trag auch den letzten aufrech- ten Demokraten in Depressio- nen oder wenigstens zum Bier- stand treibt, bevor endlich ein Limousinen-Konvoi vorfährt. Blaulicht. Kurze Irritation. Wird’s ernst? Oh ja. Und wie’s jetzt gleich ernst wird. Ein halbes Dutzend Leib- wächter stürmt vor und sichert die Provinzbühne. Dann kom-

ANDREA ENDERLEIN / ACTION PRESS (L.); THOMAS LANGER (R.) PRESS (L.); THOMAS / ACTION ANDREA ENDERLEIN men auf einen Schlag ein Bun- desverdienstkreuz-Träger, der Krawattenmann des Jahres 2000, ein ZDF-Fernsehrat, der Freund der Noch-RTL-Kra- wallschnecke Bärbel Schäfer, ein Ex-Mitglied des CDU-Bun- desvorstands sowie der Vize- präsident des Zentralrats der Juden in Personalunion – Auf- tritt: Michel Friedman, 46. Da steht er nun, Dr. jur. aus am Main, solarium- gebräunt, ein Mann von – und aus einer – Welt, in der man Manschettenknöpfe und Ein- stecktücher zum dunkelblauen Dreiteiler trägt, und schaut ei- nen Augenaufschlag lang auf sein Publikum herab: junge Punks mit Bierflaschen, Ge- werkschafter mit „6,5%“-But- tons am Revers, die letzten ver- sprengten Alt-Hippies Mittel- frankens, alles dekoriert mit Wimpeln für Ver.di, Peace und Palästina. Spätestens da wird klar, dass Friedman sich gar nichts schenkt. Dass er dahin geht,

OLIVER STRATMANN / DPA (L.); EVENTPRESS HERRMANN / ACTION PRESS (R.) (L.); / ACTION EVENTPRESS HERRMANN / DPA STRATMANN OLIVER wo’s wirklich wehtut, nicht nur Selbstdarsteller Friedman*: Widersprüche, die keine mehr sind in seinen beiden Talkshows, die jede Woche im Hessen Fern- sehen und obendrein noch alle 14 Tage in KARRIEREN der ARD gezeigt werden. Die Gesprächsrunden inszeniert er mitt- lerweile als Inquisition, der sich deutsche Der deutsche Michel Politiker jeder Couleur in geradezu maso- chistischem Eifer unterziehen. Sie werden Er hat zwei eigene Talkshows und sitzt zurzeit dauernd von Friedman begrapscht und beschimpft, unterbrochen und überbrüllt, durchleuch- in anderen herum. Seit der Eskalation im tet und am Ende mit mephistophelisch- Nahen Osten ist Michel Friedman als Instanz gefragter als je zuvor. überheblichem Lächeln entsorgt. Sie ha- ben keine Chance. Die Quoten sind gut. nter ästhetischen Gesichtspunkten Ein Gewerkschafter hält sich mit lang- Im Urschlamm des Privatfernsehens ist der 1. Mai in Fürth bis 14.20 Uhr atmigen Streikaufrufen an seine „lieben blubberte eine Zeit lang die Krawallrunde Udie totale Katastrophe. Erst zieht befreundeten Freunde“ auf. Der nächste „Der heiße Stuhl“. Friedman hat das elek- eine Abordnung von NPD-Funktionären Redner hält sich lallend am Mikro fest. Ein trische Sofa erfunden. Er moderiert kein und Glatzköpfen durch die Straßen. An- Pastor hält eine Art Predigt. Und der Poli- Gespräch, sondern eine Hinrichtung samt schließend droht auf dem Bahnhofsplatz zeitrupp in Panzerwesten hält sich gelang- Anatomiestunde, die er Streitkultur nennt. auch noch die superbunte Gegen-Demo weilt aus allem raus. Nur die Polit-Leichen wechseln. für Weltfrieden, gegen Rassismus etc. Dann spielt eine Kapelle, die sich „Rohr- Am Abend vor Fürth sezierte er unter frei“ nennt, und schließlich sagt jemand anderem TV-gerecht den bayerischen CSU- * Oben links: mit Brandenburgs CDU-Innenminister Jörg vom Organisationskomitee, dass alle bitte Innenminister Günther Beckstein. Nach Schönbohm in der ARD-Talkshow „Friedman“; oben rechts: noch Geduld haben sollen, weil der der Show saßen sie einträchtig beieinander, am 1. Mai in Fürth; unten links: mit Israels Außenminister Hauptredner sich so ein bisschen verspätet. und Beckstein revanchierte sich mit einer Schimon Peres am 8. Mai 2001 in Frankfurt am Main; un- ten rechts: mit Partnerin Bärbel Schäfer am 9. September Zur Überbrückung gibt es jiddische Lie- Einladung. Wenn Friedman schon in Fürth 2001 bei der Eröffnung des Jüdischen Museums in Berlin. der, deren melancholisch-laienhafter Vor- sei, könne er sich doch gleich noch das

84 der spiegel 19/2002 Medien schöne neue „Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände“ im benachbarten Nürnberg zeigen lassen. Sich nichts schenken. Dahin gehen, wo’s wehtut. Friedman sagte zu. Also stand Beckstein um 11.30 Uhr in der Nürnberger Frühjahrssonne und war- tete artig – er hat ja sonst nichts zu tun – auf „den Mischäl“. Man duzt sich, man schätzt sich, professionell, irgendwie. „Der Mischäl“ sei „fair, weil er seine Gäste alle gleich schlecht behandelt“, lachte Beck- stein. Friedman kam wieder mal zu spät. Termine, Termine. Dann ging es blitzlichtumwittert in die düsteren Backsteinbrüche mit vielen Schautafeln und Filmen und Foto-Doku- menten. Innerhalb weniger Sekunden ver- wandelten sich Ausstellungsleiterin, Politi- ker und Lokaljournalisten in Schulkinder, die Angst vor den Fragen des Lehrers haben, weil sie ihre historischen Haus- aufgaben womöglich nicht richtig gemacht haben. Der Gast war unerbittlich: Wie viele Be- sucher kamen schon? Wie viele Jugendli- che? Stehen Zeitzeugen als Gesprächs- partner bereit? Warum wurde das Zentrum nicht viel früher …? Ja, äh, also … Friedman sagt, dass er seine Wirkung kennt. Er sagt, dass er sie zu vermeiden versucht. Er tut es nicht immer. Die Vergangenheit ist wie ein Parfum geworden, das ihn umwabert. Wohin er auch kommt, es riecht sofort nach schwers- ter Betroffenheit. Selbst auf dem Fürther Bahnhofsplatz, den er im Handstreich er- obert: Der Begriff des Rechtsradikalismus ist eine Verharmlosung … Applaus. Ich werde nicht hinnehmen … Applaus. Fried- man hat sie sofort. Er knallt die Faust auf das Stehpult. Seine Stimme schreit sich hei- ser. Wann beginnt die Ermordung von Menschen? Ohne Nürnberg hätte es kein Auschwitz gegeben … Wir haben uns längst wieder an zu viel gewöhnt. Ap- plausapplausapplaus. Es ist fast zu einfach hier. Er kann sich sein Publikum nicht aussuchen, obwohl ihn die Philosemiten oft mehr nerven als die Antisemiten, weil sie für ihre Haltung auch noch so was wie Dankbarkeit erwarten. Friedman redet immer frei. Er hat einen Setzkasten verbaler Bausteine parat, die er nach Belieben zu immer neuen Reden zusammensetzen kann. Und immer wird am Ende Entrüstung daraus – egal ob er vor 500 Leuten spricht oder vor einem Journalisten wie neulich in Berlin. Er wehte nur so durch die Tür des „Borchardt“, so einer Art gastronomischer Volksbühne der neuen Hauptstadt-Mitte. Auffälliger ging’s nicht mehr. Er kam eine halbe Stunde zu spät, aber er kommt immer und überall zu spät, weil sein Kalender proppenvoll ist, seit in Israel wieder die Höl- le los ist und in Europa Synagogen brennen. Der ganze Mann formvollendete Unver- bindlichkeit, gebeugt von der Erdschwere der spiegel 19/2002 85 Medien

ter den Linden“ (Phoenix) die Als er in Fürth – erschöpft vom Pathos „Flammen der Hoffnung“, die zur- der eigenen Passion – von der Bühne steigt, zeit „mit Blut gelöscht“ würden. murmelt ihm einer im Vorbeigehen total Verbal ist dem Mann kein Farbtopf mutig zu: „Freiheit für Palästina“. Fried- zu fett, um nicht beherzt reinzu- man dreht sich fast dankbar um und stellt greifen. den Mann zur Rede. Und für Israel – kei- Weil er nächstes Jahr auch noch ne Freiheit? Das will der Zwischenrufer die Präsidentschaft des Europäisch- „mitgedacht“ haben. Ah ja, mitgedacht. Jüdischen Kongresses übernimmt, Dann ist ja gut. Hört, hört! reiste Friedman zudem nach Brüs- Der Jude Friedman muss momentan ein sel, Tunesien, Marokko und in die Israel verteidigen, das von einem militaris- Türkei. Und zu Hause in Hessen tischen Betonkopf regiert wird. Dem Jour- nahm er sich noch Zeit für eine Dis- nalisten Friedman ist kein Politikerge- kussion mit Schülern, von denen schwätz zu seicht, um nicht doch noch dar-

AP ihn einer in den Nahen Osten in zu baden. Der Deutsche Friedman hat Jugendlicher Friedman, Juden-Retter Schindler* schicken wollte. sich mit dem Land der Täter als Wohnort „Auf einem Friedhof aufgewachsen“ „Warum gehen nicht Sie?“, ant- und Wirkungsstätte arrangiert. Der Intel- wortete Friedman. „Weil Sie Jude lektuelle Friedman hat eine Partnerin, in der Ereignisse. Die Augenlider chronisch sind.“ „Schicke ich Sie zum Vatikan, weil deren Talkshow die untersten Themen- auf Halbmast. Kosmopolit. Fünf-Sprachen- Sie Katholik sind? Nein, ich bleibe und Schubladen aufgerissen werden wie „Mit Sprecher. Man würde gern trotzig fragen, nerve die Leute hier.“ Er kann das gut: mir nicht! Dein Baby kannst du jemand weshalb seine Haare neuerdings nicht nerven. Gäb’s ihn nicht, müsste man ihn anderem unterschieben!“ am vergangenen mehr ganz so geliert wirken wie früher, als möglicherweise erfinden als hauptamtliche Montag. Der Politiker Friedman sitzt in ei- sie ihn den „Öl-Prinzen“ nannten. Nervensäge, wenn er nicht auch das schon ner Partei, die mit Slogans von Leitkultur Sollte man aber besser lassen, weil auf selbst erledigt hätte. bis „Kinder statt Inder“ alles konterkariert, jedes harmlose Einstiegs-„Wie geht’s?“ Es gab eine Zeit, da war Friedman wofür er selbst an Multikulti-Idealen steht. gleich ein fünfminütiger Vortrag über die durchaus scharf darauf, im leichteren Bou- Er ist voller solcher Widersprüche, die Komplexität des Krisenherds Nahost folgt, levard-Genre zur Kenntnis genommen zu aber keine mehr sind: Die Kontraste dienen den er nun eh dauernd erklären muss. Wer werden. Damals redete er auch mit der als Kulisse eigener Größe und Unabhän- will da noch Leichtes wie Stil- oder Part- „Bunten“ und zeigte sich bei den üblichen gigkeit. nerfragen klären? Events von der „Goldenen Kamera“ ab- Oder schlichter: Je blasser das Umfeld, Statt von Bärbel Schäfer erzählt er von wärts. Das sei vorbei. Er habe seine Rolle umso strahlender die Heldenrolle. Inso- seinen Eltern, die als polnische Juden von gefunden: als kompromissloser Streiter wi- fern ist er nun angekommen. Als mani- gerettet wurden, der spä- der Rückgratlosigkeit, Anpassertum und scher Mahner. Als Menschenfreund. Als ter in bei Friedmans ein- und aus- Konsensgesellschaft. gutes und schlechtes Gewissen im (Maß-) ging und für den kleinen Michel Anzug hat er seinen Unfrieden der lebende Beweis wurde, dass gefunden. Ein deutscher Michel „Man konnte nichts tun“ eine – hauptberuflich, ehrenamtlich. Notlüge war. Er sagt, dass er Nehmen wir mal an, jemand „auf einem Friedhof aufgewach- würde ihn einfach so nehmen, sen“ sei, weil 48 Angehörige sei- wie er ist: charmant finden oder ner Familie im KZ umgekom- doof oder klug oder eklig-eitel, men sind. Er spricht vom frühen was auch immer, jedenfalls ohne Verlust der eigenen Unschuld diese chronische Rücksicht auf angesichts der Tränen der El- sein Judentum. Wäre das für ihn tern. Nach zwei Stunden muss Erlösung oder Karriereknick? er zur nächsten Talkshow. Der größte Fortschritt, sagt er. In den vier Wochen zwischen Nur, was wäre Friedman dann? Berlin und Fürth liegen unge- Am Ende des Tages sitzt er in zählte Podiumsdiskussionen, In- einem kleinen Fürther Café, terviews, Auslandsreisen und und natürlich erkennen ihn alle. TV-Debatten. Im „Grünen Sa- Die Wirtin funkelt in goldbe- lon“ (N-tv) lieferte er sich der stickter Jacke heran. Sie bringt Bräsigkeit des Altherren-Duos Rhabarberkuchen und lächelt Erich Böhme/Heinz Eggert aus. verschwörerisch: „Selbst ge- Bei der politisch sonst sehr backen“. Ein Rentnerehepaar korrekten Bettina Böttinger in baut sich neben ihm auf, schüt- „B.trifft …“ (WDR) musste er telt ihm die Hand und sagt, wie kulinarische Souvenirs auf einer toll seine Talkshow sei. Jemand Frankreich-Landkarte verteilen. will ein Autogramm. Er sagt ge- Im Gästehaus der Bundesrepu- schmeichelt, dass er keine gibt. blik auf dem Bonner Petersberg Der Tag hatte wirklich alles: debattierte er mit Bazon Brock, Rassismus und Sahne-Baiser, der sich Ästhetik-Professor nennt. Betroffenheit und Bodyguards, Dem Christbaumkugelkopf Bo- Friedman in der Frühlingsson- do Hauser beschrieb er „Un- ne zwischen alten Damen in bunten Twinsets. Für einen Mo-

* Bei Friedmans Bar-Mizwa-Feier 1969 in FACE TO / FACE MIEBACH ment sieht er unglaublich glück- Tel Aviv. Friedman in seiner Frankfurter Wohnung: Manischer Mahner lich aus. Thomas Tuma

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