Automobile Klassiker
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ZeitHaus Automobile Klassiker Lamborghini 350 GT – das Urgestein aus Sant´Agata Bolognese 1964-1967 Automobile Meilensteine sind das Thema des ZeitHauses in der Autostadt – dies ungeachtet ihrer Herkunft. ZeitHaus-Philosophie ist es, Trendsetter zu präsentieren: Automobile, die Maßstäbe definierten und anderen Herstellern als Vorbild dienten, sei es technologisch, konzeptionell, im Design oder in der Produktionsweise. Der erste Super-Sportwagen mit Namen Lamborghini setzte Anfang der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts etablierte Klassen-Konkurrenten unter Zugzwang: Dieser Zwölfzylinder-Bolide mit dem grazilen Aluminium-Kleid des Mailänder Karosserieherstellers Carrozzeria Touring war das Nonplusultra seiner Zeit – technologisch aufwändiger, als alle Hochleistungs-Sportwagen seiner Ära. Sollte sie nicht wahr sein, die Legende von der Entstehung des ersten Lamborghini, so wäre sie doch zumindest gut erfunden: Enzo Ferrari, der Renn- und Sportwagen-Gigant aus Maranello, ist demnach schuld daran, dass ein gewisser Ferruccio Lamborghini Anfang der 60er Jahre mit dem Bau von Super- Sportwagen begann – in Konkurrenz zu Ferrari (und zu Maserati). Lamborghini, am 28. April 1916 im Zeichen des Stiers geboren, hatte sein Vermögen seit 1948 mit dem Bau von Traktoren und später auch von Klimaanlagen gemacht – und er war fasziniert von schnellen Automobilen. Deshalb nahm er beispielsweise 1948 mit einem von ihm selbst getunten Fiat Topolino an der Mille Miglia teil. Später, als Industrieller bereits sehr erfolgreich, gönnte er sich fast alle Super-Sportwagen, die in den 50er Jahren und Anfang der 60er Jahre für Geld zu kaufen waren. Keines dieser teils exorbitant teuren Spielzeuge stellte jedoch ihn, den Perfek- tionisten, der auf seine Traktoren zwei Jahre Garantie gab, wirklich zufrieden. Auch sein Ferrari 250 GT enttäuschte ihn, was er, hemds- ärmelig, wie er war, Enzo Ferrari persönlich zu verkünden gedachte. Doch der selbstbewusste Patriarch, wegen seines herrischen Stils im Umgang mit Mitarbeitern und Kunden „il drake“ (der Drachen) genannt, riet ihm, sich besser weiterhin auf den Bau von Traktoren zu konzentrieren – von Sportwagen habe er nämlich keine Ahnung. Lamborghini reagierte auf diesen Affront auf seine Art und Weise: Er gründete 1962 ein weiteres Unternehmen, die „Automobili Ferruccio Lamborghini S.A.S“, erwarb in Sant´ Agata Bolognese nahe Modena und Bologna neun Hektar Land und errichtete darauf ein hochmodernes Automobilwerk. Es traf sich gut, dass bei Ferrari fast zeitgleich ein Exodus begnadeter Techniker stattfand. Auch Giotto Bizzarrini und Gianpaolo Dallara, beide maßgeblich bei der Entstehung des Ferrari 250 GTO, 1962 im Rennsport erfolgreichster und heute teuerster Sportwagen der Welt, hatten sich mit Ferrari zerstritten. Lamborghini nahm sie mit offenen Armen auf: Bizzarrini sollte für ihn den Zwölfzylinder-Motor des künftigen Lamborghini-Sportwagens konstruieren, Dallara wurde – nach einer Zwischenstation bei Maserati – Lamborghini-Chefingenieur. Und der Neuseeländer Bob Wallace, gleichfalls von Ferrari abgewandert, übernahm die Funktion des Lamborghini-Testfahrers und -Entwicklers. Ihre motorsportlichen Wurzeln konnten die drei nicht verleugnen: Der erste Prototyp geriet mehr zum Rennwagen, denn zum vom Chef geforderten, perfekten Tourensportwagen. So lieferte der 3,5 Liter große V 12 bei dramatischen 8.000/min 360 PS, Bob Wallace meint sich gar an 370 PS bei einer Nenndrehzahl von knapp über 9.000/min zu erinnern, als das erste Triebwerk am 15. Mai 1963 auf dem Prüfstand lief. Doch Ferruccio Lamborghini dachte nicht daran, sein stattliches Budget in eine Rennmaschinerie zu investieren – er wollte den perfekten Super-Sportwagen: Sein Ziel war ein Lamborghini. Bizzarrini verließ frus- triert das Unternehmen. Dallara hingegen erfüllte die Wünsche seines Chefs („Sehen Sie zu, dass der Motor etwas zahmer wird und dafür gute 70.000 km läuft, ohne dass man sich um ihn kümmern muss!“): Er nahm den V 12 an die Kandare, ohne ihn seiner hochwertigen Spezifikation zu berauben. Zwar wich die ursprüng- liche Trockensumpfschmierung einer konventionellen Ölwanne, doch es blieb bei jeweils zwei oben liegenden, durch Ketten angetriebenen Nockenwellen pro Zylinderbank, und es blieb bei Leichtmetall für den Motorblock sowie die beiden im 60-Grad-Winkel zueinander angeordneten Zylinderköpfe. Zugunsten geringerer Bauhöhe wichen die noch im Veloce verbauten Fallstromvergaser Horizontal- Doppelvergasern von Weber, sechs an der Zahl, denen zwei elektrische Benzinpumpen den Treibstoff zuführen. Die Kurbelwelle aus SAE-9840-Material wurde sozusagen „aus dem Vollen geschnitzt“: Der Rohzylinder wog vor der Bearbeitung noch 93 Kilogramm, die fertige Welle nur noch 24,2 Kilogramm. Zwar sank die Nennleistung des V 12 bei seiner Bändigung auf 270 bis 280 PS bei 6.500/min, doch bedeutete dies immer noch eine für zeitgenös- sische Verhältnisse Aufsehen erregende Literleistung von rund 80 PS/Liter. Doch so weit war es noch nicht, als der erste Lamborghini, Bezeichnung 350 GTV („V“ für „Veloce“), im Oktober 1963 auf dem Turiner Salon seine Premiere feierte. Der gebotenen Eile wegen noch mit dem 360-PS-Höchstleistungsmotor unter der Haube – und mit einer von Franco Scaglione, dem ehemaligen Bertone-Designchef, entworfenen, formal eher gewöhnungs- bedürftigen Karosserie. Es sollte bei diesem Unikat bleiben. Denn wie schon der Urmotor, so traf auch das Karosseriedesign des ersten Lamborghini nicht exakt die Vorstellungen und den Geschmack des Namens- und Geldgebers. Deshalb beauftragte Ferruccio Lamborghini den Chef des Mailänder Karosserieherstellers Carrozzeria Touring Superleggera, Carlo Felice Bianchi Anderloni, mit Korrekturen an der Scaglione-Skulptur. Es blieb dabei zwar im Prinzip bei der großflächig verglasten Dachpartie des Ur-Entwurfs, doch unterhalb der Gürtellinie verschwanden im Touring-Studio die mannigfachen, teils bizarren Sicken und Blechschwünge, die dem Fahrzeug ein etwas unruhiges optisches Gepräge gaben. Zugunsten eines größeren Innenraums wuchs der Radstand um zehn Zentimeter auf 255 Zentimeter. Understatement herrscht im Cockpit des ersten Serien-Lamborghini mit der Bezeichnung 350 GT vor, wie er im März 1964 auf dem Genfer Auto-Salon präsentiert wurde. Die schlichten Rundinstrumente sind in ein unspektakuläres, lederbezogenes Armaturenbrett gebettet, die Mittelkonsole trägt Zusatzinstrumente und Schalter. Die Touring-Leichtmetallkarosserie des 350 GT lagert wie beim 350 GTV auf einem sehr verwindungssteifen Rohrrahmen, der jedoch gegenüber der Prototypen-Version im vorderen und hinteren Bereich leicht modifiziert wurde: Statt Rohre mit rundem Querschnitt tun hier solche mit rechteckigem Querschnitt Dienst. Bei den Aggregaten bediente sich Lamborghini europäischer Top-Zulieferer: Getriebe (anfangs) und Lenkgetriebe von ZF/Deutschland, Sperrdifferential von Salisbury/England, Bremsanlage von Girling/England, Benzinpumpen von Bendix/England, Elektrik von Bosch/Deutschland und Marelli/Italien. Erst später im Laufe der bis 1967 währenden Karriere des 350 GT fertigte Lamborghini auch die Fünfganggetriebe in Eigenregie. War das Generalkonzept des ersten Lamborghini dem der wichtigen Kon- kurrenten aus Italien und England durchaus verwandt, so bedeutete das Fahrwerk des 350 GT gegenüber ein- em zeitgenössischen Ferrari 250 GT/L, Maserati Mistral oder Aston Martin DB 5 einen signifikanten Fort- schritt. Vertraute das Estab- lishment Anfang der 60er Jahre nämlich noch auf vergleichsweise primitive hintere Starrachsen, bei den Italienern aus Maranello und Modena gar mit archaischen Blattfedern kombiniert, so sind die Borrani- Drahtspeichenräder des Lamborghini rundum einzeln an Trapez-Dreiecksquerlenkern aufgehängt und schraubengefedert. Das Resultat des betriebenen Aufwandes entsprach den Vorgaben Ferruccio Lamborghinis: Weder in Sachen Fahreigenschaften, noch im Fahrkomfort erreichten die etablierten Wettbewerber auch nur annähernd das hohe Niveau des Lamborghini 350 GT – in Kombination mit dessen in Leistung und Laufkultur ähnlich überlegener Motorisierung ergab dies einen bemerkenswerten „Vorsprung durch Technik“, wie er später auch die heutige Lamborghini-Mutter, die Audi AG, auszeichnen sollte. Präzisions-Fanatiker Lamborghini legte im übrigen größten Wert auf einen sorgfältigen, rund 20- stündigen Test-Zyklus jedes einzelnen Motors: Während der ersten zehn Stunden wurde das Triebwerk, betrieben von einem Elektromotor, bei niedriger Drehzahl eingefahren, erst dann lief er mit eigener Kraft weitere vier Stunden unter Teillast, um anschließend kontinuierlich höher belastet zu werden. Die Leistungs- prüfung bildete den Abschluss der zeitintensiven Prozedur: Sie ergab je nach Exemplar 270 bis 297 PS. Nach dem Einbau des Triebwerks in das Fahrzeug überprüfte Testfahrer Bob Wallace im Straßenbetrieb jede einzelne Funktion. In Kombination mit nur 1.200 Kilo- gramm Leergewicht – dem Gewicht ein- es aktuellen Volkswagen Golf 1.4 TSI – er- geben knapp 300 PS ein für zeitgenössische Verhältnisse atemberaubendes Tempera- ment: Um aus dem Stand bis 100 km/h zu beschleunigen, vergehen nur rund sieben Sekunden, je nach gewählter Hinterachs- Übersetzung sind 240 bis 270 km/h Höchst- geschwindigkeit möglich. Im Gegensatz zu anderen superschnellen Sportwagen der 50er und 60er Jahre des letzten Jahrhunderts fordert diese Leistungs- explosion den Piloten jedoch nicht über Gebühr: „[…] much less demanding to drive than a Ferrari“, urteilte etwa das US-Fachblatt „Car and Driver“ im März 1966, „so smooth, and so quiet“ (sinngemäße Übersetzung: