SPIEGEL: Herr Stoiber, Sie haben im Januar gesagt, Deutschland werde nach den Land - tagswahlen anders aussehen. Fühlen Sie sich bestätigt? Stoiber: Ja, leider. Wenn die Union in Ba - den-Württemberg und Rheinland-Pfalz, in zwei Stammländern, das schlechteste Er - gebnis seit dem Zweiten Weltkrieg einfährt und in Sachsen-Anhalt ihr zweitschlech - testes nach der Wiedervereinigung, dann ändert sich was. Dann muss aber die CDU auch was verändern. SPIEGEL: Sagen Sie. Die Kanzlerin ist ande - rer Meinung. Stoiber: Die stellvertretende CDU-Vorsitzen - de Ursula von der Leyen hat sich am Wahl - abend in die Talkshow gesetzt und einem staunenden Publikum sinngemäß erklärt, die Politik Angela Merkels sei durch die Wahl von und bestätigt worden, weil sie den Flücht - lingskurs der Kanzlerin unterstützt hätten. SPIEGEL: Hat sie nicht recht? Stoiber: Ich sag mal so: Das ist der Ausdruck einer Art Einheitspartei, den die CSU so nie mitmachen wird. Im Interesse unserer Geschichte und im Interesse unserer Zu - kunft. Wer so etwas sagt, muss auch sagen: Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Menschen, die Angela Merkels Flüchtlingspolitik unterstützen. Es gibt kei - ne Unterschiede mehr. SPIEGEL: Wie interpretieren Sie das Wahl - ergebnis? Stoiber: Natürlich ist die Flüchtlingsfrage die emotional bewegendste Frage seit vie - len Jahren. So eine aufgeladene Debatte habe ich zum letzten Mal beim Streit um die Ostverträge Anfang der Siebzigerjahre erlebt. Die Bundesregierung hat diese Emotionalität total unterschätzt und nicht angemessen reagiert. SPIEGEL: Merkel vermittelt immer noch den Eindruck, als würde der Erfolg der AfD sie nicht sonderlich berühren. Stoiber: Ich glaube, ein paar Leitplanken von Franz Josef Strauß haben zeitlose Gültig keit. Ich saß 1986 als sein Leiter der Staatskanzlei mit am Vorstandstisch. Bei der Landtagswahl hatten die rechten Re - publikaner zum Entsetzen von Strauß drei Prozent geholt. Seine Position war eindeu - tig: Wir dürfen nie zulassen, dass rechts von uns eine demokratisch legitimierte Par - tei entsteht. Das darf es nicht geben. Die - ser Satz gilt für die CSU bis heute. SPIEGEL: Für die CDU auch? Stoiber: Das glaube ich nicht. Ich habe ihn von Generalsekretär Peter Tauber nie ge - „Das machen wir nicht mit“ hört, nie von , nie von Peter Altmaier. Ich glaube auch, dass ihnen die -

L ser Satz fremd ist. E G

SPIEGEL-Gespräch CSU-Veteran Edmund Stoiber, 74, verlangt von E I SPIEGEL: Was ist für Sie „rechts“? P S

R Stoiber: Nur um eines klarzustellen: Es geht der Schwesterpartei Konsequenzen aus dem Desaster E D

/ nicht um Rechtsextremisten wie die NPD, R

bei den Landtagswahlen und will die CDU nach rechts rücken. Y A

M sondern um eine demokratisch legitimierte

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T rechte Partei. E I D 38 DER SPIEGEL (* / )'(+ Deutschland

SPIEGEL: Noch einmal: Was ist für Sie len denn so viele Menschen diese Partei? „rechts“? Doch nicht, weil sie deren Programm ge - Stoiber: Ich rede nicht über rechts, sondern lesen haben oder glauben, die AfD könne über Mitte-rechts. Das Familienbild zum die Probleme lösen. Beispiel. Selbst wenn sich viele neue Fa - SPIEGEL: Sondern? milienformen gebildet haben, ist die tradi - Stoiber: Weil sie sagen: so nicht. Sie wollen tionelle Familie immer noch in der Mehr - ihren Protest ausdrücken. Jetzt geht es da - heit. Die Menschen sagen: Ihr redet über rum, ob wir das aufnehmen oder nicht, Genderpolitik, ihr redet über die Quote und ich sage ganz deutlich: Die CSU wird für Aufsichtsräte. Das ist aber für die Ver - das aufnehmen … käuferin relativ unwichtig. SPIEGEL: … und weiter nach rechts rücken? SPIEGEL: Angela Merkel hat die CDU in den Stoiber: Darum geht es doch nicht, aber die letzten Jahren in die Mitte gerückt und da - Menschen wollen ernst genommen wer - mit der SPD Stimmen abgenommen. Kann den. Deshalb geht jetzt an sie diesen Kurs beibehalten und gleichzei - die Basis und macht eine große Bürger- tig verhindern, dass rechts von der Union diskussion. Das ist für mich die einzige Ant - eine neue Partei entsteht? wort. Ich muss zu den Leuten gehen und Stoiber: Das ist eine Diskussion, die in der fragen: Ja, komm, was beschwert euch? CDU geführt werden muss, aber sie wird Lasst uns drüber reden. Wir müssen sagen: von uns natürlich massiv begleitet. Die anderen haben keine Lösung, aber wir SPIEGEL: In welche Richtung? haben eine. Selbst wenn sie komplex und schwierig ist. Und ich sage Ihnen, die De - „Glauben Sie, dass wir in batte wird noch sehr viel größer. SPIEGEL: Was befürchten Sie? der Opposition einen Stoiber: Zwei Dinge: Wir werden mit der größeren Einfluss haben AfD eine nationale Komponente in die Aus - einandersetzung bekommen und eine Art als in der Regierung?“ linke Politik von rechts. Das spürt doch auch Frau Wagenknecht, die mit ihrem Mann Stoiber: Dass die Positionen der CSU auch schon jetzt ganz andere wieder Positionen der CDU werden … Töne anschlägt als der Rest der Linken. SPIEGEL: … und die CDU ihre bisherige Aus - SPIEGEL: Sie sollten überlegen, die beiden richtung nach links rückgängig macht? in die CSU aufzunehmen. Stoiber: Ja, in gewisser Weise geht es auch Stoiber: Nein, ich will ja nur auf die Ver- um eine Kursänderung. änderung der Debatte hinweisen. Es geht SPIEGEL: Merkels Methode, die Emotionen nicht mehr um links oder um rechts, son - aus dem Wahlkampf zu nehmen und die dern um eine völlig neue Definition der Themen der Gegner zu besetzen, war sehr politischen Auseinandersetzung. Es geht erfolgreich. Bei der letzten Bundestags - um oben oder unten. Wieso gibt es immer wahl holte sie damit 41,5 Prozent. mehr Menschen, die den Berliner Politik - Stoiber: Diese asymmetrische Demobilisie - betrieb für eine Eliteveranstaltung halten, rung mag unter Umständen zu Wahlerfol - in die sie sich überhaupt nicht einbringen gen führen. Für die demokratische Aus - können? Und Brüssel gilt natürlich als einandersetzung ist sie nicht gut. Weil die noch schlimmer. Diese Frage muss man Menschen nicht mehr wissen, für was die sich stellen. Parteien stehen und was die großen Un - SPIEGEL: Was ist die Antwort? terschiede sind. Aber damit ist es ohnehin Stoiber: Ich muss an die Leute ran. So wie vorbei: Die Demobilisierten sind höchst es Horst Seehofer jetzt macht, indem er mobilisiert – nur für andere Parteien als pausenlos von Kreisverband zu Kreisver - vorher. Wenn Grüne und Linke die Flücht - band reist. Wir können nach einem sol - lingspolitik von Angela Merkel loben und chen Wahlergebnis nicht einfach weiter - die CSU dafür hart angreifen, dann geht machen, als wäre nichts geschehen, so wie das für die Union nicht gut. es jetzt CDU, SPD und Grüne machen. SPIEGEL: Soll die Union inhaltlich auf die Wir müssen anders kommunizieren. AfD zugehen? SPIEGEL: Das heißt? Stoiber: Nein, aber die Wahl war eine klare Stoiber: Wir erreichen einen Teil der Men - Protestnote, und jetzt stehen wir vor der schen gar nicht mehr. Viele sagen uns: In Frage, ob wir den Protest ernst nehmen den Talkshows reden Journalisten, die teu - oder sagen, er interessiert uns nicht. Die er und gut ausgebildet sind, mit Politikern, CSU nimmt ihn ernst, während die CDU die auch teuer und gut ausgebildet sind. über diese Protestnote oft mit dem Argu - In einer Sprache, die sie nicht verstehen, ment hinweggeht, die AfD sei rechtsradikal. und sie werden auch nicht gefragt. Das ist SPIEGEL: Wer dem AfD-Rechtsaußen Björn das Gefühl. Und dieses Gefühl führt auch Höcke zuhört, wird diese Einschätzung dazu, dass Menschen sagen, diese CDU ist teilen. nicht mehr die CDU, die ich kenne. Stoiber: Das Problem ist nur, dass die AfD SPIEGEL: Klingt so, als trauerten Sie den gu - nicht nur aus Höckes besteht. Warum wäh - ten alten Zeiten nach.

DER SPIEGEL (* / )'(+ 39 Wenn nicht, hätten wir in einer substan - ziellen Frage zwei unterschiedliche Auf - fassungen. SPIEGEL: Dann müsste die CSU ihre Minister aus der Koalition abziehen. Stoiber: Ach, das sind doch olle Kamellen, Minister abziehen oder bundesweite Aus - dehnung der CSU. Glauben Sie, dass wir in der Opposition einen größeren Einfluss haben als in der Regierung? Man muss sei - ne Meinung in der Regierung deutlich dar - S

R stellen. Wir haben ein Mandat der Bevöl - E T U

E kerung. Ich kann nicht wie der Papst sagen, R

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A ich vertrete hier nur die wahre Lehre. C I R U

J SPIEGEL: Wird sich die CSU am Ende hinter D

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K einer Kanzlerkandidatin Merkel versam - R A

M meln, egal wie? Flüchtlinge an der griechisch-mazedonischen Grenze: „Der Preis ist hoch, aber nicht zu hoch“ Stoiber: Wir wollen mit ihr. Aber wir wollen auch, dass sie ihre Politik noch deutlicher Stoiber: Unsinn. Natürlich kann man sagen, gute Interviews, die haben in Europa aber in unsere Richtung ändert. die CDU ist eine Volkspartei, sie hat sich leider keine Wirkung. Mir geht es doch da - SPIEGEL: Und das, was sie in den Verhand - verändert, und sie muss sich verändern. rum, den Leuten zu zeigen, dass wir sie lungen mit der Türkei erreicht hat, genügt Aber wissen Sie, was das Problem ist? Ein ernst nehmen. Sonst sagen sie: Die, die Ihnen nicht? Großteil der Wähler hat sich nicht ver- wir gewählt haben, haben keine Macht, Stoiber: Das war wichtig. Der sogenannte ändert. Es gibt sie noch, die Menschen, die und die, die Macht haben, haben wir nicht humanitäre Imperativ, der deutsche Allein - die alte CDU suchen. Wie kriege ich diese gewählt. gang, das ist nach dem Türkei-Deal Ge - Leute? Es ist eine strategische Frage: Ak - SPIEGEL: Wie wollen Sie Frau Merkel von schichte. Aber viele Fragen sind noch völ - zeptiert die CDU neben sich eine bundes - dieser Kursänderung überzeugen? Wann lig offen, etwa die EU-weite Verteilung weite Mitte-rechts-Partei? ist der Punkt gekommen, ihr die Gefolg - oder der Umgang mit neuen Flüchtlings - SPIEGEL: Wobei Sie doch selbst befürchten, schaft aufzukündigen? routen. Und jetzt müssen wir erst einmal dass die AfD eine linke Politik von rechts Stoiber: Es geht nicht um Angela Merkel. sehen, ob sich der türkische Staatspräsi - machen könnte? Es geht nicht um eine personelle Ausein- dent Erdoğan an die Verträge hält. Stoiber: Ja, sie ist gegen die Globalisierung, andersetzung. Es geht nicht um Strauß ge - SPIEGEL: Sie zweifeln daran? sie ist gegen TTIP. Was eigentlich ein Pri - gen Kohl. Es geht um eine echte, inhalt - Stoiber: Ich hoffe schon, dass Erdoğan ver - vileg der Linken ist. Jetzt kommt auch von liche Frage, um die richtige Flüchtlings - tragstreu ist, aber in dem Land tobt ein rechts ein Angriff auf das geplante Frei - politik. Bürgerkrieg, und es gibt einen schweren handelsabkommen. Das ist völlig neu. SPIEGEL: Aber da stehen sich die Haltungen Konflikt mit Syrien. Es ist eben ein Pro - Dass eine neue Partei sagt, wir sind für unversöhnlich gegenüber. blem, wenn die Europäische Union ihre die kleinen Leute, für die Abgehängten. Stoiber: Ja, richtig. Zwischen CDU und Grenzen im Osten nicht allein schützen Das Thema dürfen wir nicht der AfD über - CSU muss eine Debatte geführt werden. kann und auf die Hilfe der Türkei ange - lassen. Und ich sage Ihnen, was als Nächs - SPIEGEL: Die findet ja statt. wiesen ist. tes kommen wird. Stoiber: Sie muss verbreitert und nicht nur SPIEGEL: War der Preis, den die EU für die SPIEGEL: Und? in der Fraktion geführt werden. Die CDU Einigung gezahlt hat, zu hoch? Stoiber: Wer entscheidet eigentlich, dass ich sollte Horst Seehofer auf ihre Landespar - Stoiber: Das hängt davon ab, wie sich die als Sparer überhaupt keinen Zins mehr be - teitage einladen, damit er da die Dinge dar - Türkei jetzt verhält. komme? Wer entscheidet das? Ich bin mir legen kann. Am Ende bietet die nächste SPIEGEL: Gesetzt den Fall, sie hält sich an sicher, dass das ein politisches Thema wird. Bundestagswahl die große Chance, dass wir die Vereinbarung. SPIEGEL: Es gibt nur ein Problem dabei. eine einheitliche Position bekommen. Stoiber: Dann ist der Preis zwar hoch, aber Über die Zinsen entscheidet nicht Berlin, nicht zu hoch. Denn faktisch ist die Türkei sondern die Europäische Zentralbank. Teil der Lösung. Stoiber: Ja, aber soll ich diese Frage deshalb SPIEGEL: Merkels Kurs ist also alternativlos? nicht diskutieren? Das ist, mit Verlaub, Stoiber: Es sei denn, man würde Griechen - eine gewaltige politische Frage. Da kann land aus dem Schengenraum und aus der ich nicht formal mit der Zuständigkeit der Europäischen Union entlassen. Aber das EZB argumentieren. Die Menschen wollen will keiner. Sie merken ja, ich bin ein älte - Antworten. rer Herr … SPIEGEL: Die ehrliche Antwort würde sein: SPIEGEL: … dem bei diesem Thema erkenn - Da können wir gern drüber reden, aber bar der Blutdruck steigt. ändern können wir leider nichts. Stoiber: Das kommt, wenn man mit seiner L E

Stoiber: Dann muss ich mir eben überlegen, G ganzen Erfahrung auf etwas blickt, was E I P S was ich machen kann. Warum gibt es keine man lange mitgestaltet hat. Und erlebt, R E D

Stellungnahme der Bundesregierung? Wa - / wie ein Mann wie der CSU-Chef von allen

R Y rum ist die Stellung des Bundesbankpräsi - A Seiten angegriffen wird. Dabei bin ich mir M

R denten in der EZB so schwach? Er gibt E in einem Punkt sicher: Horst Seehofer er - T E I

D füllt eine historische Mission. * Ralf Neukirch und Konstantin von Hammerstein in Stoiber, SPIEGEL-Redakteure* SPIEGEL: Herr Stoiber, wir danken Ihnen für München. „Es geht um eine Kursänderung“ dieses Gespräch.

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