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Europäische Einflüsse auf die Seeräuberei in der Karibik der Frühen Neuzeit

Diplomarbeit

Zur Erlangung des akademischen Grades einer Magistra philosophiae

an der Karl-Franzens-Universität Graz

vorgelegt von

Jasmine RECHBERGER 01213923

am Institut für Geschichte Begutachterin: O. Univ-Prof. Dr. phil. Renate Pieper

Graz, August 2021

INHALTSVERZEICHNIS

1 Einleitung ...... 3

2 Zwischen Recht und Rhetorik: Manifestationen privater Seebeutenahme in der Karibik des 16. und 17. Jahrhunderts ...... 13 2.1 No Peace beyond the Line – Das Meer als rechtsfreier Raum? ...... 15 2.2 Hostis Humanis Generis – Die Funktionen privater Seebeutenahme ...... 20

3 Freibeuter Im Dienst der Krone: Von Souveränen tolerierte und geförderte Private Seebeutenahme zwischen 1522 und 1604 ...... 25 3.1 Die corsarios franceses im atlantischen Raum ...... 26 3.2 Elizabethan zwischen Piraterie und Nationalheldentum ...... 32

4 Das Goldene Zeitalter: Bukaniere und Flibustiers als private Seebeutenehmer in der Karibik nach 1604 ...... 58 4.1 Die Ansiedlung der Nord- und Westeuropäer auf den Westindischen Inseln ...... 60 4.2 Frères de la côte – Der Aufstieg der Bukaniere auf ...... 67

5 Fazit ...... 77

6 Anhang ...... 81

7 Literaturverzeichnis ...... 87 7.1 Monografien ...... 87 7.2 Zeitschriftenbeiträge und Lexikonartikel ...... 90

8 Abbildungsverzeichnis ...... 92

S e i t e | 2 1 EINLEITUNG

1527 wurde der Franzose von den Spaniern in der Nähe von Sevilla – jenes in Andalusien liegenden Hafens, der seit 1503 als alleiniger Ausgangs- und Zielhafen des Han- delsverkehrs zwischen den kastilischen bzw. spanischen Herrschaftsgebieten in Europa1 und den neuen spanischen Kolonien diente – gefangen genommen, gefoltert und anschließend auf Anweisung Karls V. als Pirat gehängt. Der französische ‚Korsar‘2 hatte im Mai 1522 im Meer zwischen Madeira und Portugal drei spanische Karavellen gekapert. Unerwartet reich fiel die Beute dieses Seeraubes aus, handelte es sich bei der kleinen Flotte doch um die vom Konqu- istador Hernán Cortés vom mexikanischen Vera Cruz aus auf den Weg zum spanischen König entsandten Schiffe, deren Fracht aus dem aus Tenochtitlán geraubten Goldschatz des Azte- kenkönigs Moctezuma II. bestand.3

Fleury stand zu dieser Zeit im Dienst des französischen Kaufmanns Jean Ango, der seine See- fahrer mit einer Vollmacht des Grafen von Dieppe ausgerüstet hatte und diese während des Krieges zwischen dem spanischen König Karl V. und dem französischen König Franz I. von 1521 bis 1525/26 als Kaperfahrer einsetzte. Wenngleich Jean Fleury bei seinem überaus er- tragreichen Seeraub also noch nicht über einen Kaperbrief des französischen Herrschers Franz I. verfügte, zeigte sich der Monarch von den Geschehnissen dennoch nicht sonderlich aufgebracht. Zum einen befand sich Frankreich zu diesem Zeitpunkt offiziell im Krieg gegen den spanischen König Karl V., was auch eine Grundvoraussetzung für die Ausstellung der

1 Im Folgenden wird der Begriff ‚Spanien‘ – sofern nicht explizit auf bestimmte Teile davon verwiesen wird – als verkürzte und zusammenfassende Bezeichnung für die zur jeweiligen Zeit als spanische Herrschaftsgebiete zu behandelnden Besitzungen verwendet. Diese Simplifizierung ist zum einen den hohen Fluktuationen im geo- graphischen Umfang sowie in der politischen Organisation der sich seit der Entdeckung Amerikas zum Spani- schen Kolonialreich entwickelnden Königreiche und Herrschaftsgebiete während des in dieser Arbeit behandel- ten Zeitraumes geschuldet. Zum anderen sind bei der Untersuchung des europäischen Einflusses auf die Seeräu- berei in der Karibik der Frühen Neuzeit primär die spanischen Kolonien in der Neuen Welt sowie das spanische Mutterland im Gesamten von Bedeutung und stehen daher im Fokus dieser Arbeit. 2 In der Literatur findet sich am häufigsten die Bezeichnung ‚Korsaren‘ für die ersten, vorwiegend aus Frank- reich stammenden und im Mittelmeerraum tätigen Seebeutefahrer, welche die spanischen Flotten im Atlantik sowie die neuen spanischen Kolonien bedrohten. Auch hier wird diese Begriffsverwendung übernommen. Die Problematik der fließenden Übergänge zwischen den einzelnen Bezeichnungen für die im 16. und 17. Jahrhun- dert zwischen dem Westen Europas und den spanischen Kolonien in Amerika agierenden privaten Seebeuteneh- mer wird in Kap. 2.2 noch ausführlicher diskutiert. 3 Bohn, Robert (2020): Die Piraten. 4., überarb. Aufl. München: Beck (= Beck’sche Reihe 2327), S. 26f.; Kon- stam, Angus (2019): World. A History of the Most Notorious Sea Robbers. Oxford/New York: Os- prey Publishing, S. 44f.; Edelmayer, Friedrich (2012): Freibeuter im Dienste ihrer Könige. Die Karibik im 16. Jahrhundert. In: Schrecken der Händler und Herrscher. Piratengemeinschaften in der Geschichte. Hrsg. von An- dreas Obenaus/Eugen Pfister/Birgit Tremml. Wien: Mandelbaum Verlag (= Expansion – Interaktion – Akkultur- ation. Globalhistorische Studien), S. 172; Kempe, Michael (2010a): Fluch der Weltmeere. Piraterie, Völkerrecht und internationale Beziehungen 1500-1900. Frankfurt/New York: Campus Verlag, S. 33. S e i t e | 3 sogenannten Kaperbriefe4 darstellte. Zum anderen fiel dem französischen König ein großer Teil des erbeuteten Schatzes aus aztekischem Goldschmuck, seltenen Edelsteinen, anderen Edelmetallwaren sowie höchst wertvollen nautischen Karten der Seerouten von Amerika nach Europa zu. Die ersten Nachrichten über die von spanischen Schiffen von Amerika nach Euro- pa transportierten Luxusgüter und Schätze – Gold, Zucker und Tabak von der Insel La Espa- ñola, Perlen aus Venezuela und andere Wertgegenstände, die seit der Eroberung Mexikos durch Hernán Cortés 1519-21 in größeren Mengen nach Spanien gelangten – verbreiteten sich nicht nur in Frankreich wie ein Lauffeuer und ermutigten – nun immer häufiger auch mit offi- ziellen Lizenzen ausgestattete – private Seebeutenehmer verschiedener Nationen dazu, sich bis zum Ende des Jahrhunderts immer weiter in Richtung der Westindischen Inseln vorzuwa- gen.5

Der Seeraub Jean Fleurys von 1522/23 stellt einen bedeutenden Moment in der Geschichte der Seeräuberei in der Karibik dar und wird in der Literatur häufig als Schlüsselereignis ge- nannt.6 Denn obwohl sich der Überfall auf die spanische Flotte nur unweit der europäischen Küste abspielte, lies die Beute im Wert von über 800.000 Dukaten7 nicht nur die Franzosen, sondern auch andere – primär (nord-)westeuropäische – Mächte8 erkennen, welche politischen und ökonomischen Möglichkeiten in den von den Spaniern und Portugiesen für sich bean- spruchten Gebieten der Neuen Welt lauerten. Im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts drangen diese daher immer weiter über die von den Königreichen Kastilien und Portugal unter Aus- schluss sämtlicher anderer europäischer Mächte (einschließlich des Königreiches Aragóns) im Vertrag von Tordesillas im Jahr 1494 festgelegte Trennlinie vor, welche die jeweiligen Ein- flusszonen zwischen den beiden Seemächten abgrenzen sollte. Die Kastilier bzw. später Spa- nier betrachteten und behandelten daher noch bis ins 17. Jahrhundert hinein jeden Seefahrer,

4 Hier sei bereits darauf hingewiesen, dass der alleinige Blick auf juristische Aspekte zwar eine theoretische Abgrenzung der jeweiligen Legitimationsdokumente für die private Seebeutenahme ermöglicht, diese den tat- sächlichen Einsatz insbesondere während des im Fokus der Arbeit stehenden 16. und 17. Jahrhunderts aber nicht immer korrekt widerspiegelt. Diese allgemeine Problematik der Diskrepanzen zwischen Rhetorik und Praxis zentraler Begriffe der Seeräuberei in der Frühen Neuzeit wird in Kap. 2 ausführlicher behandelt. Auf bestimmte Nationen oder Zeiträume betreffende Besonderheiten wird an gegebener Stelle in den Beschreibungen der Pha- sen europäischer Einflussnahme auf die Seeräuberei in der Karibik verwiesen. 5 Bohn 2020, 26f.; Konstam 2019, 44f.; Edelmayer 2012, 172; Kempe 2010a, 33; Kempe, Michael (2010b): ‚Even in the remotest corners of the world’. Globalized and international law, 1500-1900. In: Journal of Global History. Jg. 5, H 3, S. 357f. 6 Vgl. Ebda. 7 Konstam 2019, 45. 8 Da sich der Großteil der niederländischen Piraterie- und Freibeuteraktivitäten gegen die portugiesischen Nie- derlassungen im asiatischen Raum sowie am südamerikanischen Festland richteten und die Westindischen Inseln lediglich in kurzen Phasen zum Ziel durchaus lohnender Raubzüge wurden, wird in dieser Arbeit nicht gesondert auf diese eingegangen. Stattdessen wird die Rolle der Niederländer für die Seeräuberei in der Karibik in die Darstellung der anderen Generationen eingegliedert. S e i t e | 4 der in ihre neu gewonnene Machtsphäre eindrang, als Pirat (sp.: Pirata) – unabhängig seines eigentlichen Zieles, seiner Handlungen und seiner Intentionen.9

Das Schicksal Jean Fleurys kann daher als Paradebeispiel für die Problematik der Definition des Piratenbegriffes und der Abgrenzung von ‚gerechtfertigter‘ Seebeutenahme gesehen wer- den, wurde er trotz der offiziellen, als legitime Kriegspraxis in Europa anerkannten Genehmi- gung in Form eines Kaperbriefes von den Spaniern nach seiner Gefangennahme für seine see- räuberischen Aktivitäten als Pirat gehängt. In keiner anderen Epoche der Pirateriegeschichte verschwimmen die Grenzen zwischen den Ausformungen der Piraterie und Freibeuterei so sehr wie in der Karibik des 16. und 17. Jahrhunderts. Auch manifestieren sich im Beispiel Jean Fleurys die Einflüsse der Politik der europäischen Mächte und ihrer politischen und öko- nomischen Interessen auf den gegen spanische Schiffe und Besitzungen in der Neuen Welt gerichteten Seeraub10, die im Fokus dieser Arbeit stehen. Die Wechselwirkungen zwischen privater Seebeutenahme im karibischen Raum und europäischer Politik können dabei an den jeweils charakteristischen Ausformungen und Handlungsweisen der Beutefahrer und deren Verbindung zu ihren Souveränen beobachtet werden. Wer wann, wie und von wem als priva- ter Seebeutenehmer – sei es als Freibeuter oder als Pirat11 – eingesetzt wurde, hing nämlich maßgeblich mit den politischen Verflechtungen der herrschenden Mächte in Europa zusam- men. Besonders die Zeit des 16. und 17. Jahrhunderts ist dabei von einem ständigen Wechsel zwischen Krieg und Frieden gekennzeichnet, der sich auch in den einzelnen ‚Generationen‘ privater Seebeutenehmer widerspiegelt.

Mit der Personalunion der Königreiche Kastilien, Aragón und León unter dem ersten spani- schen König Karl I. im Jahr 1516 und dessen Wahl zum römisch-deutschen Kaiser 1519 herrschte dieser über den zu dieser Zeit größten und einflussreichsten Zusammenschluss von Königreichen auf dem europäischen Kontinent. Dadurch wuchsen auch die Spannungen zum Königreich Frankreich, das sich nun von potenziellen Feinden eingekreist sah und als eine der dominierenden europäischen Mächte im frühen 16. Jahrhundert um die Schwächung des spa- nischen Einflusses und um die Teilhabe an (dem Handel mit) den neu entdeckten Gebieten

9 Bohn 2020, 26f.; Konstam 2019, 44f.; Edelmayer 2012, 172; Kempe 2013, 52. Kempe 2010a, 33; Kempe 2010b, 357f. 10 Die Begriffe (privater) Seeraub und (private) Seebeutenahme werden in dieser Arbeit als synonyme Oberbe- griffe für die verschiedenen Manifestationen der Gewaltanwendung und Beutenahme auf See verwendet, sofern nicht explizit auf den Gegensatz zwischen ‚legaler Seebeutenahme‘ und ‚illegaler Seeräuberei‘ Bezug genom- men wird. Damit soll der Perspektivenabhängigkeit und den fließenden Grenzen zwischen Formen der Piraterie und Freibeuterei im karibischen Raum des 16. und 17. Jahrhunderts Rechnung getragen werden, ohne dabei die jeweiligen – vor allem im alltäglichen Sprachgebrauch verbreiteten – Konnotationen in Bezug auf deren Legiti- mität und Rechtsstatus zu verneinen. 11 Die zentralen Begriffe der Seeräuberei in der Karibik und damit auch der Unterschied zwischen Piraterie und Freibeuterei wird in Kap. 2.2 behandelt. S e i t e | 5 der Neuen Welt kämpfte.12 Im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts, unter der Herrschaft Köni- gin Elisabeths I., wuchsen auch die politischen, ökonomischen und religiösen Konflikte zwi- schen den Königreichen England und Spanien. Verschiedene Formen privater Seebeutenah- me, von Freibeuterei bis hin zu von den Herrschenden tolerierter oder verdeckt geförderter Piraterie, boten den MonarchInnen der Frühen Neuzeit eine Möglichkeit, die spanische Vor- herrschaft im karibischen Raum und in Europa auch ohne offene Kriegserklärung anzufechten und zu schwächen.

Ab den 1620ern begannen sich Franzosen, Engländer und Niederländer auch dauerhaft in der Neuen Welt anzusiedeln. Viele der karibischen Inseln waren in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts nämlich bereits von den Spaniern verlassen worden oder aufgrund von Krankheiten nur noch dünn besiedelt. Die unzähligen kleinen Inseln im karibischen Raum dienten den Europäern daher als ideale Stützpunkte für ihre Piratenaktivitäten. Mit der zu- nehmenden Distanz der Schauplätze von Piraten- und Freibeuteraktivitäten zum europäischen Kontinent, löste sich das Seeraubgeschehen in der Karibik aber auch zunehmend von der eu- ropäischen Politik und deren Einflüssen. Die Bukaniere und Flibustiers13 auf den Westindi- schen Inseln betätigten sich nicht mehr nur im Auftrag der Obrigkeiten ‚ihrer‘ Nation als Freibeuter, sondern segelten für jeden, der ihnen ein verlockendes Angebot machte. Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts verselbstständigte sich das Piraterie- und Freibeutereigeschehen in der Karibik damit regelrecht. Insbesondere in den Zeiten nach den Friedensschlüssen zwi- schen europäischen Nationen häuften sich zudem die Piratenüberfälle. Damit gerieten die einst als Freibeuter genutzten privaten Seebeutenehmer zunehmend außer Kontrolle der euro- päischen Souveräne, was die Häufung und Intensivierung von Anti-Piraterie-Maßnahmen der europäischen Mächte gegen Ende des Jahrhunderts zeigt.

In der vorliegenden Arbeit werden die europäischen Einflüsse auf die einzelnen ‚Piratengene- rationen‘14 untersucht, um so ihren Entwicklungsverlauf aufzuzeigen, aber auch die Begriffs- problematik zwischen (juristischer) Rhetorik und historischer Realität kritisch zu betrachten. Die Abgrenzung dieser Generationen privater Seebeutenahme im 16. und 17. Jahrhundert erfolgt dabei auf Basis der primären geografischen Ausgangs- und Operationsgebiete der pri- vaten Seebeutenehmer, ihrer charakteristischen Vorgehensweisen und des Ausmaßes der In- volvierung ihrer jeweiligen europäischen Autoritäten. Wie die Grenzen zwischen Piraterie,

12 Martínez-Fernández, Luis (2015): Far beyond the Line. Corsairs, , and Invading Set- tlers in Cuba and the (1529-1670). In: Revista de Indias. Jg. 75, S. 11f. 13 Auf die Unterscheidung zwischen Bukanieren und Flibustiers wird in Kap. 4.2 noch näher eingegangen. 14 Der Begriff der Piraterie ist hier in seiner weitesten Bedeutung als Überbegriff bzw. Forschungsgebiet zu ver- stehen und schließt daher die unterschiedlichsten Formen der privaten Seebeutenahme – einschließlich der Frei- beuterei – ein. Dasselbe gilt für weitere Wortverbindungen wie ‚Pirateriegeschichte‘. S e i t e | 6 Freibeuterei und Schmuggelhandel sind auch die Übergänge zwischen den Piratengeneratio- nen fließend und einzelne Personen selten eindeutig einer dieser Kategorien oder Perioden zuordenbar. Dennoch lassen sich mehrere Phasen in der Geschichte der Seeräuberei in der Karibik ausmachen, deren besondere Dynamik anhand von Fallbeispielen einzelner Piraten und Freibeuter verdeutlicht wird. Im in dieser Diplomarbeit behandelten Zeitraum sind dies anfänglich die französischen Korsaren, die als erste europäische Macht ab den 1520ern spani- sche Schiffe aus der Neuen Welt im Atlantik bedrohten und deren Aktivitäten sich im Laufe des Jahrhunderts zunehmend in den karibischen Raum ausbreiteten. Als zweite Generation treten ab dem letzten Drittel des 16. Jahrhunderts mit der Thronbesteigung Königin Elisabe- ths I. englische Freibeuter und Piraten auf, die sich weitgehend im Umfeld der flexiblen poli- tischen Taktiken der mit dem Namen ‚Piratenkönigin‘15 bedachten englischen Monarchin bewegten. Der Handlungsraum der sogenannten Sea Dogs lag dabei einerseits in Europa – allen voran an den Küstenregionen der britischen Insel – und andererseits an den Atlantik- und Pazifikküsten Amerikas. Die um die Jahrhundertwende zwischen Spanien und dem Kö- nigreich Frankreich, England sowie den Niederlanden geschlossenen Friedens- bzw. Waffen- stillstandsverträge und die Ansiedlung nicht-spanischer Europäer in der Neuen Welt ab den 1620ern bilden schließlich eine Zäsur, welche die letzte der hier untersuchten Piratengenerati- onen von ihren Vorgängern abgrenzt. Mit den eher als Freibeuter bzw. Piraten auf Söldnerba- sis agierenden Bukanieren geht nämlich auch eine zunehmende Loslösung der karibischen Seeräuberei von der europäischen Politik und deren Einflüssen einher, weshalb der Aufstieg der Bukaniere (und Flibustiers) den Endpunkt des in dieser Arbeit behandelten Zeitraumes bildet.

Bereits mit der Entdeckung der Neuen Welt entwickelte sich der Seeraub durch Privatperso- nen zu einem globalen Phänomen, wie auch der Historiker Michael Kempe betont, der sich mit den (völker-)rechtlichen Aspekten der Piraterie und Freibeuterei im Kontext internationa- ler Beziehungen in der Frühen Neuzeit auseinandersetzt:

Beginning in the sixteenth century, the high seas became a locus for international encoun- ter and conflict to an unprecedented degree. This was a direct result of the opening of the world’s oceans, the spread of maritime trade, and the seaborne colonial expansion of Eu- ropean states. Sea robbery, as old as maritime trade itself, developed into a global phe- nomenon, contributing not only to the transfer of inner-European conflicts around the world but also to the universalizing of European ideas of international law.16

15 Vgl. Childs, David (2014): Pirate Nation. Elizabeth I and her Royal Sea Rovers. Barnsley: Seaforth Publi- shing, S. 2. 16 Kempe 2010b, 354. S e i t e | 7 Die Geschichte der Seeräuberei in der Karibik der Frühen Neuzeit ist daher als eine Geschich- te der Wechselwirkungen zwischen Europäischer Expansion, Kolonialismus, europäischer Politik und der Geschichte der Karibik zu verstehen. Durch die besondere Lage am Rande der im 16. Jahrhundert bekannten Welt, weit entfernt von den europäischen Mutterländern, mani- festierten sich die internationalen Beziehungen in der Karibik auf besondere Weise. Zum ei- nen trafen hier verschiedene europäische Zivilisationen aufeinander ebenso wie auf lokale, indigene Bevölkerungsgruppen, zum anderen war der karibische Raum Schauplatz inoffiziel- ler Stellvertreterkriege europäischer Nationen, die durch die Distanz zum europäischen Kon- tinent aber auch eine Eigendynamik entwickelten und sich damit zunehmend von den europä- ischen Großmächten loslösten.

Um der internationalen sowie der globalen Dimension der europäischen Einflüsse auf das frühneuzeitliche Piraterie- und Freibeutereigeschehen in der Karibik gerecht zu werden, ver- langt das Thema dieser Arbeit daher eine globalgeschichtliche Betrachtung, wie sie nicht nur in den Geschichts- und Kulturwissenschaften der letzten Jahre zunehmend Beachtung erfah- ren hat. Dabei orientiere ich mich an den von Jürgen Elvert im Prolog seiner ‚Maritimen Ge- schichte der Neuzeit‘ ausformulierten Grundsätzen,17 die sich aufgrund der Überschneidungen mit der Geschichte der Seeräuberei in der Karibik der Frühen Neuzeit direkt auf das Thema dieser Arbeit übertragen lassen. Im Fokus stehen dabei allen voran die politischen Verflech- tungen jener Nationen, die hier als Hauptakteure auftreten, sowie Rückwirkungen der privaten Seebeutenahme auf deren Handlungsspielräume und Beziehungen. Als zusätzliche Prämisse erfordert das Thema der Arbeit aber auch einen Blick auf die rechtlichen Aspekte des Phäno- mens der von politischen Souveränen Europas beeinflussten karibischen Seebeutenahme, wenngleich sowohl internationales Recht als auch Völkerrecht noch im Entstehen waren und nicht zuletzt durch Piraterie-Bekämpfungsmaßnahmen vorangetrieben wurden. Trotz der Notwendigkeit einer kritischen Betrachtung juristischer Definitionen der unterschiedlichen Varianten privater Seebeutenahme, auf die in Kapitel 2 näher eingegangen wird, bilden diese dennoch einen soliden Ausgangspunkt für die Unterscheidung zwischen den in verschiedenen Seeraubgenerationen auftretenden Formen der Piraterie und Freibeuterei. Zudem bestimmen rechtliche Bestimmungen in Form von Verträgen, Vereinbarungen, Gewohnheitsrechten etc. auch die zwischenstaatlichen Handlungsspielräume der europäischen Mächte mit.

17 Vgl. Elvert, Jürgen (2018): Europa, das Meer und die Welt. Eine maritime Geschichte der Neuzeit. München: Deutsche Verlags-Anstalt, S. 7-13. S e i t e | 8 Das Forschungsfeld der Seeräuberei18, insbesondere zu den in dieser Arbeit im Fokus stehen- den Generationen privater Seebeutenehmer im Raum der Karibischen Inseln, ist stets auch von unzähligen populärwissenschaftlichen Werken ebenso wie von literarischen und filmi- schen Darstellungen geprägt, welche die Vorstellung der Lebenswelten von Piraten und Frei- beutern sowie des Meeres als rechtsfreien Raumes und damit auch die historische Forschung beeinflussen. Es existieren unzählige überblicksartige Piratengeschichten, die – auf einer mehr oder weniger wissenschaftlichen Basis und unterschiedlich weit in die Tiefe gehend – darauf abzielen, ihre LeserInnen mit Geschichten über kühne Abenteurer in einer freien Ge- sellschaft in den Bann zu ziehen und deren Hauptfiguren zu heroisieren. Dies trifft sowohl auf die zeitgenössischen Piratentagebücher19 als auch auf einen Teil der aktuellen Literatur über Piraten und Freibeuter zu. Damit ist selbst eine der zentralen Quellen für die Seeräuberei in der Karibik des 16. und 17. Jahrhunderts – nämlich die sogenannten ‚Piratentagebücher‘ – mit besonderer Vorsicht zu genießen, da sich neben der Färbung durch nationale Interessen der Faktor der literarischen Stilisierung kaum zuverlässig bemessen oder herausnehmen lässt. Dass die Geschichtsforschung auch auf solche Quellen zurückgreifen muss, liegt im Phäno- men des Seeraubs selbst begründet, sind illegale und inoffizielle Aktivitäten logischerweise nicht oder nur in sehr geringem Ausmaß in offiziellen Dokumenten und Aufzeichnungen be- legt. In der Forschungsgeschichte wurden Piratentagebücher aber nicht immer (ausreichend) kritisch betrachtet. So fordern Schweikart/Burg in den 1980ern mit einem Blick auf die bishe- rige Forschung die Loslösung von den auf die Zufriedenstellung des Leserpublikums durch reißerische Geschichten ausgerichteten Darstellungen sowie eine kritische Verwendung der beliebten Piratentagebücher als Quelle.20 Sie stellen fest: „It was not until the beginning of the twentieth century that serious scholarship on buccaneering and piracy began.”21

1911 veröffentlichte die amerikanische Historikerin Violet Barbour, deren Forschungsfeld sich der englischen und europäischen Geschichte widmete, im American Historical Review einen Aufsatz über die Piraterie in der Karibik im 16. und 17. Jahrhundert, der eine Wende in dieser Problematik darstellte.22 Als eine der ersten warf sie einen kritischen Blick auf die Dar-

18 Aufgrund der sprachlichen Barriere wird in dieser Arbeit hauptsächlich die englischsprachige Literatur be- rücksichtigt. Trotz der verfolgten globalgeschichtlichen Betrachtung hat dies zweifelsohne Einflüsse auf die fol- genden Darstellungen, die nicht außer Acht gelassen werden sollen. 19 Darunter werden die tagebuchartigen Aufzeichnungen der selbst als Piraten tätigen Autoren zusammengefasst, die mehr oder weniger literarisch stilisiert wurden. 20 Schweikart, Larry/Burg, B. R. (1984): Stand By To Repel Historians. Modern Scholarship and Caribbean Pirates, 1650-1725. In: The Historian. Jg. 46, H 2, S. 220ff. 21 Ebda., 220. 22 Vgl. Barbour, Violet (1911): Privateers and Pirates of the West Indies. In: American Historical Review. Jg 16, S. 529-566. S e i t e | 9 stellungen des berühmten Piratentagebuchs des Bukaniers Alexander O. Exquemelins23 sowie der Werke seiner – im weitesten Sinne – Zeitgenossen und setzte Piraterie, Freibeuterei sowie deren Bekämpfung in einen ökonomischen, politischen und rechtlichen Kontext. Ab den 1920ern bis in die 1980er entstand eine Vielzahl an Publikationen zur Piraterie, den Bukanie- ren in der Karibik sowie umfangreiche Biografien berüchtigter Seeräuber, allen voran .24 Eine 1972 erschienene Bibliografie des National Maritime Museums in Greenwich umfasst ganze 585 Einträge zum Thema Piraterie und Freibeuterei.25 Quantitative Studien zur auf Kaperbriefen – und in geringerem Ausmaß auch auf Repressalienbriefen – basierenden Freibeuterei, meist aus ökonomischer Perspektive, zeigen auf, welche zentrale Rolle diese für militärische Seeaktivitäten in der Frühen Neuzeit spielte.26

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts erfuhr die geschichtswissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema Piraterie mit der Häufung von Angriffen durch Piraten auf internationalen Schiff- fahrtsrouten vor der Küste Somalias und im Indischen Ozean einen erneuten Aufschwung. Zuvor war das Forschungsfeld weitgehend als durchaus interessanter, aber wenig relevanter Untersuchungsgegenstand an den Rand der Geschichtswissenschaften gedrängt worden.27 Das ‚Wiederaufleben‘ der Piraterie zwischen 2000 und 2011 sorgte nicht nur für die notwendige Aktualität, sondern lenkte den Fokus vieler wissenschaftlicher Arbeiten auf die rechtliche Dimension von Piratenaktivitäten und deren Bekämpfung in Gegenwart und Vergangenheit. Da die vom bis heute andauernden Somalischen Bürgerkrieg gebeutelte Übergangsregierung nicht über ausreichend Mittel zur Bekämpfung der somalischen Piraten verfügten, wurden die Marinekräfte anderer Staaten in die Gegenmaßnahmen einbezogen. Dieser neue Fokus auf dem internationalen Recht rückte auch die verschiedenen Ausformungen privater Seebeute- nahme in der Karibik der Frühen Neuzeit wieder in den Vordergrund, handelte es sich dabei doch um eine entscheidende Phase für die Ausweitung des europäischen ius gentium und die Ausbildung des internationalen Rechts. Seitdem finden sich auch immer häufiger globalge- schichtliche Betrachtungen mit unterschiedlichen Schwerpunkten, wie Politik bei Anne Pérotin-Dumon28 oder ökonomische Aspekte beim Wirtschaftshistoriker Peter T. Leeson29.

23 Vgl. Exquemelin, Alexandre O. (2011): The Pirates of or The Buccaneers of Americas. A True Ac- count of the Famous Adventures and Daring Deeds of Sir Henry Morgen and other Notorious Freebooters of the . Hrsg. von Armin Fischer. Norderstedt: Books on Demand. 24 Schweikart/Burg 1984, 224ff. 25 Starkey, David J. (2011): Voluntaries and Sea Robbers. A review of the academic literature on privateering, corsairing, buccaneering and piracy. In: The Mariner’s Mirror. Jg. 97, H 1, S. 127f. 26 Ebda., 134. 27 Kempe 2010b, 354. 28 Vgl. Pérotin-Dumon, Anne (2010): The Pirate and the Emperor. Power and the Law on the Seas 1450-1850. Cambridge: Cambridge University Press. 29 Vgl. Leeson, Peter T. (2007): An-arrgh-chy. The Law and Economics of Pirate Organization. In: Journal of Political Economy. Jg. 115, H 6, S. 1049-1094. S e i t e | 10 Michael Kempe untersucht in seinen Publikationen – allen voran in seiner 2010 erschienenen Habilitationsschrift30 – die Entwicklung des Völkerrechts und eines internationalen Rechts- raumes im Kontext der europäischen Expansion aus einer globalgeschichtlichen Perspektive.

Nichtsdestotrotz werden Piraterie und Freibeuterei nach wie vor in großen Teilen der Literatur von einer nationalen Perspektive unter Verwendung ebenso durch Nationalgeschichten ge- prägter Quellen dargestellt. Insbesondere zu den französischen Korsaren in der Karibik im 16. und 17. Jahrhundert existieren hingegen kaum Publikationen. Der amerikanische Historiker Phillip P. Boucher, der seine Forschungen der frühneuzeitlichen Kolonialgeschichte und dem karibischen Raum widmet, sieht vor allem den Fokus der Geschichtswissenschaften auf der französischen Kolonialgeschichte des 18. Jahrhunderts und der Revolution in als Grund dafür, dass die Geschichte der französischen Piraten und Freibeuter in der Karibik des 16. und 17. Jahrhunderts bisher nur unzureichend untersucht wurde.31 Je nach Quellenbestand ergibt sich in der Fachliteratur so ein monochromes Bild von Piraten und Freibeutern der Frühen Neuzeit, in dem diese häufig entweder – basierend auf spanischen Quellen – als Kriminelle oder – unter Priorisierung englischer Darstellungen – als Nationalhelden dargestellt werden.32 Einer solch einseitigen und national gefärbten Betrachtungsweise der Piraterie und Freibeute- rei soll in dieser Arbeit entgegengewirkt werden, handelt es sich dabei doch um zwei komple- xe Phänomene, bei denen nationale Grenzen ebenso wie die Grenzen der Legalität seit jeher eine untergeordnete Rolle spielten. Die Analyse der europäischen Einflüsse auf die Seeräube- rei in der Karibik erfordert zudem einen Blick auf politische, ökonomische, juristische und soziale Faktoren, weshalb hier ein interdisziplinärer Ansatz notwendig ist.

Die europäischen Einflüsse auf die Seeräuberei in der Karibik des 16. und 17. Jahrhunderts manifestieren sich in unterschiedlichen Formen der privaten Seebeutenahme, deren – prakti- sche mehr noch als theoretische – Abgrenzung voneinander seit Generationen eine Herausfor- derung für die wissenschaftliche Beschäftigung mit diesem Forschungsfeld darstellt. Dies hängt in erster Linie mit drei Problemen zusammen: (1) Bereits in zeitgenössischen Darstel- lungen wurden Begriffe wie ‚Pirat‘, ‚Korsar‘, ‚Bukanier‘ oder ‚Flibustier‘ kaum einheitlich verwendet, was nicht selten auf Übersetzungsproblematiken zurückzuführen ist. Für die Be- zeichnung ‚Pirat‘ gab es beispielsweise zu dieser Zeit keine verbindliche Definition, der Be-

30 Vgl. Kempe 2010a. 31 Vgl. Boucher, Philip P. (2008): France and the American Tropics to 1700. Tropics of Discontent? Baltimore: John Hopkins University Press. 32 Pfister, Eugen (2012): “Imaginez des tigres qui auraient un peu de raison: voilà ce qu’étaient les flibustiers”. Von Bukanieren, Flibustiers und Piraten (1602-1726). In: Schrecken der Händler und Herrscher. Piratengemein- schaften in der Geschichte. Hrsg. von Andreas Obenaus, Eugen Pfister und Birgit Tremml. Wien: Mandelbaum Verlag (= Expansion – Interaktion – Akkulturation. Globalhistorische Skizzen), S. 186. S e i t e | 11 griff des Privateers (dt.: ‚Freibeuter‘) kam überhaupt erst Mitte des 17. Jahrhunderts auf, wenngleich die im Englisch-Spanischen Krieg 1585-1604 unter englischer Krone segelnden privaten Seebeutenehmer in der modernen Literatur meist als solche bezeichnet werden. (2) Die Unterscheidung zwischen zwei zentralen Kategorien der privaten Seebeutenahme, nämlich ‚gerechtfertigter‘ Seebeutenahme und ‚illegalem‘ Seeraub, hing maßgeblich von der jeweiligen Perspektive ab. Zudem spiegelten Vereinbarungen, Proklamationen und die von den europäischen Mächten zur Legitimation genutzten Dokumente (Kaperbriefe, Marke- und Repressalienbriefe) kaum deren Bedeutung in der Praxis wider. (3) Der Blick aus der Gegen- wart birgt stets die Gefahr von Anachronismen.33 So werden in der Geschichte der Seeräube- rei der Frühen Neuzeit häufig moderne Konzepte, wie jene des Staates oder des internationa- len Rechts und Völkerrechts, angewandt, welche nicht der historischen Realität entsprechen.

Aus diesem Grund wird dem genaueren Blick auf die einzelnen Generationen der Seeräuberei in der Karibik der Frühen Neuzeit und deren Verbindungen zu politischen, ökonomischen und weiteren Interessen der europäischen Mächte (Kapitel 3 und 4) eine kritische Betrachtung der politisch-rechtlichen Aspekte privater Seebeutenahme des 16. und 17. Jahrhunderts vorange- stellt (Kapitel 2.1). Um den historischen Kontext zu beschreiben, der die Existenz von Piraten und Freibeutern in diesem zeitlichen sowie räumlichen Umfeld überhaupt erst ermöglichte und begünstigte, wird zudem auch auf die Funktionen privater Seebeutenahme für die (nord-)- westeuropäischen Mächte eingegangen und zentrale Begriffe der Geschichte der Seeräuberei in der Karibik erläutert (Kapitel 2.2). Dadurch soll eine Sensibilisierung für die Diskrepanzen zwischen zeitgenössischer und moderner Rhetorik und historischer Realität bzw. Praxis er- reicht werden, welche sich durch den gesamten in dieser Arbeit betrachteten Zeitraum ziehen.

Die Erkenntnisse daraus werden in den darauffolgenden beiden Kapiteln schließlich an den einzelnen ‚Generationen‘ privater Seebeutenehmer geprüft, wodurch nochmal eine Brücke zwischen Theorie und (historischer) Wirklichkeit geschlagen wird. Die Phasen der Seeräube- rei im karibischen Raum werden dabei in zwei chronologisch geordnete Abschnitte eingeteilt, deren Zäsur die dauerhafte Ansiedlung der Hauptakteure privater Seebeutenahme auf den Westindischen Inseln ab den 1620ern bildet. Der Handlungsraum der französischen Korsaren (Kapitel 3.1) sowie der englischen Piraten und Freibeuter des Elisabethinischen Zeitalters (Kapitel 3.2) erstreckt sich dabei vom europäischen Atlantik bis an die Pazifikküsten Süd- und Zentralamerikas, verlagert sich aber immer weiter in Richtung der Karibischen Inseln. Diese seeräuberischen Aktivitäten zwangen die Spanier unter anderem zur Befestigung ihrer

33 Rodger, Nicholas M. (2014): The Law and Language of Private Naval Warfare. In: The Mariner’s Mirror. Jg. 100, H 1, S. 5f. S e i t e | 12 wichtigsten Häfen in der Neuen Welt ebenso wie in Europa sowie zur Einführung eines Flot- tensystems zur Sicherung ihrer Handelsschiffe, wodurch mehrere ihrer Siedlungen im karibi- schen Raum aufgegeben werden mussten, die nun geeignete Stützpunkte für die anderen eu- ropäischen Mächte boten (Kapitel 4.1). Durch die neue, feste Basis in der Neuen Welt wurde die Karibik immer mehr zum Schauplatz von europäischen Stellvertreterkriegen34, in deren Umfeld sich Gemeinschaften von Piraten und Freibeutern unterschiedlicher Herkünfte her- ausbildeten. Als Hochburg der sogenannten Bukaniere und Flibustiers diente dabei die kleine Insel Tortuga vor der Nord-Westküste Hispaniolas, deren Aufblühen ab 1640 auch den Auf- stieg der Bukaniere als private Seebeutefahrer markiert.

2 ZWISCHEN RECHT UND RHETORIK: MANIFESTATIONEN PRIVATER SEEBEUTENAHME IN DER KARIBIK DES 16. UND 17. JAHRHUNDERTS

Der Begriff des ‚Piraten‘ und ‚Seeräubers‘ wird sowohl in der gesellschaftlichen Wahrneh- mung als auch in der Fachliteratur unmittelbar mit der Vorstellung von Illegalität assoziiert – sei es mit der positiven Konnotation von Freiheit in heroisierenden Darstellungen oder in Ge- stalt von gesetzlosen Feinden der Menschheit. Dies hängt maßgeblich mit der primär in popu- lärwissenschaftlichen und literarischen Werken, aber auch in einigen wissenschaftlichen Dar- stellungen bis heute verbreiteten Annahme zusammen, das Meer hätte vor der Entstehung internationaler Rechte eben solchen seefahrenden Banditen als rechtsfreier Raum gedient.35 Tatsächlich stellt die Frage nach dem auf Hoher See geltenden Recht in der Frühen Neuzeit aber eine Herausforderung dar, die auch Einfluss auf die Zuordnung von Seefahrern zu be- stimmten Kategorien der Seeräuberei sowie auf die Abgrenzung zwischen Piratentum, Frei- beuterei und weiteren Formen im karibischen Raum des 16. und 17. Jahrhunderts besonders verbreiteter, von europäischen Herrschenden strategisch genutzter privater Seebeutenahme hat. In keinem anderen Zeitalter der Pirateriegeschichte verschwimmen die Grenzen zwischen ‚legaler‘ Seebeutenahme und ‚illegalem‘ Seeraub nämlich so sehr wie in der Karibik des 16. und 17. Jahrhunderts, was durch Wortschöpfungen in der Fachliteratur wie dem vom briti- schen Politikwissenschaftler David Childs geprägten Begriff des Pirateerings36, der auf die

34 Der Beginn dieser Entwicklung kann bereits im 16. Jahrhundert angesetzt werden; insbesondere der Englisch- Spanische Krieg 1585-1604 wurde in entscheidendem Ausmaß von privaten Seebeutenehmern im karibischen Raum geführt. 35 Vgl. Rodger 2014, 7; Kempe 2010a, 38. 36 Vgl. Childs 2014, 10. S e i t e | 13 besondere Charakteristik der ab 1585 von europäischen Souveränen geförderten Seeraubakti- vitäten zwischen Piraterie und Freibeuterei hinweisen soll, deutlich wird.

Wie die Praxis der Ausstellung von Marke- und Repressalienbriefen und damit verschiedene Varianten von Legitimierungsversuchen seeräuberischer Aktivitäten durch nationale Autoritä- ten belegen, wurden

Gewaltanwendung und Beutenahme […] auch in den im 16. Jahrhundert neu erschlosse- nen Meeresräumen nicht aus sich selbst heraus gerechtfertigt. Statt auf ein Recht des Stärkeren berief man sich auf Hoheitsansprüche, geltende Verträge oder Gewohnheits- rechte.37

Um die Interessen und Handlungsspielräume der Herrschenden ebenso wie der Seefahrer, welche gezielt Schiffe und Besitzungen anderer Nationen überfielen, besser verstehen zu können, muss daher berücksichtigt werden, welches Recht auf diese privaten Seebeutenehmer bzw. Seeräuber – in Theorie und Praxis – angewandt wurde. Eine wichtige Grundlage hierfür stellt der Vertrag von Tordesillas aus dem Jahr 1494 dar, da sich die kastilische und später die spanische Krone38 bei ihren Ansprüchen in der Neuen Welt und ihrem Handelsmonopol auf diese mit dem Königreich Portugal getroffene Vereinbarung beriefen. Erst ab Mitte des 17. Jahrhunderts – unter anderem 1630 im Madrider Abkommen sowie 1670 im Londoner Frie- densvertrag mit der englischen Krone und 1684 im Vertrag von Regensburg mit dem König- reich Frankreich – machten die Spanier erste vertragliche Zugeständnisse an andere europäi- sche Nationen, die auch die Gebiete in der Neuen Welt einschlossen.

Der alleinige Blick auf juristische Abgrenzungsversuche zwischen ‚legaler‘ Seebeutenahme und ‚illegaler‘ Seeräuberei ist dennoch nicht hinreichend für die Zuordnung und adäquate Beschreibung des Kompendiums an in der Frühen Neuzeit von (nord-)westeuropäischen Na- tionen im karibischen Raum und in der Neuen Welt im Allgemeinen eingesetzten Seebeute- nehmern. Die Einflüsse der Politik dieser europäischen Nationen auf die Seeräuberei in der Karibik manifestieren sich nämlich im 16. und 17. Jahrhundert primär in Form verschiedener Legitimierungsversuche, welche – auf direkte oder indirekte Weise – durch die Krone geför- derte Gewaltanwendungen privater Seefahrer unter einen Deckmantel der Legalität und Rechtfertigung zu hüllen versuchten. Um sich nicht in einer rein theoretisch-rhetorischen Be- griffsdiskussion hinsichtlich der Erscheinungsformen seeräuberischer Aktivitäten zu verlie- ren, muss der Fokus daher stets zugleich auf dem tatsächlichen Umgang mit Piraterie und

37 Kempe 2010a, 29. 38 Als erster König von Spanien herrschte Karl V. ab 1516 über die Personalunion der Königreiche Kastilien, León und Aragón. S e i t e | 14 Freibeuterei sowie auf den politischen Funktionen liegen, welche private Seebeutenehmer für die sie einsetzenden Herrschenden zu bestimmten Zeiten erfüllten.

2.1 No Peace beyond the Line – Das Meer als rechtsfreier Raum?

Am 12. Oktober 1492 erreichte der aus Genua stammende Seefahrer Cristobál Colón die laut seinem Bordbuch von den Einheimischen als Guanahani bezeichnete und von Kolumbus spä- ter San Salvador (dt.: ‚Heiliger Erlöser‘) genannte Insel im nordöstlichen Archipel der Baha- mas.39 Damit waren Kolumbus und die Besatzung seiner aus nur drei kleinen Karavellen – der Niña, der Pinta und ihrem Flaggschiff, der Santa María – bestehenden Flotte die ersten Euro- päer, die das amerikanische Festland südlich Neufundlands über den Atlantik erreichten. Ko- lumbus‘ eigentliches Ziel war es gewesen, eine über den Westen führende Seeroute nach In- dien zu finden. Dadurch sollte über den Atlantik ein kürzerer als der bisher über die afrikani- sche Küste und um das Kap der Guten Hoffnung führende Seehandelsweg für die im Europa der Frühen Neuzeit begehrten Luxusgüter aus Asien, wie Gewürze und Seide, erschlossen werden.40 Als Gönner für seine Expedition hatte Kolumbus nach mehreren erfolglosen Ver- handlungsversuchen – unter anderem mit dem portugiesischen König João II. – das Katholi- sche Königspaar Isabella I. von Kastilien und Ferdinand II. von Aragón für sich gewinnen können. Nachdem sich die kastilische Krone mit dem Vertrag von Alcáçovas aus dem Jahr 147941 verpflichtet hatte, die Hoheitsrechte Portugals über die südlich der Kanarischen Inseln gelegenen maritimen Gebiete anzuerkennen, stellte die Seeroute über den westlichen Atlantik eine geeignete Möglichkeit zur Umgehung dieser Bestimmungen dar.

Nach mehreren Zwischenstopps auf den kleineren Karibikinseln sowie auf der größeren Insel Colba (Kuba), auf denen sich Kolumbus jeweils seine in den Capitulationes de Santa Fe von der kastilischen Krone gewährten Rechte42 sicherte, gelangte er schließlich im Dezember

39 Bis heute rühmen sich mehrere Inseln im karibischen Raum damit, dass es sich bei ihnen um diesen berüchtig- ten Ort handle; auch die Forschung ist sich nicht darüber einig, wo genau der erste Anlaufpunkt Christoph Ko- lumbus‘ in der Neuen Welt lag. Edelmayer 2012, 168. 40 Der Handelsweg über die Festlandroute beinhaltete mehrere am Handel mitverdienende Zwischenhändler, weshalb die großen seefahrenden Nationen gegen Ende des 15. Jahrhunderts und danach nach direkten Zugängen zu diesen Luxusgütern suchten, sobald die Technik für die Hochseeschifffahrt entsprechend fortgeschritten und damit die Grundlage für den Fernreisehandel gelegt worden war. 41 Als Vertrag von Alcáçovas wurden mehrere zwischen dem portugiesischen König Alfons V. und Prinz Johann und der kastilischen Königin Isabella zur Beendigung des Kastilischen Erbfolgekrieges sowie Verbesserung der Beziehungen zwischen den Königreichen Portugal und Kastilien ausgehandelte Verträge anerkannt. Die Quelle in spanischer Originalfassung sowie in englischer Übersetzung mit Informationen zum historischen Kontext finden sich bei Davenport, Frances Gardiner (1917): European treaties bearing on the history of the United States and its dependencies to 1648. Washington DC: Carnegie Institution (= Carnegie Institution of Washington 254), S. 33-48. 42 Die am 17. April 1492 beschlossenen Capitulationes de Santa Fe waren das Ergebnis der erneuten Verhand- lungen von Kolumbus mit Isabella I. von Kastilien und Ferdinand II. von Aragón. Darin wurde Kolumbus auf S e i t e | 15 1492 auf der Suche nach Gold und anderen Schätzen zur südöstlich des heutigen Kubas gele- genen, zweitgrößten Insel der Westindischen Inseln sowie der Großen Antillen und nannte diese La Isla Española – die spanische Insel.43 Bis heute ist die zwischen den Staaten Haiti und Dominikanische Republik aufgeteilte Insel unter dem anglisierten Namen bekannt, während der Kolonialzeit wurde sie indessen in erster Linie – nach der 1496 gegrün- deten Hauptstadt – Santo Domingo genannt.44 Neben den nord-westlichen Regionen Hispani- olas diente vor allem die vor der Nordküste gelegene, weniger als 40 Kilometer lange und nur rund 7 Kilometer breite Île de la Tortue den Bukanieren schon ab dem zweiten Drittel des 17. Jahrhunderts aufgrund ihrer natürlichen Gegebenheiten als Stützpunkt – auch für ihre seeräu- berischen Tätigkeiten. Nachdem die Santa María am 24. Dezember 1492 vor der Isla Españo- la auf ein Riff auflief und Leck schlug, nutzte Kolumbus die mithilfe der Einheimischen ge- borgenen Vorräte aus dem Schiff sowie dessen Holz, um an dieser Stelle ein Fort zu errichten, das er mit dem Namen Villa de la Navidad bedachte. Allein schon aufgrund der nun fehlen- den Kapazitäten der Santa María, aber vermutlich auch als Zeichen für die Absicht der spani- schen Landnahme in der Neuen Welt sowie zur weiteren Erkundung, wurden 39 Männer bis zur in einem Jahr geplanten Rückkehr am Vorposten zurückgelassen als Kolumbus am 16. Januar 1493 Segeln zurück nach Europa setzte.45

Am 4. März 1993 liefen die beiden Schiffe Niña und Pinta nach einer stürmischen Fahrt über den Atlantik im Hafen von Lissabon ein, wo Kolumbus vor der Weiterfahrt zum Ausgangsha- fen seines Unternehmens nicht nur die notwendigen Reparaturen durchführen lassen musste, sondern auch den portugiesischen König João II. über seine Entdeckungen informierte. Weni- ger als zwei Wochen danach konnte die kleine Flotte im Hafen von Palos empfangen wer- den.46 Obwohl es Kolumbus nicht gelungen war, den erhofften Seeweg nach Indien über den Westen zu finden, und auch die materiellen Erträge in Form von Reichtümern an Gold und Gewürzen weit hinter den Erwartungen der kastilischen Krone zurückblieben, brachte er Pa- pageien, Waffen, Werkzeuge, Kunstgegenstände, Goldschmuck sowie sieben Taíno – die ers- ten Einheimischen, auf die er bei seiner Ankunft in der Karibik gestoßen war – als Zeichen des Erfolges seiner Entdeckungsreise mit nach Europa.47

jeder zukünftig von ihm entdeckten Insel mit den Rechten eines Admirals ausgestattet und trat dort zudem als Vizekönig auf. 43 Elvert 2018, 90. 44 Vgl. Stichwort ‘Hispaniola’. In: Encyclopædia Britannica. URL: https://www.britannica.com/place/Hispaniola [20.07.2021]; Bernecker, Walther L. (1996): Kleine Geschichte Haitis. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 14. 45 Elvert 2018, 93f. 46 Ebda. 47 Ebda., 94. Bohn, Robert (2011): Geschichte der Seefahrt. München: C. H. Beck (= C.H. Beck Wissen), S. 49. S e i t e | 16 Nur zwei Monate nach der Rückkehr des Christoph Kolumbus legte der aus Valencia stam- mende Papst Alexander VI. auf Veranlassung Ferdinands II. von Aragón und seiner Ehefrau Isabella I. von Kastilien in den als Inter Caeterae bekannten päpstlichen Bullen die Tren- nungslinie fest, welche sämtliche im Westen der rund 480 Kilometer (100 Leguas) westlich der Azoren und der Kapverdischen Inseln gezogene Nord-Süd-Linie liegenden Ländereien der kastilischen Krone und deren Nachfolgern zusprach. Dies beinhaltete nicht nur die von Ko- lumbus bereits angefahrenen und damit beanspruchten Inseln, sondern auch die noch zu ent- deckenden Gebiete.48 Damit wollten sich die Katholischen Könige möglichst schnell ihre An- sprüche auf die Länder der Neuen Welt und insbesondere den Handel mit ihnen sichern. Der portugiesische König João II. hatte nämlich unverzüglich nach Kolumbus‘ Ankunft in Lissa- bon einen Botschafter an den Hof von Königin Isabella I. und Ferdinand II. geschickt, um die Abtretung der in ihrem Namen entdeckten Gebiete unter Berufung auf den Vertrag von Al- cáçovas zu fordern. Das Königspaar konnte sich indessen auf dieselbe Vereinbarung berufen, da die von ihnen beanspruchte Neue Welt jenseits der portugiesischen Einflusssphäre lag und man ihnen kein Eindringen in die portugiesische Interessenssphäre nachweisen konnte.

Auf Protest des portugiesischen Königs João II. wurde die Trennlinie im Vertrag von Tordes- illas vom 7. Juni 1494 (siehe Anhang 1) weiter nach Westen – bis rund 1770 Kilometer west- lich der Kapverden – verschoben, womit die Neue Welt im Atlantik zwischen Portugal und Kastilien aufgeteilt worden war (siehe Abb. 1).49 Den kastilischen Herrschern wurde zudem ein Handelsmonopol zugesprochen, das selbst den anderen spanischen Königreichen auf der Iberischen Halbinsel den Handel mit den neuen amerikanischen Kolonien ausschließlich mit Genehmigung der kastilischen Krone erlaubte.50 Im Jahr 1529 wurde eine weitere Vereinba- rung zwischen den Königreichen Spanien und Portugal geschlossen, welche die westliche Demarkationslinie im Atlantik durch eine zusätzliche Abgrenzung der Einflusssphären im Osten ergänzte. Im Vertrag von Saragossa wurde die im heutigen Indonesien zwischen Neu- guinea und Sulawesi gelegene Inselgruppe der Molukken gegen die einmalige Zahlung von

48 Vgl. Edelmayer 2012, 168f.; Bohn 2011, 48f.; Eine detailliertere Zusammenfassung der Inhalte dieser Bullen, die u.a. auch einen Missionierungsauftrag enthielten, sowie den Quellentext samt englischer Übersetzung bietet Davenport 1917, 56-63. 49 Edelmayer 2012, 168f.; Bohn 2011, 48f. Trotz der im Vertrag festgelegten Position der Demarkationslinie stellte die tatsächliche Lokalisierung in der Frühen Neuzeit ein (technisches) Problem dar, das zu Uneinigkeiten zwischen der kastilischen/spanischen und portugiesischen Krone führte. Je nach den aktuell verfolgten Interessen wurden so beispielsweise verschiedene Orte der Kapverdischen Inseln als Ausgangspunkt für die Ausmessung der Demarkationslinie herangezogen. Davenport 1917, 85. Mit der Problematik der territorialen Abgrenzung der Meere in der Neuzeit – und der Rolle der Piraterie in die- sem Zusammenhang – beschäftigt sich Laura Benton in ihrem Aufsatz Legal Spaces of Empire. Piracy and the Origins of Ocean Regionalism. Vgl. Benton, Lauren (2005): Legal Spaces of Empire. Piracy and the Origins of Ocean Regionalism. In: Comparative Studies in Society and History. Jg. 47, H 4, S.700-724. 50 Davenport 1917, 56. S e i t e | 17 350.000 Golddukaten durch die Spanier an die portugiesische Einflusssphäre übertragen und eine zweite Trennlinie auf dem 142. östlichen Längengrad festgelegt.

Abbildung 1: Die als Cantino-Planisphäre bekannte Weltkarte des italienischen Diplomaten Alberto Cantino aus dem Jahr 1502. Auf ihr wurde bereits die Demarkationslinie nach dem Vertrag von Tordesillas vom 7. Juni 1494 eingezeichnet.

Von einer ‚Teilung der Welt‘ wird in unzähligen Titeln über den Vertrag von Tordesillas be- richtet und tatsächlich wurde – spätestens mit dem Vertrag von Saragossa – der Meeresraum abseits der Küstengebiete zumindest aus der Sicht der portugiesischen und der kastilischen bzw. spanischen Krone in zwei Einflusssphären51 aufgeteilt. Noch bis 1630 wurden die Ge- biete im westlichen Atlantik von der kastilischen und später der spanischen Krone von den mit anderen europäischen Nationen vereinbarten (Friedens-)Verträgen ausgeschlossen. Dadurch sollten, mit Ausnahme der vom Hafen Sevillas unter strenger Kontrolle der dortigen Behörden aus segelnden Flotten, keine Schiffe anderer Nationen Ansprüche jenseits der De- markationslinie(n) stellen oder diese Meere auch nur befahren können.52

Wenig verwunderlich sind daher die Reaktionen der an den Verträgen von Tordesillas und Saragossa nicht beteiligten seefahrenden Nationen in Europa, die sich im Laufe des 16. Jahr- hunderts vor allem Mithilfe verschiedener Formen der Seebeutenahme durch Privatpersonen mit offiziellen oder inoffiziellen Genehmigungen – wie beispielsweise im Falle der Famous Voyage des (siehe Kapitel 3.2) – politischer Autoritäten gegen die Bestimmun-

51 Der Begriff der ‚Einflusssphären‘ ist hier bewusst von der Vorstellung souveräner Territorien abzugrenzen, hatten die in der Frühen Neuzeit Anspruch auf weitumfassende maritime Gebiete erhebenden Nationen darin lediglich Kontrolle über schmale Seewege – jene Schifffahrtsrouten, die ihre Siedlungen und Handelsposten miteinander verbanden. Vgl. Benton 2005, 702. 52 Rodger 2014, 8. S e i t e | 18 gen der päpstlichen Bullen und der beiden ‚Teilungsverträge‘ erhoben. Mit der Verbreitung der Reformation ab dem frühen 15. Jahrhundert und der damit einhergehenden Aufspaltung der Kirche in Europa boten die päpstlichen Bullen auch nicht mehr den nötigen Schutz der darin übertragenen Rechte, handelte es sich bei den sich im Laufe des 16. Jahrhunderts gegen die Vorherrschaft der Spanier in der Neuen Welt auflehnenden europäischen Mächten doch in erster Linie um nicht römisch-katholische Nationen.53 Zudem eröffnete Kastiliens bzw. Spa- niens Ausschluss der Neuen Welt aus sämtlichen Verträgen mit anderen europäischen Natio- nen eine gewisse Grauzone für Herrschende und private Seebeutenehmer, die sich in einem Zitat des englischen Seefahrers Walter Raleigh widerspiegelt: „To break peace where there is no peace is impossible.“54

Die Vorstellung der Meere – insbesondere der Ende des 15. Jahrhunderts und im 16. Jahrhun- dert neu erschlossenen Hochseegebiete im Atlantik und Pazifik – als rechtsfreier Raum, in dem einzig das Recht des Stärkeren galt, ist dennoch problematisch und unzutreffend. Zwar wurden die küstenfernen Hochseeregionen und Ozeane im mittelalterlichen Europa als eine Art ‚Grenzmark‘55 verstanden, auf die sich die Bestimmungen und Rechte der Herrschenden nicht erstreckten, gleichzeitig gab es aber – vor ebenso wie in der Frühen Neuzeit – durchaus auch ‚geschlossene‘ Meere, welche diesen gegenüberstanden. So erhob das englische Königs- haus beispielsweise souveräne Ansprüche auf die geographisch nie explizit abgegrenzten English seas – einem zentralen Schauplatz der englischen56 Freibeuter- und Piratenaktivitäten im Elisabethinischen Zeitalter. Ein weiteres Beispiel stellt das Mittelmeer dar, in dem Küsten- städte Wegzölle verlangten und ihre Rechte damit bis in den küstenfernen maritimen Raum ausweiteten.57 Die Kastilier bzw. Spanier wollten die Karibik durch die Bestimmungen der Verträge von Tordesillas und Saragossa sowie durch den Ausschluss der Neuen Welt aus sämtlichen Verträgen mit anderen europäischen Nationen ebenfalls zu einem solchen Mare clausum, einem geschlossenen maritimen Raum, machen. Die anderen seefahrenden Nationen in Europa waren somit zur Suche nach alternativen Wegen gezwungen, um an den Schätzen und vor allem am Handel mit der Neuen Welt teilhaben zu können.58

53 Elvert 2018, 125; Edelmayer 2012, 169. 54 Zit. nach Rodger 2014, 8. 55 Die ebenfalls aus dem Mittelalter stammenden Kaperbriefe beziehen sich auf diesen Status der internationalen Meere als Grenzmarken, was sich in anderen Sprachen jedoch deutlicher widerspiegelt (z.B. engl.: , franz.: lettre de marque). 56 Neben englischen Freibeutern bediente sich Königin Elisabeth I. auch privater Seebeutenehmer anderer Natio- nen. Siehe dazu Kapitel 3.2. 57 Rodger 2014, 7f. 58 Martínez-Fernández 2015, 9; Rodger 2014, 8. S e i t e | 19 Die amerikanische Professorin für Geschichte und Recht Lauren Benton, deren Forschungs- schwerpunkt auf der Geschichte des Atlantiks und des internationalen Rechts liegt, betont in ihrem Aufsatz Legal Spaces of Empire. Piracy and the Origins of Ocean Regionalism59 die Rolle der an einen bestimmten Herrscher gebundenen Schiffe als ‘Träger‘ (engl.: vectors) der Rechte ihres Souveräns in der Frühen Neuzeit. Auf diese Weise wurde das an Land geltende Recht auch über die maritimen Grenzen60 zwischen Europa und den außereuropäischen Ge- bieten hinausgetragen – insbesondere, wenn die Seefahrer als private Seebeutenehmer fun- gierten. Im Atlantik sowie im karibischen Raum trafen somit im 16. und 17. Jahrhundert ver- schiedene Rechtsvorstellungen und -strategien aufeinander, die primär auf politische und ökonomische Interessen europäischer Nationen zurückzuführen sind.61

Die im Umfeld der Gewaltanwendung im maritimen Raum der Neuen Welt in Form von Pira- terie und Freibeuterei diskutierte Abgrenzung zwischen (vermeintlich) legaler und gerechtfer- tigter Seebeutenahme (Freibeuterei) und illegaler Seeräuberei (Piraterie) wurde somit eher von den politischen Verhältnissen und Interessen bestimmt als von Bemühungen um Recht und Gerechtigkeit. Diese enge Verflochtenheit zwischen seeräuberischen Aktivitäten in der Karibik und den politischen Beziehungen der europäischen Mächte tritt in den einzelnen Ge- nerationen privater Seebeutenehmer immer wieder in Erscheinung, wie in den folgenden Ka- piteln noch deutlich wird. So nahm beispielsweise die Zahl französischer Korsaren im westli- chen Atlantik und der Karibik mit dem Ausbruch der Hugenottenkriege ab, während englische Freibeuter und Piraten erst unter der Herrschaft Königin Elisabeths I. parallel zu den wach- senden religiösen, ökonomischen und politischen Konflikten mit Spanien aktiv wurden und ihr Handeln an die jeweilige politische Lage anpassten.

2.2 Hostis Humanis Generis – Die Funktionen privater Seebeutenahme

Während die Spanier und häufig auch die Portugiesen also jeden Eindringling in ihre mariti- me Interessensphäre im Atlantik ungeachtet seiner Taten und Intentionen als Kriminellen –

59 Vgl. Benton 2005. 60 In der Literatur findet sich immer wieder die Beschreibung beyond the line, wobei damit in der Regel nicht auf die in den Verträgen von Tordesillas und Saragossa festgelegten Demarkationslinien Bezug genommen wird, die bereits im 16. Jahrhundert von mehreren europäischen Nationen überschritten wurden und sowohl in der Theorie als auch in der Praxis kaum noch Relevanz hatten. Stattdessen sind damit die – nach den Worten Bentons – „in- tricate, intersecting, and fluid corridors of control that were established through shipping patterns and defended by force” (Benton 2005, 706) gemeint. Sie bildeten eine Grenze, hinter der europäische Seefahrer, Händler und andere Personen auf verschiedene Weisen agieren konnten, wie es in Europa nicht möglich gewesen wäre. Vgl. Martínez-Fernández 2015, 8f.; Benton 2005, 704ff. Damit hängt auch der Begriff der ‚Freundschaftslinien‘ zusammen. Vgl. König, Hans-Joachim (2006): Freund- schaftslinien. In: Enzyklopädie der Neuzeit. Bd. 3: Dynastie–Freundschaftslinien, Sp. 1232-1236. 61 Benton 2005, 706.; Kempe 2010b, 359. Pennell, C.R. (Hrsg.) (2001): Bandits at Sea. A Pirates Reader. New York / : New York University Press, S. 30. S e i t e | 20 nämlich als Piraten – behandelten, beriefen sich deren Souveräne auf die Freiheit des Handels und der Meere62 und sahen das gewaltsame Vorgehen gegen ‚ihre‘ Seefahrer wiederum als Akt der Seeräuberei.63 Tolerierte oder verdeckt geförderte Piraterie sowie an nationale Autori- täten gebundene Formen der privaten Seebeutenahme waren von den seefahrenden Nationen Nord- und Westeuropas ab den 1520ern bis zum Ende des 17. Jahrhunderts verstärkt als Al- ternative zu offenen Konfrontation eingesetzte Mittel, um den Einfluss der aufstrebenden Seemacht Spanien in der Neuen Welt und in Europa zu schwächen. Daran wird nicht nur deutlich, dass es sich bei Piraterievorwürfen um eine vornehmlich ‚den Anderen‘ zugespro- chene und von der jeweiligen Perspektive abhängige Kategorie handelte, sondern auch, dass in der Praxis meist politische und ökonomische Interessen die juristische Rhetorik überlager- ten.

Der Blick auf den legalen Status zur Unterscheidung zwischen seeräuberischen Aktivitäten bzw. Piratentum und unter dem Begriff ‚Freibeuterei‘ zusammengefasster ‚gerechtfertigter‘ oder ‚legaler‘ Seebeutenahme bietet daher zwar – sofern sich dieser auf konkrete Handlungen und nicht kollektiv auf ganze Lebensspannen historischer Personen bezieht – einen legitimen Ausgangspunkt, um eine differenzierbare Basis für den Vergleich verschiedener Phasen des Einflusses europäischer Nationen auf die Seeräuberei bzw. Seebeutenahme im karibischen Raum des 16. und 17. Jahrhunderts zu schaffen. Gleichzeitig birgt der alleinige Fokus auf der Frage nach der Legitimierung und dem Rechtsstatus privater Seebeutenahme aber auch Prob- leme, die der Politikwissenschaftler Brian Mabee in seinem Aufsatz über die politischen und ökonomischen Aspekte privater Gewalt durch Piraten und Freibeuter thematisiert.64 So nimmt die private Seebeutenahme im Umfeld der – im in dieser Arbeit behandelten Zeitraum erst ansatzweise erkennbaren – Entwicklung eines globalen Handels und der europäischen (Natio- nal-)Staaten im Laufe der Neuzeit unterschiedliche Formen an und erfüllt verschiedene Funk- tionen, die sich nicht in der bloßen Differenzierung zwischen legalen und illegalen Manifesta- tionen des Phänomens der privaten Seebeutenahme erschließen. Um die Wechselwirkungen der Seeräuberei im karibischen Raum des 16. und 17. Jahrhunderts und der europäischen Poli- tik (in Europa) in ihrer Komplexität zu erfassen, sind daher zusätzlich die ökonomischen und

62 Der Begriff der ‚Freiheit der Meere‘ suggeriert im gegenwärtigen Verständnis der Gesellschaft einen völker- rechtlichen Charakter, der die Realität der Frühen Neuzeit nicht korrekt abbildet. Im Fokus dieser Forderung standen im 15. Jahrhundert primär ökonomische Interessen zur Schwächung von Handelsmonopolen anderer Nationen, wie Kempe darstellt. Vgl. Kempe 2010a, 95-99. 63 Ebda., 44. 64 Vgl. Mabee, Brian (2009): Pirates, privateers and the political economy of private violence. In: Global Change, Peace and Security. Jg. 21, H 2, S. 139-152. S e i t e | 21 politischen Faktoren zu berücksichtigen, welche das Florieren einzelner Ausformungen priva- ter Seebeutenahme in dieser Zeitspanne ermöglichten.65

Durch die seit der zunehmenden Erschließung von Fernhandelsrouten auf dem Seeweg wach- sende Bedeutung der Marinestärke und der Kontrolle über (Hoch-)Seerouten für die europäi- schen Herrscherhäuser kam Piraten und Freibeutern eine wichtige Rolle in den sich häufenden Seekriegen zu. Sie bildeten als private bzw. kommerziell orientierte Seebeutenehmer eine Ergänzung zu den öffentlichen, ‚staatlichen‘ Militär- und Marinestreitkräften der europäi- schen Souveräne, die nicht nur auf deren Einsatz angewiesen waren, sondern auch die rechtli- chen Voraussetzungen für deren Existenz schufen. Im Gegensatz zu öffentlichen, d.h. militä- rischen Soldaten konnten private Seebeutenehmer jedoch auch außerhalb offener Kriege ein- gesetzt werden.66 Mabee betont zudem die Rolle von Piraten und Freibeutern als Teil des merkantilistischen ökonomischen Systems ebenso wie des Staatenbildungsprozesses. Das zeigt die verstärkte Bekämpfung und Delegitimierung privater Seebeutenahme zum Ende des 17. und im beginnenden 18. Jahrhundert. Durch die Verlagerung von Handelsmonopolen hin zum internationalen Handel, der Entwicklung öffentlicher Schutzmechanismen für Fernhänd- ler und dem Aufkommen der Industrialisierung und des Kapitalismus verloren private See- beutefahrer nämlich ihre Funktion für die (nord-)westeuropäischen Nationen.67

Auch der britische Seefahrts- und Marinehistoriker Nicholas A. M. Rodger betont die zentrale Rolle privater Seebeutenehmer im politischen und ökonomischen System der seefahrenden europäischen Nationen der Frühen Neuzeit und kritisiert romantisierende Vorstellungen von Piraten als freie, unabhängige Händler oder – angelehnt an die umstrittene, aus der Antike stammende Auffassung – Hostis Humanis Generis (dt.: ‚Feinde der Menschheit‘). So spiegle auch die in geschichtswissenschaftlichen Darstellungen verbreitete Gegenüberstellung an- griffslustiger Seebeutenehmer – allen voran Piraten – und vermeintlich gewaltfrei agierender Händler die Realität nicht wider. Tatsächlich handelte es sich auch bei (Fern-)Handelsschiffen um gut bewaffnete Wasserfahrzeuge, denn Angriffe auf konkurrierende Schiffe und Häfen gehörten im Mittelalter und der Frühen Neuzeit noch zum Alltag der Seefahrer.68 Zudem wa- ren Inhaber wichtiger politischer Ämter bis hin zu Monarchen, beispielsweise im Falle Eng- lands während der Regierungszeit Königin Elisabeths I., oftmals selbst als Investoren und Teilhaber an seeräuberischen Expeditionen beteiligt oder verdienten an der Tolerierung von

65 Mabee 2009, 142f. 66 Rodger 2014, 6, 8f. 67 Mabee 2009, 140f. 68 Rodger 2014, 6f. S e i t e | 22 Piratenaktivitäten und der Ausstellung von entsprechenden Freibeuterlizenzen in Form von Marke- oder Repressalienbriefen mit.69

Die Ausformungen der primär von (nord-)westeuropäischen Nationen im 16. und 17. Jahr- hundert im westlichen Atlantik und karibischen Raum genutzten privaten Seebeutenehmer reichen von tolerierter oder verdeckt geförderter Piraterie bis hin zu auf Marke- und Repressa- lienbriefen basierender Freibeuterei. Wie die Grenzen zwischen legaler und illegaler privater Seebeutenahme gehen in der Praxis aber auch die verschiedenen – mehr oder weniger – offi- ziellen Legitimationsdokumente und deren Bedeutungen ineinander über. Die Begriffsprob- lematik zwischen Rhetorik und historischer Realität in der modernen (geschichts-)- wissenschaftlichen Literatur zur Piraterie und Freibeuterei, die nicht zuletzt auch eine Über- setzungsproblematik ist, legt Rodger in seiner 2014 im Mariner’s Mirror erschienenen se- mantischen Untersuchung The Law and Language of Private Naval Warfare70 ausführlich dar. An dieser Stelle werden daher lediglich die für die Untersuchung der europäischen Einflüsse auf die Seeräuberei in der Karibik des 16. und 17. Jahrhunderts notwendigen zentralen Begrif- fe71 erläutert. Diese sind dabei nicht als allgemeingültige Definitionen zu verstehen, sondern bilden lediglich einen Rahmen für die Bewertung der Rolle (nord-)westeuropäischer Nationen für die einzelnen Generationen von Piraten- und Freibeuteraktivitäten im karibischen Raum der Frühen Neuzeit.

Im allgemeinen Sprachgebrauch findet sich die Bezeichnung ‚Piraterie‘ für sämtliche For- men der Gewaltanwendung und Beutenahme gegen andere Schiffe auf See oder gegen Häfen und Küstensiedlungen. Der Begriff schließt in diesem breiten Bedeutungsspektrum daher nicht nur verschiedene Methoden des Seeraubes – von Kaperung bis hin zu Geiselnahme und Erpressung – ein, sondern auch von politischen Souveränen und anderen Autoritäten lizen- sierte Kaperei und Freibeuterei. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Geschichte der Seeräuberei, insbesondere in der Karibik, erfordert jedoch ein differenzierteres Begriffsver- ständnis. In diesem Kontext wird der Begriff ‚Piraterie‘ bzw. die Bezeichnung ‚Pirat‘ für jene privaten Seebeutenehmer verwendet, die ohne offizielle obrigkeitliche Genehmigung andere Schiffe und Häfen überfielen, und dient daher primär der Abgrenzung von der Kaperei und Freibeuterei als Formen der an politische Souveräne gebundenen privaten Seebeutefahrt.

Das Kaperwesen entstammt einer in mittelalterlichen Seekriegen angewandten und als legi- tim anerkannten Praxis, bei der Privatpersonen mit einer obrigkeitlichen Genehmigung, dem

69 Rodger 2014, 9f. 70 Vgl. Rodger 2014. 71 Die Begriffsdiskussion beschränkt sich hier primär auf den deutschen Sprachgebrauch und Konnotationen; weitere Sprachen bezieht Rodger in seine Analyse ein. Vgl. Ebda. S e i t e | 23 sogenannten ‚Kaperbrief‘, ausgestattet wurden. Ein Kaperbrief übertrug Privatpersonen – vorwiegend Handelsschiffen – die kriegsrechtliche Vollmacht zur Gewaltanwendung und unbeschränkten Beutenahme gegenüber feindlichen Schiffen und verpflichtete diese dazu.72 Damit unterscheidet sich der Kaperbrief von den sogenannten ‚Marke- und Repressalien- briefen‘, welche die Inhaber lediglich zur Kompensation eines erlittenen Schadens ermächtig- ten. Marke- und Repressalienbriefe konnten auch in Zeiten des Friedens zwischen den betei- ligten Nationen ausgestellt werden, da eine vom Souverän des Angeklagten abgelehnte Rechtsforderung des Geschädigten eine Voraussetzung für die Ausstellung eines Marke- und Repressalienbriefes darstellte. Die Kontrolle der Entschädigungsforderungen sowie der Ein- haltung der festgelegten Bestimmungen unterlag dabei den Admiralitätsgerichten.73

Trotz der fließenden Übergänge und der häufig inkonsistenten Begriffsverwendung in der zeitgenössischen wie in der modernen Literatur wird der Begriff ‚Freibeuterei‘ indessen i.d.R. auf die spezielle Form des Kaperwesens im atlantischen Raum der Frühen Neuzeit an- gewandt. Bei Freibeuterschiffen handelte es sich meist um eigens für den Zweck der Seebeu- tenahme durch Privatpersonen ausgerüstete Wasserfahrzeuge, die ökonomische Ziele verfolg- ten, nämlich die Schwächung des Handels von Konkurrenten sowie die schlichte, kommerzi- ell orientierte Beutenahme. Freibeuter wurden von ihren Souveränen toleriert oder handelten häufig sogar in deren Auftrag, verfügten aber nicht immer über ein offizielles Dokument. Die Bezeichnung Freibeuter ist dennoch sehr weit gefasst und manifestiert sich in unterschiedli- chen ‚Mischformen‘ zwischen Kaperei, Repressalienfahrt und Freibeuterei im engeren Sinn. So übernahmen private Seebeutenehmer vor allem während der Regierungszeit Königin Eli- sabeths I. beispielsweise häufig die Funktion von Kaperfahrern oder Freibeutern (engl.: pri- vateers), wurden aber mit Letters of Marque oder Letters of Reprisal ausgestattet. Auch die französische Krone stellte im 16. Jahrhundert, besonders seit dem Überfall und der Hinrich- tung Jean Fleurys, sogenannte Lettres de marque für ihre Freibeuter aus, die in der Regel als ‚Korsaren‘ bezeichnet wurden.74 Korsaren wurden ursprünglich die im Mittelmeerraum agie- renden, von ihren Fürsten geförderten privaten Seebeutenehmer genannt. Der Begriff bürgerte sich jedoch auch für die im 16. Jahrhundert im Atlantik und im karibischen Raum verbreite- ten, französischstämmigen Freibeuter ein.75

72 Vgl. Pierson, Thomas (2011): Piraten. Skizze eines prekären Rechtslebens. In: Zeitschrift der Savigny- Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung. Jg. 128 H 1, S. 185f.; Kempe 2010a, 86f.; Bohn, Ro- bert (2006): Freibeuterei. In: Enzyklopädie der Neuzeit. Band 3. Dynastie – Freundschaftslinien. Herausgegeben von Friedrich Jäger. Stuttgart/Weimar: J.B. Metzler, Sp. 1123-1126. 73 Kempe 2010a, 44-46. 74 Kempe 2010a, 87; Bohn 2006, 1124-1126. 75 Vgl. Bohn, Robert (2008): Korsaren. In: Enzyklopädie der Neuzeit. Band 7. Konzert – Männlichkeit. Heraus- gegeben von Friedrich Jaeger. Stuttgart/Weimar: J.B. Metzler, Sp. 80-83. S e i t e | 24 3 FREIBEUTER IM DIENST DER KRONE: VON SOUVERÄNEN TOLERIERTE UND GEFÖRDERTE PRIVATE SEEBEUTENAHME ZWISCHEN 1522 UND 1604

Bereits während der Karibikreisen des Kolumbus um die Wende des 15. zum 16. Jahrhundert stellten die nur spärlich verteidigten, unter kastilischer Flagge segelnden Schiffe eine leichte Beute für vereinzelte Überfälle französischer Korsaren im Atlantik dar. Erst mit der Erobe- rung Mexikos 1519-1521 begannen jedoch größere Mengen an Gold und Luxusgütern wie Zucker, Tabak und Perlen vor den Augen der anderen europäischen Mächte über den Atlantik zur Iberischen Halbinsel zu fließen. Nicht nur stellte Spanien dadurch für die anderen europä- ischen Mächte einen zunehmend ernstzunehmenden Konkurrenten im wichtigen (Über-)- Seehandel dar, auch die potenziellen Profite für private Seebeutenehmer und deren an solchen Aktionen mitverdienenden Souveräne wurden dadurch verlockender.76

Bereits 1503 war in Lissabon die zentrale Behörde Casa da Ìndia eingerichtet worden, kurz darauf wurde nach deren Vorbild in Sevilla die Casa y Audiencia de Indias gegründet. Diese Einrichtungen dienten dazu, sowohl die ein- und ausgehenden Waren der Neuen Welt als auch die ein- und auslaufenden Schiffe von bzw. nach Amerika zu überwachen, zu kontrollie- ren und auf sich zu konzentrieren. Nicht nur mussten die im Handel mit den Kolonien erwirt- schafteten Gewinne über die Behöre in Sevilla abgewickelt und ein Teil davon abgegeben werden, auch sämtlicher Handelsschiffsverkehr in die Neue Welt war ausschließlich mit einer Lizenz der Casa de Contratación, wie die Casa y Audiencia de Indias auch genannt wurde, möglich.77 Der gesamte interkoloniale Handel sowie sämtliche maritimen Angelegenheiten wurden somit auf den Hafen von Sevilla konzentriert.78

Die europäischen Herrscher nutzten daher im Laufe des 16. Jahrhunderts immer häufiger mit Marke- und Repressalienbriefen ausgestattete Beutefahrer, um ihre Überfälle auf die spani- schen Schiffe zu legitimieren. Insbesondere in der Zeit zwischen 1530 und 1560 dominierten die französischen Korsaren zweifelsohne bei den Angriffen auf die spanischen Handelsschiffe aus Übersee, wobei deren Motive sowohl politischer und ökonomischer als auch religiöser Natur waren. Die sich im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts langsam verbessernden politi- schen Beziehungen der beiden Königreiche Frankreich und Spanien sowie innenpolitische

76 Lane, Kris E. (2016): Pillaging the Empire. Global Piracy on the High Seas 1500-1750. 2. Auflage. New York/London: Routledge, S. 13. Auf die Defensivmaßnahmen der Spanier in Reaktion auf die Piraten- und Freibeuteraktivitäten der Franzosen, Engländer und Niederländer wird in Kap. 4.1 näher eingegangen. 77 Elvert 2018, 108. 78 Stevenson, Edward L. (1927): The Geographical Activities of the Casa de la Contratacion. In: Annals of the Association of American Geographers. Jg. 17, H 2, S. 39-59. S e i t e | 25 Konflikte und Aufstände in Frankreich – insbesondere die Hugenottenkriege, die mitunter auch ein Grund für die spätere Ansiedlung der in der Heimat aufgrund ihrer Religion verfolg- ten Bevölkerung in der Karibik waren – sorgten für eine ‚Ablösung‘ der französischen Korsa- ren als Schrecken der spanischen Händler durch englische Freibeuter und Piraten. Dass auch diese privaten Seebeutenehmer von ihrem Königshaus toleriert und gefördert wurden, wird besonders an den ‚Karrieren‘ berühmter englischer Seefahrer wie Sir John Hawkins (1532- 1595), Sir Francis Drake (1540-1596) und Sir (1535-1594) deutlich. Sie genossen nicht nur politischen Einfluss79, sondern gingen auch mehr als Nationalhelden denn als Kriminelle und Verbrecher in die Geschichte ihres Landes ein – eine Darstellung, die sich zum Teil bis in die Literatur der Gegenwart zieht und im starken Kontrast zur Wahrnehmung der Spanier steht.80 Ein Vergleich der Karrieren einzelner englischer Seebeutefahrer demons- triert aber auch die Abhängigkeit solcher Schicksale von der politischen Lage und den aktuel- len Interessen der Herrschenden.

3.1 Die corsarios franceses im atlantischen Raum

Die Franzosen waren die Ersten, die sich mithilfe durch die Krone tolerierter und geförderter Seebeutenahme von Privatpersonen ‚systematisch‘ gegen die von den Herrschern auf der Ibe- rischen Halbinsel beanspruchten Einflussgebiete in der Neuen Welt auflehnten. Die in den Verträgen von Tordesillas 1494 und Saragossa 1529 festgelegten Bestimmungen hatten für Frankreich und die anderen sich im 16. und 17. Jahrhundert gegen das Monopol der kastili- schen Krone – sowohl auf die Schätze der Neuen Welt als auch auf den Handel mit den neuen Kolonien – sträubenden Nationen schlichtweg keine völkerrechtliche Bedeutung. Mit den Worten, er wolle den Absatz in Adams Testament sehen, der ihn von seinem Anteil aus- schloss, als die Welt aufgeteilt wurde, focht der französische König Franz I. den alleinigen Herrschaftsanspruch Kastiliens auf die neu entdeckten Gebiete jenseits der Demarkationslinie an.81

79 Neben ihrem Reichtum und Grundbesitz hatten als Piraten und Freibeuter tätige englische Beutefahrer häufig politische Ämter inne. So war Drake kurzzeitig Bürgermeister von Plymouth; John Hawkins wurde 1577 zum Treasurer of the Navy ernannt. 80 Tillman Paul McQuien untersucht in seiner Dissertation die Darstellung Sir Francis Drakes in der spanischen und englischen Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts. Vgl. McQuien, Tillman Paul (1973): Sir Francis Drake in english and spanish literature of the sixteenth and seventeenth centuries. Dissertation. Texas Tech University. Ein kritisches Bild Francis Drakes zeichnet Harry Kelsey in seiner Biografie, dessen Darstellung wiederum von Sugden, der ebenfalls eine Biografie zum Leben des berüchtigten Piraten und Freibeuters verfasste, scharf kriti- siert wird. Vgl. Kelsey, Harry (2000): Sir Francis Drake. The Queen’s Pirate. New Haven, London: Yale Uni- versity Press; Sugden, John (2006): Sir Francis Drake. London: Pimlico. 81 Martínez-Fernández 2015, 12. S e i t e | 26 Spätestens seit 1520, als der spanische König Karl V. zum erwählten Kaiser des Heiligen Römischen Reiches ernannt wurde und sich Frankreich durch die Personalunion Spaniens mit dem Erzherzogtum Österreich zumindest theoretisch von seinen Gegnern eingekreist vorfand, spitzten sich die zwischen den beiden Ländern herrschenden Spannungen ohnehin immer wieder zu. Schon in den frühen 1520er Jahren häuften sich auch die Berichte über Angriffe auf spanische (und portugiesische) Handelsschiffe im Atlantik durch französische Korsaren. Dass es aber auch – wie bereits erwähnt – davor eine ernstzunehmende Bedrohung für die spanischen Handelsschiffe durch französische Seeräuber im Atlantik gab, belegt eine Real cédula – eine königliche Verfügung – der kastilischen Krone aus dem Jahr 1519 zur Siche- rung der Handelswege nach Westindien, laut der die Schiffe vor den Aktivitäten der corsarios franceses geschützt werden sollten.82

Der bereits beschriebene Überfall Jean Fleurys auf jene Flotte, die den Schatz des Aztekenkö- nigs Moctezuma II. geladen hatte, stellte sicherlich die berüchtigtste dieser frühen Kaperun- gen dar. Seitdem wurde das Ausstatten von privaten Seefahrern mit Marke- und Repressalien- briefen zur gängigen Praxis, derer sich im 16. und 17. Jahrhundert auch die anderen (nord-)- westeuropäischen Nationen bedienten, um den Einfluss Spaniens in Europa ebenso wie in der Neuen Welt zu schwächen. Mit diesen Rechtsdokumenten erlangten Privatpersonen die Er- laubnis ihres Souveräns, etwaigen durch eine andere Nation erlittenen Schaden wiedergutzu- machen, indem sie Angehörige dieser Nation schädigten. Im Gegensatz zu den Demarkations- linien im Atlantik und Pazifik kam den von den Franzosen als Lettres de marque oder Lettre de merk bezeichneten Dokumenten dabei jedoch eine gewisse völkerrechtliche Bedeutung zu, da sie als eine Übergangsform zwischen Krieg und Frieden sowie zwischen privater und öf- fentlicher Kriegsführung von den meisten Nationen Europas als Kriegsbrauch praktiziert und daher als Gewohnheitsrecht akzeptiert wurden.83

Im 16. Jahrhundert entwickelten sich diese Vollmachten daher nicht nur im Königreich Frank- reich zu einem beliebten Mittel, mit dem andere Nationen geschwächt und sich zugleich eine lukrative Beute einverleibt werden konnte, zumal die Rechtmäßigkeit der Entschädigungsfor- derungen in der Praxis ab dem letzten Drittel des 16. Jahrhunderts – sowie in kurzen Phasen auch schon davor – kaum noch geprüft wurde. Zudem mündete diese beliebte Praktik des See- raubes unter dem Deckmantel der Legitimation durch Marke- und Repressalienbriefe unwei- gerlich in einen Teufelskreis, denn die nun von – aus ihrer Sicht – Piraten geschädigten Spa- nier stellten ihrerseits Lizenzen aus und autorisierten damit sogenannte contra-corsarios (‚Pi-

82 Vgl. Kempe 2010a, 33. 83 Ebda., 45. S e i t e | 27 ratenjäger‘) zur gewaltsamen Durchsetzung ihrer Seemachtsinteressen, die wiederum als Ba- sis für Entschädigungsforderungen herangezogen wurden.84

Vor allem französische Protestanten spielten eine zentrale Rolle in den sich ab Mitte der 1530er häufenden Angriffen auf spanische Handelsschiffe. So wurden in den von Hugenot- tenanführern wie Wilhelm I. von Oranien oder König Heinrich IV. von Navarra ausgestellten Freibeuterlizenzen religiös orientierte Legitimationsgründe für die Beutenahmen vorange- stellt.85 Trotz des Selbstverständnisses vieler hugenottischer Korsaren als Glaubenskrieger behielten anfangs noch ökonomische Ziele – der schlichte Gedanke an schnell verdienten Reichtum – die Oberhand. Mit den ersten Plünderungen spanischer Häfen und Küstenstädte der neuen Kolonien verlagerten sich die Freibeuter- und Piratenaktivitäten immer weiter vom europäischen Atlantik in den karibischen Raum86: 1536 wurden der Hafen von Havanna und kurz darauf einige kleinere Küstenstädte in Honduras und Panamá angegriffen und geplün- dert. 1540 attackierten französische Korsaren San Juan und im Jahr darauf erneut die Stadt Havanna. 1544 wurde Cartagena, Spaniens größte Siedlung in den neuen Kolonien, geplün- dert.87 Ab den späten 1550ern wurden die mit Marke- und Repressalienbriefen ausgestatteten Freibeuter dann auch systematisch von Admiral Gaspard II. de Coligny für den Kampf gegen den Katholizismus eingesetzt und vom Hafen in La Rochelle aus in die Neue Welt entsandt.88

Zu den berüchtigtsten unter diesen die spanischen Häfen und Küstenstädte in der Neuen Welt tyrannisierenden französischen Freibeutern zählten sicherlich François Le Clerc – aufgrund seines Holzbeines auch Jambe de Bois (dt.: ‚Holzbein‘) genannt – und der Admiral , der den Beinamen L’Ange Exterminateur (dt.: ‚der Vernichtungsengel‘) trug. Nach mehreren Angriffen, unter anderem auf die Siedlungen San Germán, Santo Domingo und San Juan, zerstörten die beiden hugenottischen Korsaren aus La Rochelle im Juli 1554 im Schutze der Dunkelheit die Stadt Santiago de Cuba und erbeuteten dabei ganze 80.000 Pesos als Löse- geld, bevor sie unzählige Gebäude niederbrannten. Fast auf den Tag genau ein Jahr später belagerte Jacques de Sores die nur spärlich befestigte Stadt Havanna mit seinen vier Schif- fen.89 Der aus Kuba stammende Historiker Luis Martínez-Fernandéz, dessen Forschungs-

84 Kempe 2010a, 47. 85 „Faire la guerre, courir sus et endommager les ennemys et adversaires de la relligion réformée et cause géne- ralle, sur tous vaisseaux et sur toutes nations indiféremment. (make war, attack and damage the enemies and opponents of reformed religion and the general cause of all ships and all nations without distinction.)”, zit. nach Rodger 2014, 9. 86 Eine Auflistung dieser Plünderungen und Angriffe durch französische Freibeuter zwischen 1526 und 1587 findet sich bei Marley, David F. (2008): Wars of the Americas. A Chronology of Armed Conflict in the New World 1492- to the Present. Santa Barbara/Denver/Oxford: ABC-CLIO, S. 52-76. 87 Konstam 2019, 46; Martínez-Fernandéz 2015, 12. 88 Martínez-Fernandéz 2015, 12. 89 Marley 2008, 56f. S e i t e | 28 schwerpunkt auf der (Kultur- und Sozial-)Geschichte der Karibik und Lateinamerikas liegt, sieht im brutalen und gewalttätigen Vorgehen François Le Clercs und Jacques de Sores sogar eine neue Ära der Piraterie im mittelamerikanischen Raum: Santiago de Cuba wurde von den beiden Korsaren derart stark beschädigt, dass sich die Stadt lange Zeit nicht mehr von diesem Angriff erholen sollte. In Havanna nahm de Sores den Befehlshaber des Forts Fuerza Vieja sowie einige Zivilisten als Geiseln und forderte 30.000 Pesos für deren Freilassung. Nach einem erfolglosen Überraschungsangriff des Gouverneurs Gonzalo Pérez de Angulo, dem zuvor die Flucht gelungen war und der sich weigerte, die Forderungen Jacques de Sores zu erfüllen, lies de Sores diesen zusammen mit einigen Sklaven als Abschreckung für die Spani- er an den Randgebieten der Stadt hängen. Die Stadt selbst wurde regelrecht dem Erdboden gleichgemacht und die Kirchen vom überzeugten Calvinisten entweiht.90

Neben politischen und ökonomischen Interessen – der Schwächung der spanischen Macht- sphäre und Teilhabe am Überseehandel mit der Neuen Welt – stellten insbesondere für die französischen Korsaren also auch die konfessionellen Konflikte mit den katholischen Spani- ern einen zentralen Aspekt der privaten Seebeutenahme dar. So wurden beispielsweise die hugenottischen Bewohner der Siedlung Fort Caroline im Gebiet des heutigen Jacksonvilles in 1565 von den Spaniern unter der Führung des Admirals Pedro Menéndez de Avilés nicht nur als Piraten, sondern auch als Häretiker massakriert.91 Diese erste französische Kolo- nie in Amerika war nur ein Jahr zuvor von René Goulaine de Laudonnière und Jean Ribault errichtet worden und bestand in erster Linie aus Protestanten, deren Bestrebungen in der Neu- en Welt unter anderem auch religiös motiviert waren, wurden sie während der Hugenotten- kriege doch in ihrer Heimat verfolgt. Zugleich wurde das Unternehmen aber auch – wenn auch nur mäßig – von der französischen Krone unterstützt, welche die Kolonisierungspläne auf der anderen Seite des Atlantiks als geeignete Möglichkeit zur Schwächung des spanischen Einflusses sah.92 Die Spanier erkannten in diesem französischen Stützpunkt jedoch eine Ge- fahr für ihre Silberflotten, welche die Küste regelmäßig passieren mussten, und be- handelten die Eindringlinge in die von ihnen beanspruchte Machtsphäre gemäß des Vertrages von Tordesillas daher ausnahmslos als Piraten sowie aufgrund ihrer religiösen Doktrin auch als Ketzer.93

90 Konstam 2019, 47f.; Martínez-Fernandéz 2015, 14. 91 Edelmayer 2012, 170f.; Fishman, Laura (1995): Old World Images Encounter New World Reality. Rene Laudonniere and the Timucuans of Florida. In: The Sixteenth Century Journal. Jg. 26, H 3, S. 557. 92 Kempe 2010a, 59; Fishman 1995, 548f. 93 Edelmayer 2012, 170f. S e i t e | 29 Mit einer Handvoll Begleitern gelang Laudonnière die Flucht nach Frankreich, wo sie die Geschichte vom Überfall auf Fort Caroline verbreiteten. Als die Nachrichten über die Vorfälle die Königin Katarina de Medici erreichten, zeigte sich diese – ungeachtet der Konfession der Opfer – bestürzt und sah im Handeln der französischen Kolonisten keine Verletzung irgend- welcher Verträge. Der spanische König Philipp II. hingegen forderte die Bestrafung Gaspard de Colignys, des Hugenottenanführers, der laut ihm der Verantwortliche für das Eindringen der Franzosen in die spanische Machtsphäre in der Neuen Welt war.94 Wenngleich sich in den Berichten über diese Vorfälle die tatsächlichen Ereignisse zweifelsohne in erheblichem Maße mit protestantischer Propaganda vermischten und diese daher, wie auch Boucher betont, kri- tisch zu betrachten sind, so wird an diesem Beispiel doch die komplexe Verkettung zahlrei- cher Motive und Legitimationsversuche der Hauptakteure deutlich.95 Der durch die Ereignisse in Florida geschürte Hass ließ die französischen Korsaren, die zu diesem Zeitpunkt bereits ohne offizielle Lizenz durch ihren Souverän im karibischen Raum agierten und daher genau- genommen als Piraten zu bewerten sind, sogar mit ihrem ‚Erzfeind‘ England zusammenarbei- ten (siehe Kap. 3.2).

Nicht nur im Falle Fort Carolines waren es dennoch vor allem ökonomische und politische Ziele, welche die Franzosen sowie später Engländer (und Niederländer) in mehreren Phasen des 16. und 17. Jahrhunderts antrieben, private Seebeutenehmer zur Schwächung der Spanier und deren Einflusssphäre einzusetzen. So komplex sich die Motive für die private Seebeuten- ahme im atlantischen Raum bis hin zu den Westindischen Inseln gestalteten, so flexibel waren aber auch die Einstellungen und Verhaltensweisen der Seefahrer, wie Kempe feststellt:

Je nach Bedarf und Situation wurde entweder gehandelt, geschmuggelt, erpresst oder ge- raubt. Diego Ingenios etwa ließ 1528 in La Rochelle eine Galeone ausrüsten, um an der Nordküste Südamerikas den dortigen Bewohnern Woll- und Seidenstoffe zu verkaufen sowie nach Perlen zu tauchen, aber auch, um dort Häfen zu blockieren, Lösegeld zu er- pressen und spanischen Schiffen entlang der Handelsrouten vor Española und San Juan aufzulauern. In der Person des französischen Überseefahrers, wie ihn Ingenio prototy- pisch verkörperte, vereinigten sich Geschäftsmann, Schmuggler und Pirat.96

Kempe verwendet für die ab dem zweiten Drittel des 16. Jahrhunderts tätigen Händler und Freibeuter bzw. Kaperfahrer daher den Begriff ‚Handelskorsaren‘.97 Dass viele der spanischen (Hafen-)Städte in den Amerikas auf den Handel mit Freibeutern und Schmugglern angewie-

94 Edelmayer 2012, 170f.; Kempe 2010a, 59f. 95 Boucher widmet sich einer kritischen Betrachtung der Ereignisse rund um den Überfall auf Fort Caroline und der Berichte darüber. Dabei geht er auch genauer auf die religiösen und politischen Motive der zentralen Akteure sowie auf die Folgen des Vorfalles ein. Vgl. Boucher 2008, 49-52. 96 Kempe 2010a, 43. 97 Ebda. S e i t e | 30 sen waren, hing vor allem mit der Organisation des Handelsverkehrs der Spanier zusammen: Während die großen Anlaufhäfen wie Havanna, Veracruz und Cartagena regelmäßig Zugang zu Waren aus Europa hatten, waren die kleineren Hafenstädte vollkommen isoliert. Dies führ- te zu Teuerungen und Warenknappheit – insbesondere verarbeiteter Waren aus Europa –, die Schmuggleraktivitäten Tür und Tor öffneten.98 Flexibel zeigten sich daher auch die Spanier in den neuen Kolonien im Umgang mit Piraten und Häretikern, wie einige Prozesse gegen fran- zösische Korsaren zeigen. Nicht selten wurden diese trotz der Schwere ihrer Verbrechen wie der Beteiligung an Raubzügen, Plünderungen und – aus Sicht der katholischen Spanier – Hä- resie von der Todesstrafe verschont, wenn man auf ihre Waren angewiesen war und sie als kostenlose Zwangsarbeiter einsetzen konnte.99

Zwischen 1530 und 1560 dominierten die französischen Korsaren also zweifelsohne als Be- drohung für die spanischen Kolonien in der Neuen Welt. Allein zwischen 1536 und 1568 konnten 189 Kaperungen von Schiffen und 74 Überfälle auf Siedlungen an Land verzeichnet werden.100 Während in der offiziellen Beziehung zwischen Frankreich und Spanien in Europa seit 1521 Phasen des Friedens wieder und wieder von gegenseitigen Kriegserklärungen abge- löst wurden, agierten die mit obrigkeitlichen Vollmachten ausgestatteten Korsaren im mariti- men Raum nämlich häufig ununterbrochen weiter – nicht selten auch als von der französi- schen Krone tolerierte Piraten.101 Erst die Hugenottenkriege zwischen 1562 und 1598 zwan- gen den französischen König zur Konzentration sämtlicher Ressourcen auf die innenpoliti- schen Konflikte seines Landes, wodurch dessen überseeische Bestrebungen zunehmend in den Hintergrund rückten.

Selbst nach der vorläufigen Beilegung der französisch-spanischen Konflikte mit der Unter- zeichnung des Friedensvertrages von Cateau-Cambrésis 1559 brachen die Angriffe durch französische Freibeuter bzw. Piraten im karibischen Raum nicht vollständig ab.102 In der Re- gel beinhaltete der Abschluss von Waffenstillstands- oder Friedensverträgen – so auch der Friedensvertrag von Cateau-Cambrésis – zwar Artikel, welche die Einstellung und häufig auch beidseitige Bekämpfung der einst von den Souveränen autorisierten privaten Seebeuten- ahme sowie die Annullierung sämtlicher Marke- und Repressalienbriefe forderten (und damit die bereits auf dem Meer auf Beutezug befindlichen ‚legalen‘ Freibeuter zu illegalen Piraten ernannten). Unter anderem die enorme Distanz zu ihren einstigen Auftraggebern sorgte aber

98 Martínez-Fernandéz 2015, 14. 99 Kempe 2010a, 62f. 100 Ebda., 48. 101 Lane 2016, 18. 102 Vgl. Marley 2008, 59-72. S e i t e | 31 dafür, dass die Aktivitäten der offiziell nun als (vollständig) privat agierende Schwerkriminel- le behandelten Seeräuber ungehindert fortgeführt wurden und deren Autoritäten schnell er- kennen mussten, dass sie einmal mobilisierte Freibeuter nicht so einfach wieder unter Kon- trolle bekommen konnten.103 Die Entfernung der Neuen Welt zu den Machtzentren der euro- päischen Nationen begünstigte diese Entwicklungen durch die langsamen Kommunikations- möglichkeiten und war auch einer der Hauptgründe für die Entwicklung einer gewissen Ei- gendynamik der Piraterie und Freibeuterei im karibischen Raum des 17. Jahrhunderts.104

3.2 Elizabethan Sea Dogs zwischen Piraterie und Nationalheldentum

Wenngleich sich die Seeraubaktivitäten der Engländer im Atlantik sowie im karibischen Raum erst zur Regierungszeit Königin Elisabeths I. intensivierten, reichen die ersten Griffe der englischen Herrscher nach Amerika bis ins 15. Jahrhundert zurück. 1497 erhielt der Vene- zianer Giovanni Caboto – meist als John Cabot angegeben – vom englischen König Heinrich VII. die offizielle Erlaubnis zur Organisation transatlantischer Erkundungsfahrten, welcher dieser noch im selben Jahr (nach einem ersten Fehlschlag, der in Grönland enden musste) erfolgreich mit seiner Ankunft in Neufundland gerecht wurde. Dass die Umgehung der unmit- telbaren spanisch-portugiesischen Einflusssphäre durch die Suche nach einer über den nördli- chen Atlantik führenden Seeroute nach Asien wohl eine zentrale Rolle bei der Ausstellung des entsprechenden Patentes durch Heinrich VII. gespielt hat, legt die Finanzierung des Unter- nehmens durch mehrere große Investoren – darunter neben englischen Kaufleuten auch die Londoner Filiale des italienischen Bankhauses Bardi sowie der Bristoler Kaufmann William Weston – nahe, die sich zweifelsohne enorme Profite von einer solchen Alternativroute ver- sprachen.105 Der Erfolg dieser frühen Expeditionen nach Amerika hielt sich aber angesichts der hohen Erwartungen in Grenzen. Weder konnte eine lukrative Handelsroute nach Asien erschlossen werden, noch fand sich neues besiedelbares Territorium für britische Kolonien, weshalb Heinrich VII. rasch von weiteren derartigen Investitionen abließ und die Bestrebun- gen der Engländer zur Unternehmung transatlantischer Entdeckungsreisen bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts fast vollständig zum Erliegen kamen.106

103 Kempe 2010a, 52ff. 104 Lehr, Peter (2019): Pirates. A New History from to Somali Raiders. New Haven/London: Yale Univeristiy Press, 79. 105 Elvert 2018, 130f.; McFarlane, Anthony (2017): The British in the Americas 1480-1815. London/New York: Routledge, S. 13. 106 Elvert 2018, 136f.; McFarlane 2017, 13-15. S e i t e | 32 Während also die Franzosen bereits früh im 16. Jahrhundert in den Überfällen auf die spani- schen Handelsschiffe von den europäischen Atlantikküsten bis in den karibischen Raum eine ideale Gelegenheit zur eigenen ökonomischen Bereicherung und gleichzeitig zur politischen Schwächung des Feindes erkannten, lassen sich von englischen Landsleuten bis zur Mitte des Jahrhunderts nur vereinzelt vergleichbare Freibeuter- und Piratenexpeditionen feststellen.107 Bis 1527 war das Verhältnis zwischen England und Spanien noch so gut, dass es zwischen- zeitlich auch Bündnisse der beiden Nationen gab. 1509 hatte König Heinrich VIII. aus dem Hause der Tudors sogar Katharina von Aragón geheiratet. Mit der von Papst Clemens VII. 1527 abgelehnten Annullierung dieser Ehe verschlechterten sich jedoch die Beziehungen zwi- schen dem englischen und dem spanischen Königshaus zusehends. 1534 beschloss der einige Monate zuvor von Clemens VII. exkommunizierte Heinrich VIII. die sogenannte Act of Sup- remacy, durch welche der englische König fortan zum Oberhaupt der katholischen Kirche in England ernannt wurde und nicht mehr der Autorität des Papstes unterstand. Mit der Abspal- tung der neu gegründeten Church of England von Rom nahm auch die englische Reformation ihren Lauf und die religiösen Interessenskonflikte zwischen England und Spanien nahmen stetig zu.108

Eine offene Konfrontation mit dem spanischen Königreich wäre für das zu dieser Zeit noch schwache England allerdings fatal gewesen. Mit der unter Heinrich VIII. gerade erst im Ent- stehen begriffenen königlichen Flotte spielte die Inselnation noch in einer völlig anderen Liga als die trotz der permanenten Angriffe auf ihre Handelsschiffe und Küstenstädte den atlanti- schen Raum dominierenden Spanier.109 Auch waren die Staatskassen des englischen Königs- hauses quasi chronisch leer, sodass diese immer wieder auf Kredite privater Kaufleute ange- wiesen waren.110 Bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts stand somit die Devise im Vordergrund, keine weiteren Provokationen der Spanier – ebenso wie der Portugiesen und des Heiligen Römischen Reiches – zu riskieren, weshalb sich England vorzugsweise auf den lukrativen Handel entlang der Levantelinie konzentrierte. Die als Merchant Adventurers bezeichneten englischen Fernkaufleute nutzten die für sie günstigen Handelsverträge mit Spanien und Por- tugal, um im Handel entlang der Kanaren und Azoren bis hin zur afrikanischen und latein-

107 Konstam 2019, 52; Eldred, Jason (2010): „The just pay for the sinners”. English Merchants, the Trade with Spain and Elizabethan Foreign Policy 1563-1585. In: Journal for Early Modern Cultural Studies. Jg. 10, H 1, S. 7. 108 Konstam 2019, 51f.; Martínez-Fernandéz 2015, 16. 109 Elvert 2018, 136, Lane 2016, 29. 110 Vgl. Childs 2014, 136f. S e i t e | 33 amerikanischen Küste enorme Privatvermögen anzuhäufen, mit denen sie sich auch den Zu- gang zu hohen politischen Ämtern erkaufen konnten.111

Innerhalb dieser politisch einflussreichen Gruppe herrschte in Bezug auf den Umgang mit den Spaniern jedoch Uneinigkeit, wie eine Analyse des Historikers Jason Eldred zeigt, welcher die Politik der englischen Fernhandelskaufleute vor dem 1585 ausbrechenden Englisch- Spanischen Krieg untersuchte.112 Laut Eldred könne man nicht – wie lange Zeit von Histori- kerInnen angenommen – von einer einfachen Zuspitzung der politischen, religiösen und öko- nomischen Gegensätze zwischen den beiden Nationen sprechen, die schließlich im Krieg mündete.113 Vielmehr kristallisieren sich um die Mitte des Jahrhunderts zwei Fraktionen der Fernhandelskaufleute heraus: Auf der einen Seite standen die sogenannten Spanish Mer- chants, die in der engen Beziehung zu Spanien langfristige Vorteile zur Stärkung der politi- schen und ökonomischen Position Englands erkannten und sich daher für eine Außenpolitik einsetzten, welche dieses positive Verhältnis aufrechtzuerhalten versuchte.114 Zwar war die Stabilisierung der englischen Wirtschaft und des politischen Einflusses auch das oberste Ziel der Opposition, die von Eldred als Martial Maritime bezeichnete Fraktion war jedoch eher am Seekrieg orientiert und befürwortete – unter Inkaufnahme enormer Risiken für Totalverluste ebenso wie für Provokationen der Spanier – auch militärische Mittel zur Realisierung ihrer Interessen, zu denen auch der Einsatz von Freibeutern gehörte.115

Die Fernhandelskaufleute waren im elisabethinischen Zeitalter und auch schon davor diejeni- gen, die besonders häufig im Freibeuter- oder auch Pirateriegeschäft tätig waren – sei es per- sönlich auf hoher See oder lediglich als Financiers solcher Unternehmen.116 Wie bei den fran- zösischen Handelskorsaren spielte aber auch hier eine gewisse Flexibilität bei der Anpassung an die gerade geltenden gesetzlichen Bestimmungen und außenpolitischen Beziehungen der europäischen Mächte eine zentrale Rolle. So betont Peter Lehr, der sich in seiner Forschung mit verschiedenen Grauzonen der Gewaltanwendung mit Fokus auf Piraterie und maritimen Terrorismus widmet, in seiner New History: “When trade is permitted, pirates become mer- chants. When trade is prohibited, merchants convert into pirates.”117 Wie bereits erwähnt, befanden sich in der Frühen Neuzeit kaum unbewaffnete Schiffe im maritimen Raum und auch Handelsschiffe mussten stets mit Waffen ausgerüstet sein, um sich verteidigen zu kön-

111 Elvert 2018, 136f. 112 Eldred 2010, 5-28. 113 Ebda., 6. 114 Ebda., 6f. 115 Ebda., 9f. 116 Lehr 2019, 73; Vgl. Eldred 2010, 9f. 117 Lehr 2019, 73. S e i t e | 34 nen. Nicht selten handelte es sich daher bei Freibeutern, Piraten und Händlern häufig um die- selben Personen zu unterschiedlichen Zeitpunkten.118

Als prominentes Beispiel dient hier sicherlich William Hawkins. Nachdem der Vater des be- rühmten John Hawkins im Mittelmeerraum ebenso wie im transatlantischen Handel zwischen England, Guinea und Brasilien ein beeindruckendes Vermögen anhäufen konnte, wandte er sich in den 1540er Jahren aufgrund der zunehmenden Spannungen seiner Heimatnation mit dem Königreich Frankreich den durch die englische Krone geförderten Kaperfahrten gegen französische Handelsschiffe zu. Weder seine Aktivitäten als Freibeuter noch die Haftstrafe, die er aufgrund von Unterschlagungen seiner Gewinne verbüßen musste, schmälerten sein Ansehen jedoch derart, dass er nicht anschließend zum Bürgermeister seiner Heimatstadt Plymouth ernannt wurde.119 Nicht umsonst diente Hawkins sowohl den Spanish Merchants als auch den Martial Maritimes als Vorbild.120

Eine hohe Anpassungsfähigkeit an die innen- wie außenpolitischen Umstände kann als zentra- les Merkmal des elisabethinischen Zeitalters der Piraterie und Freibeuterei gesehen werden. Trotz der fließenden Grenzen zwischen den Aktivitäten als Händler, Schmuggler, Freibeuter und Piraten macht der Historiker mit Schwerpunkt auf lateinamerikanischer Kolonialge- schichte Kris E. Lane in seinem Werk Pillaging the Empire. Global Piracy on the High Seas 1500-1750121 drei Phasen aus, in denen die seeräuberischen Aktivitäten Englands unter der Regierung Elisabeths I. jeweils charakteristische Formen annehmen: So war die Zeit von 1558 bis 1568 primär vom Schmuggel von Sklaven in die Neue Welt geprägt und wird schließlich von den zunehmenden (durch die englische Krone tolerierten und geförderten) Piratenaktivi- täten abgelöst, die bis zum Ausbruch des Englisch-Spanischen Krieges 1585 die maritime Politik der Monarchie dominierten. Bis zum Ende des Krieges waren es dann allen voran von Königin Elisabeth I. eingesetzte Freibeuter – häufig nur Elizabethan Sea Dogs genannt –, die in den spanischen Gebieten Amerikas und im Atlantik operierten.122

Die erste Phase des elisabethinischen Zeitalters der Seeräuberei schließt an den Tod Marys I. an, die noch mit dem spanischen König Philip II. verheiratet war. Mit der Thronbesteigung der im Gegensatz zu ihrer katholischen Vorgängerin streng protestantischen Königin Elisa- beth I. im Jahr 1558 kippte die Beziehung zum spanischen Königshaus zunehmend, wenn- gleich sich die neue Königin zu Beginn ihrer Herrschaft noch mit dem spanischen Habsbur-

118 Rodger 2014, 6. 119 Elvert 2018, 136f. 120 Elvert 2018, 140. 121 Lane 2016, 29. Zu einer ähnlichen Einteilung kommt McFarlane. Er betont jedoch auch, dass die einzelnen Phasen ineinandergreifen, was auch hier nicht außer Acht gelassen werden soll. Vgl. McFarlane 2017, 18. 122 Lane 2016, 29. S e i t e | 35 gerreich friedlich zu stellen versuchte. In Anbetracht der zunehmenden religiösen, politischen und ökonomischen Konfliktpotenziale zwischen den beiden Nationen – insbesondere die Schwächung Englands Erzfeindes Frankreich durch die im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts ausbrechenden Bürgerkriege sei hier als wichtiger Faktor zu nennen – suchten aber auch die englischen Händler nach neuen lukrativen Märkten.123 1562 überfiel John Hawkins erstmals ein portugiesisches Sklavenschiff an der Küste Sierra Leones, nahm die darauf festgehaltenen 300 Sklaven gefangen und schmuggelte sie nach Santo Domingo auf der Insel Hispaniola, wo er sie gegen exotische Waren wie Zucker, Tierhäute und tropisches Holz eintauschte.124 Da- mit gilt Hawkins bis heute als der erste englische Sklavenhändler in der Karibik. Zu dieser Zeit waren die Spanier und Portugiesen bereits jahrzehntelang in den Transatlantischen Drei- eckshandel involviert und schöpften vor aller Augen enorme Gewinne daraus.125

Ob Hawkins‘ ursprüngliche Intentionen eher dem friedlichen Handel oder von Anfang an der räuberischen Aneignung von Sklaven galten, darüber sind sich auch HistorikerInnen nicht einig. Laut McFarlane wurden die englischen Händler vor allem vom afrikanischen Gold an- gezogen, woraus sich schließlich ein lukrativer Handel mit Sklaven entwickelte, die an die Westindischen Inseln sowie ans amerikanische Festland verkauft wurden. Bei mehreren Ex- peditionen machte sich Hawkins während der 1560er die vor allem auf den karibischen Inseln mit kleineren Häfen, die vom spanischen Mutterland selbst kaum versorgt wurden, vorherr- schende Knappheit an Sklaven und anderen Waren zunutze.126 Lane hingegen verweist auf – zugegebenermaßen eher vage – Berichte von John Hawkins selbst, die darauf hinweisen, dass die Beschaffung der Sklaven von Anfang an als Überfall und nicht als Handel geplant gewe- sen war.127

Die sich zuspitzenden politischen und konfessionellen Spannungen zwischen England und Spanien brachten bis zum Ausbruch des Krieges zwischen den beiden Nationen eine Vielzahl derartiger Unternehmungen auf Kurs und die Übergriffe auf spanische Schiffe im nördlichen Atlantik nahmen dabei immer offenere Formen an. Weder verfolgten diese frühen Eingriffe der Engländer in den Warenverkehr zwischen Spanien und dessen neuen Kolonien im karibi- schen Raum – insbesondere den Westindischen Inseln – jedoch eine imperialistische Strate- gie, noch standen Piraterie oder Freibeuterei bei diesen Aktivitäten im Vordergrund, wenn-

123 Mc Farlane 2017, 17. 124 Martínez-Fernandéz 2015, 20. 125 Die erste bekannte ‚Genehmigung‘ für den Sklavenhandel entlang der afrikanischen Küste stammt aus dem Jahr 1510 und wurde von König Ferdinand von Kastilien-Aragón an eine Gruppe Händler ausgestellt. Muham- mad, Patricia M. (2019): The Trans-. European Slaving Corporations, The Papacy and the Issue of Reparations. In: Willamette Journal of International Law and Dispute Resolution. Jg. 26, H 1, 181. 126 Vgl. McFarlane 2017, 18f. 127 Vgl. Lane 2016, 30. S e i t e | 36 gleich die Methoden nicht selten die gleichen waren. Vielmehr handelte es sich bei Hawkins und den Händlern, die später seinem Vorbild folgten, zu dieser Zeit noch primär um Schmuggler, die das spanische Monopol auf den Handel mit den Westindischen Inseln und dem amerikanischen Festland zu umgehen und so an die exotischen Waren zu gelangen ver- suchten.128

Die ersten Versuche von Engländern, sich in den spanischen und portugiesischen Transatlan- tikhandel einzumischen und die beiden Nationen damit zu schwächen, gab es bereits in den 1530ern unter William Hawkins. Auch dessen Sohn, John Hawkins, unternahm schließlich mehrere riskante Versuche, bei denen er geschmuggelte Waren durch Bestechung direkt vor den Augen der Aufsichtsbehörden in Sevilla und Lissabon an diesen vorbeizuschleusen pro- bierte.129 Wie auch bei den französischen Handelskorsaren, die Waren ohne Genehmigung durch die Casa de Contratación in die neuen Kolonien schmuggelten, fühlten sich die Spanier durch diese Aktionen zwar provoziert, konnten aber in der Realität relativ wenig dagegen ausrichten.130 Selbst das als Antwort auf die englischen Raub- und Schmuggelaktivitäten von Kardinal Granvelle 1563 ausgesprochene Handelsembargo, das den englisch-niederländischen Handel vorübergehend zum Erliegen brachte, schwächte beide Nationen – England ebenso wie die unter spanischem Einfluss stehenden Niederlande – gleichermaßen ökonomisch und dämmte den Sklavenschmuggel keineswegs ein.131

Wie bereits erwähnt, litten viele der kleineren Häfen auf den Westindischen Inseln und am lateinamerikanischen Festland an der Konzentration des Warenverkehrs auf die Hauptanlauf- häfen sowie dessen Organisation durch die Casa de Contratación, welche die Versorgung der neuen spanischen Kolonien vernachlässigte. Das durch die permanenten Angriffe insbesonde- re französischer, englischer und niederländischer Seeräuber notwendig gewordene spanische Flottensystem132 verstärkte den Bedarf an Schmuggelwaren noch zusätzlich. Dass der Handel mit Sklaven und anderen geschmuggelten Gütern aber nicht immer von beiden Seiten aus freiwillig vonstattenging, wird am Beispiel John Hawkins‘ zweiter Reise in die Neue Welt 1964 deutlich. So wurde Hawkins – diesmal von Königin Elisabeth I. höchstpersönlich mit dem berühmten Schiff Jesus of Lübeck unterstützt – auf der Karibikinsel Margarita die Han- delslizenz verwehrt und er musste mit seinen 400 afrikanischen Gefangenen weiterziehen.

128 McFarlane 2017, 18f., Lane 2016, 30f., Childs 2014, 4f. 129 Vgl. Lane 2016, 30f. 130 Lane 2016, 30. 131 Croft, Pauline (1973): Introduction. The first Spanish company 1530-85. In: The Spanish Company. Herausgegeben von Dies. London: London Record Society (= London Record Society 9). URL: https://www.british-history.ac.uk/london-record-soc/vol9 [20.07.2021], o.S. 132 Auf die (defensiven) Verteidigungsmaßnahmen der Spanier in der Neuen Welt und deren Auswirkungen auf die Seeräuberei im karibischen Raum wird in Kap. 4.1 näher eingegangen. S e i t e | 37 Auch der Empfang der Siedlung Burburata an der Küste Tierra Firmas im heutigen Venezuela war nicht viel freundlicher. Die Siedlung, die ein beliebter Anlaufpunkt französischer Schmuggler war, unterbreitete Hawkins derart nachteilige Handelskonditionen für seine Wa- ren, dass dieser den Verkauf seiner Sklaven nur unter androhender Waffengewalt durch 100 seiner bewaffneten Männer zu akzeptablen Bedingungen abschließen konnte – wobei die gewaltsame Vorgehensweise dabei kein Einzelfall war.133

Obwohl der Schmuggelhandel mit den neuen spanischen Kolonien trotz der enormen Risiken nur mäßige Gewinne abwarf, endete diese Phase des Elisabethinischen Zeitalters der Piraterie erst 1568. Schon auf der zweiten Expedition Hawkins‘ wurde deutlich, dass die bisher ange- steuerten Märkte im karibischen Raum – vorzugsweise kleine, schlecht befestigte und unzu- reichend vom spanischen Mutterland versorgte Häfen – allmählich gesättigt waren. Das Vor- dringen in Richtung größerer und besser verteidigter Häfen hingegen schmälerte nicht nur zusätzlich den Profit solcher Unternehmen – immerhin mussten die Schiffe erst mit zusätzli- cher Waffen- und Manneskraft ausgestattet werden –, sondern auch die Risiken für Verluste, sowohl im finanziellen Sinne als auch von Leib und Leben.134

Wenig überraschend endete daher Hawkins‘ dritte Reise als Sklavenhändler in die Neue Welt, an der auch sein Vetter Francis Drake beteiligt war, für sie in einer Katastrophe.135 Erneut wählte Hawkins dieselbe Vorgehensweise wie bei seinen ersten beiden Expeditionen und stat- tete Schiffe mit insgesamt über 1300 Tonnen an Ladekapazitäten aus, segelte nach einem Treffen mit einem Kontaktmann auf den Kanarischen Inseln an die westafrikanische Küste bis vor Sierra Leone und brachte die rund 470 ‚erbeuteten‘ Sklaven nach Amerika. Erneut lag sein erster Anlaufpunkt im Hafen der Insel Margarita und abermals war die Androhung von Waffengewalt notwendig, um einen mehr oder weniger zufriedenstellenden Handel abzu- schließen. Bereits im Hafen von Riohacha im heutigen Kolumbien erwartete Drake, der die beiden Schiffe Judith und Angel befehligte, während Hawkins die Vorräte auf der Insel Curaҫao auffüllte, ein bewaffneter Widerstand, der den Engländern jedoch vorerst kaum Ver- luste bescherte. Was auch immer Hawkins und Drake dazu bewegt haben mag, den Hafen von Cartagena als ihr nächstes Ziel anzusteuern, es sollte ihnen zum Verhängnis werden. Nicht nur handelte es sich bei Cartagena um einen der spanischen Haupthäfen in der Neuen Welt und war dementsprechend gut befestigt, die Siedlung wurde zudem auch regelmäßig von spa- nischen und portugiesischen Sklavenhändlern besucht und mit legalen Sklaven versorgt. Hin-

133 Lane 2016, 31. 134 Ebda., 35. 135 Eine detaillierte Darstellung der Ereignisse dieser dritten Sklavenexpedition findet sich bei Sugden 2006, 23- 38. S e i t e | 38 zu kam, dass Hawkins bei seinem letzten Ziel kaum noch Waren an Bord hatte, mit denen er hätte handeln können. Bereits dazu entschlossen, den Heimweg nach England anzutreten, trennte eine Schlechtwetterfront Hawkins Flotte und zwang einen Teil davon in Richtung ei- nes weiteren Haupthafens der Spanier, Veracruz. Einer Verwechslung mit einer aus Spanien erwarteten Flotte hatte es Hawkins zu verdanken, dass er für Reparaturen an seinen vom Sturm geplagten Schiffen auf der Insel San Juan de Ulúa anlegen konnte. Als am Folgetag jedoch die angekündigte spanische Flotte mit dem neuen Vizekönig von Neuspanien Martín Enríquez den Hafen erreichte, war die Eskalation dieser prekären Situation wohl schon vor- programmiert. Nur mit großen Verlusten gelangen Hawkins und Drake auf zwei separaten Schiffen die Flucht und schließlich – getrennt voneinander – die Rückkehr nach England.136

Der Angriff der Spanier auf Hawkins und dessen Mannschaft bot den Engländern eine will- kommene Rechtfertigung, eine Ära der Piraterie in Form von offenen Überfällen auf spani- sche Schiffe einzuleiten, die mit dem Englisch-Spanischen Krieg zwischen 1585-1604 in Freibeuterei überging.137 Wie die Historikerin Irene A. Wright in ihrer 1929 veröffentlichten Sammlung von Documents concerning English Voyages to the Spanish Main 1569-1580138 betont, bedeutete das jedoch nicht, dass der illegale Handel der Engländer im karibischen Raum damit abebbte. Vielmehr existierten Schmuggelhandel und Piraterie bis zur Provokati- on eines offenen Krieges durch Drakes Angriffe auf Santo Domingo, Cartagena und St. Au- gustine 1585/86 als simultane Phänomene. Trotz der enormen Verluste von Hawkins letzter Expedition war es aber nicht (nur) die katastrophale Niederlage von San Juan de Ulúa, welche die Beziehung zwischen England und Spanien endgültig in Feindschaft umschlagen ließ. Zwar ist der Einfluss dieses Ereignisses auf das englisch-spanische Verhältnis nicht zu unter- schätzen, schürten die Erfahrungen doch vor allem unter Seefahrern und den Hinterbliebenen der Opfer zusätzlichen Hass auf die Spanier – und Drake stellte für die Vergeltungsgedanken eine ideale Gallionsfigur dar. Dennoch, als dieser in der Nacht des 20. Januars 1569 nach ei- ner verlustreichen Überfahrt schließlich von San Juan de Ulúa nach Plymouth zurückkehrte und gemeinsam mit William Hawkins einen Brief an Elisabeth I. richtete, in dem sie einen Repressalienbrief zur Entschädigung für ihre Verluste forderten, stießen sie vorerst auf Ab- lehnung.139

136 Lane 2016, 32-34. 137 McFarlane 2017, 19. 138 Wright, Irene A. (Hrsg.) (2016): Documents concerning English Voyages to the Spanish Main 1569-1580. I. Spanisch Documents selected from the Archives of the Indies at Seville; II. English Accounts, Sir Francis Drake revived and Others Reprinted. London/New York: Routledge, S. XVIIf. 139 Sugden 2006, 41f. S e i t e | 39 In den ersten Jahren der Regierungszeit Königin Elisabeths I. hatte sich die politische Lage in Europa nämlich maßgeblich geändert und die Monarchin fand sich nun Ende der 1560er in einer für England äußerst prekären Lage wieder. Das von den Engländern seit Jahrzehnten als Erzfeind angesehene Frankreich hatte seit 1562 mit Bürgerkriegen zwischen den Hugenotten und den Katholiken im eigenen Land zu kämpfen. In Schottland wandte sich die Regentschaft nach Maria Stuarts Abdankung dem Protestantismus zu, wodurch sich England nicht mehr – wie durch die Ehe der schottischen Königin mit dem französischen König Franz II. einst noch der Fall – von zwei katholischen Mächten eingekreist vorfand. Damit fielen zwei entschei- dende Bedrohungen für die englische Nation weg, die mitunter Grund für deren Bestrebungen waren, sich mit dem spanischen Königshaus gutzustellen. Schon vor Hawkins Provokationen durch Schmuggelexpeditionen und Überfälle auf spanische Sklavenschiffe wurde das Band zwischen England und Spanien also immer schwächer. Dadurch rückte Spanien zunehmend selbst an die Stelle des einstigen gemeinsamen Feindes Frankreich.140

Den sprichwörtlichen Tropfen, der das Fass englisch-spanischer Konflikte zum Überlaufen brachte, stellten letztendlich die Spanischen Niederlande dar. Mit der Abdankung Kaiser Karls V. fiel das Gebiet der heutigen Niederlande, Belgiens und Luxemburgs 1556 an die spanische Linie der Habsburger und wurde fortan von dessen ältesten Sohn Philipp II. regiert. Im Laufe des 16. Jahrhunderts – insbesondere zwischen 1495 und 1565 – hatten sich die Nie- derlande zu einer bedeutenden Wirtschaftsmacht in Europa entwickelt. Seit der Entdeckung Amerikas hatten sich die europäischen Handelszentren nämlich zunehmend vom Mittelmeer- raum auch an die nord- und westeuropäischen Atlantikküsten verlagert. Die drei Kernprovin- zen der Niederlande – Flandern, Brabant und Holland – erfuhren als Zentren für den Transit- handel dadurch einen enormen ökonomischen Aufschwung.141 Die Stadt Antwerpen avancier- te so zu einem der wichtigsten Handels- und Finanzzentren Europas und stellte um die Mitte des Jahrhunderts den wichtigsten Absatzhafen für die englische Textilindustrie dar.142 Die sich bereits unter Karl V. abzeichnenden Probleme im Land entwickelten sich unter Philipp II. jedoch zu anhaltenden Krisen, die auch das spanisch-englische Verhältnis maßgeblich beein- flussten. So führte die ungleiche Verteilung des aus dem Wirtschaftswachstum generierten Wohlstandes, der sich auf die urbanen Eliten konzentrierte, während die Bauern und Hand- werker in den ländlichen Gebieten mit zunehmender Armut zu kämpfen hatten, zu wachsen- den Unruhen. 1565 folgte durch den Zusammenfall eines Ernteausfalls mit ungewöhnlich

140 Sugden 2006, 39f. 141 Van Gelderen, Martin (2009): The Political Thought of the Dutch Revolt 1555-1590. Cambridge/New York/Oakleigh: Cambridge University Press (= Ideas in Context), S. 14f. 142 Van Gelderen 2009, 14f.; Sugden 2006, 40. S e i t e | 40 harschen Wintermonaten eine ernsthafte ökonomische Krise, deren Folgen Massenarbeitslo- sigkeit und Teuerungen waren.143

Hinzu kam, dass König Philipp II. auf den sich in den Niederlanden ausbreitenden Calvinis- mus mit einer gewaltsamen Gegenreformation antwortete. Nachdem es 1566 zum Bildersturm der Calvinisten gegen zahlreiche katholische Kirchen gekommen war, wurde Fernando Álva- rez de Toledo, der 3. Herzog von Alba, von Philipp II. als Statthalter der Spanischen Nieder- lande eingesetzt. Dieser versuchte mit einem ‚Rat der Unruhen‘ die (katholische) Ordnung im Land wiederherzustellen. In die Geschichte ging dieses Sondergericht, durch dessen Urteil innerhalb weniger Monate über 6 000 Menschen, gefolgt von rund 12 000 weiteren Opfern in den folgenden Jahren, ihr Leben am Galgen lassen mussten, als ‚Blutrat von Brüssel‘ ein.144 Mit seinem brutalen Vorgehen gegen die Aufständischen avancierte der Herzog von Alba auch zu einem zentralen Feindbild der ‚Schwarzen Legende‘. Bereits die ersten Berichte über die Eroberungen Spaniens in Amerika hatten die sogenannte Leyenda negra genährt. Wäh- rend des 16. Jahrhunderts formte sich insbesondere in den protestantisch geprägten Gebieten – England und die Niederlande sollten hier eine besondere Rolle einnehmen – eine gegen Spa- nier gerichtete Propaganda.145 In zahlreichen Büchern und Pamphleten wurde das erzkatholi- sche Spanien als rückständiges Land dargestellt, dessen gewalttätige, abergläubische und fa- natische Natur sich in der Spanischen Inquisition ebenso wie in der Eroberung der Neuen Welt widerspiegle.146 Besonders während des Aufstandes der Niederlande, der im Achtzigjäh- rigen Krieg mündete, fand diese verzerrte Darstellung der spanischen politischen Praktiken unter Ausklammerung der wohl ebenso gewalttätigen und von religiösem Fanatismus gepräg- ten Aktionen der anderen europäischen Mächte zu dieser Zeit ihren Höhepunkt, da die Legen- de als Rechtfertigung für den Aufstand gegen den katholischen König Philipp II diente.147

Die protestantische Königin Elisabeth I. sah sich vom Terror, der sich direkt vor den Grenzen Englands abspielte, und den in den Spanischen Niederlanden stationierten Soldaten zuneh- mend bedroht.148 Nach dem bereits erwähnten Handelsembargo der Spanier auf den engli-

143 Van Gelderen 2009, 15. 144 Elvert 2018, 145; Sugden 2006, 41. 145 Über den genauen Ursprung der Leyenda Negra sind sich die HistorikerInnen uneinig, viele verweisen dabei jedoch auf das Italien des 14. und 15. Jahrhunderts, in dem sich ein Vorläufer der Schwarzen Legende finden soll. 146 Für ausführlichere Darstellungen der Schwarzen Legende in der Frühen Neuzeit vgl. Greer, Margaret R./Mignolo, Walter D./Quilligan, Maureen (Hgg.) (2008): Rereading the Black Legend. The Discourses of Religious and Racial Difference in the Renaissance Empires. Chicago/London: University of Chicago Press. [darin für das Thema dieser Arbeit besonders interessant ist Kapitel 6: The Black Legend and Global Conspiran- cies. Spain, the Inquisition, and the Emerging Modern World, Irene Silverblatt). 147 Vgl. Swart, K.W. (1975): The Black Legend during the Eighty Years War. In: Britain and the Netherlands. Hrsg. von J.S. Bromley und E.H. Kossmann. Den Haag: Martinus Nijhoff, S. 36-57. 148 Eldred 2010,15f.; Sugden 2006, 40f. S e i t e | 41 schen Warenaustausch in Antwerpen in den Jahren 1563/64 – auf das die Engländer ebenfalls mit der Schließung ihrer Häfen für den spanischen Handel reagierten – hatten die englischen Händler ihre Geschäfte ohnehin bereits in Richtung des Heiligen Römischen Reiches, allen voran nach Köln, Frankfurt, Emden und Hamburg, verlagert.149 Trotz ihrer guten Beziehun- gen zu den Niederlanden – in den Jahren 1576 und 1585 wurde ihr sogar die formale Herr- schaft über die aufständischen Provinzen angetragen150 – zeigte sich Elisabeth I. vorerst zö- gerlich, was die Unterstützung der niederländischen Aufständischen anging.151 Mit ihrer Re- aktion auf fünf im November 1568 – nur wenige Monate vor Drakes Heimkehr aus San Juan de Ulúa – in Plymouth und Southampton einlaufenden spanischen Schiffen trieb Elisabeth I. die Spannungen zwischen England und Spanien schließlich auf ein neues Niveau. Die Schiffe waren für den Herzog von Alba von größter Bedeutung, waren diese doch mit 85.000 £ bela- den, die dieser für die Ausstattung seiner Soldaten in den Niederlanden dringend benötigte. Auf der Suche nach Schutz vor einem Unwetter und hugenottischen Korsaren ankerten die Schiffe im Ärmelkanal und luden einen Teil der wertvollen Fracht an Land. Auf Albas Forde- rung einer sicheren Eskorte seines Schatzes hin beschloss die englische Königin, das Geld einzubehalten. Kurz zuvor hatte sie nämlich erfahren, dass es sich dabei um einen Kredit aus Genua handelte, den sie sich selbst sichern wollte. Angesichts der chronisch leeren Staatskas- sen und des Grolls, den Elisabeth I. aufgrund der Gefangennahme einiger ihrer Händler in Madrid und Brüssel durch die Spanier gegen diese hegte, schien dies eine günstige Gelegen- heit. Die Revanche für diesen Schachzug sollte jedoch nicht lange auf sich warten lassen.152

Bis zum Englisch-Spanischen Krieg prägten derartige Aktionen das spannungsgeladene Ver- hältnis zwischen England und Spanien. Schon vor dem offenen Krieg erkannte Elisabeth I. den Wert von Piraten und Freibeutern als naval resource, wie ein Ausschnitt aus John Dees – einem Berater der Königin beim Aufbau ihrer Marine – General and Rare Memorials Pertai- ning to the Perfect Art of Navigation aus dem Jahr 1577 zeigt:

By this navy also, all pirates – our own countrymen, and they be no small number – would be called, or constrained to come home. And then (upon good assurance taken of the reformable and men of choice, for their good bearing from henceforth) all such to be bestowed here and there in the aforesaid Navy. For good account is to be made of their

149 Sugden 2006, 40f. 150 Vgl. Adams, Simon (2004): Elizabeth I and the Sovereignty of the Netherlands 1576-1585. In: Transactions of the Royal Historical Society. Jg. 14, S. 309-319. 151 Vgl. Kaufman, Peter Iver (2014): Queen Elizabeth’s Leadership Abroad. The Netherlands in the 1570s. In: Leadership and Elizabethan Culture. Hrsg. von ders. New York: Palgrave Macmillan, S. 73-87. 152 Childs 2014, 198f.; Sugden 2006, 40. S e i t e | 42 bodies, already hardened to the seas; and chiefly of their courage and skill for good ser- vice to be done at the sea.153

Zwar unterstützte Königin Elisabeth I. bereits zuvor Sklavenschmuggler – so auch John Hawkins‘ zweite und dritte Sklavenexpedition mit den Schiffen Jesus of Lübeck und der Mi- nion – und tolerierte die Aktivitäten privater Seebeutenehmer gegen die Feinde ihrer Nation. Ab 1568 setzte sie diese ‚Ressourcen‘ jedoch zunehmend strategisch ein. David Childs schreibt in seinem 2014 erschienen Werk Pirate Nation. Elisabeth I and her Royal Sea Rovers sogar von einer ‚Piratennation’:

By the mid sixteenth century England had earned her epithet of a nation of pirates, but in the quarter century that closed with Elizabeth’s death in 1603, the country turned from be- ing a nation of pirates into a pirate nation; a state whose own ruler was identified as a pi- rate queen who (along with most her adviser, favourites and legal practioners) was a ben- eficiary of piracy.154

Trotz der überspitzten Formulierung ist der Begriff nicht grundlegend falsch, waren spätes- tens ab 1568 regelmäßig politische Autoritäten und die Königin selbst an Expeditionen priva- ter Seebeutenehmer beteiligt, was sich zu einem System entwickelte, das Piraterie155 mehr als nur in die Hände spielte. Nicht umsonst trägt Elisabeth I. in zahlreichen – wenn auch primär populärwissenschaftlichen – Werken den Beinamen The Pirate Queen. Die englischen Pira- ten- und Freibeuteraktivitäten spielten sich dabei in erster Linie in zwei Sphären ab: Einerseits ließ Elizabeth I. private Seebeutenehmer – darunter häufig auch nach England geflüchtete Geusen156 – entlang der englischen Küsten patrouillieren und Eindringlinge unabhängig ihrer Nationalität angreifen, um den Handel mit Frankreich und dem Heiligen Römischen Reich abzusichern.157 Zum zweiten Schauplatz für Überfälle auf See und Plünderungen von Häfen wurde der karibische Raum. Hier schlossen sich viele der englischen Seebeutefahrer – trotz der schon regelrecht zur Tradition gewordenen Rivalität ihrer Heimatnationen – mit französi- schen Korsaren zusammen, die dort bereits den spanischen Silberflotten auflauerten und die Häfen der Westindischen Inseln bedrohten.158 Zwar waren auch die niederländischen Water- zu dieser Zeit in der von den Spaniern dominierten Neuen Welt aktiv, allerdings ver-

153 Zit. nach Fuchs, Barbara (2000): Faithless Empires. Pirates, Renegadoes, and the English Nation. In: ELH. Jg. 67, H 1, S. 45. 154 Childs 2014, 2. 155 Da die seeräuberischen Aktivitäten der meisten in dieser Phase aktiven privaten Seebeutenehmer zwar von ihrem Herrscherhaus toleriert und manchmal verdeckt gefördert wurden – siehe Francis Drakes Famous Voyage weiter unten –, segelten diese doch offiziell als Piraten, weshalb hier bewusst diese Bezeichnung gewählt wurde. 156 So wurden die niederländischen Aufständischen während des Achtzigjährigen Krieges genannt. 157 Ronald, Susan (2008): The Pirate Queen. Queen Elizabeth I, her Pirate Adventurers, and the Dawn of the Empire. New York/London [u.a.]: Harper Perennial, S. 145. 158 Lane 2016, 35. S e i t e | 43 hinderten die Konflikte im eigenen Land derzeit noch größer angelegte Angriffe gegen deren Besitzungen.159

Nicht nur die französischen Korsaren stellten in der Karibik jedoch geeignete Verbündete im Kampf gegen die Spanier dar.160 Auch die als Cimarrónes161 bezeichneten entflohenen Skla- ven und – wenngleich in geringerem Ausmaß – indigene Gruppen trieb eine Mischung aus Ressentiment, Misstrauen und Pragmatismus dazu an, sich vorübergehend mit den gut be- waffneten französischen und englischen Piraten zu verbünden. Ihre Kenntnisse der Umgebung sowie der Warentransportrouten der Spanier spielten den Taktiken der Piraten in die Hände. Diese sahen nämlich in der Regel Spionage und Geiselnahmen vor. Zudem verfügten weder die Engländer noch die Franzosen zu diesem Zeitpunkt über Stützpunkte im karibischen Raum, die ihnen als Basis hätten dienen können. Der Großteil der entflohenen Sklaven hinge- gen lebte in kleinen Gemeinschaften in Mexiko, Panamá und auf der Insel Hispaniola, wo sie sich immer wieder gegen Überfälle ihrer spanischen Nachbarn verteidigen mussten. Auch für sie hatte die Zusammenarbeit mit den über die notwendige Feuerkraft verfügenden Piraten daher (vorübergehend) ihren Nutzen, der sie vorerst sogar über deren Aktivitäten als Sklaven- händler hinwegsehen ließ.162

So führten Maroons163 beispielsweise Francis Drake und seine Gefährten nach einem erfolg- losen Angriff auf eine spanische Fregatte auf dem Weg von Cartagena nach Nombre de Dios 1571164 im darauffolgenden Jahr unentdeckt über den Isthmus von Panamá, wo sie sich mit dem französischen Korsaren Guillaume le Testu zusammentaten.165 Damit traf Drake die Spanier an einer empfindlichen Stelle. Über den Isthmus von Panamá wurden nämlich das Gold und Silber aus Bolivien, und Peru bis nach Panamá transportiert. Von dort aus

159 Lane 2016, 37. 160 Auch im europäischen Raum taten sich (hugenottische) Franzosen und Engländer zusammen. Mit Repressali- enbriefen ausgestattet plünderten sie von den Häfen in Plymouth und La Rochelle ausgehend Schiffe sämtlicher anderer Nationen, allen voran der Spanier. Die Repressalienbriefe stammen dabei meist von bekannten Anfüh- rern der Hugenotten wie Gaspard de Coligny oder dem späteren König von Frankreich, Heinrich IV. von Na- varra. Vgl. Rodger 2014, 154; Rodger, Nicholas M. (2004): Queen Elizabeth and the Myth of Sea-Power in English History. In: Transactions of the Royal Historical Society. Jg. 14, S. 154ff. 161 Die Bezeichnung cimarrónes leitet sich wahrscheinlich von den spanischen Begriffen cima (dt.: Gipfel, Spit- ze) und marrón (dt.: braun) ab und stammt von den Konquistadoren. Siedlungen der Cimarrónes finden sich in weiten Teilen der spanischen Gebiete im karibischen Raum sowie am amerikanischen Festland und waren immer wieder Schauplatz oder Quelle von Revolten gegen die Spanier. Ihre größte Ausdehnung und Einfluss erlangten die Cimarrónes im Gebiet des Isthmus von Panamá, in den Weiten des Dschungels zwischen den zwei wichtigs- ten spanischen Siedlungen Panamás, Nombre de Dios und Panamá. Insbesondere die Cimarrónes von Vallano spielten für englische und französische Piraten und Freibeuter wiederholt eine entscheidende Rolle, wie im Fol- genden noch deutlich wird. Eine ausführlichere Darstellung der Geschichte der Cimarrónes in Panamá bietet Pike, Ruth (2007): Black Rebels. The Cimarrons of Sixteenth Century Panama. In: The Americas. Jg. 64, H 2, S. 243-266. 162 Lane 2016, 35f. 163 Der Name leitet sich von der spanischen Bezeichnung cimarrónes ab. 164 Vgl. Sugden 2006, 49. 165 Vgl. Lane 2016, 37. S e i t e | 44 fanden die Schätze entweder per Maultierkarawane oder in Barken über den Flussweg ihren Weg nach Nombre de Dios, von wo aus sie wiederum zu den anderen spanischen Kolonien verschifft wurden. Nombre de Dios war zudem einer der zentralen Häfen für die spanische Silberflotte. Angesichts der Signifikanz dieser Siedlung und der Route über den Isthmus von Panamá waren beide Orte jedoch nur spärlich verteidigt und lediglich dann in der Lage, einen Angriff abzuwehren, wenn die spanische Silberflotte gerade im Hafen ankerte.166 Die Ausbeu- te der Plünderungen in den frühen 1570ern war dennoch bescheiden und ging keineswegs ohne Verluste vonstatten.167 Zwar gelang es Drake sogar, mit einem Teil seiner Beute zu ent- kommen; Testu hingegen wurde gefangen genommen, als Pirat hingerichtet und sein Kopf noch jahrelang zur Abschreckung am Hauptplatz von Nombre de Dios aufgestellt.168 Zudem waren die englischen und französischen Piraten selbst mit Unterstützung der Maroons nicht in der Lage, längerfristige Außenposten im karibischen Raum zu halten, fehlte es ihnen doch an Unterstützung durch ihre jeweiligen Herrscherhäuser in Europa. Dennoch lösten selbst kleine- re Unternehmungen wie Drakes Überfälle um Panamá Besorgnis bei den Spaniern aus, da diese fürchteten, ihre europäischen Gegenspieler könnten in der Neuen Welt Fuß fassen.169

Der gemeinsame Feind Spanien bildete hierbei zweifelsohne ein zentrales Motiv, das die ver- schiedenen Parteien zusammenarbeiten ließ. Dennoch standen hinter dieser Gemeinsamkeit verschiedene Interessen, weshalb sie eher als Zweckgemeinschaften zu bewerten sind: Nach- dem die Spanier unter der Führung des Admirals Pedro Menéndez de Avilés unzählige Huge- notten im heutigen Florida sowie bei ähnlichen Gemetzeln in Brasilien als Häretiker massa- kriert hatten, stand bei den französischen Korsaren, die zu großen Teilen aus geflüchteten Protestanten bestanden, ein religiöses Rachemotiv im Vordergrund. Trotz ebenfalls bestehen- der konfessioneller Gegensätze mit den Spaniern ging es den englischen Piraten hingegen weniger um religiöse Vergeltung als um finanzielle Wiedergutmachung – und vermutlich auch um Wiederherstellung ihrer Ehre.170 Denn auch sie hatten in San Juan de Ulúa enorme Verluste erlitten, für die sie – wie Drakes und Hawkins‘ Forderung eines Repressalienbriefes kurz nach deren Rückkehr zeigt – Entschädigung forderten. Zudem hatten diese Ereignisse die Spanier das Zentrum ihres Feindbildes einnehmen lassen. Insbesondere Francis Drake wählte nach diesem Desaster die Piraterie als seinen bevorzugten Weg der Rache und erntete dabei von den Spaniern den Namen El Draque (dt.: ‚der Drache‘). Dass dabei – wie bei sämtlichen

166 Sugden 2006, 46f. 167 Lane 2016, 37. Für eine ausführlichere Darstellung von Drakes Unternehmungen in den frühen 1570ern vgl. Ronald 2008, 148-174. 168 Edelmayer 2012, 177. 169 Lane 2016, 35-37. 170 Ebda., 35. S e i t e | 45 Piratenaktivitäten – das ökonomische Motiv des Beutemachens das Handeln der Piraten in der Regel mitbestimmte, wenn nicht sogar andere Interessen überschattete, wird am Ausmaß der Plünderungen deutlich. So überstiegen Drakes erbeutete Schätze aus seiner Westindien-Reise deutlich die in San Juan de Ulúa erlittenen und bei der englischen Königin geltend gemachten Verluste seines Cousins John Hawkins.171

Es war jedoch die besondere politische Lage in Europa im Allgemeinen und Elisabeths I. fle- xible Politik, die allen voran die englische Piraterie im Atlantik bis in die Karibik zu dieser Zeit florieren ließ. Bereits zwischen 1560 und 1564 hatte die englische Königin während der Konflikte mit Frankreich Proklamationen erlassen, die Angriffe auf ‚feindliche‘ Handelsschif- fe begünstigten und diese unter einen Deckmantel der Legalität hüllten. Vor allem das Aus- stellen allgemeiner Repressalienbriefe, an denen der Lord Admiral – der Oberbefehlshaber über die sich angesichts der zunehmenden Spannungen mit Spanien langsam zu einer stehen- den Flotte entwickelnden – mitverdiente und die nicht mehr auf die Wiedergut- machung konkreter erlittener Verluste beschränkt waren, wurde rund 20 Jahre später im Eng- lisch-Spanischen Krieg erneut zur gängigen Praxis.172 Bis das englisch-spanische Verhältnis endgültig kippte und ein Krieg zwischen den beiden Nationen unvermeidbar schien, schuf Elisabeth I. langsam die staatlich-rechtlichen Voraussetzungen, die ihr enorme Profite aus den Plünderungen ihrer privileged pirates sicherten, wie Childs zusammenfasst:

So with her famed pragmatism, Elizabeth turned herself into a pirate queen, protesting her innocence or impotence to foreign ambassadors, while accepting her share from her way- ward, and always disownable, pirates. Every relevant facet of her state was involved in the plundering, including the Privy Council, of which the Lord Admiral was a member; the High Court of Admiralty, to which the Lord Admiral appointed the judges; the vice admirals of the coastal counties, who were often related to the Lord Admiral, as were many of the naval commanders who seized the goods. At a local level, sheriffs and magis- trates soon learned the peculiarities of administering justice to pecuniary advantage, while merchants found out how to make gains by obtaining ‘letters of reprisal’ which enabled them to thieve at sea with legal authority.173

Dieselbe Anpassungsfähigkeit in Königin Elisabeths I. Politik – die von Gegnern eher als Inkonsistenz wahrgenommen wurde – sowie ihr diplomatisches Taktieren, das es vielen See- fahrern ermöglichte, mittels staatlich geförderter Seeraubaktivitäten ein Vermögen zu verdie- nen und dabei Ruhm und Ehre zu erlangen, konnte für unglücklichere private Seebeutenehmer jedoch auch ein fatales Ende bedeuten. Die Beispiele hierfür in der Geschichte englischer

171 Vgl. Childs 2014, 9. 172 Ebda., 5. 173 Ebda., 5f. S e i t e | 46 Seefahrer sind zahlreich und reichen von John Hawkins (1532-1595) bis hin zu Walter Raleigh (1552/54-1618). Insbesondere die Karrieren Francis Drakes und seines Zeitgenossen John Oxenhams – im Folgenden an Drakes Famous Voyage 1577-80 und Oxenhams 1576 begonnener Expedition Richtung Panamá, die 1580 mit dessen Exekution durch die Spanier in Lima endete, demonstriert – zeigen auf, welche Faktoren das Schicksal eines Piraten bestim- men konnten.

Mit einer Besatzung von 164 Mann und 4 relativ kleinen Schiffen brach Francis Drake am 13. Dezember 1577 zu seiner Weltumseglung auf, die als The Famous Voyage in die Ge- schichte einging. Die Reise sollte über die Magellanstraße im südlichen Chile in den Pazifik führen und hatte in erster Linie Piratenüberfälle auf die spanischen Schiffe und Niederlassun- gen zum Ziel.174 Zwar könnte Drake auch ein Auge auf den asiatischen Gewürzhandel gewor- fen haben, dieser schien jedoch bestenfalls sekundäre Bedeutung zu haben. Als Drake 1578 die Westküste erreichte, war von der einstigen Flotte nur noch sein Flaggschiff Pelican übriggeblieben; die restlichen Schiffe wurden aus strategischen Gründen bewusst zerstört oder zurück nach England geschickt. Mit der Ankunft in Valparaíso, dem Hafen von Santiago de Chile, konnte Drake bei einigen Überfällen auf spanische Schiffe einen ersten Vorge- schmack auf die reichen Schätze der Spanier erlangen.175 Die Beutefahrt führte Drake die Küste entlang Richtung Norden, wo weitere Plünderungen spanischer Schiffe und Häfen folg- ten: Ein Angriff auf in Callao (Lima) ankernde Schiffe warf nur wenig Beute ab, setzte Drake und seine Mannschaft jedoch von einem erst kürzlich Richtung Panamá losgesegelten und mit reichen Schätzen beladenen Schiff – der Cacafuego – in Kenntnis. Nicht ohne weitere Plünde- rungen am Weg holte Drake das träge spanische Schiff vor der Küste der Real Audiencia de Quito (Ecuador) ein und sicherte sich dessen Ladung. Während die Golden Hinde (engl.: Gol- den Hind) – wie Drake sein Flaggschiff seit der Passierung der Magellanstraße nannte – ge- kielholt wurde, kaperten Drake und seine Crew mit einer zuvor gekaperten Pinasse erneut ein spanisches Schiff vor der Isla del Caño (Costa Rica).176

174 Kenneth R. Andrews legt in seinem Artikel The Aims of Drake`s Expedition of 1577-1580 nicht nur die Moti- ve von Drakes Famous Voyage dar, sondern gibt auch einen Überblick über die unterschiedliche Bewertung dieser durch HistorikerInnen. Mittlerweile wird kaum noch bezweifelt, dass Drakes Hauptinteresse den Piraten- aktivitäten und der persönlichen Rache an den Spaniern galt. Vgl. Andrews, Kenneth R. (1968): The Aims of Drake`s Expedition of 1577-1580. In: The American Historical Review. Jg. 73, H 3, S. 724-741. 175 Lane 2016, 38f. 176 Vgl. Ebda., 39f. S e i t e | 47

Abbildung 2: Die Route der Famous Voyage des Francis Drake 1577-1580

Drakes Raubzug schürte bei den Spaniern an der Pazifikküste zugleich Furcht und Rachege- danken, die jedoch trotz mehrerer sich formierender bewaffneter Gruppen, die nach Drake suchten, nicht erfüllt werden sollten. Nach einem letzten Überfall auf den kleinen mexikani- schen Hafen Guatulco schlug Drake nämlich den Weg weiter westwärts ein, der ihn über den nördlichen Pazifik bis zu den als ‚Gewürzinseln‘ bezeichneten Molukken und schließlich über den Indischen Ozean und um das Kap der guten Hoffnung zurück nach Plymouth brachte. Grund für die Rückreise war wohl die Nachricht darüber, dass die spanische Manila-Galeone, welche einmal im Jahr von den Philippinen aus Acapulco ansteuerte, seit mehreren Monaten überfällig war und man ein Aufeinandertreffen selbst mit der geschwächten spanischen Flotte nicht riskieren wollte.177 Nicht nur in diesem Fall bewies Drake ein Händchen für richtiges Timing und nährte die Legende über sein außergewöhnliches Talent, im letzten Moment zu entkommen, wie er es bereits bei seinen Raubzügen am Isthmus von Panamá unter Beweis gestellt hatte. Einige spanische Seefahrer glaubten sogar an übernatürliche Kräfte oder magi- sche Gegenstände, die es Drake ermöglichten, die Schiffe seiner Gegner aufzuspüren und auszuspionieren oder sogar die Meereswinde zu kontrollieren.178 Derartige Mythen über el dragón weisen nicht nur auf die enormen Erfolge seiner Plünderungen hin, sondern zeigen auch die regelrecht ehrfürchtige Reaktion auf, die Drake als Pirat bei den Spaniern auslöste.

177 Lane 2016, 42f. 178 Neale, John E. (2005): Queen Elizabeth I. Chicago: Academy Chicago Publishers, S. 332f. S e i t e | 48 Mit der ungewöhnlichen Frage, ob die Königin denn noch am Leben sei, soll Drake bei seiner Rückkehr am 26. September 1580 einen Fischer im Hafen von Plymouth begrüßt haben.179 Damit zielte er darauf ab, zu erfahren, ob es der streng katholischen, schottischen Königin Maria Stuart durch die Unterstützung Philips II. während Drakes Abwesenheit gelungen war, den englischen Thron zu besteigen. Tatsächlich hatte es mehrere geplante Komplotte zur Er- mordung Elisabeths I. und Erhebung der katholischen Maria Stuart zur Königin von England gegeben, die unter anderem durch den spanischen König Philipp II. unterstützt wurden. Die Ridolfi-Verschwörung in den Jahren 1570/71 sowie die Throckmorton-Verschwörung 1583 und die Babington-Verschwörung 1586 waren die prominentesten Versuche, die abgedankte schottische Königin nach ihrer Gefangennahme durch Elisabeth I. zu befreien und auf den englischen Thron zu bringen. Sämtliche dieser Intrigen scheiterten jedoch und Maria Stuart wurde schließlich 1587 von ihrer Erzrivalin hingerichtet. Die Aufdeckung Philipps II. Ver- wicklungen in diese Verschwörungen schürte jedoch schon früh Misstrauen gegenüber dem spanischen König und trug somit weiter zur Verschlechterung des englisch-spanischen Ver- hältnisses bei. Noch immer wurden die Konflikte zwischen den beiden Nationen jedoch eher in Form eines Kalten Krieges ausgefochten, bei dem vom Königshaus geförderte Piraten und später Freibeuter eine entscheidende Rolle spielten.

Zwar sind die Quellen über die Beteiligung Königin Elisabeths I. an Drakes Expedition von 1577-1580 äußerst rar und zudem sehr vage formuliert – das einzige Schriftstück, in dem überhaupt Piraterie als wahrer Grund für Drakes Reise sowie die Teilhaberschaft der Königin angedeutet wird, wurde in einem Feuer beschädigt und ist daher nur mehr in Bruchstücken erhalten –, es wäre jedoch mehr als nur leichtsinnig und wagemutig von Drake gewesen, eine solche Unternehmung ohne Genehmigung seiner Königin zu planen, zumal er sich auf eine solche berief.180 Als Thomas Doughty – der Sekretär des Kommandanten der königlichen Leibgarde, Christopher Hatton, und Befehlshaber der erbeuteten portugiesischen Karavelle Mary auf Drakes Weltumseglung – die Autorität Drakes infrage stellte und eine Meuterei an- zuzetteln versuchte, entgegnete dieser, dass die Königin selbst nicht nur in seine Reise inves- tiert hatte, sondern ihm auch den direkten Auftrag zur Vergeltung an König Philipp II. durch Plünderungen „for divers injuries that I have received“ gegeben habe.181 Wie Eldred betont, hatte Drake jedoch auch spezielle Maßnahmen zur Verschleierung des eigentlichen Ziels sei- ner Reise vorgenommen, was darauf hindeutet, dass die Weltumseglung ursprünglich als Un- ternehmen privater Investoren im Stile der Martial Maritimes geplant war und Piratenaktivitä-

179 Childs 2014, 85; Sugden 2006, 144. 180 Childs 2014, 72; Sugden 2006, 96. 181 Childs 2014, 73; Sugden 2006, 98. S e i t e | 49 ten gegen die Spanier zu dessen Hauptintention zählten.182 Es bleibt unklar, ob die Königin tatsächlich von Beginn an Plünderungen an der Westküste Süd- und Mittelamerikas im Sinn hatte oder diese Vorgehensweise eher Drakes persönlichen Rachegelüsten geschuldet war. Weder stellte Elisabeth I. Drake einen offiziellen Kaperbrief aus – zumal sie Spanien ohnehin nicht den Krieg erklärt hatte –, noch sollten irgendwelche schriftlichen Aufzeichnungen es ermöglichen, die englische Königin bei einem Scheitern des Unternehmens mit Piraterie in Verbindung zu bringen. Auch die angefragte Unterstützung durch ihr Schiff, der Swallow (dt.: ‚Schwalbe‘), verweigerte sie aus denselben Gründen.

Zum einen sollten die Spanier verständlicherweise nicht von den aggressiven Plänen Drakes in Kenntnis gesetzt werden, hätte es doch nicht einmal der Spionage bedürft, um die in Ply- mouth für eine Überseereise bereitgemachte Flotte zu entdecken und misstrauisch zu werden. Das Unternehmen wurde daher nach außen hin als friedliche Handelsreise getarnt und sogar entsprechende Dokumente über die vermeintliche Handelsroute angefertigt. Dass diese Auf- zeichnungen praktisch gesehen kaum Sinn machten, unterstützen nur die These, dass diese wohl eher als eine Art ‚Rückversicherungsschein‘ dienten, die es der englischen Königin er- möglichten, sich von den Piratenaktivitäten notfalls zu distanzieren.183 Nichtsdestotrotz schien das Täuschungsmanöver zu funktionieren. Aus taktischen Gründen wurden die Motive hinter Drakes Expedition aber nicht nur vor den Spaniern, sondern auch vor den meisten Beratern Elisabeths I. im Geheimrat und sogar vor der eigenen Schiffsbesatzung größtenteils verschlei- ert.

Zu Drakes Investoren hatten politisch einflussreiche Personen wie John Hawkins sowie Sir William und George Wynter gezählt, die über Beziehungen zur Royal Navy verfügten. Hinzu kamen wichtige Mitglieder des Privy Councils (dt.: ‚Kronrat‘ oder ‚Geheimrat‘) wie der Earl von Lincoln, der Earl von Leicester, Christopher Hatton und Francis Walsingham, von dem die besagte Quelle über die eigentlichen Pläne ihrer Expedition stammt. Damit hatte Drake eine Schar an einflussreichen Unterstützern um sich gesammelt, die allesamt eine anti- spanische Einstellung antrieb.184 Aber auch im Geheimrat der englischen Königin hätten nicht alle Berater ein derart offenes Vorgehen gegen die Spanier befürwortet. Trotz der beträchtli- chen Profite handelte es sich dabei nämlich angesichts der zentralen Rolle, die Spanien als Handelspartner für Englands Wirtschaft spielte, um ein ausgesprochen kurzsichtiges und risi- koreiches Unterfangen, dessen Auswirkungen durch die bis heute im Wesentlichen anhaltende Romantisierung Drakes als Nationalhelden sowie die Patriotisierung der englischen Freibeute-

182 Eldred 2010, 16f. 183 Childs 2014, 72. 184 Sugden 2006, 94f. S e i t e | 50 rei trivialisiert wurden.185 Die Gewinne, welche Elisabeth I. aus ihrer Investition in das Unter- nehmen erwirtschaften konnte, waren zweifelsohne enorm – „as great or greater than her enti- re annual revenue from tax and crown lands combined”186–, wenngleich der tatsächliche Wert von Drakes Beute nur geschätzt werden kann. Zugleich überstiegen die Profite aus Drakes Piratenaktivitäten, die für Spanien durchaus einen plausiblen Casus belli gegen England dar- gestellt hätten, jedoch nicht die vom legalen Handel mit dem Spanischen Habsburgerreich erzielten Einnahmen innerhalb desselben Zeitraums.187 Insbesondere vor William Cecil, dem 1. Baron Burghley, der zur Regierungszeit Elisabeths I. das Amt des Lord High Treasurers innehatte und somit zu den einflussreichsten Personen der englischen Regierung gehörte, soll- ten die Einzelheiten des Unternehmens geheim gehalten werden. Kaum verwunderlich ist daher, dass Burghleys Reaktion auf Drakes Rückkehr als eisig beschrieben wird. Neben ande- ren Beratern des Privy Councils soll auch er Elisabeth I. geraten haben, die Beute von Drakes Weltumseglung für die Restitution im Tower of London aufzubewahren, und Drakes Ge- schenk von 10 Barren Gold aufgrund der Herkunft seiner Reichtümer abgelehnt haben.188

Auch nach Drakes sicherer Rückkehr in den Hafen von Plymouth war sein Schicksal, ebenso wie das seiner Beute, vorerst keineswegs sicher. Erst als er von Elisabeth I. zu einer Audienz geladen wurde, wagte er es, sein Schiff zu verlassen.189 Mit reichen Schätzen beladen machte sich Drake auf den Weg zum königlichen Hof – seine Unterredung mit Elisabeth I. sollte gan- ze sechs Stunden dauern. Am Ende war die Königin begeistert vom Umfang von Drakes Beu- te und dessen Erzählungen. Sie ließ Drake 10.000 £ für sich selbst und weitere 4.000 £ – wenn nicht mehr – für seine Mannschaft sichern, bevor das restliche Raubgut überhaupt regis- triert wurde. Im Falle einer Restitutionsleistung an die Spanier würde dieser Anteil somit gar nicht in den Auflistungen aufscheinen. Gegenüber Philipps II. Botschafter Bernardino de Mendoza gab sich Elisabeth I. nicht nur selbst keiner Schuld bewusst, sondern nahm auch Drake vor den Anschuldigungen in Schutz. Infolgedessen verweigerte sie auch Restitutions- zahlungen an Spanien.190 Drake avancierte trotz einiger Kontroversen langsam zum National- helden.191 So ordnete die englische Königin an, die Golden Hinde nach Deptford zu bringen, wo das Flaggschiff von Drakes Weltumseglung fortan als Attraktion zur Schau gestellt wer-

185 Eldred 2010, 16f. 186 Lehr 2019, 85. 187 Eldred 2010, 19. 188 Ebda., 16f. 189 Neben der Ungewissheit darüber, wie er von der Königin aufgenommen werden und sein weiteres Schicksal aussehen würde, wütete in Plymouth zudem die Pest, weshalb Drake weit draußen vor dem Hafen ankern muss- te. 190 Sugden 2006, 147ff. 191 Trotz weniger schriftlicher Aufzeichnungen und Erzählungen über Drakes Weltumseglung durch seine Zeit- genossen ordnet Nievergelt den Einfluss der Famous Voyage als durchaus weitreichend ein. Vgl. Nievergelt, Marco (2009): Francis Drake. Merchant, Knight and Pilgrim. In: Renaissance Studies, Jg. 23, H 1, S. 53-70. S e i t e | 51 den sollte. Zuvor ließ Elisabeth I. Drake am 1. April 1581 bei einem festlichen Bankett am Deck der Golden Hinde durch den französischen Gesandten Monsieur de Marchaumont mit dem Ritterschlag ehren und dankte diesem damit für seine Verdienste. Für einen Mann von Drakes Herkunft stellte dies ein seltenes und daher außergewöhnliches Privileg dar, das ihn noch über Jahre hinweg begleiten sollte, in denen er als Königin Elisabeths I. ‚persönlicher‘ Pirat segelte.

Drakes Famous Voyage fand in den Jahren nach seiner Rückkehr zahlreiche Nachahmer, von denen manche mehr, manche weniger erfolgreich waren. Doch auch seine Plünderungen um Panamá zwischen 1570 und 1573 ließen bereits in mehreren Zeitgenossen die Hoffnung auf Reichtum und Ehre aufflammen, hatten diese doch gezeigt, welche Schätze in dieser Gegend lauerten und wie schwach die spanischen Gebiete in der Neuen Welt verteidigt waren. Nur rund 150.000 Spanier waren zu dieser Zeit auf den amerikanischen Kontinenten angesie- delt.192

Am 9. April 1576193 – und damit weniger als zwei Jahre vor Francis Drakes Weltumsegelung – segelte der Pirat John Oxenham in die Nähe von Nombre de Dios, um dort spanische Schif- fe zu überfallen. Oxenham hatte bereits bei den von Drake angeleiteten Raubzügen in Panamá 1572/73 an dessen Seite gestanden und verfügte daher nicht nur über Kenntnisse dieser Um- gebung, sondern auch über Beziehungen zu den Cimarrónes von Vallano194, welche Drake damals bei seiner Überquerung des Isthmus von Panamá unterstützt hatten.195 Oxenhams Ex- pedition beruhte auf den Plänen Sir Richard Grenvilles, der bereits 1574 der englischen Köni- gin seinen Plan zur Erkundung des Kontinents Terra Australis und zur Reise in den Pazifik unterbreitete.196 Diese hatte jedoch in eben diesem Jahr die mit Spanien vereinbarte Conventi- on of Bristol unterschrieben, in der sie zugestimmt hatte, das Gold des Herzogs von Alba frei- zugeben und die Ausstellung von Repressalienbriefen zu unterbinden, um so friedliche Han- delsbeziehungen mit den Spaniern wiederaufzunehmen.197 Da Elisabeth I. und ihre Berater

192 Dean, James S. (2009): Bearding the Spaniard. Captain John Oxnam in the Pacific. In: The Northern Mari- ner/le marin du nord. Jg. 19, H 4, S. 380; Southley, Thomas (1827): Chronological History of the West Indies. In Three Volumes. Vol. 1. London: Longman, Rees, Orme, Brown and Green (= Paternoster-Row), S. 201. 193 Wie der Marinehistoriker und Literaturwissenschaftler James S. Dean (2009, 381 [Fußnote 2]) anmerkt, vari- ieren die Daten für Oxenhams Reise nach Panamá laut bei Historikern zwischen 1574 und 1576. Diese Differen- zen sind primär auf die unterschiedliche Darstellung und Bewertung der Ereignisse in spanischen und englischen Quellen zurückzuführen, die – insbesondere während des Spanisch-Englischen Krieges – von ihren jeweiligen politischen Interessen geprägt waren. Dennoch scheinen hier die spanischen Quellen allein aufgrund der zeitli- chen Nähe der Aufzeichnungen zu den Ereignissen verlässlicher. 194 Vallano – auch bekannt als Bayano – war eine rund 30 nautische Meilen südlich von Nombre de Dios gelege- ne Siedlung, in der sich die den Spaniern entflohenen afrikanischen Sklaven angesiedelt hatten. 195 Dean 2009, 381. 196 Childs 2014, 70f. 197 Ebda., 70f., 201. S e i t e | 52 Piraterie als Hauptinteresse hinter Grenvilles Expedition vermuteten, stieß der Plan auf Ab- lehnung.198 Selbst angesichts des zweifelhaften Wahrheitscharakters von Drakes Aussage, er hätte vor seiner Weltumseglung den direkten Auftrag zur Plünderung spanischer Schiffe und Besitzungen durch die Königin höchstpersönlich erhalten, ergibt sich aus ihrer Beteiligung an Drakes Unternehmen zwei Jahre später eine gewisse Ironie. Daran wird jedoch deutlich, wie stark die Schicksale einzelner Piraten und Freibeuter von der aktuellen politischen Lage in Europa und den Entscheidungsträgern dieser Zeit abhängig waren.

Mit einer kleinen Fregatte und einer Mannschaft von rund 57 Mann199 erreichte John Oxen- ham als Kapitän und Schiffseigner – der Name des Schiffes ist nicht überliefert – im Spät- sommer 1576 jene Stelle nahe der spanischen Siedlung Nombre de Dios in Panamá, von der aus er einige Jahre zuvor mit Francis Drake bereits die spanischen Schiffe bedroht hatte. Wie- der schien ihm das Glück hold, denn mit nur zwei Pinassen kaperte er eine – möglicherweise sogar zwei – spanische Fregatten und ergatterte 18 Gefangene. Mit seiner Beute segelte er in den Golf von Acla, einer bereits seit 1532 von den Spaniern verlassenen Küstensiedlung, und versteckte die Schiffe bei einer nördlich davon gelegenen, kleinen Insel. Die Spanier hatten unterdessen von Oxenhams Gegenwart in Panamá erfahren und zwanzig Soldaten von Nomb- re de Dios aus mit der Gefangennahme beauftragt. Zwar fanden sie Oxenhams Schiffe und konnten auch die Sklaven befreien, Oxenham selbst gelang jedoch gemeinsam mit einem Großteil seiner Mannschaft die Flucht.200

Die exakten Abläufe und Daten von Oxenhams Expeditionen unterscheiden sich laut ver- schiedenen HistorikerInnen und Quellen.201 In jedem Fall verbündete sich Oxenham aber er- neut mit den Cimarrónes von Vallano, zu denen er bereits einige Jahre zuvor mit Drake eine Beziehung aufgenommen hatte. Sie verhalfen dem unbewaffneten John Oxenham und seinen Leuten zur Überquerung des Isthmus von Panamá. In der Nähe des Golfes von San Miguel, am Ufer des Rio Chucunaque, bauten sie gemeinsam eine weitere Pinasse202, mit der sie schließlich in den Pazifik gelangten. Glaubt man Sir Richard Hawkyns Darstellung der Ereig-

198 Wie bereits erwähnt, war es insbesondere Baron Burleigh, der überzeugt für die Wahrung friedlicher Bezie- hungen einstand. 199 Die Angaben variieren zwischen 50, 57 (Dean 2009, 382) und 70 Mann (Southley 1827, 201); in jedem Fall handelte es sich jedoch um eine relativ kleine Fregatte. 200 Dean 2009, 381f. 201 Die folgende Darstellung stützt sich auf Childs 2014, 71f., Hakluyt, Richard (2014): The Principal Navigati- ons, Voyages, Traffiques and Discoveries of the English Nation. In Twelve Volumes. Volume X. Cambridge: Cambridge University Press, S. 77-81, Dean 2009 und Southley 1827, 201f. 202 Auch hier unterscheiden sich die Bezeichnungen für das Schiff in englischen und spanischen Quellen; so handelte es sich je nach Quelle um eine Galiote, eine Barke, eine Schaluppe, eine Galeere oder eine Barkasse. Vgl. Dean 2009, 384. S e i t e | 53 nisse aus dem Jahr 1576203, war der Hass der Cimarrónes auf die Spanier so groß, dass sie als Gegenleistung für ihre Unterstützung die Aushändigung spanischer Gefangener an sie forder- ten, um diese zu verspeisen.

Mit der Pinasse segelte Oxenham weiter in den Pazifik, bis er die Perleninseln erreichte. Zehn Tage versteckte er sich dort, bevor er innerhalb weniger Tage gleich zwei von Guayaquil (Quito) und Lima (Peru) kommende spanische Barken kaperte. Selbst mit einer Beute von Gold im Wert von 60.000 Pesos und Silber im Wert von 100.000 Pesos – mehr, als er mit Francis Drake gemeinsam in den Jahren 1572/73 erlangte – gab sich Oxenham jedoch nicht zufrieden. Laut Hawkyns204 begegnete Oxenham auf einem der gekaperten Schiffe einer Frau einzigartiger Schönheit, in die er sich verliebte und die seinen Untergang besiegeln sollte. Angeblich überzeugte sie den Piraten davon, seine Gefangenen – von denen einer wohl ihr Sohn oder Neffe war – freizulassen. Kaum verwunderlich, dass die mit der Freiheit Beschenk- ten den direkten Weg nach Panamá wählten und den Autoritäten dort Bericht über Oxenhams Aufenthaltsort erstatteten. In spanischen und portugiesischen Quellen – wie den von Dean zitierten Aufzeichnungen des Portugiesen Lopez Vaz – wird diese Frau jedoch nicht er- wähnt.205

Für die spanischen Autoritäten – die Audiencia in Panamá und Perú – war die Festsetzung Oxenhams und der Maroons, die ihn unterstützten, von zentraler Bedeutung. Berichte an die Krone untermauern, welch ernstzunehmende Bedrohung Oxenhams Raubzug für die Spanier in Panamá darstellten:

We certify to your majesty that Pedro Menéndez did not merit more recognition, nor do as much in killing Jean Ribaut and all his company in Florida, as Pedro e Ortega Valencia has done in defeating and capturing John Oxnam. […] For had Oxnam succeeded in his undertaking, it would have entailed the total ruin of this realm and the utmost damage and disturbance through all Peru.206

Dean schätzt die Bedrohung durch Oxenham sogar größer ein als die durch die französischen Korsaren in Florida.207 Die Spanier verfolgten daher jede Spur Oxenhams. Dennoch gelang diesem noch einmal die Flucht; danach fand er sich jedoch unbewaffnet und mit dezimierter Unterstützung an der Karibikküste wieder und musste feststellen, dass das Versteck seiner Beute in Acla von den Spaniern aufgedeckt worden war. Am 8. September 1577 gelang es

203 Hawkyns Darstellung findet sich bei Wright 2016, 339 ff. 204 Wright 2016, 340f., Dean 2009, 384f. 205 Dean 2009, 384ff. 206 Zit. nach Dean 2009, 387. 207 Ebda., 387. S e i t e | 54 diesen schließlich, auch Oxenham mit dem verbliebenen Rest seiner Mannschaft und einigen Cimarrónes in Vallano festzusetzen und gefangen zu nehmen.208 Sowohl in den Berichten Lopez de Vaz‘ als auch Hawkyns‘ wird als entscheidender Grund für Oxenhams Scheitern sein ‚Betrug‘ an den Cimarrónes genannt.209 Auch der im 19. Jahrhundert auf den Westindi- schen Inseln als Marineoffizier stationierte Autor der dreiteiligen Chronological History of the West Indies, Thomas Southley, erwähnt Differenzen Oxenhams mit seinen Begleitern während der Flucht vor den Spaniern.210

Oxenham wurde noch in Panamá vor die Anklage gestellt, wo er betonte, ohne Genehmigung durch die englische Königin oder eine andere Autorität gehandelt zu haben. Für Elisabeth I. stellten die Plünderungen Oxenhams aber ohnehin kein wirkliches Problem dar, konnte sie sich doch auf die 1574 und 1576 mit den Portugiesen sowie den Spaniern getroffenen Verein- barungen berufen, keine weiteren Repressalienbriefe auszustellen und Piratenaktivitäten zu unterbinden211:

[a] suspension of all arrests and letters of marque for the period of three years from 15 November 1576, and an agreement to the appointment of commissioners to determine all matters in controversy concerning the mutual traffic between the countries and domin- ions of the Queen of England and those of the King of Portugal, and also providing for the more effectual suppression of piracy.212

Derartige Vereinbarungen mit Spanien und Portugal ermöglichten es der englischen Königin, sich bei einem Fehlschlag der Vorstöße ‚ihrer‘ Piraten in die Neue Welt aus der Affäre zu ziehen und diese als private Unternehmungen abzutun, wie es nun auch bei John Oxenham der Fall war. Schon in den Jahren zuvor nutzte die Königin immer wieder Proklamationen zur Unterbindung und Bekämpfung von Piraterie und Freibeuterei als eine Art Rückversicherung. Wie Childs betont, hätten diese durchaus eine gewisse Wirkung zeigen können, wären sie von Elisabeth I. selbst ebenso wie von den lokalen Unterstützern von Piratenaktivitäten, die erheb- liche Profite damit erzielten, forcierter verfolgt worden. Zwar kamen keineswegs alle Piraten ungestraft davon, die wachsenden Gewinne aus Piratenunternehmungen ließen die englische Königin jedoch immer mehr Flexibilität hinsichtlich des Umgangs mit diesen an den Tag le- gen, wie Childs anhand der Korrespondenzen spanischer Botschafter in England aufzeigt.213

208 Childs 2014, 71; Dean 2009, 388. 209 Dean 2009, 210 Southley 1827, 202. 211 Childs 2014 71f. 212 Zit. nach Childs 2014, 201. 213 Vgl. Ebda., 195-203. S e i t e | 55 Die Karrieren Francis Drakes und John Oxenhams, William und John Hawkins‘ sowie weite- rer, hier nicht im Detail aufgeführter privater Seebeutenehmer demonstrieren nicht nur die Flexibilität der Regierung Englands im Umgang mit Piraterie (und Freibeuterei), die dazu führte, dass letztlich der richtige Zeitpunkt einen entscheidenden Faktor für das Schicksal der Beutefahrer bildete. Bis 1585 hatten die seeräuberischen Aktivitäten Englands eher den Cha- rakter privat organisierter und von der Krone eher tolerierter und legitimierter als in Auftrag gegebener Expeditionen, bei denen ökonomische Interessen im Vordergrund standen.214 Dies änderte sich jedoch mit dem Englisch-Spanischen Krieg 1585-1604. Im Jahr 1585 gelangten die englisch-spanischen Gegensätze nämlich zu einem Höhepunkt, an dem ein Krieg unver- meidbar war: Seit 1580 stand das Königreich Portugal samt dessen außereuropäischen Besitz- tümern in der als Iberische Union bezeichneten Personalunion unter der Herrschaft des spani- schen Königs Philipp II. Durch den Ausbruch des achten Hugenottenkrieges in Frankreich und die innere Spaltung im Kampf um die Thronfolge zwischen den französischen Hugenot- ten und Katholiken fiel zudem ab 1585 ein mächtiger Rivale Spaniens vorerst weg. Aus Sicht der spanischen Krone schien die Zeit daher reif für eine offene Konfrontation mit der engli- schen Monarchin, deren Unterstützung von Piratenaktivitäten gegen die spanischen Schiffe eine ständige Provokation darstellte.215 Im Mai 1585 beschlagnahmten spanische Offiziere im Auftrag Philips II. englische Handelsschiffe in mehreren spanischen Häfen,216 um mit deren Waffen und Munitionen ihre eigene Flotte auszustatten und aufzurüsten. Dieses spanische Embargo sorgte in England für Empörung und zwang wiederum Königin Elisabeth I. zum Handeln.217

Wie bereits in den Jahren 1544, 1557 und 1563 stellte diese Letters of Reprisal aus, die nun jedoch eher den Charakter von Generalvollmachten zur Schädigung ihrer Feinde hatten (siehe Anhang 2). Der vom Repressalienverfahren eigentlich vorgeschriebene Nachweis einer Schä- digung wurde von den zuständigen Behörden kaum noch geprüft, wodurch in der Praxis na- hezu jeder Seefahrer eine solche Lizenz für Angriffe auf spanische Schiffe und Besitzungen erhalten konnte. Gegen einen Obolus wurden die entsprechenden Dokumente nicht selten sogar nachträglich für erfolgreiche Beutefahrten ausgestellt. De facto hatten die während des Englisch-Spanischen Krieges ausgestellten Marke- und Repressalienbriefe daher nichts mehr mit der ursprünglichen Funktion dieser Dokumente gemeinsam, erfüllten aber für die engli-

214 Lane 2016, 45. 215 Hinzu kam später die im Vertrag von Nonsuch im August 1585 erstmals öffentlich zugesagte Unterstützung der niederländischen Aufständischen mit Soldaten und Material durch Elisabeth I. 216 Der entflohenen Barke Primrose war ein Dokument in die Hände gefallen, welches den direkten Auftrag Philips II. an seine Offiziere belegte. Sugden 2006, 177. 217 Ebda., 176f. S e i t e | 56 sche Krone einen wichtigen Zweck.218 So dienten die nun als Freibeuter agierenden privaten Seebeutenehmer als Hauptakteure in den primär als stellvertretender Seekrieg im karibischen Raum ausgetragenen Kämpfe und füllten durch den dem Lord Admiral zustehenden Anteil – 10% der Beute (siehe Anhang 3) – die Kriegskassen der englischen Krone.

Dass der Englisch-Spanische Krieg 1585 nicht durch eine offizielle Kriegserklärung, sondern durch kriegerische Aktionen seinen Anfang nahm, erschwert die Abgrenzung zwischen Pira- terie und Freibeuterei besonders in dieser Übergangsphase, ebenso wie die Tatsache, dass die von England mit Marke- und Repressalienbriefen ausgestatteten privaten Seebeutenehmer auch regelmäßig Schiffe anderer Nationen – manchmal sogar englische Seefahrer – überfielen und sich nicht an festgelegte Beutesummen hielten. Tatsächlich änderte sich aber auch wäh- rend des Krieges lediglich der Deckmantel, unter dem die zuvor noch als Piraten behandelten privaten Seebeutenehmer nun agierten. Insbesondere im Elisabethinischen Zeitalter handelt es sich bei der Differenzierung zwischen Piraterie und Freibeuterei also eher um einen formellen Abgrenzungsversuch, der die historische Realität kaum widerspiegelt.219

Bis zum Tod Königin Elisabeths I. 1603 wurden allein 76 privat finanzierte Expeditionen englischer Freibeuter dokumentiert, deren Ziel spanische Schiffe und Häfen waren; tatsäch- lich wurden vermutlich mindestens doppelt so viele Beutefahrten in dieser Zeit unternom- men.220 Auch Sir Francis Drake segelte 1585 zum ersten Mal im offiziellen Auftrag Königin Elisabeths I. gegen die Spanier, um die in Beschlag genommenen englischen Handelsschiffe zurückzuerlangen. In den folgenden Jahren folgten mehrere Angriffe unter englischer Flagge auf wichtige spanische Hafenstädte der westindischen Inseln, wie die Belagerung und Plünde- rung Santo Domingos und Cartagenas 1586. An den Aufzeichnungen dieser Expedition wird deutlich, dass damit neben der reinen Profitsuche auch politisch-strategische Interessen ver- folgt wurden; so sah Drakes ambitionierter Plan Überfälle auf die zentralen spanischen Häfen in Cartagena, Nombre de Dios, Panamá Havanna, Santo Domingo, Santa Marta, Rio de la Hacha und Margarita vor. Dadurch wären den Spaniern die wichtigsten Stützpunkte im kari- bischen Raum entzogen worden und man hätte möglicherweise selbst bereits in Havanna Fuß fassen können. Tatsächlich gelangen Drake nur die Überfälle auf Santo Domingo, Cartagena

218 Rodger 2014, 9; Childs 2014, 165, 5; Kempe 2010a, 66f. Rodger legt hier auch die Begriffsproblematik der englischen Letters of Marque und Letters of Reprisal genauer dar. Die ab 1585 ausgestellten Marke- und Repressalienbriefe sind daher in einem weitgefassten Sinn zu verste- hen. 219 Siehe auch Kapitel 2.2. 220 Lane 2016, 43f.; Martínez-Fernández 2015, 20f.; Childs 2014, 5; Kempe 2010a, 67. S e i t e | 57 und San Augustín, die zwar wenig Profite einbrachten, für die Spanier aber verheerende fi- nanzielle Folgen hatten.221

Die bald als Elizabethan Sea Dogs bekannt gewordenen englischen Freibeuter bildeten als private Seebeutefahrer ein wichtiges Standbein für den Seekrieg und unterstützten die noch kleine Marine der Monarchin maßgeblich. Ihr Handlungsort beschränkt sich dabei nicht nur auf den transatlantischen Raum, auch Seeraubaktivitäten entlang der englischen Küsten erfuh- ren einen Aufschwung. Nicht erst seit dem Londoner Frieden von 1604, der den Englisch- Spanischen Krieg beendete, mussten die Herrschenden jedoch erkennen, dass ihre privaten Seebeutenehmer nur schwer zu kontrollieren waren. Die wenigsten hielten sich an in Marke- und Repressalienbriefen festgelegte Beutesummen oder machten bei ihren Raubzügen Unter- schiede zwischen Freund und Feind. Während Elisabeth I. gegenüber den empörten neutralen Mächten noch gewissermaßen schützend die Hand über ‚ihre‘ Freibeuter legte, änderte sich der Umgang mit den Sea Dogs mit der Thronbesteigung Jakobs I., dem Sohn Maria Stuarts, im Jahr 1603 vorübergehend, wie unter anderem die Hinrichtung Sir Walter Raleighs als Pirat 1618 in London zeigt.222

4 DAS GOLDENE ZEITALTER: BUKANIERE UND FLIBUSTIERS ALS PRIVATE SEEBEUTENEHMER IN DER KARIBIK NACH 1604

Zu Beginn des 17. Jahrhunderts wurden zwischen der spanischen Krone und den (nord-)- westeuropäischen Nationen – dem Königreich Frankreich (Vervins 1598) und den Engländern (London 1604) sowie den Niederlanden (Antwerpener Waffenstillstand 1609) – Friedensver- träge geschlossen, die auch Vereinbarungen zur Bekämpfung von Piraten und Freibeutern enthielten. Dennoch erlebte die Piraterie, also der Seeraub durch Privatpersonen ohne Ge- nehmigung durch Souveräne bzw. Autoritäten, in dieser Zeit einen Aufschwung. Für diese noch bis ins 18. Jahrhundert immer wieder auftretende ‚Konjunktur‘ am Ende der großen eu- ropäischen Kriege waren primär ökonomische Faktoren ausschlaggebend: In Zeiten des Krie- ges stieg die Nachfrage an privaten Seebeutenehmern, die nach Friedensschlüssen zwischen zwei Kriegsparteien mit einem Schlag arbeitslos waren und ihre seeräuberischen Aktivitäten

221 Lane 2016, 44ff.; Sugden 2006, 177f. 222 Kempe 2010a, 68f., 117-121. S e i t e | 58 daher häufig – nun offiziell als Piraten und nicht selten gegen alle Nationen einschließlich der eigenen gerichtet – weiterverfolgten bzw. fortführen mussten.223

Die Kontrolle der europäischen Nationen über die Piraten- und Freibeuteraktivitäten im kari- bischen Raum darf daher weder im 16. noch im 17. Jahrhundert überschätzt werden. So gab es Seeräuberei in unterschiedlichen, an die historischen Gegebenheiten angepassten Manifes- tationen schon lange vor der ‚Nutzung‘ privater Seebeutenehmer durch die (nord-)- westeuropäischen Nationen im stellvertretenden Krieg in der Neuen Welt und sie existierte auch nach Ende des Goldenen Zeitalters224 weiter, als sich die europäischen Herrscherhäuser gezielt der Pirateriebekämpfung verschrieben. Auch die Literaturwissenschaftlerin Barbara Fuchs betont in ihrer kritischen Darstellung des heroischen Narratives englischer Piraterie und Freibeuterei:

[…] The trajectory from to pirate is somewhat of a state fantasy in the first place – the pirates are always already there, before the state uses them and also once it no long- er has any use for them.225

Das 17. Jahrhundert stellte – mehr noch als das 16. Jahrhundert – ein Zeitalter der europäi- schen Kriege dar, in deren Zentrum regelmäßig das spanische Königreich sowie durch den Einsatz von privaten Seebeutenehmern auch dessen Kolonien in der Neuen Welt standen. Ins- besondere in der ersten Hälfte des Jahrhunderts befanden sich die Spanier mit den nun auch im karibischen Raum immer häufiger als dauerhafte Akteure auftretenden nord- und westeu- ropäischen Nationen abwechselnd im Kriegszustand: 1621 endete der Zwölfjährige Waffen- stillstand mit den Niederlanden, 1624-30 entfachte erneut ein Englisch-Spanischer Krieg und zwischen 1635 und 1659 befand sich das spanische Königreich im Krieg mit Frankreich. Be- reits seit 1568 überschnitt sich das Seeraubgeschehen in der Karibik zudem mit dem Achtzig- jährigen Krieg, von 1618 bis 1648 auch mit dem als Religions- und Territorialkrieg geführten

223 Vgl. Kempe 2010b, 362; Anderson, John L. (1995): Piracy and World History. An Economic Perspective on Maritime Predation. In: Journal of World History. Jg. 6 H 2, S. 194f. Auch die Distanz der privaten Seebeutenehmer zu ihren Auftraggebern und dem Geschehen in Europa, wo zwi- schen Krieg und Frieden entschieden wurde, trug sicherlich zum Anhalten der Seeraubaktivitäten im karibischen Raum bei. 224 Als Goldenes Zeitalter der Piraterie wird in der populärwissenschaftlichen Literatur ebenso wie in der Fachli- teratur sowohl die meist die Jahre ab 1620 bis zum Ende des 17. Jahrhunderts umfassende, mit der Ansiedlung der Franzosen, Engländer und Niederländer in der Neuen Welt einsetzende Phase der Bukaniere bezeichnet, als auch die darauffolgende Piratengeneration, deren Haupthandlungsort sich durch die verstärkte Pirateriebekämp- fung der europäischen Nationen zunehmend von den Küstengebieten in den Hochseeraum des Pazifiks verlager- te. In dieser Arbeit beziehe ich mich auf ersteres Begriffsverständnis. 225 Fuchs 2000, 46. An dieser Stelle sei nochmal auf die Problematik der anachronistischen Anwendung moderner Konzepte – in diesem Fall des ‚Staates‘ – auf die Vergangenheit hingewiesen. Dennoch arbeitet Fuchs hier einen wichtigen Aspekt der Differenz zwischen Rhetorik und Realität heraus. S e i t e | 59 Dreißigjährigen Krieg. Trotz der nach wie vor bestehenden konfessionellen Konflikte zwi- schen den europäischen Nationen spielte Religion im Laufe des 17. Jahrhunderts aber nicht mehr die (ideologische) Rolle, die ihr im Jahrhundert zuvor noch zugekommen war. Es waren daher vor allem politisch-ökonomische Faktoren, welche nicht nur das Geschehen innerhalb Europas, sondern auch die Seeräuberei in der Karibik fortan bestimmten und die privaten Seebeutenehmer prägten.226

Ab den 1620ern siedelten sich auch die nicht-spanischen bzw. -portugiesischen europäischen Mächte – allen voran Niederländer, Engländer und Franzosen – langfristig im karibischen Raum an, wodurch sich die Operationsbasis privater Seebeutenehmer dorthin verschob. Nati- onale Herkunft, religiöse Konfession sowie die Frage, ob in Europa zwischen zwei Nationen Krieg oder Frieden herrschte, hatten durch die Distanz zu Europa und die Loslösung des kari- bischen Seeraubgeschehens von den europäischen Autoritäten immer weniger Bedeutung für die Seeräuberei in der Karibik. Die bereits während des Englisch-Spanischen Krieges begin- nende Inflation der Marke- und Repressalienbriefe nahm dadurch ein neues Ausmaß an; ent- sprechende Lizenzen für die private Seebeutenahme konnten im karibischen Raum sowohl von den Franzosen, Engländern als auch den Niederländern erworben werden. Die sogenann- ten ‚Bukaniere‘ und ‚Flibustiers‘ des Goldenen Zeitalters dienten daher in der Regel nicht mehr nur ‚ihrer‘ Nation, sondern arbeiteten als eine Art maritime Söldner mit festen Stütz- punkten im karibischen Raum für mehrere Souveräne – manchmal sogar zur gleichen Zeit.

4.1 Die Ansiedlung der Nord- und Westeuropäer auf den Westindischen Inseln

Durch die Gründung ihrer ersten Kolonien im Nordosten Brasiliens (1624), im heutigen Suri- name und auf den im karibischen Meer liegenden Westindischen Inseln stellten die Nieder- länder die erste dauerhaft im karibischen Raum ansässige Bedrohung für die spanischen (und portugiesischen) Kolonien dar. Bereits gegen Ende des 17. Jahrhunderts hatten sich die An- griffe niederländischer privater Seebeutenehmer – die aus der Sicht der Spanier schlichtweg Piraten waren – gegen spanische Schiffe in der Karibik gehäuft. Ausgestattet waren diese in der Regel mit Kaperlizenzen der um Unabhängigkeit von der spanischen Krone kämpfenden Provinzen der spanischen Niederlande. Die niederländischen Freibeuteraktivitäten verfolgten primär politisch-ökonomische bzw. militärische Zwecke, nämlich die Finanzierung ihres Auf- standes gegen Philip II. Mit dem Friedensschluss zwischen dem Königreich Spanien und Eng- land 1604 begann schließlich eine Phase der Dominanz niederländischer Freibeuterei (und

226 Martínez-Fernández 2015, 22f.; Kempe 2010b, 362. S e i t e | 60 Piraterie227), die nach dem Ende des Zwölfjährigen Waffenstillstandes ab 1621 primär von der Niederländischen Westindien-Kompanie sowie manchmal auch der Niederländischen Ostindi- schen-Kompanie ausging. Die Überfälle der niederländischen privaten Seebeutenehmer im frühen 17. Jahrhundert schädigten die Spanier in der Neuen Welt trotz namhafter Vertreter wie Piet Heyn, der bei seinen Überfällen auf die spanische Silberflotte eine respektable Beute erzielte, aber nicht so sehr wie die permanenten Angriffe der Bukaniere und Flibustiers in den darauffolgenden Jahrzehnten. Ein Teil der niederländischen Beutefahrer bildete jedoch später einen wesentlichen Bestandteil der Bukaniersgemeinschaften.228

Vereinzelte erfolglose Versuche der Errichtung von permanenten Siedlungen im karibischen Raum durch die Franzosen und Engländer gab es schon im 16. Jahrhundert, wie die Ereignis- se in Fort Caroline im heutigen Florida zeigen. Erst während der 1620er gelang es aber neben den Spaniern und Portugiesen auch weiteren europäischen Nationen, sich dauerhaft in der Neuen Welt anzusiedeln, wodurch sich auch der Ausgangspunkt ihrer Freibeuter- und Pira- tenaktivitäten in den karibischen Raum verlagerte, wo die europäische Politik nicht mehr die- selben Einflüsse auf die privaten Seebeutefahrer hatte wie noch im Jahrhundert zuvor. Der Schauplatz ihrer Überfälle war ohnehin bereits seit der Ära der Elizabethan Sea Dogs und dem Englisch-Spanischen Krieg 1585-1604 in Richtung der Westindischen Inseln gerückt.

Die Gründe bzw. begünstigende Faktoren dafür, dass es Nord- und Westeuropäern gerade zu dieser Zeit gelang, in der Karibik Fuß zu fassen, sind vielfältig und reichen von politischen, ökonomischen und militärisch-strategischen Maßnahmen der Spanier bis hin zu den Folgen der Freibeuter- und Piratenaktivitäten des 16. und frühen 17. Jahrhunderts. Bereits unter der Bedrohung spanischer Handelsschiffe und Häfen der Neuen Welt durch die französischen Korsaren seit Beginn des 16. Jahrhunderts, spätestens aber mit den Plünderungen und Über- fällen englischer Freibeuter und Piraten im letzten Drittel des Jahrhunderts, sahen sich die Spanier zu Verteidigungsmaßnahmen gegen ihre europäischen Konkurrenten gezwungen,

227 Auch hier verschwammen die Grenzen zwischen Freibeuterei und Piraterie in der Praxis wie schon in den Generationen davor. 228 Lane 2016, 57f; 83. Die frühen niederländischen Kolonisationsbestrebungen, die mit den Spanisch-Niederländischen Unabhängig- keitskriegen einhergingen, konzentrierten sich in erster Linie auf die von den ab 1640 wieder vom spanischen Königreich unabhängigen Portugiesen beanspruchten Gebiete am südamerikanischen Festland – vor allem Brasi- lien – und in Nordamerika. Deshalb sollen hier vor allem die Expansionen der Franzosen und Engländer, die für die Geschichte der Bukaniere und deren Piratenstützpunkte auf Tortuga und Jamaika eine wesentliche Rolle spielten, beschrieben werden, ohne jedoch die Stellung der Niederlande als eine der bedeutendsten Kolonial- mächte der Frühen Neuzeit zu negieren, zeigen sich doch deren Einflüsse allein in der aus dem niederländischen abgeleiteten Bezeichnung Flibustier für die (französischen) Bukaniere. (siehe Kap. 4.2) Lane geht in Kapitel 3 ihres Werkes Pillaging the Empire. Global Piracy on the High Seas1500-1750 ausführ- lich auf die Freibeuter- und Piratenaktivitäten der niederländischen Seebeutenehmer ein, die in dieser Arbeit nur am Rande bzw. als Teil der Bukaniersgemeinschaften behandelt werden. Vgl. Lane 2016, 57-88. S e i t e | 61 deren Folgen letztendlich einen wesentlichen Faktor für die Ansiedlung weiterer europäischer Nationen im karibischen Raum, insbesondere auf den Inseln der Kleinen und Großen Antil- len, darstellten.

Der Überseehandel mit den Kolonien in der Neuen Welt stellte durch die Besteuerung der Güter mit dem königlichen Fünftel seit dem erhöhten Warenfluss aus der Neuen Welt im spä- ten 16. und im 17. Jahrhundert229 eine zentrale Einnahmequelle für die spanische Krone dar, deren Ausgaben durch die permanenten Konflikte in Europa – insbesondere der Unabhängig- keitskrieg der Spanischen Niederlande spielte hier eine zentrale Rolle – sowie durch das riesi- ge zu verteidigende Herrschaftsgebiet enorm waren. Durch die Einrichtung der Casa de Cont- ratación, die noch bis ins Jahr 1790 fortbestand, war der spanische Amerikahandel bereits seit 1503 auf den rund 80 Kilometer landeinwärts am Fluss Guadalquivir gelegenen Hafen von Sevilla konzentriert worden. Diese Monopolisierung ermöglichte der spanischen Krone die Kontrolle und Regulation der privaten Händler, da nun nahezu sämtliche Schiffe von Sevilla aus in die Neue Welt fuhren. Der Schmuggelhandel auf beiden Seiten des Atlantiks konnte durch diese Maßnahme aufgrund von Korruption dennoch nicht vollständig eingedämmt wer- den. Grund dafür war nicht zuletzt die schlechte Versorgung kleinerer Siedlungen durch die Casa de Contratación, aber auch die infolge der Angriffe privater Seebeutenehmer erforderli- chen Defensivmaßnahmen.230

Die regelmäßigen Überfälle französischer Korsaren schmälerten das wichtige Einkommen des spanischen Königreiches und bedrohten sowohl die Schiffsrouten über den Atlantik als auch die Besitzungen in der Neuen Welt, weshalb bereits ab 1521 regelmäßig Galeeren die Küs- tengebiete zwischen den Azoren und der Iberischen Halbinsel patrouillierten.231 1525 wurde schließlich ein Flottensystem eingerichtet, durch das die Handelsschiffe nur noch in Konvois mit einer Marineeskorte zwischen der Neuen Welt und dem Hafen von Sevilla segeln durften, um deren Sicherheit zu erhöhen. Durch mehrere Dekrete in den Jahren 1543, 1561 und 1564 – mittlerweile stellten die Seeraubaktivitäten englischer privater Seebeutenehmer eine wach- sende Bedrohung für die spanischen Kolonien dar – wurde das Flottensystem strategisch an- gepasst. Zweimal im Jahr befuhr die spanische Flotte die festgelegte Route, welche sie jeweils im Januar und August vom Hafen in Cádiz oder Sanlúcar de Barameda232 zuerst in Richtung

229 Die Einnahmen und Waren aus der Neuen Welt flossen im frühen 16. Jahrhundert noch in sehr bescheidenem Ausmaß. 230 Elvert 2018, 108f. 231 Edelmayer 2012, 175. 232 Die beiden Häfen liegen im Gegensatz zum Hafen Sevillas direkt am Atlantik. Durch deren Lage – Sanlúcar de Barameda liegt direkt an der Mündung des Flusses Guadalquivir in den Atlantischen Ozean – bildeten die S e i t e | 62 Süden zu den Kanarischen Inseln und von dort aus in das karibische Meer führte. Wenngleich die Routen der sogenannten Nueva-España-Flotte und der Tierra-Firme-Flotte bis zum Ende der spanischen Silberflotten 1778 variierten, wurden primär die zentralen Hafenstädte der spanischen Kolonien angefahren: Veracruz in Mexiko, Cartagena im heutigen Kolumbien, Portobelo und Nombre de Dios – der bereits erwähnte Umschlagplatz für die von Maultierka- rawanen über den Isthmus von Panamá nach Südamerika transportierten Waren – in Panamá und schließlich La Habana auf Kuba.233 Der Hafen Havannas fungierte vor der Rückreise nach Europa schließlich als Sammelpunkt für die spanischen Schiffe.

Die Historiker Alejandro de la Fuente, César García del Pino und Bernardo Iglesias Delgado werfen in ihrem Aufsatz and the fleet system. Trade and growth in the periphery of the Spanish Empire234 einen Blick auf das spanische Handelsverkehrssystem und die Entwick- lung Havannas zu einer der wichtigsten Hafenstädte in der Neuen Welt sowie zum Zentrum des interkolonialen und -kontinentalen Handels. Am Beispiel Havannas werden die zentralen Probleme der als Reaktion auf die sich häufenden Freibeuter- und Piratenaktivitäten im Atlan- tik und im karibischen Raum getroffenen defensiven Vorkehrungen der Spanier, aber auch des Flottensystems im Allgemeinen deutlich. Die Folgen dieser Maßnahmen ebneten der An- siedlung anderer europäischer Nationen in der Karibik den Weg. Der Aufstieg Havannas zu einem wichtigen Handelszentrum erforderte nämlich auch ausgiebige Investitionen in die Verteidigung der Hafenstadt, welche diese allein jedoch nicht aufbringen konnte. Dasselbe galt für die anderen Anlaufhäfen der spanischen Flotten, einschließlich der europäischen Hä- fen auf der Iberischen Halbinsel. Hinzu kamen Verluste durch die nun zwar für Angriffe pri- vater Seebeutenehmer besser gewappneten, aber gegenüber Wetterkapriolen besonders anfäl- ligen Silberflotten.235

Die Konzentration des Handels und der Investitionen auf bestimmte Häfen der Neuen Welt führte zur Isolierung kleinerer Siedlungen, die durch die erforderlichen Inlandtransporte we- sentlich mehr für die aus Europa stammenden Güter zahlen und häufig sogar noch finanziel- len Tribut an die größeren Hafenstädte für deren Befestigung leisten mussten. Dies öffnete dem Schmuggelhandel mit Piraten und Freibeutern – wie bereits in Kap. 3.2 angesprochen – in diesen Regionen Tür und Tor. Siedlungen im Nordosten und Westen der Insel Hispaniola,

Hafenstädte nicht nur den Zugangspunkt zum Hafen von Sevilla, sondern auch den Ausgangspunkt mehrerer Entdeckungsreisen, wie beispielsweise der Weltumseglung Ferdinand Magellans 1519. 233 Vgl. Lane 2016, 13ff.; Martínez-Fernández 2015, 13. Edelmayer 2012, 175. 234 Vgl. Fuente, Alejandro de la/ García del Pino, César/Delgado, Bernardo Iglesias (1996): Havana and the fleet system. Trade and growth in the periphery of the 1550-1610. In: Colonial Latin American Review. Jg. 5, H 1, S. 95-115. 235 Martínez-Fernández 2015, 13f.; Fuente/García del Pino/Delgado 1996, 95. S e i t e | 63 auf Puerto Rico und Jamaika, im östlichen Kuba (dort vor allem in der Region Santiago) so- wie in weiteren, vom spanischen Mutterland unzureichend versorgten Gebieten des karibi- schen Raumes entwickelten sich so im Laufe des 17. Jahrhunderts zu Stützpunkten für Schmuggler, Freibeuter und Piraten, die als Bukaniere und Flibustiers in die Geschichte ein- gingen.236 Neben einer ganzen Reihe von Gesetzen zur Pirateriebekämpfung und dem Einsatz der contra-corsarios, welche sich beide gegen die aus (Nord-)-Westeuropa stammenden pri- vaten Seebeutenehmer richteten, versuchte die spanische Krone die Kooperation ihrer Siedler in der Neuen Welt auch durch ein am 20. Juli 1624 in Madrid verabschiedetes Gesetz zu kon- trollieren. Damit wurden auch jene, die mit Freibeutern, Piraten und Schmugglern handelten oder zusammenarbeiteten, unter dieselben Strafen wie die Seeräuber selbst gestellt.237

Der finanzielle Aufwand der Befestigung ihrer Hafenstädte und des Flottensystems war je- doch nur ein Faktor, der die Spanier weniger wichtige Häfen und Inseln in der neuen Welt verlassen oder unbefestigt ihrem Schicksal – in der Regel der Eroberung durch die Franzosen, Engländer oder Niederländer – überlassen ließ, wodurch sich das spanische koloniale Herr- schaftsgebiet bis in das frühe 17. Jahrhundert zunehmend auf das süd- und mittelamerikani- sche Festland verlagerte.238 Dies wird besonders an der Insel Hispaniola deutlich, die ab den 1620ern bis zum Ende des Jahrhunderts zum Zentrum der Bukaniersgemeinschaften wurde: Nur rund zwei Jahrzehnte nach der Entdeckung Hispaniolas durch Kolumbus waren die Goldvorkommen der Insel weitestgehend erschöpft und die Kolonisationsstrategie der Spanier hatte die einheimische Bevölkerung nahezu ausgerottet, was sich auch auf einige der Nach- barinseln der Bahamas und der Kleinen Antillen übertrug, deren Bevölkerung den Arbeiter- mangel ausgleichen sollte. Die Krise auf der Hispaniola führte dennoch dazu, dass zahlreiche Spanier ihr Glück fortan in anderen Gebieten der Karibik suchten und sich das Zentrum der spanischen Aktivitäten zunehmend Richtung Kuba (Havanna) und schließlich auf das süd- und mittelamerikanische Festland verlagerte, wo weitere Gold- und vor allem Silbervorkom- men – Potosí in Bolivien ab den 1550ern, gefolgt von Peru und Mexiko, dessen Silberproduk- tion zwischen 1560 und 1520 ihren Höhepunkt erreichte – lockten.239

Auf Intervention einer 1516 von Madrid entsandten Kommission von Hieronymitenmönchen bauten die auf Hispaniola verbliebenen Spanier schließlich auf Sklavenhandel und (Zucker-

236 Martínez-Fernández 2015, 14f.; Burney, James (1816): History of the Buccaneers of America. In: Projekt Gutenberg. URL: http://www.gutenberg.org/files/37116/37116-h/37116-h.htm. [20.07.2021], 35f. 237 Kempe 2010a, 121f. 238 Vgl. Edelmayer 2012, 174f., 181.; Pérotin-Dumon, Anne (1999): French, English and Dutch in the Lesser Antilles. From privateering to planting, C. 1550 – c. 1650. In: General . Vol. II. New societies. The Caribbean in the long sixteenth century. Hrsg. von Piet C. Emmer. Paris / Basingstoke: UNESCO / Macmillan, S. 118f. 239 Vgl. Pérotin-Dumon 1999, 115. S e i t e | 64 rohr-)Plantagenwirtschaft rund um die Stadt Santo Domingo an der südöstlichen Küste der Insel – später wurde die Rinderhaltung zur Wirtschafts- und Lebensgrundlage. Besonders der westliche Teil der Insel, das heutige Staatsgebiet von Haiti, war aber bereits um 1520 von den Spaniern verlassen worden und bot deshalb den ab den 1620ern in der Karibik Fuß fassen wollenden Nord- und Westeuropäern einen idealen Stützpunkt, sowohl für die dauerhafte Niederlassung als auch für ihre Piraten- und Freibeuteraktivitäten.240

Viele der von den Spaniern zurückgelassenen Inseln, so auch der nordwestliche Teil Hispani- olas – lediglich Santo Domingo blieb als strategischer Hafen weiterhin bevölkert und bildete dadurch einen wichtigen spanischen Stützpunkt – waren nach deren ‚Abzug‘ weitestgehend menschenleer. Ein Großteil der autochthonen Bevölkerung wurde systematisch, aber auch ‚ungeplant‘, etwa durch die von den Europäern eingeschleppten Krankheitserreger, ausgerot- tet. Wenngleich sich HistorikerInnen über Schätzungen der Bevölkerungszahl der Insel La Española nicht einig sind, waren die dort einheimischen Taíno – ein zu den aus dem Norden Südamerikas stammenden Arawaks gehörender Stamm – zweifelsohne schon in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts, also nur rund 20 Jahre nach deren ersten Aufeinandertref- fen, auf einen Bruchteil ihrer ursprünglichen Anzahl dezimiert worden.241 Die Beziehung zwi- schen den spanischen bzw. kastilischen242 Kolonisten und den auf der Insel einheimischen Taíno hatte sich bereits kurz nach deren erstem Aufeinandertreffen im Dezember 1492 (Erste Kolumbusexpedition) verschlechtert. Christoph Kolumbus selbst beschrieb die Taíno in sei- nen Aufzeichnungen als ein gewaltscheues und sanftmütiges Volk:

Um die Herrschaft auszuüben, braucht man sich hier nur niederzulassen und den Eingebo- renen anzuordnen, allen Befehlen nachzukommen. [Die Eingeborenen] besitzen keine Waffen, sind unkriegerisch, harmlos, nackt und so feige, daß tausend von ihnen drei mei- ner Leute nicht an sich herankommen lassen würden. Dafür sind sie bereit, zu gehorchen, zu arbeiten und alles Nötige zu vollführen. Mithin wäre es angezeigt, sie dazu zu verwen- den, Städte und Ortschaften zu errichten, und ihnen unsere Kleidung und Gebräuche bei- zubringen […].243

240 Vgl. Bernecker 1996, 14, 19-23.; Gewecke, Frauke (2007): Die Karibik. Zur Geschichte, Politik und Kultur einer Region. 3., neu bearb. und erw. Auflage. Frankfurt am Main: Vervuert Verlag, S. 14. 241 Die HistorikerInnen George Tinker und Mark Freeland, deren Forschungsschwerpunkt die American Indian Studies bilden, untersuchen in ihrem Aufsatz Thief, Slave Trader, Murderer. Christopher Columbus and Carib- bean Population Decline diese Bevölkerungsdezimierung und die Rolle der Spanier bzw. Christoph Kolumbus‘ dabei, wobei sie auch einen kritischen Blick auf die Quellenlage und Narrative werfen. Vgl. Tinker, Tink/ Free- land, Mark (2008): Thief, Slave Trader, Murderer. Christopher Columbus and Caribbean Population Decline. In: Wicazo Sa Review. Jg. 23, H 1, S. 25-50. 242 Ein Großteil der Besatzung der Flotte der ersten Kolumbus-Expedition stammte aus der Stadt Palos. Elvert 2018, 86. 243 Christoph Kolumbus, zit. nach Bernecker 1996, 12. S e i t e | 65 Kolumbus‘ Versuche des friedlichen Zusammenlebens mit den Ureinwohnern, welche die für die Versorgung der spanischen Kolonisten nötige Arbeit verrichten sollten, scheiterten jedoch kläglich.244 Die ursprünglich in Subsistenzwirtschaft lebenden Taíno lehnten sich gegen die schlechte Behandlung durch die Spanier auf und flohen massenhaft in die Berge, von denen die Insel vor allem im (Nord-)Westen ausreichend zu bieten hatte. Dennoch wurde der Groß- teil von ihnen von den Spaniern, welche die Arbeitskräfte für den Aufbau ihrer Kolonie benö- tigten, verfolgt und zwangsrekrutiert.245

Die Konzentration des spanischen kolonialen Herrschaftsgebietes auf das Festland eröffnete ein Machtvakuum auf den Westindischen Inseln246, das die europäischen Kontrahenten der Spanier im frühen 17. Jahrhundert für sich nutzten. Die Inseln St. Christopher (die von den englischen Siedlern St. Kitts genannt wurde), St. Thomas, , Guadeloupe, , An- tigua, Montserrat, Curaҫao, Tortuga, Jamaika und natürlich La Española wurden ab 1623 nach und nach von Nord- und Westeuropäern besiedelt, wobei sich die Besitzverhältnisse auf den Inseln immer wieder änderten oder aufgeteilt wurden, wie Martínez-Fernández am Bei- spiel von St. Christopher aufzeigt und auch am Zentrum der Bukaniere auf Tortuga (siehe Kap. 4.2) deutlich wird.247 Die nicht-spanische Kolonisation der karibischen Inseln verlief dabei weniger strategisch und geplant als in gewisser Weise zufällig ab. Viele der kleinen Inseln wurden von Seefahrern, vorwiegend (Schmuggel-)Händler, Piraten und Freibeuter, nur angefahren, um Wasser- und Nahrungsressourcen aufzufüllen oder Reparaturen am Schiff vorzunehmen und so die Weiterreise zu sichern.248 So berichtet der englische Admiral James Burney, der an den letzten Fahrten des berühmten Entdeckers James Cook in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts teilgenommen hatte und in seiner Chronological History of the Voyages and Discoveries in the South Sea or Pacific Ocean (1816) die Geschichte der Buka- niere in Amerika behandelt, über die Hintergründe der später als Bukaniere bezeichneten Jä- ger und privaten Seebeutenehmer, die sich im Nordwesten Hispaniolas ansiedelten:

244 Das System der sogenannten repartimientos übertrug den spanischen Kolonisten die ‚Verfügungsgewalt‘ über einen Teil der indigenen Bevölkerung, die de facto deren Versklavung darstellte. Vgl. Gewecke 2007, 18. 245 Vgl. Bernecker 1996, 14f.; Gewecke 2007, 13f. 246 Als Westindische Inseln werden die vor der süd- und mittelamerikanischen Küste gelegenen Inselgruppen der Großen und Kleinen Antillen, der Bahamas sowie der Turks- und Caicosinseln – auch bekannt als ‚Lucayen‘ – bezeichnet. 247 Bereits 1538 hatten französische Hugenotten eine Siedlung auf der Insel errichte, die jedoch von den Spaniern zerstört wurde. 1623 ließen sich dann die Engländer unter Thomas Warner hier nieder, gefolgt von einer franzö- sischen Siedlung ab 1625. Die Siedler hatten nicht nur mit Besitzstreitigkeiten untereinander, sondern auch mit Angriffen der Spanier sowie der einheimischen Kariben zu kämpfen. Vgl. Martínez-Fernández 2015, 25f.; Lane, Kris E. (1999): Blood and . A History of and Central America. Oxford: Signal Books [u.a.], S. 96f.; Pfister 2012, 188f. 248 Vgl. Pérotin-Dumon 1999, 116-118; Burney 1816, 39. S e i t e | 66 The first hunting of cattle in Hayti, was for provisioning their ships. The time they began to form factories or establishments, to hunt cattle for the skins, and to cure the flesh as an article of traffic, is not certain; but it may be concluded that these occupations were began by the crews of wrecked vessels, or by seamen who had disagreed with their commander; and that the ease, plenty, and freedom from all command and subordination, enjoyed in such a life, soon drew others to quit their ships, and join in the same occupations.249

Das eigentliche Ziel stellten häufig die spanischen Kolonien weiter im Westen dar, denen die Seefahrer – wenn notwendig unter Anwendung von Gewalt – die mitgebrachten oder erbeute- ten europäischen Waren zu verkaufen versuchten. Aus kurzen Stippvisiten wurden jedoch nicht selten dauerhafte Niederlassungen, da das Leben auf den nach dem Rückzug der Spanier großteils kaum noch besiedelten Inseln eine ansprechende Alternative zum rauen Leben auf hoher See bot. Hinzu kamen ehemalige Sklaven, denen die Flucht von den spanischen Planta- gen gelungen war und die sich in den von Nicht-Spaniern kontrollierten Gebieten niederlie- ßen. In Europa sorgten indessen schon seit dem frühen 17. Jahrhundert neue ‚Religionskriege‘ und politische Konflikte für die Flucht zahlreicher Menschen, vorwiegend Protestanten, in die Neue Welt: Unter den absolutistischen Königen Ludwig XIII. (1610-1643) und Ludwig XIV. (1643-1715) verschlechterte sich die Lage für die Hugenotten in Frankreich, deren Rechte hinsichtlich der Religionsausübung ebenso wie grundlegende Bürgerrechte eingeschränkt wurden. In den unter König Karl I. vereinten Königreichen England, Schottland und Irland mündete der Bürgerkrieg 1642-49 in eine Militärdiktatur unter Oliver Cromwell. Die Repub- lik der Sieben Vereinigten Provinzen erlangte zum Ende des Achtzigjährigen Krieges mit dem Westfälischen Frieden 1648 ihre lang umkämpfte Unabhängigkeit von den spanischen Habs- burgern und wurde als souveräner Staat anerkannt. Dementsprechend bunt gemischt waren Herkunft und Hintergründe der Siedler, die später den Kern der Bukaniersgemeinschaften bildeten.250

4.2 Frères de la côte – Der Aufstieg der Bukaniere auf Tortuga

Nachdem sich französische und englische Kolonisten in den 1620ern ausgehend von St. Christopher auf den Inseln der Kleinen Antillen ausgebreitet hatten, wurden auch die Spa- nier, die diese Inseln zuvor besiedelt und deren Rohstoffvorkommen geplündert hatten, wie- der auf sie aufmerksam. Die neuen Bewohner schöpften nämlich beträchtliche Gewinne aus

249 Burney 1816, S. 37. 250 Vgl. Lane 2016, 89. S e i t e | 67 dem dortigen Zuckerrohranbau.251 1629 vertrieben die Spanier deshalb unter dem Kommando von Don Fabrique de Toledo die Siedler auf St. Kitts und Nevis, die schließlich zu großen Teilen in die dichten Wälder der nördlichen Gebiete der Insel Hispaniola flüchteten. Aufgrund des geringen Interesses der Spanier an den geräumten Inseln setzten sie jedoch kaum Vertei- digungsmaßnahmen, um ihre Kontrolle aufrechtzuerhalten. Nach dem Abzug der Spanier kehrten daher einige Franzosen schnell wieder zurück und nutzten sogar ihre liegengelassenen Gebäude als ‚neue‘ Basis. Ein großer Teil der englischen Kolonisten siedelte sich indessen auf der Insel Nevis an.252 Auch die seit 1625 auf der nördlichen Hispaniola und auf Tortuga lebenden Franzosen und Engländer hatten immer wieder mit Plünderungen und Vertreibungen der Spanier zu kämpfen, die – wenngleich in geringer Anzahl – in Santo Domingo verblieben waren und schließlich ab 1630 mehrere Versuche starteten, die unerwünschten Belagerer von der Insel La Española zu vertreiben. Die englischen Siedler auf der mit den Franzosen geteil- ten Insel Tortuga gehörten zum Großteil der Company of adventurers fort he plantation of the islands Providence, Henrietta and adjacents island an und waren primär an ihrer Siedlung auf der Insel Providence westlich Nicaraguas interessiert, die bei den Spaniern den Namen Santa Catalina trug. So gelang es den Franzosen 1640, eine Festung auf der Insel Tortuga (siehe Abb. 3) zu errichten, einen Gouverneur – den französischen Hugenotten Jean Le Vasseur – einzusetzen und damit endgültig auf der Insel Fuß zu fassen.253

Abbildung 3: Darstellung der Île de la Tortue (dt. Schildkröteninsel) aus dem 17. Jahrhundert

251 Bernecker 1996, 24f. 252 Pfister 2012, 190; Burney 1816, 40f. Sowohl der Angriff selbst als auch das nahezu fluchtartige Weiterziehen der Spanier nach der (Rück-)- Eroberung der Inseln hängt unmittelbar mit dem Kampf gegen die Niederländer in Brasilien und den Konflikten mit den anderen (nord-)westeuropäischen Nationen zusammen. Vgl. Martínez-Fernández 2015, 24f. 253 Lane 2016, 92ff.; Pfister 2012, 190. S e i t e | 68 Die hier vom französischstämmigen Bukanier Alexandre O. Exquemelin (~1646-1708) be- schriebenen natürlichen Gegebenheiten der von den Spaniern aufgrund ihrer Form Île de la Tortue (dt.: ‚Schildkröteninsel‘) genannten Insel begünstigten die Befestigung und boten den als Bukaniere bezeichneten Bewohnern der Insel einen natürlichen Hafenzugang, der sich in ihrer weiteren Entwicklung zu privaten Seebeutenehmern noch als nützlich erweisen sollte:

That part of this island which stretches to the north is totally uninhabited: the reason is, first, because it is incommodious, and unhealthy: and, secondly, for the ruggedness of the coast, that gives no access to the shore, unless among rocks almost inaccessible: for this cause it is peopled only on the south part, which hath only one port indifferently good: yet this harbor has two entries, or channels, which afford passage to ships of seventy guns; the port itself being without danger, and capable of receiving a great number of vessels.254

Doch wer waren die Bukaniere und in welcher Beziehung standen diese zu den politischen Autoritäten am europäischen Kontinent? Die in literarischen und populärwissenschaftlichen Werken weitverbreitete Verwendung des Begriffes ‚Bukanier‘ als Synonym für ‚Pirat‘ oder ‚Seeräuber‘ in der Karibik zeichnet ein verzerrtes Bild. Als Bukaniere – auch frz.: boucaniers oder engl.: buccaneers – wurden zunächst die seit 1630 auf der nördlichen Hispaniola bzw. in erster Linie auf Tortuga angesiedelten Jäger bezeichnet, die zur Haltbarmachung ihres erbeu- teten Fleisches eine von den indigenen Taínos stammende Methode des Räucherns auf dem boucan genannten Holzgrill verwendeten.255 Die Wildnis, die für die Bukaniere sowohl Le- bensraum als auch Existenzgrundlage darstellte, hatten sie maßgeblich den Spaniern zu ver- danken, die vor ihnen die Insel besiedelt hatten. Nachdem diese nämlich die indigene Bevöl- kerung nahezu ausgerottet und anschließend selbst große Teile der Hispaniola aufgegeben hatten, verwilderte in den folgenden Jahrzehnten das von ihnen zurückgelassene Vieh (Rin- der, Schweine, Pferde, Hunde), das bei den ersten Expeditionen in die Karibik eingeführt worden war.256

Für die Jagd organisierten sich die Bukaniere in der Regel in kleinen Gruppen zu fünf bis sechs Männern.257 Eine Art ungeschriebenes Gesetz stellte laut Burneys Bericht zudem das Leben in eheähnlichen Verbindungen, den sogenannten matelotages dar. Dabei handelte es sich um auf – teils mündlichen, häufig aber auch verschriftlichten – Verträgen basierende

254 Exquemelin 2011, 19. 255 Lane 1999, 97; Pfister 2012, 187f.; Burney 1816, 42f.; Benjamin, Thomas / Hidalgo, Dennis (2007): Buc- caneers. In: Encyclopedia of Western Colonialism since 1450. Bd. 1. Hrsg. von Thomas Benjamin. Detroit: Macmillan Reference, S. 165. Burney beschreibt die Vorgehensweise und Besonderheiten der Konservierung auf dem ‚boucan‘-Grill ausführ- lich in seiner Geschichte der amerikanischen Bukaniere. Vgl. Burney 1816, 42f. 256 Lane 2016, 90; Pfister 2012, 189.; Lane 1999, 97; Burney 1816, 35. 257 Exquemelin 2011, 33. S e i t e | 69 Gemeinschaften zweier Partner.258 Meistens entsprangen die matelotages einer homophilen Beziehung zwischen einem Herrn und seinem als matelot bezeichneten Diener. Obwohl Se- xualverkehr zwischen dem master und seinem nicht selten wesentlich jüngeren matelot si- cherlich keine Ausnahme darstellte,259 basierten die matelotages grundsätzlich auf wirtschaft- lichen Überlegungen. Die jeweiligen Besitztümer wurden zum gemeinsamen Nutzen zusam- mengelegt und im Todesfall gegenseitig vererbt. Nur selten hatten die Bukaniere Frauen und Kinder, weshalb diese gegenüber dem ‚Vertragspartner‘ nur untergeordnete Rechte besa- ßen.260 Die Grundlage für das Zusammenleben bildete dabei kein Gesetzessystem, sondern vielmehr das Konzept der Ehre. So berichtet Burney, dass es bei den Bukanieren verpönt war, ihre Habseligkeiten durch Riegel und Schlösser vor Diebstahl zu schützen, da dies ihre ‚Be- rufsehre‘ untergraben würde.261 Insgesamt dürfte es sich bei den Bukanieren wohl um eher raue Gestalten gehandelt haben, wofür einerseits das bereits beschriebene Herkunftsmilieu – meist handelte es sich um ‚soziale Außenseiter‘ –, andererseits aber auch zeitgenössische Be- richte wie Alexandre Exquemelins Beschreibung des Bukanierslebens sprechen:

When the bucaniers go into the woods to hunt for wild bulls and cows, they commonly remain there a twelvemonth or two years, without returning home. After the hunt is over, and the spoil divided, they commonly sail to Tortuga, to provide themselves with guns, powder, and shot, and other necessaries for another expedition; the rest of their gains they spend prodigally, giving themselves to all manner of vices and debauchery, particularly to drunkenness, which they practice mostly with brandy: this drink as liberally as the Span- iards do water. […] Thus sottishly they live till they have no money left. The said bucani- ers are very cruel and tyrannical to their servants, so that commonly they had rather be galley-slaves, or saw Brazil wood in the rasphouses of Holland, than serve such barbarous masters.262

Einen Teil der reichen Jagdbeute verkauften die Bukaniere an die für Reparaturen und das Auffüllen von Nahrungs- und Wasserressourcen vor der Nordküste Hispaniolas ankernden Händler, Seefahrer und Freibeuter oder tauschten ihre Waren, vorzugsweise gegen Tabak, Alkohol, Munition und Waffen ein – allen voran gegen die charakteristischen Musketen, mit denen die Bukaniere meist abgebildet sind (siehe Abb. 4).263 Die Insel Tortuga stellte also

258 Lane 2016, 90f.; Pfister 2012, 199f.; Exquemelin 2011, 32; Burney 1816, 45. 259 Burg beschreibt in seinem Buch Sodomy and the Pirate Tradition. English Sea Rovers in the Seventeenth Century ausführlich die Sexualität der Bukaniere und behandelt dabei auch Themen wie Pädophilie, die Rolle heterosexueller Ehen und Frauen, Regelungen bezüglich sexueller Beziehungen an Bord und die Matelotages. Vgl. Burg, Barry Richard (1995): Secuality. In: Sodomy and the Pirate Tradition. English Sea Rovers in the Seventeenth Century Caribbean. Hrsg. von ders. New York / London: NYU Press, S. 128-131. 260 Burg 1995,128-131. 261 Burney 1816, 45. 262 Exquemelin 2011, 32. 263 Lane 1999, 99. S e i t e | 70 schon früh den zentralen Umschlagplatz für die Waren der Bukaniere dar. Aus Europa, aber auch aus den neuen westindischen Kolonien stammende Schiffbrüchige, Deserteure, entlaufe- ne Sklaven, verschuldete Schiffskapitäne, Gesetzlose, Gescheiterte und viele mehr suchten ihr Glück in den von den Spaniern nicht mehr bewohnten Gebieten der Insel Hispaniola.264 Die harte Arbeit und schlechte Behandlung der Arbeiter auf den Plantagen der neuen Kolonien, vor allem auf St. Christopher, bewegte zahlreiche bereits im karibischen Raum angesiedelte Franzosen, Niederländer und Engländer zur Flucht Richtung Hispaniola.265 Viele Bukaniere kamen auch als engagés auf die Insel. Als engagé wurde eine bestimmte Art der Vertragsar- beiter bezeichnet, die zwar theoretisch als frei galten, ihre Freiheit jedoch für die Vertrags- dauer von rund drei bis zu acht Jahren an Schiffsinhaber verkauften und – häufig unter skla- venähnlichen Bedingungen – ihre Arbeit auf deren Schiff leisteten. Meist handelte es sich dabei um Männer, die sich die Überfahrt in die Neue Welt nicht leisten konnten und dadurch nicht nur die Reise, sondern auch ein Startkapital sowie für das Überleben notwendige Utensi- lien bekamen.266

Abbildung 4: Darstellung eines Bukaniers mit der charakteristischen Muskete als Jagdwaffe

So gelangte auch Alexandre O. Exquemelin (~1646-1708) als engagé der französischen West- indien-Kompanie (frz.: Compagnie des Indes Occidentales) nach Tortuga. Seiner Herkunft als

Eine ausführliche Abhandlung über von Augenzeugen stammende Bilder der Bukaniere und deren Schiffe bietet: Little, Benerson (2012): Eyewitness Images of Buccaneers and Their Vessels. In: The Mariner’s Mirror. Jg. 98, H3, S. 312-326. 264 Bohn 2020, 40; Lane 2016, 90; Burney 1816, 37. 265 Eine Beschreibung der Verhältnisse auf den karibischen Plantagen findet sich bei Exquemelin 2011, 33-35. 266 Bernecker 1996, 29; Pfister 2012, 189; Lane 1999, 97. S e i t e | 71 Nachkomme eines hugenottischen Apothekers war es vermutlich geschuldet, dass er sein Stu- dium der Chirurgie in Paris und Rouen aufgeben musste. Als der ‚Sonnenkönig‘ Ludwig XIV. ein Gesetz erließ, welches französischen Protestanten das Praktizieren als Arzt verbot, begab sich Exquemelin schließlich in die Neue Welt im Westen, wo er sich 1669 den Bukanieren anschloss, die er in einem Bericht ausführlich beschreibt. Sein berühmtes, meist nur als Das Piratenbuch tituliertes Werk De Americaensche Zee-Rovers267 (engl.: The Pirates of Panama or The Buccaneers of America) aus dem Jahr 1678 avancierte seit seiner ersten Publikation 1678 zum Grundlagenwerk und zu einer wichtigen Quelle für die Geschichte der Bukaniere in der Karibik.268 Mehrere bereits im 17. Jahrhundert – also noch während des Zeitalters der Bukaniere – oder danach herausgegebene und bis heute immer wieder neu aufgelegte Tage- bücher bzw. Aufzeichnungen von bzw. über als private Seebeutenehmer tätige Bukaniere die- nen bis heute als eine der Hauptquellen für das Leben der Bukaniere und deren Seeraubaktivi- täten im karibischen Raum.269 Trotz der Heroisierungen und Romantisierungen einiger Ge- stalten in diesen Erzählungen stellen die akribisch geführten Aufzeichnungen für kritische BetrachterInnen eine geeignete Quelle für das Leben und den Werdegang der Bukaniere in der Karibik dar, bieten diese doch auch tiefe Einblicke in die sich immer mehr von den euro- päischen Interessen und Einflüssen loslösenden Beweggründe der Seeräuber bzw. privaten Seebeutenehmer.

Auf Hispaniola bildete sich so eine multinationale Gesellschaft heraus, welche in erster Linie aus Verfolgten und ‚sozialen Aussteigern‘ bestand, die sich selbst als frères de la côte (dt.: ‚Brüder der Küste‘) bezeichneten.270 Dass die Bukaniere von Jägern und Plantagenbesitzern vermehrt zu privaten Seebeutenehmern – sei es als von europäischen Souveränen oder lokalen Autoritäten beauftragte Freibeuter oder als Piraten – avancierten, ist auf ein Zusammenspiel ökonomischer, politischer und ‚sozialer‘ Faktoren in der Karibik zurückzuführen. Durch den

267 Vgl. Exquemelin 2011. 268 Exquemelin 2011, 168. Der Professor für französische Literatur und Gründer des New World Studies programs der Universität von Vir- ginia, James A. Arnold, wirft einen kritischen Blick auf Exquemelins Beschreibung der Bukaniere in Amerika. Vgl. Arnold, A. James (2007): From Piracy to Policy. Exquemelin’s Buccaneers and Imperial Competition in “America”. In: Review. Literature and Arts of the Americas. Jg. 40 H 1, S. 9-20. 269 Vgl. Exquemelin 2011; Dampier, William (1697): Neue Reise um die Welt. Worinnen umständlich beschrieben wird, Die Erd-Enge oder Isthmus von America, vielerley Küsten und Insuln in West-Indien, die Insuln des grünen Vorgebür- ges, die Durchfahrt an dem Lande des Fuego, die Mittägigen Küsten von Chili, Peru und Mexico, die Insuln Guam, [...]. Dabey gehandelt wird Von der unterschiedenen Beschaffenheit des Erdbodens aller dieser Länder, von ihren See-Häfen, Pflantzen, Früchten und Thieren, Ingleichen von ihren Einwohnern, deren Sitten und Gewohnheiten [...]. 4 Bände. Aus dem Englischen in die Frantzösische und nunmehr in die Hoch-Teitsche Sprache übersetzet. Leipzig: Wittib und Erben; Bur- ney 1816; Wafer, Lionel (1933): A New Voyage and Description of the Isthmus of America. Oxford: Hakluyt Society; Captain (2017): A General History of the Robberies and Murders of the most notori- ous Pirates. A General History of the Pyrates from Their first Rise and Settlement in the Island of Providence, to the present Time. Hrsg. von Johan Franzèn. Turku: Lennart Media. 270 Martínez-Fernández 2015, 28. S e i t e | 72 Handel mit getrocknetem Fleisch und Tierhäuten, aber auch Tabak und Zuckerrohr, die auf der Insel Hispanola und auf Tortuga angebaut wurden, kamen die Bukaniere neben Schmugg- lern auch immer häufiger in Kontakt mit Freibeutern und Piraten verschiedener europäischer Nationen.271 Schnell adaptierten die Bukaniere das reiche Schätze und Abenteuer verspre- chende Gewerbe dieser Beutefahrer, wobei die Spanier nicht nur aufgrund der sozialen und religiösen Hintergründe der meisten Bukaniere im Zentrum ihrer Seeraubaktivitäten standen. Auch die Vertreibungsversuche der Spanier ließen nicht ab, weshalb selbst die Gouverneure der Piraten- bzw. Bukanierstützpunkte Tortuga und – seit der Eroberung Jamaikas durch die Engländer 1655 – auch Port Royal272 Bukaniere als Freibeuter zur Verteidigung einsetzten.273 1664 konnten die Franzosen zwar endgültig die Kontrolle über die Insel Tortuga erlangen, erst 1697 wurde Frankreich im Frieden von Rijswijk aber das Gebiet Saint-Domingues – der westliche Teil der Hispaniola, das heute den Staat Haiti bildet – offiziell zugesprochen. Bis dahin waren private Seebeutenehmer die günstigste Möglichkeit zur aktiven Abwehr der stän- dig drohenden Angriffe durch die Spanier.274 Die Plünderungen der Spanier und der Bukanie- re trieben den gegenseitigen Hass an, was wiederum weitere Gewaltakte gegeneinander schür- te.

Die Bukaniere entwickelten ihre eigenen, auf die durch das Leben als Jäger in der Wildnis der Insel Hispaniola perfektionierten Fähigkeiten abgestimmten Seeraubtaktiken. Lediglich mit Musketen, Pistolen und Entermessern ausgestattet, versuchten die Bukaniere, sich möglichst nah an ihr Ziel anzuschleichen, um dann ihre jagderprobten Schützenfähigkeiten zu nutzen, indem sie die Befehlshabenden auf feindlichen Schiffen strategisch ausschalteten und so die Schiffbesatzung dezimierten oder zumindest verwirrten.275 Anschließend wurde das Schiff geentert und die Besatzung schlichtweg über Bord geworfen oder an der nächsten Küste aus- gesetzt.276 Die Bukaniere waren demnach Strategen, die ihre persönlichen Fähigkeiten durch- aus als Vorteile zu nutzen wussten. So beschreibt Exquemelin, wie Tortugas erster Seeräuber, , das Schiff des Vizeadmirals der spanischen Flotte bei Tiburon, der Halbinsel im Süden des heutigen Haiti, mit einer Mannschaft aus 28 Männern sowie nur einem kleinen Boot in seinen Besitz brachte. Trotz der zu vermutenden Dramatisierung und literarischen

271 Bohn 2020, 40; Lane 1999, 97. 272 In dieser Arbeit werden die Verbindungen zwischen den privaten Seebeutenehmern in der Karibik des 17. Jahrhunderts und der europäischen Politik am Beispiel der Hochburg der französischen Bukaniere (Flibusti- ers) demonstriert. Lane widmet sich jedoch auch dem Zentrum der englischen Bukaniere auf . Vgl. Lane 2016, 94-101. 273 Obwohl die Spanier offensichtlich das Hauptziel der Bukaniere waren, hatten die Lizenzen, mit denen sie von ihren Gouverneuren ausgestattet wurden, den im 17. Jahrhundert typischen Charakter von Generalvollmachten, die Angriffe auf jegliche vorbeiziehenden Schiffe, egal welcher Nation, legitimierten. Kempe 2010b, 362. 274 Pfister 2012, 191ff. 275 Bohn 2020, 40; Exquemelin 2011, 36ff. 276 Lane 1999, 99; Exquemelin 2011, 36. S e i t e | 73 Stilisierung der tatsächlichen Ereignisse in Exquemelins Darstellung lassen diese und andere Geschichten über die Bukaniere Rückschlüsse auf deren Taktiken als Seeräuber zu. So berich- tet Exquemelin von einem Angriff im Schutze der Abenddämmerung, welche die aufgrund der sich dem Ende zuneigenden Nahrungsvorräte verzweifelten Seeräuber nutzten, um so nah an das Schiff heranzukommen, dass sie an den Seiten hinaufklettern, in die Kabine eilen und dem Kapitän mit einer geladenen Waffe am Kopf sein Schiff absprechen konnten. Um die ‚Motivation‘ noch weiter zu steigern, schworen die Seeräuber vor der Aktion einen Eid auf ihren Kapitän und versenkten das eigene Boot. Den spanischen Befehlshaber in ihre Gewalt gebracht, wurde die Waffenkammer geplündert, widerspenstige Besatzungsmitglieder getötet und der Rest an der Küste ausgesetzt. Nur ein Teil der einfachen Crew wurde als ‚Hilfsarbei- ter‘ gefangen gehalten.277

Das Vorgehen der Bukaniere als Seeräuber war demnach äußerst taktisch. Mit kleinen Booten (engl.: canoes) verübten sie zu Beginn in erster Linie Überfälle auf die kleineren spanischen Schiffe, die ihre Waren an den Küstenhäfen handelten. Dabei konnten sie ihre Schützenfähig- keiten optimal nutzen. Die Erfolge ließen nicht nur die kleine Insel Tortuga als Hauptstütz- punkt der Bukaniere aufblühen, sondern bewegten immer mehr ehemalige Jäger und Planta- genbesitzer dazu, ihre Geschäfte aufzugeben und sich als private Seebeutenehmer ihren Un- terhalt zu verdienen.278 Vermutlich aufgrund der flach gehenden Boote, welche die Bukaniere bei ihren frühen Raubzügen verwendeten, wurden insbesondere die französischen Seeräuber häufig als ‚Flibustiers‘ bezeichnet. Um die Herkunft des Namens ringen sich jedoch mehrere plausible Theorien. Häufig wird das Wort ‚Flibustier‘ schlichtweg als Übertragung vom hol- ländischen vrijbuyter (dt.: ‚Freibeuter‘, engl.: freebooter) ins Französische erklärt. Dafür spricht die ursprüngliche Schreibweise fribustier, aus dem sich auch der englische Begriff ‚Flibustier‘ herleitet. Eine weitere Deutung bezieht sich auf die oben beschriebenen kleinen Boote, die von den Niederländern vlieboote genannt wurden.279 Welche Variante nun die ent- scheidende war, lässt sich kaum feststellen, zumal sich die beiden Begriffsdeutungen nicht gegenseitig ausschließen und ein Zusammenwirken beider Bezeichnungen möglich ist.280

Diese schon in Burneys Bericht 1816 angesprochenen Begriffsunklarheiten und die undiffe- renzierte Verwendung der beiden Bezeichnungen spiegeln sich bis in die Literatur der Ge- genwart wider. Bereits in zeitgenössischen Quellen finden sich verschiedene Meinungen dar-

277 Exquemelin 2011, 36f. 278 Bohn 2020, 40.; Exquemelin 2011, 37f. 279 Pfister 2012, 187; Burney 1816, 43ff. 280 Aus diesem Grund wird in dieser Arbeit die verbreitetere Bezeichnung ‚Bukanier‘ als Oberbegriff für die sich keiner der europäischen Nationen zugehörig fühlenden, in den Schmuggler- und Piratenstützpunkten im karibi- schen Raum als Jäger, Plantagenbetreiber oder private Seebeutenehmer tätigen Siedler verwendet. S e i t e | 74 über, ob sich Bukaniere und Flibustiers im Charakter unterscheiden. Laut Burney war eine Trennung der Begriffe – ‚Bukanier‘ für die als Jäger und Plantagenbesitzer arbeitenden Be- wohner der Hispaniola und Tortugas und ‚Flibustier‘ für die in der Karibik agierenden See- räuber – nur so lange denkbar, bis immer mehr Bukaniere (bzw. Flibustiers) eine Karriere als Beutefahrer einschlugen. Spätestens hier ergeben sich Probleme, geht man von einer Be- griffstrennung aus: Viele Bukaniere – seien es Jäger, Plantagenbesitzer oder Seebeuteneh- mer281 – änderten ihre Tätigkeit im Laufe ihres Lebens. Einige Piraten und Freibeuter ließen sich nach ihren Raubzügen wieder als Jäger auf der Insel nieder, andere wechselten generell zwischen verschiedenen Beschäftigungen; wieder andere kamen als Händler oder Piraten bzw. Freibeuter aus Europa oder dem Rest der Welt nach Tortuga und schlossen sich dort den Bukanieren an oder umgekehrt.282 So bildeten die seeräuberischen Aktivitäten der Bukaniere nicht selten die Grundlage für den Betrieb der Plantagen auf Tortuga und damit auch für die Kolonialisierung der Insel. Auf Raubzügen konnten die notwendigen Ressourcen und Arbeiter beschafft werden, die das Leben als Bukaniere auf der Insel erst ermöglichten. Dieselbe Per- son konnte demnach – je nach aktueller Tätigkeit – sowohl Bukanier als auch Flibustier sein.

Als sich immer mehr Bukaniere als Seeräuber versuchten, kristallisierte sich eine gewisse ‚Namenspräferenz‘ heraus: So nannten sich die vorwiegend französischstämmigen Abenteu- rer, von denen ein großer Teil als Jäger und Plantagenbesitzer auf Tortuga und der Hispaniola lebte, meist Flibustiers, während die englischen Seefahrer, die mehrheitlich als private See- beutenehmer tätig waren, den Namen buccaneers bevorzugten und diesen Namen sogar jenen Seefahrern gaben, die womöglich weder mit der Jagd, noch mit dem namensgebenden Räu- cherfleisch jemals in Berührung gekommen sind.283 Trotz dieser unterschiedlichen Bezeich- nungen eint die Bukaniere der Karibik doch ein Kriterium, das auch erklärt, weshalb die Nati- onalität im interkulturellen Zusammenleben der Bukaniere auf Tortuga und auf den gemein- samen Raubzügen auf See keine Rolle spielte:

All Europeans not Spaniards, wether it was war or peace between their nations in Europe, on their meeting in the West Indies, regarded each other as friends and allies, knowing then no other enemy than the Spaniards; and, as kind of public avowal of this confedera- tion, they called themselves .284

281 Exquemelin beschreibt diese als die drei Tätigkeiten, denen die Bukaniere nachgingen. Exquemelin 2011, 32. 282 Burney 1816, 44f. 283 Ebda., 45. 284 Ebda., 36. S e i t e | 75 Die fehlende nationale Zugehörigkeit wird sowohl von Aussagen lokaler Autoritäten, welche die Bukaniere als Hostis Humanis Generis bezeichneten,285 als auch durch deren Seeraubakti- vitäten selbst bestätigt. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts überfielen die Bukaniere regelmäßig auch Schiffe und Küstensiedlungen der Franzosen, Engländer und Niederländer im karibischen Raum. Wie bereits im 16. Jahrhundert bedienten sich die (nord-)- westeuropäischen Nationen nämlich auch im 17. Jahrhundert während der Kriege in Europa der Dienste durch Marke- und Repressalienbriefe ‚legitimierter‘ privater Seebeutenehmer. Im Gegensatz zu den früheren Generationen konnten diese Kapervollmachten nun aber von sämt- lichen in der Karibik vertretenen Souveränen bzw. kolonialen Autoritäten erlangt werden, wodurch die Beutefahrer nun nicht mehr an bestimmte Nationen gebunden waren.286 Aus den einstigen Auftraggebern konnten so die zukünftigen Hauptziele werden. Zur Zeit der Eng- lisch-Niederländischen Kriege ab 1652 sowie des Niederländisch-Französischen Krieges 1672-1678 wurden beispielsweise vorrangig die niederländischen Schiffe und Besitzungen im karibischen Raum von Bukanieren angegriffen; als sich Frankreich 1666 mit den Niederlan- den zusammenschloss, wandten sie sich indessen auch gegen die Engländer. Obwohl sich die seeräuberischen Aktivitäten der Bukaniere also – entgegen Burneys überspitzter Beschreibung – im Laufe der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts je nach Auftraggeber potenziell gegen alle Nationen richteten, stellten die Spanier doch deren Hauptziel dar.287

Gegen Ende des Jahrhunderts mussten die europäischen Souveräne schließlich erkennen, dass die von ihnen eingesetzten privaten Seebeutenehmer außer Kontrolle geraten waren und den gesamten atlantischen Überseehandel mit den nun immer mehr Bedeutung erlangenden Kolo- nien in der Neuen Welt beeinträchtigten. Bereits ab 1670 wurden mit dem Vertrag von Mad- rid erste (ernsthafte) Versuche der Pirateriebekämpfung gestartet. Darin wurden den Englän- dern nicht nur das von ihnen besetzte Jamaika sowie die Kaimaninseln von den Spaniern übertragen, die englische Krone verpflichtete sich auch zum Widerruf sämtlicher Lizenzen privater Seebeutenehmer.288 Zwar waren die Bukaniere in der seit den 1630/40ern verbreite- ten Form noch bis zum Ende des 17. Jahrhunderts aktiv, mit den Bestrebungen zur Piraterie- bekämpfung löste sich jedoch das ohnehin seit der Wende des 16. zum 17. Jahrhundert dünn

285 Vgl. Neill, Anna (2000): Buccaneer Ethnography. Nature, Culture, and Nation in the Journals of . In: Eighteenth-Century Studies. Jg. 33, H 2, S. 171f. 286 Der Ursprung dieser Entwicklung liegt in den von mit den Spaniern noch im Krieg befindlichen niederländi- schen Autoritäten in der Karibik ausgestellten Marke- und Repressalienbriefen, durch die englische und franzö- sische Freibeuter weiterhin als solche agieren konnten, während sich ihre Heimatnation im Frieden mit dem spanischen Königreich befand. Kempe 2010b, 162. 287 Kempe 2010b, 162; Benjamin/Hidalgo 2007, 166. 288 Vgl. Kempe 2010a, 141ff. S e i t e | 76 gewordene Band zu den europäischen Souveränen und ihrer Politik.289 Dadurch beschränkten sich die europäischen Einflüsse auf die Seeräuberei fortan auf die Anpassung der Seeraubtak- tiken und Verlagerung der Schauplätze von Piratenaktivitäten in den Pazifik, wodurch ein neues Zeitalter der von politischen Souveränen weitgehend unabhängigen Piraterie eingeläutet wurde.

5 FAZIT

Die europäischen Einflüsse auf die Seeräuberei in der Karibik zeigen sich nicht nur an den Funktionen, welche verschiedene Formen der privaten Seebeutenahme für die seefahrenden Nationen Europas einnehmen. Wirft man einen Blick auf die Entwicklung der Piraterie und Freibeuterei im karibischen Raum, so überschneiden sich die einzelnen Phasen mit den zent- ralen Zäsuren und Konflikten der (nord-)westeuropäischen Nationen in Europa. Die charakte- ristischen Ausformungen in den einzelnen Piratengenerationen der Seeräuberei in der Karibik hängen somit maßgeblich mit den Interessen der europäischen Souveräne und deren Politik zusammen. Gleichzeitig lassen sich aber auch Wechselwirkungen zwischen dem Seeraubge- schehen im atlantischen und karibischen Raum und den Beziehungen zwischen den europäi- schen Nationen feststellen.

Mit dem Vertrag von Tordesillas sicherte sich die kastilische Krone 1494 die westlich der Demarkationslinie gelegenen Gebiete und damit den Großteil der Neuen Welt als Einfluss- sphäre. Bis zum Vertrag von London 1640 schlossen die Kastilier bzw. Spanier ihre Kolonien im karibischen Raum von sämtlichen mit anderen europäischen Nationen getroffenen Verein- barungen und Verträgen aus, wodurch sich eine Art rechtliche Grauzone eröffnete. Vor allem die Franzosen und Engländer nutzten diese ab den 1520ern gezielt, um die aufstrebende See- macht Spanien mittels ‚staatlich‘ legitimierter Seebeutenahme durch Privatpersonen oder tole- rierter bzw. verdeckt geförderter Piraterie sowohl in Europa als auch in der Neuen Welt zu schwächen.

Dennoch kann das Meer – entgegen der weitverbreiteten Darstellung in literarischen und po- pulärwissenschaftlichen Werken, aber auch in Teilen der Fachliteratur – in der Frühen Neu- zeit keineswegs als rechtsfreier Raum angesehen werden, in dem man sich nur auf das ‚Recht des Stärkeren‘ berief. Stattdessen bedienten sich primär die (nord-)westeuropäischen Natio-

289 Nachdem sich die europäischen Souveräne zunehmend der Bekämpfung der außer Kontrolle geratenen Frei- beuterei in der Karibik verschrieben, wurden Kaperlizenzen sogar bei indigenen Autoritäten in Zentralamerika erworben. S e i t e | 77 nen verschiedener Legitimationsdokumente wie den (mittelalterlichen) Kaperbriefen und vor allem ihrem frühneuzeitlichen Pendant, den Marke- und Repressalienbriefen, um den Einsatz privater Seebeutefahrer zu rechtfertigen. Private Seebeutenehmer, vor allem mit offiziellen Vollmachten ausgestattete Freibeuter, trugen somit das europäische Recht über die maritimen Grenzen der Herrschaftsgebiete und auch der Demarkationslinie(n) hinaus. Der Atlantik so- wie die Karibischen Inseln stellten also – insbesondere im 16. Jahrhundert – vielmehr einen Raum dar, in dem verschiedene Rechtsvorstellungen und -strategien ebenso wie politische und ökonomische Interessen aufeinandertrafen. Dementsprechend handelte es sich bei der Unterscheidung zwischen Piraterie bzw. illegalem Seeraub und Freibeuterei als legale bzw. legitime Form der Seebeutenahme häufig primär um eine Perspektivenfrage.

Die politischen und ökonomischen Interessen der private Seebeutefahrer nutzenden Nationen spielten eine zentrale Rolle für die Seeräuberei in der Karibik, gewann der Überseehandel im Laufe des 16. Jahrhunderts doch maßgeblich an Bedeutung. Die maritimen Fernhandelsrouten stellten für die europäischen Seemächte eine günstige Alternative zum Transport von Han- delsgütern über den Landweg dar, als die Nachfrage der EuropäerInnen an Luxusgütern aus Fernost stieg. Damit wurde auch die Marinestärke für die europäischen Souveräne immer wichtiger. Private Seebeutenehmer waren nicht nur eine Ergänzung zu den im 16. Jahrhundert erst im Entstehen begriffenen militärischen Marinestreitkräften der (nord-)westeuropäischen Nationen, sondern ermöglichten über die Ausstellung von Repressalienbriefen auch außerhalb von Kriegen den Einsatz von Privatpersonen als kommerziell orientierte Beutefahrer gegen konkurrierende Nationen. Seit der spanischen Eroberung Mexikos 1519-21 sowie der Er- schließung von Silbervorkommen ab Mitte des 16. Jahrhunderts in Süd- und Zentralamerika stieg zudem der Handelsschiffverkehr zwischen den spanischen Kolonien und der Iberischen Halbinsel – und damit die Anzahl potenzieller Ziele für Freibeuter und Piraten – enorm an. Auch der Handel mit den Kolonien im karibischen Raum, auf den sich die Spanier durch den Vertrag von Tordesillas und die Einrichtung der Casa de Contratación das Monopol zu si- chern versuchten, lockte immer mehr von Souveränen tolerierte private Seebeutenehmer und Schmuggelhändler – häufig in derselben Person vereint – an.

Nach der Hinrichtung Jean Fleurys lehnte sich der französische König Franz I. als erste euro- päische Macht mittels privater Seebeutenahme unter Berufung auf die Freiheit des Handels und der Meere gegen das Monopol der spanischen Krone auf den Handel mit den neuen Ko- lonien auf. Zwar hatten französische Korsaren bereits zuvor vereinzelt Handelsschiffe aus der Neuen Welt bedroht, erst ab den 1530ern bis zum Friedensvertrag von Cateau-Cambrésis 1559 erlebte die französische Freibeuterei jedoch eine Hochphase. In dieser Zeit verlagerte

S e i t e | 78 sich der Schauplatz der Piraten- und Freibeuteraktivitäten bereits zunehmend in Richtung der Karibischen Inseln. Zwar verfolgten auch die französischen Korsaren primär politische und ökonomische Interessen, mehr noch als bei den ebenfalls vorwiegend protestantischen, engli- schen Sea Dogs spielten hier aber auch religiöse Gegensätze eine Rolle. Der Großteil der französischen Korsaren waren Hugenotten, deren Anführer wie Wilhelm I. von Oranien, Kö- nig Heinrich IV. von Navarra und Admiral Gaspard II. de Coligny Freibeuterlizenzen zur Be- kämpfung der katholischen Spanier ausstellten, in denen die Seeraubaktivitäten als Glaubens- krieg legitimiert wurden.

Die innen- und außenpolitischen Ereignisse um die Mitte des 16. Jahrhunderts – einerseits die sich verbessernden politischen Beziehungen zwischen Frankreich und Spanien, andererseits die Hugenottenkriege in Frankreich – waren ausschlaggebend für die Ablösung der französi- schen Korsaren von englischen Freibeutern und Piraten. Die englischen Piraten- und Freibeu- teraktivitäten konzentrieren sich im 16. Jahrhundert vollständig auf die Regierungszeit Elisa- beths I. Davor wie auch in den ersten Jahren nach ihrer Thronbesteigung standen einander in England zwei Fraktionen von Fernhandelskaufleuten gegenüber, wobei sich die Spanish Mer- chants auf das Aufrechterhalten friedlicher Beziehungen zum spanischen Königreich und die Vermeidung von Provokationen konzentrierten, wie sie die private Seebeutenahme darstellen würde. Diese wurde von den Martial Maritimes, die sich besonders häufig persönlich oder als Financiers an Piraten- oder Freibeuterexpeditionen beteiligten, als legitime Methode zum Ausbau des politischen Einflusses Englands und der Stabilisierung der englischen Wirtschaft angesehen. Unter der Herrschaft Königin Elisabeths I. verschlechterte sich das Verhältnis zwischen England und Spanien zusehends; neben religiösen Differenzen trugen dazu auch die Schmuggel- und Piratenaktivitäten, Spaniens Unterstützung der schottischen Königin Maria Stuart, das ‚Ausscheiden‘ Frankreichs als gemeinsamer Feind und die Unterstützung des Auf- standes der Spanischen Niederlande durch England bei.

An der flexiblen Politik der Monarchin hinsichtlich des Umganges mit Piraten und Freibeu- tern werden sowohl die Verflechtungen zwischen der Seeräuberei in der Karibik sowie deren Ausformungen mit den politischen und ökonomischen Interessen der europäischen Herrscher- häuser als auch die Differenzen zwischen politisch-rechtlicher Rhetorik und historischer Rea- lität deutlich. Letztere zeigen sich zum einen an verdeckt geförderten Piratenexpeditionen wie der Famous Voyage Francis Drakes, aber auch an der regelrechten Inflation der Ausstellung von Marke- und Repressalienbriefen mit Beginn des Englisch-Spanischen Krieges 1585. Dass die privaten Seebeutenehmer nicht immer der Kontrolle der europäischen MonarchInnen un- terstanden, wird besonders an der Seeräuberei in der Karibik im 17. Jahrhundert deutlich.

S e i t e | 79 Durch die Ansiedlung nicht-spanischer Europäer auf den von den Spaniern weitestgehend verlassenen Westindischen Inseln löste sich das karibische Seeraubgeschehen zunehmend von den europäischen Souveränen, die nun stärker als in den vorangegangenen Phasen zu politi- schen Reaktionen auf die außer Kontrolle geratenden privaten Seebeutenehmer gezwungen waren. Diese Entwicklung spiegelt sich in der Charakteristik und Geschichte der Bukaniere auf Tortuga wider. Die zu großen Teilen aus ‚sozialen Aussteigern‘ bestehenden Bukaniers- gemeinschaften bildeten multinationale Gesellschaften, die sich ab den 1630/40ern auch als private Seebeutenehmer betätigten. Entsprechende Lizenzen konnten die Bukaniere (und Fli- bustiers) im karibischen Raum von verschiedenen Autoritäten sämtlicher hier ansässiger Na- tionen einschließlich der noch verbliebenen indigenen Bevölkerungsgruppen erlangen, wes- halb sich ihre Angriffe potenziell gegen alle Nationen richten konnten. Gleichzeitig bildeten die Spanier aufgrund ihrer Versuche zur gewaltsamen Vertreibung der Bukaniere von der Insel Tortuga und wegen der Konflikte des vergangenen Jahrhunderts aber deren zentrales Feindbild und stellten dadurch häufig das Hauptziel ihrer Seeraubaktivitäten dar.

S e i t e | 80 6 ANHANG

Anhang 1: Vertrag von Tordesillas 1494 (Treaty between Spain and Portugal concludet at Tordesillas, June 7, 1494. Ratification by Spain, July 2, 1494. Ratification by Portugal, September 5, 1494)290 I. That, whereas a certain controversy exists between the said lords, their constituents, as to what lands, of all those discovered in the ocean sea up to the present day, the date of this treaty, pertain to each one of the said parts respectively; therefore, for the sake of peace and concord, and for the preservation of the relationship and love of the said King of Por- tugal for the said King and Queen of Castile, Aragon, etc., it being the pleasure of their Highnesses they, their said representatives, acting in their name and by Virtue of their powers herein described, covenanted and agreed that a boundary or straight line be de- termined and drawn north and south, from pole to pole, on the said ocean sea, from the Arctic to the Antarctic pole. This boundary or line shall be drawn straight, as aforesaid, at a distance of three hundred and seventy leagues west of the Cape Verde Islands, being calculated by degrees, or by any other manner as may be considered the best and readiest, provided the distance shall be no greater than abovesaid. And all lands, both islands and mainlands, fond and discovered already, or to be found and discovered hereafter, by the said King of Portugal and by his vessels on this side of the said line and bound deter- mined as above, toward the east, in either north or south latitude, on the eastern side of the said bound, provided the said bound is not crossed, shall belong to, and remain in the possession of,and pertain for even to the said King of Portugal and his successors. And all other lands, both islands and mainlands, found or to be found hereafter, discovered or to be discovered hereafter, which have been discovered or shall be discovered by the _aid King and Queen of Castile, Aragon, etc., and by their vessels. on the western side of the said bound, determined as above after having passed the said bound toward the west, in either its north or south latitude shall belong to, and remain in the possession of and per- tain forever to, the said King and Queen of Castile, Leon, etc., and to their successors. II. Item, the said representatives promise and affirm by virtue of the powers aforesaid, that from this date no ships shall be despatched-namely as follows: the said King and Queen of Castile, Leon, Aragon, etc., for this part of the bound, and its eastern side, on this side the said bound, which pertains to the said King of Portugal and the Algarves, etc.; nor the said King of Portugal to the other part of the said bound which pertains to the said King and Queen of Castile, Aragon, etc-for the purpose of discovering and seeking any main- lands or islands, or for the purpose of trade, barter, or conquest of any kind. But should it come to pass that the said ships of the said King and Queen of Castile, Leon, Aragon, etc., on sailing thus on this side of the said bound, should discover any mainlands or is- lands in the region pertaining, as abovesaid, to the said King of Portugal, such mainlands or islands shall pertain to and belong forever to the said King of Portugal and his heirs, and their Highnesses shall order them to be surrendered to him immediately. And if the said ships of the said King of Portugal discover any islands and mainlands in the regions of the said King and Queen of Castile, Leon, Aragon, etc., all such lands shall belong to and remain forever in the possession of the said King and Queen of Castile, Leon, Ara- gon, etc., and their heirs, and the said King of Portugal shall cause such lands to be sur- rendered immediately. III. Item, in order that the said line or bound of the said division may be made straight and as nearly as possible the said distance of three hundred and seventy leagues west of the Cape

290 Zit. nach Davenport 1917, 93-100. S e i t e | 81 Verde Islands, as hereinbefore stated, the said representatives of both the said parties agree and assent that within the ten months immediately following the date of this treaty their said constituent lords shall despatch two or four caravels, namely, one or two by each one of them, a greater or less number, as they may mutually consider necessary. These vessels shall meet at the Grand Canary Island during this time, and each one of the said parties shall send certain persons in them, to wit, pilots, astrologers, sailors, and any others they may deem desirable. But there must be as many on one side as on the other, and certain of the said pilots, astrologers, sailors, and others of those sent by the said King and Queen of Castile, Aragon, etc., and who are experienced, shall embark in the ships of the said King of Portugal and the Algarves; in like manner certain of the said persons sent by the said King of Portugal shall embark in the ship or ships of the said King and Queen of Castile, Aragon, etc.; a like number in each case, so that they may jointly study and examine to better advantage the sea, courses, winds, and the degrees of the sun or of north latitude, and lay out the leagues aforesaid, in order that, in determining the line and boundary, all sent and empowered by both the said parties in the said vessels, shall jointly concur. These said vessels shall continue their course together to the said Cape Verde Islands, from whence they shall lay a direct course to the west, to the dis- tance of the said three hundred and seventy degrees, measured as the said persons shall agree, and measured without prejudice to the said parties. When this point is reached, such point will constitute the place and mark for measuring degrees of the sun or of north latitude either by daily runs measured in leagues, or in any other manner that shall mutu- ally be deemed better. This said line shall be drawn north and south as aforesaid, from the said Arctic pole to the said Antarctic pole. And when this line has been determined as abovesaid, those sent by each of the aforesaid parties, to whom each one of the said par- ties must delegate his own authority and power, to determine the said mark and bound, shall draw up a writing concerning it and affix thereto their signatures. And when deter- mined by the mutual consent of all of them, this line shal be considered as a perpetual mark and bound, in such wise that the said parties, or either of them, or their future suc- cessors, shall be unable to deny it, or erase or remove it, at any time or in any manner whatsoever. And should, perchance, the said line and bound from pole to pole, as afore- said, intersect any island or mainland, at the first point of such intersection of such island or mainland by the said line, some kind of mark or tower shall be erected, and a succes- sion of similar marks shall be erected in a straight line from such mark or tower, in a line identical with the above-mentioned bound. These marks shall separate those portions of such land belonging to each one When this point is reached, such of the said parties; and the subjects of the side, said parties shall not dare, on either to enter the territory of the other, by crossing the said mark or bound in such island or mainland. IV. Item, inasmuch as the said ships of the said King and Queen of Castile, Leon, Aragon, etc., sailing as before declared, from their kingdoms and seigniories to their said posses- sions on the other side of the said line, must cross the seas on this side of the line, pertain- ing to the said King of Portugal, it is therefore concerted and agreed that the said ships of the said King and Queen of Castile, Leon, Aragon, etc., shall, at any time and without any hindrance, sail in either direction, freely, securely, and peacefully, over the said seas of the said King of Portugal, and within the said line. And whenever their Highnesses and their successors wish to do so, and deem it expedient, their said ships may take their courses and routes direct from their kingdoms to any region within their line and bound to which they desire to despatch expeditions of discovery, conquest, and trade. They shall take their courses direct to the desired region and for any purpose desired therein, and shall not leave their course, unless compelled to do so by contrary weather. They shall do this provided that, before crossing the said line, they shall not seize or take possession of anything discovered in his said region by the said King of Portugal; and should their said ships find anything before crossing the said line, as aforesaid, it shall belong to the said

S e i t e | 82 King of Portugal, and their Highnesses shall order it surrendered immediately. And since it is possible that the ships and subjects of the said King and Queen of Castile, Leon, etc., or those acting in their name, may discover before the twentieth day of this present month of June, following the date of this treaty, some islands and mainlands within the said line, drawn straight from pole to pole, that is to say, inside the said three hundred and seventy leagues west of the Cape Verde Islands, as aforesaid, it is hereby agreed and determined, in order to remove all doubt, that all such islands and mainlands found and discovered in any manner whatsoever up to the said twentieth day of this said month of June, although found by ships and subjects of the said King and Queen of Castile, Aragon, etc., shall pertain to and remain forever in the possession of the said King of Portugal and the Al- garves, and of his successors and kingdoms, provided that they lie within the first two hundred and fifty leagues of the said three hundred and seventy leagues reckoned west of the Cape Verde Islands to the above-mentioned line-in whatsoever part, even to the said poles, of the said two hundred and fifty leagues they may be found, determining a bound- ary or straight line from pole to pole, where the said two hundred and fifty leagues end. Likewise all the islands and mainlands found and discovered up to the said twentieth day of this present month of June by the ships and subjects of the said King and Queen of Castile, Aragon, etc., or in any other manner, within the other one hundred and twenty leagues that still remain of the said three hundred and seventy leagues where the said bound that is to be drawn from pole to pole, as afore said, must be determined, and in whatever part of the said one hundred and twenty leagues, even to the said poles,-they that are found up to the said day shall pertain to and remain forever in the possession of the said King and Queen of Castile, Aragon, etc., and of their successors and kingdoms; just as whatever is or shall be found on the other side of the said three hundred and seven- ty leagues pertaining to their Highnesses, as aforesaid, is and must be theirs, althoügli the said one hundred and twenty leagues are within the said bound of the said three hundred and seventy leagues pertaining to the said King of Portugal, the Algarves, etc., as afore- said. And if, up to the said twentieth day of this said month of June, no lands are discovered by the said ships of their Highnesses within the said one hundred and twenty leagues, and are discovered after the expiration of that time. then they shall pertain to the said King of Portugal as is set forth in the above.

S e i t e | 83 Anhang 2: Commission issued by Queen Elizabeth to the Earl of Cumber- land, 28 March 1595291

The Queen to George, Earl of Cumberland. Considering the many hostile attempts against the realm and our person, without any just cause, we are moved to consider means to prevent all occasions of hazard and danger, and disable and weaken the forces, strength, and wealth of all persons so maliciously affected against our dominion and subjects; knowing your approved fidelity and valour, we hereby commission you to chose and constitute captains and other deputies, to levy, assemble, arm, and victual so many of our subjects as are willing to serve, and are fit and apt for war, by land and sea, as you shall think fit, and transport the same to invade and destroy the power, forces, &c., of the King of Spain, his subjects or adherents, and those of any Prince not in league and amity with us.

For the better strengthening you in this service, you are to victual and arm for sea the Malice Scourge, and such other ships and pinnaces as shall be appointed by you, not exceeding six. All prizes that shall be taken by you, or by any person or persons appointed by you, are to be brought into the most convenient haven, without breaking bulk or making any distribution of shares, until our further pleasure is known. The persons whom you shall send with such ships are to have the same authority to execute anything for this service as you might have done if you had been personally there. We charge all those who shall serve in any of the ships to yield duty and obedience to you, or to such as you shall appoint, and to avoid all causes of disorder to the hindrance thereof; also all others to be aiding and assisting therein.

291 Zit. nach Childs 2014, 235. S e i t e | 84 Anhang 3: Letters of Reprisal and Bonds for Good Behaviour292

Letter of reprisal authorised by Lord Admiral Howard in favour Lord

Master Caesar, whereas a ship appertaining to my good Lord the Lord Thomas Howard named Flighte of the burden of sixty tonnes, coming from the West Indies in Anno 1593, was stayed by Lieutenant, of the Isle of Rhe, near Rochelle, upon an arrest made by a Frenchman of Olderney de Barges, named Viodett and since he could never have restitution of his said ship, whereof this is to pray and require you to grant our commission unto his Lordship or his assignees to stay any such ship or goods of the said island or of Olderney aforesaid as his Lordship or his assignees shall at any time hereafter find within any of her majesty's domin- ions to the value of one thousand pounds for to that sum did his Lordship losses extend.

And for the same let this be your warrant from the court at Greenwich the 8th June 1595

Your loving friend

C Howard

Warrant for the grant of letters of reprisal for Golden Dragon, Prudence and Virgin

Master Caesar, I am content you make out a commission of reprisal unto John Moore of Lon- don, merchant, and William Jones, master of Trinity, whose to set out and furnish to the seas the good ships called Golden Dragon of London of the burden ninety tonnes or thereabouts and Prudence of London of the burden of Sixty tonnes or thereabouts with their pinnace, Vir- gin of London of the burden of twenty tonnes, in warlike manner against the King of Spain and his subjects and his or their goods under such articles and conditions as are agreed on betwixt the Lords of the Council and merchants on that behalf. And let this be your warrant for the same. From the Court at Whitehall, 26 December 1591

Your loving friend, C Howard

To my loving friend, master doctor, Caesar Judge of the high court of Admiralty

292 Zit. nach Childs 2014, 233f. S e i t e | 85

Bond for the good behaviour of pirateers

Christopher Newport and Robert Keeble, captain and master respectively of Golden Dragon of London, of one hundred tonnes burden, which is to be set forth with letters of reprisal by Henry Clitheroe and John Moore of London, merchants, and William Bygate, Edward Wil- kinson and Edmund Burton, mariners bind themselves to pay to the Lord Admiral £3,000. This bond to be of no effect provided that the ship engages in no piratical activities, returns its prizes to port for the payment of customs duties and tenths. Dated 19 January 1591

Hugh Merrick and John Paul, captain and master respectively of Prudence of London, of one seventy tonnes burden, which is to be set forth with letters of reprisal by Henry Clitheroe and John Moore, Robert Cobb, John Newton and William Jones, bind themselves to pay to the Lord Admiral £3,000. This bond to be of no effect provided that the ship engages in no pirat- ical activities, returns its prizes to port for the payment of customs duties and tenths.

Henry Kedgell and Cuthbert Grippe, captain and master respectively of Virgin of London, of forty tonnes burden, which is to be set forth with letters of reprisal by Robert Cobb, John Moore, George Southwick and Thomas Gardener, bind themselves to pay to the Lord Admiral £3,000. This bond to be of no effect provided that the ship engages in no piratical activities, returns its prizes to port for the payment of customs duties and tenths.

Robert Thread and James Bragge, captain and master respectively of Margaret of London, of fifty tonnes burden, which is to be set forth with letters of reprisal by Robert Cobb, John Moore, George Southwick and Thomas Gardener, bind themselves to pay to the Lord Admiral £3,000. This bond to be of no effect provided that the ship engages in no piratical activities, returns its prizes to port for the payment of customs duties and tenths. Dated 22 January 1591/2

S e i t e | 86 7 LITERATURVERZEICHNIS

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8 ABBILDUNGSVERZEICHNIS

ABBILDUNG 1: DIE ALS CANTINO-PLANISPHÄRE BEKANNTE WELTKARTE DES ITALIENISCHEN DIPLOMATEN ALBERTO CANTINO AUS DEM JAHR 1502 QUELLE: HTTPS://UPLOAD.WIKIMEDIA.ORG/WIKIPEDIA/COMMONS/9/9C/CANTINO_PLANISPHERE_%281502%29.JPG [20.07.2021] ...... 18

ABBILDUNG 2: DIE ROUTE DER FAMOUS VOYAGE DES FRANCIS DRAKE 1577-1580 QUELLE: HTTPS://DE.WIKIPEDIA.ORG/WIKI/WELTUMSEGELUNG_DES_FRANCIS_DRAKE#/MEDIA/DATEI:WELTUMSEGELUNG _DES_ FRANCIS_DRAKE.PNG [20.07.2021] ...... 48

ABBILDUNG 3: DARSTELLUNG DER ÎLE DE LA TORTUE (DT. ‚SCHILDKRÖTENINSEL‘) AUS DEM 17. JAHRHUNDERT QUELLE: LITTLE, BENERSON (2012): EYEWITNESS IMAGES OF BUCCANEERS AND THEIR VESSELS. IN: THE MARINER’S MIRROR. JG. 98, H3, S. 315 ...... 68

ABBILDUNG 4: DARSTELLUNG EINES BUKANIERS MIT DER CHARAKTERISTISCHEN MUSKETE ALS JAGDWAFFE QUELLE: HTTP://THEROGERSINHAITI.FILES.WORDPRESS.COM/2007/11/TORTUGA17THCENTURY.JPG [20.07.2021] ...... 71

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