Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 40: 277-280 (2008) 277

Der Schwarzstorch Ciconia nigra im - und Leinebergland (Niedersachsen)

Bernhard Möller

MÖLLER , B. (2008): Der Schwarzstorch Ciconia nigra im Weser- und Leinebergland (Nieder- sachsen). Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 40: 277-280. Die historische Bestandsentwicklung sowie die Wiederbesiedlung des Weser- und Leineberg- landes in Niedersachsen durch den Schwarzstorch Ciconia nigra wird beschrieben. Auf Repro- duktion, Nestwechsel und Reviergründung wird näher eingegangen. Ein in der Tschechischen Republik als Jungvogel beringter Schwarzstorch hat im Untersuchungsgebiet gebrütet. Ferner werden Todesfälle und das vermutliche Vertreiben eines Brutpaares nach Errichtung einer Windkraftanlage beschrieben. B. M., Küchenthalstr. 8, D-31139

Einleitung • 1880: „... der Schwarze Storch horstet im Der Schwarzstorch Ciconia nigra hat in den Ziegenberge, seine 4 flügge gewordenen 1980er Jahren durch Arealerweiterung unter Jungen sind von dem Jagdpächter ausge - anderem das Weser- und Leinebergland in Nie- nommen und im Winter in der Gefangen- dersachsen wiederbesiedelt. Für dieses Gebiet schaft behalten.“ wird nachfolgend auf die Reproduktion sowie • 1881: „...der schwarze Storch horstete auf einige besondere Feststellungen hingewiesen. einer Eiche in der Beuster im Schlage VII. Die Jungen flogen aus.“ Untersuchungsgebiet, Material und Fehlende Angaben in den Folgejahren deuten Methode darauf hin, dass das Vorkommen danach als Das Untersuchungsgebiet umfasst das Weser- erloschen angesehen werden muss. Nach und Leinebergland. In Niedersachsen wird der BRINKMANN (1933) hat jedoch noch 1912 eine Schwarzstorchbestand alljährlich durch von der Brut des Schwarzstorchs bei Henneckenrode Fachbehörde für Naturschutz – Staatliche Vo- im Landkreis Hildesheim stattgefunden. Da- gelschutzwarte – eingesetzte Artbetreuer er- nach galt die Art im gesamten Weser- und fasst. Dem Verfasser obliegen die Schwarz- Leinebergland als ausgestorben ( BECKER & storchvorkommen u. a. im Untersuchungsge- MÖLLER 1993). biet. Neben eigenen Beobachtungen werden Erst Mitte der 1980er Jahre im 20. Jahrhundert Auskünfte der zuständigen Forstbeamten und erreichte der Schwarzstorch im Zuge seiner all - Waldbesitzer ausgewertet. gemeinen Arealausdehnung nach Westen auch seine früheren Brutgebiete im Weser- und Lei- Historische Bestandsentwicklung nebergland. Ab 1988 konnten erfolgreiche Bru- Ab Mitte des 19. Jahrhunderts hat der Bestand ten im Hildesheimer Wald, Landkreis Hildes- des Schwarzstorchs in Westeuropa dramatisch heim, und ab 1989 auch im Hainberg, Land- abgenommen. Die größeren Waldgebiete des kreis Wolfenbüttel, nachgewiesen werden. Weser- und Leineberglandes waren jedoch ge- gen Ende des Jahrhunderts noch vereinzelt Ergebnisse besiedelt. Dies bestätigen Aufzeichnungen im Taxations-Notizen-Buch der Forstinspektion Bruterfolg Hildesheim, allgemeiner Teil, für den Hildeshei- Im Untersuchungszeitraum von 1988-2007 be- mer Wald wie folgt: trug der durchschnittliche Bruterfolg bei insge - • 1879: „Ein schwarzer Storch horstete im samt 147 flügge gewordenen Jungvögeln 3,06 Ziegenberge auf einer Eiche in einer Zwille juv./NPm (Nestpaare mit Bruterfolg) bzw. 2,94 etwa 15 m vom Boden“ juv./NPa (Nestpaare insgesamt). Ein Vergleich 278 MÖLLER : Der Schwarzstorch im Weser- und Leinebergland der Durchschnittsergebnisse für die beiden Überwinterungsgebiet in Afrika verbleiben, son - Siedlungsregionen Lüneburger Heide sowie dern vom ersten Jahr an im Sommer in ihr Brut- das Weser- und Leinebergland in Niedersach- gebiet zurückkehren. Sobald die Geschlechts- sen zeigt erhebliche Unterschiede. So betrug reife eintritt, sind diese Störche gezwungen, der durchschnittliche Bruterfolg für die Jahre einen Partner und ein geeignetes Revier mit von 1971-1996 (n = 564 Brutpaare) in der Lü- entsprechenden Nahrungshabitaten zu su- neburger Heide lediglich 2,83 juv./NPm bzw. chen. 2,31 juv./NPa ( MÖLLER & N OTTORF 1997). Dies geschieht durch Überfliegen großer Räu- Die Unterschiede erklären sich möglicherweise me in sehr kurzer Zeit. So konnte der in den durch die unterschiedlichen Siedlungsdichten. 1990er Jahren in Belgien mit einem Argos- Die hohe Siedlungsdichte in der Lüneburger Satelliten-Sender ausgestattete Schwarzstorch Heide wird in den Mittelgebirgsregionen des „Nausica“ unter anderem wie folgt geortet wer - Weser- und Leineberglandes nicht erreicht. Die den (Tab. 1; vgl. Projekt „Cigognes sans frontiè - häufig weiteren Flugstrecken zu den Nahrungs- res“; JADOUL et al. 2001): habitaten wirken sich offensichtlich nicht nach - Die Präzision der Satellitenpeilung ist unter - teilig auf den Bruterfolg aus. schiedlich. Die Genauigkeit schwankt zwischen weniger als 100 bis 300 m. Der Schwarzstorch Ankunft am Nest hatte z. T. erhebliche Strecken in kurzer Zeit Nach der Ankunft aus dem Winterquartier be- zurückgelegt. Ab Mai konnten schließlich ge- setzt der Schwarzstorch umgehend das Vorjah- häuft Ortungen dieses Individuums aus dem resnest und startet von hier Such- und ggf. relativ kleinen Waldstück „Schecken“ bei Balzflüge. Wenn das Vorjahresnest im Winter- Hameln erfasst werden. Die Nachsuche in die - halbjahr abstürzte oder der gesamte Nestbaum sem Bereich hat jedoch nicht zum Auffinden durch Windwurf umgerissen wurde, kann der eines besetzten Nestes geführt. Heimkehrer zunächst in den Nachbarbäumen bei der Suche nach dem bekannten Nest beob - Nestwechsel bei Störungen achtet werden. Nach der Ankunft aus dem Winterquartier be- Ganz anders verhält sich der noch nicht ge- setzten Schwarzstörche im Untersuchungsge- schlechtsreife Schwarzstorch, der eine Nest- biet in der Regel das Nest des Vorjahres. An- bindung aus dem Vorjahr nicht kennt. JADOUL et schließend erfolgt die Paarbildung und bei al. (2001) gelang durch Satellitentelemetrie der guten Wetterbedingungen werden Balzflüge Nachweis, dass die Schwarzstörche vor dem von beiden Partnern über dem Brutgebiet mit Erreichen der Geschlechtsreife nicht in ihrem einer Ausdehnung von 5-10 km durchgeführt.

Tab. 1: Auswahl von Peilungen des mit einem Argos-Satellitensender ausgesatteten Schwarzstorchs „Nausica“ bei Rückkehr aus dem Winterquartier am 9. und 14. April 1999. – Selection of positions received on 9th and 14th April 1999 from an Argos satellite transmitter on the back of Black Stork „Nausica“ on its way back from the winter quarter.

Datum Uhrzeit Koordinate N Koordinate E TK 25 Ortsangabe 09.04.1999 09.53 52°19`26 10°27`32 3628.4/8 Braunschweig 09.04.1999 10.58 51°57`36 09°29`13 4022.2/15 Bodenwerder/Weser 09.04.1999 11.42 52°27`54 09°44`09 3524.1/15 Langenhagen/Hannover 09.04.1999 13.07 52°01`37 09°52`15 3925.3/13 Hildesheimer Wald 09.04.1999 14.48 52°09`35 09°18`50 3821.2/14 Süntel/Hess. Oldendorf 09.04.1999 15.03 52°14`27 09°27`07 3722.4/3 Deister/Bad Münder

14.04.1999 10.08 52°10`26 08°35`02 3817.2/6 Bünde/NRW 14.04.1999 12.25 52°00`35 09°20`34 3922.3/11 Bad Pyrmont 14.04.1999 15.47 51°56`20 09°36`25 4023.4/1 Eschershausen Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 40 (2008) 279

Sollte das Nest schon besetzt sein, können wie dern. Wechselnester, die in aufeinanderfolgen - beim Weißstorch C. ciconia heftige Kämpfe den Jahren ohne das Vorliegen von Störungen ausgeführt werden. Nach Verschwinden des unterschiedlich besetzt werden, konnten im Geleges eines früh aufgetauchten Weibchens Weser- und Leinebergland nicht festgestellt wurde in einem Revier im Hildesheimer Wald werden. anschließend noch erfolgreich gebrütet. Das Zusammentreffen der gleichen Partner in auf - einanderfolgenden Jahren ist möglich und wäre Ansiedlung eines Schwarzstorchs aus der mit Hilfe einer Farbmarkierung einwandfrei Tschechischen Republik im Landkreis nachweisbar. In Niedersachsen werden die Hildesheim Schwarzstörche jedoch aus Schutzgründen Die Wiederbesiedlung ehemaliger Brutgebiete nicht beringt. In der Lüneburger Heide sind durch den Schwarzstorch ist von einer Vielzahl Nestbesetzungen von über 40 Jahren festge - von Faktoren abhängig. Neben verbesserten stellt worden ( MÖLLER & N OTTORF 1997). Klimabedingungen wird vor allem der nachlas - Meist verhindern nur gravierende Störungen im senden Verfolgung größte Bedeutung für den engeren Revier das Besetzen des Vorjahres- starken Bestandsanstieg eingeräumt. nestes. In wenigen Tagen wird dann ein neues Dieser Trend wurde zunächst durch eine Ver- Nest errichtet. Häufig wird auch ein vorhande - besserung der Lebensraumqualitäten im Be- nes Greifvogelnest in einer Entfernung von 1,5- reich der Baltischen Staaten sowie in Weiß- 10 km zum bisherigen Revier etwa 25 cm hoch russland begünstigt. Die Zunahme der dortigen überbaut und bezogen. Bestände führte zur Arealerweiterung nach Im Weser- und Leinebergland haben folgende Westen ( JANSSEN et al. 2004). Störungen zur Aufgabe des Vorjahresnestes Eine Dismigration findet jedoch nicht eindeutig geführt: in einer bestimmten Richtung statt. So hat im Jahr 2000 folgender farbig beringter Schwarz- Hildesheimer Wald: storch im Thüster Berg, Landkreis Hildesheim, a) Nest im Winterhalbjahr vom Baummarder erfolgreich gebrütet: Ring-Nr.: Praha B 32548 + Martes martes bezogen; orange 606. Der Vogel war am 16.06.1994 als b) Waldwegebau mit schweren Maschinen et- flugunfähiger Jungvogel in Branow, Distrikt wa 60 m vom Nest entfernt; Rakovnik, Praha/Tschechien beringt worden. c) Fällen eines Baumes in der sensiblen Balz- Er hat in 372 km Entfernung und in Richtung phase ca. 80 m vom Nest entfernt; Nord-West (308 Grad) vom Beringungsort in d) Starkes Auslichten eines benachbarten Fich- seinem 7. Lebensjahr erfolgreich gebrütet. Die tenbestandes. zeitaufwändige Identifizierung des Vogels gelang W. SENGE am 14.07.2000 mittels Spek- Hils: tiv aus einem Tarnzelt heraus. Ohne die zusätz - Ein Baummarder hatte im Winterhalbjahr etwa lich vorhandene farbige Markierung wäre die 70 m vom Nest entfernt eine Baumhöhle bezo - Ablesung nicht möglich gewesen. gen. Erfolgreiche Bruten fanden in diesem Revier auch 2001 und 2002 statt. Eine Kontrolle der Bückeberge: Brutvögel unterblieb jedoch aus Schutz- und Starker Holzeinschlag in der bisherigen Ein- Zeitgründen. flugschneise zum Brutbaum in 200 bis 300 m Entfernung zum Nest. Todesfälle Tod nach Aufnahme eines Angelhakens Heber: Am 07.07.2001 konnte in der Ricklinger Masch/ Vorjahresgelege mit großer Wahrscheinlichkeit Hannover ein toter Schwarzstorch geborgen vom Waschbär Procyon lotor ausgeräumt. werden, der durch einen abgerissenen, bekö - Bei einer vorhandenen Schwarzstorchpopu- derten Angelhaken umgekommen war. Der lation kann nur eine gravierende Störung das Haken hatte sich für den Vogel unlösbar in der Wiederbesetzen des Vorjahresnestes verhin - Zunge festgezurrt ( WENDT 2006). 280 MÖLLER : Der Schwarzstorch im Weser- und Leinebergland

Der Altvogel im Brutkleid war wahrscheinlich se reicht die vorhandene Nahrung für weitere auf Nahrungssuche und stammte von seinem Brutpaare nicht aus. Brutstandort im 15-20 km entfernten Deister. Für den Erhalt des relativ geringen Brutbestan- des wird es auch künftig notwendig sein, durch Anflug von Freileitungen Artbetreuer diese störungsempfindliche Art zu In der Brutphase 1993 verunglückte ein adulter schützen. So sind beispielsweise infolge der Schwarzstorch durch Anflug an eine Hoch- enorm gestiegenen Energiepreise immer mehr spannungsfreileitung über dem Bruchgraben, Privatleute beim Sammeln von Holz zu Heiz- den er zur Nahrungssuche regelmäßig aufge - zwecken in den Wäldern anzutreffen. 2008 ist sucht hatte. Der Handschwingenbruch wurde bereits im Heber, Landkreis Northeim eine Brut am gleichen Tag in der Tierärztlichen Hoch- der Art nach entsprechenden Störungen aufge - schule Hannover behandelt. Aufgrund der Wun- geben worden. de und der Stresssituation ist der Vogel nach wenigen Tagen eingegangen. Summary – The Black Stork Ciconia Es handelte sich um das Weibchen des Brut- nigra in the Weser-Leinebergland paares vom 16 km entfernten Escher Berg im () Hildesheimer Wald. Am Tag nach dem Vorfall The article describes the historical population wurde das Gelege bereits zerstört, als das development of Black Stork Ciconia nigra in the Männchen zur Nahrungssuche das Nest ver - Weser-Leinebergland and its resettlement of lassen hatte. Weitere vier Wochen später war the region. Details are given for reproduction, das Männchen bereits wieder neu verpaart nest-site changing and occupation of territories. ohne dass es zu einem Nachgelege kam. A Black Stork ringed as a juvenile in the Czech Republic has bred in the study area. Fur- Vertreibung eines Schwarzstorchpaares thermore causes of death and the presumable durch Windkraftanlage scaring away of a former breeding pair by the Im Thüster Berg im Landkreis Hildesheim hatte installation of a wind turbine at a distance of der Schwarzstorch etwa zehn Jahre jeweils 600 m to the nest-site are described. erfolgreich gebrütet. Im Jahre 2003 wurde die - ser Standort jedoch vermutlich deshalb aufge - Literatur geben, weil im Winterhalbjahr 2002/2003 etwa BECKER , P., & B. M ÖLLER (1993): Der Schwarzstorch 600 m vom Nest entfernt eine Windkraftanlage (Ciconia nigra ) ist wieder Brutvogel im Kreis Hil- errichtet worden war. desheim. Mitt. Ornithol. Ver. Hildesheim 15: 14-27. Ein neuer Standort für dieses Brutpaar konnte BRINKMANN , M. (1933): Die Vogelwelt Nordwest- bisher weder im Thüster Berg noch in der wei - deutschlands. Hildesheim. teren Umgebung gefunden werden. JADOUL , G., F. H OURLAY & A.-C. T OUSSAINT (2001): Mi- gration: satellite monitoring. In: Third International Black Stork Conference. Forneau Saint-Michel, Diskussion und Ausblick Belgium: 55. Die Wiederbesiedlung der Mittelgebirge durch JANSSEN , G., M. H ORMANN & C. R OHDE (2004): Der den Schwarzstorch erfolgte in wenigen Jahren. Schwarzstorch. N. Brehm-Bücherei 468. Hohen- warsleben. Dies gilt auch für die größeren Waldgebiete im MÖLLER , B., & A. N OTTORF (1997): Der Schwarzstorch Weser- und Leinebergland. So erreichte der (Ciconia nigra ) in Niedersachsen – Aktuelle und gesamte Brutbestand dieser Art für Nieder- historische Bestandssituation, Reproduktion, Habi- sachsen bereits 1996 insgesamt 46 Brutpaare tatansprüche und Schutzmaßnahmen. Vogelkdl. (MÖLLER & N OTTORF 1997). Inzwischen hat sich Ber. Niedersachs. 29: 51-61. der Bestand in Niedersachsen auf jährlich etwa WENDT , D. (2006): Die Vögel der Stadt Hannover. 40 Brutpaare reduziert. Im gleichen Verhältnis Hannover. hat sich der Bestand im Weser- und - bergland entwickelt. Die großen Wälder im Untersuchungsgebiet wurden jeweils von nur einem Brutpaar besiedelt, z. B. Hildesheimer Wald, Deister, Bückeberge usw. Möglicherwei-