041 – Die Unabhängige Stimme Für Kultur in Der Zentralschweiz Juni 2019 PORTRÄT
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HELVETIAROCKT Frauen an die Instrumente! «Wenn die Frau will, dann steht alles still», sang Vera Kaa 1991 und lieferte damit den Soundtrack zu den bisher grössten Schweizer Frauenprotesten. 25 Jahre später soll – etwas zweckentfremdet – das Gegenteil erreicht werden: «Wenn die Frau will, dann steht nichts und niemand mehr still!» Für dieses Ziel kämpft Helvetiarockt. Von Stoph Ruckli Welche drei Frauen im Zentralschweizer ist es, den Anteil Musikerinnen auf 30 Jazz, Pop und Rock kommen Ihnen Prozent zu erhöhen und sie aus dem spontan in den Sinn? ... Und nun drei Minderheitsstatus zu befreien. Ver- Instrumentalistinnen! ... Sendepause? schiedene Projekte dienen diesem Willkommen in einer Welt, in der Ziel: Im Juni fand etwa der Empow- trotz Klangfarben immer noch eine erment Day statt, eine gigantische krasse Eintönigkeit herrscht. Will- Gleichstellungsveranstaltung mit kommen in der (Zentral-)Schweizer Podien, Vorträgen und Konzerten. Szene des Jazz, Pop und Rock, wo Letztere werden zu einem Grossteil Frauen wenig verloren haben. Der von der hauseigenen Talentschmie- Anteil Musikerinnen auf Schweizer de Female Bandworkshops gegeben. Bühnen beträgt aktuell verschwindend In diesem Praxismodul sollen Frauen geringe fünf bis zehn Prozent, wobei gerade erste Erfahrungen – insbesondere als die Instrumentalistinnen rar sind. Betrach- Instrumentalistinnen – in einer Band sam- tet man beispielsweise die Jazzschule Luzern, meln und Ängste vor Technik oder Auftritten studieren dort im Bachelor eine E-Bassistin, zwei verlieren. Erfahrene Musikschaffende stehen als Saxofonistinnen, drei Pianistinnen und ansonsten ausnahms- Coaches zur Verfügung. Seit 2013 haben so schweizweit los Sängerinnen – zusammen mit einem Grossteil Musiker und 140 Teilnehmerinnen die wöchentlich stattfindenden Workshops Dozenten. Tritt eine Instrumentalistin zur Jazz-Aufnahmeprüfung besucht – in Luzern gingen Marla Marla und Call Me Clark hervor. an, sieht sie sich mit einer rein männlichen Prüfungskommission Ein ähnliches Prinzip verfolgt das demnächst stattfindende Female konfrontiert. Und diese waltet auch im weiteren Studienverlauf Bandcamp, das weitere Aspekte des Musikschaffens abdeckt. Daraus über ihre Zukunft. Ergänzend das Bild an hiesigen Nachwuchs- entspringen schlussendlich eine Stärkung der Strukturen sowie ein wettbewerben wie der Sprungfeder oder in Konzertprogrammen riesiger Vernetzungsapparat: Minderheiten fördern, Leiterinnen von B-Sides Festival, dem Funk am See, Mullbau und Co.: Mann, stärken, Partnerinnen und Partner sowie Unterstützerinnen und Mann, Mann. Selbiges widerspiegelt sich in den Bereichen der Unterstützer vernetzen. Veranstaltungstechnik, der Bildung, bei Bookingstellen oder in Im Grossen und Ganzen ist die Gesamtsensibilisierung der Vorständen und Jurys. Beabsichtigt ist das sicherlich nicht. Trotzdem Gesellschaft das wichtigste Gut für Helvetiarockt. Es braucht braucht es eine ausgewogenere Durchmischung. Studien beweisen Instrumentalistinnen, speziell als Vorbilder, fern der Geschlech- hierbei, dass gemischte Teams am erfolgreichsten sind, egal in terklischees – also auf, auf, ab an Gitarre, Bass, Schlagzeug oder welchem Beruf oder Bereich. Doch wie will man dem Mangel an Tuba, Posaune und Ableton Live. Die Devise ist klar: Das Schicksal Musikerinnen entgegenwirken? lenken und nicht allzu gross darüber nachdenken! Der Sprung ins kalte Wasser bildet die neue, bunte Szene von morgen. Devise: Schicksal lenken Die Zauberworte lauten Förderung, Stärkung, Vernetzung und Sensibilisierung: vier Säulen, auf denen Helvetiarockt, eine Plattform Female Bandcamp, MO 8.–FR 12. August, Kulturzentrum Galvanik, für Frauen in der Musik, aufbaut. Der Auftrag der Organisation Zug. Anmeldung unter www.femalebandcamp.ch 21 MUSIK JUNI 2019 sind laserklar für das Gehör, ihre Mes- sages messerscharf für die Gehirn- windungen. Tempest setzt politische Statements, kritisiert, hinterfragt, verurteilt. In Australien beispiels- weise hielt sie eine flammende Rede über den dort grassierenden Rassis- mus und unterband den Applaus des Publikums, um den Moment des Un- behagens so lange wie möglich auf- rechtzuerhalten. Auch sonst bezieht die Britin Stellung – gegen den Brexit, gegen Kapitalismus, gegen alles, was Minderheiten und sozial Schwachge- stellte bedroht. Intensive Sonnenberg-Show Dass das auch schiefgehen Gibt Minderheiten eine starke Stimme: Kate Tempest kann, zeigte 2017 der Shitstorm an- lässlich ihrer Solidaritätsbekundung mit der propalästinensischen BDS POLITIK, POP, POESIE (Boycott, Divestment and Sancti- ons)-Initiative. Diese organisiert ge- Mit Kate Tempest als Headlinerin ist dem B-Sides zielt Israel-Boykotte und wird von Festival ein Coup gelungen. Die Britin gilt als wandeln- mehreren Seiten – auch wissenschaft- des Statement und brilliert in Sachen sozialkritisches lichen – als antizionistisch bis antise- mitisch klassiert. Von solchen ihr vor- Storytelling. geworfenen Begriffen distanziert sich Tempest jedoch klar und ver- weist auf ihre jüdischen Wurzeln. Sie – Konzert – sik-Schmiede, danach im Studium wolle vor allem auf die missliche Lage Sieben verschiedene Menschen, sie- der englischen Literatur sowie Poli- der palästinensischen Bevölkerung ben verschiedene Geschichten. Und tik. hinweisen. Die Vorwürfe scheinen eine Gemeinsamkeit: Sie alle finden nach grossem Aufschrei als Einzelfall morgens um 04.18 Uhr aus unter- Sozialkritische Blaupause inzwischen abgelegt, nicht so jedoch schiedlichen Gründen keinen Schlaf. Alle diese Faktoren – Hip-Hop, Tempests Kunst: Demnächst veröf- Was sich wie die Ausgangslage für Pop, Literatur, Politik, Sozialstatus – fentlicht sie ihr neues Album «The ein Buch oder Theaterstück liest, ist ergeben die Blaupause für ein Alter Book of Traps and Lessons», welches der rote Faden durch das Album «Let Ego, wie sie selbst das von markanten von Grossmeister Rick Rubin produ- Them Eat Chaos» der Rapperin, Thea- Figuren geprägte England selten ge- ziert wurde und worauf unter ande- terautorin und Lyrikerin Kate Tem- sehen hat. Die zahlreichen Buch- und rem der Schweizer Schlagzeuger Ju- pest. Die heute 33-jährige Britin Musikpreise, die Tempest gewann, lian Sartorius spielt. Damit steht ei- wuchs als Kate Calvert in bescheide- sind das eine. Wesentlich faszinieren- ner intensiven Sonnenberg-Show nen Südlondoner Verhältnissen auf der ist die Komplexität der Gedan- nichts mehr im Weg, frei nach der und fand schon früh zur Entschei- kengänge dieser Künstlerin. Wer nur Message, die Kate Tempest den sie- dung, von ihrer Musik leben zu wol- schon eine ihrer zwei Platten hört, ben Figuren auf ihrem Album mit- len. Mit 16 schmiss sie die Schule, gab versteht, warum sie diese weltbe- gibt: «Wake up and love more». erste Konzerte, arbeitete im Platten- rühmt gemacht haben. Tempest er- Stoph Ruckli laden und vertiefte ihre Hip-Hop-be- zählt Geschichten aus dem Milieu dingte Begeisterung für Sprache und und drückt den Finger tief in offene B-Sides Festival DO 14. bis SA 16. Juni Rhythmus; zuerst an einer Popmu- Wunden der Gesellschaft. Die Lyrics Sonnenberg, Kriens 28 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz Juni 2019 PORTRÄT Da gibt es einen Raum an der Jazzschule Luzern. Was in Geld damit – doch seine Motivation war eine andere: «Ich diesem passiert, gestaltet sich immer gleich: Studierende habe nie unterrichtet, weil ich musste. Es interessierte mich. gehen rein, es donnert eine Stunde lang und plötzlich Wenn man etwas vermittelt, lernt man auch selber», sagt herrscht Ruhe – bis der nächste Schüler an der Reihe ist; Pfammatter. Nach dem Abschluss 1985 folgten berufliche dann geht das Spiel wieder von vorne los. Diese Donnerhöhle Tätigkeiten an der Swiss Jazz School, an diversen Musik- ist das Reich von Norbert Pfammatter, einer Koryphäe schulen sowie am Konservatorium Biel und schliesslich des Schlagzeugs. Von Mitmusikern hoch geschätzt, von 1994 seine Stelle an der Musikhochschule Luzern, wo er bis Studenten und Studentinnen gefeiert, von der Presse heute unterrichtet. In all dieser Zeit beeinflussten ihn zwei jedoch weitgehend unbeachtet. Dabei zeichnet er als Lehrer Schlagzeuger besonders stark: einerseits der Amerikaner mitverantwortlich für eine ganze Schlagzeuger-Generation, Billy Brooks, andererseits der Schweizer Pierre Favre. Für die vor Talent nur so strotzt. Julian Sartorius, Lionel Friedli, Pfammatter sind sie Magier, die mit ihren Instrumenten Claudio Strüby und Arno Troxler wären da zu erwähnen einen eigenen Kosmos schaffen und eine ganz besondere oder frisch aufstrebend Mario Hänni (Pablo Nouvelle, Philosophie vermitteln. Dozent Brooks lehrte ihn das Trio Heinz Herbert) sowie Vincent Glanzmann (Kasho’gi), rhythmische Handwerk direkt in Bern. Bei Favre war es um nur die bekanntesten Exponenten zu nennen – alle hingegen zu einem Grossteil Anschauungsunterricht, ja mit Ausbildung in Luzern. Im Gegensatz zu ihnen bleibt ein regelrechtes Aufsaugen seiner Konzerte, Platten und ihr Lehrmeister aber im Hintergrund. Wer ist Norbert Workshops. Pfammatter überhaupt? Und was ist das Geheimnis seines Unterrichts? Tradition & Tiefe Die Kombination aus Rhythmus und Sound prägt das Spiel Brooks & Favre von Norbert Pfammatter heute noch – und spannender- Geboren wurde Pfammatter am 12. September 1959 im weise überschneiden sich die Beschreibungen seines Spiels: Wallis. Mit Led-Zeppelin-Drummer John Bonham als Kraftvoll und filigran zugleich ist es, zudem fliessend Inspiration zog es ihn alsbald an die Swiss Jazz School in sowie ungemein groovig. Sein Sound füllt den Raum und Bern. Schon damals