swissjazzorama.ch jazzletter

Nr. 34, Dezember 2015

EDITORIAL

Liebe Leserin, lieber Leser

Was wurde nicht schon alles über Arm- strong, Ellington, Basie und all die Grossen aus der ersten Reihe geschrieben? Doch Artikel über Künstler der hinteren Reihe sind rar. Ein Grund, weshalb Ihnen Theo Zwicky in dieser Ausgabe den Trompeter Frank Newton vorstellt, ein Musiker, den – wie sich Theo ausdrückt – die Referenz- bücher nur im Vorübergehen erwähnen. Der Informationsgehalt seiner Arbeit ist so hoch, dass wir ihm gerne drei Seiten (10 bis 12) reserviert haben. ZÜRICH Auch dieses Mal haben wir den Inhalt des Jazzletters so gestaltet, dass er Geschicht- 1945 liches wie auch Aktuelles einschliesst. Sowohl geschichtlich als auch aktuell sind DRESDEN unsere Beiträge zu Jubiläen von bekannten Jazzclubs. Einer in Bern (Seiten 6 und 7), der andere in Rheinfelden (Seiten 8 und 9). Beiden hat die jüngere Schweizer Jazz- geschichte viel Gutes zu verdanken. Nur geschichtlich sind unsere Betrachtungen zum Thema «Das Kriegsende und der Jazz». In der letzten Ausgabe hatten wir Deutschland im Fokus, in dieser Ausgabe die Schweiz (Seiten 2 und 3).

Dass wir Ihnen im Interview einen typi- schen Plattensammler vorstellen (Seite 4), ist ein Novum, das aber durchaus berech- tigt ist. Dieser Art von Jazzfan haben wir letztlich weitgehend unsere Existenz zu verdanken. Sie sind es, die die Regale des swissjazzorama füllen.

Das Kriegsende und der Jazz in der Schweiz Herzlich

1945 – Kriegsende in Europa! Die Schweiz, senen, für die Jazz nicht in ihr Denken eine intakte Insel mitten in einem zerstörten passte, und die ihn deshalb ablehnten. – Inhalt Europa, ist mit einem «blauen Auge» aus der Ich durfte 1949 als Lehrling beim Auftritt 2 Infos der Geschäftsleitung des SJO Kriegs-Katastrophe herausgekommen. von and his All Stars* im Als der Krieg zu Ende war… Kongresshaus in Zürich dabei sein. Dieses 4 Portrait eines Plattensammlers Mit den Siegern aus Übersee kam der Jazz Erlebnis hinterliess bei mir einen tiefen 5 «Taking a chance on Jazz»: auch in die Schweiz und löste hier neue Eindruck und hat mein Verhältnis zum Roman Dylag (2. Teil) 6 40 Jahre Berner Jazzfestival Energien aus. Teile einer jüngeren Schweizer Jazz bis zum heutigen Tag geprägt. WA 8 30 Jahre Jazzclub Q4 in Rheinfelden Nachkriegs-Generation wurden vom Jazz- 10 Der Trompeter Frank Newton Fieber erfasst. Erstmals konnten sie die Musik *Louis Armstrong (tp, voc), (tb, voc), 13 swissjazzorama intern (cl), (p), (b), von afroamerikanischen und weissen Musi- 14 Notre page en français: JazzNyon Cozy Cole (dm), (voc). 15 In memoriam: Ornette Coleman und kern «live» erleben. Dabei standen sie unter Gunther Schuller kritischer Beobachtung von vielen Erwach- Mehr zum Thema auf Seite 2 16 Blick ins Archiv/In memoriam/Impressum

1 Wenn alle diese Fragen gelöst sind, kann INFOS DER GESCHÄFTSLEITUNG DES SJO die jetzige provisorische Geschäftsleitung die Arbeit in die Hände einer neuen GL und «Zustand kritisch – aber nicht lebens- Aber Trotzdem: Der «Erlösungs-Schuss» an einen neuen Geschäftsführer abgeben. gefährlich». Die Geschäftsleitung steht der den Verein in eine neue Dimension an einem Wendepunkt unserer Vereins- schiebt, lässt weiterhin auf sich warten. Wer diese Zeilen liest, merkt: geschichte. Eine klare Strategie ist be- Die Gründung der Stiftung wartet auf die Hilfe ist gefragt! schlussreif zu Handen des Vorstandes, Anschiebung durch die Standortgemeinde. mit der Standortgemeinde besprochen, Der neue 2-jährige Leistungskontrakt mit – Wir suchen Finanzen (neue Mitglieder, mit dem Kanton vorbesprochen und mit der Standortgemeinde ist erst mündlich Spender oder Stiftungskapital). dem Bundesamt für Kultur angesprochen. zugesichert, die Finanzlage ist kritisch. – Wir suchen weitere Mitarbeiter, die sich in einem kleinen Pensum engagieren. Die ganze Crew arbeitet mit Elan in den Neue Räume für das swissjazzorama wären – Wir suchen tatkräftige Personen, die den Ressorts. Die Hauptgebiete (Printmedien gefunden (alles unter einem Dach), zentral Verein unterstützen (als Vorstandsmit- und Tonträger) haben Zwischenziele gelegen mit Arbeitsplätzen und guter glied oder als Beirat in einer Stiftung). erreicht und Verfeinerungen eingeführt. Anlieferung, helle und hohe Räume mit – Wir suchen Partner, die uns anschieben Neues Material wird laufend angeliefert bester Möglichkeit für die Installation des können. oder steht zum Abholen bereit. Die Lager- zugekauften Occasions-Rollgestells. keller sind überfüllt, die Räume werden Helfen sie mit, dass der Zustand gesichert knapp. Die Ausstellungscrew hat eine Aus- Wer stellt aber die Bürgschaft für 6 Mo- wird und das swissjazzorama als Dokumen- stellung an der Kantonsschule Zürcher Ober- natszinse? Sichert der Kanton die Kosten tationsstelle für den Jazz in der Schweiz land in Wetzikon mit gutem Erfolg gezeigt. für den Umzug? Welche Stiftungen unter- lebensfähig bleibt und wachsen kann. Die Artikel für den neuen Jazzletter sind stützen für die beiden nächsten Jahre unser geschrieben, bereit zum Druck und dem Ver- Wirken und die Anstellung eines professio- Fernand Schlumpf sand an die Mitglieder und Interessenten. nellen Leiters im Teilzeit-Pensum? Vizepräsident swissjazzorama.ch

und schreibe vier Trompeten und vier Posau- Als der Krieg zu Ende war: nen umfasste. Die grosse Attraktion war zweifelsohne Glyn Paque (1907–1953), der Die Jazz-Nachkriegsjahre in der Schweiz afroamerikanische Altsaxofonist und Klari- nettist, wohl einer der interessantesten Der erste Teil unserer Betrachtungen zum Thema Jazz und Kriegsende, der in unserer Musiker der Schweizer Jazzgeschichte. Wir letzten Ausgabe erschien, hiess «Schluss mit den Vorschriften» und befasste sich besitzen glücklicherweise viele signifikante mit der Nachkriegssituation im kriegsgeplagten Deutschland. Fast bei Null musste Beispiele seiner Musik und eine Reihe wert- der Jazz in unserem nördlichen Nachbarland, wo ihn die Nazis verboten hatten und voller Zeugnisse seiner leider zu kurzen auf den Index der entarteten Künste setzten, wieder beginnen. Ganz anders in der Laufbahn. Schweiz: Politisch wurden dem Jazz zu keiner Zeit Fesseln angelegt, doch wurde seine Entwicklung da und dort durch Vorurteile vorwiegend der älteren Generation etwas Wer eine dieser Bigbands engagieren wollte, gehemmt. Auf einige Stilbewegungen, Bands und Musiker, die in der Schweiz den Jazz musste recht tief in die Tasche greifen. Des- im ersten Jahrzehnt nach dem Krieg im Spannungsfeld zwischen Swing, Dixieland und halb versuchten viele Bands – ob Amateur Bebop geprägt haben, wollen wir hier unser Augenmerk richten. Von Jimmy T. Schmid oder Profi – mit einer kostengünstigen «abgespeckten» Besetzung in Bigband- manier zu spielen, oft nur mit zwei oder drei Keineswegs war in der Schweiz während des in die Schweiz. Nicht nur beim Tanzpubli- Saxofonisten und einem Trompeter. Krieges kein Jazz zu hören. Kleinere Bands kum war die Staufferband beliebt, sondern spielten eine Art von Swingjazz als Tanzmusik auch bei Jazzfans, denn der solistische Oldtimebegeisterung der Jugend in den als Dancings bekannten Tanzlokalen Power war beachtlich. Vor allem profitierte und auch bei Abendunterhaltungen von die Band vom Altosaxofonisten Ernst Unabhängig von der Bandgrösse mussten Vereinen sowie an anderen sporadisch abge- Höllerhagen, der als Swingstyle-Klarinettist Saxofonisten und Blechbläser in einer haltenen Tanzveranstaltungen. Damit man im Goodman-Stil in Europa einer der Swingband gute Notenleser sein. Ganz das ganze Publikum bei guter Laune halten Besten war. Noch vor dem Kriegsende anders war (und ist) das beim Dixielandjazz. konnte, gehörten auch Polkas, Walzer u.ä. ins übernahm der Tenorsaxofonist Eddie Brun- Genau in den Jahren, auf die wir unser Repertoire. Wer Erfolg haben wollte, musste ner das Orchester. Nicht unerheblich war Augenmerk richten, bewegte sich der Jazz – vielseitig sein. der Einfluss, den damals AFN (der amerika- vor allem bei den jüngeren Jazzamateuren nische Sender für die US-Streitkräfte in der Städte – weg vom Swingstyle. Für sie Stauffer und Böhler im Zentrum Europa) auf die Schweizer Jazzszene hatte. war besonders der von afroamerikanischen Eddie Brunner war ein gewiefter Funkama- Musikern gespielte Jazz der späteren Zwan- Neben den kleineren Bands, vielfach mit teur, der sogar imstande war, den Jazz, den zigerjahre der echte Jazz. Diese Bands Amateuren – waren auch einige wenige AFN für die G.I.s spielte, aufzunehmen und umfassten selten mehr als sechs oder sieben Bigbands im Jahrzehnt des Kriegsendes gut in Noten für sein Orchester umzuwandeln. Musiker, die ihre Stücke nach dem Gehör im Geschäft. Ein Musiker, der schon beim lernten, d.h. ab Schellackplatten mit Aufnah- Blick auf die deutsche Jazzszene der Dreissi- Mit Bigbands spielte auch der Pianist und men von King Oliver, Louis Armstrong und gerjahre nicht zu übersehen war: Teddy Stauf- Organist Fred Böhler. 1945, im Jahre des anderer Grössen der Urzeit des Jazz. War der fer. Nach seinen «deutschen Jahren» kam er Kriegsendes, trat er im Zürcher Corso Palais Dixielandjazz nur eine faszinierende Musik 1939 zur Landesausstellung in Zürich zurück mit einem grossen Orchester auf, das sage für die Jugend oder auch Ausdruck des

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Protestes gegen die etwas steifen Konven- tionen der Eltern? Das sei dahingestellt. Sicher gehörte zur Oldtimebegeisterung auch viel Aussermusikalisches, um sich vom «normalen Bürger» abzugrenzen: ein unkon- ventionelles Outfit, möglichst ohne Krawatte, zwanglose Partys in Jazzkellern, hitzige Diskussionen über die Existenzphilosophie von Jean-Paul Sartre u.a.m.

Die Besten auf der Urban-Bühne

Als André Berner die Schweizer Jazzama- teure zum ersten Nationalen Amateur-Jazz- festival einlud, stimulierte er Dutzende von jungen Musikern, in Zürich auf der Bühne des Kinos Urban mit zwei Stücken zu zeigen, wie inspiriert und swingend sie musizieren konnten. Klamauk musste draussen bleiben. Lustige Hüte, die sich Youngsters einer Old- timeband aufsetzen, waren nicht gestattet. Der Wert der positiven Wirkung auf die 1944–48: Eddie Brunner mit seinen Original Teddies. Ausführenden und das Publikum des Festi- vals war kaum zu überschätzen. Zur Rang- musikalischen Eigenart anpassten, oder sie Viel für den Jazz taten damals z.B. Jan liste: Wer eine der bekannten Zürcher Old- spielten Variationen des zwölftaktigen Slawe und Hans Philippi. Bei ihnen umfass- timebands auf den ersten drei Rängen Blues. Dass Jazzmusiker eigene Komposi- te die Plattenauswahl nicht nur modernen erwartete, wurde enttäuscht. Die drei besten tionen vortrugen, war noch wenig üblich. Jazz, sondern das ganze Spektrum der Jazz- Bands stammten aus Neuenburg (New Orle- Bei der Auszeichnung der Bands und Musi- geschichte. Unter den Konzerten von US- ans Wildcats), Basel (Dark Town Strutters) ker gab es nur «Alter Stil» und «Neuer Musikern, die nach Kriegsende im Rahmen und La Chaux-de-Fonds (Royal Dixieland Stil». André Berner wusste sicher, dass eine von Europatourneen auch in der Schweiz Band). Der junge George Gruntz aus Basel feinere Differenzierung musikalisch sinnvoll auftraten, hinterliessen Don Redman, Louis gab seine erste Vorstellung an einem Zür- gewesen wäre, aber viel Organisationsauf- Armstrong (siehe Seite 1 unten) und Benny cher Jazzfestival als Vibrafonist der Swing- wand gebracht hätte. Unter «Alter Stil» Goodman den nachhaltigsten Eindruck. band Marcel Magnin. Als bester Pianist spielten nur wenige im archaischen River- Wegbereiter des modernen Bigbandjazz wurde Robert Suter von den Dark Town boat-Stil mit einem Banjo, etwa nach dem war das Orchester des berühmten Saxofo- Strutters aus Basel (in der Klassik ein be- Vorbild der ersten Armstrong-Bands der nisten und Arrangeurs Don Redman. Sein kannter Komponist) ausgezeichnet. Amateur- Zwanzigerjahre. Verbreiteter war eine auffälligster Solist war zweifelsohne der Bigbands in voller Blech- und Saxofon- Dixieland-Spielweise mit einer modernen Tenorsaxofonist Don Byas. Diese Band war Besetzung gab es damals am ersten Zürcher Rhythmsection. (In dieser Art spielten bald mit einigen jungen Musikern, die bereits Jazzfestival noch keine. Ganze Gruppen einmal die Zürcher «Tremble Kids» in eindeutig im Bebop-Stil improvisierten, für guter Notenleser zusammenzustellen, war bester Weise.) einige Schweizer Jazzamateure eine Inspi- zu einer Zeit, als Jazzschulen noch rar In der Kategorie «Moderner Stil» fiel auf, rationsquelle ersten Ranges. waren, äusserst schwierig. dass sich viele Smallbands am Goodmanstil orientierten. Einige Tenorsaxofonisten rich- Die Nachkriegsjahre in der Schweiz waren Alle, die 1951 im Zürcher Kino Urban durch teten sich nach der relativ vibratolosen gute Jazzjahre. Als Tanzmusik war Jazz besondere Leistungen auffielen, können hier Cool-Spielweise von Lester Young oder noch vielerorts gefragt; Rock und Pop aus Platzgründen nicht erwähnt werden. Stan Getz, z.B. Mike Eberhardt von den konnten ihn noch nicht vom Podest ver- Doch auf einen Ausnahmekönner soll noch «New Sounds» aus Erlenbach. Eindeutig drängen. Dass immer mehr Jugendliche hingewiesen werden: Flavio Ambrosetti, Alt- im Bebop-Stil improvisierende Musiker den Wert des Jazzspielens erkannten, war saxofonist aus dem Tessin, Vater des be- waren rar. Eine Ausnahme: Umberto Arlati, nicht zuletzt das Verdienst André Berners, rühmten Trompeters und Flügelhornisten der mit den Oltener «Rhythm Kings» den dessen Festivals als Beschleuniger einer Franco Ambrosetti. Flavio Ambrosetti ge- ersten Preis als moderner Trompeter erfreulichen Breitenentwicklung gewirkt wann mit einer All Star Band aus Lugano den gewann. haben. Ein vergleichender Rückblick zeigt, ersten Preis der Kategorie Saxofon. Der di- der Jazz erhielt immer mehr Konkurrenz plomierte Ingenieur blieb zeitlebens Jazz- Jazz am Radio und im Konzertsaal von neuen Musikformen. Dass er trotzdem amateur. Ein Beispiel, dass Profi und Ama- seinen Platz im globalisierten Kulturbetrieb teur keine Qualitätsbezeichnungen sind. Wer damals vom Bebop-Bazillus befallen behalten konnte, ist erfreulich. war, vergass nie, jeweils am Samstag um Demo der Stilvielfalt, inkl. Bebop 17.00 Uhr den Westschweizersender und Cool Sottens einzuschalten. Nach einem extrem Einige Informationen dieses Beitrages swingenden «Jivin' with Jarvis» einer basieren auf Angaben in folgendem Werk, Welche Art von Jazz wurde in den Nach- -Band mit das wir allen, die sich für die vollumfängliche kriegsjahren in der Schweiz gespielt? Reprä- am Piano präsentierte Raymond Colbert Geschichte des Jazz in der Schweiz interes- sentativ ist die Stilvielfalt des ersten Zürcher eine attraktive Auswahl mit den neusten sieren, sehr empfehlen: Jazzfestivals. Fast alle Bands wählten zwei Aufnahmen mit viel Bebop aus Amerika. Bruno Spoerri (Hg.) Stücke aus dem grossen Fundus des «Great Auch der Sender Beromünster der Deutsch- Jazz in der Schweiz, Geschichte American Songbook» aus, das sie ihrer schweiz hatte reinen Jazz im Programm. und Geschichten (2006 Chronos).

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FRANK ERZINGER Frank Erzinger – Portrait Wädenswil ZH Jahrgang: 1925 Beruf: Bautechniker eines Plattensammlers Sammler von Jazz-Tonträgern seit dem Wer Schellacks, LPs oder CDs kaufte und sie sorgfältig in seiner Stube aufbewahrte, 16. Lebensjahr: ca. 1000 Schellacks leistete einen entscheidenden Beitrag zur Entstehung des swissjazzorama. Ein ca. 2000 LPs Grossteil dessen, was in unseren Gestellen eingereiht ist, entstammt dem Fundus ca. 200 CDs privater Sammler. Ein typischer Vertreter dieser Gattung ist Frank Erzinger, kein Musiker, jedoch ein Jazzfan, der über viele Jahrzehnte hinweg unserer Musik als Plattensammler und Hörer sowie gelegentlich auch als Fachautor die Treue hielt. grosser Hingabe dabei. Vielen war das Ge- Das Interview führte Jimmy T.Schmid. sellschaftliche wichtiger als die Musik. Der innere Kreis mit echten Fans war eher klein. swissjazzorama: Frank, wann hast du Lizenz von «His Master’s Voice», Wie hast du Mitte der Vierzigerjahre den den Jazz entdeckt? «Columbia» und von weiteren ausländi- Bebop aufgenommen? Frank Erzinger: Der eigentliche Auslöser schen Labels Platten mit gutem Jazz her- Um ehrlich zu sein, für den Bebopstil, meines Hobbys war ein Grammophon und stellen konnte. Nach dem Kriege setzte der obwohl er ja auch von afroamerikanischen ein Stapel Schellackplatten, die ich 1940 Handel mit Aufnahmen amerikanischer Musikern entwickelt wurde, konnte ich im Aufenthaltsraum eines SAC-Hotels im Herkunft sukzessive wieder ein. mich nie begeistern. Der Jazz hatte sich Maderanertal entdeckte. Dieser Apparat und durch diese Entwicklung ziemlich weit von die Möglichkeit, damit Musik zu machen, Wo hast du deine ersten Schellacks seinen Wurzeln entfernt. Er wurde kompli- beeindruckte mich so sehr, dass ich mir als gekauft? ziert, verlor seine Funktion als Tanzmusik. Konfirmationsgeschenk einen Koffergram- Ein beträchtliches Jazz-Sortiment konnten Das ist keine Qualifizierung, nur meine mophon wünschte. Zu meiner Freude erfüllte z.B. die Musikhäuser Hug, Jecklin und Rena persönliche Meinung. mir meine Gotte diesen Wunsch. Nun kaufte Kaufmann in Zürich anbieten. Auch in den ich mir mit meinem Sackgeld Platten aller Plattenabteilungen der grossen Warenhäu- Was bedeuten dir Diskografien? Art: Wiener Walzer, Märsche, aber auch ser gab es Interessantes für Jazzfans. Diskografien, die mir exakt Auskunft geben Stücke mit der Bezeichnung «Foxtrott» der Besonders wertvolle Aufnahmen liess man über alle wichtigen Aufnahmedaten, sind Schweizer Band «Original Teddies», ein auch direkt via Plattenhändler aus Amerika für mich unerlässlich. Vor allem schätze ich sanfter Einstieg ins Jazz-Repertoire. kommen. das Werk von Brian Rust. Sehr geschätzt waren die Bemühungen von Wer bekehrte dich zum Hot Jazz, Ernst Zwonicek. Zuerst arbeitete er von Wie war deine Freundschaft mit Otto d.h. zum Jazz, von afroamerikanischen Genf aus, dann von Zürich. Flückiger? Musikern gespielt? Er war es, der 1992 als unermüdlicher Ein zehn Jahre älterer Cousin, in musischen Was hat dich am Jazz fasziniert? Schaffer entscheidend half, den Grundstein Dingen viel erfahrener als ich, missbilligte Jazz war für mich etwas Erfrischendes. Vor des Schweizer Jazzmuseums zu legen, das meinen Kauf von Teddies-Platten. Das sei allem der besondere Rhythmus war das, 1997 in Uster zum swissjazzorama wurde. nur eine Art Pseudojazz. Er riet mir zu Auf- was mich packte. Wir waren ja während Unsere Freundschaft war sehr eng. Die nahmen mit afroamerikanischen Interpreten des Krieges umgeben von faschistischen Familien trafen sich oft. Als er sich immer und drückte mir zur gründlichen Einführung Regimes, die den Jazz verboten hatten, so mehr auch dem sehr modernen Jazz das berühmte Buch von Hugues Panassié dass wir diese Art von Musik immer als zuwandte, wurde es schwer für mich, mit «Le Jazz Hot» in die Hand. Allerdings war ein Stück Freiheit empfanden. ihm einen fachlichen Konsens zu finden. diese Art Jazz während des Krieges sehr schwer erhältlich. Erfreulich war, dass die Warst du bereits Mitglied beim Neben dem Jazz warst du auch sehr an Turicaphon AG in Riedikon bei Uster unter legendären Hot Club Zürich? der Schweizer Volksmusik interessiert. 1944 gab ich meinen Beitritt. Johnny Du hattest Kontakte zu ihren wichtigsten Plattenauktion 1971 Simmen war eindeutig die dominierende Vertretern. Die Geschichte der Schweize- Figur.Viele Jazzfreunde schätzten seine rischen Plattenaufnahmen war dir ein unterhaltsamen und informativen Platten- grosses Anliegen. Wie weit bist du mit vorträge in einem Lokal am Zeltweg in deinen Nachforschungen gekommen? Zürich. Sein Plattenfundus war schon Ich schrieb lange an dieser Geschichte damals enorm. zusammen mit einem Freund, Hans Peter Woessner. Immerhin hat das Staatsarchiv Wie hast du Johnny Simmen erlebt? Zürich fünf Teile in Broschürenform Als ausserordentlich kompetenten Fach- herausgebracht. mann. Durch die intensive Beschäftigung mit dem Jazz hatte er ein sicheres Gespür Das SJO ist seit kurzem Mitglied fürs Echte entwickelt. Er favorisierte den des Vereins AAA. Was heisst das? sogenannten Hot Jazz. Jazz von afroameri- AAA heisst Analog Audio Association. Das kanischen Musikern gespielt. ist eine gesamtschweizerische Sammler- organisation, bei der ich Mitglied bin. Sie Wie war bei den Clubmitgliedern befasst sich mit der Schweizer Tonträger- die Einstellung zum Hot Jazz? geschichte, aller Musikrichtungen. Viele waren bei diesen doch ziemlich an- spruchsvollen Vorträgen nicht gerade mit Frank, vielen Dank für dieses Interview.

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2. Teil internem und externem Druck überlebte die «Taking a chance on Jazz» Formation des helvetischen «Staatsradios» teils mit Fixbezahlten, teils mit Freelancern Roman Dylag reflektiert seine Musikerkarriere bis Ende 1986. Dann war Schluss.

Früh lernte der polnische Bassist Roman meldeten sich auch wieder Jazzclubs: Schicksal und Zuversicht Dylag beide Seiten des Eisernen Vorhangs Roman erinnert sich an schöne musikali- kennen (vgl. Jazzletter 33). Schweden sche Momente mit den Saxofonisten Al Für Roman Dylag, der vergeblich um DRS- wurde lange Zeit zum Lebensmittelpunkt Cohn und Zoot Sims, mit der vielseitigen Festbesoldung nachgesucht hatte, war es – bevor er in die Schweiz aufbrach. René Sängerin Sylvia Vreethammar und mit ein Tiefschlag mehr nach anderen persönli- Bondt sichtete seine Erinnerungen. Drummer Ed Thigpen, «the ideal drummer chen Schicksalsschlägen. Die Spielsucht, die to make a bassist sound good». Im Juni Roman schon früher heimgesucht hatte, Schweden, Schweiz und neue Töne 1975 konnten die Dylags eine Eigentums- führte zur zeitweiligen Trennung von Gattin wohnung im Stockholmer Vorort Saltsjöba- Simone, Darmblutungen machten zudem Ende 1971 erlangte Roman Dylag die schwe- den kaufen. An die glücklichen Tage von Anfang 1986 einen Klinikaufenthalt unum- dische Staatsbürgerschaft. Nicht erst seit damals und an die Geburt von Tochter gänglich. Aber die dunklen Wolken verzo- jenem Moment, aber seither erst recht fühlt Milena denkt Roman noch heute gerne gen sich wieder: Roman gelang es, dauer- sich der gebürtige Pole im skandinavischen zurück. haft vom Gambling loszukommen, was den Norden heimisch. Die schwedische Lohnbasis Familienfrieden rettete. Ausserdem waren verlor allerdings in den siebziger Jahren Bigband-Freuden – Bigband-Leid mit dem Ende der Staatsbesoldung ja nicht für den Berufsmusiker ihren Reiz, während die Musiker einfach von den Schweizer Gattin Simone in Stockholm weiterhin ein Die zweite Hälfte der siebziger Jahre Bühnen verschwunden: Dylags feiner stabiles Einkommen zum Familienhaushalt führte den Bassisten Dylag an die Seite der Double-Bass fand Anschluss in professio- beisteuerte. 1972 stiess Roman zur jazz- «coolen» Saxofonisten Lee Konitz und nellen und semiprofessionellen Kleingrup- rockenden Fusion-Gruppe um Michal Urba- Wayne Marsh, der Trompeter Dizzy Gilles- pen – beim Basler Trompeter und Sänger niak, die ihren Standort in Darmstadt hatte. pie, Idrees Sulieman und Harry Edison Alex Felix, beim Multiinstrumentalisten Als Double-Bass-Player wurde er in diesem sowie der Vokalistinnen Vreethammar und Oscar Klein, bei Pianist Willy Bischof, beim elektronisch aufgepeppten Vehikel nicht nur O'Day. Weil Simone Dylag nach der Baby- Robi Weber Quartett, in der Peacock Party physisch gefordert, mit der Zeit setzte ihm pause einen eher unglücklichen beruflichen Band. Von Zeit zu Zeit nahmen auch durch- der experimentelle Charakter der Truppe Wiedereinstieg erlebte, wuchs bei Roman reisende Jazzgrössen Romans Dienste auch moralisch zu. «I preferred kind of easy erneut die Bereitschaft zu einer längerfristi- gerne in Anspruch – die Keyboarder Ray going, swinging, down to the earth, main- gen materiellen Bindung. Fündig wurde er Bryant, Wild Bill Davison und Dorothy stream ‚post bop' playing and leave to bei Paul Kuhn und seiner Berliner SFB- Donegan etwa. Eine besonders harmoni- others writing the jazz hinstory» schreibt Bigband, in der Leo Wright (as), Heinz von sche, geradezu telepathische musikalische Roman Dylag im Rückblick. Hermann (ts), Milo Pavlovic, Carmell Jones Zusammenarbeit ergab sich ab 1995 zwi- und Rolf Ericson (alle tp), Bobby Burgess schen Dylag und dem französischen Gitar- Nicht genau dies, aber immerhin erdgebun- und John Marshall (tb) sowie Walter Norris risten Francis Coletta. Seinen bevorzugten denere Gebrauchsmusik mit gelegentlich (p) für Klasse-Jazz innerhalb des kommer- «modern mainstream» fand Roman in der reizvollen Ausflügen in Richtung Jazz stellte ziellen Beschäftigungsrahmens bürgten. Folge auch bei Jürg Morgenthalers Rhythm ein Job als Bassist in der Bigband des Der Transfer von Stockholm ins «eingemau- Four und bei Projekten von Thomas Moe- Deutschschweizer Radios in Aussicht. Rune erte» Westberlin fiel den Dylags ebenso ckel. Die Tätigkeit an der Jazzschule Basel Erickson – Schwede, Posaunist und Mitglied schwer wie der Wechsel aus der eigenen «befreite» Roman Dylags um die Jahrtau- der DRS-Band – vermittelte Roman Dylag Bleibe ins Musiker-Hochhaus des Bigband- sendwende von einer Überdosis an kom- den Kontakt zu Bandleader Hans Moeckel, Impresarios und -Eigners Franz Fijal. Aber merzieller Routine. der für seinen «Gemischtwarenladen» das Orchester lieferte guten Sound, brillier- eigentlich einen Bassisten/Cellisten suchte, te live bei Radio und Fernsehen, an Galas 1998 wurde bei Romans Gattin ein Brusttu- aber dann mit dem «Nur-Bassisten» Dylag und auf Tourneen. Ausserdem liess das mor diagnostiziert, 2008, nach 44 gemein- gleichwohl einen Einjahresvertrag abschloss. Kuhn-Engagement viel Raum für Koope- samen Jahren, beendete der Krebstod die Die Schweizerin Simone liess sich für zwölf rationen mit Solisten (wie z.B. Buddy Tate). famose Partnerschaft und liess den zurück- Monate beruflich beurlauben und richtete bleibenden Teil der Ehe mit dem Schicksal sich mit Gatte Roman in Binningen häuslich Im Januar 1981 ging das Bigband-Aben- hadern. Bereits in den neunziger Jahren ein. Während Frau Dylag an der Basler Kunst- teuer abrupt zu Ende. Der Sender SFB zog waren Roman Dylags Mutter und Bruder gewerbeschule ihr früheres Studium wieder die Sparschraube an und bewirkte damit, Edward gestorben, die Gelegenheit zum aufnahm, wirkte Roman erstmals als musi- dass Musikmanager Fijal die Kuhn-Band Grabbesuch in Krakau ergab sich freilich zierender Angestellter mit Monatslohn aktiv. auflöste. Roman Dylag bezog vorerst Ar- erst 2007, als Roman mit «old pals» in beitslosengeld, fand aber schnell wieder Warschau drei Nächte lang spielenderweise Das vertrackte Thema Bassgitarre beendete Anschluss an die Szene – zunächst im Trio Erinnerungen auffrischen konnte. Auch in nach einem Jahr das Dylag-Gastspiel in der des Pianisten Eugen Cicero, dann bei den Folgejahren durfte Polens Jazzwelt an Moeckel-Truppe. Roman war nicht unfroh – «alten Bekannten», nämlich bei den DRS- speziellen Reunion-Konzerten auf ihren materiell war die Sache bestens, aber nicht Bigband-Musikern. Acht Jahre nach dem einstigen «Deserteur» zählen. Denn Roman sehr kreativ. Die Dylags kehrten 1974 nach ersten Jahresengagement tauchte Bassist Dylag ist – wie alle seine Wegbegleiter auf Schweden zurück, wo gute Jazzjobs nach Roman wieder im Zürcher Radiostudio auf, einer langen musikalischen Karrierentour – wie vor als Mangelware galten. Der Heim- wo neben Hans Moeckel mehr und mehr zwar älter geworden, aber nicht jazzmüde. kehrer verpflichtete sich für eine Schulthea- Jazzpianist Peter Jacques das Sagen hatte Seine noch unpublizierte Lebensgeschichte ter-Tournee, deren prokommunistisch-idea- und aufs Repertoire Einfluss nahm. Aller- endet entsprechend optimistisch: listische Tonlage dem ehemaligen Ostflücht- dings stand es auch um die Existenz dieser «'Taking a chance on jazz' ling Schauer über den Rücken jagte. Danach Bigband nicht mehr zum Besten: Unter is still my motto – as ever before.»

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von Wynton Marsalis herauszutreten und «Ich spüre, dass sich eine Trend- zu begeistern. Wir werden alles daran setzen, sie auch bei uns in Bern zu präsen- wende anbahnen könnte» tieren. Und wir verweigern uns der Mon- Was sich Hans Zurbrügg nach vierzig Berner Jazzfestivals erhofft treux-Festival-Philosophie, unter dem Label Jazz alles aufzutischen, was gerade zeit- geistig und modisch daherkommt. Das ist 1976 fand das erste Berner Jazzfestival statt, und seither kamen im Jahresrhythmus etwa so, wie wenn an einer Fussball-Welt- weitere 39 Auflagen dieses sehr eigenständigen Festivals hinzu. In den vier Jahr- meisterschaft auch Tennis oder Wasserball zehnten dazwischen haben die Veranstalter – zuerst Hans Zurbrügg, heute sein gespielt würde, nur weil sowohl hüben wie Sohn Benny – viele hochkarätige Interpreten auftreten lassen. Der Spitzenklasse im drüben ein Ball mit im Spiel ist. traditionellen Jazz folgten im Laufe der Zeit modernere Stilisten, und statt grosser Säle ist «Marians Jazzroom» im Zurbrügg-Hotel «Innere Enge» seit zwölf Jahren Jazz-Memories der magische Ort des Geschehens. Fernand Schlumpf und René Bondt sprachen mit Hans Zurbrügg über sein Engagement gestern und heute. Von der Zukunftshoffnung sollten wir hier in der «Inneren Enge» den Blick nochmals kurz in die Vergangenheit des Jazz schwei- swissjazzorama: Wie haben sich in 40 rell ist es zwar so, dass sich der Jazz fast auf fen lassen. Für viele grosse Interpreten Jahren Berner Jazzfestival die Jazzmusiker der ganzen Linie zeitgeistig entwickelt hat war das Jazzhotel von Hans und Marianne und ihr Publikum verändert? und dass in manchen Jazzschulen bereits Zurbrügg mehr als nur eine Bühne, nämlich Hans Zurbrügg: Ein umfassendes Thema! gepredigt wird, alles vor 1940 Gespielte eine Art Heimat. Ein Blick in die fünfzehn Der Jazz wird geprägt durch die Musiker, habe mit Jazz gar nichts zu tun. Manche individuell und kunstvoll gestalteten die ihn in den unterschiedlichsten Stilarten Schüler beten das als die reine Lehre nach – Musiker-Zimmer macht klar: Dieses altehr- darbieten. Die Erstgeneration, die den Jazz mit dem Resultat, dass ihnen die ganze würdige, top renovierte Haus ist voller quasi erfunden und die verschiedenen Stile Herkunftsgeschichte des Jazz verborgen Jazz-Memorabilien, wirkt wie eine Jazz- eingebracht hat, lebt heute nicht mehr. bleibt. Diese Veränderung hat auch uns sammlung. Dieses Manko bleibt spürbar.Wer früher zu Konzeptanpassungen gezwungen. Das Dabei ist das alles rein zufällig entstanden Jazz spielte, fand in der Regel den Zugang Berner Jazzfestival kam 2003 weg vom nach dem Kauf und Umbau der «Inneren autodidaktisch. Die heutige junge Genera- einwöchigen Festival im grossen Saal und Enge». Wenn ich versuche, die Zahl der seit tion wird durch die Jazzschulen – die es vor konzentriert sich seither über einen länge- 1966 hier in Bern von mir verantworteten fünfzig Jahren erst sporadisch gab – mass- ren Zeitraum hinweg auf wenige Bands Jazzkonzerte über den Daumen gepeilt zu geblich beeinflusst. Dieser Wandel hat den im ursprünglichen Umfeld dieser Musik, eruieren, so kommt dabei vermutlich der Jazz markant verändert. Heute stelle ich nämlich im Club. Mit dieser konsequenten grösste Veranstalter solcher Konzerte in fest, dass schon die ganz jungen Musiker Umstellung haben wir für andere Festivals Europa heraus. Unser Festival stand nie technisch hervorragende Handwerker sind. eine Vorreiterrolle gespielt. isoliert in der Landschaft. In der ersten Fragt man aber nach dem Jazzfeeling, dann Phase war es eingebunden in den Wolveri- ist das ein ganz anderes Thema. Da kommt Trendwende in der Präsentation also, nes Jazzclub, später in den Schweizerhof musikalisch vieles vom Kopf und kaum aber nicht bei den neuen Musikern? und dann in «Marians Jazzroom». In all mehr etwas vom Bauch. Das führt im Ex- Durchaus nicht nur bei der Präsentation! diesen Jahren gingen hunderte von Musi- trem zu jenen «Highspeed»-Musikern, die Ich schaue hoffnungsvoll auf zwei, drei US- kern bei uns ein und aus. Ursprünglich auf ihrem Instrument Kapriolen von höchs- Bands, die mit ganz jungen Musiker jetzt wollte ich nur den Jazzroom mit Jazz- ter Fertigkeit produzieren, aber nicht mehr. wieder uralten Jazz darbieten und damit ein Memorabilien ausstatten und schrieb des- gewaltiges Follow-up produzieren. Sie tre- wegen eine Anzahl Musiker an. Die Ernte Historischer Jazz – neu verpackt ten easy-going vor die Leute, spielen nicht war beträchlich und bewog uns, neben puritanisch, aber gekonnt und originell. Eine dem Jazzroom auch ein Hotelzimmer mit Hat sich das Publikum in ähnlich auffälliger dieser Bands – die Hot Sardines – werden Gaben von auszustatten. Es Weise verändert? in nächster Zeit auch in Bern auftreten. Ich kam aber eins zum andern. Inzwischen sind Als wir vor vier Jahrzehnten starteten, bin überzeugt, dass der Jazz erst in der Zu- in der «Inneren Enge» 1280 Einzelstücke hatte das Berner Festival eine ausgespro- kunft seinen wahren Erfolg einfahren kann. versammelt, von denen jedes eine eigene chen traditionelle Ausrichtung. Bern war Es braucht wohl noch eine Generation Zeit, Geschichte erzählt. Und damit haben wir damals dafür prädestiniert, mittlerweile um der Entstehungsgeschichte des Jazz jene neben andern Räumen 15 personenspezi- aber kann ich hier keinen Traditional mehr grosse Wertschätzung entgegenzubringen, fische Hotelzimmer gestalten können. präsentieren. Als die Wolverines, die Band die sie verdient. Wenn der Jazz schon uns zu in der ich als Amateurtrompeter lange begeistern vermochte, warum soll das nicht Alle diese Gaben sind irgendwo mitwirkte, 1961 ihr erstes Konzert gaben, auch bei unsern Kindern möglich sein … aufgelistet? war unser Publikum gleichaltrig wie die Ja natürlich. Und vor drei Jahren ist auch Musiker – also um die zwanzig. Heute sind Mit Wegbereitern wie etwa dem gross- ein grossformatiger Bildband erschienen die Wolverines und ihr Publikum immer artigen Alleskönner Wynton Marsalis? mit einem beigehefteten DVD-Film, der in noch gleichaltrig, aber durchwegs ein Da geschieht in der Tat etwas. Ich bin in 72 Minuten das Hotel in all seinen Facetten halbes Jahrhundert älter. Dieses Publikum ganz nahem Kontakt mit Wynton, wir sind bestens dokumentiert. Es war immer mein dünnt sich aus biologischen Gründen beide der Auffassung, dass auch der Jazz Bestreben, all diese Schätze nicht einsam allmählich aus, zumal scheinbar nichts der Zukunft swingen, Blueselemente enthal- zu geniessen, sondern öffentlich zu ma- nachkommt. ten und eine musikalische Struktur haben chen. Unter Ausnützung von archiviertem muss. Dieser Dreiklang führt zwangsmässig Audio- und Video-Material des Schweizer Warum scheinbar? auch zu den Wurzeln des Jazz. Eine Serie Fernsehens ist in jüngster Zeit noch ein Scheinbar deshalb, weil ich spüre, dass sich toller junger amerikanischer Musiker ist weiteres ehrgeiziges Projekt realisiert eine Trendwende anbahnen könnte. Gene- bereits unterwegs, um aus dem Schatten worden. Zwischen 1983 und 2002 waren

6 Ein Ausschnitt aus dem Louie Bellson-Zimmer

die Konzerte des Jazzfestivals Bern jeweils von einer sehr professionellen TV-Equipe des Schweizer Fernsehens aufgezeichnet Bern und der Jazz worden. Aus diesem Füllhorn konnte ich in der Folge 240 Konzerte integral selektio- Im Grünen und am Rand der altem Zährin- «Deshalb haben sie uns auch wertvolle nieren und mit 97 Interviews anreichern. gerstadt Bern gelegen, galt das Gasthaus Dokumente und sogar Instrumente anver- Einer Veröffentlichung war ich zunächst zur «Inneren Enge» schon im 18. Jahr- traut.» Wo Musiker gerne auftreten, fühlt abgeneigt, änderte dann aber meine Mei- hundert als beliebtes Ausflugsziel. Heute ist sich in der Regel auch das Publikum pudel- nung und versuchte es auf meine Weise. der behäbig wirkende Riegelbau das ein- wohl: Jedes Jahr besuchen rund 40000 Ich kaufte vom Fernsehen alle Rechte zur zige Jazz-Hotel weltweit, das diesen Nam- Gäste «Marians Jazzroom». Publikation der Konzerte und sicherte mir en redlich verdient. 1992 kauften Hans und die Einwilligung der Musiker in mehreren Marianne Zurbrügg-Gauer das Haus und Hans Zurbrügg (71), seit 1972 in der hundert Verträgen. Inzwischen ist eine renovierten es gründlich, aber mit Respekt Hotellerie aktiv, war auch der Inspirator Collection mit 230 DVD (300 Stunden vor der ehrwürdigen Bausubstanz. Zu- des Berner Jazzfestivals, das dieses Jahr Musik) entstanden, aufgeteilt auf 20 Jahre nächst führte das Hotelier-Paar das gedie- sein 40-Jahr-Jubiläum feiern konnte. In der (1983–2002) und ergänzt mit einer gleich gene Haus selber. Heute ist Sohn Benny Stadt Bern – wo 1967 die erste autonome grossen Zahl von Jahrbüchern. Verpackt hauptverantwortlich für den «Marians Jazzschule Europas gegründet wurde – ist das alles in ein speziell umgebautes Jazzroom», der seit einem knappen Viertel- gehörte Zurbrügg seit den frühen sechziger USM-Möbel. Die numerierte Auflage der jahrhundert weit mehr ist als irgendein Jahren als Trompeter zur regionalen Szene. gewichtigen Box ist auf 5000 Stück limi- Jazzclub, und für das internationale Jazz- Den bekannten Wolverines drückte er tiert. Das Ganze ist zweifellos eine etwas festival Bern. seinen Stempel auf – stilistisch wie auch verrückte Sache, die zwangsläufig nicht durch seine Beziehungen zur internatio- billig sein konnte. Aber es lohnt sich jeden- Seit 2003 ist der Jazzroom auch Schauplatz nalen Jazzwelt. falls auf der Webseite (www.thejazzand des damals programmatisch modifizierten bluesartbox.com) die Einführung zum Jazzfestivals Bern. In der «Inneren Enge» Produkt anzusehen. waren Stars wie Dizzy Gillespie, Louie Bell- . son, Clark Terry, Milt Hinton, Stan Getz, John Lewis, Lionel Hampton oder Oscar Peterson nicht nur gefeierte Künstler, hier liessen sie sich nach den Auftritten mit Vorliebe nieder. Ihnen und weiteren Jazz- grössen sind inzwischen 15 von 26 Zim- mern des Hotels gewidmet – individuell und geschmackvoll eingerichtete Schlaf- räume voller Memorabilien. «Die 'Innere Enge' ist heute für viele Musiker so etwas wie eine Heimat», sagte Hans Zurbrügg vor vier Jahren in einem Interview.

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zeit, in der die Konzerte an ganz verschie- 30 Jahre Jazzclub Q4 denen Orten durchgeführt wurden:

Weltklasse-Jazz ohne Kompromisse 1970 Clarke-Boland Big Band im Hazyland 1971 Jiggs Whigham im Theater Fauteuil 1972 Jazz at the Philharmonic mit Roy Der Jazzclub Q4 (seit 1985) gehört heute zusammen mit dem Bird's Eye in Basel Eldridge, Al Grey, , Eddie (seit 1994) und dem Jazztone in Lörrach (seit 1956) zum Trio der langjährigen ‘Lockjaw’ Davis, Oscar Peterson, echten Jazzclubs im Grossraum Basel. Er bietet wie die beiden anderen Clubs Niels-Henning Ørsted Pedersen und sogenannten modernen Jazz, von Bebop und Hardbop, bis hin zu Funk und Latin- Louie Bellson im Stadtcasino jazz. Der Q4, der unter Jazzfans im Raum Basel so was wie ein Geheimtipp ist, 1973 Count Basie Orchestra im Stadt- engagiert nahezu ausnahmslos hochkarätige Weltstars, meistens aus den USA, die casino man in der Region nur selten sehen und hören kann. Regelmässig wird aber auch 1974 McCoy Tyner im Stadtcasino, jungen Talenten mit Potential zu einer Weltkarriere die Gelegenheit geboten, Eröffnung von Peter Fürsts sich in einem Einzugsgebiet von doch rund 800 000 Einwohnern einem kleinen, Jazz Workshop, aber aufmerksamen und erfahrenen Publikum vorzustellen. Von Martin Brüstlen Roland Hanna im Theater vis-à-vis, Monster Concert im Stadttheater 1975 Supra-Jazz im Stadttheater Die Vorgeschichte des Namens «Q4» dass Jazzkenner hohe Ansprüche an die 1976 Swing Machine mit Guy Lafitte, Sam beginnt am 23. Juni 1985 mit einer Jazz- Musikalität stellen. Keine belanglose und Woodyard im Restaurant Glogge Matinee im Hotel Schützen in Rheinfelden. beliebige Unterhaltung, keine Etüden, die 1977 Anthony Braxton in der Safranzunft Initiant ist Otto Flückiger, der am 18. Sep- sauber und keimfrei widergegeben werden. 1978 George Gruntz Concert Jazz Band, tember 1985 an der Gründungs-Versamm- Ganz besonders in New York findet nächt- Monty Alexander im Atlantis lung zum ersten Präsidenten des «Jazzclub lich an Dutzenden von Orten gleichzeitig 1979 Harry ‘Sweets’ Edison und Eddie Rheinfelden» gewählt wird. 1987 zieht der das statt, was authentischen Jazz aus- ‘Lockjaw’ Davis, Stan Getz Club um die Ecke in den Gewölbekeller von macht: Lebensgeschichten erzählen, Klang- im Atlantis Mes Knöpfli an der Quellenstrasse 4, und bilder aufbauen, Spannung und Auflösung 1980 World Saxophone Quartet im Stadt- heisst fortan Jazzclub Q4. 2002 wandert erzeugen, Kopf und Herz zusammenführen. theater, Joanne Brackeen, Chet der Q4 zurück in den Schützen-Kulturkeller, Baker, Milt Jackson, Ray Brown, wo er seitdem seine weit über die Region Ab 1962 fanden in Basel regelmässig die Monty Alexander und Grady Tate Basel hinaus berühmten Konzerte durch- Jazz-At-Midnight-Konzerte im Theater im Atlantis führt. Die Präsidenten waren Otto Flückiger Fauteuil statt – Chet Baker, Johnny Griffin, 1981 Cecil Taylor im Volkshaus (Konzert 1985–87, Peter Balzarini 1987–93, Donald Byrd, Dexter Gordon, Benny Bailey, reihe «Jazz in Basel», später «Jazz Werner Pavei 1993–2001, Benne Vischer Art Farmer, Phil Woods, Clifford Jordan, bei offbeat»), Clark Terry Big Band, 2001–2006, und seit 2007 Colette Müller. Lew Tabackin und viele weitere Musiker Jimmy Woode im Atlantis wurden meistens von George Gruntz und 1982 Larry Coryell, Charlie Mariano, Mehr Jazz geht nicht mehr seinem Trio begleitet. Schon seit viel früher Elvin Jones, Art Blakey's Jazz waren die grossen Stars des Jazz bis gegen Messengers im Atlantis Was die Konzerte im Q4 von fast allen 1970 regelmässig nach Europa gekommen, anderen Musikveranstaltungen unterschei- wo sie anlässlich einer Europatournee im Jazz war bald einmal nicht mehr einfach det, ist die Tatsache, dass hier die Quintes- Stadtcasino oder in der Mustermesse Jazz, der swingte und groovte. Es gab senz des Jazz geboten wird. Mehr Jazz geht auftraten. Mitte der Siebzigerjahre Rock-Jazz, Jazz-Rock, Fusion, Pop-Jazz, nicht mehr.Wer die Alben Miles Smiles, versickerte dieser Strom, dafür entstanden World-Jazz, Ethno-Jazz, Smooth-Jazz, Acid- Archie Shepps Fire Music, Art Blakeys Free laufend neue Konzertorganisationen. Hier Jazz, Neoklassizismus, M-Base. Aus allen For All kennt und liebt, wird verstehen, ein paar Beispiele aus dieser Übergangs- Ecken kamen neue «Jazzmusiker», insbe- sondere Keyboarder, Gitarristen, Perkussio- nisten und Sängerinnen. Nun waren Kopf, Fingerfertigkeit und Popularität gefragt, das wahre Herz blieb gelegentlich auf der Strecke. Wichtig war, dass die Post abging, getanzt und mitgeklatscht werden konnte.

Persönliche Kontakte

Um dem «straight ahead» Jazz wieder die enorm wichtige Clubatmosphäre sowie den Jazzfreunden einen gemütlichen Treffpunkt zurückbringen zu können, wurden im Raum Basel die zwei Jazzclubs Q4 und Bird's Eye gegründet. Im Q4 war es insbesondere Werner Pavei, der die grossen Jazzmusiker

ROY HAYNES QUARTET David Wong, b Jaleel Shaw, as, Roy Haynes, dm Jazzclub Q4 (Schützen Kulturkeller Rheinfelden) 06.11.2011 Foto: Goffredo Loertscher

8 JOHN PIZZARELLI QUARTET Konrad Paszkudski, p John Pizzarelli, g voc Martin Pizzarelli, b Kevin Kanner, dm Jazzclub Q4 (Schützen Kulturkeller Rheinfelden) 13.10.2015 Foto: Goffredo Loertscher

durch seine persönlichen Kontakte zur New deren Musikrichtungen aufzunehmen. In Jazz zu tun. Mein Eindruck ist, dass das Yorker Jazzszene direkt in den Jazzclub Q4 der afroamerikanischen Community spricht Bevölkerungswachstum längst nicht mehr nach Rheinfelden holen konnte. man übrigens gerne von «Black American mit dem Kunstwachstum mithält, dass zu Music», und nicht von Jazz. Does that viel Kunst produziert wird, die dann auch In einer späteren Phase wurden im Jazz- name ring a bell? kein Publikum findet. Wenn ich die Unter- club Q4 vermehrt einheimische Musiker in richtsvideos auf der HKB-Homepage an- das Programm aufgenommen, da es eine Im Jazzclub Q4 spielten im Verlauf der letz- schaue, dann sehe ich Schüler, die wie Zeit lang fast unmöglich war, mit amerika- ten 30 Jahre viele grossartige Jazzmusiker gebannt auf Noten starren. Das ist er- nischen Bands zu verhandeln (Sonderwün- wie: Nat Adderley, Monty Alexander, Kenny schreckend. Ein Steve Coleman, der ein sche, komplizierte Vereinbarungen etc.). Barron, Benny Bailey, Ray Brown, Ron Car- Semester an der Jazzschule Luzern unter- Ab 2000 zogen sich in der Folge einige ter, Jimmy Cobb, Herb Ellis, Art Farmer, richtet hat, versucht die Noten aus dem wichtige Sponsoren zurück, sodass rasch Curtis Fuller, Benny Golson, Johnny Griffin, Unterricht zu verbannen. Er singt und klar wurde, dass für die verbleibenden und Kenny Garrett, Jeff Hamilton, Slide Hamp- klatscht den Schülern seine Ideen vor. neuen Sponsoren und das nicht weniger ton, Jake Hanna, Gene Harris, Roy Haynes, Ähnlich äusserte sich Kenny Barron leicht anspruchsvolle Publikum wieder die gros- Plas Johnson, Lee Konitz, Diana Krall, Mul- resigniert: «Jazz today is from the head sen Zugpferde (primär aus den USA) her grew Miller, Jane Monheit, The New York and not the heart – practice from the head, mussten. Mit einem klaren Mission-State- Voices, Nicholas Payton, Niels-Henning Ø. play from the heart». ment unter Präsidentin Colette Müller, Pedersen, Houston Person, Rhoda Scott, unterstützt von ihrem Power-Team, sowie Archie Shepp, Dr. Lonnie Smith, Clark Terry, Den Kulturkeller des Hotel Schützen in engagierten und loyalen Sponsoren und Buster Williams, Jimmy Woode, Phil Woods, Rheinfelden erreicht man bequem mit dem nicht zuletzt dank der mehr als grosszügi- um ein paar Beispiele zu nennen. Auto via Autobahn, Parkplätze gibt es stets gen Unterstützung durch das Hotel Schüt- genügend vor dem Haus. Mit der SBB ist zen, kehrte der grosse Erfolg zurück. So Neue Talente man in 10 Minuten von Basel in Rheinfel- haben kürzlich, oder werden demnächst den und gleich um die Ecke im Schützen. Randy Brecker, Bob Mintzer, Chico Free- Und es gibt auch immer wieder neue Talen- Das Restaurant verfügt über eine ausge- man, John Pizzarelli, Larry Fuller, Scott te zu entdecken: Ambrose Akinmusire zeichnete Küche, die auch schmackhafte Hamilton, Ben Williams, Dado Moroni und (*1982), Gerald Clayton (*1984), Eli De- Tellerkreationen in den Jazzclub liefert. Im Marcus Strickland das Clublokal wieder gibri (*1978), Orrin Evans (*1976), Beka Kulturkeller, der durch seine hervorragende randvoll füllen. Gochiashvili (*1996), Jimmy Greene Akustik besticht, stehen 100 Plätze für die (*1975), Eric Harland (*1978), Sean Jones Konzertbesucher bereit. Man sitzt direkt Diejenigen, die leidenschaftlich gerne Jazz (*1978), Julian Lage (*1987), Gadi Lehavi am Bühnenrand, hat fast Körperkontakt hören, greifen mit Vorliebe auf Veranstal- (*1996), Magnus Lindgren (*1974), Jane mit den Musikern, und vor und nach dem tungsorte zurück, die das Label «Jazz» im Monheit (*1977), Jason Moran (*1975), Konzert sowie während der Pause kann Sinne der Definition verwenden, den Jazz Dafnis Prieto (*1974), Reuben Rogers man sich mit den Künstlern ausgiebig als amerikanisches Pendant zur klassischen (*1974), Christian Scott (*1983), Esperanza unterhalten. Dies ist die legendäre intime europäischen Musik verstehen. Das hat Spalding (*1984), Hiromi Uehara (*1979). Q4-Atmosphäre, die seinesgleichen sucht. nichts mit Purismus oder elitärem Gehabe zu tun, sondern rein mit dem Wunsch, Tom Gsteiger (Basler Zeitung): Es wird Die Website: www.jazzclubq4.ch ist profes- authentische Musik zu hören. Perfektion ist heutzutage viel unter Jazz verkauft, was sionell gestaltet, bedienerfreundlich, infor- da nicht oberstes Gebot. Jazzmusikerinnen kaum mehr mit dieser Musik zu tun hat, mativ und stets aktualisiert. Überraschend und -musiker erzählen Lebensgeschichten. mit ihrer Tradition und mit dem Lebens- und unerklärlich ist die Feststellung, dass Der Jazz liebt die Improvisation, das Experi- gefühl, das der Jazz vermittelt. Wenn wir trotz des für Studenten und insbesondere ment, das durch die rasante Entwicklung den Jazz auf die drei Kernmerkmale Inter- Jazzmusik-Studenten subventionierten der musikalischen Einfälle und rasche aktion, Improvisation und Intuition ver- Eintrittspreises von nur Fr. 10.– bloss bei Abfolge von Spannungsaufbau und -auf- knappen wollen, dann finde ich diese ganz spezifischen Konzerten das junge lösung das Publikum fasziniert. Aufgrund kaum mehr in vielen heutigen Produktio- Publikum davon Gebrauch macht. Zeichen seiner Unbefangenheit ist der Jazz in der nen. Ich denke, das hat mitunter – aber des Download-Zeitalters oder schlicht zu Lage, rasch auch Ausdrucksmittel aus an- nicht nur – mit der Akademisierung des viel los in Basel?

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ponist, Arrangeur und erstklassiger Band- There's No Two Ways musiker zu werden.

About It – Frank Newton Frank Newton arbeitete ab 1926 in der lokalen Band von Clarence Paige und, nachdem er seinen Heimatstaat verlassen Die Geschichte bevorzugt Neuerer, die die Fesseln der Stile brechen und neues Ter- hatte, finden wir ihn in einer Gruppe unter rain erschliessen. Durch das gezielte Hervorheben der kaum in Frage zu stellenden Leitung des Banjoisten/Gitarristen Elmer Beiträge dieser Neuerer, mag – vielleicht unbeabsichtigt – denen Unrecht getan Snowden (Sommer 1927). Er tourte darauf werden, die ihre Kunst und Geschicklichkeit innerhalb eines spezifischen Stils ent- mit Lloyd W. Scott's Orchestra und zog wickelt, dessen Elemente zu etwas geformt und verfeinert haben, das ausgespro- im selben Jahr nach New York. Anfangs chen ihr eigen ist. Der Musiker, dem dieser Beitrag gewidmet ist, steht im Schatten 1929 in der Combo von Eugene Kennedy. der Geschichtsschreibung. Die Referenzbücher erwähnen ihn nur im Vorbeigehen, Frank Newton erregte erstmals Aufsehen und seine Platten sind lange Zeit kaum wieder aufgelegt worden. Und doch war mit Cecil Scott's Bright Boys, der ehemali- dieser Musiker ein grosser Trompeter, der eine ausgesprochen persönliche Geschichte gen Band seines Bruders Lloyd, jetzt unter zu erzählen hat, eine Geschichte, die sich auf seinen Platten findet und die es nur Cecils Leitung (1929/30), in der auch der zu entdecken gilt! Von Theo Zwicky ausgezeichnete Trompeter Bill Coleman und ein junges, treibendes Posaunen- talent, Dickie Wells, sassen. Der Trompeter Frank Newton starb 1954 ein Mann auch von unbändigem Stolz, der mit 48 Jahren; seine Gesundheit gebrochen keinen Missbrauch akzeptieren und keinen Die dreissiger Jahre nach Jahren von Desillusion und Ringen um Kompromiss mit seinem künstlerischen Anerkennung. In mancher Hinsicht war er Gewissen schliessen wollte, oder willens In den frühen dreissiger Jahren war New- der Prototyp eines feinfühligen Künstlers, war, die Rolle zu spielen, die ihm damals, ton wiederum bei der Harlem Band von gefangen in den kommerziellen Angeln des als Schwarzer, die weisse, amerikanische Elmer Snowden (1931) anzutreffen, trat mit Jazz-Lebens. Obwohl zweifelsohne einer der Gesellschaft zugedacht hatte. den Orchestern von Chick Webb, Sam Woo- besten Trompeter seiner Zeit, hat er kaum ding auf und auch mit dem von Charlie Berühmtheit erlangt und Anerkennung. Die Jugendzeit und zwanziger Jahre Johnson im Small's Paradise in Harlem. letzten Jahre seines Lebens hat er in fast Dann wird noch von einer Plattensession vollkommener Obskurität verbracht. William Frank Newton wurde am 4. Januar im Sommer 1932 berichtet, mit einer Benny 1906 in Blacksburg bei Emory, Virginia, Carter-Formation, an der 4 Titel aufgenom- Nur kurze Zeit – in den späten dreissiger geboren. Über seine jungen Jahre ist kaum men worden sein sollen, aber nur einer und frühen vierziger Jahren – war er eine etwas bekannt. Ausser, dass er an der Wil- überlebt hat. Zur selben Zeit war Frank wohlbekannte Figur In New York an der berforce University ausgebildet wurde, an Newton auch bei Sendungen über die New 52. Strasse und in Greenwich Village, mit der viele bekannte Musiker studiert haben. Yorker Radio Station WEVD mit dem Pianis- einer kleinen, aber getreuen Gefolgschaft. Dort erhielt er ein umfängliches musika- ten Garland Wilson zu hören. Er war eine rare Ausnahme unter den Musi- lisches Training, wurde mit allem Nötigen kern seiner Generation: Ein Intellektueller, ausgerüstet, um ein ausgezeichneter Kom- Frank Newton ist festes Mitglied wiederum bei Charlie Johnson, von September 1933 bis im späten 1935. In diese Periode fällt die von John Hammond organisierte Plat- tensitzung für die Sängerin Bessie Smith. Eine wirkliche Chance, in den Vordergrund zu treten, erhielt er erst bei diesen letzten Einspielungen der berühmten Sängerin. Diese Platten zeigen Frank Newton in aus- gezeichneter Form, etwa auf Gimme A Pigfoot (24. November 1933).

Newton war zwischen 1935 und 1937 auch ab und zu im Grossorchester von Charlie Barnet zu finden, des weissen Bandleaders, der schon früh und oft farbige Musiker für Auftritte engagierte, und mit dem er 1937 auch Aufnahmen machte. Schlechte Ge- sundheit zwingt ihn zum Verlassen der Charlie Johnson Band. Er verlässt New York für eine Weile, taucht dann wieder auf bei Mezz Mezzrow & His Swing Band, einer gemischten Formation, aus der etwa der Titel Mutiny In The Parlor ein gutes Beispiel ist (12. März 1936). Schallplatten mit Teddy Wilson's Orchestra (17. März 1936). Mit dem Grossorchester von Teddy Hill spielt er

Frank Newton am 8. Juni 1939 während der Blue Note Recording Session

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Uptown Serenaders (New York City, Onyx Club, Juni 1937): ‘Don’ Frye, p Teddy Bunn, g John Kirby, b ‘Buster’ Bailey, cl Frank Newton, tp, arr ‘Pete’ Brown, as Leo Watson, dm, scat

Fotos: Sammlung Theo Zwicky

vom Frühling 1936 bis zum Frühling 1937, ist je mit einem gestopften und offen ge- von Lucky Millinder, von Dezember 1937 wo er Roy Eldridge ersetzte, um dann, ein spielten Solo zu hören. bis Februar 1938. Jahr später, durch 'Dizzy' Gillespie ersetzt zu werden, da dessen Stil damals näher bei Komplikationen bei einer Mandeloperation Billie Holiday erinnert sich dem von Roy Eldridge lag. im Mai setzten ihn für einige Zeit ausser Gefecht. Onyx Hop (13. Juli 1937) ist eine Danach stellte Newton eine eigene Gruppe Schon zu seiner Zeit bei Teddy Hill war Original-Komposition von Frank Newton. zusammen, Frank Newton's Cafe Society Frank Newton regelmässig an After Hours Diese Aufnahme fiel genau in die Zeit, als Orchestra, für ein Engagement im gleich- Jam Sessions in einer kleinen Bar,The Britt- der Onyx Club den Tanzlustigen endlich zu namigen, neu eröffneten Souterrain-Nacht- wood, in Harlem anzutreffen, wo er sich zu tanzen erlaubte – wenigstens zu vorge- club in Downtown New York. Eigentlich den dort residierenden Musikern, Saxo- rückter Abendstunde! hätte die Eröffnung bereits während den fonist Pete Brown und Pianist Don(nald) Weihnachtstagen 1938 erfolgen sollen. Als Frye, gesellte. Nach seinem Abgang bei Am 14. Juli und auch am 15. September das Lokal am 4. Januar endlich die Türen Teddy Hill formten er und Don Frye im 1937 Plattenaufnahmen mit Willie 'The öffnete, war noch lange nicht alles bereit. März 1937 die Uptown Serenaders, eine Lion' Smith. Ebenfalls Im Juli, nach einer Die Imbisse wurden vom Hot Dog-Stand an kooperative Gruppe. Auseinandersetzung mit Newton, war die der 7. Avenue, auf der anderen Seite des Leitung der Uptown Serenaders an John Sheridan Square, geliefert. Die Alkohol- Frank Newton als Bandleader Kirby übergegangen. Newton begleitete die Lizenz hing zwar schön gerahmt an der Sängerin Maxine Sullivan auf ihrem Hit Wand, aber die Lizenz für den Cabaret- Als der Violinist 'Stuff' Smith im Mai 1937 Loch Lomond mit einem gemischten Betrieb war noch nicht eingetroffen. den Onyx Club verliess, wurde als Ersatz Septett, bestehend aus vier Musikern der Billie Holiday, damals ebenfalls engagiert, diese kleine Band geholt (ab 15. Mai). Wer Uptown Serenaders und drei aus der Band hat sich erinnert: der Gruppe eigentlich vorstand war lange von Claude Thornhill (6. August 1937). «Es war bereits eine Stunde vor Mitter- ungewiss oder besser, verworren. Im Ge- nacht und die Floor Show konnte nicht rede waren Bassist John Kirby und Leo Am 17. September 1937 landete die Combo starten, bevor auch die Cabaret-Lizenz Watson, früher Sänger bei den Spirits of eine Recording Session unter dem Band- vorlag. Jedermann sass auf Nadeln! Das Rhythm, der hier Schlagzeug spielte, oder Namen Buster Bailey And His Rhythm Lokal war mit 600 Gästen gefüllt – Sitz- es mindestens versuchte. Watson wechselte Busters. Aus dieser Gruppe ist das berühm- plätze hatte es nur für 210 – und ich sagte dann zur Posaune und die Leitung ging an te John Kirby Sextet hervor gegangen. zum Besitzer lass' uns beginnen, trotz Frank Newton. Im Gründungsmonat ging Ende September 1937, gerade, als sich die herumstehender Polizisten…». die Gruppe bereits ins Studio für eine erste Combo im Onyx als eine Hauptattraktion Endlich, um halb zwölf, wurde die Lizenz Aufnahmesitzung, der kurz darauf noch an der 52nd Street zu etablieren begann, gebracht und die Show nahm ihren Lauf. drei weitere folgten. Das wiederum auf zwang eine ernsthafte Rückenverletzung Nochmals Billie Holiday, kurz und bündig: Initiative des Kritikers und Plattenprodu- Frank Newton zum Rücktritt. Und Kirby «Meade Lux Lewis hat der Menge hart zenten John Hammond, dem unermüdli- brachte, als Ersatz, den 19-jährigen Trom- zugesetzt; Albert Ammons und Pete John- chen Förderer von Jazztalenten. You peter Charlie Shavers in die Band. Wieder son, zweihändig an einem Klavier haben Showed Me The Way zeigt Frank Newton geheilt taucht Frank Newton auf Platten sie überwältigt; Sänger Joe Turner erschlug in Topform. Super auch Please Don't Talk der Sängerin Midge Williams & Her Jazz sie; Frank Newton's Band hat sie mitgeris- About Me When I'm Gone (5. März 1937). Jesters auf und im November 1937 bei den sen, und dann kam ich auf die Bühne – Der felsengleiche Schlagzeuger: Cozy Cole. kurzlebigen Mezz Mezzrow's Disciples Of war das ein Publikum!». Aus der nächsten Session (15.April 1937): Swing. Noch eine Record Session mit Brittwood Stomp, geschrieben und gross- Buster Bailey's Rhythm Busters (7. Dezem- Mit jener Besetzung hat Newton Tab's artig arrangiert von Frank Newton. Frank ber 1937), dann Mitglied im Grossorchester Blues eingespielt (12. April 1939). Er nimmt

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zwei meisterliche Chorusse und eine brilli- im Pied Piper, August 1944 bis frühes 1945. aktiv und von den marxistischen Ideen ante Cadenza. Frank Newton gastierte im Ebenfalls 1945 präsentierte er die erste angetan. Sein Freund Nat Hentoff, Mither- Cafe Society vom Dezember 1938 bis 1939, einer Serie von Jam Sessions in Tony ausgeber von Down Beat, hat über Newton nur kurz unterbrochen durch Krankheit im Pastor's Jazz Club in Greenwich Village. gesagt: «Er war ein richtiger Vertreter Februar 1939. Das Lokal mauserte sich in- Er leitete ein eigenes Orchester in Boston, seiner Rasse (a race man) in dem Sinne des nert kürzester Zeit zum Treffpunkt für Linke, danach gastierte er im Little Casino, New Wortes, dass er sich in der Geschichte der liberale Intellektuelle, Schriftsteller, Künst- York (frühes 1946). Mit Sidney Catlett's schwarzen Rasse bestens auskannte, und ler und sozial engagierte Jazzmusiker. Band im Downbeat Club, New York (1947). sehr unverblümt und entschieden auftrat Später im selben Jahr arbeitete er mit Ted in Sachen Bürgerrechte.» Newtons Höhepunkt war nun erreicht. Mit Goddard's Band im Savoy, Boston. Billie Holiday machte er zu jener Zeit auch Politisch war er als Kommunist bekannt. einige Aufnahmen. Unter anderem ist er Plattenaufnahmen mit anderen Orchester- Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wech- auf der Lynch-Justiz-Anklage Strange Fruit leitern: Mit Mary Lou Williams (12. März selte in den USA das Feindbild von Natio- zu hören (20. April 1939). Speziell reich 1944), James P. Johnson (12. Juni 1944), nalsozialisten und Faschisten hin zu «kom- ist seine Aufnahmetätigkeit in der Periode Buck Ram (18. September1944), Hank munistischen» Russen und Chinesen. Januar–August 1939, in der er nicht nur D'Amico (10. Oktober 1944), Sängerin Miss Roosevelts New Deal wurde im Wahlkampf für die Plattenmarke Vocalion wiederholt Rhapsody (21. November 1944), Albinia zu den Kongresswahlen 1946 von den unter eigenem Namen aufgenommen hat, Jones (22. Dezember 1944) und Big Joe Republikanern in die Nähe des Kommunis- sondern auch noch von der neu gegründe- Turner (2. Februar 1945). Frank Newtons mus gerückt. Was, ab 1952, bekanntlich zur te Marke Blue Note zugezogen wurde, für Plattenkarriere endete am 7. Mai 1946, McCarthy-Ära führte, in der die politische die sensationellen Aufnahmen der Port of mit einer Gruppe, geleitet von Joe Sullivan. Gesinnung sämtlicher Angestellter der Harlem Jazzmen und Seven. Auch der fran- Bundesbehörden überprüft wurde, aber zösische Kritiker Hugues Panassié, der Frank Newton zieht sich zurück auch von Personen des öffentlichen Inter- damals Platten-Aufnahmen in den USA und widmet sich seiner Malerei und esses, Filmschauspielern und Musikern. Als arrangierte und überwachte, stellte eigens der Politik Anerkennung für Newtons politische Stel- eine Band um Frank Newton zusammen. lung wählte der jüdische, marxistisch den- Minor Jive, Newton mit zwei gestopften In den späteren vierziger Jahren zog sich kende englische Intellektuelle und Histori- Soli, soll als Beispiel dienen (13. Januar Frank Newton nach Boston zurück. Doch ker Eric J. Hobsbawn das Pseudonym 1939). Newton hatte nun regelmässig war er nicht mehr vollamtlich als Musiker «Francis Newton», um seine Jazzkritiken Arbeit, doch hat er 1939 letztmals unter tätig, und widmete nun einen Teil seiner in der Zeitschrift The New Statesman zu eigenem Namen aufgenommen. Zeit der Malerei. Er besass zudem eine veröffentlichen. wunderbare Begabung mit Kindern zu ar- Die vierziger Jahre beiten und betätigte sich über die Sommer- Musikalische Einflüsse Monate als Berater in Schulcamps. Im und Würdigungen Ab Februar 1940 mit eigener Band im Sommer 1948 erlitt er einen schweren Kelly's Stables, New York. Kurz mit Edgar Schlag, nachdem eine Feuersbrunst seine Frank Newton war, wie die meisten Musi- Hayes; dann eigene Combo für die Som- gesamte Habe, inklusive seine drei Trompe- ker seiner Zeit, von Louis Armstrong beein- mer-Saison. Mit Sidney Bechet in seiner ten und seine sämtlichen Bilder zerstörte. flusst. Er stand in der vordersten Reihe Band spielte er 1940 (und 1941) im Camp Später absolvierte er Gigs in Boston, wo er jener Trompeter, die aus dem von Arm- Unity, in den Berkshire Mountains, nördlich dann anschliesend auch mit Edmond Halls strong vorgezeichneten Weg ihren eigenen von New York City, dem am offensichtlichs- Band auftrat (Sommer 1949). Stil geformt haben. Andererseits übte er ten kommunistisch ausgerichteten Camp, einen grossen Einfluss aus auf einen wich- von mehreren Ferien-/Studien-Camps für Ab Mai 1950 hatte er seinen letzten Auf- tigen Trompeter: Harry Edison. Ein Teil der Sympatisanten mit dem Linken Flügel, in tritt in Bostons Savoy Club, zog sich da- frühen Aufnahmen Edisons könnten, in der Umgebung von New York. Im Green nach aus dem Musikgeschäft zurück und der Tat, für das Werk Newtons gehalten Mansions, Lake George, mit einem ge- engagierte sich in Jazz Workshops für min- werden. Da wäre z.B. Edisons Spiel mischten Sextet (Frühling 1941), und im derbemittelte Jugendliche. 1951 tauchte auf Billie Holidays You're A Lucky Guy Sommer mit eigenem Quintett im Hotel er ab und zu im Stuyvesant Casino, New (13. Dezember 1939) zu erwähnen, oder Pilgrim, in Plymouth, Massachusetts. Eben- York, zum Mitspielen auf. Er lebte in Green- auf Jump For Me, mit der Count Basie falls mit eigener Bigband im Mimo Club, wich Village, investierte viel Zeit in seine Band (20. März 1939). New York (Herbst 1941). Malerei und in die Politik. Das Spiel von Frank Newton wurde von Am 16. September 1941 wurde Newtons Kurz vor seinem Tode, nur 48 Jahre alt, am Louis Armstrong wie Dizzy Gillespie be- Spiel auf zwei Titeln mit Art Tatum (Piano) 11. März 1954, ausgelöst durch akute wundert. Sein Trompeterkollege Bill Dillard und Ebenezer Paul (Bass) festgehalten. In Gastritis, machte Frank Newton Pläne für hat Newtons Spiel so charakterisiert: den vierziger Jahren leitete er grössere und ein Comeback. Er wollte wieder vollamt- «Er hatte einen kolossalen Stil, grosse kleinere Orchester in Harlem und Green- lich Musik machen. Ein Memorial Concert Kontrolle und eine wunderbare Auffassung wich Village Clubs, etwa im Kelly's Stables für ihn, am 26. April im Basin Street Club, vom Trompetenspiel». (spätes 1941) und an der 52nd Street im teilweise als Benefit für seine Witwe Pied Piper.Auch mit eigener Kleinband in Ethel Newton, war mit einem riesigen Sein warmer Ton und die überraschenden Boston, im Vanity Fair Club (November Aufmarsch von Musikern, Freunden und Wendungen der Melodiebildung weisen 1942 bis Februar 1943). Dann in New York Fans ein grosser Erfolg, ihn als Sinnesgenossen von Roy Eldridge im Cafe Society Downtown (ab März 1943) aus. Nat Hentoff, der ihn häufig in Boston und auch im zwischenzeitlich eröffneten Frank Newton hatte breit gefächerte intel- sah, urteilte über ihn: «…dass er nur von Cafe Society Uptown. Im Juni 1944 mit lektuelle Interessen und war, unter ande- Miles Davis in der intimen Ausdrucks- eigenem Quartett im George's, New York; rem, ein eifriger Leser von James Joyce. Er fähigkeit seines lyrischen Balladenspiels nachher arbeitete er mit James P. Johnson war schon früh auf Seiten der Bürgerrechte erreicht wurde».

12 für die italienische Sprache und Kultur Mandy Silberer (dm) bekannt machte und swissjazzorama INTERN öffnete. Seit meiner Pensionierung und ich Koni Weber mit ihm. Die beiden schufen dem frühen Tod meiner Frau lebe ich in in kürzester Zeit die heute 10-jährige Winterthur, wo sich auch meine beiden Jazzinstitution «Esse-Musicbar» in Töchter und mein heute 37-jähriger Sohn Winterthur. 2004 hatte ich mein Engage- niedergelassen haben. ment im swissjazzorama Uster begonnen und wollte nicht zugunsten des Esse- Beruflich gings von der ETH Zürich zu Sau- Projektes wieder aussteigen. rer nach Arbon, zu IBM Bern, in die Chef- etage zu De Sede Lederpolstermöbel, bevor Mein Einsatz als Konzertprogramm-Gestal- Sulzer Gebäudetechnik mich 1978 als fran- ter beim SJO war allerdings ein mässiger zösisch- und englischsprachigen Anlagen- Erfolg, wenn man den Verlauf der Anzahl verkäufer in Algerien und Aegypten ein- Konzertbesucher im Musikcontainer zum setzte. Später waren Brandschutzsysteme Massstab nimmt. Mit dem begrenzten in Sulzer-Industrieanlagen im Ausland mein Budget gelang es mir nicht, weder mit Thema. 1986 wechselte ich zu Sulzer Elek- Dixieland noch mit Bebop oder Swing, die tronik Gebäudeautomation. 1996 kaufte jeweiligen Fans in Scharen nach Uster zu Honeywell die Sparte von Sulzer, die Gele- locken. Ausnahme bildeten die Auftritte der genheit für mich, den Übergang vom Zeit- bekannten Amateurformationen aus der alter der analogen zur digitalen Regelungs- Region, die als sicherer Wert Verwandte technik zu begleiten, parallel zum eigenen und Freunde mobilisieren. Jacques Rohner Ausstieg aus dem Berufsleben. Dipl.Masch.Ing.ETH Seit meiner Auszeit letztes Jahr, kümmere seit 2005 im Ruhestand Mein zentrales Hobby ist heute die «mo- ich mich seit Januar 2015 um die Erfassung derne» Jazzmusik, angefangen 1953 als und Ergänzung der Metadaten der so Jacques Rohner ist einer von über Cornettist in einer Schüler-Dixiekapelle genannten CDCs, der nicht-kommerziellen 40 freiwilligen Crew-Mitarbeitern ohne namens «The Birds» in Wangen, später CDs, also jener CDs, die nicht im Platten- die das swissjazzorama.ch und sein bei «Phase Five» in Zürich, mit Makaya handel erhältlich waren, vielfach Unikate, Archiv nicht funktionieren würde. Ntshoko am Schlagzeug (!). Aus der Arbo- wie z.B. Mitschnitte von Konzerten, die im In diesem Text stellt er sich selber vor. ner Jam-Band um den Pianisten Heinz Musikcontainer Uster stattgefunden haben. Oberhänsli entstand «Jazzline» mit Kurt Ich verweise auf die Internet-Seite: Von Wangen an der Aare im Bernbiet Grämiger (as), Geoffrey Kenworthy (vib, www.archivdaten.jazzorama.ch Rubrik kommend führte mein Weg über Solothurn dm), Fredy Schmid (dm), Markus Fritzsche CDC. Korrekturen und Ergänzungen sind (Kantonsschule), Los Angeles (High School (b) und Thomas Hirt (b). bei mir hochwillkommen, Rückfragen auch. Exchange Student), Zürich (ETH Abt.IIIA), Von Job und Jazz erhole ich mich am Arbon, Ittigen bei Bern, Kleindöttingen, In Winterthur stiess ich via Trompeter Klaus besten im bündnerischen Feldis, wo ein nach Zell im Tösstal. Meine Viersprachigkeit Grimmer und Eric Dieth zum Workshop von fast völlig stromloses Haus, eine Stunde verdanke ich drei Frauen: meiner französi- Koni Weber (tp, flh) und von da via Peter zu Fuss vom Dorf entfernt, mich und neun schen Mutter, die zuhause kein Hoch- Pattynama (dm, voc) zum Bahnik-Baldinger Miteigentümer zu jeder Jahreszeit das deutsch erlaubte, meiner US-Literatur- Quintett. Als 1997 Ruedi «Red» Bahnik einfachere, langsamere Leben lehrt. Lehrerin Mrs Edna Rappaport und meiner starb, entstand eine längere Pause bis mich Frau aus der Leventina, die mir die Augen Hanspeter Baldinger (ts, as, ss, bs) mit

! Pianist Yorke de Souza: Simmen Artikel News from the in S-LP-01065 «Late London». ! Don Ewell Brief an Simmen: S-LP-01509. Simmen Collection ! In der S-LP-2005 Hülle: spannender Beim Erfassen in LP-Hüllen gefunden: Artikel von Dick Wellstood «Keeping time is the real challenge». ! Briefe von Bobby Henderson: ! In der S-LP-2006: Brief von Diane S-LP-00953. Wellstood (Witwe), 6 Kolumnen von ! Artikel von Simmen: S-LP-00965. Dick Wellstood aus Jersey Jazz; ! Brief von Lloyd Glenn und Artikel Artikel über Wellstood von Joe Klee, von Simmen: S-LP-00948. Whitney Balliett. ! Korrespondenz mit Pat Flowers: ! In der S-LP-2021: Artikel über Cliff S-LP-00950. Korrespondenz mit Jackson von J. Simmen aus CODA; Dick Wellstood, Artikel und Hüllentexte Vortrag von J. Simmen über Herman von Wellstood, Beiträge über Wellstood: Autrey von 1970. in fast allen Wellstood LPs. Richard McQueen ‘Dick’ Wellstood ! 10-seitige Abhandlung über Ragtime, Swingcerely 25. November 1927 – 24. Juli 1987 US-amerikanischer Jazzpianist hauptsächlich über Eubie Blake von Klaus Naegeli des Dixieland Jazz, Boogie Woogie, Gerry Wechsler: S-LP-01064. Konrad Korsunsky Stride-Piano-Stils und des Swing

13 NOTRE PAGE EN FRANÇAIS

L'héritage de JazzNyon est à disposition

Celles et ceux qui ont vécu l'effervescence des nouvelles scènes musicales en de plus en plus compliqués, que le public suisse romande durant les années 1970 se souviennent certainement des concerts reste à Genève, à Lausanne, à Fribourg; organisés par William Patry à Nyon et environs. William Patry nous a quitté en les lieux se multiplient qui permettent bien 2009. Il avait émis le souhait de léguer à la postérité les archives de l'association heureusement d'entendre cette fantastique JazzNyon dont il fut le principal animateur de 1976 à 1985. C'est chose faite: musique...». ce riche fonds documentaire est déposé aux Archives musicales de la Bibliothèque cantonale et universitaire Lausanne. Il n'y a malheureusement pas eu de mythe

Un petit frère de Willisau régionale. Cet engagement a permis à de L'association n'a pas réussi à trouver en Suisse romande nombreux musiciens romands de faire leurs l'équilibre dans la durée qui lui aurait per- expériences sur scène. mis de créer son propre mythe, comme le C'est à Willisau, au début des années 1970, recommandait Sun Ra, l'un des derniers où William Patry et ses amis se rendaient Une politique culturelle musiciens à se produire en concert à Nyon: pour écouter les concerts organisés par plus dynamique «Je dis aux gens qu'ils ont tout essayé, Niklaus Troxler, que germa l'idée de colla- mais qu'ils doivent maintenant essayer la borer en termes de programmation pour Au plan politique, JazzNyon a contribué à mythocratie. Ils ont eu la théocratie, la mettre sur pied une organisation de con- défricher le paysage urbain à la recherche démocratie ... La mythocratie, c'est ce que cert sur l'arc lémanique. Les premiers con- de nouveaux lieux d'expression. Ainsi, vous n'êtes jamais devenu de ce que certs ont lieu en 1974/75, et William Patry en janvier 1978, dix associations locales vous devriez être.» Christian Steulet crée ensuite le 16 mars 1976, l'association écrivaient à la Municipalité de Nyon pour JazzNyon dans la perspective de mettre sur que leurs besoins soient mieux pris en pied un festival de jazz. C'est chose faite compte. Parmi elles un certain Paléo Folk du 14 au 18 juin à l'aula du collège de Festival qui naît en même temps que Jazz Nyon. La programmation mêle la chanson, Nyon et connaîtra un destin bien différent. Pour en savoir plus: le rock, le jazz et les musiques d'improvi- Une trentaine de bandes magnétiques sation – le succès est au rendez-vous avec La ville de Nyon décide alors d'intégrer un sauvegardées dans les archives de William Patry les concerts de Pascal Auberson, Dollar délégué des associations culturelles locales sont en cours de digitalisation pour être mises à Brand et Daniel Humair. Quatre autres à sa commission des arts. C'est le début l'écoute via les stations publiques de la Phono- éditions du festival ont lieu jusqu'en 1980. d'une politique culturelle plus dynamique: thèque Nationale Suisse: http://www.fonoteca.ch/green/listening plusieurs lieux investis sont aujourd'hui des Places_fr.htm Au total, JazzNyon a proposé de 1974 à centres culturels bien établis. 1985 plus de deux cents soirées de concert Les activités de JazzNyon déclinent à partir Le fonds William Patry aux Archives et invité plus de trois cent groupes à se de 1981. Les cachets augmentent tout musicales de la bibliothèque cantonale et universitaire Lausanne: produire sur scène. La programmation comme les frais de promotion, et William http://www.bcu-lausanne.ch/patrimoine/ associait la scène musicale afro-américaine Patry se voit forcé d'annuler des soirées du archives-musicales/fonds-partages-avec-la-phono- qui actualisait la tradition du jazz (Archie fait des exclusivités exigées par le festival theque-nationale/fonds-william-patry/ Shepp, Art Ensemble of Chicago, Don de jazz de Montreux et d'autres organisa- Cherry, Cecil Taylor,Anthony Braxton, teurs en Suisse. On trouve dans ses archi- En 2011, Mme Hélène Baudat a publié les mémoires de William Patry sous le titre Charles Mingus et d'autres), la scène euro- ves une note un peu amère: «depuis 1983, «Jazz-Ries» – un ouvrage à disposition péenne du free jazz et la scène locale et je sens que les managers deviennent à swissjazzorama.

Salle communale de Nyon, 23 novembre 1978 Nyon, Usine à Gaz, 7 juillet 1984 William Patry (bras levés) et Jan Garbarek (saxophone) De gauche à droite: Annick Nozati (chanteuse) et Irène Schweizer Copyright: Yves Humbert Copyright: Yves Humbert

14 Ornette Coleman: IN MEMORIAM The Shape of Jazz to Come greifen und schrieb Konzertmusik. Das Werk Skies of America wurde 1972 vom American Symphony Orchestra aufgenom- Afroamerikanischer Saxofonist, Trompeter, men. Geiger, Bandleader und Komponist 9.5.1930 –11.6.2015 Mit seiner Band Prime Time (u.a. mit James Blood Ulmer (g), Jamaaladeen Tacuma (e-b) Mit Ornette Coleman verstarb einer der und Ronald Shannon Jackson (d)) integrier- wichtigsten Pioniere und Vertreter des Free te Coleman ab Mitte der 1970er Jahre harte Jazz. Seine zwischen 1959 und 61 entstan- Rockrhythmen in seine Musik, was zum so- denen Quartett- Aufnahmen auf dem Label genannten Free Funk führte. Wichtige Auf- Atlantic stellen aus heutiger Sicht Meilen- nahmen aus der späteren Schaffenszeit wie steine des Jazz dar: Jazz-Klassiker, durchaus etwa im modalen Jazz von Miles Davis etwa die mit dem Gitarristen Pat Metheny vergleichbar mit den Dial- und Savoy-Auf- (einem bekennenden Coleman-Kritiker!) (Song X, 1986), mit der Pianistin Geri Allen nahmen der Be-Bop-Ikone Charlie Parker oder schon viel früher im (v.a. archaischen) oder dem Pianisten Joachim Kühn (Mitte ab Mitte der 1940er Jahre. Zudem gehörte Blues. Coleman fasste diesen Bruch in der 1990er Jahre) bereicherten zusätzlich Coleman mit Parker und Thelonius Monk zu einem prägnanten Satz folgendermassen Colemans breites Oeuvre. den bedeutendsten Melodikern und Blues- zusammen: «Let's play the music and not interpreten des neueren Jazz. Viele seiner the background.» (*) Noch während Cole- Colemans Musik hinterliess auch bei eini- Stücke belegen dies eindrücklich: mans «Atlantic-Phase» erschien 1960 sein gen Musikern der stilistisch vorangehenden Lonely Woman, The Blessing, Blues mit Shape of Jazz to Come wohl bekann- Epoche seine Spuren, wie das etwa im Connotation, Ramblin' oder Tournaround. testes Album, eine Kollektiv-Improvisation Spätwerk der beiden Altsaxer Jackie im Doppel-Quartett mit dem programmati- McLean oder Art Pepper zu hören ist. Hier enden jedoch die Vergleiche, denn die schen Titel Free Jazz. Darauf spielten neben zuvor gebräuchlichen harmonischen und den obgenannten Quartett-Mitgliedern Der zu Beginn seiner Karriere äusserst rhythmischen Strukturen lösen sich in den noch Eric Dolphy (b-cl) und Freddie umstrittene Musiker Ornette Coleman Kompositionen und Improvisationen von Hubbard (tp) mit. erhielt gegen Ende seines Wirkens viel Coleman und seinen Mitkämpen auf (Don Anerkennung und etliche Auszeichnungen: Cherry (tp), Charlie Haden oder Scott LaFa- Nach Auflösung des «Original-Quartetts» zwei Grammies (2006 und 2015), den Pulit- ro (b), Ed Blackwell oder Billy Higgins (d) – leitete Coleman verschiedene Gruppen; zerpreis (2007), einige Ehrendoktortitel... ein wahres All-Stars-Quartett!). Dieser darunter ein Trio mit David Izenson (b) und Bruch mit der Jazztradition vollzog sich Charles Moffett (d) oder ein Quartett mit (*) Auf die von Coleman entwickelte Theorie natürlich nicht im luftleeren Raum. Erste dem Tenorsaxofonisten Dewey Redman. der Harmolodics kann im Rahmen dieser kur- Vorzeichen hierzu findet man rückblickend Er begann auch zur Trompete und Geige zu zen Würdigung nicht eingegangen werden. Albert Stolz

pretieren diese Stücke, so etwa Ornette Gunther Schuller: Coleman, Eric Dolphy, Jim Hall, Scott LaFaro oder der Pianist Bill Evans – im Third Stream Verbund mit dem Contemporary String Quartet. Zusammen mit dem Album Third US-amerikanischer Flötist und Hornist, Stream Music des Modern Jazz Quartet, Komponist, Dirigent, Musikdozent, für das Schuller ebenfalls Kompositionen Jazzhistoriker beisteuerte, ist Jazz Abstractions wohl das 22.11.1925 – 21.6.2015 bedeutendste Manifest des Third Stream, einem Versuch, klassische Musik mit Jazz Nur wenige Tage nach Ornette Coleman zu einer neuen Musikgattung zu ver- verstarb auch Gunther Schuller; zusammen schmelzen. Obwohl sich der Third Stream mit dem Pianisten John Lewis war er einer nicht durchzusetzen vermochte, haben sich der grossen Förderer der ersten Stunde von Einflüsse davon bis heute erhalten. Coleman. Schuller schrieb ausserdem eine zweibän- Schuller spielte unter anderem von 1945 dige Jazz-Geschichte (Early Jazz und The bis 1959 im Metropolitan Opera Orchestra. Trompeter Miles Davis geleiteten epo- Swing Era), die bis heute ein unentbehr- Er komponierte zahlreiche klassische chalen Birth of the Cool Orchestra und liches Referenzwerk geblieben ist. Werke, die er oft auch selbst aufführte. 1958 im Davis/Gil Evans-Opus Porgy and Bess. 1960 erschien das von seinem lang- Wie Coleman erhielt auch Gunther Schuller Aber auch mit namhaften Jazzmusikern jährigen Freund John Lewis mitproduzierte gegen Ende seiner Karriere Anerkennung spielte Schuller zusammen, komponierte Album Jazz Abstractions, das drei Kompo- und etliche Auszeichnungen. Mit ihm hat und arrangierte Stücke für sie. So spielte er sitionen von Schuller und eine des Gitarris- uns eine ungemein vielseitige und bedeu- beispielsweise 1950 als Hornist im vom ten Jim Hall enthält. Illustere Musiker inter- tende Musiker-Persönlichkeit verlassen. as

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BLICK INS ARCHIV IN MEMORIAM

‘Papa Henry’ Egli Schweizer Kornettist, 5.7.1934 – 24.6.2015 Durch seinen stark von King Oliver geprägten Kornett-Stil bestimmte er während 35 Jahren das musikalische Outfit der Louisiana Hot Seven und festigte so den Ruf der Band, Botschafter des klassischen New Orleans Jazz zu sein. Wilton Felder US-amerikanischer Tenorsaxofonist und Bandleader 31.8.1940 – 27.9.2015 War über dreissig Jahre lang Leiter der Band The Crusaders. Gusti Sigg – der «Jazzpapst» Phil Woods Garrison Fewell US-amerikanischer Gitarrist und Musiklehrer von Schaffhausen US-amerikanischer Altsaxofonist 14.10.1953 – 5.7.2015 2.11.1931 – 29.9.2015 Eine legendäre Persönlichkeit aus der Munot- Schrieb zwei Lehrbücher für Jazzgitarre, stadt mit grossem Wissen über den Jazz der Mit dem Hinschied von Phil Woods hat die Jazz- arbeitete auch mit holländischen Musikern letzten Jahrzehnte besuchte das swissjazzorama welt einen der letzten grossen Saxofonisten ver- zusammen. mit einer Fracht wertvoller «Helveticas»*. loren. Phil Woods kam in Springfield, Massa- chusetts, zur Welt. Bereits mit zwölf Jahren Max Greger Der 88-jährige Gusti Sigg, ein Jazzkritiker der begann er, Saxofon zu spielen. Er verstand es, Deutscher Saxofonist und Bandleader ersten Stunde, gilt als legendäre Persönlichkeit seine Technik so zu entwickeln, dass er auch in 2.4.1926 – 15.8.2015 über die Grenzen von Schaffhausen hinweg. schnellsten Tempi ausdrucksstark improvisieren Erfolgreicher Leiter einer Tanz-Bigband, Jahrelang als Jazzkritiker der Schaffhauser Nach- konnte. Wenn er gelegentlich, besonders mit zeitweilig mit hochkarätigen Jazzmusikern richten tätig, hat er sich ein grosses Wissen über seiner europäischen Formation «European (einige Jahre sass der Schweizer Pierre Favre den Jazz der letzten Jahrzehnte angeeignet. Rhythm Machine», auch Free Jazz-inspirierte am Schlagzeug). Nicht nur am Schaffhauser Jazzfestival war er Passagen spielte, war er doch ein echter Bebop- Idris Muhammad ein gern gesehener Gast als Presse-Bericht- Spieler, in hohem Masse von Charlie Parker erstatter.Auch an Clubkonzerten der ganzen US-amerikanischer Schlagzeuger beeinflusst. Nachdem er vier Jahre an der Juillard 13.11.1939 – 29.7.2014 Region und an Schweizerischen Festivals von School of Music studiert hatte, begann er 1954 Montreux bis Ascona war er präsent. Stilistisch vielseitiger Drummer, arbeitete seine Profilaufbahn in der Bigband von Charlie oft mit dem Pianisten Amad Jamal. Er überbrachte dem swissjazzorama Zeitungs- Barnet. Er war mit Friedrich Gulda dabei, als artikel von 1951 bis 1990, Jazz-Zeitschriften und dieser 1956 mit einer Band im Birdland, New Dave Pike Journale aus der ganzen Welt sowie unzählige York, und am Newport Festival reüssierte. US-amerikanischer Vibrafonist Fotos von Konzerten, Bands und Musikern. Er Alle Musiker zu erwähnen, mit denen Phil Woods 23.3.1938 – 9.10.2015 war auch Sammler von Plakaten und beschenkte im Laufe seiner Karriere gespielt hat, wäre ein Spielte mit Westcoast-Musikern. uns mit 120 zum Teil seltenen Exemplaren. «Who's Who in Modern Jazz». Gut ist, dass viele Von 1968 bis 1972 arbeitete er mit seiner Zeugnisse seines Schaffens vorhanden sind – Band Dave Pike-Set in Deutschland. Wir danken dem Donator und wünschen ihm auch bei uns im Archiv. Gesundheit und weiterhin die Möglichkeit, John Taylor noch viele Jazzanlässe zu besuchen. fs Britischer Pianist und Komponist * Archivmaterial mit Bezug zur Schweiz 25.9.1942 – 17.7.2015 Ich habe das Buch durchgeblättert und dabei Spielte u.a. mit den Bands von Jan Garbarek, die Musiker und Musikerinnen herausgesucht, Lee Konitz, Charlie Mariano. Unterrichtete an der die im Jahr 2015 ihren 100-jährigen Geburtstag Hochschule für Musik und Tanz Köln. hätten feiern könnten. Die Liste ist interessant, aber wahrscheinlich nicht vollständig. Es sind alles Namen, die eine neue Generation von Korrigendum Künstlern nach «New Orleans» repräsentieren: In unserer August-Ausgabe (Nr. 33) haben Milt Buckner, p, vib wir auf Seite 11 im Nachruf für Clark Terry Al Casy, g seinen Vornamen mit «e» geschrieben. Harry ‘Sweets’ Edison, tp «Clarke» gibt es auch, doch der berühmte Nick Fatool, dm Flügelhornist hiess Clark Terry. J.T.S Ein altes Jazzlexikon Jerry Grey, arr, leader, comp, vio Bobby Hackett, tp, co, g Das Hauptthema dieses Jazzletters ist der Jazz All Hall, b IMPRESSUM in der Schweiz nach 1945. Diese Zeilen knüpfen Eddie Heywood, p, comp dort an. Wir jungen Jazzfans hatten damals ziem- Billie Holiday, voc Der Jazzletter erscheint 2–3 x jährlich liche Orientierungsprobleme, denn Jazzliteratur Taft Jordan, tp Redaktion: Jimmy T. Schmid (J.T.S.) in deutscher Sprache war rar. Es gab Das Jazz- Flip Phillips, ts, cl Layout: Walter Abry (WA) buch von Joachim Ernst Berendt. Aber Jazzlexika Pete Rugolo, comp, arr Copyright: swissjazzorama.ch mit manigfaltigen, kurzen Texten und Biografien Gene Schroeder, p Im Werk 8, 8610 Uster gab es kaum. Da kam Knaurs Jazz Lexikon Frank Sinatra, voc (Schauspieler) Tel. ++41(0)44 940 19 82 (Sonderausgabe des Buchclubs Ex Libris, Zürich Billy Strayhorn, p, comp, arr WA [email protected] www.jazzorama.ch 1957) gerade recht. Aus heutiger Sicht mag das Knaurs Jazz Lexikon Buch etwas altbacken und bescheiden wirken, Contact pour la Suisse romande: Christian Steulet Sonderausgabe für den Buchclub Ex Libris Zürich,1957 Tél. 079 890 67 53, [email protected] immerhin war es aber voll von Informationen Copyright Droemersche Verlagsanstalt über die ersten 50 Jazzjahre des 20. Jahrhun- Th. Knaur Nachf. München-Zürich Contato per la Svizzera italiana: Nicolas Gilliet derts. Vergleichen kann man dieses Buch sowieso Tel. 079 428 97 65, [email protected] nicht mit heutigen Lexika oder dem alles beherr- Mitarbeiter dieser Nummer: schenden Internet. Im Buch gibt es aber viele Auch dieses alte Lexikon kann im Walter Abry (WA), René Bondt, Martin Brüstlen, kleine Biografien auch von Musikern und Musi- Jazz Record Shop, dem Secondhand Shop Konrad Korsunsky, Klaus Naegeli, Jacques Rohner, kerinnen, die man heute nicht mehr kennt und des swissjazzorama.ch, neben vielen Fernand Schlumpf (fs), Jimmy T. Schmid (J.T.S.), die für neue Lexika sowie dem Internet gar nicht anderen Jazzbüchern gekauft werden. Irène Spieler, Christian Steulet, Albert Stolz (as) mehr existieren. (Geöffnet: Di–Fr 10–12 h und 13.30–17 h) und Theo Zwicky

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