Inhaltsverzeichnis Plenarprotokoll 17/220

Deutscher

Stenografischer Bericht

220. Sitzung

Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 35: –zu dem Antrag der Abgeordneten , Katrin Kunert, Diana a) – Zweite und dritte Beratung des von den Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktionen der CDU/CSU und FDP ein- Fraktion DIE LINKE: Keine Anrech- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur nung von Aufwandsentschädigun- Entbürokratisierung des Gemeinnüt- gen für bürgerschaftliches Engage- zigkeitsrechts (Gemeinnützigkeitsent- ment auf Leistungen nach dem bürokratisierungsgesetz – GemEntBG) Zweiten und Zwölften Buch Sozial- (Drucksachen 17/11316, 17/12123) . . 27337 A gesetzbuch –Zweite und dritte Beratung des von der (Drucksachen 17/7646, 17/7653, 17/11253 Bundesregierung eingebrachten Ent- Buchstabe a und b) ...... 27337 D wurfs eines Gesetzes zur Entbürokra- tisierung des Gemeinnützigkeits- d) Unterrichtung durch die Bundesregierung: rechts (Gemeinnützigkeitsentbüro- Erster Engagementbericht – Für eine kratisierungsgesetz – GemEntBG) Kultur der Mitverantwortung – Bericht (Drucksachen 17/11632, 17/12037, der Sachverständigenkommission 17/12123) ...... 27337 B und Stellungnahme der Bundesregierung –Bericht des Haushaltsausschusses ge- (Drucksache 17/10580) ...... 27338 A mäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/12124) ...... 27337 B Christian Freiherr von Stetten (CDU/CSU) . . 27338 B b) Zweite und dritte Beratung des vom Bun- Petra Hinz () (SPD) ...... 27339 C desrat eingebrachten Entwurfs eines Ge- Dr. Birgit Reinemund (FDP) ...... 27341 C setzes zur Förderung ehrenamtlicher Tätigkeit im Verein Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) ...... 27342 D (Drucksachen 17/5713, 17/12125) ...... 27337 C Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ c) Beschlussempfehlung und Bericht des DIE GRÜNEN) ...... 27345 A Ausschusses für Arbeit und Soziales Dr. (CDU/CSU) ...... 27347 D –zu dem Antrag der Abgeordneten Ute Kumpf (SPD) ...... 27348 D Katrin Kunert, Katja Kipping, Dr. , weiterer Abge- Christian Freiherr von Stetten ordneter und der Fraktion DIE LINKE: (CDU/CSU) ...... 27350 B Aufwandsentschädigungen für kom- (FDP) ...... 27351 B munale Mandatsträgerinnen und Mandatsträger sowie Amtsträgerin- (CDU/CSU) ...... 27352 A nen und Amtsträger nicht auf Leis- Siegmund Ehrmann (SPD) ...... 27353 A tungen nach dem Zweiten und Markus Grübel (CDU/CSU) ...... 27354 A Zwölften Buch Sozialgesetzbuch an- rechnen Florian Bernschneider (FDP) ...... 27355 A II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013

Klaus Riegert (CDU/CSU) ...... 27355 D (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 27383 C (CDU/CSU) ...... 27357 A Karl Holmeier (CDU/CSU) ...... 27384 C

Tagesordnungspunkt 34: Tagesordnungspunkt 36: Antrag der Fraktion der SPD: Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden von Bund a) Beschlussempfehlung und Bericht des und Ländern zur Verfassungswidrigkeit Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der „Nationaldemokratischen Partei der Abgeordneten Paul Schäfer (Köln), Deutschlands“ Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weite- (Drucksache 17/12168) ...... 27358 D rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kein Zugang von Kindern und (SPD) ...... 27359 A Jugendlichen zu Kriegswaffen bei Bun- Dr. (CDU/CSU) ...... 27360 C deswehr-Veranstaltungen (Drucksachen 17/8609, 17/9597) ...... 27385 B (DIE LINKE) ...... 27362 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) ...... 27363 A Ausschusses für Menschenrechte und hu- Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ manitäre Hilfe zu dem Antrag der Abge- DIE GRÜNEN) ...... 27364 B ordneten , Diana Golze, Paul Schäfer (Köln), weiterer Abgeordne- Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) ...... 27365 B ter und der Fraktion DIE LINKE: Mili- Ralf Jäger, Minister (Nordrhein- tärische Verwendung von Minder- Westfalen) ...... 27367 A jährigen beenden – Ehemalige Kindersoldatinnen und Kindersoldaten Dr. (FDP) ...... 27368 C unterstützen (DIE LINKE) ...... 27369 D (Drucksachen 17/8491, 17/9916) ...... 27385 C (Köln) (BÜNDNIS 90/ Jürgen Hardt (CDU/CSU) ...... 27385 C DIE GRÜNEN) ...... 27370 D Angelika Graf (Rosenheim) (SPD) ...... 27386 C (CDU/CSU) ...... 27372 A (FDP) ...... 27388 A Michael Hartmann (Wackernheim) Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) ...... 27389 A (SPD) ...... 27373 C Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP) ...... 27374 D DIE GRÜNEN) ...... 27390 B Dr. (CDU/CSU) ...... 27375 C (CDU/CSU) ...... 27391 A (CDU/CSU) ...... 27377 A Tagesordnungspunkt 39: Tagesordnungspunkt 37: a) Beschlussempfehlung und Bericht des a) Erste Beratung des von der Bundesregie- Ausschusses für Kultur und Medien rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- –zu dem Antrag der Abgeordneten zes zu dem Vertrag vom 9. Dezember Wolfgang Börnsen (Bönstrup), 2011 über den Beitritt der Republik , Dorothee Bär, weiterer Kroatien zur Europäischen Union Abgeordneter und der Fraktion der (Drucksache 17/11872) ...... 27378 B CDU/CSU sowie der Abgeordneten b) Antrag der Abgeordneten , Dr. Claudia Winterstein, Burkhardt , Axel Schäfer (Bochum), Müller-Sönksen, Reiner Deutschmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion weiterer Abgeordneter und der Frak- der SPD: EU-Beitritt der Republik tion der FDP: Das Filmerbe stärken, Kroatien zum Erfolg führen die Kulturschätze für die Nachwelt (Drucksache 17/12182) ...... 27378 C bewahren und im digitalen Zeitalter zugänglich machen Michael Link, Staatsminister AA ...... 27378 D –zu dem Antrag der Abgeordneten Angelika Krüger-Leißner, Siegmund Josip Juratovic (SPD) ...... 27380 A Ehrmann, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Thomas Dörflinger (CDU/CSU) ...... 27381 C SPD: Ein nationales Digitalisie- (DIE LINKE) ...... 27382 C rungsprogramm für unser Filmerbe Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 III

–zu dem Antrag der Abgeordneten b) Antrag der Abgeordneten Raju Sharma, Kathrin Senger-Schäfer, , Jan Korte, , weiterer Abge- , weiterer Abgeordne- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: ter und der Fraktion DIE LINKE: Fi- Demokratie stärken, Lobbyismus ver- nanzierung zur Bewahrung des hindern und Parteienfinanzierung deutschen Filmerbes endlich sicher- transparenter gestalten stellen (Drucksache 17/9063) ...... 27399 C –zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ (Augsburg), Tabea DIE GRÜNEN) ...... 27399 D Rößner, Dr. , wei- (Weil am Rhein) terer Abgeordneter und der Fraktion (CDU/CSU) ...... 27400 D BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Um- fassende Initiative zur Digitalisie- (SPD) ...... 27403 A rung des Filmerbes starten Dr. Stefan Ruppert (FDP) ...... 27404 B (Drucksachen 17/11006, 17/10098, 17/11007, Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ 17/8353, 17/11933) ...... 27392 C DIE GRÜNEN) ...... 27405 A b) Erste Beratung des von der Bundesregie- Raju Sharma (DIE LINKE) ...... 27406 A rung eingebrachten Entwurfs eines Drit- ten Gesetzes zur Änderung des Bundes- Nächste Sitzung ...... 27407 C archivgesetzes (Drucksache 17/12012) ...... 27392 D Berichtigung ...... 27407 B , Staatsminister BK ...... 27393 A Anlage 1 Angelika Krüger-Leißner (SPD) ...... 27394 A Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 27409 A Dr. Claudia Winterstein (FDP) ...... 27395 C

Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE) ...... 27396 C Anlage 2 Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ Erklärung des Abgeordneten Wolfgang DIE GRÜNEN) ...... 27397 B Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU) zur nament- lichen Abstimmung über die Beschlussemp- Johannes Selle (CDU/CSU) ...... 27398 B fehlung: Fortsetzung der Beteiligung bewaff- neter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungs- Tagesordnungspunkt 38: truppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der a) Erste Beratung des von den Abgeordneten NATO auf Grundlage der Resolution 1386 Volker Beck (Köln), Ingrid Hönlinger, (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Memet Kilic, weiteren Abgeordneten und Resolution 2069 (2012) vom 9. Oktober 2012 der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen NEN eingebrachten Entwurfs eines ... Ge- (219 Sitzung, Tagesordnungspunkt 7) ...... 27410 A setzes zur Änderung des Parteiengeset- zes – Begrenzung von Parteispenden und Transparenz beim Sponsoring für Anlage 3 Parteien (Transparenzgesetz) (Drucksache 17/11877) ...... 27399 C Amtliche Mitteilungen ...... 27410 A

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(A) (C)

220. Sitzung

Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. : Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Dr. Gesine Lötzsch Priska Hinz (Herborn) Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich, fast könnte ich es namentlich b) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat tun; das Plenum wird sich hoffentlich während des ers- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur För- ten Tagesordnungspunktes etwas auffüllen. derung ehrenamtlicher Tätigkeit im Verein Ich habe vor Eintritt in die Tagesordnung nichts zu – Drucksache 17/5713 – verkünden, sodass wir uns gleich der vereinbarten Ta- Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus- gesordnung widmen können. schusses (6. Ausschuss) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 35 a bis 35 d auf: – Drucksache 17/12125 – a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen (B) Berichterstattung: (D) der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs Abgeordnete eines Gesetzes zur Entbürokratisierung des Ge- (Schwandorf) meinnützigkeitsrechts (Gemeinnützigkeitsent- Marco Buschmann bürokratisierungsgesetz – GemEntBG) Raju Sharma Ingrid Hönlinger – Drucksache 17/11316 – c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- –Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes (11. Ausschuss) zur Entbürokratisierung des Gemeinnützig- keitsrechts (Gemeinnützigkeitsentbürokrati- –zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin sierungsgesetz – GemEntBG) Kunert, Katja Kipping, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE – Drucksachen 17/11632, 17/12037 – LINKE Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus- Aufwandsentschädigungen für kommunale schusses (7. Ausschuss) Mandatsträgerinnen und Mandatsträger so- wie Amtsträgerinnen und Amtsträger nicht – Drucksache 17/12123 – auf Leistungen nach dem Zweiten und Berichterstattung: Zwölften Buch Sozialgesetzbuch anrechnen Abgeordnete Christian Freiherr von Stetten –zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Petra Hinz (Essen) Kipping, Katrin Kunert, Diana Golze, weiterer Dr. Birgit Reinemund Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Dr. Barbara Höll Britta Haßelmann Keine Anrechnung von Aufwandsentschädi- gungen für bürgerschaftliches Engagement –Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) auf Leistungen nach dem Zweiten und gemäß § 96 der Geschäftsordnung Zwölften Buch Sozialgesetzbuch – Drucksache 17/12124 – – Drucksachen 17/7646, 17/7653, 17/11253 Buchstabe a und b – Berichterstattung: Abgeordnete Berichterstattung: (Erfurt) Abgeordneter Markus Kurth 27338 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes- mit den betroffenen Verbänden und Organisationen ge- (C) regierung führt bzw. durchgeführt und auch deren Anliegen aufge- nommen und eingearbeitet. Wir haben – das ist beson- Erster Engagementbericht – Für eine Kultur ders wichtig – mit zahlreichen ehrenamtlich engagierten der Mitverantwortung Bürgerinnen und Bürgern in unseren Wahlkreisen über Bericht der Sachverständigenkommission diesen Gesetzentwurf diskutiert und auch deren Vor- und schläge einfließen lassen. Bei diesem Gesetzentwurf hat Stellungnahme der Bundesregierung also eine Art Bürgerbeteiligung stattgefunden. – Drucksache 17/10580 – (Beifall des Abg. Reinhard Grindel [CDU/ Überweisungsvorschlag: CSU]) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Sportausschuss Zum Abschluss haben wir sogar, sehr geehrter Herr Ausschuss für Kultur und Medien Präsident, den etwas umständlichen Arbeitstitel „Ge- Zu dem Entwurf eines Gemeinnützigkeitsentbürokra- meinnützigkeitsentbürokratisierungsgesetz“ in „Gesetz tisierungsgesetzes, zur Stärkung des Ehrenamtes“ geändert. Ich glaube, da- rüber freuen sich alle Kolleginnen und Kollegen des (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Es hat einen Hauses. Bei der Bürgerbeteiligung ist deutlich gewor- neuen Namen!) den, dass die Bürger Klarheit darüber wollen, was das bei dem sich in der Tat der Eindruck aufdrängt, dass die für ein Gesetz ist. Durch dieses Gesetz wird das Ehren- Entbürokratisierung mit der Bezeichnung beginnen amt gestärkt. Deswegen soll es auch so heißen. sollte, Da das bürgerschaftliche Engagement in großen Tei- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, len in Vereinen, ehrenamtlichen Organisationen und Stif- dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der tungen seinen Platz hat, bekommen diese heute einen LINKEN) besseren und verlässlicheren rechtlichen Rahmen für ihre Tätigkeiten. Wir reden heute nicht nur über das Eh- liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktionen der renamt, sondern wir werden heute im Parlament eine SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen vor. Entscheidung treffen und dadurch entbürokratisieren Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die und flexibilisieren. Auch wenn es nicht jedem gefällt, Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Dazu gibt es offen- werden wir dieses Gesetz rückwirkend zum 1. Januar sichtlich Einvernehmen. Dann ist das so beschlossen. 2013 in Kraft treten lassen, damit die Betroffenen schon in diesem Jahr und nicht erst im nächsten Jahr von den (B) Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu- Änderungen profitieren. (D) nächst dem Kollegen für die CDU/ CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) Diese Vorteile schaffen wir unter anderem durch die Er- höhung der sogenannten Übungsleiterpauschale. Wir erhö- hen diese um 300 Euro von 2 100 Euro auf 2 400 Euro. Christian Freiherr von Stetten (CDU/CSU): Wir erhöhen auch den Ehrenamtsfreibetrag für Vor- Vielen Dank, Herr Präsident. – Guten Morgen, liebe standsmitglieder, Schiedsrichter, Platzwarte und andere Kolleginnen und Kollegen! Das könnte heute ein wirk- besonders engagierte Helfer in den Vereinen um satte lich guter Tag für das Ehrenamt werden. Ein guter Tag 44 Prozent von 500 Euro auf 720 Euro. wird es auf jeden Fall; denn – das darf ich vorwegneh- men – die Abgeordneten der Regierungskoalition wer- Wir geben den Vereinen mehr Rechtssicherheit; zahl- den dem Gesetzentwurf heute zustimmen. Ein wirklich reiche Punkte, die bisher durch Ministeriumserlasse ge- guter Tag und ein Tag mit Symbolkraft könnte es wer- regelt worden sind, befinden sich nun im Gesetzblatt. den, wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Op- Auch neu gegründete Vereine erhalten jetzt den An- positionsparteien, diesem Gesetzentwurf heute ebenfalls spruch auf eine rechtsverbindliche Bescheinigung, in der zustimmen. festgestellt wird, ob ihre Satzung den Vorschriften der Abgabenordnung entspricht. Bisher waren diese Be- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- scheinigungen der Finanzämter ja nur vorläufig, und die neten der FDP – Markus Grübel [CDU/CSU], Vereinsverantwortlichen wussten nicht genau, ob sie an die SPD gewandt: Macht Ihr? – Gegenruf sich darauf verlassen können. der Abg. Iris Gleicke [SPD]: Wir warten mal, was er so sagt!) Wir ändern aber auch die Abgabenordnung und ver- längern die Frist zur Mittelverwendung um ein weiteres Um diese Zustimmung möchte ich gerne heute Mor- Jahr. Außerdem erhöhen wir die steuerfreie Umsatz- gen am Anfang dieser Debatte bei Ihnen werben. Sie ha- grenze für sportliche Veranstaltungen in Vereinen von ben allen Grund, dem Gesetzentwurf zuzustimmen; denn 35 000 auf 45 000 Euro. wir haben viele Punkte von Ihnen mit in den Gesetzent- wurf aufgenommen. Wir haben viele Punkte des Bun- Wir bedanken uns bei Minister Dr. Schäuble, der sich desrates mit aufgenommen, und wir haben selbstver- persönlich für diesen Gesetzentwurf eingesetzt hat. Herr ständlich zahlreiche Gespräche und auch eine Anhörung Staatssekretär, wir verbinden diesen Dank mit der Er- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27339

Christian Freiherr von Stetten (A) wartung, dass die Erhöhung der Übungsleiterpauschale gen ein gemeinsames Ziel haben: dass wir das Ehrenamt (C) durch eine Initiative des Ministeriums in Zukunft auch stärken wollen, weil die Ehrenamtlichen in der Gesell- den zahlreichen Mitgliedern der freiwilligen Feuerweh- schaft einen besonderen Beitrag für uns leisten. Stimmen ren zugutekommt. Sie heute gemeinsam mit uns für den vorliegenden Ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) setzentwurf! Zeigen Sie, dass der gesamte Deutsche Bundestag hinter den Ehrenamtlichen steht! Das alles sind wichtige Investitionen in unsere Ge- sellschaft. Die kulturelle und soziale Bedeutung der Ver- Herzlichen Dank. eine ist in den letzten Jahren nämlich noch einmal stark (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gestiegen. Wer sich in funktionierenden Vereinen auf- hält, wer die Wärme, die fast schon familiäre Atmo- Präsident Dr. Norbert Lammert: sphäre spürt, der weiß, dass Vereine in verschiedenen Petra Hinz ist die nächste Rednerin für die SPD-Frak- Bereichen für zahlreiche Kinder zu einer Art Familiener- satz geworden sind. Wir im Deutschen Bundestag begrü- tion. ßen und honorieren besonders die Integrationsleistung, (Beifall bei der SPD) die die Vereine im Hinblick auf ausländische Jugendli- che erbringen. Hier leisten die Vereine einen wesentli- Petra Hinz (Essen) (SPD): chen Beitrag. Guten Morgen, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen Man muss auch betonen, dass Übungsleiter inzwi- und Kollegen! Bei fast jedem Tagesordnungspunkt hö- schen mehr sind als nur durchtrainierte Vorturner. Sie ren wir, welch historische Stunde wir gerade erleben kümmern sich immer mehr auch um die persönlichen dürfen. Die Schritte, die tatsächlich historisch und wich- Probleme der ihnen anvertrauten Jugendlichen. Viele Ju- tig waren und zu Recht auf den Weg gebracht wurden, gendliche lernen im Verein zum ersten Mal die Wichtig- liegen aber schon etwas länger zurück, und zwar bis zu keit von Pünktlichkeit, Fairness und kameradschaftli- dem Zeitpunkt, als die Kolleginnen und Kollegen in der chem Miteinander. 14. Wahlperiode gemeinsam den Bericht der Enquete- Wir haben uns entschieden, auch die Haftungsrisiken Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engage- ehrenamtlich tätiger Vorstandsmitglieder zu verringern, ments“ fertiggestellt haben. Dort ist all das eingeflossen, um dafür zu sorgen, dass den Bürgerinnen und Bürgern was für diejenigen Vereine, Verbände, Organisationen, der Schritt hin zur Übernahme von mehr Verantwortung die ehrenamtlich gemeinnützig tätig sind, wichtig war. in Vereinen leichter fällt. Natürlich wird auch weiterhin Das war wirklich eine historische Stunde. gelten: Wer grobe Fehler macht oder wer strafrechtlich (B) Das andere wichtige Datum, mein lieber Herr Kollege (D) relevantes Verhalten an den Tag legt, wird zur Verant- Freiherr von Stetten, war in der letzten Wahlperiode, und wortung gezogen werden. Aber derjenige, der sich enga- zwar das Jahr 2007. Damals hatten wir in der Großen gieren will, der bereit ist, ein Vorstandsamt anzunehmen, Koalition in dem Gesetz zur weiteren Stärkung des bür- darf in Zukunft nicht mehr das Gefühl haben, dass er für gerschaftlichen Engagements die richtigen Schritte und sich persönlich oder in finanzieller Hinsicht ein unkalku- die richtigen Maßnahmen beschlossen. Dann ist es in der lierbares Risiko eingeht. Diese Angst darf kein Grund Tat nicht gerade sehr schwer, aufbauend auf einer guten mehr sein, ein Vorstandsamt nicht anzunehmen. Dafür Grundlage, auf einem guten Fundament, doch zumindest werden wir heute sorgen. Wir begrenzen die Haftung ein einige Erfahrungen in Form von Ergänzungen umzuset- weiteres Mal. zen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich möchte das, was Sie hier einbringen, nicht schmä- Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wird im Laufe lern. Aber ich habe schon eine andere Wahrnehmung so- der heutigen Debatte noch öfter der Fall sein, dass wir wohl in Bezug auf die Beratung als auch auf den Um- uns klar zum Ehrenamt bekennen und feststellen, dass gang mit unseren Anträgen. Dass Sie den Anregungen Deutschland mittlerweile zum Land der Ehrenamtlichen aus der Anhörung nun tatsächlich nicht in allen Punkten geworden ist; denn Millionen von Bürgern engagieren gefolgt sind, ist Ihre Entscheidung. Wenn Sie uns nun sich in gemeinnützigen Vereinen. Deutschland ist auf ei- aber suggerieren wollen, Sie seien kooperativ, und wenn nem guten Weg, auch zum Land der Stiftungen und Stif- Sie jetzt auch vor der Öffentlichkeit darstellen wollen, ter zu werden. Diesen Weg wollen wir gemeinsam mit Sie seien offen und hätten alle Anregungen aufgenom- den Stifterinnen und Stiftern weitergehen. Um dies zu men, dann weiß ich nicht, auf welcher Veranstaltung Sie erreichen, beschließen wir auch zahlreiche Verbesserun- waren. gen im Rahmen des Stiftungsrechts. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Auf einer Wenn wir das alles zusammenfassen, dann müssen guten!) wir doch sagen: Das sind gute Nachrichten für das Eh- renamt und für die entsprechenden Organisationen. Sie, Aber in der letzten Finanzausschusssitzung, in der wir liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, über diesen Gesetzentwurf abschließend beraten haben, können dazu beitragen, dass heute auch ein symbolisch in der wir neun Anträge eingebracht haben und ich noch wichtiger Tag wird. Zeigen Sie der Bevölkerung durch mit Ihnen darüber gesprochen habe, ob es Gemeinsam- Ihre Zustimmung, dass wir hier im Deutschen Bundestag keiten gibt, haben Sie ohne mit der Wimper zu zucken trotz aller unterschiedlicher parteipolitischer Auffassun- jeden Antrag abgelehnt. 27340 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013

Petra Hinz (Essen) (A) Hier, Herr Präsident, greife ich gerne Ihre Worte auf, klar sagt: Natürlich freuen wir uns über die Anhebung (C) dass nämlich das sogenannte Gemeinnützigkeitsentbüro- der Übungsleiterpauschale. Aber ist es tatsächlich das, kratisierungsgesetz gar nichts mit dem zu tun hat, was was die ehrenamtlich Tätigen, diejenigen, die gemein- wir seinerzeit in der letzten Wahlperiode auf den Weg nützig tätig sind, brauchen und wollen? gebracht haben. Wir haben Ihnen einen Vorschlag ge- macht, wie wir dieses Gesetz nennen könnten, und den (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Ja, auch!) Antrag eingebracht, dieses Gesetz „Gesetz zur Stärkung – Auch! Lieber Kollege, Sie rufen dazwischen: „Auch!“ des Bürgerschaftlichen Engagements“ zu nennen. Genau Aber wir haben in der Anhörung erfahren, dass viele das darum geht es nämlich. Dabei ging es nicht nur um eine gar nicht mehr in Anspruch nehmen können: sicherlich Überschrift. Aber selbst in dieser Frage waren Sie nicht einige wenige in großen Vereinen, aber viele andere kompromissbereit. nicht. Darüber müssen wir reden. Wenn Sie heute über das Ehrenamt sprechen – viele (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Laien gebrauchen oft verschiedene Begriffe –, dann sa- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – gen Sie damit etwas ganz anderes aus. Sie wollen eine Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das hat mit ganz andere Richtung einschlagen. Ich finde, das ist für der Größe der Vereine nichts zu tun!) Sie sehr beschämend. Es ist aber Ihre Sache, wie Sie das Ihren Vereinsvertretern, Ihren Organisationen erklären. Hier stellt sich die Frage, ob wir nur die Großen fördern oder auch die Kleinen. Alle Anträge, die wir eingebracht haben, sind ge- meinsam mit den Verbänden, Organisationen und Verei- (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Es geht auch nen auf den Weg gebracht worden. Wir haben hier die um die Kleinen!) 23 Millionen Menschen, die 600 000 Vereine, Initiati- – Gut. – Hierzu schreibt mir mein Präsident, Herr Ulrich ven, Organisationen und Stiftungen hinter uns, weil Gaißmayer: Es sind die kleinen Dinge, die Auszeichnun- diese die Anträge gemeinsam mit uns formuliert haben. gen, die unkomplizierten Dinge. Denn beim Ehrenamt Ja, in Ihrem Gesetzentwurf geht es um die Entbüro- geht es nicht in erster Linie um die finanzielle Ausstat- kratisierung in der Abgabenordnung. Dagegen gibt es tung, sondern um die Anerkennung. nichts zu sagen. Aber damit greifen Sie nur einige (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das wird es Punkte heraus, sind aber vielen Anregungen, die ganz auch!) einfach aufgrund der veränderten Situation gerade im Sozial- und im Gesundheitsbereich wichtig sind, über- Ich habe mit einer Kollegin aus der Ehrenamt Agen- haupt nicht gefolgt. tur Essen gesprochen, die genau dies auch noch einmal (B) beschreibt: Es kann nicht immer alles nur über Steuern (D) (Beifall bei der SPD) geregelt werden, sondern wir müssen das Ehrenamt im Das ist nicht in Ordnung. Darüber sind Sie ganz eiskalt Sinne der Enquete-Kommission nach vorne bringen. Wir hinweggegangen. sagen: Hier haben Sie nichts auf den Weg gebracht. Ich komme nun zur Anhebung der Übungsleiterpau- (Beifall bei der SPD) schale von 2 100 auf 2 400 Euro. Johannes Rau hat ein- Wir stimmen dem Gesetzentwurf und damit der An- mal gesagt: hebung der Ehrenamtspauschale von jährlich 500 Euro Das ehrenamtliche Engagement ist die Seele der auf 720 Euro zu. Dennoch ist das nicht das Mittel, das Demokratie. vor Ort letzten Endes gebraucht wird. Ja, er hat recht. So weit reichen nämlich das Engagement Zum Zivilrecht haben Sie auch etwas gesagt, mein und die Unterstützung der Ehrenamtlichen. Johannes lieber Kollege. Ja, das stimmte, suggerieren Sie den Kol- Rau, Willy Brandt und in der Nachfolge Peer Steinbrück leginnen und Kollegen, den Vertretern in den Vereinen haben sich sehr stark für diesen Bereich eingesetzt und und Organisationen, aber bitte nicht, dass sie jetzt kom- haben die entsprechenden Maßnahmen auf den Weg ge- plette Rechtssicherheit im Bereich der Haftung haben. bracht. Das Strafrecht gilt nach wie vor. Es ist ein richtiger Schritt, kein Thema, aber Sie springen im Bereich des (Beifall bei der SPD – Heiterkeit bei der CDU/ Sports, wenn ich das einmal so sagen darf, ein wenig zu CSU – Dr. Frank Steffel [CDU/CSU]: kurz. Steinbrück ist ein Mann des Ehrenamtes! – Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh!) Sie halten fest an einem verengten Begriff der Ge- meinnützigkeit; das gilt auch in Bezug auf den neuen Ti- – Bei so vielen Beifallsbekundungen kann meine Zeit tel. Ich sage Ihnen: Sie gehen in eine andere Richtung als angehalten werden, da dürfen Sie auch die Hände benut- wir. zen und klatschen. Die Kolleginnen und Kollegen, die den Bericht der (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Enquete-Kommission mitgestaltet haben – ich schaue Mitleidsbekundung!) jetzt auch einmal in die Reihen der CDU –, werden si- Ich habe mit Vereinen und Organisationen in meinem cherlich nicht alles gutheißen, was Sie hier heute auf den Wahlkreis gesprochen. Ich möchte hier den Präsidenten Weg bringen, wobei ich sagen muss: Für mich ist es meines Vereins TUSEM Essen herausgreifen, der ganz wichtig und gut, dass wir heute einmal in der Kernzeit Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27341

Petra Hinz (Essen) (A) über 23 Millionen Menschen und ihr ehrenamtliches En- dern, genau hinzuschauen, was hier teilweise beschlos- (C) gagement debattieren, sen wird. Nicht überall da, wo Ehrenamt draufsteht, wird das Ehrenamt auch gefördert. Wir sind die tatsächlichen (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Ja!) Garanten dafür, dass bürgerschaftliches Engagement ge- über das, was diese Menschen für unsere Gesellschaft fördert wird. leisten. Vielen Dank. (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Sie treffen aber (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten einen falschen Ton!) der LINKEN – Zurufe von der CDU/CSU und Die Begründung Ihres Gesetzentwurfes ist aber verrä- der FDP: Oh! – Patrick Döring [FDP]: Geht es terisch; denn darin bringen Sie ganz klar Ihr Verständnis auch eine Nummer kleiner, Frau Kollegin? – von bürgerschaftlichem Engagement der ehrenamtlich Gegenruf der Abg. Iris Gleicke [SPD]: Soll ich Tätigen, der Engagierten, der Vertreterinnen und Vertre- Ihnen einmal das Schreiben meines Bürger- ter der Vereine zum Beispiel in den Bereichen Kultur meisters zum Jugendzentrum zuleiten?) und Sport usw. in unserer Gesellschaft zum Ausdruck. Ich zitiere jetzt wörtlich aus der Drucksache: Präsident Dr. Norbert Lammert: In Zeiten knapper öffentlicher Kassen gewinnt die Birgit Reinemund von der FDP-Fraktion ist die Förderung und Stärkung der Zivilgesellschaft an nächste Rednerin. Bedeutung, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Iris Gleicke [SPD]: Aha!) der CDU/CSU) – bis dahin ist das wunderbar, aber es geht weiter – Dr. Birgit Reinemund (FDP): denn die öffentliche Hand wird sich wegen der un- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- umgänglichen Haushaltskonsolidierung auf ihre un- ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Hinz, abweisbar notwendigen Aufgaben konzentrieren ich finde es schade, dass Sie einen so rundum guten Ge- müssen. setzentwurf so niederreden können und gleichzeitig zu- Nein, nein, wir können unsere ehrenamtlich Enga- stimmen werden. gierten, die bürgerschaftliches Engagement zeigen, nicht (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Iris missbrauchen, indem sie die Folgen Ihrer bis in die Gleicke [SPD]: Zuhören! – Sönke Rix [SPD]: Kommunen hinein verfehlten Haushaltspolitik tragen Wir können es auch sein lassen!) (B) sollen. (D) Das ist für mich unverständlich. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Im Zusammenhang mit dem Ehrenamt von „eiskalt“ zu sprechen, ist eine Dreistigkeit ohnegleichen. Hier werden wir nicht mitmachen; denn wir werden die- jenigen, die ehrenamtliches Engagement zeigen, nicht (Iris Gleicke [SPD]: Verräterisch ist das, was missbrauchen, sondern ganz im Gegenteil stärken und Sie machen!) honorieren. Das, was die Menschen hier leisten, ist tat- Das ist eine Selbstdarstellung und hat mit dem Inhalt sächlich ein ganz wichtiger Beitrag zum Gelingen unse- und der konstruktiven Diskussion im Ausschuss und den rer Gesellschaft. gemeinsamen Berichterstattergesprächen überhaupt Da uns Ihr Gesetzentwurf nicht weit genug bzw. stel- nichts mehr zu tun. lenweise in eine falsche Richtung geht, haben wir einen (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Entschließungsantrag eingebracht, in dem wir in fünf Punkten noch einmal sehr deutlich darauf eingehen, wo- Ja, bürgerschaftliches Engagement ist ohne Zweifel hin wir im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements mehr als das klassische Ehrenamt. Doch Ziel dieses Ge- letzten Endes gehen wollen. setzentwurfes war ganz konkret, Verbesserungen für Ehrenamtliche in Vereinen und Stiftungen zu erreichen. Ich würde mich freuen – dadurch würden Sie heute in Es war nicht das Ziel, den Gemeinnützigkeitsbegriff all- der Tat ein Zeichen setzen –, wenn wir den Gesetzent- gemein zu erweitern, was finanziell nicht darstellbar war wurf gemeinsam annehmen und beschließen würden und und was auch Ihre Länder nicht mitgemacht hätten. Sie gleichzeitig unserem Entschließungsantrag in der kompletten Stärke Ihrer Koalition auch zustimmen (Dr. Peter Röhlinger [FDP]: Genau!) könnten; denn dann wäre es heute in der Tat nicht nur Im Bund fordern, in den Ländern blockieren, auf diese eine Kernzeitdebatte für das Ehrenamt, sondern tatsäch- Art können wir hier nicht zusammenarbeiten. lich eine gute Stunde, weil wir dann nämlich das errei- chen würden, was die bürgerschaftlich engagierten Men- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) schen in unserer Gesellschaft wirklich brauchen. Deswegen ist der neue Titel „Gesetz zur Stärkung des Ich möchte mich bei allen, die für uns und unsere Ge- Ehrenamtes“ genau richtig. Genau das beinhaltet dieses sellschaft zum Gelingen des Miteinanders beitragen, Paket. Alles andere wäre Etikettenschwindel. Wir stehen ganz herzlich bedanken, und ich kann nur dazu auffor- hier für eine ehrliche Politik. 27342 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013

Dr. Birgit Reinemund (A) (Beifall bei der FDP – Lachen der Abg. Iris und liefen Gefahr, Jahre später bei der Steuerprüfung (C) Gleicke [SPD]) rückwirkend doch anders beurteilt zu werden: mit unkal- kulierbaren wirtschaftlichen Folgen für den Verein und Deutschland ist das Land des Ehrenamts. Rund für die Verantwortlichen im Vorstand. 23 Millionen Menschen, mehr als ein Viertel unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger, engagieren sich ehren- Wir ermöglichen eine zeitlich flexiblere Verwendung amtlich in über 600 000 Vereinen und Stiftungen. der Gelder durch verlängerte Mittelverwendungsfristen, durch bessere Rücklagenbildung, sodass größere An- (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Das habe ich schon schaffungen und Investitionen in Zukunft leichter mög- gesagt! – Iris Gleicke [SPD], an die Abg. Petra lich sind. Hinz [Essen] [SPD]: gewandt: Sie hat ja nicht zugehört! Das ist das Problem!) Für uns Liberale und natürlich auch für unseren lie- ben Koalitionspartner ist Bildung der wichtigste Roh- Sie trainieren Jugendmannschaften in Sportvereinen, lei- stoff und die Zukunft unseres Landes. Wir tragen dem ten Chöre, sie betreuen Senioren oder schwer erkrankte Rechnung, indem jetzt Stiftungen leichter Geld zweck- Kinder, geben Nachhilfe für Lernschwache, oder sie en- bezogen an andere Stiftungen weitergeben können, was gagieren sich politisch für unsere Demokratie. besonders für die Finanzierung von Stiftungslehrstühlen (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Sie bestätigen eine große Rolle spielt. meine Rede!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Diese Beispiele ließen sich unendlich weiter auflisten. der CDU/CSU) Ohne solche Menschen wäre das bunte, vielfältige ge- Wir verabschieden hier ein richtig gutes Maßnahmen- sellschaftliche Leben unseres Landes schlicht nicht paket. Selten hat ein Gesetzesvorhaben so einhellige Zu- denkbar. Diese Menschen organisieren sich selbstverant- stimmung der Sachverständigen erhalten. Einige Vor- wortlich und übernehmen Verantwortung für ihre Mit- schläge der Experten und des Bundesrates, wie menschen. Sie leisten damit einen unschätzbaren Beitrag verlängerte Übergangsfristen, haben wir gerne aufge- zum Zusammenhalt unserer Gesellschaft: Engagement nommen. Selbst die SPD konnte im Ausschuss letztend- in bestem liberalen Sinne! lich zustimmen. Grüne und Linke haben sich leider ent- halten, für mich unverständlich. Ich habe im Ausschuss Wir zollen Ihnen, liebe Ehrenamtliche, größten Res- keinerlei konstruktive Änderungsanträge gesehen. pekt, Dank und Anerkennung, und zwar nicht nur verbal. Wir erleichtern Ihnen das Ehrenamt ganz konkret. Büro- Zusätzliche Wünsche gibt es natürlich immer. Doch kratische Hürden abbauen, die Sorgen vor Haftungsrisi- wir sind sehr glücklich, dass wir bei diesem Gesetzes- (B) ken mildern, mit flexibleren Regeln das Gemeinnützig- vorhaben zu einem frühen Zeitpunkt die Länder mit ein- (D) keitsrecht modernisieren, das wird uns mit diesem beziehen konnten und so einen engen Rahmen hatten, Gesetz gelingen, damit das Ehrenamt auch in Zukunft sodass wir zuversichtlich sind, dass der Bundesrat zu- eine starke Säule unserer Gesellschaft bleibt. stimmen wird, statt wieder einen Rückzieher zu machen, wie wir das in vielen anderen Fällen erlebt haben. Was tun wir konkret? Wir entlasten unsere Ehrenamt- lichen steuerlich und bauen für sie vor allem überbor- Fest steht: Ich habe noch nie für ein Gesetz so durch- dende Bürokratie ab, indem wir die Belegesammelei weg positive Rückmeldungen erhalten wie für dieses, durch die Erhöhung der Pauschalen drastisch reduzieren: aus den unterschiedlichsten Bereichen: aus Sport, Kul- die Übungsleiterpauschale auf 2 400 Euro, die Ehren- tur, Sozialbereich und vielen anderen. Das zeigt klar: amtspauschale auf 720 Euro. Davon profitieren all die Unsere Verbesserungen kommen an. Sie kommen an bei Menschen, die häufig im Hintergrund agieren, ohne die den Menschen, die unsere Gesellschaft aktiv gestalten. aber unser Vereinsleben nicht funktioniert: Trainer und Danke an alle, die dies in ihrer Freizeit unentgeltlich tun. Übungsleiter genauso wie Eltern, die ihre Kinder zu (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie Auftritten oder zu Auswärtsspielen fahren. Sie investie- bei Abgeordneten der SPD) ren viel Zeit, Herzblut und oft genug auch eigenes Geld. Sie stehen für uns im Mittelpunkt. Nicht umsonst haben Präsident Dr. Norbert Lammert: wir die Ehrenamtspauschale deutlich stärker erhöht als Das Wort hat nun die Kollegin Barbara Höll, Fraktion die Übungsleiterpauschale, und zwar um fast 50 Prozent. Die Linke. Wir schaffen mehr Rechtssicherheit für Vereinsmit- (Beifall bei der LINKEN) glieder, indem sie künftig nur noch bei grober Fahrläs- sigkeit und bei Vorsatz gegenüber dem Verein und ge- genüber Dritten haften. Niemand soll unwissentlich und Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): unversehens in Haftung geraten, wo er nur in seiner Frei- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! zeit Gutes für die Gesellschaft leisten wollte. Bürgerschaftliches Engagement ist unverzichtbar für un- sere Gesellschaft. Da gibt es überhaupt keinen Zweifel. Wir schaffen mehr Rechtssicherheit bei der Gründung Was viele Menschen leisten, indem sie die Kinder zum gemeinnütziger Vereine und Stiftungen, die jetzt einen Training oder zu Turnieren fahren, was freiwillige Feu- rechtsverbindlichen Bescheid darüber erhalten, ob ihre erwehren – Menschen, die Tag und Nacht in Bereitschaft Satzung die Voraussetzungen der Gemeinnützigkeit er- sind – im Einsatz leisten, was Selbsthilfegruppen für Er- füllt. Bisher erhielten sie nur eine unverbindliche Zusage krankte leisten – es gibt eine Vielzahl von Tätigkeiten, Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27343

Dr. Barbara Höll (A) die in unserer Gesellschaft von Bürgerinnen und Bür- wenn die Schere zwischen Arm und Reich nicht immer (C) gern freiwillig übernommen werden –, ist nicht hoch ge- weiter auseinanderginge und wenn die Kommunen nicht nug zu schätzen. Aber Ihr Gesetz hätte einen völligen immer weniger Geld zur Verfügung hätten. Umschwung in eine Richtung zur Folge, die wir nicht gutheißen können. (Beifall bei der LINKEN – Patrick Döring [FDP]: Das ist doch Quatsch! – Reinhard (Beifall bei der LINKEN) Grindel [CDU/CSU]: Haben Sie schon einmal Meine Kollegin Frau Hinz hat darauf schon hingewie- etwas von der Grundsicherung gehört?) sen. Aber man kann es in dieser Debatte nicht oft genug Diese Entwicklung hat zur Folge, dass über den Erwerb wiederholen. In der Begründung Ihres Gesetzentwurfs von Kunstwerken nicht mehr die Museumsleitung ent- heißt es: scheidet. Welche Kunstwerke erworben werden, hängt In Zeiten knapper öffentlicher Kassen gewinnt die dann vom Geschmack des Stifters oder der Stifterin ab. Förderung und Stärkung der Zivilgesellschaft an Das Mäzenatentum hat hier deutlich feudale Züge. Das Bedeutung, denn die öffentliche Hand wird sich ist die Grundlage Ihres Gesetzentwurfs. In diese Rich- wegen der unumgänglichen Haushaltskonsolidie- tung können wir nicht mitgehen. rung auf ihre unabweisbar notwendigen Aufgaben konzentrieren müssen. Es ist daher notwendig, An- (Beifall bei der LINKEN) reize für die Bereitschaft zum bürgerschaftlichen Es gibt viele freiwillige Tätigkeiten im sozialen Be- Engagement zu stärken … reich. Indem Sie hier vieles in den Bereich des Ehren- Das ist ein grundfalscher Ansatz. Ehrenamtliches Enga- amts verlagern, selbst dort, wo Menschen einen Rechts- gement als Lückenbüßer bei der Erfüllung gesellschaft- anspruch auf Unterstützung und Hilfe haben, mutiert lich notwendiger Aufgaben, also staatlicher Aufgaben, auch das zu einem Gnadenakt. Das widerspricht der zu verstehen, ist grundfalsch. Das ist nichts anderes als Würde des Menschen. das Ausnutzen der Bereitwilligkeit von Menschen. (Zuruf von der FDP: Was hat das mit dem Ge- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- setzentwurf zu tun?) neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Das Wer einen Rechtsanspruch auf Hilfe hat, muss nicht um tut doch kein Mensch, Frau Höll! – Gegenruf Hilfe betteln. Bürgerschaftliches Engagement darf nur der Abg. Iris Gleicke [SPD]: Frau Höll liest ein Plus sein. Dann funktioniert es auch. Das wäre die nur das vor, was Sie aufgeschrieben haben!) richtige Richtung. Ihnen wurde das auch in der Anhö- rung gesagt, auch wenn Sie nun so tun, als hätten alle Eine fiskalische Entlastung des Staates als Zielstel- (B) Fachleute Ihren Gesetzentwurf bejubelt. Nein, ich zitiere (D) lung eines Gesetzesvorhabens bedeutet natürlich auch – Olaf Zimmermann vom Bündnis für Gemeinnützigkeit/ das wird bewusst in Kauf genommen –: Der Staat wird Deutscher Kulturrat e. V.: zurückgedrängt. Sie wollen, dass der Staat immer weni- ger Aufgaben erfüllt. Man versucht wirklich, mit diesem Gesetz bürger- schaftliches Engagement zu instrumentalisieren, es (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Das ist doch Unsinn! – Gegenruf der Abg. Iris Gleicke in der Zukunft quasi in bestimmte Lücken, die [SPD]: Nicht nur nicht zuhören, sondern auch durch Finanzprobleme entstehen, hineinzustoßen. nicht lesen können! Das ist besonders bitter! – Diese Lücken quasi im Staatsauftrag zu erfüllen, ist Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: nicht Aufgabe des bürgerschaftlichen Engage- Wir haben eine Bürgergesellschaft und keine ments. Staatsgesellschaft!) (Beifall bei der LINKEN) – So steht es im Gesetzentwurf. – Das heißt, dass Sie die Aus diesem Grundansatz ergeben sich natürlich eine Erfüllung einer Reihe von Aufgaben, über die eigentlich Reihe von Problemen, die Sie eben nicht gelöst, die Sie gesellschaftlich in breitem Konsens entschieden werden gar nicht angepackt haben. Gemeinnützige Tätigkeiten müsste, durch Verlagerungen zunehmend von einem quasi privaten Bereich abhängig machen. sollten nicht in Konkurrenz zu regulärer Beschäftigung stehen. Ich glaube, das ist ein richtiger und guter Ansatz, (Dr. [CDU/CSU]: Sie miss- sie sollten eben nur das Plus sein. Aber Sie haben in Ih- trauen den Vereinen! Sie wollen sie gar nicht! rem Gesetzentwurf keine Vorsorge getroffen, dass nicht Das ist es! Alles der Staat, nichts die Vereine! auf dem Weg, auf dem wir uns in vielen Bereichen schon So ist das!) befinden, weitergegangen wird. Sie haben keine Maß- Ich nenne als Beispiel die Museen. Sie haben immer nahmen vorgesehen, damit gemeinnützige Tätigkeiten weniger Geld, um Kunstwerke zu erwerben. Daher nicht zum weiteren Ausbau des Niedriglohnsektors springen zunehmend Stifter oder Stifterinnen ein. missbraucht werden. (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Schauen Sie sich doch die Situation an. Viele Vereine Darüber freuen wir uns doch!) müssen doch folgendermaßen arbeiten: Sie zahlen erst den Menschen für bestimmte Tätigkeiten Pauschalen, Das ist eigentlich etwas Gutes, bis der Jahreshöchstbetrag erreicht ist, und dann wird die (Patrick Döring [FDP]: Das ist immer etwas Tätigkeit in einen Minijob umgewandelt. Viele ehren- Gutes!) amtlich Engagierte haben die Erfahrung gemacht, dass 27344 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013

Dr. Barbara Höll (A) sie für Tätigkeiten, die sie übernehmen, noch vor kurzem gierte, die in Netzwerken und Selbsthilfegruppen tätig (C) im Rahmen einer regulären Beschäftigung bezahlt wur- sind und aus verschiedenen Gründen nicht den Vereins- den. status anstreben. Denen helfen wir mit diesem Gesetz- entwurf überhaupt nicht. In der Praxis sieht es doch Nehmen wir doch das Beispiel der Betreuung von oftmals so aus, dass die ehrenamtlich Engagierten Sporthallen. Schauen Sie sich an, wie viele Kommunen Schwierigkeiten haben, weil keine Infrastruktur vorhan- sich heute noch Hallenwarte leisten. Oftmals wird diese den ist. Es ist doch so, dass man auch für das Ehrenamt, Tätigkeit den Vereinen übertragen, die sie auf ehrenamt- für das sich 10, 15 oder 30 Leute engagieren wollen, ei- licher Basis wahrnehmen, anstatt dass die Kommunen nen Anknüpfungspunkt braucht. Es ist gut, wenn we- einen richtigen Hallenwart einstellen, der acht Stunden nigstens eine Person angestellt werden könnte, die die am Tag für die Betreuung der Halle verantwortlich ist. Kasse führt, die Koordination übernimmt usw. usf. Hil- Schauen Sie sich das Bibliothekswesen an. In vielen fen zum Ausbau der Infrastruktur bleiben Sie auch mit kleinen Orten oder in Schulen, die über Bibliotheken diesem Gesetzentwurf schuldig. Sie beachten das bür- verfügen, gab es früher Bibliothekarinnen – meistens gerschaftliche Engagement außerhalb der Vereinsstruk- sind es Frauen – oder Bibliothekare. Heute wird diese turen viel zu wenig. Tätigkeit ehrenamtlich ausgefüllt. Es ist offenbar keine Aufgabe, die wirklich wichtig ist. Also lassen wir das (Beifall bei der LINKEN) von einem Ehrenamtlichen machen. Was mich besonders ärgert – das muss ich deutlich sa- (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Das kenne ich gen –, ist die Behandlung der Menschen, die sich in aus meiner Kommune anders!) Kommunalparlamenten engagieren. Menschen, die sich dort engagieren, bekommen für ihren Aufwand eine Daraus spricht eine Missachtung gegenüber den Men- Aufwandspauschale. schen, die ehrenamtlich tätig sind. (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Richtig!) Zudem geht der Gesetzentwurf an den Bedürfnissen vieler ehrenamtlich Engagierter vorbei. Sie haben sich Es geht um den Aufwand. Aber er wird über eine be- eben so ein bisschen gefeiert: Toll, wir haben die Pau- stimmte Höchstgrenze hinaus mit ihren Bezügen aus schalen erhöht, und das kommt nun wirklich allen zu- Hartz IV, also nach dem Sozialgesetzbuch, gegengerech- gute. – Schauen wir uns die Realität an. Wie viele Ver- net. Das ist ein Unding; denn Aufwand ist Aufwand. eine sind denn überhaupt in der Lage, die Pauschalen zu Dies ist für sie kein Einkommen. Hier wäre es notwen- zahlen? Nach Angaben des letzten Freiwilligensurveys dig gewesen, Klarheit zu schaffen und tatsächlich zu sa- waren es gerade einmal 23 Prozent der Freiwilligen, die gen: Das, was eine kommunale Mandatsträgerin bzw. ein (B) überhaupt bezahlt wurden. Über die Hälfte der ehren- kommunaler Mandatsträger erhält, bleibt anrechnungs- (D) amtlich Engagierten, die etwas bekommen haben, beka- frei. Das wäre eine klare Aussage. men unter 50 Euro pro Monat. Da ist also die Frage, wie (Beifall bei der LINKEN) hoch die Pauschale ist, für sie völlig irrelevant. Viele Ar- beitslose oder Rentnerinnen und Rentner engagieren Ich möchte Ihnen auch sagen, dass das, was Sie hin- sich, die in der Regel sowieso keine oder ganz wenig sichtlich der Stiftungsproblematik großartig verkündet Steuern zahlen. Auch sie profitieren also nicht davon. haben, sehr zwiespältig zu sehen ist; denn gemeinnüt- Deswegen ist die ausschließliche Konzentration auf die zige Stiftungen – so gut sie oftmals tätig sind – sind an- steuerliche Förderung nicht richtig; denn sie wird nicht dererseits auch ein beliebtes Steuersparmodell. Dazu zi- zur Erleichterung der Situation vieler beitragen. tiere ich Ihnen einfach einmal aus der Homepage der Deutschen Gesellschaft für Stiftungsförderung, da heißt (Beifall bei der LINKEN) es: Wir brauchen andere Überlegungen. Wir müssen zum Ihr Engagement für den „guten Zweck“ kann mit Beispiel darüber nachdenken, wie ehrenamtlich Enga- erheblichen steuerlichen Vorteilen verbunden sein gierte ihr Ehrenamt zeitlich mit ihrer Erwerbstätigkeit … besser vereinbaren können. Wir brauchen Überlegungen, ob jahrelanges Engagement, beispielsweise in der frei- (Marco Buschmann [FDP]: Warum soll es willigen Feuerwehr, sich nicht vielleicht auch im Erwerb schlecht sein, etwas Gutes zu tun?) von Rentenpunkten niederschlagen könnte. Lassen Sie Wir erstellen Ihnen gerne Ihre ganz persönliche uns doch mal Maßnahmen überlegen, die nicht auf die Steuerexpertise, um Ihnen aufzuzeigen, wie viele Steuern konzentriert sind, sondern auf die wirklichen Steuern Sie tatsächlich mit der Gründung Ihrer ge- Bedürfnisse der Betroffenen zugeschnitten sind. meinnützigen Stiftung sparen können. Sie werden (Beifall bei der LINKEN – Reinhard Grindel überrascht sein! [CDU/CSU]: Es geht um den Ersatz der Auf- Wenn wir Zahlen dazu hätten, wie sich das eigentlich wendungen!) auswirkt, dann, so glaube ich, gäbe es schon ein großes Sie haben mit Ihrer Politik der individuellen steuerli- Erschrecken, auch in der Öffentlichkeit. chen Anreize einen falschen Weg eingeschlagen. Zudem Die Linke hat Ihnen ihre Vorschläge vorgelegt. beachten Sie eine Entwicklung in unserer Gesellschaft überhaupt nicht: Es gibt viele ehrenamtlich Engagierte in (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Ein Wünsch- Vereinen, ja, es gibt aber auch viele ehrenamtlich Enga- dir-was-Paket! Völlig unrealistisch!) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27345

Dr. Barbara Höll (A) Wir denken, wir brauchen einen anderen Ansatz, um so- die hier sitzen –, offensichtlich vergessen haben, dass (C) ziales Engagement der Bürgerinnen und Bürger tatsäch- bürgerschaftliches Engagement für die Gemeinschaft lich zu befördern. Ihr Weg ist nicht richtig. Da Sie aber nicht nur Ehrenamt bedeutet nach dem Motto: „Ich enga- mit dem Gesetzentwurf im Konkreten einige Verbesse- giere mich für jemanden und tue Gutes für andere“, son- rungen vornehmen, werden wir ihn nicht ablehnen, son- dern dass es auch heißt: Ich engagiere mich, weil ich dern uns enthalten. mich mit dem Gemeinwesen verbinde, identifiziere, weil ich selbst etwas davon habe, weil ich selbst mich da- Danke. durch stärke und davon profitiere. Deshalb ist man dazu (Beifall bei der LINKEN – Marco Buschmann übergegangen, in dieser Gesellschaft über bürgerschaft- [FDP]: Mutig!) liches Engagement zu reden und nicht mehr den Kern, also das Ehrenamt in der alten traditionellen Form, nach Präsident Dr. Norbert Lammert: vorne zu stellen. Nächste Rednerin ist die Kollegin Britta Haßelmann Deshalb ist es keine Banalität, dass Sie den Titel jetzt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ändern und dahin zurückkehren. (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Jetzt loben Sie uns doch mal!) sowie bei Abgeordneten der SPD) Das ist ein Signal – das will ich Ihnen damit sagen – an Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): die vielen, die sich bürgerschaftlich engagieren, und Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und zwar nicht in einem Verein, sondern vielleicht nur in ei- Kollegen! Ich habe mich vorhin zu Beginn der Debatte ner Initiative, vielleicht auch ganz ungebunden für ein gewundert, woher zum Teil die Schärfe in der Debatte Projekt. Sie alle haben eine Idee davon, was es bedeutet, kommt. Ich kann es mir nur so erklären, dass Ihre Ner- sich in einer lebendigen Gesellschaft einzusetzen für ven wegen vieler anderer Fragen blank liegen, zum Bei- sich, für die Gemeinschaft oder für ein bestimmtes Ziel, spiel wegen des Koalitionsausschusses und der Ergeb- ob im Umweltschutz, im Zusammenleben, im Gesund- nisse von gestern Abend. heitsbereich, in der Hospizarbeit. Es gibt noch viele an- (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Ma- dere Beispiele dafür, wo sich Menschen engagieren. chen Sie sich keine Sorgen, Frau Haßelmann! – Deshalb ist es im Kern keine Lappalie, wenn Sie das Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der nicht mehr „Gemeinnützigkeitsrecht“, sondern „Ehren- FDP) amt“ nennen. (B) – Ich fühle mich bestätigt. Da frage ich mich schon: Warum tun Sie das, vor al- (D) lem Sie von der FDP mit Ihrem libertären Ansatz und Ih- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) rem Anspruch als sogenannte Bürgerrechtspartei? Wir Es kann eigentlich nicht mit dem Thema selbst zu tun gemeinsam haben diese Debatte sowohl in der Enquete- haben; denn dieses Thema hat hier im Haus eine ziem- Kommission als auch in der letzten Legislaturperiode im lich lange Tradition. Ich selbst bin seit der letzten Legis- Unterausschuss „Bürgerschaftliches Engagement“ sehr laturperiode Mitglied des Deutschen Bundestags. In der intensiv geführt. Deshalb kann ich nicht verstehen, dass vorletzten Legislaturperiode gab es eine Enquete-Kom- Sie zu dieser Titeländerung kommen. Das ist nicht nur mission zum Thema bürgerschaftliches Engagement. In eine Banalität; dahinter steckt auch eine inhaltliche Aus- dieser Enquete-Kommission ist zwischen allen Fraktio- richtung, und die bedaure ich sehr, weil wir gesellschaft- nen dieses Hauses lange, sehr intensiv und sehr einver- lich eigentlich viel weiter sind. nehmlich diskutiert worden, und es sind ganz wichtige (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Eckpunkte in Bezug auf die Frage der Förderung des und bei der SPD – Zuruf des Abg. Patrick bürgerschaftlichen Engagements zusammengetragen Döring [FDP]) worden. Das alles war sehr konsensual. Von daher: Blei- ben Sie alle am besten ganz ruhig! – Herr Döring, davon haben Sie keine Ahnung, weil Sie nie dabei waren. (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Wir sind völlig ruhig!) (Patrick Döring [FDP]: Frau Lehrerin, ich weiß was! Ist in Ordnung, Frau Haßelmann!) Ich glaube, das ist ein sehr verbindendes Thema, das sehr viele Bürgerinnen und Bürger interessiert. Sehr Es gibt eine ganze Reihe von kleinen Verbesserungen. viele Bürgerinnen und Bürger fühlen sich davon betrof- Wir haben im Berichterstattergespräch über viele Dinge fen, weil sie selbst sich für ihr Gemeinwesen engagieren. geredet, die im Kleinen sehr wichtig und richtig sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Zuruf des Abg. Christian Freiherr von Stetten sowie der Abg. Petra Hinz [Essen] [SPD] und [CDU/CSU]) Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]) – Ja, das kann ich ruhig betonen, weil wir darüber disku- Ich finde es aber problematisch, dass Sie, obwohl Sie tiert haben, und zwar sehr ausführlich und sachlich. – Es vier Jahre lang in der Enquete-Kommission darüber ge- geht um Entbürokratisierungsmaßnahmen, zum Beispiel redet haben – Herr Grübel, ich glaube, auch Sie waren für Vereine, was etwa Tätigkeitsberichte und viele Fra- im Gegensatz zu mir dabei wie auch noch viele andere, gen angeht, die den Menschen, die sich in kleinen ge- 27346 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013

Britta Haßelmann (A) meinnützigen Vereinen engagieren, ihr Engagement im (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Nein, eben (C) Alltag erleichtern. Das finde ich gut. Das finde ich rich- nicht!) tig. Deshalb werden wir Ihren Gesetzentwurf – Doch, weil im Ehrenamt, im bürgerschaftlichen Enga- (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Deswegen stim- gement in vielen Bereichen, in denen Menschen aktiv men Sie zu!) sind, mittlerweile ein Bildungsauftrag damit verbunden ist. Warum grenzen Sie das so voneinander ab? auch nicht ablehnen. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Ja!) Ich finde aber, bei dem Gesetzentwurf versäumen Sie ein paar Dinge. Deshalb kommt es bei uns am Ende nur Der Übungsleiter im Fußballverein, der eine super Ar- zu einer Enthaltung. Sie klären zum Beispiel nicht die beit macht, hoch anerkannt ist, Jungen und Mädchen im Rolle des Verfassungsschutzes in der Abgabenordnung. Fußball trainiert und dadurch für diese Gesellschaft auch (Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär: Jetzt viel soziale Arbeit leistet, haben Sie aber lange suchen müssen!) (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Kommt darauf Sie wissen, dass Sie da einen Fehler gemacht haben, den an!) Sie beim Jahressteuergesetz nicht korrigiert haben, was erhält für seine Tätigkeit 2 400 Euro Übungsleiter- Sie eigentlich hätten machen können. Es geht um die pauschale. Die Frauen oder Männer, die in der Hospiz- Überprüfbarkeit der Gemeinnützigkeit einer Organisa- arbeit – – tion. Da richten Sie sich sozusagen nach den 17 Verfas- sungsschutzberichten. Wir haben das total kritisch mitei- (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: nander diskutiert. Sie wissen, dass das hochumstritten Jetzt machen Sie ein Frauendiskriminierungs- ist. Da frage ich mich, warum Sie so etwas mitmachen. problem daraus!) Ein weiterer Punkt: die Förderung des bürgerschaftli- – Ich habe gesagt: Frauen oder Männer. Ich weiß gar chen Engagements als eigenständiges Kriterium. Das ist nicht, warum Sie so empfindlich sind. Beschlusslage. Das ist geltendes Gesetz. Seit 2007 darf Die Frauen oder Männer, die im Hospizbereich arbei- man als gemeinnützig anerkannt werden, wenn man sich ten, bürgerschaftlich engagiert. Das ist 2007 in einem Gesetz der Großen Koalition so beschlossen worden. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Nein, das ist falsch! Kriegen die Übungsleiterpauschale, na- Das Finanzministerium fand das falsch. Deshalb hat türlich!) man das Gesetz durch einen Anwendungserlass uminter- (B) pretiert. Das heißt, wir als Gesetzgeberinnen und Gesetz- erhalten nicht unbedingt die Übungsleiterpauschale (D) geber haben etwas beschlossen, was nie angewendet – das wissen Sie ganz genau –, weil ihre Gewährung da- wurde, weil das Finanzministerium das falsch fand und von abhängt, ob es einen Bildungsauftrag gibt oder das per Anwendungserlass ausgehebelt hat. nicht. (Iris Gleicke [SPD]: Ja, so sind die! – Patrick (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Nein, ob er Döring [FDP]: Nichtanwendungserlass!) pflegt! Es ist die glatte Unwahrheit, die Sie sa- gen! – Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Da sind – Nein, durch einen Anwendungserlass. – Ich finde, das Sie falsch informiert!) ist nicht in Ordnung, weil damit ignoriert worden ist, was geltendes Gesetz ist. Deshalb hätte das hier geregelt – Es ist keine direkte Pflege. Darin besteht das Problem, werden müssen. Damit zeigt man überhaupt keinen Res- und es gibt ein Abgrenzungsproblem. Sie haben es doch pekt vor dem Parlament und vor einem beschlossenen gerade selber angesprochen. Das finde ich falsch, weil es Gesetz. am Ende zwei verschiedene Arten von Pauschalen gibt, die sehr weit auseinanderliegen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der (Iris Gleicke [SPD]: Genau so ist das!) LINKEN – Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Wie und deshalb zu einer unterschiedlichen Bewertung des hieß denn der Finanzminister damals? – Weite- Engagements führen. rer Zuruf von der FDP: Das war doch der Steinbrück!) (Iris Gleicke [SPD]: Das können aber nur Leute wissen, die mitarbeiten!) Ich finde es falsch, dass Sie durch die Erhöhung der Übungsleiterpauschale und die Anhebung der Ehren- Das ist im Kern falsch. amtspauschale – die Übungsleiterpauschale erhöhen Sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN von 2 100 Euro auf 2 400 Euro, die Ehrenamtspauschale und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der von 500 Euro auf 720 Euro – die Diskrepanz zwischen LINKEN) diesen beiden Pauschalen nicht verkleinern, Ich glaube, dass Sie an dieser Stelle versäumt haben (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Doch, natür- – der gesellschaftliche Diskurs dazu ist schon viel wei- lich! Prozentual natürlich!) ter –, das Thema Transparenz anzusprechen. Meine was eigentlich notwendig wäre. Sie müssen stärker in Fraktion hätte es gut gefunden, wenn wir dem Anspruch Richtung Gleichbehandlung gehen, Herr Grindel. und der öffentlichen Debatte, die insbesondere durch Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27347

Britta Haßelmann (A) Fehlverwendungen von Mitteln, von Spenden und einige Kooperation mit den regionalen Sportvereinen sucht, (C) wenige Skandale ziemlich hochkocht, stärker entgegen- liegt. Ich weiß nicht, wo der Gegensatz ist zwischen ei- gekommen wären. Heute lassen sich viele Vereine ner Berufsfeuerwehr, die wichtig ist, und freiwilligen freiwillig im Rahmen der Verleihung des deutschen Feuerwehren, die ergänzen und dann helfen, wenn die Spendensiegels beurteilen. Dann können Menschen, die Berufsfeuerwehr überlastet ist. Vereinen etwas spenden wollen, für ein Anliegen eintre- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und ten wollen, im Netz nachschauen, wie der Verein arbei- der FDP) tet, welche Satzung er sich gegeben hat, wie transparent er agiert und mit seinen Mitteln umgeht. Ich weiß auch nicht, worin der Gegensatz zwischen Hauptamt und Ehrenamt bestehen soll. Wir hatten in der Debatte angeregt, dass wir uns im Sinne von Transparenz stärker darauf konzentrieren soll- (Iris Gleicke [SPD]: Dass Sie das nicht ten, über die Frage eines Gemeinnützigkeitsregisters ein- verstehen, ist das Problem!) mal nachzudenken. Im Übrigen ist das gelebte Praxis in fast allen Vereinen (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Alle Experten und Hilfsorganisationen. Es gibt Hauptamtliche, und es waren dagegen!) gibt Ehrenamtliche, die übrigens die Mehrheit in den Vereinen darstellen. Ich weiß auch nicht, was die soziale Wir wollen diese Idee weiter verfolgen. Es wäre gut, Frage damit zu tun haben soll. Denn für viele Rentnerin- wenn gemeinnützige Vereine darlegten, welche Arbeit nen und Rentner, gerade für diejenigen mit kleinen sie tun und welche Spenden sie erhalten. Renten, die nicht so viel Geld haben, sind Übungsleiter- (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Sie waren doch pauschale und Ehrenamtaufwandsentschädigung ein in der Anhörung!) Stückchen Zuverdiensts für ehrenamtliches Engagement. Diese Chance ist einfach mit dem Gesetzentwurf vertan (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) worden, weil Sie diese Diskussion nicht führen wollten. Im Übrigen darf ich, weil es falsch dargestellt wurde, Das finde ich schade. Das sind die Gründe, weshalb wir uns an dieser Stelle enthalten werden. auf Folgendes hinweisen: Für Hartz-IV-Bezieher gibt es so gut wie keine Möglichkeiten, etwas hinzuzuverdie- (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Sehr nen, aufgrund des Lohnabstandsgebots und vieler ande- konstruiert!) rer Aspekte. Beim Ehrenamt gilt das aber gerade nicht. Wer ehrenamtlich tätig ist, kann auch als Hartz-IV-Be- Ich will mich noch einmal ganz herzlich für das Enga- zieher Geld hinzuverdienen, wird also zusätzlich dafür gement so vieler Menschen, die Lust haben, sich einzu- belohnt, dass er sich als Hartz-IV-Bezieher ehrenamtlich (B) mischen und einzubringen, für ihr Gemeinwesen, für un- (D) engagiert. sere Gesellschaft bedanken. Ich glaube, dass wir das alle sehr wertschätzen. (Katrin Kunert [DIE LINKE]: Das ist aber kein Verdienst! Das ist eine Aufwandsentschä- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN digung!) und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Also geht auch diese Debatte in die falsche Richtung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Präsident Dr. Norbert Lammert: neten der FDP) Frank Steffel ist der nächste Redner für die CDU/ CSU-Fraktion. Frau Hinz, ich will übrigens ausdrücklich sagen, dass ich Ihren Redebeitrag unglücklich fand. Dr. Frank Steffel (CDU/CSU): (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Dafür beziehen Sie Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- sich aber oft darauf!) ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wir freuen Ich bedanke mich aber bei den Sozialdemokraten sehr, uns natürlich nicht nur über einen gelungenen und übri - dass sie auch in einem Wahlkampfjahr vernünftig sind gens mit den wesentlichen Vertretern aller ehrenamtli- und diesem Ehrenamtspaket heute ihre Zustimmung ge- chen Organisationen und Hilfsorganisationen abge- ben. Es ist ein gutes Zeichen für die Demokratie, dass stimmten Gesetzentwurf, den wir heute hier beschließen die großen, vernünftigen Parteien CDU/CSU, FDP und wollen, sondern wir freuen uns auch darüber, dass hier SPD in dieser Frage zusammenarbeiten. sehr intensiv einmal über viele Menschen – 23 Millionen in Deutschland – gesprochen wird, die sich dankenswer- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und terweise ehrenamtlich engagieren. der FDP) Allerdings bin ich über die Tonlage, insbesondere bei Ich möchte die Gelegenheit nutzen – ich sage das als den Sozialdemokraten und bei den Linken, etwas über- jemand, der selber in vielfältigen Positionen und Funk- rascht. Dass Sie einen Gegensatz zwischen staatlicher tionen seit 30 Jahren ehrenamtlich tätig ist –, um mich Arbeit, Vereinsarbeit und ehrenamtlicher Arbeit auf- beim Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble zu be- bauen, kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Ich danken, der bereit ist, in schwierigen Zeiten 110 Millio- weiß nicht, wo der Dissens bei einem Schullehrer, der nen Euro pro Jahr in das Ehrenamt zu investieren. Es ist Sportunterricht anbietet und gleichzeitig immer mehr keine Selbstverständlichkeit, dass Kolleginnen und Kol- 27348 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013

Dr. Frank Steffel (A) legen, die in ihren Fachgebieten viele Wünsche haben Präsident Dr. Norbert Lammert: (C) und sich mit sinnvollen Vorschlägen nicht durchsetzen Herr Kollege Steffel, darf die Kollegin Höll Ihnen können, bereit sind, einer Zahlung an 23 Millionen eine Zwischenfrage stellen? Ehrenamtliche in Deutschland in einer Größenordnung von 110 Millionen Euro zuzustimmen. Dafür herzlichen Dr. Frank Steffel (CDU/CSU): Dank an den Finanzminister und an die Kollegen und Nein. – Im Hinblick auf die Angehörigen der Ehren- Kolleginnen aus den anderen Bereichen. amtlichen möchte ich als jemand, der – wie viele von Ih- nen sicherlich auch – viel mit Ehrenamtlichen zu tun hat Meine Damen und Herren, zu Grünen und Linken und sich dort selbst seit langen Jahren engagiert, einmal fällt mir nur eines ein. Erich Kästner hat gesagt: betonen: Es ist für viele Familien mittlerweile die Regel, Es gibt nichts Gutes dass die Ehepartner und die Familienangehörigen Mehr- außer: Man tut es. aufgaben übernehmen und Leistungen erbringen, weil sich ein Familienmitglied oder die ganze Familie in ihrer Sie können im Detail nörgeln, Sie können hier Reden Freizeit sehr engagiert ins Ehrenamt einbringt. Ich halte halten, die mit dem Thema nicht viel zu tun haben; am auch das für keine Selbstverständlichkeit. Ende des Tages ist entscheidend, wie Sie abstimmen. Sie führen mit Ihrem Abstimmungsverhalten heute vor, dass Ich schaue zur Tribüne und sehe dort sehr viele junge Gesichter, worüber ich mich sehr freue. Gerade junge Ihnen die Menschen im Ehrenamt nicht so am Herzen Menschen wissen, was es bedeutet, dass sich Eltern eh- liegen, dass Sie kleinteilig nörgeln, absurde Begründun- renamtlich für unsere Gesellschaft engagieren, als Trai- gen finden: Frauen, Steuerhinterziehung – was weiß ich, ner und Übungsleiter in den Sportvereinen, übrigens was Sie uns alles vorgetragen haben, was die Vereine al- auch in den Musikschulen, als Elternvertreter, als Ge- les Böses tun. meindekirchenräte, als Kommunalpolitiker und in vielen (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Das haben anderen Bereichen. Deswegen – Christian von Stetten Sie doch geschrieben in Ihrem Gesetzent- hat die Details dargelegt – ist heute ein guter Tag für das wurf!) Ehrenamt. Es ist in juristischer, gesetzlicher Hinsicht ein guter Tag, aber vor allen Dingen ist es ein Tag der Aner- Hier führt eine Verlagerung vom Staat zum Ehrenamt zu kennung, ein Tag des Dankes. Wir als CDU/CSU-Frak- Ihren Bedenken. Trotzdem sollten Sie heute über Ihren tion danken allen Ehrenamtlichen und insbesondere den Schatten springen und zustimmen; denn wenn Sie das Angehörigen für ihren unverzichtbaren Beitrag in unse- nicht tun, wird deutlich, worum es Ihnen geht: um die rer Gesellschaft. (B) Profilierung der Parteien, aber nicht um die Wertschät- Herzlichen Dank. (D) zung des Ehrenamts. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Meine Damen und Herren, ich möchte abschließend Präsident Dr. Norbert Lammert: sehr herzlich den Ehrenamtlichen danken, insbesondere Das Wort erhält nun die Kollegin Ute Kumpf für die deren Angehörigen, die aus meiner Sicht einen wirklich SPD-Fraktion. unverzichtbaren Beitrag leisten: Wenn sich ein Vater am Wochenende um anderer Leute Kinder kümmert, dann Ute Kumpf (SPD): ist das für die eigene Familie, für die eigenen Kinder ein Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich Verzicht – das gilt für Mütter selbstverständlich genauso –, glaube, hier im Saal sind wir uns alle darin einig, dass den viele andere in unserer Gesellschaft nicht leisten. unsere Demokratie erst durch das Engagement der Bür- gerinnen und Bürger lebt Meine Damen und Herren, während viele weg- schauen, wenn etwas passiert, ob in U-Bahn, S-Bahn (Beifall bei der SPD) oder im öffentlichen Raum, sind unsere Hilfsorganisatio- und dass wir alle eine vitale Bürgergesellschaft wollen, nen bereit, ehrenamtlich anzupacken, mitzumachen. Da- eine starke, lebendige Bürgergesellschaft, in der Men- mit sind sie weit über das ehrenamtliche Engagement hi- schen füreinander einstehen und die Freiheit nutzen, ihre naus ein Vorbild für unsere Gesellschaft. Gerade wenn Meinung zu äußern und sich in Vereinen und Verbänden man sieht, was Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter zu organisieren. Sie arbeiten mit ihrem Engagement ge- auf deutschen Sportplätzen und in deutschen Sporthallen gen die Fliehkräfte der Gesellschaft. – Ich glaube, bis in den letzten Monaten und Jahren ertragen haben, dann hierhin wird jeder sagen: Das stimmt. erkennt man, dass es an der Zeit ist, jenen zu danken, Jetzt gehen wir weiter. Wir sind davon überzeugt, ohne die Sport nicht stattfinden könnte, nämlich Zehn- dass eine lebendige Bürgergesellschaft staatliches Han- tausenden und Hunderttausenden von Schiedsrichterin- deln kontrollieren, korrigieren, anspornen und ergänzen, nen und Schiedsrichtern, die bereit sind, sich jedes aber nicht ersetzen soll. Ich glaube, das ist der erste Un- Wochenende auspfeifen und vielfach beschimpfen zu terschied; diesen sollten wir auch einmal deutlich ma- lassen. chen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27349

Ute Kumpf (A) Wir alle wissen auch: Nur wo der Sozialstaat seiner Darüber hinaus finde ich, dass es kein guter Stil war. (C) Pflicht nachkommt, kann auch eine vitale Bürgergesell- Herr Kollege von Stetten, Sie haben bei der ersten Le- schaft entstehen. Das wissen wir durch Untersuchungen. sung vollmundig gesagt: Machen Sie mit, bringen Sie Sonst entsteht nichts, sonst blüht nichts. Wir wissen sich ein, bringen Sie Änderungsanträge ein! – Keiner un- auch, dass Ehrenamtlichkeit Hauptamtlichkeit braucht, serer Änderungsanträge wurde berücksichtigt. damit es wachsen kann. (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: In der Enquete-Kommission haben wir uns bereits auf Ihre Anträge waren auch Quatsch!) einen Begriff verständigt. Deshalb ist Ihre Begrifflich- keit ein bisschen altbacken und zurückgedreht. Wir ha- Das ist schlechter politischer Stil; denn es war immer ben uns von dem engen Begriff des Ehrenamtes verab- Konsens im Haus, dass wir Initiativen zum Thema „bür- schiedet und darauf verständigt, vom bürgerschaftlichen gerschaftliches Engagement“ über die Parteigrenzen hin- Engagement zu reden, das freiwillig, gemeinwohlorien- weg ergriffen, mitgetragen und gemeinsam entschieden tiert und selbstlos ist und das sowohl das klassische Eh- haben. renamt umfasst als auch die Selbsthilfe, Freiwilligen- Wir werden uns heute diesem Gesetzentwurf nicht dienste und sonstige Organisationen, die sich im Laufe verweigern. Wir finden, er fällt hinter die Erwartungen der Jahre entwickelt haben. der Menschen in der Bürgergesellschaft zurück. Wir ha- Ich merke, es ist nur der Kollege da. ben noch viel zu tun, um die Rahmenbedingungen und Er, der Kollege Riegert und ich waren es, die in der En- die Voraussetzungen für bürgerschaftliches Engagement quete-Kommission mitgearbeitet haben. Kollege Grübel zu stärken. war damals noch nicht im Deutschen Bundestag. All- (Beifall bei der SPD) mählich geht wohl auch dieses Wissen verloren, was sehr schade ist. Trotzdem haben wir uns im Unteraus- Ein paar weitere Stichworte: Weil Sie so sehr auf die schuss auf diesen Begriff verständigt. Übrigens heißt der Übungsleiterpauschale abheben und weil der Kollege Unterausschuss nicht Unterausschuss für das Ehrenamt, Grübel vorhin so gelacht hat, biete ich einen kleinen Ge- sondern Unterausschuss „Bürgerschaftliches Engage- schichtskurs an. Es war Willy Brandt, der die steuerfreie ment“. Übungsleiterpauschale in Höhe von 100 DM eingeführt hat, um die Arbeit der sportlichen Übungsleiter zu wür- Alle sagen, es ist toll, dass sich 23 Millionen Men- digen und wertzuschätzen. Das hat damals zu heftigen schen engagieren. Es sind 500 000 Vereine, es sind in- Debatten geführt, weil es nur um Sport ging. zwischen fast 20 000 Stiftungen, die diese Gesellschaft ausmachen. Es geht nicht nur um den Sport, das betone (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Ehrenamtliches (B) ich, weil Sie so sehr auf den Sport abheben, als wäre die- Vortragsengagement von Peer Steinbrück!) (D) ser das zentrale Element. Er macht gerade 10 Prozent aus. Der Sport ist sicherlich wichtig, aber genauso viele Inzwischen ist diese Übungsleiterpauschale ausgebaut Menschen sind engagiert im sozialen Bereich, im kultu- worden. rellen Bereich, sie sind engagiert in der Freizeit und Ge- (Zuruf von der SPD: Theo Waigel wollte das selligkeit, sie sind engagiert als Elterninitiativen im Kin- alles abschaffen!) der- und Jugendbereich. Also, auch darauf genau zu schauen und nicht nur die männlich bestimmte Domäne Sie beschränkt sich nicht mehr nur auf den Sport; auch Sport im Blick zu haben, glaube ich, tut uns allen gut. in anderen Bereichen gibt es Nutznießer dieser steuer- freien Pauschale. Der Witz ist aber, dass man nur dann (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE davon profitieren kann, wenn die Vereine überhaupt in GRÜNEN und der LINKEN) der Lage sind, diese Pauschale zu zahlen, Wir wissen auch, dass alle Engagierten Anerkennung (Beifall bei der SPD) wünschen – wir müssen das einfach einmal im Bericht der Enquete-Kommission nachlesen – und dass sie eben und wenn man steuerlich so veranlagt wird, dass dies nicht als Ausfallbürge benutzt werden wollen. auch wirkt. Hier gibt es noch ganz viel nachzuarbeiten; denn 80 Prozent der Menschen, die sich bürgerschaftlich Wir hatten in dieser Woche eine wunderbare Anhö- engagieren, haben von dieser Pauschale gar nichts. So rung im Unterausschuss. Der Kollege Bernschneider war viel an dieser Stelle. mit dabei. Ihm verdanken wir, dass wir eine wunderbare Initiative kennengelernt haben: „AntiRost“ aus Braun- Darüber hinaus haben die Wohlfahrtsverbände in der schweig. Deren Vertreter haben betont, dass sie für sich Anhörung kritisch angemerkt – insgesamt freuen sie sich entscheiden wollen, was sie tun. Sie wollen Unterstüt- natürlich, auch die Sportvereine –, dass ein größerer Druck zung, sie wollen aber nicht missbraucht werden. entsteht, mehr zahlen zu müssen, um den Aufwand abzu- gelten. Zudem besteht die Gefahr, dass durch eine sehr Dieses Verzwecken, das ein Stück weit in Ihrem Ge- kreative Gestaltung der ehrenamtlichen Tätigkeit Mini- setz steckt, tut den Menschen nicht gut. Das wollen sie jobs mit der Übungsleiterpauschale verbunden werden nicht. Sie verweigern sich dann auch. Das sollten wir zur und durch diesen Missbrauch schlecht entlohnte Tätig- Kenntnis nehmen. keiten finanziert werden. Da liegt die Krux. Wir müssen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ also genau schauen, wo die Schnittstelle zwischen Eh- DIE GRÜNEN) renamt und geringfügiger Beschäftigung verlassen wird. 27350 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013

Ute Kumpf (A) Auch bei der kleinen Ehrenamtspauschale gibt es Er hat sich dafür ausgesprochen, dass die Trennung zwi- (C) Schwierigkeiten. Wir hätten uns gewünscht, dass die schen ehrenamtlichem sowie freiwilligem Engagement kleine Ehrenamtspauschale, die 2007 anstelle einer Zeit- und geringfügiger Beschäftigung aufrechterhalten wird. spende eingeführt wurde, die damals nicht mitgetragen Mit der kleinen Ehrenamtspauschale – das wissen Sie wurde, ausgeweitet wird und mehr Menschen zugute- sehr wohl – wollten wir 2007 etwas Gutes tun. Der Kol- kommt. lege Riegert, glaube ich, hat auch darauf gedrängt, dass die Vereine diese Pauschale einführen. Die Zeitspende (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: wurde damals abgelehnt, obwohl alle, die im Bereich Das stimmt doch gar nicht!) „bürgerschaftliches Engagement“ arbeiten, sich für die Auch hier gilt der Grundsatz, dass wir uns andere For- Zeitspende ausgesprochen haben, weil dies auch den men überlegen müssen, wie zum Beispiel die Zeit- Vereinen geholfen hätte, bei denen kein Geld an die eh- spende. Diese Pauschale zeigt nämlich nur dann Wir- renamtlich Tätigen fließt. kung, wenn tatsächlich Gelder fließen und eine (Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Ablehnen steuerliche Veranlagung vorliegt. Viele, die ein kleines hilft ja gar nichts! – Dr. Birgit Reinemund Einkommen haben, haben von dieser Entlastung nichts. Deswegen sollte man hier keine Augenwischerei betrei- [FDP]: Ablehnen ist ablehnen!) ben. Aber jetzt zurück zu Ihrer kleinen Ehrenamtspau- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) schale. Es gab Ärger in den Vereinen, weil die Satzungen geändert werden mussten. Ich finde das ehrlich. Wir sollten nichts vorgeben, was der Sache nicht entspricht. Das ist eine Frage von sozia- (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Wenn man ler Gerechtigkeit. anders handelt, als man redet, fällt das irgend- wann auf!) (Beifall bei der SPD – Abg. Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU] meldet sich zu einer – Langsam, ich will mein Argument gerade entwickeln. – Zwischenfrage) (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Verwickeln in Der Kollege möchte eine Frage stellen. Widersprüche!) Die Satzungen mussten geändert werden, damit die Vor- Präsident Dr. Norbert Lammert: stände ihren Aufwand bezahlt bekommen. Ich erinnere Dann wollen wir das auch ermöglichen. – Bitte schön, mich ganz genau – das kennen Sie auch; ich war bei Ih- Herr Kollege von Stetten. nen in Ihrem Gäu –, dass viele gesagt haben: Wir können (B) das nicht bezahlen. Aber warum bekommt sie auf einmal (D) Christian Freiherr von Stetten (CDU/CSU): der Vereinsvorstand? Ich bekomme sie nicht, wenn ich Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Kumpf, Sie ha- eine bestimmte Tätigkeit mache. – Das hat damals zu ben gerade ausgeführt, dass sich die SPD gewünscht hat, großen Verwerfungen geführt. wir hätten die sogenannte kleine Ehrenamtspauschale, (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Na ja! – die wir von 500 auf 720 Euro erhöhen, also um immer- Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Sie haben es ab- hin 44 Prozent, stärker ausgebaut. Ist Ihnen bekannt, gelehnt!) dass im Finanzausschuss des Bundesrates, der diesen Gesetzentwurf vorab diskutiert hat, die Vertreter der Das war der Hintergrund für die Vorgänge im Finanzaus- SPD-geführten Länder eine Erhöhung auf 720 Euro kon- schuss des Bundesrates. sequent abgelehnt haben? Im Bundesrat wurde die Sache, nachdem wir debat- (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Sehr richtig! tiert hatten, geheilt. Er hat sich dem Finanzausschuss Das ist die Wahrheit!) nicht angeschlossen, weil sich die anderen Ausschüsse dafür ausgesprochen haben. Was aber hier nicht vom Wie bringen Sie das zusammen? Das ist doch die Wahr- Bundesrat übernommen wurde, ist die Klarstellung zu heit, und die sollte hier ausgesprochen werden. § 52 Abgabenordnung, der unter anderem die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements beinhaltet. Die Ute Kumpf (SPD): Kollegin Britta Haßelmann hat schon erläutert, dass wir Das ist mir sehr wohl bekannt. Der Finanzausschuss dies 2007 eingeführt haben. Die Finanzämter haben das des Bundesrates hat sich auch zu dem Thema Übungslei- schlichtweg missachtet; dadurch konnten Neuformen terpauschale kritisch geäußert und die Erhöhung abge- nicht gefördert werden. Sie hatten damit keinen Zugang lehnt. zur Gemeinnützigkeit. Wir wollten das klarstellen; aber Sie haben das rigoros abgelehnt. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Noch schlimmer!) Noch ein Wort zu den Stiftungen. Sie selbst haben ein Herz für Stiftungen; das wird durch Lobpreisungen hier Er hat dies abgelehnt, weil befürchtet wird, dass mit der auch wertgeschätzt. großen Übungsleiterpauschale Missbrauch betrieben wird. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Nein, weil Sie Wir haben in unseren Debatten deutlich gemacht, dass kein Geld zur Verfügung stellen wollten!) wir den Weg der Verbrauchsstiftungen nicht mitgehen Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27351

Ute Kumpf (A) wollen. Leider konnten wir unsere Position nicht durch- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Iris Gleicke (C) setzen. Wir sehen darin ein neues Steuersparmodell, das [SPD]: Sie sollten es aber verstehen!) dem eigentlichen Stiftungsgedanken entgegensteht. Wir Ich bleibe dabei: Heute ist ein guter Tag. Es ist ein gu- haben 2007 mit dem Gesetz „Hilfen für Helfer“ einen ter Tag für das Ehrenamt, weil wir unsere Wertschätzung guten Weg eingeschlagen. Damals gab es 16 000 Stiftun- durch die Einführung weiterer Maßnahmen zum Aus- gen, jetzt gibt es knapp 20 000 Stiftungen. Ihren Weg druck bringen. Wir werden mit vielen kleinen und gro- wollen wir nicht mitgehen. ßen konkreten Maßnahmen etwas für die 23 Millionen Zum Schluss. Es gibt noch ganz viele Baustellen, Menschen in Deutschland tun, die sich täglich in den fast wenn es darum geht, das bürgerschaftliche Engagement 600 000 Vereinen und in rund 19 000 Stiftungen enga- zu fördern. Es geht nicht nur um den Sport, der eine sehr gieren. Mit Leidenschaft, Tatkraft und häufig mit ihrem privaten Geld tragen sie zu einer lebendigen Bürgerge- männlich geprägte Domäne ist; das wissen wir. sellschaft der Vielfalt bei. (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ Hier wird der Unterschied im Denken deutlich. Es ist CSU und der FDP – Reinhard Grindel [CDU/ wichtig, dass Engagement unabhängig von staatlicher CSU]: Ach, Frau Kumpf! Rhythmische Wett- Tätigkeit erfolgt, dass wir private Initiativen haben. Die kampfgymnastik! Sehr männerdominiert!) lebendige Bürgergesellschaft soll den Staat herausfor- – Das können Sie nicht leugnen. Alle Untersuchungen dern; sie soll Initiativlücken schließen. Deshalb ist es belegen das. sehr wichtig, dass wir eben nicht dem Weltbild der Lin- ken folgen und alles in die Obhut des Staates geben; vielmehr müssen wir die Unabhängigkeit, die Lebendig- Präsident Dr. Norbert Lammert: keit, die Vielfalt und den Pluralismus im Bereich der Frau Kollegin Kumpf! Kultur, des Sports und der Medien erhalten. Alles andere wäre die Verstaatlichung des Denkens, die Verstaatli- Ute Kumpf (SPD): chung der Kunst, die Verstaatlichung der Mildtätigkeit. Wir wissen ganz genau, dass wir uns neben der Aus- Eine solche Gesellschaft möchte ich nicht. Ich möchte stattung und dem steuerlichen Anreizsystem noch wei- freie, engagierte Bürger, die ihren eigenen Weg gehen tere Formen überlegen müssen, um Menschen für das können, gerade dann, wenn sie der Meinung sind, dass bürgerschaftliche Engagement, für die klassische Ver- die Mehrheit vielleicht Lücken übersieht, die zu schlie- einsarbeit zu gewinnen. Wir müssen mehr tun. Wir müs- ßen die Gesellschaft berufen ist. sen bessere Rahmenbedingungen schaffen. Dafür setzen (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – wir uns ein. Wir haben gute Bündnispartner: die Wohl- Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Sie schaffen (B) (D) fahrtsverbände und 23 Millionen engagierte Menschen erst die Lücken durch Ihre Politik!) in unserer Republik. Für diese tatkräftigen Menschen gestalten wir das Ge- Danke. meinnützigkeitsrecht jetzt bürgerfreundlicher. Wir ge- stalten die Haftungsverhältnisse überschaubarer. Hier (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ haben wir im Rahmen der Beratungen noch Verbesse- DIE GRÜNEN) rungen vorgenommen. Die Frage der Beweislast ist jetzt bei weitem besser, transparenter und auch vorteilhafter Präsident Dr. Norbert Lammert: für die ehrenamtlich Tätigen geregelt worden. Das zeigt, Marco Buschmann ist der nächste Redner für die dass wir keinesfalls mit Betonkopfmentalität in die Bera- FDP-Fraktion. tungen gegangen sind. Vielmehr haben wir einen guten Gesetzentwurf an wesentlichen Stellen noch besser ge- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten macht. der CDU/CSU) Lassen Sie mich einen weiteren Aspekt erwähnen. Dies ist nicht nur ein guter Tag für das Ehrenamt. Ich Marco Buschmann (FDP): finde, dies ist auch ein guter Tag für das Parlament, weil Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- die Idee zu diesem Paket nicht von der Bundesregierung ren! Wir diskutieren heute in der Kernzeit in zweiter und kam. Ich schaue den Kollegen Grindel an. Ich kann mich dritter Lesung über das vorliegende Gesetzespaket, weil noch gut daran erinnern, wie wir uns nach einer Sitzung wir das Ehrenamt und das bürgerschaftliche Engagement des Untersuchungsausschusses zusammengesetzt haben nicht nur mit warmen Worten, sondern auch mit konkre- – ich glaube, es war eine Sitzung des Gorleben-Untersu- ten Taten würdigen wollen. Ich finde es sehr bedauer- chungsausschusses – und gesagt haben: Mensch, lass lich, dass Sie dieses wichtige, fraktionsübergreifende uns doch einmal die Ideen, die es zum Thema Ehrenamt Anliegen für die kleine parteipolitische Münze miss- gibt, sammeln, um für die 23 Millionen ehrenamtlich tä- brauchen. Sie suchen nach Haaren in der Suppe, und das tigen Menschen etwas Gutes auf den Weg zu bringen. – bei einem Paket, das objektiv so gut ist, dass kein einzi- Ganz schnell waren die Kollegen von Stetten und ger Abgeordneter in diesem Parlament mit Nein stim- Riegert von der Unionsfraktion und die Kollegin men will. Warum man versucht, ein solches Anliegen Reinemund und der Kollege Bernschneider aus meiner angesichts der großen gesellschaftspolitischen Relevanz Fraktion dabei. Wir haben diese Sache vorangetrieben. zu zerreden, das werde ich nicht verstehen und das Dabei haben wir den Sachverstand aus den Häusern nut- möchte ich auch nicht verstehen. zen können; herzlichen Dank dafür. Der technische 27352 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013

Marco Buschmann (A) Sachverstand der Ministerien ist also voll und ganz in Ich möchte an dieser Stelle auf drei Punkte eingehen, (C) den Dienst des Parlaments gestellt worden, um unsere für die ich auch in meinem Wahlkreis positive Rückmel- Initiative zu unterstützen. Ich glaube, so sollte es sein. dungen sowie entsprechende Anfragen zum Inkrafttreten Deshalb ist dies auch für den Parlamentarismus ein schö- der Regelung erhalten habe: ner, ein guter Tag. Die Zusammenarbeit war vorbildlich. Erstens. Ein wichtiger Punkt ist die Anhebung der Dafür möchte ich mich bedanken. steuerlichen Pauschalen. Hiermit geben wir den Verei- Meine Damen und Herren, die Sie draußen an den nen die Chance, auf bürokratisch aufwendige Einzelab- Bildschirmen diese Debatte verfolgen, lassen Sie sich rechnungen zu verzichten. Zugleich schaffen wir die nicht verunsichern. So schlecht kann dieser Gesetzent- Möglichkeit, ehrenamtliche Arbeit stärker zu honorie- wurf nicht sein, wenn kein einziger Abgeordneter hier ren. Zum einen erhöhen wir die Übungsleiterpauschale mit Nein stimmt. Das ist ein gutes Gesetz, und das ist ein von 2 100 auf 2 400 Euro. Zum anderen erhöhen wir die guter Tag für das Ehrenamt. Dabei bleibe ich. Ich lasse Ehrenamtspauschale von 500 auf 720 Euro. Davon pro- mir nichts anderes einreden. Sie sollten das auch nicht fitieren auch alle anderen Ehrenamtlichen, zum Beispiel tun. Kirchenpfleger, Feuerwehrleute, Schiedsrichter und viele mehr. Herzlichen Dank. Ein zweiter Punkt und ein großer Schritt zum Abbau (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) der Bürokratie ist die Anhebung der Umsatzgrenze bei sportlichen Veranstaltungen. Gerade bei kleineren Ver- Präsident Dr. Norbert Lammert: anstaltungen entfällt damit die Pflicht, die Ausgaben de- Nun erhält der Kollege Karl Holmeier das Wort für tailliert aufzuschlüsseln. Das hilft unseren Sportvereinen die CDU/CSU-Fraktion. sehr. Drittens bewegt viele Ehrenamtliche auch die Frage, Karl Holmeier (CDU/CSU): inwieweit sie für Fehler und Schäden, die immer wieder Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen passieren können, persönlich einstehen müssen. Mit dem und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gesetz zur Stärkung des Ehrenamts geben wir den Eh- Auch wenn es schon mehrfach gesagt wurde: Heute ist renamtlichen das eindeutige Signal: Ihr haftet nur bei ein besonderer Tag für das Ehrenamt in Deutschland. Vorsatz und bei grober Fahrlässigkeit. Wir sagen außer- Wieder einmal hält die christlich-liberale Koalition dem: Ob Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit im konkreten Wort. Sie setzt Stück für Stück das um, was wir im Ko- Fall vorgelegen hat, muss positiv nachgewiesen werden. alitionsvertrag vereinbart haben – heute im Interesse al- Es ist also nicht mehr so, dass der Ehrenamtliche seine (B) ler ehrenamtlich tätigen Menschen in ganz Deutschland. Unschuld nachweisen muss. (D) (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Ich denke, das war Liebe Kolleginnen und Kollegen, es freut mich, dass eine Initiative!) die parlamentarischen Beratungen in vielen Punkten ein- Bei diesem Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des vernehmlich verliefen. Insofern danke ich allen für die Ehrenamtes ist der Name Programm. Wir sorgen dafür, konstruktive Zusammenarbeit bei einem Gesetzentwurf, dass ehrenamtliches Engagement stärker als bisher ge- der letztlich den vielen Ehrenamtlichen in unserem Land würdigt wird. Wir sorgen dafür, dass ehrenamtliches En- die Arbeit erleichtern und sie vor allem stärker wert- schätzen soll. Mit Blick auf die Zustimmungspflicht des gagement attraktiver wird. Und wir sorgen dafür, dass Bundesrates bei diesem Gesetz bleibt mir daher nur zu der bürokratische Aufwand für ehrenamtliches Engage- hoffen, dass die Opposition Wort hält und im Bundesrat ment verringert wird. Ehrenamtliches Engagement ist ei- tatsächlich verantwortungsvoll zustimmt. ner der Grundpfeiler unserer Gesellschaft. Dies gilt vor allem für den ländlichen Raum. Millionen Deutsche set- Ich habe eingangs darauf hingewiesen, dass dies ein zen sich jede Woche in Kirchen, in Sportvereinen, in so- großer Tag für das Ehrenamt in Deutschland ist. Gerade zialen Einrichtungen, in Hilfsorganisationen, in Parteien weil es so ein besonderer Tag ist, möchte ich die Gele- oder anderen Initiativen ehrenamtlich ein. Viele Berei- genheit nutzen und alle in diesem Hause darauf hinwei- che des öffentlichen und sozialen Lebens wären ohne eh- sen und darum bitten, dass wir nach Beschluss dieses renamtliches Engagement nicht denkbar. Mit dem heute Gesetzentwurfs auf gar keinen Fall in unserem Engage- zu verabschiedenden Entwurf eines Gesetzes zur Stär- ment lockerlassen dürfen, sondern auch in Zukunft daran kung des Ehrenamtes ist es der christlich-liberalen Ko- arbeiten müssen, das Ehrenamt weiter zu stärken. alition gelungen, ein attraktives Gesetzespaket zu schnü- In unserem Koalitionsantrag zur Zukunft der ländli- ren. chen Räume vom November letzten Jahres ist die Steige- Dieser Gesetzentwurf hat auf alle Fragen, die ehren- rung der Attraktivität ehrenamtlicher Betätigung ganz amtlich tätige Bürger berühren, die passende Antwort klar als Zukunftsaufgabe beschrieben. Hieran müssen parat. Dementsprechend war das Echo in der öffentli- wir festhalten und auch weiterhin intensiv arbeiten, da- chen Anhörung am 10. Dezember 2012 sehr positiv. Mit mit dies nicht der letzte große Tag für das Ehrenamt ist, den in den Ausschüssen beschlossenen Änderungen ha- sondern in unserem Land noch viele weitere große Tage ben wir zudem die wichtigsten Verbesserungsvorschläge für das Ehrenamt folgen. der Sachverständigen aufgegriffen und den Einwänden, Vielen Dank. die während der parlamentarischen Beratungen vorge- bracht wurden, Rechnung getragen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27353

(A) Präsident Dr. Norbert Lammert: An der Stelle geht es nicht um parteipolitische Spitzen, (C) Das Wort erhält nun der Kollege Siegmund Ehrmann sondern um Respekt gegenüber den Vorarbeiten, die wir für die SPD-Fraktion. interfraktionell in den vorherigen Legislaturperioden ge- leistet haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der (Beifall bei der SPD) Regierungskoalition, Sie bleiben hinter Ihren Möglich- keiten, auch den intellektuellen Möglichkeiten, die Siegmund Ehrmann (SPD): durchaus in Ihren Reihen vorhanden sind, zurück. Dies Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe bedaure ich sehr. Kolleginnen und Kollegen! In der Tat ist es eine tolle Sa- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten che, dass in unserem Land so viele Menschen ehrenamt- der LINKEN – Beifall des Abg. Markus lich engagiert sind und sich einbringen. Deshalb ist es Grübel [CDU/CSU] – Markus Grübel [CDU/ auch die Pflicht des Parlamentes, sich sehr intensiv mit CSU]: Für den Teil mit „intellektuell“!) diesem hohen Gut der eingebrachten Zeit, des Engage- ments, der Umsicht und der Gaben auseinanderzusetzen. Ich will auf einen Schüsselsatz hinweisen, der sich mit dem Grundanspruch, der dahinter steht, beschäftigt. Dies ist mehrfach geschehen. Ich erinnere an die Sie sehen, dass die Drucksachen zu diesem Thema um- Enquete-Kommissionen zu diesem Thema, und zwar fangreich sind. Die Experten, die wir eingesetzt und um nicht nur an die grundlegende Enquete-Kommission Rat gebeten hatten, haben Empfehlungen ausgespro- „Bürgerschaftliches Engagement“, sondern auch an die chen. Das ist also kein unerwünschter Rat, sondern ein Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“. erbetener Rat. Die Experten sagen: Es geht um das (Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär: Sehr „Austarieren einer neuen Verantwortungsbalance“. Es richtig!) geht um ein ausgewogenes Miteinander von Staat, Wirt- schaft und Zivilgesellschaft. Das ist die Grundaussage. Dort gibt es ein großes Kapitel, das sich sehr umfassend Die Bundesregierung stimmt dem in ihrer Stellung- mit Fragen des ehrenamtlichen Engagements und der nahme zu diesem Bericht zu. Das heißt im Ergebnis, ei- Weiterentwicklung des bürgerschaftlichen Engagements nen Diskurs, eine Debatte zu führen und ernsthaft auf beschäftigt. Argumente, die von unseren Partnern aus der Zivilge- sellschaft vorgetragen werden, einzugehen. Aber das ist Aufgegriffen wurden wesentliche Impulse aus diesen unterblieben. Da haben Sie sich verweigert. Daher ist Enquete-Berichten in der Initiative „Hilfen für Helfer“, unser zweiter wesentlicher Kritikpunkt, dass Sie die De- damals unter Finanzminister Peer Steinbrück. Wir haben batte verengen und einen grundlegenden Diskursauftrag das Spendenrecht modernisiert und den Bereich der ignorieren. Das ist im Grunde genommen der Kern unse- (B) Übungsleiterpauschalen und Aufwandsentschädigungen rer Anmerkungen. (D) weiterentwickelt. Wir haben das Stiftungsrecht eleganter gestaltet. Alles das ist geschehen. Nun komme ich auf die Begründung des Gesetzent- wurfs und die Einlassungen der Bundesregierung in der In den Segmenten des Steuerrechts, des Stiftungs- Stellungnahme zu sprechen. Wenn das, was dort steht, rechts und des Haftungsrechts bringt dieser Gesetzent- ernst gemeint ist – es deutet darauf hin, dass es um das wurf Weiterentwicklungen. Ersetzen staatlicher Aufgaben durch Ehrenamt geht –, (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: dann müssen wir das kritisieren. Sehr gut!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Auch wenn wir einige Punkte kritisieren: Hier wird eine der LINKEN) Linie, die gezogen wurde, weitergeführt. Dennoch wer- Mit diesem Punkt müssen wir uns ernsthaft auseinander- den wesentliche Impulse insbesondere der Enquete- setzen. Kommission „Bürgerschaftliches Engagement“ und Dies war sozusagen eine Einordnung unserer Kritik. auch der Debatten im Unterausschuss nicht aufgegriffen. Die Linie im Steuerrecht wird fortgeführt; da machen Ich verweise auf etwas, das heute auch auf der Tages- wir in weiten Teilen mit. Aber den Grundanspruch, den ordnung steht, aber in dieser Debatte noch keine Würdi- wir gemeinsam vereinbart haben, ignorieren Sie. Das ist gung erfahren hat, nämlich den Ersten Engagementbe- der Hauptgrund für unsere kritischen Anmerkungen. Wir richt. Das ist ein Fundus von Herausforderungen, denen stimmen im Ergebnis zu, fordern aber eine weiter ge- wir uns stellen müssen. Wenn man diesen Strang, die Er- hende Debatte ein. gebnisse dieses Engagementberichts bzw. der Debatte Danke schön. des Unterausschusses „Bürgerschaftliches Engagement“, aufnimmt, dann werden die kritischen Einlassungen (Beifall bei der SPD sowie der Abg. meiner Fraktion nicht als Mäkelei zu würdigen sein, son- Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]) dern als Ermahnung: Lasst uns doch diese Debatte, die einen Fortschritt bedeutet – weg vom eng gefassten Be- Präsident Dr. Norbert Lammert: griff des Ehrenamtes hin zu einem weiter gefassten Be- Markus Grübel erhält jetzt das Wort für die CDU/ griff des bürgerschaftlichen Engagements –, führen! Ge- CSU-Fraktion. nau das ist die große Herausforderung, um die es geht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Beifall bei der SPD) der FDP) 27354 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013

(A) Markus Grübel (CDU/CSU): tum verpflichtet“. So verpflichten auch Begabungen und (C) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fähigkeiten, nämlich dazu, sie der Gemeinschaft zur Engagementpolitik ist ein wichtiges und eigenständiges Verfügung zu stellen. Wir kennen das ja aus der Bibel. Politikfeld in Deutschland geworden. Es gibt in diesem Da werden wir aufgefordert, unsere Talente nicht zu ver- Bereich in den letzten Jahren eine sehr gute Entwick- graben, sondern mit ihnen zu wuchern. lung. Ich erinnere an die Große Anfrage der CDU/CSU- (Dr. Peter Röhlinger [FDP]: Sehr richtig!) Fraktion „Bedeutung ehrenamtlicher Tätigkeit für unsere Gesellschaft“ aus dem Jahr 1995; war da- Diese Diskussion war hilfreich, weil dadurch das Anlie- mals federführend. 1999 wurde die Enquete-Kommis- gen und das Thema transportiert wurden. sion „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ ein- Im Zusammenhang mit bürgerschaftlichem Engage- gesetzt. In der 15., 16. und 17. Wahlperiode gab bzw. ment rede ich allerdings nur sehr ungern von Pflichten. gibt es den Unterausschuss „Bürgerschaftliches Engage- Wir wissen doch alle: Geben gibt. Wer sich engagiert, ment“. Wenn es nach mir ginge, würden wir in der wird reich beschenkt. Er ist zufriedener, fitter und gesün- nächsten Wahlperiode einen ordentlichen Ausschuss da- der als Menschen, die sich nicht engagieren. Bürger- raus machen. schaftliches Engagement ist besser als Pillen. Darum Im Oktober 2010 gab es erstmals eine nationale Enga- gehören Opa und Oma im Ruhestand nicht aufs Kreuz- gementstrategie und im August 2012 erstmals einen En- fahrtschiff, sondern zu ihren Enkeln, in einen Verein gagementbericht der Bundesregierung. Heute geht es um oder in eine Bürgerinitiative, wenn sie fit bleiben wollen. den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Ehrenamts. (Ute Kumpf [SPD]: Aber auch aufs Kreuzfahrt- Wir hatten bei diesem Thema in den letzten zehn Jah- schiff! Sie müssen sich doch erholen!) ren eine breite wissenschaftliche Begleitung. Ich nenne – Ich gönne natürlich jedem auch eine Kreuzfahrt; auch zum Beispiel die drei Freiwilligensurveys 1999, 2004 das darf sein. und 2009, durch die wir die Entwicklungen im Bereich „bürgerschaftliches Engagement“ gut sehen konnten. Der Erste Engagementbericht gibt einen umfangrei- Stiftungen und Unternehmen nehmen sich des Themas chen Überblick über den Stand des bürgerschaftlichen an. Der Generali Zukunftsfonds hat jüngst die Generali Engagements in Deutschland. Eine derart breite Darstel- Altersstudie veröffentlicht, in der es darum geht, wie äl- lung hat es in Deutschland seit dem Bericht der Enquete- tere Menschen leben, denken und sich engagieren. Ne- Kommission nicht mehr gegeben. Behandelt werden ben der Shell-Studie gibt es also eine weitere Studie, in verschiedene Themen: die Probleme der örtlichen Ver- dem Fall eine, die sich mit den Älteren beschäftigt. eine im gesellschaftlichen Wandel, bürgerschaftliches (B) Engagement im schulischen Bildungsmix, bessere Ein- (D) Zum Gesetzentwurf wurde heute schon viel gesagt. bindung von bildungsfernen Schichten im Bereich des Ich möchte mich daher dem Ersten Engagementbericht bürgerschaftlichen Engagements, bürgerschaftliches 2012 „Für eine Kultur der Mitverantwortung“ zuwen- Engagement von und für Personen mit Zuwanderungs- den. Sie haben ja sozusagen den Aufschlag dazu gege- geschichte und die neueren Entwicklungen im Bereich ben, Kollege Ehrmann. Im März 2009 hatten wir die der Freiwilligendienste. Bundesregierung aufgefordert, einen Engagementbericht vorzulegen. Dem ist die Bundesregierung im August Man kann wirklich sagen: Die Freiwilligendienste ha- 2012 nachgekommen; sie hat ein sehr umfangreiches ben sich toll entwickelt. Nach der Aussetzung der Wehr- Werk herausgegeben. pflicht und dem Wegfall des Zivildienstes wurden im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes 35 000 Stellen Unmittelbar danach hat in der Wissenschaft, aber neu geschaffen. Die Zahl der Stellen im Bereich des auch in der Engagementszene eine leidenschaftliche Dis- Freiwilligen Sozialen Jahres bzw. des Freiwilligen Öko- kussion eingesetzt. Dies ist aber auch Sinn und Zweck logischen Jahres wurde um weitere 10 000 aufgestockt; eines solchen Berichts. Er ist ja nicht zur ewigen Vereh- derzeit sind 50 000 Stellen besetzt. In internationalen rung da, sondern es soll intensiv darüber diskutiert wer- Freiwilligendiensten sind 5 000 junge Menschen tätig. den. Insbesondere ist über die Neudefinition des bürger- 10 000 junge Menschen leisten freiwilligen Wehrdienst. schaftlichen Engagements diskutiert worden. Es geht um Insgesamt engagieren sich also 100 000 überwiegend die Feststellung, dass bürgerschaftliches Engagement zu junge Menschen für unsere Gemeinschaft. Das ist ein den Bürgerpflichten gegenüber dem Gemeinwesen ge- ganz tolles Zeichen für unsere Gesellschaft. hört. Am Begriff „Bürgerpflicht“ hat sich Kritik entzün- det. Nach meiner Meinung gibt es Missverständnisse im Ein Schwerpunkt des Ersten Engagementberichts ist Hinblick auf diese Begrifflichkeit. „Bürgerpflicht“ ist das Unternehmensengagement. Der Bericht enthält neue von der Kommission nicht im Sinne einer rechtlichen Erkenntnisse zum Umfang, zur Motivation und zu den Verpflichtung gemeint. Gemeint ist vielmehr die morali- Zielen des bürgerschaftlichen Engagements von Unter- sche Pflicht, einen Beitrag für die Gemeinschaft zu leis- nehmen, aber auch zu den Hemmnissen. Er ist sehr le- ten. Ich glaube, dahinter können wir alle stehen. senswert. Das ist zum Beispiel vergleichbar mit dem Wahlrecht; Nun zurück zum Gesetzentwurf. Der heute vorlie- für mich ist auch das Wahlrecht eine Bürgerpflicht, aber gende Gesetzentwurf baut auf früheren Gesetzen zur eine, die nicht eingeklagt werden kann. Das ist auch ver- Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements auf; Frau gleichbar mit Art. 14 Abs. 2 des Grundgesetzes: „Eigen- Hinz, das haben Sie zu Recht gesagt. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27355

Markus Grübel (A) Ich komme zum Schluss. Sehr geehrte Damen und haben und danach – auch das müssen Sie uns nun einmal (C) Herren, ich habe den Bogen von den Anfängen des bür- lassen – als erste Koalition Kraft und Mut aufgebracht gerschaftlichen Engagements als eigenständigem Poli- haben, endlich auf einen staatlichen Pflichtdienst zu ver- tikfeld bis hin zum heute vorliegenden Gesetzentwurf zichten und stattdessen auf die Kraft der Freiwilligkeit, geschlagen. Wir haben eine sehr gute Entwicklung zu auf das Engagement zu vertrauen. Mehr als 80 000 Frei- verzeichnen. Mein Dank richtet sich an alle, die sich eh- willige im FSJ, FWJ und Bundesfreiwilligendienst zei- renamtlich und freiwillig engagieren. Dieser Gesetzent- gen: Es hat sich gelohnt, auf die Freiwilligkeit der Men- wurf ist auch eine Anerkennung der Arbeit der mehr als schen zu setzen. 23 Millionen Menschen in unserem Land, die dies tun. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vielen Dank. Wir machen aber nicht das, was längst überfällig war, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) wie die Aussetzung der Wehrpflicht und den Verzicht auf den Zivildienst, und korrigieren nicht nur Rechtsun- sicherheiten, wie heute mit diesem Paket, sondern wir Präsident Dr. Norbert Lammert: gucken auch, wie sich die Engagementpolitik in Zukunft Florian Bernschneider spricht nun für die FDP-Frak- entwickeln muss. Wir kümmern uns zum Beispiel um in- tion. novative Sozialunternehmen, neue Fördermodelle und (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten setzen mit diesem Engagementbericht erstmals einen der CDU/CSU) Schwerpunkt auf das bürgerschaftliche Engagement von Unternehmen. Ich sage Ihnen: Auch insoweit tut es gut, endlich die Scheuklappen abzunehmen; denn nicht jedes Florian Bernschneider (FDP): Unternehmen, das sich bürgerschaftlich engagiert – das Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- zeigt der Bericht –, tut dies aus Gründen des Marketings ren! Ich knüpfe gerne an Markus Grübel an. Ich finde es oder zu Werbezwecken, sondern vor allem deshalb, weil ebenfalls gut, dass wir heute nicht nur über das vorlie- sich diese Unternehmen mit der Gemeinschaft vor Ort gende Gesetzespaket sprechen, sondern auch die Gele- verbunden fühlen. Das ist auch gut so. Deswegen neh- genheit haben, es im Kontext des Engagementberichts men wir diese Unternehmen auch in einem breiteren zu beraten. Denn erst in diesem Kontext wird klar: Wir Kontext der Engagementpolitik mit. sprechen heute nicht über ein alleinstehendes Gesetzes- paket, sondern über einen Gesetzentwurf, der sich als ein Ich will abschließend sagen, meine Damen und Her- wichtiger Baustein in eine lange Tradition der Stärkung ren, dass man natürlich an jedem der einzelnen Punkte, die ich gerade aufgezählt habe, auch an der Gewichtung, des bürgerschaftlichen Engagements einreiht. wie die Koalition Engagementpolitik betreibt, Kritik (B) Der Engagementbericht nimmt uns praktisch mit auf üben kann. Das ist das gute Recht der Opposition. Aber (D) eine Zeitreise – Markus Grübel hat das zu Recht gesagt es muss immer eine Kritik sein, die am Ende auch dazu –: von der Einsetzung der Enquete-Kommission über beiträgt, dass es mit dem Engagement vorangeht. viele auch fraktionsübergreifende Initiativen zur Stär- Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Wenn ich die Debatte kung des bürgerschaftlichen Engagements bis hin zu die- in Gänze sehe, dann habe ich das Gefühl, das war vor al- sem heute vorliegenden Gesetzespaket. Wenn man eine lem eine Kritik, um selber parteipolitische Geländege- solche Zeitreise unternimmt – das will ich stolz sagen –, winne zu erzielen. Dies wird dem Thema nicht gerecht; dann muss man feststellen, dass die christlich-liberale denn auch das zeigt der Engagementbericht: Die 23 Mil- Koalition auf diesem Themenfeld in den vergangenen lionen Menschen, die sich bürgerschaftlich engagieren, dreieinhalb Jahren den Turbogang eingelegt hat. erwarten eine Anerkennungskultur auch von uns als Ver- (Ute Kumpf [SPD]: Na! Den Turbo haben wir treter der Politik. Ich bin mir nicht sicher, ob alle Ihre in der Großen Koalition eingelegt!) Redner das heute berücksichtigt haben. Am Ersten Engagementbericht, aber auch an der Enga- Vielen Dank. gementstrategie der Bundesregierung sieht man, dass (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) wir Engagementpolitik nicht als Stückwerk betrachten, Frau Kollegin Kumpf, sondern in einem breiten Kontext. Präsident Dr. Norbert Lammert: Man sieht es an den Beratungen zum Bundeskinder- Nun spricht der Kollege Klaus Riegert für die CDU/ schutzgesetz, bei dem wir sehr genau abgewogen haben, CSU-Fraktion. auf der einen Seite das berechtigte Interesse, den best- möglichen Schutz für Kinder zu bieten, auf der anderen (Beifall bei der CDU/CSU) Seite das Wissen, dass wir ein erweitertes Führungs- zeugnis nur dann von Ehrenamtlichen anfragen sollen, Klaus Riegert (CDU/CSU): bei denen dies tatsächlich notwendig ist. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir können uns in der Tat alle freuen; denn das Gesetz zur Wenn man sich zum Beispiel das Engagement in der Stärkung des Ehrenamts ist ein wirklich großes, pralles Entwicklungshilfe anguckt, dann sieht man, was wir un- Paket an Erleichterungen, um das Engagement der Bür- ter dem Dach von Engagement global zusammengefasst gerinnen und Bürger in Deutschland zu würdigen und haben. Markus Grübel hat es zu Recht gesagt: Man sieht nachhaltig zu fördern. es natürlich auch daran, dass wir gleich zu Beginn der Legislaturperiode die Jugendfreiwilligendienste gestärkt (Beifall bei der CDU/CSU) 27356 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013

Klaus Riegert (A) Die Bürgerinnen und Bürger gehen im Ehrenamt ih- terstützen und auch gezielt mit rechtlichen Rege- (C) ren eigenen Interessen nach und bereichern gleichsam lungen fördern. … das soziale Miteinander und stärken den Zusammenhalt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – in unserer Gesellschaft. Mit unserer gemeinsamen Initia- Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tive „für mich. für uns. für alle.“ – das sind engagierte NEN]: Dem ist nichts hinzuzufügen!) Abgeordnete, die Sparkassen und die kommunalen Spit- zenverbände – haben wir das im größten deutschen Eh- Weiterer Regelungsbedarf besteht aus meiner Sicht renamtspreis, dem Deutschen Bürgerpreis, gut auf den und aus der Sicht der Kolleginnen und Kollegen … Punkt gebracht: „für mich. für uns. für alle.“ Deshalb sei im Steuer-, Vereins-, Sozial- und Gemeinnützig- an dieser Stelle allen Engagierten ausdrücklich gedankt, keitsrecht. die sich mit viel Herzblut und Tatkraft Tag für Tag ein- setzen und einen unverzichtbaren Beitrag für unsere Ge- Schön, dass Sie geklatscht haben, aber Ihre kraftvolle sellschaft und in unserer Gesellschaft leisten. Enthaltung zum Gesetzentwurf entspricht nicht ganz dem, was Ihr Kollege damals mit eingebracht hat. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Meine Fraktion hat sich bereits seit 1994 – schon da- mals haben wir eine Arbeitsgruppe gegründet – für die Diese Punkte lassen sich bei allen Rednern wiederfin- Förderung des Ehrenamts und des bürgerschaftlichen den, und das ist genau das, was uns auch Praktiker im Engagements eingesetzt. Wir werden dies auch in Zu- Unterausschuss immer wieder berichten: Baut bürokrati- kunft tun. Wir sehen das auch in einer langen Kette von sche Hemmnisse weiter ab, um das freiwillige gemein- Maßnahmen, wenn ich an die Nationale Engagement- wohlorientierte Engagement zu fördern. – Diesen Ar- strategie oder an den Bundesfreiwilligendienst denke, beitsauftrag haben wir angenommen, und wir können der sich als Erfolgsmodell erwiesen hat; denn die Nach- Vollzug melden, indem wir jetzt gemeinsam ein Paket frage ist ungebrochen groß. zur Entbürokratisierung vorlegen. Dadurch signalisieren wir allen über die Fraktionsgrenzen hinweg: Wir schät- Am 5. Dezember 1997, am Tag des Ehrenamts, am zen und fördern das gemeinwohlorientierte Engagement Tag der Freiwilligen, haben wir zum ersten Mal eine in Deutschland. große Parlamentsdebatte gehabt und haben uns mit die- sem Thema beschäftigt. Das ging auf eine Große An- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) frage der Fraktionen von CDU/CSU und FDP an die ei- Von den zahlreichen Details im Gesetzentwurf gene Regierung zurück. Ich darf Ihnen verraten: Die möchte ich jetzt nur noch kurz die Ehrenamtspauschale Bundesregierung war damals nicht sehr begeistert da- ansprechen, auf die auch Frau Kumpf richtigerweise hin- (B) rüber, dass wir eine Große Anfrage unserer eigenen Re- gewiesen hat. So viel darf ich aus unseren damaligen Be- (D) gierung gestellt haben. Aber dies hat dazu geführt, dass ratungen verraten: Herr Steinbrück hatte etwas anderes wir uns am 5. Dezember 1997 mit diesem Thema befasst vor. Er wollte mit der Zeitspende einen kleinen Teil im haben. Daraus ist logischerweise eine Enquete-Kommis- sozialen Bereich sehr gut fördern und die anderen nicht. sion erwachsen, und wir zeigen mit einem Unteraus- Wir konnten uns damals durchsetzen, eine Ehrenamts- schuss „Bürgerschaftliches Engagement“, dass man die- pauschale für alle zu schaffen, und haben mit 500 Euro ses Feld ständig weiter beackern muss. begonnen. Damals gab es durchaus auch auf unserer Ich kann mich noch gut an die flammenden Reden der Seite zunächst einmal nicht nur freudige Gesichter. Mitglieder aller Fraktionen erinnern, als wir diese Wenn wir diesen Betrag jetzt um über 40 Prozent erhö- Enquete-Kommission gemeinsam eingesetzt haben. Der hen, dann bin ich zufrieden. kürzlich verstorbene Michael Bürsch hat als Vorsitzen- der dieser Enquete-Kommission beim Einsetzungsbe- Präsident Dr. Norbert Lammert: schluss gesagt – ich darf aus seiner Rede zitieren –: Herr Kollege. Jedes demokratische Gemeinwesen ist auf die Be- reitschaft der Bürgerinnen und Bürger angewiesen, Klaus Riegert (CDU/CSU): auch ohne staatlichen Zwang füreinander einzuste- Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Gutes zu hen. Um Richard Sennett zu zitieren: tun, kann man aber ja beliebig wiederholen. Deswegen, denke ich, gibt es für das Ehrenamt und das Engagement „Ein Staatswesen, das Menschen keinen tiefen in Deutschland in den kommenden Legislaturperioden Grund gibt, sich umeinander zu kümmern, kann noch genügend zu tun. seine Legitimität nicht lange aufrechterhalten.“ Danke schön. Unsere Demokratie braucht einen Kernbestand an gemeinsam geteilten Werten und Überzeugungen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Hier kann man ihm nur recht geben. Präsident Dr. Norbert Lammert: Christian Simmert von Bündnis 90/Die Grünen hat Man kann in der Tat in allen Debatten vieles beliebig gesagt: wiederholen, möglichst aber in der vorgegebenen Zeit. Für uns Bündnisgrüne gilt: Wir wollen alle freiwil- (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU ligen, am Gemeinwohl orientierten Aktivitäten un- und der FDP) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27357

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Nun hat der Kollege Grindel als letzter Redner zu die- zum Beispiel als Fußballtrainer einer Jugendmannschaft (C) sem Tagesordnungspunkt das Wort. das Leben junger Menschen ganz maßgeblich prägt. Wir wissen aus sportwissenschaftlichen Untersuchungen, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- dass die Frage, ob jemand im Sport bleibt oder zum wie der Abg. Dr. Birgit Reinemund [FDP]) Drop-out wird, ganz maßgeblich von der Qualität und der Akzeptanz des Trainers abhängt. Es ist doch ein Reinhard Grindel (CDU/CSU): wunderbares Gefühl eines erfüllten Lebens, wenn man Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am am Ende eines Tages vom Sportplatz geht und sich sagen Ende dieser Debatte möchte ich mich zunächst sehr kann, dass man im positiven Sinne ein klein wenig am herzlich bei denen bedanken, die uns auf dem Weg zu Lebensrädchen von jungen Menschen mitgedreht hat. diesem Paket für das Ehrenamt mit Rat und Tat zur Seite standen. Das waren zuallererst Frau Emser und Herr Sell Unternehmen geben viel Geld für Fortbildungssemi- aus dem Bundesministerium der Finanzen, deren Namen nare zur Persönlichkeitsentwicklung aus. Dem kann ich ruhig auch einmal im Protokoll des Deutschen Bundesta- nur entgegenhalten: Vieles, was da für teures Geld ver- ges aufscheinen sollen. mittelt wird, vermittelt sich jeden Tag im Verein ganz automatisch. Deshalb gehört zu dieser Debatte die Bot- Mein Dank gilt aber natürlich auch den beiden zuständi- schaft: Der Ehrenamtliche ist nicht der Dumme, der Eh- gen Bundesministern Frau Leutheusser-Schnarrenberger renamtliche ist der Schlaue! und Wolfgang Schäuble. Insbesondere der Bundes- finanzminister hat ein Herz für das Ehrenamt gezeigt (Beifall bei der CDU/CSU) und es uns trotz einer schwierigen Haushaltslage ermög- Viele im Ehrenamt möchten nicht, dass in den Sport licht, oder auch in andere Bereiche die Parteipolitik hinein- (Iris Gleicke [SPD]: Das glaubt er selber spielt. Ich glaube, Frau Haßelmann, es wäre besser ge- nicht!) wesen, wenn Sie dieser Versuchung in Ihrem Antrag nicht erlegen wären. Ich finde es bedenklich, wenn Sie in dass wir als Politiker insgesamt mit diesem Paket für das Ihrem Antrag, in dem Sie eine Anhebung der Ehren- Ehrenamt nicht immer nur Sonntagsreden halten müs- amtspauschale bei gleichzeitiger Einfrierung der seit vie- sen, sondern bei den Sportvereinen, im sozialen und im len Jahren unverändert gebliebenen Übungsleiterpau- Umweltbereich und auch bei den Kirchen sagen können, schale fordern, zumindest in Kauf nehmen, dass dadurch dass wir mit diesem neuen Gesetz wirklich Konkretes in die Vereine ein Keil nach dem Motto getrieben wird: für das Ehrenamt beschlossen haben, wodurch die Arbeit Seht her, dem Gesetzgeber ist die Arbeit der Übungslei- konkret erleichtert wird. ter mehr wert als das, was die übrigen, im ehrenamtli- (B) (D) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) chen Bereich Tätigen bekommen. Ich will auf eine Kritik eingehen, die mich in einer Ich finde, es muss noch einmal deutlich hervorgeho- Reihe von Briefen erreicht hat. Mir schrieben Bürger, ben werden: Es geht hier nicht um eine Steuerbegünsti- dass sie gar keine Ehrenamts- oder Übungsleiterpau- gung für einen Lohn, sondern um die steuerliche unbüro- schale erhalten und dass sie sie von ihrem Verein auch kratische Behandlung von Aufwandsentschädigungen, gar nicht haben möchten, weil das ihrem Selbstverständ- damit den Menschen pauschal der geleistete Aufwand nis als Ehrenamtler widerspreche oder – zugegebener- ausgeglichen wird, damit sie bei ihrem ehrenamtlichen maßen – sich der Verein das sowieso nicht leisten könne. Engagement nicht noch Geld mitbringen müssen. Diese Briefe enthielten dann meistens allgemeine Hin- Da gibt es natürlich – ich nehme wieder einmal den weise in der Art, man solle doch generell einen steuerli- Bereich des Fußballs – einen gewaltigen Unterschied in chen Freibetrag für ehrenamtliches Engagement schaf- der Art des Aufwands. Dass man als Trainer einer Ju- fen, den man dann von seiner Steuerschuld abziehen gendmannschaft zu festgelegten Zeiten in der Woche könne. Wir alle wissen, dass das nicht finanzierbar ist und am Wochenende auf dem Platz erscheint, dass man und dass das auch zu Missbräuchen führen kann. zu Trainerfortbildungen geht, dass man sich nicht nur um die sportliche Ausbildung der Kinder kümmert, son- Aber im Kern geht es mir um eine andere Debatte. dern sich auch gegen Extremismus, gegen Spielmanipu- Natürlich ist das ehrenamtliche Engagement auch eine lationen, gegen Drogen und gegen sexualisierte Gewalt Last. Dieses Engagement ist mit Aufwendungen verbun- starkmacht, dass man im Grunde genommen auch Integ- den, um deren unbürokratischen Ausgleich es uns in die- rationsexperte ist, weil heutzutage die E-Jugend oft eine sem Gesetz zum Ehrenamt gerade geht. Aber ich möchte kleine Weltauswahl ist, dass man am Wochenende die die Debatte gerne zu einer Botschaft nutzen: Ehrenamtli- Kinder mit dem eigenen Auto zum Auswärtsspiel fährt ches Engagement ist auch eine große Lust. Es ist eine und dass man dann, wenn sich ein Spieler verletzt, den unglaubliche Bereicherung für das eigene Leben. Man richtigen Arzt findet: Dieser Aufwand ist höher als der erwirbt viele Kompetenzen, die man in seinem berufli- anderer Mitarbeiter im Verein, die vielleicht für die Post- chen Leben gut nutzen kann: soziale Kompetenzen, und Telekommunikationsleistungen einen Ausgleich technische Fertigkeiten, Teamfähigkeit, Führungserfah- brauchen. Alle sind für den Verein wichtig: der Trainer rungen und vieles mehr. und der Schriftführer und der Platzwart, der den Platz Ich beziehe es einmal auf den Bereich des Sports. Es kreidet. Aber es ist ein unterschiedlicher Aufwand. Die- ist doch eine fantastische Herausforderung, dass man ser muss unterschiedlich ausgeglichen werden. Deswe- 27358 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013

Reinhard Grindel (A) gen sollten Sie, Frau Haßelmann, keinen Keil in die Ver- Tagesordnungspunkt 35 b. Hier geht es um die Abstim- (C) eine treiben. Jeder in einem Verein ist wichtig. mung über den vom Bundesrat eingebrachten Entwurf ei- nes Gesetzes zur Förderung ehrenamtlicher Tätigkeit im Herr Präsident, dieses Ehrenamtspaket ist ein ganz Verein. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Be- starkes Stück Anerkennungskultur. Es ist ein Danke- schlussempfehlung auf Drucksache 17/12125, den Ge- schön an diejenigen, die bei einem Engagement nicht als setzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 17/5713 ab- Erstes fragen: Was habe ich davon, und was bekomme zulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf ich dafür? Dieses Gesetz ist ein in Paragrafen gegosse- zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt nes Dankeschön an all diejenigen, ohne die unsere Ge- dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzent- sellschaft ärmer wäre. wurf in zweiter Beratung abgelehnt. Die dritte Beratung Herzlichen Dank fürs Zuhören. entfällt damit nach unserer Geschäftsordnung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Tagesordnungspunkt 35 c. Hier geht es um die Ab- stimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschus- ses für Arbeit und Soziales auf Drucksache 17/11253. Präsident Dr. Norbert Lammert: Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be- Ich schließe die Aussprache. schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak- Wir kommen nun zur Abstimmung über die von den tion Die Linke auf Drucksache 17/7646 mit dem Titel Fraktionen der CDU/CSU und FDP sowie der Bundesre- „Aufwandsentschädigungen für kommunale Mandatsträ- gierung eingebrachten Entwürfe eines Gesetzes mit dem gerinnen und Mandatsträger sowie Amtsträgerinnen und vorhin vorgetragenen schlanken Titel. Der Finanzaus- Amtsträger nicht auf Leistungen nach dem Zweiten und schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Zwölften Buch Sozialgesetzbuch anrechnen“. Wer Drucksache 17/12123, die genannten Gesetzentwürfe stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt der Fraktionen auf Drucksache 17/11316 sowie der Bun- dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung desregierung auf Drucksachen 17/11632 und 17/12037 ist angenommen. zusammenzuführen und als Entwurf eines gemeinsamen Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp- Gesetzes in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der diejenigen, die diesem Gesetzentwurf in der Ausschuss- Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/7653 mit dem Ti- fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer tel „Keine Anrechnung von Aufwandsentschädigungen stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Ge- für bürgerschaftliches Engagement auf Leistungen nach setzentwurf in zweiter Beratung mit großer Mehrheit bei dem Zweiten und Zwölften Buch Sozialgesetzbuch“. Wer Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt (B) (D) und der Linken angenommen. dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Damit ist auch diese Beschlussempfehlung angenommen. Wir kommen zur Schließlich wird unter Tagesordnungspunkt 35 d in- dritten Beratung terfraktionell die Überweisung der Vorlage auf Druck- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem sache 17/10580 an die in der Tagesordnung aufgeführten Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ausschüsse vorgeschlagen. Dazu gibt es möglicherweise Wer stimmt gegen das Gesetz? – Wer enthält sich? – Da- breites Einvernehmen. – Das ist der Fall. Dann ist die mit ist mit dem gleichen Mehrheitsverhältnis wie zuvor, Überweisung so beschlossen. also mit Zustimmung von CDU/CSU, FDP und SPD bei Vielen Dank. Damit haben wir diesen Tagesordnungs- Stimmenthaltung der beiden anderen Fraktionen, der Ge- punkt abgeschlossen. setzentwurf mit breiter Mehrheit angenommen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 34 auf: Wir kommen nun zur Abstimmung über die drei Ent- schließungsanträge. Zunächst rufe ich den Entschlie- Beratung des Antrags der Fraktion der SPD ßungsantrag der SPD-Fraktion auf Drucksache 17/12189 Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden auf. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer von Bund und Ländern zur Verfassungswid- stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschlie- rigkeit der „Nationaldemokratischen Partei ßungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt. Deutschlands“ Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungs- – Drucksache 17/12168 – antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/12190. Überweisungsvorschlag: Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer Innenausschuss (f) stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist auch Rechtsausschuss dieser Entschließungsantrag mehrheitlich abgelehnt. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Schließlich kommen wir zur Abstimmung über den die Aussprache wiederum 90 Minuten vorgesehen. – Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- Einwände höre ich nicht. Dann können wir so verfahren. nen auf Drucksache 17/12191. Wer stimmt für diesen Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer Kollegen Thomas Oppermann für die SPD-Fraktion. enthält sich? – Auch dieser Entschließungsantrag hat keine Mehrheit gefunden. (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27359

(A) Thomas Oppermann (SPD): und Menschenrechte. Nach dem Grundgesetz sind alle (C) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bun- Menschen vor dem Gesetz gleich. Die Unantastbarkeit desrat hat am 14. Dezember beschlossen, beim Bundes- der Menschenwürde bestimmt auch, dass sie gleichviel verfassungsgericht einen Antrag auf ein Verbot der NPD wert sind. zu stellen. Für uns ist klar: Jetzt müssen sich auch die Aber genau das Gegenteil davon vertritt die NPD. Sie Bundesregierung und der Bundestag entscheiden, ob sie bekämpft diesen Grundgedanken, diesen Kernbereich einen solchen Antrag stellen wollen. unserer Verfassung. Sie teilt die Menschen in höherwer- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten tige und in minderwertige Menschen ein. Minderwertige der LINKEN) Menschen haben nach Auffassung der NPD kein Recht, in Deutschland zu wohnen, zu leben und zu arbeiten. Ich Der Bundesrat hat sich seine Sache nicht leicht ge- zitiere aus einer Argumentationsbroschüre der NPD vom macht. Die Verfassungsschutzämter haben die Verbin- April 2012, herausgegeben vom Parteivorstand. Es heißt dung der V-Leute zu den Führungsgremien der NPD ab- dort: gebrochen und damit ein wichtiges Verfahrenshindernis vor dem Bundesverfassungsgericht beseitigt. Mehr als Angehörige anderer Rassen bleiben … körperlich, ein Jahr lang haben die Innenminister gesammelt, ge- geistig und seelisch immer Fremdkörper, egal, wie sichtet und bewertet, was an Beweisen vorlag. Das lange sie in Deutschland leben … Ergebnis war eindeutig: Die NPD ist eine verfassungs- Das, meine Damen und Herren, ist die Sprache, das ist feindliche Partei, sie ist antisemitisch, sie ist ausländer- die Ideologie der Nazis. feindlich, sie ist in Teilen gewaltbereit, und sie ist anti- demokratisch. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der LIN- KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem sowie bei Abgeordneten der FDP) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich muss Ihnen sagen: Wir denken in diesen Tagen Die NPD steht in der Kontinuität der nationalsozialis- mit Schrecken daran, dass vor 80 Jahren Adolf Hitler tischen Ideologie, und sie richtet sich eindeutig gegen zum Reichskanzler ernannt worden ist und damit eine die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Das Fazit: lange Schreckensherrschaft und Gewaltherrschaft in Noch nie waren die Aussichten auf ein Verbot der NPD Deutschland und in Europa begründet wurde und der so gut wie heute. Deshalb wollen wir, dass auch der Zweite Weltkrieg darin auch seine Ursache hat. Aber in Deutsche Bundestag einen Verbotsantrag in Karlsruhe unserer heutigen Demokratie lassen wir es zu, dass über stellt. die Parteienfinanzierung der NPD mithilfe von Steuer- (B) (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie geldern die Verbreitung der nationalsozialistischen Ras- (D) bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE senlehre immer noch ermöglicht wird. Das ist unerträg- GRÜNEN) lich. Ich möchte mich ausdrücklich stellvertretend für alle (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP Länderinnenminister bei Ralf Jäger bedanken, der mit- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie gearbeitet hat und der an dieser Debatte teilnimmt. Das bei Abgeordneten der LINKEN) ist, finde ich, ein gutes Zeichen. Ich glaube, dass wir hier Aber die NPD gibt sich nicht mit Hassparolen zufrie- zusammen vorgehen müssen. den. Sie setzt auch Gewalt als Mittel im politischen Rechtsgrundlage für ein Parteienverbot nach dem Kampf ein, und sie geht aggressiv gegen Menschen vor. Grundgesetz ist Art. 21 Abs. 2: Die Partei rühmt sich, gemeinsam mit neonazistischen Kameradschaften sogenannte national befreite Zonen zu Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Ver- errichten, aus denen Menschen, die die NPD als rassi- halten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheit- sche Fremdkörper definiert, mit Drohungen und Gewalt liche demokratische Grundordnung zu beeinträchti- vertrieben werden. Mitarbeiter von NPD-Landtagsfrakti- gen oder zu beseitigen oder den Bestand der onen organisieren Veranstaltungen neonazistischer Or- Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind ganisationen. Zahlreiche NPD-Funktionäre sind wegen verfassungswidrig. Gewaltstraftaten verurteilt worden. Dass die NPD in ihrer derzeitigen Verfassung nicht in Natürlich ist die im Grundgesetz garantierte Freiheit, der Lage ist, den Bestand der Bundesrepublik Deutsch- Parteien zu gründen und an der politischen Willensbil- land zu gefährden, liegt auf der Hand. Aber die ganze dung mitzuwirken, ein hohes Gut. Aber wer diese Frei- Politik der NPD, die ganze Aktivität ihrer Mitglieder heit gebraucht, um aggressiv und kriminell gegen und Anhänger ist darauf ausgerichtet, in aggressiver Einwanderer, Flüchtlinge oder Andersdenkende vorzu- Weise die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu gehen, der hat diese Freiheit verwirkt, meine Damen und bekämpfen und zu beeinträchtigen. Herren. Zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung nach (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der LINKEN der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ge- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) hören nicht nur unsere parlamentarische Demokratie, die Gewaltenteilung oder die Unabhängigkeit der Gerichte, Die Demokratie in Deutschland mag stark genug sein, sondern dazu gehört vor allem die Geltung der Grund- eine verfassungsfeindliche NPD auszuhalten. Aber die 27360 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013

Thomas Oppermann (A) Opfer dieser Partei sind es nicht. Es muss auch darum Öffentlichkeit vorgehen, aber uns selber vor der Ent- (C) gehen, die Opfer der NPD vor dieser Partei zu schützen. scheidung drücken. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem (Beifall bei der SPD) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb, meine Damen und Herren: Nehmen Sie eine Ich bin sehr zuversichtlich, dass die Beweise ausrei- Haltung ein, und stehen Sie zu dieser Haltung! Das muss chen, um die NPD vom Bundesverfassungsgericht ver- das Ergebnis unserer Debatte sein. bieten lassen zu können. Die Rechtsprechung zu den Parteienverboten ist 60 Jahre alt. Ich bin sicher: Das Ge- Ich danke. richt wird dieses Verfahren nutzen, um zeitgemäße Ver- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten botskriterien zu entwickeln. Ich bin im Übrigen auch ab- der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE solut sicher, dass der Europäische Gerichtshof für GRÜNEN) Menschenrechte in Straßburg zu keinem anderen Ergeb- nis kommt. Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich kann mir nicht vorstellen, dass von der Menschen- Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege rechtskonvention ausgerechnet eine Partei geschützt Franz Josef Jung das Wort. wird, die darauf ausgerichtet ist, Menschenrechtsverlet- zungen zu begehen. Der Europäische Gerichtshof für (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Menschenrechte hat auch klargestellt, dass sich niemand neten der FDP) auf diese Konvention berufen kann, der beabsichtigt, sel- ber die Demokratie zu zerstören. Dr. Franz Josef Jung (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Klar ist aber auch: Parteienverbote reichen nicht aus, Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Mittwoch um den Rechtsextremismus zu bekämpfen. Wir brau- dieser Woche haben wir in diesem Haus, wie ich finde, chen genauso dringend eine wachsame und aktive Zivil- in einer bewegenden Gedenkstunde der Befreiung des gesellschaft. Wir müssen unsere Bildungs-, Familien- Konzentrationslagers Auschwitz gedacht – das Symbol und Jugendpolitik darauf ausrichten, dass die Menschen schon von klein auf gegen rechtsextremes Denken im- des Grauens und des Verbrechens an der Menschheit. munisiert werden. Am Mittwoch jährte sich zum 80. Mal die Machtüber- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nahme durch Adolf Hitler. Das war die dunkelste Zeit in DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der unserer Geschichte. Sie steht für Menschenverachtung, (B) CDU/CSU und der FDP) Massenvernichtung, Unfreiheit, Intoleranz, ideologi- (D) schen Wahnsinn, Willkür statt Rechtsstaatlichkeit. Aber wenn wir an die Zivilgesellschaft appellieren, dann muss auch der Deutsche Bundestag das tun, was er kann. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich Wir wollen, dass der Innenausschuss das Beweismaterial frage mich oft, wie angesichts dieser historischen Situa- sichtet und dem Bundestag einen Vorschlag macht, eine tion sich die NPD in dieser Art und Weise die Nazidikta- Empfehlung gibt. Wir wollen im Ergebnis einen Ver- tur als Vorbild nehmen kann. Ich glaube, dass derjenige, botsantrag stellen. Ich bin absolut sicher, dass der Bun- der sich in dieser Art und Weise für die NPD engagiert, destag in dieser Frage eine Haltung einnehmen muss. nicht mehr auf dem Boden unserer Verfassung steht. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der DIE GRÜNEN) FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Wir haben ein freiheitliches Grundgesetz mit den Herr Kollege Oppermann, Sie denken auch an die Werten Rechtsstaatlichkeit, Sozialstaat und Demokratie. Zeit, nicht wahr? Das Grundgesetz sagt uns in Art. 20 Abs. 4, dass wir ge- gen jeden, der diese Ordnung beseitigen will, ein Recht Thomas Oppermann (SPD): auf Widerstand haben; es fordert uns auf, dass wir also Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. dem nachdrücklich widerstehen. Deshalb, denke ich, ist es richtig, dass wir gemeinsam als Deutscher Bundestag Seit Monaten, Herr Friedrich, hören wir von Ihnen, alles tun, um Antisemitismus, Rassismus und Rechtsra- aber auch von der Bundeskanzlerin keine klare Haltung. dikalismus in Deutschland keine Chance zu geben, dass Man kann sich für den Verbotsantrag entscheiden; dann wir all dem nachdrücklich widersprechen und all das gehen wir zusammen. Man kann sich auch gegen den nachdrücklich bekämpfen. Verbotsantrag entscheiden; aber dann muss man es auch sagen. Ich halte Letzteres für falsch, aber ich hätte Re- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie spekt für diese Auffassung. Was aber gar nicht geht, ist, bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- weder für den Verbotsantrag noch gegen den Verbots- NISSES 90/DIE GRÜNEN) antrag zu sein und sich einfach zu drücken, weil das eine In dieser Frage sollten sich die Demokraten einig sein. unangenehme Entscheidung ist. Wir können nicht von den Menschen verlangen, dass sie mit Zivilcourage ge- Kollege Oppermann, wir sollten uns in dieser Frage gen rechtsextreme oder rassistische Äußerungen in der nicht unter einen unnötigen Zeitdruck setzen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27361

Dr. Franz Josef Jung (A) (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: reits hinreichende Bedrohung der Demokratie geben (C) Na, na!) muss. Er spricht von einem erforderlichen, dringenden Auch die anderen Fraktionen sind offensichtlich der gesellschaftlichen Bedürfnis. Meinung, dass in dieser Frage Gründlichkeit vor Schnel- (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Ja, ligkeit geht; denn wir haben dabei natürlich auch die das haben wir ja! Das haben wir!) Aspekte der Entscheidung des Jahres 2003 zu beachten, als alle Verfassungsinstitutionen, auch der Deutsche Natürlich haben Sie, finde ich, mit dem Hinweis auf Bundestag, einen entsprechenden Antrag gestellt hatten die Europäische Menschenrechtskonvention durchaus und dann vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert recht; auch diese Frage ist zu berücksichtigen. Das ist sind. übrigens ein Punkt, der auch in den Entscheidungen eine Rolle spielt. (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Nein! Nicht zugelassen! Es wurde nie in der ( [SPD]: Elementar Sache entschieden! – Renate Künast [BÜND- wichtig!) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Verfassungsge- Insofern ist also mit zu berücksichtigen, dass die NPD richt hat ihn nicht angenommen!) immerhin in, wenn ich es richtig sehe, 330 kommunalen Deshalb sollten wir alle Voraussetzungen dafür schaffen, Parlamenten in Deutschland vertreten ist, dass sie im dass ein solches Verfahren erfolgreich durchgeführt wer- Landtag von Sachsen acht Abgeordnete stellt, dass sie den kann. Ein Misserfolg wäre das Schlimmste, was in im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern fünf Abge- dieser Auseinandersetzung passieren kann. ordnete stellt und rund 6 000 Mitglieder hat. Ein beson- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie deres Ärgernis dabei ist, dass es noch im Jahre 2010 eine bei Abgeordneten der LINKEN) Finanzierung von 1,2 Millionen Euro gab, mit denen letztlich verfassungswidrige Aktivitäten unterstützt wur- Ich sehe es so, dass wir bezüglich Ihres Antrags heute den. Dieser Punkt sollte letztlich dazu führen, dass wir die Überweisung in den Innenausschuss beschließen, um alles tun, um in Zukunft eine solche Situation zu unter- uns dort sachlich auseinanderzusetzen, und dann eine binden. Empfehlung aussprechen sollten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Es kommt aber ein Punkt hinzu. Die Länder haben ei- Dr. Peter Röhlinger [FDP]) nen entsprechenden Antrag gestellt, und Sie wissen, dass die Länder damit die Verfassungswidrigkeit, aber auch Ich möchte zusammenfassen. Wir sollten uns im (B) die Frage bejaht haben, die 2003 eine entscheidende Kampf gegen Antisemitismus, Rassismus und Rechts- (D) Rolle gespielt hat, nämlich ob das Material – wenn ich es extremismus einig sein. Wir sollten alles tun, um zu ei- salopp formulieren darf – V-Leute-befreit ist. Diese nem erfolgreichen Parteiverbotsverfahren zu kommen. Frage stellt sich natürlich auch für den Bund, und diese Deshalb sollten wir im Ausschuss die Thematik sachlich Frage kann nur die Bundesregierung beantworten; denn diskutieren, das Für und Wider abwägen, alle Argumente für diese Behörden ist die Bundesregierung zuständig, heranziehen und letztlich abwarten, bis die Bundesregie- nicht das Parlament. rung uns bescheinigt, dass auch auf der Bundesebene die (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Unterlagen V-Leute-befreit sind und damit die Grund- Wer kontrolliert denn die Regierung?) lage für ein Verfahren gegeben ist. Deshalb halte ich es für richtig, dass wir zunächst einmal (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: die Entscheidung der Bundesregierung abwarten, um ge- Weiß der Minister das noch nicht?) nau diese Frage, ob das Material V-Leute-befreit ist, wie Dann können wir zu einer entsprechenden Empfehlung es das Bundesverfassungsgericht verlangt hat, beantwor- kommen, so wie es Ihr Antrag vorsieht. Deshalb können tet zu bekommen, wir, wie ich finde, auch beschließen, Ihren Antrag an den (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Innenausschuss zu überweisen. Dort sollten wir sachlich Hat die Bundesregierung bisher nichts getan?) darüber diskutieren und nach der Entscheidung der Bun- desregierung eine Empfehlung aussprechen. In diesem bevor wir zu einer Entscheidung gelangen, meine Da- Sinne sollten wir verfahren. Dafür bitte ich um Ihre Un- men und Herren. terstützung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Besten Dank. Wir sollten – ich wiederhole das – alle Voraussetzungen dafür schaffen, dass ein solches Verfahren erfolgreich (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- durchgeführt werden kann. neten der FDP)

Kollege Oppermann, Sie haben auch die Entscheidung Vizepräsident Dr. : des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ange- Für die Fraktion Die Linke hat jetzt die Kollegin Ulla sprochen. Allerdings muss man hier berücksichtigen, dass Jelpke das Wort. der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte formu- liert hat, dass es nachvollziehbare Hinweise für eine be- (Beifall bei der LINKEN) 27362 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013

(A) Ulla Jelpke (DIE LINKE): lige Feuerwehren einschleichen bzw. als Fußballtrainer (C) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dass die oder Fahrlehrer das Vertrauen der Jugend erschleichen. SPD heute dem Bundestag rät, die Materialsammlung Das darf nicht sein! des Verfassungsschutzes für ein NPD-Verbotsverfahren (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie der zu prüfen, ist richtig. Die Linke kann diesem Antrag na- Abg. [Leipzig] [SPD]) türlich nicht widersprechen; sie wird zustimmen. Den- noch muss man ganz deutlich sagen, dass die SPD hier Wer die NPD für tot erklärt, verschließt die Augen vor einen billigen Profilierungsversuch zu Beginn des Wahl- dieser Realität, meine Damen und Herren. jahres unternimmt. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. neten der SPD) Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP] – Thomas Oppermann [SPD]: Beifall links und rechts! – Weiterhin stellt die NPD eine ganz konkrete Gefahr Weitere Zurufe von der SPD) für Menschen dar, die als Migranten, als Juden, als Mus- lime, als Antifaschisten, als Behinderte und Obdachlose Ich sage hier ganz klar: Was denken Sie, Kolleginnen nicht in die von der NPD angestrebte „völkische Ge- und Kollegen von der SPD, was wir seit Dezember mit meinschaft“ passen. So gehen zum Beispiel die soge- dem vorliegenden Material gemacht haben? Lesen, prü- nannten „national befreiten Zonen“ auf ein NPD-Kon- fen, lesen, prüfen! Die Prüfung ist doch längst in Gang. zept zurück. Das sind Angsträume in Stadtteilen und Ich bin froh, dass die SPD zurückgerudert ist und hier Orten, aus denen anders denkende und anders ausse- heute keinen Verbotsantrag stellt. Das ist wirklich gut so. hende Menschen durch Drohungen und Gewalt vertrie- Die Frage des NPD-Verbotes ist nämlich viel zu wichtig, ben werden. Schließlich trägt die NPD mit ihrer Hetze um ein parteipolitisches Süppchen daraus zu kochen. zu einem gesellschaftlichen Klima bei, das seit 1990 (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) etwa 160 Menschen aufgrund der Untaten von rechts- extremistischen Gewalttätern das Leben gekostet hat. Hier gilt es, gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Da- Das ist das ganze Ausmaß des rechten Terrors, den die mit meine ich: Alle Fraktionen in diesem Haus müssen Bundesregierung bis heute leugnet. sich zusammensetzen und beraten. Über 70 Prozent der Bürgerinnen und Bürger in Doch die Gemeinsamkeit, die sich im Beschluss der Deutschland sagen: Die NPD soll verboten werden. Ich Innenminister des Bundesrates für ein neues Verbotsver- denke, der Bundestag sollte sich diesem Votum ver- fahren zeigte, bröckelt offensichtlich schon wieder. Der pflichtet fühlen und ein NPD-Verbot einleiten. Kollege Hans-Peter Uhl von der CSU hat kürzlich ge- (B) sagt: Die Tatsache, dass die NPD in Niedersachsen nur (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) (D) auf 0,8 Prozent der Stimmen gekommen ist, zeigt, dass Doch um ein Verbotsverfahren wasserdicht zu machen, man ein Verbotsverfahren nicht brauche. Auch die Parla- muss das vorliegende Belastungsmaterial in der Tat wei- mentarischen Geschäftsführer von Grünen und FDP sa- ter ergänzt werden. Insbesondere muss die zentrale Stel- gen, ein Verbotsverfahren würde die NPD nur aufwerten. lung der NPD innerhalb der Naziszene, ihre Verbindung Meine Damen und Herren, das Gegenteil ist doch der zu Gewalttätern und verbotenen Kameradschaften schär- Fall. Bereits die Ankündigung eines NPD-Verbotsver- fer herausgearbeitet werden bzw. das entsprechende Ma- fahrens hat dazu geführt, dass die NPD in Niedersachsen terial ergänzt werden. Wir meinen, hier kann noch eine nur 0,8 Prozent der Stimmen erreicht hat. ganze Menge Material hinzugefügt werden. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Wenn wir den Nazis tatsächlich das Wasser abgraben Lachen bei der FDP) wollen, dürfen wir über ihre Schutzherren und Förderer – Lachen Sie ruhig. nicht schweigen. Ich meine den Sumpf im Verfassungs- schutz. Denn man muss sagen: Die V-Leute haben schon Die NPD kann nur mit dem Tunnelblick westdeut- das erste Verfahren zum Scheitern gebracht. Das darf scher Politiker aus dem Raumschiff des Bundestages als nicht ein zweites Mal passieren. sterbende Partei gesehen werden. (Beifall bei der LINKEN) ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das ist Unsinn!) Die logische Konsequenz für die Linke lautet deswegen: die NPD verbieten und den Verfassungsschutz abschaf- Ganz anders stellt sich die Situation zum Beispiel in der fen. mecklenburgischen Provinz oder in sächsischen Klein- städten dar. Dort ist die NPD in Folge in zwei Landtage Ich danke Ihnen. hineingewählt worden. In zahlreichen Kommunen ist sie (Beifall bei der LINKEN) mit zweistelligen Prozentzahlen in die Vertretungen ge- wählt worden. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (Mechthild Rawert [SPD]: Schlimm, schlimm, Jetzt hat der Kollege Hartfrid Wolff für die Fraktion schlimm!) der FDP das Wort. Dort verfolgen die Neonazis gewissermaßen eine Gras- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten wurzelstrategie, indem sie sich in Elternräte oder freiwil- der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27363

(A) Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (C) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Mechthild FDP besteht kein Zweifel: Die NPD ist eine rechtsextre- Rawert [SPD]) mistische Partei mit menschenverachtenden und verfas- Ich würde mir wünschen, wenn wir, wie es im NSU-Un- sungsfeindlichen Inhalten. Ein Parteienverbot ist aber tersuchungsausschuss durchaus gelingt, auch hier im eindeutig eine andere Frage. Das lehrt allein schon das Plenum in dem Bemühen, extremistische Bestrebungen juristisch bereits einmal gescheiterte Verfahren gegen einzudämmen, gemeinsam agieren würden. die NPD. Für die FDP hat ein wirkungsvolles Vorgehen gegen Aber nicht nur juristisch gilt es, das Für und Wider politischen Extremismus höchste Priorität. Zur wehrhaf- abzuwägen. Wir haben vielfach die Erfahrung gemacht: ten Demokratie gehört – das sage ich ausdrücklich – ge- Wenn eine rechtsextreme Organisation verboten wird, gebenenfalls auch ein Parteiverbot. Aber man muss sich gründet sie sich unter anderem Namen neu. Die poten- schon die Frage stellen, ob man mit einem Verbot nicht zielle NPD-Nachfolgepartei ist offensichtlich ohnehin nur eine Hülle beseitigt, das Grundproblem aber fortbe- schon gegründet. Wie oft soll dann dieses Spiel von steht. Gesinnung, Herr Oppermann, kann ich nicht ver- vorne beginnen? Schafft jetzt ein Verbotsverfahren nicht bieten. Auch wenn die rechtsextreme Szene aufgrund ei- unnötige Aufmerksamkeit für eine Partei, die in ihrer nes Verbots vorübergehend keinen Zugriff mehr auf die Mitgliederentwicklung und ihren Finanzen ohnehin im staatliche Parteienfinanzierung erhalten sollte, Niedergang begriffen ist? Die 0,8 Prozent, die die NPD (Zuruf des Abg. [Spandau] bei der Landtagswahl in Niedersachsen erhalten hat, [SPD]) zeugen davon. sind größere Anstrengungen der Länder auch und gerade Die Länder schaffen mit einem Monate andauernden im Polizeibereich notwendig, um den Druck auf die Verbotsverfahren den Eindruck besonderen Engage- rechtsextreme Szene massiv zu erhöhen. ments. Tatsächlich aber haben die meisten Länder über viele Jahre hinweg bei der Bekämpfung des Rechtsextre- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten mismus schlicht versagt. der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Hans- Die Morde der Zwickauer Terrorzelle sind die bislang Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schwerwiegendste Kette von rechtsextrem motivierten NEN]) Gewaltverbrechen, die die Bundesrepublik Deutschland erlebt hat – und die schwerwiegendste Krise unserer Si- Mit Thüringen haben wir gestern im NSU-Untersu- (B) cherheitsorgane. Nach wie vor fehlt allerdings der Nach- (D) chungsausschuss ein wirklich auffälliges Beispiel dafür weis eines unmittelbaren Zusammenhangs mit der NPD. erlebt. Generalbundesanwalt Range sprach – angesichts der bis- Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD: Der herigen Erkenntnisse ist das äußerst plausibel – davon, Eindruck besonderen Engagements soll offenbar auch dass es keinerlei Anhaltspunkte dafür gebe, dass der durch Ihren Antrag hier im Bundestag erzeugt werden. NSU quasi als verlängerter Arm der NPD angesehen Dabei erscheint die Überschrift vielleicht ja noch inte- werden könne. Das in diesem Zusammenhang perma- nent öffentlich vorgetragene Ansinnen der SPD zum ressant. Wer den Antrag aber liest, wird freilich eher be- NPD-Verbotsverfahren soll aber offenbar einen gegen- troffen den Kopf schütteln. Dass sich die zuständigen teiligen Eindruck erwecken. Ausschüsse des Bundestages im Rahmen ihres Regie- rungskontrollauftrages mit den von der Bundesregierung Doch mit einem NPD-Verbot ist in Sachen NSU zugeleiteten Dokumenten befassen, ist selbstverständ- nichts gewonnen! Und: Die Diskussion über dringende lich. Reformen unserer Sicherheitsarchitektur darf eben nicht durch eine symbolhafte NPD-Verbotsdebatte verdeckt (Beifall der Abg. [DIE werden. LINKE] – Thomas Oppermann [SPD]: Wir wollen eine Brücke bauen, merken Sie das (Beifall bei der FDP) nicht?) Die Neuaufstellung der Behörden ist nötig. Hier ist das Und zur Feststellung, dass dem Bundestag der Bericht der Bohren dicker Bretter gefragt – und eben keine Ablen- Bund-Länder-Arbeitsgruppe vorliegt: Herr Oppermann, kungsdebatte. dazu brauchen wir nicht wirklich einen Parlamentsbe- Meine Damen und Herren, ich glaube, inzwischen schluss und eine Plenardebatte. sind wir uns hier im Hause einig: Der Untersuchungs- (Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Das ist Fakt! – ausschuss hat dabei die Aufklärungsarbeit erheblich vor- Zuruf des Abg. Thomas Oppermann [SPD]) angebracht – seriös und konsequent –, und er leistet er- folgreich ein großes Arbeitspensum, gemeinsam und Wenn einzelne Fraktionen mit solch dürftigen Aktionen über Parteigrenzen hinweg. Wöchentlich kommen neue wie dem vorliegenden Minimalantrag versuchen, die Fakten auf den Tisch, denen wir nachgehen müssen. Die Rechtsextremismusbekämpfung in den anstehenden Konsequenz dabei darf nicht nachlassen. Deshalb halte Wahlkampf zu ziehen, ist das der Sache nicht wirklich ich es für richtig, dass wir nach der Wahl weitermachen dienlich. und eine Empfehlung an den nächsten Deutschen Bun- 27364 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013

Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (A) destag aussprechen, den Untersuchungsausschuss in der fen zu versorgen … Wenn die Demokratie so dumm (C) kommenden Legislaturperiode – am besten getragen von ist, uns für diesen Bärendienst Freikarten und Diä- allen Fraktionen – fortzusetzen. ten zu geben, so ist das ihre eigene Sache… Wir brauchen mehr Zeit, um besser aufklären und um Uns ist jedes gesetzliche Mittel recht, den Zustand fundierte Empfehlungen für die Zukunft aussprechen zu von heute zu revolutionieren. können: zur besseren Bekämpfung des Rechtsextremis- Am 30. Januar 1933 war es dann so weit. mus in Deutschland und international, für wirksame Empfehlungen zur Stärkung unserer Sicherheitsarchitek- In den Materialien des Bundesrates zur NPD klingt es tur und um den Opferschutz voranbringen zu können. wie folgt – original der gleiche Gedanke –: (Zurufe von der SPD) Der nationale Widerstand hat einen parlamentari- schen Arm und einen außerparlamentarischen Arm. Vor allem aber brauchen wir eine deutlich bessere konti- Die Partei verfügt über wirkungsvolle Sprachrohre nuierliche Kontrolle. Die Dienste sollten strenger an die in den Parlamenten und kann vom Staat erhebliche Leine genommen werden. finanzielle Ressourcen durch Mandate und Wahl- kampfkostenrückerstattung schöpfen. Die „Freien“ Jedenfalls sind die zutage getretenen Probleme nicht hingegen verfügen über eine außerordentlich akti- einfach mit einem Verbot der NPD gelöst. vistische Szene, deren idealistische Arbeitskraft un- (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Das sagt doch auch bezahlbar ist… Beide Lager sind Teil des nationa- keiner! – Weitere Zurufe von der SPD) len Widerstandes und ergeben zusammen eine für die Etablierten gefährliche Symbiose. Genau dieser Eindruck könnte aber in der Öffentlichkeit aufgrund der von Ihnen hervorgerufenen Debatte entste- Das sagen Sie selber: Ihre Gefährlichkeit rührt aus dem hen. Zusammenwachsen mit der freien Szene, aus der Ge- walttätigkeit, aus dem arbeitsteiligen Vorgehen. Das geht (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Sie stellen bis in den NSU hinein. doch die Verbindung her!) Es reicht nicht, zu sagen: Herr Range hat doch gesagt, Meine Damen und Herren, die FDP wird weiter auf sie waren nicht der verlängerte Arm. Da gab es keinen lückenloser Aufklärung bestehen. Beschluss. – Das hat niemand erwartet, aber die drei ha- ben NPD-Materialien verteilt, Plakate geklebt. Sie waren (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: auf den Veranstaltungen der NPD. Seit gestern wissen Das ist gut!) wir, dass neben Frau Zschäpe ein aktueller NPD-Funk- tionär und ein früherer Jungfunktionär auf der Anklage- (B) Und die FDP wird sich weiterhin kompromisslos gegen (D) extremistische Ideologien in unserer Gesellschaft einset- bank sitzen werden. Das muss man auch sehen, wenn zen. man über die Gefährlichkeit dieser Bewegung redet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: bei der SPD und der LINKEN – Michael Das ist noch besser!) Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Sehr rich- Mit einem schlichten Verbot einer Partei, so wie Sie tig!) es vorschlagen, ist dem nicht gedient. Eine isolierte Betrachtung der NPD ist einfach falsch. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Ich kann zwar sagen, wie es der Kollege Jung getan hat: der CDU/CSU) Die Mitgliederzahl sinkt. Die Wahlergebnisse sinken. Die Finanzkraft sinkt. – Das alles ist unbestritten. Es hilft uns nicht in den „national befreiten Gebieten“, in Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: den Dominanzgebieten, in denen sie völkisch siedeln, in Für das Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kol- denen sie richtig Terror ausüben, in den Dörfern und lege Wolfgang Wieland. Kleinstädten. Dort nutzen uns diese Statistiken nichts. (Thomas Oppermann [SPD]: Wolfgang, biege Vielmehr ist richtig, was der Kollege Oppermann sagt: das mal gerade! – Michael Hartmann [Wa- Auch die Blutspur, die wir seit Jahren durch Überfälle ckernheim] [SPD]: In fünf Minuten?) auf Homosexuelle, auf sogenannte Asoziale, auf anders Aussehende, auf Migranten haben, ist ihnen zuzurech- nen. Es ist die gleiche Ideologie. Es ist die Ideologie des Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sogenannten Volkstodes. Sie propagieren nämlich, dass Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ge- das deutsche Volk gefährdet sei und dass es durch alle, rade zwei Tage her, dass wir in diesem Hause des die fremd sind, aussterbe. Das ist ein Aufruf zur Not- 80. Jahrestages der Machtergreifung der Nationalsozia- wehr. So ist es bei den Dreien aus Zwickau auch ange- listen gedacht haben. Wenn man über Erkenntnisse zur kommen. Es ist letztlich das gleiche ideologische Ge- Verfassungswidrigkeit der NPD redet, ist es an dieser bräu, das Anders Breivik in Norwegen dazu brachte, Stelle sinnvoll, auch einen Blick zurückzuwerfen. Dies zum Massenmörder zu werden. Das muss man zusam- will ich tun. Joseph Goebbels schrieb am 30. April 1928 mensehen. Es ist die gleiche braune Soße, gegen die man in der NSDAP-Zeitung Der Angriff das Folgende: vorgehen muss. Wir gehen in den Reichstag hinein, um uns im Waf- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, fenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waf- bei der SPD und der LINKEN) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27365

Wolfgang Wieland (A) Dass die NPD gar keinen Hehl daraus macht, dass sie extremes Gedankengut hegt. Diese Feststellung zu tref- (C) das Dritte Reich verherrlicht, wird an folgenden Zitaten fen, erscheint mir gerade angesichts des in dieser Woche deutlich: Zitat Udo Voigt: begangenen Gedenktages „80 Jahre Machtergreifung“ wichtig. Diese Feststellung sollte uns stolz machen auf BRD heißt das System – morgen soll es unterge- die gefestigte deutsche Nachkriegsdemokratie. Es gibt hen! keine Rechtsextremen in diesem Hohen Haus. Zitat Holger Apfel: (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie Die NPD stellt die Systemfrage, sie will den sozia- bei Abgeordneten der SPD) len, demokratischen und nationalen Volksstaat schaffen und stellt dieses Ideal der etablierten „De- Das heißt, unsere Politik der gesellschaftlichen Ächtung, mokratie-Karikatur“ namens BRD entgegen. die vonseiten des Bundes, aber auch der Länder und Kommunen betrieben wird und die wir unterstützen, hat Das alles ist dokumentiert. Daher ist es für meine Frak- nachhaltig gewirkt. Die Ächtung dieses Gedankengutes tion gar keine Frage: Diese Partei ist verfassungsfeind- ist erfolgreich gewesen. lich. Vom Kollegen Wolff wurde schon darauf hingewie- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sen: Wir haben bei der Niedersachsenwahl wieder ein- sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- mal einen gemeinsamen Erfolg erzielt. Mit den erreich- KEN) ten 0,8 Prozent bekommt die NPD in Niedersachsen Es stellt sich jedoch eine Frage: Was folgt daraus? Ich keinen einzigen Cent Parteienfinanzierung, von einem als jemand, der wirklich leidenschaftlich für ein Verbot Mandat gar nicht zu reden. Wir sollten die Gefahr also so ist, sage ehrlich: Es gibt auch respektable Argumente da- beschreiben, wie sie tatsächlich ist. gegen. Das erkenne ich an. Ich warne davor, diese Frage Ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Kollege Wieland, zu parteitaktischem Geplänkel zu benutzen. Ich warne dass Sie darauf hingewiesen haben, dass wir dieses wirklich davor. Thema nicht parteitaktisch oder politisch instrumentali- (Beifall im ganzen Hause) sieren sollten, indem wir dem einen oder anderen den Mut im Kampf gegen den Rechtsextremismus abspre- Wir sind durch das Vorgehen des Bundesrates ver- chen oder vielleicht sogar eine klammheimliche Sympa- pflichtet, uns eine Meinung zu bilden. Enthalten geht da thie unterstellen, wenn er nicht energisch genug für das nicht. NPD-Verbot eintritt. Das muss man immer wieder beto- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nen. (B) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Es handelt sich um hochrangige Juristen, die vor ei- (D) Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: nem Verbotsverfahren warnen. Das darf man nicht ein- Sehr richtig!) fach so wegwischen. Wir haben ein intensives Gespräch Wenn wir nichts tun, ist es auch eine Haltung. Diese mit dem früheren Verfassungsrichter Papier und dem würde bedeuten, wir lassen die Länder in Karlsruhe al- früheren Berichterstatter Jentsch geführt; Sie kennen leine. Wir müssen uns entscheiden. Mir ist es relativ vielleicht das Interview des Verfassungsrichters Grimm; egal, ob vor der Bundestagswahl oder nach der Bundes- Sie kennen die Stellungnahme des Präsidenten des Euro- tagswahl. Ich will einen verantwortungsbewussten Um- päischen Gerichtshofes für Menschenrechte – um nur ei- gang damit. Ich empfehle jedem von uns die Lektüre nige zu nennen. Es ist die Auffassung hochrangiger Ver- dieser Materialsammlung. Nach Austausch der Argu- fassungsjuristen, die uns nachdenklich stimmt. Da ist es mente muss am Ende eine Entscheidung stehen, und auch kein Wunder, dass das quer durch die Parteien geht. zwar bitte schön der Verantwortung unserer Geschichte Ich habe heute Morgen im Frühstücksfernsehen Kolle- und der Bedeutung dieser Frage entsprechend. gen Ströbele von den Grünen gehört, der nachdrücklich davor warnte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- CDU/CSU und der LINKEN) NEN]: Ströbele solltest du öfters hören!) Das gibt es auch in anderen Parteien, nicht nur bei den Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Grünen. Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Dr. Hans- Peter Uhl. Das Parteienverbot ist ein ganz außergewöhnliches Rechtsinstitut, eine Ultima Ratio, das für alteingesessene (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Demokratien wie die in England oder in den USA un- denkbar ist. Man hält in diesen beiden Ländern ein Par- Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): teienverbot in weiten Teilen für geradezu undemokra- Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und tisch, weil man sich sagt: So etwas tut man nicht. Kollegen! Lassen Sie mich zunächst mit einer, wie ich Parteien werden dem Wähler präsentiert, und nur der meine, erfreulichen Gemeinsamkeit beginnen. Ich kenne Wähler entscheidet. Der Staat hat nichts zu entscheiden. niemanden in diesem Hohen Hause – von links bis Das heißt, es ist ja auch ein Stück Bevormundung des rechts; das gilt für die Liberalen wie für alle Flügel –, der Wählers, wenn der Staat eine Partei aus dem Parteien- auch nur andeutungsweise eine Sympathie für rechts- spektrum heraustilgt. 27366 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013

Dr. Hans-Peter Uhl (A) (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das heißt, den Showdown zwischen den beiden höchs- (C) NEN]: Steht in unserer Verfassung, Herr Kol- ten Gerichten, dem Europäischen Gerichtshof für Men- lege! – Michael Hartmann [Wackernheim] schenrechte und dem Bundesverfassungsgericht, wird es [SPD]: Haben Sie das mal mit Herrn Seehofer wahrscheinlich gar nicht geben, weil bereits die Verfas- ausdiskutiert? – Weitere Zurufe von der SPD) sungsrichter in Karlsruhe die genannten Kriterien zur Anwendung bringen werden. Ich habe großes Verständnis dafür, dass man 1949 bei Abfassung des Grundgesetzes und bei Gründung der Ist ein Parteiverbotsverfahren das richtige Instrument, Bundesrepublik Deutschland angesichts der in diesem um ein politisches Signal zu setzen? Ich verstehe Minis- Deutschland von 1949 herrschenden Situation mit Recht terpräsidenten, egal welcher Couleur, egal welchen Lan- dieses Institut eingeführt hat. Wer konnte denn ahnen, des: dass sich Deutschland als demokratischer Staat so stabil (Thomas Oppermann [SPD]: Ihre eigenen!) entwickelt, dass Rechtsextreme und Linksextreme in diesem Land keine Chance haben? Wer konnte das denn In Festreden und bei Veranstaltungen aller Art werden ahnen? Deswegen war es richtig, das ins Grundgesetz hi- politische Signale ausgesandt. Das gehört zum politi- neinzuschreiben. Das unterscheidet uns ja von England schen Geschäft. Aber was ist der Mechanismus beim oder von den USA. Parteiverbotsverfahren? Wir Parteipolitiker – Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung – können ein politisches Si- (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Ist es jetzt gnal nur beantragen, aussenden muss es das höchste überflüssig oder was?) deutsche Gericht, und zwar mit Zweidrittelmehrheit. Aber wir sollten auch die Situation von heute betrachten. Lassen sich diese acht Richter von uns instrumentalisie- ren, ein politisches Signal auszusenden? Noch ein Hinweis, Frau Jelpke: Sie irren sich, wenn Sie meinen, das allein die Ankündigung eines Parteien- ( [SPD]: Darum geht es doch verbotes schon etwas bewirken würde. Obacht, Frau gar nicht! – Wolfgang Wieland [BÜND- Jelpke! Bei der dem Parteiverbotsverfahren vorausge- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer will denn instru- gangenen Bundestagswahl hat die NPD 0,4 Prozent er- mentalisieren?) reicht, wie bei all den Wahlen zuvor: Immer stand eine Lassen sie sich von uns unter Druck setzen? Wenn wir Null vor dem Komma. Und nach dem gescheiterten Par- nur alle gemeinsam kommen, dann werden die im teiverbotsverfahren hatte sie 1,6 Prozent. Gleichschritt mitmarschieren? (Sönke Rix [SPD]: Deshalb haben die in Nieder- (Sönke Rix [SPD]: Zweifeln Sie am Grund- sachsen so wenig bekommen, oder was?) (B) gesetz?) (D) Also: Von 0,4 Prozent auf 1,6 Prozent nach dem Schei- Glauben Sie das wirklich? Ich glaube nicht daran. tern des Parteiverbotsverfahrens. (Thomas Oppermann [SPD]: Völlig abseitig, (Burkhard Lischka [SPD]: Das sind Zusammen- was Sie da erzählen!) hänge, die Sie da herstellen!) Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Mit dem Par- Diese Rechtsfrage ist kompliziert. Wenn wir jetzt vor teiverbotsverfahren gehen wir einen riskanten Weg. Es Gericht gehen – der Bundesrat wird das ja tun; er hat das kann sein, dass wir in jedem Fall verlieren. Wenn das schon entschieden; jetzt geht es nur um die Frage, ob Gericht in dem Parteiverbotsverfahren in der Weise ent- Bundesregierung und Bundestag ihm folgen –, wissen scheidet, dass die Partei verboten wird, wird es unver- wir nicht, wohin wir kommen. Wie man so schön sagt: züglich eine Nachfolgeorganisation geben. Dann haben Auf hoher See und vor Gericht ist man in Gottes Hand. wir es mit dem gleichen Gedankengut, das wir alle mit- Ich möchte aber auf einen Hinweis des Bundesverfas- einander ablehnen, erneut zu tun, nur in neuem Kleid. sungsgerichts aufmerksam machen. Das Bundesverfas- (Elke Ferner [SPD]: Sagen Sie doch einfach, sungsgericht hat im letzten NPD-Verbotsverfahren ganz Sie sind dagegen!) klar zum Ausdruck gebracht: Sollte das Gericht in einem Parteiverbotsverfahren gegen die NPD in eine Sachent- Wenn die Partei nicht verboten wird, ja dann kommt der scheidung eintreten, dann würden die Voraussetzungen Super-GAU. Dann gehen die NPD-Funktionäre erhobe- der Europäischen Menschenrechtskonvention natürlich nen Hauptes aus dem Gerichtssaal in Karlsruhe – etwas, bereits bei der Entscheidung von Karlsruhe in die Be- was keiner von uns will. Also bitte, denken Sie darüber wertung einfließen. nach, ob das klug ist! Bedenken Sie den möglichen Aus- gang des Verfahrens! (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Gott sei Dank!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wolfgang Wieland [BÜND- Das würde geschehen, auch wenn im Grundgesetz von NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, der Antrag wird Verhältnismäßigkeit und Erforderlichkeit der Maßnah- doch gestellt vom Bundesrat! – Mechthild men nicht die Rede ist. Wie gesagt: Bereits in Karlsruhe! Rawert [SPD]: Wo ist denn Ihr Kampf gegen (Thomas Oppermann [SPD]: Das muss ver- den Rechtsextremismus? – Wolfgang Wieland hältnismäßig sein, was der Staat macht! Im- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat Bayern mer! Ungeschriebener Verfassungsgrundsatz!) doch zugestimmt!) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27367

(A) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (C) Das Wort hat jetzt der Innenminister des Landes des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Nordrhein-Westfalen, Ralf Jäger. Ich glaube, dass wir im Bundesrat ein wichtiges Zei- (Beifall bei der SPD) chen gesetzt haben über alle Parteigrenzen hinweg. Aber es bleibt ein bitterer Nachgeschmack. Damit meine ich Ralf Jäger, Minister (Nordrhein-Westfalen): die aktuelle Haltung der Bundesregierung. Es darf nicht Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Meine sehr ver- sein, dass diese Debatte in den nächsten Wochen weiter- ehrten Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag be- hin durch Untätigkeit und Zaudern geprägt wird. Das rät heute über ein Verbotsverfahren gegen die NPD. Ich wäre ein verheerendes Signal im Kampf gegen Rechts- glaube, im Sinne der meisten Bürger in diesem Land extremismus. sprechen zu dürfen, wenn ich sage: Das wurde aber auch Meine Damen und Herren, es kann mit guten Argu- Zeit. menten für ein Verbot gestritten werden. Es kann auch (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten mit guten Argumenten gegen ein Verbot gestritten wer- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) den. Aber man muss wenigstens darum streiten. Behar- ren und Zaudern – das ist nicht das Zeichen der Zeit. Im Bundesrat beschäftigen wir uns seit Jahren mit der Möglichkeit eines Verbotsverfahrens. Wir haben in den (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ländern umfangreiche Materialien zusammengetragen. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir haben viel Mühe und viel Zeit investiert, um diese Ich bitte, den Blick über dieses Parlament oder den menschenverachtende Partei davon abzuhalten, ihre ver- Bundesrat hinauszurichten – wir diskutieren dieses Par- fassungsfeindlichen Parolen zu verbreiten. Das haben teienverbot natürlich auch unter einem parteitaktischen wir in den Ländern nicht getan, bloß weil wir die Gele- Kalkül –: Wie nehmen es die Menschen draußen wahr, genheit dazu haben, sondern weil wir, wie ich glaube, als wenn die drei Verfassungsorgane dieser Republik da- Vertreter des Volkes, als gewählte Vertreter, die Pflicht rüber streiten, wie man gegen eine Partei vorgeht, die haben, alles in unserer Macht Stehende zu tun, um die seit 60 Jahren existiert, in zwei Landesparlamenten ver- Werte unserer Verfassung zu schützen: treten ist und objektiv menschenverachtend, ausländer- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten feindlich und verfassungsfeindlich ist? Welches Bild ge- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ben wir als Demokraten ab, wenn wir darüber streiten, während die Feinde der Demokratie versuchen, in die die Würde des Menschen, die freie Entfaltung der Per- Mitte dieser Gesellschaft vorzudringen? Dieses Bild dür- (B) sönlichkeit, das Recht auf körperliche Unversehrtheit fen wir nicht abgeben. (D) und die Freiheit der Person. (Beifall bei der SPD) Wir leben in einem demokratischen Staat. Ich glaube, Demokratie ist nicht einfach nur ein Begriff oder ein Ich glaube, dass die Vertreter der Verfassungsorgane, Wort in unserer Verfassung oder irgendeine Staatsform. die für ein solches Verbot eintreten, mit Recht sagen Demokratie in Deutschland ist eine Errungenschaft. Sie können: Wir wollen nach demokratischen Werten leben ist eine Errungenschaft, auf die wir stolz sein können. und unsere Kinder dazu erziehen: zu Nächstenliebe, To- Sie ist errungen worden von vielen Frauen und Männern leranz, Mitmenschlichkeit. Es wäre ein Armutszeugnis in diesem Land, die für diese Werte im Laufe der deut- für dieses Land, wenn wir uns in einem solchen Verbots- schen Geschichte ihr eigenes Leben oder das Leben ihrer verfahren wegduckten, weil es bequemer wäre, und Familie riskiert haben. Sie haben gekämpft für diese De- wenn es sich dabei auch nur um ein Verfassungsorgan mokratie und für diese gerade von mir zitierten Werte handeln würde. Ich glaube vielmehr, es wäre ein wichti- unserer Verfassung. Diese Menschen haben das Funda- ges Zeichen an die Bürgerinnen und Bürger dieses Lan- ment unserer Gesellschaft geschaffen. des, dass wir als Demokraten in dieser Frage eine klare Haltung einnehmen. Deshalb hat es mich stolz gemacht, meine Damen und Herren, dass am 14. Dezember des letzten Jahres der (Beifall bei der SPD) Bundesrat über alle Parteigrenzen hinweg beschlossen „Neger haben einen Intelligenzquotienten, der liegt hat, diese Werte nicht herzugeben, sondern sie aktiv zu vom schwachsinnigen Deutschen bis zum Normaldeut- verteidigen. schen“, „Europa ist das Land der weißen Rasse und soll (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten es auch bleiben“: Das sind nur zwei Zitate aus der Mate- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) rialsammlung, die wir als Innenminister der Länder und Minister des Bundes in den letzten Monaten sehr sorg- Ich glaube, das ist nicht nur Zeichen und Ausdruck einer fältig zusammengetragen haben. wehrhaften Demokratie. Das ist vor allem auch ein Zei- chen an diejenigen, die Opfer sind, deren Menschen- Wir haben darauf geachtet, dass diese Materialien würde in diesem Land mit Füßen getreten wurde oder quellenfrei sind. Sie stammen aus öffentlich zugängli- noch wird. Ich glaube, der Rechtsstaat, die Parteien und chen Materialien. Wir als Länder werden dies testieren. die Parlamente dürfen nicht der Schuster sein, der im Wir haben auch in die Bundesbehörden und in den Bun- Zuge der Parteienfinanzierung die Springerstiefel immer desinnenminister als Person großes Vertrauen, dass wieder neu besohlt. dieses Material quellenfrei ist – offensichtlich mehr 27368 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013

Minister Ralf Jäger (Nordrhein-Westfalen) (A) Vertrauen, Herr Dr. Jung, als seine eigene Bundestags- Dr. Stefan Ruppert (FDP): (C) fraktion. Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- ren! Ich glaube, man muss bei dem vorliegenden Thema (Beifall bei der SPD) drei Ebenen unterscheiden. Zunächst ist da die Gemein- Diese gerade von mir erwähnten Zitate stammen aus frei samkeit aller Demokraten bei der Bewertung der NPD; zugänglichem Material. Ich glaube, in einem Rechtsstaat ich glaube, da sind wir uns in diesem Haus alle einig. darf man solche Äußerungen nicht tolerieren. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Viele stellen sich im Zusammenhang mit dem NPD- der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des Verbotsverfahren die Frage: Ist die Demokratie in BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deutschland eigentlich nicht stark genug, um sich mit Rechten und Nazis mit guten Argumenten auseinander- Dann kommt die juristische Ebene. Dabei geht es um zusetzen? – Ja, selbstverständlich, und nicht nur ausein- die Frage: Wie hält man es sozusagen im Handwerkli- anderzusetzen: Ich glaube, dass wir sehr gute Argumente chen mit einem Verbotsverfahren? Wir sind uns wahr- haben, um uns auf intellektueller Ebene mit braunem scheinlich ebenfalls einig, dass bei der letzten Entschei- Gedankengut auseinanderzusetzen und natürlich auch dung sehr hohe Hürden für ein solches Verfahren durchzusetzen. Aber ich stelle auch die Frage: Wie hel- aufgestellt worden sind. Wir sind vielleicht unterschied- fen diese Argumente unseren ausländischen Mitbürge- licher Meinung bei der Frage, wie schwer es ist, diese rinnen und Mitbürgern, die in Dessau oder Schwerin auf Hürden zu nehmen. Aber wir sollten uns darin einig sein, offener Straße diskriminiert, schikaniert oder geschlagen dass wir keine Politik betreiben wollen, die den Antrag werden? Wie helfen diese Argumente diesen Menschen? des Bundesrats in irgendeiner Weise behindert. Vielmehr sollten wir schauen, wie man verhindern kann, dass ein Gute Argumente zu haben und intellektuell über den Verfahren, wie es der Bundesrat beantragt hat, in hand- Dingen zu stehen, ist das eine; das hilft aber nur in selte- werklicher Hinsicht beschädigt wird. nen Fällen gegen Baseballschläger, Schlagring und Springerstiefel. Wir müssen diejenigen, die den geisti- Die dritte Ebene bezieht sich auf die politische Aus- gen Nährboden für ein solches Verhalten liefern, davon einandersetzung um die Frage: Wählt man einen eher abhalten, dies zu tun. etatistisch-repressiven Ansatz – so möchte ich es einmal nennen – oder einen liberalen Ansatz – dies wäre aus (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten meiner Sicht sinnvoll –, wenn es darum geht: Auf wel- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) che Weise wehrt sich die Demokratie gegen ihre Feinde? Mindestens genauso wichtig ist: Mit dem Verbot zer- Ich will zur politischen Bewertung der NPD, also zur (B) schlagen wir die bestehenden Strukturen. Wir entziehen ersten Ebene, nur noch ganz kurz etwas ausführen, da (D) der einzigen rechtsextremistischen Partei in Deutsch- hier schon vieles gesagt worden ist. Natürlich ist die land, die bundesweit aktionsfähig ist, ihre Basis. Aber NPD eine zutiefst widerliche, verfassungswidrige Partei. das darf nur ein Baustein im Kampf gegen Rechtsextre- Ich habe mich als wissenschaftlicher Mitarbeiter im mismus sein, Rahmen des damaligen Verbotsverfahrens drei Jahre (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: meines Lebens mit dieser Partei beschäftigen müssen. Sehr richtig!) Als ich nach Karlsruhe kam, hatte ich die Vorstellung von einer Partei, die rechtsradikal ist, sozusagen ein et- und es muss aus der Mitte der Gesellschaft kommen. Je- was härterer Flügel der Republikaner. Nachdem ich da- der muss, so gut er kann, seinen Beitrag für diese Demo- mals die Akten und Unterlagen gesehen habe, war mir kratie leisten, indem er Demokratie lebt und für sie ein- klar: Es handelt sich im Kern um eine in der Nachfolge steht. nationalsozialistischer Ideen stehende Partei, die darauf Das haben wir im Bundesrat mit beeindruckender Ge- aus ist – das sagt sie auch selbst –, das System Bundesre- schlossenheit getan. Wir sind dieser Verantwortung publik Deutschland dauerhaft zu beschädigen. Ich nachgekommen. Dies erwarten wir auch von der Bun- glaube, man kann in der Materialsammlung auf viele desregierung und dem Bundestag. Wir erwarten, dass Punkte verweisen, in denen dies deutlich wird. Insofern Sie dieses Verfahren aktiv unterstützen – nicht, damit es sind wir uns in dieser Beziehung einig. Ich glaube, da erfolgreich wird, sondern weil uns das die Demokratie sollten wir uns auch nicht auseinanderdividieren lassen. wert sein sollte. (Beifall im ganzen Hause) Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. Jetzt komme ich kurz zur zweiten Ebene, der juristi- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten schen Ebene. Ich glaube in der Tat, dass das Bundesver- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) fassungsgericht damals sehr hohe Hürden aufgestellt hat. Übrigens haben gerade Ihnen nahestehende Richter da- mals die Auffassung vertreten, dass man das Verfahren Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: nicht in der Sache prüfen sollte, sondern dass man einen Für die FDP-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege formalen Abschluss finden muss. Die Initiativen meines Dr. Stefan Ruppert. damaligen Vorgesetzten, weiterhin in der Sache genauer (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten zu schauen, waren nicht mehrheitsfähig, haben nicht das der CDU/CSU) notwendige Quorum erreicht. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27369

Dr. Stefan Ruppert (A) Ich will zum Hauptpunkt kommen, nämlich zur politi- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Ulla Jelpke (C) schen Auseinandersetzung. Da, finde ich, haben sich [DIE LINKE]: Sagt doch auch keiner!) Herr Jäger und Herr Oppermann ein wenig widerspro- Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall. Ich will das an chen. Sie fordern von uns eine Stellungnahme nach dem einem Bild deutlich machen: Wenn wir den Schmerz, Motto: „Seid ihr dafür, oder seid ihr dagegen?“, sind den uns diese Partei regelmäßig zufügt, dauerhaft spü- aber in der gleichen Sekunde ungeheuer stolz auf ihre ren, werden wir uns anders verhalten, als wenn wir den parteipolitische Geschlossenheit in dieser Frage und in- Eindruck haben, wir hätten dieses Problem durch ein sinuieren, wir müssten, wenn es darum geht, wie mit der Verbotsverfahren einer Teillösung zugeführt. Wir müs- NPD umzugehen ist, auf jeden Fall zum gleichen Ergeb- sen uns vor Augen halten – Herr Uhl hat gesagt, dass das nis kommen wie sie. für alle alten Demokratien, die sehr gefestigt sind, gilt –, Da sind mir die Grünen wesentlich sympathischer; dass wir unsere Demokratie nur verteidigen können, ich habe eben Herrn Wieland zugehört – ich vertrete wenn wir sie jeden Tag miteinander und in Gemeinsam- nicht seine Auffassung –, und ich weiß, dass nachher keit neu erringen. Das gelingt aber nicht durch symboli- Herr Beck noch etwas zu diesem Thema sagen wird. Bei sche Verbote. Das ist der Kerngedanke. Aus diesem den Grünen verspüre ich, offen gesagt, mehr von einem Grund bin ich strikt gegen ein NPD-Verbotsverfahren. Ringen – das ich auch in der CDU/CSU und in der FDP (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Swen verspüre –, die Diskussion wirklich politisch und in der Schulz [Spandau] [SPD]: Wo ist denn da Ihr Sache zu führen und sich die Frage zu stellen: Ist ein Ringen?) Parteienverbot, eine institutionelle Schwächung des – Auch in meiner Fraktion gibt es Leute, die das anders Rechtsextremismus, mehr als nur eine symbolische sehen. Wie gesagt, Sie feiern Ihre Geschlossenheit. Ich Handlung, und adressieren wir dieses Problem damit in finde aber, das ist bei dieser Frage keine Errungenschaft. der Sache richtig? Da bin ich sehr, sehr, sehr skeptisch. Vielmehr lohnt es sich, unterschiedlicher Meinung zu (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Thomas sein und sich mit anderen Auffassungen auseinanderzu- Oppermann [SPD]: Wenn alle nur mit sich sel- setzen. ber ringen, dann wird das nichts!) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie Warum? Ein Vorteil eines NPD-Verbots besteht in der bei Abgeordneten der LINKEN und des Tat darin, die staatliche Parteienfinanzierung zu kappen. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Swen Aber zu glauben – wie Sie es vortragen –, dass Vorfälle, Schulz [Spandau] [SPD]: Sie haben eine Hal- wenn in Städten im Osten wie im Westen Ausländer auf tung, und wir haben eine andere Haltung! Das ist doch okay!) (B) der Straße von Menschen mit rechtsradikalem Hinter- (D) grund angegriffen werden, durch ein NPD-Verbotsver- Sie werfen uns, der CSU und der CDU vor, dass sich fahren auch nur ansatzweise verhindert werden könnten, der eine so und der andere so äußert; das könnten Sie üb- ist doch irgendwo ein bisschen naiv. rigens auch den Grünen vorwerfen. Das empfinde ich (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten aber nicht als Vorwurf. Vielmehr bringt das ein ernsthaf- tes Ringen um eine Lösung zum Ausdruck. Der eine ge- der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- wichtet die einen Argumente etwas höher, und der an- NISSES 90/DIE GRÜNEN) dere gewichtet die anderen Argumente etwas höher. Ich Das ist eine Aufgabe von uns allen. glaube, wir tun gut daran, diese Debatte nicht zu be- schleunigen. Wir müssen sie sachgerecht und intensiv Vor einigen Monaten haben wir hier über den Antise- führen und dann zu einem Ergebnis kommen. Ich werbe mitismusbericht diskutiert. Es wäre doch ein Leichtes, dafür, eher die zivilgesellschaftlichen Ansätze im Kampf die richtigen Schritte einzuleiten, wenn man den Antise- gegen die NPD und den Rechtsradikalismus zu stärken, mitismus und ausländerfeindliche Parolen allein in die- statt auf ein Verbotsverfahren zu setzen. sem Milieu verorten könnte. Leider sitzt das Problem aber viel tiefer. Wir alle wissen, dass gewisse Haltungen Vielen Dank. in der gesamten Bevölkerung vorzufinden sind. Deswe- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – gen lautet mein Plädoyer, es nicht mit dem etatistisch-re- Sönke Rix [SPD]: Das können wir gerne ma- pressiven Ansatz zu versuchen, sondern den liberalen chen! Gar kein Problem! – Wolfgang Wieland Ansatz zu wählen und zu sagen: Es ist eine gesamtge- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist keine sellschaftliche Aufgabe – eine Aufgabe der Zivilgesell- Alternative, Herr Ruppert!) schaft, also von uns allen, auch von Vereinen und im Rahmen von Demonstrationen –, sich dem entgegenzu- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: stellen. Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt die Kollegin (Sönke Rix [SPD]: Das widerspricht sich doch Petra Pau. gar nicht!) (Beifall bei der LINKEN) Mit einem Verbot erweckt man zwar den Eindruck, als würde das Problem dadurch gelöst. In der Sache, was die Petra Pau (DIE LINKE): Überzeugungen der Menschen angeht, wird dadurch Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die aber kein einziges Problem gelöst. NPD ist eine faschistoide Partei. Mitglieder der NPD tre- 27370 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013

Petra Pau (A) ten Menschen und ihre Rechte im Wortsinne mit Füßen. Ich war als Linke immer eine politische Gegnerin von (C) Hass und Hetze prägen das politische Auftreten der Ex-Kanzler Helmut Kohl. Aber sein Zitat „Entscheidend NPD. Die Grundsätze des Grundgesetzes sind ihr zuwi- ist, was hinten rauskommt“ ist so weltfremd nicht. der. Dafür lässt sich die NPD vom Staat aushalten, und (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der der Staat tut es gesetzesgemäß auch auf vielfältige CDU/CSU: Hört! Hört!) Weise. Ich als Linke finde das unerträglich. Kurzum: Weil die Linke ein Verbot der NPD ernst (Beifall bei der LINKEN) nimmt, sind wir gegen fragwürdige Schnellschlüsse. Wir Ich weiß, und wir haben es hier heute gehört: Es gibt fordern einen radikalen Bruch mit der V-Leute-Praxis in allen Bundestagsparteien Bedenken, ob Parteiverbote des Staates, und wir warnen davor, das angestrebte NPD- grundsätzlich geboten und obendrein ein adäquates Mit- Verbot als Scheinlösung gegen die eigentlichen Heraus- tel gegen das gesellschaftliche Problem Rechtsextremis- forderungen des Rechtsextremismus zu missbrauchen. mus, Rassismus und Antisemitismus sind. Das verstehe Der Kern des Problems liegt ohnehin tiefer. Das ha- ich und sage: Sie sind auf keinen Fall ein hinreichendes ben Professor Heitmeyer und sein Team uns allen ins Mittel. Das sollten wir bei alledem nicht vergessen. Stammbuch geschrieben, jüngst auch Wissenschaftler im (Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung. Ihr sehr ähnliches bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Fazit lautet: Die aktuelle Politik, bei der Reiche immer BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) reicher und Arme immer hoffnungsloser werden, spielt Nazis in die Hände. Ich möchte wiederholen, was ich in ähnlichen Debat- ten hier schon angemahnt habe. Der Kampf gegen Lassen Sie mich noch eine allerletzte Bemerkung ma- Rechtsextremismus verträgt kein parteipolitisches Hick- chen. Immer wieder werden Bürgerinnen und Bürger, hack. Die Nazis kamen 1933 nicht an die Macht, weil die gegen Nazis demonstrieren, kriminalisiert. Wir erle- die NSDAP so stark war, sondern weil ihre Gegnerinnen ben das aktuell in Sachsen, aber nicht nur dort. und Gegner zerstritten waren. Auch diese historische Es war ergreifend, Inge Deutschkron am Mittwoch Lehre sollten wir beherzigen. hier im Deutschen Bundestag zuzuhören. Zugleich bleibt es mir aber unbegreiflich, dass ihre mahnende Botschaft (Beifall bei der LINKEN) gleichzeitig sabotiert wird. Nazis ist zu wehren – recht- Die Linke erwägt ernsthaft ein Verbot der NPD, und zeitig, gemeinsam und tatsächlich. das nicht erst seit jetzt. Meine Kollegin Ulla Jelpke und Danke. ich haben 2001 bis 2003 das damalige NPD-Verbotsver- (B) (D) fahren begleitet. Es ist gescheitert, und die NPD feierte (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem das als Sieg. Das war schlecht. Noch schlechter wäre es BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. allerdings, die Fehler von damals zu wiederholen. 2003 Dr. Stefan Ruppert [FDP]) wurde das Verfahren eingestellt, weil die Verfassungs- richter nicht mehr unterscheiden konnten, welche Be- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: weise gegen die NPD originär von der NPD und welche Für Bündnis 90/Die Grünen spricht nun der Kollege von V-Leuten des Staates stammten. Seitdem mahnen Volker Beck. wir: Wer an der V-Leute-Praxis festhält, garantiert der NPD das Parteienprivileg. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall bei der LINKEN) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eingangs will ich meine grundsätzliche Haltung zum NPD-Verbot Diese V-Leute-Kumpanei muss endlich beendet werden. darstellen, bevor ich zu den Problemen komme. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Ich denke, ein NPD-Verbot könnte zu einer vorüber- Damit bin ich bei Punkt eins meiner Skepsis. Die In- gehenden strukturellen Schwächung der rechtsextremis- nenminister der Länder haben über 1 000 Seiten Belas- tischen Szene führen. Deshalb bin ich dafür, einen tungsmaterial gegen die NPD zusammentragen lassen. Verbotsantrag zu stellen, wenn man ihn rechtlich für aus- Aber – auch das gehört zur Wahrheit – die Mehrheit die- sichtsreich hält. Daher ist für mich die Frage, ob man ei- ser Innenminister ist nicht bereit gewesen, mit ihrer Un- nen NPD-Verbotsantrag guten Gewissens unterstützt, terschrift zu testieren, dass dieses Material entgiftet ist, zuallererst eine rechtliche und keine politische Frage. also frei von V-Leute-Einflüssen. Sie trauen offenbar ih- Ich war beim ersten NPD-Verbotsverfahren dabei; ich ren eigenen Behörden nicht. Ich füge aktuell hinzu: saß im Gerichtssaal. Dieses Verbotsverfahren wurde ge- Nach dem, was wir in jeder NSU-Untersuchungsaus- führt, weil es einen Wettbewerb von zwei Innenminis- schusssitzung hören, ist Skepsis auch gegenüber eigenen tern dieser Republik um den Sheriffstern gab: zwischen Behörden angesagt. Herrn Beckstein und . Punkt zwei meiner Skepsis. Der Europäische Ge- (Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Ja! – Renate richtshof für Menschenrechte hat die Hürden für ein Par- Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer teienverbot mindestens so hoch wie das deutsche Grund- hat gewonnen? – Michael Hartmann [Wa- gesetz gesetzt, wenn nicht noch höher. ckernheim] [SPD]: Na ja!) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27371

Volker Beck (Köln) (A) Die Stümperei bei der Vorbereitung dieses Verbots- Bei Batasuna hat man gesagt: Verbieten, weil sie ein (C) antrags habe ich damals nicht für möglich gehalten. parlamentarischer Arm einer Terrororganisation ist. Bei der Refah Partisi hat man das kurz vor deren Wahlerfolg Ich habe nicht alle Erwägungen des Bundesverfas- und einer möglichen verfassungsändernden Mehrheit ge- sungsgerichts in seinem Urteil zur V-Mann-Problematik sagt, da Demokratie und Rechtsstaatlichkeit akut gefähr- geteilt. Ich finde, hier kann man aus guten Gründen der det waren. Das ist die ständige Rechtsprechung des geheimdienstlichen Praxis sagen: Man muss schon zwi- EGMR in sieben Fällen zum Parteienverbot. schen V-Leuten, verdeckten Ermittlern und Agents Pro- vocateurs unterscheiden. – Man kann aber nicht davon Deshalb meine ich: Prüfaufgabe für den Innenaus- absehen, dass dieses Urteil jetzt geltendes Recht ist. Des- schuss ist – das wollen Sie ja prüfen –: Mit welchen Be- halb ist das auch die erste Hürde. weisen kann man diese Hürden nehmen? – Dass man diese Hürden herunterredet, nützt uns vielleicht, um hier Nach den Auskünften, die ich von der Bundesregie- eine Mehrheit für einen Antrag zu erreichen. In Karls- rung zu dem vorliegenden Material bekommen habe, bin ruhe nützt uns das aber überhaupt nichts. Deshalb bin ich ich mir, ehrlich gesagt, noch nicht einmal sicher, ob wir hier in großer Sorge. diese erste Hürde zweifelsfrei nehmen würden. Das kann hier im Hohen Hause zumindest niemand beurteilen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sondern das können nur die Damen und Herren auf den und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Regierungsbänken, weil wir keine Kenntnisse darüber der CDU/CSU und der FDP) haben, was in der V-Mann-Praxis wirklich los ist. Wir sollten im Innenausschuss auch die Frage erör- Die Bundesregierung sagte mir, dass aus dem ur- tern, ob vielleicht die NPD mit einer Insolvenz nicht un- sprünglichen Bericht, der als geheim eingestuft wurde, serem Parteienverbotsantrag zuvorkommt. Der Partei viele Seiten entfernt worden sind. Dies führte zu dem geht es finanziell bitterschlecht, weil ihr die Leute da- Bericht, der uns jetzt in der Geheimschutzstelle vorliegt vonlaufen, weil sie den Bundestag betrogen hat und weil und mit „VS-NfD“ gestempelt wurde. Ich würde schon sie Geld zurückzahlen muss und keine solide Finanz- gerne genauer wissen: Von wann sind welche Quellen grundlage hat. Daher ist die Frage, ob das Verbotsverfah- herausgenommen worden? Warum waren sie zu diesem ren hier nicht wie eine künstliche Blutzufuhr für diese Zeitpunkt eingeschaltet? Wenn man sich die Rechtspre- marode Organisation wirken würde. chung des Bundesverfassungsgerichts anschaut: Dürfen Aber Verbotsverfahren hin oder her: Die eigentliche wir überhaupt Beweise über eine Zeit sammeln, in der Gefahr des Rechtsextremismus können wir damit nicht sich in der Organisation noch eingeschaltete V-Leute be- beseitigen. Die Demonstrationen in Dresden sind nicht (B) fanden? von der NPD organisiert, sondern von der Jungen Lands- (D) Der zweite Punkt ist materiell-rechtlicher Natur. Neh- mannschaft Ostdeutschland. Ich war vor drei Wochen in men wir die formalen Hürden, müssen wir uns fragen: Magdeburg. Dort war ein einziger NPD-Funktionär an Gilt die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Vorbereitung des Aufmarsches beteiligt, beim Verbot der Sozialistischen Reichspartei und der (Thomas Oppermann [SPD]: Die ducken sich KPD heute noch? Wenn das so wäre, hätte ich weniger zurzeit weg!) Sorge, dass man die Voraussetzungen für ein Verbot auch bei der NPD nachweisen kann. ansonsten waren das alles Mitglieder der Freien Kame- radschaften. Aber der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in ständiger Rechtsprechung verlangt, es müsse ein Die Amadeu-Antonio-Stiftung hat eine Karte zu die- „pressing social need“ für ein Verbot geben, weil das In- sem realen Problem gemacht, mit dem wir es jenseits der strument des Parteienverbots in der europäischen NPD zu tun haben. Jeder rote Kreis auf dieser Karte Rechtsgemeinschaft eigentlich ein Fremdkörper ist. Es steht für eine Freie Kameradschaft von Rechtsextremis- darf nur ausnahmsweise angewandt werden, nämlich ten in Deutschland. Diese Kameradschaften sind auch dann, wenn andernfalls die Demokratie und die Rechts- dann noch da, wenn die NPD verboten ist. Deshalb staatlichkeit eines Landes tatsächlich akut gefährdet wä- meine ich – da habe ich keinen Dissens zu Ihnen als Per- ren. son, Herr Ruppert, aber zu Ihrer Koalition –: Wir müssen uns intensiver um die Bekämpfung des Rechtsextremis- Das Bundesverfassungsgericht wird sich diese Fragen mus kümmern, egal wie wir uns in der Frage eines NPD- sicher schon selber stellen – das sagen auch viele Verfas- Verbotsverfahrens entscheiden. sungsrechtler –, weil es nicht riskieren will, dass ein Ur- teil aus Karlsruhe in Straßburg am Ende aufgehoben (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abge- wird. ordneten der CDU/CSU und der FDP) Über all das habe ich in dem Bericht der Bund-Län- Das heißt für mich: Weg mit der Extremismusklausel, der-Arbeitsgruppe, der 141 Seiten umfasst, nur relativ mit der den demokratischen Initiativen ein Knüppel zwi- wenig gefunden. Hierin setzt man sich eigentümlicher- schen die Beine geworfen wird! weise mit der Rechtsprechung zum Vereinsverbot aus- einander, weil man weiß, dass die Rechtsprechung zum (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Parteienverbot viel strenger ist. bei der SPD und der LINKEN) 27372 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013

Volker Beck (Köln) (A) Weg mit dem Zwang zur hälftigen Kofinanzierung bei Schröder und Edmund Stoiber beteiligt. Sie wollten un- (C) den Bundesprogrammen! Wir brauchen eine Versteti- bedingt ein Verbotsverfahren. Alle Bedenken dagegen gung des Programms für Demokratie, dessen Finanzie- wurden beiseitegewischt. Am Ende hat derselbe Regie- rung dieses Jahr ausläuft. Kommen Sie endlich von der rungssprecher erklärt, man sei voller Zuversicht, dass ein Projektförderung weg! Die Bekämpfung des Rechts- NPD-Verbotsverfahren in Karlsruhe erfolgreich endet. extremismus ist nicht innerhalb von drei Jahren mit ei- Die Argumentation war übrigens die gleiche wie bei Ih- nem Projekt zu erledigen. Das ist eine demokratische nen, Herr Oppermann: Es gebe überhaupt keinen Zwei- Daueraufgabe. fel. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Das Ergebnis ist bekannt. Während des Verfahrens SES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LIN- war die NPD handzahm. Nach dem Verfahren ist sie KEN) dreister als je zuvor aufgetreten und hatte am Ende über 7 000 Mitglieder. Seitdem befindet sich die Partei im Die Frage, wie wir damit umgehen, ist der Lackmustest Sinkflug. dafür, ob wir den Rechtsextremismus ernsthaft bekämp- Es gibt gute Argumente für ein Verbot: erstens das fen. Die Frage des NPD-Verbots bleibt eine juristische. Zerschlagen einer organisatorischen Basis, zweitens den (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Entzug der staatlichen Unterstützung. Natürlich stört es sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, dass sie in Form KEN) der Wahlkampfkostenerstattung – die Hürde liegt bei 1 Prozent bzw. 0,5 Prozent Stimmenanteil – mit ihren Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: hart erarbeiteten Steuergroschen eine verfassungsfeindli- che Partei jedenfalls teilweise mitfinanzieren müssen. Das Wort hat jetzt der Kollege Wolfgang Bosbach von der CDU/CSU-Fraktion. Ein Verbotsantrag ist natürlich auch ein Signal des Staates, dass er es mit der wehrhaften Demokratie wirk- (Beifall bei der CDU/CSU) lich ernst meint. Aber senden wir damit nicht gleichzei- tig ungewollt das Signal aus, dass wir es uns nicht zu- Wolfgang Bosbach (CDU/CSU): trauen, die NPD politisch und zivilgesellschaftlich so zu Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! bekämpfen, dass sie in unserem Land überhaupt keine Wer vor zwölf Jahren hier im Bundestag war, der wird Chance hat? Darauf muss der Schwerpunkt liegen. sich noch erinnern können: Die Debatte, die wir heute Ein Verbotsantrag ist eine klassische Aufgabe der Exe- führen, haben wir vor zwölf Jahren genau so geführt. kutive. Das ist auch der Grund dafür, warum es bei den Auch damals waren wir alle hin und her gerissen. ersten Parteiverboten überhaupt keinen Antrag des Par- (B) (D) Es gibt gute Argumente für ein Verbotsverfahren. Es laments gab. Es war immer die Bundesregierung, die als gibt auch beachtliche rechtliche, aber auch politische Ar- Antragsteller aufgetreten ist. Nur die Regierungen des gumente und Bedenken gegen ein Verbotsverfahren. Es Bundes und der Länder verfügen über die Informatio- gibt Linke, die für ein Verbot sind, und Konservative, die nen, die man haben muss, um beantworten zu können, dagegen sind. Es gibt Konservative, die dafür sind, und ob ein Verbotsantrag hinreichend Aussicht auf Erfolg hat Linke, die dagegen sind. Man kann die Haltung schwer oder nicht. Woher wollen denn die Kolleginnen und Kol- an Partei- oder Fraktionsgrenzen festmachen; das liegt in legen im Deutschen Bundestag wissen, welches Material der Natur der Sache. Jeder hier meint, die eigene Mei- quellenfrei ist? Woher wollen wir wissen, welches Mate- rial von V-Leuten stammt und welches nicht? Die Zahl nung sei die einzig richtige. Ich gebe zu: Das ist eine Be- der V-Mann-Führer im Bundestag ist sicherlich über- rufskrankheit von Politikern, von der auch ich gelegent- schaubar. Wir können das doch gar nicht wissen. Wir lich heimgesucht werde. müssen uns auf das verlassen, was uns die Behörden zu- (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, liefern. Sogar viele der zuständigen Landesinnenminis- der SPD und der LINKEN) ter sagen: Ich testiere das gar nicht. Ich selber unter- schreibe das nicht, weil ich es auch nicht weiß. – Denn Aber vielleicht ist es gut, den Streit auf das zu kon- auch die Innenminister sind keine V-Leute-Führer. Sie zentrieren, bei dem wir tatsächlich unterschiedlicher lassen es ihre Abteilungsleiter oder die Präsidenten ihrer Auffassung sind; denn in der Bewertung der NPD sind Ämter unterschreiben. Herr Jäger, dafür habe ich sogar wir uns doch alle einig. Ich könnte all das, was der Kol- Verständnis. Vielleicht würde ich es genauso machen. lege Oppermann zum Wesen und zum Charakter der Aber machen wir uns nichts vor: Wenn ein falsches NPD gesagt hat, vorbehaltlos unterschreiben. Daran gibt Zeugnis abgegeben wird, haben Sie als Minister den Är- es doch keinen Zweifel. Ich könnte das, was mein Innen- ger und nicht der Abteilungsleiter oder der Präsident. minister, der Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Wie gesagt, das ist eine klassische Aufgabe der Exeku- gesagt hat, ebenso unterschreiben. Auch daran gibt es tive. keinen Zweifel. Weil wir uns vor zwölf Jahren unsicher waren, sind Aber es gibt auch keinen Zweifel an dem, was wir wir mit drei Antragstellern in Karlsruhe angetreten. Wir 2000/2001 erlebt haben. Am 2. August 2000 verkündete haben geglaubt: Wenn es schon ein gewisses prozessua- Regierungssprecher Heye: Die rot-grüne Bundesregie- les Risiko gibt, dann wollen wir wenigstens mit mög- rung sieht keine Chance für ein erfolgreiches NPD-Ver- lichst vielen Antragstellern antreten. Möglicherweise botsverfahren. – Danach gab es eine Große Koalition. wird das Karlsruhe beeindrucken. – Das Ergebnis ist be- An der waren unter anderem Jürgen Trittin, Gerhard kannt. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27373

Wolfgang Bosbach (A) Zu den Risiken: Dass die NPD verfassungsfeindlich „Gefahr erkannt, Gefahr gebannt“ durch einen Antrag (C) ist, ist sonnenklar. Um das zu erkennen, muss ich oder ein Verbot wäre ein klassischer Kurzschluss. Vor keine 1 000 Seiten lesen und auch nicht auf Zeugnisse zwölf Jahren habe ich aus Begeisterung zugestimmt, von V-Leuten zurückgreifen. Es gibt genügend Zitate weil ich von der Richtigkeit überzeugt war; heute sehe aus der Führungsebene der NPD selber, in denen ganz ich das sehr skeptisch. Letztendlich muss sich jede ein- klar bekannt wird, dass unsere freiheitlich-demokrati- zelne Kollegin und jeder einzelne Kollege nach bestem sche Grundordnung abgelehnt wird. Aber das alleine ge- Wissen und Gewissen entscheiden, ob sie oder er für ei- nügt für ein Verbot nicht. Wir müssen aggressiv-kämpfe- nen Verbotsantrag ist oder dagegen. Der Antrag wird risches Verhalten nachweisen. Dafür genügen nicht kommen. Die Länder werden ihn auf jeden Fall stellen. Entgleisungen, Exzesse, Straftaten oder Gewalttaten ein- Die Bundesregierung muss in eigener Verantwortung zelner Mitglieder. In jedem einzelnen Fall muss der Staat entscheiden. nachweisen, dass die Straftat oder die Gewalttat der Par- Scheitern dürfen wir in Karlsruhe auf keinen Fall. Das tei als Organisation zugerechnet werden kann. Der Staat wäre ein gigantischer Propagandaerfolg für die NPD und muss beweisen, dass die NPD die Grenze vom Bekennen eine riesige Blamage für den Staat. Deswegen dürfen wir zum Bekämpfen überschreitet, dass sie nicht nur ein Be- den Antrag nur stellen, wenn wir uns hundertprozentig kenntnis gegen die freiheitliche demokratische Grund- sicher sind. ordnung ablegt, sondern unseren Staat auch aktiv be- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – kämpft. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das heißt, das Bundesverfassungsgericht wird in eine NEN]: Das gibt es nicht, 100 Prozent!) Beweisaufnahme eintreten müssen. Das Verfahren wird sich mit Sicherheit über anderthalb Jahre hinziehen. Je- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: den Tag wird die NPD in den Medien sein. Jeden Vor- Jetzt hat der Kollege Michael Hartmann von der SPD- mittag werden sich ihre Führungsmitglieder als Bieder- Fraktion das Wort. männer vor Gericht gerieren. Jeden Nachmittag werden sie bestreiten, dass sie irgendetwas mit Gewalt oder Ex- (Beifall bei der SPD) zessen einzelner Mitglieder zu tun haben. Es kommt üb- rigens auch prozessual nicht darauf an, wie es vor zehn Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD): oder zwölf Jahren in der NPD zuging, sondern darauf, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu- wie es sich heute verhält. Daher muss neben der rechtli- nächst möchte ich mich bei allen Vorrednern für die chen Würdigung – insofern hat Volker Beck recht – ge- wirklich sehr abwägende und differenzierte Debatte be- danken. Besonders der Beitrag von Wolfgang Bosbach, (B) fragt werden: Ist es wirklich politisch klug und im (D) wahrsten Sinne des Wortes notwendig? der mit seiner großen und langen parlamentarischen Er- fahrung noch einmal dargelegt hat, womit wir zu ringen Zum Abschalten der V-Leute: Frau Pau, ich bin nicht haben, war eindrucksvoll. der Auffassung, dass wir generell auf V-Leute verzichten können. Wir haben, Hans-Peter, neun oder zehn rechtsra- Dennoch will ich feststellen: Manches ist vonseiten dikale Organisationen in den letzten Jahren verboten, der Koalition nicht richtig ausgeführt worden. Erstens. übrigens erfolgreich und gerichtsfest. In vielen Fällen Wenn, lieber Wolfgang Bosbach, immer dieses Testat haben Erkenntnisse von V-Leuten dazu geführt, dass wir eingefordert wird, dann stelle ich fest: Das gibt es. Denn die Innenminister haben auf ihrer Konferenz klar und ausreichende Beweise hatten, um die Organisation ver- deutlich gesagt: Hiermit bescheinigen wir gemeinsam, bieten zu lassen. Wir sagen, dass wir zur Beobachtung dass dieses Material nicht kontaminiert ist. – Also, bitte der NPD dringend auf den Einsatz von V-Leuten ange- nicht diese Propaganda weiter verbreiten! wiesen sind, haben die V-Leute aber schon seit neun Mo- naten abgeschaltet, sodass wir bei einem anderthalb oder (Beifall bei der SPD) zwei Jahre dauernden Verfahren insgesamt rund zwei- Zweitens. Natürlich ist es so, wie Wolfgang Bosbach einhalb Jahre auf den Einsatz von V-Leuten verzichten ausgeführt hat. Wir müssen uns in dieser Frage in vielen müssten. Es ist problematisch, wenn wir einerseits sa- Punkten auf das verlassen, was die Apparate, die Sicher- gen, dass wir auf den Einsatz von V-Leuten dringend an- heitsbehörden und die Ministerien uns sagen. Wohl gewiesen sind, und andererseits auf ihren Einsatz offen- wahr. Aber dafür haben wir eine parlamentarische De- bar zwei oder zweieinhalb Jahre problemlos verzichten mokratie und eine parlamentarische Kontrolle. In fast al- können. len Fragen, über die wir hier zu beraten und zu entschei- Herr Jäger, ich habe für Ihre Haltung durchaus Ver- den haben, müssen wir Regierungswissen heranziehen, ständnis. Es gibt gute Argumente dafür. Aber selbst das wir dann aber als frei gewählte Abgeordnete zu be- wenn Sie Erfolg haben: Die Baseballschläger sind im- werten haben. Genau das ist unsere Aufgabe, nicht al- mer noch da, die Springerstiefel sind immer noch da. Sie leine eine rechtliche Bewertung. können eine Partei verbieten, eine Organisationsform, (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Wolfgang aber nicht den Rechtsextremismus und die Gewaltbereit- Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) schaft in den Köpfen der Mitglieder. Das Bemerkenswerte ist – ebenfalls eindrucksvoll ( [CDU/CSU]: Genau das ist von dem heutigen Vorsitzenden des Innenausschusses es!) dargestellt –, dass damals, zu rot-grüner Zeit – der Ver- 27374 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013

Michael Hartmann (Wackernheim) (A) botsantrag wurde von allen Fraktionen getragen außer Dies wurde am 22. November 2011 beschlossen. Wir (C) der FDP –, einmal die Aussage und einmal jene Aussage fordern die Umsetzung des damaligen Beschlusses, nicht getroffen wurde, die Positionen innerhalb der Regierung mehr und nicht weniger. unterschiedlich waren. Heute sind wir in der Situation, (Beifall bei der SPD) dass der Bundesinnenminister selbst einmal diese und einmal jene Position vorträgt. Sie können mit einem Damit sind wir alle am Portepee, an der eigenen Ehre ge- Blick in die einschlägigen Medienerzeugnisse feststel- fasst. len, dass es soundso viele Zitate für ein NPD-Verbots- Wir sind nicht naiv. Natürlich wissen wir um die Risi- verfahren vom Bundesinnenminister gibt und soundso ken. Dazu sage ich sehr deutlich: Es wäre doch schreck- viele Zitate dagegen. Er ist immer ein bisschen bedenk- lich, wenn Parteiverbote in unserer Welt leicht möglich lich und abwägend. Die heutige Debatte spricht Bände. wären. Nein, hohe Hürden müssen aufgebaut sein – in Die Bundesregierung ergreift noch nicht einmal das Karlsruhe und auch beim Europäischen Gerichtshof für Wort, um uns zu sagen, wo sie steht und welche Position Menschenrechte. Wir kommen zu dem Ergebnis, dass sie hat. Das geht nicht, meine Damen und Herren. diese Hürden überwindbar sind, und zwar zum einen (Beifall bei der SPD) deshalb, weil das Verbotsverfahren jetzt besser und gründlicher vorbereitet ist als damals, und zum anderen, Deshalb ist es gut, dass wir als SPD diesen Antrag weil – es wird ja immer dieser Popanz des Europäischen eingebracht haben, und zwar alleine deshalb, weil da- Gerichtshofs für Menschenrechte angeführt – wir sehr durch in die gesamte Diskussion Bewegung kommt. Wie genau wissen, dass dort über Parteien in der Türkei und lange haben sich die Bundesländer und die Innenminis- über einen Terroristenableger in Spanien geurteilt terkonferenz mit dem Abwägen von Pro und Kontra ei- wurde. Es wurde aber nie über eine deutsche Partei geur- nes NPD-Verbotsverfahrens befasst? Und nichts ist auf teilt, die, anknüpfend an das Gedankengut der National- unserer Ebene geschehen. Nun liegt etwas vor. Der Bun- sozialisten, aggressiv, kämpferisch, ausländerfeindlich desinnenminister, der ständiger Gast der Innenminister- und demokratiefeindlich agiert. Bitte, verwechseln Sie konferenz ist, hat immer, auch hinter den Kulissen, mit deshalb nicht jene Urteile mit dem, was jetzt zu entschei- seinen guten Fachleuten qualifiziert das mit beraten, was den ist. jetzt vorgelegt worden ist. Wieso kann die Bundesregie- (Beifall bei der SPD) rung vor diesem Hintergrund bis zum heutigen Tag nicht hü oder hott sagen? Das ist unverständlich, nicht nach- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: vollziehbar und wird übrigens mit Häme von denen Herr Kollege Hartmann, erlauben Sie eine Zwischen- (B) (D) wahrgenommen, die wir hier gemeinsam bekämpfen frage des Kollegen Kurth? wollen. Deshalb fordere ich die Bundesregierung auf, einmal schnell zu sagen und nicht mit dem Instrument Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD): der langen Bank zu arbeiten: Wo stehen Sie? Sind Sie Aber immer. dafür? Sind Sie dagegen? Beides ist respektabel, aber diese Haltungslosigkeit ist es nicht, Herr Innenminister. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (Beifall bei der SPD) Bitte schön, Herr Kurth. Ohne Frage ist in unserer Abwägung nicht nur zu be- denken: Wie stehen wir in Karlsruhe da? Wie wird dies Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP): in der Diskussion und in der Debatte nach außen wahr- Herr Hartmann, ich wollte mich eigentlich nicht mel- genommen? Nein, es gibt noch einen ganz anderen den. Punkt: Wir haben diese schreckliche, gemeine, perfide NSU-Mordserie. Wir haben jetzt einen Untersuchungs- Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD): ausschuss, der hervorragend arbeitet. Wir haben übri- Jetzt ist es passiert. gens auch eine Bund-Länder-Kommission zu diesem Thema, die hervorragend arbeitet. Aber unter dem Ein- Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP): druck der Ereignisse hat der Deutsche Bundestag, das Aber Ihren Einlassungen muss widersprochen wer- deutsche Parlament, dieses Hohe Haus, etwas Besonde- den. Die SPD tut so, als hätte sie in dieser Frage eine res hervorgebracht, nämlich eine gemeinsame Entschlie- klare Auffassung, und greift die Bundesregierung in er- ßung, getragen von allen Fraktionen des Hauses. Darin heblichem Maße an. heißt es sehr deutlich – ich erinnere an unseren gemein- samen Beschluss –: Sie sind in Thüringen in der Landesregierung. Ich lese heute in der Thüringer Allgemeinen die Überschrift: „Initia- Rechtsextreme, Rassisten und verfassungsfeindli- tive gegen rechte Gewalt: Wer gegen wen in der SPD?“ – che Parteien haben in unserem demokratischen Unterüberschrift: „Wirtschaftsminister Machnig gab För- Deutschland keinen Platz. Deshalb fordert der dermittel an einen Verein, hinter dem die eigene Partei- Deutsche Bundestag die Bundesregierung auf, zu jugend steht.“ In dem Artikel steht, dass der Wirtschafts- prüfen, ob sich aus den Ermittlungsergebnissen minister 384 000 Euro übergeben hat und dass er dazu Konsequenzen für ein NPD-Verbot ergeben. nicht die eigentlich dafür zuständige SPD-Ministerin für Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27375

Patrick Kurth (Kyffhäuser) (A) Gesundheit und Familie oder den Kultusminister, eben- stand gegen die Nazis einen hohen Blutzoll gezahlt. Des- (C) falls SPD, eingeladen hat. Aus der SPD heiße es dazu: halb werden wir überall zu jeder Zeit mit allen Mitteln gegen diese braune Brut kämpfen, meine Damen und Hier Herren. – also in diesem Verein, der unterstützt wird – (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Gesine werden junge Genossen mit Jobs versorgt. … Da Lötzsch [DIE LINKE]) kann man dann Gefolgschaft einfordern, wenn im kommenden Jahr über die Spitzenkandidatur für die Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Thüringer Landtagswahl 2014 entschieden wird. Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Patrick Sensburg (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- von der CDU/CSU-Fraktion. NEN]: Was hat das mit dem Thema zu tun? – (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- neten der FDP) NEN]: Das ist voll peinlich!) Glauben Sie, dass Sie mit einem solchen Kasperlethe- Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): ater wie in Thüringen tatsächlich einen Beitrag gegen Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen Rechtsextremismus in diesem Land leisten, Herr und Kollegen! Lieber Kollege Hartmann, Sie haben am Hartmann? Anfang Ihrer Rede die Einmütigkeit und die gute De- batte gelobt, und dann waren es gerade Sie, der polari- Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD): siert hat zwischen Bundesrat, Bundestag und Bundes- Herzlichen Dank für Ihr Statement. Ich möchte jetzt regierung. in der Debatte fortfahren. (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Tut mir leid!) der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Das war nicht nötig. Aber den Inhalt Ihrer Rede habe ich GRÜNEN) gut nachvollzogen, und er war nach meiner Meinung Meine Damen und Herren, wir wissen, dass ein Ver- grundsätzlich richtig. botsantrag nicht risikofrei ist. Aber wie riskant ist es ei- Mir selber fällt es aber nicht so leicht wie Ihnen, mich gentlich, die NPD unbeschadet weiter agieren zu lassen? zu entscheiden, ohne die Debatte bis zum Ende zu ver- Wir sagen sehr deutlich, dass die NPD ein Teil einer ins- folgen und ohne Kenntnis der Inhalte und der Informa- (B) gesamt widerlichen Gesamtbewegung ist. Wir wollen, (D) dass mit den Mitteln des Rechtsstaats, mit den Mitteln tionen der Landesinnenminister und des Bundesinnen- der wehrhaften Demokratie der legale Arm dieser insge- ministers. samt widerlichen Gesamtbewegung lahmgelegt wird. Ich persönlich habe große Sympathie für den Antrag Damit ist nicht das rechte Denken weg. Damit sind die auf ein Verbot der NPD. Das hat verschiedene Gründe. Gesinnungen nicht verschwunden. Aber eines ist klar: Zum einen bin ich der festen Überzeugung, dass ein Dann ist es nicht mehr möglich, dass diese Schurken, Staat ein klares Zeichen setzen muss bei dieser unsägli- mit dem Parteienprivileg versehen, Bustouren durch chen, untolerierbaren Ideologie, die aus den Zitaten un- Deutschland machen oder in Landtagsfraktionen als so- ter anderem vom Kollegen Oppermann, aber auch vom genannte wissenschaftliche Mitarbeiter die Bindeglieder Kollegen Wieland deutlich geworden ist. Ein Staat, der zu den Kameradschaften herstellen. Auch darum geht es die Möglichkeit hat, die uns Art. 21 Abs. 2 Grundgesetz bei der gesamten Debatte, meine sehr geehrten Damen gibt, muss an einem Punkt, wo das Maß überschritten ist, und Herren. diese Möglichkeit auch nutzen. Dafür haben wir sie im (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Grundgesetz. Diese Möglichkeit können wir auch nut- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) zen. Wenn die NPD verboten wird, dann ist klar, dass da- Ich glaube, dass es nicht nur ein Zeichen für einen mit die Werte unserer Demokratie hochgehalten werden. starken Staat ist, für eine gefestigte Demokratie; ich Wir wollen die NPD verbieten, um null Toleranz gegen glaube auch, dass es international ein Zeichen ist, dass jene Denke auszusprechen, die bis weit in die Mitte der wir mit so einem Gedankengut entschlossen umgehen Gesellschaft verbreitet ist. Da jetzt mehrfach gefragt können, wie gesagt, wenn eine Schwelle überschritten wurde, warum die SPD bei dieser Sache so notorisch ist, ist. will ich Ihnen das gern erklären. Dass es kaum erklärbar ist, sowohl den Bürgerinnen Wir haben der sogenannten Machtergreifung gedacht. und Bürgern unseres Landes als auch den Menschen au- Wir müssen auch des sogenannten Ermächtigungsgeset- ßerhalb der Bundesrepublik, dass wir einer Partei mit so zes gedenken. Damals hat nach dem Brand des Reichsta- einem Gedankengut auch noch mit staatlicher Parteien- ges der Fraktionsvorsitzende der SPD, Otto Wels, in ei- finanzierung entgegenkommen, versteht sich, glaube ner mutigen Rede die Aussage getroffen, dass man ich, unter uns von selber. Ich habe daher größte Sympa- wehrlos, aber nicht ehrlos ist, dass man in der Lage ist, thie für ein Verbot dieser Partei, die aus meiner Sicht un- diese Kämpfe zu überstehen. Meine Partei hat im Wider- säglich für unser Land ist. 27376 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013

Dr. Patrick Sensburg (A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- zelnen Punkten zu äußern. Das wird die NPD doch in- (C) neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE tensiv nutzen: sich zu äußern, wie es eben gesagt worden GRÜNEN) ist, sich als saubere Partei darzustellen. Dann werden sie die Leute nach vorne schicken, die nicht das Gedanken- Ich habe im Umkehrschluss nach dem Verfahren, das gut repräsentieren, sondern als Saubermänner dastehen. 2001 begonnen hat und 2003 zu einem nicht günstigen Dann wird die Frage aufkommen, ob kein rechtsstaatli- Abschluss gekommen ist, aber auch Sorgen, nämlich ches Verfahrensverbot existiert, so wie es auch 2003 dass wir, so wie es der Kollege Uhl sagte, der NPD ein vom Bundesverfassungsgericht geprüft worden ist. In Forum liefern, dass wir, so wie es der Kollege Bosbach diesem Zusammenhang macht mir Sorge, dass die Mess- sagte, in der Diskussion medial, im Fernsehen, im Radio, latte zu hoch gelegt wird und ob es ausreicht, mit dem aber auch in den Printmedien, die NPD immer wieder er- Material, das die Minister gesammelt haben, diese Hürde leben werden, hören werden, und das in einer Zeit, in der zu nehmen. bundesweit – Frau Jelpke, ich gebe Ihnen ausnahms- weise recht; das habe ich hier noch nie gemacht; das Der Kollege Beck hat gesagt – ich möchte es noch wird hoffentlich auch nicht mehr vorkommen; aber an einmal betonen –: Wir sollten ganz intensiv darauf ach- dem Punkt haben Sie recht; in manchen Regionen ist es ten, dass wir verdeckte Ermittler und V-Personen nicht anders – die NPD derzeit zum Glück nicht in den Me- durcheinanderwerfen. Ich würde mir wünschen, dass wir dien ist. Sie ist nicht präsent. Sie liegt unter 1 Prozent. hier in der Terminologie ganz klar und deutlich sind. Ich würde mir wünschen, dass sie noch weiter herunter- Denn es geht nicht um verdeckte Ermittler, sondern es geht, auf 0 Prozent. Ich sehe eine große Gefahr in diesem geht um V-Personen, um Mitglieder, die regelmäßig In- Verfahren, nämlich dass die NPD für die Menschen wie- formationen geben, und nicht um Personen, die auch nur der präsent wird. irgendwie beim Verfassungsschutz beschäftigt sind. Dass Informationen gewonnen werden, ist richtig. Von Dass die NPD so aus der demokratischen Diskussion daher hoffe ich, dass dies auch vom Bundesverfassungs- herausgefallen ist, ist übrigens nicht allein das Verdienst gericht in dem Verfahren, das der Bundesrat auf jeden der Parteien und unser Verdienst, sondern es ist nach Fall anstrengt, berücksichtigt wird und dass dort nicht meiner Meinung das Verdienst der Bürgerinnen und Bür- ein falscher Zungenschlag hineinkommt. Das könnte un- ger, ser Verfahren gefährden. (Michaela Noll [CDU/CSU]: Richtig!) Bei der Begründetheit kommt es, wie der Kollege die viele friedliche Demonstrationen – ohne Gewalt! – Bosbach ausgeführt hat, darauf an, dass die freiheitlich- veranstaltet und gezeigt haben: Für so eine Partei besteht demokratische Grundordnung durch verfassungswidri- ges Verhalten gefährdet wird; es darf nicht nur eine Stö- (B) in unserem Staat keine Grundlage. – Deswegen müssen (D) wir ihnen danken. rung oder etwas, was wir als unerträglich erachten, vor- liegen, sondern es muss durch aggressiv-kämpferisches (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN Vorgehen gegen diese Ordnung angekämpft werden. Das und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) müssen wir in den Einzelfällen ganz klar beweisen. Weiterhin halte ich es für unglücklich, dass wir paral- Dass eine Mehrheit der Bevölkerung möchte, dass die lel zum Untersuchungsausschuss NSU über dieses Ver- NPD verboten wird, ist richtig. Es ist gut. Es reicht aber botsverfahren diskutieren. Das ist kein guter Zeitpunkt, – Herr Jäger, Sie hatten es angesprochen – fachlich nicht außer man meint, NPD verbieten, Verfassungsschutz ab- aus. Ich hoffe, dass wir über diesen gefühlten Wunsch schaffen seien eine Parallelität, die Sinn mache. Ich sehe hinaus fachliche Expertise haben, um den Verbotsantrag das nicht. Gerade ein Verbot dieser Partei würde doch er- weiter unterfüttern zu können. fordern, dass wir das, was dann vielleicht in den Unter- grund rutschen würde, auch weiterhin mithilfe der Ver- Wir haben eine große Chance, wenn wir eine sorgfäl- fassungsschutzämter überwachen und überprüfen. Von tige Prüfung vornehmen, die NPD aus dem Parteien- daher: Diese Parallelität jetzt zu erzeugen, ist möglicher- spektrum herauszubekommen. Aber bevor wir die weise nicht günstig. Kenntnisse, Daten und Informationen nicht hinreichend geprüft haben und solange wir eine unklare Aktenlage Zum Zweiten. Dieses Verfahren vor einer Bundes- haben, sollten wir den Gang vor das Verfassungsgericht tagswahl zu führen, was auch wieder dazu führen kann, nicht anstreben. Erst nach sorgfältiger Prüfung und bei dass die NPD mit medialem Rückenwind Stimmen ein- klarer Aktenlage ist es möglich, einen Verbotsantrag zu fängt, macht mir ebenfalls große Sorgen. Angesichts stellen. Sehr geehrter Herr Innenminister Jäger, Sie tra- dessen, dass ein Antrag möglicherweise auch an rechtli- gen hier eine hohe Verantwortung für ein Verfahren, das chen Fragestellungen zu scheitern droht, muss man über- Sie anstrengen und das wir nicht verlieren dürfen. legen: Ist das jetzt wirklich der richtige Zeitpunkt, ein Verbotsverfahren einzuleiten? Ich frage auch die Kollegen Oppermann und Hartmann: Wie können Sie als Abgeordnete so sicher Wir befinden uns zum Glück noch in einer Phase der sein, dass uns dieses Verfahren gelingen wird? Haben Vorbereitung der Verbotsanträge. Ich kann nur raten, hier Sie Informationen, die den anderen Abgeordneten nicht eine sehr intensive Prüfung der Voraussetzungen anzu- zugänglich sind? Ich hoffe nur, dass die Informationen stellen. Voraussetzung auf der Ebene der Zulässigkeit ist tragfähig sind; denn auch Sie tragen, wenn Sie so argu- nämlich die Durchführung eines Vorverfahrens, in dem mentieren, eine hohe Verantwortung, dass uns das ge- die Antragsgegner die Chance erhalten, sich zu den ein- lingt. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27377

Dr. Patrick Sensburg (A) Wenn uns – das ist mein letzter Satz, Herr Präsident – lichen Argumente – wie könnte es anders sein! – bereits (C) dieses Verfahren nicht gelingt, dann adeln wir diese vorgetragen worden sind. schreckliche Partei durch einen Ausspruch des Bundes- (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: verfassungsgerichts. Das wäre das Schlimmste, was uns Dir fällt noch was ein!) passieren könnte. Wir müssen uns dezidiert informieren, und dann muss jeder Abgeordnete überlegen, wie er mit – Lieber Michael, auch du hattest mit deinen Äußerun- seiner Entscheidung umgeht. Wichtig ist, dass es uns ge- gen größtenteils recht. In den nächsten Wochen und Mo- naten wird es um die Frage gehen, ob die daraus gezoge- lingt, in der politischen Auseinandersetzung zu errei- nen Schlussfolgerungen richtig sind. – Es ist für uns alle chen, dass die NPD keine politische Option in unserem völlig unerträglich, dass gerade in unserem Land Men- Land ist. schen aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer Herkunft oder Danke schön. sonstiger, anderer Merkmale diffamiert werden. Es ist unerträglich, dass die NPD als Partei über Privilegien (Beifall bei der CDU/CSU) verfügt und diese in einer Art und Weise nutzt, die im Grunde genommen von uns allen als ein Makel für die- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: ses Land wahrgenommen wird. Insofern hat der Kollege Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt Sensburg recht, dass die Frage, wie wir mit dieser Sache erteile ich dem Kollegen Helmut Brandt von der CDU/ umgehen, durchaus eine internationale Komponente hat. CSU-Fraktion das Wort. Natürlich ist es richtig, dass die Aufdeckung der Mordserie der Zwickauer Terrorzelle, des sogenannten (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Nationalsozialistischen Untergrunds, erneut die Diskus- sion über die Frage befördert hat: Ist diese Partei, die Helmut Brandt (CDU/CSU): NPD, zu verbieten oder nicht? Insofern habe ich hohen Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Respekt davor, dass der Bundesrat mit 15 von 16 Län- Kollegen! Verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Herr Jä- dern einen solchen Verbotsantrag beschlossen hat. Aber ger, zunächst ein paar Bemerkungen zu Ihrer Rede. Ich das sagt überhaupt nichts darüber aus, wie die Erfolgs- habe es als anmaßend empfunden, dass Sie Ihre Ausfüh- aussichten zu bewerten sind. In Karlsruhe zählt am Ende rungen mit dem Hinweis begonnen haben, dass es nicht der entschlossene politische Wille, sondern aus- höchste Zeit ist, dass sich das Hohe Haus mit der NPD schließlich das verfassungsmäßige juristische Argument. beschäftigt. Wir alle wissen – dies war zum Glück in allen Reden hier die einheitliche Meinung –, dass man nicht darüber (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Aber das diskutieren muss, ob die NPD eine verfassungsfeindli- (D) (B) stimmt doch! – Michael Hartmann [Wackern- che Partei ist. Natürlich ist sie das. Ich will hier nur ein heim] [SPD]: Wo er recht hat, hat er recht!) Zitat von Holger Apfel, dem NPD-Parteichef, bringen, Wir haben uns hier in den letzten Jahren regelmäßig und der über das demokratische System gesagt hat: „Das kontinuierlich mit Fragen der Bekämpfung des Rechts- System hat keine Fehler, das System ist der Fehler.“ Das extremismus beschäftigt. Ich erinnere an die Ausführun- drückt im Grunde genommen genau das aus, was diese Menschen im Kopf haben. gen von Michael Hartmann, der zu Recht darauf hinge- wiesen hat, dass wir hier erst vor kurzer Zeit eine Trotz alledem stehe ich wie viele Juristen, darunter entsprechende gemeinsame Erklärung beschlossen ha- auch einige ehemalige Richter am Bundesverfassungs- ben. gericht, und viele Politiker, und zwar fraktionsübergrei- fend, einem erneuten Gang nach Karlsruhe äußerst skep- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) tisch gegenüber. Ich will deutlich machen, worin die Ich muss auch Ihren Vorwurf zurückweisen, dass sich Probleme liegen. Wenn der Nachweis der Verfassungs- widrigkeit und der Nachweis, dass die Partei als Ganzes die Bundesregierung und auch dieses Hohe Haus bei der auf die gewaltsame Aufhebung der freiheitlichen demo- Prüfung, ob wir dem Antrag des Bundesrates folgen, kratischen Grundordnung gerichtet ist, gelingt, dann zauderhaft verhalten. Zauderhaftes Verhalten ist hier könnte das Bundesverfassungsgericht die NPD verbie- nicht zu erkennen, vielmehr das Bemühen – darum wird ten; das Verbot müsste aber der Verhältnismäßigkeits- in der Debatte insgesamt gerungen –, zu prüfen und fest- prüfung standhalten, die vom Europäischen Gerichtshof zustellen, ob die vom Bundesrat beschlossene Anrufung für Menschenrechte gefordert wird. Selbst bei einem des Bundesverfassungsgerichtes tatsächlich trägt. Verbot, selbst wenn die Entscheidung für die Antragstel- ler positiv ausfallen sollte, könnte diese Partei, die NPD, Ein Drittes ist mir bei Ihren Ausführungen aufgefal- das Verfahren perpetuieren – es ist eben schon darge- len. Sie haben zugegeben, dass bei all dem, was Sie hier stellt worden, dass wir allein vor dem Bundesverfas- initiieren, ein parteipolitisches Kalkül im Raume steht. sungsgericht mit einem Verfahren mit einer Dauer von Ich muss sagen: Genau das Gegenteil davon ist in dieser einem oder eineinhalb Jahren rechnen müssen –, indem Frage anzustreben. sie den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. anruft. Angesichts dieser langen Dauer muss ich Ihnen Holger Krestel [FDP]) ganz ehrlich sagen: Es ekelt mich schon heute an, wenn ich mir vorstelle, dass diese Leute in den Medien jeden Meine sehr verehrten Damen und Herren, als letzter Tag eine Stellung einnehmen, die sie weiß Gott nicht Redner hat man natürlich das Problem, dass die wesent- verdient haben. Zu Recht ist auch darauf hingewiesen 27378 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013

Helmut Brandt (A) worden, dass die NPD in Deutschland eigentlich gar Überweisungsvorschlag: (C) keine Rolle mehr spielt: Nordrhein-Westfalen, Herr Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f) Auswärtiger Ausschuss Jäger, 0,5 Prozent, Niedersachsen 0,8 Prozent, Innenausschuss ( [SPD]: Mecklenburg-Vor- Rechtsausschuss pommern und Sachsen!) Ausschuss für Tourismus b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Josip Mitgliederzahl abnehmend. Damit ist nach meiner Auf- Juratovic, Dietmar Nietan, Axel Schäfer (Bo- fassung auch die Frage erlaubt: Kann eine solche Partei, chum), weiterer Abgeordneter und der Fraktion die bei Wahlen im Wesentlichen keine Erfolge erzielt der SPD – auf die örtlichen Gegebenheiten will ich nicht näher eingehen; das ist natürlich zu sehen –, eine Gefahr für EU-Beitritt der Republik Kroatien zum Erfolg unser demokratisches Gemeinwesen sein? Das ist doch führen die essenzielle Frage, um die es tatsächlich geht. – Drucksache 17/12182 – Im Übrigen hat sich die Szene auch schon gewandelt. Überweisungsvorschlag: Nicht Parteien wie die NPD, sondern straff organisierte Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f) Kameradschaften wie die im vergangenen Jahr in Nord- Auswärtiger Ausschuss rhein-Westfalen verbotene Kameradschaft Aachener Innenausschuss Land und lockere, aktionsorientierte Zusammenschlüsse Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie von häufig gewaltbereiten Neonazis gewinnen zuneh- Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und mend an Einfluss. Das macht die Gefahr durch den Verbraucherschutz Rechtsextremismus doch eigentlich aus. Allein die Ausschuss für Arbeit und Soziales Gründung der Partei Die Rechte, meine Damen und Her- Ausschuss für Tourismus ren von den Linken, zeigt doch, dass man sich offen- Haushaltsausschuss sichtlich in dieser Szene auf den Fall vorbereitet, dass Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die die NPD verboten werden sollte. Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Wi- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- derspruch dagegen? - Das ist offenkundig nicht der Fall. NEN]: Ach was!) Dann ist das so beschlossen. Eine Auseinandersetzung mit dem rechten Gedanken- Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- gut – das ist zu Recht von fast allen Rednern gesagt wor- ner das Wort dem Staatsminister Michael Link. den – bleibt eine dauerhafte Aufgabe. Dieser Aufgabe (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) müssen wir uns alle stellen. (B) (D) Vor dem Hintergrund der heutigen Ausführungen, der Michael Link, Staatsminister im Auswärtigen Amt: sehr unsicheren Erfolgschancen eines Verbotsverfahrens Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Ende und der Gefahr, dass die NPD die damit verbundene me- 2011 haben die Vertreter der Mitgliedstaaten der EU so- diale Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit für sich nut- wie der Republik Kroatien den Vertrag über den Beitritt zen wird, plädiere jedenfalls ich für einen ausschließlich Kroatiens zur EU unterzeichnet. Wenn alle Mitgliedstaa- sachlichen Umgang mit der Frage nach einem Verbot. ten den Vertrag ratifiziert haben werden, wird damit zum Wir sollten und dürfen uns nicht allein von dem Wunsch zweiten Mal ein Staat des ehemaligen Jugoslawiens Mit- leiten lassen, diesen NPD-Verbotsantrag zu stellen. Wir glied der Europäischen Union. Das ist eine einmalige Er- sollten diese Frage im Innenausschuss nach Vorlage der folgsgeschichte. Noch vor 22 Jahren und einige Jahre Stellungnahme der Bundesregierung diskutieren und danach erlebte Europa einen blutigen Bürgerkrieg, Ver- dann zu einem Vorschlag kommen. treibungen, ethnische Säuberungen, massive Menschen- Besten Dank. rechtsverletzungen – Bilder, die zuvor niemand mehr in Europa für möglich gehalten hätte. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vielleicht geht es Ihnen ähnlich wie mir. Ich kann mich gut daran erinnern, als im April, Mai, Juni 1991 die Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: großen Bürgerkriegsauseinandersetzungen in Kroatien Ich schließe die Aussprache. begannen. Die Zerstörungen in Vukovar habe ich noch Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf vor Augen; wir haben das damals im Fernsehen verfolgt. Drucksache 17/12168 an die in der Tagesordnung aufge- Das waren Dinge, die uns nicht losgelassen haben und führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- die man sich heute auf dem europäischen Kontinent verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung glücklicherweise nicht mehr vorstellen kann. Deshalb ist so beschlossen. es wichtig, sich daran zu erinnern, dass das Ganze ge- rade einmal 22 Jahre her ist. In anderen Teilen des ehe- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 37 a und 37 b auf: maligen Jugoslawiens ist der Zeitraum noch viel kürzer. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Liebe Kolleginnen und Kollegen, große und ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ver- schneidende Umbrüche in Südosteuropa sind seither ge- trag vom 9. Dezember 2011 über den Beitritt folgt. Eine erhebliche wirtschaftliche, politische und der Republik Kroatien zur Europäischen Union soziale Destabilisierung forderte die jungen Nachfolge- – Drucksache 17/11872 – staaten Jugoslawiens heraus. Gleichzeitig war klar, dass Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27379

Staatsminister Michael Link (A) die Europäische Union mit einer Beitrittsperspektive die Jetzt ist es andersherum. Seit einigen Jahren ist es so, (C) Stabilität dieser jungen Staaten unterstützen müsste und dass wir einen Wechsel in der Verhandlungslinie haben. ihnen eine Perspektive geben sollte. Als man zum ersten Jetzt ist es so – das machen wir mit Montenegro zum Mal über eine Beitrittsperspektive sprach, war dies aller- ersten Mal –, dass wir die Verhandlungen ganz gezielt dings sehr umstritten. Hans-Dietrich Genscher und mit den schwierigen Kapiteln, bei denen es um Fragen Helmut Kohl haben das damals früh erkannt und ent- der Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung sprechend entschlossen gehandelt. Auch daran sei heute geht, beginnen. Sie kommen zuerst auf den Tisch. Es ist deutlichst erinnert. völlig unmissverständlich, dass nur derjenige, der die Kriterien erfüllt, der den Acquis nicht nur ins eigene Die Europäische Union erkannte ihre Verantwortung Rechtssystem integriert, sondern ihn auch tatsächlich und ihr strategisches Gesamtinteresse, in dieser Region lebt und praktiziert, am Ende Mitglied der Europäischen Sicherheit, Demokratie und wirtschaftliche Entwick- Union werden kann. Wer also Interesse an einer Fortset- lung zu fördern und langfristig durch eine Beitrittsper- zung der Erweiterungspolitik hat – punktuell; große spektive zu festigen. Die Perspektive des EU-Beitritts Wellen sind hier nicht gemeint –, der muss deutlich ma- – lassen Sie mich das deutlich sagen – wirkte und wirkt chen: Es kann keine Aufnahmen mit Rabatt geben. Mit- noch immer als Katalysator für Reformen in den Län- gliedschaft kennt keine Rabatte. dern Südosteuropas. Die Verhandlungen mit Kroatien sind am 30. Juni Viele Staaten dieser Region mögen noch weit von ei- 2011 erfolgreich mit dem Schließen aller Verhandlungs- ner Mitgliedschaft entfernt sein. Viele haben noch nicht kapitel beendet worden. Zugleich wurde in der Beitritts- einmal den offiziellen Kandidatenstatus oder sind noch akte ein intensives Vorbeitrittsmonitoring vereinbart, das nicht im Verhandlungsprozess. Gerade deshalb wissen die weiteren Reformanstrengungen und deren Umset- wir, dass der kroatische Beitritt eine wichtige, unersetzli- zung durch die kroatische Regierung und durch das che Signalwirkung für die Gesamtregion, für die Nach- kroatische Parlament, den Sabor, bis zum Beitritt genau folgestaaten des ehemaligen Jugoslawien inklusive Al- begleitet und überprüft. Die EU-Kommission hat zuletzt banien, hat. im Herbst 2012 einen Bericht dazu vorgelegt. Kroatien werden darin deutliche Fortschritte bescheinigt. Im Ge- Deutschland hat deshalb die Annäherung der Nach- gensatz zu den im Frühjahr 2012 noch 49 angemahnten folgestaaten des ehemaligen Jugoslawien inklusive Al- konkreten Maßnahmen verbleiben im Herbst 2012 nur banien an die Europäische Union von Anfang an unter- noch zehn, die bis zum Frühjahr 2013 umzusetzen sind. stützt und gefördert. Ich möchte deutlich sagen: Die Von diesen zehn wiederum sind nach Angaben der kroa- Bundesregierung steht zu dem Versprechen von Thessa- tischen Regierung inzwischen acht erledigt bzw. werden (B) loniki im Jahr 2003, dass diese Staaten ein integraler Be- dem kroatischen Parlament in den kommenden Wochen (D) standteil des vereinten Europa werden, wenn sie ihrer zur Verabschiedung vorgelegt. politischen Verantwortung gerecht werden und die dazu notwendigen Reformen beschließen und umsetzen. Ich möchte an dieser Stelle deshalb Kroatien und die kroatische Regierung ausdrücklich dazu aufrufen, den Ich möchte hier auch daran erinnern, dass das Nobel- letzten bilateralen Stolperstein im Verhältnis zu Slowe- preiskomitee bei seiner Begründung für die Verleihung nien vor dem Beitritt zügig und schnellstmöglich zu be- des Friedensnobelpreises an die EU die Aufnahme Kroa- seitigen. tiens und die Rolle der EU-Erweiterungspolitik für die Für Ende März dieses Jahres ist der Frühjahrsbericht Versöhnung in der Westbalkanregion und die Stabilisie- angekündigt. Das ist wichtig; denn wir wollen die ge- rung dieser Region ausdrücklich hervorgehoben hat. samte Ratifizierung – unter Aufnahme der klaren Re- Kolleginnen und Kollegen, bis zur Unterzeichnung aktionen aus dem Bundestag – ganz bewusst erst dann zu des Beitrittsvertrages hat Kroatien einen langen, schwie- einem Ende bringen, wenn der letzte Fortschrittsbericht rigen Weg zurückgelegt. 2003 stellte Kroatien den vorgelegt worden ist. Wir sind sicher, dass die EU-Kom- Antrag auf EU-Mitgliedschaft. Der Europäische Rat be- mission Kroatien kein Gefälligkeitsgutachten ausstellen schloss dann im Oktober 2005 die Aufnahme von Bei- wird. Wir sind aber zuversichtlich, dass ihr Urteil positiv trittsverhandlungen. Diese wurden nach einem strengen ausfallen wird. Kriteriensystem durchgeführt; die hinreichende Erfül- Inzwischen ist auch der Entwurf eines Gesetzes zur lung der Bedingungen musste vor Verhandlungsab- Anpassung von Rechtsvorschriften des Bundes, also das schluss vorliegen. Hierauf hat die Bundesregierung al- Begleitgesetz, erarbeitet worden. Es ist am 16. Januar lergrößten Wert gelegt. auf den Weg gebracht worden. Hier geht es in erster Li- Ich möchte hier deutlich sagen, dass es einen Wechsel nie um die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Der Beitrittsver- dabei gab, in welcher Art und Weise die Verhandlungen trag sieht hinsichtlich des Arbeitsmarktzugangs abge- geführt wurden. Wir haben unsere Lektionen gelernt, ge- stufte Übergangsbestimmungen für die Herstellung der rade auch auf Druck und Anregung des Bundestages. Arbeitnehmerfreizügigkeit vor. Deutschland macht von Wir haben die Lektionen aus früheren Verhandlungen einer Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit auf zwei Jahre für Gering- bis Nichtqualifizierte Gebrauch. gelernt, bei denen man punktuell einigen Dingen bzw. schwierigen Fragen vielleicht zu schnell aus dem Weg Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Bis zum jet- gegangen war oder Wunschdenken erlegen ist, indem zigen Datum haben Kroatien sowie 22 EU-Mitgliedstaa- man zu früh gewisse Dinge abgeschlossen hat. ten den Vertrag ratifiziert. Wie Deutschland haben die 27380 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013

Staatsminister Michael Link (A) Niederlande und Dänemark ebenfalls das Ratifikations- 2003 kam dann die erlösende Wende, die Thessalo- (C) verfahren eingeleitet, warten aber vor der parlamentari- niki-Erklärung. Die Staats- und Regierungschefs der EU schen Beschlussfassung, wie erwähnt, den letzten Moni- beschlossen, den Westbalkan in die Europäische Union toringbericht der Kommission ab. zu integrieren, und zwar nach dem Regatta-Prinzip: Ein- zelnen Ländern, die die Voraussetzungen zum Beitritt er- Die Bundesregierung legt heute dem Hohen Hause füllen, steht die Tür offen. Endlich sahen auch die jun- den Beitrittsvertrag Kroatiens zur abschließenden Bera- gen Menschen, die voller Neid nach Europa schauten, tung vor. Wir sind zuversichtlich, dass Kroatien bis zum eine Perspektive für ihre Zukunft, und Kroatien nutzte 1. Juli 2013 alle erforderlichen Kriterien erfüllen wird seine Chance sehr erfolgreich. und dann 28. Mitglied der Europäischen Union werden kann. Den alten Strukturen, die auf dem Nationalismus gründeten, wurde der Nährboden entzogen. Eine neue Wir freuen uns auf Kroatien. Wir freuen uns auf den Generation nahm ihr Schicksal auf dem Fundament der Beitrag, den Kroatien erbringen kann, um gemeinsam demokratischen Werte selbst in die Hand. Eine zentrale dafür zu sorgen, dass wir wieder einen deutlichen Schritt Rolle spielte dabei die Umsetzung der Verhandlungska- weiterkommen auf dem langen Weg der Wiedervereini- pitel 23 und 24, die sich mit Justiz und Menschenrechten gung unseres Kontinents. befassen. Der damals allmächtig erscheinende Minister- Vielen Dank. präsident Ivo Sanader musste aufgrund von Korruptions- vorwürfen zurücktreten, übrigens auch auf Druck seiner (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) eigenen Partei. Mittlerweile sitzt er im Gefängnis.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Auch gesellschaftliche Veränderungen wurden durch die Beitrittsverhandlungen möglich. Wer hätte denn vor Das Wort hat der Kollege Josip Juratovic von der zehn Jahren gedacht, dass Kroatien einen Präsidenten SPD-Fraktion. bekommt, der sich als Agnostiker bezeichnet, oder einen (Beifall bei der SPD) Ministerpräsidenten, der bekennender Atheist ist? Und das in Kroatien, wo der christliche Glaube so stark ver- Josip Juratovic (SPD): ankert ist wie in kaum einem anderen Land. Durch die Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Beitrittsverhandlungen hat sich Kroatien zu einer moder- Kollegen! Heute beginnt die entscheidende Phase der nen, demokratischen Gesellschaft entwickelt, in der Ar- guten deutsch-kroatischen Zusammenarbeit auf dem gumente und nicht mehr Ideologien das politische Ge- Weg Kroatiens in die Europäische Union und in die de- schehen bestimmen. (B) mokratische Wertegemeinschaft. Liebe Kolleginnen und Kollegen, einige unter uns (D) Ich bin besonders glücklich, heute hier vor Ihnen als machen sich Sorgen über die weitere Entwicklung der deutscher Bundestagsabgeordneter kroatischer Abstam- Europäischen Union. Ich verstehe diese Sorgen. Doch mung – im Herzen deutscher Verfassungspatriot und im wir dürfen nicht zu dem Fazit kommen: entweder eine Geiste Europäer – reden zu dürfen. EU-Vertiefung oder eine EU-Erweiterung. Wir brauchen sowohl eine Vertiefung als auch eine Erweiterung. (Beifall der Abg. Gabriele Molitor [FDP]) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Denn heute erlebe ich zum Teil auch meinen persönli- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des chen Triumph. Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE]) Als ich vor 30 Jahren als junger Gastarbeiter in die Die Probleme, die die EU mit sich selbst hat, dürfen SPD eingetreten bin, verfolgte ich zwei Ziele. Ich wollte nicht ignoriert werden, aber sie dürfen auch nicht auf mich auch als Gastarbeiter an der politischen Willensbil- Kosten der kroatischen Demokraten behoben werden, dung in der Gesellschaft, in der ich lebe, beteiligen. Aber auch nicht auf Kosten der demokratischen Bestrebungen mein Traum war auch, meinen Beitrag dazu zu leisten, in anderen Ländern des Westbalkans. dass eines Tages auch das damalige Jugoslawien zur de- mokratischen Wertegemeinschaft dazugehört. Das Nobelpreiskomitee hat das erkannt. Der Frie- densnobelpreis ging an die Europäische Union, verbun- Leider wurde mein Traum nicht einmal zehn Jahre den mit der Aufforderung, den Frieden in Europa durch später zum Alptraum. Während sich die Länder des War- eine Beitrittsperspektive für den Westbalkan zu sichern. schauer Paktes nach dem Prinzip „Selbstbestimmung der Der Beitritt Kroatiens ist ein klares Signal an die Staa- Völker“ in Demokratien umwandelten, marschierten die ten, die noch auf dem Weg in die EU sind. Er wird vor Völker Jugoslawiens in den Nationalismus. Die Folge allem den jungen Menschen Hoffnung geben. Das kroa- waren die schlimmsten Kriege der Jahrtausendwende. Es tische Beispiel zeigt, dass es sich lohnt, weiterhin auf die kam zu ethnischen Verfolgungen, zu Flüchtlingsströmen, europäische Perspektive zu setzen. Kroatien hat inner- es gab mehr tote Kinder als Soldaten. halb von zehn Jahren eine enorme Entwicklung durchge- macht und ist nun zum Vorbild und Maßstab für andere Demokratische Werte und humanistische Gedanken Staaten geworden. wurden auch nach den Kriegen ignoriert, während ge- wisse politische Eliten und Nationalisten unter dem Kroatien wird nicht nur ein wertvoller Partner inner- Deckmantel der nationalen Befreiung Korruption, halb der EU sein, sondern es wird auch eine zentrale Machtwillkür und Despotismus freie Fahrt ließen. Rolle für die Entwicklung auf dem Westbalkan einneh- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27381

Josip Juratovic (A) men. Kein EU-Mitglied kennt die sechs Kleinstaaten auf Thomas Dörflinger (CDU/CSU): (C) dem Balkan, die noch nicht in der EU sind, so gut wie Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Kroatien. Diese sechs Staaten bringen große Akzeptanz Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich im und Wohlwollen für eine Vermittlerrolle Kroatiens auf. Herbst 1998 erstmals in den Deutschen Bundestag ge- Doch alleine wird Kroatien Frieden und Stabilität auf wählt wurde, war das Friedensabkommen von Dayton dem Westbalkan nicht garantieren können. Mit der Er- nicht ganz drei Jahre alt, und uns trennten noch einige klärung von Thessaloniki hat die EU gezeigt, dass sie Jahre von der eben erwähnten Thessaloniki-Agenda von verstanden hat, dass nur mit einer europäischen Integra- 2003. In dieser Zeitspanne zwischen 1998 und 2003 war tion des Westbalkans Frieden und Stabilität gewährleis- ich vermutlich nicht der Einzige, der von dem Zeitraum, tet werden können. Die EU hat damit recht behalten. in dem sich eine Integration des Westbalkans in Rich- tung Europa und die Mitgliedschaft in der Europäischen Deshalb darf der Beitritt Kroatiens nicht das Ende der Union vollziehen konnte, keine richtige Vorstellung EU-Erweiterung sein, sondern er ist der erste Schritt in hatte. Richtung Integration des gesamten Westbalkans in die EU. Es ist wichtig, dass für alle weiteren Kandidaten das Deswegen ist es in der Rückschau durchaus erstaun- Beitrittsdatum offen bleibt; denn entscheidend ist, ob ein lich – das sage ich heute auch speziell mit Blick auf die Land beitrittsreif ist. Aussagen, dass es in den nächsten Republik Kroatien –, was sich seit dem Beginn der Bei- zehn Jahren keinen weiteren Beitritt geben wird, sind trittsverhandlungen getan hat. Da ist eine ganze Menge zwar angesichts der derzeitigen Lage nachvollziehbar; gearbeitet worden. Ja, Herr Staatsminister, es ist richtig: aber wenn ein Land enorme Anstrengungen aufbringt Wir haben unsere Lektion gelernt. Nicht nur die Bundes- und bereits früher alle Bedingungen erfüllt, dann dürfen regierung, auch die Fraktionen des Deutschen Bundesta- wir ihm den EU-Beitritt nicht verwehren. Der Balkan ges haben die Lektion gelernt, aus Fehlern, die in der Vergangenheit in Beitrittsverhandlungen gemacht wor- braucht die EU und vor allem Deutschland als verlässli- den sind, Lehren zu ziehen. Auch die Europäische Kom- chen Partner. Dazu gehört, dass wir objektive Kriterien mission hat diese Lektion gelernt. für einen EU-Beitritt haben, die wir nicht aufweichen dürfen. Die Erfüllung dieser Kriterien dürfen wir aber Josip Juratovic hat zu Recht darauf hingewiesen, dass auch nicht durch weitere Hürden erschweren. die Systematik der einzelnen Paragrafen in den Beitritts- verhandlungen umgestellt wurde. Es zeigt sich in den Bei den Verhandlungen mit Kroatien haben sich die jetzt zu Ende gehenden Verhandlungen mit Kroatien, Kapitel 23 und 24 als besonders wichtig erwiesen, weil dass die Umkehr in Bezug auf die Reihenfolge der Para- dadurch die Voraussetzungen für Rechtsstaatlichkeit und grafen und Abschnitte, die in den Beitrittsverhandlungen für die Stärkung der individuellen Rechte geschaffen (B) aufgerufen worden sind, richtig war und dass diese (D) werden. Deswegen ist es konsequent, dass die EU-Kom- Agenda auch für die Zukunft richtig ist. mission diese künftig an den Beginn der Verhandlungen setzen will. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD, der FDP und des BÜNDNIS- In unserem SPD-Antrag gehen wir einen Schritt wei- SES 90/DIE GRÜNEN) ter: Wir wollen, dass die Kapitel 23 und 24 bereits vor der Aufnahme der eigentlichen Verhandlungen in einer Ich will auch ausdrücklich anerkennen, weil Michael Art Vorverhandlung behandelt werden. Damit stärken Link richtigerweise darauf verwiesen hat, dass das, was wir die demokratischen Kräfte in den einzelnen Ländern. seinerzeit nicht ganz unumstritten war, nämlich dass Ich bitte Sie deswegen, nicht nur den Beitritt Kroatiens, Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher und Bun- sondern auch unseren Antrag wohlwollend zu begleiten. deskanzler Helmut Kohl mit der Anerkennung der Unab- hängigkeit Kroatiens als eine der Ersten international Kolleginnen und Kollegen, wir Demokraten werden „vorgeprescht“ sind, heute weitgehend unstrittig ist und außerhalb der EU häufig als Schwächlinge betrachtet dass diesen beiden für eine damals visionäre Entschei- und auch so behandelt. Doch wie man in Kroatien sagt: dung nicht nur im Interesse von Kroatien durchaus zu Die stillen Gewässer bringen die Berge zum Einstürzen. danken ist. Der EU-Beitritt Kroatiens ist ein weiterer Sieg der de- Herr Kollege Juratovic, nach dem, was Sie gesagt ha- mokratischen Werte wie Recht und Freiheit durch den ben, kann ich durchaus nachvollziehen, dass das Ganze Zusammenhalt auf dem Weg zum Frieden in Europa. vor dem Hintergrund Ihrer Biografie nicht nur in dieser Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Debatte, sondern auch in den Gesprächen im Ausschuss, die wir noch vor uns haben, einen bewegenden Moment (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ darstellt und dass sich die Integration nicht nur Kroa- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der tiens, sondern auch des Westbalkans in die Europäische CDU/CSU) Union im Deutschen Bundestag auch in Ihrer Person ein Stück weit widerspiegelt. Das zeigt, dass die Perspektive Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: heute weitgehend politisch unstrittig ist. Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Thomas Dörflinger von der CDU/CSU-Fraktion. Wenn man den Monitoringbericht der Kommission vom Oktober zur Hand nimmt und versucht, die zehn (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Punkte durchzudeklinieren, die die Kommission seiner- neten der FDP) zeit als diejenigen benannt hat, an denen noch etwas zu 27382 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013

Thomas Dörflinger (A) arbeiten ist, dann kommt man auf acht Punkte – Michael beispielsweise hinsichtlich der Übersetzung und der an- (C) Link hat darauf hingewiesen –, die weitgehend abgear- schließenden Umsetzung des Acquis communautaire. beitet sind. Zwei Punkte sind noch offen. Das ist ein schönes Signal, nicht nur von einem Beitritts- kandidaten an diejenigen, die noch nicht Beitritts- Wir im Deutschen Bundestag, aber auch die Kollegin- kandidat sind, sondern auch ein schönes Signal für die nen und Kollegen des kroatischen Hohen Hauses stehen Endphase dieser Verhandlungen bis zum vollzogenen jetzt gemeinsam vor dieser Aufgabe. Ich will anerken- Beitritt. nen, dass der Botschafter und die Angehörigen der kroa- tischen Botschaft sich konstruktiv in diese Debatte ein- Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. bringen und dass wir an der Abarbeitung der zwei noch (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem ausstehenden Probleme konstruktiv arbeiten. Ich nenne BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. erstens die Werftenproblematik, die auf einem guten Josip Juratovic [SPD]) Weg zu sein scheint, soweit ich das beurteilen kann, und zweitens die Frage der Justiz. Da sind noch ein paar Vizepräsidentin Petra Pau: Dinge zu regeln. Die Durchführung regelmäßiger Ge- Das Wort hat der Kollege Stefan Liebich für die Frak- richtskontrollen, Sofortmaßnahmen wie die Abordnung tion Die Linke. von Richtern und die Übertragung von Rechtssachen auf weniger überlastete Gerichte – all das ist umgesetzt. Jetzt (Beifall bei der LINKEN) im laufenden Monat Februar und im März 2013 stehen die Änderung der Zivilprozessordnung und das neue Ge- Stefan Liebich (DIE LINKE): richtsgesetz zur zweiten Lesung und zur Schlussabstim- Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! mung im kroatischen Parlament an. Wenn das geschafft Kroatien hat einen langen Weg bis zum Beitritt zur Euro- ist, dann sind wir tatsächlich an dem Punkt, an dem wir päischen Union zurückgelegt, einen längeren als alle Vollzug melden können. anderen Beitrittskandidaten bisher. Am 1. Juli dieses Ich habe trotzdem eine gewisse Sympathie für den Jahres ist es höchstwahrscheinlich endlich so weit: Wir Vorschlag, auch nach dem erfolgten Beitritt Kroatiens werden 28. Es wird 28 Mitglieder der Europäischen zur Europäischen Union einen Blick darauf zu werfen, Union geben. Die Linke stimmt dem Beitritt Kroatiens dass die Reformbestrebungen weitergehen, um auszu- gerne zu; denn entgegen allen Gerüchten sind wir eine proeuropäische Partei. schließen – Stichwort: wir haben unsere Lektion gelernt –, dass man sich nach erfolgtem Beitritt möglicherweise (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Josip wieder in eine andere Richtung bewegt. Dies konnten Juratovic [SPD] – Manuel Sarrazin [BÜND- (B) wir leider an anderer Stelle feststellen; nicht in Kroatien, NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ohne den zweiten (D) aber anderswo. Hier sollten wir aus der Vergangenheit Teil hätte ich auch geklatscht! Der erste Halb- lernen. satz ist unterstützenswert! Einmal hätten Sie Applaus von uns bekommen!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) – Ich wusste, dass Sie diese Äußerung freut, und ich will dies deshalb kurz ausführen. Ob man für oder gegen Ich will eine Bemerkung mit einem durchaus etwas Europa ist, entscheidet sich nicht an der Frage, ob man kritischen Unterton machen. Wir haben im Deutschen dem brutalen und zugleich wirkungslosen Sparregime Bundestag weder die Gerichtsurteile des Internationalen von für den Süden Europas zustimmt. Gerichtshofs noch die unserer nationalen Gerichte zu kommentieren. Ich will aber einem Eindruck entgegen- (Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der wirken, der vielleicht auch durch den einen oder anderen CDU/CSU: Oh!) Kommentar in der kroatischen Presse entstanden sein Die Regierungen der Länder, die sich um einen Bei- könnte. Ich formuliere bewusst vorsichtig. Das Urteil tritt zur EU bemühen, sehen dies als Chance, und es von Den Haag haben wir nicht zu kommentieren; wir wäre antieuropäisch, ihnen gegen ihren Willen die Tür nehmen es zur Kenntnis. Aber ich lege Wert auf die vor der Nase zuzuschlagen. Nun nach Slowenien einem Feststellung, dass die Aufarbeitung der Kriegsverbre- zweiten Staat, der aus Jugoslawien hervorging, den Bei- chervergangenheit mit dem Urteil von Den Haag nicht tritt zur EU zu ermöglichen und weiteren eine solche beendet ist, sondern dass dieser Prozess selbstverständ- Perspektive zu offerieren, ist vernünftig. Herr Staats- lich weitergehen muss. minister Link hat ja darauf Bezug genommen. Damit würde unter dem Dach der Europäischen Union wieder Ich will mit einer positiven Botschaft enden. Ich will ein Zusammenleben der Bürgerinnen und Bürger der den Kroatinnen und Kroaten auf dem Weg zur Europäi- Staaten, die aus Jugoslawien hervorgingen, möglich und schen Union im Namen der CDU/CSU-Bundestagsfrak- damit in gewisser Weise auch ein Ende des zum Teil blu- tion ausdrücklich alles Gute und viel Erfolg wünschen tigen Gegeneinanders der 90er-Jahre symbolisiert. sowie die Zusicherung geben, dass wir diesen Prozess Inzwischen herrscht zwischen den einstigen Kriegsgeg- weiterhin konstruktiv begleiten werden. Ich will dan- nern Kroatien und Serbien – auch Serbien ist Beitritts- kend anerkennen, dass die Kroaten in der Schlussphase, kandidat der EU – wieder politisches Tauwetter. Das ist bevor der Beitritt zum 1. Juli 2013 erfolgt, ein gutes Si- eine gute Nachricht. gnal in die Region gesandt haben, indem sie sich mit de- nen, die noch nicht so weit sind – ich nenne Montenegro (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- und Serbien –, in einem konstruktiven Dialog befinden, neten der SPD) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27383

Stefan Liebich (A) Kroatiens Beitrittsperspektive sollte nicht, wie in den Die Arbeit an einer demokratischeren, sozialeren Euro- (C) vergangenen Monaten hier und da geschehen, infrage päischen Union steht weiter auf der Tagesordnung. Wir gestellt werden. Wenn die Beitrittsreife bezweifelt wird, freuen uns, hierfür neue Mitstreiterinnen und Mitstreiter wenn immer wieder gesagt wird – Herr Link, auch Sie auf dem Westbalkan gewinnen zu können. Also: Kroatien, haben das eben gesagt –, dass es keinen politischen Ra- herzlich willkommen in der Europäischen Union! batt geben würde, wenn Kroatien zum neuen Griechen- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- land erklärt wird, obwohl es gar nicht Mitglied der Euro- neten der SPD) Zone wird, und wenn auf die Auseinandersetzung über Zypern hingewiesen wird, klingt das, ehrlich gesagt, wie das Gegenteil einer Einladung. Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Manuel Sarrazin für die (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Allerdings gibt es auch in Kroatien – das soll hier nicht verschwiegen werden – Sorgen und Bedenken, die Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): wir ernst nehmen sollten. Das Land will nicht nur Markt Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist und Arbeitskräftereservoir der Europäischen Union sein, schwierig, in vier Minuten ein Land wie Kroatien zu sondern es will vom Beitritt natürlich auch profitieren. würdigen, da man sich diesem Land, wie Herr Juratovic, Die Arbeitslosigkeit in Kroatien ist hoch. Von 4,5 Mil- wahrscheinlich mehrere Jahrzehnte verschreiben kann. lionen Menschen sind 370 000 Menschen arbeitslos. Seit Ich möchte dennoch ein paar Sätze dazu sagen, aller- Beginn des Jahres kam es zu einem Anstieg um rund dings ohne all das zu wiederholen, was von meinen Vor- 12 000 Personen. Herr Dörflinger, ich bin der Überzeu- rednern zu Recht angesprochen wurde. gung, der durch die EU ausgeübte Druck zur Privatisie- rung der Werften schadet hier besonders. Ich glaube, unser Bild von Kroatien ist oftmals sehr stark geprägt von den schönen Stränden, der schönen (Beifall bei der LINKEN) Landschaft und der tollen Kultur. Ich glaube aber – ohne Kollege Juratovic, Sie haben auf die demokratische das in Abrede stellen zu wollen –, wir müssen uns auch Wertegemeinschaft und auf die Agnostiker und Atheis- vor Augen halten, dass Kroatien eine sehr alte Demokratie ten in der Regierung Bezug genommen. Ich finde, dass hat, darauf zu Recht stolz ist und wir ein ganz besonderes die Rolle der katholischen Kirche, die den geplanten Se- Land in die Europäische Union aufnehmen werden. xualkundeunterricht an Kroatiens Schulen torpediert, Hier im Bundestag haben wir uns diesem Land frak- Fragen aufwirft. Ich finde auch, dass es kritikwürdig ist, tionsübergreifend sehr intensiv gewidmet: als einzelne dass Lesben und Schwule nur unter Polizeischutz für Abgeordnete, als Delegation und als Ausschuss. Ich (B) ihre Rechte demonstrieren können. glaube, das zeigt, dass die neuen Rechte des Deutschen (D) (Beifall des Abg. [DIE Bundestages im Rahmen des Erweiterungsverfahrens für LINKE]) beide Seiten gut sind: für uns, weil wir wissen, warum wir vor die deutsche Bevölkerung treten und sagen kön- Aber all das sind Punkte, über die wir gemeinsam als nen: „Es ist richtig, dass Kroatien der Europäischen Mitglieder der Europäischen Union miteinander disku- Union beitreten wird“, und für Kroatien, weil man dort tieren werden. merkt, dass wir uns für das Land interessieren und eine Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer im Moment konstruktive Debatte über eine gemeinsame Zukunft in über die Europäische Union spricht, kann allerdings der EU führen wollen. nicht so tun – das wäre auch in dieser Debatte falsch –, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN als sei derzeit „business as usual“. Die Akzeptanz der und bei der SPD sowie des Abg. Stefan Union ist bei ihren Bürgerinnen und Bürgern leider so Liebich [DIE LINKE]) gering wie nie; daran ändert auch der Friedensnobelpreis nichts. Auf der einen Seite haben viele Menschen in Meiner Meinung nach ist der Beitritt Kroatiens ein Deutschland wegen der Propaganda der rechten Seite Beitritt des Verstandes. Manchmal handelt man ja in dieses Hauses das Gefühl, dass ihr hart erarbeitetes Geld wild entflammter Liebe, und manchmal hat man Glück. in Portugal, in Spanien und in Griechenland in ein Fass Dieser Beitritt ist aus meiner Sicht, wie gesagt, ein Bei- ohne Boden geworfen wird. tritt des Verstandes. Das Land hat sich gewandelt. Das Verfahren, das in Kroatien angewendet wurde, hat zu an- (Zuruf von der CDU/CSU: Wer hat denn diese deren Ergebnissen als bei allen anderen Beitritten zuvor Propaganda gemacht?) geführt. Im Justizwesen, bei der Bekämpfung der Kor- Auf der anderen Seite sind in diesen Ländern viele Tau- ruption und in allen anderen Bereichen hat sich viel ge- sende Bürger verständlicherweise empört. Sie demon- tan. Kroatien hat geliefert. Wir wissen, was wir tun und strieren auf den Straßen gegen einen Sozialkahlschlag worüber wir abstimmen. Es ist ein verdienter Erfolg, durch Politiker, die sie nicht gewählt haben und auch dass wir jetzt an diesem Punkt der Debatte angekommen nicht wählen können. Ich muss an dieser Stelle sagen: sind. Die Politik der Regierungen der Mitgliedstaaten der Eines ist besonders wichtig und sollte hervorgehoben Europäischen Union in den letzten Jahren war falsch. werden: Wie Josip Juratovic erwähnt hat, war bei den Das allerdings sollte jetzt nicht Kroatien ausbaden müs- Reformbemühungen auch über politische Wechsel hi- sen. naus Kontinuität festzustellen. Das zeigt die Reife der (Beifall bei der LINKEN) kroatischen Politik. 27384 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013

Manuel Sarrazin (A) Diese Erweiterung muss der Maßstab für die weiteren Vizepräsidentin Petra Pau: (C) Verhandlungsrunden sein, und es müssen Lehren aus ihr Das Wort hat der Kollege Karl Holmeier für die gezogen werden. Für uns Grüne gehört dazu, dass die Unionsfraktion. Kopenhagener Kriterien einzuhalten sind. Wir wollen durch die Erweiterungsprozesse erreichen, dass eine (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) politische und gesellschaftliche Transformation der Kan- didatenstaaten stattfindet. Deswegen engagieren wir uns Karl Holmeier (CDU/CSU): für diese Länder. Deswegen engagieren wir uns aber Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen auch für die Erweiterung. Sie ist nicht einfach Mittel und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! zum Zweck oder Selbstzweck. „Wir müssen etwas wie die Vereinigten Staaten von Eu- ropa schaffen.“ Mit diesen Worten hat der englische Pre- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mierminister Churchill am 19. September 1946 seine Vi- sowie des Abg. Josip Juratovic [SPD]) sion von der Zukunft Europas beschrieben. Darüber hinaus müssen wir uns dessen bewusst sein, Während sich heute einige in Großbritannien nicht dass in Kroatien viel zu tun bleibt, so wie wir auch hier mehr an diese Worte dieses großen Staatsmannes zu er- in Deutschland immer viel zu tun haben, um Änderun- innern scheinen, erinnern sich manch andere Europäer gen für unser Land vorzunehmen. Wir kennen die The- men. Sie reichen vom Justizwesen über die weitere Be- umso besser. Während in Großbritannien heute offen kämpfung der Korruption bis hin zu der Erkenntnis, dass über einen Austritt aus der Europäischen Union disku- Umwelt und Naturschutz und die Bekämpfung von Kor- tiert wird, treten ihr andere bei oder klopfen zumindest ruption ganz eng miteinander verwoben sind. Hieran mit Nachdruck an die Tür zur Europäischen Union. müssen wir arbeiten, wenn wir gerade dieses schöne Nach der Rede des britischen Premierministers Cameron Land bewahren und genießen wollen. in der vergangenen Woche freue ich mich deshalb ganz Ich glaube, ganz entscheidend wird sein, ob in Kroa- besonders, dass der Deutsche Bundestag heute das Ver- tien auch nach dem Beitritt die zivilgesellschaftlichen tragsgesetz zum Beitritt Kroatiens in die Europäische Kräfte, die unglaublich viel dazu beigetragen haben, den Union einbringen kann. Anstelle einer Austrittsdiskus- Transformationsprozess des Landes zu ermöglichen, sion führen wir hier eine Diskussion über die Erweite- eine solche politische Funktion innehaben werden, die es rung der Europäischen Union, und dies ist sehr erfreu- ihnen auch weiterhin erlaubt, in den innenpolitischen lich. Debatten auf Missstände hinweisen zu können, auch Deutschland setzt damit ein klares Zeichen für die wenn Brüssel dem Land dann nicht mehr auf die Finger Stabilität, für die Attraktivität und für die Chancen die- (B) schaut. ser Wertegemeinschaft. Wir setzen ein Zeichen für Frie- (D) Wir als Deutscher Bundestag werden engagiert blei- den, wir setzen ein Zeichen für Wohlstand und die ben. Ich kann für meine Fraktion ganz ausdrücklich sa- gemeinsamen Werte, die uns Europäer miteinander ver- gen: Die Thessaloniki-Agenda bleibt für die ganze Re- binden. gion Ziel unseres Handelns. Wir werden sie nicht infrage Der Beitritt zur Europäischen Union bedeutet aller- stellen. Dabei ist auch wichtig zu sagen, dass das für die dings nicht nur eine große Chance, sondern ist natürlich Region in ihren jetzt existenten Grenzen gilt und für auch mit zusätzlichen Pflichten verbunden. Das gilt in keine anderen Optionen. ganz besonderem Maße auch für die Beitrittskandidaten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wir wissen selbst, wie schwierig der Weg zu grundle- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) genden Reformen ist. Aber in einer Gemeinschaft mit künftig 28 Mitgliedstaaten muss es in den wesentlichen Meine Damen und Herren, wir freuen uns darauf, Bereichen eine gemeinsame Basis geben, auf der man dass Kroatien in die EU kommt. Dieser Beitritt ist ver- sich begegnet. dient und hart erarbeitet. Die Ratifikation ist aber auch eine Aufforderung an die Europäische Union, an Die Freiheiten, die souveränen Staaten innerhalb der Deutschland und an Kroatien, nach dem Beitritt nicht Europäischen Union weltweit einzigartig gewährt wer- nachzulassen bei der Umsetzung der Reformen. Es geht den, erfordern schlichtweg einheitliche Regeln, an die darum, den Transformationsprozess weiter voranzutrei- sich alle Beteiligten halten müssen. Das kann manchmal ben, die Zusammenarbeit mit Kroatien, aber auch in der auch hart sein. Und so hat der vorletzte Fortschrittsbe- Region zu stärken und zu unterstützen. richt der Europäischen Kommission vom Oktober ver- gangenen Jahres den Kroaten sicherlich wehgetan. Die Ich bin mir sicher, dass wir diesen Beitritt zu einem Kommission hat erhebliche Mängel in den Bereichen Erfolg machen werden, der nicht nur heute gilt, sondern Wettbewerbspolitik, Justiz und Grundrechte sowie Frei- der auch in den nächsten Jahren seine Früchte abwerfen heit, Sicherheit und Recht aufgelistet. Damit war klar, wird. Dafür werden wir gemeinsam mit den kroatischen dass Kroatien nicht beitreten kann, wenn nicht innerhalb Partnern in den nun anstehenden Beratungen und auch kürzester Zeit erhebliche Reformanstrengungen unter- danach arbeiten. nommen werden. Vielen Dank. Das schmerzt, aber solche Wahrheiten müssen ausge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, sprochen werden. Es ist später niemandem geholfen, bei der SPD und der LINKEN) wenn man beim Aufbau der gemeinsamen Basis Nach- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27385

Karl Holmeier (A) sicht zeigt. Wohin das führen kann, zeigt sich eindrucks- b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- (C) voll am Beispiel Griechenlands und den Folgen der richts des Ausschusses für Menschenrechte und Euro-Einführung. Humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin Werner, Diana Golze, Die klaren Worte haben Wirkung gezeigt. Wie es sich Paul Schäfer (Köln), weiterer Abgeordneter und derzeit darstellt, hat Kroatien den Großteil der zehn von der Fraktion DIE LINKE der Kommission benannten prioritären Maßnahmen um- gesetzt oder wird dies in Kürze tun. Ich bin daher zuver- Militärische Verwendung von Minderjähri- sichtlich, dass wir das Vertragsgesetz wie geplant Mitte gen beenden – Ehemalige Kindersoldatinnen Mai im Deutschen Bundestag beschließen können und und Kindersoldaten unterstützen Kroatien dann pünktlich zum 1. Juli 2013 der Europäi- – Drucksachen 17/8491, 17/9916 – schen Union beitreten kann. Berichterstattung: Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich selbst Abgeordnete bin ein überzeugter Europäer und habe daher in meiner Christoph Strässer Heimatgemeinde Weiding als deren Bürgermeister eine Pascal Kober Europaallee errichtet, sozusagen einen Wanderweg Katrin Werner durch Europa. Tom Koenigs (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die wie des Abg. Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/ Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre DIE GRÜNEN]) keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. In dieser Allee ist für jedes Land der Europäischen Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Union ein landestypischer Baum gepflanzt. Ich freue Jürgen Hardt für die Unionsfraktion. mich, dort im Juli dieses Jahres gemeinsam mit einem Vertreter aus Kroatien den Baum für Kroatien pflanzen zu dürfen. Damit sind es dann 28. Jürgen Hardt (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wünsche Kroatien auf seinem weiteren Weg in die Wir beraten heute hier die Beschlussempfehlungen zu Europäische Union alles Gute. zwei Anträgen der Fraktion Die Linke. Ich möchte mich Vielen Dank. als Mitglied des Verteidigungsausschusses auf den An- trag zum Thema „Zugang zu Kriegswaffen“ konzentrie- (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem ren. Der Kollege Heinrich wird schwerpunktmäßig auf (B) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. den anderen Antrag eingehen. (D) Josip Juratovic [SPD]) Zu beiden Anträgen ist aber, wie ich finde, vorab Fol- gendes festzustellen: Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Es sind gute Anträge!) Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/11872 und 17/12182 an die in Die Fraktion Die Linke versucht immer wieder, das der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- Thema Bundeswehr in unserer Gesellschaft und in unse- gen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. rer öffentlichen Debatte zu ächten. Sie will durch solche Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Anträge den Abstand, die Distanz unserer Bürgerinnen und Bürger zur Bundeswehr weiter erhöhen. Das steht Ich rufe die Tagesordnungspunkte 36 a und 36 b auf: im diametralen Gegensatz zu dem, was wir, die übrigen a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Parteien des Deutschen Bundestages, immer wieder be- richts des Verteidigungsausschusses (12. Aus- kunden, dass nämlich die Soldatinnen und Soldaten der schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Paul Bundeswehr in die Mitte unserer Gesellschaft gehören Schäfer (Köln), Wolfgang Gehrcke, Jan van und für ihre Arbeit unsere volle Anerkennung verdienen. Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Deswegen ist es auch folgerichtig, dass wir diese beiden DIE LINKE Anträge ablehnen. Kein Zugang von Kindern und Jugendlichen Nach Art. 87 a unseres Grundgesetzes stellt der Bund zu Kriegswaffen bei Bundeswehr-Veranstal- zur Verteidigung Streitkräfte auf. Damit hat der Staat die tungen Pflicht und die Gesellschaft ein Recht darauf, dass die Bundeswehr sich auch selbst bekannt macht, ihren Auf- – Drucksachen 17/8609, 17/9597 – trag erläutert und die Mittel, die sie zur Verfügung hat, um den Auftrag zu erfüllen, darstellt. Zum mündigen Berichterstattung: Staatsbürger und auch zur Erziehung der jungen Men- Abgeordnete Jürgen Hardt schen gehört, dass sie wissen, was die Bundeswehr tut, Karin Evers-Meyer mit welchen Mitteln sie dies tut und warum sie dies tut. Christoph Schnurr Paul Schäfer (Köln) Bei der Diskussion über die Jugendoffiziere in den Agnes Brugger Schulen erkenne ich eine bedenkliche Tendenz. Auch 27386 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013

Jürgen Hardt (A) rot-grüne Landesregierungen versuchen immer wieder besser anerkannt wird, dann müssen wir sie in die Mitte (C) – zwar nicht offen, aber durch die konkrete Ausgestal- unserer Gesellschaft holen. Dazu gehört es, dass es zwi- tung der Regelungen –, der Arbeit der Jugendoffiziere schen Gesellschaft und Bundeswehr eine dauerhafte und eher Steine in den Weg zu legen, als es ihnen einfacher feste Verbindung gibt, die zum Beispiel durch die Öf- zu machen, Beiträge zur Sicherheitspolitik zu leisten. fentlichkeitsarbeit der Bundeswehr zum Ausdruck ge- bracht wird. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Kein Werben fürs Sterben!) In diesem Sinne danke ich für Ihre Aufmerksamkeit. Ich bin der Meinung, dass sich auch die Öffentlichkeits- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) arbeit der Bundeswehr an dem Ziel bzw. Auftrag orien- tieren sollte, dass die Bundeswehr in die Mitte unserer Vizepräsidentin Petra Pau: Gesellschaft rückt. Das Wort hat die Kollegin Angelika Graf für die SPD- Wir haben für die Öffentlichkeitsarbeit klare Regeln. Fraktion. Hier haben unter 18-Jährige keinen Zugang zu Handwaf- (Beifall bei der SPD) fen und Munition; das ist so auch im Waffengesetz gere- gelt. Aber ich sehe keinen Grund, warum nicht auch Jugendliche bei öffentlichen Veranstaltungen der Bun- Angelika Graf (Rosenheim) (SPD): deswehr die Waffensysteme, über die die Bundeswehr Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! verfügt, die militärtypischen Geräte, nicht die handels- Gestern gab es den sogenannten Red Hand Day. Da ha- typischen, besichtigen dürfen. ben viele von uns ihre Hand mit roter Farbe bemalt und damit ein Signal zum Schutz von Kindern gesetzt. Uns Ich persönlich finde es richtig, dass Jugendliche den allen ist das Schicksal von Kindern, die gezwungen wer- Arbeitsplatz des Vaters oder der Mutter kennenlernen, den, in Kriegen und bewaffneten Konflikten zu kämp- dass sie bei der Marine zum Beispiel das Schiff besichti- fen, nicht egal; das wollten wir damit sagen. Die vielen gen, auf dem der Vater als Oberbootsmann Dienst tut. Handabdrücke auf Papier, die im Paul-Löbe-Haus aufge- Ich sehe keinen Grund, weshalb wir dies für die Zukunft hängt wurden, stimmen mich einerseits sehr hoffnungs- verbieten sollten. Wenn die Sicherheit gewährleistet ist, voll: Wir fordern ein klares Nein zum Einsatz von Kin- muss dies möglich sein. dersoldaten und machen das deutlich. Ich komme somit zu einem Punkt im zweiten Antrag. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP Darin geht es um sogenannte Kindersoldaten. Zunächst und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie einmal möchte ich hier feststellen: Wer zwischen der Tä- des Abg. Alexander Ulrich [DIE LINKE]) (B) tigkeit junger Menschen in der Bundeswehr und dem (D) schrecklichen Schicksal von Kindersoldaten einen Zu- Andererseits gibt es trotz unseres Einsatzes, egal ob sammenhang herzustellen versucht, der versündigt sich wir nur symbolisch unsere Hand mit Farbe auf ein Blatt an der Bundeswehr, an ihrem Sinn und Zweck und auch Papier drücken oder Anträge schreiben oder dazu Reden an den Grundsätzen in unserem Land. halten, immer noch Kindersoldatinnen und Kindersolda- ten auf der Welt. Laut UN-Sicherheitsrat missbrauchen (Beifall bei der CDU/CSU) über 60 bewaffnete Gruppen oder Regierungstruppen in Es ist absolut unzulässig, die Tatsache, dass es einige 15 Ländern Kinder als Soldaten. UNICEF schätzt die Wenige noch nicht 18-jährige junge Menschen im be- Gesamtzahl auf 250 000 Kinder. Ich befürchte, dass es rufsfähigen Alter gibt, die ihren Dienst in der Bundes- eher mehr als weniger werden. Je länger Konflikte an- wehr beginnen, in irgendeinen Zusammenhang mit Kin- halten und je mehr Verluste eine Armee zu verzeichnen dersoldatentum zu bringen. Im Übrigen gelten strenge hat, desto stärker wird auf Kinder zurückgegriffen, um Regeln: Diese jungen Menschen sind freiwillig dort. Sie die Verluste auszugleichen. Auch die Nazis haben Kin- sind mit Einwilligung der Eltern in der Bundeswehr. Sie der als letzte Reserve eingesetzt. Die Bilder hat sicher- sind darüber aufgeklärt und informiert, was sie als Sol- lich jeder von uns im Kopf. daten tun müssen. Kindersoldaten sind nicht ausschließlich Jungen, etwa (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Es ist trotzdem ein Drittel davon sind Mädchen. Sie werden an der falsch!) Waffe, aber auch als Arbeiterinnen, Köchinnen, Minen- sucherinnen eingesetzt und zur Prostitution gezwungen. Unter 18 Jahren werden sie mit Ausnahme der Tätigkei- Kinder in Konfliktgebieten wissen, wie schrecklich das ten, die im Rahmen der Ausbildung erforderlich sind, Leben von Kindersoldaten ist. Die Kinderhilfsorganisa- keinen Dienst an der Waffe verrichten. Hier gibt es ein tion „World Vision“ hat berichtet, dass viele kongolesi- klares und strenges Regime, das richtig ist und das auch sche Kinder aus ihrer Heimat und von ihren Familien konsequent zur Anwendung kommt. fliehen, um nicht von Soldaten oder Milizen zwangs- rekrutiert zu werden. Insofern gibt es zum einen rein formale Gründe, diese beiden Anträge der Linken abzulehnen, weil sie eben Kindersoldaten sind schwer traumatisiert. Unsere nicht sachgerecht sind. Zum anderen gibt es an dieser politische Aufgabe ist es deshalb, nicht nur ehemaligen Stelle die Möglichkeit, noch einmal ganz klar zu bekun- Kindersoldaten in ihrer Heimat durch psychologisch be- den: Wenn wir wollen, dass die Arbeit unserer Soldatin- treute Reintegrationsprogramme zu helfen. Nein, wir nen und Soldaten in der Bundeswehr in der Gesellschaft müssen auch dafür sorgen, dass Kinder erst gar nicht zu Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27387

Angelika Graf (Rosenheim) (A) Soldaten werden. Darauf geht Ihr Antrag leider nicht ein. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem (C) Armut, Arbeitslosigkeit und Zukunftslosigkeit sind die BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- treibenden Faktoren, die Kinder dazu bringen, den Ver- geordneten der CDU/CSU) sprechungen von Soldaten und Milizen zu glauben und ihrem Druck nachzugeben. Ich erinnere mich an den Tag der offenen Tür in meinem Nachbarwahlkreis in Bad Reichenhall im Jahr 2011; der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Fall ist bundesweit durch die Medien gegangen. Da des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) konnten Kinder mithilfe von Zielerfassungssystemen an Handwaffen die Entfernung zu kleinen Holzhäusern und Die Kony-Kampagne sorgte letztes Jahr für viel Auf- Fahrzeugen messen. An die Häuser war der Name regung. Mindestens 591 Kinder sollen Milizen dieses „Klein-Mitrovica“ gepinselt. Zur Erinnerung: Mitrovica Rebellenführers zwischen 2009 und 2012 entführt ha- ist eine Stadt im Kosovo, die nicht nur im Zweiten Welt ben. Darüber gibt es einen Film. Weinende Kinder er- - zählen darin ihre Geschichte. Es sind Geschichten ihrer krieg eine Rolle gespielt hat – und zwar keine rühmliche körperlichen und seelischen Wunden. Auf YouTube und aus deutscher Sicht –, sondern wo es 1999 unter den Au- anderen sozialen Netzwerken hat das ein großes Echo gen von KFOR ein Pogrom nationalistischer Albaner an ausgelöst, und Kony wurde zur Hassfigur, zu Recht, circa 8 000 Roma gab. Es ist unerträglich, dass dieser denke ich. Man muss Menschen, die so etwas machen Name dort auf die Häuser gemalt wurde. und initiieren, brandmarken. Kony ist aber nur einer von (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ vielen Verbrechern. Die Verurteilung des kongolesischen DIE GRÜNEN sowie des Abg. Patrick Döring Milizenführers Thomas Lubanga durch den Internationa- [FDP]) len Strafgerichtshof war ein weiteres wichtiges Signal im Kampf gegen den Einsatz von Kindersoldaten. Doch Allerdings habe ich gehört, dass die Bundeswehr intern in vielen Ländern leben die Täter weiterhin straffrei, sehr viele Gespräche über diesen Vorfall geführt und zum Beispiel in Kolumbien oder Myanmar. auch Konsequenzen daraus gezogen hat. Das finde ich richtig. Als die Bundesregierung den Vorsitz der UN-Arbeits- gruppe „Kinder und bewaffnete Konflikte“ innehatte, Im Februar zuvor waren – das ist das Thema Ihres hätte sie bis Ende letzten Jahres eigentlich eine hervorra- Antrags – die Richtlinien für die Durchführung der In- gende Möglichkeit gehabt, eine Vorreiterrolle zu über- formationsarbeit der Bundeswehr dahin gehend geändert nehmen und Druck auf die genannten Regierungen aus- worden, dass auch Minderjährige ab 14 Jahre in Panzern zuüben. Doch bisher sehe ich leider keine sichtbaren und militärischen Fahrzeugen wie zum Beispiel Fregat- Ergebnisse oder öffentlich wahrnehmbaren Initiativen ten mitfahren dürfen. (B) als Ausdruck eines ernstgemeinten Engagements. Des- Ein Motiv dieser Veränderung war zweifellos die (D) halb unterstütze ich Teile der Forderungen des vorlie- Werbung; das andere Motiv war der Wunsch von Fami- genden Antrags der Linken. lien und Jugendlichen, die diese Großgeräte faszinierend Auch die Kritik an der asylverfahrensrechtlichen Pra- finden, sich diese einmal anzuschauen. Darüber kann xis sehe ich ähnlich wie die Kolleginnen und Kollegen man nun geteilter Meinung sein, aber man sollte meines von der Linksfraktion. Erachtens die Arbeit der Bundeswehr nicht vor den Ju- gendlichen ausklammern. Das wird nicht funktionieren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich wünsche mir Eltern, die ihren Kindern vermitteln, Die SPD fordert seit langem, die Situation Minderjähri- dass Waffen kein Spielzeug sind. ger im Aufenthalts- und Asylverfahrensrecht zu verbes- sern. Das haben wir in unserem Entwurf eines Gesetzes (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Tom Koenigs zur Verbesserung der Situation Minderjähriger im Auf- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) enthalts- und Asylverfahrensrecht deutlich gemacht. Genauso erwarte ich von der Bundeswehr, dass sie ver- Allerdings finde ich es sehr problematisch, den Schutz mittelt, dass Waffen kein Spielzeug sind. von Kindersoldaten, also von kleinen Kindern, die ge- In den USA steckt die Waffenindustrie Millionen in zwungen werden, Soldat zu sein, mit der Frage nach dem Werbung, zum Beispiel in das Magazin Junior Shooters, Einsatz von Minderjährigen in der Bundeswehr in einen es werden kostenlose Ballerspiele für die iPads bereitge- Topf zu werfen. Wir als SPD fordern zur Klarstellung stellt, und es werden Waffen an Pfadfindergruppen wei- – weil wir das Problem ebenfalls sehen – allerdings tergegeben. Mir wird ganz schlecht, wenn ich daran grundsätzlich auch die Straight-Eighteen-Regelung, da- denke. mit wir eine entsprechende Debatte erst gar nicht führen müssen. Ich halte es trotzdem für problematisch, das Trotzdem schießen Sie mit Ihrem Antrag über das miteinander zu vergleichen. Ziel hinaus. Tage der offenen Tür bei der Bundeswehr dienen dem auch von mir gewünschten Abbau von Gren- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zen und Ressentiments zwischen der Bevölkerung und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) unseren Soldaten. Ein offener Umgang ist gerade nach Noch ein kurzes Wort zum zweiten Antrag in dieser dem Wegfall der Wehrpflicht umso wichtiger. Es ist mei- Debatte. Ich denke, wir alle sind uns einig: Kinder nes Erachtens auch in Ordnung, dass sich Jugendliche Kriegsszenarien mit echten Waffen oder Attrappen spie- über die Bundeswehr und den Beruf des Soldaten infor- len zu lassen, geht einfach nicht. mieren können. Das muss anders ablaufen als damals in 27388 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013

Angelika Graf (Rosenheim) (A) Bad Reichenhall, auf jeden Fall. Aber dass ein Jugendli- (Paul Schäfer [Köln] [DIE LINKE]: Das haben (C) cher in einer Fregatte mitfahren kann, halte ich nicht für wir gar nicht behauptet!) so gefährlich, dass man es verbieten sollte. Neben den finanziellen Anstrengungen der Bundesre- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) gierung gibt es überdies natürlich erhebliche diplomati- sche Bemühungen, mit denen Deutschland den Einsatz Darum sind wir, was diesen Antrag betrifft, der An- von Kindersoldatinnen und Kindersoldaten in bewaffne- sicht, dass er den Intentionen der SPD nicht entspricht. ten Konflikten erfolgreich und nachhaltig angeht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ich habe zu Beginn meiner Rede gesagt, dass der der CDU/CSU und der FDP) Kampf gegen den Missbrauch von Kindern als Kinder- soldaten eine große Herausforderung ist. Ich möchte hin- Vizepräsidentin Petra Pau: zufügen: Diese Herausforderung wird umso größer, je Der Kollege Pascal Kober hat nun für die FDP-Frak- mehr mit dem tragischen Schicksal dieser Kinder poli- tion das Wort. tisch gespielt wird. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Pascal Kober (FDP): der CDU/CSU) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dem Zusammenhang möchte ich den Antrag der Die Bundesregierung engagiert sich mit großem Nach- Linken kritisieren. Meinem Eindruck nach relativiert er druck gegen den Einsatz von Kindersoldatinnen und das Schicksal der Kindersoldatinnen und Kindersolda- Kindersoldaten in bewaffneten Konflikten. Es gibt zahl- ten, indem er versucht, ihre tragische Situation mit der reiche Projekte, die der Bundesminister für wirtschaftli- Situation der unter 18-Jährigen bei der Bundeswehr in che Zusammenarbeit und Entwicklung, , Verbindung zu bringen. Dies wird der Sache in keiner weltweit hierzu durchführt. Ziel dieser Projekte ist die Weise gerecht und ist nicht geeignet, die Situation der Reintegration von ehemaligen Kindersoldatinnen und Kindersoldatinnen und Kindersoldaten zu verbessern. Kindersoldaten in die Gesellschaft. Das ist eine große Im Gegenteil: Es droht, die Situation zu verharmlosen. Herausforderung, für die die Bundesregierung und die Regierungskoalition ein Finanzvolumen in mehrstelliger (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Millionenhöhe zur Verfügung gestellt haben. der CDU/CSU und der SPD) So haben die Regierungskoalition und die Bundesre- Die Situation bei der deutschen Bundeswehr ist in gierung allein für das ostafrikanische Burundi 13,5 Mil- keinerlei Weise mit der Situation der Kindersoldatinnen und Kindersoldaten in bewaffneten Konflikten ver- (B) lionen Euro zur Wiedereingliederung ehemaliger Kin- (D) gleichbar. Die Bundeswehr ist als Arbeitgeber von Ju- dersoldatinnen und Kindersoldaten in die Gesellschaft gendlichen, die noch nicht 18 Jahre alt sind, an überaus bewilligt. Zudem stellt Deutschland dem Kinderhilfs- strenge Regeln gebunden. Wie da der Zusammenhang zu werk der Vereinten Nationen, UNICEF, 1 Million Euro Kindersoldaten in bewaffneten Konflikten wie etwa in für Gewaltopfer paramilitärischer Kampfeinheiten in Burundi, in der Demokratischen Republik Kongo, im Afrika zur Verfügung. UNICEF führt Projekte zum Südsudan, in Uganda oder in der Zentralafrikanischen Schutz und zur Reintegration von Kindersoldatinnen und Republik gesehen werden kann, verschließt sich mir. Kindersoldaten in der Demokratischen Republik Kongo, im Südsudan, in Uganda und in der Zentralafrikanischen In diesem Zusammenhang möchte ich auch etwas zu Republik durch. dem zweiten Antrag der Linken sagen, der dezidiert die Bundeswehr betrifft. Sie fordern, dass Jugendliche bei Deutschland beteiligt sich ferner am Fonds der Ver- Informationsveranstaltungen der Bundeswehr keinen einten Nationen für Friedenskonsolidierung. Die Bun- Zugang zu Handfeuerwaffen haben sollen. Dabei vermit- desregierung unterstützt hierbei die Vereinten Nationen teln Sie in Ihrem Antrag den Eindruck, dass diese Ju- bei der Entwicklung von Trainingsmodulen für afrikani- gendlichen gar keine Erziehungsberechtigten hätten, in sche Peacekeeper. Insgesamt hat der Friedenskonsolidie- deren Begleitung sie sich befinden. Dabei wissen Sie ge- rungsfonds ein Finanzvolumen von 200 Millionen Euro. nauso gut wie ich, dass es die Entscheidung der Eltern Auch beteiligt sich Deutschland am Aufbau einer Kin- ist, ob die Minderjährigen bei Informationsveranstaltun- der- und Familienschutzstation bei der UN-Mission gen der Bundeswehr Zugang zu Waffensystemen haben UNAMID in Darfur, Sudan. oder nicht. Wenn die Eltern dem zustimmen, dann er- folgt dies selbstverständlich nach strengen Regeln und Ich habe hier nur einige Projekte aufgezählt, an denen Bestimmungen. sich Deutschland beteiligt, aber Sie sehen: Die christ- lich-liberale Regierung setzt sich aktiv und erfolgreich Außerdem ist es wichtig, dass die Bundeswehr offen für die Bekämpfung des Missbrauchs von Kindern als und verantwortlich zeigt, auf welche Mittel sie zurück- Kindersoldatinnen und Kindersoldaten ein. greifen kann und muss, um ihren wichtigen Auftrag zu erfüllen. Die Bundeswehr trägt eine große Verantwor- (Beifall bei der FDP) tung in Zusammenarbeit mit den Bündnispartnern der Wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, Bundesrepublik Deutschland in der Welt. etwas anderes behaupten, dann ist diese Behauptung Wir können natürlich bedauern, dass zur Durchset- schlicht unwahr und falsch. zung und Sicherung von Frieden mitunter auch der Ein- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27389

Pascal Kober (A) satz von Waffen notwendig ist; dies müssen wir bedau- Bleiberecht haben müssen und dass man deren Schicksal (C) ern. Aber das vollkommen zu negieren, indem man als Kindersoldatinnen und Kindersoldaten in Deutsch- Jugendlichen die Existenz von Waffen und Waffensyste- land als Asylgrund anerkennen muss. men sozusagen verheimlicht, heißt, die jungen Men- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- schen nicht ernst zu nehmen und ihnen in unserem Land NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- die Wirklichkeit vorzuenthalten. ten der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die Das ist der erste Punkt. Linke, ich glaube, wir sollten gemeinsam im Kampf ge- gen den Einsatz von Kindersoldatinnen und Kindersol- Der zweite Punkt ist: Das Deutsche Bündnis Kinder- daten auf der Welt voranschreiten. Aber die Situation der soldaten, dem unter anderen Terre des Hommes, Bundeswehr mit der Situation der Kinder in bewaffneten UNICEF und die Kindernothilfe angehören, um nur drei Konflikten miteinander in Verbindung zu bringen, ist der Beispiele zu nennen, drängt uns seit langem, dass auch Sache wirklich nicht angemessen und führt am Ende zu in Deutschland etwas getan werden muss, um Kinder keiner guten Politik. und Jugendliche unter 18 Jahren von Krieg und kriegeri- scher Gewalt fernzuhalten. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Genau darum geht es in den zwei Anträgen, die wir (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie Ihnen heute zur Abstimmung vorlegen. Es geht um An- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE liegen, die wir eigentlich ziemlich selbstverständlich fin- GRÜNEN) den: Vizepräsidentin Petra Pau: Erstens. Kriegswaffen gehören nicht in die Hände von Das Wort hat der Kollege Paul Schäfer für die Frak- Kindern und heranwachsenden Jugendlichen. tion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Aber diese ganz jungen Leute gehören auch nicht in Pan- zer, Kampfflugzeuge oder an Raketenwerfer. Die Bun- Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE): deswehr sieht das anders: Sie setzt auf die Faszination Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die der Waffentechnik, um genau die ganz jungen Leute an- Kollegin Graf hat zu Recht auf den Red Hand Day am zusprechen. Die Bundesregierung hat im Februar 2011 12. Februar aufmerksam gemacht. An diesem Tag soll extra entsprechende Richtlinien gelockert, um den Zu- international auf das schreckliche Schicksal von Zehn- gang dieser Menschengruppe zu den Waffenplattformen (B) tausenden Kindern aufmerksam gemacht werden, die als zu erleichtern. (D) Soldatinnen und Soldaten missbraucht werden. Sie hat Nun ist im Ausschuss, liebe Kolleginnen und Kolle- auch auf Folgendes hingewiesen: Viele von uns haben gen, gesagt worden, die Aushändigung von Handwaffen sich gestern wieder mit der roten Hand ablichten lassen bleibe doch weiterhin verboten. Aber bitte: Wo bleibt da und ihre Solidarität mit diesen Kindern, denen man die die Logik? Pistolen sollen die Kinder und Jugendlichen Kindheit raubt, ausgedrückt. Das ist gut so. nicht in die Hand bekommen; sie sollen sich aber an- Die Frage aber bleibt: Was tun wir hierzulande ganz sonsten hautnah mit Großwaffensystemen wie Panzern, konkret, um Kinder und heranwachsende Jugendliche so Flugzeugen, Fregatten beschäftigen. Das ist doch nicht weit es geht vor Krieg zu schützen und von militärischer nachvollziehbar. Gewalt, von Gewaltinstrumenten fernzuhalten? Die letz- (Beifall bei der LINKEN) ten beiden Jahre haben leider gezeigt, dass der Elan dann spürbar nachlässt, wenn es um die Gesamtheit der For- Wir, die Linke, wollen jedenfalls keine Heranwachsen- derungen geht, die die Träger dieser Kampagne aufstel- den auf Leopard-Kanonenrohren herumturnen sehen. len. Ich rede von dem Deutschen Bündnis Kindersolda- Auch der Hinweis, dies geschehe im Beisein von Er- ten. Niemand hat sich darauf bezogen. Es ist doch gar wachsenen, beruhigt nicht. Auch das scheint unlogisch nicht Die Linke, die hier entsprechende Positionen ent- zu sein. Kinder unter 16 Jahren zum Beispiel können wickelt, sondern die deutschen Kinderschutzorganisatio- nicht in Kinofilme gehen, die erst ab 16 freigegeben nen stellen diese Forderungen auf. sind, auch nicht in Begleitung von Erwachsenen. Aber (Beifall bei der LINKEN) auf Rüstungsmessen soll es okay sein, wenn das Kind in das Eurofighter-Cockpit klettert, weil ein Erziehungsbe- Dabei ist es eine Frage der Glaubwürdigkeit, vor der rechtigter dabei ist. Nein, das ist nicht in Ordnung. Das eigenen Haustüre zu kehren. Das hat gar nichts damit zu wollen wir abstellen. tun, dass man eine Situation in Uganda mit einer hier, also Kindersoldaten mit der Bundeswehr, vergleicht. Das (Beifall bei der LINKEN) ist doch völlig absurd. Es geht um die Frage der Glaub- Dort findet doch keine Auseinandersetzung über das würdigkeit. Soldatenhandwerk statt. Nun wird gesagt: Wir können Wir reden über die angemessene Versorgung und Be- das nicht fernhalten; man muss diskutieren. – Natürlich treuung derjenigen, die hochgradig traumatisiert sind muss man diskutieren. Ich bin sehr energisch dafür. Aber und die zu uns gefunden haben. Wir reden davon, dass bei diesen Rüstungsmessen oder diesen Shows findet die bedrohten Kinder, die zu uns gekommen sind, ein keine Auseinandersetzung statt. 27390 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013

Paul Schäfer (Köln) (A) Ein zweiter Punkt, eine zweite Selbstverständlichkeit. alle Personen unter 18 Jahren, die von Streitkräften (C) Lassen Sie uns endlich dafür sorgen, dass Jugendliche erst oder bewaffneten Gruppen rekrutiert oder benutzt mit 18 in die Streitkräfte eingezogen werden können – werden oder wurden, egal in welcher Funktion oder ganz im Einklang mit der UN-Kinderschutzkonvention Rolle, darunter Kinder, die als Kämpfer, Köche, und den dazugehörigen Protokollen. Träger, Nachrichtenübermittler, Spione oder zu se- xuellen Zwecken benutzt wurden. Ausdrücklich (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- sind es nicht nur Kinder, die aktiv an Kampfhand- NIS 90/DIE GRÜNEN) lungen teilgenommen haben. Das haben Sie unterschlagen. International sagt man Das ist sehr weitgehend und auch sehr allgemein. „Straight 18“ dazu. Das – so sagen die Kinderschutz- organisationen – sei erstrebenswert. Es gibt in dieser Definition aber einen sehr deutlichen Fixpunkt, und der ist nicht allgemein: 18 Jahre. Wir wis- Diese fast 1 000 Leute unter 18, die die Bundeswehr sen von verschiedenen Jugendschutzregelungen: 18 ist rekrutiert hat, ergeben auch gar keinen militärischen nicht 17,5, ist auch nicht der Tag vor dem 18. Geburtstag. Sinn für die Bundeswehr. Die Bundeswehr könnte pro- Bei dem Punkt – da kommen wir nicht drum herum – blemlos auf sie verzichten. Das sollte die Bundesregie- schummelt die Bundeswehr, rung regeln. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Letzter Satz: Meine Damen und Herren, zeigen Sie und bei der LINKEN) dem militärischen Missbrauch von Kindern für Krieg und da schummelt auch die Asylbürokratie. und Gewalt nicht nur die Rote Hand, sondern auch die rote Karte! Stimmen Sie unseren Anträgen zu! Das Zusatzprotokoll verbietet den Einsatz von Kin- dern unter 18. Dann gibt es – auf Druck Deutschlands Danke. übrigens – eine Ausnahme. Es wurde hineingeschrieben: (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Staatliche Armeen dürfen Freiwillige ab 16 rekrutie- NIS 90/DIE GRÜNEN) ren. – Das macht sich die Bundeswehr zu eigen. Das ist aber völlig gegen den Geist der UN-Kinderrechtskon- vention. Deshalb sagt die große Mehrheit der 150 Län- Vizepräsidentin Petra Pau: der, die das Zusatzprotokoll unterschrieben haben: Das Das Wort hat der Kollege Tom Koenigs für die Frak- machen wir nicht. Sie erklären das auch. Diese Länder tion Bündnis 90/Die Grünen. haben natürlich auch Schwierigkeiten mit der Rekrutie- rung. Das sind Länder wie Spanien, Portugal, Dänemark, (B) Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Finnland, Schweden, Norwegen, Schweiz, Belgien, (D) Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Tschechien, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Lettland Herren! Wenn man die Bundesregierung fragt, was ei- und Litauen. Nur 26 Länder haben dieses Protokoll nicht gentlich der wirkliche Erfolg der zweijährigen Präsenz unterschrieben. Dazu zählt auch Deutschland. im Sicherheitsrat war, dann heißt es oft: Wir haben es er- Die Bundeswehr wirbt gezielt und systematisch. Das reicht, in der Arbeitsgruppe „Kinder und bewaffnete sind Double Standards. Das macht uns unglaubwürdig. Konflikte“ die Ächtung von Angriffen auf Schulen und Gerade bei einem Thema, das so wichtig genommen Krankenhäuser durchzusetzen. Die werden dann auf die wird, blickt man auf uns. Das macht uns trotz dieser Re- List of Shame gesetzt. solutionen gegenüber den Schurkenstaaten unglaubwür- dig. Deshalb sagen wir sehr deutlich: „straight 18“ im Das zeigt, wie wichtig die Bundesregierung den Asylverfahren und bei der Bundeswehr. Schutz von Kindern nimmt. Diesen Schutz nehmen wir alle sehr ernst. Den nimmt die ganze Welt sehr ernst. Die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kinderrechtskonvention ist von 193 Staaten, also allen und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Staaten unterschrieben worden. Sie ist, glaube ich, die der SPD) einzige Konvention, die von allen unterschrieben wor- Das Kindeswohl muss das vorrangige Prinzip sein. den ist. Das Zusatzprotokoll betreffend die Beteiligung Ich weiß gar nicht, wen wir schützen: Schützen wir da- von Kindern an bewaffneten Konflikten von 2004 ist im- mit die Bundeswehr? Schützen wir die Asylbürokratie? merhin von 150 Staaten anerkannt worden. Das heißt, es „Straight 18“ heißt Kinderschutz für alle Kinder, und gibt einen breiten Konsens: Kein Missbrauch von Kin- Kinder sind alle unter 18. Schluss! dern als Soldaten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- und bei der SPD) KEN) Jetzt kann man darüber streiten: Was sind Kindersol- daten? Auf der UNICEF-Konferenz in Paris ist ein Do- Vizepräsidentin Petra Pau: kument unterschrieben worden. Nach einer inzwischen Das Wort hat der Kollege Frank Heinrich für die einvernehmlichen Sprachregelung der Vereinten Natio- Unionsfraktion. nen – Agreed Language – sind Kinder, die mit Streitkräf- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ten oder bewaffneten Gruppen assoziiert sind: neten der FDP) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27391

(A) Frank Heinrich (CDU/CSU): Was kann man tun? Das fragen wir auch die Bundes- (C) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und regierung; das fragen Sie die Bundesregierung. Ver- Kollegen! Es bleibt mir, die Debatte, in der wir an vielen schiedene Kollegen haben schon gesagt, was da passiert Stellen doch große Einigkeit haben, ein wenig zusam- ist. Ist das genug? Da sind wir unterschiedlicher Mei- menzufassen. Wie mein Kollege Hardt vorhin angekün- nung. digt hat, möchte ich in erster Linie auf den zweiten An- Weltweite Bekämpfung der Rekrutierung von Kin- trag der Linken eingehen. Ich will zum einen kurz die dern als Soldaten: Wir haben – Herr Koenigs hat es ge- Problematik anreißen, die tatsächlich – das haben wir, rade noch einmal genannt – das Zusatzprotokoll der Kin- denke ich, alle geäußert – zum Himmel stinkt. derrechtskonvention ratifiziert. Wir hatten den Vorsitz Zweitens will ich auf den Hauptgrund für unsere der Arbeitsgruppe des Sicherheitsrates zum Thema Ablehnung eingehen, nämlich dass wir vieles davon „Kinder und bewaffnete Konflikte“ inne. Unter Feder- a) nicht verstehen und b) schon als erfüllt ansehen. führung von Außenminister Westerwelle wurde auch im UN-Sicherheitsrat auf Verbesserungen hingewirkt. Auch Das Dritte wären Gedanken zu einigen Ihrer Punkte dank dieses deutschen Engagements sind Millionen von in dem Antrag. Kindern in Konflikten besser geschützt, möglicherweise Das Problem selber: die Kindersoldaten. Im Juni letz- noch nicht genügend. Die Ächtung des Einsatzes von ten Jahres gab es drüben in einem unserer Gebäude eine Kindersoldaten hat allerdings einen Unterschied ge- Ausstellung. World Vision hatte sie organisiert. macht; das ist auch die Außenwahrnehmung. Wolfgang Niedecken hat unter anderem folgende Verse Zur Wiedereingliederung von Kindersoldaten: Das gesungen – ich möchte zitieren –: BMZ hat entschieden, dass Kindersoldaten jetzt eine ei- Nach Gulu, nach Gulu, nach Gulu, genständige Zielgruppe von Entwicklungsprojekten bil- Für eine sichere Nacht. den. Entsprechende entwicklungspolitische Maßnahmen Nach Gulu, nach Gulu, nach Gulu, werden speziell auf deren Bedürfnisse zugeschnitten. Nur für eine sichere Nacht. … Hier geht es um die Förderung der Reintegration etwa durch Schul- und Berufsausbildung. Das BMZ arbeitet Durchgeknallte Killerhorden an der Stelle mit entwicklungspolitischen Organisatio- Geilen sich auf an Gewalt, nen sowie kirchlichen Trägern und zivilgesellschaftli- Vergewaltigen, brennen, morden chen Gruppen zusammen. Und entführen Nacht für Nacht Kinder, Die Öffentlichkeit bestätigt unsere Wahrnehmung, die’s nicht bis Gulu schaffen, nicht nur – das wurde vorhin genannt –, was die Ächtung Um zu schlafen, von Soldaten bewacht. (B) des Kindersoldateneinsatzes angeht. Im Bericht der VN- (D) Weltweit werden – Sie hatten die Zahl vorhin genannt, Sonderberichterstatterin zum Thema „Kinder und be- Frau Graf; UNICEF hat das so beziffert – 250 000 Kinder waffnete Konflikte“ wurde das deutsche Engagement im in mehr als 20 Ländern in Konfliktgebieten als Krieger, Hinblick auf ein Einlenken der Lord’s Resistance Army als Spione, Nachrichtenübermittler, Köche, Sexsklaven anerkannt. In diesem Zusammenhang fiel vorhin der missbraucht. Zwangsrekrutierung und Entführung: Grau- Name Joseph Kony, über den ein Internetvideo veröf- sam! Bereits Neunjährige werden zum Töten gezwungen. fentlicht wurde, das sich viele Millionen angesehen ha- Viele sterben angesichts der unmenschlichen Bedingun- ben. gen, unter denen sie leben müssen. Viele Überlebende Es gibt einige Punkte, die ich inhaltlich im Einzelnen bleiben oft lebenslang traumatisiert und behindert. Sie ansprechen will; Herr Schäfer, auch Sie haben sie ge- werden ihrer Kindheit beraubt. Schwerwiegende Verlet- nannt. Da ist einerseits die Sache mit dem Asyl: die An- zungen von Menschenrechten finden statt. Diese Kinder erkennung einer drohenden oder bereits erfolgten Rekru- brauchen unseren Schutz. tierung als Kindersoldat als spezifischer Asylgrund. Die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Identifizierung von Kindersoldaten ist sehr schwierig. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie ist Aufgabe der Jugendämter, die ein Clearingverfah- Genau so ist das!) ren durchführen. Da finden viele Gespräche statt. Direkt danach folgt nicht automatisch ein Asylverfahren. Oft Was kann man tun? Das ist die Frage, die sowohl bei gibt es keine Aussage der betroffenen Kinder. Dafür gibt Ihnen als auch bei uns in dieser Debatte auftauchte. Zum es verschiedene Gründe – ich bin in meinem ersten Be- einen kann man das tun, was viele von Ihnen und von ruf Sozialpädagoge und habe viel mit problembelasteten, uns, parteiübergreifend organisiert von der Kinderkom- traumatisierten Menschen zu tun gehabt –: Scham wegen mission des Bundestages, gestern gemacht haben. Wir begangener Taten, Furcht vor Strafverfolgung, Unfähig- haben unseren Handabdruck gezeigt – Sie haben gesagt: keit zur Aussage eben wegen des Traumas, möglicher- Rote Karte geben –, um auszudrücken, wie wir das fin- weise auch falsche Informationen der Personen aus ih- den, was da passiert, dass wir uns einsetzen wollen, un- rem Umfeld. Wenn es zu einer Täuschung kommt, muss sere Hand dafür hergeben, Erklärungen in der Öffent- dies nicht automatisch zu einer Disqualifikation im Hin- lichkeit abgeben. Auch deshalb ist die Debatte heute blick auf einen Aufenthalt in Deutschland führen. Es richtig. Informieren, ausstellen, diese Organisationen kann möglicherweise trotzdem ein Abschiebeverbot ge- – UNICEF, World Vision –, die ich gerade genannt habe, ben. Die Problematik ist auch in den einzelnen Fällen zu unterstützen: Dafür ist es gut. groß, um einfach nur zu sagen: Asyl abgelehnt! 27392 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013

Frank Heinrich (A) Zur Betreuung von unbegleiteten Minderjährigen. Die für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? (C) Bundesregierung ist der Auffassung, dass ehemalige – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit Kindersoldaten besonders schutzwürdige Personen sind. den Stimmen der Unionsfraktion und der FDP-Fraktion Auf das Mindestalter für einen Einsatz beim Militär will gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Frak- ich jetzt nicht mehr explizit eingehen; darauf sind die tion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der SPD- Kollegen ausreichend eingegangen. Fraktion angenommen. Was die Rüstungspolitik angeht – das ist der erste An- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 39 a und 39 b auf: trag –: Wenn ich sage, dass wir in Deutschland in unse- rer Rüstungsexportpolitik bestimmte Grundsätze berück- a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- sichtigen, dann weiß ich auch, dass sich Theorie und richts des Ausschusses für Kultur und Medien Praxis manchmal unterscheiden und wir in dem einen (22. Ausschuss) oder anderen Jahr dagegen verstoßen haben; dagegen –zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang müssen wir uns wehren. Börnsen (Bönstrup), Johannes Selle, Dorothee Ich komme zum Schluss. Am 12. Februar 2002 trat Bär, weiterer Abgeordneter und der Fraktion das UN-Fakultativprotokoll in Kraft. Die zwangsweise der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Rekrutierung und der Einsatz von Kindern und Jugendli- Dr. Claudia Winterstein, Burkhardt Müller- chen unter 18 Jahren bei Feindseligkeiten werden seit- Sönksen, Reiner Deutschmann, weiterer Ab- dem geächtet. Das Protokoll wurde inzwischen von geordneter und der Fraktion der FDP mehr als 120 Regierungen anerkannt. Seitdem gilt der Das Filmerbe stärken, die Kulturschätze 12. Februar, den wir gestern, am Aktionstag der Aktion für die Nachwelt bewahren und im digitalen Rote Hand, in Erinnerung gerufen haben, als Internatio- Zeitalter zugänglich machen naler Tag gegen den Einsatz von Kindersoldaten. Ich wünsche mir, dass wir diese Aktion nicht nur hier mit –zu dem Antrag der Abgeordneten Angelika den roten Händen unterstützen, sondern sie auch in den Krüger-Leißner, Siegmund Ehrmann, Petra Wahlkreisen promoten, das Wissen weitergeben und ein Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Bewusstsein für die Problematik schaffen; das ist das Fraktion der SPD eine, das wir tun können. Das Zweite, das wir tun kön- Ein nationales Digitalisierungsprogramm nen, ist, sich hier tatsächlich damit zu befassen. Insofern für unser Filmerbe danke ich für das Einbringen des Antrags. Was sonst kann man tun? Man kann spenden; man kann politisch –zu dem Antrag der Abgeordneten Kathrin handeln, und an der Stelle sind wir noch lange nicht am Senger-Schäfer, Jan Korte, Herbert Behrens, (B) (D) Ende. weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. Finanzierung zur Bewahrung des deutschen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Filmerbes endlich sicherstellen

Vizepräsidentin Petra Pau: –zu dem Antrag der Abgeordneten Claudia Ich schließe die Aussprache. Roth (Augsburg), Tabea Rößner, Dr. Konstantin von Notz, weiterer Abgeordne- Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- empfehlung des Verteidigungsausschusses zu dem An- NEN trag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Kein Zugang von Kindern und Jugendlichen zu Kriegswaffen bei Umfassende Initiative zur Digitalisierung Bundeswehr-Veranstaltungen“. Der Ausschuss empfiehlt des Filmerbes starten in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/9597, – Drucksachen 17/11006, 17/10098, 17/11007, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/8353, 17/11933 – 17/8609 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussemp- fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Berichterstattung: Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Abgeordnete Johannes Selle Unionsfraktion, der FDP-Fraktion und der SPD-Fraktion Angelika Krüger-Leißner gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Frak- Dr. Claudia Winterstein tion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Kathrin Senger-Schäfer Claudia Roth (Augsburg) Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 36 b. Abstim- mung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zu dem An- gebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur trag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Militärische Änderung des Bundesarchivgesetzes Verwendung von Minderjährigen beenden – Ehemalige – Drucksache 17/12012 – Kindersoldatinnen und Kindersoldaten unterstützen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien (f) auf Drucksache 17/9916, den Antrag der Fraktion Die Innenausschuss Linke auf Drucksache 17/8491 abzulehnen. Wer stimmt Rechtsausschuss Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27393

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE (C) Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre GRÜNEN]: Das scheint ja eine lohnende Sa- keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. che zu sein!) Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Meine Damen und Herren, was wir heute mit der No- Staatsminister Bernd Neumann. vellierung des Bundesarchivgesetzes vorhaben, betrifft nicht die Vergangenheit, sondern die Gegenwart und die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Zukunft unseres gesamten Filmerbes. Vorgesehen ist mit dieser Novellierung die Pflicht für Hersteller oder Mit- Bernd Neumann, Staatsminister bei der Bundes- hersteller deutscher Kinofilme, diese Filme in eine Da- kanzlerin: tenbank beim Bundesarchiv einzutragen. Durch diese Frau Präsidenten! Meine Damen und Herren! Die Pflichtregistrierung wird eine verbindliche und lücken- heutige Debatte zum Erhalt des Filmerbes findet an sich lose Dokumentation der deutschen Filmproduktionen an zu einem optimalen Zeitpunkt statt: kurz vor Beginn des einer zentralen Stelle sichergestellt. größten Publikumsfilmfestivals der Welt, der Berlinale. Auf dieser Basis können dann auch die Kosten für Der rote Teppich liegt bereit, und neben all den Stars und eine mögliche generelle Pflichthinterlegung – wir wissen Weltpremieren wird sich die diesjährige Berlinale mit jetzt nicht die Dimensionen – ermittelt werden, die es der Retrospektive „The Weimar Touch“ auch einem auf Betreiben des BKM bereits seit 2004 für alle Kino- wichtigen Aspekt der Geschichte des Films widmen. Im filme gibt, die öffentlich gefördert werden. Das sind Zentrum stehen die Einflüsse des Weimarer Kinos auf etwa 80 bis 90 Prozent aller jährlich produzierten deut- das internationale Filmschaffen nach 1933 in den Filmen schen Filme. Das heißt, für diese haben wir ohnehin eine deutschsprachiger Emigranten. Pflicht zur Hinterlegung einer Kopie. Diese Retrospektive ist Ergebnis einer Kooperation (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) zwischen der Deutschen Kinemathek und dem Museum Neben der Einführung einer Pflichtregistrierung ha- of Modern Art in New York und damit ein eindrucksvol- ben wir bereits weitere Maßnahmen zur Sicherung des ler Beleg für den Reichtum unseres Filmerbes und die klassischen Filmerbes getroffen. Mit dem klassischen Notwendigkeit, es zu erhalten. Filmerbe meine ich die ersten Filme, die zu Beginn der 20er-Jahre des letzten Jahrhunderts entstanden sind – ei- (Beifall bei der CDU/CSU) nen bedeutenden Film wie Metropolis haben wir mit öf- Meine Damen und Herren, Kinofilme sind nicht nur fentlichen Mitteln restauriert –, bis hin zu Filmen der 80er- und 90er-Jahre. Bereits im Jahr 2012 wurde für die (B) Wirtschafts-, sondern zugleich Kulturgüter. Der Kino- (D) film berührt emotional unmittelbarer als jede andere Restaurierung und Digitalisierung dieses klassischen Kunstform. Er trägt ganz wesentlich zum Verständnis Filmerbes durch mein Haus fast eine halbe Million Euro unserer Kultur und Gesellschaft bei. Filme dokumentie- zur Verfügung gestellt; für 2013 steht dafür 1 Million ren auf einzigartige Weise die historische Entwicklung Euro zusätzlich bereit. unseres Landes. Schon aus diesem Grund liegt es im öf- (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: fentlichen Interesse, das deutsche Filmschaffen mög- Sehr gut!) lichst lückenlos zu erfassen und dauerhaft zu erhalten. Diese Mittel fließen unter anderem an die DEFA-Stif- Filme sind jedoch darüber hinaus ein fragiles, ver- tung, das Deutsche Filminstitut in Frankfurt, die gängliches Kulturgut. Wer einmal eine vom Zerfall be- Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung und die Stiftung drohte Filmrolle in den Händen gehalten hat, weiß, wo- Deutsche Kinemathek. Letztere erarbeitet federführend von ich rede. Darüber hinaus fehlt es für die gute, alte einen Bestandskatalog, in dem dann alle alten Filmklas- Filmrolle aufgrund der Digitalisierung der Kinos zuneh- siker registriert werden. Die Förderung durch mein Haus mend an Abspielmöglichkeiten. ermöglichte zudem, dass das Deutsche Filminstitut in Wiesbaden schon seit 2009 über ein online ausgerichte- Damit unser Filmerbe auch weiterhin öffentlich prä- tes Filmportal verfügt. Deutschland ist damit der erste sentiert werden kann, besteht auf mehreren Ebenen EU-Mitgliedstaat, der über eine frei zugängliche und Handlungsbedarf. Die Bundesregierung wird diesem vollständige Filmografie verfügt. schrittweise gerecht. Man möchte immer noch mehr und (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – immer noch schneller; aber ich darf bezogen auf Kon- Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: takte mit meinen europäischen Kollegen sagen: Wir lie- Ein gutes Verfahren!) gen mit dem, was wir tun, im europäischen Bereich an der Spitze. Der Regierungsentwurf für die Novelle zum Filmför- derungsgesetz, der heute auf der Tagesordnung des Bun- (Beifall bei der CDU/CSU – Lachen der Abg. desrates steht und den wir noch zu beraten haben, sieht Angelika Krüger-Leißner [SPD]) zudem vor, die Digitalisierung des Filmerbes ausdrück- – Frau Kollegin Krüger-Leißner, Sie lächeln. Viel- lich in den Aufgabenkatalog der Filmförderungsanstalt leicht sollte ich Sie einmal zu den EU-Ministerratskonfe- aufzunehmen. renzen mitnehmen. Denn diese Kontakte werden Sie in Abschließend begrüße ich es sehr, dass alle Fraktio- dieser Form nicht haben. nen Anträge zur Stärkung unseres Filmerbes, mit unter- 27394 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013

Staatsminister Bernd Neumann (A) schiedlichen Maßnahmen, gestellt haben. Die Sicherung zur Lage des Filmerbes vor. Deutschland schneidet dabei (C) unseres Filmerbes ist nicht nur in die Vergangenheit ge- nicht gut ab. richtet, sondern eine Investition in die Zukunft, sodass wir auch nachfolgenden Generationen die Entwicklung Die Zeit drängt. Viele alte Filme sind bereits verloren, unseres Landes am Beispiel guter klassischer Filme prä- weil die Trägermaterialien verfallen. Auch die fort- sentieren können. schreitende Digitalisierung zwingt zum Handeln; denn die analogen Filme werden die Menschen kaum noch er- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. reichen, weil die meisten Kinos in absehbarer Zeit nur noch digital vorführen. Auch die Fernsehsender bevor- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) zugen inzwischen digitales Material. Wir dürfen die große Chance nicht verpassen, die sich durch das Inter- Vizepräsidentin Petra Pau: net bietet. Gerade über diesen Weg könnten die alten Das Wort hat die Kollegin Angelika Krüger-Leißner Filmschätze interessierte Menschen erreichen. Aus all für die SPD-Fraktion. diesen Gründen müssen wir die Digitalisierung der Filme endlich systematisch anpacken. Angelika Krüger-Leißner (SPD): Das Handeln der Bundesregierung wird dieser großen Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen Herausforderung aber nicht gerecht; und Kollegen! Vor fast fünf Jahren haben wir einen in- terfraktionellen Antrag zur Sicherung unseres Filmerbes (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: vorgelegt. Ich hoffe, Sie erinnern sich noch daran; alle Nein, nein! – Wolfgang Börnsen [Bönstrup] Fraktionen waren dabei. Darin haben wir die Einführung [CDU/CSU]: Sehr einseitig!) einer Pflichtabgabe auch für nicht geförderte Filme fest- geschrieben. Es hat fünf Jahre gedauert, bis wir heute denn der vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur Ände- über einen Gesetzentwurf der Bundesregierung beraten rung des Bundesarchivgesetzes bezieht sich nur auf das können, der sich damit befasst. Aber wer gedacht hat, Erfassen der Gegenwartsproduktionen. Das reicht nicht dass uns nun ein Vorschlag für die Pflichthinterlegung aus. vorgelegt wird, der irrt; denn mit diesem Gesetzentwurf (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten soll lediglich die Pflichtregistrierung eingeführt werden. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Keine Frage, als Vorstufe für die Hinterlegung macht Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: eine Registrierung durchaus Sinn. Aber es ist doch ein Das sind immerhin 90 Prozent!) ziemlich mageres Ergebnis, wenn man dafür ganze fünf Jahre braucht. Sicherlich, in die Digitalisierung des alten Filmbestandes (B) ist hier und da Geld geflossen – Staatsminister Neumann (D) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ hat das aufgeführt, und das finde ich auch gut –; aber an- DIE GRÜNEN – Dr. Konstantin von Notz gesichts der immensen Aufgabe sind das nur Tropfen auf [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es! – den heißen Stein. Die EU-Kommission hat es in einer Christoph Poland [CDU/CSU]: Was war das Pressemitteilung, übrigens vom 20. Dezember letzten denn jetzt? – Gegenruf der Abg. Jahres, auf den Punkt gebracht: [Aachen] [SPD]: Tatsachenfeststellung!) Eine Million Stunden europäische Filme in Dosen Vor fünf Jahren haben wir übrigens auch gefordert, und Schränken weggeschlossen … dass die baldige Ratifizierung des Europäischen Über- einkommens zum Schutze des audiovisuellen Erbes in Sie sind damit für die Menschen unerreichbar. Angriff genommen wird. Auch dies ist nicht in Angriff Nur 1,5 Prozent des europäischen Filmerbes wur- genommen worden. den bisher digitalisiert. Aber nicht nur bei der Ratifizierung hängt Deutsch- Umso erfreulicher finde ich das Engagement der land der internationalen Entwicklung hinterher. So aner- Filmbranche im Rahmen der Filmförderungsanstalt. kannt und engagiert der Kulturbeauftragte bekanntlich in Hier ist ein Digitalisierungsprogramm aufgelegt worden. Sachen Film ist: Bei der Aufgabe der Sicherung und Ver- Für dieses Jahr steht dem FFA-Haushalt dafür 1 Million breitung unseres reichhaltigen Filmerbes, so muss ich Euro zur Verfügung. Aber es ist schon klar, dass das der feststellen, sind die Hausaufgaben nicht gemacht. Dabei gewaltigen Nachfrage nicht gerecht werden kann. Es ist das doch eine herausragende kulturpolitische Auf- sind wirklich gut gemeinte Ansätze; aber das reicht eben gabe. Filme sind fester Bestandteil unseres kulturellen nicht aus. Die Fraktion der Grünen sieht das genauso. Erbes. Sie sind Teil unseres nationalen kulturellen Ge- Deshalb haben wir im Ausschuss eine gemeinsame Er- dächtnisses, und sie sind Ausdruck des kulturellen klärung eingebracht, in der wir die notwendigen Maß- Reichtums und der kulturellen Vielfalt. Es ist unsere nahmen benennen. Ich will sie noch einmal kurz zusam- Aufgabe, diesen Reichtum zu erhalten und den Men- menfassen. schen auch zugänglich zu machen. Erstens. Wir brauchen eine umfassende Digitalisie- (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: rungsoffensive. Ziel soll es sein, die Filme nachhaltig Das tun wir!) und langfristig zu sichern und der breiten Öffentlichkeit Auf EU-Ebene ist dies längst erkannt. Inzwischen liegt zugänglich zu machen: über das Kino, über die Kine- den Mitgliedsländern der dritte Bericht der Kommission matheken und auch über das Internet. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27395

Angelika Krüger-Leißner (A) Zweitens. Ganz wichtig ist es, mit allen beteiligten Vizepräsidentin Petra Pau: (C) Akteuren, den Kinematheken und den Archiven, mit den Das Wort hat die Kollegin Dr. Claudia Winterstein für Filmerbe-Stiftungen, mit den Filmfördereinrichtungen, die FDP-Fraktion. mit den Fernsehsendern, Produzenten und Verwertungs- gesellschaften, koordinierte Lösungsvorschläge für ein (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten nationales Digitalisierungsprogramm zu erarbeiten. der CDU/CSU) Auch die Bundesländer sind hier mit einzubeziehen; schließlich verfügen sie über Landesfilmarchive. Dr. Claudia Winterstein (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Drittens. Es ist mir besonders wichtig, dass das Film- Herren! Pünktlich zur Berlinale erreicht uns die frohe erbe auch für den Bereich der Filmbildung nutzbar ge- Botschaft, dass die Murnau-Stiftung den deutschen macht wird. Hier und in der Wissenschaft muss sicherge- Filmklassiker Glückskinder aus dem Jahr 1936 restau- stellt werden, dass die Nutzung unentgeltlich ist. riert. Lilian Harvey und Willy Fritsch, das Traumpaar (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ des deutschen Films der 30er-Jahre, spielen in dem Film DIE GRÜNEN) die Hauptrollen. Auch in der Filmförderung sollte die Langzeitsiche- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten rung von Anfang an mitgedacht werden. Wir können der CDU/CSU) nicht öffentlich Filme fördern, ohne für deren langfris- Nun wird die Komödie in bestmöglicher Ton- und tigen Erhalt zu sorgen. Deshalb wollen wir in der an- Bildqualität für Kino, Fernsehen und Internet digital ver- stehenden Novelle zum Filmförderungsgesetz fest- fügbar sein. schreiben, dass die Kosten für die Langzeitsicherung der geförderten Filme von vornherein in die Förderung ein- (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: gepreist werden. Das kann doch nur im Interesse der Das ist doch schön!) Produzenten sein. Statt in Vergessenheit zu geraten, werden diesen Klassi- Wichtig ist auch, dass nicht nur eine archivfähige Ko- ker des deutschen Films viele Menschen neu erleben pie der geförderten Filme hinterlegt wird, sondern mög- können. Es war auch ein großes Ereignis und ein wirk- lichst das Ausgangsmaterial, also das digitale Master. lich toller Erfolg, als im Jahr 2010 der Stummfilmklassi- Ich befinde mich in Gesprächen mit der Branche, und ker Metropolis von Fritz Lang zur Berlinale in der res- ich bin zuversichtlich, dass wir eine einvernehmliche taurierten Version welturaufgeführt wurde. Die Lösung finden. überwältigende Resonanz zeigte, welch hohe Bedeutung (B) Lassen Sie mich noch einen weiteren, bisher ungelös- ein nationales Filmerbe hat. (D) ten Punkt ansprechen: die sogenannten verwaisten Film- (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: werke. Diese Filme können bisher nicht erschlossen und Richtig!) auch nicht genutzt werden, weil der Urheber nicht be- kannt ist. Hier brauchen wir eine praktikable und kosten- Der Gelehrte Wilhelm von Humboldt sagte einmal: günstige Regelung. „Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft.“ Wer also für die Zukunft bereit sein will, muss auch aus Eines sollte allen klar sein: Zum Nulltarif ist die Si- der Vergangenheit lernen. Filme als Kulturgut können cherung und Nutzung unseres Filmerbes nicht zu haben. uns dabei helfen, die Vergangenheit zu verstehen. Finanziell kann uns dieses große Projekt nur gelingen, wenn wir mit allen Beteiligten ein Programm auflegen (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) und eine Zeitschiene für die Umsetzung abstecken. So Filme sind immer auch ein lebendiger Spiegel der jewei- haben wir das bei der Kinodigitalisierung gemacht. Hier ligen Zeit. Sie reflektieren die Wünsche und Ideen einer haben am Ende alle mitgezogen, weil alle ein vitales In- ganzen Generation. Diese Kulturschätze müssen wir für teresse am Erhalt unserer Kinolandschaft haben, der die nachfolgenden Generationen bewahren. Deshalb Bund, die Filmförderungsanstalt, die Filmbranche und setzt sich die Koalition mit dem vorliegenden Antrag für die Bundesländer. Ähnlich sieht die Interessenlage beim das nationale Filmerbe ein. Filmerbe aus, wobei hier noch die Sender hinzukommen. Auch von ihnen, gerade von den öffentlich-rechtlichen Bereits heute besteht für die öffentlich geförderten mit ihrem Kulturauftrag, erwarte ich einen Beitrag. Filme eine Hinterlegungspflicht. Auf diese Weise wer- den circa 80 Prozent der in Deutschland produzierten Dieses gemeinsame Interesse müssen wir für eine ge- Filme in den Archiven hinterlegt. meinsame Initiative nutzen. Darum fordere ich zum Schluss meiner Rede Herrn Kulturstaatsminister (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Neumann auf, die Initiative für ein Filmerbeprogramm GRÜNEN]: Reicht nicht!) nach dem Vorbild des Erfolgsmodells der Kinodigitali- Unklar ist jedoch häufig, wo die Filmkopien vorliegen sierung zu ergreifen. Ich verspreche Ihnen: Wir unter- und in welchem Zustand sie sich befinden. Zahlreiche stützen Sie dabei. Filmwerke gelten als für immer verloren. Einige Film- Danke. epochen weisen sogar recht große Bestandslücken auf. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Um das Filmerbe vollständig zu erhalten, müssen wir des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) also zunächst die Anzahl der zu archivierenden Film- 27396 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013

Dr. Claudia Winterstein (A) werke kennen. Seit 2009 ist mit dem Filmportal eine Vizepräsidentin Petra Pau: (C) Filmografie online verfügbar. Das Filmportal gibt einen Das Wort hat die Kollegin Kathrin Senger-Schäfer für Überblick über die deutschen Filmproduktionen der letz- die Fraktion Die Linke. ten 110 Jahre. (Beifall bei der LINKEN) (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Richtig! Das gibt es alles schon!) Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE): Es wird vom Deutschen Filminstitut mit Unterstützung Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen der Bundesregierung gepflegt und fortgeführt. und Kollegen! Filme sind ein wichtiger Bestandteil un- seres kulturellen Erbes. Darin sind wir uns wohl alle ei- Mit der vorliegenden Novellierung des Bundesarchiv- nig. Im Osten sind Generationen mit dem Singenden, gesetzes verankern wir nun die Pflichtregistrierung. Da- klingenden Bäumchen aufgewachsen, und auch Nackt mit erreichen wir erstmals eine verlässliche und umfang- unter Wölfen war prägend. Im Westen möchte ich an reiche Datengrundlage, da in Zukunft die jährlichen Filme wie Angst essen Seele auf erinnern. Filme wie Filmproduktionen in Deutschland erfasst werden. diese müssen dringend für die nächsten Generationen er- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten halten bleiben. der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN) Unter Federführung des Kinematheksverbundes soll da- Zu den Fakten. Unseren Antrag „Finanzierung zur rauf aufbauend ein Bestandskatalog geschaffen werden. Bewahrung des deutschen Filmerbes endlich sicherstel- In ihm soll festgehalten werden, an welchem Ort in len“ haben wir erneut vorgelegt, weil sich die anderen Deutschland die Filmkopien archiviert werden und in Fraktionen dieses Hohen Hauses seit 2008 offenkundig welchem Zustand sie sich befinden. Hierfür stellt der keinen Begriff von der Reichweite der Digitalisierung Bund 200 000 Euro zur Verfügung. Mithilfe der Daten des Filmerbes machen. Unsere Zahlen ergeben sich da- werden wir in Zukunft weitere Bestandslücken im Film- mals wie heute aus den Vorlagen der Stiftung Deutsche erbe verhindern. Kinemathek, der DEFA-Stiftung und der Murnau-Stif- Doch was nützt uns ein Filmerbe, das in den Archiven tung. Auch der Verband der deutschen Filmkritik hat uns verstaubt? Filme werden doch eigentlich erst durch ihre versichert, dass unser Finanzierungsvorhaben realistisch Projektion auf die Leinwand mit Leben erfüllt. Wir wol- ist und wenigstens das Minimum dessen darstellt, was len, dass Filme von den Menschen erlebt werden kön- geleistet werden müsste. Das bedeutet: Die Fraktion Die nen. Die fortschreitende Technik im digitalen Zeitalter Linke lag schon 2008 richtig, und sie liegt auch heute (B) hilft uns dabei. Heute werden fast ausschließlich digitale wieder richtig. (D) Kopien von Filmen erstellt. Dadurch wird ein vielfälti- (Beifall bei der LINKEN – Jan Korte [DIE ges Filmerlebnis geschaffen. So ist es heute möglich, mit LINKE]: Das ist meistens so!) den unterschiedlichen Medien wie Kino, DVD und Onlinestreams viele Menschen zu erreichen. Wir gehen also wie die Stiftungen von einem Gesamt- volumen von 90 Millionen Euro für die Laufzeit von Der Zugang zu den Filmschätzen wird aber immer fünf Jahren aus. Die Finanzierung teilt sich in 30 Millio- schwieriger, da viele Filmklassiker nur als analoge Ko- nen Euro aus Haushaltsmitteln – 6 Millionen Euro pro pie vorhanden sind. Die fortschreitende Digitalisierung Jahr –, 30 Millionen Euro aus Abgaben der Film- und bewirkt, dass immer weniger analoge Abspielgeräte vor- Filmwerbewirtschaft und 30 Millionen Euro aus der Ki- handen sind. Eine Restaurierung und Digitalisierung der noabgabe von 5 Cent pro verkaufter Kinokarte auf. Wir Filmklassiker ist meist teuer und aufwendig; das wissen legen Ihnen dar, wie eine vernünftige Finanzierung zur wir. Deswegen begrüße ich es sehr, dass die Bundes- Sicherung des deutschen Filmerbes aussieht, und schla- regierung einen Teil der Fördermittel der Digitalisie- gen Ihnen vor allem eine langfristige und nachhaltige In- rungsoffensive für eine Digitalisierung des deutschen vestition in Kultur und Wissen vor. Alle würden ihren Filmerbes bereithält. Beitrag leisten: der Staat, die Wirtschaft und auch die (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Bürgerinnen und Bürger. der CDU/CSU) An dieser Stelle kommt von Ihnen, meine Damen und Wir wollen verhindern, dass das Filmerbe in Verges- Herren aus den Regierungs- und Konsensparteien, ge- senheit gerät. Unser Anspruch ist es, dass kommende wöhnlich in solchen Fällen der Einwand, dass sich un- Generationen Filme von heute auch morgen noch sehen sere Vorstellungen nicht finanzieren lassen. Das ist ein können. Hiermit stärken wir das Filmerbe. Hiermit be- gravierender Irrtum. wahren wir die Kulturschätze für die Nachwelt. Frau (Beifall bei der LINKEN) Krüger-Leißner, Sie werden sehen: Wir sind hiermit auf einem sehr guten Weg, den wir auch ganz stringent wei- Kassieren Sie doch einige Prestigeprojekte des Bundes! tergehen werden. Damit werden wir dieses Filmerbe für Stecken Sie die frei werdenden Mittel in die Sicherung alle zugänglich machen. des Filmerbes! Streichen Sie doch die Aufwendungen für den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses! Die Vielen Dank. 590 Millionen Euro wären beim Film mit Sicherheit (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) sinnvoller angelegt. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27397

Kathrin Senger-Schäfer (A) (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch des Der Bundestag beschäftigt sich deswegen zu Recht (C) Abg. Christoph Poland [CDU/CSU] – seit Jahren mit dem Filmerbe und dessen Erhalt. Wir Johannes Selle [CDU/CSU]: Sie spielen Kul- Grünen haben dies maßgeblich mit angeregt. tur gegen Kultur aus!) (Zuruf von der FDP: Sehr gut!) Stoppen Sie zudem die Verschwendung von Steuergel- Meine Fraktion und ich haben uns sehr gefreut, dass es dern bei Frau Steinbachs einseitig ausgerichteter Stif- auf unsere Initiative hin am Ende der letzten Legislatur- tung Flucht, Vertreibung, Versöhnung! Die 2,5 Millionen periode gelungen ist, hierzu einen interfraktionellen An- Euro für 2013 könnten zum Beispiel – hören Sie einmal trag zu verabschieden. Gerade vor dem Hintergrund zu – sehr gut als Anschubfinanzierung für die Digitali- dieser interfraktionellen Einigkeit ist es umso unerfreuli- sierung von Filmen zur NS-Vergangenheit aus Ost und cher, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung bis zum West verwendet werden. Der Allgemeinheit wäre damit heutigen Tag noch immer viel zu zögerlich agiert und weit besser geholfen als mit diesem geschichtspoliti- zahlreiche Forderungen aus dem damaligen Antrag nach schen Abenteurertum. wie vor offen sind. (Beifall bei der LINKEN – Jan Korte [DIE (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) LINKE]: Richtig! Sehr konkrete Vorschläge! – Herr Kollege Börnsen, Sie sprechen ja in diesem Zu- Zuruf von der FDP: Falsch!) sammenhang gern von einer Herkulesaufgabe. Ich gebe Die Anträge der anderen Fraktionen beschränken sich Ihnen da absolut recht. Aber gerade die Bewältigung von heute – wie bereits im Jahr 2008 – auf allgemeine Herkulesaufgaben erfordert eben auch ein Gesamtkon- Apelle. Damit wiederholt sich in dieser Debatte leider zept, weitreichende Konsequenzen, umfassendes Enga- das unwürdige Schauspiel mit einem so wichtigen Teil gement und vor allem Mut. An all dem mangelt es dieser unseres kulturellen Erbes. Vier Jahre wurden regelrecht Bundesregierung. Mit der Erstellung eines Katalogs und der Einstellung von einigen wenigen Hunderttausend vertrödelt, um Maßnahmen zur Sicherung des nationalen Euro ist es eben nicht getan. Die Zeit drängt. Daher ist es Filmerbes einzuleiten. Niemand von Ihnen hat sich gut, dass wir hier heute erneut darüber diskutieren und ernsthaft mit dem Finanzierungsvorschlag der Linken uns den nach wie vor ungeklärten Fragen, die kürzlich auseinandergesetzt. nochmals in unserer Anhörung aufgeworfen wurden, zu- Noch eines: Wenn sich der Staatsminister und die Ko- wenden. alition nun rühmen, dass die Digitalisierung des Film- Doch es geht nicht nur um die komplexen Fragen der erbes in den Aufgabenkatalog der Filmförderungsanstalt physischen Erhaltung und angemessenen Aufbewahrung (B) aufgenommen worden ist, so kann ich dazu nur sagen, des Filmerbes, sondern insgesamt auch um seine bessere (D) dass dies von Anfang an eine Idee der Linken war. Uns Zugänglichkeit und Präsenz in der öffentlichen Wahr- freut diese freundliche Übernahme sehr, nur sollten Sie nehmung, zum Beispiel durch einen möglichst barriere- dies auch wahrheitsgemäß erwähnen. freien Zugang. Untertitelungen und Audiodeskriptionen für Menschen mit Hör- und Sehbehinderungen sind (Beifall bei der LINKEN) heute essenziell. Die nunmehr auf den Weg gebrachte Pflichtregistrie- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN rung deutscher Filme im Bundesarchivgesetz begrüßen und bei der SPD sowie des Abg. Wolfgang wir. Zum Schluss sage ich im Interesse des deutschen Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]) Films: Warten wir nicht wieder weitere vier Jahre, bis sich bei der Digitalisierung endlich etwas bewegt. Auch hier bedarf es einer konsequenten Umsetzung. Vor diesem Hintergrund finden wir es schade, dass die Re- (Beifall bei der LINKEN) gierungskoalition bei diesem Punkt gleich abgewiegelt hat. Vizepräsidentin Petra Pau: Die Digitalisierung des Filmerbes ergibt sich auch aus Das Wort hat der Kollege Dr. Konstantin von Notz für der Digitalisierung der Abspieltechnik, die wir ja ge- die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. meinsam unterstützen. Auch das haben hier mehrere Kolleginnen und Kollegen angesprochen. Wichtig ist, Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE dass die neue Technik für das Filmerbe, das bisher nur GRÜNEN): analog vorliegt, nicht zu einem Nadelöhr wird. Wir müs- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und sen die Zugänge verbreitern; wir dürfen sie nicht veren- Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ob- gen. wohl der Film als Medium erst wenig mehr als 100 Jahre Die grüne Bundestagsfraktion hat vor gut einem Jahr alt ist, gehört das Filmerbe bereits heute zu den wichtigs- nochmals eine umfassende Initiative eingefordert. In- ten Bestandteilen unseres gesamten kulturell-histori- zwischen liegen Anträge von allen Fraktionen vor. Ge- schen Erbes. Filme und filmische Dokumente eröffnen schehen ist aber viel zu wenig. Dass es eine Reihe von besondere Zugänge zur Zeitgeschichte und Kultur. Sie technischen und rechtlichen Problemen gibt, wissen wir. tun dies in einer ungeheuren Breite in unserer Gesell- Wir als Gesetzgeber müssen aber helfen, diese zu über- schaft, für praktisch alle Menschen und unterschied- winden. Deswegen wollen wir uns mit allen Betroffenen lichste Milieus. an einen Tisch setzen, mit Vertretern von Archiven und 27398 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013

Dr. Konstantin von Notz (A) Filmerbe-Stiftungen, mit Produzenten, sonstigen Rechte- ein wichtiges Filmland geworden. Für uns ist das Film- (C) inhabern, Verwertungsgesellschaften, Wissenschaft und erbe des letzten Jahrhunderts von besonderer Bedeutung. Bildung, und die offenen Fragen im Dialog klären; in (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) den Niederlanden beispielsweise ist das sehr gut gelun- gen. Wir können viel vom Zeitgeist erfahren, wir können viel für die Aufklärung verwenden, und wir können auch das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Entstehen der Filmkunst verfolgen. Der Film ist ein Klar ist doch: Wir brauchen intelligente Lösungen, Massenmedium geworden, nicht nur deshalb, weil damit auch was die freie Nutzung der digitalisierten Filme für nahezu jeder Mensch erreicht wird, sondern auch, weil die Filmbildung und die Wissenschaft angeht. In diesem inzwischen massenhaft Filmmaterial vorliegt. Zusammenhang sei noch einmal erwähnt, dass Ihr Versa- Das Filmportal des Deutschen Filminstituts umfasst gen als Bundesregierung, Ihre Hasenfüßigkeit bei der ungefähr 80 000 Filme; im Antrag der Linken ist sogar Umsetzung des sogenannten dritten Korbes mit 251 000 Filmen und mehr als 118 000 Videos kalku- (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Na, na! liert worden. Jährlich kommen circa 200 Filmproduktio- Was soll das denn heißen? Das war ein ge- nen hinzu. Das Erbe wächst. An den ungenauen Zahlen- meinsames Projekt!) angaben kann man erkennen, dass wir uns diesem wertvollen Erbe dringend zuwenden müssen, nicht nur, – nehmen Sie es einfach hin; es ist so –, uns allen noch um einen Überblick zu bekommen, sondern auch, um die auf die Füße fallen wird. Denn der Reformdruck wird Filme vor dem Verfall zu retten und den Zugang zu ih- immer größer, auch im Hinblick auf die urheberrechtli- nen zu erhalten; mit fortschreitender Technik ist dies nur chen Fragen im Zusammenhang mit dem Filmerbe, ge- digital zu bewerkstelligen. Bei der Beschäftigung mit rade auch – die Kollegin hat es angesprochen – bei ver- diesem Erbe wird auch die Komplexität des Themas waisten Werke. deutlich. Deshalb fordern wir die Bundesregierung mit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN plausiblen Vorschlägen auf, sich diesem Erbe zuzuwen- und bei der SPD) den. Als netzpolitischer Sprecher meiner Fraktion ist es Seit 2004 gibt es in den Ländern eine Pflichthinterle- mir ein ganz besonderes Anliegen, dass wir auch das In- gung im Hinblick auf geförderte Filme. Aber es gibt ternet als heute elementares Verbreitungsmedium in un- keine Einheitlichkeit der Standards und keine Einheit- sere Überlegungen einbeziehen. Hier liegen ungeheure lichkeit der Information sowie der Formate. Die Filme Chancen für ein Filmerbe, das sonst bestenfalls in dunk- liegen an unterschiedlichen Orten, und niemand hat eine (B) len Archivräumen vor sich hin schlummert. Übersicht, wo sie liegen. Wir haben jetzt über die Ände- (D) rung des Bundesarchivgesetzes zu diskutieren. Ich hoffe, Für meine Fraktion sage ich aber auch klar: Wir wol- dass wir noch in diesem Monat die Pflichtregistrierung len im Dialog faire Lösungen herbeiführen, bei denen für alle Kinofilme beschließen können. alle zu ihrem Recht kommen und alle mit einbezogen werden. Vor uns liegt eine große Aufgabe, und wir haben Nach der Registrierung werden wir uns mit der Hin- keine Zeit zu verlieren. Die Gemeinsamkeiten, die wir terlegung beschäftigen müssen. Aber wir müssen eine haben, sollten nicht bloß zu weiteren Absichtserklärun- verlässliche Grundlage durch die Registrierung haben, gen führen, sondern endlich zu einem zügigen und ent- auf der wir das kalkulieren können. Da die Rechteinha- schlossenen Handeln. ber der Filme Nutznießer sind, muss man sie natürlich Ich danke Ihnen ganz herzlich. einbeziehen und in vielen Fällen auch erst einmal ausfin- dig machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Die vollständige Übersicht über Anzahl, Qualität, Ort und Format ist Voraussetzung für ein Konzept zur Digi- talisierung. Zu diesem Konzept der Digitalisierung ge- Vizepräsidentin Petra Pau: hört auch, dass wir uns Prioritäten setzen. Wir können Der letzte Redner in dieser Debatte ist der Kollege nicht alle Filme auf einmal digitalisieren. Es wird auch Johannes Selle für die Unionsfraktion. nicht alles, was jemals auf Film gebannt worden ist, zu (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) digitalisieren sein, und es ist auch nicht alles bewahrens- wert. Außerdem müssen wir feststellen, welche Filme vorher restauriert werden müssen. Johannes Selle (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Wir hatten eine Anhörung zu diesem Thema. In dieser Kolleginnen und Kollegen! Seit ungefähr 1890 werden Anhörung wurde deutlich, dass auch die Langzeitarchi- Menschen von bewegten Bildern in den Bann gezogen. vierung noch kein endgültiges Format hat. Im Gegenteil: In der Fiktion kann durch immer mehr Spezialeffekte Es waren Stimmen zu hören, die dem analogen Filmma- aus der Realität ausgebrochen werden. Zugleich kann terial noch die am längsten überschaubare Zeitdauer zu- die Realität verstörend authentisch und erschütternd billigten. Es gibt einen Unterschied zwischen dem Lang- wahrgenommen werden. Für Deutschland fällt die Ge- zeitarchivierungsformat und dem Format des öffentlichen schichte des Films ziemlich genau mit der Entwicklung Zugangs, den wir heute automatisch über das Internet an- des Nationalstaates zusammen. Zudem ist Deutschland nehmen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27399

Johannes Selle (A) Nach erfolgreicher Abarbeitung unseres Antrages ha- diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – (C) ben wir einen vollständigen Überblick über alle Werke, Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist ange- kennen unsere finanziellen Möglichkeiten und die Erfor- nommen. dernisse, kennen den Umfang der zusätzlichen Informa- tionen, die wir jedem Film beifügen wollen, haben Stan- Tagesordnungspunkt 39 b. Interfraktionell wird Über- dards gefunden für ganz Deutschland, haben vielleicht weisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/12012 eine Reihenfolge der Dringlichkeiten und haben auch die an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse Erfahrungen anderer Länder studiert. Möglicherweise vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – sind wir dann auch schlauer, was die Langzeitarchivie- Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so be- rung betrifft. Das wäre viel, aber das ist auch notwendig. schlossen. Zum Filmerbe liegen vier Anträge aller Fraktionen Ich rufe die Tagesordnungspunkte 38 a und 38 b auf: mit der gleichen Sorge – das gebe ich zu – um die Be- a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker wahrung dieses kostbaren Gutes vor. Stimmen Sie unse- Beck (Köln), Ingrid Hönlinger, Memet Kilic, rem wohlabgewogenen, unpolemischen und differen- weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜND- zierten Antrag zu! NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jan eines … Gesetzes zur Änderung des Parteien- Korte [DIE LINKE]: Auf keinen Fall!) gesetzes – Begrenzung von Parteispenden und Transparenz beim Sponsoring für Parteien (Transparenzgesetz) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. – Drucksache 17/11877 – Überweisungsvorschlag: Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- Innenausschuss (f) empfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien auf Rechtsausschuss Drucksache 17/11933. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Raju des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP Sharma, Jan Korte, Agnes Alpers, weiterer Abge- auf Drucksache 17/11006 mit dem Titel „Das Filmerbe ordneter und der Fraktion DIE LINKE stärken, die Kulturschätze für die Nachwelt bewahren Demokratie stärken, Lobbyismus verhindern und im digitalen Zeitalter zugänglich machen“. Wer und Parteienfinanzierung transparenter ge- stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt stalten dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh- (B) lung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der – Drucksache 17/9063 – (D) FDP-Fraktion gegen die Fraktion Die Linke bei Enthal- Überweisungsvorschlag: tung der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Innenausschuss (f) Grünen angenommen. Rechtsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp- Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Fraktion der SPD auf Drucksache 17/10098 mit dem Ti- tel „Ein nationales Digitalisierungsprogramm für unser Ich eröffne die Aussprache. Der Kollege Volker Beck Filmerbe“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Be- schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitions- Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): fraktionen gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und der Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Wir reden heute Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der über ein Transparenzgesetz für die Parteienfinanzierung. Fraktion Die Linke angenommen. Über die Transparenz bei Nebenbeschäftigungen von Des Weiteren empfiehlt der Ausschuss unter Buch- Abgeordneten haben wir hier im Bundestag viel geredet. stabe c die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Das Transparenzgesetz ist deshalb sehr wichtig, weil das Linke auf Drucksache 17/11007 mit dem Titel „Finan- Parteiengesetz eigentlich das gleiche Problem berührt: zierung zur Bewahrung des deutschen Filmerbes endlich Die Bürgerinnen und Bürger müssen sich darauf verlas- sicherstellen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- sen können, dass erkennbar ist, ob es wirtschaftliche lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Einflüsse auf die Willensbildung der Parteien gibt. Des- Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unions- halb meinen wir, dass die Transparenzregeln insgesamt fraktion, der FDP-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen verbessert werden müssen. die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Wir wollen die Spendentätigkeit auf natürliche Perso- Bündnis 90/Die Grünen angenommen. nen und 100 000 Euro pro Jahr an eine Partei begrenzen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buch- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stabe d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des und bei der LINKEN) Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck- sache 17/8353 mit dem Titel „Umfassende Initiative zur Damit wird verhindert, dass große Unternehmensspen- Digitalisierung des Filmerbes starten“. Wer stimmt für den indirekt auf die Willensbildung einer Partei Einfluss 27400 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013

Volker Beck (Köln) (A) nehmen – ohne jede Unrechtsverabredung –, sodass die zen nicht den Vorwurf, dass es hier etwas gab, was gegen (C) Parteien tatsächlich nur im Sinne ihres Wahlprogrammes das Parteiengesetz verstößt. – Aber der Präsident hat ge- und nicht im Sinne ihrer größten Spender politisch tätig genwärtig kein Prüfrecht, um solchen Machenschaften sind. nachzugehen. Ich denke, diese Wahlperiode hat mit den Mövenpick- Auch in der Frage hinsichtlich des Anteils der FDP an Spenden bei der FDP, der Universum GmbH sagt der Präsident: Das, was ich (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Nein! Was der Presse entnommen habe, deutet nicht unmittelbar da- soll denn das?) rauf hin, dass es sich hier um einen rechtlichen Verstoß handelt. – Das ist doch nicht zufriedenstellend. Wir mit der Gauselmann-Affäre und mit dem Skandal um brauchen klare Regeln. Wir brauchen eine klare Prüf- „Rent a MP“ bei Rüttgers in Nordrhein-Westfalen ge- kompetenz des Bundestagspräsidenten, damit er allen zeigt, dass wir hier wirklich einen Bedarf haben, die Par- Vorwürfen nachgehen kann. Ich wünsche mir auch, dass teienfinanzierung auf noch klarere und transparentere bei Verfahren, die zugunsten einer Partei, der man Vor- Füße zu stellen. würfe gemacht hat und die geprüft worden ist, ausgehen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hinterher klargestellt wird: Was war der wesentliche und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Sachverhalt? Aus welchen Gründen kommt die Prüfbe- der SPD) hörde, nämlich die Bundestagsverwaltung, dazu, zu sa- gen: „Es war am Ende doch alles in Ordnung“? Wir wollen das Sponsoring nicht verbieten, aber das Sponsoring transparent machen. Unsere Partei tut das Das ist gegenwärtig nicht der Fall. Das zeigt: Wir auch schon. Jeder kann auf unserer Webseite nach- müssen dafür sorgen, dass die Bürgerinnen und Bürger schauen, wie viel zum Beispiel die Leute, die einen darauf vertrauen können, dass zwischen allen Parteien Stand auf unserem Parteitag haben, dafür bezahlt haben. hier im Hause ein fairer Wettbewerb existiert und dass sich niemand Parteien oder Politik kaufen kann. Das ist (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Privat- der Sinn von Transparenz. Deshalb lade ich Sie alle ein, leute!) mit uns gemeinsam im Ausschuss darüber zu diskutie- Wir stellen die Verträge einfach ins Netz. Das ist eine ren. faire Regelung, und es muss auch klar sein, dass es sich, Warten wir doch nicht auf den nächsten Parteienfi- wenn die Preise unüblich sind, um eine verdeckte nanzierungsskandal. Wir haben aus der Geschichte ge- Spende auf dem Wege des Sponsorings handelt. Nur lernt – von der Flick-Affäre bis sonst wo hin –: Immer mehr Transparenz führt dazu, dass sich alle wirklich an wieder war das Hohe Haus nur bereit, mehr Transparenz (B) die Regeln halten. einzuführen, wenn es einen Skandal gab und das Ganze (D) Ich habe ja die Gauselmann-Affäre angesprochen. nicht mehr zu halten war. Lassen Sie uns doch den Bür- gerinnen und Bürgern sagen: Wir bringen diese Angele- (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Was hat genheit in Ordnung, bevor es den nächsten Skandal gibt. – denn der Deutsche Bundestag dazu gesagt? Ich glaube, die Parteiendemokratie und die parlamentari- Wissen Sie das?) sche Demokratie brauchen Transparenz, um ihre Legiti- – Das werde ich Ihnen gleich vorlesen, Herr Kollege mität nicht zu beschädigen. Dem dient unser Vorschlag. Kurth. Ich habe das Schreiben des Bundestagspräsiden- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ten nämlich dabei. bei der SPD und der LINKEN) (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Gauselmann-Affäre hat sehr schön gezeigt, dass Das Wort hat der Kollege Armin Schuster für die der Präsident gegenwärtig gar nicht prüfen kann, wenn Unionsfraktion. über Unternehmen indirekt an Parteien gespendet wird. Das ändern wir mit unserem Gesetzentwurf. Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten In dem Schreiben des Präsidenten an mich zu dem Damen und Herren! Unbestreitbar: Transparenz bei Par- Thema „Firma altmann-druck GmbH“ heißt es: teispenden ist ein wichtiges Thema und die unverzügli- Kapitalgesellschaften, auch wenn sie sich ganz oder che Offenlegung von Parteispenden über 50 000 Euro teilweise im Eigentum von Parteien befinden, un- für unsere politischen Entscheidungsprozesse besonders terliegen grundsätzlich nicht dem Transparenzgebot relevant. Transparenz, ob jetzt beim Thema Lobbyarbeit, des Parteiengesetzes. Parteispenden, Sponsoring oder auch bei unserer Arbeit im Hause, ist ein Wesensmerkmal dieser Demokratie. Das finden wir verkehrt, weil das Tür und Tor für ver- schleierte Zuwendungen an Parteien öffnet. Das Parteiengesetz in der Fassung vom 28. Juni 2002 hat sich in diesem Sinne im Lauf der Jahre bewährt. Die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gemäß § 25 Parteiengesetz geforderten Offenlegungen Der Präsident hat Ihnen hier auch keinen Freispruch bei Spenden ab 10 000 bzw. 50 000 Euro sind vernünf- erteilt, er hat lediglich gesagt: „Alle der Behörde gegen- tige und praktikable Regelungen. Das hat immerhin auch über offengelegten wertbeeinflussenden Faktoren“ stüt- die Kommission des Ältestenrates des Deutschen Bun- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27401

Armin Schuster (Weil am Rhein) (A) destages 2011 so bewertet. Eine weitergehende Begren- den. Die Spenden machen nur etwa 15 Prozent aus. Nur (C) zung der Parteispenden, wie im Antrag der Linken ge- weil Sie, meine Damen und Herren von der Linken, fordert, halte ich daher nicht für erforderlich. kaum nennenswerte Parteispenden juristischer Personen erhalten, muss nicht gleich das Parteiengesetz geändert Meine sehr geehrten Damen und Herren der Linken, werden. Vielmehr liegt es doch wohl am Inhalt Ihres Sie irren, wenn Sie glauben, mit Ihrem Antrag würden Parteiprogramms, das eben von bestimmten Gruppen in Sie – ich zitiere – „Demokratie stärken“. Mit Formulie- unserer Gesellschaft als nicht unterstützenswert angese- rungen wie – ich zitiere wieder – „Käuflichkeit“ von hen wird. Spenden sind eben auch nur ein Indikator für Politik und Lobbyismus zeichnen Sie nicht nur ein ruf- den gesellschaftlichen Zuspruch einer Partei. schädigendes Zerrbild unserer parlamentarischen Arbeit. Sie haben auch die grundlegende Bedeutung von Lobby- Im Antrag der Linken wird ebenso der Bericht der ismus für eine repräsentative Demokratie aus meiner beim Europarat eingesetzten Staatengruppe zur Korrup- Sicht nicht verstanden. tionsbekämpfung, GRECO, aus dem Jahr 2009 erwähnt. Deutschland ist hier bereits seit 1999 Mitglied. Entgegen (Beifall bei der CDU/CSU – Halina Wawzyniak der Absicht der Linken empfiehlt der GRECO-Bericht [DIE LINKE]: Das unterscheidet uns!) 2009 nicht, dass wir in Deutschland Höchstgrenzen für Ein gesetzliches Spenden- und Sponsoringverbot gegen- Spenden festlegen sollten. Ganz im Gegenteil: Der GRECO-Bericht hat sogar zum Inhalt, dass Großspen- über Unternehmern ist für mich sogar schlicht verfas- den wesentlich weniger anfällig dafür sind, die politi- sungswidrig. sche Willensbildung negativ zu beeinflussen, als dies bei Erlauben Sie mir, das näher zu erläutern. Das Ge- zahllosen Kleinspenden der Fall sein könnte. Im meinwohl, also das Wohl aller Bürgerinnen und Bürger, GRECO-Bericht wird insbesondere dazu aufgefordert, orientiert sich in diesem Land immer an der Frage der dass kein zeitlicher Verzug zwischen der Gewährung politischen Gerechtigkeit. Konsens, egal welcher Partei und der Veröffentlichung der Spende eintritt. Genau eine man zugehören mag, besteht wohl darin, dass Vollbe- solche Regelung existiert in unserem Parteiengesetz. Da- schäftigung und Chancengleichheit ein Teil dieses Ge- nach müssen Einzelspenden zeitnah veröffentlicht wer- meinwohls sind. Für Beschäftigung bedarf es Arbeits- den. Der Bundestagspräsident hat dies in seiner Weisung möglichkeiten. Ein Teil Deutschlands unternahm den aus dem Januar 2010 unmissverständlich und eindeutig Versuch, den Staat als zentralistischen Arbeitgeber ein- festgelegt: „Zeitnah“ bedeutet sofort. – Die GRECO- zusetzen und Privatwirtschaft abzulehnen. Unser heuti- Empfehlung wurde also präzise umgesetzt. So stellte im ges System sieht aber eine soziale und demokratische Mai 2011 die Kommission des Ältestenrats für die Marktwirtschaft vor, zu der Privatpersonen genauso wie Rechtsstellung der Abgeordneten im Deutschen Bundes- tag fest, dass die Empfehlungen der GRECO aus dem (B) Unternehmen gehören. Deshalb dürfen nach unserem (D) demokratischen Verständnis sowohl natürliche als auch Jahr 2009 durch die bei uns bestehende Regelung ausrei- juristische Personen spenden. chend erfüllt werden und in allen Fällen kein weiterer Regelungsbedarf besteht. Wir haben uns in Deutschland bewusst gegen eine rein staatliche Alimentierung der Parteien entschieden (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Selbstzeugnis des Ältestenrats, ja!) und die gesellschaftliche Verankerung als Wesensele- ment politischer Parteien definiert. Nach unserer frei- – Sie können ja einen Kommentar zum Ältestenrat abge- heitlich-demokratischen Grundordnung haben alle ben, Herr Wieland. Ich würde Ihnen dafür sogar kurz Akteure des Staats – egal ob natürliche oder juristische Zeit einräumen. Personen –, einen Anspruch darauf, sich an der politi- Mit Ihrer geforderten Höchstgrenze von 25 000 Euro schen Willensbildung zu beteiligen. Die verfassungs- bzw. Offenlegung bereits ab 25 000 Euro, sehr geehrte rechtliche Gewährleistung des Spendenrechts entspricht Damen und Herren der Linken und Grünen, machen Sie der Parteienfreiheit nach Art. 21 des Grundgesetzes. sich falsche Vorstellungen davon, welche positiven Wir- (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das wüsste kungen die Festlegung von faktischen Höchstgrenzen ich aber!) bzw. die Herabsetzung der Höchstgrenzen für Offenle- gungen haben könnten. Hier besteht Erklärungsbedarf. Wer kann es also einem Unternehmen verübeln, dass es Bemerkenswert finde ich es insbesondere, dass die nicht die Linkspartei bei deren erhoffter Wiederbelebung Linkspartei die USA als Beispiel auswählt. Wie wird es der sozialistischen Planwirtschaft unterstützt, sondern denn dort gehandhabt? Es ist richtig, dass es in den USA eher CDU, CSU, FDP, Grüne oder SPD bei unserer Ar- Höchstgrenzen für Parteispenden gibt. Aber genau des- beit für Wohlstand, Chancengleichheit und Meinungs- halb wird es dort zur Praxis, dass zahlreiche, teilweise freiheit in einer sozialen Marktwirtschaft? Spenden zu Hunderte Mitarbeiter in Unternehmen aufgefordert wer- leisten, gehört zur privaten Entscheidungsfreiheit von den, Kleinspenden zu leisten. Eine Festlegung von Bürgern wie Unternehmen. So sieht es auch das Bundes- Höchstgrenzen kann so sehr leicht durch Stückelung um- verfassungsgericht. Parteispenden hat es ausdrücklich gangen werden. Das ist also kein geeignetes Mittel, Ihre als eine Form zulässiger Interessenwahrnehmung und Unterstellung auszuräumen, Großspenden würden dazu politischer Teilhabe bestätigt. anhalten, politische Entscheidungen zu beeinflussen. Unsere Parteienfinanzierung beruht auf drei Säulen: Meine Damen und Herren, der Versuch, Großspenden den Beiträgen der Mitglieder, den staatlichen Zuwen- an Parteien zu skandalisieren, ist durchsichtig. Immerhin dungen – abhängig vom Wahlergebnis – und den Spen- gehören dem Bundestag Parteien an – ich nenne ein Bei- 27402 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013

Armin Schuster (Weil am Rhein) (A) spiel –, bei denen 98 Prozent der Spenden im Wahljahr terstützer einer Partei also beispielsweise Geld für die (C) 2009 genau unter der 50 000-Euro-Marke lagen. Da- Anmietung eines Saales einer Partei zahlt, wird dadurch durch mussten diese erst 18 Monate später im Rechen- nicht automatisch zum Spender, außer die Leistung, bei- schaftsbericht der Parteien veröffentlicht werden. Groß- spielsweise Werbung, und die Aufwendungen stünden spenden über 50 000 Euro gab es in diesem Jahr nur nicht mehr im adäquaten Verhältnis. eine. Notleidend war die Partei aber nicht. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- GRÜNEN]: Scheinheilig ist das!) NEN]: Weil sie so viele Spender hat!) Dann wäre es eine verdeckte Spende. Bis dahin ist aber – Sie waren das also. – Insgesamt sehe ich diesen Punkt aus unserer Sicht alles geregelt. nicht als problematisch an, Herr Wieland, ganz im Ge- genteil. Vizepräsidentin Petra Pau: (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Kollege Schuster, gestatten Sie eine Frage oder Be- GRÜNEN]: Dann stimmen Sie einfach unse- merkung des Kollegen Beck? rem Antrag zu, Herr Schuster!) Wenn ganze Branchen versuchen, eine Partei, die ihre Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): Interessen am besten abbildet, gezielt zu unterstützen, Nein, nicht bei diesem Thema. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Jetzt sind Sie bei der CDU! – Gegenruf NEN]: Nur ich darf eine Frage stellen!) des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/ – Jetzt sollten Sie zuhören, ich mache gerade Angebote, CSU]: So einfach ist das nicht!) und die mache ich nicht oft. dann ist das ein absolut legitimer Ausdruck politischer (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Willensbildung und Beteiligung. NEN]: Ich sagte gerade etwas zu Korte!) (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Nicht ganz eindeutig wird es allerdings beim Ankauf NEN]: Das ist doch wie aus dem Bilderbuch teurer Werbegelegenheiten bei einer Partei, zum Beispiel des Stamokap!) bei der Werbung auf einem Parteitag. Handelt es sich um Eventuell wollen diese natürlichen oder juristischen eine angemessene Gegenleistung, oder ist es eine über- Personen einfach nicht als Spender mit hoher Öffentlich- zogene Förderung? In dieser Frage sind wir durchaus keitswirksamkeit sofort offengelegt werden. Daran er- diskussionsbereit. So könnte es eventuell gerechtfertigt (B) kenne ich auch keinen pauschalen Verdacht hinsichtlich sein, reguläres Großsponsoring, ähnlich wie auch Groß- (D) möglicher Korruption, auch nicht bei dem Beispiel mit spenden, anderen Offenlegungserfordernissen zu unter- den 98 Prozent Spenden unter 50 000 Euro. Die geplante werfen. Herabsetzung dieser Grenze würde gar nichts ändern, (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- außer dass sich die Stückelung verändern würde. Dann NEN]: Aha!) würden die 98 Prozent unterhalb von 25 000 Euro ran- gieren. Es wird auch weiterhin Spender geben, die völlig Hier könnten wir uns durchaus Regelungen vorstellen. unverdächtig sind, die nicht offengelegt werden wollen (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und die sich regelkonform verhalten. NEN]: Na, machen wir es doch!) Lassen Sie mich abschließend noch etwas zum Partei- – Zuhören hilft manchmal, nicht? ensponsoring sagen. Herr Beck hat gesagt, dass die Grü- nen Sponsoring in ihrem Antrag „als Zuwendungen von Nach unendlich vielen Debatten zu diesem Themen- Geld oder geldwerten Vorteilen zur Förderung einer Par- feld wiederhole ich mich abschließend gerne für meinen tei, mit denen der Zuwendende als Gegenleistung eine Kollegen Wellenreuther: Schon heute gibt es in Deutsch- Förderung eigener Ziele der Werbung oder Öffentlich- land ein sehr verlässliches und sehr strapazierfähiges keitsarbeit erlangen will“, definieren. Einverstanden. Parteiengesetz, das genau festlegt, unter welchen Rege- Dies unterscheidet die Partei aber rechtlich nicht von an- lungen Parteispenden veröffentlicht werden müssen. Sie deren gemeinnützigen Vereinen in der Bundesrepublik. sind ein absolut legitimer und verfassungsgemäßer Aus- Es gibt bei diesen eingetragenen Vereinigungen genau druck politischer Willensbildung. Im aktuellen Transpa- wie bei Parteien die völlig legitime Unterscheidung von rency International Ranking rangieren wir auf Platz 13 Spende, also ohne direkte und angemessene Gegenleis- von 178. tung, und Sponsoring. Nach § 24 Parteiengesetz muss (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE aber eine Unterstützung mit Gegenleistung im Rechen- GRÜNEN]: Das reicht uns nicht!) schaftsbericht der Parteien ausgewiesen werden. Ande- renfalls ist sie nach den üblichen Regeln als Spende aus- Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg, die Tendenz zuweisen. ist steigend. Wir lehnen daher die Anträge der Grünen und der Linksfraktion ab. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Solange aber dem Sponsoring eine reale und ange- GRÜNEN]: Das ist wiederum schlecht!) messene Gegenleistung gegenübersteht, handelt es sich um ein einfaches wirtschaftliches Geschäft. Wer als Un- Ich danke Ihnen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27403

Armin Schuster (Weil am Rhein) (A) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – des Bundespräsidenten zur Parteienfinanzierung 2001 (C) Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Spenden von natürlichen und juristischen Personen als NEN]: Was hat Herr Wellenreuther damit zu zulässig angesehen haben. Entscheidend ist, dass Trans- tun? Der ist doch ein Absteiger! – Gegenruf parenz hergestellt wird. Selbstverständlich verfolgen des Abg. Armin Schuster [Weil am Rhein] Mitglieder und Spender mit ihren Zuwendungen be- [CDU/CSU]: Der ist der Berichterstatter!) stimmte politische oder auch abstrakte persönliche Ziele. Problematisch wird eine Spende aber erst dann, wenn sie Vizepräsidentin Petra Pau: in einem direkten Zusammenhang mit einem konkreten Das Wort hat die Kollegin Fograscher für die SPD- Vorteil steht. Ich erinnere noch einmal an die Möven- Fraktion. pick-Spende. (Beifall bei der SPD) Transparenz bedeutet, dass nachvollziehbar ist, wel- che Gruppen, Verbände oder Privatpersonen die Parteien Gabriele Fograscher (SPD): unterstützen und gegebenenfalls auf sie Einfluss nehmen Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- wollen. Allerdings ist die Transparenz bei Spenden von gen! Die Mövenpick-Spende, die Affäre um „Rent a Unternehmensverbänden nicht gewährleistet. Hier erfol- Rüttgers“ sowie Gauselmann wurden schon erwähnt. Ich gen die Zuwendungen von Unternehmen indirekt über will hinzufügen, dass wir damals im Mai 2010 eine An- die Verbände, ohne dass die betroffenen Unternehmen hörung im Innenausschuss beantragt hatten, die mit Ihrer oder Unternehmer namentlich genannt werden. Für uns Mehrheit abgelehnt und auf einen Termin nach der sollen Spenden von juristischen Personen weiterhin zu- Landtagswahl in NRW verschoben wurde, um die Dis- lässig sein. Eine Begrenzung der Höhe nach, etwa kussion über Transparenz in der Parteienfinanzierung 100 000 Euro, scheint mir aber sinnvoll. Spenden von aus dem Wahlkampf herauszuhalten. Genützt hat es Ih- Unternehmensverbänden sollten jedoch ausgeschlossen nen trotzdem nichts. werden. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Eine Absenkung der Veröffentlichungsgrenze von NEN]: Alle Fristen immer überschritten!) Spenden von 50 000 Euro auf 25 000 Euro haben wir als SPD-Bundestagsfraktion schon lange gefordert. Die Ab- Im Innenausschuss diskutieren wir regelmäßig über senkung der Grenze für die Veröffentlichung der Spen- Parteienfinanzierung. Anlass dazu ist der periodische der im Rechenschaftsbericht mit Namen und Adresse Bericht von GRECO, der zum Europarat gehörenden von 10 000 auf 5 000 Euro könnte durchaus ein Beitrag Staatengruppe gegen Korruption. Bei der letzten Debatte zu mehr Transparenz sein. Damit würden zwei Empfeh- (B) zum Evaluierungsbericht von GRECO im Juni 2011 hat- lungen von GRECO erfüllt werden. (D) ten wir als SPD die ablehnende Haltung der Rechtsstel- lungskommission zu den Empfehlungen kritisiert. Wir Sponsoring. Die Vermietung von Werbeflächen und haben Vorschläge gemacht, um mehr Transparenz in die andere Formen des Sponsorings von Parteiveranstaltun- deutsche Parteienfinanzierung zu bringen. Die Mehrheit gen sind zulässige Formen der Parteienfinanzierung. Das aus CDU/CSU und FDP im Innenausschuss hat die Um- Grundgesetz fordert von den Parteien, dass sie eigene setzung der Empfehlungen von GRECO abgelehnt, weil Einnahmen erzielen, und verbietet eine staatliche Voll- sie diese als nicht bindend ansieht. Es ist peinlich, wel- finanzierung. Besteht ein krasses Missverhältnis zwi- che Bedeutung die Koalitionsfraktionen Empfehlungen schen Leistung des Sponsors und Gegenleistung der Par- einer Staatengruppe, die aus 48 europäischen Staaten tei, handeln die Vertragsparteien missbräuchlich. Dann und den USA besteht, beimessen. wird durch eine Sponsoringvereinbarung eine Spende Für meine Fraktion möchte ich festhalten, dass wir verschleiert. Der überschießende Teil ist schon heute Änderungen des Parteiengesetzes, die zu mehr Transpa- nach dem Parteiengesetz als Spende zu behandeln. renz bei der Parteienfinanzierung führen, unterstützen. Wir halten es daher für sinnvoll, die Einnahmen aus Sie müssen aber handhabbar und kontrollierbar sein und Sponsoring gesondert auszuweisen. Momentan werden dürfen die Arbeit der ehrenamtlichen Kassiererinnen und diese Einnahmen unter „Einnahmen aus Veranstaltun- Kassierer nicht unnötig belasten. gen, Vertrieb von Druckschriften und Veröffentlichun- Wir halten es für richtig – so haben wir es auch in der gen und sonstiger mit Einnahmen verbundener Tätig- Vergangenheit gehandhabt –, dass Änderungen im Par- keit“ subsumiert. Zur Erhöhung der Transparenz sollte teiengesetz auf Basis einer breiten Mehrheit in diesem für Einnahmen aus Sponsoring ein gesonderter Einnah- Hause verabschiedet werden. Nur so finden die unter- meposten geschaffen werden, und der Begriff des Spon- schiedlichen Situationen der einzelnen Parteien ausrei- sorings sollte im Parteiengesetz definiert werden. Die chend Berücksichtigung. Veröffentlichungspflichten sollten analog den Vorschrif- ten für Spenden geregelt werden. Ich möchte kurz auf einige Forderungen eingehen, die in den Vorlagen, die wir heute diskutieren, genannt wer- Wenn wir schon über Transparenz reden: Liebe Kol- den: leginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen, beenden Sie endlich Ihre Blockade bei der Strafbarkeit Spendenverbot von juristischen Personen. Dies wol- von Abgeordnetenbestechung! len wir nicht weiterverfolgen, weil das Bundesverfas- sungsgericht im Jahre 1992, aber auch die Kommission (Beifall der Abg. Kirsten Lühmann [SPD]) 27404 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013

Gabriele Fograscher (A) Es kann nicht sein, dass wir die einzige Demokratie in reichsten 1 bis 2 Prozent der Bevölkerung haben durch (C) der Welt sind, in der Abgeordnetenbestechung straffrei dieses Finanzierungssystem dort Zugang zu den Parla- ist. menten; in Deutschland leisten Parteien auch noch eine (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem wichtige Mobilisierung durch alle Bevölkerungsschich- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael ten hindurch. Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Dann machen Deswegen sollten wir hier nicht nur auf die Parteien- Sie mal einen Vorschlag, der verfahrensfest finanzierung draufhauen. Das Bundesverfassungsge- ist!) richt hat diese auch einfach festgeschrieben. – Den bekommen Sie demnächst. (Zuruf des Abg. Raju Sharma [DIE LINKE]) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Den Ihre Vorstellung einer vor allem staats- und mitgliederfi- haben wir schon gesehen! Er ist ungeeignet, nanzierten Partei ist eben nicht die Vorstellung des nach allen Expertenmeinungen!) Grundgesetzes, sondern die Vorstellung des Grundgeset- Liebe Kolleginnen und Kollegen vom Bündnis 90/ zes ist nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts Die Grünen, Sie haben richtige und wichtige Punkte für diejenige, dass durchaus auch Wirtschaft und Privat- mehr Transparenz in Ihrem Gesetzentwurf. Manche ge- leute, also natürliche Personen, sich als Spender an der hen uns aber zu weit. Parteienfinanzierung beteiligen, und das ist ausgespro- chen gut so. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linksfrak- tion, Sie machen es sich zu einfach, wenn Sie die Bun- (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Und das desregierung auffordern, einen Gesetzentwurf vorzule- steht in Art. 21?) gen. Änderungen im Parteiengesetz gehören in die Hand des Parlaments und nicht in die der Regierung. Ich würde gern irgendwann einmal – das habe ich meinen Kollegen schon gesagt – eine Nadel für die 20. Für konstruktive Gespräche stehen wir bereit. Rede zu diesem Thema bekommen. Die Debatte läuft Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. nämlich immer nach einem ähnlichen Schema ab. Sie versuchen, eine öffentliche Erregung, die irgendwo ent- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ standen ist, auszunutzen, um einseitig parteipolitisches DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer Kapital daraus zu schlagen, und legen uns dann Vor- [CDU/CSU]: Wir auch! Wir stehen auch be- schläge vor, die exakt an den parteipolitischen Bedürf- reit!) nissen Ihrer eigenen Parteifinanzierung orientiert sind. (B) (D) Vizepräsidentin Petra Pau: (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das Wort hat der Kollege Dr. Stefan Ruppert für die NEN]: Weil die so vorbildlich sind!) FDP-Fraktion. Schaut man sich einmal den Rechenschaftsbericht (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten etwa der Grünen an, dann stellt man fest: Es ist kein Zu- der CDU/CSU – Wolfgang Wieland [BÜND- fall, dass Sie auf diese Grenzen gekommen sind. Viele NIS 90/DIE GRÜNEN]: Dauerredner! – Ihrer Spender leisten nämlich Beträge, deren Höhe sich Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE in einem bestimmten Korridor bewegt. Deswegen haben GRÜNEN]: Ständig!) Sie genau diese Lösung gefunden und nicht eine andere. Sie haben auch kein Interesse daran, das gemeinsam mit Dr. Stefan Ruppert (FDP): uns zu regeln, Ich höre Ihnen bei Ihren Reden auch immer gerne zu. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Ich hoffe, das gilt auch umgekehrt. GRÜNEN]: Doch! Sie können es ja unterbie- (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE ten!) GRÜNEN]: Das beruht auf Gegenseitigkeit!) sondern haben einfach versucht, uns wieder einen Vor- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und wurf zu machen. Herren! Die Parteien haben in der Tat eine wichtige (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Funktion in der repräsentativen Demokratie. Wir stellen NEN]: Herr Horten spendet nicht bei uns!) es in manchen Diskussionen hier im Raum so dar, als seien sie eine Art Übel, dem man sozusagen etwas ge- Vizepräsidentin Petra Pau: nauer auf die Finger schauen muss. Kollege Ruppert, gestatten Sie eine Frage oder Be- Ich habe mich gewundert, dass die Kolleginnen und merkung des Kollegen Beck? Kollegen von der Linken das amerikanische System ge- lobt haben. Wenn Sie sich aber einmal genauer an- Dr. Stefan Ruppert (FDP): schauen, wozu dieses System führt, dann stellen Sie fest, Gern. – Aber Sie können gern bei uns spenden, Herr dass ein repräsentativer Querschnitt, wie wir ihn im Beck. deutschen Parlament noch zu weiten Teilen haben, in den USA nicht in ähnlichem Maße vorhanden ist. Die (Heiterkeit) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27405

(A) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (C) Keine anzüglichen Angebote zu dieser Stunde! – Ich der CDU/CSU) wollte Sie eigentlich nur fragen, ob Sie Ihren Vorwurf an Ich finde es gut, dass die Kollegin Fograscher gesagt uns aufrechterhalten wollen angesichts der Tatsache, hat, dass man das gemeinsam löst. Sie ist daran interes- dass wir nicht nur Höchstgrenzen für die Spenden vor- siert, weil sie die Situation der Schatzmeisterin der So- schlagen, sondern zum Beispiel auch Unternehmens- zialdemokraten kennt. Diese ist immer wieder darum be- spenden – das ist bei uns durchaus Praxis, und das bleibt Praxis, solange das im Wettbewerb der Parteien erlaubt müht, dafür zu sorgen, dass insbesondere die ist – untersagen wollen, also Spenden von juristischen Unternehmensbeteiligungen der SPD Personen, weil wir der Auffassung sind: Wer nicht wäh- (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: len kann, der braucht über Spenden auch keinen Einfluss Kreuzfahrtschiffe!) auf Parteien zu nehmen, – die Kreuzfahrtschiffe, aber auch die Medienbeteiligun- (Beifall bei der LINKEN) gen –, aus denen sie erhebliche Gewinne, aber auch si- der kann sich anderweitig gemeinnützig betätigen, wenn cherlich nicht nur Nachteile im medialen Auseinander- er Geld übrig hat. Es gibt ja viele vernünftige Zwecke. setzungskampf zieht, nicht in den Rechenschaftsbericht Wir haben heute über Rechtsextremismus gesprochen. kommen, sondern die großen Unternehmen, die die SPD Bei der Amadeu-Antonio-Stiftung oder dergleichen leis- etwa im Medienbereich besitzt, fein säuberlich und sorg- tet man auch etwas für die politische Kultur. sam ausgeklammert werden. Würden Sie vor diesem Hintergrund zugestehen, dass Hören wir also auf, uns gegenseitig genau die Dinge wir uns nicht an der Spendenpraxis bei uns orientiert ha- im Rechenschaftsbericht vorzuwerfen, die vielleicht ein ben, sondern an Prinzipien, die wir für eine demokrati- Charakteristikum der eigenen Parteienfinanzierung sind! sche Parteienfinanzierung für richtig und vertretenswert Hören wir auch auf, die repräsentative Demokratie ins- halten? Würden Sie Ihren Vorwurf vielleicht einfach zu- gesamt dadurch zu beschädigen! Ich glaube, wir haben rücknehmen? ein hohes Maß an Transparenz. Ich bin durchaus bereit – habe auch an entsprechenden Runden schon teilge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nommen –, im ein oder anderen Fall, wie Herr Schuster auch, für noch mehr Transparenz zu sorgen. Hören wir Dr. Stefan Ruppert (FDP): auf, uns gegenseitig solche Vorwürfe zu machen, wie sie Ich kann Ihnen da leider nicht entgegenkommen, so in Ihren Anträgen zu lesen sind. (B) gern ich das zu dieser späten Stunde der parlamentari- (D) schen Beratungen in dieser Woche auch tun würde. Ich habe mir einmal einige Worte der Rede des Kolle- gen Beck aufgeschrieben. Er fordert vom Bundestags- Sie verlagern es dann gegebenenfalls in den Sponso- präsidenten, dass er uns einen Freispruch erteilt. ring-Teil. Ich habe mir einmal angeschaut, welche Fir- men bei Ihnen im Sponsoring-Bereich tätig geworden (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: sind. Wir finden einen deutlichen Schwerpunkt im Alter- Moralapostel!) native-Energien-Bereich. Keiner von uns würde so weit Das ist die typische Rhetorik einer gewissen Kamp- gehen, Ihnen da vorzuwerfen, dass Ihr Engagement in fesauseinandersetzung. Freisprüche gibt es nur dort, wo diesem Bereich allein auf dem Sponsoring Ihrer Partei- es Anklagen gibt. Wir sind in keinem dieser Verfahren tage beruht. auch nur angeklagt. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: GRÜNEN]: Auch die Apotheker bekommen Genau!) eine Ausnahmeregelung!) Insofern bitte ich darum, damit aufzuhören, hier zu insi- Aber Ihre Motivationslage wird sicherlich nicht dadurch nuieren, es sei hier irgendetwas Rechtswidriges oder schwächer, dass Sie vorrangig von solchen Unternehmen nicht Verfassungsgemäßes im Gange. gesponsert werden. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Übrigens haben Sie aus meiner Sicht in Ihren Antrag NEN]: Hat er doch gar nicht! – Zuruf des Abg. einen handwerklichen Fehler eingebaut, weil Sie den Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Begriff „Sponsoring“, wie er derzeit definiert ist, miss- NEN]) verstanden haben. Auch jetzt ist es schon so Da ist immer die Rede von Freispruch oder Affäre. Alles (Zuruf des Abg. Dr. Konstantin von Notz wird gleich ungeheuer hochgespielt. Ich glaube, dass [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) dies dem Ansehen von uns allen nicht guttut. – Herr Schuster hat es Ihnen ja schon gesagt –: Wenn die Ich wünsche Ihnen allen einen guten Nachhauseweg. Leistungen in einem groben Missverhältnis zu dem ge- Lassen Sie uns beim nächsten Treffen zahlten Preis stehen, dann ist das schon heute eine un- rechtmäßige Parteispende. Dazu hätte es Ihres Antrages (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- erst gar nicht bedurft. NEN]: Wir fiebern Ihnen entgegen!) 27406 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013

Dr. Stefan Ruppert (A) etwas sachgerechter, ordentlicher und besser diskutieren, (Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Sie sprechen ja (C) Herr Wieland. Auch sonst sind wir uns ja ab und zu ei- gegen Ihren Antrag!) nig. Nur, der gute Wille ist eben nicht überall da. Weil der Danke. gute Wille eben nicht überall vorhanden ist, brauchen wir vielleicht doch ein Verbot von Unternehmensspen- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) den.

Vizepräsidentin Petra Pau: Der Unterschied zwischen Privatspenden und Unter- Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Raju nehmensspenden ist doch folgender: Bei Privatspenden stehen häufig selbstlose Motive im Vordergrund; bei Un- Sharma das Wort. ternehmen ist das völlig anders. In der Wirtschaft gilt (Beifall bei der LINKEN) immer das Prinzip – das darf ich den Kollegen von der FDP noch einmal sagen –: keine Leistung ohne Gegen- Raju Sharma (DIE LINKE): leistung. Das ist das Normalste von der Welt, und das Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Uns kann man den Unternehmen auch gar nicht vorwerfen. liegt jetzt gerade der zweite Umsetzungsbericht der Staa- Aber man kann es der FDP und den Parteien insgesamt tengruppe GRECO vor; das haben wir gehört. Der vorwerfen, wenn sie Gelder annehmen, die der politi- zweite Umsetzungsbericht ist – wenig überraschend – schen Landschaftspflege dienen. Dann wird gefragt: für die Bundesrepublik wieder einmal peinlich. Bei den Welche Landschaften blühen da eigentlich hinterher? – Themen Parteiensponsoring, Unternehmensspenden, Das kann man nicht wollen. Spendenobergrenzen hat sich nichts bewegt. Da steht die (Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Es gibt auch ver- Koalition immer noch auf der Bremse. antwortliche Unternehmer! Das glauben Sie nicht!) Das ist auch nicht neu. Schon nach dem ersten Umset- zungsbericht hatte Bundestagspräsident Lammert die Ich sage einmal: Wenn Mövenpick der FDP einen di- Fraktionen und damit das Parlament gebeten, sich der cken Spendenscheck überreicht und kurz darauf die Sache anzunehmen. Mein Fraktionsvorsitzender Gregor Mehrwertsteuer für Hoteliers gesenkt wird, dann ist Gysi hat alle Fraktionsvorsitzenden zu einer gemeinsa- doch klar – die Vermutung liegt doch nahe –, dass die men Initiative eingeladen. Passiert ist nichts. Nun haben Menschen den Eindruck haben: Hier wird Politik ge- die Grünen einen Antrag vorgelegt. Sie wollen Unter- kauft, hier werden Entscheidungen gekauft. Das ist doch nehmensspenden an Parteien verbieten. Ich sage: Herz- das Problem. lich willkommen im Klub. Sehr gut! (B) (Beifall bei der LINKEN – Patrick Kurth (D) (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Petra [Kyffhäuser] [FDP]: Das ist doch unver- Ernstberger [SPD]) schämt! Das wissen Sie auch! Was unterstellen Sie uns denn hier?) Noch besser wäre es aber, wenn Sie das, was Sie fordern, jetzt schon umsetzen würden: Nehmen Sie einfach keine Dass dieser Eindruck entsteht, wollen wir nun vermei- Unternehmensspenden mehr an! den. Deswegen wäre es das Konsequenteste, wenn wir alle zusammen uns dafür aussprächen. Liebe Kollegen (Beifall bei der LINKEN – Volker Beck von der FDP, stimmen Sie doch den Anträgen in Ihrem [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das eigenen Interesse zu, am besten dem der Linken, notfalls ist protestantisch!) auch dem der Grünen, der geht ja auch in die richtige Ähnlich die SPD: Deren Schatzmeisterin Barbara Richtung! Hendricks hat kürzlich zu Recht darauf hingewiesen, (Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Der ist so dass die Unternehmensspenden bei der Gesamtfinanzie- schlecht!) rung der SPD nur einen Bruchteil ausmachen. Beim Sponsoring ist es im Grunde ähnlich; wir sind (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die uns außerhalb der Koalition einig, dass wir da eine Re- meisten Unternehmen gehören denen ja antei- gelung brauchen. Denn es ist doch klar: Wenn die Bahn lig!) den Parteitag der Grünen sponsert und der Versiche- Da sage ich: Das ist richtig; das kann man nachlesen. rungskonzern das Sommerfest der FDP und die Pharma- Aber umso leichter sollte es der SPD doch fallen, auf lobby den Parteitag der CDU, dann handelt es sich im diese Unternehmensspenden zu verzichten und das Geld Grunde um eine Spende, die jedoch nicht im Rechen- einfach nicht mehr anzunehmen. Das ist möglich. Das schaftsbericht auftaucht. geht alles freiwillig und sofort. Die Linke macht es vor: (Beifall der Abg. Halina Wawzyniak (DIE Wir nehmen keine Unternehmensspenden an, und wir LINKE) – Jan Korte (DIE LINKE): Ja, das lassen auch unsere Parteitage nicht sponsern. Dafür stimmt! braucht man im Übrigen auch gar kein Gesetz. Das wiederum ist ein Problem mangelnder Transparenz. (Jan Korte [DIE LINKE]: Ja, das stimmt!) Die Grünen fordern, über das Verhältnis von Leistung Man kann das also machen, wenn man einfach nur den und Gegenleistung nachzudenken. Wenn Parteien große guten Willen hat. Summen erhalten und dafür nur kleine Werbetafeln auf- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27407

Raju Sharma (A) stellen, dann wird das alles sehr fragwürdig. Ich mag da- mensspenden annehmen und unsere Parteitage nicht (C) rüber gar nicht nachdenken. Konsequenter wäre es, mehr sponsern lassen. Wir sind dabei. – Sind Sie es wenn wir sagen würden: Wir verbieten auch das Partei- auch? ensponsoring. Stimmen Sie doch unserem Antrag in dem (Beifall bei der LINKEN – Lachen des Abg. Punkt zu. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der LINKEN) NEN]) Noch ein Wort in eigener Sache. Ja, die Linke will Vizepräsidentin Petra Pau: Unternehmensspenden verbieten; das ist richtig. Aber Ich schließe die Aussprache. das heißt nicht, dass wir kein Geld wollen. Nur setzen wir nicht auf Unternehmen; wir setzen auf die Spenden Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen unserer Mitglieder und Sympathisanten. auf den Drucksachen 17/11877 und 17/9063 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist gen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. aber risikoreich! Ihr werdet ja immer weni- Dann sind die Überweisungen so beschlossen. ger!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Statt um 5 Großspenden über 150 000 Euro werben wir Schluss unserer heutigen Tagesordnung. um 150 000 Spenden à 5 Euro; da kann jeder mitma- chen. Unser Spendenkonto ist Tag und Nacht geöffnet, Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- aber unsere Politik ist nicht käuflich. destages auf Mittwoch, den 20. Februar 2013, 13 Uhr, ein. Ich wünsche Ihnen alles Gute für Ihre Unterneh- Als Bundesschatzmeister meiner Partei darf ich Ihnen mungen bis dahin. jetzt ein allerletztes Angebot machen: Lassen Sie uns Die Sitzung ist geschlossen. doch hier und heute die Vereinbarung treffen, dass wir alle ab heute bis zur Bundestagswahl keine Unterneh- (Schluss: 15.13 Uhr)

(B) (D) Berichtigung 219. Sitzung, Seite 27110 D, vierter Absatz, der erste Satz ist wie folgt zu lesen: „– Ich respektiere, dass Sie keinen Einsatz wollen, aber zu sagen, dass dadurch, dass wir ein unbemanntes Flugzeug gegenüber einem be- mannten Flugzeug bevorzugen, die Hemmschwelle ge- senkt würde, heißt umgekehrt, dass Sie lieber das Leben eines Piloten gefährden und auf den Einsatz dieser Waffe verzichten wollen.“

Anlagen

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013 27409

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Canel, Sylvia FDP 01.02.2013 Dr. h.c. Michelbach, CDU/CSU 01.02.2013 Hans Crone, Petra SPD 01.02.2013 Mißfelder, Philipp CDU/CSU 01.02.2013 Dadelen, Sevim DIE LINKE 01.02.2013 Möller, Kornelia DIE LINKE 01.02.2013 Dittrich, Heidrun DIE LINKE 01.02.2013 Müller-Sönksen, FDP 01.02.2013 Ernst, Klaus DIE LINKE 01.02.2013 Burkhardt Evers-Meyer, Karin SPD 01.02.2013 Ostendorff, Friedrich BÜNDNIS 90/ 01.02.2013 DIE GRÜNEN Dr. Fuchs, Michael CDU/CSU 01.02.2013 Otte, Henning CDU/CSU 01.02.2013 Gerster, Martin SPD 01.02.2013 Remmers, Ingrid DIE LINKE 01.02.2013 Glos, Michael CDU/CSU 01.02.2013 Schaaf, Anton SPD 01.02.2013 Golze, Diana DIE LINKE 01.02.2013 Gottschalck, Ulrike SPD 01.02.2013 Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/ 01.02.2013 DIE GRÜNEN Gruß, Miriam FDP 01.02.2013 Schlecht, Michael DIE LINKE 01.02.2013 Dr. Gysi, Gregor DIE LINKE 01.02.2013 (B) Dr. Schmidt, Frithjof BÜNDNIS 90/ 01.02.2013 (D) Hahn, Florian CDU/CSU 01.02.2013 DIE GRÜNEN Heil (Peine), Hubertus SPD 01.02.2013 Schmidt (Eisleben), SPD 01.02.2013 Silvia Heinen-Esser, Ursula CDU/CSU 01.02.2013 Schmidt (Fürth), CDU/CSU 01.02.2013 Hoff, Elke FDP 01.02.2013 Christian Humme, Christel SPD 01.02.2013 Schreiner, Ottmar SPD 01.02.2013 Kiesewetter, Roderich CDU/CSU 01.02.2013 Sendker, Reinhold CDU/CSU 01.02.2013 Kindler, Sven-Christian BÜNDNIS 90/ 01.02.2013 Silberhorn, Thomas CDU/CSU 01.02.2013 DIE GRÜNEN Süßmair, Alexander DIE LINKE 01.02.2013 Klein-Schmeink, Maria BÜNDNIS 90/ 01.02.2013 DIE GRÜNEN Dr. Tackmann, Kirsten DIE LINKE 01.02.2013 Klimke, Jürgen CDU/CSU 01.02.2013 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ 01.02.2013 DIE GRÜNEN Krellmann, Jutta DIE LINKE 01.02.2013 Dr. Volk, Daniel FDP 01.02.2013 Kudla, Bettina CDU/CSU 01.02.2013 Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 01.02.2013 Lange, Ulrich CDU/CSU 01.02.2013 Walter-Rosenheimer, BÜNDNIS 90/ 01.02.2013 Laurischk, Sibylle FDP 01.02.2013 Beate DIE GRÜNEN Leidig, Sabine DIE LINKE 01.02.2013 Weinberg, Harald DIE LINKE 01.02.2013 Meinhardt, Patrick FDP 01.02.2013 Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 01.02.2013 Menzner, Dorothée DIE LINKE 01.02.2013 Ziegler, Dagmar SPD 01.02.2013 27410 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Februar 2013

(A) Anlage 2 Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und (C) Verbraucherschutz Erklärung Drucksache 17/12126 Nr. A.28 EP P7_TA-PROV(2012)0460 Drucksache 17/12126 Nr. A.29 des Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Ratsdokument 17611/12 (CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung: Fortsetzung der Be- teiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an Ausschuss für Gesundheit dem Einsatz der Internationalen Sicherheits- Drucksache 17/10710 Nr. A.51 Ratsdokument 12751/12 unterstützungstruppe in Afghanistan (Interna- Drucksache 17/11439 Nr. A.11 tional Security Assistance Force, ISAF) unter EP P7_TA-PROV(2012)0320 Führung der NATO auf Grundlage der Resolu- tion 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 2069 (2012) vom 9. Oktober Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung 2012 des Sicherheitsrates der Vereinten Natio- Drucksache 17/11762 Nr. A.3 Ratsdokument 14657/12 nen (219. Sitzung, Tagesordnungspunkt 7)

Ich habe versehentlich mit Ja gestimmt. Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Mein Votum lautet Nein. Drucksache 17/11439 Nr. A.13 Ratsdokument 14641/12 Drucksache 17/11439 Nr. A.14 Ratsdokument 14728/12 Drucksache 17/11919 Nr. A.20 Anlage 3 Ratsdokument 16537/12 Drucksache 17/11919 Nr. A.22 Amtliche Mitteilungen Ratsdokument 16723/12

Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Absatz 3 Drucksache 17/9647 Nr. A.18 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung EP P7_TA-PROV(2012)0087 zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Drucksache 17/9647 Nr. A.20 EP P7_TA-PROV(2012)0094 (B) Drucksache 17/10710 Nr. A.62 (D) EP P7_TA-PROV(2012)0222 Finanzausschuss Drucksache 17/10710 Nr. A.63 EP P7_TA-PROV(2012)0228 –Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 17/10710 Nr. A.64 EP P7_TA-PROV(2012)0229 Bericht über die Höhe des steuerfrei zu stellenden Exis- Drucksache 17/11108 Nr. A.23 tenzminimums von Erwachsenen und Kindern für das Ratsdokument 13655/12 Jahr 2012 (Neunter Existenzminimumbericht) Drucksache 17/11439 Nr. A.15 EP P7_TA-PROV(2012)0355 – Drucksachen 17/11425, 17/11614 Nr. 1.3 –

Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Entwicklung Drucksache 17/10208 Nr. A.25 –Unterrichtung durch die Bundesregierung Ratsdokument 9944/12 Drucksache 17/10710 Nr. A.76 Bericht über die Tätigkeit der Verkehrsinfrastruktur- Ratsdokument 12393/12 finanzierungsgesellschaft im Jahr 2011 Drucksache 17/10710 Nr. A.77 – Drucksachen 17/11435, 17/11614 Nr. 1.5 – Ratsdokument 12398/12 Drucksache 17/11439 Nr. A.18 Ratsdokument 14531/12 Drucksache 17/11439 Nr. A.19 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben Ratsdokument 14616/12 mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Drucksache 17/11439 Nr. A.20 Ratsdokument 14662/12 Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von ei- Drucksache 17/11617 Nr. A.14 ner Beratung abgesehen hat. EP P7_TA-PROV(2012)0386

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 17/11762 Nr. A.2 Drucksache 17/8967 Nr. A.13 Ratsdokument 15737/12 Ratsdokument 6228/12 Drucksache 17/11919 Nr. A.12 Drucksache 17/10710 Nr. A.84 Ratsdokument 16202/12 Ratsdokument 12827/12 Drucksache 17/11919 Nr. A.13 Drucksache 17/10710 Nr. A.85 Ratsdokument 16374/12 Ratsdokument 12828/12

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