute etwa 7 Milliarden, 2055 werden wir 10 Milliarden sein und 2100 rund 11 Milliar- Mit unserem gemeinsamen Antrag fordern wir die den Bundesregierung dazu auf, die sexuelle und reproduktive Gesundheit und reproduktive Rechte zu einem Schwer- Wir haben uns durch Intelligenz, Wissen und Energie punkt ihres entwicklungspolitischen Handelns zu ma- vor Hunger, Krankheiten und Seuchen, die die Bevölke- chen. Dazu gehört auch, dass wir die Initiative „Selbst- rung dezimieren könnten, weitgehend geschützt. bestimmte Familienplanung und Müttergesundheit“ als Jetzt müssen wir die Intelligenz nutzen, um die Klima- ein zentrales Instrument langfristig fortsetzen wollen. und Bevölkerungsentwicklung in den Griff zu bekom- Und – das ist ganz wichtig – wir wollen die Zielgruppe men. erweitern. Wir wollen in Zukunft stärker die Altersgruppe der 10- bis 14-jährigen Mädchen und Jungen einbeziehen, Bevölkerungsentwicklung ist also keine unbekannte denn wir müssen mit Aufklärung, Sexualerziehung und Katastrophe, auf die wir zusteuern. Wir können und müs- Verhütungsmitteln früher ansetzen als bisher. sen hier etwas tun. Das kann Deutschland nicht alleine. Daher fordern die Freien Demokraten die Bundesregie- Wir wollen zudem Partnerländer verstärkt im Aufbau rung auf, bei der internationalen Gemeinschaft auf eine von statistischen Systemen sowie im Aufbau ziviler Re- Weltbevölkerungskonferenz zu drängen. gistrierungssysteme, insbesondere der Geburtenregistrie- rung, unterstützen. Auch das ist ein wichtiger Punkt. Plan Die vielen neuen Menschen brauchen Nahrung. Wo International berichtet zum Beispiel, dass 230 Millionen sollen die Agrarflächen dafür herkommen? Weltweit wird Mädchen und Jungen unter fünf Jahren keine Geburtsur- Wald für Futtermittel liquidiert oder für unproduktive kunde haben. Das ist ein Problem beim Zugang zu staat- Kleinstlandwirtschaft abgebrannt. Zur Ernährung der lichen Leistungen. Gerade für Mädchen ist das aber auch Menschheit brauchen wir 50 Prozent mehr Nahrungsmit- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15527

(A) telproduktion bis 2050! Aber Waldvernichtung ist keine nanzlöcher bei der globalen Gesundheit verantwortlich (C) Lösung, sondern befeuert die Klimakrise, die wiederum ist, die sich mittlerweile schon auf 33 Milliarden US- Agrarflächen reduziert durch Verwüstung. Dollar pro Jahr addiert haben. Nichtregierungsorga- nisationen, die Informationen zu Schwangerschafts- Die Bevölkerungsentwicklung ist ein Dilemma, die abbrüchen anbieten oder deren Legalisierung fordern, größte Dynamik spielt sich auf dem Nachbarkontinent werden kriminalisiert. Die geschätzte Zahl der ungewoll- Afrika ab. Es gibt 200 Millionen ungewollte Schwanger- ten Schwangerschaften liegt weltweit bei 75 Millionen – schaften im Jahr. 50 Prozent der Frauen haben keinen jedes Jahr. Laut aktuellem Weltbevölkerungsbericht Zugang zu Verhütungsmitteln. Deshalb muss es vermehrt haben rund 214 Millionen Frauen und Mädchen keinen möglich sein, in den ärmsten Ländern auch gratis Ver- Zugang zu Verhütungsmitteln und zu reproduktiver Ge- hütungsmittel zu verteilen. sundheitsversorgung. Auch deshalb sterben jährlich mehr Es braucht mehr Bildung für Frauen, Zusammenarbeit als 5 Millionen Mütter und ihre Kinder an eigentlich ver- mit Schulen für Aufklärung in Afrika. Das ist keine eu- meidbaren Krankheiten. Das ist eine Schande. ropäische Idee, und es soll dem Nachbarkontinent nichts verordnet werden. Die Afrikanische Union selbst hat sich Als reiches, hochindustrialisiertes Land, das große Tei- das in der Agenda 2063 zum Ziel gesetzt. Die Afrikaner le seines Wohlstands aus imperialer Ausbeutung und un- wollen die demografische Dividende, sie wollen Genital- gerechten Handelsstrukturen auf Kosten der Länder des verstümmelung, sexuelle Gewalt beenden, und sie wollen globalen Südens erwirtschaftet, trägt Deutschland und Wohlstand. Bisher ist der deutsche Beitrag in der Ent- tragen andere europäische Staaten eine große Verantwor- wicklungszusammenarbeit für diesen Bereich unter tung für die dortigen sozialen Missstände und die bis 10 Prozent. Das ist viel zu wenig! heute spürbaren Auswirkungen des Kolonialismus. Das sollte uns verpflichten, mit besonderer Sensibilität und Wir fordern auch mit dem angekoppelten Antrag „Fi- Respekt vor dem Selbstbestimmungsrecht anderer Ge- nanzierungslücken durch wegfallende US-Finanzierung sellschaften zu handeln. Deutschland darf nicht den pater- im Rahmen der Global Gag Rule schließen“ konkrete nalistischen Moralapostel in Fragen der sexuellen Finanzmittel für Familienplanung, sexuelle Aufklärung Aufklärung spielen. Das ist Ausdruck von neokolonialis- und Rechte der Frauen im kommenden Haushalt. Auch tischem Überheblichkeitsdenken. Das Hauptproblem von dem Finanzierungsantrag sollten Sie zustimmen. Das ist armen Ländern ist die Armut. Die erfolgreiche Bekämp- grundvernünftig. fung der Armut und der Aufbau von staatlichen Sozial- Deshalb sei Ihnen allen geraten, dem Antrag der FDP systemen wird auch das Bevölkerungswachstum verlang- „Weltbevölkerungskonferenz einberufen – Klimawandel, samen. Das ist im historischen Rückblick bei allen entwickelten Industrieländern der Fall gewesen. Als sou- (B) Lebensmittelversorgung und Bevölkerungswachstum ge- (D) meinsam bewältigen“ zuzustimmen. Ein weiterer steiler veräne Staaten haben die EZ-Partner Deutschlands aber Anstieg der Bevölkerungszahlen wird zu Migration gen die klare Verpflichtung, in ihrer Politik die Menschen- Europa führen, deshalb lohnt es sich, sich jetzt für Lösun- rechte von Frauen zu schützen und zu stärken. gen einzusetzen! Für uns als Linke steht fest, dass alle Frauen ohne Es ist allerdings schade, dass das Parlament eine so Wenn und Aber selbstständig und frei darüber entschei- wichtige Frage nicht vor 1 Uhr nachts verhandelt – und den können müssen, ob, wann und wie viele Kinder sie nur für 30 Minuten. Das ist nicht gut, ja traurig. Wie viele von welchem Mann bekommen möchten. Das ist das unwesentlichere Sachen werden breit und lang diskutiert? Selbstbestimmungsrecht der Frau über ihren eigenen Körper. Hierfür bedarf es der Schaffung von geeigneten Helin Evrim Sommer (DIE LINKE): Aus Anlass des Rahmenbedingungen. Das betrifft Angebote zur umfas- 25-jährigen Jubiläums der Kairoer Weltbevölkerungs- senden Aufklärung und legale, sichere Schwangerschaft- konferenz kommt die Große Koalition kurz vor Tores- sabbrüche, aber genauso auch die Mutter-Kind-Gesund- schluss noch mit einem Antrag um die Ecke. Sie wollen heit, um die hohen Sterblichkeitsraten nachhaltig zu sich selbst feiern, obwohl die Bundesregierung weit- senken. gehend tatenlos geblieben ist. Die Situation ist drama- Wir erkennen durchaus an, dass sich die Große Koali- tisch: Die Ausgaben Deutschlands für die gesundheits- tion in ihrem Antrag zum überfälligen Handlungsbedarf bezogene Entwicklungszusammenarbeit betragen nur beim Thema „selbstbestimmte Familienplanung“ be- 0,033 Prozent des Bruttonationaleinkommens. Die Bun- kennt. Die Vorschläge sind für sich genommen sinnvoll, desregierung verfehlt damit die Empfehlung der Weltge- aber in einen falschen Rahmen eingebettet. Sie wollen sundheitsorganisation, wonach mindestens 0,1 Prozent genauso wie die Grünen verstärkt einzelne Projekte im bereitgestellt werden sollen. Für die sexuelle und repro- Rahmen der EZ fördern, wodurch die systemischen Ab- duktive Gesundheit hat die Bundesregierung im laufen- hängigkeiten aber fortgeschrieben und vertieft werden. den Jahr gerade einmal 50 Millionen Euro ausgegeben, Wir als Linke fordern dagegen in unserem Antrag den und das bei einem BMZ-Gesamtetat von über 10 Milliar- Auf- und Ausbau einer qualitativ hochwertigen, öffent- den Euro. Das ist weniger als ein Tröpfchen auf den hei- lichen Basisgesundheitsversorgung in den Ländern des ßen Stein, das ist praktisch nichts. Ihr Selbstlob stinkt Südens. Damit soll der Bevölkerung, vor allem den gewaltig. Dafür sollten Sie sich wirklich schämen. Frauen, der Zugang zu kostenfreien Angeboten der se- Es kommt hinzu, dass die menschenrechtsblinde und xuellen und reproduktiven Gesundheit ermöglicht wer- frauenfeindliche Trump-Regierung mit der Wiederein- den. Das muss der zentrale Schwerpunkt in der gesund- führung der Global Gag Rule für milliardenschwere Fi- heitsbezogenen EZ sein. Darüber hinaus bedarf es auch 15528 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

(A) eines kostenlosen Zugangs zu einem öffentlichen Schul- müssen in Entscheidungsprozesse einbezogen werden (C) system, das die geschlechtsspezifischen Bedürfnisse von und aktiv die Bevölkerungspolitik mitgestalten. Mädchen und jungen Frauen berücksichtigt. Das sind lohnenswerte Ziele für die EZ, um die sich die Bundes- Häufig finden wir ein Frauenbild, welches auf tradier- regierung viel stärker kümmern müsste. ten und stereotypischen Genderrollen beruht. Dieses Bild ändert sich für Mädchen nur durch die Schulerfahrung Die Anträge der Großen Koalition und der Grünen und durch Bildung. weisen zwar in die richtige Richtung, schenken aber dem Aufbau von öffentlichen Basisstrukturen kaum Be- Mädchen müssen erkennen können und dürfen, wel- achtung. Deshalb werden wir uns bei beiden Anträgen chen Platz sie in der Gesellschaft einnehmen und wie es enthalten. Den Antrag der FDP zur Einberufung einer dazu kommt. Sie lernen, sich in ihren Beziehungen zu Weltbevölkerungskonferenz lehnen wir ab, weil sich die anderen zu behaupten und für ihre eigenen Interessen ein- FDP wie gewohnt als Lobbyistin für die Interessen von zutreten. Und sie werden vor schädlichen Praktiken wie Agrargroßkonzernen einsetzt, die gentechnisch veränder- zum Beispiel einer Kinderehe geschützt. Daher ist der te Nahrungsmittel herstellen. Bei dem anderen Antrag der Zugang zu Bildung für Mädchen so enorm wichtig und FDP-Fraktion zur Global Gag Rule werden wir uns hin- der wohl wichtigste Faktor für ein selbstbestimmtes Le- gegen enthalten. ben. Die Bevölkerung wächst vor allem in den ärmsten und Ottmar von Holtz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): fragilsten Ländern weiterhin stark. Das hat nichts mit dem Frauen sollten selbst entscheiden können, mit welchem Islam zu tun. Angola, die Demokratische Republik Kon- Mann sie wann Kinder bekommen und wie viele. Hunde- go, Burundi, Uganda, Mosambik: alles Länder, die zu den rte Millionen Frauen erleben allerdings immer noch Ge- Top 15 der Länder mit den höchsten Wachstumsraten ge- walt in der Beziehung, haben nur selten Verhütungsmittel hören – und die alle kaum muslimische Gemeinden ha- zur Verfügung oder werden zwangsverheiratet. Das sagt ben. uns der Weltbevölkerungsbericht des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) von 2019. Einige unter uns hatten gerade heute Mittag die Ge- legenheit, mit der Chefin des Nationalen Bevölkerungs- Zwar sind seit der Gründung von UNFPA im Jahr 1969 rats in Ghana über die Bevölkerungsentwicklung in Af- bemerkenswerte Erfolge auf dem Wege zu sexueller und rika zu sprechen. Ihre Botschaft war klar: Wenn der starke reproduktiver Gesundheit und der Umsetzung reproduk- Zuwachs eingedämmt werden soll, so muss die Sterblich- tiver Rechte erzielt worden. Doch wir sind weltweit noch keitsrate bei Kleinkindern drastisch reduziert werden. lange nicht am Ziel, dass allen Frauen das Recht auf den Denn in Gesellschaften mit gesunden, gedeihenden Kin- (B) eigenen Körper zugestanden wird. dern geht die Fertilitätsrate drastisch zurück. Und es muss (D) Der Zeitgeist heute bietet in dieser Hinsicht eine enor- bekämpft werden, dass Mädchen zu früh und ungewollt me Herausforderung: Regressive Kräfte und ultrakonser- schwanger werden; Zwangsheiraten und die Entrechtung vative religiöse Akteure versuchen mit Macht, das Rad von Mädchen und Frauen müssen beseitigt werden. der Geschichte zurückzudrehen. Jahrzehntelange Fort- Deshalb legen wir den Fokus in unserem Antrag auf schritte bei den Menschenrechten sollen rückgängig ge- Bildung und Gesundheit insbesondere der Mädchen und macht werden, traditionelle Geschlechterrollen im Fami- Frauen, und insbesondere in fragilen Staaten und Regio- lien- und öffentlichen Leben durchgesetzt werden. nen. Zuletzt im September haben 19 Staaten, darunter Polen, Ungarn und die USA in einer gemeinsamen Erklärung darauf hingewiesen, dass sie die sexuellen Rechte nicht in VN-Dokumenten verankern wollen. Anlage 13 Und jede Wette: Auch hier im Bundestag sitzen auf der rechten Seite des Hauses Abgeordnete, die davon träu- Zu Protokoll gegebene Reden men, dass auch Deutschland diesen Weg gehen sollte. zur Beratung des von den Fraktionen FDP, DIE Eine Schande ist das. LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- Was Sie von der sogenannten AfD zu diesem so un- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung fassbar wichtigen Thema im Ausschuss zu sagen hatten, des Grundgesetzes (Änderung des Artikels 3 Ab- mussten wir uns ja am Mittwoch anhören. Der Islam sei satz 3 – Einfügung des Merkmals sexuelle Identität) mal wieder an allem schuld. (Tagesordnungspunkt 20) Entweder ahnen Sie nicht, was für eine Wirkung Sie mit Ihrer Islamfeindlichkeit erzielen. Was schlimm wäre. Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): Vor knapp zehn Ich glaube aber, Sie betreiben dieses Spiel mit Absicht. Jahren stand ich hier am Pult und habe meine erste Rede Was noch schlimmer ist. Sie wollen nur eines: Sie wollen im Deutschen Bundestag gehalten, meine Jungfernrede. unsere Gesellschaft spalten, ohne Wenn und Aber. Das ist Inhaltlich ging es genau darum, worum es auch heute ihre Mission! Schämen Sie sich! geht: um die Ergänzung des Artikels 3 Absatz 3 GG um das Merkmal der sexuellen Identität. Dreh- und Angelpunkt beim Thema Bevölkerungsent- wicklung ist eine Politik, in der Frauen als Personen mit Damals habe ich meine Rede mit dem Hinweis einge- Rechten und eigenen Bedürfnissen behandelt werden. Sie leitet, dass in meinem Wahlkreis hier in Berlin viele Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15529

(A) Schwule und Lesben leben, in Schöneberg haben wir – Ich weiß, dass sich manch einer meiner Kollegen mit (C) vielleicht nach Köln – eine der größten LGBT-Commu- einer solchen Änderung noch schwertut: nicht, weil sie nitys in Deutschland. Damals habe ich gesehen, dass die- nicht auch wollen, dass Menschen ohne Angst und Dis- se Gruppe von Menschen jeden Tag mit Anfeindungen, kriminierung in Deutschland leben können, sondern weil Attacken und Diskriminierungen umgehen muss und ha- sie – wie ich das damals ja auch getan habe – sagen, die be das verurteilt. Damals habe ich aber nicht gesehen, Verfassung schütze bereits gegen Diskriminierung auf- dass auch unser altbewährtes Grundgesetz besser und ge- grund der sexuellen Identität. Ein Verfassungstext müsse rechter werden und mehr Schutz geben kann. Ich habe klar, er müsse pur sein und dürfe nichts Überflüssiges den Antrag zur Änderung von Artikel 3 Grundgesetz da- enthalten. Ja, das ist so, und das unterstreiche ich. mals abgelehnt. Aber eine Verfassung ist eben nicht allein Rechtstext, Geleitet hat mich damals eine sehr juristische Argu- sondern eine Verfassung ist das zentrale identitätsstiften- mentation. Denn zweifelsohne ist es richtig – damals de Dokument, aus der eine Gesellschaft seine grundle- wie heute –, dass die sexuelle Identität durch Artikel 3 genden Werte ableitet und diese in ihr ausdrücklich ver- Grundgesetz geschützt wird. Zwar gehört sie nicht zu den körpert sehen will. Und der Schutz der sexuellen Identität in Absatz 3 aufgezählten absoluten Diskriminierungsver- ist eben nicht ausdrücklich in Artikel 3 Absatz 3 GG auf- boten. Aber das Bundesverfassungsgericht legt in seiner gezählt. Diese Lücke möchte ich schließen. Und deswe- Rechtsprechung immer dann einen besonders strengen, gen würde ich mich freuen, wenn viele Kollegen aus dem Schutzumfang von Artikel 3 Absatz 3 GG vergleich- meiner Fraktion noch einmal in sich gehen und überlegen baren Prüfungsmaßstab an, wenn der Grund der Differen- würden, ob sie diesen Weg nicht mitgehen könnten. zierung den in Absatz 3 genannten Merkmalen nahe- kommt. Das ist bei der sexuellen Identität der Fall. Es wäre ein starkes Signal dieses Hohen Hauses, wenn wir am Ende gemeinschaftlich die Verfassung ändern und Ich habe daher argumentiert, dass es einer Änderung die Botschaft aussenden würden: In unserem Land ist der Verfassung nicht bedürfe, wenn der angestrebte kein Platz für Diskriminierung von Schwulen und Les- Schutz bereits gewährleistet sei. Ich war damals der Mei- ben! nung, dass dies nur Symbolpolitik sei und wir stattdessen besser konkrete Schritte gegen Diskriminierung unter- nehmen sollten. Sonja Amalie Steffen (SPD): Die Fraktionen von FDP, Linken und Grünen wollen homosexuelle, auch Das war damals. Heute sehe ich das anders. Denn heute transsexuelle Menschen besser schützen. Sie wollen des- sehe ich, dass in unserem Land jeden Tag Lesben und halb Artikel 3 Grundgesetz ergänzen. Alle Menschen sind (B) Schwule angefeindet werden – einfach nur, weil sie so vor dem Gesetz gleich, steht dort in Absatz 1. In Absatz 2 (D) sind, wie sie sind. Es gibt zunehmend Hass und Hetze, geht es um die Gleichberechtigung von Männern und und die Zahl homophober Übergriffe nimmt zu. Das be- Frauen. reitet mir Sorge. Und Absatz 3 enthält spezielle Diskriminierungsver- Deswegen glaube ich, dass wir ein klares und vor allen bote. Wegen einer Behinderung darf niemand benach- Dingen sichtbares Zeichen gegen Diskriminierung und teiligt werden, heißt es da. Und auch wegen seines Hass brauchen. Kein Mensch darf in unserem Land auf- Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner grund seiner sexuellen Identität ausgegrenzt, verfolgt Sprache, seiner Heimat und Herkunft, wegen seines Glau- oder diskriminiert werden. bens oder wegen seiner politischen Anschauungen darf niemand benachteiligt oder bevorzugt werden. Der Vor- Und für ein solches Zeichen ist unsere Verfassung der schlag lautet jetzt: Diese besonderen Diskriminierungs- richtige Ort. Dort sind die unsere Rechts- und Gesell- verbote sollen ergänzt werden. Auch wegen seiner se- schaftsordnung prägenden Werte und Prinzipien nieder- xuellen Identität soll niemand benachteiligt oder gelegt. Dort muss der Schutz der sexuellen Identität bevorzugt werden dürfen. ausdrücklich genannt sein. Die Ergänzung des Gleich- heitsartikels wäre ein klares Bekenntnis zu einer offenen Rechtlich ist es so: Eine Ungleichbehandlung, die an und freiheitlichen Gesellschaft, in der LGBTIQ selbstver- die Merkmale des Absatzes 3 anknüpft, muss besonders ständlich dazugehören und in der sie angst- und diskrimi- gerechtfertigt werden. Hier gelten strenge Anforderun- nierungsfrei leben können. Auch mit Blick auf diejenigen gen. Denn die Abstammung zum Beispiel ist vorgegeben Menschen, die aus ihrem kulturellen oder religiösen Hin- und für jeden Menschen unbeeinflussbar. Die Religion tergrund Schwule und Lesben nicht als selbstverständli- wiederum betrifft den geschützten Kern menschlicher In- chen Teil unserer Gesellschaft akzeptieren wollen, ist ein dividualität. Beides trifft auch auf die sexuelle Identität solches Zeichen wichtig. zu. Ungleichbehandlungen sind deshalb besonders kri- tisch. Heute geht es dabei nicht mehr nur allein um Symbol- politik. Mit der Ergänzung von Artikel 3 Absatz 3 GG Wir Sozialdemokraten fänden es gut, wenn das Grund- sichern wir das bisher bei Gleichstellung und Schutz ge- gesetz in dieser Weise ergänzt würde. Das höhere Schutz- gen Diskriminierung Erreichte verfassungsrechtlich ab. niveau würde damit für alle sichtbar. Reaktionären und rückwärtsgewandten Kräften – die hier im Deutschen Bundestag und in vielen Landtagen viel zu Aber eines ist wichtig: Die Verfassung gibt homose- zahlreich vertreten sind – wird damit ein Riegel vorge- xuellen Menschen diesen höheren Schutz heute schon. Er schoben. ergibt sich aus dem Grundgesetz. Auch ohne Änderung. 15530 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

(A) Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sprechend den Vorgaben der Richtlinie (EU) 2018/822 – (C) ist eindeutig und durch mehrere Entscheidungen verfes- rechtspolitisch und veranlagungsunterstützend ausgestal- tigt: Die sexuelle Orientierung ist ein Persönlichkeits- tete Mitteilungspflicht für bestimmte grenzüberschreiten- merkmal, das mit den Merkmalen in Artikel 3 Absatz 3 de Steuergestaltungen eingeführt. Grundgesetz vergleichbar ist. Darum greift bei einer Un- gleichbehandlung derselbe strenge Kontrollmaßstab. Durch die Einführung der Pflicht zur Mitteilung grenz- überschreitender Steuergestaltungen erhalten die Steuer- Deshalb: Das Diskriminierungsverbot gilt heute schon. behörden der Mitgliedstaaten der Europäischen Union Es wäre zwar schön, wenn wir dieses Verbot in der Ver- umfassende Informationen über die als relevant einge- fassung sichtbar machen würden. Aber Sie alle wissen stuften Steuergestaltungen. Der vorliegende Gesetzent- auch, dass wir unseren Koalitionspartner bei diesen Fra- wurf ist wichtig, damit auch Deutschland Informationen gen leider immer zum Jagen tragen müssen. Wir werden im Austausch mit den anderen Mitgliedstaaten erhält. uns darum bemühen, das kann ich versprechen. Dass es gelingt, kann ich nicht versprechen. Dabei wird der automatische Austausch der Daten über mitteilungspflichtige Steuergestaltungen unter den Mit- Vorrangig ist jetzt für uns, dass wir die praktischen gliedstaaten über ein Zentralverzeichnis erfolgen. Es Probleme im Leben homosexueller Paare und transse- muss aber sichergestellt sein, dass die empfangenen Da- xueller Menschen bearbeiten. Hier gibt es noch einiges ten umgehend ausgewertet und die entsprechenden zu tun. Ich weise vor allem auf das Familienrecht und die Schlussfolgerungen daraus gezogen werden können. Reform des Abstammungsrechts hin. Von Anfang an war für die CDU/CSU-Fraktion hierbei Auf unserem Tisch liegt bereits der Gesetzentwurf zur klar: Deutschland darf nicht über die Richtlinie hinaus- Neuregelung der Stiefkindadoption. Er wird auch gleich- gehen und seinen Unternehmen unnötige, weitergehende geschlechtlichen Paaren, die nicht verheiratet sind, die Verpflichtungen auferlegen. Zu oft schon führte die Um- Stiefkindadoption ermöglichen. setzung von EU-Richtlinien in nationales Recht zu über Auch das Abstammungsrecht muss reformiert werden; das Ziel hinaus schießenden und unsere Wirtschaft lähm- das bestehende Recht wird gerade durch die Wirklichkeit enden Regularien. Und eben das wollen wir nicht. Wir überholt. Hier gibt es bisher einen Diskussionsentwurf standen deshalb von Anfang an Plänen sehr kritisch ge- des Bundesjustizministeriums. Es geht zum Beispiel um genüber, was die über die Richtlinie hinausgehende und die Möglichkeit der lesbischen Mit-Mutter, um die bes- vom Finanzminister und der SPD propagierte Einführung sere Regelung der Samenspende, eventuell auch der nationaler Anzeigepflichten angeht. Embryospende, und bei alledem auch um die Rechte Diese nationale Anzeigepflicht geht weit über das Ziel (B) der Kinder. Grundlegende Fragen sind das, nicht einfach. hinaus und schafft überbordende Bürokratie für den Mit- (D) Es liegt noch viel praktische Gesetzgebungsarbeit vor telstand und die deutsche Industrie, ohne einen Mehrge- uns. halt an Informationen zu erhalten. Wenn man mehr Infor- mationen erhalten will, dann geht das aus unserer Sicht national über zeitnahe oder sogar veranlagungsbegleiten- de Betriebsprüfungen. Hier liegen alle Daten transparent Anlage 14 und vollständig den Finanzbehörden vor. Daher muss ich das für die CDU/CSU-Bundestagsfrak- Zu Protokoll gegebene Reden tion auch so deutlich sagen: Was mit der Mehrheit der A- zur Beratung des von der Bundesregierung einge- Länder im Finanzausschuss des Bundesrats beschlossen brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung wurde – ich meine hier explizit den § 138l und die hier einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender geforderte Mittelungspflicht für innerstaatliche Steuerge- Steuergestaltungen staltung –, lehnen wir aus fachlicher Überzeugung ganz deutlich ab. (Tagesordnungspunkt 21) Das Gesetzgebungsverfahren erfolgt im fristverkürz- Sebastian Brehm (CDU/CSU): Ziel unserer Steuer- ten Verfahren. Dennoch müssen wir uns ausreichend Zeit politik ist es, unsere Steuerbemessungsgrundlagen und in der parlamentarischen Beratung nehmen, die relevan- unser Steuersubstrat vor immer ausgefeilteren Steuerver- ten Eingaben der Verbände, Praktiker und Wissenschaft- meidungspraktiken und Gewinnverlagerungen zu ler in der nächste Woche stattfindenden Anhörung prüfen schützen. Wenn Strukturen grenzüberschreitend sind, und dann sehen, an welchen Stellen möglicherweise ein kommt es nicht automatisch, aber leider doch ab und zu nicht zu vertretender Mehraufwand für Unternehmen ge- zur Ausnutzung der unterschiedlichen Steuerrechtsord- schaffen wird. nungen und im Ergebnis zu einem ungewollten Rückgang der Steuereinnahmen in Deutschland. Um diese nicht ge- Die Frage des Erfüllungsaufwands ist natürlich bedeut- wollten missbräuchlichen Gestaltungen einzudämmen, sam und sowohl im Bundesrat als auch durch den Nor- ist Transparenz wichtig und notwendig. menkontrollrat aufgeworfen worden. Auch müssen wir schauen, dass wir keine überbordende Meldeflut produ- Mit dem Gesetzentwurf zur Einführung einer Pflicht zieren, die den Zweck der EU-Richtlinie ad absurdum zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen führt. Ebenso müssen wir prüfen, inwieweit steuerbera- wird die Richtlinie (EU) 2018/822 fristgerecht – bis Jah- tende Berufsträger nicht in einen Konflikt mit der Ver- resende – in nationales Recht umgesetzt und eine – ent- schwiegenheitspflicht kommen und der besondere Ver- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15531

(A) trauensschutz von Mandanten missachtet wird. Zur An- Schritte in diesem Bereich umgesetzt. Nun haben wir mit (C) zeige sollen die sogenannte Intermediäre verpflichtet den grenzüberschreitenden Anzeigepflichten ein weiteres werden. Dabei handelt es sich um Personen, die mit der Instrument, um Missbrauch in diesem Bereich wirksam Konzeption oder Umsetzung bestimmter Steuergestaltun- zu bekämpfen. Mithilfe der Anzeigepflichten werden un- gen befasst sind. gewollte Grauzonen im Steuerrecht frühzeitig aufge- deckt. Die nationalen Gesetzgeber können diese dann Vor dem Hintergrund der Anzeigepflicht müssen sich schnell schließen. Transparenz im Steuerrecht ist von diese Intermediäre künftig bei jeder steuerlichen Bera- höchster Bedeutung. Mit diesem Gesetzentwurf machen tung die Fragen stellen, ob die Gestaltung einen grenz- wir einen weiteren Schritt in die richtige Richtung und überschreitenden Bezug aufweist; ob die Gestaltung ein setzen die Richtlinie weitgehend eins zu eins um. Die Kennzeichen im Sinne des § 138e AO-E aufweist; ob, Vorgaben der Europäischen Union sind streng genug. wenn es sich um ein Kennzeichen mit Relevanztest han- Dies betrifft vor allem den Katalog von Kennzeichen, delt, der (Haupt-)Vorteil in der Erlangung eines steuer- die sogenannten „Hallmarks“, nach welchen sich die An- lichen Vorteils liegt. zeigepflicht richtet. Die Klärung dieser Fragen wird mit praktisch jeder steuerlichen Gestaltungsberatung einhergehen und das Wir befürworten die Beschränkung auf grenzüber- bereits ab dem ersten Euro. Auch das erscheint in keiner schreitende Sachverhalte und damit den Verzicht auf na- Weise praktikabel. Hier muss man dringend über eine De- tionale Anzeigepflichten. Wir haben in Deutschland be- minimis-Regelung nachdenken. reits umfangreiche Offenlegungspflichten, welche die nötige Transparenz von Unternehmen erzeugen. Ein deut- Um nicht in den Bereich einer Ordnungswidrigkeit zu lich besserer Ansatz für ein nationales Vorhaben wäre die kommen, wird es dann eher eine Meldung zu viel als zu Optimierung der Betriebsprüfung, in dem diese deutlich wenig geben. Die zuvor erwähnte Meldeflut scheint vor- zeitnäher und kooperativer ausgestaltet würde. Dadurch programmiert. Ob wir uns das so wünschen? Ob wir dann könnten ebenfalls nicht gewollte Steuergestaltungen zeit- die Anwendbarkeit bei der alltäglichen Steuerberatung nah aufgedeckt werden und es würde gleichzeitig einige tatsächlich so wollen, auch darüber wird zu sprechen sein. Verbesserungen für die Unternehmen mit sich bringen. Die Anzeigepflicht sollte sich auf modellhafte und ge- werblich entworfene Steuergestaltungen beschränken Es ist richtig und wichtig, dass Gestaltungen aus dem und nicht auf das ganz normale und ordnungsgemäße Rückwirkungszeitraum nicht durch die im Gesetz veran- Tagesgeschäft anwendbar sein. kerten Maßnahmen sanktioniert werden. Diesbezüglich bedarf es jedoch noch einer Klarstellung, dass dies durch Es gibt also schon diverse Punkte in dem Gesetzent- die Auslagerung der Regelung zur Meldung von Altfällen (B) wurf, mit denen wir uns etwas intensiver befassen müs- auch tatsächlich der Fall ist. Eine Rückwirkung, welche (D) sen, damit wir am Ende auch ein Instrument zur Hand zu Sanktionen führt, würde erhebliche Schäden in der haben, das zu mehr Steuergerechtigkeit führt, mehr Wirtschaft verursachen und kann nicht gewollt sein. Transparenz schafft und zielgenau dort ansetzt, wo man Missbrauch eindämmen will. Was wir nicht wollen, ist Zudem wird die Umsetzung des Gesetzes uns noch vor mehr Bürokratie oder eine irrelevante Meldeflut. die eine oder andere Herausforderung stellen. Der Aus- tausch von Daten zwischen den Ländern ist wichtig, birgt Und um es an dieser Stelle noch einmal klarzustellen: aber noch Risiken bei der Umsetzung. Es muss sicherge- Steuerplanung ist im Grundsatz legitim und entspricht der stellt sein, dass der Datenaustausch schnell und sicher gewollten täglichen Ausgestaltung des deutschen Steuer- erfolgt und dass die ausgetauschten Daten sofort verar- rechts. Wenn wir das nicht mehr wollen, dann sprechen beitet werden können. Außerdem müssen wir eine aus- wir von Flat-Tax-Systemen, die aber aus meiner Sicht reichende Rechtssicherheit für unsere Unternehmen eben nicht mehr zur Steuergerechtigkeit in Deutschland schaffen. In Bezug auf den Kriterienkatalog sollte zum führen. Auch das werden wir in den Beratungen im Fokus Beispiel überlegt werden, ob man eine Klarstellung haben. schaffen könnte, welche Gestaltungen nicht unter den Anwendungsbereich des Gesetzes fallen. Daher ist es not- Fritz Güntzler (CDU/CSU): Mit dem Gesetzentwurf wendig, dass wir möglichst schnell eine Klarstellung in zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüber- Form eines BMF-Schreibens bekommen. Solch eine schreitender Steuergestaltungen wird die „DAC VI“- „White-List“ würde auch im Rahmen der Richtlinie bei Richtlinie umgesetzt. Ziel ist die Aufdeckung „aggressi- der europäischen Anwendung helfen und könnte bei der ver“ und vom Gesetzgeber nicht gewollter Steuergestal- Umsetzung des Gesetzes enorme Erleichterungen schaf- tungsmodelle. Der grenzüberschreitende Bezug wird so fen. Daher appelliere ich an die Bundesregierung, sich dem Informationsaustausch zwischen den Ländern der auch auf europäischer Ebene für die Einführung einer Europäischen Union dienen. Durch diese Maßnahme „White-List“ einzusetzen. Dies würde die notwenige werden die Mitgliedstaaten in die Lage versetzt, Steuer- Rechtssicherheit schaffen. vermeidungspraktiken und Gewinnverlagerungen zeitnah aufzudecken. Damit gelingt uns die Umsetzung eines Die Umsetzung des Gesetzentwurfs darf zudem nicht transparenteren Steuerrechts. zu einem unverhältnismäßig hohen Bürokratieaufwand führen. Dies hat auch der Bundesrat in seiner Empfehlung Das Thema der Gewinnverlagerungen sind wir bereits festgehalten. in der letzten Legislaturperiode offensiv angegangen. Aus dem BEPS-Plan der OECD, welchen Deutschland feder- Ein weiterer problematischer Aspekt ist der Adressat führend mit entwickelt hat, haben wir auch schon erste des Gesetzes. Adressat der Mitteilungspflicht ist nämlich 15532 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

(A) der sogenannte Intermediär oder der Steuerpflichtige Am liebsten hätten wir die Anzeigepflicht nicht nur für (C) selbst. Der Intermediär ist jede Person, welche einen mel- grenzübergreifende Steuergestaltungsmodelle, sondern depflichtigen, grenzüberschreitenden Sachverhalt konzi- auch für rein innerdeutsche Modelle. Kollege Brehm piert, vermarktet oder bereitstellt. Damit werden also ins- von der Union sieht das auch so. Doch zu so viel Einsatz besondere Steuerberater und Wirtschaftsprüfer adressiert. im Kampf für Steuergerechtigkeit wollte die Union sich Diese unterliegen jedoch grundsätzlich einer Verschwie- insgesamt bisher nicht bekennen. Wir werden es aber in genheitspflicht gegenüber ihren Mandanten, welche den kommenden Beratungen noch mal auf die Agenda durch dieses Gesetz konterkariert wird. Das damit ver- setzen. bundene Vertrauensverhältnis ist für die Steuerberater und Wirtschaftsprüfer von hoher Bedeutung und nicht Albrecht Glaser (AfD): Der hier vorgelegte Entwurf selten Grundlage für die Geschäftsbeziehungen zu ihren eines Gesetzes zur Einführung einer Pflicht zur Mittei- Mandanten. Die besondere Bedeutung dieses Vertrauens- lung grenzüberschreitender Steuergestaltungen ist der verhältnisses hat unter anderem auch das Bundesverfas- Versuch, eine EU-Richtlinie des letzten Jahres umzuset- sungsgericht in seiner Entscheidung vom 12. April 2005 zen. Die Richtlinie selbst geht auf Aktivitäten der OECD anerkannt. zurück, mit dem Ziel der Verhinderung internationaler Steuerhinterziehung. Daher sollten wir zum Schutz unserer Berater darüber nachdenken, ob wir nicht eine Kompromisslösung für Steuerhinterziehung ist ein großes Thema. Dass zu ih- diese Fälle finden können. Solch eine Lösung könnte rer Bekämpfung internationale Zusammenarbeit notwen- zum Beispiel sein, dass nur der Steuerpflichtige die An- dig ist, erklärt sich von selbst. Die Frage ist aber: Sind die zeigepflicht erfüllen muss und die Verschwiegenheits- eingesetzten Mittel geeignet und verhältnismäßig zum pflicht der Berater geschützt würde. Alternativ könnte gegebenen Ziel? der Steuerpflichtige den Intermediär beauftragen, die An- Beides scheint bei dem vorgelegten Entwurf fraglich. zeigepflicht zu erfüllen. Auf jeden Fall kann es nicht un- In der Gesetzesbegründung heißt es sinngemäß, durch ser Ziel sein, dass sowohl der Intermediär als auch der diese Vorschriften erhielten die Steuerbehörden umfas- Steuerpflichtige eine Erklärung abgeben müssen. sende Informationen zu Steuergestaltungen und würden Damit haben wir noch einiges an Arbeit vor uns, um sie in die Lage versetzt, solche Steuerpraktiken zu identi- ein gutes Gesetz noch besser zu machen. fizieren und ungewollte Gestaltungsspielräume zu schließen. Cansel Kiziltepe (SPD): Der Kampf gegen Steuerver- Das setzt allerdings voraus, dass die Steuerbehörden meidung und -hinterziehung ist wie der Kampf gegen auch willens und in der Lage sind, das zu tun. In der (B) eine mehrköpfige Hydra. Kaum hat man einen Kopf ab- Vergangenheit hat sich aber gezeigt, dass die Behörden (D) geschlagen, wachsen zwei nach. Herr Schäuble, eine das nicht hinbekommen. Bei dem Skandal zu den Cum/ Aussage von Ihnen, die viel Wahres beinhaltet. Cum- und Cum/Ex-Geschäften wurde deutlich, dass über Aber wir sollten deswegen nicht den Kopf in den Sand viele Jahre riesige Steuerschlupflöcher von den zuständi- stecken. Ganz im Gegenteil: Wir müssen besser werden. gen Finanzbehörden weder identifiziert noch geschlossen Wir müssen die Köpfe schneller abschlagen. Und damit wurden. wir das machen können, brauchen wir die Anzeigepflicht Dass die Behörden nicht in der Lage sind, die vorhan- für Steuergestaltungen. denen Informationen zu verwerten, zeigt die Einführung Es kann nicht sein, dass Behörden und wir hier im des sogenannten automatischen Informationsaustausches Bundestag erst Jahre nach der Entstehung eines Steuer- im Bereich der direkten Steuern, gemäß einer EU-Richt- schlupfloches reagieren können. Es dauert oft Jahre, bis linie des Jahres 2013. Hierbei werden in mehreren Millio- wir Steuerschlupflöcher im Bundestag diskutieren. Das nen Datensätzen Einkommens- und Kontodaten von Bür- sind Jahre, in denen die Ehrlichen draufzahlen, weil die gern zwischen den Mitgliedstaaten der EU ausgetauscht. Trickser sich drücken. Verschiedene Anfragen zu diesem Thema und selbst ein entsprechender Bericht des Rates der Europäischen Share Deals sind dafür ein gutes Beispiel. Hätte es die Union haben aber gezeigt, dass die wenigen Daten, die Anzeigepflicht schon früher gegeben, würden die Kolle- überhaupt brauchbar waren, gar nicht verwertet wurden. gen der Union vielleicht auch etwas weniger Einlesezeit benötigen. Ein weiteres Kriterium ist die Verhältnismäßigkeit: Je- der Steuerpflichtige soll verpflichtet werden, alles zu Klar ist doch: Wir müssen handlungsfähiger werden; melden, was an grenzüberschreitenden Aktivitäten zu denn die Steuerberater sind es bereits. Einen Staat, der steuerlichen Vorteilen führen kann. Da Deutschland vorne und hinten ausgetrickst wird, können wir uns nicht Hochsteuerland ist, wäre damit annähernd jede Aktivität leisten. Davon profitieren nur diejenigen, die bereits jetzt eines Unternehmens im Ausland mit irgendeinem steuer- viel haben. lichen Vorteil verknüpft – und seien es nur günstigere Abschreibungsregeln. Die Allgemeinheit hingegen zahlt den Preis: mit maro- den Straßen, fehlendem öffentlichem Wohnungsbau und Hinzu kommt, dass der deutsche Finanzminister – in vo- sanierungsbedürftigen Schulen sowie Universitäten – ein rauseilendem EU-Gehorsam – an vielen Stellen die An- Zustand, den wir mit allen Mitteln bekämpfen müssen. forderungen der EU-Richtlinie verschärft hat, was zu Damit wir einen Schritt weiterkommen, brauchen wir die noch mehr Rechtsunsicherheit und weiteren Bürokratie- Anzeigepflicht. kosten führen wird. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15533

(A) Wir fordern, dass sich nach der noch ausstehenden die der grenzüberschreitenden nämlich noch um ein Viel- (C) öffentlichen Anhörung die Koalitionsfraktionen zu um- faches übersteigen. fangreichen Nachbesserungen durchringen werden, bevor dieses Bürokratie- und Überwachungsungetüm Es ist schließlich auch zu kritisieren, dass durch eine großen Schaden bei den Steuerbürgern und der deutschen Meldung gar keine Vorteile für die steuerliche Veranla- Wirtschaft anrichtet. gung entstehen. Der Meldende bekommt auf die Meldung überhaupt keine Rückmeldung. Ich fände es angemessen, wenn es zumindest eine zeitnahe Rückmeldung der Dr. Florian Toncar (FDP): Wenn es um die Melde- Behörden gäbe, wie ein gemeldetes Modell von der Fi- pflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungen geht, nanzverwaltung bewertet wird. Es ist doch so, dass die dann entsteht zuweilen der Eindruck, dass nicht klar ge- Unternehmen im absoluten Regelfall einfach nur Rechts- nug zwischen krimineller Steuerhinterziehung und lega- sicherheit haben wollen. Sie erwarten von Steuer- und ler Steuergestaltung unterschieden wird. Um es ganz Rechtsberatern, dass diese ihnen helfen, alles richtig zu deutlich zu sagen: Steuerhinterziehung ist eine Straftat – machen. Deswegen: Stellen Sie sicher, dass das Motiv der Steuergestaltung ist legal. Das ist klar voneinander abzu- Veranlagungsunterstützung auch in der Praxis gelebt grenzen. Wir Freie Demokraten haben mit unserem An- wird. trag „Steuerschlupflöcher schließen, aggressive Steuer- vermeidung und Steuerhinterziehung beenden“ gezeigt, wie man illegale Praktiken effektiv bekämpfen kann. Fabio De Masi (DIE LINKE): Fünf Jahre ist es nun her, dass die Öffentlichkeit einen Einblick in die Steuer- Steuergestaltung ist sehr häufig Teil der Veranlagung tricks der großen Konzerne bekam. Die Luxemburg- und auch nicht per se illegitim. Dort, wo es unerwünschte Leaks zeigten, wie Amazon und Co. ihre Steuern durch Lücken im Steuerrecht oder als missbräuchlich empfun- Absprachen mit den dortigen Finanzbehörden auf bis zu dene Steuerpraktiken gibt, ist es die Aufgabe des Gesetz- unter 1 Prozent drückten. Luxemburg hatte dabei sogar gebers, diese zu schließen. Stattdessen verlegt man sich das Briefpapier der Finanzverwaltung an die Berater von aber nun auf private Akteure und legt diesen die Pflicht PwC gegeben, um Steuerdeals schneller zu stempeln. Der auf, Steuermodelle zu evaluieren und zu melden. Das ist scheidende Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker aber doch eigentlich eine Kernaufgabe des Staates, die wusste seit mindestens Ende der 90er-Jahre um die Bri- hier privatisiert wird. sanz der Steuervorbescheide. Was mich in dem Zusammenhang besonders besorgt, Nach allem, was wir wissen, gehen die Steuertricks der ist, dass damit der Schutz des Berufsgeheimnisses aus- Konzerne weiter. Die Allgemeinheit zahlt die Zeche gehöhlt wird. Das betrifft zum Beispiel Rechtsanwälte, (B) durch hunderte Milliarden Euro, die nicht in Pflege, Brü- (D) Steuerberater und Wirtschaftsprüfer. Das Mandantenver- cken oder Klimaschutz investiert werden. hältnis ist ein hohes Rechtsgut und darf nicht belastet werden. Wer wird sich denn künftig noch unabhängig Nun setzt die Bundesregierung eine weitere internatio- beraten lassen, wenn der Inhalt des Beratungsgesprächs nale Reform um. Grenzüberschreitende Steuergestaltun- an das Finanzamt gemeldet werden muss? Man kann also gen sollen den Steuerbehörden gemeldet werden. Das schon die Grundgedanken dieses Gesetzes mit guten hört sich gut an und hilft sicher in manchen Fällen. Was Gründen hinterfragen. passiert aber, wenn der Trick vollständig hierzulande ab- läuft – so wie die ersten Cum-Ex-Geschäfte? Nichts! Da es sich hier aber um die Umsetzung einer EU-Richt- Denn anders als noch im Referentenentwurf von Januar linie handelt, müssen wir wenigstens eine praxisnahe vorgesehen, wurde diese Meldepflicht durch Lobbying Umsetzung erreichen. Und da muss ich sagen, dass es gestrichen. die Bundesregierung an dieser Stelle versäumt hat, die vielen unklaren Rechtsbegriffe der Richtlinie vernünftig Überdies sind die Strafen wieder mal viel zu niedrig. zu konkretisieren. Stattdessen hat sie auch noch einen 25 000 Euro bei vorsätzlichen Verstößen sind doch ein vielfach überschießenden Gesetzentwurf vorgelegt. Klacks im Vergleich zu den Milliarden, die durch Steuer- vermeidung erwirtschaftet werden. So wird keine Ab- Ein Hauptproblem ist, dass die Definition von Steuer- schreckung erzeugt. gestaltung an sich unklar bleibt. Wozu wird das führen? Im Zweifelsfall wird dann eben alles gemeldet werden, Und Fakt ist auch: Die Steuervorbescheide der Luxem- und die Behörden versinken in Meldungen. Das wird burg-Leaks werden nun schon seit einigen Jahren zwi- noch verschärft durch die hochproblematische Rückwir- schen den Staaten ausgetauscht. In Deutschland fehlt aber kung des Gesetzentwurfs. Stattdessen könnte eine Liste das Personal in den Finanzbehörden, um die komplexen erlaubter Steuergestaltungen nötig sein, um Rechtssicher- Steuermodelle der Multis zu analysieren. heit zu schaffen. Denn die Einführungsphase wird für die Betroffenen zu einer riesigen Unsicherheit und Überfor- Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte derung führen. Das kann doch nicht das Ziel des Gesetz- fordern überdies im laufenden Verfahren, auch noch ganz gebers sein. von der neuen Meldepflicht ausgenommen zu werden. Das ist verrückt; denn die schwarzen Schafe dieser Bran- Was wir Freien Demokraten begrüßen, ist, dass die chen sind doch die Profis der Steuerakrobatik. Vielmehr Bundesregierung mit diesem Gesetzentwurf keine Mel- muss hier viel stärker reguliert werden – etwa durch eine depflicht für rein nationale Steuergestaltungen einführt. strikte Trennung von Beratung und Prüfung bei Konzer- Die Zahl der Meldungen von nationalen Modellen würde nen wie den Big Four. 15534 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

(A) Um die Steuertricks der Konzerne einzuhegen, muss der Bundesregierung hat noch ein paar große Leerstellen. (C) der Finanzminister endlich begreifen, dass internationale Denn wir waren als Gesetzgeber zusammen schon einmal Mindeststandards nicht hinreichend sind. Denn dort deutlich weiter: Die Finanzministerkonferenz unter Be- sitzen die Steueroasen immer mit am Tisch – ob in der teiligung der uniongeführten Länder hatte sich bereits da- EU oder bei der OECD. Wir müssen unsere Finanzver- rauf verständigt, dass die gleiche Logik und alle vorge- waltungen von Bund und Ländern so ausstatten, dass tragenen Argumente auch für nationale Gestaltungen, die Waffengleichheit mit den Steuertricksern und ihren hoch wir hier in Deutschland haben, gelten sollten. Die EU- bezahlten Anwälten herrscht. Das gilt auch für die Richtlinie regelt nur grenzüberschreitende Fälle, Steuer- Finanzgerichte. gestaltung findet aber eben nicht nur grenzüberschreitend statt. Ein Beschluss übrigens, der auf einen Entwurf aus Zugleich müssen wir die Gewinnverlagerung direkt einem grünen Finanzministerium – aus Schleswig Hol- unterbinden durch Quellensteuern auf Finanzflüsse in stein – zurückgeht. Eine Idee, die so auch ausdrücklich in Steueroasen, die auch Druck machen für eine wirkliche der Richtlinie angeregt und den Mitgliedstaaten freige- internationale Reform der Unternehmensbesteuerung. stellt wird. Auch im Referentenentwurf des Bundesfi- nanzministeriums stand das noch drin. Aber jetzt im Re- Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Heute geht gierungsentwurf wurde es wieder gestrichen, mit dem es um den Graubereich der sogenannten Steuergestaltun- Resultat, dass der Finanzausschuss des Bundesrates er- gen: das Ausnutzen legaler Steuerschlupflöcher. Häufig neut fordert, dies wieder aufzunehmen. genug diskutieren wir als Gesetzgeber im Bundestag über Steuerumgehungen zum Beispiel bei der Erbschaftsteuer Es scheint da von den Finanzministerien ein klares oder der Grunderwerbsteuer durch Share Deals. Votum zu geben, das auf Druck der Wirtschaftslobby immer wieder übergangen wird. Das ist unverantwortlich Das Problem ist, fast immer sind wir hier im Bundestag und zeigt, wie wichtig es ist, dass die zuständigen Finanz- viel zu spät damit dran – Jahre, nachdem diese Modelle beamtinnen und -beamten in den Ministerien endlich wie- zum ersten Mal zum Einsatz gekommen sind, und Jahre, der die Oberhand gewinnen und mit den nötigen Infor- in denen dem Fiskus Millionen, teilweise Milliarden ver- mationen versorgt werden. loren gehen: Geld, das den Steuerzahlerinnen und Steuer- zahlern verloren geht, Geld, mit dem Brücken und Und übrigens nicht nur die Verwaltung: Es ist enorm Schulen saniert werden könnten und der Klimaschutz vo- wichtig, dass dem Bundestag ein jährlicher Bericht über rangetrieben werden könnte. die angezeigten Steuergestaltungen vorgelegt wird; denn wir sind der Gesetzgeber. Diesen vermisse ich aktuell Damit ist das eigentliche Problem häufig nicht die un- noch im vorliegenden Gesetzentwurf. terschiedliche Auslegung des Steuerrechts. Das Problem (B) ist, dass wir erst Jahre später öffentlich darüber diskutie- Auf viele der immer wieder vorgebrachten Kritiken (D) ren, ob das im Sinne des Gesetzgebers gewesen ist und wurde reagiert: Das Berufsgeheimnis und das Vertrauens- weiterlaufen kann oder eben nicht und wir schleunigst verhältnis zwischen Steuerberater und Mandant bleiben nachbessern müssen. weiter geschützt: Unterliegt der Steuerberater einer ge- setzlichen Pflicht zur Verschwiegenheit und hat der Man- Zwischen der Verabschiedung eines Gesetzes und der dant ihn hiervon nicht befreit, ist der Mandant selbst an- Aufdeckung einer Steuergestaltung im Rahmen einer Au- zeigepflichtig. ßenprüfung vergehen in der Regel sieben bis zehn Jahre. In dieser Zeit können wir als Gesetzgeber nicht reagieren. Die Regelung zur Anzeigepflicht ist kein Bürokratie- Zudem ist es dem Gesetzgeber grundsätzlich verboten, in monster, es muss nicht „einfach alles gemeldet“ werden, diesen Fällen rückwirkend tätig zu werden. sondern es gibt sinnvolle Kriterien. Es ist wahrscheinlich, dass eine Anzeigepflicht nationaler Gestaltungen nicht Und seien wir ehrlich, keiner kann alle Gestaltungs- einmal 1 Prozent der Steuerpflichtigen treffen würde. möglichkeiten eines Steuergesetzes im Voraus überbli- Ein Großteil der Steuerberater, gerade der kleineren cken. Gerade in Deutschland gibt es eine extrem kom- Kanzleien, würde für ihre Mandanten nichts melden müs- plizierte und gestaltungsanfällige Steuergesetzgebung. sen. Hierfür gibt es Größenausnahmen. Diese zeitliche Regelungslücke hat eine immer weiter Wie wichtig auch eine Anzeigepflicht für innerstaat- ausufernde Steuergestaltungsindustrie als Geschäftsmo- liche Gestaltungen ist, zeigt ein weiteres Beispiel. Erst dell für sich erkannt. Es ist äußerst lukrativ, einige Jahre kürzlich machte die Branche der Wohnungsgenossen- dieses Steuerschlupfloch auszunutzen und zwischenzeit- schaften darauf aufmerksam, dass vermehrt dubiose Mo- lich bis zu dessen Schließung die nächste Gestaltungs- delle im Zusammenhang mit der Neugründung von soge- möglichkeit vorzubereiten. nannten Familiengenossenschaften auftauchen. Unter Im Kern geht es heute darum, den Gesetzgeber – uns – Aushebelung genossenschaftsrechtlicher Prinzipien er- in die Lage zu versetzen, schneller öffentlich darüber zu schleichen sich Investoren steuerfreie Mieteinkünfte. beraten, ob eine Gestaltung gewollt ist oder eben nicht, Dieses Steuerschlupfloch können wir leicht schließen, und gegebenenfalls darauf zu reagieren. Wir müssen mit doch hiervon muss der Gesetzgeber erst einmal wissen. der Dynamik, der sich immer schneller drehenden Welt, Lassen Sie uns diesen Wettlauf beenden. Dass eine in der Gesetzgebung mithalten. Deshalb brauchen wir ein nationale Anzeigepflicht funktioniert, zeigen die Erfah- Frühwarnsystem. rungen anderer Staaten. In den USA, Kanada, Portugal, Darum ist die Umsetzung der europäischen Richtlinie Irland und Großbritannien gibt es sie bereits. Und sie richtig und dringend notwendig. Doch der Gesetzentwurf wirkt. Und warum soll Deutschland nicht auch einmal Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15535

(A) international eine Vorreiterrolle einnehmen, statt ständig Die in der EU-Amtshilferichtlinie verbindlich vorge- (C) hinterherzuhinken? Die nationale Anzeigepflicht könnte gebene und abschließende Auflistung soll „die Spreu vom auch international als Vorbild dienen. Weizen trennen“. Damit sollen die Mitteilungspflicht und der Informationsaustausch auf potenziell relevante Ge- Sarah Ryglewski, Parl. Staatssekretärin beim Bun- staltungen konzentriert werden. desminister der Finanzen: Ich bin mir sicher, dass es in Durch den gegenseitigen EU-weiten Informationsaus- unser aller Sinne ist, für ein konsistentes Steuerrecht und tausch profitieren wir selbstverständlich von der Unter- eine gerechte Anwendung der Steuergesetze zu sorgen. stützung der anderen Mitgliedstaaten. Wir müssen also Eine Gesellschaft kann nur dann gut funktionieren, wenn die „nationale Brille“ an dieser Stelle beiseitelegen und ihr Steuersystem gerecht ist und jeder seinen fairen Bei- anerkennen, dass es gut und unerlässlich ist, die europä- trag leistet. Deswegen steht die Eindämmung von Steuer- ische Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Besteuerung missbrauch und Steuerhinterziehung ganz oben auf unse- zu fördern. rer Agenda, und zwar national und international. Ich hätte hier sehr gerne einen Gesetzentwurf präsen- Steuerplanungsstrukturen werden immer ausgefeilter tiert, der auch für innerstaatliche Steuergestaltungen eine und teilweise auch aggressiver. Steuergestalter machen Mitteilungspflicht vorsieht. Denn dem Fiskus sind in der sich dabei die Mobilität von Kapital, Daten und Personen Vergangenheit durch missbräuchliche Gestaltungen auch im Binnenmarkt zunutze. Um dem effektiver als bisher ohne grenzüberschreitenden Bezug erhebliche Steuerein- entgegenwirken zu können, müssen die Gesetzgeber und nahmen entgangen. die Steuerbehörden der Mitgliedstaaten künftig zeitnah Informationen über grenzüberschreitende Steuergestal- Leider konnten wir den Koalitionspartner bisher hier- tungen erhalten. von nicht überzeugen. Aber die Verhandlungen gehen weiter, und wir bleiben an dem Thema dran. Daher ist es gut und wichtig, dass die geänderte EU- Amtshilferichtlinie vom 25. Mai 2018, auch DAC 6 ge- nannt, eine Anzeigepflicht für relevante grenzüberschrei- tende Steuergestaltungsmodelle und einen automatischen Anlage 15 Informationsaustausch unter den Steuerverwaltungen der Mitgliedstaaten vorschreibt. Zu Protokoll gegebene Reden Wir wollen sicherstellen, dass die Richtlinie fristge- zur Beratung des von der Bundesregierung einge- recht bis Ende des Jahres in deutsches Recht umgesetzt brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung werden kann. Zugleich wird damit auch den betroffenen (B) des Energiewirtschaftsgesetzes zur Umsetzung der (D) Rechtsanwendern – den Intermediären, Steuerzahlern Richtlinie (EU) 2019/692 des Europäischen Parla- und Steuerverwaltungen – ein halbes Jahr Zeit gegeben, mentes und des Rates über gemeinsame Vorschrif- um sich auf die neue Mitteilungspflicht und den zwi- ten für den Erdgasbinnenmarkt schenstaatlichen Informationsaustausch vorzubereiten. (Tagesordnungspunkt 22) Durch die neue Mitteilungspflicht sollen die Gesetzge- ber der Mitgliedstaaten zeitnäher als bisher von grenz- Mark Helfrich (CDU/CSU): An Nord Stream 2 überschreitenden Steuergestaltungen erfahren und sie scheiden sich die Geister – innerhalb der EU, innerhalb dann auch rechtspolitisch bewerten können. Die Mit- der Bundestagsfraktionen und innerhalb der deutschen gliedstaaten werden dadurch ungewollte Wirkungen der Presse. Die einen sind für das russische Gas, das durch Steuergesetze künftig deutlich schneller erkennen und die Pipeline fließen soll, die anderen dagegen. entsprechend gegensteuern können. Im Gegensatz zur EU-Kommission hat die Bundesre- Die Mitteilungspflicht richtet sich grundsätzlich an die gierung den Bau der Pipeline Nord Stream 2 immer befür- sogenannten Intermediäre. Das sind die Personen und wortet. Warum? Deutschland und Europa brauchen einen Unternehmen, die die grenzüberschreitenden Steuerge- starken und unabhängigen Energiemarkt. Dieser muss staltungen konzipieren, vermarkten, zur Nutzung bereit- Versorgungssicherheit, bezahlbare Preise und Akzeptanz stellen oder verwalten, also diejenigen, die Detailwissen zur Grundlage haben. Mithilfe von Nord Stream 2 be- über die wirtschaftlichen und steuerrechtlichen Grund- kommen wir genau das. lagen der Gestaltung haben, sie im Detail kennen und damit auch ihr Geld verdienen. Nur wenn kein Interme- Die Sicherheit der Energieversorgung für Deutschland diär existiert – also bei sogenannten Inhousegestaltun- und die EU wird durch das Angebot an russischem Nord- gen – oder wenn der Intermediär keinerlei Bezug zum Stream-2-Gas verbessert. Die zusätzlichen Gaslieferun- Inland hat, ist der Nutzer der Steuergestaltung selbst voll- gen helfen uns, in Zeiten sinkender EU-Eigenförderung umfänglich mitteilungspflichtig. und steigender Nachfrage die Energiepreise stabil zu hal- ten. Ein vielfältigeres Angebot auf dem Gasmarkt sorgt Die geänderte EU-Amtshilferichtlinie gibt allen Mit- für mehr Wettbewerb und bezahlbare Preise für Industrie gliedstaaten sehr detailliert vor, welche grenzüberschrei- und Verbraucher in Deutschland. tenden Steuergestaltungen den nationalen Finanzverwal- tungen mitgeteilt und von diesen über ein elektronisches Laut dem Energiewirtschaftlichen Institut an der Uni- Zentralverzeichnis untereinander ausgetauscht werden versität zu Köln werden die Gaslieferungen von Nord müssen. Stream 2 für europäische Verbraucher zu Einsparungen 15536 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

(A) in Milliardenhöhe führen. Davon profitieren nicht nur päischen Partnern. Am Ende ist es Deutschland gelungen, (C) Verbraucher und Wirtschaft, sondern auch der Standort einen ausgewogenen und tragfähigen Kompromiss zu Deutschland insgesamt. finden, auch mit Blick auf das Pipelineprojekt Nord Stream 2. Deutschland bleibt weiterhin attraktiv für Investitionen und stärkt seine Rolle als Handelsplatz in Europa. Zudem Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Im April 2019 hat die spielt Erdgas als Brückenenergie nach Atom- und Kohle- Europäische Union eine Änderung der Richtlinie für den ausstieg eine entscheidende Rolle dabei, neben den er- Erdgasbinnenmarkt verabschiedet, die EU-Erdgasrichtli- neuerbaren Energien die ambitionierten Klimaziele zu er- nie. Hintergrund war ein vorausgegangener deutsch-fran- reichen. zösischer Kompromissvorschlag. Wir ändern heute das Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie Sie alle wissen, Energiewirtschaftsgesetz entsprechend und setzen damit ist Nord Stream 2 ein rein privatwirtschaftliches Projekt, die Richtlinie in nationales Recht um. in das deutsche und europäische Unternehmen Milliarden Die Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt der EU investiert haben. Im Laufe der Zeit hat das Projekt jedoch sollen künftig auch für Leitungen nach und aus Drittlän- eine immer größere politische Dimension erhalten, die dern gelten, wenn sie auf dem Territorium oder im Küs- am Ende zu einer Änderung der EU-Gasrichtlinie führte. tengewässer eines EU-Mitgliedstaates verlaufen. Für Mit dem vorliegenden Gesetz zur Änderung des Energie- bestehende Leitungen gilt – auf Antrag – ein Bestands- wirtschaftsgesetzes, das heute Nacht zur Debatte steht, schutz. setzen wir die geänderten EU-Gasrichtlinie eins zu eins um. Zu den wichtigsten Elementen der EU-Erdgasrichtlinie gehören die Entflechtung der Eigentumsverhältnisse von Was genau regeln wir? Es geht im Kern um die Frage, Energienetzen und Energieerzeugern; der Netzzugang inwieweit das europäische Regulierungsrecht auch für Dritter: das heißt, Netze können gegen Gebühr auch Gasleitungen aus Drittstaaten gilt. Hier gibt es nun eine von Konkurrenten genutzt werden; nicht diskriminieren- klare Abgrenzung: Das europäische Recht gilt immer de Tarife und Transparenzanforderungen. dort, wo eine Pipeline über das Hoheitsgebiet oder durch das Küstenmeer eines Mitgliedstaates verläuft. Damit Für bestehende Leitungen – also Leitungen, die vor werden im Ergebnis neue Gasleitungen aus dem Nicht- dem 23. Mai 2019 fertiggestellt wurden – gilt, wie gesagt, EU-Ausland ebenso behandelt wie andere Gasinfrastruk- auf Antrag ein Bestandsschutz. Übrigens ist dieser Pas- turen im europäischen Binnenmarkt. Im Detail bedeutet sus – anders als einige Medien berichten – weiterhin deut- das eine komplette Entflechtung von Pipelinebetreiber lich in dem Gesetzentwurf enthalten. Diese Frist für die und Gaslieferant. Fertigstellung gilt nach wie vor! (B) (D) Zudem muss ein Pipelinebetreiber auch anderen Gas- Zur Versorgungssicherheit. Jetzt ist es so, dass auch die lieferanten Transportkapazitäten in der Pipeline bereit- EU in Artikel 49a der entsprechenden Verordnung auf das stellen. Die dafür zu zahlenden Leitungsentgelte müssen Thema der Versorgungssicherheit abzielt. Die Versor- transparent, diskriminierungsfrei und kostengerecht sein. gungssicherheit ist und bleibt also auch auf europäischer Ebene ein wichtiges Ziel. Was Nord Stream 2 betrifft, Um Transparenz zu wahren, müssen Pipelinebetreiber werden diesbezüglich bei der Genehmigung die Umstän- den Netznutzern alle marktrelevanten Informationen zum de des Einzelfalls entsprechend gewürdigt werden. Betrieb der Pipeline bereitstellen. Alle übrigen Teile einer Pipeline in der Ausschließlichen Wirtschaftszone, in in- Zur Situation. Derzeit verbraucht Deutschland pro Jahr ternationalen Gewässern und auf dem Territorium von circa 88 Milliarden Kubikmeter Erdgas. Der Anteil des Drittstaaten bleiben dagegen frei vom EU-Binnenmarkt- Gases beträgt 23 Prozent des deutschen Primärenergiebe- recht. darfs und 13 Prozent bei der Stromerzeugung. Und dieser Anteil wird eher zu- als abnehmen, da wir – wie Sie Mit der gesetzlichen Umsetzung schaffen wir für neue wissen – gleichzeitig aus Atomkraft und aus der Kohle- und bestehende Pipelines Klarheit bezüglich Ausnahme- verstromung aussteigen. bzw. Freistellungsverfahren. Auf Antrag der Betreiber können Pipelines von der europäischen Regulierung unter Zum Schluss. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf bestimmten Voraussetzungen freigestellt werden. Dafür wird die EU-Gasrichtlinie umgesetzt. Damit wird mehr zuständig ist das Land, in dem eine Pipeline aus einem Transparenz auf dem EU-Gasmarkt geschaffen. Nord Drittstaat anlandet. In Deutschland ist dies die Bundes- Stream 2 steht nicht im Widerspruch zu den Zielen der netzagentur. europäischen Energieunion. Im Gegenteil, Nord Stream 2 erhöht den Wettbewerb auf dem europäischen Markt und Diese hart erkämpfte Ausnahmeregelung für bestehen- trägt zur Versorgungssicherheit in Europa bei. de Gasleitungen ist der Union besonders wichtig, um Rechtssicherheit für bereits getätigte Investitionen zu Timon Gremmels (SPD): Zum vierten Mal in diesem schaffen. Der Vertrauensschutz darf grundsätzlich nicht Jahr debattieren wir im Plenum des Deutschen Bundes- unter die Räder kommen. Dies gilt sowohl für Investitio- tages über die Gaspipeline Nord Stream 2. Das zeigt: nen von kleinen und mittelständischen Unternehmen als Obwohl das Projekt ein zunächst unternehmerisches Vor- auch für Milliardeninvestitionen. haben darstellt, das – Klammer auf – anders als deutsche Mit der gesetzlichen Umsetzung der EU-Gasmarkt- und europäische LNG-Terminals ohne Unterstützung der richtlinie setzen wir einen Schlussstrich unter lange und öffentlichen Hand realisiert wird – Klammer zu –, so hat durchaus kontroverse Verhandlungen mit unseren euro- es doch weitreichende politische Implikationen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019 15537

(A) Nun, da sich das Projektvorhaben auf der Zielgeraden tifizierung unabhängiger Fernleitungsnetzbetreiber und (C) befindet, will ich mit einem Vorurteil aufräumen, das sich Systembetreiber gilt künftig auch für den Abschnitt des bis heute hartnäckig gehalten hat: Deutschland geht bei Fernleitungsnetzes zwischen der Land- bzw. Seegrenze Nord Stream 2 keinen nationalen Alleingang. Das Gegen- eines Mitgliedstaates und dem ersten Kopplungspunkt teil ist richtig: Nord Stream war und ist ein gemeinschaft- mit dem Netz auf dessen Staatsgebiet. liches europäisch-russisches Projekt. Nord Stream 1 wur- de ursprünglich als Teil des transeuropäischen Netzes Die FDP-Fraktion wird dem vorliegenden Gesetzent- geplant. Nord Stream 2 wird von Unternehmen aus fünf wurf zustimmen. europäischen Ländern vorangetrieben: Neben Deutsch- Gestatten Sie mir eine Nebenbemerkung: Wir als Bun- land sind das Frankreich, Österreich, die Niederlande destag sollten viel häufiger und intensiver über europä- und Russland. Anders als vielfach behauptet will ische Energiepolitik diskutieren und uns zu zentralen Fra- Deutschland seine Gasversorgung also nicht an den Inte- gen positionieren. Was Emanuel Macron seit nunmehr ressen seiner europäischen Nachbarn vorbei sichern. Tat- zweieinhalb Jahren fordert, ein regelmäßiges Bekenntnis sächlich ist das Gas nur zu einem kleinen Anteil für den zur Europäischen Union, wird zu Recht auch von uns deutschen Markt bestimmt: Zwei Drittel des Gases sollen Parlamentariern erwartet – die Bundesregierung liefert künftig von der Anlandestation in Lubmin zur europä- an dieser Stelle ja leider wenig. ischen Erdgasdrehscheibe Baumgarten in Österreich transportiert und von dort in ganz Europa weiterverteilt Die Herausforderungen auf europäischer Ebene sind werden. allein im Energiebereich massiv: angefangen bei der Fra- ge des Energieträgermix über den grenzüberschreitenden Trotz dieser europäischen Dimension des Projekts war Stromnetzausbau, der Produktion und Bereitstellung von für die SPD-Bundestagsfraktion immer auch besonders Energiemengen bis hin zur Frage von Stromimport und wichtig, die Sorgen und berechtigten Sicherheitsinteres- -export zwischen Mitgliedstaaten. Für alle Aspekte benö- sen unserer osteuropäischen Partner in Polen und im Bal- tigen wir grenzüberschreitende Lösungen, die allerdings tikum sehr ernst zu nehmen. Deshalb sind wir froh, dass ein abgestimmtes, konzertiertes Vorgehen innerhalb der wir es geschafft haben, uns auf europäischer Ebene auf EU voraussetzen. gemeinsame Regeln für den europäischen Gasmarkt zu verständigen. Mit der Novelle der EU-Gasbinnenmarkt- Europäische Lösungen werden bedeutsamer, beson- richtlinie haben wir einen Kompromiss gefunden, dem 27 ders für unser Land. Denn es ist die Politik auch dieser von 28 EU-Staaten zustimmen konnten. Zahlreiche Be- Bundesregierung, die grundlastfähige Stromproduktion denken unserer osteuropäischen Partner haben wir dabei in Deutschland zu Klimazwecken schrittweise abzusen- ausgeräumt. ken und stattdessen mehr als zwei Drittel seines Strom- (B) bedarfs über Importe zu realisieren. Für eine Industrie- (D) Mit der heutigen Eins-zu-eins-Umsetzung der Gas- nation mit viel kritischer Infrastruktur ist es eine richtlinie in deutsches Recht machen wir also deutlich, Bankrotterklärung, sich derart abhängig zu machen. Um- dass wir in der Energiepolitik keine nationalen Egoismen so wichtiger sind dann jedoch verlässliche europäische pflegen, und wir schaffen rechtzeitig für alle Beteiligten Lösungen – im Erdgasbinnenmarkt, aber auch auf ande- die dringend notwendige Rechtssicherheit. Damit nimmt ren Gebieten. ein kontroverses Kapitel ein erfreuliches Ende: Nord Stream 2 kann im Einverständnis der Europäischen Union Lorenz Gösta Beutin (DIE LINKE): Darüber, wie fertiggestellt werden und wie geplant im kommenden viel Erdgas die Europäische Union in den kommenden Jahr in Betrieb genommen werden. Jahrzehnten benötigen wird, gibt es viele Studien, eine Menge davon im Auftrag der fossilen Energiekonzerne. Dr. Martin Neumann (FDP): Auch wenn die Debatte Studien, die nicht aus dem Interesse am Verkauf von zu diesem Tagesordnungspunkt zu sehr später – oder Erdgas erstellt wurden, sind übereinstimmend zu dem Er- besser gesagt: sehr früher – Stunde stattfindet, betrifft gebnis gekommen, dass der Bedarf an Erdgas künftig sie doch einen wichtigen Aspekt des europäischen Ener- zurückgehen wird. So sind sich etwa die Internationale giesystems: die Versorgungssicherheit mit Erdgas. In Energieagentur, IEA, und das Deutsche Institut für Wirt- dem vorliegenden Gesetzentwurf geht es darum, die schaftsforschung, DIW, einig, dass der Gasverbrauch eu- Marktregeln des sogenannten Dritten Binnenmarktpake- ropaweit deutlich stärker sinken wird als die schrumpf- tes im Gasbereich auf Verbindungsleitungen zwischen ende innereuropäische Förderung, sofern die geltenden EU-Mitgliedstaaten und Drittstaaten auszuweiten. Für Klimaschutzziele ernst genommen werden. Eine neue die Umsetzung der entsprechenden Richtlinie des Parla- Gasinfrastruktur aus Pipelines und Flüssiggasterminals ments und des Rates über gemeinsame Vorschriften für wird aber für einen längeren Zeitraum gebaut, deutlich den Erdgasbinnenmarkt haben die Mitgliedstaaten eine über einen Zeitraum hinaus, bis zu dem die Welt treib- Frist bis zum 24. Februar 2020 gewährt bekommen. Wir hausgasneutral sein sollte. Die Klimakrise und das Kli- tun also gut daran, nun zügig nationales Recht zu schaf- maabkommen von Paris erfordern glasklar eine Abkehr fen. von fossilen Strukturen und nicht den Aufbau von Infra- struktur, die dem Zweck dient, zusätzliche und nicht er- Die Übernahme von EU-Vorgaben in nationales Recht forderliche Mengen an Erdgas nach Europa zu bringen. ist – in der Regel – kein Grund, ideologische Debatten zu führen, und genauso ist es auch bei diesem Punkt. Die von Um Energie wurden einige der großen Kriege des der Bundesregierung angebotene Lösung ist pragmatisch 20. Jahrhunderts geführt. Heute noch wird über den Zu- und rechtssicher: Die bereits geltende Regelung zur Zer- gang zum europäischen Gasmarkt ein neuer Kalter Krieg 15538-15562 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. November 2019

(A) zwischen Russland und den USA ausgetragen, in dem Die Dringlichkeit und die Inhalte der Änderungen ar- (C) sich die Europäische Union auf die Seite der USA ge- gumentieren Sie im Wirtschaftsausschuss mit Rechts- schlagen hat. Die USA wollen Flüssiggas in den euro- sicherheit. Ich frage Sie: Rechtssicherheit für wen? Der päischen Markt drücken, das größtenteils klima- und Kollege Westphal von der SPD hat die Antwort im umweltschädlich durch Fracking gewonnen wurde. Ge- „Handelsblatt“ gegeben: „Klarheit schaffen“ für Nord fracktes Flüssigerdgas ist deutlich klimaschädlicher als Stream 2. Braunkohle, und wir lehnen das ab. Mit Ihrem geänderten Gesetzentwurf machen Sie es Der russische Gazprom-Konzern steht mittlerweile also für die Nord Stream 2 AG jetzt noch einfacher, eine kurz vor der Fertigstellung von Nord Stream 2, nachdem Ausnahmegenehmigung vom Unbundling zu erhalten: vor wenigen Tagen auch noch Dänemark der Pipeline Denn durch Ihren Änderungsantrag kommt es zur zugestimmt hat. Von den Gesamtkosten der neuen Pipe- Weichspülung der Bedingungen zur Beantragung von line von 9,5 Milliarden Euro übernimmt übrigens die Ausnahmegenehmigungen von der EU-Richtlinie. Hälfte Gazprom, die andere Hälfte finanzieren fünf euro- Da der 23. Mai 2019 als Fertigstellungstermin für päische Energieunternehmen: die BASF-Tochter Win- Pipelines nicht mehr als harte Bedingung formuliert ist, tershall, OMV sowie Uniper, Royal Dutch Shell und die macht das der Nord Stream 2 AG möglich, eine erfolg- französische Engie. reiche Ausnahmegenehmigung für die Pipeline zu erwir- Was wir heute hier debattieren, ist die Umsetzung einer ken und somit das Grundprinzip der Entflechtung und der EU-Richtlinie im Energiewirtschaftsgesetz, von der man- Vereinbarung mit der EU zu konterkarieren. che sagen, es sei der Versuch der EU, Nord Stream 2 Wir Grünen lehnen das deswegen ab. Knüppel zwischen die Beine zu werfen, teils mit antirus- sischer Motivation kalter Krieger. In letzter Minute fädel- Es ist festzuhalten, dass die Bundesregierung für fos- te die Koalition jedoch noch eine Änderung ein, die Gaz- sile Infrastrukturprojekte alle Spielräume nutzt, seien es prom gegenüber der genauen Umsetzung der EU- die hier angelegten Ausnahmemöglichkeiten oder die Richtlinie wieder einen Vorteil einräumen könnte, falls Verabschiedung einer LNG-Anschlussverordnung im sie sich als rechtssicher herausstellt. Auf der Strecke blei- Schnellverfahren. ben könnten dabei die Klimaschutzziele nicht nur Eine ähnliche Leidenschaft sollte die Bundesregierung Deutschlands, sondern auch Europas. Das hat Gazproms besser beim Ausbau der Erneuerbaren und der Steigerung Pipeline mit Trumps LNG-Frackinggas gemeinsam. der Energieeffizienz zeigen. Anders als Bundesminister Altmaier dies zuletzt bei einer Veranstaltung zum BMWi- Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gasdialog sagte, ist Gas nämlich nicht „sexy“, sondern (B) Die EU hatte sich darauf verständigt, dass auch im Gass- ein Klimakiller: In Deutschland werden circa 20 Prozent (D) ektor Unbundling, also eine Entflechtung der Geschäfts- der CO2-Emissionen von Erdgas verursacht. felder von Netz und Vertrieb, stattfinden soll. Das heißt also, dass der Betrieb einer Gaspipeline einerseits und die Im Sinne des Klimaschutzes muss das eingesetzte Gas Gaslieferungen andererseits wirtschaftlich voneinander schnellstmöglich deutlich effizienter genutzt und erneuer- getrennt sein sollen. bar werden. Hierfür brauchen wir ein wirklich ambition- iertes Gebäudeenergiegesetz, das höhere Energieeffizienz Das hat seinen Sinn; denn – ich zitiere – „Transparenz und mehr Erneuerbare für den Wärmesektor zum Stan- und diskriminierungsfreie Ausgestaltung des Netzbet- dard macht. riebs sind Grundvoraussetzungen, um Wettbewerb in den vor- und nachgelagerten Bereichen der Wertschöp- Und wir brauchen einen zügigen Markthochlauf von fungskette zu fördern und Vertrauen bei den Marktteil- Power-to-Gas-Anlagen, die gemeinsam mit Biomethan- nehmern zu erzeugen“. So beschreibt es die Bundesnetz- anlagen den Gasbedarf in Verkehr, Industrie und als Fle- agentur. xibilitätsoption im Strombereich decken. In dem Sinne überträgt die geänderte EU-Gasrichtlinie Ja, auch in einem Energiesystem der Zukunft werden vom Mai 2019 das geltende Recht für Gasleitungen inner- wir gasförmige Energie benötigen. Aber das wird kein halb Europas auch auf die Pipelines aus Drittstaaten, um fossiles Erdgas mehr sein, sondern zum Beispiel grüner eben genau diesen Wettbewerb sicherzustellen. Wasserstoff oder Biomethan. Grundsätzlich muss und wird der Gasverbrauch sin- Die Bundesregierung hat diese positive Entscheidung ken, um bis zu 80 Prozent bis 2050, aber auch schon Europas zunächst in einem Gesetzentwurf weitestgehend signifikant bis 2030. Auch die Bundesnetzagentur geht übernommen. Und jetzt macht die Regierung wieder ein- von einem sinkenden Gasverbrauch aus. mal inhaltlich eine Rolle rückwärts – und Sie tricksen: Erst bitten Sie uns im parlamentarischen Verfahren um Eine neue fossile Pipeline wie Nord Stream 2 ist des- Fristverzicht, dann legen Sie nur einen Tag vor der Bera- halb schon jetzt eine Fehlinvestition, die sich nicht amor- tung im Ausschuss einen brisanten und ganz wesentlichen tisieren wird. Aber die Bundesregierung rollt dem Projekt Änderungsantrag vor, der uns und unsere europäischen dennoch den roten Teppich aus – vollkommen im Wider- Partner aufhorchen lässt. spruch zu den Pariser Klimazielen. Erschütternd!

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