BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks http://www.br-online.de/alpha/forum/vor0512/20051227.shtml

Sendung vom 27.12.2005, 20.15 Uhr

Ruprecht Polenz MdB CDU, Präsident der Deutsch-Atlantischen Gesellschaft im Gespräch mit Klaus Kastan

Kastan: Herzlich willkommen zum alpha-forum. Das Typische an unserem heutigen Studiogast ist, dass er so untypisch ist, untypisch für einen Politiker. In einem Zeitungsartikel habe ich über ihn gelesen: "Er ist ein Knecht Ruprecht, der nicht poltern kann, einer, der nicht beißt und nicht bellt." "Knecht Ruprecht" ist eine Anspielung auf seinen Vornamen. Bei uns zu Gast ist Ruprecht Polenz, Mitglied des Deutschen Bundestages und Vorsitzender des Fernsehrates des ZDF, des Zweiten Deutschen Fernsehens. Schön, dass Sie da sind. Polenz: Vielen Dank für die Einladung. Kastan: Das Zitat, das ich eben gebracht habe – ehrt Sie das eher oder empfinden Sie es doch als Schmähung? Polenz: Nein, als Schmähung empfinde ich es nicht. Normalerweise werden Politiker ja eher als Menschen gesehen, die gerne streiten, vor allem untereinander streiten und dabei leicht vergessen, wofür sie eigentlich z. B. in ein Mandat gewählt wurden. Die Menschen erwarten ja schließlich etwas von uns. Kastan: Können Sie nicht poltern oder wollen Sie nicht? Polenz: Manchmal kann ich das schon. Wenn Sie meine Kinder fragen würden, würden sie sicherlich sagen: "Manchmal ist er ganz schön gereizt." Aber hinterher tut es mir dann auch wieder Leid und eigentlich bin ich eher jemand, der versucht, es ruhiger und sachlicher zu machen. Kastan: Sie haben vier Kinder? Polenz: Ja, wir haben vier Kinder. Kastan: Ich habe noch ein anderes Zitat über Sie: "Er ist ein Polit-Softie aus der linken CDU-Ecke, dem Populismus zuwider ist." Polenz: Was den Softie betrifft, das weiß ich nicht. Links ist auch so eine Sache, aber ich fühle mich in der CDU, die ja mehrere Wurzeln hat, konservative, soziale, liberale, vielleicht eher dem liberalen Teil verbunden. Von daher mag diese Charakterisierung auch ein bisschen zutreffen. Kastan: Bis Anfang des Jahres 2000 kannte Sie außerhalb Nordrhein-Westfalens kaum jemand. Ich glaube, Sie sind im Deutschen seit 1996... Polenz: Seit 1994. Kastan: Dass niemand Sie kannte, hat sich dann geändert, denn hat Sie im April des Jahres 2000 zum Generalsekretär gemacht. Das hat allerdings nicht sehr lange gedauert, nämlich nur bis Oktober desselben Jahres. Sind Sie an dieser Position gescheitert? Polenz: Als mich Frau Merkel fragte, ob ich Generalsekretär werden wolle, hatte ich mit dieser Frage gar nicht gerechnet. Ich war Außenpolitiker im Bundestag und hatte eigentlich ganz andere Pläne. Die CDU war ja in dieser Zeit in einer ganz tiefen Krise, Stichwort "Spendenaffäre". Deshalb habe ich mich dann gefragt, ob ich das überhaupt kann. Wenn ich aber um Mitwirkung und Hilfe gebeten werde, dann ist es nicht meine Art, zu sagen, "ich mache das nicht", wenn ich es mir irgendwie zutraue. Und ich habe mir schon zugetraut, in einer so schwierigen Situation verloren gegangenes Vertrauen für die CDU wiederzugewinnen. Ich glaube auch, dass ich dazu ein Stück beitragen konnte. Allerdings, je länger wir dann Erfolg mit der Bewältigung der Spendenaffäre hatten, je mehr es wieder normal wurde, umso mehr wurde dann vom Generalsekretär auch wieder das erwartet, was ich mit "Speerspitze" bezeichnen möchte. Dann kommt man auch in die Nähe des Draufhauens oder des Beißens. Und das ist in der Tat nicht so sehr mein Ding. Ich bin eher jemand, der versucht, Brücken zu bauen. So habe ich das damals dann auch in der letzten Pressekonferenz, die ich als Generalsekretär gegeben habe, gesagt. Meiner Meinung nach ist beides notwendig. Ich akzeptiere sehr, dass in der Art und Weise, wie Parteien miteinander auf großer Bühne streiten, eine Speerspitze da sein muss. Aber auch die Brückenbauer werden gebraucht. Kastan: Vielleicht werden sie in Zukunft mehr denn je gebraucht. Bei den Bürgern kamen Sie mit Ihrer Art Politik zu machen, nämlich eher der auf den Inhalt zielende, nachdenkliche Politiker zu sein, immer gut an. Sie hatten z. B. 1998 gegen den Bundestrend in Ihrem Wahlkreis, in Münster, ein sehr, sehr gutes Wahlergebnis. Liegen die Parteien vielleicht manchmal falsch, wenn sie zu sehr die Speerspitzen in den Vordergrund stellen? Polenz: Ich glaube schon, dass es die Menschen nicht mögen, wenn sie das Gefühl haben, dass da nur gestritten wird. Allerdings muss man dabei auch unterscheiden, denn ein Ringen um die richtige Lösung ist ja auch ein Streit oder eine Kontroverse. Aber oft erwecken Politiker den Eindruck, dass die Polemik gegen die andere Seite eigentlich wichtiger ist als die Sache selbst. Man merkt das, wenn man beispielsweise in Schulen oder in Kirchengemeinden zu einer Podiumsdiskussion eingeladen ist. Da reagiert das Publikum sehr, sehr empfindlich, wenn es das Gefühl bekommt, dass die Politiker auf dem Podium sich untereinander streiten und gerade aus den Augen verlieren, dass da 80 oder 100 Leute sitzen, über die und deren Anliegen eigentlich gesprochen werden sollte. Das merkt man dann auch ganz schnell. Weil ich viele solche Veranstaltungen mache, hat sich das auch auf meine grundsätzliche Art Politik zu machen ausgewirkt. Ich denke schon, dass wir immer wieder darüber nachdenken müssen, wie wir die Dinge besser hinbekommen, als sie sind, und dass wir auch deutlich machen müssen, dass wir das tun. Kastan: Ihr Nachfolger wurde . Inzwischen hat er dieses Amt nicht mehr inne, aber er wurde damals zum Generalsekretär ernannt. Hat es Sie damals gekränkt, dass er gesagt hat, Frau Merkel könne sich einen weiteren Fehlgriff nicht leisten und damit auf Sie angespielt hat? Polenz: Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie das war. Ich saß noch in meinem Büro im Adenauer-Haus, als unten diese Pressekonferenz lief. Ich kriegte das also mit und dachte: "Oh je, er wollte wahrscheinlich sagen, sie hat jetzt keinen Schuss mehr frei; nachdem einer nach einem halben Jahr nicht mehr da ist, kann nicht noch einmal so schnell ein Wechsel stattfinden." Ich bin mit Laurenz Meyer nämlich seit langem gut befreundet, wir haben zusammen in Münster studiert. Er kam dann hoch ins Büro und sagte: "Hör mal, da ist mir was rausgerutscht." Ich sagte: "Laurenz, mach' dir da keinen Kopf, ich habe das schon richtig verstanden." Das hat unser Verhältnis nicht getrübt. Kastan: Inhaltlich sind Sie in Ihrer Partei durch Ihre sehr liberalen Positionen immer wieder angeeckt. Sie haben z. B. die Anti-Ausländer-Kampagne von Roland Koch in Hessen kritisiert, Sie haben sich für eine zweite Staatsbürgerschaft eingesetzt, für islamischen Religionsunterricht und für die Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union. Sie haben Ihrer Partei immer ganz schön viel zugemutet. Polenz: In Bezug auf die Staatsbürgerschaft möchte ich schon präzise sein: Ich bin dafür gewesen und auch noch dafür, dass die Kinder der dritten Generation, also die Kinder von Ausländerkindern, als Deutsche hier aufwachsen können und sich dann mit 18 Jahren entscheiden müssen, welchen Pass sie wollen. Insofern kann man bis dahin vielleicht von einer doppelten Staatsbürgerschaft sprechen, aber sonst bin ich ein Gegner doppelter Staatsangehörigkeiten, weil das zu ziemlichen Problemen führen kann z. B. beim konsularischen Rechtsschutz. Was die anderen Themen angeht: Sicher, ich mache mir meine eigenen Gedanken und beziehe meine Positionen, allerdings kann sich die Partei auch darauf verlassen, dass ich Mehrheitsentscheidungen mittrage, wenn es etwa zu Abstimmungen kommt. Ich würde meine Partei bei Abstimmungen, wenn es nicht bis an die Schwelle des Gewissens herangeht, nicht im Stich lassen. Aber ich nehme mir schon das Recht heraus, meine eigene Meinung zu sagen, und ich habe auch die Hoffnung, dass ich die Positionen meiner Partei damit beeinflussen kann. Kastan: Besonders umstritten ist ja die Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union. Das wird ja sowieso nicht morgen kommen, sondern vielleicht in 15 Jahren, aber es geht darum, dass man es der Türkei überhaupt in Aussicht stellt. Warum, glauben Sie, ist das wichtig? Polenz: Ich bin Außenpolitiker und ich beschäftige mich intensiv mit der Region des Nahen und Mittleren Ostens. Die Stichworte Irak, Israel, Palästina, jetzt auch Iran mit der Nuklearfrage, zeigen ja, wie schwierig dort das Terrain ist. Die Türkei ist seit 1963 dabei, sich auf Europa hin zu orientieren. Sie hat spätestens 1993 das Versprechen bekommen, dass sie auch EU-Mitglied werden könne. Das wurde dann 1999 erneuert, vorher gab es noch die Zollunion, und 2002 und 2004 wurden entscheidende Ministerratsbeschlüsse gefasst. Es gehört nun einmal auch zur europäischen Rechtskultur, dass man ein gegebenes Wort einlöst und hält. Heute müssen wir der Türkei natürlich zwei Dinge sagen: Zum einen ist die Türkei im Augenblick selbst nicht beitrittsfähig – und das weiß sie auch –, weil sie die Kopenhagener Kriterien, also die Beitrittskriterien, zwar auf dem Papier, sprich im Gesetzblatt, erfüllt, aber noch nicht in die Praxis umgesetzt hat. Zum anderen ist die EU – und das ist im Moment das eigentlich Tragische – auf absehbare Zeit offensichtlich nicht in dem Maße erweiterungsfähig. Die Verfassung ist gescheitert, der Finanzrahmen ist in der Schwebe und wir wissen im Moment überhaupt nicht, wie wir die Osterweiterung richtig verdauen können. Im Moment ist also Realismus angesagt. Aber wir müssen Acht geben, dass das in der Türkei keine Enttäuschungsreaktion auslöst, denn eine Abkehr der Türkei von Europa kann niemand wollen. Kastan: Das Argument, das man in diesem Zusammenhang immer wieder hören kann, ist, dass wir und die Türkei unterschiedliche Kulturkreise sind, dass das nicht zusammenpasst. Welche Antwort haben Sie darauf? Polenz: Die Europäische Union hat in ihren Beitrittskriterien 1993, als es darum ging, die Europäische Union zu erweitern, festgelegt, was ein Mitgliedsstaat erfüllen muss, wenn er dabei sein will. Dazu gehören natürlich Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, starke Wirtschaft und Marktwirtschaft. Kultur kam dabei nicht vor. Kultur heißt Sprache – die Europäer sprechen verschiedene Sprachen. Kultur heißt Religion – wir haben verschiedene Religionen. Wir haben bereits jetzt 12 Millionen Muslime in der Europäischen Union. Das kulturelle Argument hat mich nie ganz überzeugt. Für viele ist der "Grand Prix Eurovision de la Chanson" ein kultureller Event. Vielleicht kann man dahinter ein Fragezeichen stellen. Aber die Türkei hat ihn voriges Jahr gewonnen, wenn ich mich richtig erinnere. Sport ist für viele etwas Kulturelles. Die Türkei spielt in allen europäischen Fußballwettbewerben mit. Man muss dann schon einmal genau fragen, was für diejenigen, die hier Unvereinbarkeiten annehmen, Kultur bedeutet. Kastan: Sie sind ein Liberaler innerhalb der CDU. Woher kommt Ihr liberaler Standpunkt, Ihr liberales Selbstverständnis? Polenz: Ich vertrete meinen Standpunkt, das möchte ich auch können und ich gehe davon aus, dass das für andere Menschen auch zutrifft. Deshalb gehört für mich erst einmal dazu, zu akzeptieren, dass andere Leute andere Standpunkte haben. Zum zweiten bin ich auch immer ein bisschen skeptisch gegenüber meiner eigenen Meinung und Überzeugung. Ich kann mich ja auch täuschen, ich kann mich auch irren. Das merkt man mir, glaube ich, auch ein bisschen an. Aus dieser Haltung heraus erwächst nun keine ideologische Heilsgewissheit im politischen Sinne. Meine religiöse Überzeugung ist etwas anderes, aber im politischen Sinne habe ich diese letzte Gewissheit nicht, sondern es ist immer auch ein Schuss Skepsis dabei. Ich sehe die Maxime "leben und leben lassen", die, glaube ich, der Alte Fritz hatte, auch als eine Aufgabe für die Politik. Es geht darum, die Bedingungen so zu gestalten, dass das für möglichst viele Menschen gilt, dass sie so leben können, wie sie wollen, wenn es anderen nicht schadet. Das finde ich eigentlich eine ganz vernünftige Zielvorstellung. Kastan: Eines sind Sie auf alle Fälle auch, Sie haben es vorhin erwähnt: Sie sind katholisch. Polenz: Ja. Kastan: Sind Sie das aus voller Überzeugung? Polenz: Ja. Kastan: Sie sind also nicht nur Mitglied der katholischen Kirche. Haben Sie das von Ihren Eltern mitbekommen? Sind Sie katholisch erzogen worden? Wir sollten vielleicht sagen, dass Sie in der Niederlausitz geboren wurden. Polenz: Ja, ich bin in der Nähe von Bautzen geboren. Unsere Familie war evangelisch. Wir sind dann in den fünfziger Jahren gemeinsam mit meiner Mutter konvertiert. Damals als Kind habe ich die Unterschiede gar nicht so stark empfunden. Wenn das nicht passiert wäre, wäre ich heute möglicherweise auch protestantischer Christ. Ich habe das konfessionell nicht so eng gesehen. Meine Frau ist Protestantin. Ich bin aus Überzeugung Katholik und das gibt mir auch in schwierigen Fragen Gelegenheit, mich zu besinnen, Orientierung zu suchen und hoffentlich auch zu finden. Kastan: Diskutieren Sie denn mit Ihrer Frau, die ja Protestantin ist, religiöse Standpunkte? Polenz: Ja, das tun wir durchaus. Wobei die Frage, warum es überhaupt noch zwei christliche Konfessionen gibt, durchaus auch eine Rolle spielt. Aber wir diskutieren sehr friedlich und in ökumenischem Geist. Kastan: Muss man denn in Münster als Abgeordneter katholisch sein? Polenz: Nein. Kastan: Es gibt ja das Sprichwort, "schwarz ... Polenz: "Schwarz, Münster, Paderborn." Dieser Spruch war höchstens in der Vergangenheit wirklich richtig. Er stimmt nämlich für Münster nicht. Ich will kurz schildern, warum. Die konfessionelle Verteilung in Münster ist etwa 60 Prozent Katholiken und etwa 30 Prozent Protestanten. Münster ist eigentlich eher eine Stadt wie Heidelberg oder Freiburg, um einmal Beispiele aus dem Süden Deutschlands zu nehmen. Wir haben über 50000 Studenten bei 280000 Einwohnern. Münster ist also eine sehr junge Stadt und sie ist sehr dienstleistungsorientiert. Handel, Banken und Versicherungen machen das wirtschaftliche Schwergewicht aus. Das sieht man auch an den Wahlergebnissen. Wir hatten von 1994 bis 1999 eine rot- grüne Ratsmehrheit. Die Grünen sind seit 1979 bei uns im Stadtrat und haben in Münster eine ihrer Hochburgen deutschlandweit, mit Wahlergebnissen, die deutlich zweistellig sind. Von daher ist Münster für die CDU ein schwieriges Pflaster. Kastan: Sind die Grünen für Sie eine Bereicherung in der Politik? Polenz: In Teilen ja, in Teilen haben sie natürlich auch sehr problematische Züge. Eine Bereicherung sind sie sicherlich dort, wo sie wichtige Denkanstöße gegeben haben und etablierte Parteien, wie auch meine eigene, in Schwung gebracht haben, etwa in Bezug auf Umweltfragen. In anderen Themenbereichen finde ich sie hochproblematisch. Ihre gesellschaftspolitischen und auch familienpolitischen Vorstellungen kann ich überhaupt nicht teilen. Ich glaube schon, dass die Politik die Aufgabe hat, die Menschen zu stützen, die Verantwortung für andere übernehmen. Das ist primär in der Familie der Fall: Eltern übernehmen Verantwortung für ihre Kinder und umgekehrt übernehmen Kinder später Verantwortung für ihre älter werdenden Eltern. Wenn wir diese Strukturen nicht stärken – wobei der Begriff "Struktur" ja schon ein bisschen kalt daher kommt –, wenn wir also dieses menschliche Zusammenleben nicht stärken, auch von Seiten der Politik, dann machen wir einen großen Fehler. Wenn man nun alle möglichen Strukturen dem gleichsetzt, wie das die Grünen mit ihrer Vorstellung von Lebenspartnerschaften tun, dann schwächt man das, worauf unsere Gesellschaft angewiesen ist. Wir müssen gerade für Kinder etwas tun, für Familien mit Kindern. Das ist aus meiner Sicht eine ganz wichtige Aufgabe der Politik. Kastan: Warum wurde da – und dieser Vorwurf geht ja an alle Parteien – in der Vergangenheit so wenig gemacht? Alle Parteien sagen im Grunde seit Jahrzehnten, dass man mehr für die Familien tun muss, letztendlich passiert aber relativ wenig. Polenz: Ich denke, das ist auch ein gesellschaftliches Phänomen. Die Familie ist ja durch die Industrialisierung und durch die Veränderungen in unserer Arbeitswelt einem großen Druck und einem Gezerre von außen ausgesetzt. Man muss sich nur einmal ansehen, welche Mobilität heute erwartet wird. Jeder sagt, dass man wegen eines Arbeitsplatzes auch zu einem Ortswechsel bereit sein muss. Dass man damit aber z. B. die Verpflichtung, für seine Eltern zu sorgen, die natürlich nicht mit umziehen, irgendwann möglicherweise nur sehr schwer erfüllen kann, das wird nicht bedacht. Es sind also objektive Dinge, die es heute Familien teilweise schwerer machen, den Zusammenhalt zu leben. Trotz der Vielzahl an Möglichkeiten muss man es sich richtig erarbeiten, gemeinsam etwas zu tun. Man sieht es ja auch im eigenen Haushalt. Früher stand da ein Fernsehgerät und wenn man ferngesehen hat, dann saß man wenigstens zusammen davor. Heute stehen in allen Zimmern irgendwelche Geräte und jeder guckt das Programm, was ihm gerade gefällt. Dagegen anzugehen ist nicht ganz einfach. Kastan: Lassen Sie uns noch einmal auf den Katholiken Ruprecht Polenz zu sprechen kommen. Kardinal Meisner hat einmal gesagt, die CDU – da war er wahrscheinlich verärgert über die Unionsparteien – sollte ihr "C" im Namen streichen. Das "C" steht bekanntlich für "Christlich". Konnten Sie ihn verstehen? Polenz: Nein, ich habe ihm damals auch kritisch geantwortet. Ich habe ihm erst einmal gesagt, dass das "C" nicht "K" heißt, und wenn er sich als Kardinal äußert, dann könne er allenfalls für die Katholiken sprechen. Das ist der eine Punkt. Ich fand diese Äußerung aber aus mehreren Gründen überhaupt nicht gerechtfertigt. Wir haben in unserem Grundsatzprogramm als CDU – und das gilt sicherlich auch für die CSU – einen klaren Bezug auf ein christliches Menschenbild, einen klaren Bezug auf Grundwerte, die wir christlich fundiert sehen. Ich gebe zu, es gelingt uns nicht immer und manchmal vielleicht auch nicht gut, diese Wertvorstellungen in praktische Politik umzusetzen, aber es gehört ja auch zum christlichen Grundverständnis, dass wir uns bemühen sollen, und dass dann auch bereits das Bemühen anerkannt wird. Es kann ja nicht nur das Perfekte geben. Wir sehen das "C" im Namen ja weniger als ein Etikett für das, was wir schon haben, sondern es ist eher eine Selbstverpflichtung für uns, ein Ansporn, diesem Kriterium zu entsprechen. Wenn ein Kardinal sagt, ihr sollt euch das "C" nicht als Ansporn nehmen, dann finde ich das total unverständlich. Kastan: Das "C" schließt aber doch auch andere Menschen aus, die vielleicht keine Christen, sondern muslimische Mitbürger sind und die deshalb vielleicht keine christliche Partei wählen möchten. Polenz: Nein, das sehe ich grundsätzlich nicht so. Allerdings ist es richtig, dass manche Muslime, die sich hier auch politisch engagieren wollen, ein Problem mit dem "C" in unserem Namen haben. Das weiß ich aus vielen Gesprächen mit Muslimen. Ansonsten würde ihnen unser Programm, gerade was die Familienwerte angeht, eigentlich gut gefallen. Und sie fühlen sich auch wirklich angesprochen. Viele türkische Mitbürger und auch eingebürgerte Türken sind, gerade was Familienwerte angeht, durchaus sehr konservativ eingestellt. Sie stoßen sich dann aber an dem "C". Dazu muss man sagen, dass das "C" nicht meint, dass Muslime oder Juden oder auch Menschen, die sich zu keiner Religion bekennen, nicht bei uns Mitglied sein könnten. Entscheidend ist, dass man sich zu unserem Grundsatzprogramm, zu unseren Grundwerten bekennt und das bejaht. Das kann man auch, wenn man sich nicht einer christlichen Konfession zugehörig fühlt. Kastan: In erster Linie sind Sie Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Münster im Deutschen Bundestag in Berlin. Sie haben aber noch eine andere wichtige Funktion: Sie sind Vorsitzender des Fernsehrates des Zweiten Deutschen Fernsehens. Das ist das Aufsichtsgremium, dort wird kein Programm gemacht, aber dieses Gremium achtet darauf, dass nicht gegen Programmrichtlinien verstoßen wird. Der Fernsehrat des ZDF hat 77 Mitglieder, Sie sind der Vorsitzende. Verstehen Sie sich als Lobbyist für das öffentlich-rechtliche System? Polenz: Ich bin ein außerordentlich überzeugter Anhänger unserer dualen Rundfunkordnung, also des Miteinanders und Nebeneinanders von privaten Fernsehsendern und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Fernsehen. Ich glaube, dass wir in Deutschland – und ich bin ja Außenpolitiker und komme auch gelegentlich in andere Länder – insgesamt mit das beste Fernsehprogramm überhaupt auf dieser Welt haben. Ich wüsste kaum ein Land, das da mithalten kann. Das liegt an dieser Wettbewerbssituation und daran, dass auch das öffentlich-rechtliche System mit der ARD und dem ZDF in einem Qualitätswettbewerb steht. Der Wettbewerb zwischen den beiden öffentlich-rechtlichen Systemen ist ein Wettbewerb, der eigentlich zu immer besserer Leistung auf beiden Seiten anspornt, weil man sich eben nicht plump auf Quote ausrichten muss. Denn Quote heißt ja, dass man bei den Werbetreibenden mehr Geld verlangen kann. Stattdessen orientiert man sich zwar auch daran, dass möglichst viele Menschen das Programm sehen – das ist schon richtig –, aber das soll eben durch Qualität geschehen. Kastan: Solchen Worten entnehme ich, dass Sie dem öffentlich-rechtlichen System eine Zukunft geben. Polenz: Ja. Kastan: Das ist ja auch umstritten. Wir stehen in den öffentlich-rechtlichen Sendern natürlich auch immer unter Kritik, teilweise sogar unter Feuer. Das betrifft vor allem die Gebührenfrage. Man fragt natürlich, warum diese Sender so hohe Gebühren brauchen. Bei der letzten Gebührenerhöhung wurde deutlich weniger anerkannt, als das, was wir gerne gehabt hätten, nämlich nur 88 Cent. Das hat die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfes von ARD und ZDF festgestellt. Wir wollten ein paar Cent mehr haben, 1,09 Euro, glaube ich. Daraufhin hat sich die Politik eingemischt und geäußert, dass sie den Vorschlag dieser unabhängigen Kommission nicht anerkennen will. Darüber gibt es jetzt auch juristische Auseinandersetzungen. Hielten Sie die Rolle, die die Politik in diesem Zusammenhang gespielt hat, für geschickt? Polenz: Nein, ich fand das ungewöhnlich und auch unglücklich. Ich denke, das sollte auch nicht wiederholt werden. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist ja bewusst staatsfern organisiert und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts macht hier auch ziemlich klare Ausführungen dazu, wie Gebührenfestsetzungsverfahren laufen sollen und dass sie vor allem nicht dazu benutzt werden dürfen, z. B. unmittelbar ins Programm hineinzureden. Da gab es in der Diskussion auch einige Dinge, die hart an der Grenze waren, wenn ich das so ausdrücken darf. Auf der anderen Seite muss man natürlich den öffentlich-rechtlichen Anstalten auch sagen, dass das Gebührenfestsetzungsverfahren heute wahrscheinlich auf den Prüfstand gehört. Denn in Zeiten, wo es praktisch keinen Bürgermeister mehr gibt, der nicht quasi den Boden seiner Gemeindekasse sehen kann, weil nichts mehr drin ist, und kein Bundesland, das noch sorgenfrei einen Haushalt aufstellen kann, in solchen Zeiten ist ein Verfahren, bei dem die Anstalten sagen, was sie brauchen, und dem nach einer Prüfung in der Regel auch zugestimmt wird, sicherlich nicht mehr zeitgemäß. Es gibt ja jetzt eine Reihe von Vorschlägen, wie man auf der einen Seite die Staatsferne bewahren kann, auf der anderen Seite aber in irgendeiner Form auch auf die allgemeine wirtschaftliche Lage Rücksicht nimmt. Es ist ja auch eine Frage, worauf sich das öffentlich-rechtliche Fernsehen und der Rundfunk konzentrieren sollen, ob sie alles machen müssen. Diese Debatte wird sicherlich noch eine Weile weitergehen. Kastan: Die Frage der Werbung bei den öffentlich-rechtlichen Medien ist ein wichtiges Thema. Allerdings muss man sagen, dass es in ganz vielen Sendern gar keine Werbung gibt, und zwar in den so genannten Dritten, die sich selbst ja gar nicht mehr so nennen, wie beispielsweise das Bayerische Fernsehen oder auch unser Kanal BR-alpha. Da gibt es sowieso keine Werbung. Polenz: Ich gehöre schon zu denjenigen, die sagen, es sollte auch weiterhin Werbung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen geben, und zwar vor 20 Uhr. Ich bin kritisch gegenüber diesen Sponsoren-Hinweisen, die es auch nach 20 Uhr gibt, denn aus meiner Sicht gehen die in eine Grauzone hinein. Angeblich ist es keine Werbung, obwohl es jeder Zuschauer als Werbung empfindet. Derjenige, der diese Sponsorings in Auftrag gibt, verspricht sich ja auch einen werblichen Zweck davon. Ich wäre dafür, das in Zukunft bleiben zu lassen. Um aber den Gebührenzahler nicht zu belasten, müsste man einen Ausgleich schaffen, so dass dann vielleicht im Umfeld von Sport- Live-Übertragungen oder Sportsendungen geworben werden dürfte. Solche Vorschläge sind jetzt in der Diskussion. Aber auch die Wirtschaft möchte gerne, dass sie weiter im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Fernsehen werben darf. Da die Werbung ja auch den Konsum ankurbeln soll, wäre es in der jetzigen wirtschaftlichen Situation sicherlich verkehrt, einen solchen Zugang zum Kunden einfach zu kappen. Kastan: Im Gesamtetat der Rundfunkanstalten macht die Werbung relativ wenig aus. Den größten Teil unseres Etats machen natürlich schon die Gebühren aus. Wird über so etwas auch im Fernsehrat des ZDF kritisch diskutiert? Polenz: Ja, natürlich. Wir haben die ganze Gebührendiskussion kritisch begleitet. Wir haben einen eigenen Finanzausschuss, auch wenn der Verwaltungsrat das Gremium ist, das Haushalt, Finanzen und Investitionen bestimmt. Der Fernsehrat ist ja mehr für die Programmkontrolle zuständig, dafür, dass die Richtlinien eingehalten werden. Wir haben natürlich – bleiben wir noch einmal beim Thema Werbung – auch sehr genau hinzusehen, dass etwa Grenzen zur Schleichwerbung nicht überschritten werden und dass es bei Kooperationen transparent zugeht. Da gab es ja immer wieder Versuche, die Grenzen zu verschieben. Hier muss ein Kontrollgremium sehr genau aufpassen. Kastan: Mit den Rundfunkgebühren hat auch die EU-Kommission in Brüssel ihre Schwierigkeiten. Sie sieht das als unrechtmäßige, staatliche Beihilfe an. Dabei muss das ja jeder Fernsehzuschauer selbst bezahlen. Welche Position haben Sie in dieser Frage? Polenz: Hier sind sich ARD und ZDF und auch die Bundesländer, die ja in Deutschland die Medienhoheit haben, einig: Sie sagen, das ist keine staatliche Beihilfe. Wir wollen das Fernsehen auch nicht als ein beliebiges Wirtschaftsgut sehen. Im Amsterdamer Protokoll, einem Protokoll im Rahmen der Amsterdamer Verträge, gibt es eine Ausnahmeregelung, die den Kulturbereich von den rein marktwirtschaftlichen Interessen des Wettbewerbs ausnimmt. Von daher ziehen hier alle an einem Strang. Ich hoffe auch, dass es gelingt, die Brüsseler Kommissare davon zu überzeugen. Wichtig ist allerdings, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen und auch der Rundfunk keine Angriffspunkte bieten. Man muss dann auch dafür sorgen, dass die Online-Aktivitäten, die man entwickelt, wirklich strikt programmbegleitend sind und nicht Felder besetzen, auf denen andere mit eigenem materiellem Risiko Geld verdienen wollen. Das wäre ein unfairer Wettbewerb, wenn man mit den Geldern der Gebührenzahler etwa den Zeitungsverlegern im Online-Bereich Konkurrenz machen würde. Kastan: Aber es muss natürlich auch Online-Angebote der öffentlich-rechtlichen Anstalten geben, denn ohne Online-Angebote geht heute fast gar nichts mehr. Polenz: Ja, selbstverständlich. Es ist gut, dass Sie noch einmal nachfragen. Natürlich muss das Fernsehen, auch das öffentlich-rechtliche, die technischen Wege der Zukunft mitgehen können. Es muss sich auch positionieren. Die Zukunft ist digital und die Zukunft wird auch die Mediennutzungen immer näher zusammen bringen, z. B. durch das Vertiefen über Online-Angebote oder durch den gegenseitigen Kontakt. Der Zuschauer kann sich in Chat-Foren usw. im Anschluss an eine Sendung melden. Das konnte er früher nur durch geschaltete Anrufe machen. All das gehört zur Entwicklungsgarantie, zur Entwicklungsfähigkeit des öffentlich- rechtlichen Systems. Das muss natürlich erhalten bleiben. Aber um ein bekanntes, oft zitiertes Beispiel zu nehmen: Bratpfannen müssen wir über unsere Online-Angebote nicht verkaufen, aber das geht an einen ARD- Sender etwas weiter nördlich. Kastan: Das ist mir ganz neu, dass bei uns Bratpfannen verkauft werden. Polenz: Es gab bei einem großen ARD-Sender einmal ein Online-Angebot, wo man über eine kurze Zeit Bratpfannen beziehen konnte. Das hängt nun dem ganzen System immer noch nach. Kastan: Hoffentlich waren sie wenigstens von guter Qualität. Polenz: Ich weiß es nicht. Der Bezug war gegeben durch eine Fernsehpersönlichkeit, die neben ihrem Engagement in Talkshows auch noch gerne kocht. Kastan: Ein anderer Kritikpunkt in den Rundfunkanstalten selbst und auch unter den Redakteuren ist, dass in den Aufsichtsgremien zu viele Politiker sitzen: Es sei ja ein Unding, dass diejenigen, über die berichtet wird und auch kritisch berichtet wird, gleichzeitig Kontrolle über die Sender ausüben. Tun Sie sich schwer damit, in Ihrer doppelten Rolle, die Sie ja auch selbst innehaben, diesen Spagat hinzubekommen? Polenz: Nein, denn die Idee der Binnenkontrolle durch solche Gremien wie den Fernsehrat ist ja, dass dort die wichtigen gesellschaftlichen Gruppen vertreten sein sollen. Der Fernsehrat des ZDF hat 77 Mitglieder, davon sind 12 aus den politischen Parteien entsandt. Beim ZDF kommt außerdem noch eine Besonderheit hinzu: Weil es eine Länderanstalt ist, entsenden die 16 Bundesländer quasi als Eigner des ZDF noch jeweils einen Vertreter; das ist jemand, der das Land vertritt. Dann haben wir den Sportbund, das Rote Kreuz, die Kirchen, die Arbeitgeber, die Gewerkschaften, den Tierschutz und verschiedene Kulturbereiche vertreten. Das ist also ein Spiegelbild der Gesellschaft. Nun kann man über die Politik ja alles Mögliche sagen, aber dass die politischen Parteien nun gar nicht zu diesen wichtigen gesellschaftlichen Gruppen gehören sollten, das wird man, denke ich, nicht sagen können. Wichtig ist, dass ein solches Gremium nicht parteipolitisch orientiert arbeitet. Und das tut der Fernsehrat nicht. Kastan: Bei der Wahl des Intendanten des ZDF wurde aber unter den so genannten gesellschaftlich relevanten Kräften ganz schön gerangelt. Es gab immer wieder Kandidaten, die es dann nicht geschafft haben. Polenz: Richtig. Das lag zum einen daran, dass wir, anders als manche anderen Sender, eine Drei-Fünftel-Mehrheit brauchen, um einen Intendanten zu wählen. Eine so breite Mehrheit ist in einer Personalentscheidung grundsätzlich nicht ganz leicht zu erreichen. Ich glaube aber, dass alle Beteiligten gesehen haben, dass die Art und Weise, wie das damals lief, dem ZDF nicht gut getan hat. Umso besser, dass wir im Ergebnis jedenfalls die richtige Entscheidung getroffen haben. Herr Schächter zeigt ja jetzt auch, wie gut er das ZDF führt. Aber mein Bestreben als Fernsehratsvorsitzender ist auch, dass wir eine möglichst offene Diskussion führen, die nicht von irgendwelchen Fraktionierungen geprägt ist. Bei ganz vielen Diskussionen würde man kaum merken, wer woher kommt, wenn man einmal davon absieht, dass sich die Vertreter des Sports natürlich mit den Sportsendungen noch etwas intensiver befassen. Kastan: Mit welchen Sendungen befassen Sie sich denn intensiver? Sind das die politischen Sendungen? Polenz: Ja, natürlich. Ich sehe selbstverständlich die Nachrichtensendungen in beiden Systemen, wenn ich dazu Zeit habe, also "heute", "heute journal", "Tagesschau" und "Tagesthemen". Ich sehe gerne Krimis, und jetzt mache ich einmal für den ZDF-Krimi "Wilsberg", der in Münster spielt, etwas Werbung. Natürlich will ich auch den "Tatort" nicht vergessen, der ebenfalls mit bestimmten Folgen in Münster gedreht wird. Aber das ist jetzt ein bisschen Lokalpatriotismus. Ich sehe in der Tat gerne Krimis und ich sehe gerne Sport. Da gibt es ja auch eine Diskussion darum, ob und in welchem Umfang das öffentlich-rechtliche Fernsehen überhaupt Sport übertragen darf. Auch hier unterscheidet sich das öffentlich-rechtliche vom privaten Fernsehen, denn das private Fernsehen muss sich auf die Sportarten konzentrieren, die ganz viele Menschen sehen wollen: Formel 1 und Fußball. Vor allem Fußball ist natürlich auch für das öffentlich-rechtliche Fernsehen wichtig, aber wir übertragen im ZDF und in der ARD auch so genannte Randsportarten, die aber beispielsweise bei Olympia vorkommen. Es geht also auch um eine breitere Sportberichterstattung und auch der Behindertensport darf dabei nicht vergessen werden. Das alles macht dann das Sportangebot im öffentlich-rechtlichen Fernsehen erst richtig rund. Kastan: Sie sind Bundestagsabgeordneter, Sie sind Vorsitzender des ZDF- Fernsehrates, Sie haben aber auch noch eine dritte Funktion, die wir hier im Gespräch bei alpha-forum nicht verschweigen wollen. Sie sind Präsident der Deutsch-Atlantischen Gesellschaft. Da geht es vor allem um die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und den USA. Was macht die Deutsch-Atlantische Gesellschaft? Polenz: Im Moment wird ja oft darüber diskutiert, was Politiker sonst noch alles neben ihrem Beruf machen. Deshalb möchte ich Folgendes bemerken: Beim ZDF und auch bei der Deutsch-Atlantischen Gesellschaft bin ich ehrenamtlich tätig. Die Deutsch-Atlantische Gesellschaft hat 3500 Mitglieder überall in Deutschland, in 29 Arbeitskreisen. Wir machen Veranstaltungen, Vorträge, aber auch Lehrerfortbildungen zu Themen, die mit Außen- und Sicherheitspolitik zu tun haben. Es gibt diese Atlantischen Gesellschaften in allen NATO-Mitgliedsstaaten. In Deutschland gibt es diese Gesellschaft seit 50 Jahren. Ich bin nun seit acht Jahren der Präsident dieser Gesellschaft. Dies macht mir Freude und war für mich immer sehr wichtig. Wenn man so will, habe ich mich fürs Bundestagsmandat vielleicht hauptsächlich deshalb interessiert, weil ich davon überzeugt bin, dass die Beziehungen, die wir zu Amerika haben, für Deutschland nach wie vor ganz entscheidend wichtig sind. Gute, freundschaftliche Beziehungen zu den USA sind für Deutschland äußerst wichtig. Kastan: Diese Beziehungen sind im Moment nicht nur positiv. Da hat es ein bisschen gekracht in den letzten Jahren. Polenz: Das ist richtig. Wobei gute, freundschaftliche Beziehungen ja nicht ausschließen, dass man unterschiedlicher Meinung ist. Aber man merkt natürlich am Stil, wie man mit Meinungsverschiedenheiten umgeht. Der Stil, den Bundeskanzler Schröder vor der letzten Bundestagswahl im Zusammenhang mit dem Irak-Konflikt gewählt hat, entsprach nicht dem, wie man unter Freunden über Meinungsverschiedenheiten reden sollte. Das wirkt noch nach. Deshalb muss da sicherlich etwas passieren, um das deutsch-amerikanische Verhältnis wieder ins Lot zu bringen. Auf der anderen Seite müssen auch wir Deutschen gemeinsam mit anderen versuchen, die amerikanische Außenpolitik ein Stück weit zu beeinflussen. Die Amerikaner sind durchaus bereit, sich beeinflussen zu lassen, wenn die anderen dann mittun und nicht nur gute Ratschläge geben und den Amerikanern sagen, wie sie es machen sollen. Wenn wir Ratschläge geben, müssen wir vielmehr sagen, wie wir es gemeinsam machen wollen. Das ist der Dreh, auf den es ankommt. Kastan: Der Kanzler hat seinerzeit, denke ich, auch auf eine Stimmung reagiert, die bis heute eher anti-amerikanisch ist. Dass so viele Menschen in der Bundesrepublik mit den USA immer weniger anfangen können, muss Sie doch eigentlich besonders traurig stimmen? Polenz: Es gibt einen latenten und manchmal auch deutlichen Anti-Amerikanismus in Deutschland – und zwar übrigens sowohl am linken wie am rechten Rand. Der rechte Anti-Amerikanismus reicht teilweise bis in den Anfang des letzten Jahrhunderts hinein und äußert sich in einem gewissen Herabblicken auf eine angeblich mindere Kultur. In der Nazizeit redete man von "Negermusik", heute spricht man etwas verächtlich über Fastfood- Ketten und Coca-Cola und vergisst dabei, dass die Amerikaner kulturell z. B. im Bereich der Musik und der modernen bildenden Kunst mit führend sind, und das gilt nicht nur für viele gute Filme aus Hollywood. Von links kommt natürlich Kritik am Vietnam-Krieg und am Irak-Konflikt. Man stößt sich immer wieder an Handlungen der Supermacht, die sicherlich nicht frei von Kritik sind. Zu Vietnam war viel zu sagen und auch zum Irak ist viel zu sagen. Aber es bleibt trotzdem so, dass wir mit den Amerikanern sehr viel gemeinsam haben und dass wir sie brauchen. Ohne die Amerikaner werden wir die großen Probleme des 21. Jahrhunderts nicht lösen können: nicht das Problem des Terrorismus, nicht die Frage, wie wir China friedlich in die Weltzusammenhänge integrieren, und auch nicht die Frage, was wir tun können, damit Russland sich tatsächlich zu einer stabilen Demokratie, einem Rechtsstaat und einer marktwirtschaftlichen Ordnung entwickelt. Kastan: Sie haben auch viele Kontakte zu Kongress-Abgeordneten, zu Senatoren in den USA. Wie reagieren die, wenn Sie ihnen die deutsche Position z. B. in der Irak-Frage erläutern? Polenz: Sie haben das natürlich schon als eine Art Bruch einer ganz langen Solidarität empfunden. Die Amerikaner sehen sich, und zwar zu Recht, als Garanten deutscher Sicherheit in der Zeit des Kalten Krieges. Präsident Bush senior war der Erste, der nach 1989 ohne jeden Vorbehalt gesagt hat: "Ja, der Weg kann und soll in Richtung Wiedervereinigung gehen." Da ist Mitterand noch nach Moskau gefahren und Maggie Thatcher hat in ihren Memoiren noch einmal klar gemacht, dass sie dem ganzen Prozess eigentlich ablehnend gegenüber stand. Gorbatschow kam erst danach mit der Bereitschaft, das wiedervereinigte Deutschland in der NATO zu belassen. Die Amerikaner sind für unsere Vergangenheit wichtig gewesen und sie bleiben es weiter. Deutschland ist auf ein sich einigendes Europa angewiesen und alle neuen Beitrittsländer aus Mittel- und Osteuropa wollen auch mit den USA befreundet sein. Wenn wir also eine Politik machen würden, wie sie Paris gelegentlich formuliert, und Europa stärker als Gegenmacht gegen die USA sehen, würde das bereits Europa zerreißen. Es war ja auch im Irak-Krieg zerrissen. Kastan: Deutschland ist heute wesentlich selbstständiger, als es das noch vor zwanzig Jahren war. Das kam natürlich durch die Wiedervereinigung zustande. Ist das für Sie eine gute Entwicklung oder vergessen wir dadurch auch die engen Beziehungen, die es in den Nachkriegsjahren gerade zu den USA gegeben hat? Polenz: Es ist natürlich schon eine gute Entwicklung, die vollen Souveränitätsrechte wieder zu haben und den europäischen Einigungsprozess nicht nur nach Westen, sondern jetzt auch nach Mittel- und Osteuropa hinaus erstrecken zu können. Wichtig ist nur, nie zu vergessen, dass sich die kritische geostrategische Lage Deutschlands in Europa ja nicht verändert hat. Wir sind nach wie vor zu groß, als dass es auf uns nicht ankäme, wir sind aber nicht so groß, dass alle – selbst wenn wir es denn wollten – nach unserer Pfeife tanzen würden. Von daher müssen wir uns weiter in die europäischen Strukturen integrieren und, anders als es die Regierung Schröder getan hat, auch wieder den Kontakt zu anderen EU- Mitgliedstaaten pflegen, zu den Niederländern beispielsweise, zu den Balten, zu den Polen. Wenn Deutsche und Russen miteinander reden – was nötig ist –, dann muss man wissen, dass man in Warschau und im Baltikum immer die Ohren spitzt, weil man sich an die Geschichte erinnert. Das muss die deutsche Politik wissen und damit etwas behutsamer umgehen. Das heißt nicht, dass wir uns nicht auch um gute Beziehungen zu Russland zu bemühen hätten. Kastan: Glauben Sie, dass Europa irgendwann, was die Außenpolitik angeht, mit einer Stimme sprechen wird? Im Moment haben wir ja eher einen gegenläufigen Trend. Die Niederlande und auch Frankreich z. B. haben sich im Grunde gegen die vorliegende EU-Verfassung ausgesprochen. Polenz: Wir müssen daran arbeiten. Es wird sicherlich immer wieder einer Anstrengung bedürfen und es wird vor allem erst einmal für bestimmte Themenfelder gemeinsame Formen der Außen- und Sicherheitspolitik geben. Wir haben eine solche jetzt gegenüber dem Iran, wo Deutschland, Frankreich und Großbritannien mit Rückendeckung der USA verhandeln. Wir haben unter dem Stichwort "Roadmap" eine solche gemeinsame europäische Position im Nahost-Prozess zwischen Israelis und Palästinensern. Bei diesem Plan sind neben den Europäern noch die USA, Russland und die Vereinten Nationen dabei. Aber wir haben sie natürlich in anderen Bereichen der Welt so noch nicht, z. B. in der China-Politik. Da konnte ich überhaupt nicht verstehen, wie die Europäische Union unter Führung von Chirac und Schröder trotz der Menschenrechtslage in China und trotz der Spannungen mit Taiwan ernsthaft diskutieren konnte, ob man das Waffenembargo aufhebt und damit die Gefahr beschwört, dass mit europäischen Waffen möglicherweise irgendwann einmal ein Konflikt in der Taiwanstraße ausgetragen wird. Da muss man sehen, dass wir hier wieder stärker zu einer gemeinsamen Politik des Westens kommen. Kastan: Sind Sie da optimistisch? Denn als Politiker muss man ja Optimismus ausstrahlen. Polenz: Es gibt doch den schönen Satz von Popper, in der Politik sei Optimismus Pflicht; das klingt zwar etwas ernst und Optimismus sollte ja etwas Fröhliches sein. Wenn man aber nicht daran glaubt, dass man Erfolg haben kann, wenn man nicht daran glaubt, dass man die Dinge zum Besseren wenden kann, dann ist man wahrscheinlich in der Politik falsch. Das heißt nicht, dass man alles rosarot, himmelblau und nur hoffnungsfroh sehen könnte. Man braucht einen realistischen Blick. Aber die Zuversicht, dass es gelingen kann, die Dinge voran zu bringen, die habe ich und die habe ich nicht zuletzt auch aus meiner Grundüberzeugung heraus. Kastan: Dieser Satz ist ein guter Schluss unseres Gespräches. Es war schön, dass Sie hier zu uns zu alpha-forum gekommen sind. Unser Gast war der Politiker und Vorsitzende im ZDF-Fernsehrat, Ruprecht Polenz.

© Bayerischer Rundfunk