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Helmut Lauterwasser BERICHTE Wilhelm Leibniz Bibliothek Gottfried

Zur Geschichte der Militärmusik im Königreich Hannover –

Eine einzigartige Sammlung von Musikhandschriften in der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek – Niedersächsische Landesbibliothek Hannover

Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek | Waterloostraße 8 | 30169 Hannover | www.gwlb.de Inhalt

Einleitung 3 Johann Viktor Gerold 4 Die Handschriften-Sammlung 6 Verbleib der Sammlung 11 Repertoire 16 21 Instrumentarium und Besetzung 23 Sonstiges und Schluss 28 Autor 30 Impressum 30

Abb. 1: Erste Partiturseite der Komposition Das Königreich Hannover von König Georg V. in der Bearbeitung und Handschrift von Johann Viktor Gerold. GWLB: Noviss. 145 : 2, No 86

2 Einleitung

Einleitung

Als Ernst August I. (1771–1851), König von Hannover, Herzog von Braun- schweig-Lüneburg, Duke of Cumberland and Teviotdale, Earl of Armagh, im Jahr 1846 beschloss, die Stelle eines Armee-Musik-Directors als Oberauf- sicht über die gesamte königliche Militärmusik einzurichten, konnte er mit Julius Viktor Gerold (1808–1876) auf »eine fachlich erfahrene und absolut musikalisch-schöpferische Persönlichkeit«1 zurückgreifen, die sich in seinen Diensten als Instrumentalist und Ensembleleiter seit Langem bewährt hatte. Er konnte nicht ahnen, dass er damit gleichzeitig den Grundstein legte für eine Sammlung handgeschriebener Partituren, die ein Stück Militärmusikge- schichte seines Königreiches über einen Zeitraum von 36 Jahren hinweg akri- bisch und in einzigartiger Weise dokumentierte. Noch weniger ahnte er, dass der erste Amtsinhaber gleichzeitig der letzte sein würde, weil das Königreich unter seinem Sohn Georg V. durch die preußische Annexion im Jahr 1866 gleichsam abgeschafft wurde. In 1.098 erhaltenen Handschriften, fast ausnahmslos von ihm selbst ge- schrieben, und einem zweibändigen »Verzeichnis sämmtlicher Partituren arrangirter & compon: Piecen« hat Gerold sein Schaffen ziemlich lückenlos dokumentiert.2 Darunter sind 93 Sammelhandschriften, d. h. Handschriften, die mehr als ein Werk enthalten. Insgesamt enthält die Sammlung 1.634 Werke bzw. Bearbeitungen von Musikwerken. Bei 29 Handschriften, davon 3 Sammlungen mit zusammen 26 enthaltenen Werken, fehlt die sonst übli- che fortlaufende Nummerierung, sie sind auch nicht in Gerolds handschrift- lichem Verzeichnis enthalten. In den allermeisten Fällen hat er auf der ers- ten Partiturseite das genaue Datum des Beginns seiner Niederschrift und auf dem Titelblatt deren Beendigung festgehalten. Dadurch sind wir über die Entstehungszeit der Quellen genauestens unterrichtet. Die Sammlung enthält neben ca. 660 eigenen Kompositionen Gerolds eine unglaubliche Vielfalt zeitgenössischer Stücke aller Genres. In verblüffender Aktualität hat er mitunter gerade erst erschienene Werke sowohl berühmter Zeitgenos- sen, von Johann Strauß bis Franz Liszt, als auch kaum bekannter Musiker für Blasorchester in wechselnden Besetzungen instrumentiert.3 Bemerkenswert ist z. B. die Bearbeitung von Einleitung und erster Szene des zweiten Akts von Richard Wagners Tristan und Isolde vom April 1860, mehr als fünf Jahre

1 Sievers, Heinrich: Hannoversche Musikgeschichte. 2 Bde. Tutzing 1979 und 1984, Bd. 2, S. 471. 2 GWLB: Noviss. 145 : Verzeichnisse. 3 Daneben gibt es in der Sammlung auch über einhundert Werke für großes Sinfonieor- chester.

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vor der Münchner Uraufführung!4 Dessen Antipode ist mit insgesamt 61 Bearbeitungen vertreten, darunter durchaus auch weniger be- kannte Opern:5 Alzira (2), L‘Assedio di Arlem, Attila (5), Il Corsaro (2), I due Fos- cari (3), Ernani (3), Giovanna d‘Arco (3), Jérusalem (2), Luisa Miller, Macbeth (12), I Masnadieri, Nabucodonosor (10), Rigoletto (4), Stiffelio (4), La Traviata, Il Trovatore (5) sowie 2 Potpourris. Gerade auf dem Gebiet der Oper sind in Gerolds Nachlass einige Werke enthalten, die sonst kaum mehr nachweis- bar sind. Daneben dominieren erwartungsgemäß die bekannten Blasmusik- Gattungen: 533 Märsche,6 85 Galoppe, 57 Polkas, 28 Polonaisen sowie einige Fanfaren, Signale und Militärmusik im engeren Sinne, wie z. B. Hannoversche Réveille, Vergatterung und Rast, Hannoverscher Zapfenstreich oder Svenska arméens Tapto (Schwedischer Zapfenstreich). Auch vor der Umwandlung von Symphonien und Klaviersonaten von Beethoven und Mozart schreckte Ge- rold nicht zurück. Mit der Bearbeitung von Werken Carl Philipp Emanuels und Johann Sebastian Bachs, Georg Friedrich Händels (13), Carl Heinrich Grauns und anderer bewies der hannoversche Militärmusikdirektor darüber hinaus sein historisches Interesse.

Johann Viktor Gerold

Johann Viktor Gerold »war 1808 in Waldenburg (Sachsen) als Sohn eines Stadt- musikus geboren. 1830 trat er als Stabshornist des Garde-Jäger-Regiments in hannoversche Dienste. 1833 avancierte er zum Direktor des Hornistencorps seines Regimentes,«7 eine Stellung, die er bis zum Jahr 1850 inne hatte.8 Wie eingangs erwähnt, wurde er 1850 zusätzlich zum königlichen Armeemusik- direktor ernannt, dem die Oberaufsicht über die gesamte Militärmusik des Königreichs Hannover oblag. Die einzelnen Regimenter behielten zwar ihre eigenen Musikdirektoren, Gerold musste jedoch dem König über deren Leis- tungsfähigkeit regelmäßig Bericht erstatten. Grundlage seines Dienstes war

4 GWLB: Noviss. 145 : 12, No. 1060; RISM Id. no. 450119443, näheres dazu siehe unten. Die Angabe der RISM-Nummern in diesem Text soll dazu dienen, dem Leser das Aufrufen der betreffenden Titel mit ausführlichen Angaben zur Quelle im RISM-OPAC (https://opac.rism.info) zu erleichtern. 5 In Klammern die Anzahl der Quellen mehrfach bearbeiteter Opern. 6 Zum Teil gibt es Gattungsüberschneidungen, z. B. wenn einzelne Märsche aus Opern bearbeitet sind. 7 Sievers: Musikgeschichte (wie Anm. 1). 8 Artikel »Gerold« in: Busch, Heinz: Vom Armeemarsch zum Großen Zapfenstreich – ein Lexikon zur Geschichte der deutschen Militärmusik. Bonn 2005, S. 62.

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die »Instruction für den Armee-Musik-Director Gerold« vom 23. April 1850.9 Daneben blieb er weiterhin »musikalischer Leiter der Garde du Corps.«10 Ne- ben seinen eher administrativen Pflichten als Armeemusikdirektor gehörte zu Gerolds Aufgabenbereich auch die Programmgestaltung, Vorbereitung und Leitung von Großkonzerten, die im Sommer »im Ehrenhof des Herren- häuser Schlosses«, im Herbst und Winter »vor dem Wangenheim-Palais, der Stadtresidenz Georgs V.«,11 »unter Mitwirkung der in der Residenz und der un- mittelbaren Umgebung stationierten Regiments- und Bataillonsmusiken«12 gegeben wurden. Aus den Jahren 1854 bis 1866 haben sich 30 Konzertpro- gramme erhalten, deren Daten Gerold genau notierte.13 Wir können davon ausgehen, dass ein großer Teil seiner Kompositionen und Bearbeitungen für derartige Veranstaltungen geschaffen wurde. Vorläufer waren die seit 1837 stattfindenden »Gartenkoncerte von Militärcapellen«.14 Fischer berichtet außerdem von einem ganz besonderen musikalischen Ereignis des Jahres 1858: »Während der Manöver des 10. Bundescorps in Nordstemmen dirigirte Gerold ein Monstreconcert von 847 Musikern und 300 Tambours.«15 In den Akten des Niedersächsischen Landesarchivs finden sich als weitere Spuren »Betrachtungen über die Zustände der Militair-Musik und deren Verhältnis- se in der Königl. hannoverschen Armee« vom 19. November 186216 sowie ein Briefwechsel des Oberst Dammers mit König Georg V. (5. September–17. Oktober 1866), der u. a. einen »Bericht über einen Unfall des Armee-Mu- sikdirektors Gerold« vom 21. Oktober 1866 enthält.17 Dass Gerold zu seiner Zeit durchaus ein angesehener Musiker war, geht aus einer Äußerung des Herausgebers der Wiener Allgemeinen musikalischen Zeitung hervor. Er be- richtet 1845 im Zusammenhang mit einem Besuch in Hannover von einem Zusammentreffen mit dem Musikverleger Carl Bachmann und Gerold: »Herr Bachmann machte mich mit dem Music-Director Gerold bekannt, einem der vorzüglichsten Componisten für Militair-Musik. Ich ersuchte ihn, mich mit ei- nigen seiner Compositionen vertraut zu machen, was er mir auch versprach. Es ist diese Gattung der Composition vielleicht die einzige, deren Wirkungs-

9 NLA Hannover: Dep. 103 V Nr. 66 (frühere Signatur: Dep. 103 Marienburg Kasten 348 - 69 V Militaria). 10 Sievers: Musikgeschichte (wie Anm. 1), S. 473. 11 Ebd., S. 478. 12 Busch: Armeemarsch (wie Anm. 8). 13 Sievers: Musikgeschichte (wie Anm. 1), S. 491. 14 Fischer, Georg: Opern und Concerte im Hoftheater zu Hannover bis 1866. Hannover und Leipzig 1899, S. 159. 15 Ebd., S. 320, das Programm des Konzertes bei Sievers: Musikgeschichte (wie Anm. 1), S. 482. 16 S. Anm. 9. 17 NLA Hannover: Dep. 103 V Nr. 425, 427 und 464.

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kreis die Gränzen des Landes überschreitet, in welchem sie entstanden.«18 Fi- scher berichtet für die Jahre 1853/54: »Als Militairmusicdirector hatte Gerold einen geachteten Namen; war er doch mit Berlioz, Halévy, Meyerbeer, Liszt u. A. zum Preisrichter über Militairmärsche von der Schlesinger’schen Mu- sikhandlung ausersehen.«19 Dies soll freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass Gerold auf der musikalischen Bühne der Residenzstadt neben Persön- lichkeiten wie dem Hofkapellmeister Heinrich Marschner oder dem Konzert- meister (später Konzertdirektor) Joseph Joachim nur eine Nebenrolle spielte.

Die Handschriften-Sammlung

In Gerolds Verzeichnis sind alle Handschriften von 1 bis 1.253 durchlaufend nummeriert. Es ist in vier Spalten angelegt, links steht die Nummer, dane- ben der Titel des Werkes bzw. der Sammelhandschrift, rechts daneben der Name des Komponisten (wenn bekannt), ganz rechts schließlich eine Spal- te für Bemerkungen, in die abgekürzt vor allem die Art der Besetzung ein- getragen ist.20 In der mit der Nummer 1 versehenen ersten Handschrift der Sammlung notiert Gerold am Ende der Partitur: »Angefangen den 16 Aprill, geendet den 20 Aprill 1830. Hannover. Oeuv. I.« Wahrscheinlich hat er diesen Dublier-Marsch etwa zeitgleich mit seinem Dienstantritt in Hannover nie- dergeschrieben. Die Handschrift trägt heute die Bibliothekssignatur GWLB: Noviss. 145 : 1, No. 1, wobei die Ziffer nach dem Doppelpunkt die Nummer des Kastens angibt, in dem sie liegt. Streng genommen handelt es sich um eine Sammelhandschrift, mit fünf Märschen.21 Allerdings sind das nicht Ge- rolds früheste Kompositionen; in Kasten 10 liegen außer der Reihe elf ältere Handschriften mit den Nummern 22–27 und 29–33, die auf die Zeit vor der Umsiedlung nach Hannover datiert sind und in dem Werkverzeichnis fehlen. Die älteste Handschrift, eine Sammlung mit fünf Eigenkompositionen des 20-jährigen Gerold für unterschiedliche Besetzungen, ist auf den 29. Oktober 1828 datiert. Diese Handschriften dürften noch in seiner sächsischen Heimat entstanden sein, denn die Wasserzeichen der verwendeten Papiere gehören zu Papiermühlen in Thurm bei Zwickau. Auf drei dieser frühen Quellen mit den Nummern 30, 31 und 33 ist als Entstehungsort Chemnitz notiert, bei Nummer 32 »Eisenberg, Waldenburg und Chemnitz«.22 Nummer 30 ist auf

18 Zitat bei Sievers: Musikgeschichte (wie Anm. 1), S. 485. 19 Fischer: Opern (wie Anm. 14), S. 306. 20 S. Abb. 1 und 2. 21 Vgl. RISM Id. no. 450117518. 22 Heutige Sig. GWLB: Noviss. 145 : 10, No. 30 bis Noviss. 145 : 10, No. 33.

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den 15. September 1829 datiert, Nummer 33 ist in der Zeit zwischen 19. Fe- bruar und 4. März 1830 entstanden. Wir können daraus schließen, dass sich Gerold in der Zeit von Herbst 1829 bis Frühjahr 1830 in Chemnitz aufgehal- ten hat. Zwischen 4. März und 16. April 1830 muss er nach Hannover umge- zogen sein; auf diesen Tag ist seine erste hannoversche Handschrift datiert. Diese frühen Kompositionsversuche dürften noch ohne einen konkreten An- lass für eine Aufführung entstanden sein, manchmal sind sie unfertig oder gar nur skizzenhaft. Auch die Besetzungen wechseln, beispielsweise gibt es ein Stück für Violine, Viola und Pianoforte, ein anderes für Klappenhorn und 3 Posaunen, wieder ein anderes für 3 Trompeten. Die Notenschrift ist in diesem frühen Stadium eher skizzenhaft, so dass die genauen Tonhöhen nicht immer zweifelsfrei zu lesen sind. Alle übrigen Handschriften, also ca. 99%, sind während Gerolds hannover- scher Dienstjahre entstanden; und man wird davon ausgehen können, dass ihre Entstehung in unmittelbarem Zusammenhang mit seinen wechselnden Aufgabenbereichen stehen. Die unterschiedlichen, in aller Regel über die Jahre hinweg immer größer werdenden Besetzungen spiegeln somit seine tatsächlichen Aufführungsmöglichkeiten wider.23 Man kann darin durchaus einen Zuwachs an Bedeutung der Militärmusik innerhalb der Armee aber auch im Konzertleben Hannovers sehen. In einigen Werken, für die Gerold einen konkreten Entstehungsanlass angibt, sind in der Musik Ereignisse des Hoflebens dokumentiert. Dazu gehört z. B. der von Gerold komponierte Gro- ße Festmarsch »zur Vermählungsfeier des Kronprinzen von Hannover und der Prinzess Marie v. Altenburg«24; die Hochzeit fand am 18. Februar 1843 in der Schlosskirche von Hannover statt. Er komponierte diese Festmusik im Okto- ber 1842 zunächst für seine in jener Zeit übliche Besetzung mit Blechbläsern. Als das Ereignis näher rückte, schrieb er am 1. Januar 1843 eine vollständige neue Partitur desselben Werkes für die von ihm »große Militair-Musik« ge- nannte Besetzung mit Holz- und Blechbläsern sowie 3 Trommeln.25 Dieses Beispiel legt gleichzeitig Zeugnis ab für Gerolds Arbeitseifer: Selbst am Neu- jahrstag war er mit Notenschreiben beschäftigt; andere Partituren sind aus- weislich ihres präzisen Datums an Weihnachten bzw. zu Silvester entstanden. Zum Geburtstag des Kronprinzen und späteren Königs Georg V., dem 27. Mai, sind in der Sammlung mehrere musikalische Glückwünsche aus verschiede- nen Jahren zu finden: Am 8. Februar 1853 schrieb er dieHymne , »componirt zum hohen Geburtstagsfeste Sr: Maj: des Königs Georg V. von Hannover für grosse Militair=Musik«,26 am 24. Februar 1858 den »Lob- und Dank-Gesang

23 S. hierzu unten das Kapitel über Besetzungen und Instrumentarium. 24 GWLB: Noviss. 145 : 2, No. 117; RISM Id. no. 450118422. 25 GWLB: Noviss. 145 : 15, No. 123; RISM Id. no. 450119618. 26 GWLB: Noviss. 145 : 8, No. 812; RISM Id. no. 450119025.

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componirt zum hohen Geburtsfeste (1858.) Sr: Maj: des Königs Georg V. von Hannover für grosse Militair=Musik.«27 Offenbar sehr diszipliniert, wie es sich für ein Armeemitglied gehörte, machte er sich stets rechtzeitig vor den bevorstehenden Anlässen an die Arbeit. Das galt selbst für bevorstehende Geburten, die zu jener Zeit sicher nicht sehr genau vorausdatiert werden konnten: Der »Jubel-Marsch für grosse Militair-Musik, compon[iert] zur ho- hen Geburtsfeier des Erbprinzen von Hannover« ist auf den 21. August 1845 datiert; einen Monat danach, am 21. September, wurde Georgs ältester Sohn Ernst August geboren. Dessen 18. Geburtstag wollte Gerold offenbar mit dem Kronprinzen-Volljährigkeits-Marsch28 feiern; die Niederschrift der Parti- tur erfolgte im März des Jahres 1863, rund sechs Monate vor dem Ereignis. Am 22. und 23. November 1851 entstanden die beiden Choräle Jesus meine Zuversicht und Nach einer Prüfung kurzer Tage mit großer Bläserbesetzung und 2 Trommeln »zur Beerdigung Sr: Maj: des Königs Ernst August den 26 Novbr: 1851. arrangirt«. Es ist bekannt, dass die Welfenherrscher im 17. Jahrhundert eine Leiden- schaft für den venezianischen Karneval hatten. Vielleicht ist der Fackeltanz, den Gerold im Februar 1858 schrieb eine späte Auswirkung davon; im Titel gibt er an, das Werk »zu dem am 10 März 1858 Statt gehabten großen Mas- kenball im Königl[ichen]. Schauspielhause« komponiert zu haben. Offenbar spielte zu dem Anlass keine Militärkapelle, denn als Besetzung ist ein großes Orchester mit Streichern, Holz- und Blechbläsern, Pauken und Trommeln ver- langt.29 Sehr interessant hinsichtlich der Festkultur des Königshauses ist eine als Caroussel-Musik titulierte Sammlung von Harmoniemusiken, zum Teil von Gerold selbst komponiert, zum Teil von ihm für Blasmusik bearbeitet.30 An- lass für die Entstehung Ende März bis Anfang April 1853 war die »Vorfeier des hohen Geburtsfestes Ihrer Majestät der Königin, den 13 April 1853 Statt findenden großen Caroussel im Königlichen Reithause.«31 Der Ablauf des Ka- russells, an dem auch Pferde beteiligt waren, ist in der Partitur durch Notizen zu den einzelnen Stücken genau festgehalten:

27 GWLB: Noviss. 145 : 10, No. 1000; RISM Id. no. 450119317. 28 GWLB: Noviss. 145 : 12, No. 1137; RISM Id. no. 450119518. 29 GWLB: Noviss. 145 : 10, No. 997; RISM Id. no. 450119314. 30 GWLB: Noviss. 145 : 8, No. 819; RISM Id. no. 450119032–450119045. 31 Abkürzungen sind stillschweigend aufgelöst.

« 8 Inhalt Die Handschriften-Sammlung

No. Notiz vor dem Stück Komponist und Titel des Stückes32 1 Sobald Ihre Majestäten erscheinen: Hurrah, Gerold: Introduction und Marsch Tusch und God save the King darauf folgt unmittelbar: 2 Rede der Gesandten. dann: Marsch Da Capo. Gerold: Salut-Marsch bis zur Fanfare der Trompeter. Zum Einreiten des Carousells: Marsch, Geblasen von den Trompetern. dann: Fanfare der Trompeter dann: 3 Fanfare Geblasen von den Trompetern dann: Gerold: Caroussel der Spanier. [»Spanier« durchgestrichen und durch »Marienritter«33 ersetzt]

4a Fanfare Geblasen von den Trompetern dann: Gerold: Caroussel der Maltheser [»Maltheser« durchgestrichen und durch »Spanier« ersetzt]

4b Zur Abwechslung wird No 4(b) gespielt Josef Valentin Hauser: Caroussel der Malthe- ser [»Maltheser« durchgestrichen und durch »Spanier« ersetzt] 5 Fanfare Geblasen von den Trompeten dann: Gerold: Salut-Marsch. Wie No 2 (Pag:11.) 6 Fanfare Geblasen von den Trompeten dann: Gerold: Ballet (Geritten von 4 Bereitern) 7 Fanfare Geblasen von den Trompeten dann: Gerold: Salut-Marsch. Wie No 2 (Pag:11.) 8 Fanfare Geblasen von den Trompeten dann: Gerold: Quadrille der Mousquetaires 9 Fanfare Geblasen von den Trompeten dann: Gerold: Ballet (Geritten von den H: Rittmeister: Schweppe) 10 5 Minuten Pause. dann: Gerold: Altenburger Nationaltanz 11 5 Minuten Pause. dann: Fanfare. Gebl. v. d. Gerold: Ballet (Geritten von den Oberst: Tromp: dann: Meyer) 12 No 4. Wie No 2. No5. Wie No. 1. Fanfare Gebl: : Militairische Evolutio- v. d. Tromp: dann: nen. Marsch aus Indra. 13 Fanfare. Gebl. v. d. Tromp: dann: Gerold: Courbette. Marcia maestoso. 14 Fanfare. dann: No 14. God save the King [ohne Noten] 15 dann: Václav Hugo Zavrtal: Finale. Abmarsch

Tabelle 1: Ablauf der Caroussel-Musik von 1853, einer musikalischen Feier im königlichen Reithaus anlässlich des Geburtstags von Königin Marie.

Da Gerold auf seinen Partituren nicht nur das genaue Datum, sondern auch den Entstehungsort notiert hat, kann als sicher gelten, dass der größte Teil der Sammlung in Hannover entstanden ist. Außer den oben beschriebenen

32 Möglicherweise sind weitere hier Gerold zugewiesene Stücke in Wahrheit Bearbeitun- gen von Werken anderer Komponisten. 33 Anspielung auf den Namen der Königin.

« 9 Inhalt Die Handschriften-Sammlung

Frühwerken, gibt es auch in seiner Zeit als hannoverscher Armeemusiker ei- nige Handschriften, die auf Reisen, sehr wahrscheinlich dienstlicher Natur, entstanden sind. Zu den Nummern 529 bis 535 heißt es in seinem Verzeich- nis: »Auf dem Marsche nach Goslar u[n]d Bremerhaven arrangirt.«34 Auf den Quellen selbst hat er bei der Bearbeitung des Dubliermarsches von Benjamin Bilse (Nr. 529) angegeben »Stabsquartier Steinbrück d. 26 April 1848«, bei den Arrangements des Marsches An Schleswig-Holstein von Joseph Gungl vom 30. April 1848 (Nr. 530) und des Wiegenlieds einer polnischen Mutter von Louis Dames vom 20. Mai (Nr. 531) steht als Entstehungsort jeweils »Stabs- quartier Goslar«, und bei den Stücken mit den Nummern 532–535 vom 18., 19. und 27. Juni bzw. 28. August 1848 lautet die Ortsangabe »Stabsquartier Bremerhaven«. Gerade bei der letzten dieser »Quartiers-Quellen« glaubt man sehen zu können, dass die Partitur nicht am heimischen Schreibtisch, sondern unterwegs geschrieben ist, z. B. weil auf Seite 3 – ungewöhnlich für die sonst fast makellosen Autographe dieser Zeit – einige Korrekturen vorge- nommen wurden und die Schrift an einigen Stellen verwischt ist, weil offen- bar nicht gewartet wurde, bis die Tinte getrocknet war. Spätestens im Okto- ber des Revolutionsjahres war Gerold mit seinem Truppenteil wieder in die Residenzstadt zurückgekehrt, denn die Handschrift mit der Nummer 53635 trägt das Datum »Hannover d. 3 Octbr: 1848.« Weiter geht aus seinem musikalischen Nachlass hervor, dass Gerold sich in den Monaten Mai bis August des Jahres 1849 in Clausthal aufgehalten hat. Die Handschriften mit den Nummern 573–582 tragen eine entsprechende Herkunftsnotiz auf dem Titelblatt. Der Aufenthaltsort schlägt sich hier zum Teil auch in den Titeln der bearbeiteten Werke nieder: Harzer Volkslied Glück auf! (Nr. 573) und Clausthaler Marsch (Nr. 578).36 Fast könnte man meinen, dass es sich um eine Art Kuraufenthalt gehandelt hat, finden sich unter den in Clausthal komponierten und bearbeiteten Werken doch überwiegend Tänze: drei Walzer sowie Arrangements zu drei Polkas von Johann Strauß, Da- men-Souvenir-Polka, Piefke- und Pufke-Polka und Sperl-Polka. Die Besetzung entspricht dabei jedoch der für die zu jener Zeit in Hannover entstandenen Musik üblichen mit ca. 18 Blechblasinstrumenten. Schließlich kann man anhand Gerolds Partituren-Sammlung und seinem Verzeichnis auch das Ende des Königreichs Hannover nachvollziehen. Die letzte erhaltene Partitur, die von ihm selbst auf der vorletzten Seite seines Verzeichnisses als No. 1245 eingetragen ist, hat er auf den 2. und 3. Mai 1866

34 GWLB: Noviss. 145 : 6, No. 529–535; RISM Id. no. 450118834-450118840. 35 GWLB: Noviss. 145 : 6, No. 536; RISM Id. no. 450118841. 36 Eintrag in Gerolds Verzeichnis; die zugehörige Musikhandschrift fehlt.

« 10 Inhalt Die Handschriften-Sammlung

datiert. Es ist die Bearbeitung eines Marsches von Johann Strauß.37 Auf der Folgeseite, der letzten der beiden Bände, ist von Gerolds Hand »Fackeltanz I in D.« mit dem Klammerzusatz »siehe No 997« notiert. Das ist ein Hinweis darauf, dass es sich bei dieser heute nicht mehr vorhandenen Partitur um die Bearbeitung seines gleichnamigen Werkes aus dem Jahr 1858 mit ebendie- ser Nummer handelte.38 Rätselhaft bleibt, warum er den Eintrag, nach der vorausgehenden 1245, mit der Nummer 1287 versah. Darunter stehen, von fremder Hand notiert, für das Jahr 1866 unter den Nummern 1246 bis 1248 drei weitere Werke, deren Noten noch erhalten sind, zwei namenlose Choräle für »Horn-Music«.39 Die Partitur des ersten ist auf den 5. Mai 1866, datiert, die des zweiten auf den 19. Mai. Dieses Datum liegt ziemlich genau einen Monat vor der Kriegserklärung Preußens an das Königreich Hannover. Für dasselbe Jahr folgt dann nur noch eine Handschrift, die auf den 9. Juli 1866 datiert ist, mit einem Marsch in Es-Dur.40 Der Untergang des Königreichs Hannover war zu diesem Zeitpunkt bereits besiegelt; die Armee hatte nach der Schlacht bei Langensalza am 29. Juni kapituliert. Die Auflösung der königlich-hannover- schen Armee erfolgte unmittelbar danach; die Abdankung König Georgs V. schließlich am 20. September 1866. Die fünf letzten autographen Partituren, im Repertorium von derselben fremden Hand nachgetragen, wie die letzten des Vorjahres, fallen in die Monate Januar und Februar des Jahres 1867. Als Entstehungsort ist auf den Titelblättern immer noch Hannover, jetzt preußische Provinz, angegeben. Der ehemalige Armeemusikdirektor beschließt sein Schaffen mit zwei Hand- schriften, die beide denselben Trauermarsch enthalten und mit dem Choral Gottvertrauen schließen, einmal für »Militair-Musik« (No. 1252) einmal für »Horn-Musik« (No. 1253) instrumentiert.41

37 GWLB: Noviss. 145 : 18, No. 1245; RISM Id. no. 450119730. Das Werk ist nachgewiesen bei Schönherr, Max: Lanner - Strauss - Ziehrer: Synoptisches Handbuch der Tänze und Mär- sche. Wien/München 1982, Nr. 514. 38 GWLB: Noviss. 145 : 10, No. 997; RISM Id. no. 450119314. 39 GWLB: Noviss. 145 : 18, No. 1246 und 1247; RISM Id. no. 450119731 und 450119732. 40 GWLB: Noviss. 145 : 18, No. 1248; RISM Id. no. 450119733. 41 GWLB: Noviss. 145 : 18, No. 1252 und 1253; RISM Id. no. 450119737–450119742.

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Verbleib der Sammlung

Offenbar betrachtete Gerold die Partituren-Sammlung als sein persönliches Eigentum. Es gelang ihm, sie nach Dresden zu transportieren, um sie vor frem- dem Zugriff zu schützen.42 Rund zehn Jahre nach der preußischen Annexion vom 2. Oktober 1866 geht es in einer Akte des Jahres 1876 um die »Übernah- me seines Gehaltes, bzw. seiner Pension auf die Hand- und Schatullkasse des Königs, auch die Verfügung über die nach seinem Tod dem König zu Füßen gelegten Noten der königlich hannoverschen Armee.«43 Kurz vor seinem Tod im Jahr 1876 hatte Gerold in Begleitung seiner Tochter den Exkönig Georg V. in seinem österreichischen Exil in Gmunden besucht. Als Dank für die Treue seines früheren Untertanen und Bediensteten ließ dieser passende, mit Ka- liko bezogene Kästen in unterschiedlichen Größen anfertigen, in denen die Partituren bis heute aufbewahrt werden. Damit war Gerolds Nachlass in den Besitz des Welfen-Hauses übergegangen. Bereits 1868, nach der Übersied- lung des ehemals königlichen Hofes ins Exil nach Gmunden in Österreich, wurde dort »mit der Anlegung einer neuen Bibliothek begonnen.«44 Das Ver- mögen und die Privatbibliothek waren jedoch nach der Annexion beschlag- nahmt worden. Erst 1892 erfolgte nach Aufhebung der Beschlagnahme die Rückgabe und unmittelbar danach wurde die Überführung nach Gmunden eingeleitet.45 In den Jahren 1970 und 1971 wurde der gesamte Bestand als »königliche Ernst-August-Fideicommiss-Bibliothek« vom Hamburger Aukti- onshaus Hauswedell versteigert. Im zweiten Teil des Auktionskatalogs wurde der Gerold-Nachlass unter der Nummer 1812 mit folgendem Eintrag ange- boten:

Gerold, Jul. Konvolut von ca. 1100 meist eigenhändigen Partituren in 18 Leinenkästen. Arrangiert u. komponiert. Mit hs. Verzeichnis sämtl. Parti- turen in 2 Heften. Hannover u. a. 1830–1867. 4°, quer-4°, fol. (300,- [DM]). Enthält u. a.: Lieder, Märsche, Walzer u. a. von Gerold. - Sinfonien, Ouver- turen, Opern, Lieder, Lustspiele u. a. arrangiert für: »Große Militär-Musik«, »Trompeten-Musik«, »Männer-Gesang« u. a. - Dazu: Konvolut von 22 ei- genhänd. Partituren, die nicht im Verzeichnis enthalten sind.46

42 Sievers: Musikgeschichte (wie Anm. 1), S. 499. 43 NLA Hannover: Dep. 103 V Nr. 449. 44 Hauswedell, Ernst: Die Königliche Ernst August Fideicommiss-Bibliothek (Auktionskata- log, Teil 1). Hamburg 1970. 45 Ebd. 46 Hauswedell, Ernst: Die Königliche Ernst August Fideicommiss-Bibliothek (Auktionskata- log, Teil 2), Hamburg [1971].

« 12 Inhalt Verbleib der Sammlung

Der hannoversche Musikwissenschaftler Heinrich Sievers (1908–1999) konn- te die 18 Leinenkästen samt Inhalt erwerben und für seine Hannoversche Musikgeschichte47 auswerten. Im Jahr 1979 verkaufte er sie weiter an die da- malige Niedersächsische Landesbibliothek, heute Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek (GWLB). Eine erste Sichtung und Katalogisierung eines Teils der Handschriften erfuhr die Sammlung dort in der unveröffentlichten Diplom- arbeit von Heinrike Buerke.48 Im August 2016 schließlich konnte die vollstän- dige Katalogisierung des musikalischen Gerold-Nachlasses durch die Münch- ner Arbeitsstelle der deutschen RISM-Arbeitsgruppe abgeschlossen werden. Seitdem sind Recherchen zu der Sammlung im RISM-OPAC möglich.49 Neben den 18 Kästen, die er an die GWLB weiterverkaufte, hat Sievers sicher auch das unter derselben Lotnummer angebotene zweibändige Ver- zeichnis und die »22 eigenhänd. Partituren, die nicht im Verzeichnis enthal- ten sind«, erworben. Vermutlich gelangte das Verzeichnis nach seinem Tod mit seiner Bibliothek in das Antiquariat Hans Schneider in Tutzing.50 Von dort wurde es 2015 an die GWLB übergeben, so dass das Repertorium und die zugehörige Sammlung heute wieder an ein und demselben Ort vereint und benutzbar sind. Dass einzelne Handschriften Gerolds gelegentlich in Schneiders Antiquari- atskatalogen erscheinen, könnte auf Unachtsamkeit Sievers zurückzuführen sein, der es möglicherweise versäumte, sie wieder an ihren angestammten Platz in einem der 18 Kästen zurückzulegen. Im Einzelnen sind dies folgende fünf Handschriften, die heute in dem Bestand fehlen:

Gerold Schneider Komponist Titel in Gerolds Verzeichnis Jahr No. 176 Katalog 478, Nr. 197 Marschner Lied des 10. Armee-Corps des 1843 deutschen Bundesheeres I No. 177 Katalog 478, Nr. 198 Marschner Lied des 10. Armee-Corps des 1843 deutschen Bundesheeres II No. 325 Katalog 478, Nr. 196 Gerold Armee-Marsch No. 1 1845 No. 634 Katalog 478, Nr. 189 Marschner Schleswig-Holstein-Marsch 1850 No. 1195 Kataloge 418 und König Georg V. von Große Jagd-Sinfonie 1864 477, Nr. 62 bzw. 89 Hannover

Tabelle 2: Titel der heute fehlenden Handschriften Gerolds, die im Antiquariat Schneider, Tutzing, zum Verkauf angeboten wurden.

47 S. Anm. 1. 48 Buerke, Heinrike: Die Bearbeitung des handschriftlichen Musikalien-Nachlasses des Julius Victor Gerold in der Niedersächsischen Landesbibliothek (unveröffentlichte Diplomarbeit). Hannover 1984. 49 Internetadresse: https://opac.rism.info 50 Katalog Nr. 376 und 377: Musikbibliothek Heinrich Sievers. Tutzing 2000.

« 13 Inhalt Verbleib der Sammlung

Gerolds »Fantasie (No 1 in c) für grosses Orchester … dem … Hof-Capell- meister Dr: H. Marschner gewidmet«, angeboten in Schneiders Antiquariats- Katalog 478 unter der Nummer 82,51 fehlt dagegen in seinem Verzeichnis. Vermutlich handelt es sich also um eine jener im Katalog Hauswedell »22 eigenhänd. Partituren, die nicht im Verzeichnis enthalten sind.«52 Drei weitere Handschriften, die heute in dem Bestand fehlen, waren in den Antiquariatskatalogen nicht zu finden; es sind dies die in dem handschriftli- chen Verzeichnis unter den Nummern 305, 318 und 637 eingetragen Werke: Großer Festmarsch von Gerold (1845); Hannoverscher Zapfenstreich (1845 ohne Komponistenangabe) sowie der Ernst-August-Marsch von Hellmesber- ger (1850). Weitere 27 Handschriften waren schon in früheren Jahren abhanden ge- kommen.53 Offenbar wurde im Jahr 1904 eine Revision vorgenommen, denn auf einem in das Werkverzeichnis eingelegten Zettel steht:

Bemerkung: Die in den beiden anliegenden Verzeichnissen rot angekreuzten Num- mern sind von mir nicht vorgefunden. Wien, den 29. August 1904. Oskar Ringe[?] Sekretär

Auch wenn diese Quellen heute nicht mehr vorhanden sind, seien die 27 Titel der Vollständigkeit halber hier wenigstens nach Gerolds Einträgen in seinem Repertorium ergänzt.

51 Katalog 478. Tutzing 2015, Nr. 82: Erste Notenseite mit der Angabe »Hannover d. 20/6. 47.« Eigh. vollst. Musikmanuskript m. N. Hannover 21. Juli 1847. 52 S. Anm. 46. 53 Die Nummer 852 wurde anscheinend gar nicht vergeben, sie kommt jedenfalls in dem Verzeichnis nicht vor.

« 14 Inhalt Verbleib der Sammlung

No. Komponist Titel in Gerolds Verzeichnis54 Datum 13 N.N. 3 Dubliermärsche 1831 134 Diabelli Die Betende (Gesangsbegleitung) 1843 191 Lachner Marsch des Trauungszuges & Ballett aus der Oper: 1844 Catharina Cornaro 224 Hauser Der Alpensängers Lust, Steyrischer Nationaltanz 1844 226 Seemann Liebesweben, Lied 1844 241 Gerold Dubliermarsch (G Dur) 1844 269 Rossini Duett aus der Oper: Semiramis 1844 290 Kalliwoda Grande Polka 1845 332 Eulhardt 2 Dubliermärsche 1845 355 Eulhardt Dubliermarsch 1845 422 – Dubliermarsch (zum großen Parademarsch) 1846 464 Kunze Irenen-Galopp (siehe No 456.) [vgl. GWLB: Noviss. 145 : 5, 1847 No. 456] 508 Gerold Regiments-Colonnen-Marsch (Des Dur) 1847 578 Gerold Clausthaler Marsch 1849 593 Titl Finale II aus der Oper: Das Wolkenkind 1849 678 Gerold Theresen-Galopp (D.) [vgl. GWLB: Noviss. 145 : 6, No. 674] 1851 688 Reinisch Vergatterung & Rast No 4. 1851 781 Graben-Hoffmann Lied (Wir saßen still am Fenster) 1852 870 Langer Fest-Marsch 1854 904 Augustowicz Bereitschaftsmarsch (Österreichischer Armeemarsch No 16.) 1855 971 Gerold Dubliermarsch (As.) (No 185.) 1857 972 Gerold Tyrolerlied (As.) 1857 992 »N.N.« Garde-Jäger-Bataillons-Marsch 1858 1042 Gerold Marsch (No 199.) (Es.) 1859 1192 Gerold Trauer-Marsch I. (siehe No 45.) B moll. [vgl. GWLB: Noviss. 1864 145 : 1, No. 45] 1207 Stradella Kirchen-Arie 1865 1237 König Georg V. Hannoversches Volkslied 1865

Tabelle 3: Bereits bei der Revision 1904 fehlende Handschriften.

Die Handschrift aus dem Jahr 1849 mit der Nummer 582, Sperl-Polka von Jo- hann Strauß ist zwar in dem Verzeichnis mit einem roten Kreuz als verloren markiert, ist jedoch heute in der Sammlung vorhanden.55

54 Schreibung modernisiert, Abkürzungen aufgelöst. 55 GWLB: Noviss. 145 : 6, No. 582; vgl. RISM Id. no. 450118860.

« 15 Inhalt Repertoire

Repertoire

Mit ca. 660 Werken ist die Gruppe der Eigenkompositionen Gerolds die um- fangreichste der Sammlung. Selbst seine frühen, oft nur skizzenhaften Kom- positionsversuche hat er aufbewahrt und die Entstehungszeit genau festge- halten. In mindestens einem Fall könnte man ihn des Plagiats beschuldigen: Obwohl Gerold bei der Sammlung unter der Signatur GWLB: Noviss. 145 : 1, No. 51 (RISM ID no.: 450118227) angibt, die König Georg V. gewidmeten Kompositionen seien von ihm, ist das dritte enthaltene Stück, als Dublier- marsch betitelt, die Bearbeitung eines Satzes von Donizetti aus dessen Oper Les Martyrs. Diese frühen Partituren zeichnen sich durch eine sehr flüchtige Schrift aus, so dass bisweilen sogar die Tonhöhen nicht sicher lesbar sind. Man kann sich nur schwer vorstellen, dass diese frühen Stücke, größtenteils Märsche, tat- sächlich auch erklungen sind. Vielmehr wird man davon ausgehen können, dass er erst mit seiner Ernennung zum Direktor des Hornistencorps im Jahr 1833 regelmäßig die Möglichkeit bekam, seine Stücke aufzuführen. Demge- mäß ist die Besetzung meist beschränkt auf 2 Klappenhörner, 2 »Corni in Es« und bis zu 6 Bügelhörner sowie 1 oder 2, gelegentlich auch 3 allgemein mit »bassi« bezeichnete Bassinstrumente. Da Gerold selbst als Virtuose auf dem Klappenhorn bezeichnet wird,56 verwundert es nicht, dass dieses Instrument, in der Regel doppelt besetzt, stets an oberster Stelle seiner Partituren no- tiert ist und oft virtuosere oder solistische Aufgaben zugewiesen bekommt. Ansonsten entwickelt sich die zunehmend größer werdende Besetzung in Gerolds Werken im Lauf der Jahre parallel zu seinen Aufgaben bzw. zu dem Instrumentarium, das auch für seine Bearbeitungen von Werken anderer Komponisten zum Einsatz kommt.57 Rund 60% der Stücke des Gerold-Nachlasses sind solche Bearbeitungen Anderer. Neben 60 Werken, zu denen kein Komponist ermittelt werden konn- te, ist Giuseppe Verdi mit 57 Bearbeitungen der in der Sammlung mit Abstand am häufigsten vertretene Musiker. Es folgen mit 35, Ga- etano Donizetti mit 33, Carl Maria von Weber mit 29, Ludwig van Beethoven mit 26, Daniel-François-Esprit Auber mit 25 Werken. Diese Aufzählung zeigt schon, dass die Gattung der Oper am stärksten vertreten ist. An siebter Stelle folgen schließlich 23 Bearbeitungen von Werken des Hannoverschen Hof- kapellmeisters (seit 1831) Heinrich Marschner, danach 22 Opernausschnitte nach , 20 Werke König Georgs V. von Hannover sowie je 19 Stücke von Michael William Balfe, wiederum fast ausschließlich Titel aus Opern, und Johann Strauß, überwiegend Märsche und Polkas.

56 Sievers: Musikgeschichte. Bd. 2, S. 471 (wie Anm. 1). 57 Näheres hierzu unten im Abschnitt über Besetzungen und Instrumentarium.

« 16 Inhalt Repertoire

Wahrscheinlich lagen Gerold für seine Bearbeitungen nicht immer die Originalpartituren der zugrundeliegenden Werke vor. Jedenfalls ist auffällig, dass in einigen Fällen Gerolds Bearbeitungen zeitlich recht dicht auf das Er- scheinen von Klavierbearbeitungen im Musikalienhandel folgen. Es gibt aber auch den Fall, dass Gerold eine Opernpartitur für seine Zwecke regelrecht ausgeschlachtet hat und mehrere Teile in kürzester Zeit nacheinander arran- gierte. So verhält es sich mit seinen Bearbeitungen von Verdis Macbeth. In der Zeit von 2. bis 11. Januar hat er daraus sechs Partituren für großbesetzte Militärmusik angefertigt: No 549. Cavatine aus der Oper Macbeth, No 550. Preghiera aus der Oper Macbeth, No 551. Chor aus der Oper Macbeth, No 552. Marsch aus der Oper Macbeth, No 553. Finale des 2ten Acts aus der Oper Macbeth und No 554. Arie aus der Oper Macbeth. Außerdem scheint es auch direkte Verbindungen nach Wien gegeben zu haben. Vielleicht zeigen sich sogar im Schaffen des königlichen Armeemu- sikdirektors Auswirkungen der später für das Königreich Hannover so ver- hängnisvollen Allianz mit dem Haus Habsburg. So gibt es eine ganze Reihe von Bearbeitungen, die bei Glöggl in Wien im Druck erschienen waren. Im Februar und März des Jahres 1853 hat er drei Werke des Wiener Musikers Josef Kaulich (1827–1901) bearbeitet, die als Teil des Album für Militärmu- sik in Hofmeisters Musikalisch-literarischem Monatsbericht erst im März 1853 angezeigt wurden.58 Auf einer Sammelhandschrift des Jahres 1846 mit acht Polkas von Franz Budinsky (3), Josef Liehmann (2), Johann Prochaska (2) und Franz Svoboda hat Gerold ausdrücklich vermerkt »Von dem H: Ca- pit: Sichart aus Wien mitgebracht«.59 Im Jahr 1854 erschien in Wien in der kaiserlich-königlichen Hof- und Staatsdruckerei unter dem Titel Märsche der k.k. österreichischen Armee für Militärmusik in sechs Lieferungen ein Album für Defilir-Märsche, herausgegeben von dem k. und k. Armee-Kapellmeister Andreas Leonhardt. Zwei Märsche in großformatigen Partituren (ca. 47 x 32 cm) mit Goldschnitt waren Eigenkompositionen von Leonhardt, die übrigen von A. Augustovics, Josef Valentin Hauser, Josef Hikl, Johann Jedliczka (2), Johann Kamenetz, Karl Leibold, František Masák (2), J. Leopold Matuschka (2), Josef Mazánek, Florian Popischill, Wilhelm Tischler und Václav Hugo Zavr- tal (3), ausweislich der Titeleinträge allesamt Kapellmeister von Regimentern der k.-k.-Donaumonarchie, nur Leonhardt selbst ist als Armee-Kapellmeister bezeichnet. Im selben Jahr, zwischen 30. Juni und 17. November, bearbeitete Gerold in Hannover 15 der Märsche. Zwei Märsche der letzten Lieferung des Wiener Sammeldrucks sind in Gerolds Partituren später datiert, auf die Zeit zwischen 11. und 14. April 1855. Der Bereitschafts-Marsch von Augustovics, das erste Stück der sechsten Lieferung, fehlt in der Gerold-Sammlung heute;

58 No 3 Musikalisch-literarischer Monatsbericht […] für das Jahr 1853. Leipzig 1853, S. 282. 59 GWLB: Noviss. 145 : 1, No. 445; RISM Id. no. 450118767.

« 17 Inhalt Repertoire

in seinem handschriftlichen Verzeichnis ist es jedoch unter der Nummer 904 und der Angabe »Oesterreichischer Armee=Marsch No 16« noch aufgeführt, jedoch mit einem roten Kreuz gekennzeichnet, was darauf hinweist, dass die Partitur schon bei der Revision 1904 fehlte. In der Regel beschränkt sich Ge- rolds Anteil auf eine geringfügige Reduzierung der Besetzung und die Trans- position einzelner Märsche. Bereits am 3. und 4. Dezember 1852 hatte Gerold Václav Hugo Zavrtals Jubelmarsch zur freudig glücklichen Rückkehr Sr: Maj: Kaiser Franz Joseph aus Ungarn in Wien am 14. August 1852 bearbeitet .60 Insgesamt zeigt sich die Tendenz, dass Gerold in der Spätzeit seines Schaf- fens vermehrt auf berühmte Komponisten setzte als früher. Die Seite aus sei- nem handschriftlichen Verzeichnis mit einem Ausschnitt aus dem Repertoire der Jahre 1864/65 (Abb. 2) im Vergleich mit der aus dem Jahr 1830 (Abb. 1) vermag dies zu illustrieren. In den Jahren 1864/65, im 2. Band des Reper- toriums, dominieren bekannte Namen, u. a. Bach, Beethoven (4), Mozart (4), Mendelssohn (2), Schumann, Wagner und König Georg V. (2). Aus einer dün- nen Bleistiftnotiz auf dieser Seite zwischen den Nummern 1196 und 1197 er- fahren wir nebenbei von einem Aufenthalt Gerolds auf Norderney: »Norder- nei vom 16/7 bis 19/9«. Deshalb liegt zwischen diesen beiden Handschriften ein größerer Zeitraum.61 Drei Jahrzehnte davor, am Anfang seiner Tätigkeit, bestand das Repertoire in erster Linie aus seinen eigenen Werken oder auch aus seinerzeit vor allem durch die Komposition von Märschen und Militärmu- sik hervorgetretene Musiker. Dazwischen bietet die Sammlung immer wieder auch Überraschendes mit Werken, die man in einem Militärmusik-Fundus in der Mitte des 19. Jahr- hunderts eher nicht erwarten würde. Als Beispiele seien die Bearbeitung der Chorfuge Christus hat uns ein Vorbild gelassen aus Carl Heinrich Grauns Ora- torium Der Tod Jesu62 aus dem Jahr 1844 und Carl Philipp Emanuel Bachs vollständige Symphonie in Es-Dur aus dem Jahr 1861 genannt.63 Eine besondere Vorliebe brachte Gerold der Gattung der Oper entgegen. 376 Opernbearbeitungen gehören zu seiner Sammlung. Über mehr als drei Jahrzehnte hinweg ist damit ein breites und vielfältiges Repertoire doku- mentiert, wobei sicherlich nur sehr begrenzt auf szenische Aufführungen der Gesamtwerke geschlossen werden kann; vielmehr werden von unbekannte- ren Werken wahrscheinlich doch nur einige »Highlights« in solchen Militär- musik-Aufführungen zur Aufführung gelangt sein. Abschließend zu diesem groben Überblick über das Repertoire seien wenigstens einige dieser heute

60 GWLB: Noviss. 145 : 8, No. 801; RISM Id. no. 450119014. 61 GWLB: Noviss. 145 : 13, No. 1196; RISM Id. no. 450119574: 30. Juni bis 5. Juli 1864; GWLB: Noviss. 145 : 13, No. 1197; RISM Id. no. 450119575: 25. bis 29. September 1864. 62 GWLB: Noviss. 145 : 3, No. 190; RISM Id. no. 450118495. 63 GWLB: Noviss. 145 : 12, No. 1078; RISM Id. no. 450119460.

« 18 Inhalt Repertoire

Abb. 2: Erste Seite aus Gerolds eigenhändigem Werkverzeichnis. GWLB: Noviss. 145 : Verzeichnisse, Band 1.

« 19 Inhalt Repertoire

Abb. 3: Einzelseite aus dem zweiten Band von Gerolds eigenhändigem Werkverzeichnis. GWLB: Noviss. 145 : Verzeichnisse, Band 2.

« 20 Inhalt Richard Wagner

eher selten zu hörenden Titel zitiert: Azema di Granata und Il Domino nero von , Gutenberg von Ferdinand Karl Füchs, Hunyadi László von Ferenc Erkel, Bianca und Giuseppe von Jan Bedřich Kittel, Orazi e Curiazi von Saverio Mercadante, La Pazza per amore von Pietro Antonio Coppola, Il For- naretto von Gualtiero Sanelli, Attila von Francesco Malipiero, Amori e Trappo- le von , Saul von Antonio Buzzi, La Marescialla d‘Ancre von Alessandro Nini, Fiorina von Carlo Pedrotti, Marco Visconti von Errico Petrella oder auch Franz Lachners Catharina Cornaro.

Richard Wagner

Eine besondere Erwähnung verdient Gerolds eingangs schon erwähnte Be- arbeitung von Einleitung und erster Szene des 2. Akts von Richard Wagners Tristan und Isolde, datiert auf den Zeitraum 3. bis 20. April des Jahres 1860, lange vor der Uraufführung in München am 10. Juni 1865. Gerold muss ein druckfrisches Exemplar des Erstdrucks der Partitur zur Verfügung gehabt haben, denn »der Verlag kündigte das erste Exemplar am 13. Januar 1860 an«, in Hofmeisters Musikalisch-literarischem Monatsbericht war sie im April 1860 angezeigt.64 Möglicherweise stand Gerolds Interesse sogar im Zusam- menhang mit Wagners Bemühungen um eine Uraufführung des Tristan am hannoverschen Hoftheater. Nachdem sein Plan, das Werk in Wien erstmals zur Aufführung zu bringen, bekanntlich gescheitert war, galt Wagners zweite Präferenz offenbar Hannover. Er wusste, dass König Georg V. ein Liebhaber seiner Musik war, und der damals in Hannover engagierte Albert Nie- mann galt als Wagners Favorit für die Titelrolle. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang Wagners Brief aus Paris an den Intendanten des Königlichen Hoftheaters, Graf Julius von Platen-Hallermund, vom 27. Januar 1860:

»Nach den schönen Erfolgen, welche auf dem Ihrer Leitung untergebenen Königlichen Hof-Theater, namentlich auch durch die vortreffliche Verwen- dung der schönen Kunstmittel dieser Bühne, meine Opern erlebt haben, darf ich es vielleicht an der Zeit halten, Eurer Excellenz Theilnahme für den Autor jener Werke zur Ermöglichung weiterer Erfolge in Anspruch zu nehmen, die ich gern als gemeinschaftliche anzusehen wünschte. Es handelt sich um eine erste Aufführung meines neuesten Werkes ›Tristan und Isolde‹. […] Ich konnte auf kein anderes Theater verfallen, als das un- ter Ihrer Intendanz stehende, namentlich auch weil zu meiner grössten und

64 Deathridge, John/Geck, Martin/Voss, Egon: Wagner-Werk-Verzeichnis (WWV). Mainz 1986, S. 439.

« 21 Inhalt Richard Wagner

schmeichelhaftesten Befriedigung ich von dem allergnädigsten Wohlwollen und der grossherzigen Liberalität vernommen, welche Seine Majestät der König Georg V. meinen Werken zuzuwenden geruht.«65 Ganz anders klang seine Einschätzung Hannovers, nachdem man auch dort nicht bereit war, auf seine Forderungen im Zusammenhang mit einer Uraufführung des Tristan einzugehen. Immer noch in Paris schreibt er am 24. Februar desselben Jahres an bewussten Sänger Albert Niemann:

»Ihre Stellung zu Ihrem Hannoverschen Engagement ist mir höchst willkom- men. Ganz persönlich giebt sie mir Mittel zur Bestrafung der Erbärmlichkeit an die Hand, mit der Ihre Intendanz mich behandelt. Auf die letzte abschlägi- ge Antwort hatte ich jedenfalls beschlossen, Hannover fortan meine neuen Opern zu verweigern; das Einzige Beklemmende hierbei, war, dass ich mei- nen besten Sänger und Darsteller dort wusste. […] Aber ganz abgesehen von dieser Rache, habe ich immer bedauert, gerade Sie nicht auf einem der Hauptplätze Deutschlands zu wissen. Sie müssen durchaus nach Wien oder Berlin. Dort können wir beide grossen Einfluss erreichen, dessen wir bedür- fen. Halten Sie das fest!«66 Dann unterrichtet er Niemann über seinen neuen Plan für Tristan, »näm- lich im July Strassburg zu wählen. Hierdurch wird der eigentliche Zweck, eine erste Aufführung vonTristan für Deutschland (unter meiner Direction) her- auszubringen, bestimmter festgehalten. Strassburg ist als deutscher Ort an- zusehen. […] Ich nehme dann die Dustmann zur Isolde. Wie glücklich, wenn Sie dann mit ihr in Wien die nächste Saison als Tristan u. Isolde eröffneten.«67 Während Wagner also weiter von einer Uraufführung träumte, scherte sich der hannoversche Militärmusikdirektor Gerold weder um dessen Verwei- gerung seiner Opern für Hannover – von der er freilich nicht wissen konnte – noch anscheinend um die ausdrückliche Angabe auf dem Erstdruck der Partitur – die er möglicherweise gelesen hatte: »Der Besitz dieses Exemp- lars giebt nur dann ein Recht zur öffentlichen Aufführung des Werkes selbst, wenn der Besitzer durch eine nachweisliche Einigung mit dem Autor oder dessen Verlegern dieses Recht mit erworben hat.« Dass die von Gerold für »grosse Militair-Musik« arrangierte Passage aus dem Tristan 1860 in Hanno- ver tatsächlich auch zur Aufführung gelangte ist wahrscheinlich, denn es hat sich aus der Zeit auch ein Satz von 96 Stimmen erhalten, der heute im Nie-

65 Zitate nach Wagner, Richard: Sämtliche Briefe. Bd. 12 (Briefe des Jahres 1860). Leipzig 2001, S. 44f. 66 Ebd., S. 68. 67 Ebd.

« 22 Inhalt Instrumentarium und Besetzung

dersächsischen Landesarchiv Hannover aufbewahrt wird.68 Unklar ist, ob es in einem Brief Wagners an König Georg V. vom 18. Oktober 1863 ebenfalls um Teile aus Tristan und um eine Aufführung durch die Militärmusik geht. Je- denfalls erlaubt der Komponist darin dem König ausdrücklich, gemäß dessen »allerunterthänigstem Gesuch«, »in einer größeren Concertaufführung mit Unterstützung der ausgezeichneten Kräfte Allerhöchstderer musikalischer Kapelle, Bruchstücke meiner neueren Arbeiten vorführen zu dürfen.«69 Nach- dem Wagner derartigen Arrangements anfangs zurückhaltend gegenüber stand, erkannte er später, dass die Beliebtheit solcher »Platzkonzerte« der Bekanntheit seiner Opern durchaus zuträglich sein konnte, so dass er sich mehrfach positiv darüber äußerte.70 Insgesamt kommen in Gerolds Partituren-Sammlung 15 Arrangements von Werken Richard Wagners vor. Neben der behandelten Tristan-Bearbei- tung sind dies im Einzelnen:71

1. das Matrosenlied aus dem Fliegenden Holländer,72 2. aus Finale aus dem ersten Akt, Szene und Chor aus dem zweiten Akt, Szene und Finale aus dem zweiten Akt sowie Introduktion und Braut- chor aus dem dritten Akt, 3. aus Rienzi der Letzte der Tribunen die Ouvertüre und drei Märsche, 4. aus Tannhäuser und der Sängerkrieg auf der Wartburg die Ouvertüre, Chor der Pilger, Lied des Hirten, Großer Marsch und Duett Gepriesen sei die Stunde.

Instrumentarium und Besetzung

Eine umfassende Studie zum Instrumentarium der hannoverschen Militär- musik zur Zeit Gerolds ist im Rahmen dieser Arbeit nicht zu leisten. Dazu sind auch die Bezeichnungen der Instrumente zu vieldeutig; und die Entwicklung von Klappen und Ventilen bei Blasinstrumenten war während seiner Amts-

68 Signatur NLA Hannover: Dep. 103 XXXVI Nr. 108, alte Archivsignatur Dep. 103 XXXVI Lagnr. 10747. Zu diesen Aufführungsmaterialien siehe unten am Ende dieses Textes. 69 Wagner, Richard: Sämtliche Briefe. Bd. 16 (Briefe des Jahres 1864). Leipzig 2006, S. 291f. 70 Vgl. dazu grundlegend: Brixel, Eugen: Richard Wagners Beziehung zur Militärmusik. In: Suppan, Wolfgang (Hrsg.): Bläserklang und Blasinstrumente im Schaffen Richard Wag- ners. Kongressbericht Seggau/Österreich 1983. Tutzing 1985, S. 177–187. 71 Signaturen und Beschreibungen sind im RISM-OPAC (s. Anm. 4) unter Eingabe des Kom- ponistennamens zu finden. 72 Ein weiteres Beispiel für Gerolds Aktualität: Uraufführung am 2. Januar 1843 in Dresden, Partitur-Erstdruck 1845, Gerolds Bearbeitung: 28. November bis 6. Dezember 1843, Matrosenchor als Einzelausgabe bei Hofmeister erst ab 1880.

« 23 Inhalt Instrumentarium und Besetzung

zeit rasant, ebenso das Entstehen neuer Instrumentenformen. Wohl aber soll im Folgenden aufgezeigt werden, wie sich Gerolds Schaffen an seinen jewei- ligen Aufführungsmöglichkeiten orientierte, auch wie an den wechselnden Besetzungen ein Aufschwung und eine Bedeutungszunahme der Militärmu- sik in Hannover erkennbar ist. Die Standardbesetzung während seiner Zeit als Stabshornist und Direktor des Garde-Jäger-Regiments (ab 1833) umfasste in der Reihenfolge der Parti- tur von oben nach unten: »Klapphorn« 1 und 2, Corni 1 und 2 (meist in Es), »Bassi« 1 und 2 sowie »Bugel« (Bügelhorn) in C, G, Des, As, B und F. Ab den 40er Jahren gibt es erste Handschriften, bei denen zu dem Blechbläserchor Holzbläser und manchmal auch Trommeln dazu kommen. In der Regel eine Piccolo- und/oder Terzflöte, 2–5 Klarinetten und 2 Fagotte, gelegentlich auch 2 Oboen. Oft werden als Klarinetteninstrumente eine hohe Klarinette in Es, zusätzlich eine weitere hohe in As, sowie 1–3 gewöhnliche Klarinetten in B oder A notiert. Auf den Titelblättern seiner Partituren und in seinem Verzeichnis unter- scheidet Gerold grundsätzlich mehrere Arten der Besetzung. Auf der Rück- seite des Titelblatts im ersten Band seines Verzeichnisses sind seine darin verwendeten Abkürzungen aufgelöst: »St.M.« bedeutet »Streich=Music«, »M.M.« bedeutet »Militair=Music«, »M.G.« steht für »Männer=Gesang«, »G.O.« für »Grosses Orchester«, »G.M.M.« für »Grosse Militair=Music« und »T.M.« schließlich »Trompeten=Music«. Darüber heißt es: »Sämmtliche in der Rubrik: Bemerkungen nicht bezeichnete Piecen, sind für Horn=Music arrangirt.« Für jede dieser Besetzungsformen sei im Folgenden exemplarisch ein Beispiel vorgestellt.

1. Die am häufigsten verwendete Besetzung, einfach als »Militair-Musik« be- zeichnet, verwendet ein Blasorchester mit Holz- und Blechblasinstrumenten, meist mit zwei oder drei Schlaginstrumenten, sehr häufig z. B.: Piccoloflöte, Es-Klarinette, As-Klarinette, 3 B-Klarinetten, 2 Fagotte, 2 Waldhörner in Es, 2 Althörner, 2 Tenorhörner, 2 Trompeten in B, 2 Trompeten in Es, je 1 Alt-, Tenor- und Bassposaune sowie 2 Bassinstrumente, die einfach entweder als »basso« oder »bassi« bezeichnet sind,73 dann noch 2 Trommeln. Selten wird zwischen kleiner und großer Trommel differenziert, und selten treten bei dieser Beset- zungsform weitere Schlaginstrumente, wie z. B. Pauken, Becken oder Triangel hinzu. Ab 1851 kommt, explizit als Bassinstrument angegeben, das Euphonium dazu, das ab dann sowohl hier, bei der einfachen »Militair-Musik«, als auch

73 Das entspricht der gängigen Praxis, vgl. Hofer, Achim: Blasmusikforschung. Darmstadt 1992, S. 169: »Wegen der Uneinheitlichkeit der Baß-Instrumente wurde die Baßstimme häufig nur mit ›Bassi‹ bezeichnet.«

« 24 Inhalt Instrumentarium und Besetzung

bei der »Großen Militairmusik« bis zum Schluss der Sammlung meistens zur Standardbesetzung gehört, außer wenn im »Großen Orchester« gelegentlich die Tuba besetzt ist. Eine Besonderheit ist das Ventil-Fagotthorn, bei Gerold einfach »Fagotthorn in Es« benannt, das in 251 Werken Verwendung findet und zwar ausschließlich in den Jahren 1842 bis 1846. Jedenfalls ist es nur in den Handschriften dieser Epoche ausdrücklich genannt. Möglicherweise wurde es später jedoch unter der Sammelbezeichnung »bassi« bzw. »basso« subsumiert. Offenbar konnte Gerold hier ganz unmittelbar an der Entwick- lung des Instrumentenbaus in Hannover teilhaben, denn in Franz Ludwig Schuberts Beschreibung Blechinstrumente der Musik findet sich darüber 1866 folgender Abschnitt: »Chromatisches Ventil-Fagott-Horn. Es war theilweise in den hannöverschen Militaircorps eingeführt, einfach construirt, hatte drei und eine halbe Octave Tonumfang. Es wurde in öffentlichen Blättern den Blechmusikcorps empfoh- len und sollte das Ventil-Waldhorn ›im hohen Grade‹ übertreffen. Von einer allgemeinen Einführung schweigt jedoch die Geschichte. Erfinder war der hannöversche Hofinstrumentenmacher J. H. Zetsche im Jahre 1841.«74 Offenbar gab es hinsichtlich der Erfindung dieses Instruments Zwist, denn in Friedrich Rochlitz‘ Leipziger Allgemeine Musikalische Zeitung von 1842 fühlt sich »Ein Freund der Wahrheit« aus Hannover zu einer Gegendarstel- lung herausgefordert, dass dieses Instrument nicht, wie offenbar früher be- richtet, »von dem Herrn Rammelsberg […] zu Wien« erfunden worden sei, sondern »seinen wirklichen Erfinder in dem Hofinstrumentenmacher Johann Heinrich Zetsche, unserm hiesigen, durch seine ausgezeichneten und sorg- fältig ausgeführten Arbeiten rühmlichst bekannten Künstler« habe. Weiter heißt es in dieser Meldung: »Dieses höchst ingeniös und einfach konstruirte Instrument ist von demselben gegenwärtig mit dem Namen ›Chromatisches Ventil-Fagott-Horn‹ benannt worden.« Wir erfahren dabei auch, dass das neuerfundene Fagotthorn »das sogenannte Ventil-Waldhorn verbessernd« ersetzen sollte und dass es »bereits in mehreren Musik-Chören der in hie- siger Residenzstadt [Hannover] garnisonirenden Regimenter mit vielem Er- folge in Anwendung gekommen« sei. Wenn schließlich der Schreiber über seine persönlichen Erfahrungen informiert, kann man eigentlich davon aus- gehen, dass er diese in direktem Zusammenhang mit Gerolds Blasorchester gemacht hat: »Einsender dieser Berichtigung hat durch persönliche Beob- achtung Gelegenheit gehabt, die Leistungen jenes den Umfang von etwa 3 1/2 Oktaven haltenden Instruments kennen zu lernen, und darf dasselbe

74 Schubert, Franz Ludwig: Die Blechinstrumente der Musik: ihre Geschichte, Natur, Hand- habung und Verwendung in der Instrumental-Gesangs-Militair- und Tanzmusik erläu- tert. Leipzig 1866, S. 30; verkürzt übernommen von Sachs, Curt: Real-Lexicon der Musik- instrumente. Berlin 1913, S. 408.

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sowohl allen Musikfreunden als vorzugsweise allen Hornmusikern wegen seines eigenthümlich schönen Tons dringend empfehlen.«75 2. Ab den 1850er Jahren, Gerold war inzwischen zum hannoverschen Ar- mee-Musikdirektor avanciert, wird zunehmend die Besetzung der »Großen Militairmusik« verlangt. In den 60er Jahren wird sie fast zur Regel. Zu der un- ter Punkt 1 beschriebenen Besetzung kommen 2 Klappen- oder Flügelhörner und 4 Ventilhörner oder Pistons hinzu, sowie meist auch 1 Paukenpaar. Da für diese Kategorie Gerolds bisher verwendetes Notenpapier mit 16 Syste- men, meistens mit Aufdruck »Adolph Nagel in Hannover« oder »Hannover, in der Hofmusikalienhandlung des C. Bachmann«, nicht mehr ausreicht, trägt er diese Stimmen, die ja nicht obligat gesetzt sind, sondern andere verdoppeln, oft am Ende der Partitur nach. Oder aber er verwendet dafür jene großforma- tigen Partituren mit ca. 30 Notensystemen, die außerhalb der fortlaufenden Reihenfolge in eigens für sie angefertigte größere Kisten eingelegt sind. 3. Der Begriff »Streich-Musik« darf nicht missverstanden werden; Gerold meint damit keine reine Streicherbesetzung, sondern ein klassisches Sinfo- nieorchester. Offenbar hatte er ab dem Ende der 40er Jahre, ganz vereinzelt auch schon früher, immer wieder die Gelegenheit für ein solches Ensemble, normalerweise besetzt mit Streichern, Piccoloflöte, 1–2 Flöten, je 2 Oboen, Klarinetten und Fagotte, 4 Hörner, 2 Trompeten, 1–3 Posaunen und Pauken, zu komponieren und zu arrangieren. Bei dieser Besetzung ist als Bassinstru- ment oft explizit eine Tuba angegeben, erstmals bei Gerolds Polka-Mazurka im Jahr 1858,76 dafür fehlt jetzt das Euphonium. Vermutlich waren es Mit- glieder des Hoforchesters, die hier zum Einsatz kamen. Gleichbedeutend gebraucht er für diese Art der Besetzung sowohl in seinem Verzeichnis als auch auf den Titelblättern die Bezeichnung »Grosses Orchester« bzw. »G.O.« 4. Für »Horn-Musik« gibt es insgesamt ca. 60 Stücke. Sie kommen über- wiegend über die 50er Jahre verteilt vor. Ganz am Schluss seines Schaffens für die letzten, im Zusammenhang mit dem Untergang des Königreichs ent- standenen Arrangements, greift er auf diese Besetzung wieder zurück. Ge- meint ist damit eine reine Blechbläsergruppe, beispielsweise mit folgender Besetzung: 2 Klappenhörner, 4 Ventilhörner, 2 Waldhörner, 2 Althörner, 2 Te- norhörner, 2 Trompeten, 3 »Tenorbassi« und 2 »Bassi.« Möglicherweise wurde dieses Ensemble für besonders würdevolle Auftritte verwendet. 5. Nicht präzise unterschieden von der »Horn-Musik« ist die »Trompeten- Musik«; vereinzelt benennt Gerold auch Stücke in der oben beschriebenen Art so. Meistens aber ist das Gewicht zwischen hornartigen und Trompeten-

75 Alle Zitate in: Allgemeine Musikalische Zeitung, No. 19. April 1842, Sp. 405. Die Falsch- meldung war erschienen in No. 3 vom 19. Januar 1842. 76 GWLB: Noviss. 145 : 10, No. 995; RISM Id. no. 450119312.

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instrumenten vor allem in der hohen Lage zugunsten letzterer verschoben. So gibt es beispielsweise eine »Trompetenmusik« für 2 Flügelhörner, Piston, 2 Althörner, 2 Tenorhörner, 6 Trompeten (in B und Es) 2 »Tenorbassi«, Eupho- nium und 2 »Bassi«. Gelegentlich ist auch noch 1 Piccoloflöte mit von der Par- tie. Im Gesamtschaffen spielt diese Besetzungsart mit nur knapp 30 Stücken eine untergeordnete Rolle. 6. Obwohl Gerold am Anfang seines Verzeichnisses für die Besetzung eines Männerchors eine eigene Abkürzung (M.G.) einführte, gibt es in seiner Parti- turensammlung gerade einmal drei Werke für diese Besetzung: Der Deutsche Rhein, Marschlied für Infanterie (beide 1840) und O was beglückt so hoch auf Erden (1845). Offenbar konnte er am Anfang seiner Komponistenlaufbahn einfach noch nicht abschätzen, auf welche Wege ihn sein Musikerdasein füh- ren würde.

Die genannten unterschiedlichen Besetzungsformen sind nicht präzise fest- gelegt und können in einzelnen Stücken durchaus variieren. Grundsätzlich gilt zwar die chronologische Entwicklung vom reinen Blechbläserensemble über die gemischt mit Holz- und Blechbläsern besetzte »Militair-Musik« bis hin zur beschriebenen »Großen Militairmusik«, doch gibt es immer wieder »Ausreißer«, d. h. größer besetzte Werke in früheren Jahren und kleiner be- setzte in späteren. Die Tendenz zur wachsenden Orchestergröße lässt sich auch daran erkennen, dass Gerold etliche seiner Werke und Arrangements in späteren Jahren für größere Besetzungen umschreibt, so hat er in den 1860er Jahren mehrfach eigene Werke aus früheren Jahrzehnten bearbeitet, oft für die jetzt fast schon übliche Besetzung der »Großen Militair-Musik«; vgl. z. B. die Stücke unter den Signaturen GWLB: Noviss. 145 : 13, No. 1171–1175 und 1179 aus dem Jahr 1864, die allesamt auf in den 1840er Jahren für Blechmu- sik geschriebene Fassungen zurück gehen. 1855 notiert er auf dem Titelblatt ausdrücklich »ältere Besetzung« als in einer Partitur eine reduzierte Anzahl von Blechblasinstrumenten verlangt ist.77 Es gibt jedoch vereinzelt durchaus auch den Fall, dass Gerold für ein und dasselbe Stück zeitnah vollständige Partituren für verschiedene Besetzungen schrieb. Möglicherweise konnte es vorkommen, dass er bei bestimmten Anlässen vorher nicht genau wusste, welches Instrumentarium zur Verfügung stehen würde oder es gab kurzfris- tige Änderungen. Offenbar fanden immer wieder besondere Anlässe, ähnlich dem oben erwähnten »Monstreconcert« im Jahr 1858 statt, bei denen Gerold quasi »aus dem Vollen« schöpfen konnte. In einer Partitur vom Juni 1852 hat er z. B. einen Großen Festmarsch von Andreas Leonhardt für zwei große Blas- orchester bearbeitet; dabei sind die Partien von Klappenhorn 1 und 2, Piston 1 und 2, Ventilhorn 1–4 sowie Waldhorn 1 und 2 auf den Seiten 17–23 notiert;

77 GWLB: Noviss. 145 : 17, No. 922; RISM Id. no. 450119687.

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Seite 25 folgt ein Zwischentitelblatt mit der Aufschrift »Zweites Orchester«, auf den Seiten 26–31 sind dann die Partien eines zweiten Blasorchesters mit folgender Besetzung notiert: 4 Trompeten, 2 Althörner, 2 Tenorhörner, 2 »Te- norbassi« und 2 »Bassi«.78 Man sieht an diesem Beispiel, dass die Partituren hauptsächlich zum Ausschreiben der Stimmen dienten; beim Einstudieren und Dirigieren genügte Gerold offenbar ein Partiturauszug, im obigen Fall wohl der vordere Teil der Handschrift. Durch die präzise Dokumentation seiner Arbeit kann man sehr gut nach- vollziehen, wann ein bestimmtes Instrument in der Besetzung dazu kommt oder auch eines wegfällt. So findet z. B. in der Partitur zur Bearbeitung für gro- ßes Blasorchester des Klavierstückes Ende vom Lied aus Robert Schumanns Fantasiestücken im September 1864 erstmals ein Kontrafagott Verwendung.

Sonstiges und Schluss

Dass Gerold seine mühevoll erstellten Partituren als sein Privateigentum be- trachtete, wurde oben schon erwähnt. Deshalb hat er sie in der Regel auch mit seinem grünfarbenen Ovalstempel versehen: »EIGENTHUM | VON | J. GEROLD.« Allerdings gibt es in seiner Sammlung auch 58 Handschriften, die mit einem anderen Ovalstempel versehen sind, meistens: »COMMANDAN- TEN= | SCHAFT DER ST: | HANNOVER«, selten auch »COMMANDANTUR | DER STADT | HANNOVER«. Darunter wurde eine Zahl zwischen 7 und 76 auf- gestempelt, wobei etliche Nummern doppelt oder sogar dreifach vergeben sind. Auf diesen Partituren fehlt Gerolds Exlibris-Stempel fast immer. In ganz wenigen Fällen versuchte er offenbar später, den Kommandantur-Stempel zu tilgen und setzte seinen eigenen Stempel darüber, so z. B. bei der »Hym- ne componirt zum hohen Geburtstagsfeste Sr: Maj: des Königs Georg V von Hannover für grosse Militair=Musik von J. Gerold. Hannover d. 8 Febr: 1853« unter der Signatur GWLB: Noviss. 145 : 8, No. 812. Diese Manuskripte müssen demnach zunächst im Besitz der militärischen Stadtkommandantur gewe- sen sein, sind dann aber wieder in Gerolds Obhut gekommen, denn sonst hätte er sie nicht in seine Sammlung eingliedern und dem Ex-König verma- chen können. Alle so gestempelten Quellen fallen in die Jahre 1845 bis 1859; aber es sind beileibe nicht alle, sondern nur ein kleiner Anteil der in diesem Zeitraum entstandenen Autographe. In seinem Verzeichnis sind diese Werke nicht besonders gekennzeichnet.

78 GWLB: Noviss. 145 : 11, No. 784; RISM Id. no. 450119412.

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Hinzuweisen ist schließlich auf ein Depositum mit handschriftlichen Auf- führungsmaterialien im Niedersächsischen Landesarchiv Hannover, die zu Gerolds Partituren gehören. Diese unter dem Titel »Noten der Garnison in Hannover«79 verzeichneten Musikalien sind immer noch im Besitz des Hau- ses Hannover und deshalb im Archiv nur nach vorheriger Genehmigung der Welfen-Familie zu benutzen. Der Bestand ist jedoch im Internet recherchier- bar.80 Er umfasst 199 Stimmsätze mit bis zu 120 Einzelstimmen. Ein genauer Abgleich dieses Materials mit den Partituren in der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek steht noch aus. Aus allem bisher Geschriebenen wird deutlich, dass der erste und zugleich letzte Militärmusikdirektor des Königreichs Hannover ein unglaublich fleißi- ger Mensch gewesen sein muss. Durch die Katalogisierung seines Nachlasses für die RISM-Datenbank ist sein Schaffen nun vollständig dokumentiert und ermöglicht anhand dieser einmaligen Sammlung weitere Recherchen auf dem Gebiet der Militär- und Blasmusikforschung. Interessant wäre freilich, das eine oder andere Stück aus Gerolds Nachlass auch einmal aufgeführt zu hören.

79 NLA Hannover: Dep. 103 XXXVI. 80 Internetadresse: https://www.arcinsys.niedersachsen.de

« 29 Inhalt Autor

Dr. Helmut Lauterwasser, geboren und aufgewachsen in Marbach am Neckar, studierte die Fächer Musikerziehung in Ludwigsburg, Kirchenmusik in Herford sowie Musikwissenschaft (Hauptfach), Pädagogik und Musikethnologie (Ne- benfächer) in Göttingen, dort Promotion 1998 bei Prof. Dr. Martin Staehelin; Tätigkeiten als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Gesellschaft zur wissen- schaftlichen Edition des deutschen Kirchenlieds in Kassel (2000–2008) und seit Mai 2008 beim Répertoire International des Sources Musicales (RISM), Arbeits- gruppe Deutschland e. V. an der Bayerischen Staatsbibliothek in München. Schwerpunkte seiner Forschungstätigkeiten und Publikationen sind Hymnolo- gie sowie Musikgeschichte des 16. bis 19. Jahrhunderts.

Dank

Der Autor dankt Anja Fleck und Matthias Wehry für die stets vertrauensvolle und konstruktive Zusammenarbeit.

Impressum

Herausgegeben von der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek – Niedersächsische Landesbibliothek Hannover, 2016 [email protected]

Die Publikation, einschließlich sämtlicher Abbildungen, wird Ihnen unter der Lizenz CC BY NC ND - Namensnennung, keine kommerzielle Nutzung, kei- ne Bearbeitung - 3.0 Deutschland bereitgestellt. Link zur Zusammenfassung und zum vollständigen rechtsverbindlichen Lizenztext: http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/

Link to the summary and legally binding version of the licence text: http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/deed.en

Abbildung auf der Titelseite: Titelblatt der Großen Jagd-Symphonie des Kronprinzen und späteren Königs Georg V. in der Bearbeitung Johann Viktor Gerolds aus dem Jahr 1841, GWLB: Noviss 145 : 2, No. 85.

Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek | Waterloostraße 8 | 30169 Hannover | www.gwlb.de