JOE COLEMAN IST EINER DER WILDESTEN HUNDE ÜBERHAUPT: SEINE LAUFBAHN BEGANN ER MIT ÜBERRASCHUNGS-PERFORMANCES, BEI DENEN ER SICH SELBST IN DIE LUFT JAGTE. ER ERLEBTE DIE HEYDAYS DES PUNK IN NEW YORK, DISTANZIERTE SICH ABER SCHON DAVON, BEVOR DIE SUBKULTUR MASSENTAUGLICH WURDE. MITTLERWEILE FOKUSSIERT ER SEINE ENERGIE AUF DIE LEINWAND UND VERSUCHT MITTELS EINHAAR-PINSEL UND JUWELIERBRILLE, SEINE ÄNGSTE IN ZAUM ZU HALTEN.

Joe Coleman mal verkleidete ich mich als Krüppel, band ein Bein hinten hoch und wankte mit Krücken herum. Dazu hatte ich verschiedene Geschichten: Manchmal sag- te ich, ich hätte einen Schiunfall gehabt, manchmal sagte ich, ich wäre ein Vietnamveteran, an einem Liebe allerdings, die auch sexueller Art war: „She anderen Tag war es Kindesmissbrauch. Ich legte was my first love”. In einem späteren Gemälde steht mir verschiedene Geschichten und Charaktere zu- rückwärts geschrieben „Mutterliebe ist die höchste recht.” Form der Liebe“, in einem anderen: „Warum hat sie Einstweilen übte er sich auch schon in Überra- sich vor mir ausgezogen?“. schungs-Performances: Bei den ersten, die noch in Das Haus, in dem Joe Coleman aufwächst, steht Norwalk passierten, krallte er sich ein Kuchenblech direkt gegenüber einem Friedhof, auf dem er die von zu Hause, das er mit Krachern bespickte, befe- meiste Zeit seiner Kindheit verbringt. Schon am stigte es an seinem Oberkörper und zog darüber ein Beginn seiner Schullaufbahn wird er in eine Klasse T-Shirt seines Vaters, das ob der Größe den Spreng- für auffällige Kinder gesteckt, seine Mitschüler be- stoff gut verdeckte. So fuhr er an den Wochenen- stehen aus psychisch oder physisch extravaganten den durch die Vorstädte und schaute sich um, vor Individuen, unter denen Joe Coleman – oder wie er welchem Haus mehrere Autos standen – das konnte sich damals selbst nennt: Buddy – nicht wirklich dann eine Kindergeburtstagsparty oder auch eine verstanden fühlt. Er steckt das Schulfeld in Brand, Republikanerfeier sein. Er schrieb sich mit Blut et- um, wie er selbst sagt, seine Ängste und Sorgen zu was wie „Give Christ back to the Martians“ auf die materialisieren. Stirn und ging schnurstracks in das Haus, vor dem Sonntags schlief sein Vater den Rausch vom Vortag er seinen Wagen abgestellt hatte. Dort fing er an, aus, doch Joe Coleman ging mit seiner Mutter in die Frauen mit den grindigsten Sprüchen anzuekeln, Kirche und war damals schon überwältigt von den bis diese voller Entsetzen ihre Männer holten, die brutalen Darstellungen des Folterns und der heili- ihre Ehre gegen den vermeintlich völlig verrück- gen Gewalt. Seine Mutter steckte ihm Malutensili- ten Kerl mit Nachrichten vom Mars auf der Stirn en zu und er begann früh, mit Bleistift und roter zu verteidigen hatten. Coleman motzte natürlich von sich selbst zu behaupten, an dem Protopunk- Farbe blutige Sequenzen zu zeichnen. Seine Bilder weiter, und erst, als sich ihm die Meute voller Hass Ding, das in New York grade aufkam, überhaupt speisten sich hauptsächlich aus Szenen aus Horror- näherte, zündete er die Lunte unter seinem Hemd nicht interessiert gewesen zu sein. Die Steel Tips filmen und den Grausamkeiten, mit denen er in der an. Die umstehenden Menschen glaubten, es wäre spielten zwar im CBGBs, aber Punk war ihm selbst Kirche konfrontiert wurde. Anfangs war seine Mut- alles aus, ein durchgedrehter Selbstmordattentäter in seiner Vorform zuwider, weil damals schon zu ter recht stolz auf ihn, doch als er Teenager wurde hätte es auf sie abgesehen, versuchten in Deckung populär und berechenbar für ihn. Er wollte dem Pu- und noch immer ausschließlich blutgetränkte Ab- zu gehen und dem in Rauch erstickten Horrorerleb- blikum nicht das geben, was es erwartete – und sei scheulichkeiten zeichnete, fing sie langsam an, sich nis zu entkommen. Diesen Moment der Konfusion es noch so subversiv. Sorgen zu machen. verwendete der völlig klare Joe Coleman, um sich Zu dieser Zeit hatte Coleman bereits alle möglichen Der junge Coleman aber suchte seinen eigenen Weg, zielstrebig zu verziehen, bevor die Polizei kommen Drogen ausprobiert und war jahrelang heroinab- um seine Umwelt zu absorbieren. Eine seiner ersten würde – und beehrte die nächste Feier als Überra- hängig. Was ihm an Heroin gefiel? Dass es die abge- Als das Telefon im Hause Coleman in Brooklyn, Aktionen passierte schließlich auch in Gottes Haus. schungsgast. fuckteste Droge in Tante Emmas Feinkostladen war New York schellt, zeigen die dortigen Uhrenzeiger Er war zwölf Jahre alt und sollte beichten gehen: Joe Coleman war außerdem Frontmann der New – er meinte, das würde genau zu ihm passen. Au- auf zwei Uhr nach Mittag. Ich erkundige mich bei Eine ganze Reihe von Sündern wartete in einer Yorker-Band Steel Tips: „Wir fingen 1975 oder 1976 ßerdem hat seine Hingezogenheit zu Heroin damit meinem gut gelaunt klingenden Gesprächspartner, Schlange, bis sie ihre schlechten Taten endlich mit an, etwa zu dieser Zeit. Ich mochte weder die Punks zu tun, dass er eine sehr ängstliche Person ist und was er gerade macht: „Ich habe gerade an diesem drei Ave Maria abgleichen durfte. Als Coleman in noch die ganze Punk-Bewegung, aber es war eine das Kiffen ihn über längere Zeit paranoid gemacht Bild gearbeitet, einem Selbstporträt. Es ist so groß den Beichtstuhl trat, gestand er dem Pfarrer, dass Zeit, in der man mit allem davonkommen konnte. hatte. Er meinte schließlich, alle wären gegen ihn wie eine Tür, also wird es ein paar Jahre dauern, er für die Morde, die gerade zu der Zeit um Nor- Das wurde schließlich zur Formel. Unsere Auftritte und wünschten ihm nur Schlechtes. Dieses Gefühl bis es fertig ist.“ Dass dem tatsächlich so ist, ahnt walk passierten und Stoff der Tagespresse waren, waren Musikshows mit Songs wie ‚Kill all teenagers’ wurde von allen Drogen, die er sonst noch konsu- man, wenn man bereits eines seiner Bilder in Ori- verantwortlich wäre. Er schilderte jede Kleinigkeit, und ‚This dick is in love with you’. Zu der Zeit war mierte, verstärkt – außer von Heroin: Das löste den ginalgröße gesehen hat: Coleman füllt die weiße wie geil es doch nicht wäre, jemanden das Messer das schon irgendwie lustig, wir traten auch mit den gegenteiligen Effekt aus und beruhigte ihn mitsamt Leere in millimeterweiser Kleinarbeit bis auf den durch die Nieren zu drücken – bis der Pfarrer aus Ramones, den Dead Boys und anderen Combos die- all seiner Befürchtungen. Er konnte sich so zum er- letzten staubkorngroßen unbefleckten Raum und dem Beichtstuhl hüpfte und schrie: „Weiche, Satan! ser Zeit auf. Aber ich hatte wirklich kein Interesse sten Mal in einer Welt ohne Angst bewegen. Er lebte bedient sich dabei all dessen, was andere Menschen Weiche, Satan!!!“ an dieser Musik, ich habe das weder ernst genom- mit seiner damaligen Frau Nancy Pivar zusammen, zu verdrängen versuchen: Leiden, Mord und Miss- men noch wirklich geschätzt. Ich wollte einfach nur die ihren Drogenkonsum nicht viel anders gestalte- bildung; Serienmörder und apokalyptische Reiter; auftreten und dachte mir am Anfang – warum auch te als ihr werter Gatte. keine Phantasiegestalten, sondern Geschichten immer –, dass meine Auftritte etwas mit Musik zu Mitte der 1980er hörte er auf, Heroin zu nehmen aus den unangenehm morchelnden Fächer- tun haben müssten. Aber dann entschied ich mich, und begann mit Methadon: „Ich hatte dann einen schwarten des richtigen Lebens. dass ich keine Musik als Teil meines Auftrittes ha- Cold Turkey vom Methadon, das ich zu nehmen Geboren am 22.11.55, aufgewachsen in der berraaaschuuung!!! ben wollte, weil sie den Effekt verhinderte, den ich anfing, als mir das Geld für Heroin ausgegangen Ward Street 99 in Norwalk, Connecticut und Ü anstrebte. Also gab ich die Band auf und fing mit war. Von Heroin loszukommen war leichter als von in einer Familie groß geworden, die seine Ängste Mit 17 ging Joe Coleman von Norwalk direkt nach Performances an, bei denen ich Ratten den Kopf ab- Methadon, aber schließlich bin ich beides losgewor- und deren Bewältigung begründen sollte: Der Va- New York: „Ich kannte niemanden in NY, was aber biss und mich in die Luft jagte. Das war etwas, an den. Jetzt bin ich nur noch ein Säufer!“, lacht er ter, ein tobsüchtiger Alkoholiker, war und blieb für auch nicht weiter tragisch war. Ich fühle mich be- das ich mich auch noch aus meiner Kindheit erin- und fügt gleich hinzu: „Nein, ich trinke nicht viel. Joe Coleman der furchterregendste Mensch in sei- deutend besser, wenn ich für mich bin. In NY ver- nerte: Ich habe mich damals schon in die Luft ge- Schon jeden Tag, aber nur am Abend. Ich kann nicht nem ganzen Leben. Seine Mutter hingegen: einzi- diente ich das nötige Geld als Taxifahrer, doch bevor sprengt – halt nicht auf einer Bühne, aber immer- malen, wenn ich betrunken bin. Aber am Abend ent- ge Quelle der Fürsorge und Liebe – einer Form von ich die Lizenz dazu hatte, ging ich betteln. Manch- hin...” Joe Coleman kann es sich tatsächlich leisten, spannt es mich, das ist alles.“

6 7 aus seinem Hosenschlitz. Plötzlich näherte sich ein Polizeiwagen und das erste, was in dessen Lichtke- gel fiel, war der gehäutete Hund, der für sie aussah wie ein Baby. Gerade, als Coleman sich sprengen Die beiden Bombenträger rollten und fielen her- wollte, fand er sich von acht Einsatzwagen umzin- um, bis Coleman plötzlich – einen Schweinekopf gelt, die ihn aufforderten, sich ihnen mit erhobenen tragend – mit einer Shotgun und einer Schachtel Schilderungen wie diese klingen wie eine verschärf- Händen zu nähern. Er geht langsamen Schrittes auf Ein Freund, der Colemans Aktionen unterstützens- voller lebendiger Ratten dastand. Erst schüttete er te Version von GG Allin, doch: „Ich habe GG nie ge- sie zu und schreit Manuel DeLanda zu, er dürfe ja wert fand, erzählte ihm im Jahre 1980 von einem sich die Nagetiere über den Kopf, dann biss er ih- troffen. Seinem Bruder Merle bin ich mal begegnet, nicht aufhören mitzufilmen. Als Coleman vor den Klassentreffen, das zu deren zehnjährigem Ab- nen den Kopf ab und spuckte herum. Manuel De- aber auch erst Jahre, nachdem GG gestorben war. Beamten steht, fällt ihnen zuerst einmal der Fisch schlussjubiläum stattfinden sollte. Ein Kerl aus Landa kam mit einem Kuhkopf und Schlangen nach Es gibt tatsächlich einige Dinge, die wir zu einer auf, der aus der Hose steht, doch dann sehen sie der Klasse war bereits fünf Jahre zuvor in einem vorne, um die Viecher ins Publikum zu werfen. gewissen Zeit gemeinsam hatten, ich schätze auch auch die Zündschnur, die aus dem Hemd hängt. Sie Autounfall umgekommen – was natürlich alle wus- Coleman schrie: „Get the fuck out of here!“ – und die zornige Art von GG. Aber seinen Rock’n’Roll- knöpfen ihn auf und sehen, dass er mit Sprengstoff sten und bedauerten. Aber Coleman dachte sich: der Saal war in einem Moment geleert. Bis auf die Aspekt habe ich nie gemocht. Das war auch etwas, bekleidet ist: „Was haben Sie damit vor?!“, schreien „Die haben sich ja schon zehn Jahre nicht mehr ge- Schlangen, Frösche und Grillen, die sie ausgesetzt mit dem ich mit dem Ausstieg bei den Steel Tips sie ihn an. „Hast du Feuer, Kumpel?“ gibt Coleman sehen und so unähnlich sehen wir uns gar nicht.“ hatten. Zurück blieben außerdem die Taschen der gebrochen hatte, das war schon 1979. Lustigerweise zurück. Die Polizisten sind völlig überfordert, ei- – besuchte das Treffen mit der Identität des verun- vergraulten Zuschauer, aus denen Coleman sich hat zu einer gewissen Zeit ein Typ Shows für beide, ner seltsamen Unruhe ausgeliefert und schmeißen glückten Klassenkameraden und zog verwirrte Blik- jetzt seine Gage holte. Die Frau, die Coleman ge- für GG und für mich, organisiert.“ Man kann ruhig Coleman mit Handschellen in den Polizeiwagen. ke auf sich: Niemand traute sich etwas zu sagen, bucht hatte (und später deswegen gefeuert wurde), Am Revier wurde er niemand konnte sich das erklären. Wenn jemand rannte völlig perplex und in Tränen im Kreis. Co- den Kollegen wie ein den Autounfall ansprechen wollte, fing der ver- leman – blutiger Schädel, Ratten auf seinen Schul- Zootier als „the fish- kleidete Coleman gleich an, lästig zu werden – und tern, eine Shotgun in der Hand – geht zu ihr, setzt fucking satanist” vor- das Thema wurde schnell gewechselt. Er benahm ihr die Waffe an den Kopf und fragt: „Na, wie hat geführt und galt als sich schließlich völlig daneben, bis seine vermeint- dir die Show gefallen?“ Sie, am Boden zerstört vor Lösung des Rätsels für lichen Klassenkollegen zwanghaft versuchten, ihn Angst und Schrecken, schafft es, ein „Die Show hat die ungelösten Morde zu ignorieren. Dann fing er an, sich wie der letzte mir gefallen, sie war gut, sie war gut…“ heraus- am Westside Highway. Idiot aufzuführen, bis sie nur mehr über ihn lach- zustottern. Coleman: „Ich hab’ doch gewusst, dass Sie beschäftigten sich ten – und das war der Moment, in dem er sich in die dir das gefallen hat.“ Der Vorhang schließt sich. aber auch mit Klei- Luft gehen ließ und die gute Stimmung der nigkeiten, wie zum Siegerlächler jäh zersetzte. Panik brach aus, Beispiel um zu über- alles ging zu Boden – und Joe Coleman ent- prüfen, ob Coleman zog sich dem Trubel, bevor die Hüter des den Fisch tatsächlich Gesetzes auftauchen konnten. gefickt habe, zogen Er begann zu dieser Zeit aber auch – mitt- sich Plastikhandschu- lerweile ohne Backup Band –, als Professor he über und führten Momboozoo (Mom = Mutter, Booze = Vater) ein Mikroskop ins aufzutreten. Legendär wurde etwa seine Fischmaul ein: „Any Kitchen-Performance: “’The Kitchen’ war sperm?“ Nichts da. ein Raum für zeitgenössische Kunstformen Auch Nancy Pivar und – also genau das richtige Angriffsziel für Manuel DeLanda wur- mich! Manuel DeLanda, ein guter Freund den in eine Zelle ge- Joe Coleman bei einer Performance im Hotel Amazon in New York, von mir, hatte Verbindungen zu denen und bei der er gerade einer Ratte den Kopf abbeißt sperrt und versuchten machte es möglich, dass ich meine Invasi- die ganze Nacht hin- on dort ausführen konnte. Die hatten über- sagen: Ohne Joe Coleman hätte es einen GG Allin in durch, den Polizisten zu erklären, dass es bei dem haupt keinen Plan, was passieren würde. Ich der Form sicher nicht gegeben (in den 1970ern hat ganzen Ding bloß um Kunst ging. Als es schließlich, sagte der Frau, die das dortige Programm GG noch in der ortsansässigen Kapelle das Schlag- nach Vorträgen über verschiedene Kunstformen gestaltete, dass ich eine Show mit riesigen werk betätigt). und Ausprägungen, fast geschafft war, die Ord- Pappmaché-Penissen und Pappmaché-Va- Natürlich hatte Joe Coleman auch öfter die Konse- nungshüter zu beruhigen und zu überzeugen, kam ginas machen würde, und sie meinte: ‘Oh, quenzen seiner bedingungslosen Shows zu tragen. auf einmal ein neuer Herr Polizist mit den Polaroids das klingt aber sehr subversiv, das gefällt 1989 zum Beispiel wurde er nach einer Performance vom Tatort und fragte seine Kollegen: „Verdammte uns!’” bei den Boston Film and Video Arts Foundation in Scheiße, habt ihr den Dreckskerl, der dafür verant- Was dann wirklich geschah: Nach den Gewahrsam genommen – der offizielle Anklage- wortlich ist?!“ und einer der belehrten Inspektoren amtspflichtigen Dichterlesungen ging Joe grund: „posession of an infernal machine“ – der gibt ihm lässig zurück: „Weißt du nicht, was das Coleman auf die Bühne, in der einen Hand Besitz einer höllischen Maschine: „Das ist meine ist? Das ist Surrealismus!“ eine Zigarre, in der anderen eine Flasche Lieblingsanklage! Meine Anwälte sagten, dass die Joe Colemans letzte Performance fand 1994 statt, als Rotwein. Die Zigarre dämpfte er auf seiner seit den 1800er Jahren keinen Einsatz mehr gefun- der wohl wichtigste Mensch in seinem Leben starb – Stirn aus, die Flasche Rotwein zerschlug den hatte.“ seine Mutter. Milz- und Bauchspeicheldrüsenkrebs er auf seinem Kopf und tollschockte einen Dann gab es noch eine Aktion, die Nancy Pivar und machten ihr ein Ende und Coleman musste auf seine Fotografen, der ihn gerade knipsen woll- Manuel DeLanda filmen wollten: Austragungsort Weise Abschied von ihr nehmen, brauchte ein Ritu- te. Einen Moment später explodierte seine war ein verlassener Pier beim Westend Highway al zur Bewältigung dieses Erlebnisses. Er inszenier- damalige Lebensgefährtin Nancy Pivar im in NY, an dem Coleman einen gehäuteten Golden te wieder einen wahnsinnigen Auftritt, bei dem er Publikum, während er auf der Bühne in die Retriever aufhängte und mit blutigen Symbolen be- zusätzlich zwei Mäuse hatte: eine davon war Mom, Luft ging – die Zuschauer waren schockiert malte. Er selbst trug – natürlich – Sprengstoff an die andere Dad. Beiden biss der den Kopf ab, Dad und wussten nicht, wohin mit sich selbst. seinem Oberkörper und ein großer Karpfen ragte spuckte er aus, Mom verleibte er sich ein. Amen I. Joe Coleman im ‚Fun House‘ von Roms Luna Park

8 9 nossen. In seinem Odditorium werden diese teils abschreckend auratischen Objekte ansehnlich prä- A scheene Leich: Wiener Sightseeing mit Joe Coleman sentiert: Schreine aus Mordwaffen, Wachsfiguren von Christian Fuchs von Richard Speck, einem missgebildeten Zwerg, Es waren zwei außergewöhnlich dessen präzise Darstellung eingren- einem obduzierten Baby, vom gekreuzigten Jesus eindrucksvolle und wunderba- zen und bändigen. Colemans Aussa- sowie mumifizierte Körperteile, ein Brief und eine Es begann seinerzeit mit einem re Tage mit Joe, damals in diesem ge erklärt aber auch die scheinbare Haarsträhne von Charles Manson, Briefe von Ted Anruf meines Journalistenkollegen sonnigen Frühling in Wien. Zum äußere Aufgeräumtheit besonders Bundy, Erde von Hasil Adkins’ Grab, eine Gruß- Fritz Ostermayer. „Du, der Joe Co- meinerseits organisierten Sight- vieler künstlerischer bzw. popkul- karte von , ein zweiköpfiges ausgestopf- leman kommt nach Wien, ich habe seeing-Trip gehörten touristische tureller Wüteriche, denn wer das tes Kalb – und „Junior“, sein Adoptivsohn: ein zugesagt, mich um ihn zu kümmern, Pflichtpunkte wie der Narrenturm, Chaos im Kopf hat, wird auf die deformierter Fötus, eingelegt in Formaldehyd. aber jetzt bin ich leider verhindert. das Josephinum mit seinen wäch- Inszenierung alltäglicher Posen der Coleman sammelt außerdem Bücher über medi- Magst du das nicht übernehmen?“ sernen Körpernachbildungen, das Verwirrtheit gerne verzichten und zinische und menschliche Randgebiete sowie Damals, in den früheren Neunzi- Kriminalmuseum, der Prater, aber erst recht auf sorgfältig kultiviertes alte Filme. gern, hatte ich höchst fasziniert auch ein Trip in ein öffentlich un- Durcheinander im Atelier oder der All das beeinflusst natürlich die zeichnerische einiges über Joe Coleman in ame- zugängliches pathologisches Muse- WG-Küche. Tätigkeit des Autodidakten (Er besuchte zwar rikanischen Magazinen gelesen, um des AKH, der erst nach vielen Der besonders erfreuliche Epilog kurz die School of Visual Arts, schmiss sie vor allem aber in Büchern des „Re/ Telefonaten möglich wurde. „It‘s so zu meiner persönlichen Episode aber fast zeitgleich, weil sie ihn einschränk- Search“-Verlags, der richtungswei- beautiful“ flüsterte Joe angesichts mit Joe Coleman kam dann später te.). Eine andere Auswirkung zeigt seine sende Interviews mit popkulturel- in Alkohol eingelegter Körperteile in Form eines Briefs, in dem mir der katholische Erziehung: Seine Bilder sind len Outsidern und künstlerischen und konservierter Kinderleichen, Mann erlaubte, eines seiner Bilder im Grunde Ikonenmalereien, Heiligenbil- Triebtätern veröffentlichte. Mr. Co- ich musste die anwesende Ärztin als CD-Cover für meine damalige der vom „scum of the earth“. Er sieht sich leman aka Professor Momboozoo ablenken von der Begeisterung des Band Fetish 69 zu verwenden. Und in der Tradition von Hieronymus Bosch, übertraf etliche der literarischen, amerikanischen Gastes. das, obwohl Coleman mit (Noise-) Albrecht Dürer und Pieter Brueghel und musikalischen und ganzkörperge- Rock jeder Form bereits gebrochen malt so detailreich und genau, dass man piercten Durchgeknallten, die durch Wir redeten viel, über die Schönheit hatte und diverse exzessive Büh- seine Werke nur in Originalgröße und mit diese Publikationen geisterten: als von Tumoren und seine gleichzei- nenspielchen von der Ruhe und Ab- viel Zeit sachgemäß entziffern kann. Maler detaillierter Mikrokosmen tige Angst vor Krankheiten, über geschiedenheit seines Wohn-Muse- In seine Wohnung lässt er kein Tages- zwischen Sex, Gewalt und Fegefeu- blutige Steaks und noch blutigere ums aus nur mehr belächelte. licht, er bevorzugt es, mit einer nackten er, als scharfzüngiger Theoretiker, Verbrechen, über den Krebs seiner Abgesehen vom privaten Stolz über Glühbirne als alleiniger Lichtquelle zu als aktionistischer Amokläufer, der Eltern und die Menschheit, die als diese besondere Ehre, freute mich arbeiten. Seine Gemälde fertigt er mit- die Grenzen zwischen Kunst und Krebsgeschwür den Planeten über- aber der weitere Lebensweg des hilfe einer Juwelierbrille und einem Ein- Kriminalität auf selbstgefährdende wuchert. Joe Coleman noch viel mehr. Denn haar-Pinsel an. Acht Stunden am Tag, Weise verwischte. Einige der Gespräche, die ich mit durch verschiedene glückliche Fü- fünf Tage die Woche lebt er in dieser „Ja“, sagte ich zu Ostermayer, „na- Coleman bei den Spaziergängen gungen und ohne die üblichen Mar- winzigen Welt, die er Quadratzentime- türlich übernehme ich das.“ Gleich- durch Wien führte, prägten mich ketingstrategien des Kunstbetriebs, ter für Quadratzentimeter selbst ausge- zeitig packte mich eine kleine Pa- nachhaltig. Und erst Recht ein spä- gelang dem einstig hasserfüllten stalten und kontrollieren kann. „Mittler- nik. Ich hatte zugesagt, mit einem terer Besuch in seiner Wohnung in Outlaw mittlerweile der Aufstieg weile brauche ich für ein Bild etwa ein erklärten Menschenhasser, Serien- Brooklyn, einem Museum extraor- zum heimlichen Star, beziehungs- Nach dieser seiner letzten Performance widmete Jahr, weil ich sehr konzentriert arbeite. killer-Fan und hochkomplizierten dinaire in Sachen Morbidität und weise zum Darling der Stars. Dank sich Joe Coleman gänzlich dem Malen. In seinen Das Porträt, das mich jetzt gerade be- Eigenbrötler zwei Tage in Wien zu liebevoll positionierter Abseitig- großzügigen Freunden, Gönnern Bildern taucht die Kehrseite des „American Dream“ schäftigt, wird allerdings länger dauern. verbringen und ihm alle Wünsche keit. „Ich leide an dem Chaos in und Käufern wie , Jim auf, die verheizten Sündenböcke einer Gesellschaft, Ich arbeite auch nie an mehreren Bildern von den Lippen abzulesen. meinem Kopf“, meinte Joe Coleman Jarmusch, , die vorgibt, für das Gute zu kämpfen. Sich zerset- gleichzeitig, das würde meine Konzen- Joe Coleman, das kann man jetzt damals in seinem Appartement und oder Leonardo DiCaprio muss sich zende Körper, eitrige Geschwülste, aufbrechende tration unterbrechen. Das Malen ist eine gleich verraten, entpuppte sich als verwies auf seine pingelig sortier- Coleman heute keine Sorgen mehr Zysten, entstellte Antihelden und kannibalistisches sehr beruhigende Beschäftigung. Ich bin charismatische, intelligente, vor al- ten Regale des Grauens und nicht um den Haushalt und die Erweite- Treiben inmitten geordneter Rahmenbedingungen. wahrscheinlich besorgter als viele andere lem aber auch höchst gepflegte Figur zuletzt auf seine minutiös gemalten rung seiner herrlich horriblen Per- Aber auch Bekannte und Menschen, die er bewun- Menschen, also muss ich versuchen, mei- mit einem umwerfenden schwarzen Bilder, „ich brauche kein Chaos in versitäten-Sammlung machen. dert, werden dargestellt. Die Mischung seiner Pro- ne Umwelt zu ordnen, was man ja auch in Humor. Was ich heute längst als der Realität oder meinen Gemälden So ein Happy End können wohl nur tagonisten liest sich auszugsweise folgendermaßen: meinen Bildern sehen kann. Ich muss all die Binsenweisheit weitergebe, wurde mehr“. jene nicht goutieren, die sich ihre Charles Manson, Hank Williams, Ed Gein, Mary Dinge ordnen, die Angst und Chaos verur- mir damals in der ganzen Tragwei- Denkt man über diesen Satz länger Lieblingsrevolteure nur frühzeitig Bell, Adolf Hitler, Groucho Marx, Bela Lugosi, Carl sachen, damit sie mich nicht überwältigen. te bewusst: Je wahnwitziger und nach, lässt sich daraus die ganze tot, suizidär oder im Irrenhaus vor- Panzram, Albert Fish, Klaus Kinski, Henry Darger, Ich arbeite mich in kleinen Einheiten vor- transgressiver jemand lebt und vor Historie einer möglichen Gegen- stellen können, es sich selbst aber Hasil Adkins. Zu seinen Freunden und Fans – die an, baue das Puzzle zusammen, von dem ich allem auch denkt, desto souveräner Avantgarde ableiten, eine Geschich- im Eigenheim mit Bausparvertrag teilweise auch Einzug in die Bilderwelten finden – selbst bis ganz zum Schluss nicht weiß, was es kann er mit dem Schrecken umge- te der künstlerischen Einzelgänger gemütlich gemacht haben. Ich wün- zählen unter anderem , Iggy Pop, John überhaupt sein wird.“ hen. Deswegen sind die wahren und Sonderlinge, die diametral dem sche diesem Ausnahme-Charakter, Waters und HR Giger. Paradox: „Wenn ich zeichne, höre ich oft Hasil künstlerischen Rebellen, Bühnen- puren Formalismus in der Moder- der Katholik und Moralist, Hob- „Ich male zu Hause in diesem angeräumten, klau- Adkins.” – der nicht unbedingt für seine medi- zerstörer und Hardcore-Außensei- ne, bis hin zur Konzeptkunst der by-Pathologe und Sprengmeister, strophobischen kleinen Raum, der sich gleich beim tativen Klangwolken berühmt ist. Doch: „So kam ter oft besonders nette Menschen. Gegenwart, gegenübersteht. Wer Philosoph, Apokalyptiker und Sau- ‚Odditorium’ befindet.” Was das ‚Odditorium’ ist? ich dazu, ein Porträt von Hasil zu malen, das ich Die biedere Normalität repräsen- ständig darum bemüht ist, dass die bartel zugleich ist, dass er mit dem Colemans private Kuriositätensammlung, die von ihm schickte, sobald ich damit fertig war – und tiert den wahren Horror. Sicherungen im Hirn nicht durch- Pinsel in der Hand, mit asozialen ihm mit Liebe überhäuft wird: Schon seit den 1970ern wir wurden Freunde, er ist auch auf meiner Hoch- brennen, braucht keine Abstrak- Gedanken im Schädel und einem sammelt er obskure Reliquien, Dokumente und zeit aufgetreten. Wir blieben bis zu seinem Ende tionen und kein Actionpainting, sardonischen Grinsen auf dem Ge- Überbleibsel von Serienmördern, Menschenfressern, sehr gute Freunde und als er starb, was wirklich sondern genaue Linien, die den sicht, steinalt werden möge. Vergewaltigern und ähnlich unangenehmen Zeitge- sehr traurig war, war ich einer der Sargträger.“ konfusen Geist in Zaum halten und Alles Gute, Joe! die den Schrecken sozusagen durch

10 für ihn tun, misstraut er viel eher als denen, die von Anfang an sagen, sie machen etwas für sich selbst. Denn am Schluss bleibt nicht mehr übrig als das ei- Wenn man Joe Coleman eine Faszination für Seri- gene Ich: „Im Endeffekt hat man nur sich selbst und enmörder unterstellt, ist das eine unzureichende seine eigenen Bedürfnisse. Ich weiß ja nicht einmal, Vereinfachung. Seine vor Jahren getätigte Aussage, ob für das, was ich mache, überhaupt ein Publikum seine Art der Performance und Kunst hätten ihn da- existiert. Ich fühle nur das, was in mir passiert. vor bewahrt, ein Serienmörder zu werden, bereut Wenn ich eine Flasche auf meinem Kopf zerschlage, er mittlerweile, weil es ein allzu geschliffener Auf- dann spüre ich das. Aber wenn ich sie an dem Kopf hänger für eine sehr vielschichtige Persönlichkeit eines Zuschauers zerschlage, spüre ich nichts. Au- ist. Aber scheiß die Wand an: „Das Potential liegt in ßer ich stelle mir vor, wie sich das anfühlt, weil ich jedem von uns. In unseren Ländern passiert soviel Ein weiterer seiner be- das Gefühl ja kenne. Aber das wäre ein ziemlicher Grausamkeit und Unterdrückung. Und was gerade sten Freunde ist Adam Umweg.” mit den USA los ist…da stellt man sich doch die Parfrey, Inhaber von Joe Coleman hat auch an einem Buch teilgenommen, Frage: Wo ist da bitte die Trennlinie? Warum darf Feral House, Heraus- das bereits 1998 unter dem Titel „The End Is Near!“ der eine, der andere nicht? Wenn eine handvoll Leu- geber von „Apocalyp- erschienen ist – also, ist das Ende wirklich nahe? te gequält und ermordet werden, dann ist das böse. se Culture“ und ähnli- „Nun, jetzt auf jeden Fall näher als es damals war! Geht es aber um Millionen von Menschen, dann chen Großhauern. Sei- Ich dachte nie, dass ich es bis 52 schaffen würde. nennt sich das plötzlich Politik.“ Jede Gesellschaft ne erste Erfahrung mit Das Ende findet dann statt, wenn ich sterbe – das kriegt nicht nur die politischen Repräsentanten, Joe Coleman im Odditorium, wie er Lee Harvey Oswalds Kopf hält Heroin machte Parfrey ist das Ende. Was mit dem Rest der Welt passiert sondern auch die Verbrecher, die sie verdient – und übrigens mit Coleman, der ihm das Zeug besorgte. – keine Ahnung.“ Klingt ein wenig nach einem sol- für die muss sie Verantwortung übernehmen. Doch „Wir trafen uns um den Tag herum, als sein Vater, ipsistischen Max Stir- der Schauspieler Woodrow Parfrey, starb. Das war ner, aber nichts desto 1984.” Die Cover der Bücher „Apocalypse Culture” trotz einleuchtend. I und II zieren Gemälde von Joe Coleman: „Er hat Der Psychiater Dr. mich einfach gefragt, ob ich Teil dieses Kompendi- Wenn er nicht auf Reisen ist, lebt Joe Coleman nach Martin Wilner, der mit ums sein möchte, weil wir ähnliche Interessen tei- wie vor im New Yorker Stadtteil Brookyln. Er und Joe Coleman zu tun len. Putin, der ehemalige russische Präsident, hat Whitney Ward heirateten am 11.11.00 und die bei- hatte, meinte, dass der die russische Edition von ‚Apocalypse Culture II’ den sind so etwas wie das Traumpaar der obskuren Besitzer der Höllenma- 2005 verboten und öffentlich verbrannt. Aber ähn- Sorte: Die Hochzeit fand in Baltimore statt, Whitney schine viele verschie- liche Dinge sind mir schon vorher passiert. Zum Ward hatte einen männlichen und einen weiblichen dene Ängste habe, Beispiel, als sie ein ‚Henry’-Poster von mir verbo- Zwerg als Brautjungfern. Joe Coleman ließ sich in die größte aber die ten hatten, sie hielten meine Zeichnung für obszön. einem Sarg durch die Zeremonie tragen und hatte des Verlassenwerdens Aber wie können die sagen, meine Zeichnung wäre ausgesuchte Objekte aus dem Odditorium mitge- sei. Diese Angst habe obszön, wenn sie den Film gesehen haben? Und bracht. Zu Gast waren neben Hasil Adkins noch ei- schon in der Kindheit mein Buch ‚The man of sorrows’ über das Leben von nige hundert andere Gäste. Das wär’s gewesen… ihren Anstoß genom- Jesus wurde in Kanada konfisziert – angeblich auch Die nun herrschenden Lebensumstände lassen Cole- men: Joe Colemans Va- obszön.” man viel besser mit seiner Umgebung umgehen als ter war ein aggressi- Die lange Entstehungsdauer von Colemans Gemäl- etwa mit der vor 20 Jahren: „Aber ich würde nicht ver Säufer, vor dem er den ist auf mehr als nur die sichtbaren Details zu- sagen, dass ich mich behaglich fühle. Es gibt Tei- sich immer gefürchtet rückzuführen: Es passiert auch, dass Joe Coleman le von mir, die konnten es sich mittlerweile besser hatte. Mit seiner Mut- Stunden etwa damit verbringt, den Tascheninhalt einrichten, aber dann kommen wieder Teile meiner ter hingegen konnte er historischer Figuren herauszufinden und nachzu- Persönlichkeit zum Vorschein, von denen ich gar intim werden – viel- zeichnen – um anschließend die Tasche selbst dar- nicht gewusst habe, dass es sie gibt. Aber trotzdem: leicht zu intim, wie Joe Colemans Odditorium über zu malen. Wer ein Bild kaufen will, kann sich Ich lebe in Brookyln mit meiner Frau, so gut ist es er selbst zugibt. Doch aber mittels einer Vorauszahlung auf die Warteliste mir noch nie gegangen. Wir gehen manchmal aus, hatte er schon damals irrsinnige Angst vor dem Ver- noch immer wird auf Persönlichkeiten wie Charles setzen lassen. weil ich Platzangst kriege, wenn ich soviel zu Hau- lassenwerden: Wenn seine Mama weg und er alleine Manson gezeigt, um mit deren Bösartigkeit von den Doch Joe Coleman will nicht nur malen, sondern se sitze. Dann schauen wir uns einen alten Film an, mit dem Vater war, seiner Quelle der Furcht, dann Schreibtischtätern abzulenken, die sich ihre Arsch- auch, nachdem er seine Performances der Vergan- machen Liebe – und das ist alles ziemlich gut, ein hatte sie alles Gute aus seiner Welt mitgenommen löcher vergolden und eine weitaus größere Reich- genheit angetraut hat, fühlen und am eigenen Kör- schönes Leben. Ich empfinde tiefe Gefühle für mei- und ihn mit nichts als Angst zurückgelassen. weite haben. (Derselbe Charles Manson nannte Joe per erleben: „Ich war in Ungarn, Budapest in einem ne Frau und weiß, dass mein Leben ohne sie weni- Ob er sich nicht manchmal auch vor den Dingen Coleman übrigens einmal einen „Höhlenmenschen Anatomiesaal. Der dort zuständige Herr war ein ger wäre. Ich habe auch ein paar Freunde, die mir fürchte, die er sammelt und hortet? „Manchmal in einem Raumschiff“.) Fan meiner Arbeiten und erlaubte mir, Autopsien wirklich nahe stehen – ich nenne sie meine Fami- schon, ja. Aber die meiste Zeit brauche ich das alles, Colemans scheinbare „Faszination“ ist Ergebnis ei- durchzuführen. Ich hatte schon vorher seziert, aber lie. Aber die sehe ich auch nicht allzu oft, das muss weil es mir hilft. Es zeigt mir, was es überhaupt ist, ner ehrlichen und reflexiven Weltanschauung, die noch keine Autopsie durchgeführt. So konnte ich ich nicht. Ich bin immer da für sie und sie sind im- das ich fürchte und lehrt mich, damit umzugehen.“ kompromissträchtige Selbstverständlichkeiten des selbst herausfinden, wie die Körper vor mir gestor- mer da für mich, aber wir müssen nicht aneinander Doch von Zeit zu Zeit beunruhige ihn auch, was Entertainmentfaschismus so wenig wie möglich zu- ben waren. Es war zur einen Hälfte persönliches In- kleben.“ Nietzsche gesagt hatte: Dass man aufpassen muss, lässt. Mehr Joe Colemans – und unsere Welt wäre teresse, zur anderen Hälfte wissenschaftliches Ar- Joe Coleman braucht viel Zeit für sich, zum Ordnen wenn man das Monster bekämpft, weil man sonst eine bessere. Amen II. beiten. Ich wollte eine Spur der Seele in einem toten der Lebensumstände, zum Überprüfen der eigenen selbst zum Monster wird – den Wahrheitsgehalt die- Körper finden – habe das aber nie getan.” Position. Menschen, die sagen, sie würden etwas ser Aussage hält Coleman für gar nicht so gering. ***

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