
swissjazzorama.ch jazzletter Nr. 34, Dezember 2015 EDITORIAL Liebe Leserin, lieber Leser Was wurde nicht schon alles über Arm- strong, Ellington, Basie und all die Grossen aus der ersten Reihe geschrieben? Doch Artikel über Künstler der hinteren Reihe sind rar. Ein Grund, weshalb Ihnen Theo Zwicky in dieser Ausgabe den Trompeter Frank Newton vorstellt, ein Musiker, den – wie sich Theo ausdrückt – die Referenz- bücher nur im Vorübergehen erwähnen. Der Informationsgehalt seiner Arbeit ist so hoch, dass wir ihm gerne drei Seiten (10 bis 12) reserviert haben. ZÜRICH Auch dieses Mal haben wir den Inhalt des Jazzletters so gestaltet, dass er Geschicht- 1945 liches wie auch Aktuelles einschliesst. Sowohl geschichtlich als auch aktuell sind DRESDEN unsere Beiträge zu Jubiläen von bekannten Jazzclubs. Einer in Bern (Seiten 6 und 7), der andere in Rheinfelden (Seiten 8 und 9). Beiden hat die jüngere Schweizer Jazz- geschichte viel Gutes zu verdanken. Nur geschichtlich sind unsere Betrachtungen zum Thema «Das Kriegsende und der Jazz». In der letzten Ausgabe hatten wir Deutschland im Fokus, in dieser Ausgabe die Schweiz (Seiten 2 und 3). Dass wir Ihnen im Interview einen typi- schen Plattensammler vorstellen (Seite 4), ist ein Novum, das aber durchaus berech- tigt ist. Dieser Art von Jazzfan haben wir letztlich weitgehend unsere Existenz zu verdanken. Sie sind es, die die Regale des swissjazzorama füllen. Das Kriegsende und der Jazz in der Schweiz Herzlich 1945 – Kriegsende in Europa! Die Schweiz, senen, für die Jazz nicht in ihr Denken eine intakte Insel mitten in einem zerstörten passte, und die ihn deshalb ablehnten. – Inhalt Europa, ist mit einem «blauen Auge» aus der Ich durfte 1949 als Lehrling beim Auftritt 2 Infos der Geschäftsleitung des SJO Kriegs-Katastrophe herausgekommen. von Louis Armstrong and his All Stars* im Als der Krieg zu Ende war… Kongresshaus in Zürich dabei sein. Dieses 4 Portrait eines Plattensammlers Mit den Siegern aus Übersee kam der Jazz Erlebnis hinterliess bei mir einen tiefen 5 «Taking a chance on Jazz»: auch in die Schweiz und löste hier neue Eindruck und hat mein Verhältnis zum Roman Dylag (2. Teil) 6 40 Jahre Berner Jazzfestival Energien aus. Teile einer jüngeren Schweizer Jazz bis zum heutigen Tag geprägt. WA 8 30 Jahre Jazzclub Q4 in Rheinfelden Nachkriegs-Generation wurden vom Jazz- 10 Der Trompeter Frank Newton Fieber erfasst. Erstmals konnten sie die Musik *Louis Armstrong (tp, voc), Jack Teagarden (tb, voc), 13 swissjazzorama intern Barney Bigard (cl), Earl Hines (p), Arvell Shaw (b), von afroamerikanischen und weissen Musi- 14 Notre page en français: JazzNyon Cozy Cole (dm), Velma Middleton (voc). 15 In memoriam: Ornette Coleman und kern «live» erleben. Dabei standen sie unter Gunther Schuller kritischer Beobachtung von vielen Erwach- Mehr zum Thema auf Seite 2 16 Blick ins Archiv/In memoriam/Impressum 1 Wenn alle diese Fragen gelöst sind, kann INFOS DER GESCHÄFTSLEITUNG DES SJO die jetzige provisorische Geschäftsleitung die Arbeit in die Hände einer neuen GL und «Zustand kritisch – aber nicht lebens- Aber Trotzdem: Der «Erlösungs-Schuss» an einen neuen Geschäftsführer abgeben. gefährlich». Die Geschäftsleitung steht der den Verein in eine neue Dimension an einem Wendepunkt unserer Vereins- schiebt, lässt weiterhin auf sich warten. Wer diese Zeilen liest, merkt: geschichte. Eine klare Strategie ist be- Die Gründung der Stiftung wartet auf die Hilfe ist gefragt! schlussreif zu Handen des Vorstandes, Anschiebung durch die Standortgemeinde. mit der Standortgemeinde besprochen, Der neue 2-jährige Leistungskontrakt mit – Wir suchen Finanzen (neue Mitglieder, mit dem Kanton vorbesprochen und mit der Standortgemeinde ist erst mündlich Spender oder Stiftungskapital). dem Bundesamt für Kultur angesprochen. zugesichert, die Finanzlage ist kritisch. – Wir suchen weitere Mitarbeiter, die sich in einem kleinen Pensum engagieren. Die ganze Crew arbeitet mit Elan in den Neue Räume für das swissjazzorama wären – Wir suchen tatkräftige Personen, die den Ressorts. Die Hauptgebiete (Printmedien gefunden (alles unter einem Dach), zentral Verein unterstützen (als Vorstandsmit- und Tonträger) haben Zwischenziele gelegen mit Arbeitsplätzen und guter glied oder als Beirat in einer Stiftung). erreicht und Verfeinerungen eingeführt. Anlieferung, helle und hohe Räume mit – Wir suchen Partner, die uns anschieben Neues Material wird laufend angeliefert bester Möglichkeit für die Installation des können. oder steht zum Abholen bereit. Die Lager- zugekauften Occasions-Rollgestells. keller sind überfüllt, die Räume werden Helfen sie mit, dass der Zustand gesichert knapp. Die Ausstellungscrew hat eine Aus- Wer stellt aber die Bürgschaft für 6 Mo- wird und das swissjazzorama als Dokumen- stellung an der Kantonsschule Zürcher Ober- natszinse? Sichert der Kanton die Kosten tationsstelle für den Jazz in der Schweiz land in Wetzikon mit gutem Erfolg gezeigt. für den Umzug? Welche Stiftungen unter- lebensfähig bleibt und wachsen kann. Die Artikel für den neuen Jazzletter sind stützen für die beiden nächsten Jahre unser geschrieben, bereit zum Druck und dem Ver- Wirken und die Anstellung eines professio- Fernand Schlumpf sand an die Mitglieder und Interessenten. nellen Leiters im Teilzeit-Pensum? Vizepräsident swissjazzorama.ch und schreibe vier Trompeten und vier Posau- Als der Krieg zu Ende war: nen umfasste. Die grosse Attraktion war zweifelsohne Glyn Paque (1907–1953), der Die Jazz-Nachkriegsjahre in der Schweiz afroamerikanische Altsaxofonist und Klari- nettist, wohl einer der interessantesten Der erste Teil unserer Betrachtungen zum Thema Jazz und Kriegsende, der in unserer Musiker der Schweizer Jazzgeschichte. Wir letzten Ausgabe erschien, hiess «Schluss mit den Vorschriften» und befasste sich besitzen glücklicherweise viele signifikante mit der Nachkriegssituation im kriegsgeplagten Deutschland. Fast bei Null musste Beispiele seiner Musik und eine Reihe wert- der Jazz in unserem nördlichen Nachbarland, wo ihn die Nazis verboten hatten und voller Zeugnisse seiner leider zu kurzen auf den Index der entarteten Künste setzten, wieder beginnen. Ganz anders in der Laufbahn. Schweiz: Politisch wurden dem Jazz zu keiner Zeit Fesseln angelegt, doch wurde seine Entwicklung da und dort durch Vorurteile vorwiegend der älteren Generation etwas Wer eine dieser Bigbands engagieren wollte, gehemmt. Auf einige Stilbewegungen, Bands und Musiker, die in der Schweiz den Jazz musste recht tief in die Tasche greifen. Des- im ersten Jahrzehnt nach dem Krieg im Spannungsfeld zwischen Swing, Dixieland und halb versuchten viele Bands – ob Amateur Bebop geprägt haben, wollen wir hier unser Augenmerk richten. Von Jimmy T. Schmid oder Profi – mit einer kostengünstigen «abgespeckten» Besetzung in Bigband- manier zu spielen, oft nur mit zwei oder drei Keineswegs war in der Schweiz während des in die Schweiz. Nicht nur beim Tanzpubli- Saxofonisten und einem Trompeter. Krieges kein Jazz zu hören. Kleinere Bands kum war die Staufferband beliebt, sondern spielten eine Art von Swingjazz als Tanzmusik auch bei Jazzfans, denn der solistische Oldtimebegeisterung der Jugend in den als Dancings bekannten Tanzlokalen Power war beachtlich. Vor allem profitierte und auch bei Abendunterhaltungen von die Band vom Altosaxofonisten Ernst Unabhängig von der Bandgrösse mussten Vereinen sowie an anderen sporadisch abge- Höllerhagen, der als Swingstyle-Klarinettist Saxofonisten und Blechbläser in einer haltenen Tanzveranstaltungen. Damit man im Goodman-Stil in Europa einer der Swingband gute Notenleser sein. Ganz das ganze Publikum bei guter Laune halten Besten war. Noch vor dem Kriegsende anders war (und ist) das beim Dixielandjazz. konnte, gehörten auch Polkas, Walzer u.ä. ins übernahm der Tenorsaxofonist Eddie Brun- Genau in den Jahren, auf die wir unser Repertoire. Wer Erfolg haben wollte, musste ner das Orchester. Nicht unerheblich war Augenmerk richten, bewegte sich der Jazz – vielseitig sein. der Einfluss, den damals AFN (der amerika- vor allem bei den jüngeren Jazzamateuren nische Sender für die US-Streitkräfte in der Städte – weg vom Swingstyle. Für sie Stauffer und Böhler im Zentrum Europa) auf die Schweizer Jazzszene hatte. war besonders der von afroamerikanischen Eddie Brunner war ein gewiefter Funkama- Musikern gespielte Jazz der späteren Zwan- Neben den kleineren Bands, vielfach mit teur, der sogar imstande war, den Jazz, den zigerjahre der echte Jazz. Diese Bands Amateuren – waren auch einige wenige AFN für die G.I.s spielte, aufzunehmen und umfassten selten mehr als sechs oder sieben Bigbands im Jahrzehnt des Kriegsendes gut in Noten für sein Orchester umzuwandeln. Musiker, die ihre Stücke nach dem Gehör im Geschäft. Ein Musiker, der schon beim lernten, d.h. ab Schellackplatten mit Aufnah- Blick auf die deutsche Jazzszene der Dreissi- Mit Bigbands spielte auch der Pianist und men von King Oliver, Louis Armstrong und gerjahre nicht zu übersehen war: Teddy Stauf- Organist Fred Böhler. 1945, im Jahre des anderer Grössen der Urzeit des Jazz. War der fer. Nach seinen «deutschen Jahren» kam er Kriegsendes, trat er im Zürcher Corso Palais Dixielandjazz nur eine faszinierende Musik 1939 zur Landesausstellung in Zürich zurück mit einem grossen Orchester auf, das sage für die Jugend oder auch Ausdruck des 2 Protestes gegen die etwas steifen Konven- tionen der Eltern? Das sei dahingestellt. Sicher gehörte zur Oldtimebegeisterung auch viel Aussermusikalisches, um sich vom «normalen Bürger» abzugrenzen: ein unkon- ventionelles Outfit, möglichst ohne Krawatte, zwanglose
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