Mary Bauermeister Zeichen Worte Universen

Attention getting device (Paik Project), ca. 1965, Plastische Masse, Kaseintempera auf Holz, 96 x 96 cm

3 Vor genau fünfzig Jahren nahm Mary Bauermeister an der legendären, von Jan Van der Marck kuratierten Ausstel- lung „Pictures to be read, Poetry to be seen“ im Museum of Contemporary Art in Chicago teil. In dieser Ausstellung mit Werken von Allan Kaprow, , u.v.a. wurde der interdisziplinäre Ansatz von Kunst- werken, die betrachtet, gelesen sowie vom Betrachter aktiviert werden wollten, in den Mittelpunkt gestellt.

Mary Bauermeister war in dieser Ausstellung mit einer Assemblage aus Kieselsteinen, „Stone-d“ von 1967 vertreten. Der Titel dieser Ausstellung ist – wenn auch zufällig – programmatisch für das Ausstellungsprojekt in Bergisch Gladbach: Ausgehend vom Sammlungsschwerpunkt der Kunst aus Papier und thematisch darauf bezo- gene Wechselausstellungen steht in dieser Ausstellung das zeichnerische Moment in Bauermeisters Œuvre im Mittelpunkt. Es ist charakteristisch für sie, dass unter diesem Focus Werke unterschiedlicher Gattungen vereint sind, da sich ihr Denken und Arbeiten im Medium der Sprache in nahezu allen Werken manifestiert.

Im Jahr 1980 wurde das Werk Mary Bauermeisters, die auf über 60 Jahre künstlerischen Schaffens zurück- blicken kann, bereits mit einer „Retrospektive 1955 – 1980“ gewürdigt. Es ist an der Zeit, ihr in diesem Haus erneut eine Ausstellung zu widmen, und unser Dank gilt Mary Bauermeister auch für die Begeisterung, die sie dem Vorhaben von der ersten Idee bis zur Realisierung entgegengebracht hat. Besonders für den Einblick in ihre sehr persönlichen Gedichte und Tagebücher sowie die vertrauensvolle Zusammenarbeit sei ihr herzlich gedankt. Ebenfalls ist ihrem Sohn Simon Stockhausen, der im Zusammenhang der Ausstellungsplanung zahl- reiche Interviews mit der Künstlerin führte, um besonders der Integration von Schrift und Sprache im Werk auf den Grund zu gehen, und ihrem Assistenten Hauke Ohls für wertvolle Gespräche zu danken. Michael Wittassek, der Text und Bild wieder einmal gestalterisch in diese Publikation überführt hat, sowie Sabine Elsa Müller für wissenschaftliche Mitarbeit sei ebenfalls für die schöne und harmonische Zusammenarbeit gedankt.

Unser besonderer Dank gilt der VR Bank eG Bergisch Gladbach–Leverkusen, die das Ausstellungsformat „Ortstermin“ nun bereits seit 1993 unterstützt. Diese kontinuierliche Förderung des Museums und der Kunstszene in unserer Region erlaubt es uns immer wieder, besondere künstlerische Positionen hervorzuheben. Dass der diesjährige Ortstermin mit der Künstlerin Mary Bauermeister einer bereits in den 60er Jahren international gefeierten Künstlerpersönlichkeit gewidmet ist, freut uns ganz besonders und erfüllt uns mit Dankbarkeit.

Petra Oelschlägel

4 Ordnungsschichten, 1962 Tusche, Leinwand auf Holz, 120 x 120 cm

5 6 Rechts draussen, 1962 Kaseintempera, Tusche, Grafit, Plastische Masse auf Leinwand, Holz, 135 x 135 cm, mehrteilig, Installation variabel

7

8/9

Zeichnung, 1962 Tusche, Papier, 29,7 x 21 cm

ich bin der anfang …, 1955 Schreibmaschine auf Papier, 29,7 x 21 cm

10 11

ONNO (Lichttuch/Spiegelkabinett), 1963 Textil, Holz, Spiegel, Leuchtstoffröhren 279 x 227 x 160 cm

13 1 + 1 = 3, 1964 Tusche auf Papier, Linsen, Prismen auf Glas, auf Staffelei, 60 x 67,5 x 32,5 cm

14

Needless Needles Vol.5, 1964 Tusche, Offsetdruck, Linsen, Glas, Holz, Nähnadel, 96 x 63,5 x 10,7 cm

16 17 Needless Needles Vol.5, 1964, Detail

18 25 20

20/21

Alu Tower (Zeitlöcher dösen am Horizont), 1967 Tusche, Glas, Linsen, Aluminium 30 x 15 x 17,8 cm

VIP (Very Important Picture) Junior, 1967 Tusche, Offsetdruck, Glas, Linsen, Holz 100 x 100 x 14 cm

22

24 Pyramide, 1977 Tusche, Offsetdruck,Glass, Linsen, Holz, Sand 59 x 59 x 59 cm

25

Vive La Für, 1971 Tusche, Aquarell, Glas, Linsen, imprägnierte Frösche, Holz 50 x 50 x 15 cm

28 29 Don‘t defend you freedom with poisoned mushrooms or Hommage à , 1964 Tusche, Tempera auf Papier, imprägnierte Pilze auf Glas 58 x 74 x 8 cm

30 31 32 Hommage à Brian O‘Doherty, 1964 Tusche, Holz, Plastische Masse, Stein auf Holz 120 x 120 x 5,5 cm Bundesministerium für Bildung und Forschung, Bonn

34/35

Notenbaum, 1964 Tusche auf Papier, Wolle, Pflanzenfasern, Holz 190 x 30 x 30 cm

33 34

Ach hätten wir … , 1980 Tusche auf Papier, 50 x 73 cm Stein, graviert, 75 x 18 x 18 cm

Stone Arrow/Error, 1966 Tusche, Steine, Sand auf Holz 170 x 125 x 12 cm

36 37 Yes Letter, 1971 Tusche auf Karton, 36,8 x 54,2 cm

38 Mary Bauermeister – Zeichen, Worte, Universen Petra Oelschlägel

Ein Miteinander von Bild und Schrift handschriftlichen Protokollen nieder- Gedanken aus diesen Quellen der zieht sich auf vielfältige Weise durch geschrieben und für sich auf diese Grenzwissenschaften, gesellschaft- die Kunstgeschichte. Typographie und Weise vorab geklärt. (Abb S. 56/57) liche Themen sowie ihr spirituelles Sprache haben seit vielen Jahrzehn- Naturverhältnis und ganz persönliche ten, von Kubismus über Dada und Bei Mary Bauermeister stehen die freie Gefühle, Zweifel und Sorgen finden Konzeptkunst, Einzug in die Bildende oder abbildende Linie, das Wort und Eingang in ihren persönlichen Kosmos, Kunst gefunden, sind häufig sogar die Zahl ebenbürtig nebeneinander dem sie in Zeichnungen, Linsenkästen alleiniges Medium eines Werkes. In und offenbaren ihren Blick auf die oder Objekten Gestalt gibt. Hier Kunst- und Museumsausstellungen Welt wie auch ihre Herkunft: Als über- kommt ihr die Freude an Maß und wurde diesem Phänomen in den ver- durchschnittliche Schülerin mit mathe- Zahl zugute: Mit Leichtigkeit berech- gangenen Jahren vielfach nachgegan- matischem Talent und gleichzeitig mit net sie die Fibonacci-Reihe oder den gen, es scheint schier unerschöpflich. musischer Prägung3 ist sie bis heute Goldenen Schnitt und leitet Größe und durch enorme Neugier und ihren bril- Proportion eines Werkes hieraus her. Bei Mary Bauermeister gehört lanten freien Geist zu charakterisieren. Genauso gut können ihre Arbeiten, Sprache – gelesen, geschrieben, die oft einem romantischen Impetus gesprochen und gesungen – zu Literatur, Lesestoff aller Art und folgen, dem seriellen Denken entsprin- den Fundamenten des Seins und besonders Bücher faszinierten Mary gen, das ihr aus der Musik vertraut ist. des künstlerischen Ausdrucks. Zwar Bauermeister bereits früh, und so hat Gerade aufgrund der so heterogene empfindet sie sich als Malerin1, doch sich eine immense Bibliothek – ver- Gebiete umfassenden Interessen ist es arbeitet sie in allen Gattungen – borgen hinter Tüchern und Schränken von Beginn an Bauermeisters Bestre- besonders auch als Zeichnerin – und – in ihrem Haus angesammelt. Hierin ben, nicht nur die , sondern auch artikuliert sich in Linie, Chiffre und spiegelt sich ihr Kosmos und ihre alle das „Dazwischen“ zu thematisieren. handschriftlicher Sprache. Bereits Grenzen überschreitenden und ver- (M. Bauermeister: „ ... es gibt nicht früh hat sie Gedichte geschrieben, bindenden Interessen: Märchen und nur die Extreme von Ja und Nein zu Beginn jedoch „Schriftliches und Mythen, Astrologie und Astrophysik, oder Polarität, es gibt immer auch Kunst-Machen“ getrennt.2 Ihre Gedan- Geomantie und Esoterik, fraktale ein Dazwischen.“ 4) Mit Leidenschaft, ken hat sie in zahllosen Zeichnungen Wissenschaften, Biologie und Politik. Humor und Spaß an Wortspielen und Skizzenbüchern festgehalten, Auch im digitalen Zeitalter sind die und Rätseln hat sie immer wieder die ihre Werke, Installationen und Aus- Bücher ihre Vertrauten und Freunde. Ernsthaftigkeit des Kunstbetriebes stellungsaufbauten in minutiösen unterlaufen und ihren persönlichen

1 „Ich bin Maler!“ Interview in WDR / Scala vom 10.01.2017 2 Mary Bauermeister im Gespräch mit Simon Stock- 3 Der Vater war Professor für Anthropologie und Gene- hausen, Griechenland, Sept. 2017, unveröffentlichtes tik, die Mutter Sängerin. Mary Bauermeister lernte als Manuskript Schülerin das Klavierspielen 4 Simon Stockhausen, ebd.

39 Kunstbegriff erweitert: „Und so habe ich mir keinerlei Regeln mehr auferlegt, was Kunst sei oder nicht.“5

1961, zu einer Zeit da sie gerade mit schnellen Schritten ihre Materi- alpalette erweitert, die Grenzen der Malerei hinter sich lassend mit ihren Arbeiten in den Raum tritt, entsteht das erste Werk, in das sie bewusst Schrift integriert: Während sie Gestalt zu Struktur, 1961 in der Tradition ihrer SW-Pünktchenbilder mit Kaseintempera auf Leinwand in minutiöser Arbeit erstellte, hat sie sich intensiv mit den Schriften Gotthard Günthers 6 beschäf- tigt, was sie letztendlich bewog, außer Schwarz und Weiß bzw. Ja und Nein das „Dazwischenliegende“ auch zu benennen: Klitzeklein schrieb sie mit der für ihr Werk so charakteristisch werdenden Handschrift die Worte ja-nein-vielleicht-entweder-oder-aus- serdem in dieses Bild, so klein „wie ja vieles bei mir klein geschrieben ist, dann kann man es lesen oder als Struktur sehen“ 7, als Informations- träger oder grafisches Element. Hier geht es Mary Bauermeister aber Gestalt zu Struktur, 1961 Kaseintempera auf Leinwand explizit darum, den „Denktrieb“ 100 x 100 cm

5 ebd. 6 Gotthard Günther: Idee und Grundriss einer Nicht-aristotelischen Logik 7 Simon Stockhausen, ebd.

40 anzusprechen. Ihre Objekte und Worte, manchmal vollständige dann hieß der Titel aber No Faces, Zeichnungen kann man „lesen“, ihre Gedanken oder Sätze sind in ihren denn Gesichter sind nicht erlaubt.“ 9) Worte und Zeichen anschauen. Werken in ein Liniengebilde eingefügt und fallen auf den ersten Blick oft gar Bei der Einbeziehung von Schrift Beim Betrachten von Kunstwerken ist nicht auf. Dieser spielerische Umgang ging Bauermeister so weit, davon die im allgemeinen das Schauen gefor- mit Buchstaben und Begriffen zeigt Aussage des Werkes bestimmen und dert. Durch die Integration von Schrift sich auch im vielfach auftauchenden den Betrachter zum aktiven Mitgestal- verändert sich die Wahrnehmungs- Wechsel zwischen den Sprachen, ter von Gedichten werden zu lassen. form, das Lesen kommt hinzu und wobei nicht nur das Englische und Bezogen auf Poème Optique, 196410 erfordert „die schnelle Bewegung des Deutsche – Mary Bauermeister lebte sagt sie: „Da habe ich natürlich ganz Intellekts vom Buchstaben zum Geist, zwischen 1962 und 1972 überwiegend extrem mit Schrift gearbeitet, z.B. auf vom Besonderen zum Allgemeinen, in New York – gemeinsam in einem der Scheibe steht Hom, oder auf dem von der Oberfläche zur Tiefe.“ 8 Werk erscheinen, sondern häufig auch Hintergrund steht Hom, jetzt bringt Sprachen anderer Kulturen, was ihr eine Scheibe die Texte vorbei: made Gemeinhin gilt Sprache – das Wort ausgeprägtes Interesse an anderen apple pie – sexuality – gene, dann – als Kommunikationsmittel. Schrift Menschen und anderen Ländern spie- drehe ich das zueinander, dann könnte entstand aus Bildern, wurde sche- gelt. (M.Bauermeister: „ ... aber wenn ich aber auch noch die dritte Scheibe matisiert und in unserem Kulturkreis Du in eine andere Sprache eintauchst, dazu bringen, ich kann mir also ein in ein Alphabet von 26 Buchstaben bist Du so fasziniert von den Wortspie- Gedicht zusammendrehen. Da waren organisiert. Mary Bauermeister, len, die möglich sind. Das waren sehr also nicht nur Buchstaben und Texte, die einer Generation angehört, in viele Wortspiele, da ich die englische sondern auch Witze also z.B. es gibt der das Schönschreiben noch im Sprache erst entdeckte und da sehr Gut und Böse – es gibt nicht Gut Schulkanon verankert war, hat sich lustige Sachen machen konnte. [...] und Böse – there is no evil – there is bis heute eine zarte Handschrift denn in meinem eigenen Sprachraum evil. So konnte ich meinen Aristoteles erhalten, die die freie Linie – zumeist habe ich ja immer gedichtet. In bzw. meinen Nicht-Aristoteles da in Tusche – in Schrift überführt. Amerika ging das massiv los, auch unterbringen, es ist sowohl als auch.“11 die Titel kamen dann aus den Worten. Der Übergang zwischen Punkt, Linie, Ich habe z.B. in Amerika zum ersten Überhaupt hat die Arbeit in den USA Arabeske oder einem bedeutungsge- Mal überhaupt gegenständliche – im Umfeld von Pop Art und Gegen- ladenen Begriff ist fließend; einzelne Gesichter in ein Bild gekritzelt und ständlichkeit – die junge Künstlerin

9 Simon Stockhausen, ebd. 10 Siehe Ausst. Kat. Mary Bauermeister. The New York Decade. Smith College Museum of Art, Northampton, 8 Aleida Assmann: „Im Dickicht der Zeichen“. Suhrkamp Mass. 2015, S. 62 Taschenbuch Wissenschaft 2079, Berlin 2015, S. 25 11 Simon Stockhausen, ebd.

41 ermutigt, auch Figuratives ins Bild zu bringen. Nicht selten tauchen in den 60er Jahren die gezeichnete Hand oder einzelne Finger in ihren Zeichnungen und Linsenkästen auf. (M.Bauermeister: „ ... da gibt es diesen sechshändigen Klavierspieler, aber immer auch malerische und sprachliche Elemente, oder figurative. In Deutschland wäre ich nie auf die Idee gekommen, irgendwas Figuratives reinzubringen, aber nun war ich in der Mitte der Popszene, wo es nur figurativ zuging, und da habe ich dann meine Männeken reingemalt.“ 12

Bereits in den Bilderschriften der haben. Voller Neugier hat sie 1961 im Kunst in Verbindung mit Schrift Ägypter verschmolzen bildliche und Rahmen der Internationalen Ferien- spiegelt auf besondere Weise men- verbale Mitteilungen, im Mittelalter kurse in an den Komposi- tale Prozesse und regt diese an. verbanden sich Schriftbänder mit den tionskursen bei Sprache selbst ist ein Instrument zur bildlichen Darstellungen: Bei Mary teilgenommen, in deren Folge ihre Formulierung von Gedanken, denen Bauermeisters locker und frei auf sogenannte Malerische Konzeption auf diese Weise eine sichtbare Form dem Blatt positionierten Linien-Wort- (Abb. S. 76) als Partitur für die fünf bis gegeben wird. Geschriebene Worte verbindungen fühlt man sich aber sechs Sinne der Künstler aller Genres nehmen in einer anderen Art den gleichzeitig an Partituren erinnert, in entstand. Als musikalisch-zeichneri- Dialog mit dem Betrachter auf, es denen minimale Anweisungen inner- sche Notation bzw. Partitur könnten handelt sich um eine unmittelbare halb eines Klangteppichs gegeben viele ihrer Zeichnungen – auch die Kommunikation über den Verstand. werden. Musik, Rhythmus, und für die Orplid-Mappen entstande- Bewegung sind Phänomene, die diese nen – ebenfalls gesehen werden. Mary Bauermeister kann in den vielen Künstlerin stets begleitet und geleitet Werkgruppen, in denen sie neben

12 ebd.

42 ihre persönliche Lebenssituation spiegelt, einbinden. So ist es bezeichnend, dass gerade die Extreme wie „Ja“ und „Nein“ die immer wieder von Mary Bauermeister verwandten Worte in ihren Lichttüchern, Linsenkästen und Zeichnungen auf Papier sind. Ähnlich ihrer Parole 1 + 1 = 3 stehen diese Begriffe für ihren Ansatz, dem Unbestimmbaren, Uneindeuti- gen, Fragen aufwerfenden und Interpretierbaren eine beson- dere Bedeutung beizumessen. Kinderzeichnung, Bleistift auf Papier, 21 x 29,7 cm tradierten künstlerischen Mitteln unterschiedliche Dinge miteinander Im Zusammenhang des 1962 auf Long geschriebene Sprache einsetzt, zwei verkoppeln – etwas Sinnliches und Island entstandenen Werkes Ord- Kommunikationsstrategien nutzen: etwas Unsinnliches, etwas Anwesen- nungsschichten bemerkt die Künstlerin Über das Schauen und das Lesen, des und etwas Abwesendes, etwas rückblickend, dass dieses auf den über Gefühl und Intellekt treten Konkretes und etwas Abstraktes.“ 14 ersten Blick klar strukturierte unge- ihre Werke mit dem Betrachter in genständliche Werk ein Abbild ihres Kontakt, es entstehen „graphische Mittels einzelner Worte, die wiederum Seelenlebens zu jener Zeit darstellte: Denklandschaften“13, in denen für ganze Wortfelder oder Assoziati- einerseits geordnete Struktur, ande- Worte gleichzeitig als grafisches onsketten stehen, kann die Künstlerin rerseits Chaos, das ihrer Gefühlslage Element und Informationsträger Unsichtbares sichtbar machen, aber entsprach. „ ... und ich war das fungieren. „Zeichen sind großartige auch ihrem ausgeprägten Spieltrieb absolute Chaos, der ganze untere Instrumente der Wahrnehmung, folgen, Rätsel integrieren, Doppel- Bereich ist chaotisch, spielerisch, da Kommunikation und Weltorientierung, deutigkeiten, oder aber Freude, gibt’s Gekrakel und Gekritzel; da weil sie auf einfache Weise zwei Zweifel und Irritation, in denen sich habe ich zum ersten Mal gekritzelt in

13 Antje Birthälmer in Ausst. Kat. Buchstäblich. Bild und Wort in der Kunst heute, Wuppertal 1991, S. 16 14 Aleida Assmann ebd. S. 62

43 ein Bild, also einfach mit der linken Gerade die engen Beziehungen zu Sprache in ihr Werk zu integrieren.16 Hand statt mit der rechten da reinge- Künstlern im Umfeld der Konzeptkunst Gemäß Antje Birthälmer ging es krakelt; um das kindliche Element mit und zu Musikern wie John Cage, vielen Künstlern in den 60er Jahren reinzubringen. Also das ist Chaos pur, darum, mit ihrer Kunst „Bewusstsein zu aber mit vielen Verspielungen ... das schaffen und durch Bewusstseinsverän- ist ein Spieldrang, ich habe sehr viel derungen Einfluss auf die Wirklichkeit spielerisch gearbeitet, und da hat mir zu nehmen.“ 17 Genau dies betont auch natürlich die serielle Auseinanderset- Bauermeister rückblickend: „ ... wenn zung zwei Jahre zuvor sehr geholfen, ich etwas schneller dadurch erreiche, weil durch die Aleatorik oder Kom- dass ich es reinschreibe, als wenn ich binatorik all der Elemente kommst es male, dann schreibe ich es rein. Es du ja auf andere Gedanken ... .“ 15 geht doch nicht nur darum, neue Kunst zu machen, was Fremdes, Neues zu 1962 hatte Mary Bauermeister auf machen, sondern es geht doch auch Einladung von Jan Willem Sandberg darum, Bewusstsein zu schaffen.“18 bereits eine für ihre Karriere wegwei- sende Einzelausstellung am Stedelijk 1961, unmittelbar nach der Einladung Museum Amsterdam und in weiteren zur Ausstellung im Stedelijk Museum, niederländischen Museen, kurz darauf entdeckte Mary Bauermeister Glaslin- Ausstellungen bei Galeria Bonino in sen unterschiedlicher Brennschärfen New York. Die junge Künstlerin befand in einem Antiquitätengeschäft, die sie Gestalt zu Struktur (Abb. S. 40), Detail sich in einer Phase rauschhafter Pro- zur Erweiterung ihrer Ausdrucksmittel duktivität und war international durch aufkaufte. Hiermit begann die Arbeit die vielen Künstlerkontakte, die über dessen Vortrag in Darmstadt sie an jener umfangreichen Gruppe der das Studio für Elektronische Musik und Ende der 50er Jahre fasziniert hatte Linsenkästen, die ihr – seit der ersten ihr Atelier in der Lintgasse in den Jah- und der in seinen Manuskripten das öffentlichen Präsentation 1964 bei ren 1960 - 62 mit ihrem engagierten Medium der Sprache ebenfalls für Galeria Bonino in New York – zu Programm mit Auftrittsmöglichkeiten seine gedanklichen Entwürfe nutzte, für Künstler und Musiker zustande werden Mary Bauermeister indirekt 16 Die Bedeutung der Internationalen Ferienkurse für gekommen waren, bestens vernetzt. mitbeeinflusst haben, geschriebene Neue Musik , die seit 1946 stattfanden und als Impulsge- ber für zeitgenössische Musik galten, dürfen in diesem Zusammenhang nicht unterschätzt werden. „Doch auch Architekten, Maler und Bildhauer zog es in den Bannkreis der Musik, denn hier traf sich die kulturelle Avantgarde.“ (Mary Bauermeister in: Ich hänge im Triolengitter. Mein Leben mit Karlheinz Stockhausen, München 2011, S. 20) 17 Antje Birthälmer ebd., S. 16 15 Simon Stockhausen, ebd. 18 Simon Stockhausen, ebd.

44 großem Erfolg verhalfen und die man bis heute mit ihrem Namen in Verbin- dung bringt. „In der Folge fing meine Spielerei mit diesem neuen Material an: Vergrößerung, Verkleinerung, Verzerrung. Ich begann, mit Lupen und Linsen zu experimentieren, die in meine späteren Linsenkästen eingebaut werden sollten. Wenn man mit einer konvexen Linse in einem ganz bestimm- ten Abstand über einen schwarz-wei- ßen Text fuhr, umrandeten sich an der Grenze von Schwarz und Weiß die Buchstaben mit Spektralfarben! Atem- los beobachtete ich diese Entdeckung. Ich fühlte mich an Faust II erinnert, wo Goethe seinen Faust sagen lässt ‚Am farbigen Abglanz haben wir das Leben.’ Ja, es ging um !“19 Während der Betrachter anfangs noch aufgefordert war, die unterschiedlich gewölbten Linsen selber über die oberste Glasschicht eines mit Naturfun- den, später mit Zeichnungen gefüllten Kastens zu bewegen, wurden diese Kästen zunehmend komplexer, und die Gläser, Lupen und Prismen wurden von ihr fixiert.20 Später kamen Spiegel, Holzkugeln, Holzmarionetten oder von ihr geschaffene Buntstifte sowie Ordnungsschichten (Abb. S. 5), Detail

19 M. Bauermeister in: Ich hänge im Triolengitter, ebd., S. 78/79 20 Anfangs wurden die Linsenkästen noch liegend auf einer Unterseite ausgestellt, später stehend, so dass das darauf fallende Licht besser ausgenutzt werden konnte.

45 46 47 48 49 Das erste, was ich dachte … , 1954, Tinte auf Papier, 29,7 x 21 cm Todesengel … , Tinte auf Papier, 29,7 x 21 cm

46/47

Skizzenbuch 1970er Jahre

48/49

gewesen, 1979 Tusche auf Paper, 44,2 x 62,4 cm

50 farbige Elemente und gelegentlich gemacht, die so gebaut sind, dass ein sich verdichtende All-Over-Struktur Neonfarben hinzu. Überwiegend Spiegel gerade ist und in 45° Entfer- zwischen Gegenständlichkeit und handelt es sich jedoch um helle, in nung ein schräger Spiegel, dadurch Abstraktion, zwischen Schrift und weiß gehaltene Kästen, in denen sie erschaffe ich einen Raum. [...] Und Bild entstehen zu lassen. Gleich- den Inhalt samt Punkten, Chiffren und da habe ich dann Sachen in Spiegel- zeitig reflektiert sie innerhalb eines sprachlichen Elementen durch die schrift reingeschrieben, die man nur Werkes immer wieder über das in optischen Brechungen in magische in einem Spiegel lesen kann ... .“22) der Entstehung befindliche Werk. Wunderkammern transformiert. Der Gedanke drängt sich auf, dass Aufbauend auf eine von ihr gestaltete Jeder Linsenkasten bildet ein eigenes die Verwendung bezeichneter und Rückwand hat sie Schicht um Schicht Universum, ein poetisches Spannungs- beschriebener Kugeln und Halbkugeln ein Wort- und Bildgefüge entwickelt, in feld, das sich durch Lichteinfall und als Fortführung der Pünktchen und dem sie immer wieder auf sich selbst Blickwinkel des Betrachters permanent Kreise ihres malerischen Frühwerks reagierte. (M. Bauermeister: „ ... ich erneuert und verändert. Die Künst- in die Dreidimensionalität gesehen habe erst irgendwas hingekritzelt – lerin scheut gleichzeitig aber auch werden kann.21 Die Linsenkästen wei- und dann kommentiert. [...] Da geht nicht, das Schillernde, Glänzende, sen mehrere – zumeist zwei bis drei es mir einfach ums Spaß haben, ich an Perlen, Schmuck und Schatzkisten – Bildebenen auf. Mary Bauermeister habe immer auch Spaß gehabt beim Erinnernde in ihrem Werk zuzulassen folgt dem Prinzip der Collage bzw. Arbeiten und konnte das auch mit – Phänomene, die meist außerhalb der Assemblage. Gerade auch das Phä- Schrift ausdrücken, weil es ja so klein Bildenden Kunst angesiedelt sind oder nomen der Spiegelung hat sie sich für geschrieben ist, die Leute brauchen dem angewandten Bereich zugeord- ihre Kästen zunutze gemacht (M. Bau- das ja nicht zu lesen, sie können es net werden. Für Mary Bauermeister ermeister: „Ich habe mich immer auch ja rein optisch nehmen, dass etwas, sind diese Kategorien unerheblich, schon für Spiegelungen interessiert. was ist, was ich reinschreibe, ver- sie erschafft glitzernde Universen Symmetrien, Spiegelungen, das kommt fremdet wird, auf den Kopf gestellt, und versteckt darin gelegentlich auch aus einer sehr frühen Zeit. [...] verzerrt wird.“ 23) Die prozessuale auch Provokation, Persiflage, Kritik Und so haben mich Spiegelungen oder Entstehung dieser Boxen erlaubt es am Kunstmarkt oder Rätsel. „Diese Symmetriespiegelungen oder doppelte der Künstlerin, immer wieder tagesak- Linsenkästen musste man wie Bücher Symmetrieachsen – später auch die tuelle Befindlichkeiten, Geschehnisse dekodieren, lesen, dabei allerlei asso- Kristallographie – immer fasziniert. und Erlebnisse zu integrieren und ziieren“24, so die Künstlerin darüber. [...] Ich habe dann Linsenkästen mit spielerischer Leichtigkeit eine

21 Kerstin Skrobanek „Welten in der Schachtel. Mary Bauermeister und die experimentelle Kunst der 1960er Jahre“ in: Ausst. Kat. Wilhelm-Hack-Museum, Ludwigsha- 23 Ebd. fen 2010, S. 35 24 M. Bauermeister in: Ich hänge im Triolengitter, 22 Simon Stockhausen, ebd. ebd., S. 244

51 Mary Bauermeister hat ihre gleich- mäßige, authentische Handschrift eingesetzt und diese in unterschied- licher Größe, teils mit überlängten Buchstaben geschrieben und oft die Verzerrung, die durch Linsen und Lupen entstehen, bereits zeich- nerisch vorweggenommen. Sie hat aber auch – wie die Verwendung fremder Sprachen – fremde Schriften genutzt. Geheime Zeichen, 1971-77, (Abb. S. 55) ist so ein Werk, in das sie Schrift integrierte, die sie einer anderen Quelle entnommen hat. (M. Bauermeister: „Bei Geheime Zeichen habe ich zum ersten Mal eine Schrift benutzt, die ich in einem okkulten Buch gefunden habe [...] wo eine Einmeißelung in einem, glaube ich, peruanischen Tempel aufgezeigt war, und das hat mich so fasziniert, die Form der Schriftzeichen, dass ich Raising Silence (Partitur für Karlheinz Stockhausen), 1963 daraus eine Box gemacht habe. Eine Grafit, Tusche, Aquarell auf Papier, 33,5 x 43 cm Box mit einem Rahmen drumherum, auf dem Rahmen kann man die geheimen Zeichen, eine Vieldeutigkeit, hat. Jahre später hat ein Palmblattleser geheimen Zeichen abgebildet sehen, Unbestimmbarkeit.“ 25) Empfänglich für dies entschlüsselt – für die Künstlerin in der oberen linken Ecke und zwar spirituelle Inhalte haben sich der Künst- ergab sich daraus die Einsicht, diese Weiß auf Grau, dann verwandelt sich lerin in diesem Kontext Zeichen einer Arbeit nicht zu veräußern, da es sich das allmählich und wird Grau auf kosmischen Ordnung offenbart, die um eine spirituelle Arbeit ihres persön- Weiß. Das ist eine Verschiebung der sie in diesem Linsenkasten umgesetzt lichen Erkenntnisprozesses handelt.

25 Simon Stockhausen, ebd.

52 Auch bei Pyramide, 1977 (Abb. S. Museums piece/peace, 1965; My bzw. Ehe führte, entstanden. Auch 24), einer Skulptur aus Unterteil und contribution to light art is dead hier reagierte die Künstlerin auf Deckel mit einem dreischichtigen Inne- serious art, 1967; Art Investment ein Fundstück, einen ungewöhnlich ren aus Schriftfragmenten über das Report, 1973. „Das hat wieder mit verwachsenen Baumstamm. Als er Prinzip der Pyramide, hat sich Mary dem Artist – Signature – Business zu aufgeschnitten vor ihr lag, erkannte Bauermeister von ihren spirituellen und tun, weil ich mich natürlich über die sie an der verdickten Stelle die Ähn- astronomischen Interessen leiten lassen Wichtigkeit der Künstler und meiner lichkeit zu einem Buch und fühlte sich und ihr „Wissen um die kosmische selbst lustig gemacht habe.“ 28 aufgefordert, dort hineinzuschreiben. Gesetzmäßigkeit, was uns ja damals in Gemeinsam mit Stockhausen hat sie den 70er Jahren beim Entdecken der Ein besonderer Blick sollte auf Mary das Innere dieses Buches als Partitur Pyramide so fasziniert hat, weil wir Bauermeisters zeichnerisches Werk gefüllt – jeder der beiden war dabei auf dem esoterischen Erleuchtungstrip auf Papier gelegt werden: Seit früher ganz bei sich und seinem persön- waren“ 26 in ein Objekt transformiert. Kindheit gehört das Malen und Zeich- lichen künstlerischen Anliegen als „Das war richtig Studium und Recher- nen genauso wie das Schreiben und Musiker bzw. Bildender Künstler. che der Pyramidengesetze,“ 27 das Verfassen von Gedichten zu ihren sie in minutiöser Handschrift in die Grundbedürfnissen. Der Entschluss, In den mehr als sechzig Jahren künst- Schichten des Werkes eingeschrieben Künstlerin zu werden, hat ihren Lebens- lerischen Schaffens sind Hunderte von im Inneren verborgen hat. Auch hier weg früh bestimmt und geleitet. Ihre Zeichnungen, unendlich viele Skizzen- integriert sie Spiegel, um Unlesbares Gedichte hat sie in eine grafisch anmu- bücher und Tagebücher mit Bild und lesbar zu machen und anderes zu tende Form überführt und zunehmend Schrift gefüllt worden, Buchillustra- verunklaren, ein permanentes und ebenfalls als „Bild“ niedergeschrieben. tionen (Die siebensprossige Leiter. sehr persönliches mit Fakten, Ein Märchen zum Nachdenken von Spekulationen und Worten. Einen besonderen Stellenwert Frédéric Lionel, 1996), Skizzen für die nimmt – als Skulptur mit Zeichnung zahlreichen Gartengestaltungen und Gerade in Bezug auf die von ihr bzw. Zeichnung in Objektform – Kunst am Bau-Wettbewerbe, an denen vergebenen Titel wird diese sensible der Notenbaum (Abb. S. 34) ein, die Künstlerin teilnahm und die ihre Wortgewalt, ihr Humor, Sprachwitz, 1962 - 64 als Gemeinschaftsprojekt Vorstellung von Natur als transzen- aber auch die Freude an Tautologien mit Karlheinz Stockhausen, mit dentalem Kraftfeld reflektieren. und am ironischen Kommentar z. B. dem sie zwischen 1961 und 1973 über die Kunstwelt deutlich: This is a eine wechselvolle Liebesbeziehung

26 Ebd. 27 Ebd. 28 Simon Stockhausen, ebd.

53 Die sehr persönlichen Zeichnungsfol- frei auf die Lyrik Mörikes in 24 Blättern gen Orplid 1 und Orplid 2 von 1979 und zwei farbigen Buntstiftzeichnun- (Abb. S. 68 - 75), die als Reaktion gen. Auffallend ist die leichte Bewe- auf den Tod ihrer Mutter entstanden gung paralleler Wellenlinien – einem und 1980 als Mappenwerk herausge- Regenschleier gleich – in den sie – oft geben wurden, sollen stellvertretend an einer imaginierten Horizontalen für diesen Werkbereich beleuchtet entlang – einen Begriff einschrieb, der werden: Als Grundlage wählte Bauer- zumeist nur als Irritation des Linien- meister das Gedicht Du bist Orplid, teppichs zu erkennen ist (Leise, Zeit). mein Land von Eduard Mörike (1804 Wie bereits in Zeichnungen der 60er – 1875), der das Fantasieland Orplid Jahre schreibt Mary Bauermeister 1831/32 in radikaler Weltflucht in entweder winzig klein – kaum lesbar Form eines poetischen Traumes von – die Lyrik bzw. ihre Gedanken in einer mythischen Welt besingt. Die die grafische Struktur ein, oder aber bei Mörike angesprochenen Imagina- sie nutzt überlängte Typografien, tionsräume füllt Mary Bauermeister in Verzerrungen oder Spiegelschrift, um dieser einschneidenden Situation mit dem Gesamteindruck einer Zeichnung meditativen Zeichnungen, in denen die Dominanz einzuräumen. Ein sie den Abschied von der Mutter, die permanentes Oszilieren zwischen ihr immer wieder unterstützend zur illustrativer und verbaler Dimension Seite gestanden hatte, zeichnerisch charakterisiert ihr zeichnerisches umsetzte. („Die Serie scheint dem Werk und offenbart jene Dynamik, die Tode gewidmet – ist aber dem Leben letztlich für das gesamte bildnerische geweiht. Sie handeln vom Jenseits, der Werk Bauermeisters typisch ist. Umkehrung von Raum und Zeit. […] Keiner der Texte ist von mir ausge- dacht, sondern alle kamen während des Zeichnens in meine Feder.“29) Kotztüten (im Flugzeug gezeichnet), 2002 Mit Tusche auf Papier arbeitete sie Tinte auf Papier, Plexiglas, Spiegel, Holz 141 x 25 x 25 cm (6-teilig) zumeist im Querformat und reagierte

29 M. Bauermeister im Brief an eine Freundin vom 15.11.1980 / Einführung zum Mappenwerk Orplid 1, 1980

54 Geheime Zeichen, 1971 – 77 Tusche, Glas, Linsen, Plastische Masse, Holz 46 x 46 x 14,8 cm

55 4 Skizzen zur Ausstellung in der Galerie Der Spiegel, Köln, 1971

56 57 Tagebuch 70er Jahre, S. 28 - 29

58 Tagebuch 70er Jahre, S. 64 - 65

59 Lucky Shoes, 1963 Tusche auf Papier, 42 x 59 cm

Art Investment Report 1973, Überarbeitung 2011 Offsetdruck, Aquarell auf Bütten, 64,7 x 49 cm

60 61 Tagebuch 70er Jahre, S. 54 - 55

62 God , 1974 Lithographie auf Bütten, 50 x 70,5 cm

63 Baumzopf, 1979 Tusche auf Papier 62,5 x 44,5 cm

64 65 66 Baumzopf, 1979 Tusche auf Papier 62,5 x 44,5 cm

67 68 – 71

Orplid 1, 1979 Offsetdruck, 29,7 x 42 cm, 12-teilig in Mappe, 1980

68 69 70 71 72 – 75

Orplid 2, 1979 Offsetdruck, 29,7 x 42 cm, 14-teilig in Mappe, 1980

72 73 74 75 Magnetbild blau-lila, 1959 Kaseintempera auf Holz, Magnete, 75 x 75 cm

76 Die «Malerische Konzeption». Ein konzeptuelles Erkenntniswerkzeug. Hauke Ohls

Die Idee selbst, auch wenn nicht in sichtbare Form gebracht, ist ebenso ein Kunstwerk, wie irgendein abgeschlossenes Produkt. Sol LeWitt, 19671

Bei dem Verhältnis von Schrift und jährliche Treffen wurde zu einer Insti- auch als „Partitur für Maler“ bezeich- bildender Kunst im Œuvre von tution innerhalb der Neuen Musik und net und eher als Kompositionsskizze, Mary Bauermeister sticht ein Werk hatte einen entscheidenden Einfluss auf denn als Kunstwerk interpretiert besonders hervor: die Malerische viele der Komponisten und bildenden wurde.2 Auch Karlheinz Stockhausen Konzeption von 1961. Jene drei Künstler, die sich dort wiederkehrend setzte das Werk in einen musikalischen handschriftlichen Blätter geben einen versammelten. Bauermeister nahm Kontext, als er es in seinem Text für profunden Einblick in die Arbeits- und 1961 an einem Kompositionskurs den Katalog von Bauermeisters Aus- Denkweise der Künstlerin. Auf der von Karlheinz Stockhausen teil und stellung 1962 im Stedelijk Museum einen Seite zeigt sich die experimen- arbeitete dort die Konzeption aus, Amsterdam mit seinen eigenen telle Erweiterung der Gattungsgrenzen die auf den Sinnesbereich „Sehen“ musikalischen Begriffen besprach und der Malerei mittels eines kompositori- bezogen und heutzutage als Male- auf die kompositorische Problemfin- schen, konzeptuellen Zugangs; ander- rische Konzeption bekannt ist. dung der seriellen Musik verwies.3 seits, und auch dies ist dem Werk zu entnehmen, ist es analytisch reflektiert. In den mit Schreibmaschine verfassten Als Weiterentwicklung der Zwölfton- Nachfolgend soll es um eine Einord- Erläuterungen, die dem Plan voran- technik von Arnold Schönberg und der nung des Kunstwerks gehen, wie es gestellt sind, bezeichnet Bauermeister sogenannten Wiener Schule ist die im Umfeld von Bauermeisters eigenen „Parameter-Analysen“ und „serielle serielle Musik nach dem zweiten Welt- Arbeiten sowie im kunsthistorischen Kompositionstechnik“ als entscheidend krieg entstanden. Das „Reihendenken“ Kontext der damaligen Zeit verstanden für das Kunstwerk, zusammen mit dem der Töne wird dabei auf weitere Para- werden kann (Abb. S. 78/ 79). Versuch, dies auf „optische Komposi- meter der Musik, wie unter anderem tion“ anzuwenden. Diese Äußerungen Tondauer, Tonhöhe, Lautstärke oder Entstanden ist die Malerische Kon- gemeinsam mit der Tatsache, dass Bau- auch Artikulation ausgedehnt, sodass zeption im Sommer 1961 bei den ermeister das Werk in einem Umfeld nach zuvor festgelegten Proportionen Internationalen Ferienkursen für Neue für Komponisten entwickelte, scheinen komponiert wird und eine Gleichbe- Musik in Darmstadt. Dieses nach dem der Grund dafür zu sein, dass die rechtigung jenseits der Beliebigkeit Zweiten Weltkrieg initiierte, zunächst Malerische Konzeption teilweise des persönlichen Geschmacks erreicht

3 Stockhausen, Karlheinz: Nieuwe Vormen. In: Karlheinz 1 LeWitt, Sol: Paragraphs on Conceptual Art – Paragra- Stockhausen & Mary Bauermeister. Stedelijk Museum phen über konzeptuelle Kunst. In: Vries, Gerd de (Hg.): Amsterdam 1962. In deutscher Übersetzung: Velte, Über Kunst – On Art. Künstlertexte zum veränderten 2 Skrobanek, Kerstin: „Die Jacke Kunst weiter dehnen.“ Maria (Hg.): Mary Bauermeister. Gemälde und Objekte Kunstverständnis nach 1965. Köln 1974, S. 176 - 185, Mary Bauermeisters Aufbruch in den Raum. Diss. Frank- 1952 - 1972. Mittelrhein Museum Koblenz 1972, hier S. 176. furt am Main 2009, S. 27. hier S. IX - XI.

77

werden soll.4 Bauermeisters Interesse Denken beschrieben wird und dadurch vorangestellten Schreibmaschinentext an der seriellen Kompositionstech- das Bild eines asymmetrischen Ein- kurz erläutert. Wichtig dabei ist, nik und der Versuch, einige ihrer flusses entsteht. Dem widerspricht das generelle Gerüst des Plans zu Denkansätze auf die Bildende Kunst der Musikwissenschaftler Leopoldo verstehen, denn in seinen Einzelheiten zu übertragen, zeigt sich auch an Siano, indem er aufzeigt, wie sehr trägt dieser das Potenzial von schier ihren Magnetbildern von 1958/59 die Kompositionen von Karlheinz unendlichen Permutationen in sich. Zur und den dazugehörigen Skizzen; Stockhausen durch Mary Bauermeister ursprünglichen Malerische Konzep- obwohl es bereits hier zu einer beeinflusst wurden. Siano spricht von tion gehören drei Blätter, die – wie Erweiterung des Serialismus durch einem „Wendepunkt“ und beschreibt üblich bei Bauermeister – sehr klein die aktive Beteiligung des Betrachters Stockhausens Partitur Plus-Minus von beschrieben sind. Es gibt zunächst 11 kommt.5 Bei den Magnetbildern 1963 als Pendant zur Malerische horizontale Zeilen, jeder davon ist ein wird die Gleichberechtigung der vier Konzeption.6 Gegen diesen asymme- Parameter zugewiesen, der variiert einzelnen Platten des Bildes für die trischen Einfluss argumentiert auch werden soll. Auf dem ersten Blatt ste- Komposition mittels ihrer Beweglichkeit Irene Noy in ihrem Buch Emergency hen die Parameter links und rechts und auf dem magnetischen Untergrund Noises. Sound Art and Gender: Sie rahmen so die 5 Ereignisse ein, die erreicht, da jedes der Teile umgrup- verweist darauf, dass Bauermeisters mittig in vertikalen Spalten angelegt piert werden kann (Abb. S. 76). Kunstwerke und speziell auch ihre sind. Zu den Parametern auf der ers- Malerische Konzeption von männli- ten Seite zählen: Frequenz, Intensität, Auch wenn das Reihendenken der chen Komponisten „übertönt“ wurden. Volumen, Zeit, Material, Ort, Zahl, seriellen Kompositionstechnik mit Bauermeisters „visuelle Kompositio- Proportion, Qualität, Organik und Sicherheit Einfluss auf die Entstehung nen“ haben jedoch eine ganze eigene Bewegung. Diese 11 sollen später alle der Malerische Konzeption hatte, „Stimme“, deren „metaphorische einen Teil eines fertigen Kunstwerks müssen doch auch andere Faktoren Lautstärke“ es zu beachten gilt.7 ausmachen, welches aus den Ereig- berücksichtigt werden. Besonders, da nissen 1 bis 5 hervorgehen soll – also Bauermeisters interdisziplinärer Ansatz Der Aufbau der Malerische Kon- insgesamt 5 Kunstwerke. Damit diese weit über die Musik hinausgeht und sie zeption wird ebenfalls in dem ihr unterschiedlich werden, wird jedem als primär bildende Künstlerin arbeitet der 11 Parameter eine Variation von und ausstellt. Eine weitere Gefahr ist, 5 Gradeinheiten zugeordnet, die in dass die Malerische Konzeption als 6 Siano, Leopoldo: Between Music and Visual Art in the der linken Spalte aufgeschlüsselt sind. bloße Adaption von Stockhausens 1960s: Mary Bauermeister and Karlheinz Stockhausen. In: Grant, M.J.; Misch, Imke (Hg.): The Musical Legacy of Karlheinz Stockhausen: Looking Back and Forward. Hofheim 2016, S. 90 - 101. 4 Finnendahl, Orm (Hg.): Die Anfänge der seriellen 7 Noy, Irene: Emergency Noises. Sound Art and Musik. Berlin 1999. Gender. Bern 2017. Ebenso wie ihr Aufsatz: Noy, Irene: 5 Ohls, Hauke: Mary Bauermeister und die Möglichkeit Art That Does Not Make Noise? Mary Bauermeister’s serieller Malerei. In: Mary Bauermeister. Die 1950er Early Work and Exhibition with Karlheinz Stockhausen. Jahre. Leopold-Hoesch-Museum & Papiermuseum Düren In: immediations. The Courtaul Institute of Art Journal of 2013, S. 33-46. Postgradute Research 2013, S. 25 - 43.

80 Aus Gründen der Vereinfachung wird wurde beispielsweise Medium auf der Intensität und Medium miteinander nachfolgend das 3. Ereignis – von dritten Seite mit viel Text bedacht. zu verbinden, die es auf unserem den 5 Ereignis-Spalten auf Blatt 1 Planeten nicht gibt und ebenso den das mittlere – nur andeutungsweise Möchte nun aber Bauermeister oder bisher bekannten Gesetzen der Physik besprochen, damit ein Eindruck vom jemand anderes tatsächlich die widersprechen. Mit diesen Ausfüh- Aufbau entsteht: Jedes Kunstwerk soll Malerische Konzeption ausführen, so rungen soll gezeigt werden, dass am Ende das Potenzial von 36 haben, bedarf es vielfältiger Entscheidungen, die Malerische Konzeption nicht als dies ist von Bauermeister festgelegt. wie die Parameter beziehungsweise Partitur im Sinne einer möglichen Aus- Beim ersten Parameter Frequenz ist deren Grade zu interpretieren sind. führung zu verstehen ist, sondern als die Gradeinheit 3; dies bedeutet, dass So könnte auf die Ästhetik von Bau- etwas Umfassenderes. Zum Teil klingt mit einem „rot-rosa-orange Farbton“ ermeisters Pünktchenbildern, die sie eine solche Herangehensweise in John gearbeitet wird. Beim zweiten, dem Ende der 1950er Jahre entwickelte, Cages Vortrag in Darmstadt über die Grad der Intensität, besagt die Zahl 2 zurückgegriffen und dann den Parame- Unbestimmtheit (Indeterminacy) an, einen „deutlichen Grad der Erkennbar- tern entsprechend vorgegangen wer- den er 1958 bei den Internationalen keit“. Addiert man alle 11 Gradeinhei- den. In einem Gedankenexperiment, Ferienkursen für Neue Musik hielt. ten der Parameter miteinander, kommt könnte man sich vorstellen, wie Felder In diesem konstatierte er: „Eine die Summe 36 heraus.8 Das Ereignis und Zentren von 1961-62 aussehen experimentelle Aktion ist eine solche, 3 hat ein Kunstwerk hervorgebracht, würde, wenn es entsprechend eines deren Ergebnis nicht absehbar ist.“ 10 zumindest sind 11 festgelegte Para- der Ereignisse ausgestaltet wäre. meter aufeinander bezogen worden. Das Verfassen der Malerischen Zwei weitere Schwierigkeiten wären, Konzeption schafft für die Künstlerin Die zwei weiteren Blätter der Male- dass zum einen die Anzahl der Vari- Mary Bauermeister nicht unbedingt rischen Konzeption machen die ablen und deren Kombination bei die Möglichkeit, auf jener Grundlage Ereignisse noch komplexer. Auf ihnen nur einem Konzept, wie zum Beispiel Kunstwerke herzustellen, sondern sind nicht nur die 11 Parameter der den Pünktchenbildern, bei 115 (also vielmehr eine Potenzierung der künst- ersten Seite nochmals ausführlicher 161.051) liegt – und darin sind andere lerischen Möglichkeiten bei gleich- beschrieben und verfeinert, es kom- Werkgruppen nicht mit eingerechnet. zeitiger Reflexion. Es ist ein Ausloten men mit Technik, Medium und Dauer Zum anderen müssten wohl chemi- von dem, was noch durchführbar ist, noch drei weitere hinzu.9 Von jenen sche Verbindungen entstehen, um und dem, was von den Grenzen der Parameter wie Volumen, Material, eigenen Profession sowie des eigenen

8 Dafür muss beim Parameter Qualität-Neuheit zum angegebenen Grad 1 jedoch noch Grad 4 + 5 hinzuad- diert werden, was Bauermeister auch schriftlich darlegt. 9 Der Parameter Frequenz findet sich sogar insgesamt 10 Cage, John: Silence. Middletown Conn. 1961, dreimal auf den drei Seiten. S. 35 - 40, hier S. 35.

81 Verstandes droht, limitiert zu werden. Form der Konzeptkunst beschrieben den Titel Concept Art (im englischen In wieweit dies eine interdisziplinäre werden, um ihr mehr gerecht zu wer- ist jedoch die Bezeichnung Conceptual Herangehensweise ist, die für das Jahr den. Denn wie das Eingangszitat von Art für Konzeptkunst gebräuchlich), 1961 eine besondere Radikalität hat, Sol LeWitt – einem der wegweisenden und er benennt darin Konzepte als zeigt das Angebot von Jan Willem Konzeptkünstler – verdeutlicht, steht wichtigstes Material für Künstler, wie Sandberg, der noch relativ unbekann- ganz allgemein die Idee im Zentrum Töne das Material für Musiker sind.15 ten jungen Künstlerin eine Einzelaus- dieser Kunstrichtung. Damit ist nicht stellung einzuräumen. Sandberg hatte gemeint, dass hinter dem Kunstwerk Für ein Werk wie die Malerische Kon- als Direktor des Stedelijk Museum in eine Idee steht, dies ist wohl bei jedem zeption bestand damals noch keine Amsterdam bereits damals den Status Kunstwerk gegeben, sondern dass feste Bezeichnung, auffällig ist nur, einer Legende, da er die wichtigsten die Idee die Kunst ist, die visuelle dass es überraschend gut zu der späte- Entwicklungen der zeitgenössischen Ausführung hingegen vollkommen ren Konzeptkunst passt, wie Sol LeWitt Kunst früh erkannte und ausstellte, nebensächlich. Dazu kommt eine Ent- sie in seinen Paragraphs on Con- wodurch das Stedelijk zur führenden materialisierung des Kunstwerks, der ceptual Art im Jahr 1967 beschreibt: Institution für zeitgenössische Kunst in Fokus auf schriftliche Äußerungen und „Die Idee wird zu einer Maschine, die Europa wurde. Der niederländische eine analytische Befragung der Kunst die Kunst macht. [...] Es kommt nicht Musikkritiker Dirk Leutscher gab ihm – eine Reflexion über ihr Wesen.12 All wirklich darauf an, ob der Betrachter eine Kopie der Malerischen Konzep- diese Eigenschaften weist die Male- die Konzeption des Künstlers versteht, tion im Herbst 1961, ein Jahr später rische Konzeption auf. Der Beginn wenn er die Kunst betrachtet.“ 16 eröffnete Bauermeisters Ausstellung der Konzeptkunst lässt sich nicht exakt im Stedelijk. Diese Ausstellung wurde bestimmen, gängig ist, ihn zwischen Um Bauermeisters Arbeitsweise präzi- durch Partituren und Musik von Stock- Mitte und Ende der 1960er Jahre anzu- ser in diesen Kontext einzuordnen, ist hausen unterstützt.11 Die Wichtigkeit setzen.13 Welche Entwicklungslinien bis ein Blick in eines ihrer Skizzenbücher der Malerischen Konzeption wird auch zur Konzeptkunst auch verfolgt werden, aus der damaligen Zeit hilfreich. Diese dadurch deutlich, dass die ersten zwei 1961 wäre ein ausgesprochen frühes bestehen nur zu einem kleineren Teil Seiten als Reproduktion dem Ausstel- Datum.14 Auch die Herkunft des Begriffs aus „Skizzen“ und hauptsächlich aus lungskatalog lose beigefügt wurden. ist nicht exakt geklärt, oftmals wird auf Text. Schrift findet sich nicht nur auf einen Text von Henry Flynt verwiesen, ihren Bildern, in ihren Linsenkästen und Möglicherweise muss die Malerische den er 1961 schrieb und der zuerst Konzeption aber auch als eine frühe 1963 veröffentlicht wurde. Dieser trägt 15 Flynt, Henry: Concept Art. In: Young, La Monte: An Anthology: of chance operations. New York 1963. In ihrer Autobiographie beschreibt Bauermeister ein 12 Godfrey, Tony: Konzeptuelle Kunst. London 1998, Aufeinandertreffen mit Henry Flynt im Jahr 1964, als Berlin 2005. dieser mit anderen Künstlern gegen die Aufführung von 13 Bird, Jon; Newman, Michael (Hg.): Rewriting Concep- Stockhausens in New York demonstrierte. Eine tual Art. London 1999. Episode, die zeigt, wie intensiv damals um ästhetische 14 Buchloh, Benjamin: Conceptual Art 1962 - 1969: From Deutungshoheiten gekämpft wurde. Bauermeister, Mary; 11 Bauermeister, Mary: Ich hänge im Triolengitter. Mein the Aesthetic of Administration to the Critique of Institu- 2011, ebd. S. 159 - 173. Leben mit Karlheinz Stockhausen. München 2011, S. 76. tions. In: October, Vol. 55, Winter 1990, S. 105 - 143. 16 LeWitt, Sol; 1974, ebd. S. 181.

82 Zeichnungen, sondern sie bestimmt auch ihr Denken bei der Entwicklung von Kunstwerken und der Fixierung von Ideen. Vermutlich auch aus dem Jahr 1961 stammt eine der Seiten, die mit Entfaltungsbild überschrieben ist. Auf ihr ist die Notiz: „Darmstadtpro- jekt kann so ausgeführt werden“ zu lesen. Es wird deutlich, dass die Male- rische Konzeption (das Darmstadt- projekt) also mehreres gleichzeitig ist: Ein eigenständiges Kunstwerk, das die Konzeptkunst inauguriert sowie die Anregung, neue Kunstwerke daraus zu entwickeln und die Grenzen des eigenen Kunstschaffens zu erweitern.

Dazu passt, dass im Archiv von Mary Bauermeister Blätter aus dem Jahr 1961 zu finden sind, die Pla- nungen darlegen, die Malerische Konzeption auf eine neue Ebene zu heben, sodass es zu einer „Multime- dialen-Komposition“ für die Sinne „Hören-Sehen-Fühlen-Schmecken-Rie- chen“ kommt. Eine Bestrebung, die die Komplexität Bauermeisters’ Male- rischer Konzeption nochmals poten- zieren würde, aber für ihr grenz- überschreitendes Denken spricht.

Skizzenbuch Quaderno 1961 - 63, S. 11

83 Skizzenbuch Quaderno 1961 - 63, S. 54

Stone Progression, 1992 Steine, Sand auf Holz, 130 x 120 cm

84 85 In den frühen Phasen der Industrialisierung, 1980 - 82 Fineliner auf Fotografie, Bienenwabe auf Glas 57,2 x 71,7 x 16 cm

Tagebuch 70er Jahre, S. 48 - 49

86 87 Gartengestaltung Landeszentralbank, Wiesbaden 1981 - 86

88 Gartengestaltung Wohnhaus, Rösrath

89 90 Plan Gartengestaltung, 1983/84, Fineliner, Buntstift, Deckweiß auf Papier, 29,7 x 42 cm

91

Biografie

*1934, am Main 2014 1981 lebt und arbeitet in Rösrath Die Visionärin, 401contemporary, Berlin Galerie La Cité, Luxembourg Berlin Kunst(t)träume, museum +, Potsdam 1954-55 Hochschule für Gestaltung, 1980 (unter Max Bill) 2013 1955-1980 Retrospektive, Städtische 1955-56 Staatliche Schule für Kunst und Hand- Mary Bauermeister. Die 1950er Jahre, Galerie Villa Zanders, Bergisch Gladbach werk, Saarbrücken (unter Prof. Otto Steiner) Leopold-Hoesch-Museum & Papiermuseum, Düren Galerie Rolandshof, Bad Godesberg Zopf ab, Gold oben! Kunstverein Nümbrecht Mary Bauermeister arbeitet seit über 60 Jahren 1978 als Künstlerin. Ihr Atelier in der Kölner Lintgasse, 2012 Galerie La Cité, Luxembourg in welchem sie von 1960 bis 1962 arbeitete, gilt Zopf ab, Museum Fluxus+, Potsdam als einer der bedeutendsten Geburtsorte der Retrospektive, Frauen Museum, Bonn 1974 Fluxusbewegung. Ihre erste Ausstellung hatte 20 Jahre Retrospektive, Rathaus Bensberg sie 1962 im Stedelijk Museum Amsterdam, bald 2010 danach zog sie nach New York. Seit 1972 lebt Welten in der Schachtel, Wilhelm-Hack-Museum, 1973 und arbeitet sie wieder in Deutschland. Ludwigshafen am Rhein Galerie Schloss Remseck, Neckar Rems

2009 1972 Einzelaustellungen (Auswahl) Aus meinem Skizzenbuch – Ein Tag in NY, Petschek Arts, London Galerie Schüppenhauer, Köln Galleria Bonino, New York 2017 Mittelrheinmuseum, Koblenz Pli Score Pli, Kunstmuseum Solingen 2004 Staempfli Gallery, New York 1 + 1 = 3, Studio Gariboldi, Mailand Needless Needles, Zum 70. Geburtstag von Galeria Schwarz, Mailand Van Ham Kunstauktionen, Köln Mary Bauermeister, , Köln Memento Mary, Villa Grisebach, Berlin All things involved in all other things, Galerie 1971 Zeichen, Worte, Universen, Kunstmuseum Villa Schüppenhauer, Köln Galerie Atelier 67, Ulm Zanders, Bergisch Gladbach Galerie der Spiegel, Köln 2003 Galerie Judith Weingarten, Amsterdam 2016 Auf den Punkt gebracht - Arbeiten von 1955 bis Farbrausch, 401contemporary, Berlin 2002, Galerie Schüppenhauer, Köln 1970, 1969, 1968, 1967, 1966, 1965, 1964 Omniverse, Pavel Zoubok Gallery, New York Galeria Bonino, New York Horizonte - Mary Bauermeister und chinesische 2002 Künstler, Nanjing Xinchen Wenhua Yishu Zhongxin Galerie Inge Becker, Köln 1963 (Whenshine Galerie), Nanjing Xuanhe Meishuguan Stedelijk Van Abbemuseum, Eindhoven (Xuanhe Galerie), Goethe Institut Peking 1998 Haags Gemeentemuseum, Den Haag Querschnitt durch das Oeuvre der Künstlerin Mary‘s und Ben‘s Lustspiel, Galerie Schüppen- Mary Bauermeister, Museum Fluxus+, Potsdam hauer, Köln (mit ) 1962 Stedelijk Museum, Schiedam 2015 1992 Museum von Stadt en Ommelanden, Groningen Mary Bauermeister – Da Capo - Werke aus Galleria Bonino, New York Stedelijk Museum Amsterdam, Amsterdam sechzig Jahren, Mittelrheinmuseum, Koblenz Mary Bauermeister. The New York Decade, Smith 1987 College Museum of Art, Northampton Galerie Rolandshof, Bad Godesberg

93 Gruppenausstellungen (Auswahl) 2000 1979 Museum der Wünsche, Kölnisches Stadtmuseum, Kölner Künstler persönlich vorgestellt, Kölnischer 2017 Köln Kunstverein, Köln Zwischen den Zeilen. Kunst in Briefen von Niki Nicht ans Wort gebunden, Deutsches Buch und de Saint Phalle bis Tracy Emin, Sprengel Museum Schriftenmuseum, Leipzig 1978 Hannover positions, Galerie Schüppenhauer, Köln Turm - Lebensbaum, Goethe Institut, London Sound Goes Image. Partituren zwischen Musik und Bildender Kunst, Horst Janssen Museum, 1996 1977 Oldenburg Fluxus Virus, Galerie am Fischmarkt, Erfurt ; Private Images - Photographs by Sculptors, Spielraum. Kunst die sich verändern lässt, Smolny Kathedrale, St. Petersburg; House of the LACMA, Los Angeles Landesgalerie Linz Artist, Moskau 100 Jahre Frauenkunst 1877-1977, Schloss Charlottenburg, Berlin 2016 1995 FluxUS, CUBO Centro Unipol, Bologna Artist‘s choice - Elisabeth Murray. Modern 1976 Point – Line – Plain – TV, Art Women, MoMA, New York Bosces, Museé de l‘art Moderne, Paris Center, Seoul 1993 1975 2015 Fluxus Virus, Temporäres Museum, Kaufhof Art International, Palais des Beaux Arts, Brüssel Zero - Die internationale Kunstbewegung der Parkhaus Köln 50er und 60er Jahre, Martin-Gropius-Bau, Berlin 1974 1992 The Solomon R. Guggenheim Museum, New York 2014 Staempfli Gallery, New York The 20th Century - 35 American Artists, Galeria Spielobjekte - Die Kunst der Möglichkeiten, Schwarz, Mailand Museum Tinguely, Basel 1988 Ars Intermedia, Whitney Museum of American At the Hub of Things: New Views of the The Art of the Object of the Sixties, The Art, New York Collection, Hirshhorn Museum and Sculpture Guggenheim Museum, New York Garden, Washington, D.C. 1972 1986 III. Bienal de Arte Coltejer, Medelin, Columbia 2008 Die 60er Jahre - Kölns Weg zur Kunstmetropole; Women in Art, North Carolina Museum of Art, Wack! Art and the Feminist Revolution, P.S.1, vom Happening zum Kunstmarkt, Kölnischer Raleigh, North Carolina New York; Vancouver Art Gallery Kunstverein Artists Participating in Women in Art, State University College of Potsdam, N.Y. 2007 1985 Wack! Art and the Feminist Revolution, MOCA, Vom Klang der Bilder, Staatsgalerie Stuttgart 1971 Los Angeles Licht, Zeit, Bewegung, Bergisch Gladbach Artistas de la Galeria Bonino de N.Y., Estudio Actual, Caracas 2004 1982 Park East Synagogue Art Show, New York all things involved in all other things, Mary Fästwel - mit F. Lauten und P. Fuchs, Kürten 31st Annual Exhibition, The Art Institute of Bauermeister zum 70. Geburtstag, Galerie Städtische Galerie Villa Zanders, Bergisch Chicago, Chicago, Illinois Schüppenhauer, Köln Gladbach 1970 2002 1981 The National Drawing Exhibition, San Fransisco As time goes by, Kunstverein Region Heinsberg Aspekte des Phänomens Fluxus, Von der Heydt Museum of Arts, San Fransisco Museum, Wuppertal

94 1969 1963 Mary Bauermeister. All things involved in all Contemporary Painting and Sculpture, Baltimore 2 Sculptors, 4 Painters, Galeria Bonino, New York other things, Galerie Christel Schüppenhauer, Museum of Art Riverside Museum, New York Köln, 2004 29th Annual Exhibition, The Art Institute of Chicago, Chicago, Illinois 1962 intermedial, kontrovers, experimentell. Das Superlimited, The Jewish Museum, New York Kunsthalle Baden-Baden, Baden-Baden Atelier Mary Bauermeister in Köln 1960 - 62, Painting and Sculpture Today 1969, Indianapolis L’Art et l’Ecriture, Stedelijk Museum Amsterdam, Historisches Archiv der Stadt Köln (Hg.), Köln, Museum of Art, Indianapolis Amsterdam 1993 Ars Viva, KV Oldenburg, Kunsthalle Bremen 1968 Making their mark. Women Artists move into the 1968 Annual Exhibition of Sculpture, Whitney 1961 Mainstream 1970-1985, Catherine C. Brower, Museum of American Art, New York Galerie Parnass, Wuppertal Randy Rosen, New York, 1989 Graphics '68, Albright-Knox Gallery, Buffalo, N.Y. Atelier Neufert, Köln Hemis Fair '68, San Antonio, Texas Medium Papier, Städtische Galerie Villa Zanders, Bergisch Gladbach, 1982, S. 14 1967 Pittsburgh International, Carnegie Institute, Ausstellungskataloge (Auswahl) Fluxus. Aspekte eines Phänomens, Kunst- Pittsburgh, Pennsylvania und Museumsverein Wuppertal im Von der Pictures to be read, Poetry to be seen, Museum Kunst in Briefen. Zwischen den Zeilen, Sprengel Heydt-Museum, Wuppertal, 1981 of Contemporary Art, Chicago Museum, Hannover 2017 Towards A Cold Poetic Image, Schwarz Galeria Treffpunkt Parnass Wuppertal 1949 – 1965, d‘arte, Mailand Momento Mary, Villa Grisebach, Berlin 2017 Ausstellung im Kunst- und Museumsverein Wup- pertal, Will Baltzer, Alfons W. Biermann (Hg.), 1966 1+1 = 3, Studio Gariboldi, Mailand 2017 Von der Heydt-Museum, Rheinisches Museumsamt European Drawings, Guggenheim Museum, Abtei Brauweiler, 31.05. – 13.07.1980, S. 200 New York Letters, Mary Bauermeister – Nam June Paik, 2. Salon Int. des Galeries-Pilotes, Museé Nam June Paik Art Center, Korea, 2015 Mary Bauermeister. Gemälde und Objekte Cantonal des Beaux Arts, Lausanne 1952-1972, Mittelrheinmuseum, Koblenz, 1972 Art in Progress, Finch College Art Museum, Mary Bauermeister. Da Capo – Werke aus 60 New York Jahren, Mittelrheinmuseum, Koblenz 2015 Mary Bauermeister. Recent Paintings and American Landscapes: A Changing Frontier, Constructions, Staempfli Gallery, New York, 1972 National Collection of Fine Arts, Smithonian Mary Bauermeister. The New York Decade, Institution, Washington D.C. Smith College Museum of Art, Northampton 2015 Bauermeister. Paintings and Constructions, Galeria Bonino, New York, 1967 1965 Mary Bauermeister. Die 1950er Jahre, Leo- The Newark Museum. Newark, N.Y. pold-Hoesch-Museum & Papiermuseum Düren, European Drawings, The Solomon R. Guggenheim Düren, 2013 Museum, New York, 1966 1964 Annual Exhibition of American Sculpture, Welten in der Schachtel. Mary Bauermeister Young Americans 1965. Thirty American Artists Whitney Museum, New York und die experimentelle Kunst der 1960er Jahre, Under Thirty-Five, Whitney Museum of American Art Today, Albright-Knox Art Gallery, Buffalo, N.Y. Wilhelm-Hack-Museum, Ludwigshafen am Rhein, Art, New York, 1965 Staempfli Gallery, New York 2011 Mary Bauermeister (schilderijen)& Karlheinz WACK! Art and the feminist revolution, Lisa Stockhausen (elektronische muziek), Stedelijk Gabrielle Mark (Hg.), MOCA, Los Angeles, 2007 Museum Amsterdam Nr. 311, 1962

95 Impressum

Der Katalog erscheint anlässlich der Ausstellung Mary Bauermeister – Zeichen, Worte, Universen, 10.12. 2017 – 08.04. 2018 in der Reihe Ortstermin, die seit 1993 dankenswerterweise durch die VR Bank eG Bergisch Gladbach-Leverkusen gefördert wird.

Ausstellungskonzeption © für diese Publikation: Petra Oelschlägel Autoren, Fotografen, Künstlerin und Verlag Kettler, für Mary Bauermeister Autoren © VG Bild-Kunst Bonn, 2017 Hauke Ohls, Petra Oelschlägel

Kunstmuseum Villa Zanders Lektorat Konrad - Adenauer - Platz 8 Martina Heuer, Sabine Elsa Müller 51465 Bergisch Gladbach www.villa-zanders.de Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Sabine Elsa Müller

Ausstellungsaufbau Jochem Killmer Gesamtherstellung Druckerei Kettler, Bönen Fotografie Peter Hinschläger, Soeren Jonssen, Erschienen im Michael Wittassek Verlag Kettler, Dortmund www.verlag-kettler.de Gestaltung Michael Wittassek ISBN 978-3-86206-683-4