Tätigkeitsbericht des Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten 3. Amtsjahr April 2020 – April 2021

Inhalt

Vorwort des Beauftragten 5 Lebenslauf von Prof. Dr. , MdB 6 I. Die Arbeit des Beauftragten unter ­Pandemie-Bedingungen 7 II. Vertriebene, Aussiedler und Spätaussiedler 10 1. Politische Vertretung im Bereich der Aus­siedler und Spätaussiedler 10 2. Vorsitz im Beirat für Spätaussiedlerfragen 15 3. Ansprechpartner für Selbstorganisationen der Vertriebenen und (Spät-)Aussiedler 16 4. Vertriebenenpolitik 17 5. Kriegsfolgenrecht 20

III. Deutsche Minderheiten im Ausland 24 1. Deutsche Minderheiten in Staaten der ehemaligen Sowjetunion 26 1.1. Deutsche Minderheit in der Russischen Föderation 28 1.2. Deutsche Minderheit in der Republik Kasachstan 29 1.3. Deutsche Minderheit in der Ukraine 31 1.4. Deutsche Minderheit in der Kirgisischen Republik 33 1.5. Deutsche Minderheit in der Republik Usbekistan­ 34 1.6. Deutsche Minderheit im Baltikum 35 1.7. Deutsche Minderheit in Georgien 36 2. Deutsche Minderheiten in Europa 36 2.1. Deutsche Minderheit in Ungarn 37 2.2. Deutsche Minderheit in Polen 37 2.3. Deutsche Minderheit in Rumänien 39 2.4. Deutsche Minderheit in anderen Staaten Mittelost- und Südosteuropas 42 2.5. Königreich Dänemark 44 IV. Nationale Minderheiten in Deutschland und Sprachgruppe Niederdeutsch 46 1. Dänische Minderheit 48 2. Friesische Volksgruppe 50 3. Sorbisches Volk 52 4. Deutsche Sinti und Roma 55 5. Regionalsprache Niederdeutsch 59

Impressum 62 4 TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021 TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021 5

Vorwort des Beauftragten

Mit diesem Bericht informiere ich über meine Tätig- ihrer deutschen Muttersprache und ihres tradierten keit in meinem dritten Amtsjahr als Beauftragter der Brauchtums gehört neben der zwischenstaatlichen Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale politischen Interessenvertretung zu meinen Haupt- Minderheiten. Im gesamten Berichtszeitraum ist aufgaben. Für die Minderheiten ist ein lebendiger meine Tätigkeit als Bundesbeauftragter stark von der Austausch untereinander unverzichtbar, um ihre kul- weltweiten COVID-19-Pandemie geprägt. turelle Selbstverortung zu leben und an die nächste Generation weiterzugeben. Die COVID-19-bedingten Als Bundesbeauftragter bin ich für die Anliegen und Einschränkungen, beispielsweise Reise- und Präsenz- Politikbereiche von drei unterschiedlichen Personen- veranstaltungsverbote, treffen die deutschen Minder- kreisen zuständig: für die Vertriebenen, Aussiedler heiten daher besonders hart. Als Beauftragter war es und Spätaussiedler, für die deutschen Minderheiten mir wichtig, die Minderheiten darin zu unterstützen, im Ausland und für die vier anerkannten nationalen ihre Projektarbeit auch unter COVID-19-Bedingun- Minderheiten in Deutschland sowie die Sprecher- gen aufrechtzuerhalten. Über das Ergebnis dieser gruppe Niederdeutsch. erfolgreichen Anstrengungen und über beispielhafte Projekte informiere ich auf den nachfolgenden Seiten. In der Aussiedler- und Vertriebenenpolitik konnte ich den Abschluss der kriegsfolgenrechtlichen Anerken- Ähnlich einschneidend ist die COVID-19-Situation nungsleistung für die zivilen deutschen Zwangsarbei- für die in Deutschland traditionell beheimateten ter mit einer symbolischen Aushändigung der letzten nationalen Minderheiten: für die dänische Minder- beiden Bescheide an ein betroffenes Ehepaar mar- heit, für die friesische Volksgruppe, für das sorbische kieren. Damit wurde ein wesentliches Anliegen der Volk und für die deutschen Sinti und Roma, aber auch Vertriebenenverbände und Betroffenen erfolgreich für die Sprecher der Regionalsprache Niederdeutsch. zu Ende gebracht. Von großer aussiedlerpolitischer Hier konnte die Minderheitenarbeit in den Beraten- Dringlichkeit ist für mich auch im dritten Amtsjahr den Ausschüssen, deren Vorsitz ich als Beauftragter die Beendigung der personenkreisspezifischen Be- führe, durch digitale Formate uneingeschränkt nachteiligungen im Rentenrecht für Aussiedler und fortgeführt werden. Zudem ist es den Minderheiten Spätaussiedler. Als Beauftragter habe ich mich dafür gelungen, durch vielfältige, z. B. digitale Projektideen, eingesetzt, auch diese Personenkreise bei der Aus- die ich mit Nachdruck unterstützt habe, ihre eigene gestaltung der sog. Grundrente zu berücksichtigen. sprachliche, kulturelle und geschichtliche Identität Gleichwohl sind damit noch nicht alle rentenrecht- zu befördern. Auch darüber möchte ich nachfolgend lichen Benachteiligungen dieses Personenkreises informieren. beseitigt. Deshalb setze ich mich in allen politischen Verhandlungen, bei denen ich als Beauftragter der Es ist mein Wunsch, Sie mit meinem Bericht nicht nur Bundesregierung für Aussiedlerfragen beteiligt bin, über die vielfältige Aussiedler- und Minderheitenar- für eine flankierende fremdrentenrechtliche Lösung beit des Beauftragten zu informieren, sondern auch ein. Bei den derzeit andauernden Ressortbesprechun- Ihre Begeisterung für den unschätzbaren Reichtum gen um einen sog. „Härtefallfonds“ trete ich dafür zu wecken, der in der sprachlichen, geschichtlichen ein, dass Aussiedler und Spätaussiedler angemessen und kulturellen Identität der von mir als Vertreter der berücksichtigt werden und die bestehende soziale Bundesregierung betreuten Personenkreise liegt. Ungerechtigkeit nicht durch eine schlechte Fonds-­ Lösung zementiert wird. Hier bleibt noch einiges bis zum Ende der Legislaturperiode zu tun. Ihr

Als Beauftragter bin ich auch für die Anliegen der deutschen Volkszugehörigen in den Staaten der ehe- maligen Sowjetunion und in Europa, vor allem in den Staaten Mittelost- und Südosteuropas, verantwortlich. Die Förderung ihrer eigenen kulturellen Identität, Prof. Dr. Bernd Fabritius 6 TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021

Lebenslauf von Prof. Dr. Bernd Fabritius, MdB

Prof. Dr. Bernd Fabritius, Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten

■ Prof. Dr. Bernd Fabritius wurde am 14. Mai 1965 im ■ Von 2007 bis März 2014 war Prof. Dr. Bernd Fabriti- siebenbürgischen Agnetheln (Rumänisch: Agnita) us Bundesvorsitzender des Verbandes der Sieben­ geboren und siedelte 1984 gemeinsam mit Eltern bürger Sachsen in Deutschland e. V. sowie Präsi- und Geschwistern in die Bundesrepublik Deutsch- dent der weltweiten Föderation der Siebenbürger land aus. Sachsen. Seit 2010 Vi­ze­prä­si­dent des Bundes der Vertriebenen, wurde er 2014 zu dessen Präsident ■ Nach dem Studium der „Staatlichen Sozialwissen- gewählt. schaft“ an der Bayerischen Beamtenfachhoch- schule Hof wurde er als Beamter in den Dienst des ■ Seit 2010 ist Prof. Dr. Bernd Fabritius stellvertreten- Freistaates Bayern übernommen und im Bereich der Landesvorsitzender der Union der Vertriebenen der Landesversicherungsanstalt Oberbayern (LVA) und Aussiedler der CSU und stellvertretender Vor- eingesetzt. sitzender des Bundesvorstands der Ost- und Mittel­ deutsche Vereinigung von CDU und CSU. Von 2013 ■ Neben dieser Tätigkeit studierte er Politikwissen- bis 2017 gehörte er dem Deutschen schaften an der Hochschule für Politik München. an. Am 11. April 2018 wurde er auf Vorschlag des Nach Abschluss dieses Studiums 1991 ließ er sich Bundes­ministers des Innern vom Bundeskabinett als gerichtlich zugelassener Rentenberater (Sozial- als Beauftragter der Bundesregierung für Aussied- rechtsbeistand) nieder. lerfragen und natio­nale Minderheiten berufen.

■ Von 1991 bis 1994 studierte er Rechtswissenschaft ■ Seit 22.März 2021 ist Bernd Fabritius Mitglied des an der Ludwig-Maximilians-Universität München Deutschen Bundestages. und legte das I. Staatsexamen ab, 1996 absolvierte er das II. Staatsexamen. 2003 wurde er in einem Kooperationsverfahren der Universitäten Tübin- gen und Hermannstadt (Sibiu) im Europäischen ­Verwaltungsprozessrecht promoviert. Seit 1997 ist er als Rechtsanwalt zugelassen. TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021 7

I. Die Arbeit des Beauftragten unter Pandemie-Bedingungen­

Im Berichtszeitraum war die Tätigkeit des Beauftrag- den durch den Beauftragten betreuten Personen­ ten für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten kreisen ihre Anliegen­ direkt und unkompliziert sehr stark durch die weltweite COVID-19-Pandemie vortragen konnten. Beispielsweise meldete sich aus geprägt. Eine Vielzahl von Veranstaltungen ist aus- dem westsibirischen Omsk, wo noch heute rund gefallen oder wurde in den digitalen Raum verlegt; 50.000 Russlanddeutsche leben, eine Anruferin und Reisen, insbesondere zu den deutschen Minderheiten ­schilderte die besonderen Herausforderungen des in Ost- und Mitteleuropa und den Staaten der ehe- Lebens der Deutschen in der sibirischen Diaspora- maligen Sowjetunion, waren aufgrund der allgemei- situation in Zeiten der Pandemie und erkundigte sich nen Reisebeschränkungen nur in Ausnahmefällen danach, ob die sozialen Hilfen der Bundesregierung möglich. Die Pflege der persönlichen Kontakte des trotz der aktuellen Krisensituation weiter geleistet Beauftragten zu den heimatverbliebenen Deutschen werden können. Der Bundesbeauftragte versicherte, und ihren Interessenvertretern ist von großer Wich- dass die Maßnahmen der Bundesregierung für alle tigkeit für die Arbeit des Beauftragten, der sich durch in den Aussiedlungsgebieten verbliebenen Deutschen seine Reisetätigkeit und persönliche Begegnungen ein ohne Einschränkungen aufrechterhalten und auch authentisches Bild vom Leben und der Situation der künftig umgesetzt werden. Des Weiteren bekunde- deutschen Minderheiten vor Ort machen kann und ten mehrere hoch­be­tagte Anrufer ihre Dankbarkeit dort als Ansprechpartner der Bundesregierung für für die Anerkennung ihres kriegsfolgenbedingten unsere Landsleute erreichbar ist. Schicksals durch die Leistung nach der sogenannten „ADZ-Richtlinie“. Andere Anrufer stellten Fragen zur Um den unmittelbaren Kontakt mit den Heimatver- Bekämpfung des Antiziganismus, zur besonderen bliebenen, aber auch mit Spätaussiedlern und Ange- Situation der Altersversorgung von Aussiedlern und hörigen der nationalen Minderheiten in Deutschland Spätaussiedlern oder zu den derzeitigen Einreise- trotz Reisebeschränkungen aufrechtzuerhalten, hat möglichkeiten für Spätaussiedler, die bereits einen Bundesbeauftragter Fabritius mehrere Telefon- gültigen Aufnahmebescheid erhalten haben. sprechstunden eingerichtet, in denen Bürger aus

Beauftragter Fabritius im Gespräch 8 TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021

75. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges

Das Jahr 2020 ist im Zusammenhang mit dem Im neu geordneten Osteuropa litten die Heimat­ 75. Jahrestag­ des Endes des Zweiten Weltkrieges für verbliebenen noch Jahrzehnte nach dem Krieg unter den Beauftragten der Bundesregierung für Aussied- Stigmatisierung und Ausgrenzung. Der Vorwurf der lerfragen und nationale Minderheiten von großer Kollaboration und vielfache Ausgrenzungen zersetz- erinnerungskultureller Bedeutung. ten die Beziehungen zu Angehörigen der jeweiligen Mehrheitsgesellschaften, zu Nachbarn und vormali- Beauftragter Fabritius erinnert zum 75. Jahrestag des gen Freunden. In vielen Ländern wurde der Gebrauch Kriegsendes an das Leid der Heimatvertriebenen und der deutschen Sprache verboten oder anderweitig ein- Heimatverbliebenen: geschränkt. Die Folgen davon wirken auch heute noch in den deutschen Gemeinschaften in Mittel- und Ost- „Es ist nun 75 Jahre her, dass der furchtbringende Ter- europa sowie den Staaten der früheren Sowjetunion ror des nationalsozialistischen Regimes in Deutsch- spürbar nach, kulturelle Identität ist in Bedrängnis. land, Europa und der Welt beendet wurde. Unvorstell- Beschädigte Sprachkompetenz muss mühsam wieder- bare Verbrechen wurden sowohl an die im Namen aufgebaut werden. Deutschlands begangen. Die Erinnerung sowohl an die Shoa als auch an die Verfolgung und Er­mordung Erstaunlich und bemerkenswert ist, dass die Heimat- anderer gesellschaftlicher Gruppen – ich erinnere vertriebenen bereits 1950, von Anfang an, in ihrer beispielsweise an die barbarische Verfolgung der „Charta der Heimatvertriebenen“ den Kreislauf von Sinti und Roma in ganz Europa mit geschätzt 500.000 Rache und Vergeltung unterbrochen und stattdessen Todesopfern - muss fortwährende Bemühung von den Blick nach vorn auf ein versöhntes und geeintes Politik und Gesellschaft in Deutschland sein. Europa richteten. Die „Charta der Heimatvertriebe- nen“ ist eines der bedeutendsten Gründungsdoku- Für die Millionen deutscher Vertriebenen, Flücht- mente der jungen Bundesrepublik und ein beacht­ linge, Deportierten, aber auch für die Heimatverblie- liches Manifest zukunftsweisender Friedensarbeit benen bleibt das Ende des Zweiten Weltkrieges neben und europäischer Verständigung. seiner vielfach befreienden Wirkung leider auch im- mer schmerzhaft mit der Erinnerung an Flucht und Die Bundesregierung bekennt sich uneingeschränkt Vertreibung, an Deportation und Zwangsumsiedlung, zum besonderen Kriegsfolgenschicksal der deutschen an Verfolgung, Entrechtung und Diskriminierung Heimatvertriebenen und Heimatverbliebenen und verbunden. Als Reaktion auf die Verbrechen des Hit- zur Einstandspflicht Deutschlands dafür. ler-Regimes wurden sie allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit kollektiv in die Verantwortung für das Bis heute kommt die Bundesrepublik Deutschland mit begangene Unrecht der Nationalsozialisten genom- der Aufnahme und Wiederbeheimatung von Aussied- men. Menschheitsverbrechen folgte auf Menschheits- lern und Spätaussiedlern, aber auch mittels der identi- verbrechen. Unrecht folgte auf Unrecht. tätsstiftenden Förderung der in ihren traditionellen Siedlungsgebieten verbliebenen deutschen Minder- Millionen Deutsche verloren ihre Heimat und Vieles, heiten ihrer Verantwortung für ihr besonderes Kriegs- was Heimat ausmacht. Millionen Deutsche kamen folgenschicksal nach. Ein besonderes Augenmerk liegt während der ethnischen Säuberungen ums Leben. hierbei auf der Sicherung muttersprachlicher Kompe- tenz, auf einer zukunftsorientierten Jugend­arbeit sowie auf einer Stärkung der Brückenfunktion. TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021 9

75 Jahre nach Kriegsende befinden wir uns in einer Gelingt dies generationenübergreifend, liegt darin Zeit des Übergangs. Es leben nur noch wenige Zeit- auch ein Sieg über das damalige Nachkriegsunrecht: zeugen, die uns von diesen historischen Ereignissen Wo immer heute russlanddeutsches Plautdietsch berichten können. Ohne persönlichen Bezug droht oder siebenbürgisch-sächsischer Dialekt gespro- Geschichte zu verblassen. Das Unrecht der Nach- chen, Lieder­ aus Schlesien gesungen oder böhmische­ kriegsgeschichte, die ethnischen Säuberungen, Flucht Spezia­litäten zubereitet werden, wird dieser­ und Vertreibung der Deutschen sowie ihre Entrech- Unrechts­geschichte etwas entgegengehalten und an tung, Ausgrenzung und Kollektivdiskriminierung in einem Europa des Friedens, der Verständigung und den Staaten des Ostblocks dürfen keine Randnotizen der kulturellen Vielfalt gebaut. Und auch das Fort­ der Geschichte werden. Daher rufe ich dazu auf, die bestehen der nationalen Minderheit der deutschen Erinnerung daran mahnend und als Grundlage besse- Sinti und Roma in der Bundesrepublik Deutschland, rer Erkenntnis wachzuhalten. Kultur und Geschichte für das ich sehr dankbar bin, zeigt, dass die ideolo­ der deutschen Heimatvertriebenen und der Heimat- gischen Verbrechen des 20. Jahrhunderts nicht das verbliebenen sind auch 75 Jahre nach Kriegsende letzte Wort haben werden.“ identitätsstiftender Teil unserer Gesamtgesellschaft.

Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Jahr 1951 10 TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021

II. Vertriebene, Aussiedler und Spätaussiedler

1. Politische Vertretung im Bereich der Aus­ Im Berichtszeitraum stand die Aufnahme von Spät- siedler und Spätaussiedler aussiedlern unter den Bedingungen der weltweiten COVID-19-Pandemie vor besonderen Herausfor- Mehr als 4,5 Millionen (Spät-)Aussiedler sind seit den derungen. Die Bundesregierung hat hierbei stets 1950er-Jahren nach dem Bundesvertriebenengesetz in mit Blick auf die Verantwortung Deutschlands für der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen wor- das Kriegsfolgenschicksal der Aussiedler und Spät- den – davon ca. 2,1 Mio. aus den Staaten Osteuropas aussiedler ihre uneingeschränkte Bereitschaft zur und ca. 2,4 Mio. aus den Staaten der früheren Sowjet- Fortsetzung der Aufnahme betont. Der Bundesbeauf- union. Die Aufnahme und gesellschaftliche Wieder- tragte konnte somit in gemeinsamer Anstrengung beheimatung der Aussiedler und Spätaussiedler ist mit dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Teil der besonderen Verantwortung Deutschlands Heimat erwirken, dass der Zuzig von Spätaussiedlern für den Zweiten Weltkrieg und seine unmittelbaren durch Ausnahmeregelungen möglich blieb und der Folgen. Dies umfasst auch die Solidarität mit den Gesundheitsschutz von Spätaussiedlern und Bevölke- verbliebenen Deutschen in den Aussiedlungsgebie- rung durch eine gelungene Zusammenarbeit mit den ten, deren leiderfülltes Schicksal im 20. Jahrhundert Ländern und Kommunen vor Ort jederzeit gewähr- durch den Zweiten Weltkrieg geprägt wurde. Nach leistet war. einer Hochphase von Zuzügen in den Jahren nach dem Ende des Ost-West-Konflikts 1989/1990, in denen Hierzu Beauftragter Fabritius: „Ich bin sehr erfreut, jährlich Hunderttausende Aussiedler nach Deutsch- dass es uns gemeinsam gelungen ist, in dieser an- land zurückkehrten, hat sich die Zahl der zuziehen- spruchsvollen Zeit das Tor für unsere Landsleute den Spätaussiedler heute auf wenige Tausend pro Jahr ­offenzuhalten. Dies hat noch einmal in eindrucks- stabilisiert. voller Weise gezeigt, dass die Bundesregierung zu ­ihren Landsleuten steht und sie auch unter erschwer- ten Bedingungen willkommen heißt. Gleichzeitig möchte ich auch allen eingereisten und einreisenden AUFNAHME VON SPÄTAUSSIEDLERN 2020 Spätaussiedlern meinen Dank für ihr Verständnis bezüglich der Maßnahmen des Gesundheitsschutzes Januar 418 aussprechen.“­ Februar 313 Der Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedler- März 363 fragen und nationale Minderheiten ist für die Aus- siedlerpolitik der Bundesregierung zuständig und April 8 trägt somit die politische Verantwortung für die Mai 97 Aufnahme von Spätaussiedlern. Der Beauftragte ini- tiiert, begleitet und koordiniert die Aussiedlerpolitik. Juni 105 Dabei werden vor allem die gesetzlichen Regelungen Juli 324 des Verfahrens zur Aufnahme von Spätaussiedlern und ihrer Angehörigen sowie ihre Ausführung in August 388 der Praxis­ kontinuierlich evaluiert und gegebenen- falls auf Vorschlag des Beauftragten angepasst. Dafür September 656 wirbt er im politisch-parlamentarischen Raum. Oktober 435 Der Koordination des Aussiedlerzuzugs während November 528 der COVID-19-Pandemie diente insbesondere die gemeinsame Konferenz der Aussiedlerbeauftragten Dezember 674 von Bund und Ländern im Juli 2020 in Hannover, die Gesamt 4.309 auf gemeinsame Einladung des Bundesbeauftragten und der Beauftragten des Landes Niedersachsen für TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021 11

stimmung mit den Verantwortlichen vor Ort. Die Einrichtungen zur Transitunterbringung werden als ­Quarantäne-Einrichtungen betrieben; ein Kontakt der eintreffenden Personen­ mit dem örtlichen Umfeld ist daher weitgehend ausgeschlossen. Nach Quarantä- ne und Negativtestung erfolgt dann eine Aufnahme im GDL Friedland, wo in wenigen Tagen die Aufnah- meverfahren abgeschlossen werden und die Weiter- reise zum neuen Wohnort in Deutschland möglich ist. Im weiteren­ Verlauf der COVID-19-Pandemie wurde dieses Verfahren angepasst.

Die Beauftragtenkonferenz forderte alle Verantwor- tungsträger in Bund und Ländern auf, bei der Durch- führung der Spätaussiedleraufnahme konstruktiv mitzuwirken. Beauftragter Fabritius mit den Landesbeauftragten Editha West- mann (Niedersachsen), Heiko Hendriks (Nordrhein-Westfalen), Im Oktober 2020 besuchte Beauftragter Fabritius das Margarete Ziegler-Raschdorf (Hessen) und Mitarbeitern des BMI GDL Friedland sowie die Transitunterkunft des Bun- des im Hotel „Rosenthaler Hof“ in Duderstadt, über- zeugte sich vor Ort von der Wirksamkeit der Hygie- Aussiedler und Vertriebene, Editha Westmann, MdL, nekonzepte und informierte sich über die ­aktuellen stattfand. Die Beauftragten dankten den Mitarbeitern Abläufe im Registrier- und Verteilungs­verfahren für im Grenzdurchgangslager (GDL) Friedland und allen ankommende Spätaussiedler. Verantwortungsträgern von Bund und Ländern, die notwendige Maßnahmen zur Aufrechterhaltung des Aussiedlerzuzugs unterstützt haben.

Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat berichtete in der Konferenz über das Konzept zur Aufnahme von Spätaussiedlern unter COVID-19-­ Bedingungen. Demnach begeben sich ankommende Spätaussiedler unmittelbar nach ihrer Einreise in eine Quarantäne, die nach den Landes-Corona-Ver- ordnungen generell für Einreisende aus Drittstaa- ten vorgesehen ist. Aufgrund seiner aus § 8 BVFG resultierenden Verpflichtung zur Unterbringung bis zur Registrierung und Verteilung auf die Länder stellt der Bund eine Transit-Unterbringung (TU) zur Verfügung, in der in aller Regel eine Testung Beauftragter Fabritius mit Mitarbeitern des BVA im Grenzdurch- der eintreffenden Spätaussiedler erfolgt. Zusätzlich gangslager Friedland wird eine Testung am Flughafen Frankfurt, an dem der Großteil der Spätaussiedler in Deutschland an- kommt, eingerichtet. Für die Unterbringung wurden Der Bundesbeauftragte stellte hierzu fest: „Die TU-Plätze in unmittel­barer Nähe des Flughafens wenigen Tage in dieser Einrichtung sowie die ersten Frankfurt, in Braunschweig, in Bad Kissingen, in Erfahrungen mit dem sie aufnehmenden Staat prägen Duderstadt und in Ahrweiler geschaffen. Hierzu den gesamten Prozess der Wiederbeheimatung unse- sind BMI und Bundesverwaltungsamt in enger Ab- rer Landsleute. Daraus erwächst allen Beteiligten in 12 TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021

Bund und Land eine nicht hoch genug einzuschätzen- Spätaussiedler durchzusetzen. Der Bundesbeauftragte de Verantwortung. Ich danke allen konstruktiv und bekräftigte, dass es neben der Berücksichtigung des mit viel Verständnis für diese gesamtgesellschaftliche besonderen Kriegsfolgenschicksals auch ein Anliegen Aufgabe mitwirkenden Entscheidungsträgern für der Generationengerechtigkeit sei, die personengrup- ihren unermüdlichen Einsatz.“ penspezifischen Benachteiligungen im Rentenrecht für Spätaussiedler weitgehend zu beseitigen. Dafür seien auch flankierende Anpassungen im Rentenrecht erforderlich.

Beauftragter Fabritius dankte dem Bayerischen ­Ministerpräsidenten auch für die verlässliche För- derung der Kultureinrichtungen der Vertriebenen, Aussiedler und Spätaussiedler im Freistaat Bayern. Jüngstes Beispiel ist hierbei die Eröffnung des Su- detendeutschen Museums in München, das durch seine besonders gelungene Ausgestaltung kultur- und erinnerungspolitische Wirkung weit über die Landes- grenzen hinaus entfaltet.

In enger Abstimmung ist Beauftragter Fabritius u. a. mit der Arbeitsgruppe der Vertriebenen, Aussiedler und deutschen Minderheiten der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag. Er berichtet regelmäßig in Beauftragter Fabritius bei der Besichtigung der Transitunterkunft ihren Sitzungen über aktuelle Themen aus seinem in Duderstadt Tätigkeitsbereich. Mit Vertretern der anderen Fraktio- nen im Deutschen Bundestag befindet sich der Beauf- tragte ebenfalls in stetigem Austausch. Zur Abstimmung und Fortentwicklung der politi- schen Vorhaben im Bereich Vertriebene, Aussiedler und Spätaussiedler ist Beauftragter Fabritius mit hochrangigen Verantwortungsträgern aus Bund, ­Ländern und Kommunen im stetigen Austausch.

So hat im Januar 2021 ein intensiver Austausch mit dem Ministerpräsidenten des Freistaat Bayern, Dr. Markus Söder, MdL, stattgefunden. Fabritius dankte dem Bayerischen Ministerpräsidenten für die Unterstützung seiner Bemühungen zur Verbesserung der Rentensituation deutscher Aussiedler und Spät- aussiedler.

Fabritius berichtete dem Ministerpräsidenten, dass mit der deutlichen Einbeziehung der Aussiedler und Spätaussiedler in die ab 1. Januar 2021 geltende Grundrente ein wichtiger Schritt zur Abschaffung der Altersarmut unter Spätaussiedlern erfolgt sei. Bei der derzeit in Ausgestaltung befindlichen Härtefalllösung Beauftragter Fabritius mit dem Ministerpräsidenten Bayerns, gelte es, die gerechte Einbeziehung der Aussiedler und Dr. Markus Söder, MdL TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021 13

Beauftragter Fabritius mit dem Vorsitzenden der Gruppe der Vertriebenen, Spätaussiedler und deutschen Minderheiten, , MdB, dem Vorsitzenden der Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales, Peter Weiß, MdB, sowie , MdB

Soziale Gerechtigkeit für Aussiedler und Spätaussiedler

In den 1990er-Jahren hatten gesetzliche Änderungen zu erheblichen Kürzungen von Renten und Renten- ansprüchen bei Spätaussiedlern geführt. Begründet wurden diese u. a. durch unterschiedliche Renten- höhen in Ost- und Westdeutschland. Ihre Anpassung ist seither zwar erfolgt, die niedrigere Bewertung der Aussiedlerrenten wurde jedoch beibehalten. Drohende Altersarmut sowie das Gefühl der Un- gleichbehandlung und Nichtanerkennung von Lebensleistung und Kriegsfolgenschicksal rufen im Personenkreis erhebliches Unrechtsempfinden und Unverständnis hervor. 14 TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021

Wichtiger Teilerfolg für Aussiedler und Spätaussiedler im Rentenrecht

Zum 1. Januar 2021 trat das „Gesetz zur Einführung 2022 hinziehen werden. Es ist aber sichergestellt, der Grundrente für langjährige Versicherte in der dass die erhöhte Leistung automatisch gezahlt wird, gesetzlichen Rentenversicherung mit unterdurch- ohne dass ein eigener Antrag nötig wäre, und dass die schnittlichen Einkommen und für weitere Maßnah- Leistung rückwirkend zum Rentenbeginn, frühestens men zur Erhöhung der Alterseinkommen“ (Grund­ aber zum 1. Januar 2021, nachgezahlt wird. rentengesetz) in Kraft. Rentner, die mindestens 33 Jahre an „Grundrenten- Mit einem Gesamtpaket an Maßnahmen sollen zeiten“ (mit mind. 30 % des Durchschnittsverdienstes Alters­einkünfte langjährig Rentenversicherter ver­ im jeweiligen Jahr) haben, können künftig einen bessert werden. individuellen Zuschlag zu ihrer Rente erhalten. Hier- bei fließen auch die nach dem Fremdrentengesetz Dadurch werden auch deutliche Verbesserungen im berücksichtigten Zeiten ein. Im Durchschnitt beträgt Rentenrecht, in der Grundsicherung und beim Wohn- der Zuschlag etwa 75 Euro im Monat. Der maximale geld eingeführt, von denen auch deutsche Aussiedler Zuschlag zur Rente kann rund 418 Euro monatlich und Spätaussiedler profitieren können. Dadurch wer- betragen. den zum Teil die in den 1990er-Jahren beschlossenen Rentenkürzungen ausgeglichen. Es ist sichergestellt, dass die meisten Aussiedler und Spätaussiedler, deren Renten durch die Kürzungen der Ziel dieses Gesetzes ist es, die Lebensleistung von 1990er-Jahre (40-%-Kürzung, Deckelung auf 25/40 Ent- Menschen anzuerkennen, die jahrzehntelang mit geltpunkte) häufig geringer ausfallen, von den Rege- geringem Verdienst gearbeitet und Pflichtbeiträge lungen der neuen Grundrente erfasst werden. zur Rentenversicherung gezahlt haben, wobei die Arbeitszeiten der Aussiedler und Spätaussiedler in den Um sicherzustellen, dass nur von Altersarmut Herkunftsgebieten ausdrücklich in die Regelungen ­bedrohte Rentner von der Grundrente profitieren, einbezogen werden. Auch die Erziehung von Kindern wird eine automatische Einkommensprüfung durch- und die Pflege von Angehörigen wird berücksichtigt. geführt, jedoch keine Vermögensprüfung. Der Koalition ist es ein Anliegen, dass dabei auch die besonderen Lebenslagen in den neuen Bundeslän- Ergänzend zu den oben genannten Regelungen sollen dern sowie der deutschen Aussiedler und Spätaus- Aussiedler und Spätaussiedler auch in die derzeit in siedler berücksichtigt werden. Die Grundrente wird Ausgestaltung befindliche Fondslösung für Härte- für Bestands- und Neurentner zum 1. Januar 2021 fälle mit Rente in Grundsicherungsnähe einbezogen eingeführt. Die Umsetzung der neuen Berechnungs- werden. programme und die Erteilung der neuen Bescheide an Berechtigte (geschätzt 1,3 Millionen begünstigte Mit der Grundrente ist ein wichtiger Teilschritt zur Personen) stellen die Rentenversicherungsträger vor Rentengerechtigkeit für Aussiedler und Spätaussiedler große Herausforderungen, sodass die Erteilung der getan – auch wenn die punktuelle Rücknahme der Bescheide und die Auszahlungen ab Sommer 2021 Kürzungen durch eine Änderung des Fremdrenten- beginnen und sich voraussichtlich bis Ende des Jahres rechts weiterhin vorrangiges politisches Ziel bleibt. TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021 15

Gesellschaftliche Wiederbeheimatung und Gegenstand des Gesprächs war auch die gewichtige christliche Selbstverortung Rolle des Deutschen Ordens für die Geschichte der Deutschen in Ost- und Südosteuropa sowie die Wie- Neben der sozialen Gerechtigkeit liegt dem Aussied- derbeheimatung der deutschen Heimatvertriebenen. lerbeauftragten insbesondere die gesellschaftliche In Deutschland - nach der Säkularisation existierte Wiederbeheimatung der Spätaussiedler am Herzen. der Orden hier nicht mehr - ist der Deutsche Orden Das Amtsverständnis ist überkonfessionell, der Beauf- seit 1945 wieder tätig: So waren es Ordenspriester tragte unterstützt gleichwohl die religiöse Selbstver- aus dem Sudetenland, die mit den Vertriebenen nach ortung der überwiegenden Mehrheit der Spätaussie- Deutschland zogen und diese während der ersten der im Christentum. Jahre in Lagern und mit mobilen Kapellenwagen seel- sorgerisch betreuten. So empfing Beauftragter Fabritius den Hochmeister des Deutschen Ordens, Generalabt Frank Bayard, im Im Anschluss an das Gespräch besuchten Beauftrag- September 2020 in Berlin. ter Fabritius und Hochmeister Bayard gemeinsam das im Aufbau befindliche Ausstellungs- und Doku- mentationszentrum der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung im Deutschlandhaus.

2. Vorsitz im Beirat für Spätaussiedlerfragen

Zentrales Organ der politischen Vertretung in aus- siedlerpolitischen Angelegenheiten ist der Beirat für Spätaussiedlerfragen, der im Jahr 2005 beim Bundes- innenministerium eingerichtet wurde, 16 Mit­glieder aus den Bundesländern sowie gesellschaftliche Organisationen umfasst und die Aufgabe erfüllt, die Bundesregierung sachverständig zu beraten. Der Beirat tagt mindestens einmal jährlich unter Vor- sitz des Bundesbeauftragten. Zu den regelmäßig im Beirat diskutierten Themen gehören beispielsweise Beauftragter Fabritius mit Hochmeister Frank Bayard, Abteilungs- Probleme im Aufnahmeverfahren für Spätaussiedler, leiter Dr. Michael Frehse (BMI) und Dr. Gundula Bavendamm, die eine Änderung des Bundesvertriebenengesetzes Direktorin der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung erfordern, oder Fragen der gesellschaftlichen Wieder- beheimatung der Spätaussiedler.

Im konstruktiven und in freundschaftlicher Atmos­ phäre geführten Gespräch erörterten Fabritius und Hochmeister Bayard die große Bedeutung des seel­sorgerischen Engagements der Kirchen für die Wiederbeheimatung der Vertriebenen, Aussiedler und Spätaussiedler in Deutschland. Der Bundesbeauftrag- te dankte den christlichen Kirchen für die Vertriebe- nenseelsorge der letzten Jahrzehnte und betonte die bleibende Bedeutung der personenkreisbezogenen seelsorgerischen Betreuung für das Heimatgefühl und die kulturelle Verortung der deutschen Heimatver- bliebenen, die in Zeiten der Entwurzelung „Heimat in der Kirche“ erlebt und dort Halt gefunden hätten. Digitale Sitzung des Beirats für Spätaussiedlerfragen 16 TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021

Im Dezember 2020 fand unter Leitung des Beauf- tragter Fabritius zeigte sich erfreut über die sehr gute tragten Fabritius die dritte Sitzung in der vierjährigen Zusammenarbeit mit dem Suchdienst: „Auch mehr Amtsperiode des Beirates für Spätaussiedlerfragen als 75 Jahre nach Kriegsende spielt der Suchdienst des statt. Der Bundesbeauftragte informierte den Beirat Deutschen Roten Kreuzes bei der Schicksalsklärung über die Herausforderungen zur Sicherung einer un- von Angehörigen, die kriegs- oder kriegsfolgen- beschränkten Zuzugsmöglichkeit für Spätaussiedler bedingt gesucht werden, noch immer eine wichtige unter den Bedingungen der COVID-19-Pandemie Rolle und ist zudem ein verlässlicher Partner.“ und skizzierte die zum besonderen Schutz der Spät­ aussiedler geschaffenen Quarantäneeinrichtungen. Bei der Verschleppung der Rumäniendeutschen in Alle Beiratsmitglieder zeigten sich erfreut, dass die die Sowjetunion wurden vom Januar 1945 bis zum Möglichkeit der Einreise für Spätaussiedler dank Dezember 1949 zwischen 70.000 und 80.000 Men- ­großer Anstrengungen des Bundes, der Länder und der schen aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit in die Kommunen trotz der COVID-19-Pandemie aufrecht- Sowjetunion verschleppt, wo sie zu schwerer Zwangs- erhalten bleibt. Der Beauftragte betonte ebenfalls bei arbeit, überwiegend in Bergwerken und in Schwer- dieser Gelegenheit, dass sich die Bundesregierung auch industriebetrieben, gezwungen wurden. Vor Kurzem in Pandemiezeiten uneingeschränkt zu ihrer besonde- hat Rumänien seine Entschädigungszahlungen auch ren kriegsfolgenrechtlichen Verantwortung für Spät- u. a. auf die Kinder der Betroffenen ausgeweitet. aussiedler bekennt. Vertreter des BVA betonten, dass auch die Erteilung von Aufnahmebescheiden ohne 3. Ansprechpartner für Selbstorganisationen Einschränkung fortgesetzt werden konnte. der Vertriebenen und (Spät-)Aussiedler

Schließlich ist der Beauftragte für Aussiedlerfragen Ansprechpartner für sämtliche Selbstorganisationen der Vertriebenen und (Spät-)Aussiedler. Insbesondere steht er mit dem Bund der Vertriebenen, den Aus- siedlerverbänden und Landsmannschaften und ihren jeweiligen Orts-, Kreis- und Landesgruppen sowie ihren Jugend- und Studentenvertretungen in engem Austausch.

Der Beauftragte versteht sich hierbei als Bindeglied zwischen Politik und den gesellschaftlichen Orga- nisationen, welche die Interessen der Vertriebenen und (Spät-)Aussiedler vertreten. Zur Wahrung dieser Funktion steht der Beauftragte in ständigem Kontakt Unterlagen des DRK-Suchdienstes zur Dokumentation der Depor- tation Deutscher mit Vertretern der genannten Verbände; sie tragen ihre Anliegen dem Beauftragten vor und werden in die Entwicklung der Aussiedlerpolitik einbezogen. Der Spätaussiedlerbeirat begrüßte die Bereitschaft des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), bei der Nachweis- Von großer Wichtigkeit sind die Beziehungen des führung für Entschädigungszahlungen des rumäni- Bundesbeauftragten zu den Selbstorganisationen der schen Staates an Nachkommen der verschleppten Ru- Aussiedler und Spätaussiedler. mäniendeutschen mit seiner Expertise behilflich zu sein. Um Unterstützung hatten die Selbstorganisatio- Das ist zum einen die Landsmannschaft der Deutschen nen der Deutschen aus Rumänien gebeten. Der Such- aus Russland e.V. (LmDR), welche die Interessen von dienst des DRK hat im Februar 2021 ein Formular zur 2,4 Mio. Deutschen aus der ehemaligen Sowjetunion Verfügung gestellt, das als Suchauftrag an das DRK vertritt, die in der Bundesrepublik Deutschland leben. nach München geschickt werden kann. Bundesbeauf- Aber auch zum Verband der Siebenbürger Sachsen e. V., TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021 17

Die Jugendarbeit der Verbände ist für den Beauftrag- ten von herausragender Bedeutung. So war Fabritius u. a. Teilnehmer der ersten Internationalen Online-­ Jugendkonferenz der Jugend-LmDR mit Jugendver- tretern aus der Russischen Föderation, der Ukraine, Georgien, Usbekistan, Kirgisistan und der Republik Moldau. Auch am Forum des Jugend- und Studenten- rings der Deutschen aus Russland e.V. (JSDR) nahm der Beauftragte teil.

In beiden Veranstaltungen würdigte der Beauftragte den Beitrag der Jugend zur gegenseitigen Verständi- gung der Völker sowie zum Friedensdialog und forder- te die Jugendvertreter dazu auf, sich gesellschaftlich einzubringen. Fabritius: „Es geht darum, Bedingungen Digitales Grußwort des Beauftragten an das Forum des Jugend- zu schaffen, die eine gleichberechtigte Teilhabe am und Studentenrings der Deutschen aus Russland e.V. wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben erlau- ben, das Bewusstsein für die eigene kulturelle Identität stärken sowie die politische Partizipation in Deutsch- zur Landsmannschaft der Banater Schwaben sowie land ermöglichen: Aussiedlerpolitik ist Heimatpolitik.“ kleineren Selbstorganisationen unterhält Beauftragter Fabritius enge Beziehungen. In mehreren Multiplikatorengesprächen, u. a. in ­München, in Nürnberg und in Geretsried, informierte So sprach der Bundesbeauftragte auf Einladung der der Bundesbeauftragte aktive Mitglieder der Aussied- LmDR aus Anlass des Jahrestages des sogenannten lerverbände zu aktuellen Entwicklungen und beant- „Stalin-Erlasses“ vom 30.08.1941. Der Bundesbeauf- wortete Fragen, insbesondere zur Rententhematik. tragte erinnerte an die Inhumanität der damaligen staatlichen Repressionen seitens der UdSSR mit 4. Vertriebenenpolitik Depor­tationen und harter Zwangsarbeit in sogenann- ten „Arbeitsarmeen“, die geschätzt 700.000 Tote zur Einen weiteren Schwerpunkt der Tätigkeit des Beauf­ Folge hatten und noch heute im kollektiven Gedächt- tragten stellt die Vertriebenenpolitik der Bundes­ nis der Familien nachwirken. Gleichzeitig bekannte regierung und die Vertretung der Anliegen der Selbst- er sich ­namens der Bundesregierung zur bleibenden organisationen der deutschen Heimatvertriebenen ­Anerkennung des besonderen Kriegsfolgenschicksals dar. Schätzungsweise 14 Millionen Deutsche wurden der Russlanddeutschen und forderte die Mehrheits- kriegs- bzw. kriegsfolgenbedingt Opfer von Flucht, gesellschaft dazu auf, sich mit diesem oft vernach­ Vertreibung und Zwangsumsiedlung. In Deutschland lässigten Aspekt der deutschen Geschichte auseinan- haben sich die Heimatvertriebenen nach dem Krieg derzusetzen. in Landsmannschaften und landsmannschaftlichen Organisationen zusammengeschlossen, um somit Die Landsmannschaften sind zum Großteil regional ein Sprachrohr in die deutsche Politik zu haben und gegliedert und somit vor Ort verankert. Im Oktober die Erinnerung an die verlorene Heimat, das Brauch- 2020 sprach Beauftragter Fabritius mit dem Landes- tum und die Identität zu wahren. Ihre Kultur geben vorsitzenden der LmDR in Schleswig-Holstein, Viktor sie fortwährend an ihre Nachkommen weiter, die Pretzer, und der schleswig-holsteinischen Ministerin sich weiterhin zur angestammten Heimat bekennen für Inneres, ländliche Räume und Inte­gration, Sabine (sogenannte Bekenntnisgeneration). Die Landsmann- Sütterlin-Waack, über verstärkte Bemühungen zur schaften sind heute zudem wichtige Brückenbauer zu gesellschaftlichen Wiederbehei­matung der Russland- den außerhalb Deutschlands verbliebenen deutschen deutschen in ihren neuen Heimatregionen. Minderheiten. 18 TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021

Beflaggung des Bundeskanzleramtes am 70. Jahrestag der Unter­zeichnung der Charta der Heimatvertriebenen

Von herausragender vertriebenenpolitischer Bedeu- in Stuttgart-Bad Cannstatt verkündet. Die Charta tung war im Berichtszeitraum der 70. Jahrestag der benennt „Pflichten und Rechte“ der Flüchtlinge und Unterzeichnung der Charta der Heimatvertriebenen Vertriebenen, die nach dem Zweiten Weltkrieg bis 1949 am 5. August 1950. die deutschen Ostgebiete und andere Länder Ost- und Südosteuropas verlassen mussten. Zu diesen Pflichten Aus diesem besonderen Anlass hat Bundesinnen­ und Rechten zählen vor allem der Verzicht auf Rache minister Horst Seehofer auf Anregung des Bundes­ und Vergeltung für die Vertreibung, die Verwirkli- beauftragten angeordnet, dass bundesweit die chung eines geeinten Europas und die Beteiligung am obersten Bundesbehörden, Behörden ihrer Geschäfts- Wiederaufbau Deutschlands und Europas. Darüber bereiche sowie Körperschaften, Anstalten und Stif- hinaus wird ein „Recht auf Heimat“ postuliert,­ das als tungen des öffentlichen Rechts, die der Aufsicht von ein von „Gott geschenktes Grundrecht der Menschheit“ Bundesbehörden unterstehen, beflaggt werden. verstanden wird.

Fabritius würdigt die Charta als Gründungsdokument Mit dem 75. Jahrestag der Potsdamer Konferenz jährt der jungen Bundesrepublik, mit dem sich die rund sich ein weiteres wichtiges vertriebenenpolitisches 14 Millionen deutschen Heimatvertriebenen bereits Ereignis. Aus diesem Anlass nahm Beauftragter fünf Jahre nach Kriegsende zu einem friedlichen Fabritius an der wissenschaftlichen Tagung „75 Jahre Europa bekennen und auf jede Rache und Vergeltung Potsdamer Konferenz – Friedens-Ordnungen und für den schmerzlichen Heimatverlust verzichten: „Es ethnische Säuberungen in Vergangenheit und Gegen- freut mich, dass heute mit der bundesweiten Beflag- wart“ teil. Veranstalter der Online-Tagung war die gung die besondere historische Bedeutung der Charta Deutsche Gesellschaft e.V. in Projektpartnerschaft mit der deutschen Heimatvertriebenen vor 70 Jahren und dem Bund der Vertriebenen und der Bundesstiftung ihr wichtiger Beitrag für Deutschland und Europa an- zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. erkennend zum Ausdruck gebracht werden.“ Fabritius hob in seiner Rede die Auswirkungen her- Die Charta der deutschen Heimatvertriebenen wurde vor, welche die Potsdamer Konferenz für die deut- von den Sprechern der Vertriebenenverbände am schen Heimatvertriebenen und –verbliebenen, aber 5. August 1950 unterzeichnet und am folgenden Tag auch für die gesamte deutsche und europäische Ge- TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021 19

sellschaft hatte: „Die Potsdamer Konferenz steht für thematisiert. Ihre Zahl nahm nach der Konferenz denjenigen Aspekt der Neuordnung, der die Welt für verstärkt zu. Die Protokolle der Konferenz wurden viele Jahre tief prägen sollte - den Aspekt der Teilung! vielfach als Legitimierung des folgenden Vertrei- Die Potsdamer Beschlüsse besiegelten auf Jahrzehnte bungsunrechts kritisiert. die deutsche Teilung und die Blockkonfrontation in West und Ost. Für Millionen Menschen führten sie Die Kultur der Vertriebenen und (Spät-)Aussiedler zum Verlust der Heimat und zu einem erzwungenen wird auch in den dafür zuständigen und gemäß Neuanfang in der Fremde. Auch für die Menschen in § 96 BVFG im Verantwortungsbereich der Beauf- der sowjetischen Besatzungszone und Osteuropa gab tragten der Bundesregierung für Kultur und Medien es einen Neuanfang – allerdings ohne Freiheit und geförderten Institutionen erforscht, gepflegt und Demokratie.“ einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Im Dezember 2020 besuchte Beauftragter Fabritius die Nach den Konferenzen in Jalta und Teheran kamen Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen in Bonn, die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges im Juli 1945 deren Arbeit zur Förderung der Kultur deutscher letztmalig auf der Potsdamer Konferenz zusammen, Heimatvertriebener, Aussiedler und Spätaussiedler bevor der Ost-West-Konflikt begann. Das Protokoll gemäß Koalitionsvertrag unterstützt wird. Diese der Konferenz beinhaltet in Artikel XIII die „Überfüh- ­Förderung dient dem Erhalt und der Weiterentwick- rung“ von Deutschen aus Polen, der Tschechoslowakei lung dieses wichtigen Teils des gesamtdeutschen und Ungarn; diese sollte „in ordnungsgemäßer und kulturellen Erbes. humaner Weise“ erfolgen. Der tragischen Lebens- wirklichkeit entsprach das nicht. Dass längst „wilde Im Juli 2020 hat Beauftragter Fabritius an der Eröff- Vertreibungen“ mit gröbsten Menschenrechtsver­ nung des Siebenbürgischen Kulturzentrums Schloss brechen an der Tagesordnung waren, wurde nicht Horneck in Gundelsheim am Neckar teilgenommen.

Beauftragter Fabritius u. a. mit Rainer Lehni und Herta Daniel, Bundesvorsitzender und Ehrenvorsitzende der Siebenbürger Sachsen, Hon.- Prof. Dr. Konrad Gündisch, Vorsitzender des Siebenbürgischen Kultur- und Begegnungszentrums Schloss Horneck, Generalabt Frank Bayard, Superintendent Wolfgang Rehner, Prof. Andreas Otto Weber, Unterstaatssekretär Thomas Şindilariu sowie Bürgermeisterin Heike Schokatz 20 TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021

Vor Ort würdigte Bundesbeauftragter Fabritius in An- stabs des Sudetendeutschen Museums, sowie Raoul wesenheit des Hochmeisters des Deutschen Ordens, Wirbals, Verwaltungsleiter der Sudetendeutschen Generalabt Frank Bayard, des Superintendenten der Stiftung, besichtigte der Bundesbeauftragte das neu Steirischen Landeskirche, Mag. Wolfgang Rehner, errichtete Museumsgebäude und ließ sich das Kon- sowie weiterer Ehrengäste und Verantwortungsträ- zept für die zukünftige Ausstellung erläutern. Der ger der siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft Beauftragte erklärte: „Durch moderne Architektur in Deutschland, Österreich und Siebenbürgen die und ansprechende Museumsgestaltung entsteht mit besondere Leistung der Siebenbürger Sachsen in aller dem Sudetendeutschen Museum ein zentraler Punkt Welt, die durch ausgeprägten Gemeinschaftssinn und sudetendeutschen Lebens in Deutschland, das in der hohe Spendenbereitschaft den Erwerb des Schlosses deutschen und europäischen Museumslandschaft als Horneck sowie seinen Aus- und Umbau durch den Referenz dienen wird. Ich gratuliere zu dem gelunge- Verein „Siebenbürgisches Kulturzentrum Schloss nen Museumskonzept.“ Horneck e.V.“ erst möglich gemacht haben. Beauftrag- ter Fabritius verlieh seiner Hoffnung Ausdruck, dass Am 11. Oktober 2020 nahm Beauftragter Fabritius durch die Erweiterung um das Kultur- und Begeg- in Hannover als Vertreter der Bundesregierung am nungszentrum auf Schloss Horneck bereits vorhande- Jahresempfang der Landsmannschaft Schlesien teil. ne Kultureinrichtungen das immaterielle Kulturgut Er überbrachte dem Bundesvorsitzenden der Lands- der Siebenbürger Sachsen noch wirkungsvoller und mannschaft Stephan Rauhut Glückwünsche zum grenzüberschreitend pflegen und im Bewusstsein der 70-jährigen Bestehen der Landsmannschaft und Gesellschaft verankern können. Schloss Horneck solle erinnerte an das große Engagement der Schlesier für so zu einer Stätte der Kulturgutsicherung in all ihren den demokratischen und wirtschaftlichen Aufbau des Dimensionen, der gelebten Tradition und des Dialoges Nachkriegsdeutschlands, an ihre eigene landsmann- werden. schaftliche Identität und ihre wichtige Brückenfunk- tion zum Nachbarland Polen. Im Juni 2020 besuchte Beauftragter Fabritius das kurz vor der Eröffnung stehende Sudetendeutsche Im Rahmen seiner Zuständigkeit für Vertriebenen- Museum in München. Gemeinsam mit Dr. Ortfried politik nimmt der Bundesbeauftragte regelmäßig Kotzian, Vorstandsvorsitzender der Sudetendeut- an wissenschaftlichen Tagungen zur Geschichte der schen Stiftung e.V., Steffen Hörtler, stellvertretender Heimatvertriebenen teil und verfasst Namensartikel Bundesvorsitzender der Sudetendeutschen Lands- im Rahmen wissenschaftlicher Studien oder anderer mannschaft, Dr. Michael Henker, Leiter des Planungs- Fachpublikationen. Beispielhaft erschien sein Beitrag „Weh dem, der keine Heimat hat“ in „Politische Stu- dien – Band 493/2020“ der Hanns-Seidel-Stiftung.

5. Kriegsfolgenrecht

Im Bereich der Vertriebenenpolitik gehört die soge- nannte kriegsfolgenrechtliche Anerkennungsleistung für ehemalige deutsche Zwangsarbeiter (ADZ) zu den wichtigsten vertriebenenpolitischen Erfolgen der ver- gangenen Jahre.

Im November 2015 hatte der Deutsche Bundestag Beauftragter Fabritius beim Rundgang durch das Museum mit beschlossen, das persönliche Schicksal derjenigen (v. l. n. r.) Raoul Wirbals, Verwaltungsleiter der Sudeten­deutschen Deutschen, die als Zivilisten aufgrund ihrer deut- Stiftung, Dr. Michael Henker, Leiter des Planungsstabs des ­Sudetendeutschen Museums, Steffen Hörtler, stv. Bundesvorsit- schen Staatsangehörigkeit oder Volkszugehörigkeit zender der Sudetendeutschen Landsmannschaft, sowie Dr. Ortfried während oder nach dem Zweiten Weltkrieg für eine Kotzian, Vorstandsvorsitzender der Sudetendeutschen Stiftung ausländische Macht Zwangsarbeit leisten mussten, TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021 21

Beauftragter Fabritius mit dem ADZ-Beirat und Abteilungsleiter Frehse (BMI) bei der symbolischen Übergabe des letzten Anerkennungs­ bescheides an betroffene Zwangsarbeiter im September 2020

mit einer einmaligen symbolischen Anerkennungs- Insgesamt wurden 83 % der Anträge positiv beschie- leistung in Höhe von 2.500 Euro zu würdigen. Im den. Die meisten Ablehnungen mussten wegen Über- Bundesinnenministerium wurde in enger Koopera- schreiten der zweijährigen Antragsfrist ausgespro- tion mit Vertriebenenverbänden und Fachhistorikern chen werden. Die Mehrzahl der Antragsteller lebt im die sogenannte ADZ-Richtlinie entworfen, die nach heutigen Bundesgebiet; die Zahl der Frauen überwiegt Zustimmung durch den Haushaltsausschuss des deutlich. Insgesamt wurden Anerkennungsleistungen Deutschen Bundestages zum 1. August 2016 in Kraft in Höhe von 97 Millionen Euro gewährt. trat. Der Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedler- Mit großer Empathie für das besonders schwere fragen und nationale Minderheiten, Prof. Dr. Bernd Schicksal der Betroffenen hat das für die Bearbei- Fabritius, war in seinem Ehrenamt als Präsident des tung der Anträge zuständige Bundesverwaltungsamt Bundes der Vertriebenen und als Abgeordneter des (BVA) die rund 47.000 Anträge innerhalb von etwa Deutschen Bundestages politischer Mitinitiator der vier Jahren bearbeitet. Besondere Eile bei der Antrags­ Zwangsarbeiterentschädigung und hat nach seinem bearbeitung war aufgrund des hohen Alters der An- Amtsantritt als Bundesbeauftragter den Vollzug der tragsteller geboten: Etwa 90 % der Antragsteller waren Richtlinie und das Anerkennungsverfahren intensiv 80 Jahre und älter. Es wurden über 54.000 Anfragen politisch begleitet. und Ersuchen nach Hilfe bei der Antragsstellung im zuständigen BVA verzeichnet. Am 14. September Beauftragter Fabritius: „Die Entschädigung für zivile 2020 konnten letztlich symbolisch die beiden letzten Zwangsarbeiter war niemals als Kompensation des Anerkennungsbescheide an ein betroffenes Ehepaar schweren Schicksals der zivilen Zwangsarbeiter ausgehändigt werden. ­gedacht. Die Kompensation eines solchen Bio­gra­fie­­- 22 TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021

erleben mussten. Auch in meiner Familie gab es solche Fälle und mir ist bewusst, wie bleischwer sich solche Erfahrungen auf das weitere Leben legen können. Für die unermessliche Geduld aller Betroffenen – die Ent- schädigungsleistung wurde teilweise mehr als 75 ­Jahre nach den anzuerkennenden Verfolgungen gewährt­ – möchte ich diesen im Namen der Bundesregierung meinen tief empfundenen Dank au­ssprechen!

Ich setze mich künftig dafür ein, dass die vielen ein- gereichten Dokumente und Schilderungen der zivilen Zwangsarbeit, die in den Akten des BVA enthalten Prof. Dr. Fabritius bei der Übergabe des ersten symbolischen An- sind, als Zeitzeugendokumente in angemessener erkennungsbescheides an Elisabeth Till im September 2016 mit dem ­Weise aufbewahrt und für Wissenschaft und For- damaligen Beauftragten Hartmut Koschyk, MdB, dem Vorsitzenden der Gruppe der Aussiedler, Vertriebenen und deutschen Minder- schung zugänglich gemacht werden. So soll dieses heiten der Unionsfraktion, Klaus Brähmig, MdB, sowie Mitarbeitern dokumentarische Vermächtnis kommenden Gene- des BVA und des BMI rationen als mahnendes Zeugnis für das Unrecht der Zwangsarbeit dienen und hoffentlich einen Beitrag­ bruchs wäre gar nicht möglich gewesen. Vielmehr dazu leisten, dass sich Derartiges in Zukunft nie sollte sie eine Anerkennung des Sonderopfers seitens ­wieder ereignet.“ der Bundesrepublik Deutschland und somit einen Bei- trag zur Versöhnung der Betroffenen mit dem eigenen Schicksal darstellen. Vielen war diese Anerkennung­ wichtiger als der bescheidene Betrag der Anerken- nungsleistung. Die unerwartet hohe Zahl der An­ trag­stel­lungen und bewilligten Anträge belegt, dass derartige zivile Zwangsarbeit leider ein verbreitetes Phänomen war und es dieser Anerkennungsleistung eindeutig bedurfte. Dadurch wurde dieser Opferkreis auch in den Blickpunkt unserer Gesellschaft gerückt.

Es gebührt all jenen Dank, die mit langem Atem und viel Engagement an der Entstehung der sogenannten ADZ-Richtlinie beteiligt waren, darunter insbeson- dere den Vertriebenenverbänden, der Gruppe der Vertriebenen, Aussiedler und deutsche Minderheiten in der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag und den fachkundigen Mitarbeitern des Bundesmi- nisteriums des Innern für Bau und Heimat. Auch den Mitarbeitern des BVA, die mit außergewöhnlich hoher Empathie und Ressourceneinsatz die vielen Anträge, Anrufe und Fragen hoch­be­tagter Menschen ent- gegengenommen haben, gebührt mein großer Dank.

Am meisten jedoch möchte ich mich bei den vielen

Betroffenen bedanken: Sie haben teilweise nach Jahr- ADZ-Projektgruppenleiterin Maria Dierkes erläutert dem Bundes- zehnten erstmals über das sprechen können, was sie beauftragten vor Ort den Antragseingang eines Monats bei einem alleine aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit Besuch der Projektgruppe ADZ im Juli 2018 TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021 23

Beauftragter Fabritius beim Besuch der Projektgruppe ADZ des BVA in der BVA-Außenstelle Hamm im Juli 2018

ENTSCHEIDUNGEN IM ANTRAGSVERFAHREN

Bis Jahresende 2020 wurden 46.874 (d. h. 100 % aller Anträge) abschließend bearbeitet:

38.826 Anerkennungsbescheide

46.874 Anträge 6.713 Ablehnungsbescheide insgesamt

1.335 Verfahrenseinstellungen 24 TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021

III. Deutsche Minderheiten im Ausland

Der Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedler- Selbstorganisationen der deutschen Minderheiten fragen und nationale Minderheiten ist auch für die und ihren Vertretern. Angehörigen der deutschen Minderheiten zuständig, die in den Herkunftsländern der Aussiedler und Spät- Eine besondere Rolle nimmt die Arbeitsgemeinschaft aussiedler verblieben sind. In diesen Staaten Mittel- Deutscher Minderheiten (AGDM) ein. Sie ist eine 1991 und Osteuropas sowie in den Nachfolgestaaten der in Budapest gegründete informelle Arbeitsgemein- Sowjetunion leben noch mehr als eine Million Deut- schaft, die alle Organisationen vereint, die in der sche. Auch die deutsche Minderheit im Königreich Föderalistischen Union Europäischer Nationalitäten Dänemark wird durch den Beauftragten betreut. (FUEN), dem Dachverband der autochthonen Minder- heiten in Europa, zusammengeschlossen sind und Eine der wichtigsten Aufgaben des Beauftragten ist sich als Verbände deutscher Minderheiten betrachten. es, als Repräsentant der Bundesregierung in allen Die FUEN und die AGDM werden vom Bundesminis- Fragen die jeweilige deutsche Minderheit betreffend terium des Innern, für Bau und Heimat gefördert. tätig zu werden. Hierzu gehört der Co-Vorsitz in den bestehenden zwischenstaatlichen Regierungskom- Beauftragter Fabritius hat, wie auch in den vorange- missionen für die Angelegenheiten der jeweiligen gangenen Jahren, im Dezember 2020 an der Jahres­ deutschen Minderheit sowie die Koordinierung der tagung der Arbeitsgemeinschaft deutscher Minder- Hilfen der Bundesregierung. Von großer Bedeutung heiten teilgenommen. Die Tagung wurde in diesem ist die enge Zusammenarbeit mit den verschiedenen Jahr digital durchgeführt.

Beauftragter Fabritius und die AGDM-Mitglieder bei der digitalen Jahrestagung im Dezember 2020 TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021 25

Der Bundesbeauftragte überbrachte die besten Grüße der Bundesregierung und würdigte in seinem Gruß- wort die anhaltenden Bemühungen der Verbände der deutschen Minderheiten zur Bewältigung der durch die anhaltende COVID-19-Pandemie entstandenen Herausforderungen bei Wahrnehmung ihrer Tätigkeit und in ihrem Gemeinschaftsleben. Fabritius betonte, wie kreativ die AGDM und ihre Mitgliedsverbände ihre Projekte im laufenden Jahr auch auf digitalem Wege durchgeführt haben, und nannte als Beispiel hierzu die neuen Online-Fortbildungsangebote der AGDM-Jugend. Gleichzeitig rief der Beauftragte dazu auf, auch auf diejenigen Mitglieder der deutschen Beauftragter Fabritius bei der Onlinekonferenz der FUEN zum Minderheiten zu achten, die noch nicht über große Minderheitenschutz Erfahrungen oder Möglichkeiten in digitaler Kom- munikation verfügen: Gerade für die Senioren sei Einbeziehung und Teilhabe als Mittel gegen Verein- heitenpolitik verwies der Bundesbeauftragte neben samung besonders wichtig. den kulturellen und sprachpolitischen Maßnahmen auch auf die Vielzahl von Kontaktgremien, in denen Der Vi­ze­prä­si­dent der FUEN und Vorsitzende der die Minderheiten ihre Anliegen gegenüber der Politik Deutschen Gemeinschaft in Kroatien, Vladimir Ham, vorbringen können: Auf Bundesebene sind hierbei vor würdigte die AGDM als eine der aktivsten Arbeits- allem die Beratenden Ausschüsse im Bundesminis- gruppen innerhalb der FUEN. AGDM-Sprecher terium des Innern, für Bau und Heimat oder der Ge- Bernard Gaida blickte zurück auf den 30. Jahrestag der sprächskreis beim Deutschen Bundestag zu nennen. Deutschen Einheit und das damit verbundene Ende Auch in seinem Amt als Minderheitenbeauftragter des Kalten Krieges, das vielen deutschen Gemein- versteht sich Fabritius als Ansprechpartner für die schaften in Osteuropa und in Staaten der früheren Belange der nationalen Minderheiten. Sowjetunion erst ein freies Bekenntnis zur deutschen Volkszugehörigkeit ermöglicht habe. Bundesbeauftragter Fabritius: „Die nationalen Minder­heiten in Deutschland haben sich zur Wahr- Im Oktober 2020 hat Beauftragter Fabritius an einer nehmung ihrer Interessen bestmöglich organisiert von der FUEN in Kooperation mit der Kulturstiftung und sind auf der politischen Ebene zu wichtigen der deutschen Vertriebenen veranstalteten Online- Akteuren geworden. Sie genießen in Deutschland ein konferenz „Minderheitenschutz und Volksgruppen- hohes Ansehen und sind als Partner unverzichtbar. In rechte in Mittel- und Mittelosteuropa“ teilgenommen. der gemeinsamen Zusammenarbeit von Minderheiten und politischen Entscheidungsträgern gelingt so in Fabritius berichtete über die Praxis des Minderheiten­ der Praxis eine erfolgreiche und vorbildliche deutsche schutzes für die vier in Deutschland anerkannten Minderheitenpolitik.“ nationalen Minderheiten. Im Mittelpunkt seiner Ausführungen standen die beiden für den Minder­ Weitere Teilnehmer der Konferenz waren u. a. FUEN-­ heitenschutz maßgeblichen Abkommen des Euro- Präsident Loránt Vincze, MdEP, der Vorsitzende der parats: das Rahmenübereinkommen zum Schutz Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen, Reinfried nationaler Minderheiten und die Europäische Charta Vogler, der Parlamentarische Staatssekretär beim der Regional- oder Minderheitensprachen. Beauftrag- Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat, ter Fabritius hob hervor, dass die hiermit eingegan- , MdB, UN-Sonderberichterstatter genen Verpflichtungen u. a. durch finanzielle Hilfen Fernand de Varennes sowie Bernard Gaida, Sprecher des Bundes und der Bundesländer erfüllt werden. Als der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Minderheiten in Beispiele für die sehr gute Praxis deutscher Minder- der FUEN. 26 TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021

Auch im Jahr 2020 fand ein Sommercamp für Jugend- Erst seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion ist es liche der deutschen Minderheiten statt, das durch der Bundesregierung möglich, der deutschen Minder- den Bund der Jugend der Deutschen Minderheit in heit die dringend benötigte Hilfe in größerem Um- Polen, dem Verband der deutschen sozial-kulturellen fang zukommen zu lassen. Gesellschaften in Polen, dem Goethe-Institut und dem Institut für Auslandsbeziehungen veranstaltet Wer heute nach Deutschland zuziehen will und die und unterstützt wurde. Beauftragter Fabritius lobte gesetzlichen Voraussetzungen nach dem Bundesver- in seinem Grußwort zur Abschlussveranstaltung des triebenengesetz erfüllt, kann dauerhaft Aufnahme 7. Sommercamps den Mut der Jugendlichen, diese als Spätaussiedler in der Bundesrepublik Deutsch- Veranstaltung trotz der gegebenen Umstände nicht land finden. Diejenigen, die in den Herkunftsgebieten ausfallen zu lassen, sondern stattdessen kompetent in bleiben wollen, können dort die notwendige Unter- den digitalen Raum zu verlegen. Er ermutigte die Teil- stützung seitens der Bundesrepublik Deutschland nehmer zur verstärkten internationalen Zusammen- erhalten. arbeit und zur Übernahme von Verantwortung. Die Bindung an die deutsche Sprache und die dauer- 1. Deutsche Minderheiten in Staaten hafte Sicherung ihrer kulturellen Identität sind für der ehemaligen Sowjetunion die Angehörigen der deutschen Minderheiten bis heute von herausragender Bedeutung. Neben der Ver- Schätzungsweise 640.000 Angehörige deutscher besserung ihrer Lebens- und Zukunftsperspektiven Minderheiten leben in den Nachfolgestaaten der ehe- fördert die Bundesregierung daher Maßnahmen zur maligen Sowjetunion. Zum überwiegenden Teil sind Wahrung und Stärkung ihrer kulturellen Identität, dies Nachfahren der auf Einladung der russischen insbesondere ihrer Sprachkompetenz. Krone aus deutschen Teilstaaten eingewanderten Landwirte, Handwerker und anderer Fachkräfte. In In der heutigen Zeit übernimmt die deutsche Minder- ihren heutigen Lebensräumen sind sie als nationale heit eine wichtige kulturelle Brückenfunktion und Minderheit anerkannt. Ihre aktuelle Situation ist bis hilft, dauerhafte Netzwerke und zivilgesellschaftliche heute nachhaltig von den Auswirkungen des Zweiten Verbindungen in die ehemaligen Sowjetrepubliken Weltkrieges geprägt. aufzubauen.

Obwohl die deutsche Minderheit in der frühen Sowjetunion fest verwurzelt, als nationale Minder- heit etabliert und hoch angesehen war, geriet sie infolge der Kriegshandlungen des NS-Staates gegen die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg kollektiv unter den Verdacht von Illoyalität und Kollaboration. Dieser Verdacht hatte tiefgreifende Repressionsmaßnahmen zur Folge. Selbst nach der allmählichen Lockerung der staatlichen Maßnahmen durch das Ende des Stalinis- mus ab 1955 war die deutsche Minderheit weiterhin Anfeindungen und Repressionen ausgesetzt.

Beauftragter Fabritius, der Vorsitzende der Stiftung „Wiedergeburt Vor dem Hintergrund der Verantwortung Deutsch- in Kasachstan, Albert Rau, sowie ihr Geschäftsführer Dmitriy Redler lands für den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs während der zweiten Vernetzungskonferenz bekennt sich die Bundesregierung zur bleibenden Verpflichtung, der deutschen Minderheit bei der ­Bewältigung ihres besonderen Kriegsfolgenschicksals zu helfen. TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021 27

Im Juni 2020 sind die Vorsitzenden der Selbstorga- nisationen der deutschen Gemeinschaften in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion sowie der Vor- sitzende der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland auf Einladung des Bundesbeauftragten zu einer zweiten Vernetzungskonferenz im digitalen Format zusammengekommen. Beteiligt waren auch Vertreter der AGDM.

Die in der Russischen Föderation lebende deutsche Minderheit war durch den Vorsitzenden des Internatio- AGDM-Sprecher Bernard Gaida und IVDK-Vorsitzender Heinrich nalen Verbands der deutschen Kultur in der Russischen­ Martens als Teilnehmer der zweiten Vernetzungskonferenz Föderation, Heinrich Martens, vertreten. Für die Deutschen in Kasachstan nahmen der Vorsitzende der Stiftung „Wiedergeburt“ in Kasachstan, Albert­ Rau, Die in ihren Ländern als Ansprechpartner vor Ort und ihr Geschäftsführer Dmitriy ­Redler teil; für die bewährten Selbstorganisationen der deutschen Deutschen in der Ukraine­ nahm der Vorsitzende des Minderheiten stehen in gewohnter Weise mit ihren Rats der Deutschen in der Ukraine,­ Wladimir Leysle, Strukturen in allen Regionen zur Verfügung und teil. Zudem war der ­Bundesvorsitzende der Lands- können im Bedarfsfall jederzeit Unterstützung seitens mannschaft der Deutschen aus Russland, Johann des Bundesbeauftragten herbeiführen. So war in Thießen, vertreten. Als Gäste nahmen der Sprecher der vereinzelt aufgetretenen Härtefällen prompte Abhilfe AGDM, Bernard­ Gaida,­ sowie ihre Geschäftsführerin, möglich. Renata Trischler,­ an der Konferenz teil. Des Weiteren wurden Maßnahmen zur Zukunfts­ Die Vertreter der Selbstorganisationen berichteten­ fähigkeit der deutschen Minderheiten erörtert. ausführlich über die Auswirkungen der ­COVID-19- Beauftragter Fabritius regte die Schaffung eines Pandemie auf das Leben der Deutschen vor Ort sowie unter Beteiligung der AGDM durch die Selbstorga- auf die Tätigkeiten ihrer Verbände. Vielerorts konnte nisationen ausgestellten Mitgliedsausweises an, der beispielsweise durch Online-Sprachkurse oder andere die Zugehörigkeit zur jeweiligen Selbstorganisation digitale Angebote die Projektarbeit aufrechterhalten­ dokumentieren und beispielsweise die Inanspruch- werden. Auch die durch die Pandemie geltenden nahme von Leistungen aus dem Förderprogramm des Reisebeschränkungen und ihre Auswirkungen auf BMI erleichtern soll. Ein derartiger Mitgliedsausweis den grundsätzlich möglichen Zuzug deutscher Spät- kann zudem wesentlich dazu beitragen, das Zuge- aussiedler in die Bundesrepublik Deutschland nach hörigkeitsgefühl zur deutschen Minderheit und das dem Bundesvertriebenengesetz wurden besprochen. Engagement für die jeweilige deutsche Minderheit zu Die für den Zuzug erforderlichen D-Visa werden auf erhöhen. Grundlage eines vom BVA ausgestellten Aufnahme- bescheids von den deutschen Auslandsvertretungen Im August 2019 wurde eine stärkere Vernetzung der erteilt. Vielerorts wirken allerdings die in den je- Selbstorganisationen der Deutschen in den Staaten weiligen Ländern geltenden Quarantäneregelungen der ehemaligen Sowjetunion und der Landsmann- und rein praktische Reisehemmnisse wie reduzierter schaft der Deutschen aus Russland in Deutschland Flugbetrieb oder inländische Reisebeschränkungen auf Vorschlag des Beauftragten der Bundesregierung einschränkend. für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten ­beschlossen. 28 TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021

„Projekt JDR – Das Gebiet der Möglichkeiten“ deutscher Jugendlicher in der Russischen Föderation

1.1. Deutsche Minderheit in der Russischen eint. Die deutsche Minderheit verfügt über zahlreiche Föderation regionale und überregionale Printmedien (insb. die Moskauer Deutsche Zeitung - MDZ). Rund 400.000 Einwohner der Russischen Föderation bekennen sich nach den Ergebnissen der Volkszäh- Das Engagement des Bundesbeauftragten vollzieht lung 2010 zur deutschen Volkszugehörigkeit. sich auf allen gesellschaftlichen Ebenen; von guten Kontakten zur Regierung bis hin zur Zivilgesellschaft. Die Deutschen in der Russischen Föderation sind in Primärer Ansprechpartner des Beauftragten seitens zahlreichen Vereinen und Verbänden gut und flächen­ der russischen Regierung ist die Föderale Agentur deckend organisiert. Grundlage ihrer Tätigkeit bilden für Nationalitätenangelegenheiten (FADN). Sie ist über 400 örtliche Begegnungszentren, mehrere maßgeblich für die Politik der russischen Regierung Deutsch-Russische Häuser (insb. in Moskau und im sibi- hinsichtlich der zahlreichen im Land existierenden rischen Tomsk) und vier Kultur- und Geschäftszentren. Minderheiten verantwortlich. Der Leiter der FADN, Minister Igor Barinow, führt gemeinsam mit dem Die größte und bedeutendste Vereinigung der Russ- Beauftragten der Bundesregierung den Vorsitz der landdeutschen ist der Internationale Verband der Deutsch-Russischen Regierungskommission für die deutschen Kultur (IVDK). Er vertritt als Verband die Angelegenheiten der Russlanddeutschen. Interessen der Deutschen in der Russischen Födera- tion auf zivilgesellschaftlicher Ebene und vermittelt In Umsetzung der Beschlüsse der Deutsch-Russi- deutsche Kultur und Sprache. Sein vorrangiges Ziel schen Regierungskommission für die Angelegen- ist die Stärkung der kulturellen Identität der Deut- heiten der Russlanddeutschen wurde eng begleitet schen in Russland. Seit seiner Gründung wird er von durch den Bundesbeauftragten eine gemeinnützige ­Heinrich Martens geführt. Organisation­ russischen Rechts gegründet, an die das Eigentum am Deutsch-Russischen Haus Moskau zur Die meisten Jugendorganisationen sind unter dem langfristigen Nutzung durch die Deutschen in der Dach des Jugendrings der Russlanddeutschen ver- Russischen Föderation übergeben wird. TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021 29

Bedingt durch die COVID-19-Pandemie mussten weitläu­figen Gebiet in mehreren Zeitzonen digitale viele der geplanten Projekte der deutschen Minder- Veranstaltungen zu organisieren. heit in der Russischen Föderation in kürzester Zeit und mit großem Aufwand auf Online-Formate oder 1.2. Deutsche Minderheit in der Republik Hybrid-Formate umgestellt werden. Dies war mit Kasachstan großen Herausforderungen verbunden. Dennoch ist es gelungen, die Arbeit der deutschen Minderheit 180.000 ethnische Deutsche leben in Kasachstan; weiterhin kontinuierlich und erfolgreich umzusetzen, ein Großteil von ihnen in Gebieten Nord- und Ost­ wie folgende Projekte beispielhaft zeigen. kasachstans.

2020 fand zum zehnten Mal der gesamtrussische Die ersten Deutschen siedelten sich bereits Ende des Wettbewerb „Russlands herausragende Deutsche“ 19. Jahrhunderts im Zuge von Agrarreformen frei­ statt. Der Wettbewerb ist ein fester Bestandteil der willig im Norden des heutigen Kasachstans an. Heut- Kulturarbeit der Russlanddeutschen. Die Preisver- zutage jedoch stammt die Mehrheit der Kasachstan­ leihung wurde digital im Deutsch-Russischen Haus deutschen von deportierten Russlanddeutschen aus Moskau als zentralem Studio durchgeführt. Hinzu den westlichen Gebieten der Sowjetunion ab, die ­kamen Liveüber­ ­tragungen­ aus verschiedenen ­Kultur- in­fol­ge des kollektiven Kollaborationsverdachts wäh- und Geschäftszentren und Deutsch-­Russischen rend des Zweiten Weltkriegs und in der unmittelbaren Häusern. Per Videoübertragung beglückwünschte Nachkriegszeit nach Kasachstan verschleppt wurden. Beauftragter Fabritius die Gewinner. Mehrere Generationen von Deutschen in Kasachstan leisteten einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung des Das Institut für ethnokulturelle Bildung (BiZ) reali- kasachischen Staates, seiner Wirtschaft, Wissenschaft sierte 2020 das Programm zur beruflichen Umschu- und Kultur. Bis heute ist die deutsche Gemeinschaft lung „Vorschul- und Zusatzbildung (Fremdsprachen)“. in Kasachstan ein geachteter und geschätzter Partner Das Programm richtete sich an Erzieher und Deutsch- und selbstverständlicher integraler Bestandteil der lehrer der vorschulischen Bildungseinrichtungen, kasachischen Gesellschaft. die mit russlanddeutschen Kindern arbeiten. Im Jahr 2020 wurde das Programm im Präsenzformat und im Onlineformat durchgeführt.

Das Projekt des Jugendrings der Russlanddeutschen (JDR) „#Elternaktiv“ ist ein Familienprojekt des JDR, das über vier Wochen als „Weihnachtsmarathon“ digital durchgeführt wurde. Während der Projekte sprachen Eltern und Kinder Deutsch, lernten deutsche Lieder, sprachen über ihre Familiengeschichte, bastel- ten in Workshops und malten und entwickelten einen ­Cartoon über die Geschichte des Adventskalenders.

Das Jugendprojekt „JDR - das Gebiet der Möglich­ keiten“ zielte darauf ab, ein Netzwerk der Mitglieds- organisationen des Jugendrings der Russlanddeut- schen zu entwickeln und die Wirksamkeit der aktiven Jugendklubs und Jugendorganisationen der Russ- landdeutschen zu erhöhen. Besonders erfreute den Projekt Sprachcafé zu Weihnachten in Ust-Kamenogorsk ­Beauftragten die rege Tätigkeit der Jugendverbände, er würdigte die Fähigkeit der vielen Ehrenamtli- chen in der Russischen Föderation, auf einem derart 30 TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021

Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Auch die Fortführung des Onlineprojektes „Virtuelles Heimat setzt seine Fördermaßnahmen mithilfe der Museum der Deutschen Kasachstans“ bietet durch Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusam- die neu erstellte zweisprachige Internetseite mit über menarbeit (GIZ) und dem Dachverband, der Gesell- 2.000 Exponaten die Möglichkeit, in das kulturel- schaftlichen Stiftung „Vereinigung der Deutschen le Erbe der Deutschen Kasachstans einzutauchen. Kasachstans - Wiedergeburt“, um. Schwerpunkte der Hierzu Beauftragter Fabritius: „Es ist berührend, Förderung liegen im Sprach-, Jugend- und sozialen dass sich aufgrund dieses Projektes Verwandte nach Bereich. Die Förderung wird in der Regel in jährlich mehrjähriger Trennung wiedergefunden haben. Zwei stattfindenden zwischenstaatlichen Regierungs- Live­sen­dungen zu historischen und ethnokulturellen kommissionen abgestimmt. Der Beauftragte der Themen mit renommierten Historikern und Kultur- Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale wissenschaftlern aus Kasachstan, Deutschland und Minderheiten führt hierbei die Sitzungen der Regie- Russland wurden durchgeführt. All dies zeugt von der rungskommission gemeinsam mit einem Vertreter hohen Professionalität der Deutschen in Kasachstan.“ der kasachischen Seite. Im Rahmen des Projekts „große Regionen helfen Die Tätigkeit der Gesellschaftlichen Stiftung „Vereini- kleinen Regionen“ haben die Regionalgesellschaften gung der Deutschen Kasachstans „Wiedergeburt“ war der deutschen Minderheiten in Almaty und Karagan- im Berichtszeitraum von einer Vielzahl an Online­ da Vertreter aus den kleineren Regionen Kasachstans projekten und -aktivitäten geprägt. Dennoch konnten­ fortgebildet. Durch Hospitationsprojekte, die 2020 für Präsenzveranstaltungen im kleineren Rahmen durch- verschiedene Projektangestellte umgesetzt wurden, geführt werden. konnten die Teilnehmer die praktische Projektarbeit der erfahrenen Regionen erleben, vielseitige Kennt- Beauftragter Fabritius begrüßt besonders, dass die nisse erlangen, Antworten auf offene Fragen erhalten deutsche Minderheit in Kasachstan besonderen Wert und auch Projektideen für die eigene Region ent­ auf die Jugend- und Spracharbeit legt und diese auch wickeln. trotz pandemiebedingter Einschränkungen qualitativ hochwertig durchgeführt hat.

Besonders hervorzuheben sind die neuen Online- formate, zu denen u. a. das landesweite Festival der Jugendtheaterstudios „Theater. Deutsch. Jugend. Online” gehört. Hierfür wurden u. a. vier digi- tale Vor­lesungen zur Geschichte und Kultur der Deutschen Kasachstans erstellt, die auf dem VDJK- YouTube-­Kanal (VDJK - Verband der deutschen Jugend Kasachstans)­ veröffentlicht und von mehr als ­39.000 Besuchern gesehen wurden.

Zusammen mit der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland (LmDR) hat der VDJK vier weitere Online­schulungen für junge Lai­enschau­ ­spie­ler und Laienregisseure durchgeführt und ein ergänzendes Webinar mit einem Historiker angeboten. Dies hat die Jugendtheatergruppen inspiriert, sich mit der eigenen Sprache, Kultur und Geschichte auseinanderzusetzen und diese in Onlineaufführungen zu thematisieren, die im Rahmen des Festivals auf dem VDJK-YouTube-­ Ausbau des Deutsch-Kasachischen Zentrums in Nur-Sultan Kanal präsentiert wurden. TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021 31

Grußwort des Beauftragten zum 25-jährigen Bestehen des Verbandes der deutschen Jugend Kasachstans, abrufbar unter https://daz.asia/blog/fuer-ihre-belange-habe-ich-immer-ein-offenes-ohr

Beauftragter Fabritius unterstützt nachdrücklich dass sich die deutsche Jugend Kasachstans mit ihrer die Verstärkung der sozialen Unterstützung der Geschichte und ihren Wurzeln auseinandersetzt, und ­deutschen Bevölkerung in Kasachstan aufgrund ermunterte sie, sich zukünftig noch stärker in die Ver- der Pandemie. In Absprache und auf Wunsch der bandstätigkeit einzubringen. Minderheit wurden vor allem Lebensmittelpakete, Medikamente und Beratungen durch Psychologen 1.3. Deutsche Minderheit in der Ukraine für insgesamt 12.804 Angehörige der deutschen Minderheit an mehr als 320 Wohnorten ausgegeben Etwa 33.000 ethnische Deutsche leben auf das bzw. ermöglicht. Allen voran haben die Vertreter der ­gesamte Staatsgebiet der Ukraine verteilt. Erlebnisgeneration ­profitiert, aber auch diejenigen, die durch die ­COVID-19-Pandemie in eine schwierige Das Staatsgebiet der heutigen Ukraine war ein his- Lebens­situation geraten sind. torischer Siedlungsschwerpunkt der Deutschen zur Zeit der russischen Zarenreiche. Odessa war bis zum Der Bundesbeauftragte zeigt sich erfreut, dass Ankauf Ausbruch des Zweiten Weltkrieges das kulturelle und Ausbau des Deutsch-Kasachischen Zentrums in Zentrum der Deutschen in der Region. Nur-Sultan mit der Gesamtfläche von ca. 1.199,6 m² zugunsten der deutschen Minderheit in Kasachstan Vertreten wird die deutsche Minderheit vom „Rat weiter vorangeschritten ist und voraussichtlich im der Deutschen in der Ukraine“, unter dessen Dach Laufe des Jahres 2021 abgeschlossen sein wird. sich die „Internationale Gesellschaft der Deutschen in der ­Ukraine – Wiedergeburt“, die „Assoziation der Im März 2021 beglückwünschte Beauftragter Fabri- ­Deutschen in der Ukraine“ und die „Deutsche Jugend tius den Verband der Deutschen Jugend Kasachstans in der Ukraine“ mit fünf regionalen Informations­ zu seinem 25-jährigen Bestehen. In seiner Botschaft zentren und 36 Begegnungsstätten zusammenge- anlässlich des Jubiläums zeigte er sich erfreut darüber, schlossen haben. 32 TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021

Die Fördermaßnahmen des Bundesministeriums des Der Rat der Deutschen der Ukraine hat zudem intensiv Innern, für Bau und Heimat zugunsten der deutschen an der App-Entwicklung zur einzigartigen Wander- Minderheit werden durch die Gesellschaft für Ent- ausstellung „Deutsche in der Ukraine: Geschichte und wicklung (eine vor Ort durch die Deutsche Gesell- Kultur“ gearbeitet, welche die historischen Infor- schaft für Internationale Zusammenarbeit gegründete mationen über die deutsche Minderheit der Ukraine Organisation) in enger Zusammenarbeit mit dem Rat ­systematisiert. Autor des Konzeptes und der Texte ist der Deutschen in der Ukraine durchgeführt. Schwer- Dr. Alfred Eisfeld, Experte für die Geschichte und Kultur punkte der Förderung stellen die Unterstützung der der Deutschen im Russischen Reich, der Sowjetunion Jugend- und Spracharbeit sowie soziale Hilfe vor allem und der GUS. Die App ist kostenlos erhältlich und funk- für die vom Binnenkonflikt Betroffenen dar. tioniert auch offline. Enthalten sind dabei auch interak- tive Elemente, beispielsweise ein innovatives Quiz. Die Ausgestaltung der Fördermaßnahmen wird in der Regel auf Regierungsebene unter anderem in Im Juni 2020 fand die gesamtukrainische „Kinder- den jährlichen Sitzungen der Deutsch-Ukrainischen sprachakademie Online 2020“ erfolgreich statt. Dieses Regierungskommission für die Angelegenheiten der digitale Camp bot Kindern aus allen Regionen der Personen deutscher Abstammung abgestimmt. Ukraine die Möglichkeit, ihr Deutsch zu verbessern und nebenbei neue Freunde zu finden. Veranstaltet wurde Bereits seit einigen Jahren werden erfolgreich Online­ das Projekt vom Informations- und Bildungszentrum sprachkurse für ethnisch Deutsche in solchen Ge- „BIZ-Ukraine“ in Kooperation mit dem Zentrum der bieten der Ostukraine durchgeführt, die nicht unter deutschen Kultur „Widerstrahl“. Insgesamt nahmen der Kontrolle der ukrainischen Regierung stehen. Bis 45 Kinder im Alter von 10 bis 15 Jahren an diesem zu 35 Teilnehmer pro Jahr konnten auf diese Weise Projekt teil. Die Organisatoren sorgten für ein vielfälti- Deutsch­un­ter­richt der Stufen A1 bis B1 erhalten. ges und kreatives Angebot an Aktivitäten sowie eine an- genehme Atmosphäre, sodass die Kinder ihre Deutsch- Einerseits war dies wichtig, um den Kontakt zu den kenntnisse festigen bzw. voranbringen konnten. ethnisch Deutschen in den umkämpften Gebieten Donezk und Lugansk aufrechterhalten zu können. Beauftragter Fabritius: „Die deutsche Minderheit in der Andererseits konnten durch diese Onlinekurse wert- Ukraine ist ein Vorreiter bei der Nutzung digitaler Hilfs- volle Erfahrungen gesammelt werden, die es im Zuge mittel zur Vermittlung von Sprache und Kultur und der Corona-Pandemie möglich machten, auch andere setzt diese unter nicht einfachen Bedingungen profes- Projekte schnell und wirkungsvoll digital anbieten zu sionell ein. Dies kann uns allen Ansporn sein, es ihnen können. Die deutsche Minderheit in der Ukraine wur- gleichzutun. Dafür möchte ich u. a. dem Vorsitzenden de damit zum digitalen Vorreiter für andere deutsche des Rates der Deutschen in der Ukraine, Wladimir­ Minderheiten. ­Leysle, meinen herzlichen Dank aussprechen.“

Wie gut die deutsche Minderheit in der Ukraine in Staat und Gesellschaft integriert ist, zeigte nicht zu- letzt die gemeinsame Vorstellung der Briefmarken „Nationale Minderheiten der Ukraine: Deutsche“ durch die Ukrainische Post gemeinsam mit dem Rat der Deutschen in der Ukraine im August 2020. In einer feierlichen Präsentation wurden dabei die vier Brief- marken „Tanz Sternpolka“, „Weihnachten“, „Im Feld“ und „Schloss Schönborn“ offiziell abgestempelt. Der berühmte ukrainische Künstler Mykola Kotschubej erstellte die Miniaturen für die Briefmarken, die ein Vorstellung der Briefmarken durch u. a. den Vorsitzenden des Rates hohes Maß an Authentizität aufweisen. Die gemein­ der Deutschen in der Ukraine, Wladimir Leysle same Arbeit am Projekt dauerte mehr als ein Jahr. TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021 33

1.4. Deutsche Minderheit in der Kirgisischen konnte trotz der Pandemie erfolgreich viele der ge- Republik planten Projekte realisieren.

Einst lebten etwa 100.000 ethnische Deutsche in ­Kirgi- Für Projektformen, die nicht realisiert werden sistan. Derzeit sind nach Angaben des kirgisischen Sta- ­konn­ten, wurden gute Alternativen gefunden. Unter tistikamtes noch 8.300 Staatsbürger (älter als 16 Jahre), ­anderem konnten ethnisch-deutsche Kinder im Alter die sich als Deutsche bezeichnen, im Lande verblieben. von 3 bis 14 Jahren aus den acht Begegnungsstätten Kirgisistans aufgrund der Pandemie monatelang nur online an den regelmäßigen Veranstaltungen teil- nehmen. Damit Kontakt und Zusammengehörigkeits- gefühl sowie das Wissen über deutsche Traditionen, deutsches Liedgut und deutsche Literatur nicht ver- loren gehen, haben alle Kinder und Jugendlichen eine ethnokul­turelle Weihnachtshandreichung erhalten.

Das Projekt „Junge Deutsche Kirgistans präsentie- ren“ hat den Bundesbeauftragten tief beeindruckt: „Ich finde die Idee der deutschen Jugendlichen, die kirgi­sische Mehrheitsgesellschaft mit der Kultur und Selbstorganisation der ethnischen Deutschen in Kir- gisistan durch soziale Medien und Fernsehsendungen bekannt zu machen, außergewöhnlich. Neben den Valerij Dill - Vorsitzender des VdD Kirgisistan - berichtet über die Informationen auf dem offiziellen Instagram-Account Aktivitäten der Deutschen in Kirgisistan im Kirgisischen TV haben Angehörige der deutschen Minderheit an ver- schiedenen TV- und Rundfunk­programmen teilge- nommen und über ihre ethnokulturelle Arbeit und Die humanitäre Unterstützung der zumeist älteren die sprachlichen Aktivitäten der Selbstorganisation deutschstämmigen Bevölkerung bildet vor dem Hinter- berichtet.“ grund der fortdauernd schwierigen wirtschaftlichen Situation in Kirgisistan neben der allgemeinen Sprach- förderung einen Schwerpunkt der deutschen Förderung. Durch die Sozialstationen in Sokuluk, Bischkek und Tokmok werden sozial Benachteiligte (insbesondere ehe- malige Angehörige der als Repressionsorgan genutzten „Arbeitsarmeen“, den sog. Trudarmisten) mit Lebensmit- teln und medizinischen Dienstleistungen unterstützt. Neben humanitären Hilfen werden auch Sprach- und Jugendprojekte gefördert sowie Maßnahmen zur Be- wahrung der kulturellen Identität. In der Deutsch-Kirgi- sischen Regierungskommission für die Angelegenheiten der Deutschen in der Kirgisischen Republik werden in In der kirgisischen Stadt Tokmok geben aktive deutsche Jugend­ der Regel im jährlichen Turnus die Hilfsmaßnahmen liche aus dem Jugendclub während des Sommers 2020 Lebens­ zwischen beiden Staaten abgestimmt. Auf deutscher Seite mittelpakete aus hat der Bundesbeauftragte den Vorsitz inne.

Der Volksrat der Deutschen (VdD), der zugunsten In Kirgisistan ist aufgrund der Auswirkungen der CO- der ethnischen Deutschen die Stiftung „Deutscher VID-19-Pandemie der Bedarf an sozialen Hilfen ge- Humani­tärer Hilfsfonds“ (DHHF) gegründet hat, stiegen. Fabritius: „Der VdD hat mich gebeten, die so- 34 TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021

zialen Hilfen zu verstärken, insbesondere das Projekt „Lebensmittelpakete“. Diese soziale Unterstützung gegenüber den ethnischen Deutschen, die aufgrund ihres Schicksals selbst von Haft und Vertreibung be- troffen waren, hat große positive Anteilnahme in der kirgisischen Mehrheitsgesellschaft geweckt.“

Trotz sehr strikter staatlicher Pandemieauflagen ist im Rahmen der Spracharbeit Deutsch im Online-­ Format unterrichtet worden. Die Teilnehmer nutzten nach kurzer Zeit problemlos verschiedene Lernplatt- formen, um Deutsch online zu lernen.

Auch der „Konversationskurs Miteinander sprechen, miteinander lernen“, der in Zusammenarbeit mit der Auch die Deutschen in Usbekistan tauschen sich per Videokonferenz Partnerorganisation Landsmannschaft der Deutschen aus, hier in einem Arbeitszirkel zur Landeskunde für Senioren aus Russland (LmDR) im Onlineformat realisiert wur- de, ist ein positives Beispiel der Partner- und Sprach- arbeit. Beauftragter Fabritius begrüßt ausdrücklich men zwischen den Staaten abgestimmt. Auf deutscher die Vernetzung und die Verbesserung des Sprach- Seite hat der Bundesbeauftragte den Vorsitz inne. niveaus der ethnischen Deutschen in Kirgisistan einhergehend mit einer Vermittlung eines modernen Das Jahr 2020 gestaltete sich für die deutsche Minder- Deutschlandbildes. heit in Usbekistan he­r­aus­for­dernd, da u. a. zwischen März und September strenge Quarantänevorschriften 1.5. Deutsche Minderheit in der Republik und Ausgangssperren durchgesetzt wurden. ­Usbekistan Dieses führte dazu, dass die Arbeit aller Deutschen Es leben heute noch ca. 10.000 Staatsbürger deutscher Kulturzentren (DKuZ) temporär eingestellt wurde Volkszugehörigkeit in Usbekistan. Vor etwa 30 Jahren und einige Arbeitskreise für mehrere Monate unter- war die Minderheit noch mehr als sechsmal so groß. brochen werden mussten. Oft gelang aber die Verle- Zum Großteil sind die verbliebenen Deutschen in gung in ­Onlineformate. Usbekistan Nachfahren der 1941 von der Wolga nach Zentralasien deportierten Russlanddeutschen. Aber Die COVID-19-Pandemie und die damit einhergehen- es gab auch vor dieser Zwangsumsiedlung Deutsche de ansteigende Arbeitslosigkeit in Usbekistan hat zum in Usbekistan; deutsche Spuren lassen sich etwa Teil zu einem Rückgang der Unterstützungsmöglich- 150 Jahre­ zurückverfolgen. keit der Kinder und Enkelkinder gegenüber den An- gehörigen der Erlebnisgeneration geführt. Aus diesem Die Deutschen in Usbekistan leben heute vor allem Grunde wurde auf Betreiben des Bundesbeauftragten in den größeren Städten Taschkent, Buchara, Samar- die BMI-Förderung zugunsten der sozialen Hilfen in kand und Fergana, wo sie in Deutschen Kulturzentren Usbekistan umgestaltet, um gerade in dieser schwie- organisiert sind. Seit 2002 ist das Republikanische rigen Situation die älteren Angehörigen der deutschen Kulturzentrum der Usbekistandeutschen Mitglied der Minderheit zu unterstützen. Beispielsweise wurde das Föderalistischen Union Europäischer Volksgruppen. Projekt „Häusliche Pflege“ für alleinstehende, ältere Angehörige der deutschen Minderheit auch im Jahr In den regelmäßig stattfindenden Sitzungen der 2020 ununterbrochen durchgeführt. Im Rahmen Deutsch-Usbekischen Regierungskommission für die dieses Projekts besuchen Sozialarbeiter alleinstehende Angelegenheiten der Bürger der Republik Usbekistan Senioren und helfen ihnen im Alltag. deutscher Volkszugehörigkeit werden die Maßnah- TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021 35

Im Rahmen des sozialen Projekts „Beeilt euch, Gutes An zwei Tagen im September wurden von Ange- zu tun“ wurden auf Initiative des Beauftragten und hörigen der deutschen Minderheit insgesamt zwölf des BMI Lebensmittelpakete für den in der Pandemie Gutshöfe und Herrenhäuser in Lettland besucht, die ausgeweiteten Kreis bedürftiger Angehöriger der früher ethnischen Deutschen gehörten, um über die ­deutschen Minderheit organisiert. reiche Geschichte und Gegenwart dieser Familien zu lernen. Der Verein der Deutschen in Ventspils – unter Beauftragter Fabritius: „Ich bin erfreut, dass die seiner Vorsitzenden Māra Kraule – hat damit den ei- Bundesrepublik Deutschland durch die notwendigen genen Bekanntheitsgrad in der lettischen Mehrheits- sozialen Hilfen für meist ältere Angehörige der deut- bevölkerung steigern können, was neben zahlreichen schen Minderheit in Usbekistan ihrer besonderen Ver- Artikeln in sozialen Medien auch eine Sendung auf antwortung für ihr besonderes Kriegsfolgenschicksal Radio 4 in Lettland zeigt. nachkommt. Ich bin den Mitarbeitern des BMI, des BVA und der Baden-Württemberg International Beauftragter Fabritius hierzu: „Dass die kleine deut- dankbar, welche die deutsche Minderheit in Usbekis- sche Gemeinschaft in Lettland trotz der Pandemie tan in ihrem ersten Jahr der selbstständigen Projekt- aktiv ist, erfreut mich sehr. Zukunftsweisend dabei arbeit erheblich beraten und unterstützt haben.“ ist die Tatsache, dass unter den 29 Teilnehmern dieses Projekts elf Jugendliche waren. Die Aktivierung Anlässlich eines Austauschs zwischen Bundeskanzle- junger Menschen der deutschen Minderheit und ihre rin Merkel und dem usbekischen Präsidenten Schaw- langfristige Einbindung in die Arbeit der Selbstorga- kat Mirsijojew im März 2021 hat Beauftragter Fabri- nisationen vor Ort gehören zu den Schwerpunkten tius gegenüber dem usbekischen Staatsfernsehen die meiner Tätigkeit und der Förderung durch das BMI.“ deutsch-usbekischen Beziehungen im Hinblick auf die in Usbekistan lebenden Deutschen erläutert. Auch Genauso erfreulich sind aus Sicht des Beauftragten hier würdigte er die Deutschen in Usbekistan und ins- die verstärkten Aktivitäten des Vereins der deutschen besondere ihre Selbstorganisation „Wiedergeburt“ als Minderheit im estnischen Tartu. Bis zum Jahres- besondere Brücke zwischen den beiden Ländern. ende wurde die Zahl an neuen Mitgliedern mehr als verdoppelt. Soweit es die örtlichen Bestimmungen 1.6. Deutsche Minderheit im Baltikum zuließen, wurden ethnokulturelle Aktivitäten in der Advents- und Weihnachtszeit durchgeführt und da- Insbesondere infolge des Beitritts zur Europäischen mit die Sichtbarkeit in Tartu deutlich erhöht. Zugleich Union im Jahr 2004 ist die Anzahl der ethnischen wurde die Präsenz in sozialen Medien ausgebaut und Deutschen in den Ländern des Baltikums deut- damit ein wichtiger Beitrag geleistet, Jugendliche lich zurückgegangen und beträgt derzeit noch etwa gezielt anzusprechen und für die Arbeit im Verein zu 8.300 Personen. In Estland und Lettland gibt es begeistern. Dachorganisationen, die auch Mitglied in der FUEN sind. In Litauen ist vor allem der Verein der Deutschen in Klaipėda aktiv. Fördermaßnahmen des BMI gibt es insbesondere im Bereich Ethnokultur. So gibt es zahlreiche jahreszeitliche Veranstaltungen, aber auch Liederfeste spielen eine zentrale Rolle für den Zusam- menhalt der deutschen Minderheit im Baltikum.

Für die Projektarbeit unter Bedingungen der Corona-­ Pandemie wurde die Frage bedeutsam, wie die Zu- kunftsfähigkeit der kleinen deutschen Minderheit vor Ort gesichert werden kann. Zwei erfolgreich umge- Digitale Buchpräsentation im Rahmen des Projekts „Wieder­ setzte Projekte stehen dafür exemplarisch: belebung des Tartuer Vereins“ 36 TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021

Für die deutsche Minderheit im Baltikum sind dies Neben der Kinder- und Jugendarbeit sind auch wichtige Schritte, um die Sichtbarkeit nach außen zu erst­malig ethno-kulturelle Projekte für Senioren erhöhen, die Attraktivität nach innen zu steigern – durchgeführt worden. Auch wenn die Mehrzahl der und um gerade auch jugendliche Mitglieder für eine Senioren sich intensiver als die Jugendlichen mit ihrer langfristige Zusammenarbeit zu gewinnen. Geschichte auseinandergesetzt hat, war die intensive Beschäftigung mit der Einwanderung der Vorfahren 1.7. Deutsche Minderheit in Georgien in die deutschen Weindörfer im Kaukasus für alle Teilnehmer bereichernd. Seit 1817 siedeln Deutsche in Georgien. 1941 wurden ca. 23.000 Deutschstämmige nach Kasachstan zwangs- Außerdem konnten nach vielen Jahren neue Sprach- umgesiedelt; nur wenige kehrten nach 1956 zurück und ethnokulturelle Lehrbücher sowie Lehrmateria- nach Georgien. Heute sind die verbliebenen ca. 2.000 lien mithilfe des Deutschen Buchinformationszent- Angehörigen der deutschen Minderheit in der „Einung“ rums Moskau und aus Deutschland im Rahmen der organisiert, die Begegnungsstätten in Tiflis und Rus­ Zusammenarbeit mit dem Jugend- und Studentenring tawi unterhält. Das Bundesministerium des Innern, für der Deutschen aus Russland e. V. (JSDR) angeschafft Bau und Heimat unterstützt insbesondere die Begeg- werden. Für die Deutschlehrer wurde ein Onlinese- nungsstättenarbeit und leistet humanitäre Hilfen für minar sowie das Partnerprojekt mit der Landsmann- bedürftige Angehörige der älteren Generation. schaft der Deutschen aus Russland (LmDR) „Kon- versationskurs: Miteinander sprechen, miteinander Besonders hervorzuheben ist, dass im Jahr 2020 die lernen“ durchgeführt.­ Jugendarbeit der deutschen Minderheit in Georgien ge- stärkt werden konnte. Ethnisch deutsche Jugend­liche, Beauftragter Fabritius: „Die Vertiefung der freund- die in der „Einung“ organisiert sind, besuchten die schaftlichen Beziehungen zwischen der „Einung“ ersten deutschen Siedlungen in Georgien (Elisabethtal mit JSDR, LmDR sowie der deutschen Minderheit in und Georgenfeld), führten ethnokulturelle Workshops, Kasachstan aufgrund des von mir angeregten Pro- eine Masterklasse sowie Onlineprojekte mit anderen grammes „Große Minderheiten unterstützen kleine deutschen Minderheiten durch und setzten sich somit Minderheiten“ begrüße ich mit Nachdruck. Den Dank aktiv mit ihren deutschen Wurzeln auseinander. Auch der „Einung“ für die Unterstützung und Beratung gebe die Aktivitäten der Begegnungsstätten wurden 2020 ich hiermit gern an die Partner LmDR, JSDR und in der teilweise auf Onlineformate umgestellt. Gesellschaftlichen Stiftung Wiedergeburt weiter.“

2. Deutsche Minderheiten in Europa

In Mittel- und Osteuropa lebt heute die zahlenmä- ßig größte deutsche Minderheit in Ungarn, gefolgt von Polen, Rumänien, Tschechien und der Slowakei. ­Kleinere Gruppen leben in Kroatien, Serbien und Slowenien. Sie alle sind in ihren Heimatstaaten tra- ditionell stark verwurzelt und genießen in der Regel staatliche Anerkennung als nationale Minderheiten.

Galt es nach dem Ende des Ost-West-Konflikts in den Jahren 1989/1990 den Deutschen in den genannten Gebieten in erster Linie eine wirtschaftliche Perspek- tive zu eröffnen, konnten die Förderschwerpunkte angepasst werden, sie zielen heute auf Stärkung der Deutsche Jugendliche in Georgien während ihres Besuchs deutscher Verbandsarbeit, Bewahrung der kulturellen Identität Siedlungen sowie Aus- oder Wiederaufbau der Sprachkompetenz. TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021 37

Die deutschen Minderheiten übernehmen heute auch über effiziente Selbstorganisationen. Fabritius dankte eine wichtige Brückenfunktion zu den europäischen der ungarischen Staatsregierung für eine in Europa Partnerländern. beispielhafte Minderheitenpolitik im eigenen Land, die sich auch durch Gedenkveranstaltungen wie diese 2.1. Deutsche Minderheit in Ungarn zur Vertreibung der Ungarndeutschen auszeichne.

Mit 186.000 Angehörigen lebt in Ungarn die größte Eine vertrauensvolle und konstruktive Zusammen- deutsche Minderheit der mittel- und osteuropäischen arbeit pflegt der Beauftragte mit der Vorsitzenden Staaten. Die Ungarndeutschen leben über das gesamte der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen, Staatsgebiet Ungarns verstreut, jedoch mit Sied- Ibolya Hock-Englender. So dankte der Beauftragte der lungsschwerpunkten in Transdanubien (Zentrum: LdU-Vorsitzendem u. a. für ihr Engagement bezüglich Fünfkirchen/Pécs) und im Ofener Bergland rund einer literarischen Auseinandersetzung mit dem Werk um Budapest. Ihre Selbstorganisation ist die Landes- der ungarndeutschen Dichterin Valeria Koch. Auch selbstverwaltung der Ungarndeutschen (LdU), zu der die derzeit in Ausschreibung befindlichen Projekte Beauftragter Fabritius enge Kontakte unterhält. Im zur Errichtung von ungarndeutschen Lehrpfaden in ungarischen Parlament ist die LdU mit dem Abgeord- ungarndeutschen Gemeinden sowie zur verbesserten neten Emmerich Ritter vertreten. Ausstattung der regionalen Begegnungsstätten durch das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat werden durch den Bundesbeauftragten nach- haltig unterstützt.

2.2. Deutsche Minderheit in Polen

Rund 148.000 Menschen gehören zur deutschen Min- derheit in Polen. Sie leben überwiegend in Oberschle- sien, insbesondere in den Woiwodschaften Oppeln­ und Schlesien. In Nord- und Nordostpolen ­liegen regionale Siedlungsschwerpunkte der deutschen­ Minderheit in Ermland-Masuren und dem Großraum Danzig.

Beauftragter Fabritius während der virtuellen Gedenkveranstaltung Wichtigste bilaterale Grundlage für den Schutz der des Generalkonsulats von Ungarn in München zum Gedenken an deutschen Minderheit in Polen ist der deutsch-­polnische die Vertreibung der Ungarndeutschen Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit vom 17. Juni 1991. Das Bundesminis- Auch im Jahr 2021 hat der Bundesbeauftragte auf terium des Innern, für Bau und Heimat unterstützt die Einladung des Generalkonsuls Gábor Tordai-Lejkó an ethno-kulturelle Arbeit, die Jugend- und Sprachförde- der Gedenkveranstaltung des Generalkonsulats von rung sowie die Unterstützung der Selbstorganisation. Ungarn in München zum Gedenken an die Vertrei- bung der Ungarndeutschen teilgenommen. In diesem Der Verband der deutschen sozial-kulturellen Gesell- Jahr wurde die Veranstaltung virtuell durchgeführt schaften in Polen (VdG) setzt sich als Dachverband und Beauftragter Fabritius übermittelte seinen Bei- für die Belange der deutschen Minderheit in Polen trag in einer Videobotschaft, in der er das Schicksal ein. Ein wichtiger Teilverband des VdG und größte der nach dem Zweiten Weltkrieg aufgrund pauschaler ­Organisation der deutschen Minderheit in Ober- ethnischer Verurteilung zu Hundertausenden ver- schlesien ist die Sozial-Kulturelle Gesellschaft der schleppten und vertriebenen Ungarndeutschen wür- Deutschen im Oppelner Schlesien (SKGD). Sie feierte digte. Trotz Vertreibung und Entrechtung blieben die im Jahr 2020 ihr 30-jähriges Bestehen. Hierzu über- verbliebenen Ungarndeutschen eine starke Gemein- brachte Beauftragter Fabritius die Glückwünsche der schaft und verfügen heute in den meisten Komitaten Bundesregierung. 38 TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021

Auch nach der Wahl im Oktober 2019 sichert mit der polnischen Regierung und der Woiwodschaft Ryszard Galla ein Abgeordneter der Minderheit ihre Oppeln unterstützt.“ Mitsprache im polnischen Parlament (Sejm). In weiteren Gesprächen mit Bernard Gaida wur- Beauftragter Fabritius unterhält enge Beziehungen zu den u. a. Themen wie die Bildungsreform in Polen den Vertretern der deutschen Minderheit in Polen und angesprochen, die Unterricht in deutscher Sprache steht mit Bernard Gaida, dem Vorsitzenden des VdG, für Angehörige der deutschen Minderheit unnötig in regelmäßigem Kontakt. Beispielsweise ­tauschte er erschwert. Hierbei wies Beauftragter Fabritius wieder- sich mit mit Bernard Gaida und Rafał Bartek, dem holt auf die Verpflichtungen hin, die Polen aus der Vorsitzenden der SKGD und ersten Vorsitzenden des Ratifi­zierung der Charta des Europarates zum Erhalt Sejmik der Woiwodschaft Oppeln, u. a. im September von Regional- und Minderheitensprachen erwachsen. 2020 im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat bezüglich der Mittelerhöhung zugunsten Auch im Gespräch mit dem polnischen Botschafter, des geplanten Dokumentations- und Ausstellungs- Dr. Andrzej Przyłębski, machte Bundesbeauftragter zentrums der deutschen Minderheit in Polen aus, die Fabritius gemeinsam mit dem Parlamentarischen durch Umschichtung vorhandener Haushaltsmittel Staatssekretär im BMI, Stephan Mayer, MdB, auf die für das Jahr 2020 realisiert werden konnte. sprachpolitische Situation der deutschen Minderheit in Polen aufmerksam und forderte Abhilfe.

Die deutsche Minderheit in Polen ist in hohem Maße durch ihren christlichen Glauben geprägt. Die jährliche Minderheitenwallfahrt auf den St. Annaberg in Polen fand im Juni 2020 in einem hybriden Format statt.

Auch die Aktivitäten der deutschen Minderheit in Polen wurden durch die COVID-19-Pandemie beein- trächtigt. Um die Pflege der deutschen Kultur, Sprache und Identität aufrechtzuerhalten, wurden digitale Möglichkeiten genutzt und somit zahlreiche Konfe- renzen, Schulungen, Wettbewerbe, Konzerte, Theater- Beauftragter Fabritius gemeinsam mit VdG-Vorsitzenden Bernard Gaida und Rafał Bartek, dem Vorsitzenden der SKGD und ersten aufführungen und deutschsprachige Gottesdienste Vorsitzenden des Sejmik der Woiwodschaft Oppeln durchgeführt. Dazu gehörten u. a. das „Archiv der erzählten Geschichte”, das 25. Schlesienseminar zum Thema „Das Jahr 1945 in Mittel- und Osteuropa”, das Fabritius hierzu: „Ich freue mich, dass durch diese Jugendprojekt „Jugendbox – kreative Freizeitgestaltung Umschichtung auf notwendige Entwicklungen bei für Jugendliche der deutschen Minderheit”, die Deut- Umsetzung des Projektes konstruktiv reagiert werden schen Kulturtage im Oppelner Schlesien, die Deutsch- konnte. Die Idee eines Dokumentations- und Aus- olympiade, der Theaterwettbewerb des Vereins Pro stellungszentrums der deutschen Minderheit wurde Liberis Silesiae, zahlreiche Advents-, Weihnachts- und bereits in der ersten Sitzung des deutsch-polnischen Neujahrskonzerte (organisiert durch der SKGD im Op- Runden Tischs entwickelt – die deutsche Minderheit pelner Schlesien) sowie viele weitere Veranstaltungen, in Polen soll durch solch ein multiperspektivisches u. a. organisiert durch den DFK Bezirk Schlesien und Zentrum zur Dokumentation, Wissensvermittlung DSKG Grünberg. Auch das Sprachcamp für Jugendliche und Begegnung in ihrer kulturellen Identität weiter „Jugendaktiv”, die „Miro Deutschen Fußball­schulen”, gefördert werden. Dort soll museal, wissenschaftlich die Kinderclubs des HdpZ, die ­Kinderspielstadt „Klein- und kulturgeschichtlich die Geschichte der Deut- Raschau” des Vereins Pro ­Liberis Silesiae sowie ein On- schen dieser Region in die polnische Gesamtgesell- line-Rezitationswettbewerb der SKGD Oppeln fanden schaft getragen werden. Das Projekt wird auch von im Onlineformat bzw. im Hybridformat statt. TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021 39

Beauftragter Fabritius gemeinsam mit dem Parlamentarischem Staatssekretär Stephan Mayer, MdB, im Gespräch mit dem polnischen Botschaf­ter Dr. Andrzej Przyłębski

Das Jahr 2020 stand für die Deutschen in Polen unter Parlament. Seit 2004 ist Ovidiu Ganț Vertreter der dem Zeichen innovativer Projekte, darunter das deutschen Minderheit im Parlament und wichtiger Projekt „Deutsch AG“. Die Idee für dieses Vorhaben Ansprechpartner des Bundesbeauftragten. Ein her- entstand, nachdem es in der 7. und 8. Klasse der Grund- ausragendes Zeichen des hohen Ansehens der deut- schule nicht mehr möglich war, Deutsch als Fremd- schen Minderheit in Rumänien ist der aus den Reihen sprache und als Minderheitensprache miteinander zu der Siebenbürger Sachsen stammende Staatspräsident verbinden. Dies führte zur Absenkung der Zahl der Rumäniens, Klaus Werner Johannis, der zuletzt im Deutschunterrichtsstunden. Um diesen Verlust aus­ November 2019 im Amt bestätigt wurde. zugleichen, wurde das Projekt „Deutsch AG“ gestartet.­ Das Projekt ermöglicht, einen intensiven sowie qua- Mit dem im Februar 2021 neu ernannten und vom litativen Erwerb der deutschen Sprache in Form von DFDR vorgeschlagenen Unterstaatssekretär im zweier zusätzlicher Unterrichtsstunden (außerschuli- Departement für Interethnische Beziehungen im Ge- scher Unterricht) wöchentlich durchzuführen. neralsekretariat der Regierung Rumäniens, Thomas Șindilariu, besprach Beauftragter Fabritius unmittel- 2.3. Deutsche Minderheit in Rumänien bar nach seinem Amtsantritt gemeinsame Anliegen.

In Rumänien leben noch ca. 37.000 Angehörige der Das Bundesministerium des Innern, für Bau und deutschen Minderheit. Die deutschen Volksgruppen Heimat fördert die deutsche Minderheit in Rumänien haben eine Siedlungsgeschichte, die viele Jahrhun- mit Maßnahmen in den Bereichen Kultur, Jugend, derte zurückreicht. Sie sind im Dachverband der Sprache und Soziales. Darüber hinaus existieren regionalen Selbstorganisationen der Minderheit, dem Förderprogramme der Länder Baden-Württemberg, Demokratischen Forum der Deutschen in Rumänien Nordrhein-Westfalen und Bayern für Kultur, Sprache (DFDR), organisiert. Das DFDR nimmt als Minder- und Schulausbildung. heitenorganisation an Wahlen teil, ohne als politi- sche Partei eingestuft zu werden. Insbesondere bei Wichtigstes Gremium zur zwischenstaatlichen Ab- Kommunalwahlen wurden, gemessen an der Größe stimmung der Hilfen sowie zur Adressierung ander- der Minderheit, überdurchschnittlich hohe Erfolge er- weitiger Anliegen ist die Deutsch-Rumänische Regie- zielt. Diese Regelung für Minderheiten garantiert dem rungskommission für Angelegenheiten der deutschen DFDR auch einen Abgeordnetensitz im rumänischen Minderheit in Rumänien. 40 TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021

Teilnehmer der 23. Sitzung der Deutsch-Rumänischen Regierungs- Bundesbeauftragter Fabritius mit Mitarbeitern des BMI während kommission der Sitzung der Regierungskommission

Am 12. Oktober 2020 fand in Berlin und Bukarest die traditionell gute und freundschaftliche Verhältnis 23. Sitzung der Deutsch-Rumänischen Regierungs- ­zwischen Deutschland und Rumänien zu stärken kommission für Angelegenheiten der deutschen Min- sowie kulturelle­­ und zivilgesellschaftliche Brücken derheit im Onlineformat statt. Beauftragter Fabritius ­zwischen den beiden Ländern zu bauen. hat gemeinsam mit Iulia Matei, Staatssekretärin im rumänischen Ministerium für Auswärtige Angele- In gewohnt freundschaftlicher Atmosphäre behan- genheiten, die Sitzung geleitet. An der Kommissions- delte die Regierungskommission für die deutsche sitzung nahmen zahlreiche Akteure der deutsch-­ Minderheit wichtige Anliegen. Schwerpunkte der rumänischen Minderheitenpolitik, darunter der Beratungen waren die Unterstützung des deutschen deutsche Botschafter in Rumänien, Cord Meier-Klodt, Schulsystems in Rumänien sowie die Finanzierung der Vertreter der deutschen Minderheit im rumäni- von Altenheimplätzen für Angehörige der deutschen schen Parlament, Ovidiu Ganț, der Bundesvorsitzende Volksgruppe. der Landsmannschaft der Banater Schwaben, Peter-­ Dietmar Leber, sowie die stellvertretende Bundes- Zur Vorbereitung der Kommissionssitzung hatte vorsitzende des Verbands der Siebenbürger Sachsen, Beauftragter Fabritius im Juni 2020 Gespräche mit Doris Hutter, teil. Der rumänischen Delegation gehör- Staatssekretärin Iulia Raluca Matei und Botschafter ten auch Repräsentanten der deutschen Minderheit in Cord Meier-Klodt in Bukarest geführt, anschließend Rumänien an, vertreten durch den Vorsitzenden des wurde er durch den Staatspräsidenten Rumäniens, Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien, Klaus Werner Johannis, in seinem Amtssitz, Schloss Prof. Dr. Paul-Jürgen Porr, und den Geschäftsführer, Cotroceni, empfangen. Themen des in freundschaft­ Benjamin Józsa. Erstmalig war als Vertreter der Evan- licher Atmosphäre geführten Gesprächs waren aktuelle gelischen Kirche A.B. der Deutschen in Rumänien Aspekte der deutsch-rumänischen Beziehungen und Bischof Reinhart Guib an den Beratungen beteiligt. die Förderung der deutschen Minderheit in Rumänien.

Die Sitzung der Regierungskommission fand vor Ein wichtiges Thema hinsichtlich der deutschen dem Hintergrund der deutschen EU-Ratspräsident- ­Minderheit in Rumänien ist die Ausgestaltung der schaft sowie unter den Bedingungen der COVID-19-­ Entschädigung der Opfer der kommunistischen Pandemie statt. Daher wurde auch erörtert, wie die Diktatur in Rumänien und die Einbeziehung von mit der Pandemie einhergehenden außerordentlichen Angehörigen der deutschen Minderheit. Hierzu Herausforderungen gemeinsam bewältigt werden hat Beauftragter Fabritius u. a. mit der zuständigen können. Die Delegierten brachten ihre Überzeu- rumänischen Ministerin für Arbeit und Soziales gung zum Ausdruck, dass die deutsche ­Minderheit Violeta Alexandru sowie dem für Entschädigungs- einen eigenständigen Beitrag leisten kann, das fragen zuständigen Staatssekretär Ion Alin Dan Ignat TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021 41

und Staatssekretär Ignat Möglichkeiten einer Geset- zesklärung besprochen, in denen den berechtigten Anliegen der Betroffenen Rechnung getragen wird. Fabritius dankte der rumänischen Regierung für die sehr konstruktive Herangehensweise und den bei- spielhaften Umgang mit dieser Seite der Geschichte der deutschen Minderheit in Rumänien.

Beauftragter Fabritius‘ Engagement bezieht sich nicht nur auf staatliche Stellen, sondern widmet sich auch explizit der Stärkung gesellschaftlicher Initiativen zur Stärkung der deutschen Minderheit in Rumänien.

So hat der Bundesbeauftragte zur Eröffnung an- lässlich der im August und September 2020 virtuell veranstalteten Kulturwoche Haferland eine Grußbot- schaft übermittelt. Schirmherr dieser mehrtägigen Kulturveranstaltung der Deutschen in Rumänien, die sich dem Erhalt des siebenbürgisch-sächsischen Kulturgutes sowie der regionalen Wirtschafts- und Tourismusförderung widmet, war der Ministerpräsi- dent des Freistaates Bayern, Dr. Markus Söder.

Der Bundesbeauftragte sprach den Veranstaltern, Bundesbeauftragter Fabritius mit dem deutschen Botschafter Michael und Veronica Schmidt, den Vorständen in Rumänien, Cord Meier-Klodt, vor der deutschen Botschaft in Bukarest der Michael-und-Veronica-Schmidt-Stiftung sowie Peter Maffay seine Anerkennung für die erfolgreiche ­Kulturinitiative aus. Gespräche geführt und sich eng mit Vertretern der deutschen Minderheit in Rumänien, aber auch den Organisationen der aus Rumänien stammenden Deutschen abgestimmt.

Das rumänische Parlament hatte auf Mitinitiative des Abgeordneten der deutschen Minderheit, Ovidiu Ganț, bestehende Entschädigungsregeln, etwa für die Deportation der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion oder in die Bărăgan-Steppe über die Betroffenen hinaus auch auf ihre Kinder ausgeweitet (Gesetz 130/2020). Offene Auslegungsfragen hatten zu einer Vielzahl von Rückfragen bei den landsmannschaftlichen Verbänden der Deutschen aus Rumänien in Deutsch- land geführt. Auf Bitten der Bundesvorsitzenden der Landsmannschaft der Banater Schwaben in Deutsch- land, Peter-Dietmar Leber, sowie des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland e. V., Rainer Bundesbeauftragter Fabritius und Staats­sekretärin Iulia Raluca Lehni, hat der Beauftragte mit Ministerin Alexandru Matei im Juni 2020 in Bukarest 42 TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021

2.4. Deutsche Minderheit in anderen Staaten Mittelost- und Südosteuropas

In weiteren Ländern Mittelost- und Osteuropas, ­namentlich in Tschechien, Kroatien, Serbien, ­Slowenien und der Slowakei, leben heute ebenfalls noch Angehörige deutscher Minderheiten.

Tschechische Republik

In der Tschechischen Republik leben etwa 18.700 An- gehörige der deutschen Minderheit. Beauftragter Fabritius steht in engem Kontakt zu Vertretern der deutschen Minderheit vor Ort, insbesondere mit dem Präsidenten der Landesversammlung der deutschen Vereine in der Tschechischen Republik, Martin ­Dzingel.

Dank der flexiblen Planung der Organisatoren und viel persönlichem Engagement konnten in Tschechi- en u. a. Konzerte mit deutscher Musik im Live­stream über den Facebook-Kanal der Landesversammlung oder andere Onlineveranstaltungen angeboten wer- Werbung für eine Veranstaltung des Jugendverbandes der den, welche die Jugendlichen der deutschen Minder- Deutschen in Tschechien, JUKON heit vor Ort zu einem aktiven Miteinander und zum Austausch neuer Ideen in Zeiten der COVID-19-Pan- Im Sommer und Herbst 2020 konnten in einge- demie angeregt haben. schränktem Rahmen schließlich auch traditionelle Feste gefeiert und langjährige Projekte unter konse- quenter Beachtung aller Pandemieregeln fortgeführt werden. So wurden das Bier- und Erntefest und der deutsch-tschechische Begegnungstag in Mährisch-­ Trübau begangen. Bereits zum 27. Mal kamen Jugend- liche aus Deutschland mit Kindern und Jugendlichen der deutschen Minderheit in Westböhmen in der Stadt Tepl, nahe der deutsch-tschechischen Grenze, zu dem gemeinsamen Projekt „Jugendbegegnung 2020“ ­zusammen, um die deutsche Sprache, den Zusammen­ halt und das gemeinsame Miteinander zu pflegen.

Mit der multimedialen Aufarbeitung des im Novem- ber 2019 uraufgeführten Theaterstücks „Die Vertrei- bung von Gerta Schnirch“, das die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei zwischen 1945 und 1947 thematisiert, konnte im Virtuelle Besprechung der Vertreter der deutschen Vereine in Sommer ein bereits 2019 begonnenes Projekt erfolg- ­Tschechien im März 2020 reich fortgeführt werden. TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021 43

Beauftragter Fabritius hierzu: „Es ist sehr beein- schen sind Mitglieder im Karpatendeutschen Verein druckend, mit welchem Engagement und welcher (KDV), der bereits 1990 gegründet wurde. Durch Kreativität in der Nutzung digitaler Formate sich die seine regionale und örtliche Gliederung ist der Verein deutsche Gemeinschaft in Tschechien für die Pflege ­flächendeckend vertreten, insbesondere in den Sied- ihrer Kultur und Tradition sowie den Erhalt und Aus- lungsschwerpunkten. bau ihrer Sprachkompetenz einsetzt, obwohl gerade Tschechien hart von der COVID-19-Pandemie getrof- Für den Karpatendeutschen Verein (KDV) war das fen wurde. Mein Dank hierfür gilt insbesondere dem Jahr 2020 neben der traditionellen Kulturtätigkeit Vorsitzenden der Landesversammlung der deutschen auch ein besonderes Jahr: Der Verein feierte sein Vereine in Tschechien, Martin Dzingel.“ 30-jähriges Gründungsjubiläum. Aus diesem An- lass beteiligte sich der KDV mit einem eigenen Stand Slowakische Republik und dem Auftritt der Gesangsgruppe Neutrataler aus ­Gaidel/Klačno am Deutschen Kulturtag in Pressburg. In der Slowakei leben nach Angaben der Volkszählung aus dem Jahr 2011 etwa 4.690 Angehörige der karpa- Auch der KDV reagierte auf die Einschränkungen tendeutschen Minderheit. Inoffizielle Schätzungen durch die COVID-19-Pandemie: Beispielsweise wur- reichen bis zu einer dreifach höheren Anzahl. Höher den Onlineformate wie der Podcast „Karpatenfunk“ als die Zahl der bekennenden Deutschen ist die Zahl ins Leben gerufen, auf dem über Themen rund um derjenigen, die Deutsch als Mutter- oder Familien- die deutsche Minderheit, Mundarten und Märchen sprache benutzen. Auf dem Staatsgebiet der heutigen gesprochen wird. Bisher hat der KDV bereits 30 Folgen Slowakei, das bis 1918 durch Jahrhunderte ein Teil erstellt und veröffentlicht. Der Beauftragte würdig- des Königreichs Ungarn (Oberungarn) gewesen war, te die für die Pflege der eigenen Identität wichtige ­Kulturarbeit des KDV als „unverzichtbar und beson- ders gelungen“.

Anstelle des traditionellen Kultur- und Begegnungs- festes in Kesmark/Kežmarok wurde eine Online­ ausstellung über dieses größte Festival der ­deutschen Minderheit in der Slowakei erarbeitet, das auf der Webseite des Karpatenblattes abrufbar ist und multimediale Inhalte über 25 Jahre Kultur- und ­Begegnungsfest bietet.

Um in Zeiten der Corona-Pandemie den Austausch zwischen den Mitgliedern der Gemeinschaft zu fördern, wurden die Adventssamstage für die Ein­ (v. l. n. r.) KDV-Vorsitzender Ondrej Pöss mit der deutschen Bot- führung einer Onlinegesprächsrunde „Zukunfts­ schafterin Barbara Wolf und der Kulturmanagerin des Ifa, Zoe Luck dialog 1 plus 1“ genutzt. Diese Veranstaltungen ermöglichen den Austausch zwischen erfahrenen Mitgliedern der deutschen Minderheit und jüngeren lassen sich die Anfänge deutscher Besiedelung bis ins Mitgliedern, die am Anfang ihres beruflichen Lebens Mittelalter zurückverfolgen. Aufgrund der Potsdamer stehen, zu den Themenbereichen Unternehmen, Beschlüsse wurden etwa vier Fünftel der verbliebenen ­Kultur, Deutsch und KDV unter der Betrachtung Karpatendeutschen vertrieben, während etwa ein „heute und morgen“. Fünftel im Land verblieb. Die verbliebene deutsche Minderheit bildet als Sprach- und Identitätsträger eine wichtige Brückenfunktion zwischen Deutsch- land und der Slowakei. Nahezu alle Slowakeideut- 44 TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021

Republik Slowenien wichtiger Beitrag zum Erhalt der deutschen Sprache­ und kulturellen Vielfalt in Slowenien und bietet Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden fast alle ­Gelegenheit, sich mit der Geschichte der Deutschen in ­Deutschen unter dem Vorwurf der Kollaboration mit der Region auseinanderzusetzen.“ den Nationalsozialisten aus dem damaligen Jugo- slawien, zu dem auch Slowenien gehörte, gewaltsam Beauftragter Fabritius hat aus Anlass der Entscheidung vertrieben. Lebten in Slowenien im Jahr 1931 noch des Ministerkomitees mit dem Vorsitzenden des Dach- 40.000 ethnisch Deutsche, so waren es nach Anga- verbandes der deutschen Minderheit in Slowenien, ben der Volkszählung 2002 nur noch 499 Landsleute. Christian Lautischer, in einem konstruktiven Gespräch 1628 Personen gaben an, Deutsch im Haushalt, in der weitere Schritte vereinbart, um die Anerkennung der Familie oder als Muttersprache zu sprechen. deutschen Sprache als offizielle Minder­heitensprache durch die slowenische Regierung zu unterstützen. Die Im Oktober 2020 hat das Ministerkomitee des Europa­ slowenische Regierung steht dazu bereits in Kontakt rats die Empfehlung an die Republik Slowenien mit Vertretern der deutschen ­Minderheit. ausgesprochen, u. a. Deutsch als offizielle Minderhei- tensprache anzuerkennen und den Schutz der Sprache 2.5. Königreich Dänemark zu verbessern. Dazu soll ein Dialog mit den Sprechern aufgenommen, Bildungsmodelle erarbeitet und Die deutsche Volksgruppe im Königreich Däne- Deutsch vermehrt medial verbreitet werden. mark umfasst heute etwa 15.000 Mitglieder aus einer Gesamtbevölkerung von 250.000 Bewohnern in Hierzu Bundesbeauftragter Fabritius: „Ich begrüße Nordschleswig. Sie besteht seit der Volksabstimmung die Entscheidung des Ministerkomitees. Sie ist ein und der darauffolgenden Grenzziehung zwischen

Beauftragter Fabritius mit (v. l. n. r.) Karin Prien, Bildungs- und Kulturministerin Schleswig-Holsteins, Joy Mogensen, Kulturministerin Däne- marks, Hinrich Jürgensen, BDN-Hauptvorsitzender, sowie Detlev Rünger, deutscher Botschafter in Dänemark bei der Wiedereröffnung des Deutschen Museums Nordschleswig im August 2020 TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021 45

dem Deutschen Reich und Dänemark im Jahre 1920, mit der Nordschleswig dänisch wurde. In den Bonn-­ Kopenhagener Erklärungen aus dem Jahr 1955 ssind sowohl die Grundlagen für die kulturelle Selbstbe- stimmung der dänischen Minderheit in Deutschland als auch jene der deutschen Minderheit in Dänemark festgelegt.. Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat unterstützt die deutsche Volksgrup- pe in Dänemark durch eine institutionelle Förderung.

In Anwesenheit u. a. der dänischen ­Kulturministerin Joy Mogensen sowie der schleswig-holsteinischen Landesministerin für Bildung, Wissenschaft und ­Kultur, Karin Prien, nahm Bundesbeauftragter (v. l. n. r.) Reinhard Boll, SSF-Vorsitzende Gitte Hougaard-Werner, ­Fabritius an der Wiedereröffnung des mit deutschen Landtagspräsident Klaus Schlie, BDN-Hauptvorsitzender Hinrich und dänischen Fördermitteln erweiterten und neu- Jürgensen und Bettina Freitag (NDR) gestalteten Deutschen Museums Nordschleswig im August 2020 in Sonderburg teil und zeigte sich dort von der erstaunlich schnellen Realisierung eines Gegeneinander über ein Nebeneinander zu einem modernen Anbaus sowie des Gesamtumbaus und des Miteinander gewandelt hat.“ innovativen Konzeptes des Museums beeindruckt. Der Beauftragte hob hervor, wie sehr das gute Zusam- Beauftragter Fabritius würdigte das Museum und die menwirken der beiden Minderheiten auch Verbes- Eröffnungsveranstaltung als Ausdruck des freund- serungen für die Mehrheitsgesellschaft im deutsch-­ schaftlichen deutsch-dänischen Verhältnisses sowie dänischen Grenzland bringt. Beispiele dafür sind die des vorbildhaften Miteinanders aller im deutsch-­ gemeinsamen Bemühungen zur Auszeichnung des dänischen Grenzland lebenden Menschen. deutsch-dänischen Minderheitenmodells als Im- materielles Welterbe der UNESCO oder die gemein- Das Deutsche Museum Nordschleswig in Sonderburg samen Anstrengungen, für alle Grenzlandbewohner ist das Museum der deutschen Minderheit in Däne- Erleichterungen bei den Beschränkungen aufgrund mark. Bauherr ist ihre Dachorganisation, der Bund der COVID-19-Pandemie an den deutsch-dänischen Deutscher Nordschleswiger (BDN). Grenzübergängen zu erwirken.

BDN und der Südschleswigsche Verein/Sydslesvigsk Mit dem Demokratiepreis wird in diesem Jahr zum Forening (SSF) als kultureller Dachverband der däni- dritten Mal eine Institution oder Person ausge- schen Minderheit in Deutschland wurden im Novem- zeichnet, die sich in besonderer Weise um die frei- ber 2020 mit dem schleswig-holsteinischen Demo- heitlich-demokratische Ordnung verdient gemacht kratiepreis ausgezeichnet. Minderheitenbeauftragter hat. Der Demokratiepreis wird zusammen mit dem Fabritius würdigte anlässlich der Preisverleihung in Schleswig-Holsteinischen Bürgerpreis in einer seiner Laudatio die besonderen Verdienste der Preis- ­gemeinsamen Veranstaltung verliehen. Die Suche träger um grenzüberschreitende Aussöhnung und und Auswahl des Preisträgers erfolgt durch eine Jury. Verständigung. Schirmherren des Preises sind Klaus Schlie, Präsi- dent des Schleswig-Holsteinischen Landtages, und Fabritius: „Sie haben durch ihre vielfältigen Aktivi- ­Reinhard Boll, Präsident des Sparkassen- und Giro- täten ganz erheblich dazu beigetragen, dass sich das verbandes für Schleswig-Holstein. Zusammenleben von Minderheit und Mehrheits- gesellschaft in beiden Ländern nach dem Zweiten Weltkrieg kontinuierlich verbessert und von einem 46 TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021

IV. Nationale Minderheiten in Deutschland und Sprachgruppe Niederdeutsch

Nationale Minderheiten sind in Deutschland jene Schutz und Förderung der nationalen Minderheiten Gruppen deutscher Staatsangehöriger, die im Gebiet umfassen auch die Minderheitensprachen Dänisch, der Bundesrepublik Deutschland traditionell – d. h. Nord- und Saterfriesisch, Ober- und Niedersorbisch seit Jahrhunderten – heimisch sind. In der Regel leben sowie das Romanes der deutschen Sinti und Roma. sie in angestammten Siedlungsgebieten und unter- Geschützt wird in Deutschland zudem die Regional- scheiden sich von der Mehrheitsbevölkerung durch sprache Niederdeutsch (Plattdeutsch) auf Grundlage eigene Sprache, Kultur und Geschichte, also eigene der Europäischen Charta der Regional- oder Minder- Identität, und sind bestrebt, diese weiterzugeben und heitensprachen des Europarats vom 5. November 1992, zu bewahren. In Deutschland leben vier anerkannte die in Deutschland am 1. Januar 1999 in Kraft trat. nationale Minderheiten: die dänische Minderheit, die friesische Volksgruppe, die deutschen Sinti und Roma Bund, Länder und zahlreiche Kommunen unter­ sowie das sorbische Volk. stützen die Angehörigen der nationalen Minderheiten sowie die Niederdeutsch-Sprecher durch eine Vielzahl Nationale Minderheiten stehen unter dem besonderen an Maßnahmen bei der Bewahrung ihrer kulturellen Schutz des Rahmenübereinkommens des Europarates Identität. zum Schutz nationaler Minderheiten vom 1. Februar 1995, das in Deutschland am 1. Februar 1998 in Kraft Der Minderheitenbeauftragte ist in erster Linie An- trat. sprechpartner der nationalen Minderheiten und der

Beauftragter Fabritius mit dem Minderheitenrat (Bild vom Februar 2020) TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021 47

Niederdeutsch-Sprecher auf Bundesebene und leistet Unter anderem im November 2020 hat sich Beauf- diesbezüglich Informationsarbeit. tragter Fabritius mit dem Vorsitzenden des Minder- heitenrates, dem Vorsitzenden der Domowina – Bund Die beim Bundesministerium des Innern, für Bau Lausitzer Sorben e. V., Dawid Statnik, und dem Leiter und Heimat angesiedelten Beratenden Ausschüsse des Minderheitensekretariats, Gösta Nissen, in einer für Fragen der dänischen Minderheit, des sorbischen Videokonferenz über aktuelle Themen und Anliegen ­Volkes, der friesischen Volksgruppe, der deutschen der nationalen Minderheiten ausgetauscht. Sinti und Roma sowie der niederdeutschen Sprach- gruppe ermöglichen den anerkannten nationalen Minderheiten und den Niederdeutsch-Sprechern den direkten Kontakt mit der Bundesregierung und den Abgeordneten des Deutschen Bundestags. Den Vorsitz nimmt in allen fünf Ausschüssen jeweils der Beauf- tragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten wahr.

Wichtigster Ansprechpartner des Beauftragten im Bereich der nationalen Minderheiten ist der Minder- heitenrat. Er ist ein Zusammenschluss der Selbstorga- nisationen der nationalen, autochthonen Minderhei- Beauftragter Fabritius im Gespräch mit den Bundestagsabgeord­ ten in Deutschland mit jährlich wechselndem Vorsitz. neten Astrid Damerow, und Er wurde 2005 gegründet und unterhält in Berlin das Minderheitensekretariat der vier autochthonen Minderheiten und Volksgruppen Deutschlands, das Auch im aktuellen Berichtszeitraum war die Euro­ vom Bundesministerium des Innern, für Bau und päische Bürgerinitiative Minority SafePack (MSPI) ein Heimat gefördert wird. Das Minderheitensekretariat wichtiges Thema der Minderheitenpolitik. Auf Initia- dient dem Informationsaustausch der Minderheiten tive der FUEN und mit Unterstützung einer Vielzahl mit dem Deutschem Bundestag sowie der Bundesre- von Minderheitenverbänden in Europa haben mehr gierung und unterrichtet die Minderheitenverbände als eine Million Bürger die EU-Kommission zu Ver- über relevante Entwicklungen auf Bundesebene und besserungen im Minderheitenschutz auf europäischer betreibt Öffentlichkeitsarbeit. Das Sekretariat dient Ebene aufgefordert. Beauftragter Fabritius hat sich auch der Abstimmung zwischen den Minderheiten u. a. im September 2020 dazu mit den Abgeordneten und koordiniert ihre Stellungnahmen. des Deutschen Bundestags Astrid Damerow, Petra Nicolaisen (beide CDU) und Sylvia Lehmann (SPD) ausgetauscht.

Im Januar 2021 hat die EU-Kommission jedoch ent- schieden, die Vorschläge der MSPI nicht zum Anlass für konkrete Rechtsanpassungen zu nehmen. Hierzu stellt Beauftragter Fabritius fest: „Ungeachtet der Ent- scheidung der Europäischen Kommission gilt es, den positiven Impuls der Bürgerinitiative für einen wirk- samen Minderheitenschutz in Europa zu nutzen.“

Im März 2021 traf Beauftragter Fabritius mit der Bot- Beauftragter Fabritius im Gespräch mit dem Vorsitzenden des Minderheitenrates, dem Vorsitzenden der Domowina – Bund schafterin des Königreichs Dänemark, Frau Susanne Lausitzer Sorben e. V., Dawid Statnik, und dem Leiter des Minder- Hyldelund, zu einem politischen Meinungsaustausch heitensekretariats, Gösta Nissen in Berlin zusammen. 48 TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021

Größte Organisation und kultureller Dachverband der dänischen Minderheit ist der Südschleswigsche ­Verein (Sydslesvigsk Forening e.V. – SSF), die infolge der Grenzziehung am 26. Juni 1920 gegründet wurde. Beauftragter Fabritius würdigte die Tätigkeit des SSF zur Aufrechterhaltung der eigenen kulturellen Identität der dänischen Minderheit und der gleich- zeitigen Pflege eines gedeihlichen Miteinanders mit der Mehrheitsbevölkerung mit einem Grußwort zum Beauftragter Fabritius im Gespräch mit der Botschafterin des 100. Jahrestags der Gründung des Vereins. Der SSF Königreichs Dänemark, Susanne Hyldelund habe großen Anteil daran, dass das Zusammen­leben der Menschen im deutsch-dänischen Grenzgebiet Botschafterin Hyldelund unterstrich den hohen heute selbstverständlicher und partnerschaftlicher ist Stellenwert des Minderheitenschutzes für das als jemals zuvor in den vergangenen Hundert Jahren. deutsch-dänische Verhältnis. Gemeinsam erörterte Die Bedeutung des Miteinanders ist nach Einschät- man Möglichkeiten, Ziele der gescheiterten Minority zung des Bundesbeauftragten gerade im aktuellen SafePack-Initiative (MSPI) zur Stärkung des Minder- Pandemiegeschehen wieder sichtbar geworden. Er heitenschutzes in Europa erneut an die EU-Kommis- dankte allen Mitgliedern des SSF und insbesondere sion heranzutragen. Hieran gibt es laut Botschafterin allen ehrenamtlich Tätigen für die geleistete Arbeit. Hyldelund in Dänemark ein breites parteiübergrei- fendes Interesse. Der Beauftragte unterschied dabei Politisch ist die Minderheit durch eine eigene Partei, zwischen der in vollem Umfang zu unterstützenden den Südschleswigschen Wählerverband (SSW), aktiv. politischen Zielsetzung der Initiative sowie einzelnen Die als Partei der dänischen Minderheit nach dem Lan­ Vorschlägen der Initiative und mit ihrer Umsetzung deswahlgesetz Schleswig-Holsteins und dem Bundes­ verbundene Folgefragen, die es auch im Verhältnis wahlgesetz von der Fünfprozentklausel ­befreite Partei zum Europarat zu klären gelte. Hierzu wurde eine entsendet regelmäßig Abgeordnete in den Schleswig- Fortsetzung des Erfahrungsaustauschs vereinbart. Holsteinischen Landtag und stellt eigene Mitglie­der in Zudem sollten – so Fabritius – auch die Möglichkei- zahl­reichen Gemeinde- und Kreisvertretungen. ten der Einwirkung auf das Europäische Parlament genutzt werden, das sich mit breiter Mehrheit hinter Der Dänische Schulverein (Dansk Skoleforening for die MSPI-Vorschläge gestellt habe. Das Europäische Sydslesvig) unterhält ein gut ausgebautes Privatschul- ­Parlament könne sich einzelne Vorschläge der Ini- system für die dänische Minderheit mit Grund- und tiative zu eigen machen und seinerseits die EU-Kom- Gemeinschaftsschulen, davon zwei mit gymnasia- mission auffordern, Maßnahmen zur Stärkung des ler Oberstufe, und einem Internat. Dem Dänischen Minderheitenschutzes auf EU-Ebene zu ergreifen. Schulverein obliegt auch die Erwachsenenbildung. Die dänische Kultur wird zudem durch ein eigenes 1. Dänische Minderheit Bibliothekssystem (Dansk Centralbibliotek) und die dänischsprachige Tageszeitung „Flensborg Avis“ ge- Die dänische Minderheit im Land Schleswig-­Holstein stärkt. Die evangelisch-lutherische Dänische Kirche ist traditionell in der Grenzstadt Flensburg, den in Südschleswig (Dansk Kirke i Sydslesvig) ermöglicht Landkreisen Nordfriesland und Schleswig-­Flensburg als Freikirche mit zahlreichen Kirchengemeinden das sowie im nördlichen Teil des Landkreises Rendsburg-­ kirchliche Leben der Minderheit im Land. Eckernförde ansässig. Sie bezeichnet ihr Siedlungs- gebiet als Südschleswig. Umgekehrt lebt in Nord- Sozialstationen, Altenheime und Heime für Kinder schleswig im Königreich Dänemark eine deutsche und Jugendliche betreibt der dänische Gesundheits- Minderheit. Dies ist historisch in der Grenzziehung dienst (Dansk Sundhedstjeneste for Sydslesvig). Der zwischen Deutschland und Dänemark begründet, die dänische Jugendverband Südschleswigs (Sydslesvigs im Jahr 2020 100 Jahre zurückliegt. danske Ungdomsforeninger) organisiert die Kinder- TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021 49

und Jugendarbeit. Daneben haben sich Angehörige Beauftragter Fabritius hierzu: „Begegnungszentren der dänischen Minderheit noch in zahlreichen weite- und Kulturstätten sind die Kristallisationspunkte ren Vereinen organisiert. der Minderheiten. Sie sind für das Fortbestehen von ­Sprachen, Kulturen und Traditionen unerlässlich. Die Bundesregierung fördert die dänische Minderheit Deshalb unterstütze ich mit Nachdruck die Ertüch- in Schleswig-Holstein aufgrund des Rahmenüberein- tigung des Skipperhuset in Tönning, damit es auch kommens des Europarates zum Schutz nationaler Min- in­ ­Zukunft einen Leuchtturm dänischer Kultur in derheiten sowie der „Europäischen Sprachencharta“­ Schleswig-­Holstein gibt. Ich freue mich, dass der und der „Bonn-Kopenhagener Erklärungen vom Deutsche Bundestag die Mittel hierzu bereitstellt.“ 29. März 1955“. In den Bonn-Kopenhagener Erklä- rungen sind die Grundzüge für die kulturelle Selbst- Die jährliche Sitzung des Beratenden Ausschusses zu bestimmung der sowohl der dänischen Minderheit Fragen der dänischen Minderheit fand unter Vorsitz in Deutschland als auch der deutschen Minderheit in des Bundesbeauftragten im August 2020 im digitalen Dänemark erstmals wechselseitig festgelegt worden. Format statt.

Die Bundesförderung der dänischen Minderheit erfolgt Die dänische Minderheit war durch den Vorsitzen- aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für den des Südschleswigschen Wählerverbands (SSW), Kultur und Medien (BKM). Die Förderung der BKM Flemming Meyer, die Vorsitzende des Südschleswig­ erfolgt grundsätzlich in Form von mehrjährigen Inves- schen Vereins (Sydslesvigsk Forening, SSF), Gitte titionszuschüssen an den Sydslesvigsk Forening (SSF). Hougaard-Werner, den Generalsekretär des SSF, Jens Christiansen, sowie Jette Waldinger-Thiering, MdL, Die Investitionsmaßnahmen tragen langfristig zur In- und Martin Lorenzen für den SSW vertreten. Als tensivierung des Austauschs zwischen Deutschen und Vertreter der Bundesländer nahm der Beauftragte Dänen bei. Im Bundeshaushalt sind dafür in den Jahren des Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein 2020 und 2021 jeweils 150.000 Euro veranschlagt worden. in Angelegenheiten nationaler Minderheiten und Volksgruppen, Grenzlandarbeit und Niederdeutsch, Aktuell werden aus diesen Mitteln die Sanierung Johannes Callsen, MdL, teil. Weitere Teilnehmer und die Umsetzung von Brandschutzmaßnahmen waren die Bundes­tagsabgeordneten Petra Nicolai- im Kultur- und Begegnungszentrum Skipperhuset in sen (CDU), ­Astrid Damerow (CDU), Sönke Rix (SPD), Tönning mit insgesamt bis zu 1.034.000 Euro gefördert. Matthias Stein (SPD), (FDP), Das Skipperhuset wird überwiegend für kulturelle Ver- (FDP) sowie Lorenz Gösta Beutin (Die Linke). Als anstaltungen der dänischen Minderheit in der Region Gast des Beratenden Ausschusses nahm das Minder- genutzt. Tönning gilt als Hochburg der dänischen heitensekretariat der vier autochthonen nationalen Minderheit in Schleswig-Holstein und ist damit ein Minderheiten und Volksgruppen Deutschlands an der wichtiger Treffpunkt und Anlaufpunkt für kulturelle Sitzung teil. Aktivitäten und deutsch-dänische Begegnungen. Zu Beginn der Sitzung begrüßte Beauftragter ­Fabritius die Teilnehmer der Sitzung und bedauerte die pandemiebedingte Absage zahlreicher Veranstal- tungen im deutsch-dänischen Jubiläumsjahr 2020. Er würdigte das Engagement der vielen haupt- und ehrenamtlich in der Vorbereitung und Organisation der ursprünglich geplanten Veranstaltungen tätigen Personen. Nach den Worten des Beauftragten seien die Feierlichkeiten eine gute Gelegenheit, auf euro- päischer Ebene die im deutsch-dänischen Grenzgebiet Digitale Sitzung des Beratenden Ausschusses zu Fragen der praktizierte Minderheitenpolitik als Best-Practice-­ dänischen Minderheit Beispiel zu platzieren. Er zeigte sich sehr froh, dass 50 TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021

Rädj (Friesenrat Sektion Nord e. V.), der die gemein- samen Interessen der Nordfriesen nach außen und in Gremien vertritt.

Für ganz Nordfriesland wirken darüber hinaus der Nordfriesische Verein und die Friisk Foriining. Der 1902 gegründete Nordfriesische Verein betont neben Kultur und Sprache auch das Bewahren der Natur und Landschaft Nordfrieslands. Die 1923 als Friesisch-Schleswigscher Verein gegründete Friisk

Beauftragter Fabritius mit Mitarbeitern des BMI während der Foriining stellt Sprache und friesische Identität in Sitzung des Beratenden Ausschusses zu Fragen der dänischen den Mittelpunkt und arbeitet eng mit der dänischen Minderheit ­Minderheit zusammen. Auch lässt sie sich politisch vom Südschleswigschen Wählerverband vertreten. es gelungen sei, das friedliche Zusammenleben im Als zentrale wissenschaftliche Einrichtung ist das deutsch-dänischen Grenzgebiet für die internationale Nordfriisk Instituut in Bredstedt seit 1965 von großer UNESCO-Liste des immateriellen Welterbes anzu- Bedeutung für die Pflege der friesischen Sprache, melden, und sprach sich für eine Registrierung in der ­Kultur und Geschichte. Zudem besteht an der Uni- Welterbe-Liste aus. versität Kiel seit 1950 die Nordfriesische Wörterbuch­ stelle, die mehrere lexikalische Werke herausge- Zu den zahlreichen und vielfältigen Themen der geben hat und vom Inhaber der 1978 eingerichteten Sitzung gehörten die Gründung eines Minderhei- ­Professur für Friesisch geleitet wird. ten-Kompetenz-Netzwerks, der Ausbau der Repräsen- tation jugendlicher Minderheitenangehöriger sowie Die Verbindung zu den politischen Entscheidungs- die für die dänische Minderheit besonders sensible trägern in Schleswig-Holstein gewährleistet das 1988 Situation an der deutsch-dänischen Grenze im Zuge beim Schleswig-Holsteinischen Landtag eingerichtete der pandemiebedingten Einschränkungen. Der SSW Gremium für Fragen der friesischen Volksgruppe im berichtete über den Stand der Initiative zur Veranke- Land Schleswig-Holstein. rung der nationalen Minderheiten im Grundgesetz. Des Weiteren wurde unter Einbeziehung des Bundes- In Ostfriesland vertritt der kommunale Zweck- ministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz verband Ostfriesische Landschaft als Nachfolger der Wunsch der dänischen Minderheit, in ihrem der ostfriesischen Landstände die Interessen der Siedlungsgebiet in Gerichtsverfahren die dänische ­Menschen, insbesondere auf den Gebieten Kultur, Sprache verwenden zu können, erörtert. Wissenschaft und Bildung. Im Saterland setzt sich der Seelter Buund­ (Heimatverein Saterland) für den 2. Friesische Volksgruppe ­Erhalt der saterfriesischen Sprache sowie der Sitten und ­Gebräuche des Saterlandes ein. Die friesische Volksgruppe in Deutschland lebt an der Westküste Schleswig-Holsteins (Nordfriesland), Im September 2020 ist unter Vorsitz des Bundesbe- im nordwestlichen Niedersachsen (insbesondere auftragten der Beratende Ausschuss für Fragen der Ostfriesland) sowie in der Gemeinde Saterland im friesischen Volksgruppe in Deutschland zu seiner Landkreis Cloppenburg. Friesen leben außerdem im jährlichen Sitzung, in diesem Jahr in digitaler Form, niederländischen Westfriesland. zusammengekommen.

Wichtige Träger für die Arbeit der friesischen Die Selbstorganisationen der friesischen Volks- ­Volksgruppe in Nordfriesland sind die friesischen gruppe waren vertreten durch die Vorsitzende des Vereine. Als Dachorganisation fungiert der Frasche Frasche Rädj - Friesenrat Sektion Nord, Ilse Johanna TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021 51

Beauftragter Fabritius und die Teilnehmer der Sitzung des Beratenden Ausschusses für Fragen der friesischen Volksgruppe

­Christiansen, auch in Vertretung der Friisk Foriining; Weitere Gäste der Sitzung des Beratenden Ausschusses zudem Heinrich Bahnsen als Vertreter des Nordfriesi- waren die Bundestagsabgeordneten schen Vereins und Karl-Peter Schramm als Vertreter (CDU), Sönke Rix (SPD), Dr. des Seelter Buundes. Arno Ulrichs vertrat sowohl (FDP) sowie (Bündnis90/Die Grünen). den Friesenrat Sektion Nord e. V. als auch den Inter- friesischen Rat e. V. Das Nordfriisk Instituut nahm Die Vertreter der friesischen Volksgruppe berichteten durch seinen Direktor, Dr. Christoph Schmidt, an den über Veranstaltungen und Termine seit der voran- Beratungen teil. gegangenen Sitzung, die pandemiebedingt nur unter Einhaltung erforderlicher Hygiene- und Sicherheits- Als Vertreter der Bundesländer, in denen Friesen maßnahmen durchgeführt werden konnten. traditionell leben, waren der Beauftragte des Minister- präsidenten von Schleswig-Holstein in Angelegen- Wichtiges Thema der Beratungen war die Verstärkung heiten nationaler Minderheiten und Volksgruppen, der Bemühungen zur Sicherung der eigenen friesischen Grenzlandarbeit und Niederdeutsch, Johannes Callsen, Identität durch generationenübergreifende Pflege der MdL, sowie Stephan Zelesny als Vertreter der nieder- Sprache, der Kultur und des Brauchtums der Friesen. sächsischen Landesregierung zugeschaltet. Das Min- Beauftragter Fabritius betonte die Bedeutung der Ein- derheitensekretariat der vier autochthonen nationalen beziehung der jungen Generation in eine lebendige und Minderheiten und Volksgruppen Deutschlands nahm zukunftsorientierte Minderheitenarbeit. Dazu gehöre als Gast ebenfalls an den Beratungen teil. Als Ressorts auch eine angemessene Vertretung junger Menschen der Bundesregierung waren das Bundesministerium bei Beratungen und in der Verbandsarbeit. Begrüßt des Innern, für Bau und Heimat sowie die Beauftragte wurde einhellig die vom Beauftragten des schles- der Bundesregierung für Kultur und Medien vertreten. wig-holsteinischen Ministerpräsidenten für Minder- 52 TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021

heiten, Johannes Callsen, berichtete Aufnahme der Das Biikebrennen ist jahrhundertealtes nordfriesi- Tätigkeit der neu gegründeten Friesenstiftung. sches Brauchtum, das für die Nordfriesen identitäts- stiftend ist, aber auch Ausstrahlungskraft auf die Im Jahr 2021 konnte das jährliche Biikebrennen am nichtfriesische Bevölkerung hat. Der Feuerbrauch 21. Februar bedauerlicherweise nicht vor Ort statt­ dient u. a. dazu, die bösen Geister des Winters zu finden. Dennoch hatte der Beauftragte Gelegenheit, an vertreiben, und wird jährlich am 21. Februar durch- der digitalen Veranstaltung „Lätj üs da troole ferdriwe geführt. Im Jahr 2014 wurde es in das Bundesweite / lass uns die bösen Geister vertreiben: Biikebrennen­ Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes aufge- und die Nordfriesen“ teilzunehmen. Veranstalter nommen. war das neu gegründete Minderheiten-­Kompetenz- Netzwerk Schleswig-Holstein/Süddänemark.­ 3. Sorbisches Volk

Das sorbische Volk siedelt heute hauptsächlich in der Oberlausitz im Bundesland Sachsen und in der Niederlausitz im Bundesland Brandenburg. Es lebt seit rund 1.500 Jahren im Gebiet zwischen Ostsee und Erzgebirge und konnte seine kulturelle Eigenart über die Jahrhunderte bewahren und leben. Neben der Bezeichnung „Sorben“ wird in Brandenburg teilweise auch der ältere Begriff „Wenden“ verwendet.

Es gibt zwei zur Familie der slawischen Sprachen gehörende sorbische Sprachen: Niedersorbisch und Beauftragter Fabritius bei der digitalen Veranstaltung „Lätj üs da Obersorbisch. Vor allem das Niedersorbische ist troole ferdriwe / lass uns die bösen Geister vertreiben: Biikebrennen in seiner Existenz stark gefährdet. Im sorbischen und die Nordfriesen Siedlungsgebiet in den Bundesländern Sachsen und Brandenburg gibt es mehrere Kindertagesstätten und Schulen, in denen die ober- bzw. niedersorbische­ In freundschaftlicher Atmosphäre berichtete der ­Sprache entweder in Form von zweisprachigem ­Beauftragte von seinen Eindrücken bei der letzt­ Unterricht oder als Fremdsprache unterrichtet wird. jährigen Teilnahme am Biikebrennen in Risum-­ Lindholm. Hierzu Fabritius: „Das Biikebrennen Es existiert eine lebendige sorbische Medienland- schafft ein Zusammengehörigkeitsgefühl, zum einen schaft. In obersorbischer Sprache erscheint etwa die unter den Menschen, die vor Ort als Dorfgemein- Tageszeitung „Serbske Nowiny“ (Sorbische Zeitung), schaft am Biikefeuer zusammenkommen, aber auch in niedersorbischer Sprache die Wochenzeitung innerhalb der Gemeinschaft der Nordfriesen, die sich „Nowy Casnik“ (Neue Zeitung). Die monatlich er- zur gleichen Zeit an vielen Orten Nordfrieslands zum scheinende Kulturzeitschrift „Rozhlad“ (Umschau) Biikebrennen versammeln. Da ich selbst als Sieben- enthält Artikel in beiden Sprachen. Daneben gibt es bürger Sachse ein Angehöriger einer Minderheit bin, auch TV- und Rundfunksendungen in sorbischer weiß ich, wie wichtig es ist, etwas zu haben, das alle Sprache und mit sorbischen Themen. Angehörigen einer Minderheit verbindet, mit dem sich alle identifizieren können und das alle pflegen Viele sorbische Traditionen sind eng an den Jahres- und bewahren möchten.“ kreis der kirchlichen Feiertage gebunden und werden bis zum heutigen Tage gepflegt. Sorbische Trachten Weitere Redner waren u. a. die Vorsitzende des werden auch heute noch an Feiertagen, bei kirchlichen Frasche Rädj - Friesenrat Sektion Nord, Ilse Johanna Festen, dem sonntäglichen Kirchgang und Familien- Christiansen, und die Vorsitzende der Söl’ring Forii- feiern getragen. Zahlreiche Vereine und Kulturgruppen ning, Maren Jessen. pflegen die kulturellen Traditionen des sorbischen TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021 53

Volkes. Die wissenschaftliche Befassung mit der sorbi- schen Sprache,­ Kultur und Geschichte wird insbeson- dere durch das Sorbische Institut in Bautzen geleistet.

Die Interessen der Sorben gegenüber Politik, Staat und Öffentlichkeit werden durch den Dachverband „Domowina – Bund Lausitzer Sorben e. V.“ mit Sitz in Bautzen vertreten, der auch wichtigster Ansprech- partner für den Minderheitenbeauftragten ist. Die „Stiftung für das sorbische Volk“ ermöglicht dem sorbischen Volk, seine Belange hinsichtlich finanziel- ler Förderung durch den Bund, den Freistaat Sachsen und das Land Brandenburg mitzubestimmen. Zweck Domowina-Vorsitzender Dawid Statnik und weitere Teilnehmer des Beratenden Ausschusses für Fragen des sorbischen Volkes der Stiftung ist es, die sorbische Sprache und Kultur als Ausdruck der Identität des sorbischen Volkes zu pflegen. In den Verhandlungen zum Haushalt 2021 ist Entwicklungen informieren und gruppenspezifische es gelungen, die Förderung des Bundes für die Stif- Belange vortragen. Hierbei wurden insbesondere Folgen tung für das sorbische Volk in beträchtlicher Weise des voranschreitenden Strukturwandels in der Lausitz, auf jährlich 12,153 Mio. Euro zu erhöhen. dem Siedlungsgebiet des sorbischen Volkes, zur Sprache gebracht. Weitere Themen der Beratungen waren die Wichtigste Institution für den Austausch mit der europäische Bürgerinitiative „Minority SafePack“, die Bundesregierung und dem Deutschen Bundestag ist Möglichkeit zweisprachiger Autobahn-Beschilderung der beim Bundesministerium des Innern, für Bau und im Siedlungsgebiet, die finanzielle Ausstattung – auch Heimat angesiedelte Beratende Ausschuss für Fragen für neue Aufgaben – der Stiftung für das sorbische Volk, des sorbischen Volkes. Dieser ist im Dezember 2020 die Berücksichtigung der sorbischen Belange bei der in digitaler Form zu seiner jährlichen Sitzung zusam- Digitalisierung von Verwaltungsleistungen sowie eine mengekommen. Vertiefung und Stärkung der Jugendarbeit.

An den diesjährigen Beratungen beteiligte sich als Das Thema Strukturwandel in der Lausitz und seine Vertreter des Dachverbandes des sorbischen Volkes, Bedeutung für das sorbische Volk beschäftigte den Domowina – Bund Lausitzer Sorben e. V., u. a. sein Vor- Bundesbeauftragten auch im dritten Jahr seiner sitzender Dawid Statnik. Die Stiftung für das sorbische Amtszeit. Volk war durch seinen Direktor Jan Budar vertreten. Der Deutsche Bundestag war durch die Abgeordneten Mit Beschluss vom 6. Juni 2018 hatte die Bundesregie- Axel Müller (CDU), Sylvia Lehmann (SPD), rung die Kommission „Wachstum, Strukturwandel sowie Krauss (beide Die Linke) an und Beschäftigung“ (KWSB) einberufen, um einen den Beratungen beteiligt. Ebenfalls vertreten waren mit breiten gesellschaftlichen Konsens bezüglich der Ge- dem Land Brandenburg und dem Freistaat Sachsen die- staltung des energie- und klimapolitisch begründeten jenigen Bundesländer, in denen die Sorben beheimatet Strukturwandels in Deutschland herzustellen. Diese sind. Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Kommission stellte in ihrem 2019 veröffentlichten Heimat war durch das zuständige Referat für nationale Endbericht u. a. fest, dass die Umsiedelung von mehr Minderheiten in Deutschland beteiligt und auch das als 25.000 Menschen im Lausitzer Revier „auch das Minderheitensekretariat der vier autochthonen Min- Volk der Sorben und Wenden im Lausitzer Revier in derheiten Deutschlands war als Gast durch seinen Leiter ihrem Bestreben, ihre Sprache, Kultur und Identität Gösta Nissen in die Beratungen eingebunden. zu erhalten,“ belastet. Weiter empfahl die Kommis- sion, dass zur „Aktivierung des bürgerschaftlichen In der Sitzung des Ausschusses konnten die Vertreter und zivilgesellschaftlichen Engagements in den des sorbischen Volkes alle Beteiligten über aktuelle Regionen und der Förderung von Kunst und Kultur 54 TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021

Braunkohletagebau in der Lausitz

[...] zielorientierte Förderprogramme nötig [sind]. 1000 Jahren seine eigene Sprache, Kultur und Identi- Dies schließt im Lausitzer Revier die Förderung von tät pflegt und vom Strukturwandel in der Lausitz in Sprache, Kultur und Identität des Volkes der Sorben besonderer Weise betroffen ist. In seinem Schreiben und Wenden ein.“ wies Fabritius darauf hin, dass der Braunkohleabbau in der Lausitz bereits in der Vergangenheit negative Aus- Der Entwurf des Strukturstärkungsgesetzes Kohle- wirkungen auf den Erhalt der sorbischen Sprache und regionen, das die vorgelegten Empfehlungen der die Kultur gehabt habe, da die Tagebaue traditionelle Kommission Wachstum, Strukturwandel, Beschäfti- sorbische Siedlungsstrukturen und damit gewachse- gung aufgriff, wurde am 28. August 2019 vom Kabi- ne sorbische Sprachräume zerstört haben. Durch den nett beschlossen. In dieser Entwurfsfassung wurden Wegfall von Arbeitsplätzen in der Lausitz im Zuge des abweichend von den Empfehlungen der Kommission Strukturwandels bestehe erneut die Gefahr einer er- die spezifischen Belange des sorbischen Volkes nicht heblichen Beeinträchtigung der Bemühungen um den berücksichtigt. Daher schlugen die Länder Branden- Erhalt der sorbischen Sprache und Kultur. Vor die- burg und Sachsen die Aufnahme einer ergänzenden sem Hintergrund sprach sich der Bundesbeauftragte Regelung „zur Förderung von Maßnahmen zur dafür aus, Maßnahmen zur Förderung der sorbischen Bewahrung und der Fortentwicklung der Sprache, Sprache und Kultur in das Strukturstärkungsgesetz Kultur und Tradition des sorbischen Volkes als natio- Kohleregionen aufzunehmen und somit im Rahmen nale Minderheit“ im Bundesrat vor. Dieser Vorschlag des Strukturwandels aktiv zu stärken. wurde jedoch vom Bundesrat nicht angenommen. Das beharrliche Bemühen war letztlich erfolgreich. Im Frühjahr 2020 wandte sich Beauftragter Fabritius Eine entsprechende Regelung wurde als § 17 Satz 1 daher an den Vorsitzenden des Ausschusses für Wirt- Nr. 31 des Investitionsgesetzes Kohleregionen aufge­ schaft und Energie des Deutschen Bundestages und nommen, das als Artikel 1 Teil des Strukturstärkungs­ hob die Besonderheit des Lausitzer Reviers als Heimat gesetzes Kohleregionen ist. Das Gesetz trat am des sorbischen Volkes hervor, das dort seit mehr als 14. ­August 2020 in Kraft. TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021 55

Des Weiteren wurden im April 2020 durch eine ge- 4. Deutsche Sinti und Roma meinsam vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat sowie vom Bundesministerium Die deutschen Sinti und Roma leben seit Jahrhun- der Justiz und für Verbraucherschutz eingesetzte derten im ganzen Bundesgebiet. Sie sind in Deutsch- Arbeitsgruppe Eckpunkte für eine Neugestaltung des land als nationale Minderheit anerkannt. Nicht zur Namensrechts vorgelegt. nationalen Minderheit der deutschen Sinti und Roma gehören die in Deutschland lebenden Sinti und Roma In den Eckpunkten enthalten ist auch die Möglichkeit ohne deutsche Staatsangehörigkeit. Teilweise verste- zur Wahl eines geschlechtsspezifischen Familien­ hen sich Sinti und Roma als unterschiedliche Ethnien. namens. Dies würde es insbesondere Sorbinnen ermöglichen, gemäß ihren Traditionen eine weib- Während der nationalsozialistischen Gewaltherr- liche Version des Familiennamens zu führen. Damit schaft waren Sinti und Roma ständiger Verfolgung kommt die Bundesregierung einer Forderung der ausgesetzt. Etwa 500.000 Sinti und Roma fielen dem sorbischen Verbände, insbesondere des Dachverbands Rassenwahn der Nationalsozialisten zum Opfer; ihr Domowina – Bund Lausitzer Sorben e. V., nach, die kulturelles Erbe wurde zum großen Teil zerstört. weibliche Form sorbischer Namen im Namensrecht Nicht zuletzt aus diesem Grunde stehen die hier zu ermöglichen. Dies war auch Thema in vorangegan­ heimischen deutschen Sinti und Roma als nationale genen Sitzungen des Beratenden Ausschusses für Minderheit unter besonderem Schutz. Fragen des sorbischen Volkes. Zur Vertretung ihrer Interessen und zur Stärkung ih- Hierzu Minderheitenbeauftragter Fabritius: „Ich be- rer Kultur haben sich die deutschen Sinti und Roma in grüße die Aufnahme dieser wichtigen Forderung des verschiedenen Vereinen und Verbänden organisiert. sorbischen Volks in das gemeinsame Eckpunktepapier Der 1983 gegründete Zentralrat Deutscher Sinti und zum Namensrecht und werde mich dafür einsetzen, Roma ist der unabhängige Dachverband zahlreicher dass diese mehrfach angesprochene Änderung auch Landesverbände. Er setzt sich für eine gleichberech- im kommenden Erörterungsprozess bis hin zum tigte Teilhabe der deutschen Sinti und Roma in Politik ­Gesetzbeschluss im Gesetzespaket erhalten bleibt.“ und Gesellschaft ein und achtet auf ihren Schutz und ihre Förderung als nationale Minderheit. Die im Eckpunktepapier konkretisierten Vorschläge sollen der Öffentlichkeit präsentiert und zur fachli- Eine bedeutende Facheinrichtung ist das Dokumenta- chen Diskussion gestellt werden. Die Bundesregierung tions- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma will in der nächsten Legislaturperiode über einen in Heidelberg. Schwerpunkte der Einrichtung sind die Reformvorschlag entscheiden. Dokumentation und die wissenschaftliche Arbeit zur Geschichte, Kultur und Gegenwart der Sinti und Roma. Sorbischen Traditionen zufolge ist es üblich, dass dem Familiennamen von Frauen je nach Familienstand Die 1999/2000 gegründete Sinti Allianz Deutschland eine bestimmte Endung angefügt wird: Verheiratete ist ein Zusammenschluss deutscher Sinti. Sie versteht Frauen hängen ihrem Nachnamen üblicherweise ein sich als Interessenvertretung deutscher Sinti, die sich -owa an, seltener ein -ina. Für unverheiratete Frauen ihrer traditionellen Lebensweise mit ihren historisch ist meist das Suffix -ec oder -ic (obersorbisch) bzw. -ejc gewachsenen Geboten und Verboten besonders ver- oder oder -ojc (Niedersorbisch) gebräuchlich. Bislang pflichtet fühlen und diese Ordnung erhalten wollen. ließ das deutsche Namensrecht solche geschlechts­ spezifischen Familiennamen nicht zu. Auch für die nationale Minderheit der deutschen Sinti und Roma ist der beim Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat angesiedelte Beratende Ausschuss das wichtigste Kontaktgremium, um Bundesregierung und Abgeordneten des Deutschen Bundestags Anliegen vorzutragen und über ihre Situation zu berichten. 56 TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021

Im Dezember 2020 fand unter Vorsitz des Beauf- Kur­zem beschlossene neue Strategische EU-Rahmen tragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen für Gleichheit, Inklusion und Teilhabe der Roma bis und nationale Minderheiten die jährliche Sitzung des 2030 (s. u.). ­Beratenden Ausschusses für Fragen der deutschen Sinti und Roma in digitaler Form statt. Weitere Themen der Beratungen waren u. a. der ­Erhalt der Gräber der unter der nationalsozialisti- schen Gewaltherrschaft verfolgten Sinti und Roma, Bemühungen um eine verstärkte Vermittlung von Sinti und Roma als Kulturträger und integraler Be- standteil der deutschen Gesellschaft sowie die Förde- rung der Jugendarbeit.

Da Sinti und Roma in ganz Europa leben, haben Bemühungen um ihre Nichtdiskriminierung und gesellschaftliche Teilhabe stets auch eine europäische Dimension. So hat Beauftragter Fabritius im Okto- ber 2020 an der digitalen High-Level-Konferenz zur

Sitzung des Beratenden Ausschusses für Fragen der deutschen Sinti Vorstellung des neuen Strategischen EU-Rahmens für und Roma; im Bild der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti Gleichheit, Inklusion und Teilhabe der Roma bis 2030 und Roma, Romani Rose teilgenommen.

Die hochrangige Konferenz wurde gemeinsam durch Teilnehmer der Sitzung waren u. a. als Vertreter der das Bundesministerium des Innern, für Bau und Minderheitenverbände der Vorsitzende des Zentral- ­Heimat und die Europäische Kommission im Rahmen rats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, die der deutschen EU-Ratspräsidentschaft veranstaltet. Abgeordneten des Deutschen Bundestags Axel Müller Teilnehmer waren unter anderem die EU-Kommissa- (CDU), Sylvia Lehmann und (beide SPD), rin für Gleichstellung, Helena Dalli, die Vizepräsiden- Peter Heidt (FDP), und (beide tin der EU-Kommission Věra Jourová, die Kulturmi- Die Linke) und Filiz Polat (Bündnis90/Die Grünen). nisterin Schwedens, Amanda Lind, der Staatsminister Das Minderheitensekretariat der vier autochthonen im Auswärtigen Amt, Michael Roth, der Staatssekre- nationalen Minderheiten war u. a. durch seinen Leiter tär im deutschen Bundesministerium des Innern, für Gösta Nissen vertreten. Zudem nahmen Vertreter der Bau und Heimat, Dr. Markus Kerber, die Staatssekre- beteiligten Fachministerien sowie der Bundesländer tärin im deutschen Bundesministerium für Familie, an den Beratungen teil, darunter der Minderhei- Senioren, Frauen und Jugend, Juliane Seifert, der Vor- tenbeauftragte des Ministerpräsidenten des Landes sitzende des Zentralrats der Sinti und Roma, Romani Schleswig-Holstein, Johannes Callsen, MdL, die Rose, sowie insgesamt etwa 300 Vertreter aus Politik Baden-Württembergische Staatsministerin Theresa­ und Zivilgesellschaft in der Europäischen Union. Schopper sowie der Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung für jüdisches Leben und gegen Anti- Neben der Bekämpfung von Antiziganismus standen semitismus, für Erinnerungsarbeit und geschichtli- auch die Förderung von gesellschaftlicher und politi- ches Erbe, Ludwig Spaenle, MdL. scher Teilhabe von Sinti und Roma sowie die Auswir- kungen der COVID-19-Pandemie auf die soziale Lage Schwerpunkt der Beratungen waren die anhaltenden von Roma im Fokus der Konferenz. Bemühungen zur Bekämpfung des Antiziganismus. Hierzu wurde über die Arbeit der Expertenkommis- Bundesbeauftragter Fabritius forderte in seinem Kon- sion Antiziganismus und des Kabinettsausschusses ferenzbeitrag eine vehemente Bekämpfung von Anti- zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassis- ziganismus: „In vielen Ländern Europas sind Sinti und mus berichtet. Zur Aussprache kam auch der vor Roma auch heute noch mit Vorurteilen, Intoleranz TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021 57

Teilnehmer der EU-Konferenz zur EU-Roma-Strategie 2030 im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft

und Diskriminierung konfrontiert. Eine Gesellschaft, Diskriminierung, der Verringerung von Armut und die Vielfalt wertschätzt und gleichwertige Chancen Ausgrenzung sowie der Förderung der Teilhabe. schafft, kann Diskriminierung und Ausgrenzung nicht dulden und wird diese konsequent bekämpfen.“ Tief im kollektiven Gedächtnis der Sinti und Roma ist die Erinnerung an die Verfolgung und Ermordung Zum neuen Strategischen EU-Rahmen erklärte unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ­Fabritius: „In der neuen EU-Roma-Strategie erkenne verankert. Basierend auf einer Entscheidung des ich auch eine Bestätigung des bisher auf nationaler Europäischen Parlaments aus dem Jahre 2015 erinnert Ebene verfolgten Ansatzes einer breiter angelegten der Europäische Holocaust-Gedenktag am 2. August Politik der sozialen Einbeziehung der Roma. Im Zu- jeden Jahres an die geschätzt 500.000 im Nationalso- sammenhang mit einer individuellen Schwerpunkt- zialismus ermordeten Sinti und Roma. Am 2. August setzung der Mitgliedstaaten trägt dies zu einer erfolg- 1944 wurden die letzten ca. 4.300 im Vernichtungsla- reichen Umsetzung auf nationaler Ebene bei.“ ger Auschwitz-Birkenau verbliebenen Sinti und Roma von der SS ermordet. Der Zentralrat der Sinti und Der neue Strategische EU-Rahmen für Gleichheit, In- Roma organsiert hierzu jährlich eine Veranstaltung in klusion und Teilhabe der Roma bis 2030 folgt auf den Kooperation mit der polnischen Roma-Vereinigung EU-Rahmen für nationale Strategien zur Integration sowie dem Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau. der Roma bis 2020 aus dem Jahr 2011. Sein Hauptziel galt der Bekämpfung der sozioökonomischen Aus- Beauftragter Fabritius rief in seiner diesjährigen grenzung der Roma durch die Förderung des gleich- Videobotschaft dazu auf, nicht nur an das Vergange- berechtigten Zugangs zu Bildung, Beschäftigung, Ge- ne zu erinnern, sondern auch heute Antiziganismus sundheit und Wohnraum. Die neue Strategie verlangt konsequent zu bekämpfen: „Es ist mir ein wichtiges von den Mitgliedstaaten ergänzende Anstrengungen Anliegen, dass Minderheiten Anerkennung für ihre auch bei der Verhinderung von Antiziganismus und Kultur und Geschichte erfahren und ihren Platz in der Mitte unserer Gesellschaft haben.“ 58 TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021

erinnern an die Überlebenden, die oft ihre Nächsten verloren haben, und wir denken auch an die Nachfah- ren, die bis heute mit der tiefen Trauer und dem har- ten Schicksalsbruch der Vergangenheit leben müssen.­ Jedes einzelne Schicksal ist eine Lebensgeschichte voller Leid und Schrecken.“

Der Bundesbeauftragte rief angesichts dieser schmerzhaften Erinnerung und des derzeitigen ge- sellschaftlichen Klimas, in dem Rassismus, Ausgren- zung und Gewalt auch in Form von Antiziganismus Auch am Internationalen Tag des Gedenkens an die wieder spürbarer werden, dazu auf, „frühzeitig gegen Opfer des Holocaust anlässlich des 76. Jahrestages Diskriminierung und Ausgrenzung einzuschreiten, der Befreiung des NS-Vernichtungslagers Ausch- gemeinsam gegen Rassismus und Antiziganismus zu witz-Birkenau am 27. Januar 1945 hat Beauftragter kämpfen und die Werte unseres Rechtsstaates zu ver- Fabritius auf Einladung des Vorsitzenden des Zentral- teidigen“. rats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, an einer virtuellen Gedenkveranstaltung für die im National- Durch Planungsvorhaben einer neuen Trasse der sozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas S-Bahn Berlin gab es Befürchtungen, dass das je nach teilgenommen. Planungsvariante unterschiedlich betroffene Denk- mal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti Beauftragter Fabritius erinnerte in seiner Ansprache und Roma Europas hierbei in seiner Funktion einge- an die über 500.000 Opfer der nationalsozialistischen schränkt werden könnte. Durch mehrere Gespräche, Gewaltherrschaft unter den Sinti und Roma: „Wir u. a. mit der Berliner Senatorin für Umwelt, Verkehr

Beauftragter Fabritius bei der Kranzniederlegung am Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021 59

und Klimaschutz, Regine Günther, und unter Ein- Die Pflege und Förderung der niederdeutschen beziehung der Deutschen Bahn AG sowie Vertretern Sprache, Literatur und Kultur ist unter anderem Auf- der Sinti und Roma hat sich Beauftragter Fabritius gabe des Instituts für niederdeutsche Sprache (INS). nachhaltig dafür eingesetzt, dass es keinerlei Störung Schwerpunkte seiner Tätigkeit sind die Dokumen- des Gedenkens geben darf. tation, die Information, der Aufbau und die Pflege eines Netzwerks sowie der Erhalt und die Weitergabe 5. Regionalsprache Niederdeutsch des Niederdeutschen. Die Länder Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein haben zudem Die als Regionalsprache anerkannte niederdeutsche mit Wirkung vom 6. Dezember 2017 die Gesellschaft Sprache ‑ umgangssprachlich auch als Platt oder „Länderzentrum für Niederdeutsch“ gGmbH mit Plattdeutsch bezeichnet ‑ wird in der nördlichen Sitz in Bremen gegründet. Im Fokus der Arbeit des Hälfte Deutschlands meist zusätzlich zur Hochspra- Länderzentrums stehen der Schutz, der Erhalt und die che gesprochen, und zwar vorwiegend im privaten Weiterentwicklung der niederdeutschen Sprache. Umfeld. Niederdeutsch wird in den Bundesländern Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Die Vertreter der Niederdeutsch Sprechenden können Niedersachsen und Schleswig-Holstein sowie in den wie die Vertreter der anerkannten nationalen Minder- nördlichen Teilen Brandenburgs, Nordrhein-West­ heiten ihre Anliegen gegenüber Bundesregierung und falens und Sachsen-Anhalts gesprochen. dem Deutschen Bundestag im Rahmen eines Beraten- den Ausschusses vortragen. Dieser ist ebenfalls beim Wie das Friesische und das Englische zählt auch Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat Niederdeutsch zu den nordseegermanischen Spra- angesiedelt und tagt mindestens jährlich. chen. Das ursprüngliche Altsächsisch sprach man im Stammesgebiet der Sachsen, das Teile des heutigen Im November 2020 ist unter Vorsitz des Bundesbe- Niedersachsens und des nördlichen Nordrhein-West- auftragten der Beratende Ausschuss für Fragen der falens umfasste. In der Zeit der Hanse, also etwa von niederdeutschen Sprachgruppe in digitaler Form 1230 bis 1600, war Niederdeutsch die allgemeine Ver- ­zusammengekommen. kehrssprache in Norddeutschland und an den Küsten der Ost- und Nordsee. Beteiligt an den Beratungen waren der Bundesrat für Niederdeutsch, vertreten durch seine Sprecher Niederdeutsch steht wie auch die Sprachen der an- Dr. Saskia Luther und Heinrich Siefer sowie Hartmut erkannten nationalen Minderheiten unter dem beson- Cyriacks und Walter Henschen, die Bundestagsabge- deren Schutz der Europäischen Charta der Regional- ordneten und Filiz Polat (beide Bünd- und Minderheitensprachen des Europarats. nis90/Die Grünen), Vertreter des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat und der Beauftragten Die sprachpolitischen Interessen der ­Niederdeutsch der Bundesregierung für Kultur und Medien sowie Sprechenden werden auf Bundesebene durch den der Bundesländer, in denen Niederdeutsch gespro- Bundesraat för Nedderdüütsch (Bundesrat für Nieder- chen wird, darunter der Beauftragte des Ministerprä- deutsch) vertreten. Aus den acht betroffenen Ländern sidenten von Schleswig-Holstein in Angelegenheiten sowie der Gruppe der „Plautdietsch“ Sprechenden ­nationaler Minderheiten und Volksgruppen, Grenz- (Plautdietsch ist die Sprache der sogenannten Russ- landarbeit und Niederdeutsch, Johannes Callsen, landmennoniten) werden jeweils zwei Delegierte aus MdL. Als Gäste waren das Niederdeutschsekretariat den Sprechergruppen in den Bundesrat für Nieder- durch seine Leiterin Christiane Ehlers sowie das Min- deutsch entsandt. Das Niederdeutsch­sekretariat wurde derheitensekretariat durch seinen Leiter Gösta Nissen im Herbst 2017 mit einer hauptamtlichen Leiterin in vertreten. Hamburg zur organisatorischen und konzeptionel- len Unterstützung des Bundesrats für Niederdeutsch eingerichtet und wird mit Mitteln des Bundesministe- riums des Innern, für Bau und Heimat gefördert. 60 TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021

Sitzung des Beratenden Ausschusses für Fragen der niederdeutschen Sprachgruppe

Vorrangige Themen der Beratungen waren u. a. die stärkere Sichtbarkeit der niederdeutschen Sprache im öffentlichen Raum in den einzelnen Bundesländern, die Einbeziehung der niederdeutschen Sprache in die Digitalisierung der Verwaltung sowie der derzeitige Stand der Vermittlung der niederdeutschen Sprache in den Schulen und anderen Bildungseinrichtungen. Von besonderer Bedeutung war für Beauftragten ­Fabritius die Stärkung der Jugendarbeit innerhalb der nieder­deutschen Sprechergruppe. TÄTIGKEITSBERICHT | APRIL 2020 – 2021 61 Impressum

Herausgeber und Redaktion

Der Beauftragte für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten c/o Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat Alt Moabit 140, 10557 Berlin

Gestaltung

ORCA Affairs, Berlin

Bildquellen

Titelbild: BMI S. 4: Henning Schacht S. 7, 11 (oben/unten), 12 (oben/unten), 13, 15 (oben/unten), 17, 18, 20, 21, 22 (oben/unten), 23, 26, 27, 37, 38, 39, 40 (beide), 41 (beide), 44, 46, 47 (oben/unten), 48, 49, 50, 51, 53, 56, 57, 58 (unten), 60, 63: BMI S. 9: Bert Hardy / Gettyimages S. 16: DRK-Suchdienst S. 19: Hermann Deppner S. 24: AGDM S. 25: FUEN S. 28: Jugendring der Russlanddeutschen S. 29: Gesellschaftliche Stiftung Wiedergeburt; Regional-Gesellschaft Ust-Kamenogorsk S. 30: Gesellschaftliche Stiftung Wiedergeburt, Exekutivbüro S. 31: Verband der deutschen Jugend Kasachstans S. 32: dMi Ukraine S. 33 (oben/unten): dMi Kirgisistan S. 34: dMi Usbekistan S. 35: dMi Estland S. 36: dMi Georgien S. 42 (oben/unten): dMi Tschechische Republik S. 43: dMi Slowakische Republik S. 45: Landtag Schleswig-Holstein S. 52: Minderheiten-Kompetenz-Netzwerk Schleswig-Holstein/Süddänemark S. 54: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Arne Schambeck S. 58 (oben): Zentralrat Deutscher Sinti und Roma

Druck

PIEREG Druckcenter Berlin GmbH

Stand

April 2021

Bei allen in diesem Bericht erwähnten Veranstaltungen und Terminen wurden die zum jeweiligen Zeitpunkt und am jeweiligen Ort gültigen Hygienebestimmungen beachtet und eingehalten. Deutsche Minderheiten in Mittel- und Osteuropa, der ehemaligen Sowjetunion und Dänemark:

Russische Föderation 400.000 Ungarn 186.000 Kasachstan 180.000 Polen 148.000 Rumänien 37.000 Ukraine 33.000 Tschechische Republik 18.700 Dänemark 15.000 Usbekistan 10.000 Estland, Lettland, Litauen 10.000 Kirgisische Republik 8.300 Slowakei 4.700 Serbien 4.000 Slowenien und Bosnien-Herzegowina 3.000 Kroatien 2.900 Georgien 2.000 andere Staaten (u. a. Aserbaidschan, Armenien, Moldau, Tadschikistan, Turkmenistan, 13.000 Weißrussland)