Masarykova univerzita

Filozofická fakulta

Katedra germanistiky, nordistiky a

nederlandistiky

Bakalářská diplomová práce

2013 Večeřová Lenka

Masaryk-Universität Brünn

Philosophische Fakultät

Institut für Germanistik, Nordistik und

Nederlandistik

Deutsche Sprache und Literatur

Lenka Večeřová

Jurek Becker:

Der Roman Jakob der Lügner

Bakkalaureatsarbeit

Betreuer: PhDr. Jaroslav Kovář, CSc.

Brünn 2013

2 1 Einleitung ...... 6

2 Jurek Beckers Leben ...... 7

3 Erzählsituation ...... 15

4 Handlung ...... 15

5 Wer waren eigentlich Juden? ...... 22

6 Figuren ...... 22

7 Thematik ...... 26

8 Inhalt in Kürze ...... 27

8.1 Die Situation der Menschen im Ghetto ...... 27

8.2 Mut zu leben im Ghetto ...... 27

9 Ort des Geschehens ...... 27

10 Hauptmotive ...... 28

10.1 Stadt ohne Bäume...... 28

11 Literarische Gattung ...... 30

11.1 Romane gehören zur erzählenden Literatur ...... 30

11.2 Der Roman ist sehr vielseitig ...... 31

11.3 >> Jakob der Lügner << ...... 31

12 Wort- und Sacherklärungen ...... 32

12.1 Jiddische Begriffe und ihre Bedeutung ...... 33

13 Erzähler ...... 34

14 Geschichtlicher Hintergrund ...... 35

15 Beckers Sprachstil in seinen Werken ...... 37

16 Informationen über Ghettos ...... 37

16.1 Die Unterkunft ...... 37

16.2 Das Lagerregime ...... 38

16.3 Die Verpflegung ...... 39

16.4 Arbeit im Ghetto ...... 39

17 Verfilmungen ...... 40

18 Preise ...... 41

19 Zusammenfassung ...... 42

20 Fazit ...... 43

21 Literaturverzeichnis ...... 45

21.1 Primärliteratur ...... 45

21.2 Sekundärliteratur...... 45

21.3 Internetquellen: ...... 46

3

Hiermit erkläre ich, dass ich meine Bakkalaureatsarbeit selbständig verfasst habe und nur die im Literaturverzeichnis angegebene Literatur und

Quellen verwendet habe.

......

Lenka Večeřov{

Am 30. 4. 2013 in Brünn

4

An dieser Stelle möchte ich mich für die Ratschläge und professionelle

Hilfe bei Herrn PhDr. Jaroslav Kov{ř, CSc. bedanken.

5 1 Einleitung

In meiner Bakkalaureatsarbeit werde ich mich mit dem Roman Jakob der

Lügner von Jurek Becker beschäftigen. Dieser Roman gehört zu seinen bekanntesten Werken. Er wurde im Jahre 1969 veröffentlicht.

Diese tragische Geschichte spielt sich in der Zeit des Zweiten Weltkriegs ab und ist in das Milieu eines jüdischen Ghettos situiert. Das Drehbuch zum

Film hat geschrieben.

Mein Ziel besteht darin, aufgrund der einstudierten Literatur und mit

Hilfe der Sekundärliteratur die Handlung dieses Romans anzudeuten, zu beschreiben und das Leben im Ghetto zu zeigen.

Was für uns noch wesentlich ist, ist die Tatsache, dass man gewisse

Parallelen in Jurek Beckers Werk und in seinem Leben entdecken kann, was uns bestimmt viel verraten kann. Jurek Beckers Romane sind tragikomisch geschrieben, meistens mit dem Krieg oder mit dem DDR- System verbunden.

Seine literarische Tätigkeit war nämlich eng mit seinen politischen Meinungen verknüpft. Diese Verbindung macht seine Arbeit noch interessanter und realer, weil er seine Erfahrungen und Gefühle in seinen Werken thematisiert.

6 2 Jurek Beckers Leben

Jurek Becker war ein deutscher Prosaschriftsteller, Drehbuchautor und

DDR-Dissident, der 1937 als Jerzy Bekker in Lodz in Polen als Sohn jüdischer

Eltern geboren wurde.

Seine Eltern waren Juden. Sein Vater Mieczyslaw (Max) Becker (1900-

1972) stammte aus Litauen. Zuerst arbeitete er als Angestellter und später als

Prokurist in einer Textilfabrik. Seine Mutter Anette (geborene Lewin) stammte aus Polen und arbeitete als Näherin.

Vier Wochen vor seinem zweiten Geburtstag überfielen die Deutschen

Polen. Nach dem deutschen Überfall auf Polen 1939 wurde Jurek Becker zusammen mit seinen Eltern ins Ghetto von Lodz deportiert. 1944 verbrachte er ein paar Jahre mit seiner Mutter in den Konzentrationslagern in Ravensbrück und in Sachsenhausen. 1945 starb seine Mutter kurz nach der Befreiung an

Unterernährung. Sein Vater, der den Holocaust in Auschwitz überlebte, fand ihn nach dem Krieg wieder und zog mit ihm in die Lippehner Straβe 5 nach

Ost-Berlin. Becker lebte nach 1945 in Ost–Berlin, unter anderem in einer

Wohngemeinschaft mit , den er seit 1957 kannte, in der

Cantianstraβe in Berlin – .1

Jurek Becker sagte, dass er sich an nichts aus dieser Zeit erinnert, weil er mit zwei im Ghetto war. Alles, was ihm gesagt wurde, erfuhr er von seinem

Vater. Er erlebte zwar seine Mutti, aber er wusste nicht, wie sie aussah, weil sie im Lager starb. Als er zu schreiben begann, erinnerte er sich an einige Momente seiner Kindheit, auch dank Fotos, die ihm blieben.

1 http://www.amazon.de/Jurek-Beckers-Neuigkeiten-Manfred-Krug/dp/3430112133[zit.2013- 02-

06]

7 In Ostberlin erlernte Jurek Becker die deutsche Sprache, machte 1955 das

Abitur und meldete sich freiwillig für zwei Jahre zur Kasernierten Volkspolizei, dem Vorläufer der Nationalen Volksarmee. Nach dem Abitur wurde Becker

Mitglied der Freien Deutschen Jugend (FDJ) und 1957 auch der Sozialistischen

Einheitspartei Deutschlands (SED). Gegen den Willen seines Vaters, der wollte, dass er Arzt wäre, entschied er sich 1957 für das Studium der Philosophie.

1960 musste er die Humboldt-Universität aus politischen Gründen verlassen.

Jurek Becker begann 1960 ein kurzes Film-Szenarium-Studium im DDR-

Filmzentrum Babelsberg und schrieb mehrere Kabarett-Texte. Von 1961 bis zum 1977 war er in der Ehe mit der Dekorateurin Erika Hüttig, mit der er zwei

Söhne hatte. 1962 war er angestellter Drehbuchautor bei der DEFA und schrieb einige Fernsehspiele und Drehbücher. Unter anderem schrieb er Texte für das

Kabarett ,,Die Distel‘‘ und für die Filme ,,Wenn ein Marquis schon Pläne macht‘‘

(1962), ,,Gäste im Haus‘‘ (1963), ,,Zu viele Kreuze‘‘ (1963/64) und ,,Immer um den

März‘‘ (1967).

1963 tauchte in einem Entwurf das Thema des jüdischen Überlebens im

Ghetto auf; drei Jahre später bekam der geplante Film einen festen Platz im

Jahresplan der DEFA.2 Kurzfristig zerschlug sich das Projekt, weil in Polen gedreht werden sollte und man lieβ dort die vereinbarten Termine platzen – offenbar behagte die jüdische Thematik nicht.

1964 entstand sein erster DEFA-Spielfilm, die Komödie Ohne Pass in fremden Betten. In dieser Komödie spielte unser tschechischer Schauspieler

Miroslav Horníček.

1965 schloss Becker ein Drehbuch unter dem Titel ,,Jakob der Lügner‘‘ ab.

Er schilderte darin Begebenheiten in einem polnischen Ghetto unter der

Naziherrschaft.

2DEFA ist eine Abkürzung für die Deutsche Film Aktien Gesellschaft, die ein volkseigenes, vertikal integriertes Filmunternehmen der DDR mit Sitz in Potsdam-Babelsberg war.

8 Weil sein Drehbuch zum Film Jakob der Lügner 1968 abgelehnt wurde, arbeitete er es zu seinem ersten Roman um. Der Roman erschien 1969. Zwanzig

Jahre später sieht Becker in seiner Ausstellung Bilder aus dem Ghetto Lodz:

,,Ich starre auf die Bilder und suche mir die Augen wund nach dem alles entscheidenden

Stück meines Lebens. Aber nur die verlöschenden Leben der anderen sind zu erkennen,

wozu soll ich von Empörung und Mitleid reden, ich möchte zu ihnen hinabsteigen und

finde den Weg nicht.‘‘ 3

1971 erhielt dieser Roman mehrere Literaturpreise in Ost und West wie z.B den Heinrich-Mann-Preis und den Charles-Veillon-Preis.4 Erst 1974 konnte

Jakob der Lügner unter der Regie von Frank Beyer als Co-Produktion der DEFA mit dem Fernsehen der DDR realisiert werden. ,,Die Geschichte von Jakob dem

Lügner ist voller Poesie; Komisches steht neben Tragischem, Absurdes, Reales und

Märchenhaftes durchdringen einander. Eine Geschichte mit hintergründigem Witz und tiefer Traurigkeit, die ganze Spannweite menschlicher Existenz ausmessend.‘‘ (Beyer

1974)

Dieses berühmteste Buch, Jakob der Lügner, wurde in zwölf Sprachen

übersetzt, ebenso wie Irreführung der Behörden (1973) und Der Boxer (1976) auch in der Bundesrepublik Deutschland veröffentlicht und zweimal verfilmt. Die

Verfilmung wurde zu einem internationalen Erfolg und für einen Oscar nominiert, erhielt einen Nationalpreis der DDR und lief als erster DEFA-Film bei der Berlinale (1974, DEFA-Studio der DDR, Regie: Frank Beyer, Darsteller:

Vlastimil Brodský, Erwin Geschonneck, Henry Hübchen).

3 a.a.O.

4Der Grimme-Preis(bis 2010:Adolf-Grimme-Preis) ist ein Fernsehpreis und zählt zu den renommiertesten Auszeichnungen für Fernsehsendungen in Deutschland. Er wurde nach dem ersten Generaldirektor des Nordwestdeutschen Rundfunks, Adolf Grimme (1889-1963), benannt.

9 Seine Kindheit, die er im jüdischen Ghetto und im Konzentrationslager erlebte, beschrieb er in den Romanen: Der Boxer, Jakob der Lügner und Bronsteins

Kinder. Diese Trilogie Beckers behandelt die Judenvernichtung im Dritten Reich und deren Folgen für die Opfer nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs.

Becker sagt über die Zeit, die er als Kind im Ghetto und in

Konzentrationslagern verbrachte, es sei das alles entscheidende Stück seines Lebens.

Nach Jakob der Lügner äuβerte er sich noch zweimal mit einem Roman zu diesem Thema.

Diese beiden Werke werden inhaltlich vorgestellt, damit ein Einblick möglich wird, wie Beckers Auseinandersetzung mit dem Thema sich entwickelt hat. Väter und Söhne, die den Holocaust wie Becker und sein Vater überlebten, stehen im Mittelpunkt der Darstellung.5

Sein zweiter Roman, Irreführung der Behörden, erschien 1973. Mit herrlicher Komik schilderte Becker die vertrackte Karriere eines angehenden

Autors zwischen einer zensierenden Lektorin, einer neugierigen Zimmerwirtin und den stolzen Schwiegereltern.6 Und dann kommt der Erfolg. Auβerdem wurde er in den Vorstand des Schriftstellerverbandes gewählt. Für Irreführung der Behörden erhielt er 1974 den Literaturpreis der Freien Hansestadt Bremen und 1975 den Nationalpreis der DDR für Literatur II. Klasse.

Das Versteck blieb Beckers letzte Arbeit für die DEFA. 7Dieser DEFA-Film von Frank Beyer nach einem Buch von Jurek Becker ist ein Ehefilm besonderer

Art. Das Thema, der mühevolle Versuch eines Neunanfangs einer gescheiterten

Ehebeziehung, wurde in einer Komödie, leicht ironisch, liebenswert und sehr unterhaltsam gespielt. Der politisch engagierte Jurek Becker unterzeichnete

5ZIERLINGER, Ursula: Jurek Becker ‘‘Jakob der Lügner‘‘: Jakob der Lügner: Inhalt, Hintegrund,

Interpretation. 2. Auflage München: Mentor Verlag, 1996, S.25

6http://www.amazon.de/Irref%C3%BChrung-Beh%C3%B6rden-Roman-suhrkamp- taschenbuch/dp/3518367714[zit. 2013-04-20]

7 http://www.cinegraph.de/lexikon/Becker_Jurek/biografie.html[zit. 2013-04-20]

10 1976 mit elf weiteren Schriftstellern einen Brief gegen die Ausbürgerung Wolf

Biermanns. Dies wurde mit dem Ausschluss aus der SED und aus dem

Parteivorstand des Schriftstellerverbands der DDR bestraft.8

Es erschien der Roman Der Boxer, der das mühselige Ringen eines ehemaligen Konzentrationslagerinsassen um eine neue Existenz schilderte. In diesem Roman geht es um einen Mann, der im Holocaust seine Familie verlor und nach seinem möglicherweise noch lebenden Sohn sucht. Die Suche ist erfolgreich, aber Vater und Sohn haben Beziehungsprobleme. Der Vater verschlieβt sich. Er kann nicht mit dem Sohn über die Vergangenheit, nicht

über ihr Verhältnis sprechen. So wird der Sohn zum ,,verlorenen Sohn‘‘. Er verschwindet, schreibt zuerst noch Briefe. Indirekt macht er dem Vater

Vorwürfe: Ich habe noch nie einen Menschen getroffen, der so getrennt von allem lebt wie Du.9 Später schreibt der Sohn nicht mehr. Vielleicht ist er gestorben. Genau weiβ es der Vater nicht. Mit diesem Roman zog Becker Bilanz über die

Gegenwärtigkeit seiner Vergangenheit.

Die Chronologie seiner Werke lässt eine geradezu mathematische

Symmetrie erkennen: Fast alle seine Romane spielen in der DDR, wo Becker bis zu Biermanns Ausbürgerung gelebt hat; sie fallen in zwei voneinander streng geschiedene Themenkomplexe, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu verbinden scheint.

Weil seine Bücher in der DDR nicht mehr verlegt wurden, sowie seine

Filmprojekte abgelehnt wurden, trat er 1977 aus Protest gegen den Ausschluss

Reiner Kunzes aus dem Schriftstellerverband der DDR aus. Ab Ende 1977 lebte

Becker mit einem Visum im Westen, das bis zum Ende der DDR immer wieder verlängert wurde. ,,Ich dachte, lässt du jetzt das Visum verlängern oder löst du die

DDR auf. Sie wissen, wie ich entschieden habe.‘‘ (Becker, 1992)

8 http://de.wikipedia.org/wiki/Jurek_Becker[zit.2013-02-06]

9 BECKER, Jurek: Der Boxer:Roman. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1990, S. 284.

11 Er blieb freilich ein DDR-Schriftsteller, der weiter auf den reformierten

Sozialismus hoffte. Erst mit der gefeierten Serie ,,Liebling Kreuzberg‘‘ kam er auf eindrucksvolle Weise im Westen an.10

Die Beziehung des Individuums, der Gesellschaft (bis 1977 lebte Jurek

Becker in der damaligen DDR) und der zwischenmenschlichen Beziehungen sind für sein Werk die Romanstoffe zu Irreführung der Behörden und Schlaflose

Tage.

Von 1978 bis 1984 erschienen nicht nur zwei weitere Romane Schlaflose

Tage (1978) und Aller Welt Freund (1982), die für das Fernsehen verfilmt wurden, sondern auch die Sammlung von Erzählungen Nach der ersten Zukunft (1980).

In Schlaflose Tage schilderte Becker einen Ausstieg aus der DDR-

Gesellschaft. Er stellte sich öffentlich auf die Seite von Menschen, die die DDR verlassen mussten. Der Erzähler war Karl Simrock. 11

Der weitere Roman Aller Welt Freund, der beim Verlag Suhrkamp in

Frankfurt am Main erschien, erzählt in dem von schwarzem Humor gekennzeichneten Text über den Selbstmordversuch eines jungen Journalisten.

In diesem Roman wurden Beckers persönliche Erfahrungen nach seiner

Übersiedlung in den Westen verarbeitet. Becker wurde Mitglied der Akademie für Sprache und Dichtung Darmstadt.12

Der weitere Roman Bronsteins Kinder erschien 1986. Die Handlung spielt in Ost-Berlin, im Sommer 1973, in welchem der Vater des Ich-Erzählers ,,zu

Schaden kam‘‘, d.h. er starb, im Sommer 1974, von dem aus die Ereignisse erzählt bzw.rekapituliert werden. Äuβere Begebenheiten sind die

10http://www.welt.de/print-welt/article247345/Jurek-Becker-der-die-Wahrheit- sagte.html[zit.2013-02-06]

11ZIERLINGER, Ursula: Jurek Becker ‘‘Jakob der Lügner‘‘: Jakob der Lügner: Inhalt, Hintegrund,

Interpretation. 2. Auflage München: Mentor Verlag, 1996, S.38

12http://www.wissen.de/lexikon/becker-jurek-aller-welt- freund?keyword=jurek%20becker[zit.2013-02-06]

12 ,,Weltfestspiele der Sozialistischen Jugend‘‘ in Ost-Berlin 1973, Walter Ulbrichts

Tod und Willy Brandts Rücktritt 1974.13 In diesem Jahr schrieb Jurek Becker die

Drehbücher für die erfolgreiche ARD-Fernsehserie Liebling Kreuzberg. Für diese

Fernsehserie wurde er 1987 zusammen mit Manfred Krug und Heinz Schirk mit dem Adolf-Grimme-Preis in Gold ausgezeichnet. Der Roman Bronsteins

Kinder, der das Thema Selbstjustiz im Hinblick auf NS-Verbrechen thematisierte, wurde veröffentlicht.14 In diesem Roman geht es um den Vater, der wie der ,,Boxer‘‘ verschlossen ist. Die Tochter zerbricht, lebt in einer

Nervenheilanstalt. Als der Vater zusammen mit seinen ehemaligen

Leidensgefährten einen KZ-Wächter gefangennimmt, um Selbstjustiz zu üben, weiβ der Sohn nicht, was er machen soll. Der Vater überlebt die Anspannung nicht, der Sohn bleibt mit vielen Fragen allein.

1989 war Becker mit seinen Poetikvorlesungen an der Universität im

Frankfurt am Main tätig.

1990 kam der Film ,,Neuner‘‘, eine Ehe-Tragödie, nach dem Drehbuch von Becker in die Kinos und wurde 1991 mit dem Deutschen Filmpreis

,,Filmband in Gold‘‘ ausgezeichnet. Auβerdem gehörte Becker in den Akademie-

Bund der Künste zu Berlin.

1992 wurde der Roman Amanda herzlos veröffentlicht, der sich mit dem

Alltag in der DDR der späten 80er Jahre beschäftigte. Amanda herzlos ist

Liebesgeschichte, Zeitbild, Entwicklungsroman und Literatursatire, in dem der

Niedergang eines vielgeschmähten Staates am Schicksal einer Frau mit der professionell geführten Feder ihrer Liebhaber geschildert wird.15

13 http://www.zum.de/Faecher/D/BW/gym/Becker/bronstein.htm[zit.2013-02-06]

14Justiz und NS-Verbrechen ist eine in gebundenen Bänden veröffentlichte Sammlung von

Urteilen deutscher Gerichte zu Verbrechen des Nationalsozialismus mit Tötungsdelikten, begangen vor allem im Zuge des Holocaust.

15 http://www.amazon.de/Amanda-herzlos-Roman-Jurek-Becker/dp/3518387952[zit.2013-04-20]

13 1994 wurde die Fernsehserie ,,Wir sind auch nur ein Volk‘‘ in der ARD gesendet.16 Der Film, zu dem Becker das Drehbuch lieferte, thematisierte eine

,,wendegeschädigte‘‘ DDR-Familie.

1996 wurde das Band ,,Ende des Gröβenwahns‘‘, in dem Aufsätze und

Vorträge aus den Jahren 1971 bis 1995 zusammengestellt wurden, veröffentlicht.

Jurek Becker, dessen erster Ehe die Söhne Nikolaus (geb. 1962) und

Leonard (geb.1965) entstammten, lebte zuletzt mit seiner zweiten Frau

Christine in Berlin-Kreuzberg. Ihr gemeinsamer Sohn wurde 1990 geboren.

In der Jahreswende 1995/1996 wurde bei Jurek Becker Darmkrebs diagnostiziert. Er starb daran am 14. März 1997 in seinem Landhaus in Sieseby, das sich in der Nähe vom Bundesland Schleswig-Holstein befindet.

Auf die Frage, ob er Jude sei, antwortete er: ,,Meine Eltern waren Juden.‘‘

Er selbst bezeichnete sich als Atheist, da er von seinem Vater nie ins Judentum eingeführt wurde, aber auch nicht von allein damit vertraut wurde.17 An die

Zeit des Holocaust und seine restliche Familie konnte er sich nicht mehr erinnern.18

16Die ARD ist eine Abkürzung für die ,,Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen

Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland.‘‘

17Atheismus(von altgr. (Átheos) ,,ohne Gott‘‘, ,, gottlos‘‘) bezeichnet im engeren Sinne die

Überzeugung, dass es keinen Gott bzw. keine Götter gibt.

18 http://www.judentum-projekt.de/geschichte/nsverfolgung/deportation/becker.html[zit.2013-

04-20]

14 3 Erzählsituation

Dieser Roman wurde von einem anonymen Menschen geschildert, der

1921 geboren wurde und der zugleich zur Minderheit gehörte, die das Leben im polnischen Ghetto überlebte.19

Die ganze Geschichte wurde in der Ich-Form erzählt. Der Erzähler beschrieb dieses Ereignis im Jahre 1967, um seine eigene Vergangenheit zu bewältigen. Dieses Ereignis hing mit seinem Freund aus dem Ghetto zusammen, mit der Hauptfigur dieses Romans, Jakob Heym.

Anhand seiner eigenen Erinnerungen, Begebenheiten oder Berichten deren, die ihr Leben im Ghetto erlebten, konnte er dem Leser das ganze

Ereignis schildern sowie vermitteln. Er machte es darum, weil er nicht mit dem

Gefühl leben konnte, dass die Ghettobewohner gegen die Peiniger keinen

Widerspruch machen konnten.

In diesem Roman wurden Personen, Orte sowie verschiedene

Situationen wieder aus der Ich - Perspektive dargestellt, die sich im Laufe der

Zeit veränderten. Am Ende des Romans wurden dem Leser zwei verschiedene

Enden zur Verfügung gestellt.

4 Handlung

Jurek Becker schildert nicht nur einfach die Ereignisse im Ghetto, sondern es schaltet einen Erzähler ein. Dieser Erzähler nimmt einerseits an dem

Geschehen teil, denn auch er ist Gefangener im Ghetto. Andererseits aber kommentier er die Handlung aus einem zeitlichen Abstand heraus, denn der

19Ghetto - Als Ghetto auch Getto wird ein abgesondertes Wohnviertel bezeichnet. Während des

Zweiten Weltkrieges(1939-1945) wurden von den Nationalsozialisten für deportierte Juden

Ghettos im okkupierten Polen und der annektierten Tschechoslowakei eingerichtet. Diese Lager dienten vor deren Transport in die Vernichtungslager als Übergangsstationen.

15 Erzähler überlebt das Vernichtungslager. Er verfügt deshalb über die

Perspektive des Erlebenden und des Überlebenden.

In dem Roman ,,Jakob der Lügner‘‘ wird vom Ich-Erzähler das Leben in einem Ghetto während der letzten Wochen vor seiner Räumung geschildert.

Zunächst aber erklärt der Erzähler seine eigene Lage und erinnert sich an

,,Bäume‘‘, die für ihn persönlich zu einem wichtigen Gegenstand werden - so sind etwa Bäume im Ghetto verboten , seine Frau Chana starb unter einem

Baum usw.20

Die Geschichte beginnt im Ghetto in der Zeit des Krieges. Die

Hauptfigur, Jakob Heym, geht am Abend aus dem Spaziergang zurück ins

Ghetto. Er hat keine Ahnung, wie spät es ist, weil niemand bei sich Uhren tragen darf. Jakob spricht mit dem Posten, der auf einem Holzturm steht darüber, wie viel Uhr ist es, weil im Ghetto die Spaziergänge bis acht Uhr erlaubt sind. Wer nach acht Uhr abends drauβen ist, wird erschossen.

Jakob geht ins Revier, wo er um eine gerechte Bestrafung bitten soll. Er hat keine Ahnung, wohin er gehen soll. Er steht hinter der Tür, die geöffnet ist, und hört das Radio. Das, was er hört, ist überraschend. Die Deutschen haben die

Bolschewiken ein paar Kilometer vor Bezanika abgestoppt.21 Nach einer Weile befindet sich Jakob beim Wachhabendem. Hier beginnt das Gespräch zwischen

Jakob und dem Wachhabendem.

,,Wie spät ist es denn?‘‘

,,Es ist einige Minuten nach halb acht‘‘ , sagt Jakob.

,,Was verschafft mir die Ehre?‘‘

Jakob will etwas antworten, er kann nicht, der Mund ist so trocken, so sieht also der

Wachahbende aus.

,,Nur keine falsche Scham‘‘, sagt der Wachhabende, ,,immer raus mit der Sprache. Wo

brennt’s denn? Redest du nicht mit Deutschen?‘‘

20 http://de.wikipedia.org/wiki/Jakob_der_L%C3%BCgner[zit.2013-03-02]

21 Diese Stadt hat einen fiktiven Namen

16 ,,Der Herr Posten auf dem Turm in der Kurländsichen hat gesagt, ich soll mich bei Ihnen

melden. Er hat gesagt, dass ich nach acht auf der Straβe gewesen bin.‘‘

,,Und sonst hat er nichts gesagt?‘‘

,,Er hat noch gesagt, ich soll um eine gerechte Bestrafung bitten.‘‘

,,Wie heiβt du?‘‘

,,Wohnst du weit von hier?‘‘ fragt der Wachhabende.

,,Keine zehn Minuten.‘‘

,,Geh nach Hause. Na los, hau schon ab‘‘, sagt der Wachhabende.22

Jakob arbeitet auf dem Güterbahnhof mit anderen Juden, wo sie Kisten in die Waggons tragen. Währenddessen sagt Jakob die Wahrheit darüber, was er im Radio gehört hat, seinem Freund Mischa. Mischa will es ihm nicht glauben, aber Jakob sagt ihm, dass er ein Radio hat und dass er ihm diese Information glauben kann. Nachdem kommt zu Jakob sein alter bester Freund Kowalski, der ihn nach den Neuigkeiten fragt. Zuerst tue Jakob, dass er über nichts weiβ.

Jakob sagt Kowalski zuletzt die Wahrheit damit, dass er darüber schweigen soll.

Mischa geht die Familie Frankfurter besuchen. Er ist in ihre Tochter Rosa verliebt. Mischa sagt zu Rosa’s Vater, dass er sie heiraten will. Nachdem sagt er ihnen die Situation, die mit Russen zusammenhängt. Herr Frankfurter fragt ihn danach, von wem er diese Information weiβ. Obwohl Mischa Jakob verspricht, dass er schweigen wird, verrät er ihnen den Namen.

,,Weiβt du, was du da redest?‘‘ sagt Frankfurter. ,,Damit macht man keine Witze.‘‘ ,,Das müssen Sie mir nicht sagen‘‘, sagt Mischa. ,, Ich weiβ es von Heym.‘‘

,, Von Jakob Heym?‘‘

,,Ja.‘‘

,,Und er? Woher weiβ er es?‘‘23

22 Becker, Jurek: Jakob der Lügner: Roman. Berlin: Luchterhand, 1970, S.17-20

23 Ebenda, S.54.

17 Dazu trägt Mischa nur das nach, dass ihm Jakob sagte, dass er ein Radio hat. Herr Frankfurter wundert sich darüber, weil es im Ghetto verboten ist,

Radio zu besitzen. Er selbst besitzt eins im Keller. Deswegen macht er das

Radio kaputt, damit es die Gestapo nicht finden kann.

Mischa spricht mit seinem Freund Fajngold, mit dem er im Zimmer ist. Er möchte ihm alles über seine Freundin Rosa sagen, aber er möchte nichts wissen und hören, weil er schlafen will.

Am nächsten Tag arbeiten wieder alle Juden auf dem Bahnhof mit der

Entladung der Kisten auf den Waggonrand. Bis heute arbeitete Jakob immer im

Paar mit Mischa. Am nächsten Tag arbeitet er mit seinem alten besten Freund

Kowalski. Der fragt ihn wieder, ob es etwas Neues gibt, was mit Russen und dem Krieg zusammenhängt. Jakob ist aufgeregt, deshalb sagt er ihm, dass die

Russen siebzehn Kilometer vor Bezanika sind.

Inzwischen geht Jakob Lila besuchen, weil sie krank ist. Lina ist acht Jahre alt, hat lange schwarze Haare und braune Augen, wie es sich gehört, ein auffallend schönes Kind, sagen die meisten. Lina hat seit zwei Jahren keine

Eltern, sie sind weggefahren.24

Die Juden haben auf dem Bahnhof Mittagszeit. Mischa kommt mit seinem

Freund Schwoch zum Jakob und Kowalski. Sie haben eine ,,tolle‘‘ Idee, die mit dem Radio verbunden ist. Die Idee gefällt Kowalski nicht.

Am Nachmittag kommt die gesunde Lina ihren Onkel Jakob besuchen. Sie führen ein Gespräch, und zwar über die Russen. Jakob tut so, dass er nichts weiβ. Lina sagt ihm, dass diese Neuigkeit alle wissen und alle darüber sprechen. Sie ist überrascht, dass Jakob darüber nichts weiβ. Weil Kinder sehr neugierig sind, ist Lina auch keine Ausnahme. Sie fragt Jakob, ob es schlimmer oder besser wird, als die Russen ins deutsche Ghetto, resp. nach Deutschland

24 Ebenda, S.75-76.

18 einfallen. Jakobs Antworten klingen sehr positiv, weil er Lina nicht erschrecken will.

,, Wir werden keine Sterne mehr tragen müssen. Lina kann sich anziehen, was sie möchte und niemand wird sie auf der Straβe fragen, wo sie ihren Stern gelassen hat.‘‘

,,Das ist alles?‘‘

,,Aber nein. Du wirst satt zu essen kriegen<‘‘

,,Soviel ich will?‘‘

,,Soviel du willst. Stell dir vor, auf dem Tisch stehen alle möglichen Sachen, du nimmst dir,

worauf du gerade Lust hast, und wenn du nicht mehr kannst, dann wird abgeräumt, und

zum nächsten Essen steht alles wieder da.‘‘ 25 In Kürze klopf Kowalski an die Tür, der Jakob wieder aushorcht, ob es etwas Neues gibt. Er hat keine Ahnung, dass im Zimmer mit ihnen auch die kleine Lina ist. Lina geht weg mit diesen Wörtern, die sie Jakob sagt:,,Von dir wissen es alle. Du hast doch geschwindelt!‘‘ 26

Jakob spricht weiter mit Kowalski und erklärt ihm die unangenehme

Situation, die entstand. Es handelt sich um das Radio, das kaputt ist. Es ist für ihn ein Rätsel, weil Radio noch gestern funktionierte. Aus diesem Grund hat

Jakob für ihn keine neuen Informationen, die ihm helfen konnten. Sie müssen jemanden suchen, der fähig wird, das Radio zu reparieren, damit sie

Informationen haben.

Die Juden arbeiten weiter auf dem Bahnhof. Sie bemerken, dass es hinten einen Waggon gibt. Sie polemisieren, ob jemand im Waggon ist oder nicht.

,,Du wirst es nicht glauben, ich habe in dem Waggon Stimmen gehört‘‘, sagt Herschel. ,,Stimmen?‘‘

,,Stimmen‘‘, sagt Herschel. ,,So wahr ich hier stehe, menschliche Stimmen.‘‘27 Herschel geht zum Waggon, woher er Stimmen hört. Jemand aus dem

Waggon fragt ihn, wer er ist. Es sagt ihm die Wahrheit, dass er aus dem Ghetto

25 Ebenda, S. 119.

26 Ebenda, S. 123.

27 Ebenda, S. 135.

19 ist und dass sie ein Radio haben, um Informationen zu wissen. Plötzlich klingt ein Schuss. Herschel ist tot. Alle auf dem Bahnhof waren erschrocken. Es herrschte Totenstille. Nur einer kam zum Verstorbenen. Herschels Bruder

Roman.

Nach der Arbeit trifft sich Jakob mit Kowalski, der für ihn einen

Radiofachmann suchte. Jakob sagt ihm, dass das Radio wieder funktioniert.

Kowalski ist aufgeregt. Er sah vor einem Radiofachmann wie ein Lügner und

Trottel aus.

Zum Jakob kommt wieder die Lina mit der Absicht, das Radio zu sehen.

Jakob ist unnachgiebig und seine Antwort klingt ,,NEIN‘‘. Trotzdem entscheidet er sich, Lina ein Radio einzuschalten, aber nur erdichtet. Er spricht von den Russen und am Ende der ,,Radiosendung‘‘ erzählt er Lina ein

Märchen. Obwohl Lina hinter der Wand sitzt und zuhört, was Jakob sagt, ist sie trotzdem neugierig. Sie ist kein dummes Mädchen, das im Ghetto lebt. Sie ahnt unbewusst, dass auf der anderen Seite des Zimmers Jakob ist. Sie muss sich

überzeugen gehen.

Und was ist seit der Zeit mit Mischa und Rosa passiert? Mischa holt

Rosa, weil er ahnt, dass Juden aus dem Ghetto deportiert werden. Sie gehen in sein Zimmer und verfolgen andere Juden auf der Straβe, die den Ort verlassen.

Unter den Juden, die deportiert sein sollen, sind auch Rosas Eltern. Der letzte

Besuch bei Jakob ist von Kowalski. Jakob kommt mit der Wahrheit heraus. Er sagt Kowalski, dass er kein Radio bei sich habe. Kowalskis Reaktion ist:

,,Was soll ich sagen, Jakob? Ich verstehe dich schon, ich verstehe dich sehr gut. Weiβt du, ich bin so ziemlich das Gegenteil von einem Husaren, du kennst mich lange genug.

Wenn ich hier ein Radio gehabt hätte, von mir hätte wahrscheinlich kein Mensch ein

Wort erfahren. Oder noch wahrscheinlicher, ich hätte es aus Angst einfach verbrannt,

ich mache mir da gar nichts vor. Ein ganzes Ghetto mit Nachrichten zu beliefern! So

20 weit wäre ich nie gegangen, weiβ man, wer mithört? Wenn ich irgendwann im Leben

jemand verstanden habe, dann dich jetzt.‘‘28

Der Roman endet mit der Deportation aller Juden einiger Straβen im

Ghetto bereits in die Vernichtungslager. Auf den letzten Seiten präsentiert

Becker zwei Versionen des Romanschlusses: eine relativ optimistische, bei der zwar Jakob ums Leben kommt, die übrigen Juden aber von den eintreffenden

Russen befreit werden, und eine ,,wirkliche und einfallslose‘‘, in der sie alle ins

KZ transportiert werden.

Die erste Version verzeichnet eine Reihe von aufregenden Bewegungen durch den Raum: Jakobs Radio ist angeblich gestohlen worden, überall sucht man nach dem Dieb, Lina zieht zu Mischa und Rosa, Jakob will aus dem Ghetto flüchten.

Die zweite kennt nur einen solchen Vorgang von gröβerer Bedeutung: eben die erzwungene Abreise aller Juden; sie erstickt sozusagen jede sonstige

Bewegung. Man kann in der ,,optimistischen‘‘ Schlussversion die Erfüllung jener konstruktiven Verheiβungen der Räume sehen, in der katastrophalen die konsequente Ergänzung ihrer bedrohlichen Züge; die Ambivalenz des Raumes faltet sich am Ende gewissermaβen auf zu zweit separaten Geschichten.29

Der Erzähler erfindet ein Ende, weil Jakob ein besseres Ende verdient hätte: Jakob trennt die Judensterne von seiner Kleidung – bei Todesstrafe verboten – und geht mit einer Zange zum Absperrzaun. Die Salve einer

Maschinenpistole beendet sein Leben.

Das nichtswürdige, das historisch wahrscheinliche Ende sieht anders aus. Das ganze Ghetto erhält den Räumungsbefehl: Transport in ein

Vernichtungslager. Lina freut sich, weil sie reisen wird.

28Ebenda, S. 252.

29ARNOLD, Heinz Ludwig: Text+Kritik: Zeitschrift für Literatur. Unveränd.Nachdruck.

München: Verlag Edition Text + Kritik, 1994, S.37

21 Der Erzähler schlieβt im Waggon Freundschaft mit Lina und also auch mit Jakob. Er versucht wie Jakob für Lina die Wirklichkeit zu verzaubern, indem er sich auf ihre Phantasiewelt einläβt. Damit gewinnt er Jakobs

Sympathie, so dass er ihm wenige Tage später eine viel verrücktere Geschichte erzählt (S.281): die Geschichte vom Ghetto, von Jakob und vom Radio – und von den Bäumen, die im Ghetto verboten sind.30

5 Wer waren eigentlich Juden?

Die Juden waren die Nationalität, die ein Träger der monotheistischen

Religion, des Judaismus, war. Zu ihren Vorfahren haben nach der Tradition nicht nur die biblischen Urväter, sondern auch die hebräisch - israelischen

Stämme gehört. Ihre ersten Gruppen sind unter der Moses‘ Führung in das gelobte Land Israel weggegangen.31

In der mittelalterlich-christlichen Gesellschaft waren die Juden der

Verfolgung ausgesetzt. Sie wurden aus England und Frankreich ausgewiesen und in der Folge der Pogrome während der Kreuzzüge sind sie aus

Deutschland ins Mittel- und Osteuropa weggegangen.32 Die Juden haben oft mit dem Antisemitismus gekämpft, der in der Nazi-Genozid, auch Shoa genannt, kulminiert hat.33

6 Figuren

Es fällt auf, dass Becker mit vielen Personen arbeitet. Allerdings ist die

Darstellung der Personen sehr unterschiedlich ausgeprägt. Die Spanne reicht

30Ebenda, S.20.

31http://leccos.com/index.php/clanky/zide[zit. 2013-04-20]

32Ein Pogrom ist die gewaltsame Ausschreitung gegen Menschen, die entweder einer abgrenzbaren gesellschaftlichen Gruppe angehören oder aber von den Tätern einer realen bzw. vermeintlichen gesellschaftlichen Gruppe zugeordnet werden.

33 http://leccos.com/index.php/clanky/zide[zit.2013-04-20]

22 von deutlich charakterisierten Menschen im Ghetto bis zu kaum umrissenen

Personen auβerhalb des Ghettos.

Wenige Menschen im Ghetto sind charakterisiert. Die Hauptrolle in diesem Roman spielt unbedingt die Figur von Jakob Heym, bei dem seit der

,,Radiolüge‘‘ fast alle Fäden zusammenlaufen. Jakob versteckt ein Waisenkind,

Lina. In ihrer Beziehung zeigt sich Jakob Menschlichkeit besonders klar. Er ist klein und schmächtig. Er ist ein ehemaliger Eisladenbesitzer. War zur falschen

Zeit am falschen Ort. Hörte durch Zufall eine Nachricht, die aber sehr ungläubig klingt. So muss er eine Notlüge als Alternative bringen. Jakob Heym lügt und gibt somit den Ghettobewohnern wieder Lebenshoffnung, steigert sich aber auch automatisch in weitere Unannehmlichkeiten.34

In einem engen Verhältnis zu Jakob stehen auch sein junger

Arbeitskollege Mischa, in gewisser Weise dessen Freundin Rosa und Jakobs alter Freund Kowalski.

Der Nächste, der in diesem Roman als wichtiger Protagonist bezeichnet werden kann, heiβt Kowalski. Er ist ein ,,ehemaliger Freund‘‘ Jakobs. Er erscheint wieder in seinem Leben, als er erfährt, dass Jakob ein Radio besitzt.

Als zu ihm seine Freunde aus dem Ghetto mit einer Idee kommen, die mit dem

Radio zusammenhängt, ist er dagegen, weil er Angst hat, dass es jemand erntdeckt und er erschossen wird. Kowalski ist der Einzige den Jakob so extrem nervt. Doch eines Tages rettet Kowalski Jakob, durch eine waghalsige Aktion, das Leben.35 Obwohl die ,,Freundschaft‘‘ zwischen den beiden oberflächlich ist, stehen materielle Interessen im Vordergrund. Seine Eigenschaften sind:

Schwatzhaftigkeit, Unaufrichtigkeit und vor allem Neugierde.

34http://www.schreiben10.com/referate/Deutsch/1/Angaben-zum-Autor----Jurek-Becker- reon.php[zit.2013-04-20]

35http://www.schreiben10.com/referate/Deutsch/1/Angaben-zum-Autor----Jurek-Becker- reon.php[zit.2013-04-20]

23 Die nächste Figur heiβt Lina. Ein acht Jahre altes hübsches Mädchen.

Lina ist ein Waisenkind, dessen Eltern von der Gestapo abgeholt wurden. Um sie kümmert sich Jakob im Ghetto, weil sie hier niemanden hat. Sie lebt auf dem

Dachboden in Jakobs Haus. Sie macht das Leben des Jakob Heym wieder lebensfroh und macht ihm somit das Leben als Betrüger etwas erträglicher.36 Zu ihren Eigenschaften zählen: Intelligenz, Pfiffigkeit, Neugierde, Skeptizismus und Reife. Auβerdem ist sie freundlich.

Man kann nicht Herrn Professor Kirschbaum vergessen, der ein

Herzspezialist ist. Er kümmert sich wie Jakob um Lina. Dies besteht darin, dass er für sie Lebensmittelmarken opfert. Er wirft Jakob vor, dass er ein Radio besitzt und die Neuigkeiten anderen Juden im Ghetto vermittelt. Kirschbaum schluckt während der Autofahrt eine Giftpille und stirbt. Kurze Zeit später stirbt der Kommandant auch. Kirschbaums Schwester wird daraufhin zur

Vergeltung von den Nazis abgeholt.37

Die nächste Figur heiβt Mischa. Mischa ist ein junger Mann, der zusammen mit anderen Juden auf dem Güterbahnhof arbeitet, groβ und stark.

Er ist Jakobs Arbeitskollege. Sie arbeiteten mit der Verladung der Kisten. Als erster weiβ Mischa von Jakob, dass er ein Radio besitzen soll. Auβerdem hat sich Mischa in ein junges Fräulein verliebt. Ihr Name ist Rosa Frankfurter.

Rosa Frankfurter ist ein schönes Fräulein, Freundin und zukünftige Frau von Mischa. Sie arbeitet in einer Fabrik. Zu ihren Eigenschaften zählen:

Schlichtheit, Selbstlosigkeit und Einfühlsamkeit.

Herr und Frau Frankfurter sind die Eltern von Rosa. Zuerst sind sie gegen die Heirat von Mischa und Rosa, doch Mischa erwähnt das mit Jakob und seinem Radio. Herr Frankfurter ist ein Gegner des Radios, da es zu

36http://www.schreiben10.com/referate/Deutsch/1/Angaben-zum-Autor----Jurek-Becker- reon.php[zit.2013-04-20]

37http://www.schreiben10.com/referate/Deutsch/1/Angaben-zum-Autor----Jurek-Becker- reon.php[zit.2013-04-20]

24 gefährlich ist. Denn er besitzt selber ein Radio, welches er dann zerstört. Seine

Frau ist bestürzt, da sie davon nichts gewusst hat.38

Die letzten Figuren dieses Romans sind die Gebrüder Schtamm.

Herschel Schtamm ist der Zwillingsbruder von Roman. Er ist ein orthodoxer

Jude, der seine langen Locken jeden Tag vor den Deutschen mithilfe seiner

Mütze versteckt. Er ist der Meinung, dass das Radio im Ghetto ein Unglück bringen kann. Im Laufe der Geschichte wird er erschossen, weil er versucht, die

Nachricht des fiktiven ,,Radios‘‘ an Deportierte in einem Waggon weiterzugeben.39

Roman Schtamm ist Herschels Bruder, der mit ihm ein gemeinsames

Zimmer im Ghetto bewohnt. Nachdem Herschel ermordert wurde, fühlt sich

Jakob schuldig. Dieser Unfall geschah auf dem Bahnhof vor Augen allen Juden, die gerade arbeiteten.

Auβerdem gibt es noch viele Gefangene im Ghetto. Sie werden in ihrer verzweifelten Situation oft gezeigt, aber nicht genauer beschrieben: Sie hungern, frieren, sterben.

Abgehoben von den anderen ist der Ich-Erzähler, der namenlos bleibt.

Er hat eine Vorliebe für Bäume, da er mit Bäumen sehr viele Erinnerungen verknüpfen kann (z.B. Armbruch, weil er vom Baum gefallen ist, seine Frau wurde unter einem Baum von den Nazis erschossen). Auch er ist ein

Gefangener, aber im Unterschied zu den anderen ist er lebend aus dem Ghetto davongekommen. Er greift immer wieder kommentierend und berichtend in das Geschehen ein. Als einziger Überlebender dieser Geschichte. Will nicht

38http://www.schreiben10.com/referate/Deutsch/1/Angaben-zum-Autor----Jurek-Becker- reon.php[zit.2013-04-20]

39 http://de.wikipedia.org/wiki/Jakob_der_L%C3%BCgner[zit.2013-03-02]

25 bemitleidet werden, wenn er die Geschichte von Jakob und seinen Lügen erzählt.40

Personen auβerhalb des Ghettos gibt es wenige. Sie bleiben gesichtslos, oft namenlos – die Bewacher des Ghettos. Sie sehen Juden gemäβ der Nazi-

Rassenlehre als minderwertige Menschen an – Volksschädlinge, deren Leben nichts wert ist.41

7 Thematik

1933 – 1945: Das Dritte Reich – Zeit des nationalsozialistischen Terrors gegen

Juden. Der Roman handelt vom Leben jüdischer Menschen, die in einem Ghetto gefangen sind. Das Ghetto, ein mit Mauern abgesperrter Stadtteil, wird von den

Nazis streng bewacht.

Im Verlauf des Romans spitzt sich die äuβere Bedrohung immer mehr zu. Der Transport in ein Massenvernichtungslager wird immer wahrscheinlicher. In dieser Situation klammern sich die Menschen an einen

,,Lügner‘‘, Jakob Heym, der sie glauben macht, das Ghetto werde bald durch die Russen befreit. Becker zeigt die Gefühle, die Gedanken, die Handlungen der

Menschen in dieser fast unerträglichen Spannung zwischen Hoffnung auf ein

Weiterleben in Freiheit und der immer gegenwärtigen Angst vor dem gewaltsamen Tod.42

40http://www.schreiben10.com/referate/Deutsch/1/Angaben-zum-Autor----Jurek-Becker- reon.php[zit.2013-04-20]

41ZIERLINGER, Ursula: Jurek Becker ‘‘ Jakob der Lügner‘‘: Jakob der Lügner: Inhalt, Hintergrund,

Interpretation. 2. Auflage München: Mentor Verlag, 1996, S.6.

42 Ebenda, S.4.

26 8 Inhalt in Kürze

Im Roman werden die letzten Lebenswochen von Menschen geschildert, die in einem polnischen Ghetto gefangen sind. Beckers Roman bietet mehrere inhaltliche Schwerpunkte, die sich überlagern, parallel geführt werden.

Getrennt erscheinen sie nie.

8.1 Die Situation der Menschen im Ghetto

Das Leben der Menschen ist ständig bedroht. Die Erfüllung der selbstverständlichsten Bedürfnisse ist unmöglich geworden. Die Lage wird immer hoffnungsloser.

8.2 Mut zu leben im Ghetto

Selbstmord scheint oft der einzige Ausweg. Lebensmut könnten sie nur entwickeln, wenn Hoffnung auf Befreiung besteht. Diesen Mut gibt ihnen ein alter Mann, ,,Jakob der Lügner‘‘. Mit seinen Lügen hilft er seinen

Leidensgefährten im Ghetto, in der verzweifelten Situation durchzuhalten.

Jakob gibt vor, er habe ein Radio – den Juden bei Todesstrafe verboten. So kann er die anderen glauben machen, er habe gehört, das Ghetto stünde unmittelbar vor der Befreiung. Die Selbstmorde hören auf. Wirklich helfen kann Jakob niemandem. Am Ende steht der Transport in ein Massenvernichtungslager.43

9 Ort des Geschehens

Die Geschichte des Romans Jakob der Lügner spielt sich in einem fiktiven Ghetto in Polen ab. Der Name des konkreten Ortes, in den diese

Geschichte situiert ist, wird in diesem Buch nicht erwähnt. Im Buch sowie im

Film wird nur von den Ortsnamen wie z.B. Bezanika, Mielworno, Pry oder

Kostawaka erwähnt, die auch fiktiv sind. Obwohl Autor des Buches, Jurek

43 Ebenda, S.5.

27 Becker, eigene Erinnerungen ans Ghetto in Lodz hatte, wo er zusammen mit seinen Eltern deportiert wurde, stimmen konkrete Hinweise im Buch wie

Ortsbeschreibungen nicht mit denen in Lodz überein.

Zahlreiche wichtige Handlungslinien konzentrierten sich auf einzelne

Räume: von Mischas Zimmer, in dem allein er den sexuellen Teil seiner

Liebesfreuden mit Rosa genieβen konnte, über den Keller in Jakobs Haus, in dem das Radio versteckt war, bis zum Dachboden desselben Gebäudes, auf dem Lina verborgen wurde, ein achtjähriges Mädchen, das bei der Entführung ihrer Eltern übersehen wurde.

Der Roman spielte sich in vielen kleineren Räumen. Es handelte sich z.B. um den Dachboden, auf dem die kleine Lina Zuflucht fand. Es gab auch andere

Räume, bei denen an nichts als an Leiden und Tod zu denken war. Ein konkretes Beispiel bot jener Waggon, der aussah wie die Güterwagen, die die

Zwangsarbeiter beluden und aus denen menschliche Stimmen gehört wurden.44

10 Hauptmotive

10.1 Stadt ohne Bäume

Der Erzähler führt den Leser in die Situation im Ghetto ein. Dazu schildert er keine grausamen Szenen, sondern beklagt, dass es im Ghetto keine Bäume gibt. Bäume – Symbol für Leben, Kraft und Stolz! Das alles ist den Juden genommen! Der Leser wird auch mit dem persönlichen Schicksal des Erzählers bekannt gemacht.

Die Einführung mündet in eine erste Erwähnung des ,,Helden‘‘ des

Romans – Jakob. Er hat äuβerlich nichts von einem Baum, der Erzähler betont es ausdrücklich! Was Jakob mit einem Baum zu tun hat wird hier nicht

44ARNOLD, Heinz Ludwig: Text+Kritik: Zeitschrift für Literatur. Unveränd.Nachdruck.

München: Verlag Edition Text + Kritik, 1994, S.31-33.

28 verraten, nur soviel, dass ohne ihn diese gottverdammte Geschichte (S. 9) wahrscheinlich nicht passiert wäre.45

In einer umfangreichen Anthologie über ,,Bäume‘‘ ist anstelle eines

Vorworts der Anfang des Romans ,,Jakob der Lügner‘‘ zu lesen. Der Beginn dieses bekannten Ghetto-Romans liefert also den Einstieg in eine Übersicht zur langen und vielfältigen Kulturgeschichte der Bäume.

Jurek Becker lässt seinen Erzähler im ersten Satz des Romans die Frage stellen: Ich höre schon alle sagen, ein Baum, was ist das schon, ein Stamm, Blätter,

Wurzeln, Käferchen in der Rinde und eine manierlich ausgebildete Krone, wenn’s hochkommen, na und? ( S. 7)

Diese Frage ist eine Untertreibung. Alle werden bestimmt nicht fragen: ein

Baum, was ist der schon? Es gibt nämlich kaum etwas, was dem Baum in der

Kulturgeschichte an Popularität gleichkäme. Bäume sind ,,Superzeichen‘‘: sie werden als Symbole mit vielschichtiger Bedeutung auf breiter Basis verwendet.

Nicht erst seit Greenpeace verbindet man mit dem Begriff ,,Baum‘‘ Leben,

Erkenntnis, Hoffnung. In der europäischen Geschichte ist vor allem das Alte

Testament Lieferant der Baumsymbolik:

Baum der Erkenntnis (1. Moses, 2/17)

Baum des Lebens (1. Moses, 3/22)

Baum als Hoffnungsträger ( Hiob, 14/7)

Der Erzähler bringt damit eine andere Symbolebene ins Spiel. Die

Menschen haben den Baum immer schon benutzt, um sich oder andere daran aufzuhängen – ein natürlicher Galgen – der Galgenbaum. Bäume spielten im

Leben des Erzählers eine entscheidende Rolle – bei der Zukunftsplanung, in seinen Liebesbeziehungen. Die beiden ersten Erlebnisse–Sturz vom Apfelbaum, weiteres Leben insofern, als etwas nicht glatt verlief. Er musste neu planen,

45 Ebenda, S. 11.

29 nachdenken. Das dritte Erlebnis verstört ihn – seine Frau wurde unter einem

Baum erschossen. Zumindest über diesen persönlichen Bezug wird klar, warum der Ich-Erzähler von einem Baum ,,besessen‘‘ ist. Der Baum wird für ihn durch dieses Erlebnis zum Symbol für Tod, Vernichtung – das Gegenteil von Leben,

Hoffnung.

Auβerdem lebt der Erzähler jetzt in einem Ghetto, einem Todeslager. In diesem Ghetto sind Bäume nämlich verboten. (S. 8) Fast unverständlich für den

Leser geht er soweit zu behaupten, dass er für alle unmenschlichen

Maβnahmen gegen Juden im Ghetto Verständnis habe, aber warum verbieten sie uns die Bäume? (S. 9)

Das Verbot von Bäumen im Ghetto ist deshalb das Schlimmste, weil damit seine Bedeutung ,,Hoffnung‘‘, ,,Leben‘‘ für die Menschen verblaβt oder ganz verschwunden ist. Obwohl sie noch leben, ihre Körper noch da sind, sind sie innerlich tot. Die Mörder haben ihren Tod schon beschlossen.46

11 Literarische Gattung

11.1 Romane gehören zur erzählenden Literatur

Romane sind in aller Regel in Prosa geschrieben. Diese Sprache ist ,,frei, ungebunden‘‘ in dem Sinne, dass sie nicht durch Gesetzmäβigkeiten bestimmt wird, wie z.B. Versmaβ oder Rhythmus. Die Spanne kann sehr weit sein: von der gewöhnlichen Umgangssprache bis zu einer sehr differenzierten Sprache in

Grammatik, Wortwahl, Satzbau.

Von der Novelle und Erzählung unterscheidet sich der Roman durch

Ausführlichkeit, aber oft auch durch inhaltliche und formale Vielsichtigkeit.

46 Ebenda, S.54-57.

30 11.2 Der Roman ist sehr vielseitig

Erfindung und Realität, persönliches Empfinden und wissenschaftliche

Auseinandersetzung – alles kann im Roman literarisch verarbeitet werden.

Die Erzählformen haben sich vor allem in unserem Jahrhundert verändert.

Man unterscheidet heute ehere ,,traditionelles‘‘ von eher ,,modernem‘‘

Erzählen.

Schriftsteller lieβen und lassen sich aber meist nicht festlegen auf eine bestimmte Form des Erzählens. Versucht man nun zu beschreiben, in welcher

Form ein Autor erzählt, so soll die Unterscheidung in ,,traditionelles‘‘ oder

,,modernes‘‘ Erzählen nicht schematisch angewendet werden. Vielmehr kann sie helfen, den individuellen Stil eines Schriftstellers klarer zu bestimmen.47

11.3 >> Jakob der Lügner <<

Mit Hilfe der Punkte ist leicht feststellbar, dass Becker aus beiden

Angeboten souverän auswählt, sie oft vermischt.

 Es gibt einen ,,Helden‘‘, aber daneben sehr deutlich profilierte Personen

 Die Handlungs- und Zeitebenen sind ineinander verschaltet, trotzdem

bleibt der Romanverlauf übersichtlich

 Becker verwendet die auktoriale Perspektive, wechselt aber häufig zur

personalen Perspektive

 Die Handlung ist realitätsorientiert, aber bestimmt durch Vorstellungen

– Probleme, Wünsche, Erfahrungen – der Personen

 Der Roman ist in der Umgangssprache, also auf einer Sprachebene

geschrieben, dennoch ist der Sprachgebrauch sehr komplex

47 Ebenda, S.32-33.

31 Dieser Roman ist mit den Merkmalen des Faschismus verarbeitet. In diesem Roman ist auch der antifaschistische Widerstand erwähnt, bestimmt nicht im Sinne der Partei, denn im Roman wird eher beschrieben, warum es nicht zu offenem Widerstand gekommen ist.

Auβerdem geht es in diesem Roman um das Abbild der Wirklichkeit, obwohl es sich erstens nicht um die gewünschte Wirklichkeit handelt. Zweitens ist es keine eindeutige Wirklichkeit.48

12 Wort- und Sacherklärungen

Beckers Sprache bietet keine Verständnisschwierigkeiten. Die verwendeten Fremdwörter sind gebräuchlich. Die Worterklärungen beziehen sich deshalb nur auf Wörter, die aus der hebräisch-jüdischen Tradition stammen. Einige Wörter, die im Buch Jakob der Lügner erwähnt wurden, könnte der Leser möglicherweise nicht verstehen.49

48 Ebenda, S.37.

49 Ebenda, S.39.

32 12.1 Jiddische Begriffe und ihre Bedeutung

Schechtl (S.11) bedeutet ein jüdisches Dorf, das im übertragenen Sinn für die besondere Form des Sozialzusammenhalts in den jüdischen Stadtvierteln steht. koscher (S.27) bedeutet rein, im Sinne der jüdischen Speisegesetze.

Tscholent (S.29) ist eine Sabbatspeise, die meist aus Kartoffeln vorbereitet ist.

Chassene (S.52) bedeutet im jiddisch die Hochzeit.

Schamess (S.68) ist Bezeichnung für den Diener, der in Synagoge und Gemeinde tätig ist.

Schabess (S.70) ist ein christlicher Diener, der am Sabbat in jüdischen Haushalten arbeitet. Die Juden durften am Sabbat nicht das Geringste arbeiten.

Zoress (S.93) bedeutet Leiden, Qual oder Plage.

Tinnef (S. 115) bedeutet entweder wertlose Ware oder dummes Zeug.

Chale (S.119) ist ein Sabbatweiβbrot oder ein Gebot, ein Stuck Teig zu opfern.

Jontefarbeit (S.126) ist eine Feiertagsarbeit ( Jontef bedeutet einen Feiertag).

Sodom und Gomorrha (S.147) sind Städte des Verbrechens, des lockeren

Lebenswandels im Alten Testament.

Mazzot (S.173) ist ein ungesäuertes Brot zum Passahfest.

Nebbich (S.215) bedeutet im jiddisch schade.50

50 Ebenda, S.39.

33 13 Erzähler

Ein Schriftsteller denkt natürlich über die möglichen Reaktionen in besonderer Weise nach. Ein Thema interessiert ihn; er hat bestimmte Ideen im

Kopf; er verfolgt eine Absicht. Er kann nicht ,,einfach so‘‘ erzählen. Er muss darüber nachdenken, was er wie erzählt, damit das, was er erreichen möchte mit seiner Erzählung, beim Leser ankommt. Er muss seine Vorstellungen für seinen Zweck erzählbar machen.

Becker hat gewiss darüber nachgedacht. Er setzt im Roman einen Ich-

Erzähler ein und lässt ihn sagen: Wenn ich mir nicht von Anfang am etwas anderes vorgenommen hätte, würde ich Kirschbaums Geschichte erzählen (S.80).

Obwohl Becker also einen Ich-Erzähler einsetzt, lässt er ihn relativ selten aus der Ich-Perspektive erzählen. Meist benutzt er ihn als Chronisten. Man hat dem Erzähler berichtet. Er ist ein bisschen ,,allwissend‘‘, aber sicher nur, was das Ergebnis betrifft.

Als Ich-Erzähler schaltet er sich am deutlichsten ein, wenn er sich einmischt mit Kommentaren, mit Zweifeln am Geschehen.

Der Erzähler sagte von Jakob: Wenn ich damals geahnt hätte, was du alles kannst, ich wäre zu dir gekommen und hätte dich gebeten, mir einen Baum zu zeigen

(S.162). Bäume gibt es im Ghetto nicht. Der Erzähler weiβ also, dass Jakob ihm gar keinen Baum zeigen kann. Jakob kann als Dinge zeigen, die es nicht gibt.

Mit seinen Worten-Lügen-macht er den Leuten Hoffnung. Deshalb sagte der

Erzähler, dass Jakob ihm schon einen Baum hätte zeigen können, so wie er Lina das Radio zeigte. Das hätte für den Erzähler Hoffnung bedeuten. Wo Bäume sind, ist Leben möglich. Das Symbol ,,Baum‘‘ ist in diesem Roman positiv besetzt, nämlich als Hoffnungsträger.

Die Bäume sind drauβen, wo andere Menschen normal leben können.

Der Erzähler hatte die Bäume schon fast vergessen, d.h. ihm war ihre positive

Bedeutung nicht mehr gegenwärtig: Bäume als Symbol für Leben.

34 Aus dem Todeszug heraus sah der Erzähler wieder Bäume. Trotz der ausweglosen Situation kam die Erinnerung wieder: Die Alternative zum Tod ist

Leben. 51

Jurek Becker hat sich auch theoretisch mit der Frage auseinandergesetzt, wie und warum er erzählt. Gut zugänglich sind seine Gedanken in

Vorlesungen, die er als Gastdozent an der Universität Frankfurt hielt.

14 Geschichtlicher Hintergrund

Die Handlung des Romans lässt sich besser verstehen, wenn zuvor einiges klar ist. Wie konnte es überhaupt dazu kommen, dass so viele

Menschen zuerst eingesperrt und dann ermordet wurden?

Die Nazis griffen mit der Einrichtung von Ghettos für Juden auf eine alte Praxis zurück. Die mehrheitlich christliche Bevölkerung in Europa feindete die Juden schon immer an - wegen ihres anderen Glaubens, ihrer Sitten und

Gebräuche. Sieht man die Probleme, die Ausländer bei uns haben, weil sie eben anders leben, kann man dies leicht nachvollziehen.

Im 11.Jahrhundert wuchs die Feindschaft, da im Zusammenhang mit den

Kreuzzügen fanatische Glaubensparolen populär wurden (z.B.Juden=

Christusmörder). Staatliche Verordnungen unterstützten diese Abgrenzung-

Berufsverbote, Kleiderordnung, keine Bürgerrechte für Juden!

Andererseits suchte der Staat die Juden auch vor Übergriffen zu schützen, da sie nützlich waren. Sie sicherten einmal den Handel, da sie durch ihren festen Familien- und Glaubensverband überall Verbindungen hatten und

Hilfe fanden. Zum anderen war den Juden das Geldgeschäft erlaubt, Christen aber nicht. Die Juden gaben also Kredite und nahmen Zinsen.

Im ausgehenden Mittelalter wurden die Handelswege sicherer - vor allem wegen des bargeldlosen Verkehrs. Christliche Kaufleute wurden reich,

51 Ebenda, S.56-57.

35 und sie sahen in den Juden unerwünschte wirtschaftliche Konkurrenz. Die

Juden wurden immer mehr schikaniert, in eigene Wohngebiete abgedrängt, die oft auch noch mit einer Mauer eingeschlossen wurden - Ghettos.

Im 18. und 19. Jahrhundert bekamen die Juden die Bürgerrechte, da die

Forderungen der Aufklärung nach Freiheit und Gleichheit politisch durchsetzbar wurden. Die Ghettos wurden aufgelöst, aber die Vorurteile gegen die Juden blieben bestehen.

Im 19. Jahrhundert entstand auch die ,,Rassenlehre‘‘, in der Menschen in

Rassen eingeteilt und als minder- oder höherwertig eingestuft wurden.

In der NS-Ideologie spielt der Rassismus eine groβe Rolle. Vor allem jüdische Menschen werden als minderwertig angesehen, ,,Volksschädlinge‘‘, die sich nicht mit den Deutschen vermischen dürfen.52

Während des Verlaufs der NS-Herrschaft wurde diese Idee immer radikaler interpretiert. Ab 1940 errichteten die Nazis im besetzten Polen wieder

Ghettos für Juden. Am 20.1.1942 fand die berüchtigte Wannsee-Konferenz statt, in der die ,,Endlösung‘‘ beschlossen wurde - die physische Vernichtung der jüdischen Bevölkerung.53

Da die Massentötung im deutschen Reichsgebiet nicht ohne Aufsehen durchzuführen gewesen wäre, bauten die Nazis in Polen einige

Konzentrationslager zu Todes- oder Vernichtungslagern aus, wie z.B.

52Die NS-Ideologie (NS=Nationalsozialismus) ist eine radikal antisemitische, rassistische, antikommunistische und antidemokratische Weltanschauung.

53Auf der Wannseekonferenz kamen am 20.1.1942 in einer Villa in Berlin 15 hochrangige

Vertreter der nationalsozialistischen Reichsregierung und SS-Behörden zusammen, um unter

Vorsitz von SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich der begonnenen Holocaust an den

Juden im Detail zu organisieren und die Zusammenarbeit der beteiligten Instanzen zu koordinieren.

36 Auschwitz, Treblinka oder Majdanek. In diesen Lagern wurden die meisten

Deportierten vergast und anschlieβend verbrannt.54

15 Beckers Sprachstil in seinen Werken

Beckers sprachliche Präzision zeigt sich nicht nur in den Dialogen seiner

Romane, sondern auch in Interviews und in den literarischen Essays. Seine

Sprache, die er in diesen literarischen Gebilden benutzt, wirkt auf den Leser sinnvoll, klar und schlicht. Jurek Becker bemühte sich darum, dass sein Werk eine fassbare Sprache hat. Das bedeutet, dass die Texte so formuliert sind, damit man sie leicht verstehen kann. Seine Formulierungen sind voll von

Emotionen. Drei wichtigste Begriffe, die man bei der Formulierung in der

Literatur benutzen soll, sind: Tiefsinnigkeit, Sprachgenauigkeit und

Ernsthaftigkeit. Auβerdem taucht die Fiktion als Mittel seiner Romane auf.

Die Tiefsinnigkeit bedeutet hier das grübelnde Denken. Das bedeutet, dass der Autor über etwas nachdenkt. Der zweite Begriff Sprachgenauigkeit bedeutet in der Literatur Übereinstimmung bzw. Richtigkeit. Unter dem Begriff

Ernsthaftigkeit kann man eine heikle Situation z.B. im Roman verstehen.

16 Informationen über Ghettos

Da sich diese Arbeit mit dem Thema Juden und Ghetto befasst, wäre es gut, die Ghettos zu erwähnen, damit man weiβ, unter welchen Bedingungen die Menschen hier leben mussten.

16.1 Die Unterkunft

Zuerst möchte ich über die Unterkunft im Ghetto schreiben. Die

Gefangenen bewohnten nicht nur Kasernen, sondern auch die Stadthäuser,

Dachboden, Keller und Höfe. Männer, Frauen und Kinder wohnten im Lager.

54 Ebenda, S.8-9.

37 In diesem Lager lebten sie in den groβen Unterkünften abgetrennt. Hier haben sie nur das notwendigste, was sie brauchten. Das bedeutet, dass sie nur Betten, ein Tisch, Borde und ein Kleiderhaken für persönliche Sachen hatten.

Die gemeinsamen Räume waren überfüllt. In diesen Räumen lebten zwischen 100-400 Menschen. Für die anderen Menschen blieben die Räume im

Dachboden. Diese Räume waren nicht geheizt und es gab dort kein Wasser. Die

Gefangenen hatten häufige Probleme mit Insekten, mit Lausen und auch mit

Bettwanzen.55

16.2 Das Lagerregime

Den Gefangenen wurden nach der Ankunft im Ghetto die verbotenen

Sachen abgenommen, weil niemand von den Menschen etwas Persönliches im

Ghetto besitzen konnte. Gleich am Anfang wurde den Gefangenen verboten, dass sich Frauen mit Männern zu treffen, keine Schritte auf dem Gehweg, keine

Wertstücke, Musikinstrumente und Fotoapparate zu besitzen. Jeder von den

Gefangenen hatte die Pflicht, jeden, der Uniform trug, respektvoll zu begrüβen.

Sie konnten keine Zigaretten, Feuerzeuge und ,,ziviles‘‘ Geld besitzen. In einigen Zeiten wurde verboten, Unterkunft zu verlassen, zu leuchten, eine kulturelle Vorstellung zu veranstalten oder Korrespondenz abzuschicken und anzunehmen.56

55 CHLÁDKOVÁ, Ludmila: Terezínské ghetto. 1. vyd{ní, Praha, 2005, S. 13-14. tsch.:,,Vězni obývali jak velké kas{renské budovy, tak ostatní domy ve městě, včetně půd, sklepů a dvorů. Muži, ženy i děti žili v t{boře odděleně ve velkých ubikacích, kde měli jen to nejnutnější vybavení – třípatrové postele, stůl, poličky a věš{ky na osobní věci. Společné místnosti byly nesmírně přeplněné. V s{lech kas{ren, kde byla umístěna přev{žně č{st vězňů, se tísnilo pohromadě 100 až 400 osob, pro nově příchozí často zbývaly jen půdy, kde se nedalo topit, nebyla tam voda ani nejnutnější hygienické zařízení. Vězně sužoval obtížný hmyz, vši,

štěnice, proti kterým se vedl neust{lý boj.´´ * übersetzt ins Deutsche von L.Večeřov{+

56 Ebenda, S.15-16.

38 16.3 Die Verpflegung

Im Ghetto war der Mangel ans Essen. Das eintönige und schlechte Essen verursachte, dass die Gefangenen um das Drittel ihres Gewichts kamen, waren müde und sie wurden schneller krank. Am meisten litten durch Hunger die

älteren Gefangenen, weil sie die kleinste Aufnahme des Essens bekamen.57

16.4 Arbeit im Ghetto

Für die Menschen im Ghetto war die Arbeit pflichtig. Die Arbeit hatte bestimmte Vorteile wie z.B. mehr Essen zu bekommen, in einigen Fällen auch einen Schutz vor dem Transport zu bekommen. Die Gefangenen arbeiteten vor allem in den Werkstätten für die Holzbearbeitung, in Reparaturwerkstätten der militärischen Uniformen oder in den sogenannten Kistenherstellungen. In diesen Kistenherstellungen ging es darum, dass sie in die Holzkisten spezielle

Geräte für militärische Kraftfahrzeuge verpackten. Die Mehrheit der

Gefangenen arbeitete im Bereich der Selbstverwaltung oder in dem

Gesundheitswesen. Einige von ihnen kümmertn sich um die jungen oder die

tsch.: ,,Již při příjezdu do ghetta se museli všichni podrobit kontrole, při níž eses{ci a jimi prověřené osoby hledali zak{zané věci. Ty jim byly odebr{ny. Hned na poč{tku byl vyd{n z{kaz styku mužů a žen, z{kaz chůze po chodnících, vlastnit cenné předměty, hudební n{stroje

či fotoapar{ty. Bylo nařízeno uctivě pozdravit každého nositele uniformy. Po celou dobu také platil z{kaz vlastnit cigarety, zapalovače a ,,civilní´´ peníze. V některých obdobích se nesmělo vych{zet mimo ubikace, svítit, poř{dat kulturní představení nebo odesílta či přijímat korespondenci.’‘ *übersetzt ins Deutsche von L.Večeřov{+

57 Ebenda, S.18. tsch.: ,, Jídla byl vždy nedostatek. Jednotv{rn{ a nehodnotn{ strava bez potřebných vitamínů způsobovala, že vězni ztr{celi až třetinu své v{hy, byli unavení a sn{ze podléhali nejrůznějším nemocem. Nejvíce trpěli hladem staří nepracující vězňové, jejichž d{vky jídla byly nejmenší.’’

*übersetzt ins Deutsche von Lenka Večeřov{+

39 alten Menschen. Zu den begehrtesten gehörte die Arbeit in der Küche und in der Bäckerei. Ein paar Gruppen arbeiteten in den Wäldern und in den Gruben.58

17 Verfilmungen

Dank dem Drehbuchautor Frank Beyer, der sich an sein Studium an der

Prager Filmhochschule und an einen tschechischen Schauspieler und Darsteller von kleinen Alltagshelden erinnerte, spielte die Hauptrolle in diesem Film

Vlastimil Brodský. Unter anderem erhielt Vlastimil Brodský auf der Berlinale

1975 den Silbernen Bären als bester Darsteller und gemeinsam im Kollektiv den

Nationalpreis II. Klasse.59 Jakob der Lügner wurde als einziger DEFA-Film für einen Oscar nominiert und das Filmteam besuchte Hollywood.60

Eine amerikanische Neuverfilmung erfolgte 1999 mit als

Jakob und Armin Mueller–Stahl. Letzterer wirkte bereits bei der ersten

Verfilmung als Roman Schtamm mit. In der Hollywood–Verfilmung werden die Nazis als von Natur als böse dargestellt, wie es im Buch nicht der Fall ist.

Ferner wurde das Ende verändert. In der Neuverfilmung stirbt Jakob Heym als

Märtyrer, indem er durch die Nazis erschossen wird. Er widerruft seine

Nachricht von den Russen nicht.61

Jakob der Lügner ist nicht nur ein auβergewöhnlicher Film, sondern auch der Versuch, den jüdischen Opfern ein Gesicht zu verleihen. Der Mensch als Individuum steht im Zentrum des Films. Nicht der Glaube an eine

58 Ebenda,S.19-20.

59 Der Silberne Bär ist ein Filmpreis, der seit 1956 neben dem Hauptpreis (Goldener Bär) von der

Internationalen Jury der Berlinale vergeben wird.

60http://www.welt.de/print-welt/article385289/Jakob-der-Luegner-Vlastimil-Brodsky- tot.html[zit.2013-19-03]

61 http://de.wikipedia.org/wiki/Jakob_der_L%C3%BCgner[zit.2013-05-03]

40 kommunistische Zukunft, sondern die Kraft der Fantasie lassen Jakob und die anderen Ghettobewohner ihr Leben ertragen.62

18 Preise

Da Jurek Becker ein erfolgreicher und bekannter Schriftsteller war, wurde er mit mehreren Preisen für sein Werk bewertet. Er erhielte folgende

Preise: Heinrich-Mann-Preis (1971); Charles-Veillon-Preis (1971); Literaturpreis der Freien Hansestadt Bremen (1974); Nationalpreis der DDR (1975);

Stadtschreiber von Bergen-Enkheim (1982); Adolf-Grimme-Preis in Gold (1987);

Adolf-Grimme-Preis in Silber (1988); Bayerischer Fernsehpreis (1990); Hans-

Fallada-Preis (1990) und Bundesfilmpreis-Filmband in Gold (1991).63

62http://www.moviepilot.de/news/ich-bro-d-a-und-jakob-der-luegner-119269/seite-2

[zit.2013-19-03]

63ARNOLD, Heinz Ludwig: Text+Kritik: Zeitschrift für Literatur. Unveränd.Nachdruck.

München: Verlag Edition Text + Kritik, 1994, S.98.

41 19 Zusammenfassung

Einerseits wird in diesem Roman nicht nur die Situation mit dem

,,fiktiven‘‘ Radio im Ghetto gezeigt, sondern auch die zwischenmenschlichen

Beziehungen, die zwar am Anfang gut sind, aber dann verändern sich dank

Jakob, der anderen seinen Freunden ins Auge über Russen lügt. Damit findet er in allen Freunden aus dem Ghetto nicht nur ein Glauben, sondern auch die

Erwartung. Alles scheint real zu sein, aber die Wirklichkeit wird unerwartet anders.

Andererseits ist hier die Freundschaft zwischen der Hauptfigur Jakob und seinem besten Freund Kowalski gezeigt. Dies ist auf der konkreten

Situation gezeigt. Alles ändert sich im Moment, als Jakob die Wahrheit über das

,,fiktive‘‘ Radio seinem Freund Kowalski sagt. Kowalski versteht ihn und unterstützt ihn in dieser Situation. Man kann sagen, dass die Freundschaft im

Ghetto groβe Rolle spielen konnte. Jeder war an diesem Ort allein und ohne

Familie. Es war eine Kostbarkeit, jemanden in diesem Ort zu finden. Wenn man

Schwierigkeiten hatte, konnte er alles dem anderen sagen. Damit verursacht er unter anderen das Gefühl der Unruhe. Alle hofften vergeblich auf bestes Ende.

In diesem Roman treten viele Figuren auf, vor allem Juden, die einen anderen Charakter darstellen. Der Roman ist in ein Ghetto und in einen

Güterbahnhof situiert, wo die Juden täglich arbeiten. Der Roman endet mit der

Deportation aller Juden einiger Straβen im Ghetto bereits in Vernichtungslager.

42 20 Fazit

Diese Bakkalaureatsarbeit konzentriert sich auf das Werk von Jurek

Becker, und zwar auf den Roman Jakob der Lügner. Ein Roman, der zu seinen bekanntesten Werken gehört, spielt sich in der Zeit des Zweiten Weltkriegs ab und ist in das Milieu eines jüdischen Ghettos situiert. Mein Hauptanliegen war für mich persönlich, Jurek Beckers Erinnerungen an seine Kindheit, die er zusammen mit seiner Mutter im Konzentrationslager verbracht und in seine

Werke projiziert hat, zu beschreiben. Während seine Werke aus den Zeiten des

Sozialismus nicht so groβe künstlerische Qualität ausweisen, sind jedoch die

Bücher mit der antifaschistischen Thematik bis heute aktuell. Viele von den verschiedenen Autoren beschäftigten sich mit ähnlicher Thematik wie Becker, aber sein Werk Jakob der Lügner trat ins Bewusstsein der Öffentlichkeit, weil dieses Werk mit dem Thema Juden, Ghetto und Konzentrationslager zusammenhängt und verbunden ist.

Mein Vorhaben vom Anfang war, ein literarisches Thema zu beschreiben. Ich muss sagen, dass es meinen Zweck positiv erfüllte, weil ich

Literatur mag. Diese Thematik, die mit den Juden, Ghettos und

Konzentrationslagern zusammenhängt, interessierte mich vom Anfang, weil ich etwas Neues erfahren wollte.

In erster Linie mochte ich diesen erfolgreichen und bekanntesten

Schriftsteller Jurek Becker als eine Persönlichkeit vorstellen, wobei auch die

Aufzählung von seinen anderen Werken erwähnt sein musste.

Danach beschäftigte ich mich mit dem Roman Jakob der Lügner, wo ich nicht nur die Handlung im Ghetto, sondern auch die literarische Gattung, den

Sprachstil, Symbole, Figuren, Ort des Geschehens und den Erzähler erwähnte.

Auβerdem beschäftigte ich mich näher mit der Thematik Juden und Ghetto, weil es mit diesem Thema zusammenhängt und es ist wichtig zu wissen, unter welchen Bedingungen die Juden überlebten.

43 Am Ende der Bakkalaureaarbeit erwähnte ich auch den Namen Frank

Beyer, der das Drehbuch zu diesem bekanntesten Roman schrieb. Wichtig war zu erwähnen, welche Preise Jurek Becker für diesen Roman bekam.

Der Roman Jakob der Lügner zeigt uns das schwere Leben der Juden im

Ghetto. Ihre tägliche Arbeit auf dem Güterbahnhof, verschiedene Eigenschaften der Menschen, die Freundschaft, die Kompromisslosigkeit der Deutschen,

Jakobs schlechtes Gewissen, die Hoffnung, die Liebe und vor allem Jakobs Mut.

Dieser Roman bot dem Leser eine spannend-tragische Geschichte an.

Man war beim Lesen Teil des Geschehens, weil man sich in die Figuren einfühlen konnte. Man kann sagen, dass man die Schwierigkeiten mit diesen

Helden die ganze Zeit erlebte.

Für Jurek Becker war typisch, in seine Werke eigene Erlebnisse aus dem jüdischen Ghetto und aus dem Konzentrationslager zu projizieren. Seine

Trilogie der Romane Der Boxer, Jakob der Lügner und Bronsteins Kinder sind ein klares Beispiel des Abbilds von seiner Kindheit. In seinen tragisch-ironischen

Romanen thematisierte Jurek Becker die Nachwirkungen der Judenverfolgung und Lebensprobleme in der DDR.

Als ich den Film gesehen habe, habe ich zusammen mit den Menschen gelitten, weil es auf mich zu unmenschlich gewirkt hat.

Ich persönlich möchte diese Zeit nicht erleben, weil man in der

Unsicherheit und im Angst leben musste.

44 21 Literaturverzeichnis

21.1 Primärliteratur

BECKER, Jurek: Jakob der Lügner: Roman. 1. Aufl. Frankfurt am Main:

Suhrkamp Verlag, 1982. 282 S. ISBN 3-518-37274-2.

21.2 Sekundärliteratur

ARNOLD, Heinz Ludwig: Text+Kritik: Zeitschrift für Literatur.

Unveränd.Nachdruck. München: Verlag Edition Text+Kritik, 1994, 99 S.

ISBN 3-88377-416-2.

BECKER, Jurek: Der Boxer:Roman. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp,

1990. 303 S. Bibliothek Suhrkamp; Bd. 1045. ISBN 3-518-22045-4.

BECKER, Jurek: Jakob der Lügner:Roman. Berlin: Luchterhand, 1970, 269 S.

CHLÁDKOVÁ, Ludmila: Terezínské Ghetto. 1. vyd{ní, Praha, 2005. 54 S.

ISBN 80-86758-18-4.

ZIERLINGER, Ursula: Jurek Becker ‘‘Jakob der Lügner‘‘: Jakob der Lügner:

Inhalt, Hintergrund, Interpretation. 2. Auflage München: Mentor Verlag,

1996, 64 S. ISBN 3-580-63307-4.

45 21.3 Internetquellen:

BOCK, Hans-Michael: CineGraph-Lexikon zum deutschsprachigen Film.

München: edition text+kritik. ISBN 978-3-86916-222-5. [zit. 2013-04-20].

Zugänglich auf: http://www.cinegraph.de/lexikon/Becker_Jurek/biografie.html

KRUG, Manfred: Jurek Beckers Neuigkeiten. An Manfred Krug und Otti.

Econ-Verlag, 1997. ISBN 3-430-11213-3. [zit. 2013-02-06+. Zugänglich auf:

http://www.amazon.de/Jurek-Beckers-Neuigkeiten-Manfred-

Krug/dp/3548365981

SANDER, Gilman: Jurek Becker. Die Biografie. In: Die Welt: Biografie

[online].2003 [zit. 2013-02-06+. Zugänglich auf: http://www.welt.de/print-

welt/article247345/Jurek-Becker-der-die-Wahrheit-sagte.html

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