FRAUEN AN DER MACHT: CRISTINA FERNÁNDEZ DE KIRCHNER, PRÄSIDEN- TIN DER REPUBLIK ARGENTINIEN

MARIELLA FRANZ ||

Sie ist gebildet und intelligent, wortge- gehörten auch radikalen, linksperonisti- wandt und durchsetzungsstark, die Herzen schen Gruppierungen an. Im Vorfeld der vieler Argentinier hat sie wie einst Evita im Militärdiktatur (1976-83) heirateten sie. Über Sturm erobert. Sie soll gleichzeitig auch eine Zwischenstation im Süden Patago- machtsüchtig und ignorant sein, den natio- niens, Santa Cruz, wo ihr Ehemann her- nalen TV-Sender nutzt sie wie einst Juan stammte, stieg Cristina nach dem Ende der Domingo Perón; schlechte Indikatoren zur Diktatur die Leiter des politischen Erfolges Entwicklung ihres Landes werden übergan- hinauf. Von der Abgeordneten der pata- gen, stattdessen eine „Geschichte“ mit täg- gonischen Provinz über den Posten als lich guten Nachrichten „erzählt“. Es ist, als Kongressabgeordnete und zuletzt als Sena- hätte sie zwei Gesichter. Wir sprechen von torin führte ihr Weg zur Präsidentschaft des „CFK“ - Cristina Fernández de Kirchner - Landes. Néstor Kirchner hatte den erfolgrei- der Staatspräsidentin der drittgrößten Volks- chen Sprung vom Gouverneur seiner Pro- wirtschaft Lateinamerikas und des achtgröß- vinz zum höchsten politischen Amt im Lan- ten Landes der Welt. de eine Wahlperiode zuvor geschafft.

Politischer Weg Ausgangssituation und erste Präsident- schaft (2007-2011) Argentinien im 21. Jahrhundert: Erstma- lig in der Geschichte wählten die Argentinier 2001 lag das Land „in Scherben“. Der 2007 eine Frau an die Spitze ihres Landes. Staatsbankrott trieb die Menschen auf die Es ist die einmal mehr, einmal weniger rot- Straße, sie waren ohne Arbeit und ihres haarige Cristina Fernández de Kirchner (in Ersparten beraubt. Tausende waren durch Folge auch „CFK“ genannt), geboren am 19. die letzte große Finanz- und Wirtschaftskri- Februar 1953 in La Plata, Hauptstadt der se finanziell und sozial so weit abgerutscht, größten und bedeutendsten Provinz der dass die Armutsrate auf über 50 Prozent Republik. Der Ruf zu einem öffentlichen anstieg. Hinzu kam eine politische Krise, Auftrag erreichte sie bereits in jungen Jah- welche sich im Lande mit dem Slogan „que ren, als sich CFK bei den Jungperonisten an se vayan todos!“ [„sie (die Politiker) sollen der Universität von La Plata engagierte. alle verschwinden!“] Ausdruck verschaffte. Dort traf sie 1974 ihren Lebenspartner und In dieser Stimmung, und nach mehreren Wegbegleiter Néstor Kirchner. Beide waren Übergangspräsidenten wurde CFKs Ehe- in der JUP (Juventud Universitaria Peronista mann Néstor Kirchner mit lediglich 22 Pro- – Jungperonisten der Universität) aktiv; sie zent der Stimmen im Mai 2003 zum Präsi-

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denten der Republik gewählt.1 Nach der ren. Im Mai/Juni 2011 kamen jedoch An- Krise konnte es nunmehr bergauf gehen. schuldigungen - Veruntreuung der Gelder Der fähige Wirtschaftsminister Roberto bis hin zu Korruptionsvorwürfen - gegen die Lavagna, politisches Geschick des Präsi- Menschenrechtsorganisation „Madres de denten, hohe Weltmarktpreise für die „Korn- Plaza de Mayo“ auf, die als politische Ver- kammer“ des Südens und hohe Wachs- bündete der Kirchner-Regierungen gilt. tumsraten spielten dem Politehepaar in die Hände. Im wirtschaftlichen Bereich zeigt die Im Oktober 2007 folgte Cristina Fer- neue Regierungsverwaltung eine deutliche nández de Kirchner ihrem Mann in das Prä- Tendenz: Die staatlichen Kassen füllten sidentenamt. Mit (Unión Cívica sich. Im August 2008 wurde die Fluggesell- Radical - Radikale Bürgerunion) als Vize- schaft Aerolíneas verstaatlicht, präsident gewannen die Peronisten mit der im November darauf die privaten Pensions- Wahlformel „Frente para la Victoria“ (Front kassen (AFJP, Administradoras de Fondos für den Sieg) mit circa 45 Prozent der Stim- de Jubilaciones y Pensiones), zusammen- men. Das politische Vorhaben, jahrelang im gefasst unter der staatlichen Sozialversiche- patagonischen Süden des Landes vorberei- rungskasse ANSES (Administración Nacio- tet, blieb demnach „in der Familie“, dort wo nal de la Seguridad Social). Im März 2008 man sich gegenseitig am meisten vertraut. rief Fernández„ Regierung mit der Resoluti- on 125 die Erhöhung der Exportsteuer aus, die sie direkt an die Höhe der Weltmarkt- preise koppelte. Bis heute haben die hohen Preise für Soja dem Land satte Gewinne beschert.

Erste politische Krise der CFK

Landwirte, Kleinbauern, Großgrundbe- sitzer, Exporteure - von der mächtigen „So-ciedad Rural “ bis zur „Fede- ración Agraria“ hin - bildeten den „Mesa de Enlace“ (etwa: „Verbindungstisch“), Eröffnung der 131. Ordentlichen Sitzungsperio- eine gemeinsame Kommission, und gin- de des Kongresses, am 1.3.2013, Quelle: Presi- gen ab März bis Juni 2008 im ganzen dencia de la Nación Argentina. Land aus Protest auf die Straßen. Die geplante Erhöhung der Exportabgaben, Auf ganzer Linie übernahm Cristina welche im Idealfall die Inlandspreise Néstors Menschenrechtspolitik, was allge- drückt und die Staatseinnahmen erhöht, mein als positiv aufgenommen wurde, da es drohte, den Landwirtschaftssektor zu ge- die erste Regierung war, die sich dem „Erbe fährden. Man darf hierbei nicht vergessen, der Diktatur“ stellte: Schon seit 2003 erhal- dass die Bevölkerung der Provinzen und ten zwei argentinische Menschenrechtsor- Kleinstädte Argentiniens auf eine rentable ganisationen staatliche Zuschüsse „zur Auf- Landwirtschaft angewiesen sind. Der Ag- arbeitung der Militärdiktatur“. Die Stiftungen roindustriesektor erwirtschaftet immerhin „Madres de Plaza de Mayo“ (Mütter des 18,5 Prozent des BIP, beschäftigt 36 Pro- Maiplatzes) und „Sueños compartidos“ (Ge- zent der arbeitenden Bevölkerung und teilte Träume) verfügen über Millionen von macht schließlich 55 Prozent der Exporte Euros, um Sozialhilfe zu leisten, Kindergär- aus.2 Die Abstimmung über die Erhöhung ten, Schulen, Wohnungen und Museen zu der Exportabgaben im Senat ging 50 zu bauen und Krankenhäuser zu modernisie- 50 aus.

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Der Senatspräsident Julio Cobos, gleichzei- gramms mit Blick auf die Armutsreduzierung tig Vizepräsident der nationalen Regierung, bezweifeln.4 Über 20 Prozent der Bevölke- musste nun die Pattsituation mit seiner rung lebe noch immer in armseligen Ver- Stimme lösen. Er sprach sich aus Überzeu- hältnissen. Andere Kritiker gehen sogar gung gegen das Gesetzesvorhaben aus. davon aus, dass diese Gelder verdeckt dem Ab diesem Zeitpunkt wurde Cobos zum „Stimmenkauf“ dienen. Außerdem schaffe persönlichen „politischen Feind“ von CFK. die Maßnahme durch Fehlanreize mehr Die darauf folgende konfrontative Art zeigte Armut am Rande der Gesellschaft: vor allem sich u.a. in gezielten, rechtlichen Untersu- Mädchen aus den unteren sozialen Schich- chungen sowie in verstärktem Druck seitens ten werden bereits mit zwölf oder 13 Jahren der Steuerbehörden und richtet sich jedes schwanger. Anscheinend sorglos, denn sie Mal mit aller Härte gegen diejenigen, die beziehen das Kindergeld. sich öffentlich gegen Kirchners Maßnahmen aussprechen. Gleichzeitig verabschiedete der Kon- gress im Oktober 2009 ein Mediengesetz „Vamos por todo“ (Gehen wir auf‘s Gan- zur bisher von privater Hand dominierten ze!) Medienlandschaft. Private Anbieter haben seither nur noch Anspruch auf ein Drittel der Als Antwort auf die politische Krise um Radio- und Fernsehlizenzen. Ein weiteres die Resolution 125 zur Erhöhung von Ex- Drittel steht staatlichen Medien zu, das letz- portabgaben sanken die Stimmen für die, te Drittel ist für Sender gemeinnütziger Or- die Präsidentin unterstützende FPV (Frente ganisationen bestimmt. Besonders umstrit- para la Victoria)3, bei den darauf folgenden ten ist bis heute der Artikel, demzufolge sich Parlamentswahlen im Juni 2009: In der Ab- die Medienunternehmen innerhalb der kur- geordnetenkammer verlor das Regierungs- zen Frist von einem Jahr von den überzähli- lager die Mehrheit. Als Reaktion führte CFK gen Lizenzen trennen müssen. Aus dem mehrere „soziale Maßnahmen“ ein: Der Nichts tauchte ein neuer Konzern auf, der Staat kauft seitdem Sendelizenzen auf und die bislang abgestoßenen Lizenzen aufkauf- führte die öffentlichen Programme „Fußball te und nach dem regierungsnahen Unter- für alle“ im August 2009 und „Sport für alle“ nehmer Cristóbal López „benannt“ ist. Dem- im Februar 2011 ein. Die Kosten für diese gegenüber wehrte sich die Clarín-Gruppe5 Lizenzen liegen zwar in Millionenhöhe, aber mit vorübergehenden Schutzmaßnahmen in die Programme eignen sich auch hervorra- Folge einer Verfassungswidrigkeitsklage ge- gend zur Ausstrahlung von gezielter Wer- gen das Gesetz. Vor kurzem wurde der Kla- bung und Kampagnenspots. Mit Fußball ge vom zuständigen Bundesgericht stattge- erreicht man die ganze Nation! geben; allerdings geht der Rechtsstreit jetzt vor den Obersten Gerichtshof. Die Clarín- Im Oktober 2009 führte die Präsidentin Gruppe ist mit den Jahren zu einem sehr ein Kindergeld ein. Dieses wird arbeitslosen regierungskritischen, einflussreichen Medi- Eltern und Geringverdienern - unter den enkonzern herangewachsen und ist auf- Auflagen des Schulbesuchs und der Verab- grund dessen der Kirchner-Regierung ein reichung bestimmter Impfungen - zur finan- Dorn im Auge. ziellen Unterstützung pro Kind ausgezahlt. Der nationale Wissenschaftsrat CONICET Im April 2010 rief die Präsidentin die erkennt eine positive Wirkung dieser Maß- Kampagne „Netbooks für alle“ aus, wobei nahme auf die Armutsreduzierung und das alle Schüler und Lehrer der öffentlichen Einhalten der Schulpflicht. Doch es gibt Sekundarschulen im ganzen Land ein auch kritische Stimmen, etwa seitens des Netbook bekommen sollten. Die Kampagne Sozialen Observatoriums der Katholischen wird von den Geldern der nationalen Pen- Universität, welche die Erfolge des Pro- sionskasse ANSES mitfinanziert. Der vor

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allem die unteren Sozialschichten anspre- we trägt seit dem Todestag nur noch chende Name der Maßnahme „Conectar schwarze Trauerkleidung. In öffentlichen Igualdad“/„Gleichheit verbinden“ reiht sich in Ansprachen nahm sie fast immer Bezug auf die perfekt inszenierte Kommunikationsstra- ihren verstorbenen Mann, und mehr als tegie ihrer Präsidentschaft ein. einmal sah man sie weinen. Das Volk be- kam plötzlich ein anderes Bild von der bis- Erste Wolken am hellblauen Himmel her als „hart und unzugänglich“ empfunde- nen Frau. Infolge der hohen Inflation, die nach offi- ziellen Zahlen des nationalen Statistikamtes Cristinas Popularität kletterte von einem konstant über sieben Prozent pro Jahr lag, historischen Tiefpunkt auf neue Höhen. Als kam es zu steigenden Produktionskosten in Witwe wurde sie für die Opposition zunächst der Wirtschaft und folglich zu einem erhebli- „unangreifbar“. In Anlehnung an die Politik chen Wettbewerbsverlust des Landes. Der des Anti-Imperialismus des venezuelani- Internationale Währungsfond hat diese Zah- schen Präsidenten Hugo Chávez versuchte len mehrmals angezweifelt und ruft zur Kor- CFK einen selbstbewussten, südamerikani- rektur auf.6 Die geschätzte reale Inflation schen Weg für ihr Land, abseits der interna- liegt bei über 25 Prozent. Um die Handelsbi- tionalen Finanzmächte, zu beschreiten. lanz weiterhin positiv zu halten, wurden von CFKs Regierung protektionistische Maß- Die schwierige zweite Präsidentschaft nahmen in der Handelspolitik ergriffen, ins- (2011-heute) besondere in Form von neuen, bürokrati- schen Hürden bei der Erteilung von Import- Alle Hoffnungen der stark gespaltenen lizenzen, die es ausländischen Produkten Opposition (insgesamt gab es sechs Ge- erschweren, ins Land eingeführt zu werden. genkandidaten) zerbrachen an den 54 Pro- Diese Politik brachte Argentinien diplomati- zent der Stimmen, welche CFK im ersten sche Konflikte ein, besonders mit der Euro- Wahlgang erreichte. Der Abstand zum päischen Union, Brasilien und Uruguay. Zweitplatzierten Hermes Binner (Frente Andererseits kam es Mitte 2011 dazu, dass Amplio Progresista - Breite Progressive private Consultingfirmen und Verbraucher- Front) betrug 37,5 Prozent (!). Cristina hatte verbände mit Geldbußen bestraft wurden, persönlich die Aufstellung und Reihenfolge da sie weit höhere, „reale“ Inflationsraten auf den Wahllisten in der Hand gehabt. Sie von 25-30 Prozent präsentierten. Die private war mit dem jungen Wirtschaftsminister Messung der Inflation kann inzwischen dank als Vizepräsident ins Ren- der Immunität der Abgeordneten von Oppo- nen gegangen. Das zweite Mandat in Folge sitionsfraktionen im Kongress verkündet als höchste Dame im Land trat sie ohne werden. Ehemann an. Sohn und Tochter sind bisher noch nicht in das „Rampenlicht“ des öffentli- Der Weg zur zweiten Amtszeit chen Lebens getreten. Doch Cristina hat andere junge Nacheiferer: La Cámpora (be- Am 27. Oktober 2010 starb Cristinas nannt nach Héctor Cámpora, Präsident vom Ehemann Néstor Kirchner plötzlich an ei- 25. Mai 1973 bis zum 12. Juli 1973) heißt nem Herzinfarkt. Néstor war eine Integrati- die Politische Jugendorganisation, welcher onsfigur für unterschiedliche peronistische ihr Sohn Máximo Kirchner formal vorsteht Gruppen, welche der Regierung nahe ste- und welche durch den verstorbenen Ehe- hen. Cristinas Stärke und Durchsetzungs- mann jahrelang „herangezogen“ wurde. „In kraft als Frau an der Macht wurde wesent- dieser (politischen) Etappe sollte ich als lich von Néstor beeinflusst. CFK übernahm Brücke zwischen den Generationen dienen“, nunmehr die Führungsrolle in der Partei: so CFK anlässlich ihrer Wiederwahl.7 Seit eine wahrlich schwierige Aufgabe. Die Wit- 2011 werden Mitglieder der Cámpora sys-

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tematisch auf strategische politische Positio- Als die Staatsreserven bereits ge- nen gesetzt. schrumpft waren, fasste die Regierung von CFK rief bei ihrer Wiederwahl zur „natio- Cristina Fernández im Oktober 2011 den nalen Einheit“ auf. Was sie unter „Einheit“ Entschluss, den Kauf und Verkauf von De- versteht, bleibt unklar; in der Realität hat visen zu regulieren; die Freiheit der Argenti- sich die Präsidentin eindeutig für die Macht- nier, die aus dem hochinflationären Peso konzentration und nicht für die Integration flüchtend in USD sparen, wurde dadurch oppositioneller Lager bei elementaren Fra- wesentlich eingeschränkt. Zudem ist das gen entschieden. Cristina habe einen ande- Vertrauen der Argentinier in die Banken seit ren Führungsstil als Néstor; mit ihm konnte 2001 ohnehin gestört. Doch auch der Staat man Probleme lösen, manchmal durch ein und das gesamte Finanzsystem brauchen einfaches „auf die Schultern klopfen„, so Devisen. Der Schwarzmarkt blüht seitdem, manche peronistische Stimmen. Der Zu- und der Unterschied zwischen offiziellem gang zu Cristina scheint weitaus schwieriger und illegalem Wechselkurs steigt auf aktuell zu sein, und die Dialogfähigkeit, auch in den 80 Prozent an. So erreichte der USD zuletzt eigenen Reihen, hat stark abgenommen. ein Rekordhoch von 9,40 Pesos, während Sich in tausend tweets zu äußern, um stän- er auf legalem, aber stark beschränktem dig und möglichst direkt gegenüber dem Wege (per Antragsformular an die Steuer- Volk die eigene Politik zu „verteidigen“, oder behörde) für 5,20 Pesos zu haben ist. USD lange Reden zu halten, nach denen keine haben zwischenzeitlich in Milliardenhöhe Fragen erlaubt sind, kann nicht als offene das Land verlassen; die Kapitalflucht steigt Diskursart bezeichnet werden. weiter an.

„Man braucht sich nur vor Gott fürchten, Im Februar 2012 ereignete sich eine und ein bisschen vor mir”8 ließ Cristina auf schwere Tragödie: Ein Vorstadtzug raste einer Konferenz zu Beginn ihrer zweiten ungebremst in eine Zugstation; über 50 Tote Präsidentschaft an die eigenen Reihen ver- waren zu beklagen. Später stellte sich her- lauten. Diese Worte belegen ihr Selbstver- aus, dass millionenschwere Subventions- ständnis als starke Führungspersönlichkeit. gelder nicht wie geplant in die technische Aufrüstung des Zugnahverkehrs investiert Der lateinamerikanische Populismus re- worden waren. Der Sekretär für Transport- giert mit Druck: Schon Néstor hatte den wesen musste angesichts der Tragödie zu- Geheimdienst nicht nur auf die Opposition, rücktreten. Die Gerichtsverfahren laufen; die sondern auch auf die eigenen Leute ange- Hinterbliebenen und Familienangehörigen setzt. Die zunehmende Kontrolle endet in der Unfallopfer fühlen sich in ihrer Trauer einem autoritären Führungsstil, den die äu- von ihrer Präsidentin verlassen. ßerst charismatische CFK heute ausübt. Im April 2012 verstaatlichte die Präsiden- Nur ein kleiner, ausgewählter Beraterkreis tin die Anteile des spanischen, privaten hat direkten Zugang zu ihr; Kabinettsitzun- Erdölkonzerns Repsol an der größten Erdöl- gen gibt es nicht. firma des Landes, YPF (Yacimientos Petrolíferos Fiscales), wohl als Reaktion auf Der neue harte, politische Führungsstil: unterbliebene Investitionen in das Land, um „Mit uns oder gegen uns“ die Produktion zu steigern, denn Argentinien muss heute Öl und Gas importieren (2012 Die zweite Präsidentschaft unterscheidet betrug das Handelsbilanzdefizit 9,5 Mrd. sich wesentlich von der ersten. Cristinas USD). International gab es harsche Verur- politische Entscheidungen und ihr Füh- teilungen, von Spanien ausgehend sprach rungsstil erinnern zunehmend an diejenigen sich die gesamte EU dagegen aus. Die Dis- des verstorbenen Präsidenten Venezuelas kussion im Kongress zog sich stundenlang Hugo Chávez: hin, doch das Gesetzesprojekt setzte sich

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rasch durch - ein neuer Stil der „Express- neur . Innerhalb Cristinas Re- Gesetzgebung“, der sich später in anderen gierung war von Krisenmanagement nichts Bereichen wiederholen sollte. zu sehen; wieder ließ eine öffentliche Ant- wort und Anteilnahme der Präsidentin auf Ende 2012 verabschiedete der Kongress sich warten. Die Menschen jedoch sind um- dann das „Wahlrecht mit 16 Jahren“; ein so zorniger, da der Tod vieler durch die seit weiterer Eckpfeiler von Cristinas „Jugend- Jahren versprochenen Infrastrukturmaß- strategie“. Jugendliche, die heute im Alter nahmen und durch besser vorbereitete Ret- von 16 Jahren sind, waren vor zehn Jahren, tungsteams hätte vermieden werden kön- als Néstor Kirchner an die Macht kam, ge- nen. rade einmal sechs Jahre alt. Sie haben bis- her nur den Kirchnerismus erlebt und kei- Eine Woche danach brachte CFK das nerlei politischen Vergleich. Charakteristisch Projekt der Justizreform in den Kongress für Cristinas Macht ist, dass sie vor allem ein. Zur Feier der Demokratie am 10. De- junge Menschen stark anzusprechen zember war die Idee der „Demokratisierung scheint, wodurch ihr die Absenkung des der Justiz“ geboren worden, bei der Cristina Wahlalters nur zugute kommt. die Körperschaften des obersten Gerichts- Seit 2011 steigen die Staatsausgaben hofes anprangerte. Innerhalb von drei Wo- rasant an; mittlerweile ist der Staat der wich- chen wurde der Großteil des Paketes, be- tigste Arbeitgeber. Die Reserven werden stehend aus sechs Gesetzen, nach Mara- knapper, die großen Provinzen sind nahezu thonsitzungen in Senat und Abgeordneten- bankrott. Ein “ewiges”, nie gelöstes, Prob- kammer verabschiedet. Eine gründliche, lem in Argentinien ist dabei die Umvertei- breite und vor allem pluralistische Diskus- lung der Einnahmen zwischen Nation und sion vor der Präsentation des Entwurfes den Provinzen - ein zentralistisches Macht- war ausgeblieben. Die strittigsten Punkte instrument, welches auch Cristina bis hinun- der Reform (z.B. die Wahl der Mitglieder ter zur Gemeindeebene direkt zu nutzen des Richterrates durch das Volk) wurden weiß. Die Umverschuldungspolitik von Nés- nur mit knapper Mehrheit in der Abgeord- tor war für Argentinien sehr erfolgreich; das netenkammer angenommen. Der General- Land hat heute jedoch keinen Zugang zu vorwurf lautet, dass per Wahllisten gewähl- den internationalen Finanzmärkten mehr. te Richterratsmitglieder die Unabhängigkeit der Richter beeinflusst und dies zur Straf- Außenpolitisch beweist Cristina Stärke losigkeit von Machtmissbrauch, Korruption gegenüber Großbritannien im Streit um den und Geldwäsche durch Politiker führen Status der Falklandinseln. Anfang 2012 werde. schloss Argentinien mit dem Iran einen höchst umstrittenen Pakt zur juristischen Es ist ein Stil, der verwundert. Ein stritti- Aufarbeitung des Attentats auf ein jüdisches ges Projekt jagt das andere, wodurch grund- Kulturzentrum in den 90er Jahren in Buenos legende und nach Meinung der Opposition Aires. Traditionelle Partner wie die USA, bisweilen sogar verfassungswidrige und Europa, Brasilien, Chile und Kolumbien demokratiefeindliche Änderungen zustande werden zunehmend außer Acht gelassen. kommen. Ist das Kirchnerische Gesell- schaftsmodell volksnah, nur weil Methoden Die starken Überschwemmungen im Ap- der direkten Demokratie angewandt wer- ril 2013 hinterließen über 60 Tote und im- den? Reicht die demokratische Mehrheit, mense Schäden in den Städten Buenos um die Demokratie völlig umzugestalten? Aires und La Plata. Die Menschen gingen Die Republik steht auf dem Spiel, wenn die auf die Straße und beschimpften die Minis- Verfassung nicht als Kontrolle der Exekuti- terin für Soziale Entwicklung, ve, sondern als Instrument der Machtkonso- (Schwester von Néstor) und den Gouver- lidierung genutzt wird.

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Beginn einer neuen Krise? geliebt und von den Reichen gehasst“. Heu- te ist die Bevölkerung innerlich stark gespal- Seit 2012 greift der Mittelstand zu dem ten. seit 2001 eingeführten Protestmittel des „Cacerolazo“ zurück: Durch lautes Topf- Umfragewerte: Wie steht es um CFK heu- schlagen macht sich das Volk bemerkbar. te? Es sind friedliche Demonstrationen, zu wel- chen sich immer mehr Anhänger versam- Jüngste Umfragen des Meinungsfor- meln. Organisiert über soziale Netzwerke schungsinstituts Management & Fit bestäti- gingen zuletzt am 18. April mehr als eine gen, dass heute mehr Argentinier als 2011 Million Menschen auf die Straße, motiviert mit der Regierung unzufrieden sind: Nur durch das Überschwemmungsunglück und noch 29,3 Prozent der Befragten befürwor- den kurz zuvor aufgedeckten wohl größten ten Cristinas Regierung. Neu ist allerdings, Geldwäscheskandal9 unter Néstor Kirchner. dass 37,8 Prozent der Wähler, die nach Cristinas Reaktion: Sie hielt sich außer Lan- eigenen Angaben 2011 für Cristina stimm- des in Venezuela auf, um der Amtseinfüh- ten, sie 2014 nicht mehr in der Regierung rung des neuen Präsidenten und Chávez„ haben wollen. Insgesamt dürften es mehr Nachfolger Nicolás Maduro beizuwohnen. als 60 Prozent der Bevölkerung sein, die sich bei den Parlamentswahlen im Oktober CFK ist eine sehr starke Frau. Der Tod 2013 einen Gewinner aus dem Oppositions- ihres Mannes sowie ihres regional stark lager wünschen. Die große Unbekannte ist verbündeten Freundes Hugo Chávez haben allerdings, welche Parteien sie im Oktober ihre Durchsetzungskraft noch erhöht. Leider wählen werden.10 trägt dieses Charisma nicht nur zum Positi- ven in der Demokratieentwicklung ihres Die Arbeitslosigkeit beträgt in Argentini- Landes bei. Mindestens die Hälfte der Men- en laut dem Nationalen Statistikamt INDEC schen fühlt sich politisch nicht mehr vertre- etwa sieben Prozent. Die niedrige Zahl ist ten, sondern sieht sich in ihren Grundrech- als Erfolg der Kirchnerregierungen zu wer- ten eingeschränkt. Der mittlerweile autoritä- ten. Als Néstor Kirchner im Mai 2003 Prä- re Stil von Fernández„ Regierung ist auch in sident wurde, waren es immerhin 17,8 Pro- politischen Diskursen im Kongress, der zent. Zwischen 2003 und 2012 wurden Volksvertretung, zu erkennen. Dort finden etwa 3,5 Mio. Arbeitsplätze geschaffen; ein hunderte, teils stark emotionale Monologe großes Plus für Cristina, ein Machtausbau statt, anstatt offen und pluralistisch mitei- zugleich für die starken Gewerkschaften. nander zu diskutieren. Perfekte Wahlkam- Gemäß einer Umfrage des Beratungsinsti- pagnen, geniale Kommunikationsstrategien tuts Poliarquía Consultores kehrt in der und charismatische Auftritte, mit dem Port- Bevölkerung nach langer Zeit die Sorge um rait Eva Peróns im Hintergrund, haben ihr eine drohende Arbeitslosigkeit zurück: Et- zur Macht verholfen. Mit Sozialprogrammen wa 40 Prozent der Befragten haben den und Unterstützungsgeldern lässt sich die Eindruck, dass sich die Beschäftigungssi- Masse im Zaum halten, solange diese be- tuation im letzten Jahr verschlechtert hat. zahlt werden können. Aber vor allem die 49 Prozent geben an, ihre größte Sorge sei Mittelschicht ist heute durch wachsende der Verlust des Arbeitsplatzes, noch stär- Unsicherheit, einen rekordteuren USD- ker als die Befürchtung, mit der Gehalts- Dollar, Infrastrukturkatastrophen und Geld- entwicklung hinter der Inflation zurückzu- wäscheskandale politisch sensibilisiert. Cris- bleiben. Ein positives Bild von ihrer Präsi- tinas Charisma ist so stark, dass es so star- dentin haben heute etwa 35 Prozent der ke Gefühle wie Liebe und Hass in der Ge- Bevölkerung; seit dem aufgedeckten Geld- sellschaft hervorgerufen hat, was an die wäscheskandal ein Minus von acht Punk- Figur der Evita erinnert: „von den Armen ten.11

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Zahlen zu sozialer Entwicklung und De- wicklung und Integration. 2007-10 wurde die mokratie: Was hat CFK geleistet? Schere zwischen extrem reichen und armen sozialen Schichten breiter. Die zwischen Berichte der Vereinten Nationen zur 2004 und 2010 neu geschaffenen Arbeits- menschlichen Entwicklung in Argentinien plätze erreichten diesem Bericht zu Folge belegen, dass das Land und seine Gesell- kaum die untersten sozialen Schichten. Ein schaft ein hohes Potenzial haben. Die Ent- flexibles Pensionssystem wirkte sich positiv wicklung sei jedoch in den letzten Jahrzehn- aus, jedoch zahlen noch immer zu wenige in ten hinter diesen zurückgeblieben. Die wert- die Sozialversicherung ein (etwa 35 Prozent volle Interaktion zwischen Gesundheit, Bil- der Beschäftigung liegt im informellen Be- dung und Wirtschaftswachstum hat mittler- reich). Die Reallöhne sind in den letzten weile abgenommen. Argentinien investiert Jahren stark gestiegen, was als Erfolg ge- zehn Prozent des BIP in Gesundheit und wertet wird. Das Vertrauen der Zivilgesell- 5,8 Prozent in Bildung. Als „rising stars“ von schaft in die Institutionen der Republik, in Südamerika werden Brasilien, Mexiko und politische Parteien und Gewerkschaften hält Chile bezeichnet. Der weltweite Wohl- sich (auch zehn Jahre nach der Krise) in standsindex 2012 reiht Argentinien an 45. Grenzen; mehr „Ansehen“ genießen NROs, Stelle, hinter Chile (40.), jedoch eindeutig Kirchen und die Medien.13 vor Uruguay (51.), Mexiko (61.), Venezuela (71.) und Brasilien (85.).12 Argentinien hat Ein vorrangiges Thema für die soziale traditionell die größte Mittelschicht Lateina- Entwicklung in Argentinien ist die reale merikas, ein großes Unternehmertum und Chancengleichheit: Erziehung, Bildung und bietet noch immer eine relativ hohe Lebens- Berufsausbildung, gepaart mit einer Stär- qualität. Welchen Anteil CFK als ihren Bei- kung der Familie als Nukleus der gesell- trag zur Entwicklung verbuchen darf, ist schaftlichen Entwicklung müssten mehr in jedoch umstritten. Von einer außerordentli- den Fokus der Politik rücken. Eine solche chen Entwicklung gehen Befürworter der gemeinsame, auf einem gesellschaftlichen Präsidentin aus; von einer „verlorenen De- Konsens basierende „Vision“ konnte noch kade des Kirchnerismus mit jeder Menge nicht erreicht werden. Andererseits wäre es Rückschritte“ die Gegner. Die Wahrheit wird gerade die Bildung, welche langfristig die in der Mitte liegen. Die internationale Krise stark divergierenden sozialen Schichten zu 2009 konnte das Land jedenfalls relativ gut „einer Nation“ verschmelzen könnte. überdauern. Gemäß dem Bericht von „Latino- Die Katholische Universität von Argenti- barómetro“14 über die öffentliche Meinung nien hat eine „Beobachtungsstelle der Sozi- zur Demokratie liegt die Zustimmung für die alen Schuld“ eingerichtet, welche die sozia- Demokratie als „beste Regierungsform in len Fortschritte misst. Dem Bericht zufolge Argentinien“ bei 70 Prozent, über dem regi- kam das seit 2003 erfolgreiche, neue onalen Durchschnitt von 58 Prozent. Defizi- Wachstumsmodell im Jahr 2007 zum Stot- te in Argentiniens Demokratie gibt es den tern, als sich die Inflation beschleunigte und Befragten nach allem voran hinsichtlich der die Schaffung von qualitativen Arbeitsplät- Korruption (61 Prozent), in zweiter Linie zen zurückging. Sowohl missglückte Ent- hinsichtlich der sozialen Gerechtigkeit (53 scheidungen in der Innenpolitik als auch Prozent), gefolgt von Transparenz im Staat Auswirkungen der internationalen Krise (46 Prozent), Bürgerbeteiligung (35 Prozent) führten ab 2008 zu einem Rückgang der und der Konsolidierung der Parteien (21 Wirtschaft, zu einem Anstieg der Armut und Prozent). Defizite in Korruption und soziale einem Abstieg der sozialen Erwartungshal- Gerechtigkeit liegen in Argentinien weit über tungen. Im Jahre 2010 erholte sich die Wirt- den lateinamerikanischen Durchschnittswer- schaftslage wieder, jedoch mit nur geringfü- ten (48 Prozent und 33 Prozent). Heutzuta- gigen Verbesserungen für die soziale Ent- ge scheint es mit Blick auf die Demokratie-

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entwicklung in Argentinien vor allem ein Urlaub“) verlagert. Sind das „Hausgemachte gravierendes Problem mit der Rechtsstaat- Rezepte“ des populistischen Sozialismus lichkeit zu geben. des 21. Jahrhunderts? Ob mit oder ohne sozialistische Überzeugung, diese Strategie Fazit und Ausblick hat aus einem rein pragmatisch-politischen Blickwinkel wunderbar funktioniert. Lateinamerika hat sich über die letzten Das von Néstor Kirchner aufgebaute poli- zehn Jahre hinweg ein neues, starkes tische „Modell“ für das Andenland ist unter Selbstbewusstsein erarbeitet. Die stolzen dem „Cristinismo“ radikalisiert worden. Ja, Nationen beschreiten wirtschaftlich, sozial, es kommt zu einem Wandel, und die Frau kulturell und manche von ihnen sogar poli- an der Macht hat einen gesellschaftlichen tisch neue Wege. Néstor und Cristina Kirch- Umbruch im „europäischsten Land Südame- ner verkörpern für viele Argentinier diesen rikas“ eingeleitet. Die Frage ist bloß: Wohin neuen, unabhängigen, argentinischen Weg. führt dieser Weg? Sie möchten ein Land schaffen, das sich unbeeindruckt durch die USA, unabhängig Argentiniens Gesellschaft konzentriert von Europa, verbündet mit ausgewählten sich gerne auf den Einzelnen. Politische Ländern der Region, und vor allem den in- Führungspersonen werden von den Medien ternationalen Finanzinstituten trotzend auf bis ins Detail analysiert; zu sehr dreht sich eigene Beine stellen kann. Es ist ein wichti- daher die Diskussion um die Präsidentin: ger Weg für Argentinien als Nation; nach Was denkt sie, was fühlt sie, welches Her- der letzten schweren Krise 2001/2002 konn- zensanliegen hat sie, was ist ihr nächstes te der Kirchnerismus - heute als linkspopu- politisches Projekt? Zu wenig fragt sich der listische Spielart des Peronismus einzu- Argentinier selbst, welche Zukunft er sich schätzen15 - der Nation neuen Glanz und eigentlich für sein Land wünscht. In einer Stolz verleihen. Repräsentationskrise artikulieren schwache CFK - als „Frau an der Macht“ – ist zwei- Parteiorganisationen den Willen des Volkes felsohne Triebkraft für den politischen und nicht mehr. Das Programm ist die Person gesellschaftlichen Um- und Aufbruch ihres und nicht die Partei oder die politische Insti- Landes, in positiver wie in negativer Hin- tution. Die Wählerschaft verlangt starke sicht. Führungspersönlichkeiten und nimmt dabei Eine wesentliche Charaktereigenschaft, scheinbar zu viel Machtansammlung in welche sich durch den politischen Diskurs Kauf. Doch „ewige Geduld“ mit der politi- und die Entscheidungsfindung von Cristinas schen Elite scheint jedes Mal erneut in eine Kabinett zieht, ist die Schaffung eines Sackgasse zu führen. Feindbildes, durchaus mit theatralischen Viele politische Führungsfiguren meinen, und perfekt inszenierten Elementen. Sie dass Cristinas politische Führung so stark regiert, sie ändert, sie „demokratisiert“, um sei, dass sie die einzige sei, die das Modell einen Feind zu besiegen. Der Feind ist ent- des „Nationalen Volksprojektes“ weiterfüh- weder die mächtige Mediengruppe Clarín, ren könne. Wenn das die Stimmung im Re- der Regierungschef der Hauptstadt Mauricio gierungslager ist, ist das Projekt der Verfas- Macri oder der Oberste Gerichtshof. „Gegen sungsänderung, um 2015 ein drittes Mandat jemanden zu sein“ ist die Rechtfertigung für von CFK in Folge zuzulassen, nicht mehr teils radikale Umbrüche, welche jedoch die auszuschließen. Ein Weg, welcher die star- Verfassungsmäßigkeit und Rechtsstaatlich- ke Frau am Río de la Plata sehr viel Kraft keit in Gefahr bringen. So hat sich scheinbar kosten wird. Ein Weg, den Hugo Chávez das Feindbild vom historisch bedingten gegangen ist, und das ganze 14 Jahre lang. Großgrundbesitzer über die Industriemag- Etwa 11.400 km entfernt gibt es jetzt eine naten und Großunternehmer auf die Mittel- andere, mächtige Argentinierin: Prinzessin schicht („Topfklopfer frisch aus dem Miami- Máxima Zorreguieta ist nun Königin der

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Niederlande. Neben Papst Franziskus, dem 6 Siehe IWF, Pressemeldung 13/33 vom 01. 02.2013 „geistlichen“ Botschafter Argentiniens in der URL http://www.imf.org/external/spanish/np/sec/pr/ 2013/pr1333s.htm#P22_1029 sowie,IWF (2013): Welt, wird Königin Máxima auch als „politi- Perspectivas Economicas-Las Americas: Tiempo de sche“ Botschafterin des Landes verstanden. reforzar las defensas macroeconómicas URL http:// www.imf.org/external/spanish/pubs/ft/reo/2013/whd/ Hinter beiden, und auch hinter dem weltbes- wreo0513s.pdf [31.05.2013]. ten Fußballer Lionel Messi als „kulturellem“ 7 Zur “La Cámpora” siehe: Di Marco, Laura (2012): La Cámpora. Historia secreta de los herederos de Botschafter, steht die argentinische Nation - Néstor y Cristina Kirchner, . endlich als Einheit begriffen? 8 Artikel von Infobae, El Mundo, Clarin (2012): Solo hay que tenerle miedo a Dios y a mi (un poquito) URL „http://www.infobae.com/notas/669147-.html; „Jetzt fehlt es uns an nichts mehr“, so http://www.elmundo.es/america/2012/09/07/argentin a/1347027174.html; http://www.clarin.com/politica/ Präsidentin Cristina am 30. April: „Wir ha- titulo_0_769723071.html [30.05.2013]. ben den Papst, eine Königin und Messi!“.16 9 Skandal um Machenschaften zwischen Néstor Kirchner und dem Unternehmer Lázaro Baez. 10 Vgl. Onlineartikel der Tageszeitung Clarín (28.4.2013): El 37,8% de los votantes de Cristina ya no quiere que el oficialismo gane, URL http://www. clarin.com/politica/votantes-Cristina-quiere-oficialis mo-gane_0_909509125.htm [29.04.2013]. Zum Ver- || DR. MARIELLA FRANZ trauen in die Regierung vgl.: Escuela de Gobierno de la Universidad Torcuato di Tella (2013): Índice de Auslandsmitarbeiterin Argentinien confianza en el gobierno , URL http://www.utdt.edu/ ver_contenido.php?id_contenido=1351&id_item_me nu=2970 [29.04.2013]. 11 Vgl. Brea, Jose Luis (2013): Casi la mitad de la gente teme perder el empleo, URL http://www. po- liarquia.com/pdf/P2.pdf [27.04.2013]. sowie Kritz, ANMERKUNGEN Ernesto (2013): Todo bien pero surgen signos de

1 Carlos Menem war von seiner Kandidatur zurückge- preocupación, in: La Nación vom 24.03.2013, S. 20. treten und hatte auf den zweiten Wahlgang, die 12 Malik, Khalid (2013): Human Development Report Stichwahl gegen Nestor Kirchner, verzichtet. 2013. The Rise of the South: Human Progress in a 2 Ciappa, Cesar/ Di Gresia, Luciano / Onofri, Alejan- Diverse World, S. 1, 15ff, 21ff, URL http://hdr.undp. dro (2007): , Evaluación de impactos económicos y org/en/media/HDR2013_EN_Summary.pdf sociales de políticas públicas en la cadena agroin- [29.04.2013], sowie Herrero, Martin Santiago u.a. dustrial, S. 2, sowie Szewach, Enrique (2011): El (2010): Informe Nacional sobre Desarrollo Humano aporte de la agroindustria. Hacia un progreso soste- 2010. Desarrollo Humano en Argentina: trayectos y nible, S. 2, 22, 23, 63/Punkt 8 http://www. foroa- nuevos desafíos, S. 14, 52, 76, 81, URL http://hdr. groindustrial.org.ar /pdf/final_home_old.pdf sowie undp.org/en/reports/national/latinamericathecaribbean http://www.foroagroindustrial.org.ar/pdf/Doc20 /argentina/Argentina_INDH_2010.pdf [29.04.2013]. 11_foroagro_final.pdf [29.05.2013]. 13 Vgl. Salvía, Agustin u.a. (2011) : Informe Especial 3 Der Frente para la Victoria FPV, Front für den Sieg, 2011 “Deudas y progresos sociales en un país que ist eine Wahlplattform des Partido Justicialista PJ hace frente a su bicentenario. Argentina 2004- („Gerechtigkeitspartei“). Die PJ ist mehr als poltische 2010”, , Buenos Aires, S. 4,5,59 [25.04.2013], URL Bewegung denn als institutionalisierte Partei zu ver- http://www.uca.edu.ar/uca/common/grupo68/files/ev stehen, sie ging aus dem Peronismus hervor. Ge- olucion-general.pdf. Mittels fünf Indikatoren wird die gründet von Juan Domingo Peron sind in der PJ vie- menschliche Entwicklung und soziale Integration le ideologisch unterschiedlich geprägte Strömungen gemessen: Lebensraum und wirtschaftliche Situati- zu finden („von links nach rechts“); der FPV, auch on der Haushalte; Beschäftigung, Unterbeschäfti- als „Kirchnerismus“ bezeichnet, wird als links- gung und Zugang zu Sozialversicherung; psychoso- nationalistisch eingestuft ziale Ressourcen für menschliche Entwicklung; Ver- 4 Agustín Salvia, Bianca Musante, Alejandro Mendoza trauen, Teilhabe und Bürgersicherheit. Jaramillo (2013): Informe de prensa. Observatorio 14 Corporación Latinobarómetro (2011): Informe 2011 de la Deuda Social Argentina, URL http://www.uca. (Santiago de Chile), S 38 ff, URL http://www.latino edu.ar/uca/common/grupo68/files/COMUNICADO_D barometro.org/latino/LATContenidos.jsp [22.04.2013]. E_PRENSA_AUH_Pobreza.pdf [31.5.2013] 15 Zu den “Spielarten” des Peronismus vgl. Zingoni, 5 Clarín ist die finanzstärkste Mediengruppe Argenti- Norberto (2009): El Peronismo y sus máscaras. El niens. Sie besitzt u.a. den Fernsehsender Canal 13, enigma del país inacabado, Buenos Aires. den Kabelnetzbetreiber Cablevisión, die Sportzei- 16 Vgl. La Nacion (2013): Cristina Kirchner: “Tenemos tung Olé sowie die Gratiszeitung La Razón. Sie ist Papa, Reina y Messi, no nos falta nada” 30.04.2013, auch an den Zeitungen Página/12 und La Voz del URL http://www.lanacion.com.ar/1577872-cristina-kir Interior beteiligt. Dadurch hat die Gruppe z.B. beim chner-tenemos-papa-reina-y-messi-no-nos-falta-nada bezahlten Fernsehen einen Marktanteil von über 70 [30.04.13]. Prozent. Zu den Besitzern der Clarín-Gruppe gehört die spanische Telefónica. Bis Mitte 2012 war auch die Investmentbank Goldman Sachs mit 9,11 Pro- zent an der Clarin Gruppe beteiligt. Goldman Sachs verkaufte ihre Anteile nach einer Niederlage des Konzerns vor einem argentinischen Gericht.

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