Das Bernbiet ehemals und heute : Aarwangen - Bezirkshauptort mit lebhafter Vergangenheit

Objekttyp: Group

Zeitschrift: Historischer Kalender, oder, Der hinkende Bot

Band (Jahr): 281 (2008)

PDF erstellt am: 04.10.2021

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Aarwangen - Bezirkshauptort mit lebhafter Vergangenheit DAS BERNBIET EHEMALS UND HEUTE

Geogra/isc/zes und Haldimoos in der Nordwestecke der Gemeinde Aarwangen. Bemerkenswert ist vor Aarwangen liegt auf einer abgestuften allem Meiniswil: Die parallel zum Fahrweg Geländeterrasse im östlichsten Zipfel des angeordneten Bauernhäuser staffeln sich um Kantons Bern, im sogenannten . einen intakten ländlichen Platzraum und wer- Die benachbarten Kantone Solothurn, Aargau den von qualitätsvollen Nebenbauten beglei- und Luzern sind nur wenige Kilometer von tet. Neben den beiden Stöckli von 1753 bzw. unseren Gemeindegrenzen entfernt. Aarwan- 1844 sind drei wertvolle Speicher aus dem gen ist ein typisches Strassendorf, das sich frühen 18. Jh. besonders erwähnenswert. von der Aare im Norden bis wenige hundert Richtung Osten ergänzt der ehemalige Wei- Meter im Süden an den Stadtrand von Langen- 1er Mumenthal das Aarwangener Dorfgebiet. thai hinzieht. Die Hauptstrasse, als Autobahn- Die aus verschiedenen Epochen stammenden Zubringer nach , folgt dem alten Bauernhäuser reihen sich locker beidseits der Flusslauf der Langeten, die von Strassen, die bereits im frühen 20. Jh. einset- herkommend beim Schloss in die Aare floss. zende Wohnbautätigkeit hat die ursprüngliche Erst ab ca. 1240 fassten die Zisterziensermön- Struktur der Siedlung aber stark verändert. che des Klosters St. Urban das Bachwasser in Die gesamte Fläche der Gemeinde Aarwangen Langenthal und führten es in einem Kanal beträgt rund 1000 ha, davon sind 340 ha Wald dem Hof Roggwil zu. Dort dient das Wasser und 50 ha unproduktives Land (Aare, andere noch heute zum Bewässern von Wiesen und Gewässer). Äckern, bevor es sich mit der Rot vereint und bei Murgenthal (AG) als Murg in die Aare fliesst. Ich habe es noch selber erlebt, dass bis Erw/zzezY in die 60er- und 70er-Jahre des letzten Jahr- hunderts die Langeten bei Überschwemmun- Aus der älteren und jüngeren Steinzeit, gen dem alten Flusslauf folgend Aarwangen d. h. aus den Jahren 3000-1400 v. Chr., wei- einen nassen Gruss abstattete. sen verschiedene archäologische Funde (Kel- Die ehemals weitgehend bäuerliche Bau- tengräber) in und um Aarwangen auf recht Substanz entlang der Jura- und Langenthal- frühe Bewohner des Gebietes. Auch die Strasse (1848 angelegt) wurde im ausgehenden Anwesenheit der Römer ist belegt. Man fand 19. und im 20. Jh. mit Wohn- und Geschäfts- verschiedentlich kaiserliche Münzen sowie häusern durchsetzt. Zu diesem Hauptsied- Tonscherben aus dem 3. und 4. nachchrist- lungsgebiet gesellen sich im Westen zwei völ- liehen Jh. auf dem Muniberg. Und vor etwa lig vom übrigen Dorf abgetrennte Weiler oder 150 Jahren stiess der Berner Forscher Jahn Gruppensiedlungen. Es sind dies Meiniswil dort auf festungsartige Mauerreste; er schloss am Rand einer Geländeterrasse oberhalb der daraus auf die Existenz eines römischen

69 Wachtturms. Diese Annahme wird heute Von einer Besonderheit ist noch aus dem gestützt durch die offensichtliche Verwandt- 7./8. Jh. zu berichten. Gemäss dem Historiker schaft des Flurnamens mit dem lateinischen Dr. Max Jufer soll im oberen Teil des Leuzi- munitio Befestigung, Verschanzung) und grabens im Spichigwald eine «der klassischen Holzburgen im Oberaargau» gestanden haben. Die Burgstelle mit Burghügel und Wassergra- ben ist heute noch deutlich sichtbar. Mögli- cherweise verkehrte zu dieser Zeit bereits eine flossartige Fähre über die Aare, weil sowohl südlich wie nördlich von ihr lose aleman- nisch/fränkische Siedlungen bestanden.

Z);e Rdfer von Aonvange«

Die erste verlässliche Erwähnung eines ade- ligen Burgherrn an der Aare stammt aus dem Jahre 1212: «her Burckart von Arwangen und sin tochter Ita» vermachen dem Kloster St. Urban Wald, Ackerland und eine Wiese in Aarwangen und Umgebung. Zwar wird in einer um 1600 erschienenen Chronik von den «Edlen Freyherren von Arwangen» berichtet, die «auf der rechten Seite der Ar iren Sitz gehabt haben» und wo «H. Niclaus von Arwangen gelebt hat 1165». Die Jahrzahl ist aber nicht verbürgt, falsch ist wohl auch, dass es sich um Freiherren gehandelt hat. Anzuneh- men ist eher, dass die Ritter von Aarwangen Dienstherren (Vasallen) zuerst der viel rnächti- geren Zähringer, dann der Kyburger und schliesslich der Habsburger waren. Der dritte uns bekannte Vertreter des Geschlechts, Walther, trägt bereits deutlichere Züge. Nach allem, was wir von ihm wissen, nahm er im oberaargauischen Adel eine her- vorragende Stellung ein. Sein Wirken stand ganz im Dienste der Habsburger. Unter ihm schritt die Arrondierung der Herrschaft Aar- wangen mächtig fort, indem er entfernten Nachgebautes Modell eines Wachtfeuers (Chutzen), wie Streubesitz abstiess und dafür 1313 die Brü- bis 1831 stets auf dem bereitstand es Muniberg cke an der Aare — es ist dies die erste Erwäh- (Foto: Werner Liidi) nung des Flussüberganges - und Güter im Bipperamt in Lehenbesitz brachte. Unter sei- die Tatsache, dass 1000 Jahre später am selben nem einzigen Sohn und Erben Johann erlebte Ort in altbernischer Zeit ein Chutz (Wachtfeu- das Geschlecht der Aarwangen seine höchste er) stand. Auch die Ortsbezeichnung Mumen- Entfaltung, mit ihm sank es aber auch ins thai soll auf die gleiche Wurzel zurückgehen. Grab. Wie sein Vater gab sich Johann ganz der

70 Sache Habsburgs hin und bekleidete hohe «Halenmoos» sagt die Urkunde und fügt noch Ämter. In der Eigenschaft eines habsburgi- eine Reihe weiterer Flurnamen hinzu, die lei- sehen Bevollmächtigten beriet er Königin der seither verschwunden sind. Alles in allem Agnes beim Friedensschluss von Königsfel- ergibt sich das Bild einer recht breit und lo- den, der dem Laupenkrieg (1339) ein Ende cker innerhalb der heutigen Gemeindegrenzen setzte. In einem Zinsrodel vernehmen wir angelegten Bauernsiedlung. Dieser imposante auch, was damals zur Herrschaft Aarwangen Hausbesitz der Edlen von Aarwangen sollte gehörte: Burg und Brücke, Twing und Bann bloss noch kurze Zeit Bestand haben. Im Jahre (Verwaltungsherrschaft, Polizeigewalt, Niede- 1341 vertauschte nämlich Ritter Johann plötz- res Gericht) von Aarwangen, und lieh und, wie es heisst, aus nicht klar ersieht- , Güter zu Walliswil, Mumenthal, liehen Gründen, seinen Eisenpanzer mit der , , und Utzens- Mönchskutte von St. Urban. Gleichzeitig torf, ferner Streubesitz im heutigen Luzern- schenkte er dem Kloster Güter zu Madiswil, biet, ja sogar im fernen Böhmen und Ungarn. Ursenbach und Utzenstorf. Sein Leben endete Erfreulich ist, dass sich eine Textstelle mit um 1350 im Entlebuch, wo er mit sechs Brü- den Gütern «in dem Dorfe» beschäftigt. Also dern eine Eremitenklause bewohnte. gab es nun auch, nebst dem Schlossbezirk «an der Stade» (am Gestade der Aare), ein Dorf: Aarwangen! Es bestand laut Rodel aus etwa Aanrwtge« tmfer r/er //errsc/ta/t t/er 30 Schupposengütern (Schuppose Bauernbe- trieb von ca. 12-15 Jucharten) und 13 grosse- ren Hofstätten. Wo standen sie? In der «Eie» Und was geschah mit der Herrschaft Aar- (Eymatten), an der «Eige-Halden» (Eyhalde), wangen? Haupterbin wurde gemäss einem in der «Gummen», am «Mosiberg» und im bereits 1339 abgeschlossenen Vertrag die Enkelin Margaretha von Kien, Gemahlin des Ritters Petermann von Grünenberg in . So wurde Grü- nenberg, allerdings bloss für ein knappes Jahrhundert, zum mächtigsten Dynastenge- schlecht unserer Gegend. Das Testament Johanns, Ausdruck eines seltenen politischen Weitblicks, ist noch in einem andern Sinn bedeutend. Es enthält nämlich die erste schriftliche Erwähnung einer «kapeilen in dem Dorf». Diese Kapelle, in romani- schem Stil gehalten und aus St.-Urban-Ziegeln erbaut, stand weit oberhalb der Burg westlich der heutigen Bahn- station. Sie war Herrschafts- kapelle und nur für die Burg- bewohner die Burg mit gedeckter Holzbrücke, Landeplatz (Ländte) bestimmt; und Zollhaus um 1650 Dorfbewohner mussten im

71 2,5 Mio Fr.) mit allen Rechten und Nutzen der Stadt Bern. Zum «Kaufgut» gehörten auch «alle die eigen Lüthe, beide Wyb und Man, mit allen iren Kindern, die in dieselbe Herr- schaft Arwangen gehörent». Durch diesen Kauf war für Bern der Grundstein zur Land- vogtei Aarwangen gelegt. 1480 fiel ihr auch der Stammsitz der Grünenberger zu. So umfasste sie im Wesentlichen bereits das Gebiet des heutigen Amtsbezirks.

/7/e Zeh t/er Lant/vögte

Aarwangen war somit Hauptort der neuen Landvogtei geworden, die bis 1798 mehr als 350 Jahre bestehen blieb. Sie war eine unter vielen anderen, denn wir sind in der Zeit, wo Stadt über Land regierte. Die Tätigkeit eines Landvogtes war sehr vielfältig: Repräsentant der Patrizier-Regierung, Gerichtsherr, Bau- herr, Finanzverwalter, militärischer Befehlsha- ber und Landwirt. Er wurde für eine Amtsdau- er von sechs Jahren gewählt, bewerben konnte sich nur, wer Mitglied des Kleinen oder Gros- sen Rates der Stadt Bern war. Aus der langen Liste der 75 Landvögte, welche im Schloss Aarwangen residierten, möchte ich nur zwei Hieronymus von Erlach, ihnen erwähnen. Der eine ist der Landvogt zu Aarwangen 1707-1713 von speziell Landvogt zur Zeit des Bauernkrieges (1653), Nikiaus Willading. Da es sich dabei ja um Nachbarort zur Kirche gehen. Eine eine Erhebung des Landvolkes gegen das eigene Kirche erhielt Aarwangen erst nach der Stadtregime handelte, war er als Vertreter der Reformation. Bei Strassenarbeiten wurden verhassten Stadt im Volk sehr unbeliebt. Als er 1950 Fundamentmauern freigelegt und auch der Überlieferung nach bei den «Drei Linden» etliche verzierte Backsteine zu Tage befördert. (Langenthal) vom Blitz erschlagen wurde, Diese befinden sich heute in Privatbesitz, im betrachtete man dies als Gottesurteil. Der Regionalmuseum Langenthal oder im Histori- zweite ist Hieronymus von Erlach, Landvogt sehen Museum Bern. von 1707 bis 1713. Er hatte in ausländischen Ab 1400 bekamen die Grünenberger immer Diensten gestanden, machte eine Reihe von stärker den wachsenden Einfluss der Stadt Feldzügen mit und wurde Generalfeldmar- Bern zu spüren. 1415 verdrängte Bern mit schall und kaiserlicher Kämmerer. Selber anderen Eidgenossen die Habsburger aus dem reich und dazu Schwiegersohn eines der Aargau. Ritter Wilhelm von Grünenberg sah reichsten Berner, führte er in Aarwangen einen sich mehr und mehr isoliert, zog die Konse- glänzenden Hofstaat. Gegen Ende seiner quenzen und verkaufte 1432 schliesslich die Amtszeit baute er das Schloss als Herrschaft Aarwangen für 8400 «rheinische Sommerresidenz, später das Schloss Hindel- Gulden» (nach heutigem Geldwert ca. bank, das heute kantonale Frauenstrafanstalt

72 ist. Obwohl auch seine adeligen Zeitgenossen wurde Aarwangen in der Helvetik zum seine Prunkliebe mit scheelen Augen ansahen, Distrikt Langenthal geschlagen, 1803 brachte wurde er 1721 Schultheiss (Bürgermeister, die Wiederherstellung des alten Zustandes, es oberster Berner) und blieb es bis 1747. blieb Amtssitz. Inzwischen hatte Bern das in Wie schon erwähnt, war der Landvogt auch den Revolutionsjahren schwer beschädigte oberster Gerichtsherr. Man unterschied die Schloss an drei Privatleute aus Herzogenbuch- niedrige und hohe Gerichtsbarkeit. An Straf- see verkauft. So musste der erste Oberamt- formen existierten Bussen, Verbannung, Folter mann, wie die Staatsvertreter jetzt hiessen, im und Todesstrafe. Letztere war der hohen Schloss Thunstetten Wohnsitz nehmen. 1805 Gerichtsbarkeit vorbehalten, welche Aarwan- kaufte Bern das Schloss wieder zurück und gen erst um 1570 erhielt. Der Richtplatz liess es für 12 000 Gulden instand stellen. befand sich eine gute halbe Stunde vom Aber erst 1812 konnte der nächste Oberamt- Schloss entfernt auf der Anhöhe oberhalb des mann, Rudolf von Lerber, wieder im Schloss «Galgenfeldes», der heutigen Sonnhalde. Die residieren. Der letzte Oberamtmann Friedrich Stätte diente in den 250 Jahren ihres Beste- von Goumoëns schenkte der Gemeinde den hens für über 100 Hinrichtungen. Sie erfolgten stattlichen, noch heute auf dem Dorfplatz ste- durch den Strang, durch das Schwert oder henden Brunnen. Die eingravierten Initialen durch Verbrennung auf dem Scheiterhaufen, F v G wurden von den Aarwangern der Zeit ausnahmsweise auch durch «Rädern». Vollzo- entsprechend eher für «Freiheit und Gleich- gen wurden die Urteile durch den Scharfrich- heit» gedeutet. ter von Bern, welcher mit «Geleitsmann und Im Jahre 1831 erhielt der Kanton Bern eine Gesellen» anreiste, um seines traurigen Amtes neue Verfassung, die mit 28 000 Ja und zu walten. Zu den schlimmsten Auswüchsen 2000 Nein eine deutliche Zustimmung erhielt. der damaligen Justiz gehörten im 16./17. Jh. Am Tage der Annahme der Verfassung soll auf die sogenannten Hexenprozesse. Die Amts- dem Muniberg zum letzten Mal der Chutz auf- rechnungen von Aarwangen berichten von über einem Dutzend solcher Hinrich- tungen. Am Ende des Bau- ernkrieges wurden acht «Redliführer» in Aarwan- gen enthauptet, darunter auch der Aarwanger Erna- nuel Segisser. Die letzte Hinrichtung eines Raub- mörders erfolgte 1856, denn erst der revidierten Bundesverfassung von 1874 war es vorbehalten, die Todesstrafe abzuschaf- fen.

Die Übergangszeit

Nach dem Einmarsch Der vom letzten Oberamtmann gestiftete Brunnen der Franzosen und dem mit der Jahrzahl 1830 und den Initialen FvG Falle Berns im Jahre 1798 (Foto: Markus Lehmann)

73 geflammt sein, um weitherum den oberen Terrasse des südlichen Aareabhan- Anbruch einer neuen Zeit zu verkünden. ges, das Schloss dient unten an der Aare Die neue Verfassung brachte u. a. die als Brückenkopf. Die Entwicklung der Gewaltentrennung, die in Aarwangen alten Ritterherrschaft zur Landvogtei und auch räumlich vollzogen wurde. 1844 zog zum Amtsbezirk spiegelt sich in der bau- der Regierungsstatthalter mit der Amts- liehen Entwicklung des Schlosses wider. schaffnerei nach Langenthal, im Schloss Aus der Burg, deren ganze Anlage auf blieben das Amtsgericht, das Betrei- den im Verhältnis zur mittelalterlichen bungsamt und das Grundbuchamt. Noch Kriegstechnik starken Wehrbau Rück- Jahre stritt sich Aarwangen mit dem auf- sieht nahm, entstand das Schloss des strebenden Langenthal um das Recht, Landvogts, ein herrschaftliches Wohn- sich Bezirkshauptort zu nennen. Erst ein haus, das sich das bisherige Aussehen Beschluss des Grossen Rates vom möglichst bewahrte: Da steht der Berg- 12. Januar 1893 entschied definitiv: fried mit 21 m hohem Bauwerk, darauf «Der Amtssitz bleibt in Aarwangen.» ein überdachter Zinnenkranz. Er weist 1865 schlössen die Einwohnerge- einen ungefähr quadratischen Grundriss meinde und die Burgergemeinde einen und Mauerstärken von bis zu 2,5 m auf. Ausscheidungsvertrag ab, nachdem die Er dient zur Sicherung der wehrtech- Burger die Bildung einer gemischten nisch ungünstigen Süd- oder Landseite; Gemeinde abgelehnt hatten. Als parallel zur schützenden Aare im Nor- Besonderheit gibt es bei uns noch die den liegt, baulich von ihm getrennt, Burgerkorporation Scheurhof. Ihr der Palas, ein Wohntrakt. Die Burg Landbesitz von ca. 70 ha liegt aus- umgibt auf der Landseite ein hufeisen- schliesslich im Gemeindegebiet der förmiger Mauerring mit einem Zinnen- Nachbargemeinde Schwarzhäusern. kränz. An der Nordwestecke sichert Zur Erinerung an den ein Eckturm Strasse und Brücke. Beschluss des Der Eingang zur ganzen Anlage De« Grossen Rates 1893: befindet sich in einem ebenfalls Wappen «Der Amtssitz bleibt in Aarwangen» quadratischen und mit Zinnen Unser Gemeindewappen, gespal- besetzten Torturm an der Ostseite der ten von Schwarz und Silber mit schwar- Festung. Eine Zugbrücke davor über- zem Querbalken nach rechts, geht auf die Rit- spannt den wiederum hufeisenförmigen Was- ter von Aarwangen zurück. Alle von ihnen sergraben, und vor diesem erstrecken sich bekannten Siegel sind gleich wie das heutige mehrere Weiher als zusätzliches Hindernis, Dorfwappen. Es soll gemäss den Heral- aber auch für den Fischfang. Es ist also dikern das älteste belegte Wappen des ein richtiges Wasserschloss. Amtsbezirks sein. Spiegelverkehrt Das 16. und das 17. Jh. bringen (mit Balken nach links) wurde es deutliche Veränderungen: Bern ver- dann auch zum Amtswappen. grössert das Schloss mittels ver- schiedener An- und Umbauten zu einer Verwaltungs- und Wohnanlage Das Sc/r/oM für den Landvogt. Der Bergfried wird aus taktischen Gründen 1624/25 auf Wo Schloss und Ortschaft den glei- die heutige Höhe von 32 m hinauf ver- chen Namen führen, pflegt man sich Siegel grössert. 1643 wird neu ein schlanker das Schloss in dominierender des Ritters oder die Lage Johann Treppenturm «Schneggen» an zu denken. Das ist bei Aarwangen von Aarwangen, Gebäude östlich des Bergfrieds ange- nicht der Fall. Das Dorf liegt auf der März 1329 baut. Er ist mit einem spitzen Giebel-

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Die Wappen der zwanzig

Kantone Zürich Bern Luzern und sechs 1351 1353 1332 Halbkantone

Schwyz wObwalden 1291 1291

Nidwaiden Glarus Zug Freiburg 1291 1352 1352 1481

Schaffhausen Appenzell AR Appenzell IR 1501 1513 1513

Graubünden Aargau 1803 1803 LIBERTÉ ET PATRIE

Waadt Neuenburg 1803 1815 Zimmer veränderet, verunreinigt, im Aeusse- ren die Mauern des Schlossgrabens von der Aare biss vorn in die Mitte nidergerissen, sogar der Turm sollte abgebrochen werden.» So weit kommt es dann doch nicht. Nach dem Wiedererwerb durch die Berner und dem Aus- zug des letzten Oberamtmannes wird das Schloss Sitz des Richteramtes. Es enthält Dienstwohnungen, Bürolokale, das Bezirksge- fängnis und die Wohnung des Gefangenenwär- ters. Bis Anfang 1920 befindet sich auf dem grossen Turm ein Storchennest. Deswegen wird im Volksmund das Schloss auch als «Storchen» bezeichnet. Weil es zu mächtig wird und das Dach beschädigt, muss das Nest weichen. 1960-62 bringt eine grosse Rénova- tion dem Treppenturm das ursprüngliche spit- ze Dach zurück, dem Bergfried die Wetterfah- nen, und die Steinmetzarbeiten werden erneu- ert. Nachdem 1997 das Gefängnis aufgehoben wurde, soll mit der soeben beschlossenen Bezirksreform auch das Gericht ausziehen, das Schloss vollständig geräumt und verkauft werden Zum Schlossbezirk gehörten auch das Zoll- haus (urkundlich 1581 erstmals erwähnt) - der Kern des heutigen Gasthofs Bären - und zwei Kornhäuser. Das grössere wurde vor Jahren Plan der «Schloss-Sieldung» von 1775, deutlich ersieht- durch die Gemeinde gekauft und steht vor- lieh die «Hufeisenform» wiegend leer, das kleinere diente über Jahre als Vorsteherhaus des in den 80er-Jahren dach versehen und besitzt ein Renaissancepor- geschlossenen Knaben-Erziehungsheims. Heu- tal. Über diesem erkennt man ein in Stein te ist es Wohn- und Verwaltungsgebäude des gehauenes «Bärnrych», das Wappen Berns mit von der Heilsarmee geführten Asylbewerber- der Reichskrone. Spätestens seit ca. 1670 sieht Durchgangsheimes. der Betrachter von der Brücke aus an der Nordfassade das farbige Berner Wappen auf- gemalt. Ab Mitte des 18. Jh. verliert das Brücke Zo// Schloss einen Teil seines Gesichts: Der Zin- nenkranz der Mauer wird entfernt, der baufäl- Wann die erste Brücke errichtet wurde, die lig gewordene Nordwestturm bis auf den wohl an die Stelle einer viel benützten Fähre strassenseitigen Unterbau abgerissen, die hol- trat, ist nicht bekannt. Wir wissen indes sicher, zerne Fallbrücke über den Burggraben durch dass 1313 Ritter Walther von Aarwangen und eine feste steinerne ersetzt. Im Revolutions- sein Sohn Johann mit dem Brückenzoll jähr 1798 erfährt das Schloss den Zorn des belehnt wurden. Durch den Kauf der Herr- Volkes über die bernische Obrigkeit. Das Schaft Aarwangen hat dann Bern alle Rechte Schlossbuch berichtet: «In dieser Zeit ward an der Brücke übernommen. Diese diente von das Schloss übel misshandelt, im inneren die jeher dem viel befahrenen und wichtigsten

75 Handelsweg, der die Landgrafschaft Klein- mobil) bei. Vor zehn Jahren mussten Strassen- Burgund und den Buchsgau verband. Hier und Eisenbahnbrücke, erstere als Autobahnzu- wurde auch einer der ersten Märkte im Ober- bringer, durch eine breitere Neukonstruktion aargau abgehalten, der das Privileg hatte, dass ersetzt werden. Und die Geschichte wieder- Salz, Stahl, Eisen, Leinwand und Wolle holte sich: Für den Fussgängerverkehr stand gehandelt werden durften. Der Brückenzoll, während der Bauzeit wieder eine Fähre zur bis 1804 erhoben, wurde in erster Linie zum Verfügung... Brückenunterhalt verwendet, der ständig viel Geld kostete. Die erste Brücke, von der wir aus geschichtlichen Quellen erfahren, wurde Die Â7rc/îe im Frühjahr 1471 ein Raub der Flammen. Immer wieder mussten weitere Brücken Wer unsere Kirche betritt, wird darin sehr wegen Beschädigungen, teils durch Feuer, rasch die Jahrzahl 1577 entdecken. Sie findet teils durch Hochwasser, ersetzt werden. 1887 sich am Chorbogen, an der Kanzel, am Tauf- wurde die letzte Holzbrücke abgetragen und stein und über der südlichen Seitentüre durch eine unschöne Eisenkonstruktion aussen. Es ist das Baujahr der in spätgoti- ersetzt. 20 Jahre später gesellte man ihr die schem Stil gebauten Kirche. Obwohl schon Bahnbrücke für das «Bipper-Lisi» (damals 50 Jahre seit der Einführung der Reformation Oberaargau-Jura-Bahn, heute Aare Seeland vergangen sind, weist die Bauweise vorrefor- matorische Züge auf: deutliche Aufteilung in Schiff und Chor, Abgrenzung der beiden Teile durch eine Stufe, einen Chor- oder Triumph- bogen, Orientierung des Chors nach Osten. Die Arbeiten an der neuen Kirche begannen im März, und schon im August desselben Jah- res konnte Pfarrer Wiek darin Gottesdienst halten. Baumeister Antoni Stab aus Zofingen deckte den Turm mit einem Firstdach in gleicher Flucht wie das Kirchendach. Mit der Wahl dieses Käsbissendaches hat der Bau- meister nicht nur eine Angleichung an schon damals bestehende Nachbarkirchen vorgenom- men, sondern auch eine Übereinstimmung mit dem bereits vorhandenen Schlossturm im Auge gehabt. Er hat damit ein sicheres Gefühl für Formen und Proportionen auch im Rahmen ihrer Umgebung bewiesen. Leider hat man 1829 das Turmdach durch den jetzigen Spitz- heim ersetzt. Einer Anstrengung, anlässlich der Gesamtrenovation der Jahre 1966/67 dem Kirchturm seine ursprüngliche Form zurück- zugeben, blieb der Erfolg versagt. Insgesamt 20 Farbscheiben haben der Stand Bern und die Vögte von Bipp, Wangen und natürlich von Aarwangen gestiftet. Zur heuti- gen Kirchgemeinde gehören auch die Nach- Kirche von Osten barorte Bannwil (mit eigener, älterer Kirche (Foto: Markus Lehmann) und Pfarrhaus) und Schwarzhäusern.

76 erst 1758 in Aarwangen geschlossen mit dem Vermerk «weil im Aus- land». Erst 1769 Hess sich die Familie nach weiteren langen Fahrten im Ausland in Aarwan- gen nieder, wo sie das kurz zuvor als Alterssitz erbaute Haus bezog. Vater Jacob starb jedoch schon zwei Jahre später, seiner Frau fünf un- mündige Kinder hinter- lassend. Seine Menage- rie wurde liquidiert. Das Haus wurde noch von seinen Nachfahren bewohnt, bevor es um 1920 von der Gemeinde gekauft und restauriert werden konnte. Heute sind darin Büroräum- Fassade des mit Bildern von Tieren. Städten und Inschriften reich lichkeiten ^.. den So-o verzierten Tierlihauses (Foto: Markus Lehmann) fur zialbereich eingerichtet, ein Teil steht der Öffent- Das lichkeit für Anlässe in kleinerem Rahmen zur Verfügung. Mitten im Dorf steht ein prächtiger alter Riegbau, dessen Fassade reich bemalt ist mit Bildern exotischer Tiere: Affen, Tiger, Kamel, Anrvrange/i /z

77 Gemeinde mit den Städten Bern, Basel, Zivilschutz-Ausbildungszentrum, das regiona- Zürich. Im Bereich des öffentlichen Verkehrs le Asylbewerber-Durchgangsheim und als ist Aarwangen seit 1907 durch die Aare See- letztes grosses Bauwerk die Zentrale Abwas- land mobil AG erschlossen. Wiederum in Lan- serreinigungsanlage (ZALA), wo die Abwäs- genthal ist der SBB-Anschluss gewährleistet. ser des gesamten Langetentals auf modernste Das Gemeindewachstum verlief, mit einer Weise gereinigt und der Aare zugeführt wer- Ausnahme, recht harmonisch. Um die vorige den. Jahrhundertwende zählte Aarwangen 1800 Wenn ich abschliessend noch ein Problem Einwohner, bis 1960 stieg sie auf 2500 und erwähne, das einer Lösung bedarf, so ist es dann innerhalb eines Jahrzehnts auf 3300, was dies: Der Autobahnzubringer mitten durch das einer Zunahme von 25% entspricht! Heute Dorf ist für die Anwohner eine dauernde bewohnen etwas über 4000 Einwohner in Belastung in Form von Lärm und Abgasen. Im 1800 Haushaltungen Aarwangen. Rund ein Durchschnitt sollen sich täglich rund 17 000 Achtel der Bevölkerung sind Menschen mit Fahrzeuge durch diesen Engpass zwängen, mit ausländischem Pass aus 30 verschiedenen allgemein zunehmender Tendenz und vor Ländern. allem zunehmendem Schwerverkehr. Seit rund dreissig Jahren spricht man deshalb von einer Umfahrungsstrasse (heute auch Wirtschafts- Strasse genannt), eine Realisierung derselben ist soeben vom Kanton als nicht vordringlich beurteilt worden, schade! So bleibt die Hoff- nung, dass eines Tages der Sinn für mehr Lebensqualität nicht nur vom nicht Vorhände- nen Geld abhängig gemacht wird.

Literatur: - Berner Heimatbuch Nr. 105, Aarwangen, 1968 - Kasser, Geschichte des Amtes und Schlosses Aarwangen, 1953 - Möri, Baugeschichte des Schlosses Aarwangen, Jahrbuch des Oberaargaus 2004

Eine Unmenge Fahrzeuge drängt sich täglich durch Aarwangen. (Foto: Markus Lehmann) WETTBEWERB Tageszeitungen «La Liberté» Grossindustrien gibt es nicht. Viele KMU bieten einige hundert Arbeitsstellen, der Dieses ursprünglich katholisch-konservative Grossteil der Arbeitstätigen findet aber Organ Freiburgs wurde 1871 gegründet. Es ist Beschäftigung in den Nachbargemeinden Lan- verwandt mit den deutschsprachigen «Freibur- genthal, Bützberg, Roggwil, ger Nachrichten», die ihrerseits verschiedene oder im solothurnischen «Gäu» (Autobahn- Vorgängerblätter hatten. Ab 1970 begannen kreuz Härkingen/Egerkingen). Stolz ist Aar- sich die beiden Blätter der politisch-kirch- wangen auf seine gesunde Finanzsituation, von entsprechend profitieren wir von einem recht liehen Bevormundung zu lösen. Die «Liberté» günstigen Steueransatz. hatte 2006 eine Auflage von 38 600 Exemplaren. Aarwangen setzte sich immer schon für regionale Anliegen ein. So finden wir im Dorf das regionale Altersheim Riedli, das regionale S/e/ie l/l/ettbewerbsfragen auf 5e/te 700

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