Ladi Weltstar aus

von Gerhard Klußmeier

1. Auflage

tredition 2014

Verlag C.H. Beck im Internet: www.beck.de ISBN 978 3 8495 9958 4

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Detlef Kötter: For ever young Gerhard Klußmeier (Herausgeber)

LADI Weltstar aus Hamburg

Ladi Geisler in Selbstzeugnissen, Bildern und Dokumenten

Vorwort: Doris Kaempfert Impressum Satz, Layout, Bildbearbeitung: Gerhard Klußmeier Cover, Frontispiz: Detlef Kötter (Dortmund)

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN:978-3-8495-9958-4

© 2014 Gerhard Klußmeier Verlag: tredition GmbH Hamburg

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Ver- wertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung. Inhaltsverzeichnis Vorwort von Doris Kaempfert Einleitung Ladi, so heiße ich eigentlich gar nicht 1 In der Kriegsgefangenschaft begann mein Leben 5 13 Martha Langer (1884-1973) 16 Der gemeinsame Durchbruch 19 Die Zeit neben der „Tarantella“ 21 Die „Les Paul“ 23 Die Sache mit den Gitarren und ihrem Klang 25 Ein vergessener Star ist zurückgekehrt 28 Der „Knack-Bass“ und wie es dazu kam 30 … mein langer Weg zu Louis 36 Louis-Armstrong-Gedächtnispreis 2003 für 40 Der Vater des Knack-Basses 41 Ein Instrument, mit dem Musikgeschichte geschrieben wurde...42 Marc Boettcher schildert 44 Lester William Polsfuss – Les Paul 44 Kontraste in einem Künstlerleben 50 und Ladi Geisler… „Lass knacken, Ladi …!!“ 51 Bert Kaempfert und Ladi Geisler: Die gemeinsamen Tourneen 55 In memoriam Bert Kaempfert. Erfolgreiche Konzerte mit Ladi 58 Mit Alfred Hause und seinem Orchester im „Land des Lächelns“ 60 Django Reinhardt 61 Freuden und Leiden eines Studiomusikers 62 Wegbegleiter… begleitet von Ladi Geisler (1) 68 Day By Day … aus Ladi Geislers Terminkalender 71 Wegbegleiter… begleitet von Ladi Geisler (2) 73 Saitenzauberer Ladi Geisler feiert Geburtstag 76 Der Senior mit der Gitarre 77 Ein paar Tipps für junge Gitarristen 78 Together: Musik und Privatleben – Ladi, der Unruheständler 81 Ganz privat 97 Nachruf von Gema und Deutschem Komponistenverband 99 Anhang – Bildnachweise – Namensregister 102 Danksagung 104 Foto: Heinz Speckmann, Harrislee. Ladi Geisler prägte mit seinem „Knack-Bass“ maßgeblich den Bert-Kaempfert-Sound. Diesen Satz liest man in allen Publikationen über Ladi Geisler und Bert Kaempfert. Das vorliegende Buch erzählt diese Geschichte und gibt Einblicke in das persönliche Leben von Ladi Geisler. Aber darüber hinaus werden auch die facettenreichen musikalischen Stationen dokumentiert, denn Ladi Geisler war nicht nur der „Knack-Bass“ aus dem Orchester meines Vaters sondern ebenso einer der besten Solo-Gitarristen und zudem ein ausgesprochen liebenswerter Mensch! Bereits in den Nachkriegsjahren lernte mein Vater seinen künftigen musikalischen Weggefährten Ladi kennen. Damals ahnte keiner von ihnen, dass sie eine internationale Karriere vor sich haben und einmal Musikgeschichte schreiben würden. Im Laufe der Zeit und mit wachsendem Erfolg änderte sich naturgemäß die Besetzung des Bert- Kaempfert-Orchesters. Aber Ladi Geisler mit seinem „Knack-Bass“ (und seiner Solo-Gitarre!) sowie Rolf Ahrens mit seiner „sanften Besenarbeit“ blieben bis 1980 die Schlüsselfiguren und somit das Herz dieses Klangkörpers. Viele Jahre nach dem Tod meines Vaters gab es die Möglichkeit, seine Musik wieder „live“ zu präsentieren. Ich fragte Ladi um Rat und seine Mitwirkung. Trotz seines vollen Terminkalenders sagte er zu. So absolvierten wir gemeinsam vielzählige Veranstaltungen in kleiner Besetzung sowie große Konzerttourneen. In diesen Jahren lernte ich Ladi eigentlich erst richtig kennen. Und lieben! Vorbildlich war seine große Disziplin bei der Arbeit. Er, der Star des Abends, war bei den Proben und den Soundchecks immer der Erste am Platz. Trotzdem blieb er stets beschei- den im Hintergrund. Nach der Arbeit bewies er Geselligkeit beim Essen und Standhaftigkeit bei einem guten Rotwein mit interessanten Gesprächen. Ein Highlight war sein 79. Geburtstag in Berlin: Er genoss das Bad in der Menge bei dem großen Konzert im Friedrichstadt Palast. Das Publikum und das Orchester ließen ihn hochleben. „An- dere gehen in meinem Alter zur Kur. Aber ich, ich geh`auf Tour!“ sagte Ladi. Anlässlich dieser großen Konzerte erzählte er auch die Geschichte der Entstehung des „Knack-Basses“ und spielte dann demonstrativ die Komposition, die mein Vater ihm 1964 auf den Leib geschrieben hatte: The Bass Walks Nun ist Ladi gegangen, für immer. Und mit ihm sein unersetzlicher „Knack-Bass“. – Aber es gibt Trost, denn Ladi hat auf dieser Welt Spuren hinterlassen und ist nun Mitglied der „All Star-Bigband“ über den Wolken. Herzlichsten Dank an Birgit Geisler und an Gerhard Klußmeier! Ohne Euch gäbe es dieses lesenswerte Zeitdokument nicht. Und Danke Schoen Ladi, dass ich einen Deiner Wege begleiten durfte!

(Doris Kaempfert)

Einleitung „Ladi Geisler an der Gitarre“ – das war in den 1950er und 1960er Jahren ein Licht- blick, als man swingend-melodischen Jazz im Radio (wie heute ja auch) bestenfalls zur späten Nacht hören konnte. Doch dieser Hinweis auf den Musiker in den Rund- funkzeitschriften, aufgeführt in den früher am Tag gesendeten Tanzmusikprogram- men des NWDR (Nordwestdeutscher Rundfunk – ab 1. Januar 1956: NDR) war Garant für den, der nach jazzigen Tönen suchte. Da war man ziemlich sicher, auch in Walzern und Tangos, wenn auch keine swingenden Soli, so doch wenigstens den unverwechselbaren Klang seiner Gitarre aufspüren zu können, einem Musiker lauschen zu dürfen, der „zu uns Jazzern gehört und gar nicht dort hin, zu den ,Kommerziellen’.“ Denn man spürte eindeutig internationales Können.

(aus HÖR ZU! 1956) Und die Entdeckungen waren dann die Rosinen im Sauerteig: Ladi Geislers Sai- tenklänge in Unterhaltungsorchestern und in den Tanzmusik-Combos erfreuten und versöhnten den Jazzfreund, und sein Name verankerte sich fest im Gedächt- nis und entwickelte sich zur dankbaren Erinnerung über diese Zeit hinaus. Und so hatte er viele Jahre später, als Ladi Geisler nicht mehr eingebunden war in den von anderen bestimmten Broterwerb, eine große Anhängerschaft. Sie kamen zu seinen Auftritten und zu Konzerten mit den Ladi-Geisler-Combos in unterschiedlichen Besetzungen. Und – auch das ein Ergebnis seiner Popularität aus den Rundfunk- und Tanzmusikjahren – es kamen nicht nur die Jazzfreunde, sondern auch die Freunde der Unterhaltungsmusik, die nun den Virtuosen, den „Mister Guitar“ als swingenden Jazzmusiker bewunderten, der sie in Sendungen wie „Wir spielen, bitte tanzen Sie“ mit Delicado, Happy Guitar, Linda Muchacha, Amorada oder mit seinem Hit Wheels sowie in den einst mit Live-Musik ausgestrahlten „Hafenkonzerten“ begeistert hatte. Ich hatte das große Glück, Ladi Geisler meinen Freund nennen zu dürfen – und so ergab sich im Laufe der Jahre, als ich immer mehr erfuhr von seinem Wirken und nach Erfahrungen mit einer Reihe anderer von mir her ausgebrachter Bücher – zuerst bei mir – der Gedanke, ein „Ladi-Buch“ mit der Lebensgeschichte dieses liebens- werten Ausnahmemusikers zu machen. Und bald konnte ich auch den bescheide- nen Freund Ladi davon überzeugen, dass sein überaus bunter und vielfältiger Lebensweg tiefe Spuren in der musikalischen Kulturgeschichte dieses Landes hinterlassen hat, dass „Ladi Geisler“ weitaus mehr ist – jetzt ja leider war – als ein kurzzeitig erfolgreicher und schnell vergessener Pop- oder TV-Star. Und so entstand zwischen uns beiden nach etlichen Abwägungen die gemeinsame Übereinkunft, „das Buch“ als Bild-Autobiografie erscheinen zu lassen, zu der Ladi Geisler seine Erinnerungen schreiben sollte, und ich meine diesbezüglichen Er- fahrungen zur Gestaltung und zur dokumentarischen Ausstattung beitragen würde. Und das Werk nahm textlich recht schnell an Umfang zu, in etlichen Gesprächen mit vielen Fragen meinerseits entstanden Ergänzungen, Erweiterungen und neue Überlegungen, die Ladi dann gerne und mit Freude in seine Texte aufnahm. Und eigentlich sahen wir beide schon das fertige Buch vor uns, es fehlten nur noch die beiden Kapitel über die Konzerttourneen, die Ladi Geisler mit Alfred Hause und Bert Kaempfert buchstäblich rund um die Welt zu umjubelten Auf- tritten geführt hatten, und es gab überhaupt noch keine Auswahl der Illustratio- nen – da wollte es das Schicksal anders und unterbrach diese wunderbare, für mich so hoch inter essante Arbeit. Ladi Geisler konnte die beiden Kapitel, die ja nicht die letzten seiner Karriere waren, nicht mehr schreiben, nicht mehr einfü- gen in seine gewollt nicht chronologische Autobiografie. E Es wäre unredlich gewesen, aus Bruchstücken seiner Erzählungen diese Lücken „nach Aufzeichnungen“ oder Zeitungsberichten „autobiografisch“ zu rekonstru- ieren. Deshalb sind diese beiden Bereiche „nicht autorisiert“, doch so stimmig wie möglich, informativ und hoffentlich auch unterhaltsam eingefügt. Gerhard Klußmeier Ladi, so heiße ich eigentlich gar nicht… Nicht Ladi, wie man mich eigentlich immer nannte, heiße ich, sondern Miloslaw Ladislav Geisler. Am 27. November 1927 wurde ich in Prag geboren, wo meine Eltern sowie dann auch ich lebten. Meine Mutter war Tschechin und legte großen Wert darauf, dass zu Hause ein gepflegtes Tschechisch gesprochen wurde. Mein Vater war Österreicher und sprach aus Liebe zu meiner Mutter ebenfalls daheim nur tschechisch. So hörte ich deutsche Wörter nur, wenn einmal Besuch da war.

Prag, 1920er Jahre. Wichtig war allerdings für meine Zukunft, dass im Dezember 1930 anlässlich der Volkszählung angegeben werden musste, welcher Nationalität man angehöre. Mein Vater hat damals seine Muttersprache als deutsch angegeben.

Ladi und seine Eltern Ladislav und Bohumila Geisler.

1 1936 in Prag.

2 1939, als Hitler die Tschechoslowakei annektierte, bekamen wir dann wegen der Angabe meines Vaters die deutsche Staatsangehörigkeit, und ich musste die deutsche Schule besuchen. Vorgesehen war, jedenfalls von meinem Vater, dass ich als Ingenieur in der Elektrofirma arbeiten sollte, in der mein Vater als Direktor tätig war. Ich hatte mir zwar damals schon mal über eine Musikerkar- riere Gedanken gemacht, denn ich bekam Geigenunterricht, spielte auch Trom- pete im Schulorchester. Doch als ich dies dann zu Hause anklingen ließ, bekam ich von meinen Eltern dann richtig einen hinter die Löffel. „Du bist zu schade, um als Musiker in einer Kneipe zu enden!“, hieß es kategorisch. Ich hatte letztlich aber, so kann man es sagen, in gewissem Sinne eine von den unabänderlichen Umständen her verpfuschte Jugend – allerdings ganz bestimmt nicht durch meine Eltern, denn das, was sie mit mir planten, war ja auch völlig in Ordnung. Doch ich gehöre zum Jahrgang 1927 – wie übrigens Hans- Dietrich Gen- scher und Dieter Hildebrandt auch. 1943, ich war nicht einmal 16 Jahre jung, wurden wir alle, d. h. meine ganze Real-Gymnasiumsklasse wie auch unser Lehrer, als Luftwaffenhelfer eingezogen und einer Flak-Batterie in der Nähe von Pilsen, knapp 80 km von Prag entfernt, zugeteilt. Fortan sollte vormittags Ausbildung an den Waffen sein, nachmittags dann Unterricht. Pilsen war damals ein Zentrum der böhmischen Schwerindustrie, daher wurde um die Stadt ein dichter Flakgürtel gelegt. Der schöne Plan des Un- terrichts wurde natürlich bei Fliegeralarm hinfällig – da fiel halt die Schule aus. So habe ich ab 15 Jahren kaum noch die Schule gesehen und habe statt- dessen den Krieg in verschiedenen Einheiten verbracht, denn ich wollte auf keinen Fall zu den Panzern oder zur Infanterie oder gar zu den U-Booten. Doch wenn man so etwas verhindern wollte, dann musste man sich „frei- willig“ für etwas Anderes melden. Da ich Segelflieger war, habe ich mich dann zur Luftwaffe gemeldet, wobei Frei- willigkeit eigentlich nur das Verhindern noch schlechterer Möglichkeiten war! Ich wurde einem Regiment zugeteilt, das die ersten Düsenflugzeuge ausprobierte, in unserem Falle die Heinkel He 162, der so genannte Volksjäger. Davon fielen schließlich über 100 betriebsbereit und nagelneu den Engländern in die Hände.

Die Henkel He 162.

3 Wir wurden zunächst auf Segelflugzeugen „aus- gebildet“, da man für diese Flugzeuge unver- brauchte Piloten brauchte, die nicht die alten Maschinen gewohnt waren. Aber bei uns fehlte eigentlich jegliche Erfahrung; viele von uns sind bereits los geflogen, obwohl sie nur recht wenige Flugstunden hatten. Ganz im Gegensatz dazu die Amerikaner, die hatten zumeist über 2 Jahre Er- fahrung. Der deutschen Führung dürfte bewusst gewesen sein, dass schon aufgrund dieses Unter- schieds die Ausfallquote unserer Piloten riesen- groß war, obwohl die Amerikaner – was wir natürlich nicht direkt wussten – angeblich Anwei- sung hatten, sich mit den so viel schnelleren deut- schen Maschinen gar nicht erst einzulassen.

Die He 162 war allerdings recht primitiv, ein zusammen genageltes Ding, das ich selbst dann aber zum Glück nicht mehr ge- flogen habe, verunglückten dabei doch die meisten von uns. Die Front kam schnell nahe, und ich kam doch noch zu einer Infanterieeinheit. Da passierte mir Glück durchs Unglück. Ich wollte mit einer Panzerfaust auf einen Pan- zer schießen. Nun kann es einen schon ner- vös machen, wenn so ein lautes Mordsding wie ein Panzer auf einen zukommt, und so hab ich mir in meiner Hektik mit dem Feu- erstrahl, der hinten aus der Panzerfaust he- raus kam, die Füße verbrannt. Dieser Feuerstrahl hat mir ganz sicherlich das Leben gerettet, denn ich wurde danach mit einem Lazarettzug von der Ostfront fort ge- bracht und bin schließlich in Schleswig- Holstein, nachdem es die Engländer erobert hatten, in englische Gefangenschaft geraten.

4 In der Kriegsgefangenschaft begann mein Leben

Gitarrist Ladi Geisler und seine Kameraden.

Trompeter Ladi Geisler (r.) und seine Kameraden. Und in der Gefangenschaft bekam mein Leben die entscheidende Wende, wobei dieses Wort noch zusätzlich Bedeutung hat. Welch ein Glück letzten Endes, in einer schlimmen, objektiv gesehen eigentlich aussichtslosen Zeit. Denn dort habe ich mit dem Gitarrespielen angefangen, genau genommen jedoch aus Langeweile! Da waren so rund 100.000 Männer auf einem Feld zusammengetrieben, und alle langweilten sich. In einem Brotbeutel hatte ich meine Zigaretten-Ration aufbewahrt, weil ich nicht rauchte. Und da gab es unter den Mitgefangenen einen Matrosen, Raucher,

5 der eine Gitarre hatte – aber nicht spielen konnte. Ich machte ihm ein Angebot, wir wurden uns einig, und so habe ich schließlich sämtliche Zigaretten gegen die begehrte Gitarre eingetauscht. Die so tatenlos rumhockenden Soldaten sagten dann bald: ,,Komm spiel mal, mach mal“. Und ich spielte etwas für sie. Ich war damit der große Unterhalter, und es war eine tolle Sache, wenn ich die anderen auf meiner Gitarre begleiten konnte bei Volks- und Soldatenliedern. Ich denke, ohne diese Erfahrung sozusagen vor großem Publikum, wäre ich wohl kaum Berufsmusiker geworden. Geholfen hat dabei auch meine musikalische Schulaktivität – dazu später mehr. Dann kam auch einer dazu mit einem Akkordeon: Das war Horst Wende (1919-1996). Horst war ein studierter Musiker, mit dem ich dann 10 Jahre zusammen spielen sollte. Später kam noch ein Bassist dazu. Horst Wende war für mich eine ständige Lernquelle. Er, geboren in Zeitz (Sachsen-Anhalt), kam vom Konservatorium und war Pianist. Unser Bassist, ebenfalls Berufsmusiker, kam aus einem anderen Gefangenenlager zu uns. Im Vergleich zu den beiden war ich ein Anfänger. Da Horst Musik studiert hatte, sagte er bisweilen einfach: „Da muss eine übermäßige Quinte hin.“ Ich konnte nur fragen, was das denn sei und lernte dann Stück für Stück von ihm. Da ich nichts anderes zu tun hatte, nahm ich morgens früh die Gitarre zur Hand und legte sie abends vor dem Einschlafen wieder weg. Wende hat mir alles vorgespielt, und ich habe es auf die Gitarre übertragen. Als dann die Kriegszeit zu Ende war, ließ mir die tschechische Seite die Wahl, ob ich wieder Tscheche sein wollte. Und da ich von allem Militärischen so die Nase voll hatte und es in Deutschland hieß, es wird nie wieder Soldaten, nie wieder Waffen auf deutschem Boden geben, war das für mich der vorrangige Entschei- dungsgrund, in Deutschland zu bleiben. Denn in Prag hätte ich mit meinen 18 Jahren nämlich wieder Soldat werden müssen, und darauf hatte ich, was man sicher verstehen kann, überhaupt keinen Bock. Wir wurden Anfang 1946 zusammen entlassen und haben dann, so wie wir vor- her für die deutschen Gefangenen gespielt hatten – auch hierzu noch später mehr – die Engländer mit Musik unterhalten. Eigentlich begann am 1. Januar 1946 mein professionelles musikalisches Leben im Städtchen Preetz in (Schleswig-)Holstein. Horst Wende, Orchesterleiter, Komponist Arrangeur und Akkordeonist, der sich von diesem Tag an Jack Harkins nennen musste, hatte einen mündlichen Vertrag mit einer englischen Einheit, für die wir Tanz- und Unterhaltungsmusik machen sollten. Ein Pseudonym wurde nötig, da die Engländer den Vornamen Horst mit horse (Pferd) missdeuteten. Die anderen Musi- ker waren Peter Hönsch (Geige), Chady Mille (Trompete), Hans Walther (Bass), sowie Horst als Jack Harkins (Akkordeon) und Ladi Geisler (Gitarre)

6 Meine Berufung in diese Gruppe war allerdings eine absolute Notlösung ge- wesen, da sich mein Vorgänger plötzlich entschied, nach Hause und zwar nach Stuttgart zurück zu gehen. Ich war zwar auch schon weg, hatte aber Horst kurz vorher im Kriegsgefangenen-Entlassungslager in Heide/Holstein glücklicherweise meine Adresse gegeben.

Im „Ohlstedter Hof“ (Hamburg-Ohlstedt) entstand die erste Schallplatte, an der Ladi Geisler mitwirkte.

Und – man kann es eigentlich gar nicht glauben: Es begann zu der Zeit auch meine Schallplatten-Karriere: Am 13. Juli 1946 in Hamburg im „Ohlstedter Hof“ im Melhopweg, der kurz darauf von Gyula Trebitsch (1914-2005) zu einem ersten Real-Film-Atelier umgebaut wurde, spielte ich meine erste Schallplatte ein. The Joint Is Really Jumping Down At Carnegie Hall und A Kiss Goodnight hießen die Titel, es sang keine geringere als Evelyn Künneke. Die Schallplatte lief unter der Bezeichnung „Evelyn Künneke mit kleinem Orchester. Jack Harkins Quintet“, das waren Jack Harkins (Horst Wende), Klavier, Charlie Hiller, Trompete, ein mir jetzt Unbekannter am Bass, Peter Hönsch, Geige, ich selbst, Gitarre sowie Hans Walther am Bass. Die Schallplatte war ganz offiziell, durch die Tommies, wie jeder die Briten nannte, genehmigt und mit der Kontroll-Bezeichnung „Her- gestellt unt. d. Nr. C 30.212.E. d. Nachr. Kontr. d. Mil. Reg.“ versehen.

7 In Preetz wohnten wir in zwei Zimmern einer von den Engländern requi- rierten Villa und hatten entgegen den Versprechungen kaum zu tun. Das war ganz schlimm, da wir nur etwas zu essen bekamen, also „bezahlt“ wurden, wenn wir gespielt hatten. Von den damaligen Lebensmittelkarten zu leben war fast unmöglich, und um etwas auf dem Schwarzen Markt zu besorgen, fehlte uns das Geld der Auftritte oder die üblichen Tauschobjekte wie z.B. Zigaretten oder sonstige Naturalien. Und der Winter 1946 war bitterkalt. Auf der Suche nach Heizmaterial entdeck- ten wir hinten im Garten einen hölzernen Pavillon. Zuerst haben wir nur ein- zelne Bretter entnommen, sodass man ihr Fehlen nicht sah. Da die Kälte nicht weniger wurde, wurden die Lücken immer sichtbarer. Später als wir weggingen, war von dem Pavillon nichts mehr übrig. Das einzige was wir hatten, war unendlich viel Zeit. (was später in meinem Leben nie mehr der Fall war!) Diese Zeit haben wir aber optimal genutzt. Ich habe von morgens bis abends Gitarre geübt. Horst, der ja wie gesagt ein ausge- bildeter Pianist war, konnte mir dabei viele allgemeine musikalische Tipps geben, und ich habe sie auf die Gitarre übertragen. Abends, wenn der Empfang besser wurde, hörten wir Radio. Ich weiß gar nicht, woher Horst diesen kleinen selbstgebastelten Kasten hatte. Unter günstigen Umständen hörten wir sogar den AFN (American Forces Network, amerikanischer Soldaten-Sender) – an- sonsten lief immer der entsprechende Sender der Engländer, nämlich der BFN (British Forces Network). Horst und ich entwickelten eine „Abhörmethode“ für neue Stücke aus dem Radio, da wir zu dieser Zeit noch keine englischen oder amerikanischen Noten kaufen konnten. So verabredeten wir, dass sich jeder von uns eine bestimmte Anzahl von Takten in einem Stück anhört, sich diese merkt, und möglichst aufschreibt – denn es gab damals noch keinen Recorder. Nach mehrmaligem Hören

8 war das Stück vollständig, und wir übten es mit der Band ein. Mit der Zeit hatten wir dadurch ein höchst aktuelles Repertoire, und wenn wir dann für die Soldaten spielten, hatten wir die neuesten Hits, die sie kaum kannten. Das brachte uns einen ausgezeichneten Ruf ein. Einmal wurden wir an eine Nachbareinheit nach Plön ausgeliehen. Der veranstaltende Offizier war begeistert und hatte gleich eine Menge Pläne mit uns. Wir hatten kei- nen schriftlichen Vertrag mit denen in Preetz und somit auch keine Skru- pel, nach Plön zu wechseln. Der neue Arbeitgeber holte uns mit einem Militärtruck ab und brachte uns in unsere neue Behausung – ins Hotel Par- nass, wunderschön auf dem Berg gelegen zwischen den Plöner Seen.

9 Irgendwann merkte man in Preetz, dass wir nicht mehr da waren. Es gab eine kurze Militäraktion. In Plön erschien ein Truck aus Preetz, lud uns fünf Musiker auf und brachte uns direkt ins Gefängnis. Nach einem Tag fragte man uns, ob wir wieder in Preetz spielen wollen – natürlich haben wir uns der Gewalt ge- beugt und landeten wieder an alter Stelle. Am gleichen Tag noch fuhren Horst und ich per Anhalter nach Plön, erzählten alles unserem dortigen Captain, der den ganzen Streich aufs schärfste verurteilte. Da er hierarchisch die wichtigere Stellung hatte, waren wir einen Tag später wieder im Hotel Parnass und blieben dort das ganze Frühjahr über. Ein Ereignis warf dort viele Wochen seinen Schatten voraus. Es war das Treffen aller Militärgeistlichen der britischen Besatzungszone. Wir wurden angewiesen, ein Programm mit klassischer Musik zu erarbeiten. Dazu wurden Noten ausge- liehen – natürlich gegen Zigarettenwährung, und wir übten jeden Tag daran. Die Veranstaltung begann mit einem wunderbaren Buffet, untermalt mit unserer klassischen Tischmusik. Eigentlich ging alles seinen vorgesehenen Gang – bis zum Auftritt eines Würdenträgers. Er hatte eine Bibel aufgeschlagen – oder etwas, das jedenfalls wie eine Bibel aussah – und las daraus etwas in der Art einer Predigt vor. An den Mienen der Zuhörer merkten wir bald, dass das meiste nicht ganz ernst gemeint war. Bald wurde geschmunzelt, zunehmend auch laut gelacht. Es war wohl für alle eine Wohltat, die geistlichen Kollegen auf den Arm zu nehmen. Danach kam der Zeremonienmeister zu uns und fragte, ob wir nicht auch was anderes spielen könnten. Wir versicherten ihm, dass das eine der leichtesten Übungen für uns sei und fingen an, unser übliches Programm zu spielen. Die Herren kannten die meisten Texte und sangen fröhlich mit. Die absolute Steigerung kam, als Horst anfing, Boogie-Woogie zu spielen. Die rollenden Bassoktaven waren der neueste Hit. Die Herren standen um uns herum und klatschten sachkundig auf 2 und 4 in die Hände. Es gab bald eine „Bom- benstimmung“ – wenngleich diese Bezeichnung nach den zurückliegenden Jah- ren wohl nicht so ganz angemessen ist. Alle bedauerten es, als dann irgendwann Schluss war. Anschließend wurden wir vom Veranstalter eingeladen, uns am Buffet zu bedienen. Wir ließen uns nicht lange bitten. Als der Manager wiederkam, sagte er, es sei noch soviel da, und wenn wir nicht ordentlich zulangen würden, würde der Rest sowieso entsorgt. Er meinte, wir sollten uns auch für den nächsten Tag etwas mitnehmen. Wir hatten plötzlich das große Problem, die Sachen ein- zupacken. Doch kreativ wie wir waren, nahmen wir zuletzt unsere Instru- mente aus den Kästen und füllten sie bis zum Rand voll.

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