Kindheit und Jugend im mexikanischen Exil

Diplomarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades

Magistra der Philosophie

an der Karl-Franzens-Universität Graz

vorgelegt von

Nina-Lisa DREKONJA

am Institut für Geschichte

Begutachterin: Priv.-Doz. Mag. Dr. phil. Strutz, Andrea

Graz, 2017

EHRENWÖRTLICHE ERKLÄRUNG Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht benutzt und die den Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen inländischen oder ausländischen Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht. Die vorliegende Fassung entspricht der eingereichten elektronischen Version.

Graz, April 2017 Nina-Lisa Drekonja

GLEICHHEITSGRUNDSATZ In der Diplomarbeit wurde auf geschlechterspezifische Formulierungen Rücksicht genommen. Sie werden einheitlich durch ein „Binnen-I“ gekennzeichnet.

ZUSAMMENFASSUNG Die Diplomarbeit behandelt das österreichische Exil in Mexiko. Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen Kinder und Jugendliche, die nach dem „Anschluss“ 1938 an das nationalsozialistische Deutschland gemeinsam mit ihren Familien aus Österreich vertrieben worden waren. Sie waren von den Nationalsozialisten aufgrund ihrer jüdischen Herkunft und bei einigen auch aufgrund ihrer politischen Orientierung (z.B. SozialistInnen und KommunistInnen) verfolgt worden. Grundsätzlich galt das Exilland Mexiko in dieser Zeit als eine Hochburg des antifaschistischen Exils. Die Flucht nach Mexiko verlief bei den sieben untersuchten Personen, die relevant für die vorliegende Arbeit sind, unterschiedlich. Drei von ihnen flohen auf direktem Weg von Österreich nach Mexiko aufgrund bereits dort lebender Familienmitglieder. Bei den restlichen vier Personen gab es mehrere Zwischenstationen, bevor sie endgültig nach Mexiko kamen. Frankreich als Exilland spielte hier eine zentrale Rolle. Bei allen vier Familien war Frankreich eine Zwischenstation, wo sie sich auch während ihrer Reise nach Mexiko für längere Zeit aufhielten. Anhand dieser sieben Lebensgeschichten werden Fluchtgeschichten und Erfahrungen von Kindern und Jugendlichen aus Österreich im mexikanischen Exil untersucht und dabei Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausgearbeitet.

ABSTRACT This paper deals with the topic of as an exile country during the Second World War between the years of 1938 and 1947. A special focus will be put onto the examination of the lives of exiled children from . Besides Jews political dissidents such as socialists and communists had been persecuted by Nazis. Over the years Mexico had established itself as a stronghold in terms of antifascism. The conducted research shows that the escape to Mexico was different for all of the seven relevant people. While three of them fled to Mexico on a direct route because of relatives already living in the country, the other four stopped at other stations before reaching their final destination Mexico. France must be mentioned as an important country of exile as each of these four people had a longer stay in France before they continued their journey to Mexico. Seven children present the sample providing relevant information about the life in the Mexican exile, whereby differences and potential similarities among the children´s lives will be further examined.

INHALTSVERZEICHNIS

Ehrenwörtliche Erklärung ...... 2

Gleichheitsgrundsatz ...... 3

Zusammenfassung ...... 4

Abstract ...... 5

Vorwort ...... 8

1 Einleitung...... 1

1.1 Exilforschung und die Gründung der Exilgesellschaften ...... 1

1.2 Annäherung an den Begriff „Exil“ ...... 4

2 Forschungsfrage und Forschungsstand ...... 6

2.1 Forschungsfragen ...... 6

2.2 Forschungsstand ...... 7

3 Quellen...... 11

4 Österreich zur Zeit des „Anschlusses“ 1938 – Flucht und Vertreibung ...... 14

5 Mexiko als Exilland im Zweiten Weltkrieg ...... 18

5.1 Die politische Entwicklung Mexikos von 1876 bis 1940 ...... 18

5.2 Aufnahmebedingungen in Mexiko ...... 20

5.3 Nationalsozialistische Strömungen in Mexiko ...... 23

5.4 Die Beziehung Mexikos zu Österreich, zum Völkerbund und die Haltung gegenüber dem „Anschluss“ an das nationalsozialistische Deutschland ...... 25

5.5 Politische und kulturelle Zusammenschlüsse im mexikanischen Exil ...... 27

6 Analyse von Erfahrungen von Kindern und Jugendlichen aus Österreich im mexikanischen Exil ...... 32

6.1 Biografien ...... 33

6.2. Erlebnisse und Erinnerungen aus dem mexikanischen Exil ...... 39

6.2.1 Fluchtgeschichten ...... 39

6.2.2 Erinnerungen an die Ankunft in Mexiko ...... 47

6.2.3 Erinnerungen an das Leben von Kindern und Jugendlichen im mexikanischen Exil ..... 51

6.2.4 Das Ende des Zweiten Weltkrieges und der Verlauf des weiteren Lebens der untersuchten Personen ...... 67

6.2.5 Heimat und Zugehörigkeit ...... 79

6.2.6 Gedanken zur Rückkehr nach Österreich ...... 83

6.3 Diskussion der Erlebnisse und Erinnerungen der untersuchten Kinder und Jugendlichen im mexikanischen Exil ...... 84

7 Resümee...... 91

8 Verzeichnisse ...... 93

Literaturverzeichnis ...... 93

Mündliche Quellen ...... 95

Audioquellen und Filmquellen ...... 95

Archivquellen ...... 95

Internetquellen ...... 96

9 Anhang...... 101

VORWORT Die Entscheidung, meine Diplomarbeit zu dem vorliegenden Thema „Kindheit und Jugend im mexikanischen Exil“ zu verfassen, reifte nach Absprache mit meiner Betreuerin Frau Doz. Dr. Andrea Strutz. Das Interesse am Forschungsgegenstand „Exil“ wuchs bereits in meiner Schulzeit. Hier recherchierte ich zu deutschsprachigen LiteratInnen, teilweise auch mit österreichischer Herkunft, welche ihre Heimatländer aufgrund von rassistischer oder auch politischer Verfolgung verlassen mussten. Im Fokus stand damals die deutschjüdische Schriftstellerin Anna Seghers. Hierzu verfasste ich ein Spezialgebiet, was heute als VWA bezeichnet wird, im Fach Deutsch für meine Matura. Während meines Studiums habe ich ein Seminar zum Thema „Der Weg ins Exil“ besucht. Während der Seminararbeit wurde meine Begeisterung für das „Exil“ neuerlich geweckt. Im Zuge der Diplomarbeit möchte ich mich verstärkt mit dem Forschungsgegenstand „Exil“ beschäftigen. Durch mein besonderes Interesse für Lateinamerika und meine Reisen dorthin habe ich mich für Mexiko entschieden. Eine erste Recherche zeigte, dass viele Aspekte zum österreichischen Exil in Mexiko bereits von anderen HistorikerInnen sehr ausführlich aufgearbeitet wurden. Aufschlussreiche Informationen lieferte mir das Werk „Österreicher im Exil Mexiko 1938-1947“ vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW) unter Mitarbeit von Christian Kloyber und Marcus G. Patka. Im Zuge dieser Auseinandersetzung entwickelte sich ein besonders Interesse für das Thema „Kindheit und Jugend im mexikanischen Exil“, das bislang auch nur wenig erforscht ist. Die Thematik passt gut zu meinem Bestreben, bei Kindern Interesse für Geschichte zu wecken, sie neugierig zu machen und schwer vermittelbare Zusammenhänge aus Geschichte und Gegenwart in den edukativen Alltag in der Schule einzubinden. Erkenntnisse aus der Exilforschung über Kinder und Jugendliche im Exil könnten dabei sehr hilfreich sein. In diesem Zusammenhang möchte ich mich zuallererst bei meiner Betreuerin Doz. Dr. Andrea Strutz bedanken, die mir in allen meinen Arbeitsphasen eine wertvolle Unterstützung war. Des Weiteren gebührt ein Dank sowohl meinen InterviewpartnerInnen Dr. Loewe und Frau Joan Brodovsky, die mir im Zuge unserer Gespräche wichtige Informationen und Auskünfte zum Thema gaben. Ein großer Dank gilt auch Dr. Christian Kloyber, der mir bei der Suche nach Interviewpartnern geholfen hat und auch wichtige Informationen zum Thema österreichisches Exil in Mexiko liefern konnte. Zudem möchte ich einen Dank an das Literaturhaus Wien und dem Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes äußern und für die wertvolle Unterstützung danken.

Auf liebevolle und tatkräftige Unterstützung konnte ich mich nicht nur im Zusammenhang mit dieser Arbeit, sondern auch während meines ganzen Studiums, meiner Schulzeit, meiner Kindheit – eigentlich solange ich zurückdenken kann – von meinen Eltern verlassen, deshalb möchte ich ihnen diese Diplomarbeit widmen.

1 EINLEITUNG Die vorliegende Arbeit gliedert sich in die Kapitel Einleitung, Forschungsstand und Forschungsfrage, Quellen und Methoden, Österreich zur Zeit des Anschlusses: Flucht und Vertreibung, Mexiko als Exilland im Zweiten Weltkrieg, Analyse von Erfahrungen von Kindern und Jugendlichen aus Österreich im mexikanischen Exil und dem Resümee. In der Einleitung wird ein Überblick über die Exilforschung und ihre Institutionen gegeben. Weiters werden wichtige Begriffe, die im Zusammenhang mit der Arbeit stehen, geklärt. Im Kapitel Forschungsstand und Forschungsfrage geht es darum, passende Forschungsfragen für die Arbeit zu formulieren wie auch den derzeitigen wissenschaftlichen Stand der Forschung zu erörtern. Österreich zur Zeit des Anschlusses: Flucht und Vertreibung bietet einen Überblick über die Geschehnisse in Österreich zur damaligen Zeit und beschreibt, welche Menschen von Flucht und Vertreibung betroffen waren. Im Kapitel Mexiko als Exilland werden die Geschichte des Landes Mexiko und seine Rolle als Asylland im Zweiten Weltkrieg beschrieben. Im Kapitel Analyse und Erfahrungen von Kindern und Jugendlichen im mexikanischen Exil werden die beschriebenen sieben Personen und ihre Erinnerungen wie auch Erlebnisse im Exil in Mexiko untersucht. Zudem werden auch die weiteren Lebensgeschichten nach dem Exil behandelt. Im abschließenden Resümee werden die wichtigsten Erkenntnisse zusammengefasst.

1.1 Exilforschung und die Gründung der Exilgesellschaften Im Zuge des Zweiten Weltkrieges mussten viele Menschen aus ihrem Heimatland fliehen, unter ihnen war auch Klaus Mann, ein Schriftsteller. Er verarbeitet seine persönlichen Erinnerungen über das Exil im Roman „Der Vulkan: Roman unter Emigranten“. Klaus Mann war einer jener Menschen, die dem Exil rein gar nichts Gutes abgewinnen konnten, wie man in diesem Roman nachlesen kann. Er bringt es kurz und präzise auf den Punkt: „Das Exil war nicht gut“ 1. Das wissenschaftliche Interesse an einer Auseinandersetzung mit Exilthemen setzte im deutschsprachigen Raum in den 1980er-Jahren ein. Zu diesem Zeitpunkt wurde beispielsweise die „Gesellschaft für Exilforschung“ in Deutschland gegründet.2

1 Klaus Mann, Der Vulkan: Roman unter Emigranten, Rowohlt Taschenbuch Verlag, 1999, 333. 2 Vgl. Gesellschaft für Exilforschung, Herzlich willkommen bei der Gesellschaft für Exilforschung, Gesellschaft für Exilforschung, URL: http://www.exilforschung.de/ (aufgerufen am 12.02.2017). 1 Inge Hansen-Schaberg beschreibt in ihrem Artikel „Exilforschung - Stand und Perspektiven“3 aus dem Jahr 2014 die Aufgaben und Ziele der Gesellschaft für Exilforschung. Jene hat es sich zur Aufgabe gemacht, die komplexe Problematik des Exils aus den deutschsprachigen Gebieten Mitteleuropas nach dem Januar 1933 interdisziplinär und auch unter einer geschlechterdifferenzierenden Perspektive aufzuarbeiten. Ein weiteres Ziel ist es, die Leistungen der Exilierten und auch der RemigrantInnen im Bereich der Künste und Kultur, der Wissenschaften und der Politik zu vermitteln, sowie für einen Dialog zwischen den Betroffenen und den nachfolgenden Generationen zu sorgen. Interessierte und WissenschaftlerInnen sollen in diesen eingebunden werden und mitwirken. Des Weiteren beschreibt Inge Hansen-Schaberg in ihrem Artikel die neuen Blickfelder der deutschen Forschung. Jene sind einerseits die Behandlung des Exils Einheimischer aus den vom NS-Reich besetzten Ländern und andererseits die Auseinandersetzung mit Wanderungsbewegungen unserer Zeit.4 In Österreich wurde erst einige Jahre später, im Jahr 2002 die „Österreichische Gesellschaft für Exilforschung“, kurz „öge“, gegründet.5 Auf der Homepage der „öge“ werden die Ziele und auch die Tätigkeiten dieser Gesellschaft beschrieben. Es handelt sich um einen zivilen, von staatlichen Instanzen unabhängigen Zusammenschluss von sowohl Exilierten, Interessierten als auch von Tätigen auf diesem Fachgebiet. Mit der Gründung dieser speziellen Gesellschaft soll aufgezeigt werden, dass es die grundsätzliche Bereitschaft gibt, sich mit dem Exil und dem damit entstandenen psychischen und materiellen Schaden der Betroffenen auseinanderzusetzen. Ziel ist es, Ansätze auf diesem Gebiet zu dokumentieren und diese auch über eine aktuelle Webseite an die Öffentlichkeit zu bringen. Ein großes Aufgabengebiet der Gesellschaft ist aktuell und soll es nach dem Willen der Verantwortlichen auch weiterhin sein, dass auf die Bedeutung des Exils im Rahmen von zeitgeschichtlichen und kulturellen Aufklärungsprojekten, wie dem „Haus der Geschichte“ hingewiesen wird. Es soll möglichst verhindert werden, dass wertvolle Forschungen aufgrund von geringem Interesse am Thema vorzeitig abgebrochen werden müssen oder gar nicht erst begonnen werden können6 Auf der Homepage im Abschnitt Ziele wird mit einem Folder aus dem Jahre 2013 erklärt, was die „öge“ ist, nämlich „ein Verein zur wissenschaftlichen Erforschung und Thematisierung von

3 Vgl. Inge Hansen-Schaberg, Exilforschung – Stand und Perspektiven, Bundeszentrale für politische Bildung, URL: http://www.bpb.de/apuz/192561/exilforschung-stand-und-perspektiven?p=all (aufgerufen am 12.02.2017). 4 Vgl. ebd. 5 Österreichische Gesellschaft für Exilforschung, Herzliche willkommen auf unserer Webseite, ÖGE, URL: http://www.exilforschung.ac.at/ (aufgerufen am 03.02.2017). 6 Vgl. Österreichische Gesellschaft für Exilforschung, Ziele, ÖGE, URL: http://www.exilforschung.ac.at/pdocs/ziele.php (abgerufen am 22.01.2017). 2 Vertreibung, Flucht und Exil in der Zeit von Faschismus und Nationalsozialismus mit Schwerpunkt Österreich und Bezug auf Asyl und Migration heute.“7

Im Detail sind folgende Ziele der Österreichischen Exilforschung auf der Homepage der „öge“ beschrieben: 1. „Die systematische Berücksichtigung von Exil und Migration auf dem Gebiet der Wissenschaft und der politischen Aufklärung im Rahmen zeitgeschichtlicher Ausstellungen und von Museumsprojekten zur Geschichte Österreichs. 2. Die Ermöglichung einer systematischen Sammlung der Zeugnisse, Dokumente, Erinnerungen österreichischer Exilierter, ehe eine solche Sammlung unmöglich geworden ist. 3. Die Einrichtung einer interdisziplinären Studienrichtung Exil- und Migrationsforschung sowie Errichtung eines Instituts für Exil- und Migrationsforschung. 4. Die Vermehrung der Anstrengungen, die wissenschaftlichen und kulturellen Errungenschaften aus Österreich Exilierter in Österreich bekannt und zugänglich zu machen. 5. Die Sicherung der Infrastruktur der vorhandenen Einrichtungen auf dem Gebiet der Exilforschung. Regelmäßige und ausreichende Förderung der Exil– und Migrationsforschung durch die öffentliche Hand und private Geldgeber. 6. Die Hebung des Ansehens der ExilforscherInnen durch Ausschreibung eines Wissenschaftspreises für hervorragende Leistungen auf dem Gebiet der Exilforschung.“8

Auf der Homepage der „öge“ unter der Rubrik „Ziele“ wird beklagt, dass es zwar bis heute keinen Lehrstuhl für die Holocaust- und Exilforschung in Österreich gibt, ebenso wird der Umstand beklagt, dass auch noch nie eine umfassende Ausstellung im Bereich Exil stattgefunden hat. Aber es wird auch festgehalten, dass seit etwa fünfzehn Jahren eine zunehmende Zahl, allesamt in kleineren Ausmaßen und Umfängen, von Forschungsprojekten, Musikveranstaltungen, Dissertationen, Diplomarbeiten, Buchpublikationen und Ausstellungen entstanden sind, welche sich mit dem Exil und auch mit dem Werk und Schicksal der Exilierten beschäftigen.9 Wie des Weiteren beschrieben wird, geht es bei der Exilforschung um

7 Österreichische Gesellschaft für Exilforschung, Österreichische Gesellschaft für Exilforschung (öge), ÖGE, URL:http://www.exilforschung.ac.at/pdocs/oege_folder_2013_web.pdf (abgerufen am 02.02.2017). 8 Österreichische Gesellschaft für Exilforschung, Ziele. 9 Vgl. Österreichische Gesellschaft für Exilforschung, Statuten, ÖGE, URL: http://www.exilforschung.ac.at/pdocs/statuten.pdf (abgerufen am 02.02.2017). 3 Erinnerungsarbeit, aber nicht als Konservierung derselben, sondern als Beitrag zur Zukunftssicherung. Die Wiederholung jener Ereignisse aus Vergesslichkeit unbedingt zu vermeiden ist das große gemeinsame Ziel. Unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen haben sich des Themas angenommen, pädagogische, soziologische und therapeutische Herangehensweisen wurden entwickelt und beschrieben.10

1.2 Annäherung an den Begriff „Exil“ In der wissenschaftlichen Literatur existieren verschiedene Annäherungen an die Begriffe „Flucht“, „Vertreibung“ und „Exil“. Im Folgenden werden unterschiedliche Annäherungen an diese Begriffe diskutiert, die im Zusammenhang mit der vorliegenden Arbeit relevant sind. Der Begriff „Exil“ leitet sich vom lateinischen „exilum“ ab und bedeutet Verbannung. Das „Exil“ wurde bereits früh dokumentiert, in der Bibel oder in diversen antiken Dramen und Epen.11 Relativ neu dagegen ist die Berücksichtigung psychischer als auch sozialer Belastungen in den Definitionen.12 Jochen Oltmer beschreibt in seinem Werk „Globale Migration, Geschichte und Gegenwart“ unterschiedliche Formen der Migration. Laut Oltmer lassen sich seit der Neuzeit unterschiedliche Erscheinungsformen von Bevölkerungsbewegungen auf globaler Ebene fassen. Dieser Begriff lässt sich nach Oltmer wie folgt definieren: „Migration, die sich alternativlos aus einer Nötigung zur Abwanderung aus politischen, ethno-nationalen, rassistischen oder religiösen Gründen ergibt. (Flucht, Vertreibung, Deportation, Umsiedlung).“13 Über den Zusammenhang von Migration und Exil schreibt Paul Lützeler, dass Migration der Oberbegriff für die unterschiedlichen Wanderungsbewegungen menschlicher Gruppen ist und das Exil eine seiner Sonderformen darstellt.14 Weiters plädiert er für eine genaue Unterscheidung von „Exil“ und „Emigration“, denn „Exil und Emigration sind insofern voneinander zu unterscheiden als Ersteres als Resultat einer Vertreibung erzwungen ist, Emigration jedoch auf einer freien Entscheidung beruht […].“15

10 Vgl. Österreichische Gesellschaft für Exilforschung, Ziele. 11 Vgl. Paul Michael Lützeler, Migration und Exil in Geschichte, Mythos und Literatur, in: Bettina Bannasch/Gerhild Rochus (Hg.), Handbuch der deutschsprachigen Exilliteratur, Berlin 2013, 4-16. 12 Vgl. ebd., 4-21. 13 Jochen Oltmer, Globale Migration, Geschichte und Gegenwart, München 2012, 19. 14 Vgl. Paul Michael Lützeler, Migration und Exil in Geschichte, Mythos und Literatur, in: Bettina Bannasch/Gerhild Rochus (Hg.), Handbuch der deutschsprachigen Exilliteratur, Berlin 2013, 4. 15 Ebd., 4. 4 Im „Handbuch der deutschsprachigen Exilliteratur: Von Heinrich Heine bis Herta Müller“ wird Wolfgang Frühwald, ein deutscher Literaturwissenschaftler, mit seiner Überlegung zum Exil zitiert: „Unter Exil wird der meist durch religiöse, politische oder rassische Verfolgung bedingte, auf Rückkehr in die Heimat angelegte Aufenthalt verstanden, nach Flucht, Verbannung, Verfolgung oder Ausbürgerung“16 Wolfgang Frühwald bringt in seiner Definition den Begriff „Rückkehr“ mit ein, was einen Unterschied zu den obigen Definitionen darstellt. Der deutsche Schriftsteller Bertold Brecht musste wie viele andere Menschen im Jahr 1933 nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten Deutschland verlassen. Er verarbeitete seine Emigrationsgeschichte unter anderem in dem Gedicht mit dem bezeichnenden Titel „Über die Bezeichnung Emigrant“:

„Immer fand ich den Namen falsch, den man uns gab: Emigranten. Das heißt doch Auswanderer. Aber wir Wanderten doch nicht aus, nach freiem Entschluss Wählend ein anderes Land. Wanderten wir doch auch nicht Ein in ein Land, dort zu bleiben, womöglich für immer. Sondern wir flohen. Vertriebene sind wir, Verbannte. Und kein Heim, ein Exil soll das Land sein, das uns aufnahm. Unruhig sitzen wir so, möglichst nahe an den Grenzen Wartend des Tages der Rückkehr, jede kleinste Veränderung Jenseits der Grenzen beobachtend […].“17

In diesem Gedicht bringt Brecht einen für ihn bedeutsamen Unterschied zwischen „Heim“ und „Exil“ zum Ausdruck. Dem Gedicht ist zu entnehmen, dass er die politischen Geschehnisse in der Heimat genau beobachtete, auf Veränderungen hoffte und immer das Ziel einer Rückkehr vor Augen hatte.18 Gemeinsam machen alle vorgenannten Definitionen deutlich, dass das Exil für die Betroffenen ein vorübergehender Zustand sein soll und dass die Exilsuchenden keine einfachen Auswanderer aus freiem Willen sind.

16 Ebd., 8. 17 Kerstin Schirp, Die Wochenzeitung "Semanario Israelita": Sprachrohr der deutsch-jüdischen Emigranten in Argentinien, Münster 2001, 12; Paul Michael Lützeler, Migration und Exil in Geschichte, Mythos und Literatur, 9. 18 Vgl. Paul Michael Lützeler, Migration und Exil in Geschichte, Mythos und Literatur, in: Bettina Bannasch/Gerhild Rochus (Hg.), Handbuch der deutschsprachigen Exilliteratur, Berlin 2013, 9. 5 2 FORSCHUNGSFRAGE UND FORSCHUNGSSTAND Für eine genauere Fassung der Thematik werden in diesem Kapitel die Forschungsfragen und der Forschungsstand geklärt.

2.1 Forschungsfragen Für die Auseinandersetzung mit dem Thema „Kindheit und Jugend im mexikanischen Exil“, werden folgende Forschungsfragen herausgearbeitet:

Im Zuge der Arbeit wird analysiert, wie es Kinder und Jugendlichen, die mit ihren Familien aus Österreich fliehen mussten, im Exil in Mexiko ergangen ist. Welche Erfahrungen im Exil haben sie ganz besonders geprägt?

Wie erfolgte der Kontakt mit den Menschen und der Kultur im Zufluchtsland? Mit welchen Problemen hatten speziell vertriebene Kinder und Jugendliche zu kämpfen? Wie war der Integrationsprozess von Kindern und Jugendlichen aus Österreich in die mexikanische Gesellschaft?

Welche Auswirkungen hatten die Erfahrungen in der Zeit des Exils auf die weiteren Lebensgeschichten der untersuchten Personen? Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede treten in ihren Lebensgeschichten später zutage?

Für die Untersuchung von persönlichen Erlebnissen und Erfahrungen von österreichischen Kindern und Jugendlichen im mexikanischen Exil wurden sieben Personen ausgewählt. Unter ihnen befinden sich der spätere Historiker und Lateinamerikaforscher Friedrich Katz, die Anthropologin Ruth Deutsch de Lechuga, Ricardo Loewe, ein Arzt, Oscar Römer, ein Architekt, wie auch der Autor und Schauspieler Bruno Schwebel. Obwohl die Quellenlage bei Alejandro Zohn, ebenfalls Architekt, und Lisa Freistadt, Tochter des kommunistischen Journalisten Benedikt Freistadt – besser bekannt unter dem Namen Bruno Frei –, die zur Gruppe der österreichischen Kinder und Jugendlichen im mexikanischen Exil zählen, nur sehr dünn ist, wurden auch sie in die Untersuchung miteinbezogen. Einige der genannten Personen wurden mit Hilfe des Werkes „Österreicher im Exil, Mexiko 1938-1947“ eruiert.19 Darüber hinaus war

19 Vgl. Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (Hg.), Österreicher im Exil Mexiko 1938- 1947, Wien 2002. 6 der Historiker und Mexikokenner Christian Kloyber durch seine vielseitigen Kontakte behilflich, geeignete Personen, über die man forschen kann, zu finden. Ausgewählt wurden nur ÖsterreicherInnen, die zum Zeitpunkt der Flucht nicht älter als 18 Jahre alt waren und mit ihren Familien ins mexikanische Exil flüchten mussten.

2.2 Forschungsstand Laut Inge Hansen-Schaberg sind wissenschaftliche Untersuchungen im Rahmen der Exilforschung Rekonstruktionsbemühungen, die Auswirkungen des Exils auf Traditionen oder die Fragen, wie Kultur und Wissensgut in den jeweiligen Exilumgebungen aufrechterhalten und weiterentwickelt werden konnten, Gegenstand der Forschung. Hansen-Schaberg beschreibt, dass das Exil auch als die „Erfahrung der Fremde“ bezeichnet werden kann. Des Weiteren schildert sie die Aufgaben der Exilforschung. Hierzu zählen das Schulen des kulturellen wie auch kommunikativen Gedächtnisses am anthropologischen und historischen Gegenstand. In der Exilforschung sollen vernachlässigte Themen aufgegriffen, vorgestellt und in weiterer Folge ins historische Bewusstsein gerückt werden. Bereits während der Zeit im Exil wurde gesammelt, Quellen wurden aufbewahrt und öffentlich zugänglich gemacht, sowie Exilbibliotheken wurden eingerichtet.20 Ein besonders hervorzuhebender positiver Effekt im Rahmen der Exilforschung soll nicht unerwähnt bleiben: Es haben sich zahlreiche Kontakte zu Exilierten wie auch zu deren Nachkommen entwickelt.21 Laut Hansen-Schaberg ist Exilforschung auch Erinnerungsarbeit. Die Verfolgung und Vertreibung in der Zeit des Nationalsozialismus soll nicht in Vergessenheit geraten. Es geht in der Exilforschung um die Erarbeitung wie auch Aufarbeitung von einzelnen Lebensgeschichten und Kollektivbiografien. Zugleich gilt es auch, vergessene Ideen und Werke dieser Menschen zu würdigen. Leistungen von ExilantInnen im Aufnahmeland lassen sich so erahnen. Bestandsaufnahmen dieser Art ermöglichen es, die Wirkungen der Vertreibung und auch die Verluste begreifbar und einschätzbar zu machen.22 Auch bei Karl-Walter Beiser ist Erinnerungsarbeit ein wesentlicher Teil der Exilforschung. Für ihn sind Erinnerungen nichts Fixes, sie verändern sich ständig, denn jeder Mensch überarbeitet seine Erinnerungen im Laufe des Lebens. Es wird speziell die Gewichtung der Lebenserzählung verändert, denn diese ist von

20 Vgl. Hansen-Schaberg, Exilforschung – Stand und Perspektiven. 21 Vgl. Österreichische Gesellschaft für Exilforschung, Ziele, ÖGE, URL: http://www.exilforschung.ac.at/pdocs/ziele.php (abgerufen am 22.01.2017); Inge Hansen-Schaberg, Exilforschung – Stand und Perspektiven, Bundeszentrale für Bildung und Forschung, URL: http://www.bpb.de/apuz/192561/exilforschung-stand-und-perspektiven?p=0 (abgerufen am 10.02.2017). 22 Vgl. Hansen-Schaberg, Exilforschung – Stand und Perspektiven. 7 der gegenwärtigen Situation der sich erinnernden Person abhängig. Dies bedeutet konkret, dass Erlebnisse, die einmal wichtig waren, an Bedeutung verlieren können und dafür treten andere Erinnerungen in den Vordergrund. Eine ähnliche Theorie gilt auch für das gesellschaftliche, kollektive Erinnern. Hier muss es allerdings einen Diskurs über die Erinnerungskultur geben.23

Diese Arbeit richtet den Fokus auf ein bislang wenig untersuchtes Feld, nämlich auf Kindheit und Jugend im Exil. Dies wird am Beispiel des österreichischen Exils in Mexiko näher gefasst. Das österreichische Exil in Mexiko wurde bislang von nur wenigen HistorikerInnen bearbeitet, welche im Folgenden erläutert werden. Der Forschungsgegenstand „Österreichisches Exil in Mexiko“ ist gering. Es haben sich immer wieder ein paar HistorikerInnen mit dieser Thematik befasst. Das Interesse am österreichischen Exil scheint punktuell verlaufen zu sein. Wolfgang Kießling, ein ostdeutscher Historiker, hat sich in den 1970er-Jahren mit dem „Deutschen Exil in Mexiko“ beschäftigt. Er veröffentlicht dazu sein Werk „Alemania Libre in Mexiko: Ein Beitrag zur Geschichte des antifaschistischen Exils (1941-1946)“24, in welchem er die Situation der ÖsterreicherInnen im mexikanischen Exil in groben Zügen mit thematisiert. Im Jahr 1975 referiert Kießling im Zuge des „Internationalen Symposiums zur Erforschung des österreichischen Exils von 1934 bis 1945“25 über die Geschichte der österreichisch-deutschen Zusammenarbeit im mexikanischen Exil in Wien. Zu Beginn spricht er über die Bedeutung Mexikos als Exilland und warum dieses gerade für antifaschistische ÖsterreicherInnen von Interesse war. In weiterer Folge geht er auf die Gruppierungen „Accion Republicana austriaca de mexico“ und auf die Bewegung „Freies Deutschland“, wie auch auf den „Heinrich-Heine-Klub“ ein und beschreibt anhand dieser Gruppierungen die Zusammenarbeit der ÖsterreicherInnen und Deutschen im Exil. Im Jahr 1980 erscheint ein weiteres Werk von Kießling „Exil in Lateinamerika— Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil 1933-1945“26, wo er in einigen Unterkapiteln auf Mexiko eingeht. Er beschreibt etwa die Politik von Lazaro Càrdenas und ihre Auswirkungen. Sieben Jahre nach der Publikation Kießlings bearbeitet der Österreicher Christian Kloyber im Rahmen seiner Dissertation mit dem Titel „Österreichische Autoren im mexikanischen Exil 1938-1945: ein Beitrag zur antifaschistischen österreichischen Exilliteratur“ das österreichische

23 Vgl. Karl-Walter Beise, Kultur des Erinnerns, Berlin, 2006, 5. 24 Wolfgang Kießling, Alemania Libre in Mexiko: Ein Beitrag zur Geschichte des antifaschistischen Exils (1941- 1946), Akademie-Verlag, Berlin, 1974. 25 Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes und Dokumentenstelle für neuere österreichische Literatur (Hg.), Protokoll des Internationalen Symposiums zur Erforschung des österreichischen Exils von 1934 bis 1945, Österreichischer Bundesverlag für Unterricht, Wissenschaft und Kunst, Wien, 1977 26 Wolfgang Kießling, Exil in Lateinamerika— Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil 1933-1945, Band 4, Verlag Philipp Reclam jun., Leipzig, 1980. 8 Exil in Mexiko.27 Ebenfalls aus dem Jahr 1987, im Sammelband „Vertriebene Vernunft 2 — Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft“28 wurde ein Artikel von Christian Kloyber mit dem Titel „Einige Anmerkungen zum Exil österreichischer Intellektueller in Mexiko 1938 bis 1945“ veröffentlicht. In diesem Beitrag geht es vorwiegend um österreichische DirigentInnen, KünstlerInnen, ÄrztInnen, SchriftstellerInnen und NaturwissenschaftlerInnen im mexikanischen Exil und ihre Gruppierungen und Vereine. Im Werk „Mexiko, das wohltemperierte Exil“29 gibt es diverse Beiträge zu Mexiko. Friedrich Katz etwa schreibt über „Das Bild der Mexikanischen Revolution in den Augen der politischen Flüchtlinge in Mexiko“. Auch Rudolfo Stavenhagen beschreibt die „Demokratie, Modernisierung und soziale Veränderungen in Mexiko“. Von Christian Kloyber gibt es einen Artikel über „Wolfgang Paalen. Das Abenteuer einer Biografie“. In diesem Beitrag beschreibt er die Beziehung Österreichs zu Mexiko, speziell die Entwicklungen nach dem „Anschluss“ im Jahr 1938. Eine weitere wichtige Grundlage für die Thematik bildet das Werk „Österreicher im Exil — Mexiko 1938-1947“.30 In diesem Werk, herausgegeben vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, geht es speziell nur um ÖsterreicherInnen im mexikanischen Exil. In 9 Kapiteln werden neben dem „mexikanischen Protest“ die Position des Nationalsozialismus in Mexiko, die Flucht aus Europa und Wege nach Mexiko, Zusammenarbeit zwischen Österreichern und Deutschen, die Geschichte der „ARAM“, das Kulturprogramm der „ARAM“ und der österreichische Beitrag zum Heinrich-Heine-Klub, die UDÖS, die Legitimisten und die Frei-Österreich-Bewegung und zuletzt die schwierige Rückkehr nach Österreich behandelt. Insgesamt umfasst das Werk 704 Seiten. Innerhalb dieser widmeten sich die Autoren einmal kurz der Thematik „Kindheit und Jugend im Exil“. Es wird die Situation der Gruppe „Freie Jugend“ in Mexiko auf mageren sechs Seiten abgehandelt. Studien zur Kindheits- und Jugendforschung im Exil setzten erst spät ein, Hildegard Feidl- Mertz war eine der ersten, die sich mit dieser Thematik beschäftigt hatte. Im „Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933-1945“ wurden erstmals Übersichtsbeiträge zur Kindheit und Jugend im Exil verfasst.31 Konkret behandelten die beiden Wissenschaftlerinnen, Hansen-

27 Christian Kloyber, Österreichische Autoren im mexikanischen Exil 1938-1945: ein Beitrag zur antifaschistischen österreichischen Exilliteratur, Wien,1987. 28 Friedrich Stadler (Hg.), Vertriebene Vernunft II – Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft 1930- 1940, Wien, 1987. 29 Renata von Hanffstengel, Cecilia Tercer Vasconcelos, Solke Wehner Franco, Mexiko das wohltemperierte Exil, Instituto de Investigaciones Interculturales Germano-Mexicanas, A.C., 1995 30 Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (Hg.), Österreicher im Exil Mexiko 1938-1947, mit Geleitwort von Friedrich Katz, Wien 2002. 31Vgl. Claus-Dieter Krohn, Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933-1945, Berlin 2012. 9 Schaberg und Feidl-Mertz die Themen „Kindheit und Jugend“ sowie „Schule“. Seither hat sich das Interesse am Kindheitsexil gesteigert und es ist ein wichtiges Thema auch in der Exilforschung geworden. Ende der 1990er-Jahre gab es internationale Konferenzen wie auch einige Beiträge in verschiedenen Jahrbüchern.32 Neuere Beiträge zur Thematik Kindheitsexil wurden im Jahrbuch „Kindheit und Jugend im Exil – Ein Generationenthema“ im Jahr 2006 veröffentlicht.33 Im diesem Werk ist nachzulesen, dass besonders im Exil gegründete Schulen wichtige Anlaufstellen und gleichzeitig Orte der Zuflucht waren. Aspekte der Betreuung, Erziehung und Bildung von Kindern und Jugendlichen werden im Werk ausführlich behandelt. In der Einleitung wird erläutert, dass das Kindheitsexil als eigenständige Forschung erst seit den späten 1990er-Jahren intensiver aufgearbeitet wurde. Die späte Beschäftigung mit dem Thema „Kindheit und Jugend im Exil“ wird damit begründet, dass es sowohl mangelndes Interesse der WissenschaftlerInnen wie auch der breiten Masse gegeben hat als auch ein Problem mit der dürftigen Quellenlage vorliegen könnte.34

32 Vgl. Martha Friedenthal-Haase, Bildung und Erziehung – Emigration und Remigration in der Pädagogik – Heft 1/2009, Bielefeld, 2009, 105. 33 Vgl. Claus-Dieter Krohn/Erwin Rotermund/Lutz Winckler /Wulf Köpke (Hg) Die Jahrbücher der Gesellschaft für Exilforschung: Kindheit und Jugend im Exil - Ein Generationenthema. Band 24, Würzburg, 2006. 34 Vgl. ebd., 9f. 10 3 QUELLEN Für die Erarbeitung der Thematik „Kindheit und Jugend im mexikanischen Exil“ wurden sowohl Fachliteratur als auch historische Quellenbestände verwendet. In der Geschichtswissenschaft sind historische Quellen von zentraler Bedeutung; sie stellen eine wichtige Arbeitsgrundlage dar. Darunter versteht man grundsätzlich „alle Texte, Gegenstände oder Tatsachen, aus welchen Kenntnisse über die Vergangenheit gewonnen werden können“.35 Grundlegende Fachliteratur für diese Arbeit bilden die Publikationen von Wolfgang Kießling36, und Christian Kloyber37 über das österreichische Exil in Mexiko. Auch periodisch erscheinende Zeitschriften wie „ila Das Lateinamerika-Magazin“, die „Latein Amerika Nachrichten“ und auch die Zeitschrift „Zwischenwelt“, herausgegeben von der Theodor Kramer Gesellschaft, liefern wertvolle Informationen zum Thema. In der vorliegenden Arbeit kommen unterschiedliche Quellengattungen zum Einsatz. Es wurden schriftliche und mündliche Quellen (Interviews) sowie Audio- und Filmquellen verwendet. Das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes widmete den österreichischen NS-Flüchtlingen in Mexiko einen eigenen Band in der Reihe „Österreicher im Exil“.38 Dieser Band ist für die vorliegende Arbeit eine wesentliche Informationsquelle, denn er enthält verschiedene zeitgenössische Schriftstücke und Quellen (Briefe, Presseberichte, Telegramme, Interviewauszüge, Berichte) sowie auch Erinnerungsberichte von vertriebenen ÖsterreicherInnen, die in Mexiko Zuflucht fanden. Im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes wurde zusätzlich recherchiert, ob über die im Exil-Band abgedruckten Quellen hinaus noch weitere Materialien vorhanden sind. Diese Recherche brachte eine Briefsammlung von Bruno Frei an seine Kinder Hans und Lisa zu Tage, welche teilweise für die vorliegende Arbeit verwendet wurde. Im Literaturhaus in Wien gibt es seit 2015 den Nachlass von Bruno Schwebel, der eine wichtige Grundlage für diese Arbeit ist. Neben schriftlichen Dokumenten, wie seine autobiografischen Erzählungen, gibt es auch Ton- und Filmdokumente von und über Bruno Schwebel.

35 Kirn Paul, Einführung in die Geschichtswissenschaft, Berlin 1968, 29. 36 Vgl. Wolfgang Kießling, Exil in Lateinamerika: Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil 1933-1945, Band 4, Leipzig, 1980. 37Vgl. Christian Kloyber, Österreichische Exilkultur in Mexiko. URL: http://www.literaturepochen.at/exil/multimedia/pdf/exilkulturmexiko.pdf (abgerufen am 17.01.2017) und Christian Kloyber, Österreichische Autoren im mexikanischen Exil 1938 bis 1945. 38 Vgl. Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (Hg.), Österreicher im Exil Mexiko 1938- 1947, mit Geleitwort von Friedrich Katz, Wien 2002. 11 Zu den mündlichen Quellen zählen diverse Interviews. Das fremdgeführte Interview stammt von Konstantin Kaiser und wurde geführt mit Friedrich Katz.39 Es ist im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes zu finden. Zwei Interviews mit betroffenen ZeitzeugInnen wurden selbst geführt mit Ricardo Loewe40 und Joan Brodovsky41, der Witwe von Bruno Schwebel. Zu den Audioquellen zählt ein Interview von Bruno Frei. Es stammt aus „Österreichische Mediathek“ Audioarchiv42. Unter dem Titel „Geschichten und Geschichte – Autobiographische Aussagen von Bruno Frei“, welche im März 1979 entstanden sind, berichtet er über seine Flucht aus Deutschland, seine Emigration nach Frankreich, die Flucht seiner Familie und sein Leben im mexikanischen Exil. Für die vorliegende Arbeit wird auch der Dokumentarfilm „AT HOME FAR AWAY FROM HOME“ („IN DER FREMDE ZU HAUS“)43, gestaltet von Christian Kloyber und Hubert Canaval, als Quelle herangezogen. Im Film sprechen drei ZeitzeugInnen (Bruno Schwebel, Oscar Römer, Ruth Deutsch de Lechuga) über ihre Erinnerungen und Erlebnisse im mexikanischen Exil und über den Verlauf ihres weiteren Lebens. Der Film entstand im Jahr 2004 und wurde an den Originalschauplätzen in Veracruz und Mexico City gedreht. Zusätzliche Informationen kommen auch von „Freies Radio Salzkammergut“.44 Dort gibt es eine Sendereihe mit dem Titel „Fluchtpunkte — Literarische Miniaturen aus dem Exil“, in welcher Christian Kloyber über die Flucht aus Österreich und die weiteren Lebensstationen von Bruno Schwebel berichtet. Vorwiegend geht es in dieser Untersuchung um die Erfahrungen ausgewählter österreichischer Kinder und Jugendlicher im Exil in Mexiko und um die Auswirkungen dieser Erfahrung auf ihre weiteren Lebensverläufe. Es ist jedenfalls zu bedenken, dass die schriftlichen und mündlichen Aussagen der untersuchten Personengruppe über ihre Erlebnisse und Erfahrungen als Kinder und Jugendliche in Mexiko Erinnerungen sind und erst in einem fortgeschrittenen

39 Vgl. Interview mit Friedrich Katz und Konstantin Kaiser, geführt am 22.12.1984, Transkription im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes. 40 Vgl. Interview mit Ricardo Loewe, geführt 15.12.16 Aufnahmen und Transkription beim Autor. 41 Vgl. Interview mit Joan Brodovsky, geführt 7.2.17 Aufnahmen und Transkription beim Autor. 42 Vgl. Wolfgang Kos, Geschichten und Geschichte – Autobiographische Aussagen von Bruno Frei, Österreichische Mediathek, http://www.mediathek.at/atom/04A52088-2C6-00007-00000548-04A49C64/ (abgerufen am 10.02.2017). 43 Vgl. Hubert Canaval, In der Fremde zu Haus, 96min, Mexiko 2004. 44 Vgl. Freies Radio Salzkammergut, Sendereihe: Fluchtpunkte – Literarische Miniaturen aus dem Exil, Freies Radio Salzkammergut, URL: http://freiesradio.at/fluchtpunkte-literarische-miniaturen-aus-dem-exil/ (abgerufen am 12.02.2017). 12 Lebensalter getroffen wurden; daher können diese von später gemachten Erfahrungen auf unterschiedliche Weise beeinflusst und überlagert sein.45

45Vgl. Aleida Assmann, Erinnerungsräume. Formen und Wandel des kulturellen Gedächtnisses, München: C.H. Beck Verlag, 1999. 13 4 ÖSTERREICH ZUR ZEIT DES „ANSCHLUSSES“ 1938 – FLUCHT UND

VERTREIBUNG Nach dem „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland und der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten in Österreich begann eine Welle der Gewalt in Form von Plünderungen, Enteignung und Vertreibung.46 Besonders von der nationalsozialistischen Verfolgungspolitik betroffen waren Menschen jüdischer Herkunft (Verfolgung aus rassistischen Gründen) und politisch Andersdenkende, das waren vor allem „Mitglieder der politischen Linksparteien […]“.47 Die jüdische Bevölkerung in Österreich wurde von Beginn an gezielt entrechtet.48 Basis für die rassistische Verfolgung von JüdInnen aus Österreich waren die „Nürnberger Rassengesetze“. Diese wurden am 20. Mai 1938 in Österreich in Kraft gesetzt.49 Hermann Göring, Oberbefehlshaber der Luftwaffe, sprach bereits im April 1938 davon, Österreich binnen fünf Jahren „judenfrei“ machen zu wollen.50 Nach dem „Anschluss“ verdrängten die NS- Machthaber JüdInnen gezielt aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben, die jüdische Bevölkerung wurde beraubt („Arisierung“ von Betrieben und Geschäften), und letztendlich hatte die NS- Verfolgungspolitik das Ziel, die jüdische Bevölkerung aus Österreich zu vertreiben.51 „Die finanzielle Ausplünderung entzog der jüdischen Bevölkerung die wirtschaftliche und soziale Lebensgrundlage und zwang sie – meist unter Verlust des gesamten Vermögens – zur Auswanderung.“52 Die Verfolgten mussten Österreich ohne finanzielle Mittel verlassen, denn ihre Betriebe, Wohnungen waren enteignet worden und die Bankkonten gesperrt.53 Laut dem Historiker Albert Lichtblau waren über 130.000 ÖsterreicherInnen auf der Flucht.54

46 Vgl. Gabriele Anderl, Flucht und Vertreibung 1938-1945, in: Traude Horvath / Gerda Neyer (Hg.), Auswanderung aus Österreich. Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart, Böhlauverlag, Wien 1996, 235. 47 Ebd., 235. 48 Albert Lichtblau, Österreich nach 1918, in: Elke- Vera Kotowski / Julius H. Schoeps / Hiltrud Wallenborn, Handbuch zur Geschichte der Juden in Europa, Wien 2002, 138-140. 49 Vgl. Albert Lichtblau, Österreich nach 1918, 135; ders., Integration, Vernichtungsversuche und Neubeginn, Österreichisch – jüdische Geschichte 1848 bis zur Gegenwart‘, in: Albert Lichtblau, Integration, Vernichtungsversuch und Neubeginn, in: Eveline Brugger et al. (Hg.), Geschichte der Juden in Österreich (Österreichische Geschichte Band 15), Wien 2006, 520. 50 Albert Lichtblau, Österreich nach 1918, 135; ders., Integration, Vernichtungsversuche und Neubeginn, Österreichisch – jüdische Geschichte 1848 bis zur Gegenwart‘, in: Albert Lichtblau, Integration, Vernichtungsversuch und Neubeginn, in: Eveline Brugger et al. (Hg.), Geschichte der Juden in Österreich (Österreichische Geschichte Band 15), Wien 2006, 519f. 51 Vgl. Gabriele Anderl, Flucht und Vertreibung 1938-1945, 235. 52 Ebd., 235 53 Vgl. ebd., 235-238. 54 Vgl. Albert Lichtblau, Österreich nach 1918, 135; ders., Integration, Vernichtungsversuche und Neubeginn, Österreichisch – jüdische Geschichte 1848 bis zur Gegenwart‘, in: Albert Lichtblau, Integration, 14 Die Flüchtlinge stammten aus allen sozialen Schichten. Unter ihnen gab es Kaufleute, Arbeiter, Händler, Angestellte wie auch Wissenschaftler.55 Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Hauptbeweggründe für die Flucht aus dem Heimatland nach dem „Anschluss“ die Übernahme und die Einführung der nationalsozialistischen Diskriminierungsgesetze und die NS-Verfolgungspolitik in der „Ostmark“ waren.56 Wichtige Zufluchtsorte für ÖsterreicherInnen waren neben den USA57 auch europäische Länder. Sie waren mehrfach aber nur Zwischenstation (sogenannte Erstemigrationsländer), da notwendige Aufenthaltsvisa oftmals nur auf Zeit vergeben wurden. Zu den zentralen europäischen Exilländern bzw. Erstemigrationsländern zählen Frankreich, die Schweiz, die Niederlande, Großbritannien und Belgien. 58

Flucht und Vertreibung aus Österreich nach Frankreich Die Fluchtroute nach Mexiko verlief für viele ÖsterreicherInnen oft über Frankreich. Von dort verließen die Flüchtlinge Europa häufig über Marseille. 59 Frankreich war für ÖsterreicherInnen zwar ein wichtiger Zufluchtsort, doch konnte man dort nicht dauerhaft bleiben. Mit dem Sturz der Volksfrontregierung unter Lèon Blum im April 1938 änderte sich die Lage und es wurden Regelungen erlassen, die die Situation für die Vertriebenen schrittweise verschlechterten. Im Mai 1938 wurde per Dekret verfügt, dass Verstöße gegen die Aufenthaltsregelungen strafrechtlichen Vergehen waren, die mit entsprechenden Geld- und Freiheitsstrafen belegt wurden. Ab Dezember 1938 verfügte der Innenminister über die Befugnis, Ausländern in jedem beliebigen Dèpartement den Aufenthalt zu erlauben bzw. zu untersagen.60 Mit der Kriegserklärung Frankreichs an Deutschland im September 1939 wurden schließlich „feindliche Ausländer“ zwischen 17 und 65 Jahren aufgefordert, sich in konkret angeführten

Vernichtungsversuch und Neubeginn, in: Eveline Brugger et al. (Hg.), Geschichte der Juden in Österreich (Österreichische Geschichte Band 15), Wien 2006, 519-525. 55 Vgl. Bolbecher, Das österreichische Exil. 56 Vgl. Stadler, Vertriebene Vernunft, 9-11. 57 Vgl. Gabriele Anderl, Flucht und Vertreibung 1938-1945, in: Traude Horvath / Gerda Neyer (Hg.), Auswanderung aus Österreich. Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart, Böhlauverlag, Wien 1996, 265-268. 58 Vgl. Katharina Rudolph, Letzte Zuflucht Mexiko, Frankfurter Allgemeine, URL: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/exil-ausstellung-in-berlin-letzte-zuflucht-mexiko-12086406.html (abgerufen am 17.01.2017) und Gabriele Anderl, Flucht und Vertreibung 1938-1945, in: Traude Horvath / Gerda Neyer (Hg.), Auswanderung aus Österreich. Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart, Böhlauverlag, Wien 1996, 238-265. 59 Vgl. DÖW, Österreicher im Exil Mexiko, 24-27. 60 Vgl. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Österreicher im Exil, Frankreich 1938-1945, Wien 1984, 6-9. 15 Sammelstellen einzufinden. „Nach einer Woche waren bereits 15 000 Ausländer in 60 verschiedenen Lagern interniert.“61 Nach dem Einfinden im Pariser Sammellager „Stade de Colombes“ wurden die Inhaftierten auf verschiedene Lager aufgeteilt, wovon ein Großteil in das Lager „Meslay-du-Maine“ kam. Ab Jänner 1940 gab es größere Freilassungen von „politisch Unverdächtigen“. Doch ohne Auslandsvisum gab es für die NS-Flüchtlinge in Frankreich nur die Möglichkeiten, sich zum Arbeitsdienst, zum Dienst in der Fremdenlegion mit der Waffe oder zu den sogenannten „Engagements“ für die Dauer des Krieges zu melden.62 Im Band „Österreicher im Exil – Mexiko 1938-1945“ wird die Situation der Flüchtenden ab 1940 in Frankreich wie folgt beschrieben: „Gleichzeitig bewegte sich ein unübersehbarer Tross von fünf Millionen Flüchtlingen – Belgieren, Holländern, Franzosen – in Richtung Süden. Für die Exilanten der Lager in den besetzten Zonen gab es keine Anweisungen. Manche Kommandanten öffneten kurz vor Eintreffen der Wehrmacht die Tore, wodurch die Insassen sich dem Flüchtlingsstrom anschließen konnten, andere übergaben ihre Lager geordnet den Okkupanten […]. Wer sich im allgemeinen Chaos dem Zug gen Süden anschließen konnte, hatte als Ziel die Häfen von Marseille oder Lissabon vor Augen: Von dort ging es hinaus aus Europa!“63 In der Gegend von Marseille kümmerten sich zahlreiche Hilfsorganisationen um die Flüchtlinge: „Um die jüdischen Flüchtlinge bemühten sich mit Unterstützung aus den USA die HICEM, die JOINT und andere Organisationen. Um die deutschen Intellektuellen vor Ort war vor allem das Emergency Rescue Committee (ERC) mit Varian Fry besorgt. Um die Kommunisten kümmerten sich das Unitarian Service Committee […].“ 64

Das mexikanische Generalkonsulat unter Gilberto Bosques war ebenfalls in die Hafenstadt Marseille verlegt worden und kümmerte sich mit 41 Mitarbeitern um viel mehr als nur um die Ausstellung von Ausreisevisa nach Mexiko für Flüchtlinge. Ein Abkommen mit der Vichy- Regierung brachte Vorteile für die spanischen Flüchtlinge in Frankreich. Keine Auslieferung auf französischer Seite und die Aufnahme und der organisierte Transport sowie die Versorgung der spanischen Flüchtlinge waren die vereinbarten Aufgaben der mexikanischen Seite. Bosques

61 Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Österreicher im Exil, Frankreich 1938-1945, Wien 1984, 8. 62 Vgl. ebd., 6-9. 63 DÖW, Österreicher im Exil Mexiko, 127. 64 DÖW, Österreicher im Exil Mexiko, 128.

16 erreichte aber noch mehr im Rahmen seiner Verhandlungen mit den französischen Behörden. Für gefährdete AntifaschistInnen anderer Nationen gab es das Zugeständnis, das jeweilige Internierungslager für einige Tage zur Regelung der Ausreisevisa zu verlassen. Kommunistische Flüchtlinge, welche in europäischen Staaten seit dem Hitler-Stalin-Pakt keine Unterstützung mehr fanden, wurden aufgenommen.65 Sogar in Frankreich als „illegal“ eingestufte Flüchtlinge erhielten Visa. Die Unterstützung des mexikanischen Generalkonsulates ging sogar noch weiter, wie die Ausführungen von Ulrike Schätte in den „Latein Amerika Nachrichten“ Nummer 251 vom Mai 1995 belegen: „So zahlte zum Beispiel das Komitee der amerikanischen Schriftsteller Dollarbeträge beim mexikanischen Konsulat in New York ein, die dann zu Bosques nach Marseille transferiert wurden, der sie wiederum an die Flüchtlinge auszahlte. Damit konnten sie zum Beispiel die Kosten für die Schiffspassage begleichen.“66 Das mexikanische Konsulat in Marseille unter Konsul Gilberto Bosques wurde damit zum Tor ins mexikanische Exil.67 Ab 1941 jedoch kam es zu Veränderungen der Reiseroute, dann gab es nur noch die Möglichkeit, über die Pyrenäen mithilfe eines Transitvisums nach Spanien zu gelangen und von dort anschließend nach Lissabon. Von dort fuhren die letzten Schiffe nach Übersee in die USA, die Karibik, nach Mexiko und Südamerika.68 Nun stellt sich die Frage, was die NS-Vertriebenen im Exilland Mexiko erwartete. Es waren ähnliche Probleme wie sie Flüchtlinge heute haben, wenn sie in Österreich Aufnahme finden: Bestimmende Elemente im Alltag waren die Sicherstellung der Versorgung mit dem Notwendigsten, vor allem die Suche nach einer geeigneten Unterkunft, und die Suche nach Arbeit. Hierbei waren mangelnde Sprachkenntnisse sehr hinderlich, und auf manche Betroffene wirkte die fremde mexikanische Kultur und die andere Lebensweise wie ein Kulturschock.69

65 Vgl. Ulrike Schätte, Asyl in Mexiko, in Latein Amerika Nachrichten Nummer 251 (Mai 1995), URL: http://lateinamerika-nachrichten.de/?aaartikel=asyl-in-mexiko (abgerufen am 17.01.2017). 66 Vgl. ebd. 67 Vgl. DÖW, Österreicher in Mexiko, 127-131. 68 Vgl. ebd., 24f. 69 Vgl. Claudio Mente, Exilliteratur, literaturwelt.com, URL: http://www.literaturwelt.com/epochen/exil.html (abgerufen am 22.01.2017). 17 5 MEXIKO ALS EXILLAND IM ZWEITEN WELTKRIEG Für ein besseres Verständnis der Rolle Mexikos als Asylland wird die politische Entwicklung beginnend mit der mexikanischen Geschichte von 1876 bis zum Jahr 1940 dargestellt.

5.1 Die politische Entwicklung Mexikos von 1876 bis 1940 Die mexikanische Geschichte kann in mehrere Hautphasen untergliedert werden. Von 1876- 1910 erstreckt sich in Mexiko die Zeit des Porfiriats. In den Jahren von 1910-1920, zur Zeit des Bürgerkrieges, befand sich Mexiko im politischen Umbruch. Die Zeit von 1920-1940 kann als spätrevolutionäre Stabilisierungsphase Mexikos bezeichnet werden.70

Im Jahr 1876 begann sich eine mehr als dreißig Jahre andauernde Entwicklungsdiktatur unter General Porfirio Díaz zu etablieren. Dieser Abschnitt der politischen Geschichte Mexikos wird als Profiriat bezeichnet. Die Entwicklung Mexikos in dieser Periode brachte zweierlei: eine staatliche und wirtschaftliche Modernisierung und die daraus folgende politische und gesellschaftliche Krise.71 Die staatliche Modernisierung bedeutet für Mexiko die Ausdehnung der Machtbereiche der Regierung auf das ganze nationale Territorium.72 Der wirtschaftliche Aufschwung wurde vor allem durch Auslandsinvestitionen und Agrarexporte getragen. Die Auslandsinvestitionen nahmen dabei mit 2/3 den größeren Teil der Gesamtinvestitionen ein und flossen vorwiegend in den Eisenbahnbau und in Industrieprojekte.73 Besonders stark hat sich in dieser Zeit der Norden Mexikos verändert, weg von der peripheren Grenzgesellschaft, hin zur Entstehung einer neuen Mittelschicht. Mit dem Ende der dort vorherrschenden Apachenkriege wurde die Region wirtschaftlich und verkehrsmäßig erschlossen und es kam auch zum sozialen Wandel der Gesellschaft. Mit dem gesellschaftlichen Wandel entstand diese Mittelschicht, aus welcher sich, dann gegen Ende des Porfiriats, jene Menge mit der größten Unzufriedenheit entwickelte. Mit dem Vorgang der politischen Zentralisierung und der gesellschaftlichen Pazifizierung ging auch eine wirtschaftliche und politische Unterdrückung sowohl der Unter- als auch der Mittelschicht einher.74

70 Vgl. Tobler, Die mexikanische Revolution, 17.; Klaus-Jörg Ruhl, Laura Ibarra Garcia, Kleine Geschichte Mexikos– Von der Frühzeit bis zur Gegenwart, München, 2000, 157-167. 71 Vgl. Tobler, Die mexikanische Revolution, 23-31.; Klaus- Jörg Ruhl, Laura Ibarra Garcia, Kleine Geschichte Mexikos, 157-167. 72 Vgl. Tobler, Die mexikanische Revolution, 23-31. 73 Martina Kaller-Dietrich/David Mayer, Das Profiriat und die Herausbildung einer Opposition, Institut für Geschichte der Universität Wien, URL: http://www.lateinamerika- studien.at/content/geschichtepolitik/geschichte/geschichte-200.html (abgerufen am 23.01.2017). 74 Tobler, Die mexikanische Revolution, 23-31. 18 Die mexikanische Revolution zwischen 1910 und 1920, im Bürgerkriegsjahrzehnt, ging von mehreren kleinen regionalen Erhebungen und Revolutionen aus, welche erst später zusammenliefen. Erst ab diesem Zeitpunkt kann man von einer Revolution mit gemeinsamer Identität sprechen.75 Sie stellte die erste bedeutsame Revolution in Lateinamerika dar und hob sich von den dort üblichen vorherrschenden Armeerebellionen oder Staatstreichen ab.76 In Mexiko existierte kaum ein Zusammenhang zwischen dem zentral geführten politischen Kampf und den dezentralen Bauernaufständen. Als Grund dafür wird die starke Zentralismustradition in Mexiko aus der Kolonialzeit genannt.77 Zusammenfassend kann gesagt werden, dass sich in den Jahren von 1910 bis 1920 auch ein Wandel in der politischen Landschaft vollzogen hatte, die Oligarchie wurde beseitigt und durch eine revolutionäre Führungsschicht ersetzt.78 Der Historiker und Lateinamerikaexperte Friedrich Katz, der als Kind mit seiner Familie im Jahr 1938 aus Österreich nach Mexiko geflüchtet war, schätzte die Bedeutung der mexikanischen Revolution folgendermaßen ein: „Die mexikanische Revolution war eine sehr komplexe Mischung. Sie haben eine periphere Bauernbewegung gehabt einerseits, sie haben eine nationalistische Revolution eines Bürgertums gehabt, das sich gegen die Überfremdung des Landes sowohl von Seiten der USA als auch von Seiten der europäischen Großmächte wandte, und sie haben eine relativ schwache Arbeiterbewegung gehabt. Und alle diese Bewegungen standen in einem äußerst komplexen Verhältnis zueinander, d.h., zeitweilig lösten sie sich voneinander, und die mexikanische Revolution ist eben in die Geschichte dieses komplexen Ineinanderwirkens der Bewegungen und der sehr starken Reaktion der benachbarten Vereinigten Staaten auf diese Revolution […].“79

Im Zeitraum von 1920-1940 kam es im Großen und Ganzen zu einem institutionellen Wandel des Staates, der Veränderungen in der Gesellschaft und Wirtschaft mit sich brachte. Die Zeit von 1920-1935 wird auch als sonorensische Hegemonie bezeichnet, da die Führungselite in diesem Zeitraum immer aus Sonora stammte. Hier konzentrierte man sich auf die politische Stabilisierung wie auch auf den Wiederaufbau des Landes nach dem Bürgerkrieg, auf gesellschaftliche Reformen wurde jedoch größtenteils verzichtet. Von 1934-1940 regiert

75 Vgl. Tobler, Die mexikanische Revolution, 139. 76 Vgl. Hans W. Tobler, Die mexikanische Revolution – Gesellschaftlicher Wandel und politischer Umbruch1876-1940, Frankfurt am Main 1984, 7. 77 Vgl. ebd., 7. 78 Vgl. ebd., 157-167. 79 Interview mit Friedrich Katz am 22.12.1984 in Wien geführt von Konstantin Kaiser (Transkript 13f, Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Bestand Archiv Exil. 19 Làzaro Càrdenas, der wiederum mehr auf wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen setzte.80 Càrdenas Regierungspolitik unterschied sich deutlich von all seinen Vorgängern. Seine Regierungszeit kann grundsätzlich in drei Phasen eingeteilt werden. Phase eins bis etwa 1936, die Aufbauphase seiner Macht, gefolgt von Phase zwei von 1936 - 1938 und seinen sozialen Reformen im Agrarbereich und die abschließende Phase drei von 1938 -1940 mit den politischen Konsolidierungen des Regimes.81 Er leitete eine Politik der sozialen Reformen ein, setzte sich besonders für die KleinbäuerInnen und LandarbeiterInnen ein. Seine wichtigste und größte Stütze stellte die Arbeiterbewegung dar. Seine Reformpolitik führte zu positiven Veränderungen in der Agrarwirtschaft. Zu seinen wichtigsten Errungenschaften zählte die Bildungsreform, für die er zahlreiche ExpertInnen aus aller Welt engagierte, vorwiegend EuropäerInnen. Gefördert wurde ein sozialistisches Bildungskonzept. Es wurden die Polytechnische Hochschule, Landwirtschaftsschulen, akademische Lehrerausbildungen wie auch ein Institut für Geschichte und Anthropologie gegründet. Diese neu errichtete wissenschaftliche und kulturelle Infrastruktur bildete eine wichtige Voraussetzung für die Exilexistenz in Mexiko während des Zweiten Weltkrieges. Im Bereich der Schwerindustrie verstaatlichte er die Ölgesellschaften, um diese aus dem Einflussbereich von ausländischem Kapital zu bringen. Mit diesen Maßnahmen am Höhepunkt seiner Regierungszeit im Jahr 1938 löste er auf nationaler Ebene vor allem bei den Arbeitern Begeisterung aus, geriet aber außenpolitisch dadurch unter Druck.82

5.2 Aufnahmebedingungen in Mexiko Unabhängig von den verschiedenen Revolutionsbewegungen gab es zwischen 1920 und 1930 eine Einwanderungswelle. Aus Europa wanderten rund 10.000 JüdInnen aus osteuropäischen Ländern zu. Aus Asien kam eine große Zahl von chinesischen EinwanderInnen nach Mexiko, sowohl legal als auch illegal. Im Werk „Österreicher im Exil Mexiko 1938—1947“ wird daraus ein Bedrohungsszenario abgeleitet: „Diese europäischen und asiatischen Einwanderungswellen wurden im postrevolutionären Mexiko als Bedrohung der Revolution gesehen.“ 83

80 Vgl. Tobler, mexikanische Revolution., 367. 81 Vgl. ebd., 568-572. 82 Vgl. Tobler, mexikanische Revolution, 599-604. und Klaus- Jörg Ruhl, Laura Ibarra Garcia, Kleine Geschichte Mexikos, 188-192. 83 DÖW, Österreicher im Exil Mexiko, 21. 20 Mexiko reagierte darauf mit strikten Begrenzungen. So wurde Ende der 1920er-Jahre ein Arbeitsgesetz erlassen, das die Arbeitgeber dazu verpflichtete, in jedem Betrieb mindestens 50% MexikanerInnen anzustellen. Eine weitere Konsequenz auf politischer Ebene war die Entwicklung einer restriktiven Einwanderungspolitik. 84 Kloyber und Patka begründen die Entstehung von ersten nationalistischen Bewegungen wie folgt: „Vor diesem sozialen Hintergrund etablierten sich um 1930 erste nationalistische Organisationen, wie die Liga Anti-China, die Anti-Judìa und Vereinigungen wie das Comitè Pro-Raza und die Acciòn Revolucionaria Mexicanista. Ihr Anliegen war der Schutz der mexikanischen Identität der Mestizen und die Sicherung der wirtschaftlichen Erfolge der mexikanischen Modernisierung von Porfirio Dìaz.“85 Mit dem Regierungswechsel und der Machtübernahme von Präsident Cárdenas wurden nationalistische Bewegungen zurückgedrängt, die strikte Einwanderungspolitik wurde jedoch nur leicht gelockert. Im Jahr 1938 wurde die Flüchtlingskonferenz von Evian vom amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt einberufen. Sie verfolgte das Ziel, neue Einwanderungsmöglichkeiten für Vertriebene zu schaffen. Dieses Ziel wurde jedoch verfehlt, stattdessen wurden die Abwehrmaßnahmen in beteiligten Ländern sogar ausgeweitet. Die mexikanische Einwanderungsbehörde legte eine Quote von 5.000 für ÖsterreichInnen fest.86 Aber schon 1939 wurde von der mexikanischen Einwanderungsbehörde die in Evian festgelegte Quote auf nur 1.000 Personen gesenkt. Zudem galt dieses deutlich niedrigere Kontingent nun für alle NS- Flüchtlinge, unabhängig davon, ob sie aus Österreich oder aus Deutschland vertrieben worden waren. Lediglich für Asylsuchende aus Spanien und auch „teilweise für Nichtspanier aus Spanien und für alle Interbrigadisten“87 gab es bis zum Jahr 1941 keine zahlenmäßigen Beschränkungen.88 Allerdings ist anzumerken, dass eine genaue Erfassung von österreichischen Flüchtlingen schwierig ist, da aufgrund der vielen verschiedenen Fluchtwege nur schwer nachzuweisen war, aus welchem Land der/die einzelne Flüchtende tatsächlich stammte. Viele Familien aus Österreich reisten in Mexiko ein und nannten eine andere Staatsbürgerschaft als die österreichische. Vor allem bei ÖsterreicherInnen war dies besonders schwer nachzuvollziehen, da die Vorfahren der flüchtenden Personen auch in den Nachfolgestaaten der

84 Vgl. DÖW, Österreicher im Exil Mexiko, 21. 85 DÖW, Österreicher im Exil Mexiko, 21. 86 Vgl. DÖW, Österreicher im Exil Mexiko, 22. 87 DÖW, Österreicher im Exil Mexiko, 22. 88 Vgl. DÖW, Österreicher im Exil Mexiko, 22. 21 österreichisch-ungarischen Monarchie geboren worden sein konnten. Viele reisten beispielweise mit einer italienischen, ungarischen oder tschechischen Staatsbürgerschaft ein.89 In Reaktion auf die Flüchtlingskrise entwickelte Präsident General Lázaro Càrdenas ursprünglich die Idee, rund 1.500 Flüchtlingsfamilien aus Österreich, Deutschland, Polen und der Tschechoslowakei in dem sehr trockenen Gebiet zwischen Veracruz und Tabasco anzusiedeln. Jedoch scheiterte sein Plan einer landwirtschaftlichen Flüchtlingskolonie insbesondere am innenpolitischen Druck seiner Gegner.90 Eine besondere Rolle für Mexiko spielte Präsident Cárdenas aus dem linken Flügel der Partei der Institutionalisierten Revolution, als er sich gegen nationalistisches Gedankengut wehrte und somit Mexiko zu einem Anziehungspunkt für antifaschistische Flüchtlinge aus ganz Europa machte. Republikanisch gesinnte SpanierInnen, KommunistInnen und JudInnen aus Österreich, sowie italienische Mussolini-GegnerInnen versammelten sich hier aufgrund der günstigen Bedingungen.91 Allerdingst ist anzumerken, dass die Situation für die jüdischen EmigrantInnen in Mexiko aufgrund von rassistische und antisemitische Gruppierungen, wie der „Liga Anti-Judía“ oder der „Accíon Revolucionaria Mexikanista“, nicht so positiv war. Dies führte dazu, dass das Innenministerium häufig restriktiver agierte als Präsident Cárdenas. Mexikos Asylpolitik unterschied sich deutlich von jener der anderen lateinamerikanischen Länder. Mexiko verfolgte damals eine strikte antifaschistische Asylpolitik. Ihren Ursprung hatte diese in der grundsätzlichen Unterstützung der Entwicklung der Spanischen Republik zurzeit der Franco-Diktatur. Die mexikanische Führung unter Làzaro Càrdenas und seinem Vertrauten Gilberto Bosques aus alten Revolutionszeiten der 1910er-Jahre in Mexiko machte es sich zur Aufgabe, antifaschistisch motivierte Fluchtbewegungen tatkräftig zu unterstützen.92 Die antifaschistischen Flüchtlinge waren in Mexiko also durchaus willkommen. Vorteilhaft für die NS-Vertriebenen war auch, dass es im Allgemeinen keine Einschränkungen bei Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis gab. 93 Schätte beschreibt in ihrem Artikel die Situation der Flüchtlinge in Mexiko und hebt Folgendes hervor: „Oft warn es Frauen, die als erste Arbeit fanden, sich einlebten und bald die Sprache beherrschten.“94

89 Vgl. DÖW, Österreicher im Exil Mexiko, 22. 90 Vgl. ebd., 23. 91 Vgl. Thomas Schmidinger, Fluchtpunkt Lateinamerika – Österreichische Emigration in Lateinamerika, Universität Wien, URL: https://homepage.univie.ac.at/thomas.schmidinger/php/texte/lateinamerika_fluchtpunkt.pdf (abgerufen am 17.01.2017). 92 Vgl. Schätte, Asyl in Mexiko. 93 Vgl. ebd. 94 Ebd. 22 Ebenso berichtet sie, dass aus Europa stammende Flüchtlinge sehr offen, hilfsbereit und verständnisvoll von den MexikanerInnen behandelt wurden.95

Schwierigkeiten bei der zahlenmäßigen Erfassung von österreichischen NS-Flüchtlingen in Mexiko Bei der Eruierung der Anzahl von österreichischen Flüchtlingen in Mexiko treten Schwierigkeiten auf und in der Literatur gibt es viele Differenzen. Laut Ulrike Schätte wurden rund 2.00096 deutschsprachige Flüchtlinge, unter ihnen viele KünstlerInnen, SchriftstellerInnen und Intellektuelle, in Mexiko aufgenommen. Im Band „Österreicher im Exil –Mexiko 1938-1947“ wird diskutiert, dass eine genaue statistische Erfassung von ÖsterreicherInnen im Exil in Mexiko nicht möglich ist. Insgesamt kamen rund 12.000 NS-Vertriebene aus Österreich nach Lateinamerika.97 Für ÖsterreicherInnen in Mexiko geben Christian Kloyber und Marcus G. Patka folgende Schätzung ab: „Wohl nicht viel mehr als 100 politische Asylanten, die sich als „Österreicherinnen“ und „Österreicher“ deklarierten, wurde von den Statistiken der Behörde erfasst“.98 Jonny Moser, der im Jahr 1999 eine „Demographie der jüdischen Bevölkerung Österreichs 1938-1945“ erarbeitete und dabei auch die Fluchtbewegungen nach Mexiko erfasste, spricht allerdings davon, dass sich 513 österreichisch-jüdische Flüchtlinge im Mai 1945 in Mexiko aufgehalten hätten.99

5.3 Nationalsozialistische Strömungen in Mexiko In den 1930er-Jahren gelangte faschistisches und nationalsozialistisches Ideengut auch nach Lateinamerika. Lediglich Chile und Mexiko distanzierten sich von diesem Gedankengut, dennoch gab es auch in diesen beiden Ländern SympathisantInnen dieser Ideologie. In den 1930er-Jahren lebten etwa 6.000 Auslandsdeutsche in Mexiko, wo sie in der Wirtschaft aber nur eine untergeordnete Rolle spielten, mit Ausnahme des Bundesstaates Chiapas, wo 70% der gesamten Kaffeeproduktion von Deutschen kontrolliert wurde. Aus der Sicht der Politik

95 Vgl. Schätte, Asyl in Mexiko. 96 Vgl. Schätte, Asyl in Mexiko. Hier ist anzumerken, dass die Zahl welche Schätte verwendet aus dem Jahr 1995 stammt. Aufgrund des langen Zeitraums der Forschung bis heute ist anzunehmen, dass es womöglich Abweichungen geben kann. 97 Vgl. DÖW, Österreicher im Exil Mexiko, 26. 98 Ebd., 26. 99 Vgl. Jonny Moser, Demographie der jüdischen Bevölkerung Österreichs 1938-1945, Schriftenreihe des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes zu Geschichte der NS-Gewaltverbrechen. Bd.5). Wien 1999, S76. 23 handelte es sich bei den sogenannten Auslandsdeutschen größtenteils um MonarchistInnen mit ablehnender Haltung gegenüber der republikanischen Staatsform. 100 Nach der Machtübernahme Hitlers in Deutschland 1933 entwickelten sich auch in den meisten Staaten Lateinamerikas lokale Ortsgruppen der NSDAP.101 Es gelang ihnen, schon bestehende deutschsprachige Institutionen wie Schulen, Kirchengemeinden oder Clubs zu übernehmen und mit ihrer Ideologie zu durchdringen. Als ein Beispiel dafür kann die Geschichte der „Deutschen Schule“ in Mexiko dienen:102 Die Schule, benannt nach Alexander v. Humboldt, wurde zum Hauptquartier der Nationalsozialisten umfunktioniert, und die SchülerInnen mussten der Hitlerjugend beitreten. Schon im Ersten Weltkrieg diente Mexiko als deutsches Spionagezentrum und genau diese Funktion sollte Mexiko im Zweiten Weltkrieg weiter beibehalten. Zu diesem Zweck suchte Deutschlands Außenpolitik in Mexiko klerikal-faschistische Verbündete, die sich gegen die Reformpolitik von Càrdenas stellten. In den Jahren 1938 und 1939 wurde aus dem Umfeld Càrdenas eine Vortragsreihe mit dem Titel „El Nazismo“ gestartet, welche das Ziel verfolgte, die großteils unwissende Bevölkerung über Nationalsozialismus und Antifaschismus aufzuklären. Bis 1940 konnte sich die NSDAP-AO Landesgruppe in Mexiko frei bewegen, was aber ab diesem Zeitpunkt erschwert wurde und 1941 zur Selbstauflösung der Gruppe führte. Zusätzlich wurden im August die wirtschaftlichen und diplomatischen Beziehungen zwischen Mexiko und Deutschland abgebrochen. Am 12. Mai 1942 schließlich versenkten deutsche U- Boote zwei mexikanische Öltanker, was die Kriegserklärung Mexikos an die Achsenmächte zur Folge hatte. Schon im Jahr 1941 wurden geheime Treffen mit dem Ziel einer Versöhnung zwischen den USA und Mexiko veranlasst. Der Streit wegen enteigneter Ölfirmen konnte beigelegt werden und die USA wurde wieder zum Abnehmer der mexikanischen Rohstoffe. In weiterer Folge trat Mexiko dem „United Nations Pact“ bei und mobilisierte etwa 270.000 mexikanische Staatsbürger für den Zweiten Weltkrieg, jedoch kamen diese nie zum Einsatz.103

100 Vgl. DÖW, Österreicher im Exil Mexiko, 98. 101 Vgl. ebd., 98. 102 Vgl. Christian Kloyber, Österreichische Exilkultur in Mexiko, 7. URL: http://www.literaturepochen.at/exil/multimedia/pdf/exilkulturmexiko.pdf (abgerufen am 17.01.2017). 103 Vgl. DÖW, Österreicher im Exil Mexiko, 98-102. 24 5.4 Die Beziehung Mexikos zu Österreich, zum Völkerbund und die Haltung gegenüber dem „Anschluss“ an das nationalsozialistische Deutschland Es ist wohl bekannt, dass die Monarchie Österreich-Ungarn, welche als Vorläufer der Republik Österreich gesehen werden kann, keine Freundschaft mit Mexiko verbunden hatte, denn sie arbeitete in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gemeinsam mit den Franzosen unter Napoleon dem Dritten eifrig daran, Maximilian den Ersten in Mexiko auf den Thron zu bringen. Mit dem Zusammenbruch der österreichischen Herrschaft in Mexiko war man auf österreichischer Seite so verletzt, dass die Monarchie das letzte europäisches Land war, welches versuchte diplomatische Beziehungen mit Mexiko wiederherzustellen.104 Nach der Hinrichtung Kaiser Maximilian I. am 19. Juni 1867 wurde von österreichischer Seite jeder Kontakt mit Mexiko abgebrochen und für mehr als 30 Jahre schien es auch keine Chance auf Wiederherstellung diplomatischer Beziehungen zu geben. Den entscheidenden Anstoß für eine Normalisierung der Beziehungen gab schließlich die Errichtung einer Gedächtniskapelle am 30. Oktober 1900 in Querétaro, dem Ort der Hinrichtung des Kaisers, durch offizielle mexikanische Stellen. Dies führte zu einem Abkommen am 23. März 1901 über die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen den beiden Staaten. Der neue Botschafter Gilbert Graf von Hohenwart trat sein Amt in der österreichischen Botschaft in Mexiko am 18. Juni 1901 an.105 Ebenfalls nicht förderlich für die Beziehungen war, dass österreichische Gesandte es waren, welche deutsche Kräfte in Mexiko dabei unterstützten, einen Krieg zwischen Mexiko und den USA zu provozieren. Ziel dieser Aktion war es, die AmerikanerInnen mit Grenzproblemen am eigenen Kontinent zu beschäftigen, um deren Einmischung in den europäischen Krieg zu verhindern. Mit der Gründung der Republik Österreich wandte sich das Blatt, die MexikanerInnen zeigten sich positiv überrascht von den politischen Entwicklungen im Lande und sympathisierten mit den Ideen der österreichischen SozialistInnen. Besonders der speziell in Wien vorangetriebene Wohnungsbau für die wachsende Arbeiterschicht kann als gutes Beispiel für eine gemeinsame Interessenslage zwischen Österreich und Mexiko angeführt werden.106

104 Vgl. Erwin Matsch, Der Auswärtige Dienst von Österreich(-Ungarn) 1720 – 1920, Wien 1986, 148. 105 Vgl. ebd., 148. 106 Vgl. DÖW, Österreicher in Mexiko, 9. 25 Umgekehrt begann mit der Entwicklung des Austrofaschismus in Österreich ein fast schon romantisches Interesse an der mexikanischen Revolution durch die in Bedrängnis geratenen SozialistInnen. Katz beschreibt aus seiner Sicht, wie das Interesse der verfolgten ÖsterreicherInnen an Mexiko zustande kam. Er erinnert sich an das Jahr 1935, als im Wiener Kreuz-Kino ein spannender Film über Francisco Villa, einem mexikanischen Revolutionshelden, mit dem Titel „Viva Villa“ lief. In Österreich waren zu dieser Zeit die SozialdemokratInnen bereits verboten, heimlich trafen sich ihre AnhängerInnen in diesem Kino. Katz deutete das Interesse der österreichischen SozialdemokratInnen in Wien an einem Film über den mexikanischen Revolutionsführer Villa als verbindende Gemeinsamkeit.107

Mexiko hatte schon lange vor der Annexion Österreichs seine eigene Vorgeschichte mit dem Völkerbund. Das lateinamerikanische Land wurde zur Gründung des Völkerbundes am 28. April 1919 aufgrund seiner neutralen Haltung im Ersten Weltkrieg nicht eingeladen. Erst im Jahr 1931 im Zuge einer Generalversammlung wurde Mexiko gebeten, Mitglied des Völkerbundes zu werden. Diese Einladung kam für Mexiko deutlich zu spät, denn es hatte mit dem Ersten Weltkrieg nichts zu tun und die eigentlichen Verursacher, Deutschland und Österreich, waren schon etliche Jahre zuvor eingeladen worden dem Völkerbund beizutreten.108 In der Folge wurden drei Personen, Präsident Càrdenas, Botschafter Bosques und Delegationsleiter Fabela zu den zentralen und wichtigen Figuren für die NS-Flüchtlinge, welche in Mexiko Zuflucht suchten.109 Mexikos Regierung unter Càrdenas protestierte vor dem Völkerbund, als es zur Annexion Österreichs an Deutschland kam. Der damalige Leiter der mexikanischen Delegation im Völkerbund, Fabela, wird als Vater des Protestschreibens bezeichnet, welches er unter Präsident Càrdenas verfasste. Er beschreibt Österreich als einen Staat, der bereits im März 1934 seiner Demokratie beraubt wurde, und dass Österreich damals schon ganz bewusst dem Expansionsdrang der Deutschen ausgeliefert worden war.110 Mexikos Regierung verstand offensichtlich lange vor allen anderen Ländern, was für ein Problem Adolf Hitler werden würde und dass er eine Bedrohung für die Freiheit der Menschen darstellte. Isidor Fabela schrieb beispielsweise an den Präsidenten Càrdenas: „In Deutschland hat das Volk seine Freiheit verloren, die Bürger des Landes sind Sklaven des Führers geworden […] alle Deutschen müssen nazistisch sein […] die christliche Religion in Deutschland muss

107 Vgl. Gerhard Drekonja-Kornat, Gabriel García Marquez in Wien und andere Kulturgeschichten aus Lateinamerika, Wien 2010, 135-140. 108 Vgl. DÖW, Österreicher in Mexiko, 32-37. 109 Vgl. ebd., 12. 110 Vgl. ebd., 32-37. 26 als Feindin der wahren Kultur und der höchsten Zivilisation, nämlich der germanischen, isoliert werden […].“111 Außenpolitisch besonders erstaunlich war die „einzige“ Protestnote einer ausländischen Macht gegen den Anschluss Österreichs an Deutschland. Erst mit dem Angriff auf Pearl Harbour änderte Mexiko seine neutrale Position und trat am 22. Mai.1942 in den Zweiten Weltkrieg ein. Zu diesem Zweck stellte man keine eigene Armee auf, sondern gemeinsam mit den USA wurden Truppenverbände aufgerüstet und nach Europa entsandt.112 Anzumerken ist, das Mexiko sich trotz des „Anschlusses“ nicht gegen das Land Österreich stellte, sondern den Flüchtlingen Asyl und Hilfe anbot. Als gutes Beispiel kann hier der mexikanische Konsul Gilberto Bosques, stationiert in Marseille, erwähnt werden.113 Er wurde zur zentralen Figur für die Aufnahme von NS-Flüchtlingen, er verhalf BürgerInnen vieler Nationen zu einem Visum. Er setzte sich für die SpanierInnen ein, und kam so zu Ehren als Retter vor deren Rückführung nach Franco-Spanien. Es gelang ihm auch, zwei Schlösser auf mexikanischem Territorium in Frankreich als Flüchtlingsunterkünfte zu organisieren. Besonderen Einsatz zeigte er, obwohl ohne Befugnis, durch die Ausstellung von Visa für Gefangene in den verschiedenen Internierungslagern in Frankreich. Zur Erinnerung an die einzige Protestnote gegen den „Anschluss“ 1938 durch die mexikanische Regierung wurde 1956 in Wien am südlichen Ufer der Donau der „Mexikoplatz“ errichtet.114

5.5 Politische und kulturelle Zusammenschlüsse im mexikanischen Exil Wichtig für die Neuankömmlinge aus dem deutschsprachigen Raum waren Gruppierungen in Mexiko, um Gleichgesinnte zu treffen, um sich über Erfahrungen und gemeinsames Leid wie auch berufliche Dinge austauschen zu können. Aufgrund der guten Voraussetzungen entstanden schon bald Exilorganisationen, vorwiegend von KommunistInnen gegründet. Beispielsweise schreibt Christian Kloyber, ein österreichischer Historiker und Exilforscher, in seiner Abhandlung „Österreichische Exilkultur“ von 2001: „Um in der Emigration, besonders im exotischen und fernen Exilland Mexiko einen Rest von nationaler Identität bewahren und auch zeigen zu können, war es für die Exilanten aus

111 Ebd., 10. 112 Vgl. ebd., 17f. 113 Vgl. ebd., 11. 114 Vgl. Sieglinde Bolbecher/Konstantin Kaiser, Editorial, in: Zwischenwelt: Literatur, Widerstand, Exil Nr. 2, Oktober 2002, 3. 27 Österreich besonders wichtig, eine Organisation zu finden, die Forum und Plattform sowohl nach innen wie nach außen sein konnte.“115 Die Organisation „Liga Pro Cultura Alemana“ wurde von den AuslandsösterreicherInnen gegründet und stellte eine wichtige Basis für die deutschsprachigen EmigrantInnen dar. Basis für die Gründung der Gruppierung war die mexikanische Gewerkschaftsbewegung unter dem damaligen Anführer Vicente Lombardo Toledano. Den Anlass lieferten hierfür die Feiern zum 20. Jahrestag der kommunistischen Oktoberrevolution von 1917. Der Ort der Veranstaltung war der Palacio de Bellas Artes am 7. November 1937. Einer der Gastredner bei dieser Veranstaltung war Ernst Toller, der bekannte Schriftsteller aus Deutschland, wie auch Mitunterzeichner des Pariser Aufrufs für die Gründung einer deutschen Volksfrontbewegung gegen die Kulturpolitik der NationalsozialistInnen.116 Das Auftreten des Schriftstellers brachte bereits 1938 den Anstoß zur Gründung der „Liga Pro Cultura Alemana“, welche im Sinne Tollers auch als ein wichtiger Teil der Volksfrontbewegung gegen den Nationalsozialismus verstanden werden kann. Die Volksfrontbewegung galt in Mexiko als wichtigstes Instrument für die Beschaffung von Auslandsvisa für die Vertriebenen. Asylanträge für wartende ÖsterreicherInnen sowohl in europäischen als auch afrikanischen Häfen wurden durch diese Organisation beschleunigt. Somit kann man sagen, dass mit der Gründung der „Ligna Pro Cultura Alemana“ im Herbst 1938, eine wichtige Voraussetzung für die Bewältigung der zunehmenden Emigrationsbewegungen von Vertriebenen und Verfolgten aus Europa, geschaffen wurde.117 Ab 1938, mit einer schon größer gewordenen Zahl an ÖsterreicherInnen in Mexiko, wurde danach die Exilorganisation „Acciòn Republicana Austrìaca de México“ gegründet. Die Kurzbezeichnung war „ARAM“ und sie verstand sich als ein überparteiliches Bündnis, in welchem Volksfront-Ideen der 1930er-Jahre umgesetzt wurden. Der Name „ARAM“ war klug gewählt, denn er vermittelte dem Gastland ein antimonarchistisches Signal. Ziel des Namens war es, sich einerseits von den alten Ansprüchen Maximilians von Habsburg auf die Herrschaft in Mexiko und andererseits auch vom autoritären Ständestaat abzugrenzen. Gegründet wurde die „ARAM“ von den SozialistInnen. Unter den Gründungsmitgliedern waren Rudolf Neuhaus, Bruno Frei und Leo Katz. Das Gründungsdatum war der 3. Dezember 1941 und den Vorsitz hatte damals Rudolf Neuhaus.118

115 Kloyber, Österreichische Exilkultur, 7. 116 Vgl. DÖW, Österreicher, 26.und Kießling, Exil in Lateinamerika: Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil 1933-1945, Band 4, Leipzig, 1980, 157- 167. 117 Vgl. Kloyber, Österreichische Autoren im mexikanischen Exil 1938 bis 1945. 118 Vgl. Marcus Patka, Chronik der kulturellen und politischen Veranstaltungen im mexikanischen Exil, organisiert von verschiedenen Organisationen: (1937-1949), URL: 28 Die Tätigkeiten der Organisation beschränkten sich nicht nur auf politische Arbeit, sondern sie zeigten auch Präsenz durch Versammlungen oder Rundfunkansprachen und Zeitungsartikel. Großes Engagement zeigte die Organisation, wenn es um kulturelle Veranstaltungen ging. Die politische Arbeit erfolgte vorwiegend durch die eigene Zeitschrift „Austria Libre“.119 Nach außen hin sollte die „ARAM“ dem mexikanischen Volk zeigen, wie der Nationalsozialismus die Menschheit bedroht, und nach innen war es das Ziel, den ExilantInnen Sicherheit und Identität bieten zu können. Bei der Gründung der „ARAM“ waren zwei unterschiedliche politische Ideologien beteiligt. Einerseits findet man die Interessen der stark organisierten und disziplinär geschulten KommunistInnen aus Österreich wie etwa Bruno Frei, Josef Foscht oder Leo Katz, auf der anderen Seite standen die Ideen der SozialdemokratInnen aus dem „Roten Wien“ mit ihren Vertretern Rudolf Neuhaus und Arthur Bonihady. Mit diesen beiden unterschiedlichen Ideologien war ein großes politisches Konfliktpotential geschaffen. Die beiden großen politischen Lager wurden in weiterer Folge durch eine dritte, kleine bürgerliche Gruppe erweitert. Jene war liberal gesinnt und nicht auf die Treue der ehemaligen Habsburgermonarchie eingeschworen. Es war bereits zu diesem Zeitpunkt erkennbar, dass diese heterogene Interessensgemeinschaft nicht sehr lange bestehen werde. Trotz allem ist hervorzuheben, dass die „Acción Republicana Austríaca de México“ etwas Besonderes war, denn sie überdauerte immerhin vier Jahre und schaffte es, die fortwährenden politischen Konflikte durch eine rege kulturelle Präsenz zu bezwingen. Als gutes Beispiel für das Wirken der „ARAM“ und eine gelungene Integration kann die Exilzeitschrift „Austria Libre“ bezeichnet werden. Am 15 August im Jahr 1942 erschien die erste Nummer dieser Zeitschrift in spanischer Sprache, als Herausgeber fungierte die „Acción Republicana Austríaca de México“. Ihr Chefredakteur war der österreichische Journalist Bruno Frei.120 Christian Kloyber verwendet in seiner Abhandlung „Österreichische Exilkultur in Mexiko“ ein beschreibendes Zitat von Bruno Frei über die Arbeit der Exilzeitschrift „Austria Libre“: „Wenn die Österreicher rufen, kommt ganz Mexiko’, sagte ein Besucher, nicht ohne Anflug von Neid. In der Tat, der Musik- und Theaterabend, zu dem wir unter dem Motto “Ein Abend bei Strauß und Nestroy” einluden, vereinigte im Saal der Electricistas alles wieder einmal, was in

http://www.literaturepochen.at/exil/multimedia/pdf/mexikoveranstchronikpatka.pdf (abgerufen am 17.01.2017). 119 Vgl. DÖW, Österreicher in Mexiko, 301. 120 Vgl. Wolfgang Kießling, Exil in Lateinamerika: Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil 1933-1945, Band 4, Leipzig, 1980, 157-167. und Kloyber, Österreichische Exilkultur, 7. 29 der Hauptstadt, sei es durch Geburt, sei es durch Neigung, sich zum Wiener Kulturkreis rechnet – und darüber hinaus alles, was Wien gern hat. Und wer hat Wien nicht gern?“121 Neben dieser Organisation gab es auch noch die Organisation „Bewegung Freies Deutschland“ und deren Zeitschrift „Alemania Libre“.122 Die Monatszeitschrift „Alemania Libre“ etablierte sich im Jahr 1941. Ihr Ziel war es, sich mit kulturellen und politischen Themen auseinanderzusetzen. Jene Zeitschrift entwickelte sich zu einer der wichtigsten Exilzeitschriften. 4.000 Exemplare wurden international verkauft. Auch EmigrantInnen aus den USA wie Lion Feuchtwanger und Heinrich Mann veröffentlichten hier einige Artikel. Ebenfalls Anfang 1941 wurde der „Heinrich-Heine-Klub“ gegründet, eine Vereinigung von antifaschistischen deutschen Intellektuellen. Die Aufgaben des Clubs waren die Organisation von Vorlesungen, Theaterstücken und Diskussionsrunden. Das soziale Leben der Gruppen sollte mit Kultur gefüllt werden, und ein besonderes Interesse fanden dabei die Theaterveranstaltungen. Zum Publikum zählten vor allem jüdische und politisch vertriebene EmigrantInnen. In der Festschrift des „Heinrich-Heine-Klubs“ schrieb Egon Erwin Kisch über das Theaterleben der ExilantInnen in Mexiko Folgendes: „Eine deutsche Aufführung in Mexiko, achthundert Zuschauer im Saal, sechsundzwanzig Darsteller und Sänger auf der Bühne. […] Es war nicht nur eine Schau über die geistig Interessierten und nicht nur eine Glanzleistung des Heine-Klubs, der dem in Deutschland verbotenen Geist ein Zentrum schuf. Sondern vor allem war es eine Tat des kollektiven Optimismus, vollbracht von all denen, die sich von Hitler ihre Freude an der Kultur nicht rauben lassen.“123 Schon ein Jahr später, am 9. Mai 1942, wurde schließlich der Verlag „El Libro Libre“ gegründet. Unter der Leitung von Walter Janka wurden in kurzer Zeit 22 deutschsprachige Bücher und vier spanische Bücher mit unterschiedlicher Auflagezahl herausgegeben. Grob geschätzt gab es eine Gesamtauflage von zirka 2.000 Exemplaren. Als wohl bekanntestes Werk des Verlages kann „Das siebte Kreuz“ gelten, es wurde von Anna Seghers geschrieben und ist in Mexiko in der deutschen Erstausgabe erschienen. Zu den bedeutendsten politischen Werken, die vom Exilverlag herausgegeben wurden, zählt das Schwarzbuch über den Hitlerterror in Europa, in welchem verschieden AutorInnen ihre Beiträge veröffentlichten. Es erschien in spanischer Sprache und wurde in seiner Verbreitung finanziell durch die mexikanische Regierung unterstützt.124

121 Kloyber, Österreichische Exilkultur, 1. 122 Vgl. DÖW Österreicher in Mexiko, 301-308. 123 Zit. n. Friedrich Stadler (Hg.), Vertriebene Vernunft II – Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft 1930-1940, Wien 2004, 1009. 124 Vgl. Kloyber, Österreichische Autoren. 30 Ein Beweis für die länderübergreifende und an gemeinsamer Kultur orientierten Zusammenarbeit lässt sich an der Gründung des zuvor erwähnten Exilverlages „El Libro Libre“ (Das freie Buch) erkennen. Egon Erwin Kisch, Anna Seghers und andere aus der Bewegung „Freies Deutschland“ unterstützten den neuen österreichischen Exilverlag mit seinen Protagonisten Bruno Frei, Leo Katz, Else Volk de Friedland, geb. Friedmann und Marie Frischauf-Pappenheim. 125 Die zuvor erwähnte Festschrift wurde übrigens, und das kann als besonderer Beweis der innigen Zusammenarbeit zwischen den deutschsprachigen Exilorganisationen gelten, im Jahre 1946 als letzte Publikation des österreichischen Exilverlages „El Libro Libre“ herausgegeben.

125 Vgl. Stadler, Vertriebene Vernunft, 1007. 31 6 ANALYSE VON ERFAHRUNGEN VON KINDERN UND

JUGENDLICHEN AUS ÖSTERREICH IM MEXIKANISCHEN EXIL In diesem Kapitel werden die Erfahrungen von Bruno Schwebel, Friedrich Katz, Oscar Römer, Ruth Deutsch de Lechuga, Ricardo Loewe, Lisa Freistadt und Alejandro Zohn, die ihre Kindheit und Jugend im Exil in Mexiko verbrachten, näher untersucht. Mögliche Parallelen in den Lebensgeschichten werden gesucht und sollen aufgezeigt werden. Zudem soll aber auch veranschaulicht werden, dass die unterschiedlichen Personen, die eines gemeinsam haben, nämlich die Flucht und Vertreibung aus Europa und das Leben im mexikanischen Exil, durchaus auch unterschiedliche Erfahrungen im mexikanischen Exil machten. Die Suche nach Personen, die als Kinder und Jugendliche aus Österreich nach Mexiko geflohen waren, gestaltete sich schwierig. Es gibt wenige Berichte oder Quellen zu Menschen mit geringem Bekanntheitsgrad. Daher bleiben nur Interviews mit den betroffenen selbst oder mit noch lebenden Verwandten von ihnen sowie eigene Texte in Form von Tagebüchern oder Geschichten. Für die Analyse werden unterschiedliche Aspekte, welche wichtig für ein Leben im Exil erscheinen und sich aus den verwendeten Quellen herauslesen lassen, herangezogen. Die Themen Flucht, sowie Ankunft im Exilland sollen zuerst behandelt werden. Zudem soll das Leben im Exil anhand der unterschiedlichen Personen erarbeitet werden. Auch die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg und der weitere Verlauf der Lebensgeschichten wird in weiterer Folge und dem Thema der Forschung entsprechend nur am Rande und zum Zwecke der Vervollständigung des Gesamtbildes beschrieben. Bei allen angeführten Beispielen in der Analyse handelt es sich um persönliche Erinnerungen. Somit sind die Erinnerungen individuell. An dieser Stelle muss auch noch darauf hingewiesen werden, dass alle Personen gemäß der Thematik der Arbeit nach ihren Erlebnissen als Kinder und Jugendliche im Exil befragt wurden. Zum Zeitpunkt der Interviews, welche für die vorliegende Arbeit verwendet wurden, waren die Personen jedoch bereits im fortgeschrittenen Alter. Nicht bei jeder Person kann zu jedem Aspekt des Exils gleich viel geschrieben werden, da es die schwierige Quellenlage nicht zulässt. Zunächst wird ein kurzer Überblick über die Biografien der untersuchten Personen geliefert. Diese Biografien sollen zu einem besseren Verständnis der nachfolgenden Analyse verhelfen.

32 6.1 Biografien

Bruno Schwebel126 Geboren am 16.9.1928 in Wien Gestorben am 21.2. 2011 in Mountain View, Kalifornien

Abbildung 1: Bruno Schwebel, Quelle: http://freiesradio.at/fluchtpunkte-literarische- miniaturen-aus-dem-exil/ Bruno Schwebel war ein österreichischer Regisseur, Schauspieler, Schriftsteller und Akkordeonist. Sein Vater Theodor Schwebel war ein jüdischer Sozialdemokrat, seine Mutter Therese Hössinger eine Katholikin. Er hatte auch einen Bruder, Helmut, der zwei Jahre älter war. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten musste die Familie Österreich verlassen und floh über einige Zwischenstationen nach Mexiko. Eine der Zwischenstationen war Frankreich, wo Bruno und sein Bruder für ein paar Jahre zur Schule gingen. In Mexiko besuchte Schwebel eine mexikanische Schule und nach seinem Abschluss begann er am Polytechnikum in Mexico City Elektronik zu studieren. Nebenher besuchte er diverse Kunstkurse, schrieb Texte und war künstlerisch tätig. Erste Schauspielerfahrungen sammelte er Anfang der 40er- Jahre in den „Estudios Churubusco“, einem Theater, das der Elektrikergewerkschaft gehörte. Er wirkte bei zwei Vorstellungen mit, die der „Heinrich-Heine-Klub“ in diesem Theater in deutscher Sprache organisiert hatte. Regie führte Charles Rooner, ein gebürtiger Wiener, dessen echter Name Robicek war. Viele Jahre später wurde er zum Direktor einer Fernsehanstalt ernannt. Einige seiner bekanntesten Kurzgeschichten verfasste er in spanischer Sprache. Der Titel „Schachmeister von Mexico City“ kann ihm ebenfalls zugeschrieben werden. Schwebel blieb nach Beendigung des Krieges in Mexiko wohnhaft. Erst in seinen letzten Lebensjahren zog er mit seiner zweite Frau Joan Brodovsky in die USA. Am 21.02.2011 verstarb er in Kalifornien, Mountain View.

126 Vgl. Schwebel/Kloyber/Müller, Das andere Glück, 2004, 9f; Literaturhaus, Bruno Schwebel Nachlass in der Exilbibliothek zugänglich, Literaturhaus Wien, URL: http://www.literaturhaus.at/index.php?id=244&tx_ttnews%5Btt_news%5D=2378&cHash=483b2b33a3cb45ca 79c7b9b65b819399 (abgerufen am 13.02.2017); Theodor Kramer Gesellschaft, Ein Abend für Bruno Schwebel, Theodor Kramer Gesellschaft, URL: http://theodorkramer.at/aktuell/ein-abend-fuer-bruno- schwebel/ (abgerufen am 13.02.2017); Universität Salzburg, Österreichische Literatur im Exil, Salzburg, 2002, 164. Interview mit Joan Brodovsky, geführt am 07.02.17 Aufnahmen und Transkription beim Autor. 33 Friedrich Katz127 Geboren am 13. 6. 1927 in Wien Gestorben am 16. 10. 2010 in den USA, Philadelphia

Abbildung 2: Friedrich Katz Quelle: https://mexicanstudies.uchicago.edu/ page/friedrichkatz Friedrich Katz war ein österreichischer Ethnologe und Historiker. Er wurde im Jahr 1927 als Sohn jüdischer Eltern, Leo Katz und Bronia Katz, in Wien geboren. Sein Vater war als Schriftsteller, Journalist, Judaist und Historiker tätig. Bereits 1930 emigrierte die Familie nach Berlin, da der Vater für sich geradezu eine Berufung verspürte, den journalistischen Kampf gegen die NSDAP aufzunehmen. Mit der Machtübernahme Hitlers musste die Familie Katz nach Mexiko fliehen. Friedrich Katz studierte an der Nationalen Schule für Anthropologie und Geschichte in Mexico City und in New York. Er kehrte im Jahr 1949 als 22-Jähriger mit seinen Eltern nach Österreich zurück. 1954 promovierte er in Wien. 1966 ging Katz, enttäuscht von der österreichischen Haltung gegenüber marxistischen Juden, nach Ostberlin und nahm dort eine Anstellung am Institut für Allgemeine Geschichte an der Humboldt-Universität an. Er habilitierte ebenda mit einer Schrift über deutsch-marxistische Beziehungen vor und während der Revolution. In weiterer Folge nahm er eine zweijährige Gastprofessur an der Universidad Nacional Autónoma de México an und beendete seine Tätigkeit in Ostberlin. Er verließ Europa und übersiedelte von der DDR in die USA und übernahm eine Professur an der . Dort verbrachte er den Rest seiner akademischen Laufbahn. Sein Werk "The Secret War in Mexico", erschienen im Jahr 1987, wurde mit dem Herbert Eugene Bolton-Preis geehrt. Die Universität Guadalajara verlieh ihm den Orden del Mérito Académico im Jahr 1988. Von der mexikanischen Regierung erhielt er den Orden del Águila Azteca. In den Jahren von 1992 bis 2002 leitete Katz in Chicago ein Studienprogramm für

127 Vgl. Petra Herzeg/Rainer Rosenberg, Menschenbilder, OE1, URL: http://oe1.orf.at/programm/265352 (abgerufen am 113.02.2017); Schinnerl, Katz, Friedrich und Barbara Wallner, Verehrt in Mexiko, vergessen in Österreich, der Standard, URL: http://derstandard.at/1342139356575/Verehrt-in-Mexiko-vergessen-in- Oesterreich (abgerufen am 13.02.2017); Universität Salzburg, Österreichische Literatur im Exil, 97 und Unbekannt, Hommage an Friedrich Katz, wien.at, URL: https://www.wien.gv.at/kultur/abteilung/vorlesungen/termine/2011/katz-20-10.html (abgerufen am 13.02.2017) und Unbekannt, Hommage an Friedrich Katz, wien.at, URL: https://www.wien.gv.at/kultur/abteilung/vorlesungen/termine/2011/katz-20-10.html (abgerufen am 13.02.2017). 34 mexikanische Geschichte, welches zwei Jahre später in "Zentrum der mexikanischen Geschichte Friedrich Katz“ unbenannt wurde ". Friedrich Katz, ein großer Sozialhistoriker mit dem Schwerpunkt lateinamerikanische Geschichte, wurde zu einem der bekanntesten Historiker für die jüngere mexikanische Geschichte. Er verfasste zahlreiche Arbeiten über die mexikanische Revolution, welche auch gleichzeitig zu den grundlegenden Werken über dieses Thema zählen. Das Land Mexiko war für Katz nicht nur ein Forschungsgebiet, es war das Land, welches Ende der 1930er-Jahre bereit war, Flüchtlinge aus den unterschiedlichsten Ländern aufzunehmen. Der Historiker zeigte eine tiefe Verbundenheit zu Mexiko, denn es war das Land, welches seiner Familie das Leben gerettet hatte. Österreich, im speziellen Wien, war für Katz Geburtsort wie auch Universitätsstandort, weswegen er hier immer wieder zu Besuch war. Am 16. Oktober 2010 verstarb Katz im Alter von 83 Jahren in Philadelphia nach schwerer Krankheit.

Oscar Römer128 Geboren am 16.8.1933

Oscar Römer kam als 5-Jähriger nach Mexiko. Sein Vater war in Wien von 1922 bis 1933 Dirigent im Großen Schauspielhaus und im Stadttheater. Nach dem „Anschluss“ Österreichs 1938 an Deutschland musste die Familie Römer aufgrund ihrer jüdischen Abstammung nach Mexiko emigrieren. Oscar studierte in Mexiko, wurde Architekt und lebte seine malerische Begabung nebenher aus. Für zwei Jahre zog er sich von der Architektur völlig zurück und versuchte nur für und von der Malerei zu leben, kehrte aber zu seinem ursprünglichen Beruf zurück und widmete sich mit Begeisterung für einige Jahre dem Tangotanz. Seine Mutter Irma betrieb ein kleines Hotel mit 6 Zimmern in einem gemieteten Privathaus. Bald wurde dort der Exilsalon, besser bekannt unter dem Namen „Heinrich-Heine-Klub“ Treffpunkt für deutschsprachige ExilantInnen in Mexiko.

128 Vgl. Hubert Canaval, In der Fremde zu Haus, 96min, Mexiko 2004; Quelle Literaturhaus, Unterlagen von Veronika Zwerger. 35 Ruth Deutsch de Lechuga129 Geboren am 6. 2. 1920 in Wien Gestorben am 20. September 2004 in Mexico City

Abbildung 3: Ruth Deutsch de Lechuga, Quelle:https://www.ila- web.de/ausgaben/207/hinter-jeder-maske-steht- eine-geschichte Ruth Deutsch de Lechuga war eine österreichische Ärztin und Spezialistin für die Geschichte der indigenen Völker Mexikos. Sie wurde als Tochter des jüdischen Kaufmanns Alois Deutsch in Wien geboren. Sie hatte einen vier Jahre jüngeren Bruder und besuchte ein Realgymnasium in Wien. Deutsch konnte kurz vor ihrer Flucht nach Mexiko im Jahr 1938 noch ihre Matura in Wien abschließen. Die Flucht erfolgte über Wien in das Wahlexilland Mexiko. In Mexiko begann sie 1940 mit einem Medizin Studium, welches sie sechs Jahre später erfolgreich abschloss. Die finanzielle Situation in Mexiko war für die Familie teilweise schwierig. Ruth Deutsch de Lechuga musste früh auf eigenen Beinen stehen und ihr eigenes Geld erwirtschaften. Im Zuge ihres Medizinstudiums bekam sie die Chance in einem klinischen Labor gemeinsam mit Herrn Pils zu arbeiten und ihn zu unterstützten. Von 1965 bis 1979 führte Deutsch ihr eigenes klinisch-serologisches Labor. Schon mit der Ankunft in Mexiko schloss die junge Österreicherin schnell Freundschaften mit MexikanerInnen. Ihr Interesse galt ebenso dem Land und der Geschichte wie auch der Kultur und den Menschen. Gemeinsam mit ihrem Vater, der auch schon in Österreich immer wieder archäologische Reisen nach Griechenland oder Ägypten unternahm, war Ruth mit ihm in Mexiko auf seinen Reisen zu den Kulturstätten der indigenen Bevölkerung unterwegs. Während ihn die Bauten aus jener Zeit begeisterten, war seine Tochter mehr an den Menschen und deren Volkskunst interessiert. Seit dem Jahr 1973 beschäftigte sich Ruth Deutsch de Lechuga mit ethnografischer Fotografie und Anthropologie. Neben ihrer Arbeit im Labor, die sie jedoch mit der Zeit aufgeben musste, war sie in der Volkskunst tätig. Gearbeitet hat sie in diesem Bereich zuerst im Fondo Nacional para el Fomento de las Artesanías (FONART) und später im Museo Nacional de Artes e Industrias Populares. Ihr Privathaus in Mexiko wurde zu einem Museum umgewandelt. Unter der großen

129 Vgl. Schätte, Hinter jeder Maske steht eine Geschichte und Hubert Canaval, In der Fremde zu Haus, 96min, Mexiko 2004; Ursula Seeber, Deutsch de Lechuga Ruth, Universität Wien, URL: https://www.univie.ac.at/biografiA/daten/text/bio/deutsch-de-lechuga.htm (abgerufen am 13.02.2017).

36 Fotosammlung von mehr als 20.000 Negativen findet man eine ethnologische Sammlung von Mexiko, Italien und auch den USA. Des Weiteren verfasste Ruth Deutsch de Lechuga wissenschaftliche Publikationen, und trat ebenso als Kuratorin, Vortragende und Autorin hervor. Sie besaß eine große lateinamerikanische Maskensammlung wie auch eine Kollektion mexikanischer Volkskunst, darunter Puppen und Textilien. Heute findet man diese in ihrem Museum. Ihr Heimatland Österreich besuchte Deutsch als mexikanische Abgesandte im Zuge des World Crafts Council in den 1980er-Jahren. Ruth Deutsch de Lechuga ist im Dezember 2004 in Mexico City verstorben.

Ricardo Loewe130 Geboren am 7.5.1941 in Mexiko

Abbildung 4: Ricardo Loewe, Quelle: http://www.suedwind-magazin.at/mexiko- war-immer-rebellisch Ricardo Loewe ist ein Arzt mit österreichisch-mexikanischen Wurzeln. Seit der Beendigung seiner beruflichen Karriere als Arzt engagierte er sich als Menschenrechtsaktivist. Er wurde als Sohn deutschsprachiger Eltern in Mexiko geboren. Seine Eltern mussten ihre Heimatländer, Österreich und Deutschland, aufgrund des nationalsozialistischen Terrors verlassen. Loewe stammt aus einer Ärztefamilie, die seit fünf Generationen bestand. In den Jahren 1947-1957 ging Loewe auf eine Privatschule, gegründet von republikanischen Spaniern. Die Unterrichtssprache war Spanisch, während die Familie zuhause Deutsch sprach. Später studierte er auf Wunsch seiner Eltern Medizin in Mexiko. Im Jahr 1965 nahm er an der großen Ärztebewegung in Mexiko teil. Bevor er als Sozialmediziner tätig wurde, war er für einige Jahre als freischaffender Künstler gemeinsam mit seiner ersten Frau tätig. Als mexikanischer Staatsbürger gewährte ihm die österreichische Regierung trotzdem auch die österreichische Staatsbürgerschaft. Heute lebt Ricardo Loewe in Österreich und Mexiko.

130 Vgl. Ricardo Loewe, 15.12.2016, Aufzeichnungen bei Autorin. 37 Lisa Freistadt-Lang131 Geboren am 15.12.1927

Lisa Freistadt-Lang ist die Tochter des bekannten Journalisten Benedikt Freistadt, besser bekannt unter dem Synonym Bruno Frei. Die Mutter, Maria Muellauer, war eine Lehrerin, die beim Bombenangriff auf Paris 1940 ums Leben kam. Geboren wurde Lisa Freistadt in Wien, allerdings lebte sie danach aufgrund der Arbeit ihrer Eltern für einige Jahre in Berlin. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland zog sie mit ihrem Bruder Hans Freistadt und ihrer Mutter wieder zurück nach Wien. Im Zuge des Anschlusses Österreich an Nazideutschland flohen die drei nach Frankreich, wo sie eine Wiedervereinigung mit dem Vater Bruno Frei feiern konnten. 1940, nach dem Tod der Mutter, kamen die Kinder mit Hilfe einer Organisation für Flüchtlinge nach Chicago in die USA. Während der Bruder Hans in den Vereinigten Staaten blieb, kam Lisa zu ihrem Vater nach Mexiko und kehrte mit ihm nach Beendigung des Krieges 1947 nach Wien zurück. Später heiratete sie, deshalb der Doppelname Freistadt-Lang und lebt heute noch in Wien.

Alejandro Zohn132 Geboren am 8 August 1930, in Wien Gestorben am 2000 in Guadalajara

Abbildung 5: Alejandro Zohn, Quelle: https://www.pinterest.com/pin/3184186361 27624214/ Alejandro Zohn war ein erfolgreicher mexikanischer Architekt. Seine Eltern waren jüdischer Abstammung und die Familie besaß eine Wäschefabrik. Im Zuge des Anschlusses musste die Familie Wien verlassen. Die Familie Zohn erreichte im Februar 1939 den Hafen von Veracruz. Ein Familienmitglied, der Onkel von Alejandro, befand sich bereits seit den 1920er-Jahren in

131 Vgl. Kimberly Robinson, Dr. Hans Freistadt, Chicoer.com, URL: http://www.legacy.com/obituaries/chicoer/obituary.aspx?pid=174053274 (abgerufen am 10.02.2017) und URL: Wolfgang Kos, Geschichten und Geschichte – Autobiographische Aussagen von Bruno Frei, Österreichische Mediathek, http://www.mediathek.at/atom/04A52088-2C6-00007-00000548-04A49C64/ (abgerufen am 10.02.2017). 132 Vgl. Unbekannt, Alejandro Zohn, URL: http://alejandrozohn.com/curriculum.htm (abgerufen am 05.03.2017) und Quelle Literaturhaus, Unterlagen von Veronika Zwerge. 38 Mexiko. Bist August 1939 blieb die Familie in Mexico City, später zogen sie nach Guadalajara. Nach Beendigung der Schule begann Zohn mit einem Architekturstudium in Mexiko. 1955 schloss er die Universidad de Guadalajara in Mexiko als Bauingenieur ab und acht Jahre später beendete er sein Architekturstudium. Im Jahr 1960 heiratete er seine erste Frau Celia, mit der er vier Kinder hat. 1985 heiratet er erneut, eine Mexikanerin, mit der er ein Kind hat. Im Laufe seiner Karriere erhielt er viele Auszeichnungen, wie zum Beispiel eine Medaille bei der Biennale für mexikanische Architektur im Jahre 1998. Des Weiteren wurden einige seiner Werke in mehreren Büchern und Zeitschriften in unterschiedlichen Ländern wie Mexiko, England, USA, Frankreich, der Schweiz wie auch in Spanien, Brasilien und Japan veröffentlicht. Alejandro Zohn kehrte zweimal für eine Wien- und eine Salzburgreise in sein Heimatland Österreich zurück. Er verstarb im Jahr 2000 in Guadalajara.133

6.2. Erlebnisse und Erinnerungen aus dem mexikanischen Exil Im Folgenden werden die Eindrücke, Erlebnisse und Erinnerungen im mexikanischen Exil anhand der oben kurz vorgestellten Personen erarbeitet.

6.2.1 Fluchtgeschichten Die Flucht aus Österreich verlief bei den untersuchten Personen unterschiedlich. Im nachfolgenden Abschnitt werden persönliche Erlebnisse und Erinnerungen über die Flucht nach Mexiko, die zumeist über mehrere Zwischenstationen verlief, dargestellt.

Bruno Schwebel entstammt einer Wiener jüdischen Familie; sein Vater Theodor war politisch aktiv und Mitglied in der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs. Diese Kombination führte nach dem „Anschluss“ 1938 zur Vertreibung der Familie aus Österreich.134 Im Werk „Das andere Glück“135 versucht Bruno Schwebel sich an seine Flucht zu erinnern und seine Gefühle von damals zu beschreiben: Sein Vater Theodor floh gemeinsam mit dem älteren Sohn Helmut gemäß den Erinnerungen von Bruno am 7.November 1938 nach Frankreich. Als sie sich dort etwas eingelebt hatten, schrieb Brunos Vater einen Brief, um seine Frau und den

133 Vgl. Quelle Literaturhaus, Unterlagen von Veronika Zwerger. 134 Vgl. Bruno Schwebel, Bruno Schwebel and his family, URL: http://www.raoulwallenberg.net/saviors/diplomats/bosques/testimonia/bruno-schwebel-his-family/ (abgerufen am 31.02.2017). 135 Bruno Schwebel/Christian Kloyber/Karl Müller (Hg.), Das andere Glück, Wien, 2004. 39 jüngeren Sohn zu sich zu holen. Daraufhin verließ Bruno Schwebel gemeinsam mit seiner Mutter Resi, einer Tante und einer jüngeren Cousine seine Geburtsstadt Wien. An den Abschied aus Österreich erinnert er sich folgendermaßen: „Am Westbahnhof in Wien erwarteten uns einige Verwandte von Vaters Familie […]. Der Abschied mußte sehr diskret vor sich gehen…. Es ist mir unmöglich, meine Gefühle als Kind bei der Abfahrt des Zuges zu vergegenwärtigen, aber ich kann sie mir vorstellen: Erwartung, Angst und eine große Traurigkeit.“136 Das erste Ziel der Reise war Karlsruhe, ein Ort an der deutsch-französischen Grenze. „Ich erinnere mich, daß die Reise ohne Zwischenfälle verlief. Wir brauchten keine Reisepässe, denn Österreich war ja an Deutschland angeschlossen.“137 Nachdem sie Karlsruhe erreicht hatten, nahmen sie einen weiteren Zug nach Wörth, einem kleinen Ort auf der linken Rheinseite, der zirka 15 Minuten entfernt von Karlsruhe ist. „Die Haltestelle in Wörth bestand aus einem kleinen Bahnwärterhäuschen. Die Eisenbahner der Station waren die Kontaktpersonen für jenen Mann, der uns über die Grenze bringen würde […]. Die Bezahlung wurde hinter verschlossenen Türen geregelt. Wenig später brachen wir auf. Es war eine sehr kalte Nacht […]. Wir gingen querfeldein, bepackt mit all unseren Habseligkeiten, schweigend hinter dem Mann her […]. Von Wachtürmen aus suchten deutsche Soldaten die Gegend ständig mit Scheinwerfern ab. Wir duckten uns in einen Graben, um den richtigen Zeitpunkt abzuwarten und alleine loszurennen.“138 Auf französischer Seite angelangt, ging es zuerst weiter nach Straßburg, wo sie über Nacht bleiben wollten. Doch die Gefahr, erwischt und nach Deutschland zurück geschickt zu werden war zu groß und so flüchteten sie weiter nach Paris, wo sie vom Rest der Familie bereits erwartet wurden. Wie für viele andere NS-Flüchtlinge war auch für die sozialistisch orientierte Familie Schwebel Frankreich die erste Exilstation. Der Vater Theodor Schwebel, ein linker Aktivist jüdischer Abstammung, der sich und seine Familie nach der Flucht aus Österreich in Frankreich in Sicherheit wähnte, ahnte nicht, dass die deutsche Armee auch Frankreich angreifen würde. In Frankreich fand die Familie Zuflucht und Arbeit auf einem Bauernhof und Schulplätze für die beiden Buben in einem kleinen Ort, dessen engagierter Bürgermeister bereit war, Flüchtlingen zu helfen. In der Familie erwachte die Hoffnung, in Frankreich bleiben zu können. Doch ihre Hoffnung wurde zerstört, denn es wurden u.a. Internierungslager für „feindliche Ausländer“ eingerichtet, davon waren auch NS-Flüchtlinge betroffen. Bruno Schwebel schreibt: „[…] daß man Papa zusammen mit allen anderen österreichischen und deutschen Männern, egal welcher politischen Richtung sympathisierten, in das große Vèlodrome d´Hiver

136 Bruno Schwebel/Christian Kloyber/Karl Müller (Hg.), Das andere Glück, Wien, 2004, 60. 137 Ebd., 61. 138 Ebd., 61f. 40 beordert. Von dort wurde er in das Internierungslager von Meslay du Maine in der Normandie geschickt […].“139 Bruno und sein älterer Bruder kamen 1939 bei Kriegsausbruch in ein Flüchtlingsheim für Kinder jüdischer Abstammung nördlich von Paris in Montmorency. Brunos Ehefrau, Joan Brodovsky berichtet im Interview folgendes über die Familiensituation der Schwebels zu Kriegsbeginn in Frankreich: „So then at this time Bruno’s father, because of his declaration of war with Germany, as Austria was part of Germany now, he was an alien, he was an enemy. He was given the choice of going to the army or going to a concentration camp in France, a French concentration camp. So he chose to go to the camp and this was apparently a filthy palce in the Normandy in the north. So the family could visit him once in a while, but usually there wasn’t money or time. He was there until sometime after the Germans invaded Paris, so Resi took a job as a cook at the Kinderheim which was for girls. Bruno was sent to another one nearby about two or three kilometers away which was for boys”140

Bevor sie nach Les Tourelles geschickt wurden, kamen die beiden Brüder für neun Monate in der Villa Helvetia unter. Dort blieben sie, bis die deutschen Truppen nur noch 25 km von Paris entfernt waren. Schwebel berichtet im Werk, dass hunderte Kinder aus dem Heim - darunter sein Bruder und er selbst - mit nur einem Waggon von Paris nach Montinin gebracht wurden. Die Mutter, die schon seit längerem als Köchin in der Villa Helvetia gearbeitet hatte, kam einige Tage später zu Fuß nach Montinin. Von dort ging es später nach Montauban, wo die Vorbereitungen für eine Flucht ins Ungewisse getroffen wurden. Seit 1940 war der Vater wieder mit seiner Familie vereint und versuchte verzweifelt, ein Visum für irgendein Land zu erlangen.141 An dieser Stelle kommt Mexiko erstmals unter Präsident Càrdenas, der sich bemühte vor allem politischen Flüchtlingen zu helfen, ins Spiel. Gemeinsam mit der mexikanischen Botschaft in Paris und später in Marseille wurden Fluchtrouten durch Spanien gesucht. Mit einem Einreisevisum für Spanien gelangten viele Flüchtlinge nach Portugal und von Lissabon mit dem Schiff über einige Zwischenstationen wie Casablanca, Kuba und New York schließlich nach Mexiko. Über die Entscheidung nach Mexiko zu gehen und den Visumerhalt an sich berichtet Bruno Schwebel im Film Folgendes: „Mein Vater versuchte Visa nach Amerika zubekommen, nach England, das wurde alles abgelehnt, und die einzige Möglichkeit in diesen Tagen – ich rede jetzt von 1941 – war nach Mexiko zu emigrieren. Man wusste, das in Marseille das

139 Ebd., 73. 140 Interview mit Joan Brodovsky, geführt am 07.02.17 Aufnahmen und Transkription beim Autor, 2. 141 Vgl. Schwebel/Kloyber/Müller (Hg.), Das andere Glück, 74-88. 41 mexikanische Konsulat, damals unter der Führung von Gilberto Bosques, Visums gab für die Flüchtlinge des Nazi-Regimes. Und nach viel, viel Hin und Her bekamen wir das Visum nach Mexiko.“142 Mit einem Durchreisevisum durch Spanien gelangte die Familie Schwebel 1942 nach Portugal und von dort mit dem letzten regulären Schiff nach Veracruz, Mexiko. „Mit Koffern in der Hand schlossen wir uns am Morgen des 28. Jänner 1942 der langen Reihe an, um an Bord der Nyassa zu gehen.“143 Über die Schiffsfahrt schreibt Schwebel in „Das andere Glück“: „Die Nyassa war ein altes 9.000-Tonnen-Frachtschiff, in Bremen Anfang des Jahrhunderts gebaut und später für den Transport von etwa 2000 Passagieren umgerüstet[…]. Es waren zirka zweitausenfünfhundert Passagiere an Bord.“144 Die geplante Route war von Lissabon nach Casablanca, weiter auf die Bermuda Inseln, danach La Havanna und schließlich Veracruz und Santo Domingo. Die Überfahrt beschreibt Schwebel als sehr unruhig aufgrund des starken Wellengangs. An Bord war es zudem ungemütlich wegen der vielen Ratten.145 Dieses Exilland Mexiko war also für die Familie Schwebel kein geplantes Ziel, sondern es war ein Zufall, der sich durch die Asylpolitik des linken Präsidenten Càrdenas bot.146

Friedrich Katz verließ gemeinsam mit seinen Eltern aus beruflichen Gründen des Vaters im Jahr 1930 Österreich. Es zog die Familie nach Berlin, um dort den journalistischen Kampf gegen die NSDAP aufzunehmen. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten verließ die Familie aus religiösen und politischen Gründen Berlin. Leo Katz war Jude und Zeit seines Lebens engagierter Kommunist. Er floh mit seiner Familie über Paris und New York schließlich 1940 nach Mexiko. Auch Frankreich war bei Friedrich Katz die erste Exilstation nach der Flucht aus Deutschland. In Frankreich angekommen arbeitete der Vater, Leo Katz, als Geschäftsmann. Er arbeitete von 1936 - 1938 als Waffeneinkäufer für die Spanische Republik und unterstützte diese. Im Jahr 1938 war jedoch auch die Zeit in Frankreich für die Familie vorbei und sie floh mit dem Ziel nach New York, dort ein endgültiges Asyl zu finden. In den USA lebte sich die Familie schnell ein, eine Schule für den Sohn Friedrich war ebenfalls rasch gefunden. Zwei Jahre lebte die Familie in New York in einem jüdischen Bezirk. Dennoch fand

142 Hubert Canaval, In der Fremde zu Haus, 96min, Mexiko 2004, 7:49 min. 143 Schwebel/Kloyber/Müller (Hg.), Das andere Glück, 119. 144 Ebd., 120-126. 145 Vgl. ebd., 120-126. 146 Vgl. Freies Radio Salzkammergut, Sendereihe: Fluchtpunkte – Literarische Miniaturen aus dem Exil, Freies Radio Salzkammergut, URL: http://freiesradio.at/fluchtpunkte-literarische-miniaturen-aus-dem-exil/ (abgerufen am 12.02.2017) und Christian Kloyber, Mein Exil in Mexiko, Literaturhaus Salzburg, URL: http://www.literaturhaus-salzburg.at/content.php?id=90&programmdetail=2313 (abgerufen am 12.02.2017). 42 die Familie Katz schlussendlich ihr Exil in Mexiko.147 Friedrich Katz beschreibt im Geleit des Werkes „Österreicher im Exil, Mexiko 1938-1945“, dass er froh war in Mexiko angekommen zu sein: „Unserer Familie hat die mexikanische Politik, die uns Asyl gewährte, das Leben gerettet, denn wir wären von den Nazis sowohl aus politischen als auch aus rassischen Gründen ausgerottet worden.“148 Seine Liebe zu Mexiko spielte sein ganzes Leben lang eine zentrale Rolle, wie auch in seinen wissenschaftlichen Arbeiten zu erkennen ist.149

Oscar Römer musste mit seiner Familie im Jahr 1938, wenige Tage nach dem „Anschluss“, Österreich verlassen. In einem Interview, aus dem Film „At home far away from home“ berichtet er über den Einmarsch in Wien folgendes: „[…] da wollte ich eine Fahne mit der „Swastika“ haben – eine deutsche Fahne - und da hat meine Mutter gesagt, das geht nicht – es gibt zwei Art Kinder in dieser Welt – ein Art Kind kann mit dem Schiff fahren durch das Meer und das andere Kind kann eine Fahne kriegen. Welche von diesen zwei Kindern willst du sein? Hab ich gesagt, ich will das Kind sein das im Schiff übers Meer fährt – und so habe ich keine Fahne gekriegt, aber ich bin hier in Mexiko eingelaufen. Ich bin gefahren mit dem Schiff übers Meer.“150 Zu erwähnen ist an dieser Stelle, dass die Familie Römer ebenfalls jüdisch war. Politische Interessen und Aktivitäten von Ernst Römer sind laut Quellen erst in Mexiko im Bereich der Kommunisten zu belegen. Oscar Römer berichtet am 19. März 2003 bei seiner Rede im Parlament, dass sein Vater einen Freund im Chor mit dem Namen Brunner hatte, der ihm half aus Österreich zu entkommen. Im Film „In der Fremde zu Haus“ findet sich eine Aufnahme mit Oscar Römer am prunkvollen Stiegenaufgang des Palacio de Bellas Artes in Mexiko, wo er über die Motivlage seines Vaters zur Flucht folgende Geschichte erzählt: „[…] und am Montag, den nächsten Montag, nachdem die Nazis hereingekommen sind, ist mein Vater gegangen in die Opernsaal und dort stand an der Bühne eine Gruppe von seinen Sängern aber in Nazi-Uniformen in der Gestapo Uniform. Und äh er hat Angst gekriegt, ist

147 Vgl. Hans-Christian Heintschel, Wiener Vorlesungen: Vortrag von Friedrich Katz zu Mexiko, APA-OTS, URL: http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20040318_OTS0035/wiener-vorlesungen-vortrag-von- friedrich-katz-zu-mexiko (abgerufen am 13.02.2017); I. Schinnerl, Katz, Friedrich, Austria-Forum, URL: http://austria-forum.org/af/Wissenssammlungen/Biographien/Katz,_Friedrich (abgerufen am 13.02.2017) und Unbekannt, Professor Friedrich Katz, The University of Chicago, URL: http://mexicanstudies.uchicago.edu/page/friedrichkatz (abgerufen am 13.02.2017). 148 DÖW, Österreicher, 9. 149 Vgl. Unbekannt, Professor Friedrich Katz. 150 Hubert Canaval, In der Fremde zu Haus, 96min, Mexiko 2004, 2:45 min. 43 hingekommen zu ihnen, und einer von ihnen ist los von der Gruppe und hat ihm gesagt: „Weißt du was Ernst, du bist mein einziger jüdischer Freund“, und diese Person, die es ihm gesagt hat, hat ihm geholfen – hat unsere ganze Familie geholfen wegzugehen von Österreich. Diese Person hieß Anton Brunner. Und nach dem Krieg wurde er von den Russen bestraft, weil er hat getötet 60.000 Juden. Aber meine Familie hat dieser Führer der Gestapo gerettet.“151 Oscar Römer floh nicht wie Bruno Schwebel und Friedrich Katz gleich nach Frankreich, sondern kam erst in die Schweiz. Von dort gelangte die Familie nach Frankreich und Kuba und schließlich nach Veracruz. Im August des Jahres 1938 kam sie in Mexiko an, nicht wissend was sie dort erwarten würde. Nach Mexiko kamen die Römers, da Präsident Càrdenas es vorzog, verfolgte KünstlerInnen und politische ExilantInnen aufzunehmen. Bereits eine Woche nach der Ankunft in Mexiko und mittels Unterstützung der Regierung konnte die Familie Fuß fassen und verfügte über ein geregeltes Einkommen. „Mexiko wurde die zweite Heimat meines Vaters“, so Oscar Römer.152 Bei Oscar Römer ist anzumerken, dass er bereits sehr früh - im Jahr 1938 - nach Mexiko kam, während Friedrich Katz und auch Bruno Schwebel erst 1940 bzw. 1942 in Mexiko ankamen. Anhand der Quellenlage ist zu vermuten, dass die besondere kulturelle Bedeutung von Dr. Ernst Römer, Vater von Oscar Römer, ausschlaggebend war für die Flucht der Familie direkt nach Mexiko ohne längere Aufenthalte in anderen Exilländern.

Lisa Freistadt-Lang, die Tochter des kommunistischen Journalisten Benedikt Freistadt (Bruno Frei), war ebenfalls gezwungen ihr Aufenthaltsland, in ihrem Fall Deutschland, zu verlassen. Ihr Vater wurde aufgrund seiner Tätigkeit als Journalist und Regimekritiker von Herman Göring auf die Liste der verfolgten Personen gesetzt. Bruno Frei verließ Berlin ohne seine Familie und ging nach Prag, während seine Frau Maria und die beiden Kinder Lisa und Hans mit dem Zug nach Wien flohen. So trennten sich ihre Wege und sie fanden erst in Paris wieder zusammen.153 Im Jahr 1936 kam Bruno Frei nach Paris und schon drei Jahre später wurde er im Lager von Le Vernet interniert. Im Jahr 1941 konnte Frei aus Frankreich flüchten und sein Weg führte ihn über Trinidad und die USA nach Mexiko.154 Seine Tochter Lisa Freistadt kam erst

151 Hubert Canaval, In der Fremde zu Haus, 96min, Mexiko 2004, 17:17 min. 152 Christian Kloyber, Gedenkakt zu Ehren von Dr. Ernst Römer, URL: http://www.literaturepochen.at/exil/multimedia/pdf/KloyberRoemerParlament2003.pdf (abgerufen am 12.02.2017). 153 Vgl. Wolfgang Kos, Geschichte und Geschichte – Autobiographische Aussagen von Bruno Frei, österreichischemediathek, URL: http://www.mediathek.at/atom/04A52088-2C6-00007-00000548-04A49C64/ (abgerufen am 12.02.2017). 154 Vgl. Katharina Kniefacz, Benedikt Freistadt, Universität Wien, URL: http://gedenkbuch.univie.ac.at/index.php?id=435&no_cache=1&person_single_id=40164 (abgerufen am 13.02.2017). 44 nach dem Tod der Mutter nach Mexiko zu ihrem Vater. Sie war im Jahr 1940 mit einem Schiff nach Amerika gereist und von dort kam sie nach Mexiko, während ihr Bruder in den USA blieb.155 Bei Frau Freistadt ist anzumerken, dass sie im Vergleich zu den anderen ausgewählten Personen nicht gemeinsam mit ihrer Familie nach Mexiko kam. Ihre Familie wurde bei der Flucht zerrissen. Bei der Überfahrt nach Amerika begleitete sie ihr Bruder. Die Reise von der USA nach Mexiko unternahm Lisa Freistadt jedoch alleine.

Alejandro Zohn musste gemeinsam mit seiner Familie sein Heimatland Österreich verlassen. Von Wien floh die Familie 1939 erst nach Hamburg, dort hatten die Zohns allerdings Probleme mit den Papieren. Von Hamburg fuhren sie weiter mit dem Zug nach Frankreich und gelangten von dort auf direktem Weg nach Mexiko. Mit einem Schiff kamen sie in Veracruz an. Das Exilland Mexiko war kein Zufallsexil wie bei vielen anderen Flüchtlingen, denn der Bruder des Vaters lebte bereits seit den 1920er-Jahren in Mexiko. Die Familie ließ sich in Guadalajara nieder.156

An den fünf genannten Familien (Schwebel, Katz, Römer, Freistadt, Zohn), zeichnet sich ab, dass Frankreich in vielen Lebensgeschichten eine der ersten Stationen im Exil war. Neben Frankreich gab es allerdings auch noch anderer Fluchtrouten nach Übersee, wie es beispielsweise die Familien Deutsch und Loewe erlebten. Ruth Deutsch de Lechuga floh 1939 ebenfalls mit ihrer Familie von Österreich nach Mexiko. Die Familie Deutsch war ebenfalls jüdischen Glaubens, über politische Zugehörigkeiten findet man nichts in den Quellen. Ruth Deutsch de Lechuga war bereits 18 und hatte Matura. Im Interview mit dem Lateinamerika-Magazin berichtet sie über ihre Erinnerungen an diese Zeit. In der „Reichskristallnacht“ wurde ihr Vater gewarnt und konnte sich so vor der Gestapo verstecken. Unmittelbar nach der “Reichskristallnacht“ wagte die Familie im Dezember 1938 den Versuch, illegal über die Grenze nach Holland zu gelangen. Dieser Versuch scheiterte jedoch und sie wurde zurück nach Wien geschickt. Den vier Jahre jüngeren Bruder ließ die Familie in Holland in einem Heim für Flüchtlingskinder zurück. Als die nötigen Papiere und Ausreisevisa endlich in Wien waren, unternahm die Familie Deutsch erneut den Versuch, über Holland auszuwandern. Diesmal gelang die Flucht. Eine Woche blieb die Familie mit Hilfe der

155 Vgl. Kos, Geschichte und Geschichte – Autobiographische Aussagen von Bruno Frei. 156 Vgl. Central de Noticias Diario Judio, Alejandro Zohn Z´L, diariojudio.com, URL: http://diariojudio.com/comunidad-judia-mexico/alejandro-zohn-zl-arquitecto-sobreviviente-del- holocausto/7466/ (abgerufen am 09.02.2017); Quelle Literaturhaus, Unterlagen von Veronika Zwerger. 45 Transvisa in Amsterdam, wo sie Ruths Bruder wieder zu sich holten. Anschließend ging es mit dem Schiff von Vlissingen nach New York. Trotz Einreisevisa mussten die Familienmitglieder eine Nacht wie alle anderen Flüchtlinge auf Ellis Island bleiben. Von New York reisten sie in einer 24-stündigen Fahrt im Zug nach Mexiko, wo sie an der Grenze aussteigen mussten. Mexiko war im Falle der Familie Deutsch ebenfalls kein Zufallsexil. Die Mutter von Ruth Deutsch de Lechuga hatte einen Bruder, der dort lebte und vieles für die Flucht seiner Verwandten vor Ort vorbereiten konnte. Ruth konnte sich wie sie im Interview mit Ulrike Schätte im Juli 1997 sagte, schnell einleben. Sie fand mexikanische Freunde und konnte sich gut integrieren. Das unbekannte Land und die fremde Kultur interessierten sie sofort.157 Die positive Haltung zu Mexiko lässt sich aus folgendem Zitat von Ruth Deutsch de Lechuga ableiten: „In Mexiko konnten wir uns frei entfalten, man behandelte uns nicht wie Menschen zweiter Klasse [...].“158

Ricardo Loewe wurde erst 1941 in Mexiko geboren und hatte keine eigene Flucht erlebt. Er stellt somit eine Ausnahme in der ausgewählten Gruppe dar. Im Interview vom 15. Dezember 2016 konnte er dennoch sehr detailliert über die Flucht seiner Eltern berichten. Seine Mutter war eine Wiener Jüdin, die mit ihrer Familie 1938 Österreich verlassen musste. Ihre Flucht begann mit einer Behördenbestechung, sodass sie von Wien nach Prag reisen konnten und von dort dann weiter nach Holland. In Prag lebte die Schwester der Mutter von Ricardo Loewe. Von Amsterdam gelangte die Familie der Mutter mitsamt allen Verwandten, welche zu diesem Zweck in der niederländischen Stadt zusammengekommen waren, unter ihnen auch die Familie Deutsch, mittels Schiff nach Mexiko. Über die Reisedokumente sagte Ricardo Loewe im Interview im Dezember 2016: „Das sind [Pause] das sind deutsche Pässe gewesen, in denen der also der Judenstern [Pause] drinnen [Pause] also eingestempelt war und der Vorname war Sara - also meine Mutter, die hat Lisbeth geheißen und da hat sie Sara-Lisbeth geheißen und hat einen Stempel mit einem Davidstern gehabt. Das war der Ausreisepass der deutsche. Damals war eben schon die die [Pause] sind nicht als Österreicher weg, sondern als Deutsche von der Ostmark.“159

157 Vgl. Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes, Mitteilungen: Folge 162, Juni 2003, Dokumentationsarchiv des Österreichischen, URL: http://www.doew.at/cms/download/8l2kc/162.pdf (abgerufen am 12.02.2017); Ulrike Schätte, Hinter jeder Maske steht eine Geschichte, ILA, URL: https://www.ila-web.de/ausgaben/207/hinter-jeder-maske-steht-eine-geschichte (abgerufen am 12.02.2017). 158 Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes, Mitteilungen: Folge 162, Juni 2003, Dokumentationsarchiv des Österreichischen, URL: http://www.doew.at/cms/download/8l2kc/162.pdf (abgerufen am 12.02.2017; Ulrike Schätte, Hinter jeder Maske steht eine Geschichte, ILA, URL: https://www.ila-web.de/ausgaben/207/hinter-jeder-maske-steht-eine-geschichte (abgerufen am 12.02.2017). 159 Interview mit Ricardo Loewe, geführt 15.12.16 Aufnahmen und Transkription beim Autor, 15. 46 Über die Schwierigkeiten, zu Einreisedokumenten für Mexiko zu kommen, gibt er auch zu verstehen, dass die mexikanische Asylpolitik Menschen mit höherer Ausbildung bevorzugt behandelt hat. „Ja das war nicht so schwer, weil eben die Grenze offen war für Flüchtlinge, allerdings nicht so für alle [Pause] der, der Càrdenas die [Pause] die Politik war, man soll die reinlassen, die die was wissen die was können also Akademiker und Leute, die schon einen Beruf haben [Pause] und so, und die haben‘s leicht gehabt. Eben deshalb diese Konstellation von meinem Großonkel, der der hat dann, mein Großonkel, mit seiner hochqualifizierten Arbeit das Institut gemacht, das immer noch existiert – ein Hals-Nasen-Ohren-Institut, was dann zu „Instituto della comuniczion Humana“ geworden ist, also da da [Pause] wie heißt das der Verbindung – oder der Sprache, [Pause] da steht ein Plakat von Metall „gegründet von Dr. Leo Deutsch“ [Pause] also natürlich solche Leute, die hat man hineingelassen.“160 Zwischenstation auf der Reise nach Übersee war Kuba. Sein Vater, aus Frankfurt stammend, wurde aufgrund seines jüdischen Hintergrundes von dessen Vater nach Mexiko geschickt, um dort ein neues Leben aufbauen zu können und um dann den Rest der Familie nachzuholen. Der Vater wurde 1933 nach Mexiko geschickt, da bereits ein Bruder des Großvaters dort ansässig war. Kennen gelernt haben sich die Eltern von Ricardo Loewe in Mexiko, beide haben Medizin studiert und zusammen als RöntgenologInnen gearbeitet. Ricardo Loewe wurde 1941 in Mexiko als mexikanischer Staatsbürger, aber als Sohn von deutschsprachigen Eltern geboren.161

6.2.2 Erinnerungen an die Ankunft in Mexiko Eine besondere Stellung nimmt die Ankunft im Zielhafen Veracruz ein. Dazu gibt es aus Sicht der Quellenlage durchaus interessante und von mehreren Personen aus der Gruppe zu berichtende Erlebnisse und Eindrücke. Bruno Schwebel erinnert sich in dem von Christian Kloyber und Hubert Canaval konzipierten Film über „AT HOME FAR AWAY FROM HOME“ („IN DER FREMDE ZU HAUS“) noch an seine Ankunft in Mexiko: „Am ersten März 1942 sahen wir schon die Lichter von Veracruz […] am nächsten Tag, am 2. März, fuhren wir dann in den Hafen ein, der Empfang war unvergesslich, man darf nicht vergessen, dass auf dem Schiff meistens Spanier waren,

160 Ebd., 15. 161 Vgl. ebd., 2f 47 republikanische Spanier, die hier in Mexiko Zuflucht fanden, der Kai war voll von Menschen, hunderte, hunderte von Menschen, Musik, Mariachis, es […].“162 An diesem Punkt seiner Erzählung angelangt, wird er sehr emotional und kann nicht weitersprechen. In einer späteren Szene folgt eine Erklärung für seine emotionale Reaktion im Film von der Hafeneinfahrt. „Ich unterdrückte immer meine Emotionen damals – und heute, wenn ich da in die Gegend zurückkomme nach Südfrankreich oder Purkersdorf oder Neulengbach kommen diese unterdrückte Emotionen immer wieder heraus, herauf, hervor […]. Und das ist auch der Fall bei meiner Ankunft in Veracruz – damals - wir mussten einen Tag lang warten, bis alles geregelt wurde, und dieser, dieser Tag war ein langer Tag. Wir hatten Angst, dass uns so etwas passieren könnte wie den EmigrantInnen von dem Schiff St. Luis, die in Havanna zurückgewiesen wurden.“163 An dieser Stelle ist ihm wohl bewusst geworden, dass er und seine Familie das Ziel unmittelbar vor Augen hatten, und es war sehr viel schöner, als er es erwartet hatte, aber es gab immer noch die Ungewissheit, dass alles im letzten Moment durch eine Zurückweisung des Schiffes zunichte gemacht werden konnte. Für Friedrich Katz, der mit seinen Eltern im Alter von 11 Jahren im Jahre 1938 nach New York kam, ging die Flucht zwei Jahre später mit dem Zug nach Mexiko weiter. Die Familie erlangte entsprechende Papiere mit Hilfe des Joint Antifacist Refugee Comimittee. Grund für die Auswanderung aus den USA waren die abgelaufenen Visa der Eltern.164 Er berichtet im Gegensatz zu Bruno Schwebel nichts über seine Eindrücke direkt bei der Ankunft, sondern beginnt mit einem Vergleich zum Einleben in seinen vielen Exilstationen in einem Interview aus dem Jahr 1984, geführt von Konstantin Kaiser. „In Mexico war es damals für mich eigentlich schwerer, mich einzuleben, als etwa in Frankreich und in den USA.“165 Als mögliche Begründung für diese gemischten Gefühle dem neuen Wohnort gegenüber sagt er: „Denn sowohl in Frankreich als auch in den USA habe ich zumindest im Land gelebt, ich war in einer französischen Volkschule in Frankreich und in einer amerikanischen Volkschule in New York. In Mexico lebe ich in einer Art Getto, in einer französischen Schule und sonst, durch die Eltern, durch meine Freunde, im Emigrationsgetto, zumindest die ersten Jahre.“166

162 Hubert Canaval, In der Fremde zu Haus, 96min, Mexiko 2004, 8:49 min. 163 Ebd., 10:21 min. 164 Vgl. Interview mit Friedrich Katz und Konstantin Kaiser, 5-9. 165 Ebd., 5. 166 Ebd., 8. 48 Auch Oscar Römer berichtet aus seiner Erinnerung von einem einprägsamen Ereignis bei der Ankunft in Veracruz und ebenfalls, wie Bruno Schwebel, von der Weiterreise nach Mexico City. „Wie wir angekommen sind in Mexiko, in Veracruz, haben wir auf einmal eine Stimme gehört, die gesagt hat: „Dr. Römer, wir suchen sie.“ Da hat mein Vater Angst bekommen. Die Nazis sind in Mexiko. Sie suchen uns wieder. Und er ist gegangen zu der Person, die ihn gesucht hat, und ist angekommen und hat gesagt. „Ich bin Dr. Römer mit meiner Familie.“ Aber die Person, die uns gesucht hat und den Namen von meinem Vater gesagt hat, war Diego Rivera, der ein Repräsentant von Präsident Làzaro Càrdenas war und hingekommen ist nach Veracruz zum Helfen den Künstlern, die von den Nazis weggeflohen sind. Und nach einem Gespräch mit meinem Vater von einer halben Stunde – das heißt mein Vater, die erste Person, die er gekannt hat in Mexiko, war der Diego Rivera. In - am nächsten Tag oder zwei Tage später waren wir schon in Mexico, in der Stadt Mexico, und mein Vater hat schon dirigiert, das haben wir dem Diego Rivera zu gedanken.“167 Anders als bei den Familien Deutsch, Loewe oder Zohn wird in der Erzählung deutlich, dass die Römers bei der Ankunft keine Verwandten vor Ort hatten, welche sie in Empfang nehmen konnten und so die ersten Schritte in der Fremde ohne Hilfe zu absolvieren gewesen wären. Die Verwandten waren bereits in den 1920er- und 30er-Jahren nach Mexiko ausgewandert. Alejandro Zohn erreichte gemeinsam mit seiner Familie Mexiko im Jahr 1939 mit dem Schiff. Mit Hilfe der Verwandtschaft fanden sie schnell eine Unterkunft in Mexico City. Noch im August 1939 zog die Familie Zohn jedoch weiter nach Guadalajara.168 Ruth Deutsch de Lechuga berichtete im Interview für das Lateinamerika-Magazin im Jahr 1997 Folgendes über ihre Ankunft in Mexiko. Gemeinsam mit ihrer Familie und engen Verwandten kam sie in die Wahlheimat Mexiko. „Wir sind schließlich hierhingekommen und von unseren Verwandten abgeholt worden. Sie hatten schon eine kleine Wohnung für uns gemietet. Es war eigentlich alles normal und ohne große Aufregung. Es ist uns eine Zeitlang nicht so sehr gutgegangen, also das Geld ist ausgegangen, es war nicht leicht, hier ein neues Leben anzufangen. Wir haben alle kein Wort Spanisch gekonnt. Mein Vater hat Stunden genommen, aber ich nicht.“ 169 Im Vergleich zu Schwebel, Katz und Freistadt war Mexiko ein Wahlexil. Ricardo Loewe stellt eine Ausnahme unter den ausgewählten Personen dar, weil er erst 1941 in Mexiko als mexikanischer Staatsbürger geboren wurde. Für ihn gab es das Erlebnis der Ankunft

167 Canaval, In der Fremde zu Haus, 19:05 min. 168 Vgl. Unbekannt, Alejandro Zohn. 169 Schätte, Hinter jeder Maske steht eine Geschichte. 49 im Exilland nicht. Ricardo Loewe kann jedoch über die Ankunft seiner Eltern und deren Erlebnisse in Mexiko berichten. An dieser Stelle zeigt sich noch ein weiterer Unterschied zu den anderen Personen. Auch die Eltern lernten sich erst in Mexiko bei der Arbeit kennen, da beide Mediziner waren. Ihre Flucht aus dem Heimatland verlief somit getrennt voneinander. Während die Mutter aus Österreich floh, verließ der Vater Deutschland bereits im Jahr 1933. Aus Erzählungen berichtet Ricardo Loewe über die Ankunft seiner Eltern in Mexiko im Interview vom 15.12.2016 in Wien. Sein Vater fasste sogleich Fuß in Mexiko wie folgendes Zitat zeigt: „[…] mein Vater, der hat schon in Deutschland angefangen gehabt Medizin zu studieren, aber da er nach Mexiko ist, hat er dann noch das Gymnasium [...] also das mexikanische, fertigmachen müssen und hat dort Medizin studiert. Er hat angefangen, 1934 und 1940 war er fertig mit dem Studium, und als diese ganze Asylantenwelle kam, da hat mein Vater, der hat noch von meinem Großvater einen Röntgenapparat bekommen – so ist er Röntgenologe geworden.“170 Mithilfe des Röntgengerätes, welches Ricardos Vater von dessen Vater bekam, wurde er zum ersten Röntgenologen in Mexiko. Seine finanzielle Lage war somit abgesichert. Auf der Seite seiner Mutter war die Situation folgende: „[…] auf der anderen Seite [Pause] meine [Pause] die die Familie meiner Mutter, ja, die haben gesucht wohin, und da war einer der Geschwister Reis also ein Bruder von meinem Großvater, der war schon in Mexiko, schon vorher, die waren Lederhändler […].“171 Die Verwandtschaft der Mutter lebte bereits in Mexiko, welche einige Vorbereitungen für die Nachkommenden treffen konnten. Somit war es auch für sie einfacher, schnell Fuß im neuen Land zu fassen.172 Grundsätzlich ging es beiden, Vater und Mutter, im mexikanischen Exil gut. Die Familien Schwebel, Katz, Römer, Loewe und Zohn erlebten eine gemeinsame Ankunft in Mexiko, für Lisa Freistadt verlief die Ankunft anders. Die beiden Kinder Lisa und ihr Bruder reisten alleine per Schiff von Frankreich nach Übersee, da die Mutter 1940 bei einem Bombenangriff in Paris ums Leben gekommen war. Nach einiger Zeit in den USA konnte Lisa ihrem Vater nach Mexiko folgen. Jener war schon seit einiger Zeit ebendort und hatte sich bereits ein neues Leben aufgebaut.173 Was die Weiterreise nach Mexico City betrifft, so gibt es dazu nur von Bruno Schwebel Texte und Interviewpassagen:

170 Interview mit Ricardo Loewe, geführt 15.12.16 Aufnahmen und Transkription beim Autor, 3. 171 Ebd., 2. 172 Vgl. ebd., 2f. 173 Vgl. Kos, Geschichte und Geschichte – Autobiographische Aussagen von Bruno Frei. 50 „Ach die Landschaft hat mich so, die Landschaft hat mich so beeindruckt, diese Fahrt von Veracruz nach Mexiko, die Dörfer mit den Palmen, den Amatebäumen, Sederbäumen und Mangobäumen […] und dann in der Nähe von Puebla, vor Puebla, sind ja diese langen, ist ja diese lange, fast 100 Kilometer lange, oder 80 Kilometer lange Ebene, diese Strecke - und im März ist ja Trockenzeit in Mexiko. Ich kann mich erinnern, war sehr trocken - diese Wirbelstürme sind da – die seh`ich jetzt noch – diese Wirbelstürme, die da aufgetrieben worden sind von den [Pause] und dann sind wir am Popocatepetl vorbei – hamma diesen riesen Vulkan gesehen am Abend - nicht – und am Abend dann sind wir in Mexiko-Stadt angekommen.“174 Aus diesem Interview lässt sich unschwer erkennen, dass die weitere Entwicklung in seinen künstlerisch geprägten Lebensbereichen, vor allem der Malerei, einen entsprechenden Ausdruck finden wird. An anderer Stelle im Film berichtet Schwebel dann auch von seiner Landschaftsmalerei.

6.2.3 Erinnerungen an das Leben von Kindern und Jugendlichen im mexikanischen Exil Der erste Schritt in der neuen Heimat im Exil war das Ankommen und das Gewöhnen an die neue Umgebung. Die Integration in die mexikanische Gesellschaft spielt hier eine große Rolle. Ein Vergleich der Lebenssituationen bringt Ähnlichkeiten, Unterschiede und Variationen zu Tage.

Über die erste Unterkunft im Exil gibt es ebenfalls Aussagen von Schwebel und Römer. Hier wird auch noch einmal ein Unterschied deutlich erkennbar. Beide berichten im Film „In der Fremde zu Haus“ über diese Erinnerungen. Schwebels Familie war wie die von Römer eigentlich auf sich alleine gestellt, aber sie erlebte offenbar eine Standardsituation. „Wie sehr hatte mich dieses Stadtviertel damals am Tag nach unserer Ankunft beeindruckt. Ich war 13 Jahre alt, mein Bruder 15, wir wurden provisorisch in einem schmuddeligen Hotel in der Calle Peru, hier in der Nähe untergebracht […].“175 Oscar Römer geht langsam durch den mit einer Glas-Metallkonstruktion überdachten Innenhof einer mehrgeschossigen Wohnanlage und berichtet dabei, dass dies seine allererste Unterkunft in der Stadt gewesen sei. „Am zweiten oder dritten Tag waren wir sofort in einem Gebäude,

174 Canaval, In der Fremde zu Haus, 11:45 min. 175 Canaval, In der Fremde zu Haus, 29:40 min. 51 das hieß Edificio Ermita, untergebracht. In dies Gebäude waren sehr viele Exilierten von Spanien und Europa, Exilierten von den faschistischen Ländern.“176 Die Aussagen zur jeweiligen Ankunfts- und Wohnsituation lassen deutliche Unterschiede erkennen. Dem schmuddeligen Hotel bei Schwebel steht die fast schon noble Mehrparteienwohnanlage, von Architektenhand errichtet, gegenüber. Die finanzielle Lage der Schwebels war offenbar nicht so gut wie die Situation der Familie Römer. Theodor Schwebel versuchte am Anfang mit Tür-zu-Tür–Verkauf von Würsten Geld zu verdienen, Therese, die Mutter versuchte Hochzeitskleider zusammen mit ihrer Schwägerin Anni zu nähen, bis Theodor schließlich zwei kleine Darlehen erhielt. Eines von seiner Schwester Dora aus den USA und eines von israelitischen Organisationen. Damit konnte er dann einen kleinen Lebensmittelladen in der Calle de Allende kaufen.177 Im Film „In der Fremde zu Haus“ geht Bruno Schwebel eine Straße entlang und zeigt einen Laden, welcher damals von seinem Vater als Lebensmittelgeschäft betrieben worden war: „Hier in diesem Saal hatte mein Vater sein erstes Lebensmittelgeschäft in Mexiko, jetzt werden Möbel verkauft [Pause] ganz genau hier.“178 Er erzählt auch von seinen eigenen ersten Schauspielerfahrungen in den „Estudios Churubusco“: „[…] meine erste Erfahrung als Schauspieler hat am Anfang der 40er-Jahre begonnen, kurz nach unserer Ankunft im Mexiko im „Heinrich Heine-Klub“, die organisierten Galavorstellungen in deutscher Sprache […] das war das Theater der Elektriker Gewerkschaft hier in Mexiko, da machte ich 2 mal Theater unter der Regie von Charles Rooner, sein richtiger Name war Robicek, er war Wiener.“179

Ein wichtiger Teil im weiteren Leben der Familie Römer war, wie sich schon bei der Ankunft herausstellte, der Gesandte des Präsidenten Diego Rivera. Er brachte Oscars Vater und Leo Trotzki zusammen. „Und die Freundschaft von meinem Vater mit dem Trotzki: Er hat in kennengelernt durch den Diego Rivera - hat sich gut befreundet mit ihm – Und sie sind öfters ins Haus von Trotzki gegangen in Coyoacan. Der Diego Rivera, die Frida Kahlo, Trotzki und seine Frau. Und meine Eltern haben sich gut unterhalten dort. Und ich erinnere mich, obwohl ich noch fünf Jahre war, an manche Szene von den Garten von Trotzki, wo wir gegangen sind und geredet haben.“180

176 ebd., 36:27 min. 177 Vgl. Schwebel/Kloyber/Müller (Hg.), Das andere Glück, 137 178 Canaval, In der Fremde zu Haus, 26:50 min. 179 Ebd., 40:26 min. 180 Ebd., 38:26 min. 52 Der Einfluss der politischen Aktivitäten auf das Leben der exilierten Familie Römer in Mexiko muss sehr groß gewesen sein, denn Oscar Römer erzählt in einem Interview zur weiteren Entwicklung der Freundschaft zwischen seinem Vater und Trotzki: „Die Freundschaft mit dem Trotzki wurde nachher sehr schwer, dann eine Gruppe von Antifaschisten, die Freunde von meinen Eltern waren, waren Stalinisten. Die haben gesagt, wenn mein Vater weiter Freund mit Trotzki ist, spricht kein Mensch mit ihm mehr. Also es war so ein Kampf zwischen Stalinisten und Trotzkisten, dass mein Vater wollte nicht die zweite Heimat noch einmal verlieren und hat gebrochen die Relation mit Trotzki.“181 Oscar Römer erzählt über das Wirken und Schaffen seines Vaters als Dirigent im Exil. „Hier sind wir im großen Saal, wo mein Vater öfters gegeben hat die Fledermaus, vielleicht 75 Mal wurde sie gespielt hier. Er hat auch hier gegeben verbotene Kunst, entartete Kunst, Mahler, Schönberg, Jüdische Komponisten und auch andere österreichische große Komponisten wurden zum ersten Mal aufgestellt hier, die mein Vater gebracht hat nach Mexiko.“182

Im Leben von Friedrich Katz war sehr viel mehr Bewegung als bei allen anderen untersuchten Exilschicksalen. Die verschiedenen Exilstationen in Deutschland, Frankreich, den USA und Mexiko wirken sich, wie er selbst sagt, unterschiedlich aus. Positive Folgen des Exils waren für ihn: „Die positiven Folgen sind, daß ich vier Sprachen kann, relativ gut beherrsche… Ich habe auch die Möglichkeit gehabt, Literatur bzw. wissenschaftliche Werke in verschiedenen Sprachen zu lesen, was mir bei wissenschaftlichen Arbeiten ungeheuer geholfen hat.“183 Negative Folgen hingegen waren für Friedrich Katz, „[…] überhaupt in ein Land zu kommen, dessen Sprache ich zwar zu Hause sprach, aber nie in einer Schule gelernt hatte, wo mein Beruf durchaus mit sprachlichem Ausdruck zusammenhängt, das war ein schwieriges Problem.“184

Alltagleben Das Alltagsleben wird überall – in der Heimat wie im Exil - von der aktuellen finanziellen Lage der Familien bestimmt. Der Vater von Ricardo Loewe war als Röntgenologe ein besonders gefragter Arzt zu jener Zeit in Mexiko, seine Mutter war ebenfalls in der Röntgentechnik tätig und auch der Großvater war Mediziner. Daher bezeichnete Ricardo Loewe seinen Status als durchaus wohlhabend.

181 Ebd., 39:00 min. 182 Ebd., 20:50 min. 183 Interview mit Friedrich Katz und Konstantin Kaiser, 9. 184 Ebd., 9. 53 „[…] da hat mein Vater eben angefangen zu arbeiten so in Krankenhäusern – und dann – als Arzt – da hat er ja ziemlich schnell einen Erfolg gehabt und meine Mutter dazu – also er hat dann parallel hat er gearbeitet bei der Krankenkasse und hat seine eigene Praxis gehabt. Und ich würde sagen schon damals 1947, wo ich mich ganz genau erinnern kann, da war die Familie ziemlich, ziemlich wohlhabend- eigentlich also die höhere Mittelklasse würd ich sagen […].“185 Was die finanzielle Situation der Familien im Vergleich betrifft, so hat Ricardo Loewe aus seiner Erinnerung von Wohlstand und Mittelklasseverhältnissen berichtet, in denen er aufgewachsen ist.

Ruth Deutsch de Lechuga dagegen berichtete durchaus von Anfangsschwierigkeiten. „[…] es ist uns eine Zeitlang nicht so sehr gut gegangen, also das Geld ist ausgegangen, es war nicht leicht, hier ein neues Leben anzufangen.“186

Für Oscar Römer und seine Familie gab es von Beginn an, vom persönlichen Gesandten des Präsidenten Càrdenas Diego Rivera besondere Unterstützung in allen Lebenslagen. Es gab sofort eine komfortable Unterkunft, ein passendes künstlerisches Engagement für den Vater von Oscar und wenige Monate später ein kleines Hotel für seine Mutter. Bereits eine Woche nach der Ankunft in Mexiko und mittels Unterstützung der Regierung konnte die Familie Fuß fassen und verfügte über ein geregeltes Einkommen. „Mexiko wurde die zweite Heimat meines Vaters“, so Oscar Römer. 187 Oscar Römer berichtet über die Wohnsituation seiner Familie am Anfang des Exils in Mexiko: „Nach dem sind wir in ein Haus gegangen, ein Privathaus, haben gemietet ein Privathaus in einer anderen Gegend, und meine Mutter hat dort gehabt ein kleines Hotel, 6 Zimmern, und in dem Haus wurde der Heine-Club und alle diese Zusammenkommen von die Intellektuellen wurden in dem Haus gemacht.“188

185 Interview mit Ricardo Loewe, 16. 186 Schätte, Hinter jeder Maske steht eine Geschichte. 187 Christian Kloyber, Gedenkakt zu Ehren von Dr. Ernst Römer, URL: http://www.literaturepochen.at/exil/multimedia/pdf/KloyberRoemerParlament2003.pdf (abgerufen am 12.02.2017). 188 Canaval, In der Fremde zu Haus, 37:30 min. 54 Schule Zum nächsten Integrationsschritt wurde für fast alle ausgewählten Personen die Schulzeit. Sie führte zur nächsten dauerhaften, prägenden Erfahrung mit der neuen Kultur und zu einer unmittelbaren Begegnung mit den Menschen im fremden Land. Die Schwebels wollten keinesfalls in eine deutsche Schule aufgrund der Nazilehrer, für eine teure Privatschule wie Ricardo Loewe sie besuchte, war kein Geld vorhanden.

Bruno Schwebel erinnert sich in einer Szene, gedreht am Originalschauplatz von damals, an den Beginn seiner Schulzeit in Mexico City. „[…] und ich glaube im nächstes Monat gingen wir bereits in die Schule, mein Bruder und ich.“189 Das Zitat zeigt, dass ein Monat nach der Ankunft in Mexiko verging, bis sich die Familie eingelebt hatte und Schulplätze für beide Kinder gefunden hatte. Er erinnert sich, dass die Eltern beide Söhne in der Escuela Prevocacional Nr. 2 anmeldeten, da diese Schule nur 15 Minuten vom neuen Zuhause entfernt war.190 „Ich war 13 ½ und mein Bruder zwei Jahre älter, mit kurze Hosen kamen wir da an um uns einzuschreiben, und diese Schule war genau gegenüber der Deutschen Schule, dort gegenüber, dieses blaue Gebäude, aber früher war das die Deutsche Schule, Alexander von Humboldt. Und als wir uns versuchten einzuschreiben in diese Schule hier, sagte der Direktor: nein, nein, ihr irrt euch, die deutsche Schule ist da gegenüber – es war schwer für uns, wir sprachen kein Spanisch – zu erklären, dass wir nicht in die Deutsche Schule wollten, sondern hier in die mexikanische Volksschule, die gratis war und die keine Nazilehrer hatte.“191 Mit Mühe versuchten die beiden Brüder dem Direktor zu erklären, dass sie keinesfalls in die deutsche Schule gehen wollten. Der Direktor war grundsätzlich ein sehr offener und liebenswürdiger Mensch, „[…] der alle Welt gut behandelte, besonders aber uns beide“, so Bruno Schwebel in seinen biografischen Erzählungen „Das andere Glück“.192 Über eines der ersten Erlebnisse in der Schule weiß Schwebel folgendes zu berichten: „Und es war damals Gebrauch, dass die neuen, die neuen Schüler werden, wurden geschert von den Schülern von der dritten Klasse. Und die wollten uns scheren und wir wehrten uns. Da waren Faustkämpfe und alles Mögliche – wir wehrten uns. Hab mir gedacht: gut – wir sind dann in ein Peloceria – ein Friseurgeschäft gegangen und am nächsten Tag sind wir dann geschert in die Schule gekommen. Dann war dann Ruhe.“193

189 Ebd, 30:50 min. 190 Vgl. Schwebel/Kloyber/Müller, Das andere Glück, 134. 191 Canaval, In der Fremde zu Haus, 30:50 min. 192 Schwebel/Kloyber/Müller (Hg.), Das andere Glück, 134-136. 193 Canaval, In der Fremde zu Haus, 31:55 min. 55 Dieses Erlebnis in der Schule war besonders einprägsam für Schwebel. So kommt er in seinem Buch „Das andere Glück“ zu folgendem Statement: „Welch ein Unterschied zwischen jenem Ambiente und der Disziplin in den Schulen Österreichs und Frankreichs! Einerseits fühlte ich die Notwendigkeit, mich anzupassen, zu jenen Burschen zu gehören, die so ganz anders waren als ich, manche schon mit Schnurrbart, fast Männer. Und andererseits war ich von europäischen Verhaltensmustern geprägt. Dieser Unterschied hat mich den Rest meines Lebens in Mexiko begleitet.“194

Im Jahr 1947 erst nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges begann für Ricardo Loewe die Schulzeit in Mexiko. „[…] damals gab’s zwei oder drei jüdische Schulen in der Stadt Mexiko, da wo ich geboren bin, und die deutsche Schule, die war voll mit Nazis. Da konnte ich a net hin [Pause] hingeschickt werden. Und da bin ich in Schule gegangen von [Pause] äh von den republikanischen Spaniern. Das war so zirka das Nächste, nur [Pause] die mexikanische Kultur die war meinen Eltern noch fremd damals und mich in eine staatliche Schule zu schicken, das war undenkbar. Die haben ja das Ganze net verstanden und [Pause] äh so bin ich also eine in diese republikanische geschickt – wo ich dann bis zur Universität da war. Also zwischen 1947 und 1957 inklusive[…].“195 Aus dem Zitat kann man die Schwierigkeiten bei der Suche nach einer geeigneten Schule erkennen, obwohl der Krieg bereits vorbei war. Deutsche Schulen kamen weiterhin nicht in Frage. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die Ablehnung eine „deutsche Schule“ zu besuchen auch bei den Brüdern Schwebel, noch vor dem Kriegsausbruch, eine große Rolle gespielt hat. Staatliche Schulen stellten, zumindest aus der Sicht der Familie Loewe, ebenfalls ein mögliches Konfliktpotenzial dar. Misstrauen der indigenen Bevölkerung gegenüber Fremden, vor allem aber den Juden, war zu befürchten. Innerhalb der Familie Loewe hatte die Religion keinen großen Stellenwert. Die Eltern waren jüdischer Abstammung, hielten diese aber fern von ihrem Sohn. Dies machte ihm, Ricardo Loewe, wie er selbst sagt, in seiner Jugend schwer zu schaffen. Es war für ihn eine gleichermaßen späte wie verwirrende Erkenntnis, dass er selbst jüdischer Abstammung ist: „[…] obwohl dann muss ich noch wirklich ganz klar und deutlich sagen, meine Eltern haben mir verschwiegen, dass ich jüdischer Abstammung bin. Das habe ich erst erfahren mit 16 Jahren. Ja aber [Pause] naja aber das ist auch ein Teil der Geschichte […].“196

194 Schwebel/Kloyber/Müller (Hg.), Das andere Glück, 136. 195 Interview mit Ricardo Loewe, 4. 196 Ebd., 4. 56 Die Eltern von Ricardo waren offenbar vom Beginn ihres mexikanischen Exils an bestrebt, ihre jüdische Herkunft in Mexiko zu verbergen. Die folgenden Aussagen können als späte, aber befreiende Annahme seiner jüdischen Familienvergangenheit gewertet werden: „Das ist so eine Kindheit, bis ich da drauf gekommen bin, ja, aber da war ich über 40, das es eine Bereicherung ist, so eine breite kulturelle Basis zu haben [Pause] hat aber was gekostet.“197 Damit ist erklärbar, dass die Eltern von Ricardo ihren Sohn auf keinen Fall in eine jüdische Schule geben wollten, obwohl eine solche in unmittelbarer Nähe ihres Domizils vorhanden gewesen wäre. „[…] wie gesagt [Pause] äh in Mexiko bin ich nicht in eine jüdische Schule gegangen, die war uns fremd, der Familie also da [Pause] isse wir waren [Pause] für die Juden waren wir wie Jekkes [Pause] also Jekke benutzt man noch das Wort im Karneval in Köln, das sind, die anders sind, das sind die Verrückten, und die, die deutschen Juden oder die assimilierten Juden, die deutschsprachigen Juden, das waren die Jekkes in Mexiko[…].“ 198 Loewe erinnert sich auch, dass er in der Schule auffiel. Er war zwar mexikanischer Staatsbürger, aber doch unterschied er sich von seinen MitschülerInnen: „[…] in der Schule, da kann ich mich noch sehr gut erinnern, war ich ein Exot – mein Vater, also der, nach deutscher Tradition bin ich in die Schule in der kurzen Hose geschickt worden. Und das war damals lächerlich in [Pause] in, ich so [Pause] war groß, die meisten meiner Schulkollegen waren kleiner, groß und mit Brille und mit kurzen Hosen, also das – da haben sich die lustig gemacht.“199 Die Situation für Ausländer in Mexiko hatte sich auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wohl nicht grundlegend geändert. Trotz seiner mexikanischen Staatsbürgerschaft war Ricardo Loewe anders als die anderen Kinder in der Schule und er fühlte sich fremd. So erzählte Ricardo Loewe im Interview vom 15.12.2016, geführt in Wien: „Die haben mich auch verprügelt sehr oft in der Schule, ich war eben der Ausländer. Auch [Pause] auch wenn auch die meisten Mitschüler, die kamen ja aus Spanien. Einige, die sind schon in Mexiko geboren, aber die Allermeisten waren auch Flüchtlingskinder.“200

Ruth Deutsch de Lechuga war eine Ausnahme, was die Schulzeit betrifft, denn sie war bei ihrer Ankunft in Mexiko 18 Jahre alt. Maturiert hatte sie bereits in Wien. In Mexiko studierte sie nach ihrer Ankunft Medizin.201

197 Ebd., 6. 198 Ebd., 4. 199 Ebd., 5. 200 Ebd., 5. 201 Vgl. Schätte, Hinter jeder Maske steht eine Geschichte. 57 Wie schon aus der Biographie von Friedrich Katz erkennbar ist, war sein Exilleben von sehr vielen relativ rasch aufeinanderfolgenden Ortswechseln geprägt. In diesem Punkt unterscheidet er sich deutlich vom Rest der untersuchten Personengruppe. So war auch die Schulauswahl durch andere Überlegungen bestimmt, als dies bei den Schwebels oder bei Ricardo Loewe der Fall war. In Mexiko besuchte Friedrich Katz eine französische Schule. Vorkenntnisse der französischen Sprache hatte der damals 13-Jährige bereits aus seinem früheren Exilland Frankreich. Somit gab es für ihn keine sprachliche Barriere zu überwinden. „Das Französische ist langsam in Vergessenheit geraten, nicht völlig, denn zwei Jahre später, in Mexico, bin ich in eine französische Schule gegangen.“202 Dies erzählte Katz in einem Interview mit Konstantin Kaiser. Katz schloss die Matura in Mexiko ab und ging gleich darauf in die USA, um zu studieren, wo er eine mexikanische Hochschule besuchte.203

Gruppierungen Eine weitere Form der Integration für die Geflüchteten im neuen Land war der mehr oder weniger lose Zusammenschluss in Vereinen und Gruppierungen mit kulturell und/oder politisch motivierten Zielen. Es entwickelte sich eine Vielzahl von solchen Gruppierungen mit unterschiedlichsten Zielen. Manche von diesen waren sowohl politischer als auch kulturelle Natur, wie am Beispiel des „Heine-Clubs“ ersichtlich ist. Für die Exilierten waren genau diese Gruppierungen wichtig, um sich mit anderen Menschen, die ein ähnliches Schicksal erlitten hatten, auszutauschen. Die Familie Schwebel nahm an Gruppierungen oder Organisationen im Exil teil. Dies geht aus dem Werk Bruno Schwebels „Das andere Glück“ hervor. Es ist etwa zu lesen, dass sich die deutschsprachige israelitische Gemeinde in Mexiko zur Menorah-Hatikwah zusammenschloss, an der die Eltern von Bruno teilnahmen, wenn auch nur selten. Brunos Vater, der politische Diskussionen zu vermeiden versuchte, war eher der „ARAM“ zugeneigt. Sein persönliches Ziel an der Teilnahme bei dieser Organisation war es, Nachrichten von Familienangehörigen die in Österreich geblieben waren, zu erhalten.204 Über Bruno Schwebel selber erfährt man, dass er in einer Gruppe tätig war, deren Name allerdings nicht genannt wird. Die Namen der Mitglieder dieser Gruppe sind jedoch den Quellen zu entnehmen: „Samstag versammelten sich die Mitglieder der Gruppe Alemania Libre. Die politische und militärische Situation war das Thema von langen Diskussionen, in denen wir die

202 Interview mit Friedrich Katz und Konstantin Kaiser, 8. 203 Vgl. ebd., 8. 204 Vgl. Schwebel/Kloyber/Müller (Hg.), Das andere Glück, 147. 58 Entwicklung der Ereignisse in Europa verfolgten. Voller Zuneigung erinnere ich mich an Klaus Bodek […] und seinen Bruder Uli, an Ruth Stavenhagen […] und ihren Bruder Rodolfo […] an Friedrich Katz […], an Doris Katz, Alex Meisl […].“205 Eben diese genannten Mitglieder befinden sich in der Gruppe „Freie Jugend Mexico“. Daraus und aus den Veranstaltungen der Gruppe, wie Treffen mit Egon Erwin Kisch, Anna Seghers oder Bodo Uhse sowie diversen Ausflügen, lässt sich schließen, dass Bruno Schwebel möglicherweise auch ein Mitglied der Gruppe „Freie Jugend Mexico“ war. Seinem Buch „Das andere Glück“ ist zu entnehmen, dass er auch gerne an bewegungs- und abenteuerorientierten Aktivitäten teilnahm. Der Club mit dem Namen „Horizontes“ brachte ihn auf den Popocatèpetl und andere Gebirge. Er sah die unterirdischen Flüsse von Chontacuatlàn und San Jerònimo und erlebte Fledermausschwärme in den Grotten von Cacahuamilpa: typische Erlebnisse für einen Jugendlichen, welche er in Österreich auch erleben hätte können, nur mit anderen Bergen und Höhlen.

Friedrich Katz war definitiv ein Mitglied der Gruppe „Freie Jugend Mexico“. Er kann sich noch sehr genau an diese Gruppe erinnern und nennt sie auch beim Namen, wie er im Interview mit Konstantin Kaiser 1984 in Wien berichtet. Katz beschreibt die Gruppe als einen Zusammenschluss deutscher sowie österreichischer Kinder und Jugendlicher. Im Interview mit Konstantin Kaiser betont Katz auf die Frage, ob die Gruppe „Freie Deutsche Jugend“ hieß, besonders206: „Nein, eben das Wort „Deutsch“ fehlte, weil es Deutsche, Österreicher und Jugendliche jüdische EmigrantInnen, die sich weder als Deutsche noch als Österreicher fühlten, gruppiert hat. Das Wort „Deutsch“ oder „Österreich“ war bewußt ausgelassen.“207 Katz spricht von einem kulturellen und sozialen Erlebnis im Zuge der Treffen dieser Gruppe. Das Politische blieb weitgehend ausgespart. Intellektuelle, unter ihnen Bodo Uhse, Anna Seghers und auch Bruno Frei, hielten immer wieder Vorträge oder boten Kurse für die Jugendlichen an. So wurde die deutsche/österreichische Kultur gesichert und weitergegeben, da sie in der Schule in Mexiko irrelevant war. So Katz im Interview: „Das hat zum gewissen Teil den Mangel an Ausbildung an deutscher Sprache in der Schule kompensiert.“208 Friedrich Katz spricht von einem humanistisch-bürgerlichen Kulturerbe, das von erwachsenen EmigrantInnen an die Jugendlichen weitergegeben wurde. Er hält fest, dass es sich bei der

205 Ebd., 145. 206 Vgl. Interview mit Friedrich Katz und Konstantin Kaiser, 17-20. 207 Ebd., 18. 208 Ebd., 17. 59 Gruppe Freie Jugend Mexico nicht um eine kommunistische Jugendorganisation, sondern um eine Gruppe, in der sich sowohl KommunistInnen als auch „NichtkommunistInnen“ und politische uninteressierte Leute trafen, handelte. In der Gruppe fanden sich vorwiegend EmigrantInnenkinder. Auslandsdeutsche, beeinflusst von den Nazis, waren nicht interessiert an dieser Jugendgruppe. Aufgabe der Jugendgruppe war es nicht, wie bei den anderen Emigrationsgruppen, an den politischen und informativen Tätigkeiten teilzunehmen. Mitglieder dieser Gruppe nahmen aber an Theateraufführungen des Heinrich-Heine-Klubs teil. Eine weitere Aufgabe war die Führung einer kleinen Zeitschrift: „Ja, wir haben eine Art Zeitschrift herausgegeben, wo Essays verschiedener Mitglieder vorhanden waren, wobei das Interessante ist, daß die Mehrzahl dieser Jugendlichen in Mexico geblieben sind. Nur eine Minderheit ist zurückgekehrt- im Gegensatz zu den älteren EmigrantInnen.“209 Die freie Jugendgruppe in Mexiko stand auch in Verbindung mit anderen Jugendgruppen in Mexiko und in Übersee, wie etwa der Free Austrian Youth in Großbritannien. Weil aber die Gruppe „Freie Jugend Mexico“ mit nur fünfzehn bis zwanzig Mitgliedern sehr klein war, gab es auch keine enge Verbindung zu der sehr großen Free Austrian Youth in Großbritannien. „[…] es war eine relativ kleine Gruppe, die uns viel gegeben hat, kulturell, sprachlich -es wurde deutsch gesprochen. Dadurch ist vielen von uns die Sprache doch erhalten geblieben.“210 Diese Aussagen von Friedrich Katz zeigen deutlich, dass Gruppierungen dieser Art im Exil wichtig für die Betroffenen waren. Menschen mit demselben Schicksal konnten sich hier treffen und Erfahrungen austauschen. Man setzte sich mit der Frage auseinander was sie denn wären, ÖsterreicherInnen, Deutsche oder gar emigrierte JüdInnen die nun zu MexikanerInnen geworden sind. Die Frage der Zugehörigkeit steht auch in der Jugendgruppe im Vordergrund. „Die Frage war: Sollten wir uns als Deutsche, Österreicher fühlen, oder waren wir jüdische EmigrantInnen, die nun Mexikaner warn, und wenn nicht Mexikaner, so zumindest heimatlose Juden, aber auf keinen Fall Deutsche oder Österreicher. Und das hat – besonders bei den jüdischen EmigrantInnen – eine große Rolle gespielt. Viele wollten nach den Erfahrungen in Deutschland und Österreich nichts mehr mit diesen Völkern zu tun haben, obwohl ihnen die deutschsprachige Kultur durchaus nahe lag… Es war auch bezeichnend, daß wir uns „Freie Jugend Mexico“ nannten und niemals „Freie Deutsche“ oder „Freie Österreichische Jugend“. Das hätte ein Großteil der Teilnehmer abgelehnt.“ 211

209 Ebd., 18. 210 Ebd., 19. 211 Ebd., 19. 60 So beantwortete Friedrich Katz im Jahr 1984 die Frage nach der Benennung der Gruppe wobei das Zugehörigkeitsgefühl der Mitglieder eine entscheidende Rolle spielte.

Bei Oscar Römer erfährt man nicht, ob er sich einer Gruppe im Exil anschloss. Aufgrund der Tatsache, dass sich der „Heinrich Heine-Klub“ im Salon seiner Mutter zu diversen Treffen verabredete, war Oscar Römer jedenfalls in irgendeiner Form involviert. Im Film „In der Fremde zu Haus“ berichtet er beispielweise über den „Heinrich Heine-Klub“ und seine persönliche Wahrnehmung betreffend der Funktion dieses Klubs. „Der Heine-Klub wurde gegründet von vielen Österreichern und Antifaschisten. Es war ein kultureller Klub – aber der meistens politisch tätig war. Die Kultur war das Zweite, das Erste war das politische Objektiv. Also die Kultur wurde benützt, die Kultur und Kunst benützt zum politisch aktiv zu sein.“212 Von Bruno Schwebel gibt es zur Funktion des „Heinrich Heine-Klub“ ebenfalls eine Einschätzung, die mit der von Oscar Römer konform ist. Sie stammt aus dem Buch „Das andere Glück“ in welchem er in Kapitel 19 „Einleben in Mexiko“ folgendes schreibt: „[…] und der Heinrich Heine-Klub, der ursprünglich für kulturelle Veranstaltungen gegründet worden war, doch lagen sich viele ihrer Mitglieder ständig wegen ihrer politischen Gesinnung in den Haaren.“213 An dieser Stelle muss festgestellt werden, dass die Wahrnehmung der zuvor beschriebenen Vereinigung in anderen Publikationen genau gegenteiliger Natur war. Verwiesen sei hier auf das Zitat von Friedrich Stadler im Kapitel 5.5 auf Seite 30 dieser Diplomarbeit. Dabei wird mit den Worten von Egon Erwin Kisch auf die „kulturfüllende Aufgabe“ des Klubs hingewiesen. Im Interview mit dem Lateinamerika-Magazin ist zu lesen, dass Ruth Deutsch de Lechuga einer Gruppierung im Exil beigetreten war. Sie erinnert sich nicht an den Namen jener Gruppe, aber daran, dass sie dort in Kontakt mit andern ExlatInnen kam, die dasselbe Schicksal wie sie teilten. Sie berichtet über Aktivitäten der Gruppe. Sie unternahmen etwa Ausflüge oder nahmen an kulturellen Aktivitäten teil. Auch ihr Vater und ihr Onkel schlossen sich einer Gruppierung im Exil an, dem „Heinrich Heine-Klub“. Die Gruppe der sich Ruth Deutsch de Lechuga anschloss stand im engen Kontakt mit dem Heine Club. Des Weiteren geht aus dem Interview hervor, dass sie grundsätzlich nichts von Gruppierungen hält. Auf der Universität lernte sie sehr viele MexikanerInnen kennen, worüber sie froh war, denn sie wollte sich nie abgrenzen wie folgendes Zitat zeigt:

212 Canaval, In der Fremde zu Haus, 38:00 min. 213 Schwebel/Kloyber/Müller (Hg.), Das andere Glück, 147. 61 „Nachdem ich dann bald auf die Universität gegangen bin – ich habe Medizin studiert – habe ich eigentlich rasch einen mexicanischen Kreis gefunden. Das hat sich so ergeben. Das war mir nicht einmal bewußt, aber doch finde ich, daß es das Richtige war. In einem Getto zu leben, ist schlimm genug, sich ein eigenes Getto aufzustellen, nur weil man nicht mit anderen Leuten verkehrt und ein Leben lang steckenbleibt in dem, was man in der Jugend gehabt hat, ist schlimmer. Es ist eine unnütze Begrenzung.“214

Was die Teilnahme an Gruppierungen im Exil betrifft, so war Ricardo Loewe wohl ähnlich uninteressiert wie Ruth Deutsch de Lechuga. Allerdings berichtet er im Interview über eine jüdische Pfadfindergruppe in Mexiko, bei der sich sein Vater besonders engagiert hatte. „[…] mein Vater war ein fundamentalistischer Pfadfinder – also da hab ich auch dazugehören müssen – wenn ich meinen Vater sehen wollte, dann musste ich bei den Pfadfindern sein. Der war in Mexiko eben der hohe Pfadfinderpriester, und äh [Pause] das war auch ein Teil meiner Kindheit.“215 Wie seiner Erzählung zu entnehmen ist, war Loewe schließlich selbst als Jugendlicher bei einer Pfadfindergruppe, jedoch war er nicht aus reiner Begeisterung und aufgrund besonderer Eigeninitiative dabei. Jene Gruppe gibt es dort noch heute.216 Die Mitgliedschaft oder Teilnahme bei anderen Gruppierungen, wie der OSE oder die ARS Medici, sowie Kontakte zum Heine Club, das war wie Ricardo Loewe sich im Interview ausdrückte, das Metier seiner Eltern. Er selbst war Mitte der 40er-Jahre einfach zu jung um irgendwelchen Gruppen anzugehören. „da gab‘s eine Organisation für arme Juden, die OSE die noch existiert, und eine wissenschaftliche ärztliche Organisation die ARS Medici und mein Vater war in beiden – in der ARS Medici und in der OSE. Das waren die einen und die anderen Organisationen, ja da gab`s einen „Heinrich Heine-Klub“ und da waren die Antifaschisten, das war eigentlich eine antifaschistische Front mit einem eigenen Verlag und da war die Anna Segers, das ist eine bekannte Schriftstellerin hier gewesen, war die Präsidentin und äh mein Großonkel der Leo Deutsch war der Vizepräsident von diesem Heine-Club, und ..ja..der [...] der […] wurde dann von meinen Eltern besucht, und das sind so meine Kindheitserinnerungen an diese ganzen Leute, ich bin ja 1941 geboren, also 44, 45 sind so meine ersten Erinnerungen, nicht also das war so die [Pause] das Metier meiner, meiner Eltern […].“217

214 Schätte, Hinter jeder Maske steht eine Geschichte. 215 Interview mit Ricardo Loewe, 6. 216 Vgl. ebd., 7. 217 Ebd., 4. 62 Im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes findet man Hinweise aus dem Privatarchiv der Lisa Freistadt auf eine mögliche Teilnahme in der Gruppe Freie Jugend Mexico. Alex Meisel, der Leiter der Freien Jugend, sandte folgendes Schreiben an Lisa Freistadt: „Wir haben die große Freude, dich in Mexiko zu begrüßen. Wir hoffen, dich bald in unserer Gruppe zu sehen und dass sie dir gefallen wird. Wir haben den Wunsch, dich für das, was du leider hast (durchmachen) müssen zu entschädigen, soweit wir können. Du wirst bei uns Freunde und Freundinnen finden, mit denen du dich sicher gut verstehen wirst.“218 In der Einladung beschreibt der Autor auch die Aktivitäten der Gruppe, um sie den neuen Mitgliedern schmackhaft zu machen. „[…] wir machen jeden Sonntag einen Ausflug, manchmal gehen wir schwimmen, manchmal schauen wir uns die alten Azteken-Pyramiden an […] Sonntagabends treffen wir uns bei einem Freund und laden einen „Erwachsenen“ ein, der uns etwas erzählt […].“219 Weitere Aktivitäten waren etwa Basteln, Malen und Schauspielen bei diversen Theateraufführungen. Leider gibt die insgesamt nur sehr dünne Quellenlage zu Lisa Freistadt nicht mehr Informationen her, um hier einen Vergleich mit den anderen Personen herzustellen.

Über Alejandro Zohn ist aus den Quellen einiges zu seiner erfolgreichen Tätigkeit als Architekt zu erfahren, aber leider so gut wie nichts über seine Jugendjahre. Damit sind weder Aussagen noch Vergleiche bezüglich der Lebensumstände wie Schule, Integration und Erlebnisse möglich.

Studium Grundsätzlich kann zu jenen Personen, bei denen die Quellenlage es zulässt, festgestellt werden, dass der nächste Weg nach der Schule zu einer weiterführenden Ausbildung oder zur Universität meist von denselben grundsätzlichen Gegebenheiten, welche in den einzelnen Familien vorherrschend waren und eigentlich wenig bis gar nicht vom Exil an sich, geprägt war. Bruno Schwebel beschreibt in seinem Werk „Das andere Glück“ im Kapitel 21, dass er im Mai des Jahres 1945, mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, die Escuela Vocacional am Instituto Politécnico besuchte. Er beschreibt den Campus mit zirka 30 verschiedenen Gebäuden als sehr

218 DÖW, Österreicher, 243. 219 Ebd., 243. 63 groß. Hier schrieb sich Schwebel für die Studienrichtung Ingenieurwesen ein. Im Jahr 1947 begann er ebendort Maschinenbau und Elektronik zu studieren.220 „Das Studium war nicht anstrengend, ich richtete es so ein, daß ich immer mit einem Minimum an Aufwand durchkam.“221 In dieser Zeit entdeckte Schwebel auch seine Liebe zum Schachspiel. Eine bemerkenswerte Episode ist in seinem Buch „Das andere Glück“ auf Seite 140 zu finden. Er beschreibt darin die Bedeutung - oder besser - seine Erwartungshaltung gegenüber dem Englischunterricht jener Zeit am Polytechnikum: „Unsere Englischlehrerin war Ema Cos del Prado. Ihr Unterricht nährt die Hoffnung in uns, mit dem Erlernten eines der amerikanischen Mädchen anbaggern zu können, die an den Sommerkursen teilnahmen. Das Höchste für uns war, mit einer Gringa „zu gehen“, die blond, kurvig und mit einem Kabriolett ausgestattet sein sollte.“222 Hier zeigt sich, dass Bruno Schwebel wohl nicht mit großen Integrationsproblemen in seiner Ausbildungszeit zu kämpfen hatte.

Eine Ausnahme stellt hier, wie schon an andere Stelle bemerkt, Friedrich Katz dar. Seine von Kindheit an häufigen Ortswechsel haben scheinbar auch die Wahl seiner Studienorte und Studienfächer beeinflusst und, wie er selbst immer wieder sagt, Anpassungsprobleme verursacht. Katz studierte in den USA, wählte allerdings eine mexikanische Hochschule. Dieser Fakt aus seinem Leben ist doch verwunderlich. Im Interview mit Konstantin Kaiser, es stammt aus dem Jahr 1984, geführt in Wien, berichtet Friedrich Katz kurz über die Integration und das Einleben in einer neuen Umgebung. Aufgrund seiner Vorgeschichte ist es dem jungen gebürtigen Österreicher immer leichtgefallen, sich in neuen Umgebungen zu integrieren. Doch mit seiner Ankunft in Mexiko als 13-Jähriger ändert sich dies.223 „Erst als ich nach der Matura ein Jahr in den USA studiert hatte, in eine mexikanische Hochschule ging, begann ich mich völlig zu integrieren.“224 Katz beschreibt Mexiko aus der damaligen Sicht, im Jahr 1940, als ein Land, das misstrauisch gegenüber Fremden war, was eine Integration deutlich erschwerte. Als weiteren Grund für seine persönlich schwere Integration gibt er an, dass er bei seiner Ankunft in Mexiko bereits älter als in all seinen anderen Aufenthaltsländern wie Deutschland, Frankreich und den USA war.225

220 Vgl. Schwebel/Kloyber/Müller (Hg.), Das andere Glück, 175-189. 221 Ebd., 182. 222 Schwebel/Kloyber/Müller (Hg.), Das andere Glück, 140 223 Vgl. Interview mit Friedrich Katz und Konstantin Kaiser, 5-9. 224 Ebd., 8. 225 Vgl. ebd., 8. 64 Friedrich Katz empfindet folgendes: „Es ist außerdem ein Land, das – zumindestens zur damaligen Zeit – viel mißtrauischer gegenüber Fremden war.“226 Dieses Gefühl wurde ihm von der einheimischen Bevölkerung vermittelt. Das Misstrauen gegenüber den EuropäerInnen, den/der Fremden, welche plötzlich in Mexiko einreisten, könnte auch die Integration der Exilierten im neuen Land erschwert haben. Im Jahr 1949 nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges zog es die Familie Katz wieder zurück in ihre ursprüngliche Heimat Österreich, nachdem der Versuch, in Israel Fuß zu fassen, fehlgeschlagen war. Friedrich Katz zog als damals 22-Jähriger mit seinen Eltern erstmals wieder seit 18 Jahren nach Wien in sein Geburtsland. Dort studierte er an der Universität Wien.227 „Ich bin 1949 im Alter von 22 Jahren nach Österreich zurückgekehrt, habe die Universität Wien besucht und hatte niemals in meinem Leben eine deutschsprachige Schule besucht. Das Problem, die Dissertation in Deutsch zu schreiben… das war ein schwieriges Problem.“228 Aufgrund der hervorragenden Kurse über das präkolumbianische Mexiko studierte Katz Anthropologie. Hier sieht man bereits, dass er dem Land, welches seiner Familie Exil gewährte, doch mehr Interesse entgegenbrachte, als man für eine Zwischenstation in seinem noch jungen aber bewegtem Leben erwarten würde. Bereits als 15-Jähriger verfasste er einen Aufsatz über die mexikanische Revolution, der ein weiterer Hinweis für sein frühes Interesse an Mexiko ist.229 Wie ein Großteil ihrer Familienmitglieder wurde Ruth Deutsch de Lechuga Medizinerin. Sie berichtet im Interview mit der ILA, dass sie im Zuge des Studiums gleich mit MexikanerInnen in Kontakt kam und sich dann schnell integrieren konnte.230 Auch die MexikanerInnen mussten sich an die Neuankömmlinge gewöhnen. Ruth Deutsch de Lechuga äußert sich im Film „In der Fremde zu Haus“ zum Antisemitismus der indigenen Bevölkerung in Mexiko gegenüber den Neuen, speziell den JüdeInnen. Sie veranschaulicht dies mit Hilfe von Masken aus ihrer Sammlung, welche den Krampusmasken nach österreichischen Brauchtum ähnlich sehen. Sie hängen an einer Wand in ihrem Privatmuseum, dazu erklärt sie: „Da hier auf dieser Seite die sind die – äh – Juden vom Norden von Mexico. Die Juden, hat man den Leuten beigebracht, sind die, die Jesus Christus getötet haben. Die andere Sache ist, dass Leute eigentlich keine Vorstellung haben, von was ein Jude ist. Es sind absolut nicht Antisemiten; Es waren wahrscheinlich Antisemiten die Missionare, die im 16ten Jahrhundert

226 Ebd., 8. 227 Vgl. Interview mit Friedrich Katz und Konstantin Kaiser, 8f. 228 Ebd., 9. 229 Vgl. ebd., 12-14. 230 Vgl. Schätte, Hinter jeder Maske steht eine Geschichte. 65 gekommen sind. Denn sie haben grad die Juden aus Spanien vertrieben. Aber wenn man den Leuten sagt – ok sie haben Jesus Christus getötet – aber es gibt heut auch noch Juden – was denkt ihr darüber? Nein, die Juden sind die, die Jesus Christus getötet haben. Das ist das Einzige was für sie wichtig ist. So sag ich dann – ich bin auch a Jüdin – nein du bist keine Jüdin, du schaust aus wie wir, du sprichst wie wir und dann - du hast nicht den Jesus Christus getötet. Also das ist wichtig herauszusagen, weil es eine falsche Idee ist, dass die Indianer Antisemiten sind. Im Gegenteil, die Indianer sind die, die den Rassenhass von den anderen Mexikanern mit sich nehmen müssen.“231 Während Friedrich Katz nach eigenen Aussagen Probleme hatte, sich in Mexiko einzuleben, stellt Ruth Deutsch de Lechuga den Gegenpart zu Friedrich Katz dar. Sie war von Anfang an begeistert von Mexiko und sehr offen gegenüber der anderen Kultur.

Nach Beendigung der Schule begann Ricardo Loewe 1957 in Mexiko zu studieren. Im Interview erzählt er über sein Studiendilemma: „[…] dann wollt ich Philosophie studieren. Und meine Eltern haben sich gedacht, na des wird nix also der wird damit nix fix verdienen – und mein Vater wollte, dass ich Physik studiere, […] total unbegabt für Physik, Mathematik, Chemie […] also das nix [Pause] äh und, aber ich bin jetzt die fünfte Generation von Ärzten. Also das war wirklich der Fluch, da habe ich Medizin studiert.“232 Während seines Medizinstudiums kam Ricardo Loewe in Kontakt mit politisierenden Gruppen und engagierte sich währenddessen und auch später noch während seiner beruflichen Laufbahn: „[…] aber ich hab mich dann ziemlich früh als Student politisiert, da gab`s eine, 1964/65 eine große Ärztebewegung in Mexiko – in der ganzen Republik – und da hab ich mitgemacht. Zum Entsetzten meiner Eltern. Und ja, dann bin ich [...] äh [...] äh Sozialmediziner geworden[...].233 Oscar Römer studierte in Mexiko Architektur. Aus den Quellen gibt es allerdings nicht mehr Hinweise auf seine Studienzeit.234

231 Canaval, In der Fremde zu Haus, 1:31:00 min. 232 Interview mit Ricardo Loewe, 4. 233 Ebd., Loewe, 5. 234 Vgl. Canaval, In der Fremde zu Haus. 66 6.2.4 Das Ende des Zweiten Weltkrieges und der Verlauf des weiteren Lebens der untersuchten Personen Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges stellt sich für die Vertriebenen nun die Frage der Rückkehr in das Heimatland. Diese schwierige Frage lösten die ausgewählten Personen unterschiedlich. Hier ist anzumerken, dass aufgrund des noch jungen Alters der Personen wohl die Eltern die tragende Rolle in der Entscheidung einer möglichen Rückkehr nach Österreich gespielt haben. Zur Möglichkeit einer Rückkehr hatten die Familienmitglieder der Schwebels unterschiedliche Ansichten. Bruno und seine Familie erfuhren 1947, dass die meisten Verwandten seines Vaters umgekommen waren. Er erzählt über seinen Wunsch als damals 17-Jähriger gleich nach Hause zurückzugehen. „Das Kriegsende war natürlich dramatisch, weil dann erfuhren wir erst, die meisten der Verwandten von meinem Vater umgekommen sind. Ich wäre gerne nach Österreich zurückgegangen, sehr, sehr gerne. Nach Österreich, zu meiner Kindheit zurück, zu meinen Erinnerungen in den Wald, und das und jenes und so, aber als 17-jähriger Student ohne Geld und so war das natürlich schwer. Mein Vater wollte nicht zurück. Also mein Vater war Jude, meine Mutter war nicht Jüdin. Meine Mutter wollte natürlich zurück, weil sie hatte alle ihre Verwandten dort, ihre Schwestern, die ganze, die ganze Familie war noch dort. Aber sie wollte natürlich meinen Vater nicht allein lassen hier in Mexiko und die Familie verlassen, so blieben wir alle hier in Mexiko.“235 Vor allem im Exil in Mexiko fühlte sich Friedrich Katz als Österreicher und nicht als Mexikaner. Schon hier wusste er, dass er einmal nach Österreich zurückkehren möchte, obwohl er das Land gar nicht kannte, da er im Alter von drei Jahren mit seinen Eltern nach Deutschland gezogen war.236 Nach Beendigung des Krieges versuchte die Familie Katz in Israel 1949 Fuß zu fassen. Dieser Versuch schlug allerdings fehl. So zog es sie zurück nach Wien, wo Friedrich sein Studium abschloss. Friedrich Katz musste später in den 1950 Jahren in Wien feststellen, dass jüdische Marxisten nicht gern gesehen waren, und ging daher nach Berlin. Im Werk „Österreicher im Exil, Mexiko 1938-1947“ weisen die AutorInnen darauf hin, dass die Rückkehr in das zerstörte Europa vorwiegend von KommunistInnen wahrgenommen wurde. Sie wollten ihren Beitrag zum Wiederaufbau leisten und hatten politisch gesehen die größten Chancen auf eine schnelle Remigration. Jüdische Flüchtlinge hingegen wollten nicht unbedingt in jene Städte zurück, aus denen sie Jahre zuvor vertrieben worden waren. Außerdem

235 Canaval, In der Fremde zu Haus, 49:12 min. 236 Vgl. Interview mit Friedrich Katz und Konstantin Kaiser. 67 ist es eine Tatsache, dass die österreichische Nachkriegsregierung niemals eine Einladung an die Emigranten in aller Welt mit der Bitte ins Heimatland zurückzukehren ausgesprochen hatte.237 Für den Vater von Oscar Römer ergab sich nach dem Ende des Krieges sogar eine konkrete Möglichkeit nach Wien zurückzukehren, Oscar berichtet darüber: „Nach dem Weltkrieg hat mein Vater eine Anfrage gekriegt zurückzugehen nach Wien als Direktor der Wiener Philharmoniker, aber er hat es nicht angenommen, weil er wollte nicht noch einmal emigrieren. Man hat diese Stellung gegeben dem Erich Kleiber, und nachher hat mein Vater ambivalente Gefühle gehabt, er wollte vielleicht doch zurückgehen. Es war sehr schwer für ihn zu fühlen, dass er seine Heimat, die er gekannt hat, wieder zurückkriegt. Er hat gedacht, er hat eine Heimat verlassen und eine andere Heimat nicht sehr gekriegt. In meiner Fantasie, ich weiß nicht, was die Wahrheit gewesen wär, hab ich gedacht und jetzt in der Zukunft sehe ich, dass mein Vater hätte vielleicht sich besser ausdrücken können als Dirigent der Wiener Philharmoniker in Österreich, und für mich wäre es interessant gewesen – als Fantasie – Architektur zu studieren in Österreich.“238

Nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges gab es für Ruth Deutsch de Lechuga keine Rückkehr mehr in ihr Heimatland. Sie blieb in Mexiko, wo sie studiert und Arbeit gefunden hatte.239 Alejandro Zohn blieb ähnlich wie Ruth Deutsch de Lechuga in Mexiko wohnhaft, konnte sich hier gut integrieren, fand Arbeit als Architekt, wofür er heute noch speziell in Mexiko sehr bekannt ist.240 Bei der Familie Loewe spielte die Rückkehr nach Österreich, ähnlich wie bei den Deutschs, keine große Rolle. Für die Mutter von Ricardo Loewe war eine Rückkehr aus dem Exil nach Österreich keine Option. Eine Gemeinsamkeit, die auch für andere Familien mit jüdischen Elternteilen galt. „[…] sie hat […] äh immer noch jedes Mal, wenn wenn sie Stiefel gehört hat, hat sie angefangen zu zittern - bis zu ihren letzten Tag – also das muss man schon verstehen, was das für ein, ein Terror war und Panik und so - die haben hier nix mehr zu suchen gehabt.“241 Trotzdem wusste Ricardos Mutter auch von schönen Dingen aus ihrer alten Heimat zu berichten: „[…] meine Mutter hat noch erzählt von dem den Veilchen und den Bergen und die Dolomiten und Schifoarn, des konnt‘ in Mexiko nicht und [Pause]und so also immer die

237 Vgl. DÖW, Österreicher, 551ff. 238 Canaval, In der Fremde zu Haus, 43:13 min. 239 Vgl. Schätte, Hinter jeder Maske steht eine Geschichte. 240 Vgl. Quelle Literaturhaus, Unterlagen von Veronika Zwerger. 241 Interview mit Ricardo Loewe, 9. 68 Erzählungen von Wien und wie sie studiert hat, sie hatte 17 Jahre Konservatorium gemacht, sie war ja Pianistin und hat auch Medizin studiert – ja da hat sie diese ganz starken – die hat sie mir übermittelt – diese Erinnerungen – aber herkommen wollt sie nimmer.“242

Lisa Freistadt, spätere Lang, ist gemeinsam mit Ihrem Vater Bruno Frei nach Wien zurückgekehrt. Dies bestätigt auch ein noch erhalten gebliebenes Schreiben von Dr. Fritz Meznik aus dem Jahr 1946. „Der Bundespräsident der österreichischen Regierung bestätigt hiermit, dass Herr Dr. Benedikt Freistadt (Schriftstellername Bruno Frei), geboren am 11. Juni 1897 in Bratislava, SR, zuständig Wien, Heimatrolle 1857, Leopoldstatdt 648/7, Beruf Journalist und Schriftsteller, zum Wiederaufbau der österreichischen Presse dringend benötigt wird […].“243 Aus dem Schreiben geht hervor, dass Bruno Frei in Wien gebraucht wird und deshalb gemeinsam mit seiner Familie gebeten wird zurückzukehren. „[…] die mexikanischen Behörden werden gebeten, ihm, seiner Gattin, frau Elena Hernando Valcarcelde Freistadt, geboren am 12. Juli 1918 in Toledo, Spanien, mexikanische Staatsbürgerin, Beruf Sprachlehrerin, und seiner Tochter Elisabeth Freistadt, geboren am 15. Dezember 1927, zuständig Wien, Schülerin, die benötigten Reisepapiere auszustellen, um eine möglichst rasche Rückkehr nach Wien sicherzustellen.“244 Die Familie Freistadt zog es wieder nach Österreich zurück, wo sie sich schließlich einige Jahre in Wien aufhielt, so Christian Kloyber. Damit stellen Ernst Römer, der Vater von Oskar Römer, und Bruno Frei, Vater von Lisa Freistadt, Ausnahmen im Bezug auf das Verhalten offizieller staatlicher Stellen dar. Grundsätzlich gab es ja, wie zuvor schon festgestellt, keine Einladung an Exilierte nach dem Ende des Krieges, nach Österreich zurückzukehren.

Zur Aufarbeitung ihrer Erlebnisse und Eindrücke, seien es die Landschaft, die Menschen, die Kultur oder sonstige Ereignisse im Leben, haben sich die meisten der Exilierten mit Kunstschaffen beschäftigt oder sich in Sozialprojekten engagiert. Manche haben auch beides getan. Bruno Schwebel hat über seine Eindrücke als Jugendlicher und später von seinen Reisen geschrieben. Den besonderen optischen Eindruck von - wie er sich ausdrückte - starken Landschaften hat er als Maler festgehalten. Außerdem notierte Schwebel seine Jugenderlebnisse. Am Beispiel der Kurzgeschichte „Comida Corrida“ soll ein kurzer Einblick in jene Zeit gegeben werden:

242 Ebd., 9. 243 DÖW, Österreicher, 264. 244 Ebd., 264. 69 „[…] auch das Restaurant scheint in diesen 30 Jahren das gleiche geblieben zu sein. Es hat alle Modernisierungen überdauert, obwohl es kleiner geworden ist. Die große Chinesische Mauer an der Wand ist verblichen, der Drache auf der spanischen Wand runzelig. Und fast scheint es, als ob der Chinese hinter seinem Kassenpult noch derselbe sei […] die Kellnerin ist sicher noch dieselbe von damals, ich erinnere mich an ihren Goldzahn, typische Provinzlerin, weil jeder seine Hände sozusagen überall bei ihr hatte, nannten wir sie Pilita […] Sie gibt mir die Speisekarte, selbst das Menü ist das gleiche geblieben, Comida Corrida – das Tagesmenü. Wie sehr hatte mich dieses Stadtviertel damals, am Tag nach unserer Ankunft, beeindruckt.“245 Später berichtet Schwebel von der Entwicklung seiner professionellen Schauspielerkarriere in Mexiko. „Als Berufsschauspieler machte ich dann Mexikanische Filme, meistens kleinere Rollen, Hauptrollen habe ich nie gehabt, und Seifenopern. In einer Seifenoper hatte ich eine Hauptrolle. Aber ein Höhepunkt meiner Karriere war ein Zwei-Schauspieler-Stück, da spielte ich einen Psychiater, das war schon in den 80er-Jahren – 85 – wir machten 400 Vorstellungen hier.“246 Bruno Schwebel erzählt in weiterer Folge über seine Rollen: „Ich spielte Bösewichte, aber ich hatte auch komische Rollen, humoristische Rollen, spielte alles Mögliche, aber ich spielte einen Bösewicht sehr, sehr gerne, weil da kann man sich wirklich, da kann man machen, was man im normalen Leben nicht macht, da kann man sich so wirklich, da kann man wirklich schlimm, böse sein, was man im normalen Leben nicht sein kann und das kommt dann so ganz schön heraus“247 Ob die Malerei für Schwebel nur ein privates Vergnügen oder auch ein öffentliches Kunstschaffen war, geht aus der Quellenlage nicht eindeutig hervor, jedenfalls beschreibt er sowohl Inhalte wie auch seine Maltechnik in dem Film mit folgenden Worten: „Ich mal starke Landschaften, sie müssen nicht schön sein, die Landschaften, etwas Starkes etwas Eindrucksvolles haben meine Landschaften, das male ich.“248 Am Beispiel eines Bildes beschreibt er seine persönliche Maltechnik: „Dieses Bild habe ich in Mexicali gemacht, Mexicali ist eine Grenzstadt mit Amerika. Ich liebe diese Art von Landschaft. Die Technik ist - äh - habe ich dann später mehrere Bilder mit dieser Technik gemalt. Ich lass eine Schichte trocknen und die zweite Schichte wird dann abgekratzt, das gibt einen sehr starken Eindruck.“249

245 Canaval, In der Fremde zu Haus, 27:30 min. 246 Ebd., 41:20 min. 247 Ebd., 41:58 min. 248 Ebd., 13:50 min. 249 Ebd., 14:33 min. 70 Als Schriftsteller entdeckte er in den 60er-Jahren die mexikanische Tradition der „Erzähler“ in der Gegend, wo die großen Tabakfabriken sind. In diesem Zusammenhang erfährt man nebenbei von seiner Firma, die „Televisa“ geheißen hat, und wo er als Ingenieur tätig gewesen war. Im Interview sagt er dazu Folgendes: „In den 60er-Jahren, Anfang 60er-Jahren, begann ich viel zu reisen für meine Firma „Televisa“ als Ingenieur in der Provinz von Mexiko. Am Abend ging ich mit meinen Freunden in die Kantinas Kaffee trinken, zu Mittag, und diese Gegend ist berühmt durch die Erzähler. Wenn du da am Abend - jetzt nicht mehr so viel - in eine Cantina gegangen bist – da wurde etwas getrunken - aber meist wurden da Geschichten erzählt. Alles Mögliche, übertriebene Geschichten, wirkliche Geschichten, Geschichten hier und Geschichten da. Unglaublich, was da erzählt wurde.“250 Seine Kurzgeschichte „El Senor lector“ ist von dieser Tradition inspiriert.

Oscar Römer hat ebenfalls gemalt, hauptsächlich abstrakt. Römer verwendete sein malerisches Talent zur Darstellung von abstrakten Dingen, die mit viel und kräftiger Farbe hervorgehoben wurden. In einer Szene aus dem Film „In der Fremde zu Haus“ zeigt er einen Teil seiner Bilder und sagt Folgendes dazu: „Ja, das sind die Bilder von mir, abstrakte Bilder, gemacht mit Collage von Papier und Wasserfarben und Öl, gemixte Technik. Ich hatte ein bisschen Geld zum zwei Jahre Malen und ich hab nur gemalt und hab drei individuelle Ausstellungen gemacht und es war eine sehr schöne Zeit, aber ich hab gemerkt, dass ich konnte schwer leben davon. Ich bin zurück an die Architektur gegangen.“251 Als er einige Jahre später wegen eines Bauprojektes an der amerikanisch-mexikanischen Grenze in Tichuana war, lebte er mit seinen Kindern in San Diego. Er lernte dort Tango tanzen und bezahlte seine Tangoausbildung mit Zeichnungen, die den Tanz darstellten. In dem Filminterview berichtet er darüber Folgendes: „…und dann war ich in der Tangoschule mit dem Argentinischen Tango, und dort hab ich 4 Jahre Tango studiert am Nachmittag, am Vormittag Architektur gemacht, am Nachmittag Tango getanzt. Ich hab die Tangobilder gemacht, und ich hab gekriegt Tangounterricht, privat, Privatunterricht und ich hab die Werbung für die Schule gemacht. Die Schule hat [Pause] äh 80% von meinen Bildern, sind in der Schule geblieben […] ein Bild hat gekostet 10 Klassen,

250 Ebd., 1:08:24 min. 251 Ebd., 53:45 min. 71 ein anderes hat gekostet 20 Klassen und so haben die 80% meinen Bildern ist in der Schule in San Diego.“252

Ruth Deutsch de Lechuga war viel im Land herumgereist und hat sich alles angesehen, vor allem die einfachen Menschen und ihre Kunst. Sie hat vieles davon gesammelt und im Volkskunstmuseum zusammengetragen. Auch sie war inspiriert von Malerei, nicht ihrer eigenen, sondern von Orozco. In einem Interview sag sie Folgendes dazu: „Am Anfang hat mich sehr beeindruckt die Wandmalerei, hauptsächlich von Orzco. Die Nacht, wo ich die große Malerei in Bellas Artes von Clemente Orozco gesehen hab, da hab ich über Gelb und Rot geträumt – das hat mich nicht mehr losgelassen. Das hat mich sehr angezogen an Mexiko.“253 Ruth Deutsch de Lechuga wendet sich im Laufe der Jahre im Exil immer mehr ihrer Volkskunstforschung und Sammlung zu, sodass sie ihre Tätigkeit im Medizinbereich aufgegeben hat. Sie sagt dazu Folgendes: „Ich habe ein klinisches Laboratorium gehabt, und hab‘s dann aufgeben müssen, weil ich viel herumgefahren bin, und konnte es nicht mehr richtig attendieren. Ich hab im „Fond Art“ gearbeitet und dann im „Museo nacional de artes e industrias populares“ – also das ist äh [Pause] Volkskunstmuseum.“254 Sie hat sich sehr in die mexikanische Kultur vertieft. Im Film „In der Fremde zu Haus“ bringt sie ihre Kulturbegeisterung mit folgenden Worten zum Ausdruck: „aber es hat mich auch sehr begeistert, ich hab verstanden, dass das eine ganz andere Kultur ist – später dann viele verschiedene Kulturen sind.“255 In einem anderen Interview beschreibt sie die Einstellung der MexikanerInnen zum Tod und zieht Parallelen zur österreichischen Einstellung. „Also da gibt`s eine Menge kleine Spielzeuge, die für den Totentag gemacht werden, so wie diese Person – ich weiß nicht ob`s Frau oder Mann ist – die sich badet […] Der Tag der Toten, das ist Allerseelen, und zwar ist die Idee, dass die Toten diese Tage zu Besuch kommen und da muss man sie halt äh gut behandeln, sonst können sie Schaden bringen den Lebenden, und also die „ofrendas de muertos“ das äh das ist ein Tisch da, wird alles das festliche Essen und alles, was dem Toten halt gefallen hat, wird dargestellt.“256 Ruth zeigt einen kleinen Gegenstand, der wie ein Sarg aussieht und aus welchem ein Band herausragt. Wenn sie daran zieht, öffnet sich der Deckel und ein kleines Skelett setzt sich auf

252 Ebd., 55:00 min. 253 Canaval, In der Fremde zu Haus, 24:28 min. 254 Ebd., 1:03:48 min. 255 Ebd., 6:49 min. 256 Ebd., 1:29:10 min. 72 und ragt heraus. Zur Erklärung sagt sie: „Da hier zum Beispiel: „Anna Maria muriò de amor.“ Also Anna Maria ist gestorben weil sie [Pause] aus Liebe“257 Des Weiteren erklärt sie das seltsame Spielzeug mit folgenden Worten: „Nicht dass die Leute sich lustig machen über den Tod, sondern es wird mehr natürlich genommen, es ist ein Teil des Lebens. Man wird geboren, man wachst heran, dann wird man erwachsener, dann heiratet man, dann kriegt man Kinder und dann stirbt man halt […]. Das ist ganz anders als die europäische Auffassung, die nix davon wissen will. Man stirbt auf jeden Fall, also ist es keine große Hilfe, nix davon wissen wollen.“258 Ricardo Loewe berichtet im Interview vom 15.12.2016 über seine Erlebnisse und Erinnerungen als Kind bzw. Jugendlicher in Mexiko. In den Erinnerungen von Ricardo Loewe war seine Familiengeschichte nie von Armut geprägt, weder vor dem Exil noch danach, obwohl er im Interview erzählt, dass es doch Anlaufschwierigkeiten, zumindest in der Anfangszeit seiner Eltern 1934/35 gegeben haben muss. „Am Anfang , ja also ganz – mein Vater ist 1934 nach Mexiko gekommen, und da hat er als Student dann damals so kein Geld bekommen von meinem Großvater, der wollte eben, der hat den Röntgenapparat geschickt, damit er ihn verkauft und des war unverkäuflich damals – es hat ja niemanden gegeben, der sowas gebraucht hat – und da war mein Vater zuerst Fotograf von einem so einem Entomologen, von so einem Insektenexperten, und da hat er in einem Urwald in einer Höhle hat er seine Dunkelkammer gemacht, so ganz romantisch – und hat kein Geld gehabt aber dafür, so eine Schrotflinte und hat sich dann etwas gejagt zum Essen und so .. das äh [Pause] aber, aber nicht so, dass sie ganz arm waren – also solche G‘schichten gab`s da nit.“259 Seine frühesten Kindheitserinnerungen (welche wohl aus Erzählungen seiner Eltern stammen) zeichnen aber schon ein Bild von der wohlhabenden Ärztefamilie in der mexikanischen Gesellschaft ab. „Und ich würde sagen, schon damals 1947, wo ich mich ganz genau erinnern kann , da war die Familie ziemlich, ziemlich wohlhabend- eigentlich also die höhere Mittelklasse würd ich sagen – also – da kann ich mich nicht dran erinnern – ich bin da gekrault worden als Baby auf der Perserteppiche und so – ja und da gab`s Silberbesteck und so. Also wir haben wirklich – und für uns war das nicht ein, ein wirtschaftliches Problem, eben weil mein Vater auch eine Spezialisierung hatte die es damals sehr wenig gab.“260

257 Ebd., 1:30:20 min. 258 Ebd., 1:30:50 min. 259 Interview mit Ricardo Loewe, 16. 260 Ebd., 16. 73 Loewe hat bereits an anderer Stelle bemerkt, dass sich seine Familie recht schnell in der Mittelklasse entwickelt hatte, so besaß sein Vater auch ein Landhaus. Er erinnert sich offenbar gerne an seine Jugendzeit und jene Erlebnisse in dieser gebirgigen Gegend außerhalb der Stadt. „[…] dann hat mein Vater – meine Eltern die haben auch ein Landhaus gebaut – so 90 Kilometer von der Hauptstadt entfernt, also ein Tal mit, mit Bergen rundherum – wahnsinnig romantisch und da bin ich auch – also immer in den Ferien, Wochenenden dort aufgewachsen […].“261 Beim Gedanken an das alte Landhaus außerhalb der Großstadt berichtet er über seine Erinnerungen dort. „[…] da war mein Vater sehr weise und hat uns, meinem Bruder und mir, ein Stückl Land gekauft. Und wir durften äh [Pause] Mais pflanzen und und also wirklich im eigenen Fleisch spüren, was die Bauern gearbeitet haben […]. Wir waren so Großstädtler und aus einer Mittelklassefamilie – und [Pause] aber dass wir dann da Mais pflanzen und dann ernten mussten – und so, das hat mir viel gegeben. Ja, als Kind und und äh.. ja also und rundherum auf die Berge klettern, das war auch eine wichtige Sache, dort habe ich eben meine Frau kennengelernt – die sind wegen ganz anderer Gründe nach Mexiko – und mein [Pause] mein Schwager – also des hob i gor net g‘wusst – damals, der war mein bester Freund.“262 Ricardo Loewe weiß aber auch von Rückschlägen und Erfolgen anderer Art in seinem Leben zu berichten. Mitte der 60er-Jahre, kurz nach dem Ende seines Studiums, hatte er offensichtlich Probleme, eine Anstellung als Mediziner zu finden, weil er sich in einer Ärztebewegung engagiert hatte. „[…] denn als der Ärztestreit 1964/65 war – da gab`s diesen Ärztestreit, da war ich grade fertig mit`m Studium und da wollten die mich zwingen irgendsolche Papiere zu unterschreiben gegen die Ärztebewegung und für den Staat und so – das hab ich nicht gemacht – also wegen Hunger werden mich nicht dawischen – und da bin ich also – äh – wie heißt das jetz auf Deutsch [Pause] äh so Kunstgewerbe hab ich da gemacht mit meinen Händen – das war für mich wahnsinnig wichtig – da hamm so Taschen für Frauen geknüpft – und äh [Pause] alles Mögliche und so Lampenschirme und so weiter, das hab ich so 8 bis 10 Jahre hab ich das gemacht. Das hab ich soweit gebracht mit meiner ersten Frau, dass wir noch [Pause] äh Gegenstände ausstellen durften im Museum für moderne Kunst in Mexiko, das war a große Sache, und mein Vater war entsetzt – hat g‘sagt: ja wozu hab ich dann dein Studium bezahlt? – als Arzt und so – und ja, aber da war ich sicher, dass die mich nicht dawischen wegen Hunger

261 Ebd., 6. 262 Ebd., 6. 74 – und da hab ich mich sehr viel politisiert – eben durch diese Handarbeit – die ich da gemacht hab mit anderen Leuten. Und das hat mich wiederum zur Ruth gebracht – die hat in ihrer Sammlung, hat sie ein Stück von mir gehabt. Unter 9000 Gegenständen damals – das hat mich sehr stolz gemacht damals.“263 Zudem berichtet Ricardo Loewe im Interview, geführt in Wien am 15.12.2016, über sein Leben in Mexiko. Unter anderem erzählt er über andere ExilantInnen, welche er in Mexiko kennen gelernt hatte. Bruno Schwebel war einer von ihnen, allerdings haben sich die beiden erst später, nicht in der Kindheit, kennen gelernt. Zum Gesellschaftsleben und im Speziellen zur Bekanntschaft mit Bruno Schwebel im Exil weiß er zu berichten: „Ha [Pause] der Bruno Schwebel – wir haben in Mexiko eine Bibliothek – ich hab ja viele Bücher geerbt und haben eine Bibliothek – also das ist ein Turm so achteinhalb Meter hoch mit so an Mezzanin (Halb- oder Zwischengeschoss) mit Bücherstellagen und so, und da passen so an die 35 Leute hinein, und da machen wir so – hin und wieder so Kulturveranstaltungen, und da haben wir eine Lesung gemacht mit`m Schwebel […].“264 Wie diese Bekanntschaft entstanden ist, erzählt er ebenfalls in dem Interview: „[…] den hat eigentlich meine Cousine so gut in Erinnerung – weil, als sie ein Kind war, da ist der – da sind sie auf Ferien gegangen in so ein Haus, wo viele Kinder waren – so während der Ferien, und da ist der Bruno Schwebel gekommen und hat den Kindern Geschichten erzählt, wunderschön, und natürlich hab ich ihn gekannt – sehr gut – der war alles, der war Ingenieur, Schachmeister [Pause] äh und Schauspieler, der hat – also den Shakespeare gespielt – hab ich einmal gesehen von ihm – in einem Englishen, English perfekt, hat Kurzgeschichten geschrieben – auf Spanisch – die sehr lustig sind, der hat einen Sinn für Humor g`habt und so ist dann leider g`storben in Kalifornien – ja wo er seine Familie gehabt hat […] Bruno Schwebel – wie gesagt – also die, als Kind war das eben so mit meiner Cousine … ich hab ihn einmal vielleicht gesehen – aber [Pause] äh meine Cousine hat ihn öfters gesehen – und dann – ja also [Pause] äh über [Pause] eben über das Kulturleben – und so haben wir, haben wir, mit ihm also [Pause] und über die Botschaft, und so - die österreichische, das war halt – das ist dann so eine lose Beziehung, eine Freundschaft gekommen – als wir ihn eingeladen haben da – zu [Pause] zu einer Lesung von – da hat er seine Buchpräsentation da in meiner Bibliothek gemacht – und da ist er - sofort hat er zugesagt – ja, das war ein toller, toller Mensch[…].“265 Eine engere Zusammenarbeit von Exilanten untereinander, besonders wenn es verwandtschaftliche Beziehungen gegeben hat, kann als gegeben angenommen werden. Am

263 Ebd., 11. 264 Ebd., 10. 265 Ebd., 11. 75 Beispiel der Aussagen von Ricardo Loewe zum Laboratorium von Ruth Deutsch de Lechuga, lässt sich das sehr gut nachvollziehen: „[…] die Ruth war die Tochter von Arnold Deutsch – oje, das ist a bissl kompliziert, das hab ich erst verstanden, da war ich schon älter – da haben drei Geschwister Reis drei Geschwister Deutsch geheiratet – so fing`s an. Und die Ruth war von derselben Generation meiner Mutter – und war eben also Cousine meiner Mutter […].“266 Dieses Zitat zeigt die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den Familien Loewe und Deutsch und den daraus resultierenden Beziehungen sozial-wirtschaftlicher Natur im Exil in Mexiko. „[…] die Ruth hat ein Labor gehabt – ein, ein chemisches Labor – und meine Patienten hab ich jahrelang zu ihr geschickt – zum Labor. Und manche haben gedacht, das ist ein G‘schäft aber – ich hab sie dorthin g`schickt - und hab ihr zum – mit kleinen Buchstaben geschrieben – pass auf die haben nicht viel Geld – und da hat die dann die ganzen Analysen umsonst gemacht – die [Pause] die Ruth.“267

Über die jeweilige Familiensituation im Exil in Mexiko erzählen Römer, Schwebel und Deutsch de Lechuga ebenfalls in dem Film „In der Fremde Zuhause“. Bei den anderen Charakteren lässt sich deren weitere Entwicklung aus unterschiedlichen Quellen herauslesen. Grundsätzlich ist auch in der späteren Lebensphase der untersuchten Personen der Einfluss des Lebens im Exil an einigen Stellen deutlich erkennbar.

Bruno Schwebel sitzt auf einem Sofa, hinter ihm ein selbst gemaltes Landschaftsbild, so erzählt er von seiner Familienentwicklung in Mexiko. „Ich habe zwei Söhne von meiner ersten Ehe von Mathilde von Mathi – einer lebt in Puebla, ist mit einer Mexikanerin verheiratet, und mein jüngerer Sohn, der ist in 57 geboren lebt hier in Mexiko, hat zwei kleine Töchterchen, meine Enkeltöchterchen, meine Enkelkinder.“268 Obwohl er in Mexiko viele MexikanerInnen als Freundinnen hatte, heiratete er dennoch eine Deutsche. „Vor meiner Hochzeit habe ich - alle meine Freundinnen waren Mexikanerinnen, ich hatte viele Mexikanerinnen, aber ich weiß nicht – ich glaub ich habe keine Mexikanerin – ich habe eine deutsche Jüdin geheiratet – eine Halbjüdin so wie ich – warum – weil ich wollte etwas sehr Tiefes in gemeinsam haben mit meiner Ehepartnerin – also mit jemanden mein Leben zu teilen, die ein tiefes Verständnis hätte mit meiner Vergangenheit und was mir passiert war und so.

266 Interview mit Ricardo Loewe, 11. 267 Ebd., 11. 268 Canaval, In der Fremde zu Haus, 1:01:30 min. 76 Meine zweite Frau auch, genau dasselbe – meine zweite Frau Joan, ist Amerikanerin, ihr Vater ist Jude, ihre Mutter ist nicht Jüdin, sie hat ein ganz tiefes Verständnis und sogar - würd ich sagen - eine Liebe in meiner Vergangenheit zu forschen und alles, alles kennen zu lernen, was ich erlebt habe. Und das hätte mit einer Mexikanerin nicht funktioniert.“269 Aus dem Zitat geht hervor, dass er nie mit seiner Vergangenheit, sowohl mit der Flucht als auch dem Jüdisch-Sein, abgeschlossen hatte. Diese Erfahrungen möchte er mit einer Frau teilen, die ihn versteht. Die Verarbeitung seiner Kindheits- und Jugenderlebnisse sind bei der Wahl seiner Lebenspartnerinnen mitentscheidend.

Bei Friedrich Katz verliefen nicht nur Kindheit und Jugend anders als bei den restlichen sechs Personen in dieser Auswahl, auch sein weiteres Leben gestaltete sich unruhiger, vielschichtiger und manchmal auch von widersprüchlichen Entscheidungen gekennzeichnet. Er kehrte nach Ende des Krieges gemeinsam mit seinen Eltern nach Österreich zurück, wo er auch sein Studium an der Uni Wien beendete. Er war einer der wenigen ExilantInnen, die tatsächlich eine Rückkehr in das Heimatland wagten. In Wien lernte er auch seine spätere Frau Jana Badian Katz kennen, mit der er 54 Jahre verheiratet war.270 Oscar Römer berichtet ebenfalls im Film „In der Fremde zu Hause“ über die Entwicklungen in seinem späteren Leben im Exil: „Meine erste Frau war von hier, war Mexikanerin von Veracruz, aber ihre Eltern waren von Polen. Und meine zweite Frau habe ich hier kennen gelernt, ist Amerikanerin und ihre Eltern waren von Norwegen. Die Alicia ist so wie meine Frau, wir sind nicht verheiratet, aber sie ist meine Frau […].“271 Er erzählt noch, wie er seine aktuelle Partnerin Alicia kennengelernt hat und wie viele Kinder und Enkelkinder er hat: „Die Alicia habe ich gefunden – wir haben uns getroffen, nicht gefunden – wir haben uns gefunden in Tango tanzen, ich war ihr Tangolehrer und so ist die Relation entstanden. Sie war meine Schülerin, die beste Schülerin und so ist sie jetzt meine Frau. Und von den 4 Kindern habe ich 10 Enkelkinder, also die Generationen gehen weiter.“272

Ruth Deutsch de Lechuga befindet sich im Film in einem Raum ihres Privatmuseums, während sie von ihrem Familienleben in Mexiko berichtet. „Ich war mit einem Mexikaner verheiratet, und nachdem mein Name ziemlich schwer auszusprechen ist, hier habe ich mir Lechuga

269 Ebd., 1:01:55 min. 270 Vgl. Unbekannt, Professor Friedrich Katz. 271 Canaval, In der Fremde zu Haus, 59:30 min. 272 Ebd., 1:00:52 min. 77 gelassen. Er war auch Arzt – aber er war der Direktor von Radiographie vom Hospital de la Resa – also das hat jeder einzeln gehabt.“273 Wie das Zitat zeigt, war sie im Gegensatz zu Bruno Schwebel mit einem Mexikaner verheiratet. Sie führten jedoch keine glückliche Ehe. „Wir hatten kein gutes Verhältnis. Es war gleichberechtigt in dem Sinn, daß ich mehr Einkommen nach Hause gebracht habe als er. Aber sonst hat er gemacht, was er wollte.“274

Das Leben im Exil hat bei so gut wie allen eine Mehrsprachigkeit hervorgebracht, was im Nachhinein als Bereicherung gesehen wird. Dies kann man aus folgenden Interviewsätzen mit Ricardo Loewe vermuten. „Zuhause haben wir Deutsch gesprochen – wie man hört – also das war meine Muttersprache.“275 Ricardo Loewe spricht ein fast akzentfreies, ein wenig „wienerisch“ eingefärbtes Deutsch, was darauf zurückzuführen ist, dass die Familie neben dem angepassten Leben im mexikanischen Exil die deutsche Kultur zu Hause weiter gepflegt hat. „In der Schule Spanisch. Ich kann noch spanisch sprechen wie die Spanier, aber in Mexiko, nicht, spricht man ja ein bissl anderst. Ja und dann kommt noch manchmal die Frage unter welcher Sprache – oder in welcher Sprache träumst du – Spanisch – also meine Sprache ist, wo ich mich frei fühle, gut ausdrück und schreiben kann, und so – ich hab nämlich auch ein bissl Journalismus gemacht und so, so – ich mach das auf Spanisch.“276 Trotz der Bemühungen der Eltern zu Hause Deutsch zu sprechen und dem gemeinsamen Sohn ein Stück deutsche Kultur mitzugeben, ist für Ricardo die spanische Sprache die gewohntere. „[…] und in meiner ersten Ehe – haben wir spanisch gesprochen und mein Sohn, der spricht kein Deutsch. Aber in der zweiten Ehe hab ich eine Wienerin geheiratet, deshalb sin ma auch hier. Das Haus, das hat, das ist ja so meine zweite Heimat, und die Sprache, in der wir schon von Anfang an unser Verhältnis aufgebaut haben, ist Deutsch. Daheim, hier sprech ich Deutsch. Aber mit den Kindern, also die, die Kinder meiner Frau, die sprechen fließend Deutsch und mit denen sprech ich auch Spanisch. Auch hier die, die Tochter, die hier wohnt in Wien, schon jahrelang, mit der sprech ich Spanisch, das ist automatisch, das geht, ich würde sagen absolut zweisprachig.“277

273 Ebd., 1:03:18 min. 274 Schätte, Hinter jeder Maske steht eine Geschichte. 275 Interview mit Ricardo Loewe, 5. 276 Ebd., 5. 277 Ebd., 5. 78 Ricardo Loewe versucht nun auch seinen Kindern, obwohl sie in Mexiko aufgewachsen sind und kaum eine Verbindung zu Österreich haben, die deutsche Sprache mitzugeben, eine Ausnahme stellt dabei sein Sohn aus erster Ehe dar. „Jetzt schreib ich, ich tu‘s mir immer noch ein bissl schwer mit‘m Deutschen aber ich schreib auch Deutsch.“278 Das Deutsche scheint besonders wichtig für Ricardo Loewe zu sein. Er betont dies immer wieder mit Nachdruck. Aus dem Interview geht allerdings hervor, dass ihm die deutsche Sprache größere Schwierigkeiten bereite, vor allem in der Schrift, als das Spanische. Diese Tatsache kann man wohl darauf zurückführen, dass er Deutsch nur aus dem Gesprochenen innerhalb des Familienlebens kennt und nie in der Schule gelernt hatte.

6.2.5 Heimat und Zugehörigkeit Für Schwebel war das Exil in Mexiko offenbar immer von ambivalenten Gefühlen geprägt. Man kann das an verschiedenen Aussagen im Film erkennen. Die folgenden Zitate zeigen diese Ambivalenz sehr deutlich, wenn er sagt: „Ich wurde nie mexikanischer Staatsbürger, ich behielt immer die österreichische Staatsbürgerschaft“.279 Des Weiteren sagt er: „Ich glaub, man ist, was man fühlt, wie man sich fühlt und nicht was auf einem Stück Papier steht. Ich fühlte mich hier zu Hause, Mexikaner, und ich brauchte dieses äh [Pause] die mexikanische Staatsbürgerschaft nicht, um das irgendwie zu beweisen, den andern zu beweisen, mir selbst zu beweisen. Aber es kann sein, dass da irgendwie doch etwas wie Sehnsucht an die Heimat dahintersteckte.“280 Anlässlich der unmittelbar bevorstehenden Ehrenkreuzverleihung durch den österreichischen Botschafter in Mexiko im Jahr 2004, sagte Bruno Schwebel Folgendes: „Ich glaube, dass das Ehrenkreuz, das ich jetzt erhalten werde, mit Wiedergutmachung überhaupt nix zu tun hat. Das ist äh [Pause] ich bekomm das Ehrenkreuz, weil ich es verdient hab hier in Mexiko mit meiner Arbeit als Ingenieur, als Maler, als Schriftsteller und das hat mit Wiedergutmachung überhaupt nix zu tun, das wiederhole ich. Es hat zu tun, dass die jetzige Regierung auch nichts zu tun hat mit der vorigen Regierung, die mich aus Österreich rausg‘schmissen hat, und so ist das, ich fühl mich geehrt und fühl mich gut.“281

278 Ebd., 5. 279 Canaval, In der Fremde zu Haus, 4:55 min. 280 Ebd., 5:02 min. 281 Ebd., 1:19:41 min. 79 Befragt zur Heimat und Zugehörigkeitsgefühlen erzählt der Lateinamerikaforscher Friedrich Katz im Interview mit Konstantin Kaiser in Wien 1984. „An sich in der Emigration habe ich mich als Österreicher gefühlt, obwohl ich das Land gar nicht kannte. Irgendwo war mein Wunsch, nach Wien zurückzukehren. Das war besonders der Fall, als wir in Mexiko waren.“282 Als einen Grund nennt er die geringen Assimilationsmöglichkeiten in Mexiko. Wäre die Familie Katz in den USA geblieben, hätte sich der Historiker zu 100% als Amerikaner gefühlt. Als weiteren wichtigen Punkt für seine persönliche Wendung stimmt Katz der Aussage des Interviews Kaiser vollkommen zu: „Bei dieser Wendung in Mexico dürfte auch eine Rolle gespielt haben, dass innerhalb der österreichischen Emigration das Bekanntnis [sic] Bekenntnis zur österreichischen Nation mit der Zeit bewusster geworden ist, als es zum Zeitpunkt ihres Eintreffens in Mexico war.“283 Das damalige Ziel des Friedrich Katz war es, nach Österreich, speziell nach Wien zurückzukehren. Er interessierte sich für das Rote Wien sowie für die Vorgänge im Februar 1934, dem Karl Marx Hof und für Floridsdorf. Widersprüchlich scheint der Aspekt, dass sich Katz klar als Österreicher identifiziert, aber dennoch ein Mexikanistik-Studium wählte. Dies begründet Katz wie folgt: „Einerseits habe ich mich als Österreicher gefühlt, andererseits gehöre ich zu jenem Teil der Emigration, der noch jünger war, sich mehr mit diesem Land identifiziert hat, obwohl ich zunächst in diesem Getto gelebt habe und in einer französischen Schule war.“284 Seine Liebe zu Mexiko blieb, später beschäftigte er sich auf beruflicher, fachlicher und wissenschaftlicher Ebene mit Mexiko.285

Die Frage nach der persönlichen Heimat wird in dem Film auch Oscar Römer gestellt, und er beantwortet diese mit einem längeren Monolog: „Heimat – das ist eine sehr schwere Frage, was Heimat bedeutet. Heimat bedeutet, wo man sich gut fühlt, würd ich sagen. Wo man die Freunde hat, wo man hat Menschen, die einen gernhaben, wo man sich wirklich zuhause fühlt. Wo man sich nicht als ein Ausländer fühlt. Das würde für mich die Heimat sein. Für mich in Mexiko im Allgemeinen hat es das nicht gegeben. Am Anfang habe ich sehr, war ich, ich wollte Mexikaner werden, ich wollte es, ich hab es gebraucht, denn wie ich 5, 6 Jahre alt war und in die Schule gegangen bin, am Anfang bin ich mit kurzen Hosen zur Schule und natürlich – äh – haben die Studenten, natürlich sind sie nicht

282 Interview mit Friedrich Katz und Konstantin Kaiser, 9. 283 Ebd., 10. 284 Ebd., 12. 285 Vgl. ebd., 12. 80 gewohnt dann das, und ich hab immer, immer hab ich gesagt am Anfang, ich bin Mexikaner, ich bin Mexikaner, das hab ich solang gesagt, aber alle, die rundherum mir waren, haben gesagt, du bist kein Mexikaner, du bist kein Mexikaner und wie ich so 30, 35 Jahre alt war, hab ich gesagt, ok, ich bin kein Mexikaner. Die Wahrheit ist, man findet keine Heimat mehr, viele Emigranten haben das, vielleicht sagen sie es nicht, aber – man ist nicht ein kompletter Mexikaner und ist nicht mehr ein kompletter Wiener. Man ist Emigranten in zwei Länder.“286

Für Ruth Deutsch de Lechuga war, wie sie in einem Interview im Film „In der Fremde zu Haus“ sagt, die Rückkehr gar kein Thema. Sie fühlte sich dort von Anfang an immer zu Hause und beschäftigte sich auch ihr ganzes Leben lang damit, möglichst alles an der mexikanischen Kultur kennen und verstehen zu lernen. Dazu gibt es einige Interviews in dem 2004 entstandenen Film „At home far away from home“. Entstanden nach der Idee und dem Konzept von Christian Kloyber und Hubert Canaval, welche auch gemeinsam mit Robert Winkler als Produzenten für den Film tätig waren. „Ich bin vollständig Mexikaner – ich habe 1954 die Staatsbürgerschaft bekommen […]. Ich habe nie die Absicht gehabt zurückzufahren – also auf jeden Fall war Mexiko meine Heimat.“287 Im Jahr 2004 bekam auch Ruth Deutsch de Lechuga eine Auszeichnung von Österreich und eine von der Stadt Wien. Sie gab dazu folgendes Interview in dem Film: „Für mich ist es sehr bedeutend, dass gerade Österreich ist, was mir eine Auszeichnung gibt. Das ist das erste Mal, dass jemand dran denkt, dass es irgendwie wert ist, mein Leben und meine Lebensaufgabe sozusagen, zu beachten und zu belohnen, sagen wir.“288

Obwohl Ricardo Loewe als einziger aus dem gewählten Personenkreis in Mexiko geboren wurde, war es auch für ihn nicht grundsätzlich einfach, sich als Mexikaner zu fühlen, er sagt dazu Folgendes: „Ja naja [Pause], es war ein tatsächlicher Unterschied [Pause], also es war [Pause] und des ist geblieben – da hab ich noch - schon als Arzt und so – da wurde ich immer als Ausländer empfunden, auch der Name alleine – der Name, des ist auch so eine komische Sache – hier können alle Löwe sagen, dort bin ich Loewe […]“289 Diese Diskrepanz, weder ganz Mexikaner noch ganz Österreicher zu sein, bewegt ihn auch jetzt noch, wie er es im Interview vom Dezember 2016 zum Ausdruck gebracht hat.

286 Canaval, In der Fremde zu Haus, 1:25:20 min 287 Ebd., 6:29 min. 288 Ebd., 1:18:47 min. 289 Interview mit Ricardo Loewe, 6. 81 „[…] da muss ich immer sagen – da bin ich hier dann auch nicht so richtig daheim – weil, weil ich der Loewe bin – mit „oe“ bitte – ja – aber hier fühl ich mich […] vor vielen Jahren schon als ich anfing, da hier also länger hier zu ziehen – zu kommen – da hab ich immer erzählt, ja ich bin Mexikaner – die haben mich so ang‘schaut [Pause] was des kann doch net wohr sein [Pause], nicht, und jetzt hab ich mich so ziemlich adaptiert – aber wie gesagt – mein Herz liegt noch mindestens zur Hälfte in Mexiko.“290 Faktisch gesehen hat er auch zwei Staatsbürgerschaften, die mexikanische von Geburt an und seit dem Jahr 2000 auch die österreichische. Dies ist zumindest im untersuchten Personenkreis ein Alleinstellungsmerkmal. „Aber ich bin halt eben mexikanischer Staatsbürger immer noch und – aber im Jahr 2000 da ist ein Gesetz herausgekommen in Mexiko – verabschiedet worden, – wo man eigentlich die mexikanische Staatsbürgerschaft nicht kündigen kann, also ich bin Mexikaner, also ich, das kann man nehmen wie man will, ein Privileg oder als ein Fluch, aber ich hab jetzt eine doppelte Staatsbürgerschaft. Also im Jahr 2000 da bin ich Österreichischer geworden, und das ist auch eine Geschichte für sich […].291 Am Beispiel von Ricardo Loewe lässt sich im Zusammenhang mit den Staatsbürgerschaften ein scheinbar für jüdische und besonders halbjüdische Familienverhältnisse typisches Problem erkennen, wenn es um die alte Heimat geht. „[…] als ich ihr erzählt hab, dass ich – das war 1993 – kurz bevor sie gestorben ist, da hab ich g‘sagt: „Mutter, ich krieg die österreichische Staatsbürgerschaft“, [Pause] da hat sie solche Augen gemacht und hat g‘sagt: „wie kannst du mir sowas antun?“292

Über Alejandro Zohn erfährt man aus den Quellen, die aus dem Literaturhaus Wien stammen, nichts über sein Heimat- oder Zugehörigkeitsgefühl. Im Jahr 1930 geboren, floh er mit seiner Familie nach Mexiko, welches er 1939 erreichte. Die Familie siedelte sich schon bald nach ihrer Ankunft in Veracruz in Guadalajara an. Alejandro ging dort vermutlich zur Schule, jedoch sind dazu keine Hinweise in den Quellen enthalten. Später studiert Zohn ebenda auf der Universität und fand dort eine Arbeit als Architekt. Im Jahr 2000 ist Zohn in Guadalajara verstorben. Er hat somit seinen Wohnort seit seiner Ankunft in Mexiko nicht mehr grundlegend verändert. Daraus kann man schließen, dass er sich dort sehr wohl gefühlt hat. Aufgrund seines jungen Alters bei der Emigration könnte er sich sofort integriert und sich als Mexikaner und nicht als Österreicher gefühlt haben.

290 Ebd., 7. 291 Interview mit Ricardo Loewe, 4. 292 Ebd., 9. 82 6.2.6 Gedanken zur Rückkehr nach Österreich Nachdem die eigenständige Entscheidung einer möglichen Rückkehr nach Österreich nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges den ausgewählten Personen aufgrund ihres jungen Alters zumeist von den Eltern abgenommen wurde, gab es im weiteren Leben Überlegungen hierzu.

In den 70er-Jahren gab es für Schwebel eine erste Rückkehr, wenn auch nur für die Dauer einer längeren Reise gemeinsam mit seiner ersten Frau. „Also meine erste Rückkehr nach Österreich war die Hochzeitsreise mit meiner ersten Frau. Das erste, was wir machten, war nach Neulengbach zu fahren. Warum Neulengbach? Das hab ich noch nicht erzählt. In Neulengbach [Pause] hatte mein Großvater, mein jüdischer Großvater hatte dort ein Grundstück. Mit dem Namen von Haaghof. Dort verbrachte ich einen Teil meiner Kindheit. Machte ich das 1. Schuljahr und das 2. Schuljahr in Neulengbach – und das waren die schönsten Tage meines Lebens.“293 Eine endgültige Rückkehr kam für Bruno Schwebel jedoch nie in Frage. Seine Ehefrau berichtet im Interview, dass Schwebel sich an Mexiko gewöhnt hatte und in den ersten Jahren ihrer Ehe nicht bereit war, Mexiko zu verlassen und mit ihr in die USA zu ziehen. Diese Frage nach der Rückkehr stellte sich für Oscar Römer erst sehr spät im Jahre 2004 wieder. Anlässlich der Interviewaufnahmen zu dem Film „At home far away from home“ sagte er Folgendes: „Die Idee ist zurückgehen zu Wien, nach Wien, zurückzugehen und meine letzten Jahre dort verbringen, in Wien. Äh [Pause] ist eine wunderschöne Stadt, ich war letztens dort vor manchen Wochen und zum ersten Mal, und da hab ich die Sehnsucht gekriegt zu sterben in Wien. Wie die Tiere. Tiere gehen und sterben im Platz, wo sie geboren sind.“294

Ruth Deutsch de Lechuga hatte sich von Beginn an sehr gut in Mexiko integrieren können. Im Interview mit dem Lateinamerika Institut erzählt Ruth über ihren Besuch in Österreich: „Ich bin 1981 oder 1982 in Wien gewesen, und zwar war ich die mexicanische Abgesandte für den World Crafts Council. Wir haben in Mexico damals eine Gruppe gehabt, mit den Leuten, die interessiert am Kunsthandwerk waren… Auf jeden Fall wurde ich zu diesem Kongreß geschickt, weil ich Deutsch sprechen und Mexico in der deutschen Sprache vertreten konnte.“295 Alejandro Zohn kam ähnlich wie Ruth Deutsch de Lechuga nur auf Besuch zurück nach Österreich. Er besuchte seinen Geburtsort Wien und auch Salzburg für jeweils vier Tage.

293 Canaval, In der Fremde zu Haus, 1:15:08 min. 294 Ebd., 1:28:07 min. 295 Schätte, Hinter jeder Maske steht eine Geschichte. 83 Bei Ricardo Loewe gab es eine Rückkehr. Der Prozess der Rückkehr ist jedoch noch nicht abgeschlossen. Bis heute pendelt er zwischen den beiden Ländern Mexiko und Österreich, jedoch mit längeren Aufenthalten in Österreich. Der erste Besuch war 1958 für ein paar Wochen bei der Verwandtschaft seiner Frau. „[…] und äh da wo immer noch die Familie meiner Frau ist, da war ich dann zum ersten Mal 1958. Und das war aber ganz kurz, das waren nur ein paar Wochen […]. Und dann wieder zurück nach Mexiko. Ich hab dann angefangen herzukommen – wieder – ich hab meine Frau, die Franzi, geheiratet – vor [Ruth] äh im August warn`s 30 Jahre, also das ist schon eine längere Sache und eben, [Ruth] äh als wir zusammengekommen sind, da sind wir dann öfters gekommen.“296 Das entwickelt sich langsam bis zur aktuellen Situation im Dezember 2016, wo er sagt: „Bis zum heutigen Tag, wo wir jetzt im Prozess sind, hier unser Hauptwohnsitz zu organisieren. Wieder so eine Sache mit den Wurzeln, denn ich hab ja Wurzeln geschlagen in Mexiko, da ist mein Sohn aus erster Ehe mit seiner Familie, und der eine Sohn von meiner Frau, der praktisch auch mein Sohn geworden ist, und der ist auch mit seiner Frau in Mexiko, also – und, und das geht mir ab.“297

6.3 Diskussion der Erlebnisse und Erinnerungen der untersuchten Kinder und Jugendlichen im mexikanischen Exil Das Gedicht mit markanter Aussage, verfasst von Bertold Brecht, wie bereits im Unterkapitel 1.2 verwendet, wird an dieser Stelle noch einmal angeführt. „Immer fand ich den Namen falsch, den man uns gab: Emigranten. Das heißt doch Auswanderer. Aber wir Wanderten doch nicht aus, nach freiem Entschluss Wählend ein anderes Land. Wanderten wir doch auch nicht Ein in ein Land, dort zu bleiben, womöglich für immer. Sondern wir flohen. Vertriebene sind wir, Verbannte. Und kein Heim, ein Exil soll das Land sein, das uns aufnahm. Unruhig sitzen wir so, möglichst nahe an den Grenzen Wartend des Tages der Rückkehr, jede kleinste Veränderung Jenseits der Grenzen beobachtend […]“298 Aus diesen Zeilen kann man herauslesen, dass Berthold Brecht ein Exil ausschließlich als „Übergangslösung“ verstanden hat. Er verwendet jedoch das Wort „wir“, so impliziert er, dass

296 Ebd., 9. 297 Ebd., 9. 298 Kerstin Schirp, Die Wochenzeitung "Semanario Israelita": Sprachrohr der deutsch-jüdischen Emigranten in Argentinien, Münster 2001, 12. 84 alle Vertriebenen das Exil als Übergangslösung für sich gesehen haben. Ob dies so zutrifft, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht mit Gewissheit beantwortet werden. Von den sieben betrachteten Personen sind tatsächlich nur zwei unmittelbar nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges in ihre Heimat zurückgekehrt. Wer von den Betroffenen die Rückkehr schon bei der Flucht nach Mexiko im Blick hatte, lässt sich anhand der vorliegenden Untersuchung nicht mit Bestimmtheit feststellen. Die Familie von Bruno Schwebel war wohl am ehesten darauf eingestellt, in Frankreich die weitere Entwicklung abzuwarten. Friedrich Katz war am längsten von allen in Frankreich, es gibt aber keine konkreten Aussagen dazu. Lisa Freistadt hielt sich ebenso für längere Zeit in Frankreich auf, aber auch bei ihr gibt es keine konkreten Aussagen dazu. Bei den anderen war Mexiko das erklärte Ziel. Sie hatten dort entweder schon Verwandte oder waren, wie am Beispiel von Ernst Römer und seiner Familie zu erkennen ist, fast schon mit „staatlicher Unterstützung“ ins Land geholt worden. Sechs der sieben ausgewählten Personen (Schwebel, Katz, Römer, Deutsch, Freistadt und Zohn) wurden in Österreich geboren und sind österreichische Staatsbürger. Ricardo Loewe, der deutlich jünger ist, wurde erst in Mexiko geboren und erhielt die mexikanische Staatsbürgerschaft. Eine Gemeinsamkeit bei allen sieben Vertriebenen ist die deutsche Muttersprache. Sie alle sprachen im Exil Deutsch im privaten Rahmen der Familie und bewahrten somit ein Stück österreichische Kultur. Katz stellt viele Jahre später 1984 fest, dass er im Exil zwar deutsch gesprochen hatte, aber aufgrund seiner vielen Aufenthalte außerhalb des deutschen Sprachraumes er kein Deutsch schreiben konnte, was ihn in seiner späteren Laufbahn als Historiker ein wenig einschränkte. Auch Ricardo Loewe sprach zu Hause Deutsch, obwohl er in Mexiko geboren worden war. Im Interview erzählte er aber, dass Spanisch die Sprache ist, in der er träumt, woraus er schließt, dass Spanisch für ihn die gewohntere Sprache sei. Auch er berichtete von Problemen beim Schreiben. In beiden Fällen liegt nahe, dass eine schulische Ausbildung in Deutsch nicht stattgefunden hatte. Alle für diese Arbeit untersuchten Personen hatten einen jüdischen Familienhintergrund, drei von sieben waren zudem durch die politischen Aktivitäten von Familienmitgliedern (Leo Katz, Bruno Frei, Theodor Schwebel) von der Verfolgung durch das NS-Regime bedroht. Die Flucht begann für die Familien der ausgewählten Personen vorwiegend aus Österreich, unmittelbar nach dem „Anschluss“ an das Deutsche Reich. Friedrich Katz und Lisa Freistadt wurden zwar in Österreich geboren, zogen jedoch aus beruflichen Gründen der Eltern vor der eigentlichen Flucht nach Deutschland. Die Vertriebenen haben Österreich nicht freiwillig verlassen, sie mussten vor dem Nazi-Terror fliehen. Bei vier Familien war Mexiko das

85 Erstemigrationsland für die restlichen drei gab es längere Aufenthalte in Frankreich und den USA (Katz und Freistadt) oder Frankreich und Portugal (Schwebel). Niemand wusste über das zeitliche Ausmaß des Krieges Bescheid, wird er wenige Wochen dauern oder doch mehrere Jahre? Mit den raschen Eroberungszügen und Besetzungen diverser europäischer Länder durch die deutschen Truppen sahen sich die Vertriebenen abermals gezwungen, ihr Erstemigrationsland, in der vorliegenden Arbeit war es meist Frankreich, zu verlassen und auf eine weitere Reise ins Ungewisse zu gehen. Unterstützung kam für diese Vertriebenen von Mexiko. Präsident Lazaro Càrdenas, Gilberto Bosques und Diego Rivera spielten bei der Beschaffung der Einreisevisa eine zentrale Rolle. Die Fluchtwege aus Österreich oder Deutschland nach Mexiko verliefen bei den Personen unterschiedlich. Eine beliebte Fluchtroute führte über Frankreich. Von Marseille liefen einige Schiffe in Richtung Übersee aus. Auf einem dieser Schiffe befanden sich die Familie Katz, Familie Römer, die Familie Zohn und auch Lisa Freistadt. Familie Deutsch und Loewe flohen über Holland nach Mexiko. Familie Schwebel hielt sich zwar in Frankreich für längere Zeit auf, da ihre Mitglieder aber zu spät auf die drohende Gefahr reagiert hatten, erhielten sie auch ihre Einreisevisa für Mexiko erst zu einem Zeitpunkt, als keine Schiffe mehr von Marseille aus in See stechen konnten. So geschehen im Jahre 1942. Sie mussten über Land durch Spanien bis nach Portugal und erreichten gerade noch den letzten regulären Flüchtlingstransport nach Veracruz. Die ausgewählten Persönlichkeiten kamen in der Regel im Zeitraum zwischen 1938, wie etwa Oscar Römer, und 1942, wie etwa Bruno Schwebel, in Mexiko an. Der Vater von Ricardo Loewe, ein Deutscher, stellt die große Ausnahme dar, er verlässt Deutschland bereits 1933 in Richtung Mexiko. Die Familie Katz kam vorerst in den USA unter, wo sie jedoch nicht bleiben konnte. Sie nahm den Landweg mittels Zug nach Mexiko. Loewe und Deutsch kamen über Holland mit dem Schiff in den USA an und reisten von dort nach wenigen Tagen des Aufenthaltes mittels Zug nach Mexiko. Die anderen Personen reisten per Schiff über mehrere Zwischenstationen nach Mexiko. Sie alle mit Ausnahme von Lisa Freistadt reisten gemeinsam mit ihrer Familie nach Mexiko. In den Erinnerungen von Bruno Frei ist zu lesen, dass er sich vor der Flucht von seiner Familie getrennt hatte. So musste seine Tochter Lisa gemeinsam mit ihrem Bruder und ihrer Mutter fliehen. Die Mutter starb jedoch durch eine Bombe in Paris, was zur Folge hatte, dass die beiden Kinder alleine auf dem Schiff nach Übersee unterwegs waren. Am Beispiel der Familien Loewe und Deutsch kann man sehen, dass nicht nur die engere Familie in ein gemeinsames Exil flüchtete, sondern dass es auch weitläufigere Familienkonstellationen gab. Bei Bruno Schwebel verlief die Flucht aus Wien ohne seinen Vater und seinen Bruder. Er floh

86 alleine mit seiner Mutter, Tante und Cousine. Erst in Paris wurde die Familie Schwebel wieder vereint.

Mexiko wird in der Literatur in erster Linie als antifaschistisches und nicht als judenfreundliches Exilland bezeichnet, obwohl viele ankommende Flüchtlinge jüdischer Herkunft waren, wie auch die untersuchten Familien zeigen. Die jüdische Religion und Kultur spielte in diesen Familien jedoch nur eine untergeordnete Rolle wie im Folgenden erkennbar ist. Die Ankunft in Mexiko verlief bei den sieben Familien unterschiedlich. Über die Familie Römer erfährt man zum Beispiel, dass sie auf Wunsch des Präsidenten Càrdenas nach Mexiko kam. Sie wurden von Beginn an im neuen Land unterstützt. Diese Unterstützung ist darauf zurückzuführen, dass Ernst Römer ein bekannter Dirigent war. Aus den Erinnerungen der andern sechs Exilierten geht diese direkte Unterstützung offizieller mexikanischer Regierungsstellen nicht so deutlich hervor. Riccardo Loewe konnte aufgrund der Ausbildung der Eltern, beide Ärzte, auch im Exil ein Leben ohne finanzielle Sorgen genießen. Wie im Kapitel „Das Leben im mexikanischen Exil“ beschrieben, ordnete er seine Familie selbst der gehobeneren Mittelschicht Mexikos zu. Einen Gegenpol dazu stellt die Familie Schwebel dar. Sie kamen in einer kleinen Wohnung in schlechter Lage in Mexico-City unter. Die Eltern nahmen diverse Jobs an, um sich über Wasser halten zu können. Die Anfangsphase war aus finanzieller Sicht betrachtet somit sehr schwer für die Familie, Nach einigen Anlaufschwierigkeiten besserte sich die soziale Lage der Familie und sie konnten in ein besseres Stadtviertel ziehen und eröffneten dort einen neuen Laden mit jüdischen Spezialitäten. Sie erhielten finanzielle Hilfe von Brunos in den USA lebenden Tante Dora und israelitischen Organisationen. Das Alltagsleben der Exilierten gestaltete sich in ihrer neuen Umgebung ebenfalls unterschiedlich. Integration in der neuen Gesellschaft stand wohl bei allen ganz oben. Der erste wichtige Integrationsschritt für die jungen Exilierten war der Besuch einer Schule. Friedrich Katz etwa wurde auf eine französische Schule geschickt. Dort kam er vermutlich deutlich weniger in Kontakt mit der in Mexiko ansässigen Bevölkerung. Das Gefühl der „Ausgrenzung“ wird von Friedrich Katz ja selbst mehrfach thematisiert. Bruno und Helmut Schwebel gingen in eine staatliche mexikanische Schule. Die Kriterien bei der Schulwahl der Schwebelbrüder waren die Nähe zum Wohnort und, dass es keine „Deutsche Schule“ sein durfte. Auch die anderen ausgewählten Personen wurden weder in deutschen Schulen noch in jüdischen Schulen untergebracht. Ricardo Loewe etwa wurde in eine Privatschule für republikanische Spanier

87 geschickt, obwohl als seine Schulzeit 1947 begann und der Zweite Weltkrieg und die Bedrohung durch die Nationalsozialisten bereits vorbei waren. Interessant ist die Erkenntnis, dass Bruno Schwebel im Vergleich mit Ricardo Loewe trotz schlechterer Startbedingungen eher weniger über Anpassungs- oder Integrationsprobleme bei seinem Schulstart zu berichten wusste, während Loewe in der teuren spanischen Privatschule, selbst als Mexikaner umgeben von spanischen ExilantInnen, sehr über seine Probleme mit den MitschülerInnen klagte. Beide, Loewe und Schwebel hatten ähnliche Erlebnisse hinsichtlich ihrer „Fremdartigkeit“ was Größe, Kleidung und Haarfarbe betraf. Ganz anders gestaltete sich die Integrationssituation für Ruth Deutsch de Lechuga, die, angekommen im Exil, gleich mit ihrem Studium begann und über eine völlig barrierefreie Integration berichtete. Sie kam sofort in Kontakt mit andern mexikanischen StudentInnen. Bruno Schwebel, der ja eine mexikanische Schule besuchte, übernahm scheinbar mühelos gewisse mexikanische Grundeinstellungen. Friedrich Katz hingegen klagte darüber, dass es ihm in Mexiko besonders schwer gefallen war, sich zu integrieren. Auffallend ist, dass jene Person mit dem größten Abstand zum Exilland auch die größten gefühlten Integrationsprobleme verspürte. Friedrich Katz besuchte keine mexikanische Schule, lebte in einem Getto und engagierte sich in Gruppen mit anderen Flüchtlingen. Ganz anders hingegen erlebte Ruth Deutsch de Lechuga ihre Integration, obwohl sie schon älter war und bereits mit einer abgeschlossenen Schulausbildung nach Mexiko kam. Gruppierungen im Exil waren sehr wichtig für die Vertriebenen. Hier konnten sie sich mit Gleichgesinnten über ihre Erfahrungen austauschen. Dieser Austausch war vor allem für die Erwachsenen wichtig. Neben Gruppierungen für Erwachsene, wie der „ARAM“ oder dem „Heinrich-Heine-Klub“ in Mexiko, gab es auch eine Gruppe für exilierte Kinder oder Jugendliche. Mitglieder dieser Gruppe „Freie Jugend Mexico“ waren Friedrich Katz und auch Bruno Schwebel. Diese Gruppe hatte das erklärte Vereinsziel, ein Stück Kultur aus der Heimat zu bewahren oder zu vermitteln. Aus den Unterlagen des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes ist herauszulesen, dass Lisa Freistadt eingeladen wurde, an den Treffen dieser Gruppe teilzunehmen, ob sie diese Einladung angenommen hat, bleibt in den Quellen offen. Bruno Schwebel besuhte neben dieser Gruppe auch noch an den Aktivitäten einer mexikanischen teil, ein weiterer Unterschied zu Friedrich Katz, welcher seine „Gettosituation“ in Mexiko später öfters beklagte. Für Ricardo Loewe scheinen solche Gruppierungen nicht wichtig gewesen zu sein, er sagt klar, dass er sich nur einer solchen anschloss, weil sein Vater das so wollte. Sein Vater engagierte sich in einer mexikanischen Pfadfindergruppe.

88 Auch Politik und Religion spielten im Exilland eine Rolle. Der „Heinrich-Heine-Klub“ gegründet um der Deutschen Kultur Raum im Exil zu geben, erlebte eine starke Wendung hin zum Politclub. Entsprechende Aussagen dazu sind in dieser Arbeit von Bruno und von Oskar Römer, dessen Mutter in ihrem kleinen Hotel die Räumlichkeiten dafür geschaffen hatte, zu finden. Ricardo Loewe etwa wusste bis zu seinem 16ten Lebensjahr nicht, dass seine Eltern Juden waren. Somit wurde er auch nicht nach jüdischer Tradition erzogen. Bei Friedrich Katz scheint die Religion auch nicht so wichtig gewesen zu sein. Sein Vater Leo Katz engagierte sich bereits vor dem Exil im kommunistischen Lager und führte dieses Engagement im Exil weiter fort. Sein Sohn übernahm die politische Einstellung, wie man am weiteren Lebenslauf von Friedrich Katz erkennen kann. Auch Ernst Römer, der Vater von Oscar Römer und Bruno Frei, der Vater von Lisa Freistadt, waren im kommunistischen Lager tätig und jüdischer Herkunft. Bei Bruno Schwebel war die Situation ähnlich. In seinem Werk „Das andere Glück“ erfährt man, dass sein Vater ein aktiver Sozialist und ebenfalls jüdischer Herkunft war. Im mexikanischen Exil hingegen hält sich der Vater von politischen Organisationen eher fern. Bei Familie Deutsch oder Familie Zohn erfährt man nichts über deren politische Zugehörigkeit. Zur Frage der Rückkehr ist zu sagen, dass diese in den meisten Familien von den Eltern bestimmt wurde. Die ausgewählten Personen waren teilweise zu jung, um selbständig über den Verbleib in Mexiko oder eine Rückkehr in das Heimatland entscheiden zu können. So kam es, dass sich die Familie Katz entschieden hatte, nach Israel zu gehen, wobei Sohn Friedrich sich anschloss. In Israel konnten sie jedoch nicht Fuß fassen, was dazu führte, dass sie nach Österreich zurückkehrten. Auch Lisa Freistadt schloss sich ihrem Vater an, der von offiziellen Stellen in Österreich gebeten worden war, zurückzukehren. Er sah seine Chance, beim Wiederaufbau mitzuhelfen. Bei Ricardo Loewe war eine Rückkehr nach Österreich von Seiten der Mutter völlig ausgeschlossen Sie als Jüdin konnte die dramatischen Ereignisse, welche der Zweite Weltkrieg mit sich gebracht hatte, nicht vergessen und wollte auf keinen Fall zurück. Ruth Deutsch de Lechuga war im Vergleich zu allen ausgewählten Personen alt genug, um selbst entscheiden zu können. Aufgrund ihrer guten Integration, ihrem abgesicherten Leben als Ärztin und ihrem Forschungsinteresse an mexikanischer Volkskunst entschied sie sich gegen eine Rückkehr. Eine solche kam für sie nie in Frage, wie sie im Interview mit dem Lateinamerika-Magazin berichtet. Befragt nach den Auswirkungen des Exils auf das Zugehörigkeitsgefühl der untersuchten Personengruppe wiesen die Äußerungen von Schwebel, Römer, Loewe und Katz einige Gemeinsamkeiten auf. Alle fühlten sich „insgeheim“, „irgendwo“ als Österreicher, wobei

89 Schwebel, Römer, und Loewe eine „Zerrissenheit“ oder auch „Halbheit“ für sich selbst konstatierten. Vollkommen anders empfand dagegen Ruth Deutsch de Lechuga ihre Zugehörigkeit immer zweifelsfrei zu Mexiko. Gemeinsam mit Schwebel war auch sie sehr positiv eingestellt zu der Ehrenkreuzverleihung im Jahre 2004 in Mexiko durch den österreichischen Botschafter. Die Heimat Österreich geriet jedoch bei allen in Mexiko verbliebenen Personen nie ganz in Vergessenheit. Wenn sie nach Beendigung des Krieges nicht zurückgekehrt waren, so kamen sie doch im Laufe ihres Lebens für diverse Besuche nach Österreich. Bruno Schwebel kam einmal für die Hochzeitsreise mit seiner ersten Frau nach Österreich und ein zweites Mal, um seiner zweiten Frau Joan die Orte seiner frühesten Kindheit in Österreich zu zeigen. Selbst Alejandro Zohn, der sich scheinbar sehr gut in Mexiko eingelebt hatte, da sein Leben nicht wie das von Friedrich Katz durch viele Wohnortwechsel gezeichnet war, kam für zwei Besuche nach Österreich. Oscar Römer zum Beispiel verblieb in Mexiko und arbeitet dort als Architekt. Im Film „In der Fremde zu Haus“ erzählt er, dass er (2004) überlegt, seinen Wohnsitz nach Österreich zu verlegen. Als Grund dafür führt er eine persönliche romantische Vorstellung vom „Sterben in Wien“ an. Ähnliche Gedanken äußerte auch Ricardo Loewe im Interview zu seiner aktuellen Lebenssituation im Jahre 2016 in Wien, wenn er zu Protokoll gibt, dass er seinen Lebensabend „hier“ verbringen möchte. Friedrich Katz unterscheidet sich auch in der Frage der Rückkehr von den anderen betrachteten Persönlichkeiten. In Mexiko hatte er das Gefühl, sich nicht integrieren zu können und sein Ziel war es nach Österreich zurückzukehren, wie er auch im Interview mit Konstantin Kaiser berichtet. In Österreich angekommen musste er enttäuscht feststellen, dass ein junger engagierter Marxist hier keine politische Zukunft haben würde. So zog er in die damals noch junge DDR – das Paradies für glühende Marxisten zu jener Zeit. Mit dem Fortgang der politischen Entwicklung in der DDR ging zu Anfang der 1970er sein Aufenthalt in diesem Land ebenfalls zu Ende. Er geht im Zuge einer Gastprofessur nach Amerika, blieb schließlich in Chicago und forschte weiter zu mexikanischer Geschichte.

90 7 RESÜMEE Im Rahmen der Diplomarbeit wurde die Erlebnisse und Erinnerungen aus der Kindheit und Jugend im Exil in Mexiko untersucht. Exilforschung zum Zwecke des Erkenntnisgewinns aus historischen Quellen, Erinnerungen von Beteiligten, diversen Sekundarquellen ist ein allgemeines Ziel von Arbeiten dieser Art. In der vorliegenden Forschungsarbeit wird der Fokus auf eine wie in dem Kapitel 2 vorgestellte, sehr kleine und noch kaum beschriebene Gruppe von Individuen gelegt. Es geht um Menschen, die in sehr jungen Lebensjahren das Schicksal von Heimatvertriebenen erleben mussten. Ihre Familien und Angehörigen hatten Probleme mit den faschistischen und nationalistischen Veränderungen in Österreich und Deutschland, welche sich auch in Europa immer weiter ausbreiteten. Jüdisch geprägte Familienverhältnisse in allen beschriebenen Fällen verstärkten die Probleme, besonders mit der rasch zunehmenden Machtausweitung der NSDAP ab den 1938er-Jahren. Persönliche Erinnerungen in unterschiedlicher Form, seien es Interviews, Tonaufnahmen oder Filmquellen wurden für die Analyse des mexikanischen Exils anhand von ausgewählten Personen herangezogen. Diese Erinnerungen können jedoch durch die zeitliche Distanz der Befragung zum Untersuchungsgegenstand verfälscht sein. Die untersuchte Gruppe von Kindern und Jugendlichen hat das mexikanische Exil unterschiedlich erlebt, wie den Erinnerungen zu entnehmen ist. Eine Gemeinsamkeit bei den untersuchten Personen ist die rassistische Verfolgung im Heimatland, weswegen sie sich gezwungen sahen gemeinsam mit der Familie zu fliehen. Bei vier der sieben beschriebenen Personen bildet neben der rassistischen Verfolgung auch die politische Verfolgung einen zusätzlichen Grund zur Flucht. Ein gemeinsames Charakteristikum war auch, dass die untersuchten Personen meist einen großen Teil der Flucht gemeinsam mit zumindest einem Elternteil unternahmen. Fünf von Sieben unternahmen den gesamten Weg nach Mexiko mit der ganzen Familie. Die Fluchtrouten verliefen ähnlich. Vier der sieben Personen flohen auf direktem Weg nach Mexiko, aufgrund bereits dort lebender Verwandter war ihr Ziel von Anfang an Mexiko. Wichtige Zwischenstationen auf ihrem Weg nach Mexiko waren jedenfalls, europäische Hafenstädte mit Verbindung nach Übersee. Frankreich spielte als Erstmigrationsland bei den drei anderen Personen eine wichtige Rolle. Die Ankunft in Mexiko verlief unterschiedlich, Antifaschisten waren durchaus willkommen während jüdische Personen eher Schwierigkeiten hatten. Familie Loewe versuchten ihre jüdische Herkunft zu verheimlichen, so erfuhr Ricardo Loewe erst mit 16 Jahren, dass seine Eltern Juden waren. Oscar Römer, sowohl Jude als auch politisch verfolgter Flüchtling bekam von Seiten des Präsidenten Cárdenas individuelle Unterstützung. Die restlichen untersuchten Personen hatten

91 im mexikanischen Alltag mit ähnlichen Problemen zu kämpfen, wie dem Überwinden der sprachlichen Barriere oder der Integration in die Gesellschaft (Schule, Studium). Bei den meisten gibt es in den Quellen Belege für eine schwierige Anfangsphase in der Schule. Durch ihr anderes Aussehen und Kleidung fielen sie auf. Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges waren die untersuchten Personen zu jung, mit Ausnahme von Ruth Deutsch, um selbst entscheiden zu können, ob sie in Mexiko bleiben oder in ihre Heimat zurückkehren wollten. Diese Entscheidung wurde ihnen von den Eltern abgenommen. Die ersten Rückkehrer verließen Mexiko im Jahr 1947, unter ihnen waren auch Friedrich Katz und Lisa Freistadt. Familie Katz entschied sich für eine Auswanderung nach Israel und kehrten erst zwei Jahre später von dort nach Österreich zurück. Bruno Frei, Vater von Lisa Freistadt, wurde 1946 vom österreichischen Bundespräsidenten per Schreiben eingeladen nach Österreich zurückzukehren um beim Wideraufbau der österreichischen Presse mitzuarbeiten. Frei nahm dieses Angebot an und kehrte gemeinsam mit seiner Familie nach Wien zurück. Auch Ernst Römer wurde eingeladen nach Österreich als Direktor der Wiener Philharmoniker, zurückzukehren. Allerdings lehnte er dieses Angebot ab, da er nicht noch einmal emigrieren wollte. Die anderen vier Familien entscheiden sich gegen eine Rückkehr nach Österreich und blieben in Mexiko.

92 8 VERZEICHNISSE

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Interview mit Joan Brodovsky, geführt am 07.02.17 Aufnahmen und Transkription beim Autor.

Interview mit Friedrich Katz und Konstantin Kaiser, geführt am 22.12.1984, Transkription im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes.

Interview mit Ricardo Loewe, geführt am 15.12.2016, Aufzeichnungen und Transkription bei Autorin.

Audioquellen und Filmquellen

Hubert Canaval, In der Fremde zu Haus, 96min, Mexiko 2004.

Freies Radio Salzkammergut, Sendereihe: Fluchtpunkte – Literarische Miniaturen aus dem Exil, Freies Radio Salzkammergut, URL: http://freiesradio.at/fluchtpunkte-literarische- miniaturen-aus-dem-exil/ (abgerufen am 12.02.2017).

Wolfgang Kos, Geschichten und Geschichte – Autobiographische Aussagen von Bruno Frei, Österreichische Mediathek, http://www.mediathek.at/atom/04A52088-2C6-00007-00000548- 04A49C64/ (abgerufen am 10.02.2017).

Archivquellen

Literaturhaus Wien, Nachlass Bruno Schwebel 95 Literaturhaus Wien, Informationen Veronika Zwerger, Alejandro Zohn

Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Nachlass Bruno Frei

Internetquellen

Theodor Adorno / Max Horkheimer, Dialektik der Aufklärung, URL: http://ps.vetomat.net/wp-uploads/2012/09/dialektik_aufklaerung.pdf (abgerufen am 12.02.2017).

Siglinde Bolbecher, Das österreichische Exil, URL: http://www.literaturepochen.at/exil/multimedia/pdf/BolbecherExilUeberblick.pdf (abgerufen am 12.02.2017).

Sieglinde Bolbecher/Konstantin Kaiser, Editorial, in: Zwischenwelt: Literatur, Widerstand, Exil Nr. 2, Oktober 2002.

Central de Noticias Diario Judio, Alejandro Zohn Z´L, diariojudio.com, URL: http://diariojudio.com/comunidad-judia-mexico/alejandro-zohn-zl-arquitecto-sobreviviente- del-holocausto/7466/ (abgerufen am 09.02.2017).

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Ulrike Schätte, Hinter jeder Maske steht eine Geschichte, ILA, URL: https://www.ila- web.de/ausgaben/207/hinter-jeder-maske-steht-eine-geschichte (abgerufen am 12.02.2017).

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98 Schinnerl, Katz, Friedrich und Barbara Wallner, Verehrt in Mexiko, vergessen in Österreich, der Standard, URL: http://derstandard.at/1342139356575/Verehrt-in-Mexiko-vergessen-in- Oesterreich (abgerufen am 13.02.2017); Universität Salzburg, Österreichische Literatur im Exil.

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Unbekannt, Bruno Schwebel Nachlass in der Exilbibliothek zugänglich, Literaturhaus Wien, URL: http://www.literaturhaus.at/index.php?id=244&tx_ttnews%5Btt_news%5D=2378&cHash=48 3b2b33a3cb45ca79c7b9b65b819399 (abgerufen am 13.02.2017)

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99 Unbekannt, Professor Friedrich Katz, The University of Chicago, URL: http://mexicanstudies.uchicago.edu/page/friedrichkatz (abgerufen am 13.02.2017).

100 9 ANHANG

Hier sind die Transkripte der Interviews zur Verfügung gestellt.

101 Interview Interviewerin: Nina Drekonja Interviewter: Dr. Ricardo Loewe Wien, 15.12.2016

102 1 D: Wie hat Ihre Familie in Österreich gelebt? 2 L: Meine Mutter war eine, eine Wiener Jüdin mit der ganzen Familie und die haben hier in 3 Wien gelebt. Und [Pause] äh ja, also die ganze Familienkonstellation ist dann, äh, gleich nachm 4 Anschluss 1938 geflohen. Sonst wär ich goar nit zur Welt gekommen. 5 D: und welcher politischen Richtung haben Sie angehört? 6 L: Nix [Pause] das warn [Pause] mein, mein Großvater, der war Händler, mein allerdings, ja, 7 der Patriarch der Familie, das war ein HNO-Arzt, der Leo Deutsch, und sozusagen der 8 Schwager meines Großvaters, also mein Großonkel und der hat hier eine ziemlich gute Praxis 9 gehabt in Wien, die war am Ring irgendwo und äh, der war schon damals Zionist [Pause] also 10 das war so die eine Sache und dann äh, war sein Bruder, Arnold, der war um 1910 [Pause] äh 11 und ein bissl später war er bei der [Pause] äh [Pause] äh, bei den Sozialisten SPÖ, damals mit 12 dem Kautsky, aber das war so die [Pause] aber der Rest der Familie, also meine Mutter und 13 Tanten, die war nicht politisch, waren Freidenker, haben sich gar nicht so jüdisch gefühlt, das 14 jüdische Gefühl kam eben nach der Verfolgung. 15 D: Ok. 16 Und können Sie etwas über die Flucht Ihrer Eltern nach Mexiko erzählen? 17 L: Ja. [Pause]. also meine [Pause]. Hier war es ein bissl anders als in Deutschland, dort war es 18 ein Prozess, der so 1932 begonnen hat, und da haben sich die Nazis breit gemacht, im Laufe 19 der Jahre, da in Deutschland [Pause] also zum Schluss [Pause]. mein Großvater, der war, 20 [Pause] äh..äh, die Nazis haben gesagt, „christlicher Jude“ und, und der wollte aber nicht weg 21 aus Deutschland, dafür hat er seinen ältesten Sohn nach Mexiko geschickt, das ist mein Vater, 22 das gehört nicht zur Frage aber [Pause] 23 D: Ja, ja. 24 L: So um das ein bissl zusammen zu basteln, das ging so weiter, [Pause] wurden die die, also 25 mein Großvater, der war Chefarzt äh, äh [Pause] eines großen Krankenhauses in Frankfurt und 26 da wurde das Krankenhaus ariisiert, und da haben sie eben meinen Großvater rausgschmissen, 27 daraufhin hat er den [Pause] seinen ältesten Sohn, nach Mexiko geschickt und mein Großvater 28 der wurde ermordet in dem Judenpogrom November 1938, der sogannten Kristallnacht. So 29 [Pause] auf der anderen Seite meine [Pause] die, die Familie meiner Mutter, ja, die haben 30 gesucht wohin, und da war einer der Geschwister Reis, also ein Bruder von meinem Großvater, 31 der war schon in Mexiko, schon vorher, die waren Lederhändler und [Pause] äh, haben mein 32 Großvater, der hat [Pause] äh in den Vereinigten Staaten und in Polen.. äh, also gehandelt, 33 [Pause] äh äh [Pause] der Name Reis kommt irgendwie aus Polen und [Pause] tja also da kam 34 plötzlich – nicht wie in Deutschland – sondern da kam plötzlich äh [Pause] der Anschluss und 35 da kam plötzlich das ganze Gewicht vom Rassismus der Nazis, von einem Tag auf`n andern 36 [Pause] und da hat mein Großvater sein ganzes Vermögen ausgegeben, um Behörden zu 37 bestechen und äh [Pause], da hat sich die Familie zusammengetan und sind dann über Prag, 38 [Pause] in Prag hat eine Tante, eine, eine, eine Schwester meiner Mutter hat damals dort 39 gewohnt [Pause] in Prag und äh, und also das is wieder so eine Parallelgeschichte, aber die, die 40 sind die Leute sind einfach verschwunden, wo sie konnten – wenn sie konnten also wenn sie a 41 bissl a Geld g‘habt haben und von Prag haben sie dann letzten Flieger genommen nach 42 Amsterdam. 38 sind dann mit‘m Schiff nach Mexico gekommen, meine Eltern haben sich in 43 Mexiko kennen gelernt. [Pause]. Ja, so, so war die so eine richtige Flucht war das, die haben 44 sich noch, meine Mutter und die Familie die haben sich irgendwie als Amulett, weil das eh nix 45 gedient hat, die haben sich taufen lassen [Pause] und äh, also das war die Panik damals – die 46 waren auch nie in der Synagoge..die einzige, die, die [Pause] ahh da noch mit war, also es waren 47 Großtanten und Tanten und meine Urgroßmutter, die war auch mit und die war die einzige weit 48 und breit von der ganzen Familie, die in die Synagoge is, also eine sie war äh aus Böhmen 49 [Pause] eine böhmische Jüdin [Pause] die is noch über die Grenze gekommen von Böhmen 50 eben nach Österreich, um zur Familie zu kommen, hat sich verkleidet, das war so eine Sache 51 als Besenbinderin und is dann über die Grenze – und von hier dann eben nach [Pause] nach

103 52 Prag und von dort dann weiter nach Amerika. Also das war so die Flucht – sind dort in Mexiko 53 angekommen – weil des da – vielleicht haben sie Familie, die [Pause] die Geschichte schon 54 vom Kloyber schon gehört –die Grenze von Mexiko war für die ganzen AsylantInnen offen – 55 da gab`s einen Präsidenten, der Cardenas und der hat die [Pause] äh [Pause] der Anschluss nicht 56 anerkannt und so weiter, deshalb gibt`s hier an Mexikoplatz, ja, das is ja alles so eine Sache 57 und in dieser Welle eben der Asylantinnen, die hauptsächlich aus Spanien, Deutschland, 58 Österreich kamen, die haben dann dort leicht ein Asyl bekommen. Das war so die, kurz die 59 Geschichte. 60 D: Ok. 61 D: Sind Sie direkt von Amsterdam nach Mexiko? 62 L: Ja, ja, über Kuba natürlich war die Sache so. [Pause]. Also mein Großonkel [Pause] der is 63 früher dort in Mexiko – das sind alles so Zufälle, mein Vater hätte eigentlich nach Südafrika 64 gehen sollen, aber damals sind [Pause] ist irgendeine plötzlich eine Freundin [Pause] meiner 65 Großmutter in Mexiko erschienen, Tante Julchen, und dann gemma zur Julchen, und das war 66 so aber und das warn so Zufälle, vielleicht wäre das für meinen Großonkel, also für diesen Guru 67 der Familie, den Patriarchen, günstiger gewesen, gleich in die Vereinigten Staaten zu kommen. 68 Aber er is in Mexiko geblieben. 69 D: Und wann haben sich Ihre Eltern dann in Mexiko kennen gelernt? 70 L: Ja meine Eltern haben sich 1940 kennen gelernt, da war meine Mutter, hat hier angefangen, 71 Medizin zu studieren, sie war eingeschrieben im 4. Semester, und konnte dann nicht 72 weitermachen, weil sie Jüdin war, also nicht, 3 Semester hat sie an der Uni gemacht und dann 73 ging`s nicht mehr weiter, und mein Vater, der hat schon in Deutschland angefangen gehabt 74 Medizin zu studieren, aber da er nach Mexiko is, hat er dann noch das Gymnasium [Pause] also 75 das mexikanische, fertigmachen müssen und hat dort Medizin studiert. Er hat angefangen, 1934 76 und 1940 war er fertig mit dem Studium, und als diese ganze Asylantenwelle kam, da hat mein 77 Vater, der hat noch von meinem Großvater einen Röntgenapparat bekommen – so is er 78 Röntgenologe geworden. Und meine Mutter mit der Bekanntschaft vom Vater und mit dem 79 Onkel der HNO-Arzt, Professor an der Wiener Universität war, is Röntgentechnikerin 80 geworden. So [Pause] und äh [Pause] ja, das war dann sehr günstig, nicht [Pause] mein Vater, 81 der Röntgenologe und der hat eine Menge [Pause] die haben keine direkten Patienten, sondern 82 die kriegen Patienten geschickt von verschiedenen Ärzten – nun also der Herr Professor 83 Deutsch, der Leo Deutsch, der hatte eben meinem Vater die Fälle geschickt, für die 84 Innenohrröntgenaufnahmen, die wurde meine Mutter geschult vom Onkel – nicht und so 85 [Pause] also, so haben sich beruflich kennengelernt. 86 D: Und hat es Organisationen gegeben in Mexiko, denen sich die Eltern angeschlossen 87 haben? 88 L: Ja [Pause] also mein Vater, der is aufgewachsen als Lutheraner, is auch in die Kirche 89 gegangen, ich war dann nach‘m Krieg 1958 bei der Oma, und die Oma hat mich in die Kirche 90 mitgenommen, also in die Lutheranische Kirche und [Pause] äh, aber in Mexiko da waren zwei 91 Organisationen, da gab‘s eine Organisation für arme Juden, die OSE, die noch existiert, und 92 eine wissenschaftliche ärztliche Organisation, die ARS Medici, und mein Vater war in beiden 93 – in der ARS Medici und in der OSE. Das waren die einen und die anderen Organisationen, ja, 94 da gab`s einen Heinrich Heine-Club und da waren die Antifaschisten, das war eigentlich eine 95 antifaschistische Front mit einem eigenen Verlag und da war die Anna Segers, das is eine 96 bekannte Schriftstellerin hier gewesen, [Pause] war die Präsidentin und äh mein Großonkel der 97 Leo Deutsch war der Vizepräsident von diesem Heine-Club, und [Pause] ja, der [Pause] der 98 wurde dann von meinen Eltern besucht, und das sind so meine Kindheitserinnerungen an diese 99 ganzen Leute, ich bin ja 1941 geboren, also 44, 45 sind so meine ersten Erinnerungen, nicht 100 also das war so, die das Metier meiner, meiner Eltern, obwohl dann muss ich noch wirklich 101 ganz klar und deutlich sagen, meine Eltern haben mir verschwiegen, dass ich jüdischer

104 102 Abstammung bin. Das habe ich erst erfahren mit 16 Jahren. Ja. aber [Pause], naja, aber das is 103 auch ein Teil der Geschichte [Pause] soweit die Organisationen. 104 D: Und können Sie kurz ihre biographischen Daten vielleicht benennen? 105 L: Ja, also wie gesagt, bin 1941 in Mexiko, bin deswegen auch mexikanischer Staatsbürger, als 106 ich geboren wurde, waren meine Eltern schon Mexikaner. Sie wurden dann naturalisiert als 107 Mexikaner beide, die einzigen an und für sich der Familie, die nicht mexikanisch geworden 108 sind, waren dieser HNO-Arzt und seine Familie, die sind österreichische geblieben. Aber ich 109 bin halt eben mexikanischer Staatsbürger immer noch und – aber im Jahr 2000 da is ein Gesetz 110 herausgekommen in Mexiko – verabschiedet worden – wo man eigentlich die mexikanische 111 Staatsbürgerschaft nicht kündigen kann, also ich bin Mexikaner, also ich [Pause] das kann man 112 nehmen wie man will, ein Privileg oder als ein Fluch, aber ich hab‘ jetzt eine doppelte 113 Staatsbürgerschaft. [Pause] Also im Jahr 2000, da bin ich Österreichischer geworden, und das 114 is auch eine Geschichte für sich[Pause] Später dran also [Pause] äh wie gesagt [Pause] äh in 115 Mexiko bin ich nicht in eine jüdische Schule gegangen, die war uns fremd, der Familie also 116 [Pause] das [Pause] isse [Pause] wir waren für die Juden waren wir wie Jekkes [Pause] also 117 Jekke benutzt man noch das Wort im Karneval in Köln, das sind, die anders sind, das sind die 118 Verrückten, und die, die deutschen Juden oder die assimilierten Juden, die deutschsprachigen 119 Juden, das waren die Jekkes in Mexico für die jüdischen Gemeinden, da gab’s nämlich sehr 120 wohl differenzierte, das waren die Aschgenersiten und die Seferditen, wir würden, also wir 121 hätten zu den deutschsprachigen, also Aschgenersiten gehört, wir haben nie [Pause] also mein.. 122 schon mein, mein, die, die Generation meiner Großeltern die haben kein Jiddisch g’sprochen, 123 das war ja hier in Österreich, is ja immer noch so die ursprüngliche jiddische Gemeinde, die 124 spricht – des sind Wiener, äh Österreicher [Pause] und äh.. ja, die Jekkes ..äh, äh.. deswegen 125 nicht in die, in die jüdischen, damals gab’s zwei oder drei jüdische Schulen, in der Stadt 126 Mexiko, da wo ich geboren bin, und die deutsche Schule, die war voll mit Nazis. Da konnte ich 127 a net hin[Pause] hingeschickt werden. Und da bin ich in Schule gegangen von [Pause] äh von 128 den republikanischen Spaniern. Das war so zirka das Nächste, nur die mexikanische Kultur, die 129 war meinen Eltern noch fremd damals und mich in eine staatliche Schule zu schicken, das war 130 undenkbar. Die haben ja das Ganze net verstanden und [Pause] äh, so bin ich also eine, in diese 131 republikanische geschickt – wo ich dann bis zur Universität da war. Also zwischen 1947 und 132 1957 inklusive [Pause] ähm, und dann wollt ich Philosophie studieren. Und meine Eltern haben 133 sich gedacht, na des wird nix, also der wird damit nix fix verdienen – und mein Vater wollte, 134 dass ich Physik studiere [Pause] total unbegabt für Physik, Mathematik, Chemie [Pause] also, 135 das nix, äh, und, aber ich bin jetzt die fünfte Generation von Ärzten. Also das war wirklich der 136 Fluch, da habe ich Medizin studiert. Mein Vater.. äh, da hab ich dann bei meinem Vater 137 gearbeitet, jahrelang [Pause] äh und äh, aber ich hab‘ mich dann ziemlich früh als Student 138 politisiert, da gab`s eine, 1964/65 eine große Ärztebewegung in Mexico – in der ganzen 139 Republik – und da hab ich mitgemacht. Zum Entsetzen meiner Eltern. Und ja, dann bin ich 140 [Pause] äh, äh Sozialmediziner geworden. Das war dann so das Nächste und das hab ich 141 jahrelang gemacht. Sozialmedizin, das hat hier so gar keine – nein, das heißt Public Health, 142 heisst das, ja und die letzten professionellen Jahre – das war 15 Jahre lang zirka – hab ich dann, 143 gegen Folter, also mit Folteropfern gearbeitet, in Mexiko. Das ist ein riesengroßes Problem und 144 dahin und da mach ich so ein bisserl was, aber das is so ungefähr mein Lebenslauf. 145 D: Also 41 geboren – also das genaue Geburtsdatum – 146 L: Ja, am 7. Mai. 147 D: Und welche Sprache haben Sie zuhause gesprochen dann? 148 L: Zuhause haben wir Deutsch gesprochen – wie man hört – also das war meine Muttersprache. 149 D: Und in der Schule aber? 150 L: In der Schule Spanisch. Ich kann noch Spanisch sprechen wie die Spanier, aber in Mexiko, 151 nicht, spricht man ja ein bissl anders. Ja, und dann kommt noch manchmal die Frage unter, 152 welcher Sprache – oder in welcher Sprache träumst du – Spanisch – also meine Sprache ist, wo

105 153 ich mich frei fühle, gut ausdrück und schreiben kann und so – ich hab nämlich auch ein bissl 154 Journalismus gemacht und so, so – ich mach das auf Spanisch. 155 Jetzt schreib ich, ich tus mir immer noch ein bissl schwer mit‘m Deutschen, aber ich schreib‘ 156 auch Deutsch. 157 D: Und die Eltern haben aber nur Deutsch gesprochen? 158 L: Die Eltern haben Deutsch gesprochen – und in meiner ersten Ehe haben wir Spanisch 159 gesprochen und mein Sohn, der spricht kein Deutsch. Aber in der zweiten Ehe hab ich eine 160 Wienerin geheiratet, deshalb sin ma auch hier. Das Haus, das hat, das is ja so meine zweite 161 Heimat, und die Sprache, in der wir schon von Anfang an unser Verhältnis aufgebaut haben, is 162 Deutsch. Daheim, hier sprech ich Deutsch. Aber mit den Kindern, also die, die Kinder meiner 163 Frau, die sprechen fließend Deutsch und mit denen sprech‘ ich auch Spanisch. Auch hier die, 164 die Tochter, die hier wohnt in Wien, schon Jahre lang, mit der sprech ich Spanisch, das is 165 automatisch, das geht, ich würde sagen absolut zweisprachig. 166 D: Das is eh supa. 167 L: Ja. 168 D: Und was können Sie von ihrer Kindheit in Mexiko noch erzählen? 169 L: Ja, also [Pause] äh, ausschlaggebend war eben die Entwurzelung – nicht – so, ich war in der 170 Schule, da kann ich mich noch sehr gut erinnern, war ich ein Exot – mein Vater also der, nach 171 deutscher Tradition bin ich in die Schule in der kurzen Hose geschickt worden. Und das war 172 damals lächerlich in [Pause] in ich so, war groß, die meisten meiner Schulkollegen waren 173 kleiner, groß und mit Brille und mit kurzen Hosen, also das – da haben sich die lustig gemacht. 174 Die haben mich auch verprügelt sehr oft in der Schule, ich war eben der Ausländer. Auch.. 175 auch, wenn auch die meisten Mitschüler, die kamen ja aus Spanien. Einige, die sind schon in 176 Mexiko geboren, aber die Allermeisten waren auch Flüchtlingskinder. Also spanische – nicht 177 – aber [Pause] äh, es war sowieso, das war – ich war anders – und das hab ich auch nicht so gut 178 verstanden. Das war so eine Entwurzelung – ein kleiner Teil der Familie, is jüdisch geblieben, 179 [Pause] äh, ich bin katholisch getauft worden, nicht, und alles mitgemacht, also mit [Pause] äh 180 Kirchengehen am Sonntag und Kommunion, und alles und.. äh.. mein Vater war wie gesagt 181 Lutheraner, ich hab das net verstanden, so warum, des, de in diesen Zustand eine Wurzel zu 182 finden oder mich mit irgendwas zu identifizieren, das war schwierig. Das is so eine Kindheit, 183 bis ich da drauf gekommen bin, ja, aber da war ich über 40, dass es eine Bereicherung is, so 184 eine breite kulturelle Basis zu haben, hat aber was gekostet. Ja das, das is so, mein Vater.. was 185 kann ich noch erzählen – mein Vater war ein fundamentalistischer Pfadfinder – also da hab ich 186 auch dazugehören müssen – wenn ich meinen Vater sehen wollte, dann musste ich bei den 187 Pfadfindern sein. Der war in Mexiko eben der hohe Pfadfinderpriester, und äh, das war auch 188 ein Teil meiner Kindheit. Dann hat mein Vater – meine Eltern, die haben auch ein Landhaus 189 gebaut – so 90 Kilometer von der Hauptstadt entfernt, also ein Tal mit, mit Bergen rundherum 190 – wahnsinnig romantisch und da bin ich auch – also immer in den Ferien, Wochenenden dort 191 aufgewachsen, und das war da.. da war mein Vater sehr weise und hat uns, meinem Bruder und 192 mir, ein Stückl Land gekauft. Und wir durften [Pause] äh, Mais pflanzen und, und also wirklich 193 im eigenen Fleisch spüren, was die Bauern gearbeitet haben, das hat uns kaputt gemacht, 194 [Pause] wir waren so Großstädtler und aus einer Mittelklassefamilie – und [Pause] aber das wir 195 dann da Mais pflanzen und dann ernten mussten – und so, das hat mir viel gegeben. Ja, als Kind 196 und, und äh ja also und rundherum auf die Berge klettern, das war auch eine wichtige Sache, 197 dort habe ich eben meine Frau kennengelernt – die sind wegen ganz anderer Gründe nach 198 Mexiko – und mein [Pause] mein Schwager – also des hob i gornet gwusst – damals -- der war 199 mein bester Freund. Also der Bruder meiner jetzigen Frau. Waren also in meiner Jugend – da 200 war ich 13/14 Jahre alt - ja und eben seither [Pause] kennen wir uns - meine Frau und ich - wir 201 haben zuerst – wie mein Vater gesagt hat – wir haben zuerst fremd geheiratet und sind dann – 202 also – des hat sich das Leben dann gedreht. Allerdings is sie sehr katholisch – oder christlich – 203 sagt sie [Pause] äh, das mir das war auch eine gute schöne Sache in der Familie – da gab`s

106 204 keinen Rassismus – da gab`s also [Pause] ganz im Gegenteil so meine Eltern – beide – die 205 haben uns gezeigt, dass Menschen Menschen sind. Ja, also da haben wir kein Unterschied – wir 206 sind, das hab‘ ich dann eben ganz natürlich gefunden - in meinem Leben. So zirka [Pause] da 207 gibt’s noch mehr Sachen – aber das wird dann fad. 208 D: Also es gab definitiv einen Unterschied, den Sie gespürt haben als Kind von nicht 209 mexikanischen oder spanischen Eltern. 210 L: Ja, naja.. es war ein tatsächlicher Unterschied, also es war und des is geblieben – da hab ich 211 noch - schon als Arzt und so – da wurde ich immer als Ausländer empfunden, auch der Name 212 alleine – der Name, des is auch so eine komische Sache – hier können alle Löwe sagen, dort 213 bin ich Loewe - nicht, aber der Löwe den schreiben sie ja mit „ö“ und das war ein großer Kampf 214 meiner Großmutter, dass, dass „oe“ bei der Entnazifizierung nach`m Krieg – da hat eine Gasse 215 in Frankfurt den Namen „Otto Löwe“ bekommen und also mein Großvater warn immer noch 216 die Nazis in der Stadtverwaltung und die haben nur zum Sekieren, haben sie Löwe mit „ö“ 217 geschrieben. Das hat meiner Großmutter sechs Jahre ihres Lebens gekostet, das zu korrigieren 218 – und das is mir dann geblieben, das „ö“ da muss ich immer sagen – da bin ich hier dann auch 219 nicht so richtig daheim – weil, weil ich der Loewe bin – mit „oe“ bitte – ja – aber hier fühl ich 220 mich – ja, wenn ich auf der Straße bin – da würde niemand mein Fall – am Anfang hab ich 221 gsagt – vor vielen Jahren schon, als ich anfing, da hier also länger hier zu ziehen – zu kommen 222 – da hab ich immer erzählt, ja, ich bin Mexikaner – die haben mich so angschaut, was, des kann 223 doch net wohr sein.. nicht, und jetzt hab ich mich so ziemlich adaptiert – aber wie gesagt – mein 224 Herz liegt noch mindestens zur Hälfte in Mexiko. 225 D: Und haben Sie dort Personen kennengelernt oder mit denen in Kontakt gestanden, die 226 ebenfalls aus Österreich nach Mexiko sind? 227 L: Ja also [Pause] erstens einmal meine Familie, Cousin`s und Cousinen, die.. die dann ihr 228 Leben dort auch gemacht haben, hautpsächlich eine Cousine – na, es sind einige – von beiden 229 Seiten – väterlicher Seite, die [Pause] äh, die äh, also dasselbe [Pause] die Eltern sind [Pause] 230 die Kinder von den Schwestern meiner Mutter – meine Tanten – und diese Cousinen die, die 231 sind eben auch vielleicht, die eine Familie ein bissl mehr jüdisch als ich, weil die waren in einer 232 jüdischen Schule – meine Cousinen und [Pause] äh, eine Zeit lang, da waren sie in meiner 233 [Pause] äh, es war alles sehr konfus damals diese Identität, ja, ich hab‘ immer noch Freunde, 234 die [Pause] äh die eben also vom spanischen Krieg her kommen – die hab‘ ich eben in der 235 Schule kennen gelernt. Und als ich anfing, Medizin zu studieren, bin ich rein zufällig in eine 236 Gruppe gekommen – die Universität war riesig groß – sie müssen sich vorstellen – alleine die 237 medizinische Fakultät in Mexiko, hat, als ich anfing zu studieren – 27.000 Studenten. Also das 238 war überhaupt die größte Fakultät überhaupt auf der Welt. Dann haben sie „numerus clausus“ 239 gemacht usw. und da war ich in einer Gruppe von ca. 100 Studenten und da 10% waren Juden. 240 Und mit denen hab ich mich sofort angefreundet. Da gab‘s – obwohl ich nicht jüdisch in dem 241 Sinne aufgewachsen bin – aber letztendlich [Pause] des, des is ja unvermeidlich irgendwelche 242 zumindest mitteleuropäische Traditionen, ja, also das waren dann eben, eben meine direkten 243 Freunde, die, die auch so oder schlecht schlimmeres Schicksal hatten, von wirklich dezimierten 244 Familien nach Mexiko gekommen sind – da hab ich noch – also mit diesen Bekanntschaften da 245 hab ich noch – erinner‘ mich, hab‘ ich eine Frau kennengelernt – damals die Nummer hier 246 eingebrannt hatte am Arm – und solche Sachen – und Geschichten von Getto und Geschichten 247 von KZ`s – usw. die hab ich damals richtig also mitgekriegt von diesen Bekanntschaften. Da 248 hab‘ ich auch eine gute, gute Freundin, wie heißt meine erste Freundin? Das war eine 249 serfabische Jüdin - die kanpp – wirklich – mit`m Leben davongekommen ist – in Griechenland 250 in einem Konzentrationslager – und äh die hat eine Knochentuberkolose gehabt – die war 251 schwer krank gewesen – in ihrer Kindheit und äh da hab ich also richtig [Pause] äh, mich auch 252 eben belastet mit dieser Geschichte, die mir verschwiegen war – also vorher – meiner Eltern – 253 den ersten Kontakt habe ich gehabt, da wurde ich nach Deutschland geschickt, da war ich eben, 254 weil ich – na ja, es war auch ein Teil der Kultur – die wollten, nachdem ich fertig war, dort mit

107 255 dem Gymnasium – wollten meine Eltern, dass ich nach Europa komm. Bin ich zur Oma 256 geschickt worden, und also hat mich meine Mutter begleitet bis zum Flugzeug, bis zur Treppe 257 damals – vom Flugzeug – und hat mir das Tagebuch der Anne Frank so untern Arm gesteckt 258 und hat gsagt zu mir, das sind deine Leute, das war für mich ein Schock – damals, da war ich 259 16 und das hab‘ ich dann angefangen, die ganze Sache – eben zurückzugewinnen – die ganze 260 Information, die, die mir damals eben nicht gegeben wurde, in der.. im, im Rahmen der Familie. 261 Ja, das war das [Pause] gab auch Bekannte, dann in Deutschland, wo ich ein Jahr war, dann bin 262 ich wieder zurück nach Mexiko und das war dann eben – also – schon ein kleiner Teil der 263 Identität war gerettet sozusagen. 264 D: Und ähm also ich hab gelesen über eine Gruppe, die sich in Mexiko gegründet hat – 265 also Kindheit und Jugendgruppen – wissen sie da drüber irgendetwas? 266 L: Ja so eine Pfadfinderart äh Gruppe gab`s in Mexiko also es gab die ich weiß jetzt nicht des 267 is ja dann ewig lang schon her oder weiß ich was äh [Pause] kann man nachschaun das is als 268 die – also die Geschichte der Pfadfinder in Polen da [Pause] da war also die 269 Pfadfinderbewegung groß und die Juden, die wollten auch mitmachen, aber der Antisemitismus 270 war zu groß – und da haben sie dann eben eine andere Gruppe gemacht von jüdischen 271 Pfadfindern - und sehr ähnlich wie die andern – die wurde ja gegründet von einem englischen 272 Militär und die gab`s – und die gibt`s immer noch in Mexiko diese Organisation – dann gibt es 273 einen israelischen Klub – das war ein Sportklub – der ziemlich groß is. Und da gibt`s bestimmt 274 viele andere Gruppen - ich hab nie dazugehört. 275 D: Also auch nicht zu der Gruppe „Freie Jugend Deutschland“? 276 L: Nein, nein. Ach so – was was waren das? – Nazis oder was? 277 D: Nee – also das war – Friedrich Katz hat der Gruppe zum Beispiel angehört. 278 L: Nein – also bei denen war – allerdings war mein Vater, der war – der hat ja Beziehungen 279 gehabt zu zu Jedermann und äh.. da gab`s ein riesen deutschen Klub, der der erste deutsche 280 Klub, der wurde dicht gemacht von von der mexikanischen Regierung – damals, weil sie sich 281 für weil sich die Regierung alliiert hat mit Nordamerika und da ist der deutsche Klub 282 geschlossen worden -und das war a große Einrichtung da is jetzt das nationale 283 Musikkonservatorium – heutzutage – aber nachher, also in den 70er-Jahren glaub ich – haben 284 die Deutschen wieder ein riesen Sportklub gemacht, mein Vater eingeladen, und äh äh der ist 285 ein paarmal hingegangen – aber hat nicht dort verkehrt. Dann gab`s noch eine Gruppe von 286 deutschen Lutheranern [Pause] äh also da gab`s eine lutherische Kirche äh und diese Kirche die 287 hat ein Gesundheitszentrum gegründet – neben der Kirche – da war ich der erste Arzt dort – 288 das war später geschehen. Aber die Beziehung zu den Deutschen war damals – also für mich – 289 so eine, eine Arbeitsbeziehung, ja die Deutschen haben das verwaltet – die Deutschen, die in 290 Mexiko gelebt haben und [Pause] äh Vorstand, des war die [Pause] der, der lutherische Pfarrer 291 und so – aber weiter war nix, also kein soziales Leben – also nur ein professionelles Leben, als 292 Arzt hab ich 2 Jahre oder sowas gearbeitet, und dann viel später wieder – aber das war nicht so 293 sozial halt – 294 D: Und mit dem Ende vom Zweiten Weltkrieg in Europa ist dann die Familie in Mexiko 295 geblieben? 296 L: die sind in Mexiko – also nicht nur das, die die [Pause] mein Großvater also wie gesagt der 297 wurde umgebracht – und das war für sie sehr tragisch eigentlich – weil sie sehr deutsch waren, 298 da gibt`s noch Fotos wo sie zur HJ gehört haben und der eine Onkel, der war Athlet und hat 299 trainiert für die Hitler-Olympiade, bis sie draufgekommen sind, der is Halbjude und dann war`s 300 aus – und solche Sachen. Und [Pause] äh ja nach dem Krieg, da hat die ganze Familie in Mexiko 301 – also bei mir zu Hause – haben Kisten eingepackt, und[Pause] und [Pause] äh äh Lebensmittel 302 nach Deutschland befördert, weil hier in Österreich is keiner geblieben – also von meiner 303 mütterlichen Familie, die sind alle weg. Und äh, aber wie gesagt also die Onkel und die Oma, 304 die sind in Deutschland geblieben und aber nach dem Krieg 1947 ist der jüngste Bruder meines 305 Vaters auch nach Mexiko ausgewandert. –Nicht- und da is halt nur – in Deutschland ein Onkel

108 306 geblieben und meine Großmutter. Und alle anderen, die ganze andere Familie ist in Mexiko 307 geblieben. Die [Pause] äh, meine Mutter, die wollte nicht mehr zurück, also das war ganz klar 308 - mein Vater is noch zu Kongressen gekommen und hat seine Mutter besucht in Deutschland 309 und so, aber meine Mutter war insgesamt in den 50 Jahren dann dass sie den Krieg überlebt hat, 310 war sie 4 Tage in Wien. Wollte nix von hier wissen .des, des, sie hat äh ja ich glaub, das was 311 [Pause] die Anekdote, die das Gefühl meiner Mutter so abbildet is, als ich ihr erzählt hab, dass 312 ich – das war 1993 – kurz bevor sie gestorben is, da hab ich gsagt: „Mutter ich krieg die 313 Österreichische Staatsbürgerschaft“ da hat sie solche Augen gemacht und hat g‘sagt: „Wie 314 kannst du mir sowas antun?“ - also das war die Antwort meiner Mutter - die hat das nicht 315 verkraften können, und die ganzen Erinnerungen, das war alles für sie – sie hat [Pause]. äh 316 immer noch jedes Mal, wenn wenn sie Stiefel gehört hat, hat sie angefangen zu zittern - bis zu 317 ihren letzten Tag – also das muss man schon verstehen, was das für ein, ein Terror war und 318 Panik und so [Pause], die haben hier nix mehr zu suchen gehabt. Außer ja also die haben noch 319 geschwärmt, meine Mutter hat noch erzählt von dem den Veilchen und den Bergen und die 320 Dolomiten und Schifoarn, des konnt in Mexiko nicht und und so also immer die Erzählungen 321 von Wien und wie sie studiert hat, sie hatte 17 Jahre Konservatorium gemacht, sie war ja 322 Pianistin und hat auch Medizin studiert – ja da hat sie diese ganz starken – die hat sie mir 323 übermittelt – diese Erinnerungen – aber herkommen wollt sie nimmer. 324 D: Und wann waren Sie das erste Mal in Österreich? 325 L: Das war eben mit diesem, diesem „Hawara“, der dann mein Schwager geworden ist - nicht 326 - das war 1958 – da war ich, [Pause] äh und dann lange nicht, ne – da war ich paar Tage in 327 Wien, aber hauptsächlich äh da haben..hat er noch Verwandte gehabt, da in Tullnerbach in 328 Niederösterreich und dann noch ein Bauernhof [Pause] in in äh auch in Niederösterreich in der 329 Nähe von Lilienfeld ein Feld.. und .. äh da wo immer noch die Familie meiner Frau is, da war 330 ich dann zum ersten Mal 1958. Und das war aber ganz kurz, das waren nur ein paar Wochen – 331 ich hab mich – ich kann mich erinnern – ich hab sie noch verlängern müssen, weil ich hier 332 meinen Pass [Pause] äh äh [Pause] irgendwo mit einem Gepäckstück im Zug gelassen – 333 vergessen – hab. Nicht – da bin ich noch extra zwei Wochen geblieben - hat ihn dann gefunden 334 – und äh, das war`s – dann wieder nach Deutschland, ich hab – wie gesagt, das war während 335 meiner Deutschlandreise. 336 D: Und dann wieder zurück nach Mexiko? 337 L: Und dann wieder zurück nach Mexiko. Ich hab dann angefangen herzukommen – wieder – 338 ich hab meine Frau, die Franz,i geheiratet – vor äh im August warn`s 30 Jahre, also das is schon 339 eine längere Sache und eben äh als wir zusammengekommen sind, da sind wir dann öfters 340 gekommen. Bis zum heutigen Tag wo wir jetzt im Prozess sind hier unser Hauptwohnsitz zu 341 organisieren. Wieder so eine Sache mit den Wurzeln, denn ich hab ja Wurzeln geschlagen in 342 Mexiko, da is mein Sohn aus erster Ehe mit seiner Familie und der eine Sohn von meiner Frau, 343 der praktisch auch mein Sohn geworden ist und der is auch mit seiner Frau in Mexiko, also und, 344 und das geht mir ab. 345 D: Und können Sie sich an andere Leute – wirklich Österreicher – erinnern, im Exil in 346 Mexiko? 347 L: Österreicher im Exil – eben meine Familie – aber da waren viele [Pause] äh also da gab`s 348 Musiker kann ich mich an Ernst Römer erinnern, der war Dirigent, und äh hat immer noch seine 349 Familie in Mexiko, der Enkel ist Diplomat, der Sohn war Architekt und der Ernst Römer,, der 350 hat in Mexiko – also hier Dirigent der Staatsoper, der hat a Sportg‘schäft gehabt und hat 351 Fußbälle verkauft. Das waren so Schicksale – nicht – also es gab schon - eben mit meiner 352 Kindheit so Erinnerungen von solchen Menschen – auch ein Klavierspieler – Weissenberg hat 353 er geheißen – und äh [Pause] äh ,also es gab – da müsst ich jetzt die Namen so [Pause] so 354 nachschlagen.. 355 D: Oskar Römer – den haben Sie nicht gekannt?

109 356 L: Der Oskar Römer – ja – das war ein Architekt und der[Pause] der war eben der Sohn vom 357 Ernst Römer und äh wie sich die Welten da dann zusammentun - ich hatt‘ einen sehr guten 358 Freund der war Architekt – ein Spanier – Roberto Pastorro – und der is sehr befreundet mit dem 359 Oskar Römer gewesen. Ich weiß nicht, ob der noch lebt, ich glaub nicht mehr, und äh dadurch 360 ist das immer wieder dieselbe Geschichte, ja. 361 D: Aber Sie haben ihn – wo sie noch Kind oder Jugendlicher waren – den Oskar Römer, 362 nicht gekannt? 363 L: Na, ich hab ihn also als Kinder [Pause] der war ja a bissl älter als ich – ja – ich hab den Vater 364 gekannt – mein Vater hat bei ihm immer so Sportartikel gekauft und war auch in der Nähe von 365 der Praxis von meinem Vater – und den hab ich gekannt – und dann gab`s einen Robert Kolb, 366 und der Kolb der hat irgendwie eine Buchhandlung gehabt und da warn die Sitzungen von 367 diesem Heineklub, nicht und das, der war halt auch befreundet mit meiner jetzigen Frau , den 368 – also die war jahrelang Sekretärin von der Österreichischen Botschaft – meine jetzige Frau – 369 deswegen war`s mir auch so leicht, Österreicher zu werden – ja also solche Menschen, die hab 370 ich schon noch gekannt. 371 D: Und Friedrich Katz – also den Sohn von Leo Katz? 372 L: Naja. Ja den hab ich also – das sind so Leute, die man kennt – obwohl sie einen nicht kennen. 373 Natürlich also der Friedrich Katz war eine total wichtige Persönlichkeit – auch politisch – der 374 hat ja die – der beste Biograph weit und breit von , vom Revolutionär in Mexiko 375 – das war der Friedrich Katz, und der hat auch sehr viel geschrieben nur in Mexikanische 376 Geschichte – war ein sehr anerkannter Mensch dort, ich weiß ja auch, dass [Pause] äh also wer 377 ihn gekannt hat als [Pause] als Kind und so ist wiederum ein Jude der … mit dem wir jetzt sehr, 378 sehr befreundet sind, ah ganz a liaba, der der Robert Rosner und ..äh der Roby is jetzt 93 und 379 der hat den Katz als Kind gekannt und da macht jetzt ach mit den Namen der äh [Pause] meine 380 Güte - ähm [Pause] wie heißt der jetzt – ich bin da blockiert..ich wollte g‘rade ich hab letzte 381 Woche mit ihm gesprochen, der eine Biographie macht er eben über den Katz – es wird mir 382 schon einfallen – ähm und – ja wie gesagt, also solche Menschen wie den Katz, den Friedrich 383 Katz, die die so wie ich in der Politik drinnen waren – also nie in den Parteien und so aber schon 384 außerhalb der jüdischen Familien und so, der Friedrich Katz war ja so ein Historiker und sehr 385 wichtig eben. Natürlich muss man von ihm gelesen haben – Bücher und ja. 386 D: Und Bruno Schwebel? 387 L: Ha, der Bruno Schwebel – wir haben in Mexiko eine Bibliothek – ich hab ja viele Bücher 388 geerbt und haben eine Bibliothek – also das is ein Turm so achteinhalb Meter hoch mit so an 389 Mezzanin (Halb- oder Zwischengeschoss) mit Bücherstellagen und so und da passen so an die 390 35 Leute hinein und da machen wir so – hin und wieder so Kulturveranstaltungen und da haben 391 wir eine Lesung gemacht mit`m Schwebel – den hat eigentlich meine Cousine so gut in 392 Erinnerung – weil als sie ein Kind war da ist der – da sind sie auf Ferien gegangen in so ein 393 Haus wo viele Kinder waren – so während der Ferien und da is der Bruno Schwebel gekommen 394 und hat den Kindern Geschichten erzählt, wunderschön, und natürlich hab ich ihn gekannt – 395 sehr gut – der war alles der war Ingenieur, Schachmeister äh und Schauspieler, der hat – also 396 den Shakespeare gespielt – hab ich einmal gesehen von ihm – in einem Englischen, English 397 perfekt, hat Kurzgeschichten geschrieben – auf Spanisch – die sehr lustig sind, der hat einen 398 Sinn für Humor g`habt und so is dann leider g`storben in Kalifornien – ja wo er seine Familie 399 gehabt hat – ja den hama persönlich – also 400 D: Aber auch erst dann später? 401 L: Ja, ja – also Bruno Schwebel – wie gesagt – also die, als Kind war das ebenso mit meiner 402 Cousine, ich hab ihn einmal vielleicht gesehen – aber äh meine Cousine hat ihn öfters gesehen 403 – und dann – ja also [Pause] äh über eben über das Kulturleben – und so haben wir, haben wir, 404 mit ihm also und über die Botschaft, und so - die österreichische, das war halt – das ist dann so 405 eine lose Beziehung eine Freundschaft gekommen – als wir ihn eingeladen haben, da – zu zu 406 einer Lesung von – da hat er seine Buchpräsentation da in meiner Bibliothek gemacht – und da

110 407 is er - sofort hat er zugesagt – ja das war ein toller, toller Mensch – woher kennen Sie den 408 Schwebel? 409 D: Ja der gehört auch zu meiner Reihe von Personen 410 L: Ah, naja, der Kloyber, der hat ja eine Biographie gemacht vom Schwebel. Der hat vier 411 Personen, der hat den Schwebel, den Katz äh Biographie gemacht ähm und wer war noch dabei 412 – und meine Tante Ruth – die Ruth De Lechuga – Ruth Deutsch, die auch eine Persönlichkeit 413 – 414 D: Ja, aber die gehören alle eigentlich noch da dazu 415 L: Die,. die na ja das sind die erste Generation – der Bruno Schwebel – die sind nach Mexiko 416 gekommen, da war er, glaub ich, 8 oder 10 – na – na da war er schon 12 Jahre alt – 417 D: 9 war er 418 L: Ja, sowas 419 D: Und die Lisa Freistadt – also - 420 L: na, na 421 D: Und die Ruth Deutsch is ihre Cousine? 422 L: Die Ruth is meine Tante – die war Cousine meiner Mutter. 423 D: Und sie… die sind auch nach Mexiko? 424 L: Die Ruth..die Ruth is g‘storben in den 90er-Jahren – 96 – oder sowas. 425 D: Aber sie sind vorm zweiten Weltkrieg noch nach Mexiko? 426 L:Ja, ja die sind da alle in diesem Paket gekommen. Also es war diese Konstellation – die Ruth 427 war die Tochter von Arnold Deutsch – oje das is a bissl kompliziert, das hab ich erst verstanden, 428 da war ich schon älter – da haben drei Geschwister Reis drei Geschwister Deutsch geheiratet – 429 so fing`s an. Und die Ruth war von derselben Generation meiner Mutter – und war eben also 430 Cousine meiner Mutter und ich hab immer g‘sagt oder wir haben gesagt, die Ruth is meine 431 Cousine – da hat sie sich gut gefühlt – da hat sie sich jünger gefühlt – aber mit der Ruth hab ich 432 eine ziemlich enge Beziehung gehabt – zu ihr. Das war auch dann eine Geschichte eben die 433 Ruth hat ein Labor gehabt – ein, ein chemisches Labor – und meine Patienten hab ich jahrelang 434 zu ihr geschickt – zum Labor. Und manche haben gedacht das is ein G‘schäft aber – ich hab sie 435 dorthin g`schickt - und hab ihr zum – mit kleinen Buchstaben geschrieben – pass auf die haben 436 nicht viel Geld – und da hat die dann die ganzen Analysen umsonst gemacht – die.die Ruth. 437 Und von diesem ganzen Geld, was sie da hatte, hat sie Reisen gezahlt und hat eine riesige 438 Sammlung gemacht von eben von Volkskunst sag ich amal. Hat ein Museum gehabt bei ihr 439 zuhaus – und das war auch ein Teil meines Lebens – denn als der Ärztestreit 1964/65 war – da 440 gab`s diesen Ärztestreit, da war ich grade fertig mit`m Studium und da wollten die mich 441 zwingen, irgend solche Papiere zu unterschreiben gegen die Ärztebewegung und für den Staat 442 und so – das hab ich nicht gemacht – also wegen Hunger werden mich nicht dawischen – und 443 da bin ich also [Pause] äh wie heißt das jetzt auf Deutsch [Pause] äh so Kunstgewerbe hab ich 444 da gemacht mit meinen Händen – das war für mich wahnsinnig wichtig – da hamm so Taschen 445 für Frauen geknüpft – und [Pause] äh alles Mögliche und so Lampenschirme und so weiter, das 446 hab ich so 8/10 Jahre hab ich das gemacht. Das hab ich soweit gebracht mit meiner ersten Frau, 447 dass wir noch [Pause] äh Gegenstände ausstellen durften im Museum für moderne Kunst in 448 Mexiko, das war a große Sache und mein Vater war entsetzt – hat g‘sagt: ja wozu hab ich dann 449 dein Studium bezahlt? – als Arzt und so – und ja aber da war ich sicher, dass die mich nicht 450 dawischen wegen Hunger – und da hab ich mich sehr viel politisiert – eben durch diese 451 Handarbeit – die ich da gemacht hab mit anderen Leuten. Und das hat mich wiederum zur Ruth 452 gebracht – die hat in ihrer Sammlung, hat sie ein Stück von mir gehabt. Unter 9000 453 Gegenständen damals – das hat mich sehr stolz gemacht damals. 454 D: Äh…und 1938 ist dann auch die Ruth nach Mexiko – 455 L: Ja, ja die Ruth is 1938 nach Mexiko – 456 D: und wie alt war sie da ca.? 457 L: Na 16 glaub ich.

111 458 D: Und hat ihre Familie – hat die dann dort zur Schule gehen können - oder? 459 L: Die Ruth hat dann in Mexiko Medizin studiert. Also die, die ganzen [Pause] äh also diese 460 Generation – wo meine Mutter dann ihr Medizinstudium nicht weitergemacht hat – sondern die 461 is Röntgentechnikerin geworden – und dann die hat ein – ein also ein langes professionelles 462 Leben gehabt zusammen mit meinem Vater – mein Vater war der Röntgenologe, sie war die 463 Technikerin – das is gelaufen wie – die anderen Schwestern meiner Mutter – die eine is 464 Übersetzerin gewesen – die jüngere – und die ältere – phuu,. die.das war die Reiche der Familie 465 – die waren Kunsthändler – der Mann von ihr, das war ein polnischer Jude – und das waren 466 eben diese Verwandten – die das Haus in Prag hatte – Wohnung in Prag hatten – wo die erste 467 Flucht hinging. Also das war meine Tante Trude – die war dann, is dann in Mexiko [Pause] äh 468 is sie zusammen mit ihrem Mann – die haben eine Kunstgalerie gehabt – meine andere Tante – 469 wie gesagt – die war Übersetzerin und meine Mutter, das war auf der einen Seite – die die Ruth 470 hat einen Bruder gehabt, die Ruth hat Medizin studiert – und der Bruder hat Chemie studiert – 471 der Hans – der is dann ausgewandert in die Staaten – viel später – aber der hat gearbeitet, lange 472 Jahre in einer Glasfabrik und dann der Leo Deutsch hat auch zwei Kinder gehabt – eine Tochter, 473 die Lore – die hat einen reichen Schuhhändler geheiratet und der Ernst ist auch Hals-Nasen- 474 Ohren Arzt geworden. Also das waren so die – und der Ernst hat in Mexiko fertig studiert, die 475 Ruth hat in Mexiko studiert, und der Hans auch – also diese Generation von meiner Mutter. 476 Und die Kinder ja die, die sind dann die ersten Jahre in Mexiko aufgewachsen und dann sind 477 viele von ihnen in die Vereinigten Staaten. 478 D. Aber die vordere Generation ist in Mexiko? – geblieben. 479 L: Die vordere Generation is ganz da in Mexiko geblieben. 480 D: Sie bezeichnen sich selbst eher als Mexikaner als Österreicher? 481 L: Jetzt bin ich nicht mehr so sicher – ich hab die zwei Pässe – Halleluja – hier sag ich gar nicht 482 mehr – das kann ich gar nicht mehr sagen – ich bin Mexikaner, das glaubt mir eh niemand – 483 ich arbeit‘ a bissl, mach ich noch „Solidarität“ eben mit Mexiko eine Militärdiktatur jetzt 484 aufgebaut wird .. und.. und ja also des hier musste ich dann zur Wahl gehen – natürlich - hört 485 man mir schon an – für wen ich gewählt hab aber ich hab hier Wahlrecht – in Mexiko geh ich 486 gar nicht in die – zur Wahl seit jeher is für mich in Mexiko das Wählen keine Option - aber 487 hier – ja also alleine die Idee - als ich die Staatsbürgerschaft bekommen hab – die 488 österreichische – war der .wie hieß der Mensch aus der Steiermark der , der große, äh ich 489 vergess da die Namen [Pause] äh mein Gott egal – aber der war ganz hoch oben, der „Braune“ 490 ob er jetzt blau oder orange war, weiß ich nicht mehr – wie heißt der Politiker der sich dann 491 totgefahren – gegen eine Wand gefahren ist? 492 D: Ah so in Kärnten war`s – Jörg Haider - 493 L: In Kärnten, in Kärnten, der Haider, ja entschuldige diese Namen vergess ich, der Haider eben 494 ganz hoch oben war, hab ich meine Staatsbürgerschaft bekommen, das war schon so a bissl 495 grausam muss ich sagen, und dann diese Plakate vom Strache und so[Pause], na diese Sache da 496 mit diesem „Abendland in Christen Hand“ oder wie des damals gesagt wurde für Österreich is 497 für mich total grausam. Und wenn man hier is, dann muss ma dann auch politisch konsequent 498 sein. Deswegen also – wie fühl ich mich jetzt also – als Mexikaner - beides ja is auch dieselbe 499 Welt, also diese ganze braune Welle, die is ja weltweit, in Mexiko genauso und jetzt, wo der 500 Trump da is – is es ja noch schlimmer geworden – nicht also die das is für mich wirklich mit 501 meiner Familiengeschichte kann kein Kinderspiel, da wird‘s einem wirklich so so bissl 502 schlecht. Und wenn man bedenkt – ja weiss ich – wie weit ist Syrien, Damaskus von Wien? 503 Also 4000 Kilometer, da reist man in Mexiko von Spitze zu Spitze sind 7000 Kilometer. Also 504 4000 Kilometer ist für mich keine Entfernung – des is hier um die Ecke – D: Das stimmt – L: 505 Ja – und das tut weh – und wenn was weh tut, dann kehrt ma dazu – 506 D: Und – also in Bücher liest man immer wieder zwischen einer Verbindung zwischen 507 Österreich und Mexiko.

112 508 L: Ja, die gibt es – was weder Mexikaner noch Österreicher wissen und wo ich mich immer so 509 freue, wenn ich das zeigen kann – is die Votivkirche – wissen sie, dass von der Votivkirche – 510 was die Mexikanisches drinnen hat? – Nein das wissen sie nicht – ok. Die Votivkirche wurde 511 finanziert von Maximilian, vom Bruder von Franz Josef, der nach Mexiko gegangen is,der der 512 mexikanische Kaiser und der hat eben mit mexikanischen Geldern – als Vergeltung äh das seine 513 Familie hier – die Habsburger – hat er eben diese Kirche bauen lassen – der gute Maximilian 514 von Habsburg und rechts hinten, da gibt es einen Altar von der „Virgin de la Guadalupe“ die 515 „Jungfrau von Guadalupe“ das is ja die nationale Jungfrau in , in Mexiko – allerdings auch in 516 Philipinen – und mit einem riesen mexikanischen Wappen - mit dem Adler, der auf einem 517 Kaktus sitzt und eine Schlange frisst. Ja das is so das nationale Wappen – das is in der 518 Votivkirche drinnen. Also seit dann, seit damals, gibt es so solche Beziehungen. Eine Anekdote: 519 Ich wurde eingeladen – meistens will ich nix zu tun haben mit der mexikanischen Botschaft – 520 aber da bin ich hin, da gab`s da gibt es in Mexiko ein – so eine Jugendorchester mit, mit äh 521 Zithermusik und mit allen Varianten von Cembalo und bis klein, na wie heißen die 522 Schlagbretter, ja also alles Mögliche an Musikinstrumenten hier, die mit dem Habsburger 523 Imperium nach Mexiko gekommen sind. Und da hat man irgend so ein Mädl g‘fragt – ein 524 Mexikanerin - ja wie [Pause] äh wie ist das in Mexiko mit diesen ganzen Instrumenten – ja die 525 sind traditionell mexikanische – da hab ich lachen müssen. Nicht also da gibt es natürlich 526 Musik, da gibt es einige Walzer zum Beispiel, die mexikanisch sind und da is immer der Streit 527 da, ob sie wirklich von Mexikanern sind oder von Wienern, also ich weiß, dass es mexikanische 528 Walzer sind, so wie es auch peruanische Walzer gibt – aber – äh also da gibt es wirklich einen 529 Zusammenhang irgendwie .. äh der Fridolin Schönwiese hat an Film gemacht – vielleicht haben 530 Sie den gesehn? „Ja wohl vera tras“ also wo, wo Leute die in Mexiko – also Wiener, die in 531 Mexiko sind oder waren interviewt werden – und so nach, nach, also … zurückschauen – und 532 sehen, was hat es, was gibt es Gemeinsames. 533 D: Wie heißt der Film? 534 L: Volver atras - nach hinten gehen – wurde das so ganz komisch ..äh irgendwie übersetzt und 535 das ist der Fridolin Schönwiese – heißt der. 536 [Anmerkung dazu: Volver la Vista (2005) – Der Umgekehrte Blick; siehe: 537 http://dok.at/person/fridolin-schoenwiese/] 538 L: Also den findet man im Google – den Fridolin Schönwiese – der mir übrigens noch 80 Euro 539 schuldet, weil ich die Übersetzung gemacht hab. Also es gibt – ja es gibt Zusammenhänge - wir 540 haben – um das auch gesagt zu haben - eine kleine Organisation und die heißt ..äh – na wie 541 heißt die jetzt? Also ein Solidaritätskomitee. 542 „Mexiko-Salzburg“ so heißt das. Und da machen wir ein Radioprogramm am zweiten Freitag 543 jedes Monats – an einer alternativen Radiostation, heißt „Radiofrabrik“ kann man hören so um 544 6 Uhr nachmittags am zweiten Freitag und das is zweisprachig – eben über Mexiko, aber von 545 Österreichern – oder und zweisprachig und das is für mich eben auch ein schönes Abenteuer. 546 Ja es gibt ja immer noch eine Organisation eben, die der Kolb begonnen hat in Mexiko – Robert 547 Kolb – in seiner „Librere Internazional“ und äh [Pause] das sind das is eine kleine – ein kleiner 548 Verein von Österreichern in Mexiko – nicht – das gibt es. Und tja – irgendwie diesen 549 Zusammenhang – aber und es ein paar Österreicher in Mexiko gibt es auch in dem Dorf, wo 550 wir wohnen – dort – wenn mir dort sind Postlan da gibt es auch ein paar Österreicherinnen, mit 551 denen wir befreundet sind. 552 D: Und diese österreichischen Feiertag Allerheiligen Allerseelen? 553 L: Na ja Mexiko is ja ein katholisches Land – 554 D: Diese Verbindung mit dem – in Mexiko da gibt`s ja auch so etwas. 555 L: Ja, Ja, natürlich – jetzt wird groß gefeiert in Mexiko gibt es halt auch andere Feiern, aber 556 zum Beispiel: Jetzt der 12. Dezember ist der Tag der Heiligen Maria in in also wie heißt das 557 also verkörpert in der Virgin der Guadalupe da gibt es dann Millionen Pilger die nach Mexiko 558 in die Basilika kommen - eben das war jetzt am 12. Dezember und vom 5ten – also die

113 559 Adventtage ..die..die vom 15ten bis zum 24ten da wird eine Feier gemacht – jeden Tag – auch 560 für Kinder – wo da gespielt wird wie eben die Maria mit dem Josef dann nach also äh ..äh eine 561 Bleibe suchen und so weiter die ganze Geschichte – nicht – das wird auch groß gefeiert und 562 Weihnachten und, und so und Allerheiligen und weiß ich Pfingsten und das sind alles Feiern – 563 die sind katholisch – das is so aber da werden keine freien Tage gegeben – wie hier – da gibt`s 564 noch nationale Feiertage – na sicher – der Tag der Unabhängigkeit und der Tag der weiß ich 565 der Fahne -aber hier wird ja Maria Empfängnis – also das is hier eben viel katholischer als dort. 566 Dort feiert die Kirche aber das sind keine Ferientage. 567 D: Ok 568 L: Ja, ja das is dieselbe Religion also des is des is wichtig. Ich bin ja auch in dieser Tradition 569 aufgewachsen – also wurde gezwungen katholisch zu werden. Wurde getauft damals meine 570 Mutter die hat so eine Angst gehabt und die hat dann den höchsten – damals gab`s keine 571 Kardinäle in Mexiko – jetzt gibt es drei Stück – und äh also der Erzbischof der Stadt Mexiko 572 zu dem is sie gegangen – damit sie um mich taufen zu lassen. Damit es keinen Zweifel gibt. 573 Und da bin ich eben also in die katholischen Religion aufgewachsen und so also von der 574 jüdischen hab ich viel später mitbekommen mit meinen jüdischen Freunden und bei ihnen zu 575 Hause und so aber also ich bin kein Gläubiger sowieso. 576 D: Also war Religion generell nicht so wichtig. 577 L: Nein wir waren eben - also auch nicht für die Familie – es war wichtig [Pause] meine Mutter 578 war sehr verletzt und dann war‘s wichtig etwas vortäuschen zu können ja also das ma was is‘ 579 und so und zwar keine Jude aber ,,aber natürlich ich hab das eine Zeit lang ernst genommen ja. 580 D: Und bei der Flucht – nochamal – von Österreich nach Mexiko – die Reisedokumente 581 die sind von dem… 582 L: Das sind [Pause] das sind deutsche Pässe gewesen, in denen der also der Judenstern drinnen 583 also eingestempelt war und der Vorname war Sara - also meine Mutter, die hat Lisbeth geheißen 584 und da hat sie Sara-Lisbeth geheißen und hat einen Stempel mit einem Davidstern gehabt. Das 585 war der Ausreisepass der deutsche. Damals war eben schon, die die sind nicht als Österreicher 586 weg, sondern als Deutsche von der Ostmark. 587 D: Und es war dann einfach, nach Mexiko zu kommen? 588 L: Ja, das war nicht so schwer, weil eben die Grenze offen war für Flüchtlinge, allerdings nicht 589 so für alle der, der Cardenas die die Politik war, man soll die reinlassen, die die was wissen, die 590 was können, also Akademiker und Leute, die schon einen Beruf haben und so, und die haben‘s 591 leicht gehabt. Eben deshalb diese Konstellation von meinem Großonkel, der der hat dann, mein 592 Großonkel, mit seiner hochqualifizierten Arbeit das Institut gemacht, das immer noch existiert 593 – ein Hals-Nasen-Ohren-Institut was dann zu „Instituto della comuniczion Humana“ geworden 594 ist, also da da wie heißt das der Verbindung – oder der Sprache, da steht ein Plakat von Metall 595 „gegründet von Dr. Leo Deutsch“ also natürlich solche Leute, die hat man hineingelassen. 596 D: Aber es gab ja dann später schon eine Quotenregelung? 597 L: Ja und das war dann auch nicht leicht für die, die das sind auch so alles so Geschichten die 598 sehr schmerzhaft sind, die Chinesen und die Japaner, die nach Mexiko hineingelassen wurden 599 in den 30er-Jahren genauso wie in den Vereinigten Staaten – äh..wurden die – massiv 600 geschlachtet und und verjagt und [Pause] und das war schon eine schlimme , schlimme Sachen 601 gegen diese, des waren auch Flüchtlinge Leute die aus Asien gekommen sind, die sind sehr 602 misshandelt worden. Die Guatemalteken dann viele Jahre dann später genauso die 603 Mittelamerikaner über Mexiko in die Staaten einreisen wollten, die werden massenhaft – 604 verschwunden gelassen und getötet, also und so. Zu zehntausenden - das is kein Witz - das is 605 heute - also das Mexiko so auslandsfreundlich is, das is alles eine wilde Lüge. Das stimmt nicht. 606 Wir haben ja das Glück gehabt – das Glück war nämlich Folgendes: Also das erzählt der 607 Kloyber, der damals gab`s ja diese vor der UNO war das wie hat das geheißen äh [Pause] dieser 608 internationale Verein vor der UNO – Rat der Nationen oder wie das geheißen hat und da wollte 609 Mexiko rein und der der

114 610 D: Völkerbund 611 L: Völkerbund war das – genau, bravo, ja wollte Mexiko hinein, damals mit dem Lasaro 612 Cardenas der a bissl Links orientiert war und der Chef von diesem Verein, das war ein Nazi 613 und der hat Mexiko nicht reingelassen und da is der krawutisch geworden der Cardenas und als 614 dieser Anschluss gekommen ist und Österreich plötzlich verschwunden, is – aber zum 615 Völkerbund gehört hat – da hat er gesagt: was ist denn das für ein Saftladen – wo ein Land 616 verschwindet und niemand sagt was! Das war der Grund – nur is halt dann die mexikanischen 617 Behörden eben das nicht anerkannt haben – weil das war ja eine Affront gegen Mexiko, das 618 Mexiko nicht dabei sein konnte, solang der Cardenas Präsident war. Na der hat – des is eine 619 andere Geschichte – der war so Sozialdemokrat war er und obwohl militärisch – also das war 620 ein Militär-General – und eben deshalb – da hat er seinen Konsul in Marseille gesagt: so jetzt 621 wirst du diese Leute zusammenkriegen und das war eine ganz romantische Geschichte mit 622 2000 Leuten in irgendeinem Schloss und die dann nach Mexiko gefördert sind da da haben 623 meine Eltern nicht dazugehört – aber – jedenfalls war das leicht, es war aber auch leicht, weil 624 eben schon mein Onkel, mein Großonkel Heini dort war – also ohne Heini wär das ganze net 625 gangen. Und bei meinem Vater die Tante Julchen das waren so diese Menschen die die das 626 vereinfacht haben. 627 D: Und die sind mittels Schiff .. 628 L: Auch mein Vater is mitn Schiff gekommen ja das einzige was mitn Zeppelin gekommen is, 629 aber nach New York, war der Röntgenapparat, das war der erste den er gehabt hat war noch 630 mitn Zeppelin bevor er also in Brand also das war ja eine Tragödie mit dem Zeppelin .. na ja. 631 D: Und Also das Leben ihrer Eltern in Mexico, wo Sie noch ganz klein waren ..war das 632 eher… haben sie schaun müssen dass Sie sich über Wasser halten können oder haben Sie 633 schnell Anschluß gefunden? 634 L: Na.. also das war, eben für Ärzte mein Vater der hat praktisch mitgewirkt bei der Begründung 635 der Krankenkasse in Mexiko, die nicht wie hier is, sondern die hat eigene Krankenhäuser gehabt 636 und [Pause] äh der hat als Röntgenologe, hat er sofort eine Arbeit gehabt nachdem er fertig 637 studiert hat – am Anfang , ja also ganz – mein Vater is 1934 nach Mexiko gekommen und da 638 hat er als Student dann damals so kein Geld bekommen von meinem Großvater, der wollte 639 eben, der hat den Röntgenapparat geschickt damit er in verkauft und des war unverkäuflich 640 damals – es hat ja niemanden gegeben der sowas gebraucht hat – und da war mein Vater zuerst 641 Fotograf von einem so einem Endemologen, von so einem Insektenexperten, und da hat er in 642 einem Urwald in einer Höhle hat er seine Dunkelkammer gemacht, so ganz romantisch – und 643 hat kein Geld gehabt aber dafür so eine Schrottflinte und hat sich dann etwas gejagt zum Essen 644 und so .. das äh aber aber nicht so dass sie ganz arm waren – also solche G‘schichten gab`s da 645 nit. Da hat mein Vater eben angefangen zu arbeiten so in Krankenhäusern – und dann – als Arzt 646 – da hat er ja ziemlich schnell einen Erfolg gehabt und meine Mutter dazu – also er hat dann 647 parallel hat er gearbeitet bei der Krankenkasse und hat seine eigene Praxis gehabt. Und ich 648 würde sagen schon damals 1947 wo ich mich ganz genau erinnern kann , da war die Familie 649 ziemlich, ziemlich wohlhabend- eigentlich also die höhere Mittelklasse würd ich sagen – also 650 – da kann ich mich nicht dran erinnern – ich bin da gekrault worden als Baby auf der 651 Perserteppiche und so – ja und da gab`s Silberbesteck und so also wir haben wirklich – und für 652 uns war das nicht ein, ein wirtschaftliches Problem, eben weil mein Vater auch eine 653 Spezialisierung hatte dies damals sehr wenig gab. Es gab kaum Röntgenologen, da hat er gleich 654 eine – aber er war auch tüchtig, hat einige auch Wiener Ärzte gehabt hier – erinnere mich an 655 einen Doktor Beck – nicht nur mein Großonkel sondern andre und, und er hat in so an Kreis 656 gewirkt wo, ..wo`s Privatpatienten gab und so also ich muss schon sagen also wir waren 657 ziemlich wohlhabend – im Vergleich – hat auch eine Privatschule zahlen können – is alles ganz 658 schön gelaufen – ich war ja auch ganz verwöhnt als Kind – furchtbar – 659 D: Ja, dann danke für das Interview – L: Bitte – gerne 660 (1:25:38) Ende Tondatei 1

115 661 D: Eine Frage hätt ich noch.. Wie heißt Ihre jetzige Frau? 662 L: Also für diese Biographie die Mutter meiner 1. Frau ...sie war eine Frankfurter Jüdin und äh. 663 die nach Mexiko gekommen ist, weil mein Großvater ihr Hausarzt war in Frankfurt und der, 664 der Vater der Großvater von ihr war Patient von meinem Großvater so, der ist gestorben – also 665 – schon in der Nazizeit, deswegen äh hat er, mein Großvater, dieser Familie Oppenheim geraten 666 “so fahrts nach Mexiko, dort ist ein Sohn von mir und diese Frankfurter jüdische Familie ist 667 dann nach Mexiko und die Tochter, die wurde meine Schwiegermutter und aber der. Die die 668 meine da, also die Enkelin eben meine meine Exfrau, die [Pause] äh also konnte kein, kaum 669 Deutsch, die versteht a bissl Deutsch die hat nämlich die Paula Oppenheim, also meine 670 Exschwiemu hat einen Mexikaner geheiratet, und zuhause haben sie Spanisch gesprochen, ja 671 also und unser Sohn, der noch weniger, also [Pause] sich mit ihm versucht hat Deutsch zu 672 sprechen hat als kleines Kind immer geweint, das war ihm total fremd… nicht aber aber damals 673 war ich [Pause] also damals hat sie gearbeitet, da war ich berüchtigt, dass ich meine Frauen 674 immer aus den Botschaften hole, meine 1. Frau hat nämlich in der israelischen Botschaft 675 gearbeitet, und die 2. n der österreichischen, wie schon g‘sagt hab, das war so a lustiger Zufall, 676 ja aber, eben das waren auch Exiljuden, die hab ich vergessen, meine Exfrau, dabei sind mir 677 jetzt gut befreundet, ja weil sie ja gefragt haben aber das eine Deutsche, das war keine 678 Österreicherin[Pause] ok das war diese Geschichte. 679 D: Und die jetzige Frau 680 L: Des is a Wienerin, die Franzi, also ihr Mädchenname is Daxböck 681 D: Und nur zufällig dort bei der Botschaft. 682 L: na, na des is ka Zufall, sie is ausgewandert weil ihre Mutter ganz früh gestorben ist, da war 683 sie dreizehn, und der Vater dem hat`s so weh getan hier, dass er weggeschickt wurde, er hat bei 684 der Philips gearbeitet, D: mh mh L: diesem großen Konzern, 685 im Holländischen, und is nach Mexiko geschickt worden, so is sie mit ihren Geschwistern nach 686 Mexiko gekommen. Also das, das war‘s und dann hamma uns kennengelernt, das war äh äh 687 nett für meine Mutter damals, Dascheuer, das is eine Wiener Familie, vielleicht lernt der 688 Ricardo noch a bissl Deutsch so ungefähr und und da sind wir zusammengekommen gleich als 689 die nach Mexiko kamen, durch der Vater von also des wär mein Schwiegervater geworden, hat 690 eigentlich nie davon gewusst, der is vorher gestorben, der war Röntgeningenieur und mein 691 Vater war Röntgenologe, so haben sich beruflich kennengelernt die beiden Familien, so sind 692 wir zusammengekommen, es war so kein Zufall und ja, es war Schicksal ha.ha. 693 (04:02) Ende Tondatei 2

116 Interview Interviewerin: Nina Drekonja Interviewter: Joan Bordrovsky Treffen am Ossiachersee 07.02.17 via Skype

117 1 D: Can you tell me something about his family and his life in Austria first? 2 B: Alright, his family in Austria and in Mexico? 3 D: His family in Austria first, if it’s possible. 4 B: But you have read his book? 5 D: Yes. I have read it. 6 B: Okay, so his parents met in Neulengbach, where they both lived, and they married in 1924 7 and then they had one son Helmut in 1926 and the other one in 1928. His father had within the 8 social democratic government after world war one and he was able to get a position in checking 9 labour condition at farms, making sure employees at the farms were correctly paid. So his work 10 meant he had to travel a bit in the countryside. The family lived in , for the very 11 beginnings in Donaueschingerstraße. Is that correct? 12 D: Yes, I think so. 13 B: The apartment is still there, even I had been there a number of times to see it. Then in 1934 14 when the right wing government came, Bruno’s father lost his job, also due to the fact, that he 15 was a social democrat. The letter, he think is his work, is actually in the Literaturhaus, have you 16 been there? D: No I haven’t been there. B: If you want, you can find it. Then the family was in 17 serious economic difficulties. With Bruno’s mother they first moved to Neulengbach and the 18 hired house, which was a large building with two apartments und three or four rooms that were 19 rented out and his grandparents lived there, so Bruno’s family lived in a 1-2 room apartment on 20 the first floor. This was the place where all his family would go in the summer, so for Bruno it 21 was lovely. He lived there with all his cousins and his grandparents and parents. But his parents 22 struggled. His father was going to Vienna, because he was looking for jobs and his mother 23 helped out to take care of her mother in law who had a stroke. Two years later in 1936 they 24 moved to Purkersdorf. Again they moved to a double house, they had the right side, the other 25 family had the left side. The house is still there. They were there, because Bruno’s mother found 26 work in the sanatorium. Bruno thinks she was a cleaning lady. Before she was married, she has 27 worked for a lawyer in St. Pölten, but I am not sure with that. Again, there are documents that 28 will lead you to that. Then his father was going in and out of Vienna on a bicycle to find work. 29 He found a little work here and a little work there, but they struggled. They barely had meat to 30 eat, they would have “Schinkenfleckerln” and his father would say that it didn’t have much 31 “Schinken” it was mostly “Fleckerln”. And of course, things were getting worse and worse for 32 Jews. They felt never any discrimination until the last year or two when he was in Austria, but 33 then the kids were getting on him and his brother and chased him down the streets 34 shouting:”Juden” to the boys. After “Kristallnacht” one of Teddis friends, a member of the city 35 hall, the local government of Purkersdorf said, that he was going to be taken onto a convoy to 36 Dachau the next day. That was as Bruno told a Friday night, so Saturday Teddy and Helmuth 37 took a train to Karlsruhe and over the border. I forget names, but very close to Karlsruhe there 38 is a border crossing north-south way to France. So they were able to get across the border and 39 even found French Jews who helped them get into Paris. Then Bruno and his mother stayed in 40 Purkersdorf to getting ready to leave for themselves and apparently they left six weeks later 41 which has to be around the 20th of December in 1938. They had more difficulties than Teddy 42 and Helmut did have. By now it was harder to leave. In the trainstation on the French side of 43 the border they had to wait for a guide so they could walk across. Bruno remembers that they 44 arrived in the late afternoon at the German side, where they had to wait. Finally, after dark, the 45 guides came and took them parallel to the train tracks but hidden to walk across. It was 46 nighttime and it must have been terribly cold. Bruno didn’t remember this, but his niece 47 remembers her grandmother telling, that when the guides said you have to run across when the 48 sentinel has moved away and you see him go. Only one person can get across. He will turn and 49 come back, so each time only one person can cross. Bruno was first to run but he fell on his 50 way and made a lot of noise. Bruno’s mother thought, that they would be detected and arrested 51 then, she thought the sentinel did not want to hear them. He must have heard but did not do 118

52 anything. So anyways, there were four of them. Bruno and his mother and there was his aunt 53 Rosie and his cousin Mitzi later survived the war in Paris and went to Canada. Her parents as 54 well, were arrested at the Swiss border and killed in one of the camps, I don’t know in which. 55 Do you have questions about this Austrian part? 56 D: Why didn’t they go together, the whole family? 57 B: It was because it was so sudden. I think, that they knew at some point, they had to do 58 something. But they didn’t think it would happen so soon. When “Kristallnacht” happened they 59 thought “Oh what do we do?” and then all of a sudden, they knew Teddi was in danger. Bruno’s 60 mother was not, she was born a Catholic. Although she converted, she was safe for the minute. 61 Both boys should have gone early, but they decided that one boy should go with Teddi and 62 natural thing was for the other one to stay. I think that was the way the decision was made. She 63 had support from all of her family, she had many siblings. One of them was in Purkersdorf, but 64 they all were there before they left in December. I can imagine that was they reason they didn’t 65 go together. The could not know what they were getting in to, so the one that was most in risk 66 had to go and then they took one of the boys. Do you want to know about the period in France 67 as well, or should I go on to Mexico? 68 D: The French period as well, please. 69 In France the lived at “Hotel du nord”, which is now a different hotel within a block or two of 70 the northern trainstation in Paris. The boys immediately went to school. I think his brother was 71 already in school, when Bruno finally got there. They didn’t know any French of course, so the 72 first week or two they would just read it in French and they didn’t know what they were saying, 73 but when they got to school all they had to do was to reside. However, within a few weeks they 74 learned enough French in the school yard to get by and so they finished the year in June at the 75 top of the class. At that time Bruno was in the forth grade and Helmuth in the sixth. So that 76 would have been 1939 and in June 1939 a group of social democrats in Paris from Austria 77 organized a kind of a summer camp for children. Again, this is mentioned in the book, I can’t 78 remember name of the French town. So they had organized activities for children from 8 to teen 79 ages, like 17-18. This was a wonderful period for Bruno and Helmuth, because it was playing 80 all day, as far as they could see. There were Austrians, so the kids were speaking both, German 81 and French. They would play soccer and they learned to do craps and other things the 82 enlightened Austrian would want their children to learn. So this was summer of 1939, things 83 were looking very bleak at the international front. Then September 1st came, that was when 84 Germany invaded Poland and all of a sudden things were a little different. This organization of 85 promiscuous children, the “Kinderheim” in France had gotten money from the Rothschild 86 family and also had many estates from the Rothschild family. So they had these large mansions, 87 one of them is now north of Paris, it is now the regional police station. You can visit it and you 88 can actually go upstairs and see, where the children lived in this Kinderheim. So then at this 89 time Bruno’s father, because of his declaration of war with Germany, as Austria was part of 90 Germany now, he was an alien, he was an enemy. He was given the choice of going to the army 91 or going to a concentration camp in France, a French concentration camp. So he chose to go to 92 the camp and this was apparently a filfthy palce in the Normandy in the north. So the family 93 could visit him once in a while, but usually there wasn’t money or time. He was there until 94 sometime after the Germans invaded Paris, so Resi took a job as a cook at the Kinderheim 95 which was for girls. Bruno was sent to another one nearby about two or three kilometers away 96 which was for boys. And that building no longer exists, it was called “Bethlehem”. I think that 97 there is a big apartment complex now. I went once, but couldn’t even find a marker. So that 98 was now the September 1939. For a long time it was fine, there was no sign of war, so he didn’t 99 do anything particular until spring. They invaded Belgium and the Netherlands quickly and all 100 of a sudden they were coming to Paris. So now the director of the “Kinderheim” had to move a 101 few hundred children out of their homes to the south of France, where they hoped they’d be 102 safe. He found a place called Montauban which is still there. Bruno remembers that they put 119

103 the older children into delivery vans, small sort of vans. There were no windows in the back. 104 They were trying to leave Paris and I am sure you read books about how that was. The roads 105 were crowded and the Germans were strafing the refugees. Bruno said a member of times had 106 to leave the van and he took shelter in the ditches at the side of the road as the Germans flew 107 over and strafe with guns. I imagine that happened maybe once or twice, children remember 108 repeated things, but they were scared, so I don’t know. However, they got to Mont Tartan and 109 Bruno’s mother had had to stay with the younger girls and she had taken a train and finally had, 110 I don’t know how it happened, but she had finally arrived at Mont Tartan. Probably a few days 111 after the boys were there and she walked parts of the way. So didn’t stay long there just a few 112 days, because they heard that the best place to go would be Montauban which was run by the 113 socialist government who was accepting refugees. I understand that the population of 114 Montauban doubled, because of the refugees. So they lived at a number of different places. It 115 was at first just Resi, Helmuth and Bruno and they received food from one of the charity 116 organizations, I don’t know how it all worked, but there were networks of Jewish organisations 117 and refugee organisations that helped. They lived near the river and near the train station in the 118 first few weeks and they organized and found that Teddi had been moved to a camp in Arby 119 and one day they took a bus there and were able to see him through the barbwire. Within a few 120 days everything kind of dissolved and because the inmates in these camps were enemies to the 121 French government and France were under German rule, they were no longer enemy alien. 122 Everybody just left the camps and Teddi came back and the family was together. He found jobs 123 as a gardener or caretaker in different places. They lifed in places really near Montauban, but 124 maybe estates where he worked as a gardener. They would either live in a room or sometimes 125 they shared a room or two rooms with another family. That was not pleasant, they were really 126 poor. There were two reasons there wasn’t food. One was the supply was bad during the war 127 and the other reason was, because they didn’t have much money. So the needed ration stamps 128 in order to buy anything besides having to have money. Bruno remembers once taking a 129 hundred Franc bill to ride his bike inside Montauban to buy bread and he lost the bill on the 130 way and hundred Franc was a lot of money. So that was one of the traumatic episodes in his 131 time in Montauban. In montauban the boys went to school in an elementary school and that also 132 is in Bruno’s book, I can’t remember the name. They were in Montauban but than they had too 133 leave France obviously because otherwise they would not going to survive. They began 134 too…Teddy especially went to Marseille to look for a place to accept them. I think there where 135 two possibilities one in New Zeeland and one in Mexico. And so he managed to get the visas 136 for Mexico but he needed a visa to get to Portugal where the boat, where the ship would leave. 137 He could get that but finally go to Spain I think they had 24 hours to get to Portugal. But they 138 couldn’t get the exit visa from France because they didn’t give exit visas too Jews. So that kept 139 a problem. And finally at the end of 1941 the family went to Pau Bruno thinks that they went 140 there two or three or four times. I don’t know. He said that they went and took a train to Canfranc 141 which was the border crossing. In Canfranc they were reviled because they didn’t have the exit 142 visa French and so they had to go back. They tried this for many times. But it was more than 143 once. Finally, on the 31 of December there must have been a franc emigration official who just 144 let them go. Bruno remembers that they waited in a train station in Canfranc they had a French 145 ant the Spanish side. At that time Canfranc had no Gestapo later they did but at that time no. So 146 Bruno remembers in the waiting room that he cries of fear because they didn’t get across but 147 finally they get across to take the train down the mountain to Saragossa. And then they were in 148 Saragossa late at night and they took an early train to Madrid and they hat to chance again for 149 Lisbon. In Madrid they lost a suitcase, someone walked off with it. They didn’t have much 150 anyway. They get to Lisbon actually a day after the visa expired but they didn’t care. They 151 waited in Lisbon for one month for the ship to sail. They left on the Neyassa and arrived in 152 Mexico one month later. What else can I tell you? Bruno and Helmut went to school in 153 Montauban and they went to school in Paris. Helmut by now was already 15 years old he was 120

154 already shouldn’t have been going to school but he hadn’t known French so he stayed in school 155 and both boys finished the sixed grade in French. Ok… questions about the period in France? 156 D: No, but the family has to leave Austria because of the Jewish background and because 157 of the political background? 158 B: They knew that Teddy has to go to Dachau the next days. So that was clear. Bruno said that 159 he heard later that his mother’s family had criticized Resi. They said that she could have stayed 160 she didn’t have to go because she was not Jewish. But the family decided to stay together and 161 they stayed together in France and they came together in Mexico. They had to leave French 162 because of the concentration camps in French. That was it. They arrived I eraly march in Mexico 163 in 1942. Bruno describes the arrival perfectly in his chapters in his book. I cannot tell more 164 about. By now Bruno is 13 teen years old and Helmut is 15 years old. They go to the secondary 165 school which is for children from 12 to 14. They go to sign up. This school is right across the 166 street from the German school. Mexico- City was full of Germans who lived in Mexico they 167 were businessman and many of them where fascist. When they entered the secondary school of 168 Mexico and they didn’t speak Spanish they pushed them away and pointed them the German 169 school at the other side of the street. It was very difficult to make them clear that they couldn’t 170 go to the German school and so they stayed. Bruno was very childish at this time. He had no 171 beard he had no signs of adolescence. Helmut did the Mexican boys where pretty rough they 172 pied them because of the short pants Mexicans nevere wear short pants at these days. and they 173 also shaved their heads. It was a school for boys. But soon they became however one month or 174 two they came accepted and they integrated well into the new culture. Specially Helmut the 175 older boy really had no particular ties. To he get older. Bruno did he felt Austrian he 176 never felt like a Mexican. Then the years went by in Mexico. Bruno´s father had two or three 177 jobs. He sold sausages on the street. But then he had enough money to buy a grocery store. 178 Little by little the family became stable economically. Life went on the boys grew up Bruno 179 went on to university. Helmut didn’t he went into different jobs and finally he became a designer 180 for woman’s fashion. Bruno became a television engineer. In 1950 he took his first job with 181 television which is an enormous television consoucian in Mexico and export to all Spanish 182 people all around the world. What else can I tell you? 183 D: Can you tell me something about groups that exist in Mexico for children or adults? 184 B: Yes, yes the Swedes where social democrats and so they formed youth groups and adult 185 groups Bruno was a member of a group for young adults. They organized hiking expeditions or 186 they got by bus to different villages. Mexico is wonderful for this because the country is so 187 different. Every place is completely different from the other place, desserts, waterfalls beach as 188 well. Life was full and interesting. People had enough money to do expensive things. At the 189 beginning…. Bruno said that there was a lot of political talk. But Bruno said this was more for 190 the adults. For the children there was more fun part. People who were in these groups became 191 later not close friend but friends. And the other thing is that Bruno would get together with 192 other people at the secondary school two years and at the professional school including 193 university 6 years mostly Mexicans. It was very difficult for Bruno to meet a new German ever. 194 To make a friendship with a German in later life he did but not as a young person. 195 D: Has he got some Austrian friends in this group? 196 B: Oh yes, let me think, there was a family names Stavenhagen. Rodolfo Stavenhagen was very 197 famous in Mexico he died a few years ago. He and Bruno were friends from childhood. Bruno´s 198 mother Resi and also Teddy came in close contact with the Austrian refugees. Bruno less though 199 because his life was around his Mexican school and Mexican friends. However, he knew the 200 children of his parent’s friends. Then as time went along when I met him in the 1950.By this 201 time Bruno began to reintegrate with the Austrian community of Mexico. …Interested…or 202 maybe he rejected it I´ m not sure. Me felt like he began an Austrian he felt close to Austria at 203 the same time the Austrian government was helpful to him by giving him a passport form the 204 beginning. The embassy organized reading things. Bruno he wrote short stories they helped him 121

205 come once for a while to read his short stories. At the beginning he wrote in German but only 206 one or two after that he always wrote in Spanish. This was the way he came rather close to the 207 Austrians through the embassy and also other Austrians. 208 D: Can you tell me some important facts about his biography? 209 B: Yes, he was born on September the sixteen in 1928. He lived in Vienna until he was six 210 years old in 1934. Then he moved to Neulengbach where he went to school from 1934 to1936. 211 Then he went to Purkersdorf where he went to school until 1938. He finished fourth grade in 212 1938 but because he was a Jew he could not continue. When September came 1938 he was not 213 allowed to go to school and his brother couldn’t go either. Then let’s see…You need 214 dates….They arrived in Mexico 26 of March in 1942. He was married in 1954 to Mathilde 215 Ragender. They had two boys, Rene was born in 1955 and Daniel was born in 1957. Both of 216 his sons have died. So Bruno has also two granddaughters. They are now 20 and 22. They are 217 both studying in Mexico. 218 D: Was religion a big part in his life? 219 B: That is a great question. Bruno felt he was a Jew but religion was not important. It was 220 important to Mathi´s family his first wife especially to her father. They were also married by a 221 Rabbi in a synagogue in 1954. As time went on Bruno had no particular education in being 222 Jewish. He was at an age where he should have learned Hebrew?? For Resi and Teddi being 223 religious, being Jewish was not important. When Bruno got older he began to seek Jewish 224 friends. Bruno was interested in the Jewish lifestyle. My father died a few years before Bruno 225 did and he was Jewish. He became interested in his background. He became more interested in 226 being Jewish. Then Bruno died of …. He knew that he was dying. I asked him what he wants 227 me to do when he dies. He said that he was born as a Jew and that he wants to die like a Jew. 228 He wants to have a ceremony and so we did. I found a rabbi to whom Bruno talks before he 229 dies and then when he dies we had a Jewish ceremony and it felt correct. 230 D: When the war was over in 1945 did the family return to Austria? 231 B: No, Bruno´s mother had family who was still living in Austria. Resi wanted to return but 232 Teddi said that he cannot go back he had no family left. About half of his family was gone. And 233 he said he cannot go back and so they stayed in Mexico. Both went back in the early 50 for a 234 visit. Resi went by herself back for a number of times ro visit her family. Bruno wanted to go 235 back but by the time he could he was grown up and had a wife and also children. This is a 236 question everyone asks him. But he felt his life was in Mexico even though he didn’t felt 237 Mexican. At the end of his life in 2003 about 8 years before he died Bruno was retired but my 238 business was not doing well and I needed to find a new job. I couldn’t find one in Mexico and 239 so I said that I have to go to theUnited States. Bruno was not happy. He didn’t move with me 240 when I came for about three years. He wanted to stay in Mexico. He did everything to keep one 241 foot there and so he did. 242 D: How was his life going on after the war in Mexico? 243 B: In Mexico a little changed. For Mexico the war was perifior. It was important because the 244 United States were in the war and in Mexico everything depends on the United States. It did 245 not affect the people personally the way it did Americans no one in Mexico was but into the 246 army and where put into the war to fight the war. For him the only thing that chanced was …?? 247 And his life went on like it was in 1942. Oh yes there is one other thing. I don’t know when but 248 sometime after the war. Bruno’s family didn’t have passports when they left so they were since 249 they worked Austrians and they worked Mexicans so they could not travel with a particular 250 document. There existed a document for people who did not belong to a country. So if they 251 traveled which not really happened. As Austria founded seek and became a nation it offered all 252 Austrians in Mexico a passport and so the family all got this passport. I think this must be 253 around 1952. 254 D: How does the exile affect his further life?

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255 B: well …I think the exile was the defining term for Bruno. It was much more for Bruno than 256 for Helmut. Bruno saw himself as …an Austrian living somewhere else. And he would go back 257 to Austria as often as he could which was not often when his children where small but later on 258 it was. He would go to Vienna and take a train to Neulengbach he would get off the train and 259 he would walk to the Harghof where he used to live. He would stand outside and look and he 260 would drink a cup of coffee and then he would go back to the train he would go back to Vienna. 261 He had never been in Vienna as a tourist. He would just go to Neulengbach and look at the 262 Harghof then he would say alright I have seen it and I don’t have to come back. The next time 263 he would get to Europe he would go again to Neulengbach. So Austria an Neulengbach are the 264 central years in Bruno’s life. The last time we went was in 2009. The city of Neulengbach made 265 a ceremony and had a reading of his short stories. They made him feel very welcome. He knew 266 that this was probably the last time. So Austria never run away from Bruno. 267 D: When do you meet him for the first time? 268 B: I knew about Bruno. We had friends. I was married to a son of refugees in Mexico and we 269 had good friends who told us about Bruno Schwebel who worked for Televison who wrote short 270 stories and who was such a nice person. But I never made him. One day my husband had to 271 deliver some papers to his boss who worked on something with chemicals. And his boss said 272 bring them to me tonight it was a Saturday and join us. Bruno and his wife Mathi were part of 273 the Saturday night catering. That was where I met Bruno. And then our two families began to 274 see each other socially they came our house or we went on a picknick. And this for a couple of 275 years. But then my marriage was breaking up and Bruno’s with Mathi was not in good hands 276 and so we began to see each other. This was a difficult and scandalous period for a couple of 277 years but finally Bruno and I became a couple and later married. 278 D: What have you done in Mexico? 279 B: What I have done in Mexico. I am a Chemist. I worked in a farmer industry for some years 280 and also in the government and finally I had business a consulting business from 1981 until I 281 left Mexico in 2003. That was a good business. For a long time but when I got older and my 282 context got older. It was not a business that can make me rich it might not even make me 283 comfortable and for that I went to the United States and took a job here as a market researcher. 284 D: Accept the book are there some other autobiographical notes from Bruno? 285 B: I think the book is the very best source. He left 80 short stories many of them have been 286 published. I think the stories tell a lot about Bruno. I think he has published in Spanish five or 287 six book with short stories. Some of them are repeated. But I don’t think there is any 288 biographical information in it. 289 D: Did he give a lot of Interviews about his childhood? 290 B: He did. Do you know Christian Kloyber. Christian is probably the one who talked with him 291 the most. He made some notes and wrote a book about the Mexican exile but I don’t think that 292 there is a biography in it. I didn’t read it because I don’t read German easily. 293 D: Can you tell me something else about Bruno I did not ask yet? 294 B: Have you got the book in German? “Das andere Glück”? 295 D: Yes of course I have it. 296 B: I don’t think there is anything else because he relayed on every document and he did a good 297 research for his own. All Documents of him are now in the Literaturhaus in Vienna. 298 Maybe you know if Bruno was in contact with Friedrich Katz when he was a child? 299 He knew Friedrich but I don’t think that they were good friends. There were no enemies but I 300 think that they were not close. But there was someone else I think Oscar Römer. I think they 301 played Chess with him. Have you seen the movie “In der Fremde zu Haus”? There is everything 302 about Oscar Römer. 303 (1:06:34) Ende Tondatei

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