SPEKTRUM-ESSAY z Hookes Fossilien und die Anti-Evolutionisten

Im 17. Jahrhundert begann ein Streit um das Alter der Erde und die Entwicklung der Organismen, den hartnäckige Evolutionsgegner bis zum heutigen Tag fortsetzen.

Von Keith Stewart Thomson nen. Robert Boyle hingegen war der reiche Sohn des noch reicheren ersten Earl of Cork elegentlich erfahre ich, dass aus und besuchte nie eine Universität. Als Boyle meinen Beiträgen zur Evolutions- sich zwischen 1656 und 1668 in Oxford nie- theorie zitiert wurde, um damit ge- derließ, stellte er Hooke an, damit der ihm gen die biologische Evolution und bei seinen philosophischen Untersuchungen G für den Kreationismus zu argumentieren. über das Wesen der Gase und deren Gesetze Kürzlich verwendete das so genannte Discove- zur Hand ginge. Hooke war der Erfinder und ry Institute meine Arbeit bei einem Versuch, Techniker, der die berühmten Luftpumpen- den Kreationismus in den Schulen des US- versuche durchführte; sie bewiesen, dass es in Bundesstaats Ohio zu etablieren. Bei solchen der Luft einen – später entdeckten und Sauer- Anlässen weiß man nie, ob man lachen oder stoff genannten – Faktor geben muss, den weinen soll. Diese Leute durchstöbern die Tiere zum Leben brauchen. Wissenschaft nur so eifrig, um sie gegen uns Hookes Erfindungen reichten später von zu wenden. Doch letztlich setzen sie einen der Uhrfeder bis zum Universalgelenk. Er prinzipiellen Kampf um unsere Herzen und wurde Bauaufseher für London, als Christo- Hirne fort, der niemals wirklich enden wird: pher Wren dort Stadtarchitekt war, und ge- Lässt sich das Universum zur Gänze wissen- meinsam gestalteten sie nach dem großen schaftlich erklären oder gibt es ein letztes, Brand von 1666 London neu. Hooke und nicht erkennbares Mysterium? Wren arbeiteten mit Mikroskopen, und aus »Alles kommt Ein Geburtshelfer unseres Zeitalters der Beobachtungen grober Dünnschnitte von Evolution war (1635 – 1703) – Kork entwickelte Hooke den Begriff »Zelle«. darauf an, das eine Leuchte in einer brillanten Ära. Er hatte Zeitgenossen wie Robert Boyle, Christopher Gefährliche Ideen Auge auf die Wren, Anton van Leeuwenhoek, Gottfried In seinem großen Werk »« pu- Wilhelm Leibniz und natürlich Isaac Newton. blizierte Hooke 1665 wichtige Gedanken Naturtatsachen Ihre Arbeit stand unter dem Einfluss von über Fossilien. Wie Leonardo da Vinci und zu richten« Francis Bacon (1561– 1626), der mit der mit- viele antike Autoren schloss er, dies müssten telalterlichen Auffassung von Wissenschaft ra- versteinerte Überbleibsel einst lebender Orga- dikal gebrochen hatte. Die Wahrheit, was im- nismen sein. Mit seinen »Vorlesungen und mer sie sei, und wie gut sie sich auch verber- Diskursen über Erdbeben und unterirdische ge, sollte nicht durch biblische Erleuchtung Eruptionen« (1668 – 1700) erschloss er eine oder bischöfliche Exegese gesucht werden, ganze Welt wissenschaftlicher Erklärungen für auch nicht in der Autorität antiker Gelehrter die Erdgeschichte und skizzierte sogar die wie Aristoteles. Vielmehr gelte für den moder- Grundlagen eines Gesteinszyklus, mehr als nen Gelehrten: »Alles kommt darauf an, das hundert Jahre vor . Auge unbeirrt auf die Naturtatsachen zu rich- Wie konnte jemand im England der Re- ten und dadurch ihre Bilder einfach so, wie stauration ungestraft so gefährliche Ideen über sie sind, zu empfangen.« Fossilien und Erdgeschichte vorbringen? Ganz In gewisser Hinsicht ist Hooke am be- einfach: Hookes Geologie war nicht genügend kanntesten als Hälfte eines der großen »seltsa- ausgereift und die Resonanz auf seine Schrif- men Paare« der Wissenschaft. Da die Familie ten zu schwach, um die Mächte der Religion arm war, musste Hooke als Diener arbeiten, allzu sehr in Argwohn und Unruhe zu verset- um das Studium in Oxford bezahlen zu kön- zen. Heute wiederum ist das Faktum einer al-

SPEKTRUMDERWISSENSCHAFT Q APRIL 2006 SPEKTRUM-ESSAY z ten und sich wandelnden Erde so fest etab- liert, dass die allmähliche Evolution des Le- bens auf der Erde fast unweigerlich daraus zu folgen scheint. Die Bissigkeit der modernen Anti-Evolutionisten rührt gewiss nicht nur von ihrer Zugehörigkeit zu einem speziellen Zweig des religiösen Fundamentalismus her, sondern auch von der Tatsache, dass die Evo- lution nun eine ausgewachsene Wissenschaft ist, nicht bloß eine angreifbare Hypothese. Vor Hooke und seinen Zeitgenossen Ste- no (Nicolaus Stenson, der 1669 seinen Klas- siker »Prodromus« veröffentlichte) und (»Three Physico-Theological Discourses«, 1692) blieb das Wesen der Fossilien zu Recht zweifelhaft. Erst die Qualität der fossilen Fun- de, die Hooke in »Micrographia« und »Erdbe- ben« beschrieb, zwang zu der Schlussfolge- rung, dass sie Resultate eines Prozesses sind: »Die Tiere oder pflanzlichen Substanzen, die sie darstellen, wurden in Stein verwandelt, in- dem ihre Poren durch eine versteinernde flüs- sige Substanz gefüllt wurden …«

Meeresmuscheln im Gebirge Die meisten Fossilien stammen nicht von heute existierenden Arten; daraus schloss Hooke, dass manche Lebensformen ausgestor- ben sind – im Widerspruch zum Alten Testa- ment, insbesondere Genesis, Kapitel 1, Vers THOMSON KEITH STEWART 25. Hooke verwarf die Idee, Fossilien seien ein- fach Indizien für die Sintflut, und folgerte, die Erde müsse viel älter sein als die 6000 Jahre, die Bischof Ussher 1650 aus Kalendern und biblischen Chronologien hergeleitet hatte: »Ich halte für einleuchtend, dass dies nicht von der Sintflut stammen kann, denn deren Dauer von nur rund zweihundert natürlichen Tagen oder einem halben Jahr böte nicht ge- Hookes Weltbild widersprach der Bibel: Solche Fossilien inter- nug Zeit für die Produktion und Perfektion Wandel statt Stillstand, eine alte statt einer o pretierte Robert Hooke so vieler großer und ausgewachsener Muschel- jungen Erde, wechselhafte Vielfalt anstelle als versteinerte Überreste von schalen … Außerdem besagt die Menge und einmaliger Schöpfung. Hooke spekulierte so- einst lebenden Meerestieren. Dicke der Sandschichten, mit denen sie oft- gar über die Variabilität der Arten. Wenn Daraus schloss er auf die Verän- mals vermischt auftreten, dass über ihnen viel manche Arten im Lauf der Erdgeschichte aus- derlichkeit der Lebensformen. länger Meer gelegen haben muss …« sterben konnten, erschien ihm logisch, dass Fossilien waren oft »Meeresmuscheln«, die »es jetzt verschiedene neue Arten geben mag, auf Bergen gefunden wurden, weit über dem die nicht von Anbeginn da waren«. Doch was Meeresspiegel. Wie Hooke erkannte, werden wir jetzt wissen, war damals Hypothese. Und heutige Landschaftsformen fortwährend ero- es herrschte kein Mangel an rivalisierenden diert, und der entstehende Kies, Sand und Theorien. In Robert Plots » of Schlamm werden zum Meer gespült. Er be- Oxford-Shire« (1677) finden wir eine um- griff, dass die Erde aus den schichtweise abge- ständliche Wiederholung aller Argumente ge- lagerten Überresten verschiedener Zeitalter be- gen Hooke und Steno; verteidigt wird die steht; darum kann die Erosion sich nicht über Idee, Fossilien seien bloß lapides sui generis – Äonen ungestört fortgesetzt haben. Es muss ei- selbst erzeugte Steine. Nach einer gewagten nen Prozess gegeben haben, der »die Erhebung Theorie von Hookes Zeitgenossen Edward sehr beträchtlicher Berge aus einem ebenen Lhwyd entstanden Fossilien aus den »Samen« und platten Land« verursachte. Als Erklärung von Meereswesen; die Keime wurden mit den erwog Hooke Erdbeben, die Wärme im Erdin- Wolken vom Meer über Land getragen, wo sie nern und Verlagerungen der Erdachse. tief im Gestein ausschlüpften.

SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT Q APRIL 2006 119 SPEKTRUM-ESSAY z Hooke und andere Fortschrittsdenker gegner: Sie zitieren ihn als Beleg, dass die standen vor einem Dilemma: Hätte es schlüs- ganze Theorie aufgelegter Schwindel sei. sige unabhängige Indizien für das Alter der 200 Jahre nach Hookes »Microgaphia« Erde und das relative Alter der unterschiedli- versuchte Philip Henry Gosse einen Damm chen fossilreichen Schichten gegeben, dann gegen die drohende Flut des Evolutionismus wären die Fossilien leicht als solche akzeptabel zu errichten; in seinem Buch »« gewesen. Hätten umgekehrt schlüssige unab- (1857) schuf er das Nonplusultra eines Ad- hängige Indizien für das wahre Wesen der hoc-Arguments. Der Buchtitel, das griechi- Fossilien und für ihre Entstehungsprozesse sche Wort für Nabel, bezieht sich auf das alte existiert, dann hätte man das Alter der Erde Rätsel: Hatte Adam einen Nabel? Gosse ant- hingenommen. Doch wie in den meisten Fäl- wortet mit Ja; Gott schuf einen Adam mit len entwickelten sich beide Seiten des Pro- Nabel, und Er erschuf all die Fossilien von blems schrittweise: hier ein Fortschritt, dort Kreaturen, die nie gelebt haben, und die kom- »Gott erschuf ein Rückzug. Erst die – von Fossilien unab- plexe Struktur der Erde, wie wir sie kennen. hängige – Gesteinsdatierung mittels Radioiso- Er schuf Bäume mit Jahresringen, die ein all die Fossilien topen sowie die Entdeckung der Plattentekto- Wachstum bezeugen, das nicht stattgefunden nik haben das Problem gelöst, obgleich es hat, Gesteinsschichten, die nie abgelagert wor- von Kreaturen, zweifellos noch viel mehr zu entdecken gibt. den sind, und Flüsse, die Sedimente von nicht Dieses Henne-oder-Ei-Problem mit unab- erodierten Hügeln mit sich führen. All die die niemals hängigen Beweisketten gilt ähnlich auch für scheinbare Evidenz einer sich wandelnden al- gelebt haben« die moderne Evolutionswissenschaft. Die letz- ten Erde ist einfach ein weiterer Teil von Got- te Schlussfolgerung aus dem Studium der tes freizügiger Schöpfung. Dieses Argument Evolution – und damit der letzte Test dieser ist zwar fast unschlagbar – denn wie will man Wissenschaft – besagt, dass das Leben durch beweisen, dass es falsch ist –, aber auch purer natürliche Prozesse aus unbelebter Materie Unsinn: Was alles erklärt, erklärt gar nichts. hervorging. Einerseits zeigt die Paläontologie schlüssig, dass das Leben sich mit der Zeit ge- Eine übernatürliche Intelligenz? wandelt hat, und genetische Analysen bewei- Einige moderne Anti-Evolutionisten sind in sen die Verwandtschaft aller Organismen Gosses Fußstapfen getreten und haben eine durch die Aufspaltung der Abstammungslini- neue Version der alten Ad-hoc-Logik entwi- en. Die drei Grundlagen des Darwin’schen ckelt. Sie gestehen zwar dem, der das möchte, Evolutionsmechanismus – Nachkommen- den späteren Verlauf der Evolutionsgeschichte überschuss, Variation und Selektion – sind in zu, behaupten aber, der Ursprung des Lebens lebenden Populationen leicht nachweisbar. All sei nicht durch Evolution erklärbar. Nach die- das führt uns zu der Vorhersage, dass es ser Logik stellen komplizierte Makromoleküle schließlich möglich sein wird, die Evolution wie Hämoglobin eine »irreduzible Komplexi- von Belebtem aus Unbelebtem nachzuweisen. tät« dar; sie erfordert eine planende Intelligenz Hätten wir andererseits den Zusammenbau (designing intelligence), die mit Gott gleichge- selbst replizierender Moleküle aus einfachen setzt wird. Es fällt schwer, darin eine Wissen- nicht selbst replizierenden Molekülen bereits schaft zu sehen, denn sie stellt keine prüfbare experimentell demonstriert, würden wir da- Hypothese darüber auf, was die planende In- Keith S. Thom- raus bereitwillig auf die allmähliche Evolution telligenz ist oder wie sie zu erforschen wäre, son ist Direktor der Artenvielfalt schließen. und sie erfordert den Glauben an eine Nega- des Museum of Interessanterweise kommen Computersi- tivbehauptung – die Nicht-Entwicklungsfä- Natural History der Universität mulationen dem Ziel, die Entstehung selbst higkeit komplexer Systeme. Oxford. replizierender Moleküle zu demonstrieren, be- Letztlich krankt auch die »irreduzible © American Scientist reits sehr nahe. Und so geht der schrittweise Komplexität« an dem oben skizzierten Hen- (www.americanscientist.org) Prozess der Evolutionsforschung weiter, wobei ne-Ei-Problem. Gäbe es unabhängige wissen- noch viel Arbeit zu tun bleibt. schaftliche Beweise für die Existenz Gottes, Micrographia. Von Robert Hooke. Cramer, Baunschweig 1961 Der vorige Absatz bringt mich zu den ers- würde Sein Eingriff in die Natur eher akzep- ten Zeilen dieses Essays zurück. Im Jahr 1677 tiert werden. Wäre die Nicht-Entwicklungsfä- The man who knew too much: The nutzte Robert Plot die Tatsache, dass die Fossi- higkeit komplexer Moleküle irgendwie bewie- strange and inventive life of Robert Hooke. Von Stephen Inwood. Mac- lien, die wir Ammoniten nennen, »unvollkom- sen, gäbe es mehr Unterstützung für eine millan, London 2002 mene« Versionen des heute lebenden Nautilus übernatürliche »Intelligenz«. Doch die Mög- sind, als Argument: Darum sei es falsch, Fossi- lichkeit des einen spricht nicht für die Wahr- Booting up life. Von Gerald F. Joyce in: Nature, Bd. 420, S. 278, 2002 lien als Überbleibsel wirklicher Organismen zu scheinlichkeit des anderen. Und nichts davon

AUTOR UND LITERATURHINWEISE interpretieren. Genauso riskiert heutzutage je- gleicht der hartnäckigen Suche nach Erklä- Weblinks zum Thema finden der, der einräumt, dass wir die Evolution der- rungen für materielle Phänomene, die Hooke Sie bei www.spektrum.de unter »Inhaltsverzeichnis«. zeit nicht vollständig verstehen, den Miss- und seine Zeitgenossen uns vorexerziert haben brauch dieser Aussage seitens der Evolutions- und die wir Naturwissenschaft nennen.

SPEKTRUMDERWISSENSCHAFT Q APRIL 2006