Rundfunk und Geschichte

Mitteilungen des Studienkreises Rundfunk und Geschichte Informationen aus dem Deutschen Rundfunkarchiv

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22. Jahrgang Nr. 2/3 - April / Juli 1996

Theater und Medien in Deutschland

Zur Film- und Fernsehrezeption

Eine Rundfunkdiskussion im Jahr 1948

Ulbrichts Geburtstag im DDR-Rundfunk

Die Sendereihe »Der Hörer hat das Wort«

Rezensionen

Bibliographie

Mitteilungen des Studienkreises Rundfunk und Geschichte

Informationen aus dem Deutschen Rundfunkarchiv

Zitierweise: RuG - ISSN 0175-4351 ______

Redaktion: Ansgar Diller Edgar Lersch ______

Redaktionsanschrift

Dr. Ansgar Diller, Deutsches Rundfunkarchiv Frankfurt am Main / , Bertramstraße 8, 60320 Frankfurt am Main, Tel. 069-15687212, Fax 069-15687200. Dr. Edgar Lersch, Süddeutscher Rundfunk, Neckarstraße 230, 70190 Stuttgart, Tel. 0711-9293233, Fax 0711-9292698. Redaktionsassistenz: Dr. Stefan Niessen. Herstellung: Michael Friebel. Redaktionsschluß: 10. Juli 1996.

Inhalt

22. Jahrgang Nr. 2 / 3 - April / Juli 1996

Aufsätze Wolfgang Mühl-Benninghaus Zum Verhältnis von Theater und Medien in Deutschland 105 Eva Warth Rethinking Audiences. Theoretische und empirische Ansätze zur Film- und Fernsehrezeption 119

Dokumentation Sie sprechen hier über die Politik der Besatzungsmächte ... Diskussion zwischen Berliner Rundfunk und Nordwestdeutschem Rundfunk am 11. Juni 1948. Ein Dokument aus der Zeit des deutsch-deutschen Kalten Krieges (Ingrid Pietrzynski) 129

Miszellen Erfüllte Pläne - die schönsten Geburtstagsgrüße Der DDR-Rundfunk feiert den Geburtstag Walter Ulbrichts (Jörg-Uwe Fischer) 145 »Der Rundfunk ist der Dichtung vieles schuldig« Hermann Kasack (1896 - 1966) (Hans-Ulrich Wagner) 151 Ludwig von Hammerstein (1919 - 1996) (Manfred Rexin) 153 »Der Hörer hat das Wort« Eine Sendereihe des NWDR/WDR Köln (1949 - 1958) (Daniela Schumacher-Immel) 156

Rezensionen Jean-Nöel Jeanneney: Une histoire des médias des origines à nos jours (Muriel Favre) 161 DeutschlandRadio: RIAS-Documenta Dokumentensammlung 1945 - 1994 zur Geschichte von RIAS Berlin (Edgar Lersch) 162 Bernd R. Gruschka: Der gelenkte Buchmarkt Amerikanische Kommunikationspolitik in Bayern und der Aufstieg des Verlages Kurt Desch 1945 bis 1950 (Hans-Ulrich Wagner) 163 Andrea Melcher: Vom Schriftsteller zum Sprachsteller? Alfred Döblins Auseinandersetzung mit Film und Rundfunk (1909 - 1932) (Sabine Schiller-Lerg) 164 Hub Njissen: Der heimliche König. Leben und Werk von Peter Huchel Peter Walther (Hrsg.): Am Tage meines Fortgehens. Peter Huchel (1903 - 1981) (Wolfram Wessels) 165 Klaus Kreimeier: Lob des Fernsehens (Peter Hoff) 168 Doris Rosenstein (Hrsg.): Unterhaltende Fernsehmagazine Zur Geschichte, Theorie und Kritik eines Genres 1953 - 1993 (Peter Hoff) 169 102 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

Deutsches Rundfunkarchiv (Hrsg.): Fernsehen für Kinder Ein Bestandsverzeichnis (Wolfgang Mühl-Benninghaus) 170 Thomas Beutelschmidt: Sozialistische Audiovision Zur Geschichte der Medienkultur in der DDR (Rolf Geserick) 171 Siegfried Weischenberg: Journalistik Theorie und Praxis aktueller Medienkommunikation Bd. 2: Medientechnik, Medienfunktionen, Medienakteure (Christian Filk) 172 Richard Münch: Dynamik der Kommunikationsgesellschaft (Wolfgang Mühl-Benninghaus) 173 Rudolf Scharping (Hrsg.): Demokratische Medien - der Mensch im Mittelpunkt Für eine humane und soziale Informationsgesellschaft (Christian Filk) 174 Carola Lipp (Hrsg.): Medien popularer Kultur Erzählung, und Objekt in der volkskundlichen Forschung (Wolfgang Mühl-Benninghaus) 175 Herbert Birett: Lichtspiele Das Kino in Deutschland bis 1914 (Wolfgang Mühl-Benninghaus) 175 Lorenz Engell: bewegen beschreiben Theorie zur Filmgeschichte (Wolfgang Mühl-Benninghaus) 176 Rainer Gries u.a. (Hrsg.): »Ins Gehirn der Masse kriechen!« Werbung und Mentalitätsgeschichte (Barbara Muschiol) 177 Stefan Weyhenmeyer: Integrierte Unternehmensstrukturen in der Telekommunikation und staatliche Industriepolitik (Barbara Mettler-v. Meibom) 178 Rudolf Stöber: Geschichte Eine Einführung (Christian Filk) 179 Gerd R. Ueberschär (Hrsg.): Das Nationalkomitee »Freies Deutschland« und der Bund Deutscher Offiziere (Carola Tischler) 180 Leonid Reschin: General zwischen den Fronten Walter von Seydlitz in sowjetischer Gefangenschaft und Haft 1943 - 1955 Sigrid Wegner-Korfes: Weimar - Stalingrad - Berlin Das Leben des deutschen Generals Otto Korfes. Biographie (Carola Tischler) 181 Michael Ruck: Bibliographie zum Nationalsozialismus (Ansgar Diller) 182 Dirk Matejovski / Friedrich Kittler (Hrsg.): Literatur im Informationszeitalter 183

Bibliographie Online, Internet und Digitalkultur. Eine Bibliographie zur jüngsten Diskussion um die Informationsgesellschaft (Christian Filk) 184 Inhalt 103

Zeitschriftenlese (70) (Rudolf Lang) 193

Mitteilungen des Studienkreises Rundfunk und Geschichte Jahrestagung des Studienkreises in Wien 1996 195

Informationen aus dem Deutschen Rundfunkarchiv Neu in der Buchreihe des DRA 197 Felicitas Merkel: Gewerkschaften und Rundfunk Edition und Dokumentation ausgewählter Rundfunkquellen zum Nürnberger Prozeß (1945/46) Karl Führer: Wirtschaftsgeschichte des Rundfunks in der Weimarer Republik Judenverfolgung und jüdisches Leben unter den Bedingungen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, 3 Bde. Susanne Pollert: Film- und Fernseharchive in Deutschland Archiv des deutschen Dienstes der BBC als Schenkung im DRA 198 Günter Eichs Hörspielschaffen (1930 - 1972) DFG-Projekt am DRA Frankfurt am Main 199 CD über Olympische Spiele 1936 200 ARD-Stipendien zur Erforschung des DDR-Rundfunks 200

104 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

Autoren der längeren Beiträge

Dr. Jörg Uwe Fischer, Deutsches Rundfunkarchiv Frankfurt am Main / Berlin, Historisches Archiv, Rudower Chaussee 3, 12489 Berlin. Prof. Dr. Wolfgang Mühl-Benninghaus, Humboldt Universität zu Berlin, Institut für Theaterwissenschaft / Kulturelle Kommunikation, Sophienstraße 22a, 10178 Berlin. Dr. Ingrid Pietrzynski, Deutsches Rundfunkarchiv Frankfurt am Main / Berlin, Historisches Archiv, Rudower Chaussee 3, 12489 Berlin. Daniela Schumacher-Immel, Westdeutscher Rundfunk, Historisches Archiv, Appellhofplatz 1, 50667 Köln. Dr. Eva Warth, Vakgroep Theater-, Film- en Televisiewetenschap, Universiteit Utrecht, Kromme Nieuwegracht 29, NL 3512 HD Utrecht.

Wolfgang Mühl-Benninghaus

Zum Verhältnis von Theater und Medien in Deutschland

Die Beziehungen zwischen Theater und Medien Die theoretischen und verbalen Auseinander- im 20. Jahrhundert sind für Deutschland kaum setzungen von seiten des Theaters und der erforscht. Dies ist um so erstaunlicher, als gera- »Wortintelligenz«6 mit der Kinematographie be- de die Orientierung an Theaterdramaturgien und gannen um 1907.7 Sie entstanden also noch vor szenischen Darstellungselementen kennzeich- der Etablierung selbständiger Lichtspielhäuser nend ist für wichtige Entwicklungsabschnitte der in den Zentren der Großstädte nach 1908 und deutschen Film-, Hörfunk- und Fernsehge- des 1910/11 beginnenden Übergangs zum lan- schichte. Auch sind bis in die 50er Jahre hinein gen Spielfilm sowie der damit verbundenen Eta- immer wieder theoretische Diskussionen in ver- blierung einer narrativen Erzählstruktur im Film schiedenen Fachzeitschriften geführt worden, und der regelmäßigen Beschäftigung von die das Verhältnis zwischen dem Theater und Theaterschauspielern in den Filmateliers. Die den einzelnen Medien reflektieren. auf Deutschland beschränkte Kinoreformbewe- Insbesondere im Entstehungszeitraum der gung versuchte unter anderem, das Verhältnis jeweiligen Medien, aber auch während von Theater und Kino zu bestimmen. Bei ihren einschneidender historischer Veränderungen bis Mitte der 20er Jahre8 nicht zuletzt aus Kon- waren die jeweiligen Medien von szenischen kurrenzgründen anhaltenden Angriffen auf die Darstellungstechniken des Theaters beeinflußt. Kinematographie ist auffallend, daß sich die Kri- Das heißt, in der ersten Hälfte unseres tik ausschließlich auf die fiktionalen Filmdarstel- Jahrhunderts war das Theater in allen seinen lungen konzentrierte, während Nonfictioninhalte unterschiedlichen Ausprägungen in bestimmten oft besonders lobend erwähnt und als förde- - im folgenden näher zu umreißenden - Zeitab- rungswürdig angesehen wurden.9 schnitten, die medienhistorisch zugleich Um- Diese Kinokritik, die ausschließlich Angehö- bruchsituationen waren, ein wichtiges Bezugs- rige der »Wortintelligenz« formulierten, bewegte medium, wenn nicht sogar eine Art Leitmedium. sich auf mehreren Ebenen. Erstens argumen- Dieser These soll im folgenden anhand einiger tierten sie rein formal und versuchten damit zu- ausgewählter Beispiele nachgegangen werden. gleich auch durch Forderungen nach einer grundlegenden Reform des Kinos die von ihnen vertretenen Vorstellungen von Kultur bzw. Kunst Theater und Film vor dem und, davon abgeleitet, von Unterhaltung durch- Ersten Weltkrieg zusetzen. Die von in sich geschlossenen Welterklärungsversuchen geprägten Aussagen Nach dem Erfolg der ersten Filmvorführung En- orientierten sich an wenigen Beispielen des hi- de November 1895 im Berliner Wintergarten bil- storischen und zeitgenössischen Kultur- und deten in vielen großen Varietétheatern in der er- Kunstbetriebes, vor allem an Aussagen Gott- sten Dekade unseres Jahrhunderts Filmauffüh- scheds und den Stücken der deutschen Klassik, rungen einen festen Bestandteil der jeweiligen außerdem an Shakespeare und Wagner. Dar- Programme,1 da das Kino als Jahrmarktspekta- über hinaus bezeichneten sie das Theater der kel schon um 1900 seine Bedeutung verloren antiken Polis als Vorbild für die eigene Gegen- hatte.2 Der gewöhnlich am Ende einer Varieté- wart und damit als geeignete »Sammelstätte« vorstellung vorgeführte Film stand wie das ge- von Massenkultur am Beginn des 20. samte Programm unter der Devise »Abwech- Jahrhunderts. Vor diesem geistigen Hintergrund selung ergötzt«.3 Neben überwiegend nachge- sprach man dem Film jeden Kunstcharakter ab, stellten »Actualitäten« und Naturaufnahmen da ein Kunstwerk fünf Akte haben und die brachten die kurzen Streifen auch Spielszenen Aufführung sich mindestens über drei Stunden von wenigen Minuten. Diese vernachlässigten erstrecken müsse. Dieses elitäre Kunstver- weitgehend narratologische Momente und ständnis ignorierte nicht nur den aktuellen Thea- verzichteten auf die Darstellung einer zeitlichen, terbetrieb, dessen Theateraufführungen auch örtlichen und kausalen Kontinuität von Hand- gegen den Willen der zeitgenössischen Autoren lungsabläufen. Statt dessen ist »die Beziehung um die Jahrhundertwende nur zwei bis zweiein- 10 zwischen Zuschauer und Leinwand fast immer halb Stunden dauerten, sondern generell auch so gestaltet, daß sie die Anerkennung der filmi- den infolge der Industrialisierung sich verän- 11 schen Illusion mit einschließt«.4 Die von den Va- dernden Lebensrhythmus. rietékünstlern aufgeführten Kunststücke fanden Zweitens stimmten Verhalten und Erwartun- gewissermaßen im Kino ihre Fortsetzung.5 gen des Publikums in den Kinovorstellungen mit dem für die Mehrheit der Bevölkerung lebensfer- 106 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

nen Kunstverständnis von Teilen des bürgerli- nach konsequenter Unterhaltung war das Mit- chen Kunsttheaters, wie es sich am Ende des agieren des Publikums während der Vorstellung. Jahrhunderts herausbildete, nicht überein. Der Das gilt auch für das Unterhaltungstheater um Unterhaltungsanspruch des Publikums, so die die Jahrhundertwende, also die Zeit der Kinore- Reformer, verlange vom Film nur »naive Thea- formbewegung. So heißt es in einer Beschrei- terwirkungen, Ausstattungen, Effekte«, also bung des Theaterpublikums um 1906: »Die Zahl »reale Genüsse«.12 Außerdem unterhielten sich dieser Amusementsdurstigen wächst zuneh- die Zuschauer während der Vorführungen mit- mend: denn ihr Ziel läßt sich mit leichter Mühe einander. Besonders in den kleinen Kinos wurde erobern (...). Sie suchen Lachen und Sinnenreiz, außerdem gegessen und getrunken. Eine Vor- bequeme Sessel, hübsche Gesichter in den Lo- stellung davon gibt Robert Walser, der das Ge- gen und auf der Bühne, als Extrastimulans noch schehen auf der Leinwand mit der Schilderung ein Bröcklein, Musik, bunte Dekorationen, Ak- des sonstigen Geschehens kombiniert: »›Bier, tualität und Zote, kurz das Ausruhen!«.16 Brause, Nußstangen, Schokolade, belegte Bröt- Unterhaltung und Sinnenreiz galten vielen, chen gefällig, meine Herrschaften‹, ruft das Un- und zwar nicht nur den Angehörigen niederer geheuer von Kellner. Einige der anwesenden sozialer Schichten, als Grund für einen Kinobe- Vorortherrschaften genehmigen sich eine kleine such: So ist in der Frankfurter Zeitung vom Mai Erfrischung«. Dann befaßt sich Walser mit dem 1913 nachzulesen: »Das Publikum kam zu laufenden Kriminalfall. Am Ende ruft der Kellner ihnen [den Lichtspielhäusern], weil ihre Gaben wieder: »Bier gefällig, meine Herrschaften«.13 billiger waren als die der Thespiskärrner und Demgegenüber wiesen die Kinoreformer dar- weil diese Gaben auch kürzer, und das heißt: auf hin: »Unser Theaterpublikum hat, anfangs kurzweiliger waren (...). Man findet heute im widerwillig und zögernd, jetzt (...) von unseren Kino nicht mehr die konzentrierte Unterhaltung besten Bühnen gelernt, sich mit Andacht in den von ehedem«.17 Anders sah dies etwa ein Geist eines Kunstwerkes zu versenken, den halbes Jahr später Franz Kafka, der in sein feinsten Seelenregungen zu folgen, das halb an- Tagebuch schrieb: »Im Kino gewesen. Geweint. gedeutete zu enträtseln, so manche Gestalt ›Lolotte‹ Der gute Pfarrer. Das kleine Fahrrad. Shakespeares und Schillers in neuem Lichte zu Die Versöhnung der Eltern. Maßlose erblicken. Man hat wenigstens auf den Bänken Unterhaltung. Vorher ein trauriger Film ›Das vor Wagners ›Götterdämmerung‹, Goethes Unglück im Dock‹, nachher endlich lustiger ›Faust‹ und Shakespeares ›Hamlet‹, Nietzsches ›Endlich allein‹«.18 Ähnlich erlebte es Victor ›Erste Etappe der Heiligkeit‹ fünf Stunden sitzen Klemperer, der 1912 eine längere Abhandlung gelernt. Und nun kommt der Kinematograph (...) über das Kino publizierte. Ihm war »das Kino zu und redigiert die Entwicklung rückwärts«.14 einem größeren, anregenderen und unentbehr- Diese Argumentation implizierte, daß die für licheren Genuß [geworden], als es vordem das das Theater signifikante Wechselwirkung zwi- Theater gewesen« war.19 1920 beschrieb Carlo schen Zuschauerraum und Bühne sich während Mierendorf seine Erfahrungen mit dem Kino vor der Vorstellung auf eine weitgehend schwei- dem Ersten Weltkrieg wie folgt: »Das Kino war gende Rezeption reduzierte. Beifall oder Mißfal- ursprünglich die wildeste Erscheinung, der ele- lenskundgebungen beschränkten sich überwie- mentarste Durchbruch des Triebhaften im De- gend auf den Schlußapplaus. Im Theater vollzog mos (...). Teuflisch und hinreißend schwangen sich somit eine dem Übergang vom lauten zum die Films unserer Kindertage mächtig aus. Zwi- leisen Lesen analoge Entwicklung. Allerdings schen Bretterverschlägen im Dunkeln hingebo- erhielt das Theater in diesem Zusammenhang gen vor der Leinwand bebte unser Herz laut«.20 im Unterschied zum Lesen annähernd den Rang Das heißt, das Kino wie auch Teile des Theaters einer sakralen Stätte zugewiesen. Übersehen versuchten jeweils mit den ihnen zur Verfügung wurde aber, daß es auch oftmals beim Unterhal- stehenden Mitteln und in Konkurrenz zueinander tungstheater eine Verbindung von Gastronomie das sinnliche Unterhaltungsbedürfnis des zum und Theater gab. So war schon für das Teil gleichen Publikums zu befriedigen. Diese Sommertheater, das sich in der ersten Hälfte Situation führte zwangsläufig zu einem des 19. Jahrhunderts entwickelte, die Verdrängungswettbewerb zwischen Teilen der »geschäftliche Verbindung zwischen Gastwirt Bühnen und den Lichtspielhäusern. und Theaterunternehmer und damit die Drittens bemängelten die Kritiker die Inhalte Vereinigung materieller Gesichtspunkte mit der Filme: »Was der (sic!) Kino uns bisher an geistigem Anspruch« charakteristisch. Wie im ›Dramen‹, verfilmten Romanen und sonstigen frühen Kino war auch hier das Einakter- Hintertreppensensationen gebracht hat, ist min- Repertoire mit reinem Unterhaltungscharakter derwertiger Kitsch, der auf die rohesten und kennzeichnend für das theatralische primitivsten Instinkte der Massen wirkt. Die we- Unterhaltungsbedürfnis des sich etablierenden nigen Ausnahmen (...) bestätigen nur die Re- Bürgertums.15 Typisch für das Sommertheater gel«.21 Forderungen nach einer sich auf alle und zugleich Ausdruck des Publikumswillens Filme erstreckenden Filmzensur wurden Mühl-Benninghaus: Theater und Medien in Deutschland 107

deshalb vor allem aus den Reihen der Sprache, nur Äußerlichkeiten, nicht aber seeli- Kinoreformer laut. Auch der Ruf nach der sche Vorgänge im Stummfilm darstellen. Letzte- Filmzensur hatte sein Äquivalent in der re seien aber der eigentliche Gegenstand der Forderung nach einer Theaterzensur. So Kunst. Zugleich lasse die mechanische Repro- wurden z.B. Henrik Ibsens »Gespenster« eben- duzierbarkeit der Filmhandlung keinen Platz für so wie Gerhard Hauptmanns Stücke »Vor das Einmalige der Theateraufführung und sei Sonnenaufgang« und »Die Weber« wegen der damit keine Kunst. Diese Argumente zum Teil Zensur zunächst nur in geschlossen aufgreifend, versuchten die Bühnen vor allem Vorstellungen gespielt. Der ersten öffentlichen aus Konkurrenzgründen, wenn auch vergeblich, Vorführung des letztgenannten Dramas 1894 ihren Schauspielern die Mitwirkung in Filmen zu ging ein langer Prozeß gegen das Zensurverbot verbieten. Es wurde nicht nur unterstellt, daß voraus, weswegen Kaiser Wilhelm II. seinen alle zeitgleichen Theateraufführungen im Unter- Platz im Deutschen Theater kündigte. Ein ande- schied zum Kino Kunst im Verständnis der Re- res von vielen Beispielen ist Frank Wedekinds formbewegung seien, sondern auch, daß das »Frühlings Erwachen«. Das Stück blieb nach Kino diesen Anspruch erhob. Insbesondere das seiner Uraufführung 1906 für sechs Jahre von frühe Kinoprogramm setzte sich aus einer Viel- der Zensur verboten. zahl meist kurzer, inhaltlich sehr unterschiedli- Bereits die wenigen Beispiele verdeutlichen, cher Streifen zusammen. Schwänke, Possen, daß der Ruf nach der Zensur im Kino ebenso Naturaufnahmen, Leidenschaftsdramen, Tages- wie im Theater vor allem von »Entrüstungsaffek- ereignisse oder Verfolgungsjagden sahen die ten inspiriert«22 wurde, die mehr an Zuschauer für zehn bis 20 Pfennige, ohne sich Stimmungen und Gefühle appellierten als daß zuvor umkleiden oder nach bestimmten Zeiten sie klare Inhalte definierten. Typisch für die richten zu müssen. Jeder konnte kommen, wann jeweiligen Einwände war der Ruf nach dem er wollte, und wurde nach einer bestimmten Zeit Erhalt der »guten Sitten« und dem »Schutz der wieder herausgerufen. Dies bedeutete, daß ein Jugend« sowie die Verwendung der oppositio- Besucher, der den Anfang eines Films verpaßt nellen Begriffspaare, wie »gut - schlecht«, hatte, diesen, entsprechend dem Wiederho- »höherwertig - minderwertig«, »sittlich - unsitt- lungsprinzip, das die frühen Vorführungen kenn- lich« usw. Die mit der Zensur verbundenen indi- zeichnete, in der Regel am Schluß noch zu se- viduellen Leitvorstellungen entstammten dem hen bekam. Auf Grund der Vielzahl unterschied- moralischen Kunstverständnis des 19. Jahrhun- lichster Themen waren der jähe Sprung, die derts und standen damit jenseits der sozialen Überraschung, die wilde Bewegung, das bunte Wirklichkeit, wie sie sich bereits vor der Jahr- Mixtum unterschiedlichster Eindrücke, Träume hundertwende entwickelt hatte. So wurde weder und Sehnsüchte kennzeichnend für viele Kino- die zunehmende soziale Differenzierung der Ge- programme der Vorkriegszeit.23 Die kaleidosko- sellschaft mit ihren unterschiedlichen Bedürfnis- pische Vielfalt sowie »Massierung und Entspan- sen reflektiert noch die Freiheit künstlerischer nung« wurden demnach durch jeden einzelnen Aktivität im Rahmen eines marktorientierten Film und durch das Gesamtprogramm erzeugt. Kunst- und Kulturbetriebes anerkannt. Statt des- Unter diesen Bedingungen kam den Inhalten der sen setzte die Kinoreformbewegung wie auch einzelnen Streifen nur eine sehr untergeordnete die Theaterzensur auf soziale Kontrolle und Bedeutung zu. Bela Balázs etwa betonte: »Ein Verhaltenssteuerung, die eine Abwehrhaltung guter Film hat überhaupt keinen ›Inhalt‹. Denn gegenüber allem Neuen implizierte. er ist Kern und Schale mit einem Male«.24 In sich stringent kritisierten die Reformer vier- »Warum ein Held etwas tut, das hat oft keinen tens die räumliche Ausstattung der engen Vor- Sinn, aber wie er es tut, das hat Naturwärme. stadtkinos, in denen die Luft oft sehr schlecht Das Schicksal des Helden ist leer, aber seine sei, was den Kindern schaden könne. Von den Minuten sind reich gestaltet«.25 dort gezeigten Filmen befürchteten sie vor Ein Vergleich zwischen den Kino- und Thea- allem, daß die bei den Vorstellungen stets terprogrammen vor dem Ersten Weltkrieg zeigt, anwesenden Kinder unerlaubte, also mögli- daß die Vielfalt der Themen und Genres der cherweise sexuell anstößige Bilder sehen und Lichtspielhäuser auf der Bühne nicht darstellbar damit unsittliche Erfahrungen machen könnten. war. Die Dramaturgie der Vorführungen in den Unerwähnt blieb, daß in den engen Großstadt- Kinos stimmte eher mit den Vorstellungen in den siedlungen mit ihren Hinterhöfen sowie den un- Varietés und auf den sogenannten Tingeltangel- hygienischen und äußerst beengten Lebensbe- bühnen überein. dingungen Sexualität in all ihren Ausdrucksfor- Nicht zuletzt unter publizistischem Druck ver- men, die im Kino nur zum Teil und äußerst spar- änderten sich die Inhalte der Filme. Ihnen sam angedeutet wurden, zum festen Bestandteil gelang nur partiell die Anpassung an die des Alltags vieler Kinder gehörte. bürgerlichen Kunstvorstellungen. So gehörten Fünftens könnten nach Ansicht der Reformer neben Künstlern mit ihren neusten Schlagern die Schauspieler, abgesehen von der fehlenden aus den Revuen- und Operettenhäusern, die 108 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

teilweise vor Originalkulissen gefilmt wurden, das Theater ein Jahrmarktsulk bleiben konnte, sowie Couplets insbesondere mit Otto Reutter so wenig kann es die Lichtbildbühne. Wir sind und Robert Steidl, auch berühmte Opernarien auf dem Wege zur künstlerischen, zur zum Standardrepertoire der frühen kurzen dramatischen Kinematographie« und Tonbilder. Die thematische Auswahl der prophezeit: »Die Schaubühne und der Tonbild-Industrie, wie sich dieser Zweig der Kinematograph werden noch innige Freunde Kinematographie selbstbewußt nannte, werden«.27 orientierte sich vordergründig an den Reinhardt hatte für die Aufzeichnung von klassischen Inhalten des gehobenen Berliner »Sumurun«, wie die Zeitung kritisch bemerkte, Unterhaltungstheaters, das am Beginn des Jahr- nur »die achtzigste Besetzung« zur Verfügung hunderts zunehmend an internationaler Aus- gestellt. Danach änderte der Regisseur seine strahlung gewann und sichere Einnahmen ga- Einstellung zum Film. Zum einen wurden in den rantierte.26 Das Beispiel der Tonbilder erhellt folgenden Jahren noch mehrere seiner Inszenie- das frühe Verhältnis von Film und Theater. Von rungen verfilmt, für die die Branchenpresse un- Ausnahmen abgesehen, orientierte sich der ter dem Stichwort »Professor Max Reinhardt-Zy- Film, soweit er sich inhaltlich auf Bühnenstoffe klus« warb, zum anderen hatte diese Zusam- bezog, fast ausschließlich an den ver- menarbeit auch Einfluß auf seine Inszenierun- schiedenen Formen des Unterhaltungstheaters. gen. Die Theaterkritik vor dem Ersten Weltkrieg Im Unterschied zu den Tonbildern entwickelte charakterisierte die durch den Einbau der Dreh- der Spielfilm auf der Basis dieser Vorlagen bühne möglichen Verfolgungsjagden auf der eigene Dramaturgien und eine eigenständige Reinhardt-Bühne u.a. als »filmische Illusion«.28 Bildersprache. Insofern stellt die überwiegende Insofern begann in den frühen zehner Jahren Mehrheit der jeweiligen Textbearbeitungen eine jene Entwicklung, die bei Erwin Piscator ihren eigene künstlerische Ausdrucksform dar. Höhepunkt in den 20er Jahren erreichte: Teile Beim Übergang vom kurzen zum langen Film des Theaters änderten sich in der Auseinander- gab es mehrere Versuche, berühmte Bühnen- setzung mit der Kinematographie. aufführungen abzufilmen. Zu den ersten zählte Bereits 1908 hatte die Filmfirma Pathé nach 1910 »Sumurun« unter der Regie von Max dem Vorbild der »Société cinématographique Reinhardt. Die für die Frühzeit der Kinematogra- des auteurs et des gens de lettres« 120 deut- phie ausführliche Kritik des ›Berliner Tageblatts‹ sche Bühnen- und Romanschriftsteller sowie nimmt nach der Feststellung, daß »das Theater Pressevertreter in das Berliner Weinhaus Rhein- seine Staatsvisite beim Kientopp abgestattet« gold eingeladen, um sie mit Aussicht auf sehr habe, diese Gelegenheit auch wahr, um das hohe Gagen für die Mitarbeit an Filmmanuskrip- Verhältnis beider Seiten näher zu beleuchten. ten zu gewinnen. Obwohl 119 der Eingeladenen Die Unterschiede sah der Kritiker vor allem in erschienen,29 dauerte es in Deutschland noch den abweichenden Geschwindigkeiten, mit de- weitere drei bis vier Jahre bis eine Reihe von nen die Spielhandlungen inszeniert werden Autoren vermehrt Bühnenstoffe einzelnen müßten: »Was auf der Bühne rapide Schnellig- Filmplots zugrunde legte. Zu den bekanntesten keit ist, wird auf der Leinwand langweiliges Zö- und erfolgreichsten gehörte Max Macks »Der gern«. Außerdem verdeutlichte die Kritik, daß Andere« nach dem gleichnamigen Bühnenstück der Film mehr ist als Theaterpantomime, denn von Paul Lindau. Letzterer schrieb auch das er verlange nach einer ausgeprägten Mimik der Drehbuch, da die Bühnenfassung nicht ohne Schauspieler. Als weiteren Unterschied zwi- Bearbeitung filmisch umgesetzt werden konnte. schen Theater und Film beschrieb die Zeitung Der bekannte Bühnenschauspieler Albert denjenigen zwischen der Position des Zu- Bassermann, der in diesem Film die Hauptrolle schauers und der Kameraeinstellung. Im spielte, nannte nach den Dreharbeiten als Theater sehe der Zuschauer während der Vorzüge des Films im Vergleich zum Theater gesamten Vorstellung stets die Bühne und die vor allem die stärkere Bildhaftigkeit, die Ruhe in auf ihr agierenden Schauspieler aus der sich der Bewegung, im Gestus und in den nicht verändernden Perspektive seines Mundbewegungen. Alles müsse so arrangiert Sitzplatzes. Die Kamera könne eine ver- sein, daß der Zuschauer das Gefühl habe, daß gleichbare Position auf Dauer nicht einnehmen. auf der Leinwand Menschen handeln, »die sich Sie müsse, um ihr Publikum im Kino nicht zu genau wie im Leben ausdrücken«.30 langweilen, mit stets wechselnden Einstellungen Der Spielfilm »Der Andere« bildete auch den arbeiten. Schließlich müsse sich der stumme Anfang einer Reihe sogenannter Autorenfilme, Film im Unterschied zum Theater auf die die vor allem 1912/13 gedreht wurden. Sie ba- Darstellung einfacher Handlungsstränge be- sierten auf Stücken zeitgenössischer Bühnenau- schränken. Er könne nicht »die Orgie der toren und Dramaturgen, die nun auch von Film- Farbe« abbilden, die einen Reiz des abgefilmten firmen arrangiert wurden, wie Schnitzler, Reinhardtschen Bühnenstückes ausmache. Die Kahane, Lindau oder Hauptmann. Der Mehrzahl Kritik schließt mit dem Hinweis: »So wenig wie dieser Filme war an den Kinokassen kein Erfolg Mühl-Benninghaus: Theater und Medien in Deutschland 109

beschieden. Dennoch waren sie für die weitere dem technischen Niveau der Ausstrahlung und Entwicklung der deutschen Kinematographie in- des Empfangs. sofern von Bedeutung, als sie das wichtige Zu- Im zweiten Sendejahr nahm die Berliner sammenspiel zwischen der erzählerischen Funk-Stunde auch Opernübertragungen und Vision des Drehbuchautors und der visuell in- Sendespiele in ihr Angebot auf. Unter letzteren terpretierenden-inszenatorischen Phantasie des wurde das Verlesen von kompletten Bühnentex- Regisseurs verdeutlichen. In diesem Zusam- ten durch Schauspieler mit verteilten Rollen ver- menhang wurden nicht nur neue Filmthemen standen. Als erstes Sendespiel wurde unter der gefunden und eine Reihe neuer dramaturgischer Regie von Alfred Braun am 3. Januar 1925 Techniken entwickelt, sondern es bildete sich in »Wallensteins Lager« gesendet. (Zu diesem diesem Prozeß auch jene Arbeitsteilung inner- Zeitpunkt hatten die anderen deutschen Rund- halb der Filmproduktion heraus, die bis heute funkgesellschaften schon mehrfach Sendungen typisch geblieben ist. dieser Art ausgestrahlt.) Danach brachte die Vom Theater gingen in Form des Autoren- Berliner Rundfunkgesellschaft ein bis zwei Sen- films demnach wichtige Anstöße aus, die für die despiele pro Monat. In den Sommermonaten deutsche Filmentwicklung grundlegende Bedeu- stieg ihre Zahl auf vier bis sechs. Gleichzeitig tung gewannen. Es kann jedoch nicht überse- begannen auch Versuche einer thematischen hen werden, daß diese wenigen Filme untypisch Zuordnung, es entwickelte sich eine Art serieller für das Vorkriegskino blieben. Die Stoffe der Struktur der Sendespielauswahl. So hieß eine Mehrzahl der Filme, soweit sie sich am Theater Sendereihe: »Das Drama der letzten dreißig orientierten, gingen auf unterschiedliche Sparten Jahre«, eine andere: »Das Lustspiel bis Les- des Unterhaltungstheaters zurück. Gleichzeitig sing«. Volksstücke aus dem 19. Jahrhundert ging die Zahl der kleinen Tingeltangel- und und insbesondere die Berliner Lokalposse Vorstadtbühnen mit der Zunahme von wurden rein zahlenmäßig in den ersten drei Jah- Lichtspielhäusern stark zurück, weil das Kino die ren besonders bevorzugt. Nachdem an den dort vermittelte Unterhaltung in konzentrierterer »Bunten Abenden« oder in Sendungen wie Form für weniger Geld anbieten konnte. Im »Klassischer Humor« bereits auch satirische Zusammenhang von Theater und Kino ist Texte zu hören waren, meldete sich am 27. schließlich auch auf die Architektur zu September 1924 erstmals das »Kabarett zum verweisen. Alle frühen Kinobauten orientierten springenden Funkpunkt« auf der Berliner Sen- sich am Theater und übernahmen zugleich für defrequenz.33 die einzelnen Raumteile, zumindest soweit sie Wie bei den Sendespielen begannen auch der Öffentlichkeit zugänglich waren, die für das die Übertragungen aus den Musiktheatern mit Theater typischen Bezeichnungen.31 dem klassischen Kanon. So wurde in Berlin am 8. Oktober 1924 als erste Oper Mozarts »Zauberflöte« aus der Staatsoper Unter den Lin- Theater und Rundfunk den live ausgestrahlt; bis zum Sommer 1925 in den 20er Jahren folgten weitere elf Übertragungen. Opernsende- spiele, im Saal des Funkhauses teilweise unter Noch vor der offiziellen Eröffnung des Mitwirkung der Orchester von Staatsoper und Rundfunks in Deutschland am 29. Oktober 1923 Philharmonie produziert, wurden ebenfalls aus- hatte es bereits zu Versuchszwecken eine gestrahlt. Den Auftakt machte am 1. November drahtlose Übertragung von »Madame Butterfly« 1924 »Figaros Hochzeit«. Mit Lehárs »Frasqui- aus der Berliner Staatsoper gegeben. Musiksen- ta« am 18. Januar 1924 war nicht nur die erste dungen dominierten in den ersten Jahren das Operette, sondern das erste Stück aus einem Rundfunkprogramm, Wortsendungen fielen zu- Theater überhaupt im deutschen Rundfunk nächst kaum ins Gewicht. Am 3. November übertragen worden. Mit der »Fledermaus« am 1923 begann das künstlerische Wortprogramm 31. Dezember 1924 ging eine weitere Operet- mit der Rezitation eines Heinegedichtes, am En- tenübertragungen in den Äther. Als erstes Ora- de des Monats war die Kapuzinerpredigt aus torium konnte in Zusammenarbeit mit der Sing- »Wallensteins Lager« zu hören. Im Januar und akademie und dem Funk-Orchester in der März 1924 folgten drei Rezitationen aus Karwoche 1925 die »Johannes-Passion« produ- 34 Goethes »Faust«. Analog zur Frühzeit des Films ziert werden. Am Ende des Jahres startete Al- bot das künstlerische Wortprogramm der Funk- fred Braun den Versuch, auch die Revue »Für Stunde im ersten Sendejahr auch Ausschnitte Dich« aus dem Großen Schauspielhaus zu aus Dramen an, die zwischen musikalischen übertragen. Er selbst schilderte die einzelnen Darbietungen ohne inhaltlichen Zusammenhang Tanzszenen und Bilder, um den Hörern »das gestreut waren. Eine inhaltliche oder Verständnis der Handlung zu vermitteln«. Die künstlerisch-dramaturgische Gesamtstruktur der Kritik beschrieb seine Rolle als die eines erklä- Sendungen war nicht erkennbar.32 Die renden Verbindungsmannes zwischen dem Ge- 35 primitiven Anfänge des Programms entsprachen schehen auf der Bühne und den Zuhörern. Mit 110 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

Walter Kollos »Die tanzende Prinzessin« Theater, sondern implizierten die Aufforderung strahlte die Funk-Stunde wenige Tage später an die Bühnenregisseure, eigene unverwechsel- auch die erste Operette aus.36 Die anderen bare Dramaturgien zu suchen. Nur auf diese Rundfunkgesellschaften in Deutschland hatten Weise könnte das Theater auf Dauer seine ebenfalls Sendespiele in ihren Programmen, so Rolle neben Film und Rundfunk bewahren. der Mitteldeutsche Rundfunk, Leipzig, Einig waren sich die Kritiker auch darin, daß »Egmont« Ende August 1924. Über die Fre- auf eine einfache, in sich stringente Handlung quenz des Südwestdeutschen Rundfunks, mit möglichst wenigen Personen Wert zu legen Frankfurt am Main, war das erste vollständige sei. Auf diese Weise sollte den Zuhörern am Drama, das in Deutschland gesendet wurde, zu heimischen Empfangsgerät die Möglichkeit ge- hören: Rabindranath Tagores »Das Postamt«. geben werden, dem Geschehen leichter zu fol- Vorgelesen wurde es am 23. April 1924 von gen und die einzelnen Stimmen besser ausein- zwei Sprechern. Von April 1924 bis April 1926 anderzuhalten. Darüber hinaus sollten die Sen- strahlte der Rundfunk in Frankfurt etwa 100 despiele möglichst kurz sein, also eine Stunde weitere Sendespiele aus.37 Der Nordische nicht überschreiten. Auf Grund des niedrigen Rundfunk, in Hamburg, sendete im Januar 1926 technischen Standards der Aufnahme- und Wie- bereits die 50. Neueinstudierung.38 dergabetechnik wurde schließlich immer wieder Die am Beispiel des Berliner Programms ge- betont, daß sich die Anforderungen an die zeigte Breite der Theaterdramaturgien und sze- stimmlichen Qualitäten der Schauspieler im nischen Darstellungselemente, die für die übri- Rundfunk von denen der Bühnen unterschieden. gen Sendegesellschaften in gleicher Weise gilt, Deshalb sind nicht nur in den allgemeinen Aus- verdeutlicht, daß der Rundfunk sich um eine re- führungen zum Sendespiel, sondern auch in der lative Breite von Bühnendarstellungen bemühte. Rundfunkkritik immer wieder Hinweise auf die Damit wurden Dramenstoffe in einem bisher Schauspielerstimmen zu finden.45 Über diese nicht gekannten Umfang popularisiert. Allerdings Anregungen zur Dramaturgie und programmli- fanden Tabuverletzungen, die in der Theaterge- chen Gestaltung kamen die Autoren der einzel- schichte unter anderem mit Stücken des jungen nen Aufsätze in der Regel nicht hinaus. Brecht, des jungen Bronnen, von Hans Henny Trotz einer für die Zeitgenossen deutlich er- Jahnn oder dem schwarzen Expressionismus kennbaren Verbesserung der dramaturgischen verbunden sind, im Rundfunk nicht statt. Dies und ästhetischen Gestaltung der Sende- bzw. entsprach sowohl dem Selbstverständnis der Hörspiele, blieben eine Reihe ungelöster Pro- Rundfunks insgesamt als auch dem einer breite- bleme. Zu ihnen zählten die Sendezeiten, die in ren Öffentlichkeit. der Regel die als optimal anerkannte Zeit über- Den engen Zusammenhang von Theater und schritten. Außerdem fehlten konzeptionelle Vor- Rundfunk verdeutlichen auch enge personelle stellungen über das Hörspiel als eigenständige Verflechtungen. So wurden Herbert Ihering, ei- Kunstgattung. Unter diesen Umständen konsta- ner der bekanntesten Berliner Theaterkritiker, tierte ein Kritiker eine Programmkrise der Sen- zum Ersten Vorsitzenden des 1926 gegründeten despiele: »Wenn man das sprecherische Sen- Verbandes der Berliner Rundfunkkritiker ge- despielrepertoir der deutschen Sender genau wählt39 und Leopold Jessner,40 Berliner beobachtet, muß man feststellen, daß die ver- Theaterintendant und Regisseur, in den antwortlichen Dramaturgen und das Fähnlein ih- Kulturbeirat der Funk-Stunde berufen.41 Der rer namenlosen Helfer mit der Auffindung rund- Direktor der Funk-Stunde Friedrich G. Knöpfke funkgerechter Bühnenstücke ziemlich am Ende war seinerseits ehrenamtlicher künstlerischer ihrer Kunst sind, und daß sie diesen zwar ehren- Beirat des mecklenburgisch-strelitzschen vollen, aber darum nicht minder folgenschweren 42 Bankrott mehr oder minder geschickt durch aka- Landestheaters. 46 Zeitgleich mit den ersten in Deutschland aus- demische Zyklen zu verdecken suchen«. Er gestrahlten Sendespielen begann in der Rund- forderte deshalb die Entwicklung einer eigen- funkpresse eine mehrjährige Diskussion über ständigen Rundfunkliteratur. Trotz dieser pessimistischen Einschätzung dieses Genre und seine Spezifik.43 Trotz Diffe- am Ende des Jahres 1926 gab es eine Reihe renzen stimmten die Diskutanten darin überein, praktischer Versuche zur Weiterentwicklung des daß »die bisher höchste und universalste Hörspiels. Zu ihnen zählte der von Alfred Braun Kunstform der Menschheit: das Theater, das in und dem Filmregisseur Richard Oswald produ- unseren Tagen durch die Schwerfälligkeit seines zierte »akustische Film«: »Der tönende Stein«, Mechanismus und die Abgebrauchtheit seiner der am 6. März 1926 gesendet wurde. Unter Motive und dramatischen Technik vielen als un- Ausnutzung des für den Tonfilm entwickelten zeitgemäß erscheint, (...) sich zwecks leichterer Tri-Ergon-Verfahrens war es mit dieser Technik und breiterer Mittelbarkeit vorläufig in das Film- möglich geworden, Hörspiele vorzuproduzieren stück und das Hörstück gespalten« hat.44 Diese und zu schneiden. Damit verbesserten sich ei- oder vergleichbare Äußerungen bedeuteten nerseits die akustischen Möglichkeiten, anderer- keine generelle Absage an das institutionelle Mühl-Benninghaus: Theater und Medien in Deutschland 111

seits konnten aufgezeichnete Produktionen be- Mikrofon ihre materielle Existenzgrundlage zu liebig im Programm eingesetzt werden. Inhaltlich verbessern.51 Anders als das frühe Kino, in dem setzte vor allem Arnolt Bronnen mit seiner Bear- viele Zeitgenossen einen Konkurrenten zum beitung von »Wallensteins Lager«, für die Gui- Theater sahen, wurde der Rundfunk vom seppe Becce die Musik komponierte, neue Ak- Theater überwiegend52 als wichtige Ergänzung zente. Bronnen strich z.B. alle Max-Thekla-Sze- zur eigenen Tätigkeit betrachtet.53 Nicht zu nen und ließ auch die Figur des Ansagers erst- übersehen ist schließlich, daß Stücke von mals als dramaturgisch gerechtfertigte Person Autoren des 20. Jahrhunderts, unter ihnen erscheinen. Die am 10. Februar 1927 ausge- Brecht, Bronnen und Döblin, am Ende der 20er strahlte 75minütige Trilogie stellte den ersten und zu Beginn der 30er Jahre bevorzugt vom erfolgreichen Versuch dar, ein klassisches Stück Rundfunk gesendet wurden. Damit verbesserte in Form eines literarischen Hörspiels in einer der Rundfunk nicht nur den Lebensunterhalt der dem Rundfunk angepaßten Form zu inszenie- Schriftsteller, sondern er trug auch zur ren.47 Mit dem »Wallenstein« schuf Bronnen zu- Popularisierung moderner Stücke bei, die weit gleich entscheidende Voraussetzungen für eine über den bis dahin üblichen Rahmen tradi- weitere eigenständige Hörspielentwicklung, die tioneller Theateraufführungen hinausging. Inso- eine endgültige Emanzipation dieses Genres fern bildeten die am Theater orientierten Sen- und damit des Mediums vom Theater implizier- dungen ein wesentliches Element für die zuneh- ten. Dies bedeutete auch, daß der bis zu diesem mende Akzeptanz des Rundfunk. Zudem wiesen Zeitpunkt übliche und danach immer seltener 1930 neu eingerichtete theaterkritische Sendun- bei Sendespielen genutzte Erklärer, »der analog gen auf wichtige Aufführungen innerhalb der je- den Erklärern im alten Kintopp die Vermittlung weiligen Sendegebiete hin. Durch die Über- von Spiel und Publikum herzugeben hatte, (...) nahme von Aufführungen leistete der Rundfunk endgültig in die Rumpelkammer der Sender schließlich auch einen wichtigen Beitrag zur fi- wanderte«.48 Anders verlief die Entwicklung bei nanziellen Existenzsicherung der Theater.54 Opernübertragungen oder Sendungen von Als das Radio, bedingt durch die Lautspre- Opernquerschnitten. Bei ersteren wurde in chertechnik ab Ende der 20er Jahre, zuneh- Übertragungspausen der Inhalt des folgenden mend zu einem Sekundärmedium wurde, ver- Aktes vorgelesen, bei letzteren teilweise sehr schwanden die teilweise mehrstündigen ausführlich die jeweiligen Handlungsabschnitte. Theatersendungen aus dem Programm. An ihre Insofern kann von einer künstlerisch und Stelle trat das wesentlich kürzere Hörspiel, das dramaturgisch eigenständigen sich mittlerweile als eigene, dem Rundfunk Musiktheatertradition im Rundfunk bis zum adäquate Kunstgattung durchgesetzt hatte. Beginn der 30er Jahre nicht gesprochen Dennoch blieben auf Grund des am elitären werden.49 Kulturbetrieb orientierten Selbstverständnisses Die deutlich erkennbare Anlehnung des vieler Rundfunkredakteure auch nach 1930 künstlerischen Wort- und des Musikprogramms Theatertexte aufgreifende Hörspiele und klas- an das Theater in den Anfangsjahren des sische Theateraufführungen, wenn auch nur Rundfunks war mehreren Faktoren geschuldet. noch in geringerem Umfang, ein fester Pro- Das Theater spielte eine bedeutende Rolle in grammbestandteil. der Hierarchie der Künste und gehörte damit zum Bildungskanon, den der Rundfunk vermitteln sollte. Dieser bildungsbürgerliche Theater und Tonfilm Konsens, der vor allem auch in den Anfang der 30er Jahre Literatursendungen und Leseabenden zum

Tragen kam, korrespondierte mit der finanziellen Orientierten sich die Tonbilder vor 1914 vor al- Situation der potentiellen Rundfunkhörer. Die lem am Berliner Unterhaltungstheater, so nach der Rundfunkeröffnung zunächst noch setzten die Erfinder des Lichttonverfahrens teuren Empfangsgeräte konnten von den unte- diese Tradition insofern fort, als in der ersten ren sozialen Schichten nur in Ausnahmefällen Tonfilmvorführung im September 1922 in Berlin erworben werden. Dem entsprachen die teil- auch ein kurzes Bühnenstück zu sehen war. weise elitären Rundfunkprogramme, die den kul- Kritiker, die in der Zeit der Tonfilmexperimente turellen Interessen der anfangs nur wenigen und über den zukünftigen Einsatz des Mediums den oberen sozialen Schichten zuzuordnenden 50 nachdachten, schlossen überwiegend eine Hörern entgegenkamen. Die Rund- völlige Umstellung des stummen Films auf den funkgesellschaften, angesiedelt in Städten mit Tonfilm aus. Eine wichtige Einsatzmöglichkeit renommierten Theatern, konnten auf das inhalt- des neuen Mediums sahen sie hingegen im liche und personelle Potential der Bühnen zur Abfilmen von Theater- und Opernaufführungen, Senkung der Produktionskosten zurückgreifen. die auf diese Weise, auch in Kleinstädten und Schauspielern hingegen bot sich die Dörfern zu sehen wären.55 Möglichkeit, durch die Arbeit hinter dem 112 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

Nach dem Erfolg der ersten Tonfilme in den des Ortes, hier also Paris, New York, Wien, die USA fielen in Deutschland alle wichtigen Ent- Großbank, das Luxushotel, einfangen und durch scheidungen zur Umstellung der Filmproduktion das Auge und das Ohr leichter, flüssiger, auf Tonfilm in der zweiten Hälfte des Jahres intensiver und abwechslungsreicher vermitteln, 1928. Ein Jahr später waren alle notwendigen als es die Bühne vermag«.59 Anders technischen Voraussetzungen geschaffen, um ausgedrückt: Das Mikrophon muß sich dem die ersten abendfüllenden Tonfilme zu produzie- filmischen Geschehen unterordnen, da das in ren. Der Tonfilm stellte völlig neue dramaturgi- sich geschlossene Bühnenstück durch die Bunt- sche Anforderungen an den Filmstoff. Da man heit filmischer Handlungen aufgelöst wird. sich Stoffe im Umgang mit dem neuen Medium An diesem Punkt wird auch der wesentliche Tonfilm erst erarbeiten mußte, griffen besonders Unterschied in der Bearbeitung von Theater- von 1930 bis 1932 viele Produzenten vor allem stücken durch den Tonfilm und den Rundfunk auf Theater- bzw. Operettenstücke zurück oder deutlich. Der Tonfilm ist gezwungen, die jewei- variierten die bereits vor allem auf den Berliner lige Handlung mit einer bezwingenden Leben- Bühnen erfolgreichen und bewährten Sujets. Al- digkeit von Bildern zu gestalten. Dieser hat sich lein in den ersten zwei Tonfilmjahren lassen sich die Tonaufnahme in der Regel weitgehend un- an Hand übereinstimmender Titel 25 Berliner terzuordnen. Beim Hörspiel sind dagegen Bühnenstücke benennen, die zur gleichen Zeit Handlungen nur über den Ton rezipierbar, was im Theater und in den Kinos gezeigt wurden. überwiegend zu einer deutlichen Straffung des Dabei stellte sich allerdings sehr schnell heraus, Geschehens beiträgt. daß, ähnlich wie bei der ersten Verfilmung eines Wie auch während der Zeit des Stummfilms Theaterstücks der Reinhardt-Bühne, auch beim wählten die Filmproduzenten nach 1930 fast Tonfilm ein bloßes Abfilmen der Bühnenhand- ausschließlich populäre Theatervorlagen. Das lung bei den meisten Zuschauern auf keine sozialkritische Bühnenstück »Cyankali« Fried- positive Resonanz stieß.56 rich Wolfs, auf dem der noch als Stummfilm konzipierte gleichnamige Film basierte, blieb die Ausnahme. Gleichzeitig handelt es sich hier um Anteil von Theaterstoffen und Literatur einen typischen Film des Übergangs: Der an der Filmproduktion (1929-1932)57 gesamte Film ist stumm, lediglich die Schluß- szene wurde nachträglich mit Musik vertont. Obwohl sich die Stoffe für den Film der Vor- Jahr 1929 1930 1931 1932 kriegszeit und am Beginn der Weltwirtschafts- Romane 2 5 17 15 krise am zeitgenössischen Unterhaltungstheater Novellen - 1 3 3 orientierten, hatten sie doch jeweils andere Schauspiele - 5 11 4 Funktionen, die auch die veränderte soziale Lustspiele - 5 21 21 Stellung des Mediums Films verdeutlichen. Mit Operetten - 5 6 3 Hilfe der sogenannten Autorenfilme versuchte Gesamt 8 101 142 132 sich das deutsche Kino vor 1913 als neues selb- ständiges Medium auch für den Mittelstand zu Bei der Bearbeitung von Theaterstücken für den etablieren. Auf diesem Weg sahen die Produ- Film entfiel vor allem die oft langwierige Stoffin- zenten in Rückgriffen auf Bühnenstücke und be- dung.58 Unter dem Zeichen einer verschärften kannte Theaterautoren eine Möglichkeit, vor al- Filmzensur zu Beginn der Weltwirtschaftskrise lem den Vorwürfen gegen dramatische Darstel- belastete dieses Problem alle deutschen Pro- lungen im Kino zu begegnen. Nach Einführung duktionsfirmen erheblich. Zugleich verminderte des Tonfilms dienten Bühnenvorlagen dagegen sich das Produktionsrisiko, da rasch deutlich häufig nur dazu, das durch die technischen Ver- wurde, daß mit erfolgreichen änderungen hervorgerufene Defizit bei für den Theateraufführungen in der Regel auch hohe Tonfilm geeigneten Filmstoffen zu überbrücken 60 Einnahmen an den Kinokassen zu erzielen bzw. Eingriffen der Zensur vorzubeugen. waren. Das zeitgenössische Verständnis von Stimmen, die darauf abzielten, mit Hilfe von der jeweiligen Medienspezifik beschrieb ein Filmen »den Anspruch des Publikums zu kritischer Beobachter im Zusammenhang mit erhöhen und seinen Geschmack zu verfeinern«, der Uraufführung der Verfilmung von Fodors blieben Ende der 20er Jahre die Ausnahme,61 Lustspiel »Arm wie eine Kirchenmaus«: »Die fil- während vor 1914 diese Forderung eine der mische Bearbeitung hat dort einzusetzen, wo tragenden Säulen der Reformbewegung war. die bewegliche Kamera, die kontinuierliche Die am Theater orientierte Kinoarchitektur Bildfolge des Films die Raumgrenzen der Bilder hatte vor dem Ersten Weltkrieg wesentlich zur sprengt. Was auf der Bühne der Dialog an sozialen Akzeptanz des Films beigetragen, weil Handlung hinter der Bühne, zwischen den Akten dadurch vermehrt auch die Angehörigen des verrät, muß der Film zeigen, bildlich nahe- Mittelstandes angesprochen wurden. Die neuen bringen. Er muß darüber hinaus die Atmosphäre Zuschauersäle implizierten eine weitgehende Mühl-Benninghaus: Theater und Medien in Deutschland 113

Trennung zwischen Gastronomie und Vorfüh- geschuldet, daß »durch den Mißbrauch der rung. Nach 1929 glich sich das Rezeptionsver- modernen Publikationsmittel« das Volk »große halten von Kino und Theater noch weiter an: In Schäden (...) erleiden kann«.66 Positiv der Stummfilmzeit waren Gefühlsäußerungen in ausgedrückt bedeutete dies: »Es muß immer den Kinos noch die Regel. Nun zwang der Ton - wieder daran erinnert werden, daß die Fülle der als Prozeß betrachtet - zum Zuhören.62 Damit Bilder (...) stellvertretend geworden ist, ei- nahm in den Lichtspielhäusern eine Entwicklung nerseits für die menschen- und geschmacksbil- ihren Anfang, die sich analog in den denden Funktionen (...) und daß sie Sprechtheatern bereits im 19. Jahrhundert andererseits das unmittelbare Vorbild vollzogen hatte: Das Publikum »legte sich ersetzt«.67 Diese und weitere ähnliche Bemer- straffere Zügel« an. Vor allem in den kungen von Verantwortlichen in den Rundfunk- Großstädten trat an die Stelle der alten Sponta- anstalten verdeutlicht die noch vorhandene Do- neität die »disziplinierende Stille«,63 als auf minanz von Volksbildungsideen der 20er Jahre, Grund des Tones die bis dahin üblichen Gesprä- die teilweise ungebrochen für das Fernsehen in che während der Vorführungen verstummten, al- den 50er Jahren übernommen werden sollten so die gleiche Situation eintrat, wie sie sich in und auch wurden. Teilen des Theaters am Ende des 19. Jahrhun- Unter dieser Voraussetzung räumte die am derts vollzogen hatte. Rundfunk der Weimarer Republik orientierte Die überwiegende Mehrheit der deutschen Vorstellung für das frühe Fernsehen dem Schauspieler, die für den Stummfilm arbeiteten, »Theater als im Kern bildungsbürgerliche Insti- waren auch an Theatern regelmäßig engagiert. tution, die versprach, Kunstwerke von hohem, Da dort auf eine Sprachausbildung Wert gelegt zeitlosem Wert zu vermitteln, einen herausra- wurde, konnten in Deutschland die meisten genden Platz« ein.68 Diese Tatsache verdeut- Künstler im Tonfilm weiter beschäftigt werden. lichte bereits 1951 die Eröffnung des Versuchs- Diese Kontinuität stand im Gegensatz zur zeit- programm mit dem »Vorspiel auf dem Theater« gleichen Entwicklung in Hollywood, wo eine aus Goethes »Faust«. Mit der vom Nordwest- Vielzahl von Schauspielerkarrieren bei Beginn deutschen Rundfunk ausgestrahlten Bühnen- des Tonfilms abrupt endeten und vom New inszenierung von Shakespeare »Was Ihr wollt« Yorker Broadway eine neue Filmschauspieler- wurde im November 1954 der reguläre Sen- generation an die Westküste der Vereinigten debetrieb eingeleitet. Noch in derselben Woche Staaten kam. stellten sich der Bayrische Rundfunk mit der Mozart-Oper »Die Gärtnerin der Liebe« und der Süddeutsche Rundfunk mit dem Schauspiel von Theater und Fernsehen nach 1945 André Obey »Ein Opfer für den Wind« erstmals dem Zuschauer vor. Alle drei Stücke wurden in West den jeweiligen Sendestudios produziert und wie fast alle Fernsehsendungen der ersten Jahre Unmittelbar vor dem ersten Sendetag des Deut- live gesendet. Neben diesen vielfältigen schen Fernsehens am 1. November 1954 erklär- Eigenproduktionen nach Bühnenvorlagen te der Intendant des Südwestfunks, Friedrich Bi- klassischer und moderner Provenienz strahlte schoff: »Gefährlich wäre eine solche Tendenz, allein das Deutsche Fernsehen in den ersten die die Vorstellung, welche man von einem klar zehn Jahren seines Bestehens 239 Büh- gegliederten, wirklich fernseh-künstlerischen neninszenierungen sowie eine Vielzahl von und fernseh-aktuell durchgeführten Programm Opern aus. Inhaltlich dominierten bei den hat, unterbietet durch ein Schielen nach dem Sprechbühnen mit 186 Sendungen die sogenannten billigsten Publikumsgeschmack. Komödien. Im gleichen Zeitraum wurden dage- Es kommt entscheidend darauf an, bei allen gen nur 49 Dramen übertragen.69 Neben Bemühungen um eine wirkliche, echte Shakespeare, Schiller und Anouilh, die am häu- Fernsehunterhaltung dieses Programm, das das figsten inszeniert wurden, setzten Fernsehbear- Bild der Welt und das Bild der Kunst in die beitungen von Stücken Sartres, Dürrenmatts, Familie strahlt, von hohem Anspruch her zu Becketts und einiger antiker Autoren wichtige formen, und auch einer Diskussion, ob das Akzente. Zu den beliebtesten Sendungen des richtig ist, nicht aus dem Wege zu gehen«.64 Publikums zählten allerdings Übertragungen aus Die sich gegen »die Diktatur des Massenge- den Volkstheatern.70 schmacks« wendende Vorstellung vom Typisch für alle diese Sendungen war ihr Programmauftrag des Fernsehens entsprach Kammerspielcharakter,71 denn der relativ kleine auch der Vorstellung von der »Möglichkeit einer Bildschirm erlaubte nicht, größere Handlungs- unmerklichen und vorsichtigen Lenkung bzw. räume und die dort Agierenden zu zeigen. Diese Beeinflussung des Publikums«.65 Die dem technische Einschränkung gebot eine Konzen- »Zeitgeist« der 50er Jahre entsprechende tration der jeweiligen Handlung auf nur wenige Äußerung Bischoffs war vor allen den Ängsten Personen, die sich relativ wenig bewegten.72 Mit 114 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

der Hervorhebung einzelner Körperteile und ins- Ost besondere der Gesichter versuchten sie, die je- weiligen »seelischen Vorgänge« optisch umzu- Wenn das Programm des Deutsche Fernseh- setzen. Anders ausgedrückt: Mit Hilfe der Ka- funks (DFF) in Ost-Berlin auch nicht mit einem mera konnten wichtige dramatische Höhepunkte Bühnenstück eröffnet wurde, so dominierten wie stärker ins Bild gesetzt werden, als dies im im Westen in den ersten Jahren Bühnenstücke. Theater möglich war und ist. Das Bühnenbild Zu den ersten zählten zwei Filmaufnahmen von durfte nur mit einer sehr sparsamen Dekoration Inszenierungen aus der Volksbühne, »Die Spie- ausgestattet sein, da jede andere Gestaltung ler« von Gogol, die am 16. Januar 1953 und des Handlungsraumes störend wirkte. Die »Der Bär« von Èehov, der am 18. März 1953 Berücksichtigung dieser Einschränkungen führte gesendet wurden. Eine der ersten Eigenproduk- auch zu einer wesentlichen Straffung der tionen des Fernsehstudios in Berlin-Adlershof Handlungen, da wie beim Sendespiel sehr war »Der hessische Landbote« von Büchner, schnell deutlich wurde, daß die Übertragung von ausgestrahlt am 9. Mai 1953. Aus dem Deut- Bühnenstücken unter zwei Stunden bleiben schen Theater wurde am 26. April 1953 als er- mußte, um den Zuschauer nicht zu ermüden. stes Schauspiel Stemmlers »Prozeß Wedding« Trotz dieser Einschränkungen zeigten die direkt übertragen, als erste Oper folgte am 30. praktischen Ergebnisse, daß anders als im August 1953 - aus Anlaß der Leipziger Herbst- Theater von Anfang an die Möglichkeit bestand, messe - »Boris Godunov« von Musorgskij. Au- im Studio eine Vielzahl unterschiedlicher Orte ßerdem gehörten kurze Darstellungen von Tän- aufzubauen, so daß die auf der Bühne zen, Ballettaufführungen und Szenenausschnit- auftretenden räumlichen Einschränkungen beim ten wie das am 27. Dezember 1952 ausge- Fernsehen teilweise entfielen. strahlte »Fernsehkarussell« dazu.73 Die technischen Beschränkungen des Medi- Neben Eigenproduktionen wurden vor allem ums reduzierten nicht nur die inhaltliche Vielfalt, Stücke gesendet, die bereits auf DDR-Bühnen sondern auch die Breite der Darstellungsformen. liefen. Das jeweilige Ensemble fuhr nach Berlin- Bei Studioopern mußte in der Regel mit play- Adlershof und spielte im Studio vor der Kamera. back-Verfahren gearbeitet werden, da die Auf- Danach wurden die jeweiligen Stücke für das nahme großer Orchester im Studio akustische Fernsehen bearbeitet, »optisch unvorteilhafte und technische Probleme bereitete. Außerdem Passagen« gestrichen, das Tempo der stellte sich bei den ersten Übertragungen her- Handlung damit gegenüber der Bühne zu- aus, daß Pantomime-, Ballett- und Varietéauf- sätzlich gestrafft sowie Ton und Gestik führungen sowie das Marionettentheater sich entsprechend den Fernsehbedingungen verän- nur sehr bedingt für die Fernsehübertragung dert. »Die Wirkung lebt hier vom ganz leisen eigneten. Die einen benötigten für ihre Darstel- Ton, der sparsamen Geste, der äußerst lung eine gewisse räumliche Tiefe, die wegen zurückgenommenen Mimik«.74 »Der in- des geringen Bildausschnittes kaum zu erzielen teressanteste Schauplatz des Fernsehspiels ist war. Bei den anderen wirkten die Fäden das menschliche Gesicht. Stellen wir beim Film während der Großaufnahme sehr störend. eine Erweiterung des Spannungsfeldes nach Die seit 1963 nach dem Start des zweiten außen fest, kommt es beim Fernsehspiel auf ei- Fernsehprogramms stark ansteigende ne verdichtete Gestaltung des Wesentlichen an. Sendezeit wurde vermehrt mit Spielfilmen und Fabel und Gestaltung der Aussage müssen kon- unterhaltenden Fernsehspielen gefüllt. Das sequent durchgeführt sein. Jedes Abweichen Fernsehen fand zu einer eigenen Bildersprache auf Nebenhandlungen - zumal wenn sie und erzählte eigene Geschichten. Ab den 70er dramaturgisch unzulänglich sind -, jedes Zuviel Jahren veränderte sich das Verhältnis von an Themen und Aussageabsichten muß sich Theater und Medien grundlegend. Es begann noch mehr als auf der Bühne unbedingt zum eine völlig neue, bis heute anhaltende Nachteil auswirken«.75 In einer Kritik zur Entwicklung. Die Fernsehprogramme wurden Übertragung des Balletts »Coppelia« von Leo durch eine deutliche Zunahme von fiktional Delibes heißt es: »Es ist sehr kompliziert, klar unterhaltenden Spielfilmen und Serien geprägt. und zugleich nuanciert im treffsicheren Wechsel Gleichzeitig nutzten auch jenseits des Avant- zwischen Totale und Detail mit der Kamera die gardetheaters immer mehr Theaterin- Charakterisierungsweise des Tanzes zu szenierungen das Fernsehen, indem sie dessen erfassen. Nie wird es ganz ohne Opfer an Techniken und Dramaturgien übernahmen bzw. tänzerisch-ästhetischen Werten abgehen. Das bloßstellten. Unter den Bedingungen des Ne- ist schon in der Kleinheit des Bildes, im Fehlen beneinanderbestehens von öffentlich- des für den Tanz so wichtigen Raumerlebnisses rechtlichem und kommerziellem Fernsehen und auch der Farbwirkungen begründet«.76 verschwanden Theaterproduktionen bis auf Immer wieder wurde auf die technischen wenige Ausnahmen Ende der 80er Jahre fast Rahmenbedingungen hingewiesen. In Ost- völlig aus den Hauptprogrammen. deutschland waren es die gleichen dramaturgi-

Mühl-Benninghaus: Theater und Medien in Deutschland 115

schen und Regieanweisungen, auf die die Kriti- ausgestrahlter Bestandteil des DDR-Fernseh- ker des westdeutschen Fernsehens programms. Gleiches gilt auch für Übertragun- aufmerksam gemacht hatten. Diese Aspekte gen aus den Theatern der Republik. hoben auch Betrachtungen zur Regie des Wie das West-Fernsehen tendierte auch das Fernsehspiels hervor: »Die Kamera des Fernsehen der DDR - wenn auch nicht in dieser Fernsehens rückt (...) dem Darsteller buch- Konsequenz - in den 70er und 80er Jahren zu stäblich auf den Leib, so daß von diesem nicht mehr Spielfilmen und Serien, zu nur keinerlei Überhöhung seiner Aus- Fiktionalisierung und Boulevardisierung mit drucksmittel, sondern im Gegenteil eine einer Orientierung an Spektakelrealitäten. Um Vereinfachung, Verminderung und ein ›Wegneh- sich von dieser Tendenz abzugrenzen, profilier- men‹ bis zur letzten wahrnehmbaren Möglichkeit ten sich einige Theater in beiden deutschen verlangt wird, ohne daß seine innere Spannkraft Staaten als wichtige Orte medienkritischer Aus- nachlassen oder die Variation seines Ausdrucks einandersetzungen. Umgekehrt knüpften die darunter leiden darf. Der Fortfall äußerlicher großen Unterhaltungstheater der 80er und 90er Wirkungsmittel muß durch innere Konzentration Jahren mit sehr aufwendigen en suite- ersetzt werden. Die Arbeit am Schauspieler ist Produktionen an die mit dem Fernsehen verbun- ähnlich wie in der Bühnenregie, nur noch intimer dene Rezeptionsgewohnheiten des Publikums und differenzierter. Jedes komödiantische oder an und berücksichtigen diese in ihren Inszenie- routinierte ›Lügen‹, jede äußerliche, unwahre rungen. Pathetik wird von der Kamera schonungslos de- maskiert«.77 Ein Vergleich von West- und Ost-Fernsehen Anmerkungen zeigt, daß die Programme in den ersten Jahren versuchten, ein möglichst breites inhaltliches 1 Oscar Geller: Kino und Pantomime. In: Bühne und Angebot an Bühnenstücken zu bringen. In der Welt Jg. 15 (1913), S. 292. frühen Bundesrepublik scheiterte dies oft an den 2 herrschenden »Vorstellungen von einer Oskar Messter: Mein Weg mit dem Film. Berlin gesollten Hegemonie des Geistes« als »ein 1936, S. 139. Ansatzpunkt der Erneuerung - und eines neuen 3 Corinna Müller: Frühe deutsche Kinematographie. Wertungsmutes, der sich notfalls auch gegen Formale, wirtschaftliche und kulturelle Entwick- die communis opinio der Menge durchsetzt«. lungen. Stuttgart/Weimar 1994, S. 12. Davon abgeleitet habe das Fernsehen der 4 »sittlichen Person zu dienen. (...) Von dem André Gaudreault: Theatralität, Narrativität und »Trickästhetik«. Eine Neubewertung der Filme von ethischen Aspekt kann hier durchaus nicht Georges Méliès. In: Kintop 2. Jahrbuch zur Abstand genommen werden; selbstzweckliche Erforschung des frühen Films. Frankfurt am Main Produktion welcher Art auch immer, l'art pour 1993, S. 33. l'art und bloße Sensation, von der Nachricht bis 5 zum Theaterstück, hat das Fernsehen kein Dieser Aspekt wird auch durch den Auftritt der Recht«.78 Dem Fernsehen wurde eben die Rolle Künstler in den Filmen unterstrichen: Einige Spielhandlungen werden mit der Verbeugung der eines Volkserziehers zugewiesen. Ähnlich lag Mimen vor dem imaginären Publikum eingeleitet. die Situation in der DDR. Mit der zunehmenden Auch die meist auf Bühnen installierten Dekors Verbreitung des Fernsehens wurden selbst rela- sind in der Regel so gestaltet, daß über ihre tiv harmlose Abweichungen von den alles be- Künstlichkeit kein Zweifel aufkommen kann. stimmenden Forderungen nach der Durchset- 6 zung des sozialistischen Realismus’ in den dar- Thomas Nipperdey kennzeichnet mit diesem Be- stellenden Künsten kritisiert. So hieß es nach griff vor allem Lehrer, etablierte Künstler, Theolo- gen und Professoren. In: Thomas Nipperdey: der Ausstrahlung zweier Schwänke: »Die Thea- Deutsche Geschichte 1866-1918. Bd. 1: Arbeits- ter sind seit Jahren systematisch bemüht, be- welt und Bürgergeist. München 1991, S. 817. reits von der Spielplangestaltung her die Prinzi- pien unserer Kulturpolitik zu verwirklichen. Be- 7 Im Oktober 1907 wurde in Berlin die Kinoreform- reits vor Jahren wurden Werke, die das Bild des bewegung gegründet. Menschen verzerrt widerspiegeln, mit Recht von 8 Vgl. u.a.: Kino und Theater. In: Licht-Bildbühne den Spielplänen verbannt. Das Fernsehen fällt (LBB) Jg. 18 (1925), Nr. 39, S. 14f. dieser zielstrebigen Arbeit des Theaters in den Rücken, wenn es solche Werke jetzt wieder her- 9 Vgl. u.a.: Anton Kaes: Kino-Debatte. Texte zum vorholt«.79 Verhältnis von Literatur und Film 1909-1929. Im Unterschied zur Bundesrepublik blieb das München/Tübingen 1978. Jörg Schweinitz (Hrsg.): Prolog vor dem Film. Nachdenken über ein neues in der künstlichen Studioatmosphäre produzierte Medium 1909-1914. Leipzig 1992. Fernsehspiel, für das auch immer wieder Büh- nenstücke als Stoffgrundlage herangezogen 10 Müller (wie Anm. 3), S. 213ff. wurden, ein fester, wenn auch immer seltener 116 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

11 Egon Friedell: Prolog vor dem Film. In: Blätter des 30 Albert Bassermann: Wie ich mich im Film sehe. In: Deutschen Theaters Jg. 2 (1913), Nr. 32, S. 508ff. LBB Jg. 6 (1913), Nr. 5, S. 26.

12 Ludwig Levin: Zur Kinofrage II. Berliner Theater 31 Vgl. u.a.: Das achte Berliner U[nion].T[heater]. und und Kino. In: Die Szene Jg. 2 (1912), H. 3, S. 46. Professor Max Reinhardt. In: LBB Jg. 6 (1913), Nr. 41, S. 24. Allgemein: Rolf-Peter Baake: 13 Vgl. u.a. Robert Walser: Kino. In: Ders.: Prosa- Lichtspielhausarchitektur in Deutschland. Von der stücke I. Berlin 1978, S. 221f. Schaubude bis zum Kinopalast. Berlin 1982. 14 Heinrich Stümcke: Kinematograph und Theater. 32 Vgl. Kurt Pinthus: Die Dichtung. In: Funkstunde In: Bühne und Welt Jg. 14 (1912), S. 92 AG (Hrsg.): Drei Jahre Berliner Rundfunkdarbie- tungen. Ein Rückblick 1923-1926. Berlin o.J., S. 15 Wolfgang Peters: Berliner Sommertheater. Von 34ff. ihren Anfängen bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts (1848). Ein Beitrag zur Theatergeschichte . 33 Karl Wilczynski: Das erste Berliner Rundfunkkaba- Berlin (Diss.) 1944, S. IV. Vgl. auch: W. Wohlbe- rett. »Kabarett zum springenden Funkpunkt«. In: redt: Das Vergnügungsprogramm von Alt-Berlin. Der Deutsche Rundfunk Jg. 2 (1924), H. 38, S. In: Bühne und Welt Jg. 12 (1909), S. 414ff. 2159. 16 Walter Turszinsky: Berliner Theater. In: Hans Ott- 34 Rudolf Lothar: Die Musik. In: Funkstunde AG wald (Hrsg.): Großstadtdokumente. Bd. 29. Berlin (Hrsg.): Fünf Jahre Berliner Rundfunkdarbietun- 1906, S. 48. gen. Ein Rückblick 1923-1928. Berlin o.J., S. 11ff. 17 Kino-Krise. In: Frankfurter Zeitung v. 9.5.1913, Nr. 35 H.N.: Die Radiowelle der Woche. In: Berliner Lo- 128. kalanzeiger v. 13.12.1925, Nr. 589. 18 Franz Kafka: Tagebücher. Bd. 2: 1912-1914. 36 Vgl. N.N.: Die Radiowelle der Woche. In: Berliner Frankfurt am Main 1994, S. 204 (20.11.1913). Lokalanzeiger v. 20.12.1925, Nr. 601. 19 Victor Klemperer: Curriculum Vitae. Erinnerungen 37 Vgl.: August Soppe: Rundfunk in Frankfurt am eines Philologen 1891-1918. Bd. 1. Berlin 1989, S. Main 1923-1926. Zur Organisations-, Programm- 579. und Rezeptionsgeschichte eines neuen Mediums. München u.a. 1993, S. 419ff.; allgemein: Gerhard 20 Carlo Mierendorf: Hätte ich das Kino! In: Tribüne Eckert: Gestaltung eines literarischen Stoffes in der Kunst und Zeit. Bd. 15. Berlin 1920, S. 18f. Tonfilm und Hörspiel. Berlin 1936, S. 260ff. 21 Oscar Geller: Kino und Pantomime. In: Bühne und 38 St.: Die fünfzigste Neueinstudierung für die Norag- Welt Jg. 15 (1913), S. 293. Funkbühne. In: Der Deutsche Rundfunk Jg. 3 22 Klaus Petersen: Zensur in der Weimarer Republik. (1925), H. 4, S. 219. Stuttgart/Weimar 1995, S. 30. 39 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz 23 Vgl. u.a.: Hans Brennert: Die Flimmerkiste. In: Die Berlin Rep. 76 Ve Sekt. 1 Abt. VII Nr. 66 Bd. 2, Bl. Rampe. Almanach des Verbandes Deutscher 15. Bühnenschriftsteller. Berlin 1913, S. 164ff. 40 Ebd. Bl. 129. 24 Bela Balázs: Der sichtbare Mensch oder die Kultur 41 Das gleiche galt auch für andere Programmge- des Films. In: Helmut H. Diederichs u.a. (Hrsg.): sellschaften. So gehörten dem Kulturbeirat des Schriften zum Film. Bd. 1: Der sichtbare Mensch. Südwestdeutschen Rundfunks in Frankfurt am Kritiken und Aufsätze 1922-1926. Berlin 1982, S. Main die Intendanten der Staatstheater Wiesba- 61. den, Kurt Hagemann, und Kassel, Paul Becker, 25 Ebenda S. 65. Vgl. auch: Fritz Güttinger: Der dem Gremium bei der Schlesischen Funkstunde in Stummfilm im Zitat der Zeit. Frankfurt am Main Breslau Theaterdirektor Theodor Loewe an. 1984, S. 113ff. 42 Professor Knöpfke. In: Berliner Tageblatt v. 30.10. 26 Vgl. u.a.: Ines Hahn: Das Metropol-Theater. 1930, Nr. 512. Theater als sichere Geldanlage. In: Ruth Freydank 43 Zu den Anfängen vgl. u.a.: Gru: auf dem Weg zum (Hrsg.): Theater als Geschäft. Berlin 1995, S. 89ff. Rundfunkdrama. In: Funk Jg. 1 (1924), H. 7, S. 27 Baptist: Sumurun im Kinematographen. In: Berli- 129; W. Grunicke: Zur Frage der Sendespiele. In: ner Tageblatt v. 6.6.1910, Nr. 280. Der Deutsche Rundfunk Jg. 2 (1924), H. 30, S. 1661f.; w.m.: Der Weg zum Rundfunksendespiel. 28 Vgl. u.a.: Joachim Fiebach: Von Craig bis Brecht. »Anke« von F.A. Tiburtius. In: Funk Jg. 1 (1924), Studien zu Künstlertheorien in der ersten Hälfte H. 14 S. 236; Aloys Christ Wilsmann: Das des 20. Jahrhunderts. Berlin 1991, S. 57. Hörspiel. In: Der deutsche Rundfunk Jg. 2 (1924), H. 36, S. 2016. 29 Ludwig Brauner: Deutsche Dramatiker als Kine- matographendichter. In: Der Kinematograph v. 44 Kurt Pinthus: (wie Anm. 32), S. 54; vgl. auch: 21.10.1908, Nr. 95. Aloys Christ Wilsmann: Zur Dramaturgie des Hör- spiels. Eine Studie über Klangprobleme im Mühl-Benninghaus: Theater und Medien in Deutschland 117

Rundfunk. In: Der Deutsche Rundfunk Jg. 3 53 Vgl. u.a.: Ludwig Neubeck: Der Rundfunk hilft dem (1925), H. 16, S. 994; Curt Elwenspoek: Theater - Theater; K. Rosen: Rundfunk und Theater. In: Kino - Rundfunk. In: Das Theater Jg. 8 (1926), H. Blätter der Volksbühne e.V. 1927/28, S. 344ff. 20, S. 466ff.; Hans Bredow: Rundfunk und Schaubühne. In: Die vierte Wand 1927, H. 4, S. 54 So zahlte die Funk-Stunde Berlin etwa 3000,- RM, 3f. der Mitteldeutsche Rundfunk 1000,- RM und die Schlesische Funkstunde 800,- RM pro Vorstellung 45 Vgl. u.a.: C.W. Kollatz: Königsberger Hörspiele. In: an das jeweilige Theater. Geheimes Staatsarchiv Der Deutsche Rundfunk Jg. 3 (1925), H. 4, S. Preußischer Kulturbesitz Rep. 76 Ve Sekt. 1 Abt. 222f.; w.m. Der Weg zum Rundfunksendespiel. 7 Nr. 69, Bd. 1, Bl. 288. Vgl. auch: Ludwig »Anke« von F.A. Tiburtius. In: Funk Jg. 1 (1924), Neubeck: Der Rundfunk wirbt für das Theater. In: H. 14, S. 236; auch für die Rundfunkmusik wurden Funk Jg. 7 (1930), H. 43, S. 205. kürzere, deutlich unter den Konzertaufführungen liegende Sendezeiten gefordert. Vgl. u.a.: Dr. 55 Vgl. u.a.: J.U.: Akustische Filme. In: Der Kine- A.K.H.: Das Problem der Rundfunkmusik. In: Die matograph Jg. 16 (1922), Nr. 814, S. 8. Sendung Jg. 6 (1929), H. 4, S. 61. Nach 1945 56 lebte diese Diskussion, wenn auch nicht so um- Oper und Mikrophon. In: Die Sendung Jg. 9 fänglich, wieder auf. So hieß es auf einer Studio- (1932), Nr. 43, S. 923. Veranstaltung beim Berliner Rundfunk über das 57 Gerhard Eckert: Gestaltung eines literarischen Hörspiel: »Besonders die sogenannte ›Geräusch- Stoffes in Tonfilm und Hörspiel. Berlin 1936, S. 53. kulisse‹ dürfe nur in äußerer Sparsamkeit zur Un- Alexander Jason: Handbuch der Filmwirtschaft termalung benutzt werden. Daneben wird eine 1935/36. Berlin o.J., S. 24. einfache, aber doch den Hörer sofort erregende und ansprechende Handlung, die eine gewisse 58 Vgl.: Jahrbuch der Filmindustrie Jg. 5 (1930/31). Wahrung der zeitlichen Einheit und Verzicht auf Berlin 1933, S. 532. episodische Details verlangt«. rit. Hörspielfragen. In: Telegraf v. 21.1.1947, Nr. 17. 59 Richard Oswald: Ich verfilme Bühnenwerke. In: Film-Kurier Jg. 13 (1931), Nr. 260. 46 Fritz Ernst Bettauer: Programm-Krise im Rund- funk? Aufgezehrte Schätze. - Ein Rundfunk-Preis- 60 Bundesarchiv Potsdam: Deutsche Bank / 19070, ausschreiben der RRG? - Wiederholungen!. In: Bl. 123/ 1ff. Funk Jg. 4 (1927), H. 1, S. 2. 61 A.B.: Darf man Bühnenstücke verfilmen?. In: 47 Vgl. u.a.: Werner Menzel: Berliner Sendespiel- Filmwoche Jg. 13 (1935), Nr. 41. Dramaturgie. Die Fortschritte der Funkregie. - Ein 62 Muster dramaturgischer Bearbeitung. - Die besten Diese Feststellung ist als Prozeß zu interpretieren. »Hörspieler« des Rundfunks. In: Funk Jg. 4 So gab es während der Premiere des (1927), H. 27, S. 212; Arnolt Bronnen gibt zu »Liebeswalzer« immer wieder stürmischen Beifall. Protokoll. Beiträge zur Geschichte des modernen Vgl.: Der große deutsche Tonfilmschlager ist ge- Schriftstellers. Berlin/Weimar 1985, S. 197f. boren. »Liebeswalzer« - Premiere. In: Kinemato- graph Jg. 24 (1930), Nr. 33, S. 1f. 48 Eberhard von Wiese: Hörspiel, Tonfilm, Schall- 63 platte. In: Vossische Zeitung v. 9.7.1930, Nr. 318; Richard Sennett: Verfall und Ende des öffentlichen vgl. auch: W. G. Fixierte Hörfolgen: »Hallo - hier Lebens. Die Tyrannei der Intimität. Frankfurt am Welle Erdball« - »Weekend«. In: Der Deutsche Main 1993, S. 265f. Rundfunk Jg. 8 (1930), H. 21, S. 10; »Hallo - hier 64 Welle Erdball!« Der erste Hörtonfilm im Laut- »Hier ist das Deutsche Fernsehen!«. In: FUNK- sprecher. In: Film und Ton. Wochenblatt der LBB Korrespondenz Jg. 2 (1954), Nr. 46, S. 2. Jg. 22 (1929), Nr. 304. 65 Dazu ausführlich: Axel Schildt: Moderne Zeiten. 49 Oper und Mikrophon. In: Die Sendung Jg. 9 Freizeit, Massenmedien und »Zeitgeist« in der (1932), Nr. 43, S. 923f. Bundesrepublik der 50er Jahre. Hamburg 1995, S. 244. 50 Rudolf Arnheim: Die traurige Zukunft des Films. 66 In: Die Schaubühne Jg. 26 (1930), Nr. 37, S. 404. Pastoralbrief der deutschen Bischöfe an den Kle- rus über Rundfunk und Fernsehen. In: FUNK-Kor- 51 Von Mitte bis Ende der 20er Jahre gab es respondenz Jg. 4 (1956), Nr. 41, Beilage, S. 1. diesbezüglich regelmäßige Kontakte zwischen der Vgl. u.a.: Der Rundfunk als unterhaltsam Reichs-Rundfunk-Gesellschaft und der Bühnen- empfunden. In: FUNK-Korrespondenz Jg. 3 genossenschaft. Vgl. Geheimes Staatsarchiv (1955), Nr. 19, S. 3f. Preußischer Kulturbesitz Rep. 76 Ve Sekt. 1 Abt. 67 7 Nr. 69, Bd. 1, Bl. 29ff. Aktualität und Kunst. In: FUNK-Korrespondenz Jg. 4 (1956), Nr. 25, S. 2. 52 Zu den wenigen Ausnahmen zählte eine Eingabe 68 der Berliner Volksbühnenbesucher. Werner Doris Rosenstein u.a.: Theatersendungen der Menzel: Die Volksbühnen gegen das Rundfunk- Bundesrepublik Deutschland. In: Helmut Kreuzer/ theater. In: Funk Jg. 3 (1926), H. 9, S. 66. Christian W. Thomson (Hrsg.): Geschichte des Fernsehens in der Bundesrepublik Deutschland. Bd. 2: Das Fernsehen und die Künste, München 1993, S. 187. 118 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

69 Ebd. S. 149.

70 Eine Krise zur unrechten Zeit. Kann das Deutsche Fernsehen auf Publikumssendungen verzichten?. In: Kirche und Fernsehen Jg. 5 (1959), Nr. 25, S. 1.

71 In der zeitgenössischen Literatur wurde das frühe Fernsehspiel in der Regel mit dem Kammerspiel gleichgesetzt. Zu einer Abgrenzung beider Darstellungsformen: Muß das Fernsehspiel »Kammerspiel« sein? In: Kirche und Fernsehen Jg. 4 (1958), Nr. 15, S. 1f.

72 Die gleichen Erfahrungen hatten die Amerikaner bereits Ende der 20er Jahre bei dem Versuch gemacht, das Drama »Der Bote der Königin« als Versuchssendung auszustrahlen. Die bei dieser Fernsehsendung zunächst erzielten Ergebnisse glichen weitgehend denen der »Sumurun«-Verfil- mung von 1910. Vgl.: Albert Neuburger: Die Technik des Fernseh-Dramas. In: Die Sendung Jg. 6 (1929), Nr. 7, S. 95ff.

73 Hans Müncheberg (Hrsg.): Experiment Fernsehen. Vom Laborversuch zur sozialistischen Massenkunst. Die Entwicklung fernsehkünstleri- scher Sendeformen zwischen 1952 und 1961 in Selbstzeugnissen von Fernsehmitarbeitern. Zu- sammengestellt und kommentiert von Peter Hoff. In: Podium und Werkstatt 15/16. Berlin 1984, S. 42ff.

74 Günter Kaltofen: Theater ferngesehen. In: Theater der Zeit 1955, Nr. 10, S. 8ff.

75 Günter Kaltofen: Zur Dramaturgie des Fernseh- spiels. In: Theater der Zeit 1957, Nr. 10, S. 30.

76 W.H.: »Coppelia« ferngesehen. In: Theater der Zeit 1957, Nr. 8, S. 60.

77 Erich-Alexander Winds: Fernsehspiel und Bühne im Blickpunkt der Regie. In: Theater der Zeit 1957, Nr. 7, S. 8.

78 Versäumnis und Aufgabe der Intellektuellen. In: FUNK-Korrespondenz Jg. 5 (1957), Nr. 15, S. 2.

79 Bodo Witte: Unstimmigkeiten. Ein offenes Wort. In: Theater der Zeit 1961, Nr. 8, S. 69.

Eva Warth

Rethinking Audiences Theoretische und empirische Ansätze zur Film- und Fernsehrezeption

»Rethinking Audiences« - dieser vielleicht etwas charakterisieren als Reaktion auf die Konzeptio- modisch klingende Titel soll die Perspektive an- nalisierung der Rolle der Medien in einer moder- deuten, unter der in diesem Beitrag der umfas- nen Massengesellschaft durch die Frankfurter sende Bereich der Medienrezeption näher be- Schule. Stark verkürzt und vereinfacht läßt sich leuchtet wird. »Rethinking«, dieser Begriff soll sagen, daß die vor dem Hintergrund des zum einen darauf hinweisen, daß es vorwiegend faschistischen Deutschland entwickelte Soziolo- um relativ neue Ansätze geht, d.h. um Konzep- gie der Medien, derzufolge eine atomisierte, von tionen und Methoden, die im Zusammenhang traditionellen Bindungen befreite Massengesell- der Rezeptionsforschung in den vergangenen schaft den konservativen und 15 Jahren entwickelt wurden. Darüber hinaus systemerhaltenden Verführungskräften der verweist der englischsprachige Titel auf den Medien unmittelbar ausgeliefert ist, im geographischen und institutionellen Kontext, in amerikanischen Kontext der 40er Jahre eine dem diese neueren Entwicklungen situiert sind, entscheidende Umdeutung erfährt. Mit der d.h. es wird hier vor allem von Ansätzen die Frankfurter Schule wird das Modell eines direk- Rede sein, die im angelsächsischen Raum und, ten Wirkungspotentials der Medien im Sinne ei- noch spezifischer, im Kontext der britischen nes eindimensionalen Stimulus-Response-Mo- »Cultural Studies« vorgetragen und von US- dells assoziiert, dem im ironisierenden Begriff amerikanischen und australischen Medienwis- der »hypodermic needle theory« die Durch- senschaftlern aufgegriffen und weiterentwickelt schlagskraft einer subkutanen Infusion zuge- wurden. »Rethinking Audiences« - auch die Ver- schrieben wird. Dem wird von der sogenannten wendung des Plurals hat hier programmatischen »American School« ein im Kontext einer plurali- Charakter, denn er soll mit dem Verweis auf He- stisch verstandenen Gesellschaft entwikkeltes terogeniät, Differenz und Partikulariät eine we- Medienwirkungsmodell gegenübergestellt, das sentliche Akzentverschiebung signalisieren, mit die Omnnipotenz sozialer Medieneffekte unter der sich diese Forschungsansätze von traditio- Verweis auf die Komplexität und Indirektheit des nelleren, homogen und universell verstandenen Medieneinflusses zurückweist. »audience«-Konzepten abgrenzen. Der Beitrag Mit Hilfe eines quantitativen, positivistisch zielt einerseits darauf ab, einen Forschungs- operierenden Methodendesigns konzentriert überblick über neue Tendenzen der Zuschauer- sich die empirische Forschung zum einen auf forschung vor dem Hintergrund traditioneller Pa- Medieninhalte und ihre Effekte, andererseits auf radigmen zu geben, andererseits sollen diese die am gegenüberliegenden Ende der Kommu- Ansätze und Überlegungen hinsichtlich nikationskette angesiedelten Zuschauer und zukünftiger Forschungsfelder kritisch reflektiert deren Bedürfnisse, die an Medienprodukte werden. Die Ausführungen werden sich vorwie- herangetragen werden. Während die erste gend auf den Aspekt der Fernsehrezeption kon- Forschungsrichtung vorwiegend behavioristisch zentrieren, dabei wird punktuell jedoch auch auf orientiert ist und sich auf Meinungs- und daraus Konzeptualisierungen des Filmzuschauers ein- folgernde Verhaltensänderungen konzentriert, gegangen. operiert die zweite unter strukturell-funktionali- stischem Vorzeichen und widmet sich der Unter- suchung sozialer Charakteristika des Publikums Traditionelle Paradigmen der und dessen Offenheit gegenüber Medienmessa- Fernsehrezeptionsforschung ges. Im letztgenannten Kontext entwickelten bei- spielsweise Katz und Lazarsfeld in den 50er Jahren das Modell einer durch persönliche Zunächst werden in einem kurzen Überblick die Kommunikation gefilterten Medienwirkung, traditionellen Paradigmen der wobei soziale »opinion leaders« und das Medienrezeptionsforschung beschrieben, wobei persönliche Umfeld der Rezipienten als die Darstellung der wichtigsten Trends und Schutzschild gedeutet werden, das das Fragestellungen als Hintergrundfolie für die Wirkungspotential der Medien auf die bloße anschließende Charakterisierung der Verstärkung bestehender Überzeugungen Intervention der »Cultural Studies« auf diesem reduziert. Gebiet dient. Die Sackgasse der message-orientierten Ef- Generell lassen sich diese Ansätze, die im fektforschung zeichnet sich vor allem im Kontext Kontext einer soziologisch orientierten Massen- der »content analysis« und dem damit kommunikationsforschung entwickelt wurden, verbundenen Bedeutungszuwachs quantiativer

120 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

Methoden ab. Deren Grenzen werden vor allem im Kontext fiktionaler Medientexte offensichtlich, Der institutionelle Kontext für diese Intervention etwa wenn in einer Studie von Mary Cassata ein ist das »Centre for Contemporary Cultural Stu- Vergleich sozialer Rollendistribution innerhalb dies« der Universität Birmingham, ein Mitte der der fiktiven Welt einer »Soap Opera« mit demo- 60er Jahre gegründetes Institut, dessen For- graphischen Erhebungen verglichen werden und schungsarbeit sich auf »cultural forms, die dabei konstatierte Inkongruenz als Beleg für practices, and institutions and their relation to die Verzerrung der Wirklichkeit durch die society and social change«2 konzentriert. Medien gedeutet wird.1 Trotz der zunehmenden Namen wie Richard Hoggart, Raymond Bedeutung funktionalistischer Modelle, die Ende Williams, E.P. Thomson und Stuart Hall der 50er Jahre sowohl hinsichtlich der signalisieren die Tradition, in der sich die gesellschaftlichen Funktion der Medien als auch Untersuchungen des ›Centres‹ bewegen, hinsichtlich subjektiv-individueller dessen Interesse an alltäglichen, gelebten Nutzungsfunktionen als Alternative zur Kulturen bestimmter sozialer Gruppen zuneh- Effektforschung entwickelt werden, bestimmt mend der Rolle der Massenmedien gilt. Im auch in den 60er Jahren die Frage nach Gegensatz zur amerikanischen Massenkommu- potentiell negativen Medieneffekten die nikationsforschung und deren empirischer Rezeptionsforschung. Doch werden nun ver- sozialwissenschaftlicher Orientierung mehrt sozialpsychologisch und lerntheoretisch konzentriert sich das ›Centre‹ auf die Frage der orientierte Laboruntersuchungen zur Bestim- ideologischen Funktion der Medien. So definiert mung quantifizierbarer Medieneffekte herange- Stuart Hall die Medien als »major cultural and zogen. Im Zentrum stehen hier insbesondere ideological force (...) standing in a dominant Fragen nach der Rolle der Medien im Kontext position with respect to the way in which social sozialer Devianz, vor allem im Hinblick auf den relations and political problems are defined and Zusammenhang von Medien und Gewalt, ein the repoduction and transformations of popular Zusammenhang, der Ende der 60er Jahre vor ideologies in the audience addressed«.3 dem Hintergrund sozialer Unruhen in den USA Diese Konzeptionalisierung der Medien stützt auch mit staatlichem Forschungsbudget unter- sich auf den von Louis Althusser entwickelten sucht wird. Ideologiebegriff, der im Gegensatz zum Im gleichen Zeitraum kommt es aufgrund von klassisch marxistischen Modell eine relative neuen soziologischen Theoriebildungen, die die Autonomie des ideologischen Überbaus Bedeutung sozialer Interaktionen unter dem gegenüber der ökonomischen Basis postuliert. Vorzeichen individueller Interpretationen fassen, Das Konzept der ideologischen Indoktrination zu einem Paradigmenwechsel innerhalb der durch die herrschende Klasse wird ersetzt durch Rezeptionsforschung, in der das Verhältnis von das Modell eines ideologisch determinierten Medium und Nutzer über die individuellen Be- Sozialisationsprozesses, in dem Schule, Kirche, dürfnisse der Rezipienten erfaßt wird. Die Familie, Sprache aber auch die Medien als Frage, »what media do to people« verschiebt Formationen agieren, die durch spezifische sich so auf die Frage »what people do with the Formen der Addressierung Individuuen als media«. Dieser Ansatz konzentriert sich auf die soziale, ideologisch situierte Subjekte Tatsache, daß im Umgang mit Medien Kommu- konstituieren. Im Sinne des von Antonio nikationsformen adaptiert, selektiert oder Gramsci abgeleiteten Hegemonieverständnisses zurückgewiesen werden, und schließt so die wird dieser Prozeß der ideologischen Möglichkeit ein, daß bestimmte Programme Positionierung als dynamischer Prozeß sowohl gegen ihre ursprüngliche Intention als verstanden, da die Widersprüche zwischen auch von verschiedenen Zuschauern auf ganz Ideologie und sozialer Erfahrung bestimmter ge- unterschiedliche Art und Weise »gelesen« sellschaftlicher Gruppierungen die werden können. Vor dem Hintergrund dieser Notwendigkeit der ständigen Reaffirmation Folie des interpretativen Paradigmas des Uses- dominanter Normen und Strukturen nach sich and-Gratification-Ansatzes, der die Medienre- zieht. zeptionsforschung der 70er Jahre vor allem in In dieser neomarxistischen Konzeptionalisie- England bestimmt, wurde im Kontext der rung der Medien, in der die Verortung der Ideo- britischen Cultural Studies ein neues Methoden- logiearbeit auf die Schnittstelle zwischen Zu- design entwickelt, das sich nicht als Weiterent- schauer und Medientext, d.h. in der Positionie- wicklung, sondern als radikale Alternative zu rung des Zuschauers durch den Text festgelegt den Ansätzen der Massenkommunikations- wird, orientiert sich das ›Centre‹ an poststruktu- forschung verstand. ralistischen Ansätzen, die im Kontext der film- theoretischen Diskussion im Rahmen der Zeit- schrift ›Screen‹ unter dem Einfluß französischer Vorgaben entwickelt worden waren. Diese film- Der Ansatz der »Cultural Studies« theoretischen Ansätze signalisieren die Mitte der 70er Jahre einsetzende Abkehr von rein textori-

Warth: Rethinking Audiences 121

entierten semiotischen und strukturalistischen Die Abgrenzung gegenüber traditionellen, im Analyseverfahren und eine verstärkte Ausrich- Kontext der Radio- und Fernsehrezeption ent- tung an gesellschaftspolitisch-ideologischen wickelten Paradigmen einerseits und den im Fragestellungen.4 Rahmen einer poststrukturalistisch orientierten Die Integration psychoanalytischer und neo- Filmtheorie entwickelten Zuschauerkonzepten marxistischer Konzepte, die die poststrukturali- andererseits bildet den Ausgangspunkt für die stische Konzeptualisierung des Filmzuschauers Entwicklung eines Modells der Medienrezeption bestimmt, konzentriert sich auf Aspekte wie das und empirischer Methoden im Rahmen der Spiegelstadium, eine frühkindlichen Phase, in »Cultural Studies«. Der deterministischen In- dem das Subjekt sich dadurch konstituiert, daß einssetzung von textuell konstruierter Subjekt- es sich mit dem Bild einer Ganzheit identifiziert, position und tatsächlichem Zuschauer hält die es selbst nicht hat, die imaginär ist. Diese Il- Stuart Hall das dreigliedrige Modell möglicher lusion eines geschlossenen Subjekts wird bei Interaktionsformen von Text und Zuschauer im der Filmrezeption durch Identifikation mit dem Sinne eines »dominant«, »negotiated« oder idealisierten Spiegelbild der Charaktere auf der »oppositional readings« entgegen. In diesem Leinwand reaffirmiert. Auch über die Einbindung sogenannten Encoding-Decoding-Modell in Blickstrukturen wie das Schuß/Gegenschuß- bezeichnet »dominant reading« eine Lesart, die verfahren wird dem Zuschauer eine Position mit der vom Text im Sinne einer dominanten zugeschrieben, die mit der Illusion von Ge- Ideologie konstruierten Subjektpositionierung schlossenheit und Omnipotenz verbunden ist, konform geht - mit »negotiated reading« ist eine indem durch diese Operation eine allseitige vermittelte, letztendlich die dominante Ideologie Durchdringung des filmischen Raumes sugge- unterstützende Lesart gemeint, und riert wird. Eine weitere Formulierung der Art und »oppositional reading« bezieht sich auf eine Weise, wie Filme ihren Zuschauern eine Lesart, die die vom Text suggerierte Subjekt-Position zuweisen, findet sich in der so- Positionierung zurückweist. genannten Apparatus-Theorie, etwa bei Jean- Im Gegensatz zum Uses-and-Gratification- Louis Baudry. Nach Baudry besteht der spezifi- Ansatz, der eine potentiell unendliche Anzahl sche ideologische Effekt des Kinos darin, daß möglicher Interpretations- und Lesarten eines der Zuschauer aufgrund der zentralperspektivi- Textes vorsieht, geht Stuart Hall von einer schen Organisation des Filmbildes im Verhältnis strukturierten Polysemie des Textes aus, d.h. ei- zum Gesehenen eine Mittelpunktposition ein- ner Hierarchie von Bedeutungsmustern, die - nimmt, aus der die Welt zentriert und zusam- ganz im Sinne der oben skizzierten Screen- menhängend wirkt. Der Film erscheint so ein- Theorie - eine bestimmte, bevorzugte Lesart, ein heitlich und kohärent und unterstützt so, nach »preferred reading« nahelegt. Im Gegensatz zu Baudry, die Illusion, die Welt auch auf diese poststrukturalistischen Filmtheorien und im Ein- Weise begreifen zu können. klang mit dem Uses-and-Gratification-Modell Eine zentrale Deutung der Subjektpositionie- betonen die Vertreter des »Cultural Studies«- rung als grundlegender ideologischer Operation Ansatzes jedoch die Interaktion konkreter des Hollywoodkinos findet sich in Laura Mulveys Subjekte mit dem Text und räumen die feministischer Lesart der psychoanalytischen Möglichkeit alternativer Lesarten - im Sinne Prozesse, die in der Filmrezeption zum Tragen eines »negotiated« oder »oppositional reading« kommen. So lautet ihre Grundthese, daß die - ein. Im Gegensatz zu Blickinszenierung im Film die Zuschauer in individualpsychologischen Faktoren, die im männlichen Sehweisen und Perspektiven Uses-and-Gratification-Ansatz als Erklärung für situiert. Unabhängig vom Geschlecht der divergierende Lesarten herangezogen werden, Zuschauer addressiere der Film den Zuschauer wird die Differenz ausschließlich in sozio-öko- aufgrund psychischer Mechanismen wie Voyeu- nomischen Unterschieden verankert. Propagiert rismus und Fetischismus immer als einen männ- wird damit ein Zuschauermodell »[in which] au- lichen. dience [is] less an undifferentiated mass of indi- Hier soll nicht auf die kritische Debatte um viduals than (...) a complicated pattern of diese Theorieansätze eingegangen werden. overlapping sub-groups and sub-cultures, within Festzuhalten für unseren Zusammenhang ist je- which individuals are situated. (...) Members of a doch die Tatsache, daß die im Rahmen der given sub-culture will tend to share a cultural poststrukturalistischen Filmtheorie entwickelte orientation towards decoding messages in Konzeptualisierung des Zuschauers als eine im particular ways. Their individual readings of Text verankerte Positionierung zu verstehen ist, messages will be framed by shared cultural wobei die Frage, wie sich empirische, soziale formations and practices, which will in turn be Subjekte zu dieser Positionszuweisung verhal- determined by the objective position of the ten, nicht zur Debatte steht: Implizit sind diese individual in the social structure.«5 Zentral ist Ansätze von einem Wirkungskonzept bestimmt, hierbei, daß diese objektiven Faktoren die das dem Stimulus-response-Modell direkter Me- jeweiligen Bedeutungsproduktionen nicht deter- dieneffekte durchaus nicht unähnlich ist. ministisch-mechanistisch bestimmen. Vielmehr

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werden die sozialen und kulturellen Formationen individualpsychologische Varianten reduziert, als Rahmen betrachtet, die die Realisierung be- vielmehr werden sie in den Kontext sozialer stimmter Lesarten wahrscheinlicher erscheinen Parameter gestellt, die die Produktion von lassen als andere. bestimmten Bedeutungsmustern zwar nicht Am Rande sei hier bemerkt, daß sich hierbei direkt determinieren, ihr jedoch bestimmte durchaus auch Verbindungen anbieten zu Zu- Grenzen vorgeben. Wie im folgenden noch schauerkonzeptionen, wie sie im Kontext ausführlicher gezeigt werden soll, erörtern etwa kognitiver und neoformalistischer Filmtheorien Rezeptionsforschungen im Zeichen des entwickelt wurden. So beschreiben diese »Cultural-Studies«-Paradigmas geschlechtsspe- Theorien die Filmrezeption als eine Aktivität, bei zifische Unterschiede im Zuschauerverhalten der der Prozeß des Verstehens unter anderem nicht mit dem in der Massenkommunikationsfor- durch die Anwendung verinnerlichter Schemata schung üblichen Verweis auf weibliche und etwa im Sinne von filmspezifischen formalen männliche Varianten, sondern verorten diese Mustern gesteuert wird. Durch die Definition des Befunde in der Reproduktion patriarchalischer Subjektes als ein relativ neutrales, rationales Machtverhältnisse in der Strukturierung der Wesen und die Ausklammerung häuslichen Sphäre. gesellschaftlicher, kultureller und gruppenspezifischer Faktoren, die gleichermaßen Schemata für Bedeutungspro- Fallstudien duktionen vorgeben, verhindert der neoformali- stische Ansatz jedoch eine Situierung seiner Er- Im folgenden wird auf eine Reihe von gebnisse in einem größeren sozialen und ideo- Fallstudien eingegangen, die im Kontext der am logischen Zusammenhang. »Centre for Contemporary Cultural Studies« ent- Das von den »Cultural Studies« propagierte wickelten Ansätze durchgeführt wurden. Von Konzept des aktiven Zuschauers weist so durch- zentraler Bedeutung ist hier die richtungwei- aus gewisse Affinitäten auf zu Zuschauerkon- sende Studie David Morleys zur Rezeption der zeptionen, wie sie im Kontext des Uses-and- Vorabend-Show »Nationwide«.7 Im Mittelpunkt Gratification-Ansatzes und unter dem der Untersuchung zu diesem Infotainment- Vorzeichen kognitiver Filmtheorien entwickelt Programm steht die Frage, in welchem Maße wurden. Aufgrund dieser Affinitäten scheint es Decodierungen im Rahmen des »preferred so ab Mitte der 80er Jahre auch zu einer reading« bzw. der dominanten Lesart stattfinden gewissen Annäherung der traditionell empirisch- und in welcher Art und Weise Interpretationen sozialwissenschaftlichen von anderen kulturellen Codes und Diskursen in Medienrezeptionsforschung und der kritischen Abhängigkeit von der sozialen Position der Zu- Zuschauerforschung im Zeichen der »Cultural schauer produziert werden. Studies« gekommen zu sein. So cha- Die Ergebnisse der in Kleingruppen mit Hilfe rakterisieren inzwischen auch traditionelle Mas- fokussierter qualitativer Interviews durchgeführ- senkommunikationsforscher die Interaktion zwi- ten Studie zu unterschiedlichen Interpretations- schen Botschaft und Rezipient als »a form of weisen verschiedener Zuschauergruppen wie 6 negotiation [which] is not predetermined«. etwa Gewerkschaftsangehörige, Bankangestell- Diese Annäherung unterschiedlicher te und Studenten liegen weniger in den - recht Paradigmen ist jedoch nur eine scheinbare, naheliegenden - faktischen Erkenntnissen wie denn die jeweiligen Konzeptionen von etwa, daß das »negotiated reading« die häu- Zuschaueraktivität, von Bedeutungsproduktion figste Interaktionsform darstellt oder daß und Determination werden in den »Cultural Bankangestellte und Lehrlinge am ehesten mit Studies« einerseits und der so- den Vorgaben des »dominant reading« konform zialwissenschaftlich-empirisch orientierten Mas- gehen, während Gewerkschaftsangehörige zu senkommunikationsforschung andererseits vor einem »oppositional reading« tendieren und bei dem Hintergrund ganz unterschiedlicher Gesell- Studenten die Form des »negotiating reading« schaftskonzeptionen theoretisiert. So basiert der vorherrscht. Der eigentliche Stellenwert der Uses-and-Gratification-Ansatz im wesentlichen Studie liegt vielmehr darin, daß die Grenzen des auf einem liberal-pluralistischen Gesellschafts- theoretischen und methodischen Ansatzes der konzept, in dem das Individuum als ideell freies »Cultural Studies« sichtbar gemacht werden. Wesen konzipiert wird, während sich die »Cultu- Somit war David Morleys Untersuchung vor ral Studies« an einem marxistisch-poststruktura- allem für die Weiterentwicklung der kultur- listischen Konzept orientieren, in dem das Indivi- wissenschaftlich orientierten duum in Abhängigkeit von Strukturen gesehen Rezeptionsforschung von zentraler Bedeutung. wird, die es als gesellschaftliches Subjekt be- Die Kritikpunkte der »Nationwide«-Studie stimmen. Im Gegensatz zu traditionell sozi- lassen sich unter semiotischen und alwissenschaftlichen Massenkommunikations- soziologischen Gesichtspunkten modellen werden Differenzen in der Bedeu- zusammenfassen. So läßt sich zu dem von tungszuschreibung so nicht auf

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Stuart Hall entwickelten Encoding-Decoding In der Folge dieser diskurstheoretischen Re- Modells anmerken, daß das Konzept der konzeptualisierung der Medienrezeption kommt Encodierung die Vorstellung einer bewußten es zu einer Reihe von Einzeluntersuchungen, in Intentionalität von ideologisch bestimmten Be- denen Fragen der Bedeutungsproduktion deutungszuweisungen auf der Produktionsseite medialer Texte unter dem Vorzeichen der suggeriert, die sich schwer mit dem Althusser- Kongruenz zwischen textuellen schen Konzept unbewußter Ideologievermittlung Signifikationssystemen im Sinne von Genres vereinbaren läßt. Hinsichtlich des Aspektes der und sozial strukturierten kulturellen Dekodierung ist zu bemerken, daß eine derart Kompetenzen auf seiten der Zuschauer eindimensionale Konzeption des Leseaktes untersucht werden. Mit dem Konzept der Kon- Faktoren wie Aufmerksamkeit, Relevanz oder gruenz, eines »perfect fit«, das stärker auf Verständnis außer acht läßt und so die Zu- formale, denn auf inhaltliche Korrespondenzen sammenhänge von Verstehen bzw. Nichtverste- abzielt, rückt der Aspekt der Popularität be- hen von Zeichen identisch sind mit Zustimmung stimmter Programmtypen bei bestimmten Zu- bzw. Ablehnung von Bedeutungsmustern, die schauergruppen in den Vordergrund. mit Hilfe dieser Zeichen generiert werden. Ein Mit der Akzentverschiebung von einer Re- weiterer Kritikpunkt bezieht sich auf die Frage, zeptionsforschung anhand von Einzeltexten wie wie sich das Konzept der strukturellen Einbet- »Nationwide« zu fiktionalen Genres und der ver- tung einer dominanten Lesart, die Morley in stärkten Konzentration auf die soziale Kategorie »Nationwide« an Überschriften, Bildunterschrif- Geschlecht entstehen eine Anzahl von Re- ten oder Moderatorkommentaren festmacht, in zeptionsstudien, in denen der Programmtypus fiktionalen Textsorten verankern läßt. der »Soap Opera« im Zentrum steht. Neben Do- Soziologische Probleme der »Nationwide«- rothy Hobsons Untersuchungen zur britischen Studie ergeben sich aus der Reduktion auf den Serie »Crossroads«9 und einer deutschen Klassenaspekt unter Vernachlässigung von Studie zur amerikanischen »Daytime Soap Geschlecht und Ethnizität als gleichermaßen Opera« ist hier vor allem Ien Angs in den strukturierende Faktoren - soziale Kategorien, Niederlanden durchgeführte und Mitte der 80er die in folgenden empirischen Untersuchungen Jahre unter dem Titel »Watching Dallas« immer größere Bedeutung gewinnen. veröffentlichte Rezeptionsstudie über weibliche Generell läßt sich festhalten, daß das auf Fans der Serie »Dallas« zu nennen, eine Studie, Stuart Hall zurückgehende dreigliedrige Rezepti- die auf schriftlichen Äußerungen beruht, mit onsmodell im Zuge der kritischen Reflexion der denen Zuschauerinnen auf eine entsprechende »Nationwide«-Studie allmählich einem differen- Anzeige Ien Angs reagierten.10 zierteren, diskurstheoretisch orientierten Modell Die konzeptuelle Vorgabe von Angs Untersu- der Text-Zuschauer-Interaktion weicht, in dem chung bildet eine Studie Janice Radways zum textuell organisierte Bedeutungszuschreibungen Konsum von »romances«, Heftchenromanen al- verstärkt in den Zusammenhang mit der Katego- so, in der im Kontext einer »ethnography of rea- rie des Genres gestellt werden und das Konzept ding« spezifische Nutzungsformen und Bedeu- der kulturellen Kompetenz auf seiten der Zu- tungsproduktionen als ein Akt der Auflehnung schauer als entscheidender Faktor für die Be- gegenüber weiblichen Rollenzuweisungen und deutungsproduktion herangezogen wird. Der Erwartungshaltungen gedeutet werden.11 Angs Prozeß der Bedeutungsproduktion wird so diffe- »Dallas«-Studie konzentriert sich zunächst auf renzierter formuliert, nämlich als das Ineinander- die Verzahnung von Genreformat und kultureller greifen von textuell strukturierten Diskursen und Kompetenz, indem sie auf die Bedeutung des diskursiven Formationen auf seiten der Wissens um die Codes persönlicher Beziehun- Zuschauer, die als aktive soziale Subjekte gen im Privatbereich oder die Fähigkeit, die Bedeutungen im Rahmen von gruppenspezifi- Bandbreite möglicher Konsequenzen vorherzu- schen kulturellen Codes und Signifikationssys- sagen, die sich aus bestimmten Aktionen im temen konstruieren: »The meaning of the text häuslichen Familienkontext ergeben können, für must be thought of in terms of which set of das Verständnis des Genres verweist - kulturelle discourses it encounters in any particular set of Kompetenzen also, die eng mit weiblicher So- circumstances, and how this encounter may zialisation verbunden sind. Für Ang leitet sich restructure both the meaning of the text and the die Popularität der Sendung direkt aus der Grati- discourses which it meets.«8 fikation ab, die sich aus dieser Übereinstimmung Bedeutungsproduktionen sind dabei nicht unmit- von sozial strukturierter Kompetenz und telbar von der sozialen Position und entspre- formaler Organisation des Textes ergibt. chenden Diskursformationen ableitbar, sie kön- Darüber hinausgehend erörtert Ang die nen jedoch nur innerhalb der Grenzen, die von Frage der Popularität einer spezifischen Figur den symbolischen, gesellschaftlichen und kultu- der Serie, Sue Ellen, deren masochistisch-ohn- rellen Diskursen vorgegeben sind, erfolgen: mächtige Rolle im melodramatischen Szenario Ideologie wird somit verstanden als ein Prozeß zunächst im Widerspruch zu ihrer Bedeutung als der strukturellen Eingrenzung von Bedeutungen. Hauptidentifikationsfigur bei den befragten Zu-

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schauerinnen zu stehen scheint. Ien Ang ver- Audiences, and Cultural Power«16 die sucht diesen Widerspruch zu lösen, indem sie Positionen der renommiertesten VertreterInnen die Popularität dieser nach klassischen Weib- der kulturalistisch orientierten Fernseh- lichkeitsstereotypen konzipierten Figur auf das rezeptionsforschung vorstellt, präsentiert der Vergnügen zurückführt, sich in der Fantasie mit Band »Never-Ending Stories: American Soap symbolischen Realisationen weiblicher Subjekt- Operas and the Cultural Production of Mea- position zu identifizieren, die im Alltag nicht zur ning«17 die wichtigsten Ergebnisse des von der Verfügung stehen bzw. zu riskant oder nicht VW-Stiftung geförderten dreijährigen For- akzeptabel sind. Im Sinne eines poststrukturali- schungsprojektes. Die Studie ist als Produk- stischen Subjektverständnisses sieht Ien Ang tions-, Text- und Rezeptionsanalyse konzipiert »each individual as the site of a multiplicity of und versucht, die im Kontext der »Cultural subject positions proposed to her by the discour- Studies« entwickelten Ansätze für das spezifi- ses with which she is confronted«.12 Wie andere sche Programmgenre der amerikanischen Soap soziale Positionen muß auch die eigene Ge- Opera nutzbar zu machen. Der erste Teil von schlechterrolle ständig neu verhandelt und »Never-Ending Stories« widmet sich unter affirmiert werden. Die Bedeutung einer Serie wie diachroner und synchroner Perspektive den »Dallas« für ihre Zuschauerinnen liegt für Ien spezifischen Produktionsbedingungen der Ang darin, als privilegiertes Szenario für diesen Endlosserie, einem Genre, das sich seit den andauernden Prozeß der Selbst(re)konstitution ersten Radio-Seifenopern der 30er Jahre im Hinblick auf die eigene Geschlechtsidentität überwiegend an ein weibliches Publikum zu fungieren. Zu ähnlichen Ergebnissen wendet. So skizzieren die Beiträge den hinsichtlich geschlechtsspezifischer Subjektposi- diskursiven Rahmen, in dem sich die tionierungen kommt etwa John Fiske in einer Etablierung des Genres in den 30er Jahren18 Untersuchung, die anhand der Serie »Magnum und die tägliche Serienproduktion in den 80er P.I.« das Ineinandergreifen textuell konstruierter Jahren19 vollzieht. Im zweiten, textanalytisch Männlichkeitsdiskurse mit Geschlechterrollen- orientierten Teil der Untersuchung wird die konzepten spezifischer sozialer Gruppen amerikanische Soap Opera unter dem Vor- skizziert.13 zeichen institutioneller und intertextueller Frage- Die sich im Zeichen der »Cultural Studies« stellungen beleuchtet, wobei die Expansion bzw. vollziehende Öffnung der Film- und Fernsehwis- Mutation des Genres zu Prime Time Soap Ope- senschaft gegenüber empirischen Forschungs- ras wie »Dallas« und »Dynasty« in den Kontext methoden vollzog sich vorwiegend im angel- medien- und staatspolitischer Veränderungen sächsischen Raum, zunächst in Großbritannien, der 80er Jahre gestellt werden20 und die Situie- dann in den USA und Australien. Inzwischen rung von Soap Operas im Spannungsfeld unter- belegen jedoch auch eine Reihe von theoreti- schiedlicher Medientexte21 untersucht wird. So schen und empirischen Studien die verweist die Studie etwa mit der Analyse von zunehmende Bedeutung dieser Ansätze für die Programm- und Fanzeitschriften auf die Rolle Fernsehrezeptionsforschung in Deutschland. So intertextueller Bezüge für die hierarische Struk- erarbeitete Lothar Mikos in einer 1994 turierung der Polysemie des Serientextes, wenn publizierten Monographie »Fernsehen im durch entsprechende Begleitartikel die potenti- Erleben der Zuschauer«14 ein elle Offenheit des Textes in starkem Maße ein- Rezeptionsmodell, das Aspekte der geengt wird.22 Von besonderem Belang ist je- Rezeptionstheorie der »Cultural Studies« mit doch die im dritten Teil der Studie vorgestellte traditionellen, massenkommunikationswissen- Rezeptionsuntersuchung. Mit der Verwendung schaftlichen und psychologischen Zugangswei- der Methode des offenen Interviews und der Be- sen verbindet. Der Arbeit von Mikos, in der die fragung von bereits existierenden sozialen Auseinandersetzung mit den »Cultural Studies« Gruppen im »natürlichen« setting, d.h. zu Hause ausschließlich auf theoretischem Niveau geführt bei den Befragten, orientiert sie sich eng an den wird, stehen eine Anzahl von Studien ge- Vorgaben klassischer ethnographischer Inter- genüber, in denen die rezeptionstheoretischen viewmethoden. Im Zentrum der Untersuchung Vorgaben der »Cultural Studies« in empirischen, stehen Aspekte der Bedeutungsproduktion, der ethnographischen Studien fruchtbar gemacht Stellenwert interdiskursiver, intertextueller werden. Neben einer Arbeit zur britischen Serie Faktoren und die Verankerung des und einer Rezeptionsstudie zum MTV-Konsum Fernsehkonsums im Alltag der Zuschauerinnen. von Jugendlichen15 sind hier vor allem die im Hinsichtlich des erstgenannten Aspektes kann Rahmen eines Tübinger Forschungsprojektes die Studie Ergebnisse anderer Untersuchungen zu amerikanischen Fernsehserien zur Soap Opera etwa dahingehend modifizieren, durchgeführten Studien zu nennen, auf die im daß im Text verankerte Subjektpositionierungen folgenden etwas näher eingegangen wird. im Sinne traditioneller weiblicher Rollenmuster Während der von den von den befragten Zuschauerinnen in unterprivi- ProjektmitarbeiterInnen herausgegebene legierten sozioökonomischen Positionen ent- Sammelband »Remote Control. Television, schieden zurückgewiesen werden.23 Über diese

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Fragen der Bedeutungskonstitution hinaus Die Verlagerung der Fragestellung von der Ana- befaßt sich die Studie mit Aspekten der Fern- lyse spezifischer Rezeptionsformen einzelner sehrezeption im breiteren Kontext alltäglicher, Programme zur Untersuchung des Prozesses familiärer Strukturen und der Bedeutung der der Fernsehrezeption als spezifischer Aktivität Kategorie Geschlecht für den Umgang mit dem ist im wesentlichen auf zwei Ursachen zurückzu- Medium Fernsehen.24 So verweist die führen. Zum einen haben die Arbeiten Morleys Untersuchung zum einen auf die strukturierende und Angs eine Vielzahl von Einzelstudien nach und z.T. disziplinierende Funktion der sich gezogen, in denen Belege dafür vorgelegt wochentags ausgestrahlten »daytime serials« wurden, wie Zuschauer im Kontext sozio- für die alltägliche Zeitorganisation der kultureller Zusammenhänge aktiv eigene Bedeu- Zuschauerinnen und zeigt auf, in welchem tungen kreieren, statt passiv vorgegebene Be- Maße die Mediennutzung von Frauen kon- deutungen zu absorbieren. Für die australische fliktbesetzt und von Schuldgefühlen begleitet ist. Medienwissenschaftlerin Meaghan Morris er- Die zweite große Rezeptionsstudie David weckt dieser Forschungsboom gar den Morleys, die 1986 unter dem Titel »Family Tele- Eindruck, daß »thousands of versions of the sa- vision. Cultural Power and Domestic Leisure« me article about pleasure, resistance, and the veröffentlicht wurde, stellt diese Fragen nach politics of consumption are being run off under dem situativen, d.h. vor allem häuslich-famililä- different names with minor variation«.27 Vor al- ren Kontext und der Rolle sozialer Kategorien lem im Kontext der amerikanischen »Cultural wie Geschlecht für den Medienkonsum in den Studies«-Variante, etwa in den Arbeiten John Mittelpunkt. Die Frage »What does it mean to Fiskes, führte dieser Ansatz zu einer zuneh- ›watch television‹« erörtert Morley im Zusam- mende Romantisierung des Konzepts eines akti- menhang alltäglicher Rituale nicht als isolierte ven, oppositionelle Bedeutungen generierenden Aktivität, sondern im Kontext persönlicher Kom- Zuschauers.28 Andererseits schienen die zahl- munikation. Die Frage nach den Nutzungsfor- reichen Neuauflagen desselben Untersuchungs- men des Mediums Fernsehen stellt Morley designs eine immer abstrakter werdende gene- dabei in den breiteren Kontext einer Soziologie ralisierende Leerformel zu reproduzieren: der Freizeit. Statt individuelle Zuschauer »people in modern mediatised societies are definiert Morley die Familie bzw. den Haushalt complex and contradictory, mass cultural texts als Konsumeinheit, wobei die sozialen are complex and contradictory, therefore people Beziehungen der Familienmitglieder using them produce complex and contradictory Fernsehkonsum und Bedeutungsproduktion culture«.29 mitdefinieren. Wesentliche Aspekte der Die Untersuchung des Fernsehkonsums im Fernsehrezeption sind somit, so Morley, »the Kontext alltäglicher Lebenszusammenhänge ist differential modes of viewing engaged in by the so einerseits als Reaktion auf diese different types of viewers, in relation to different methodische Sackgasse zu verstehen, types of programmes shown in different slots in andererseits stellt Morleys Studie den Versuch the schedule, in relation to different spaces dar, den Fernsehkonsum weitaus radikaler als within the organisation of domestic life.«25 Wie bisher sowohl hinsichtlich anderer Morley in seiner ethnographisch angelegten Kommunikationstechnologien als auch im Studie zeigt, vollzieht sich Fernsehen im Kontext Hinblick auf Alltagsstrukturen und familiärer Machtbeziehungen bzw. Geschlech- -zusammenhänge zu kontextualisieren, ein An- terbeziehungen. So ist Fernsehkonsum etwa be- satz, den Morley in einer mit Roger Silverstone stimmt von der geschlechtsspezifisch unter- verfaßten 1990 veröffentlichten Arbeit mit dem schiedlichen Organisation von Raum und Zeit: Titel »Domestic Communications: Technologies »The home is primarily defined for men as a and Meanings« weiterverfolgt.30 Mit dieser zu- site of leisure - in distinction to the ›industrial ti- nehmenden Kontextualisierung des Fernsehens me‹ of their employment - while the home is pri- als Praxis drohen jedoch auch die Möglichkeiten marily defined for women as a sphere of work zu zerrinnen, das Fernsehpublikum als (whether or not they also work outside the ho- geschlossene soziale Kategorie zu untersuchen. me). [As a result] men are better placed to do So bedeutet doch die Einbettung des [television viewing] wholeheartedly, and ... wo- Fernsehens in Alltagsstrukturen letztendlich, in men seem only to be able to do [it] distractedly Morleys Worten, daß »the use of television and guiltily, because of their continuing sense of cannot be separated from everything else that is their domestic responsibilities.«26 going on around it«.31 »Fernsehen« wird so zum Etikett für ein breites Spektrum von Verhaltensweisen und Erfahrungen, die in die Kontextualisierung und die Krise der Praxis des Fernsehkonsums einfließen. Damit kulturalistischen Rezeptionsforschung werden aber auch die Grenzen der Kategorie des Fernsehpublikums zunehmend unbestimmter, denn es wird dabei immer unklarer, welche Formen der Interaktion mit dem

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Medium Subjekte als Zuschauer definieren und fizieller oder professioneller Diskurse themati- welche nicht mehr. Verbunden mit der siert, etwa im Sinne von Zuschauerkonzepten Problematik einer zunehmenden Auflösung des von Kritikern, Journalisten, Lehrern, Politikern, »audience«-Konzeptes stellt sich für die Rezep- Gesetzgebern, Werbefirmen und Fernsehprodu- tionsforschung angesichts der Unmöglichkeit, zenten. Ang geht aus von einer soziale oder textuelle Bedeutungen außerhalb einschneidenden Diskrepanz zwischen der Situation, in der sie produziert werden, zu alltäglicher Praxis und institutionellem Diskurs: erfassen, die konkrete Frage, wo in diesem Ge- »In the everyday realm, living with television flecht von sich überlagernden Kontexten des involves a heterogeneous range of informal Medienkonsums die Analyse sinnvollerweise activities, uses, interpretations, pleasures, beginnen und enden kann. So wird disappointments, conflicts, struggles, offensichtlich, daß Untersuchungen, die von compromises. But in the considerations of the dem Anspruch bestimmt sind, dem gesamten institutions that possess the official power to kontextuellen Horizont gerecht zu werden, der define, exploit and regulate the space in which die vielschichtige Heterogenität des television is inserted into the fabric of culture Medienkonsums und der Be- and society, these subjective, complex and deutungsproduktionen bestimmt, immer unhand- dynamic forms of audiencehood are generally habbarer, unrealisierbarer, ja nahezu megalo- absent; they disappear in favour of a mute and manisch erscheinen müssen. abstract construct of ›television audience‹ onto Die Krise, mit der sich die which economic and cultural aspirations are kulturwissenschaftlich orientierte projected.«32 Rezeptionsforschung so seit Anfang der 90er Das zentrale Argument der Studie bezieht Jahre aufgrund ihres Anspruches, eine sich so auf die diskursive Konstruktion »des allumfassende Zuschauer-Theorie zu entwic- Fernsehpublikums« als imaginärer Einheit, als keln, konfrontiert sieht, hat in den vergangenen eine im Interesse der Fernsehanstalten konstru- Jahren zu einer kritischen Reflexion ihrer ierte Abstraktion, mithilfe derer, so Ang, reale theoretischen Prämissen und Methoden geführt. Zuschauer symbolisch zum Schweigen gebracht In diesem Zusammenhang scheinen vor allem werden. Im Zentrum des institutionellen Diskur- die jüngsten Arbeiten Ien Angs Perspektiven ses steht die Konstruktion des aufzuzeigen, in welcher Form kulturwissen- Fernsehpublikums als »objectified category of schaftlich-ethnographisch orientierte Ansätze im others to be controlled«33, eine Kategorisierung, Kontext spezifischer Fragestellungen zur Medi- die im Kontext empirischer enrezeption sinnvoll und operationalisierbar er- Publikumserhebungsmethoden entwickelt wird. scheinen, wobei Angs Überlegungen von zwei Anhand detaillierter Analysen zur Aspekten geprägt sind. Zum einen ist dies das Konzeptionalisierung des Zuschauers sowohl im Plädoyer, den dramatischen ökonomischen, in- Zusammenhang kommerzieller, als auch stitutionellen und technologischen Veränderun- öffentlicher Fernsehanstalten zeigt Ien Ang vor gen des Mediums Fernsehens gerecht zu dem Hintergrund einer sich rapide verändernden werden - Veränderungen, die sich etwa im zu- Medienlandschaft die zunehmende Angleichung nehmenden Verschwinden nationaler der institutionellen »Audience«-Diskurse auf. So öffentlicher Fernsehanstalten in Westeuropa charakterisiert Ang die Transformation des Zu- und der Etablierung lokaler und regionaler schauerkonzeptes bei öffentlich-rechtlichen An- Programmanbieter beim gleichzeitigen stalten als »change in emphasis from weltweiten Siegeszug zahlreicher ideological, normative and philosophical transnationaler, kommerziell organisierter knowledge, in which television audience is Satellitenkanäle, abzeichnen. Zum anderen for- defined in terms of what it needs to empiricist, dert Ang von einer zukünftigen Rezeptionsfor- factual and informational modalities of schung eine dezidierte politische Positionsbe- knowledge«34, eine Verschiebung, die sich nicht stimmung in diesem Kontext. zuletzt im zunehmenden Einsatz von Zuschauererhebungen im Auftrag öffentlich- rechtlicher Programmanbieter niederschlägt. Der zentrale Stellenwert der Studie Ien Angs Neue Perspektiven liegt darin, daß die Konzeptionalisierung des Publikums als interessegeleitete institutionelle Abschließend soll kurz skizziert werden, welche diskursive Formation verstärkt den Blick auf die konkreten Perspektiven Ang für die kulturalis- Frage lenkt, welche »Audiences« im Kontext tisch-ethnographische orientierte Rezeptionsfor- des wissenschaftlich-institutionellen Diskurses schung entwickelt. So vollzieht die 1991 erschie- der Rezeptionsforschung überhaupt konstruiert nene Studie »Desperately Seeking the Audien- werden. Wie Marktforscher kreieren ja auch ce« einen Perspektivewechsel, indem sie akademische Rezeptionsforscher Repräsenta- »audiences« als Konstrukt unterschiedlicher of- tionen des Zuschauers und produzieren ihn damit auch im Sinne dieser Beschreibungen.

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»But«, so Ien Ang, »their politics, and there- 15 Gerlinde Frey-Vor: Langzeitserien im deutschen fore their rhetorical strategies and epistemologi- und britischen Fernsehen. Lindenstraße und cal legitimizations - in short, the stories they tell - EastEnders im interkulturellen Vergleich. Berlin differ, given the disparate institutional conditions 1996. in which both groups have to operate.«35 16 Ellen Seiter u.a. (Hrsg.): Remote Control. Televi- Im Gegensatz zur empirischen Marktfor- sion, Audiences, and Cultural Power. London schung sieht Ien Ang die Chance der kulturwis- 1989. senschaftlich orientierten Zuschauerforschung 17 Hans Borchers et. al.: Never-Ending Stories. Ame- darin, Objektifikationen des Publikums zu ver- rican Soap Operas and the Cultural Production of meiden und statt einer allumfassenden Zu- Meaning. Trier 1994. schauertheorie im Kontext spezifischer Pro- 18 Ellen Seiter: Women Writing Soap Opera: The Ca- blemstellungen Beschreibungen, d.h. Geschich- reers of Irna Phillips and Jane Crusinberry. In: ten zu produzieren, die sich ihres Status' als Borchers (wie Anm. 17), S. 29-48. partielle Wahrheiten und als politisch 19 positionierte Wahrheiten bewußt sind. Gabriele Kreutzner: Inside Daytime: Manufacturing the Soap Opera World. In: Borchers (wie Anm. 17), S. 49-68; Hans Borchers: Notes and Reflections on the Production of Soap Opera: The Anmerkungen Example of »Santa Barbara«. In: Borchers (wie Anm. 17), S. 69-94. 1 Mary Cassata/Thomas Skill: Life on Daytime 20 Gabriele Kreutzner: U.S. Prime Time Serials in the Television: Tuning-In American Serial Drama. 1980s: A Critical Retrospective. In: Borchers (wie Norwood, NJ 1983. Anm. 17), S. 104-118. 2 Stuart Hall: Cultural Studies and the Centre: Some 21 Gabriele Kreutzner: From a Narrative Point of Problematics and Problems. In: Stuart Hall et. al. View: Network Television and Serial Fictions. In: (ed.): Culture, Media, Language. London 1980, S. Borchers (wie Anm. 17), S. 119-134. 17. 22 Eva-Maria Warth: Reading About Soap Operas: 3 Stuart Hall: Introduction to Media Studies at the The Magazine ›Soap Opera Digest‹. In: Borchers Centre. In: Hall (wie Anm. 2), S. 117. (wie Anm. 17), S. 135-150. 4 Die folgende Darstellung der Theoriebildung zur 23 Vgl. hierzu auch Ellen Seiter et. al.: »Don't treat us Filmrezeption basiert auf Stephen Lowry: Film - as if we're so stupid and naive«: Towards an eth- Wahrnehmung - Subjekt. Theorien des Filmzu- nography of soap opera viewers. In: Seiter (wie schauers. In: montage/av Jg. 1 (1992), S. 113- Anm. 16), S. 223-247. 128. 24 Eva-Maria Warth: »And that's my time«: Soap 5 David Morley: Television, Audiences, and Cultural Operas and the Temporal Organization of Wo- Studies. London 1992, S. 88f. men's Everyday Lives. In: Borchers (wie Anm. 17), 6 Tamar Liebes: On the Convergence of Theories of S. 216-226. Mass Communication and Literature: Regarding 25 David Morley: Family Television. London 1986, S. the Role of the Reader (Vortrag anläßlich der Sixth 14. International Conference on Culture and Communication, Oktober 1986). Zitiert nach: Ien 26 Morley (wie Anm. 25), S. 147. Ang: Living Room Wars. London 1996, S. 41. 27 Meaghan Morris: Banality in Cultural Studies. In:

7 David Morley: The »Nationwide« Audience. Lon- Block Jg. 14 (1988), S. 20. don 1980. 28 Siehe etwa John Fiske: Television Culture. Lon-

8 Morley (wie Anm. 5), S. 87. don 1987; ders. British Cultural Studies and Television. In: R.C. Allen (ed.): Channels of 9 Dorothy Hobson: Crossroads: The Drama of a Discourse. Chapel Hill 1987 oder ders.: Power Soap Opera. London 1982. Plays/Power Works. London 1993. 10 Ien Ang: Watching »Dallas«. Soap Opera and the 29 Morris (wie Anm. 27), S. 22. Melodramatic Imagination. London 1985. 30 David Morley/Roger Silverstone: Domestic 11 Janice Radway: Reading the Romance: Women, Communications. Technologies and Meanings. In: Patriarchy and Popular Literature. Chapel Hill Media, Culture and Society Jg. 12 (1990), H. 1, S. 1984. 31-55. Abgedruckt in Morley (wie Anm. 5), S. 201- 12 Ang (wie Anm. 6), S. 93. 212.

13 John Fiske: British Cultural Studies and Televi- 31 Morley/Silverstone (wie Anm. 30), S. 35. sion. In: Robert C. Allen (ed.): Channels of Dis- 32 Ien Ang: Desperately Seeking the Audience. Lon- course. Chapel Hill 1987, S. 254-290. don 1991, S. 13. 14 Lothar Mikos: Fernsehen im Erleben der Zu- 33 Ang (wie Anm. 32), S. 13. schauer. Berlin 1994. 34 Ang (wie Anm. 32), S. 15.

128 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

35 Ang (wie Anm. 6), S. 77.

Sie sprechen hier über die Politik der Besatzungsmächte ... Diskussion zwischen Berliner Rundfunk und Nordwestdeutschem Rundfunk am 11. Juni 1948 Ein Dokument aus der Zeit des deutsch-deutschen Kalten Krieges

Am 11. Juni 1948 fand im Großen Sendesaal Er richtete sich an die fünf Chefredakteure bzw. des Berliner Funkhauses an der Masurenallee Lizenzträger der in den Westsektoren Berlins ein Streitgespräch besonderer Art statt, ein erscheinenden Zeitungen ›Der Tagesspiegel‹, »insofern historischer Tag in der Nachkriegszeit ›Kurier‹, ›Der Abend‹, ›Telegraf‹ und ›Der des deutschen Rundfunks, als er das einzige, Sozialdemokrat‹ und wurde am 3. Juni 1948 in zugleich über west- und ostdeutsche Sender der SED-Zeitung ›Neues Deutschland‹ aus- gehende, manuskriptlose und von keiner Zensur zugsweise veröffentlicht. behelligte politische Streitgespräch zwischen »Seit dem 23. Mai werden in ganz Deutschland SED-Prominenzen und demokratischen Publi- Unterschriften für ein Volksbegehren gesammelt, das zisten über innerpolitische Fragen ermög- den Alliierten Kontollrat veranlassen soll, die staatliche Einheit Deutschlands durch ein Gesetz zu lichte«,1 so Hans Haberfeld,2 ein Teilnehmer garantieren oder in allen Zonen einen Volksentscheid der Diskussionsrunde. Wenige Tage nach den über diese Frage herbeizuführen«,9 Empfehlungen der Londoner Sechsmächtekon- beginnt der Brief. Das »Volksbegehren für ferenz zur Gründung eines westdeutschen Einheit und gerechten Frieden«, als gesamt- Staates und der Verschärfung der Kontrollen deutsche Abstimmung konzipiert und von der und Behinderungen an den Grenzen der Sowje- SED über die Volkskongreßbewegung und den tischen Besatzungszone (SBZ), neun Tage vor Volksrat als Massenkampagne geführt, sollte die der Währungsreform und zwei Wochen vor der sowjetische Deutschlandpolitik unterstützen, um Berlin-Blockade hatten sich Publizisten aus Ost eine separate Staatsbildung in den Westzonen und West vor ca. 1 300 Zuhörern im Sendesaal zu verhindern. In der amerikanischen und der zu dieser Diskussion versammelt. französischen Besatzungszone ebenso wie in 1948 war das Jahr, in dem die wesentlichen den entsprechenden Sektoren Berlins war die Entscheidungen zur Teilung Deutschlands fie- vom 23. Mai bis 13. Juni 1948 laufende Unter- len. Die bis zum Sieg der Anti-Hitler-Koalition schriftensammlung verboten worden. Propagan- verdeckten Interessengegensätze zwischen den distisch begleitet wurde die Aktion von Plakaten, Alliierten waren nach der Errichtung des Besat- Losungen (»Willst Du Deutschlands Not abweh- zungsregimes in Deutschland einer zunehmen- ren, zeichne Dich ein beim Volksbegehren«), den Systemkonkurrenz gewichen, die sich im- einer spezielle Wochenzeitschrift und Rundfunk- mer mehr zuspitzte und mit dem Auseinander- sendungen unter dem Titel ›Deutschlands brechen des Alliierten Kontrollrates am 20. März Stimme‹ sowie einer Reihe von öffentlichen 1948 und der Berlin-Blockade offensichtlich 10 wurde. Der Ost-West-Konflikt erfuhr in diesen Diskussionen. Die westliche Kritik an dieser Monaten eine gefährliche Zuspitzung. »Wir Kampagne richtete sich gegen die Art der tummeln uns, mitten im Jahr 1948, zwischen Durchführung als Straßen-Unterschriftensamm- den wildesten Kriegsreden und Gerüchten seit lung nebst »Zwang zur Einzeichnung« und gegen die »fremden Einflüsse und fremde Initia- 1939,«3 beschrieb Hermann Kesten im Januar tive«, genauer gesagt den hinter dieser Aktion 1948 die Situation. Ein Diskurs über eine ge- vermuteten Versuch der Sowjets, deutschland- meinsame Zukunft des von gegensätzlichen Be- politisch nicht an Boden zu verlieren. Mehr oder satzerinteressen beherrschten Deutschland weniger unverblümt wurde ihnen unterstellt, schien immer weniger möglich. Und in dieser ihren Einflußbereich auf ganz Deutschland spannungsreichen und aufgeheizten Atmo- ausdehnen zu wollen. sphäre sprachen Ost- und West-Journalisten Die östlichen Autoren des offenen Briefes miteinander über die Einheit ihres Landes. Wie schreiben weiter: war es dazu gekommen? »Wir, die Unterzeichneten, glauben, daß dieses Volksbegehren für unser Volk in der gegenwärtigen tragischen Situation die einzige Möglichkeit darstellt, Vorgeschichte der drohenden Gefahr der Teilung unseres Landes entgegenzutreten und die staatliche Einheit Initiator dieses deutsch-deutschen Dialogs auf Deutschlands zu sichern. Sie haben während der Rundfunkebene war der Osten. Fünf Ost-Berli- vergangenen Wochen in der von Ihnen geleiteten 4 Zeitung keinen Zweifel darüber gelassen, daß Sie das ner Publizisten - Alfons Steiniger, Greta Kuck- Volksbegehren ablehnen und es - um mit den Worten hoff,5 Wolfgang Harich,6 Herbert Gessner7 und General Robertsons zu sprechen - für eine ›unnötige, Karl-Eduard von Schnitzler8 - hatten in einem nutzlose und unerwünschte‹ Aktion halten. offenen Brief am 2. Juni 1948 dazu eingeladen. 130 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

Wir halten es für unsere nationale Pflicht, uns Arno Scholz [›Telegraf‹] und Paul Bourdin [›Kurier‹] überall, wo immer wir auch tätig sein mögen, für das zur Zeit noch von Berlin abwesend sind, unseren Brief Volksbegehren einzusetzen. Sie führen in Ihrer noch nicht erhalten haben können und deshalb Zeitung einen scharfen Kampf gegen das Volksbe- ausdrücklich von den folgenden Feststellungen gehren. Beide Parteien bringen in dieser Frage be- ausgenommen werden müssen. Herr Franz Tausch stimmte Argumente vor. Bis jetzt hat sich noch kein [›Der Sozialdemokrat‹] dagegen hat nicht einmal den Forum bilden können, auf dem beide Richtungen Mut gefunden, sich überhaupt zu äußern. Herr Reger konfrontiert worden wären. Nur wenige Leser und [›Der Tagesspiegel‹] veröffentlichte eine Erklärung, in Hörer haben daher Gelegenheit, unsere gegensätz- der er mit der Begründung ablehnte, er würde, falls er lichen Meinungen miteinander zu vergleichen und so der Einladung Folge leistete, den gewollt falschen die Stärke und Überzeugungskraft der von beiden Eindruck fördern, daß Radio Berlin ein einwandfreies Parteien vorgebrachten Argumente zu überprüfen. Instrument zur Unterrichtung der Öffentlichkeit sei. Wir glauben aber, daß politische Publizistik unter Herr Müller-Jabusch [›Der Abend‹] schließlich keinen Umständen Selbstzweck sein darf. Nach begründete seine Ablehnung damit, der Berliner unserer Meinung ist es nicht nur die Pflicht eines Rundfunk habe die Möglichkeit, aus der Widergabe politischen Publizisten, seine Überzeugung in Wort des Gespräches Stücke herauszuschneiden. (...) Im und Schrift zu begründen, sondern auch der übrigen vergaß ich noch zu bemerken, daß jeder von Öffentlichkeit dabei behilflich zu sein, die Wahrheit zu uns - ich meine von den Herausforderern - zu finden. Nichts erscheint uns dazu geeigneter als eine wiederholten Malen ähnliche Einladungen ange- öffentliche Diskussion. nommen hat. So haben zum Beispiel Frau Kuckhoff, In der Erwartung, daß wir es mit politischen Professor Dr. Steiniger und Wolfgang Harich mehrere Gegnern zu tun haben, die, so wie wir, die öffentliche Male im RIAS oder im Nordwestdeutschen Rundfunk Auseinandersetzung mit Andersdenkenden nicht an Diskussionen teilgenommen und es dabei ent- scheuen, fordern wir Sie hiermit auf, am Freitag, dem schieden abgelehnt, ähnliche Ausflüchte wie die 11. Juni 1948, um 19.00 Uhr, im Großen Sendesaal Herren Reger und Müller-Jabusch vorzubringen.«13 des Berliner Rundfunks, Berlin-Charlottenburg, In Erinnerung an die »öffentliche Rede- Masurenallee 8-14, mit uns öffentlich zu diskutieren. schlacht« schreibt der damalige Mitarbeiter des Wir stellen Ihnen anheim, einen sechsten Herren als Nordwestdeutschen Rundfunks (NWDR) Peter Diskussionsredner zu benennen. Der Rundfunk im amerikanischen Sektor und der Nordwestdeutsche von Zahn demgegenüber in seinen Memoiren: Rundfunk werden eingeladen, gleichfalls die »Unsere russisch kontrollierten Kollegen in Ost- Diskussion aufzunehmen.«11 Berlin hatten bis dahin gemeinsame Progamme Das Gesprächsangebot wurde von den und Diskussionen immer abgelehnt: nun waren 14 Adressaten abgelehnt. Einer von ihnen, Erik sie plötzlich dazu bereit.« Reger vom amerikanisch lizensierten ›Tages- Der damalige Intendant des Berliner Rund- spiegel‹, antwortete öffentlich: funks, Heinz Schmidt, schilderte knapp 20 Jahre »Wenn Ihr schönes Wort von der Pflicht eines später die Vorgeschichte dieses ungewöhnli- politischen Publizisten, der Öffentlichkeit behilflich zu chen Streitgespräches nur mit Blick auf den sein, die Wahrheit zu finden, von den dazu be- NWDR. Der niedersächsische Kultusminister stimmten Einrichtungen der Ostzone, insbesondere Adolf Grimme, den er irrtümlicherweise schon von Radio Berlin, nicht nur ausgesprochen, sondern im Amt des NWDR-Generaldirektors wähnte, auch praktisch beherzigt würde, wäre es nicht nur habe in einem Rundfunkkommentar erklärt, die möglich, Diskussionen wie die von Ihnen beabsich- Ostzone sei eine Zone des Schweigens und die tigte, fruchtbar zu machen, sondern es würde auch nicht erst eine Lage entstehen, in der ein Thema wie britische Zone wäre eine Zone der freien Dis- dieses Volksbehren gestellt werden müßte. Radio kussion. Berlin hätte um so mehr Anlaß, sich des Wortes »Und ich rief bei Tulpanow an. Wir haben uns ›Wahrheit‹ nicht zu Zwecken der Begriffsverwirrung zu getroffen, (...) ich habe Tulpanow gesagt, um zwölf bedienen, als sein Sendehaus im britischen Sektor spreche ich, ich schmeiße meinen ganzen Kommen- Gastrecht genießt. Außerdem gibt es kaum einen tar um, gib mir die Erlaubnis, wir bieten denen an, vor Deutschen, dem nicht die verschiedenen Ansichten sämtlichen Sendern der sowjetischen Besatzungs- über das sogenannte Volksbegehren so bekannt zone zu diskutieren, wenn sie sämtliche Sender zur wären, daß er sich sein eigenes Urteil bilden könnte, Verfügung stellen. Und Tulpanow hat Ja gesagt. Und es sei denn, sie vermuten, daß Radio Berlin nur von um zwölf habe ich gesprochen.«15 wenigen Deutschen gehört wird. Ein solcher Kommentar findet sich in der im Die tieferen Gründe jedoch, weshalb ich ihre Deutschen Rundfunkarchiv, Standort Berlin, vor- Einladung ablehnen muß, liegen darin, daß ich, lei- handenen Überlieferung des Berliner Rundfunks stete ich ihr Folge, die Tarnung des kommunistischen nicht. Man kann aber davon ausgehen, daß Senders Berlin unterstützen und den von Ihnen auch das Gesprächsangebot an die West-Berli- gewollten falschen Eindruck fördern würde, daß Radio Berlin ein einwandfreies Instrument zur Unterrichtung ner Publizisten im Zusammenhang mit der Pro- pagandaaktion für das Volksbegehren mit dem der Öffentlichkeit sei«.12 Auf diese Antwort erwiderte einer der Brief- Leiter der SMAD-Informationsabteilung, Sergej autoren, Herbert Gessner, in seinem Sonntags- Tulpanow, abgestimmt war. Wilhelm Girnus, kommentar vom 6. Juni 1948: damals stellvertretender Intendant des Berliner » Wir haben uns (...) getäuscht - wobei wir um der Rundfunks, erinnerte sich 1966 sehr deutlich, Objektivtät willen feststellen müssen, daß die Herren Sie sprechen hier über die Politik der Besatzungsmächte ... 131

»daß die sowjetischen Genossen, insbesondere rauskriegen. Da haben wir unsere Abhörabteilung der Genosse Rosanow16 sagte, das muß man ma- eingesetzt.«23 chen, das ist eine gute Sache. Und dann lief die Sa- Man ermittelte, daß es im NWDR zur Zeit 47 che ja doch über die interalliierte Arbeitsgruppe - ir- Argumente zum Volksbegehren und zur deut- gendwie. Der Genosse Mulin17 hatte Verbindung mit schen Einheit gäbe. den britischen Rundfunk-Offizieren. Nur dadurch, daß »Und dann haben wir (...) jedem unserer Redner die dazu ihre Zustimmung gaben, kam die große 15 gegeben. Für jedes haben wir richtig mit den Sache mit dem Nordwestdeutschen Rundfunk Abteilungen ausgearbeitetes Material, für jeden der zustande.«18 15 mit Ziffern und allem. Und die gingen also rauf und Laut Schmidt hatte Grimme angenommen, hatten jeder ihre 15 Argumente.«24 es stünde So vorbereitet konnte von östlicher Seite bei »offiziell, groß in der Zeitung, und sagte, sie der Diskussion eigentlich nichts mehr schiefge- werden ihre Leute stellen. Der erste Gegenschlag hen, auch wenn Schmidt 1966 darin irrte, daß kam, die Amerikaner verboten den Sendern, die zur Ausarbeitung der »47 Argumente« über zwei schon zugesagt hatten, den Sendern der amerikani- Wochen benötigt wurden. Dafür waren höch- schen Zone, die Franzosen verboten den Sendern der französischen Zone. Das erste war, daß wir sagten, stens zwei bis drei Tage Zeit, und im Funkhaus also so ganz scheint es doch mit freien Diskussion[en] an der Masurenallee mußten sicher viele Über- nicht zu klappen. Also zunächst nur mal dort, wo der stunden geleistet werden. Allerdings erinnert Grimme jetzt zusagen konnte, dort gibt es die.«19 sich auch Peter von Zahn, daß jede Seite ihre Sofort nach der Absage von Reger und Kommentatoren »in Stellung [brachte] wie eine Müller-Jabusch hätten die Vertreter des NWDR Batterie von Kanonen.«25 Der »Artillerie des dem Berliner Rundfunk das Angebot gemacht, Ostens« soll auch Markus Wolf26(wohl als Mit- an deren Stelle die Auseinandersetzung zu Ausarbeiter der 47 Argumente) aus dem Hinter- führen, heißt es in einem Kommentar des grund Anweisungen »zu Ziel und Ladungs- Berliner Rundfunks vom 11. Juni 1948.20 Und stärke« gegeben haben. das ›Neue Deutschland‹ teilte am 10. Juni 1948 mit: »Wie der Nordwestdeutsche Rundfunk in einem Verlauf Schreiben an den Intendanten des Berliner Rund- funks mitteilt, erklären sich vier Mitarbeiter des NWDR Die groß angekündigte Sendung erregte große bereit, mit vier Mitarbeitern des Berliner Rundfunks Aufmerksamkeit in der deutschen Öffentlichkeit, über das Volksbegehren zu diskutieren. Das 27 Schreiben des NWDR entstand auf Grund einer »es hing alles an den Lautsprechern«. Der Aufforderung mehrerer Berliner Publizisten an die Andrang zu der kostenlosen Veranstaltung war Chefredakteure der westlich lizensierten Zeitungen, am 11. Juni auch »so stark, daß auch auf den im Berliner Funkhaus über das Volksbegehren zu Tribünen des Großen Sendesaales jeder Platz diskutieren. Bekanntlich haben die Chefredakteure besetzt war, viele sich mit Stehplätzen begnü- abgelehnt.«21 gen und noch mehr an den Türen umkehren Nun konnte das deutsch-deutsche Rundfunk- mußten«.28 Auch aus den Reaktionen des Pu- Streitgespräch über die deutsche Zukunft also blikums im Saal, das mehrfach ermahnt wurde, doch noch stattfinden, zustande gekommen sowohl Beifalls- als auch Mißfallensäußerungen letzlich durch eine britisch-russische Absprache. zu unterlassen, läßt sich schließen, daß der Berliner Rundfunk ein Heimspiel hatte. Dennoch verlief das Gespräch sachlich. Kurz vor Ende Vorbereitung der auf eine Stunde bemessenen Aussprache führten die Zwischenrufe Peter von Zahns in die Vom NWDR in Hamburg hatten sich neben - im übrigen recht stotternd vorgetragenen - Äu- Hans Haberfeld auch Peter von Zahn, Pro- ßerungen Karl-Eduard von Schnitzlers zum Ab- grammdirektor Eberhard Schütz sowie Willy bruch der Diskussion wegen »vorgeschrittener Troester vom NWDR in Berlin zur Teilnahme Zeit«, wie die SMAD-Zeitung ›Tägliche Rund- bereit erklärt. schau‹ schrieb. Die Diskussion ging, nach Emil »Der Eggebrecht machte den Schiedsrichter, von Dovifat, »wie nicht anders zu erwarten war, im uns akzeptiert als Schiedsrichter. Den hatten wir Lärm des ›einseitig gefüllten‹ Saales schließlich schon fast, daß er zu uns kommt. Das wußten die unter«.29 Nach Schmidts Erinnerung hatte Al- 22 aber nicht, daß wir mit dem verhandeln.« fons Steiniger zum Schluß, als die NWDR-Ver- Im Berliner Rundfunk begann eine intensive treter Vorbereitung auf die Diskussion: »also völlig in Verwirrung standen [und ein paar »Und dann haben wir folgendes gemacht: Wir läppische Argumente brachten], das ganze souverän haben gesagt, in einer bestimmten Zeit gibt es eine vom Tisch gewischt und hat ihnen gesagt, bitte, bestimmte Menge politischer Argumente, und dem diskutieren Sie zu dem Problem und kommen Sie hier größten Genie fällt bestenfalls alle 14 Tage eins ein. nicht mit solchen Läppischkeiten«.30 Wir müssen die gängigen politischen Argumente Der ›Täglichen Rundschau‹ war es dann aber wichtig festzustellen: 132 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

»Der Meinungsaustausch wurde auf beiden Seiten burg stattfinden sollte, vereinbart worden. Es loyal und anständig geführt, von einigen kam niemals zustande - die Zuspitzung der poli- Entgleisungen abgesehen. Die Gegner des Volks- tischen Lage in Berlin im Sommer 1948 hätte sie begehrens hatten jede Möglichkeit, ihre Gedanken- wohl auch kaum zugelassen. Aber auch dafür 31 gänge vorzutragen.« machte jede Seite die andere verantwortlich. Auch der britisch lizensierte ›Telegraf‹ Heinz Schmidt 1966: »Es wurde ihnen verboten. meinte zu wissen, wem der Lorbeer für das im- (...) Wir haben öffentlich angefragt im ND merhin sachlich geführte Gespräch gebührte: [›Neues Deutschland‹], wo bleibt die Diskus- »Die Diskussion über das Volksbegehren war nur sion? Wir sind jederzeit bereit. Grimme hat kei- möglich in der Viermächtestadt Berlin. In der Ostzone 36 selbst wird jede Kritik über die Fragwürdigkeit des nen Brief beantwortet.« Volksbegehrens unterdrückt!«32 Nach Angaben von Dovifat habe sich Willy Und Bruno Goldhammer, Nachrichtenchef Troester lange vergeblich um eine Fortsetzung des Berliner Rundfunks, verkündete in seinem der Gespräche bemüht. Wilhelm Girnus, den er Abendkommentar unmittelbar nach der irrtümlich schon zum Staatssekretär machte, Sendung stolz: habe diesem schließlich am Telefon zu verste- »Ein außerordentliches Ereignis haben Sie, liebe hen gegeben, »die sowjetische Besatzungs- Hörer, heute über den Berliner Rundfunk und über macht wünsche solche Diskussionen unter Teil- den Nordwestdeutschen Rundfunk miterleben kön- nahme der Mitarbeiter des Ost-Berliner Rund- nen. (...) Das Verdienst der Teilnehmer an der nun funks nicht«.37 Eine etwas nebulöse Äußerung doch durchgeführten Auseinandersetzung vor dem von Wilhelm Girnus von 1966 zu diesen Vor- Mikrofon in aller Öffentlichkeit, die das Volksbegehren gängen scheint diese Version zu bestätigen: nicht bejahen, ist um so größer. Denn die Vertreter »Nicht immer hatten, das muß ich sagen, alle des NWDR (...) haben sich dieser Aufgabe in fairer Weise entledigt. Das besondere Verdienst Axel unsere Genossen Verständnis, daß man so et- 38 Eggebrechts aus Hamburg, der vom Nordwestdeut- was macht, und den Mut dazu.« Möglicher- schen Rundfunk als Diskussionsleiter vorgeschlagen weise auch eine versteckte späte Reverenz an wurde und den der Berliner Rundfunk in dieser den dann 1949 entlassenen Heinz Schmidt, der Funktion sofort akzeptiert hatte, bestand dabei darin, vielleicht nicht in alle Verbindungskanäle einbe- in Gemeinschaft mit dem Intendanten des Berliner zogen war und der - neben seinen 47-Argumen- Rundfunks, Heinz Schmidt, dieses dringende Ge- ten-Eskapaden - mitunter durchaus mit unkon- spräch zwischen Deutschen und vor Deutschen bis ventionellen Mitteln agiert hatte. 33 zum Abschluß durchführen zu lassen.«

Reaktionen Nachspiel Wie wurde nun aber die Diskussion inhaltlich Die Sendung hatte ein Nachspiel. Zunächst ein bewertet? Wie nicht anders zu erwarten, spie- feuchtfröhliches, das immerhin noch möglich geln die zeitgenössischen Berichte - je nach war und an das sich Heinz Schmidt und Peter politischer Richtung - die bereits nicht mehr auf- von Zahn erinnern. Schmidt in vollem Stolz auf zubrechende Verhärtung der Standpunkte wi- die Wirksamkeit seiner 47-Argumente-Taktik: der. Jede Seite meinte, ihre Argumente hätten »Und dann haben wir uns getroffen in dieser überzeugt, und bemühte sich, dies zu betonen. Villa da draußen, in Dahlem«. Die NWDR-Ver- Der amerikanisch lizensierte ›Tagesspiegel‹ treter hätten ihre Unterlegenheit zugegeben und verzichtete ganz auf eine Besprechung. Andere gefragt: »Wie habt Ihr das gemacht? Wie habt westliche Zeitungen kritisierten, daß der britisch Ihr gewußt, was wir sagen werden? Wir haben kontrollierte NWDR sich überhaupt von der nichts gesagt, haben gesagt, bitte, das ist die »kommunistischen Propaganda für das soge- 34 Überlegenheit unserer Argumente!« Selbst- nannte Volksbegehren« hätte vereinnahmen verständlich waren die eigentlichen Organisato- lassen und somit von der »kommunistischen ren der Runde dabei: britische und sowjetische Dampfwalze niedergewalzt« worden wäre. Offiziere. »Es begann in einem amerikanischen In Bruno Goldhammers Abendkommentar im Kasino und endete bei einem sowjetischen Berliner Rundfunk heißt es nach dem Lob für die Rundfunkoffizier. Erinnerlich ist mir besonders, fairen NWDR-Vertreter: daß bei den ausgebrachten Trinksprüchen die »Aber das Gespräch zwischen den beiden Sen- Deutschen aus Ost-Berlin ihre Überlegungs- dern hat eindeutig und für jeden kritischen Hörer in pausen nach russischer Art mit ›nu da‹ und spannender Weise gezeigt, daß alle Argumente, die ›nitschewo‹ würzten, während bei uns das an- bisher gegen das Volksbegehren gebracht wurden gelsächsische Stottern und ein nachdenkliches und die die Presse im Westen beherrschen, völlig ›Äh‹ vorherrschten. Wir taumelten mit schweren vorbeigehen an der zentralen Frage, die hinter dem Volksbegehren steht.« Köpfen davon«,35 erinnert sich Peter von Zahn. Gestrichen ist folgender Passus: Noch während der Sendung war öffentlich »Alle Nebenfragen, die jämmerlichen Ge- eine Fortführung des Gesprächs, das in Ham- schichtchen und Geschichten von dem 15mal Ein- Sie sprechen hier über die Politik der Besatzungsmächte ... 133

zeichnen und von dem Druck, der in der Ostzone auf Dampfwalze wurden sie niedergewalzt. Sie kamen eventuellen Gegnern des Volksbegehrens lastet, die nicht auf, sie kamen nicht auf. Wenn einer von ihnen Skandalgeschichtchen über Bevorzugung und anfing, stand einer von uns auf und sagte, das ist ja Benachteilung, die in diesem Zusammenhang ganz gut und schön, aber Tatsachen. Und dann aufgebracht werden, erwiesen sich dieser zentralen bums, bums, bums, bums. Die waren ja genau immer Frage gegenüber ganz eindeutig als das, was sie auf alle Argumente vorbereitet.«44 sind: Verwirrungsversuche von Seiten der Kreise, die Und Peter von Zahn meinte: »Unsere Geg- interessiert sind an der Vernichtung des Ein- ner waren besser in den demagogischen Kün- heitswillens im deutschen Volke, der Sehnsucht der 45 Deutschen nach einer neuen demokratischen Ein- sten, wir waren frecher mit Zwischenrufen.« Nicht verwunderlich, daß auch Karl-Eduard von heit.«39 Der ›Telegraf‹ stellte fest: Schnitzler in seinen Memoiren schreibt: »Die »Die Diskussion über das Volksbegehren zwi- Hamburger Runde hatte weniger Argumente als schen den Kommentatoren des Nordwestdeutschen wir und bekam auch in den eigenen Zeitungen Rundfunks und des Berliner Rundfunks ist an dem eine schlechte Presse.«46 Kernpunkt der Frage vorübergegangen, nämlich, daß In der späteren DDR-Rundfunkgeschichts- es sich bei dem Unternehmen um einer fremder schreibung verklärte man diesen vermeintlichen Initiative entsprungene und von fremden Einflüssen »Sieg auf der ganzen Linie«. Noch 1971, kurz dirigierte Aktion handelt. (...) Während im Westen sich vor der explizit eingeleiteten Abgrenzungspolitik alle Deutschen über die sie berührenden Fragen zur Bundesrepublik, wurden Streitgespräch und aussprechen, in Versammlungen und auch in Zeitungen das Für und Wider erwägen können, gibt Volksbegehren als »Beweis für die Aktivitäten 47 es in der Ostzone nur ein Dafür oder die Beschimp- gegen die westliche Spalterpolitik« dargestellt. fung - als Saboteur. (...) Sehr treffend wurde auch 1975, als man sich nicht mehr so gern an den dem Sprecher vom Sender Berlin, der die Ansicht »Kampf um die deutsche Einheit« erinnerte, vertrat, wer gegen das Volksbegehren ist, bejahe die legte man Heinz Schmidt in einer bearbeiteten Londoner Empfehlungen, geantwortet, daß diese Version seiner Äußerungen von 1966 folgendes Einstellung die mangelnde Toleranz auf der in den Mund: »...bot ich (...) eine einstündige 40 kommunistischen Seite verrate.« Diskussion über aktuelle Probleme der Für das ›Neue Deutschland‹ war bewiesen, deutschen Politik [an], die er [Grimme] benen- »daß die Gegner keine stichhaltigen Argumente nen könne, mit je drei führenden Rundfunkjour- vorbringen konnten. Sie verloren sich in Kleinigkeiten. 48 (...) Es blieb den Vertretern des Berliner Rundfunks nalisten beider Seiten zu führen«. Im übrigen vorbehalten, in überzeugender Weise noch einmal wurden einige zeithistorische Irrtümer Schmidts allen, die dieser Sendung zuhörten, vor Augen zu von 1966 ungeprüft übernommen und die Teil- führen, daß das Volksbegehren gesetzlich notwendig nahme des 1956 in der DDR zur Unperson ge- und die Stimmabgabe heute mehr denn je Pflicht aller wordenen östlichen Diskussionsteilnehmers Deutschen ist!«41 Wolfgang Harich verschwiegen. Dieser taucht Und die ›Tägliche Rundschau‹ sekundierte: dann erst wieder 1989 bei Karl-Eduard von »Das Ergebnis der Diskussion war ein eindeutiger Schnitzler auf. Sieg für die Anhänger des Einheitsgedankens. (...) Daß allerdings dagegen in der Rundfunkge- Wenn sie [die NWDR-Vertreter] sich trotzdem von schichtsschreibung der Bundesrepublik dieses Anfang an nicht durchsetzen konnten, lag das an der Streitgespräch häufig unerwähnt blieb, mitunter Schwäche ihrer Ausgangsstellung (...) im Angesicht nur kurz gestreift wurde und keine detaillierte des Londoner Diktats. (...) Neue Argumente konnten sie kaum vorbringen. Sie klammerten sich immer Darstellung erfuhr, ist wohl auch kein Zufall. wieder an Einzelheiten und Kleinigkeiten, was zur Auch dort war man zur Tagesordnung der geteil- Folge hatte, daß die Diskussion sich längere Zeit in ten Nation übergegangen. unwesentlichen Dingen verlor.«42 Spätere Darstellungen und die Erinnerungen von Zeitzeugen scheinen den ostdeutschen Edition »Sieg auf der ganzen Linie« zu bestätigen. Thilo Koch, damals im Reporterstab des NWDR- Heute, fast 50 Jahre später, hinterläßt der Berlin, erinnerte sich 1984, die Ost-Vertreter Wortlaut der Diskussion, die als Tondokument hätten die Westler in der Debatte auf Grund im Deutschen Rundfunkarchiv Berlin erhalten ist Ihrer dialektischen Überlegenheit übertrumpft.43 und hier erstmals in schriftlicher Form ediert Intendant Heinz Schmidt führte dies 1966 wird,49 einen eher zwiespältigen Eindruck. An- natürlich auf die intensive Vorbereitung mittels gesichts des weiteren Verlaufs der deutsch- der 47 Argumente zurück: deutschen Geschichte könnte man vordergrün- »Die anderen kamen als große Individualisten. dig meinen, der Text bestätige nur die von den Jeder ist ein souveräner Meister seines Fachs. Und NWDR-Vertretern damals vorgebrachten Argu- dann sind sie untergegangen nach allen Urteilen ihrer mente gegen die Mittel und Methoden von SED eigenen Presse. Sie haben erstens kein Argument und SMAD zur Durchsetzung ihrer deutschland- gebracht, das nicht auf unserer Liste stand. (...) Und das Ergebnis war, daß also selbst Müller-Jabusch politischen Ziele. Öffnet er aber nicht vor allem schrieb, mit der Dialektik der kommunistischen den Blick auf verschenkte Möglichkeiten, man- 134 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

gelnde Verantwortung und Diskursfähigkeit auf Deutschland nahmen ihren vorgezeichneten beiden Seiten? Verlauf.«54 Die damaligen Kontrahenten hatten die Und das Volksbegehren? Deutschlandpolitik ihrer jeweiligen Besatzungs- »Man muß zugeben, der Schein der moralischen mächte stark verinnerlicht, verstanden die Ar- Rechtfertigung liegt auf Seiten der Sowjetunion. Sie gumente des »Gegners« zum Teil schon nicht fordert, was wir wollen müßten. Einheit, gemeinsame mehr oder wollten sie nicht verstehen und waren Währungsreform, Abzug der Besatzungstruppen und wenig bereit, auf sie einzugehen - »ein kleines einen raschen Frieden mit Deutschland. Warum 50 sträuben wir uns dagegen? Weil wir uns fürchten. Zu Reflexchen auf die großen Konferenzen«. deutlich für unser Mißtrauen tönt aus der neuen Wenn Haberfeld in der Diskussion auch Friedensschalmai die fatale Zukunftsmusik des inständig mahnte, nicht die Politik der Besat- Anschlusses«,55 zungsmächte zu bewerten, ging es während des notierte die sensible Zeitzeugin Ruth gesamten Gesprächs um nichts anderes. »Die Andreas-Friedrich am 23. Mai 1948. Das Demokratie in den Zonen ist eben verschieden«, Volksbegehren erbrachte elf Millionen Unter- charakterisierte Schütz ironisch zutreffend die schriften im Osten und über drei Millionen im Lage. Und diese war kompliziert, politisch Westen Deutschlands,56 ein Ergebnis, das den zugespitzt und, wie die weiteren Zeitläufte Gang der Entwicklung nicht mehr beeinflussen bestätigten, tatsächlich tragisch für das konnte. deutsche Volk. Das mit dem Kalten Krieg ein- Über den eigentlichen Anlaß für die Rund- hergehende polarisierende Freund-Feind-Den- funkdiskussion am 11. Juni 1948 hinaus spricht ken war unter den Diskussionsteilnehmern be- aus allen späteren Beschreibungen von Teil- reits voll ausgebildet und verhinderte im Verein nehmern dennoch der Stolz, bei allen mit gegenseitiger Furcht vor Vereinnahmung ei- politischen Gegensätzlichkeiten noch einmal die ne deutsch-deutsche Annäherung auch unter Probe gemacht zu haben, »ob Deutsche nach deutschen Publizisten. Auch hier liegen die dem Wort ›Deutsche an einen Tisch‹ ohne Wurzeln für das heutige schwierige deutsch- politische Überwachung der Besatzungsmacht deutsche Zusammenwachsen! Lösungen finden könnten, die Spaltung zu Obwohl gerade Harichs Temperament zu überwinden.«57 Da es später dann nicht mehr emphatischen Ausbrüchen in Klassenkampf- so opportun war, an diese Kategorien führte, ließ er als einziger noch eine Gesprächsbereitschaft zu erinnern, versuchte gewisse Differenzierungsfähigkeit und die beispielsweise Thilo Koch 1984 zu erklären, wie Möglichkeit einer Annäherung im Interesse einer es »damals allgemein empfunden wurde, daß deutsch-deutschen Verständigung erkennen. es richtig ist, sich zusammenzusetzen, auch Dies führte immerhin dazu, daß er allein sowohl wenn es zu nichts führte«.58 Und so blieb nur in östlichen wie auch in westlichen zeit- das Resümee: »Wir konnten von uns sagen: genössischen Besprechungen der Diskussion ›Wir sind dabeigewesen‹ - nämlich bei der ein Lob erhielt - natürlich mit jeweils anderen ersten und bis 1989 letzten solchen ge- Begründungen. 59 Harich erinnerte sich an die Diskussionen: meinsamen Veranstaltung.« »Von einem der westlichen Diskutanten, Eberhard Ingrid Pietrzynski, Berlin Schütz, (...) auf die verlorenen Ostgebiete an- gesprochen, scheute ich mich nicht, meine Liebe zur ostpreußischen Heimat zu bekunden und den Dokument Wunsch zu äußern, über die Oder-Neiße-Linie möge das letzte, endgültige Wort bislang nicht gefallen sein. Ansage: Zu einer öffentlichen Diskussion über das Das war noch möglich. Es trug mir danach in der Thema »Das Volksbegehren des Deutschen Parteihochschule, von seiten Fred Oelßners, eines Volksrates für Einheit und gerechten Frieden - Ja oder Spitzenfunktionärs der SED, bei dem ich Vorlesungen Nein« haben auf dem Podium des Großen über Karl Marx' ›Kapital‹ hörte, nur ein gelindes Sendesaales des Berliner Funkhauses die Vertreter Stirnrunzeln ein, mehr nicht. Erst recht gingen an der des Nordwestdeutschen Rundfunks und des Berliner ›Täglichen Rundschau‹ die sowjetischen Rundfunks Platz genommen. Wir sehen als Gäste Vorgesetzten und Kollegen taktvoll mit Stillschweigen vom Nordwestdeutschen Rundfunk Programmdirektor darüber hinweg. Auch keinerlei Selbstkritik wurde mir Eberhard Schütz, Peter von Zahn, Hamburg, Herrn 51 dort (...) abverlangt.« Willy Troester, Berlin, Direktor Haberfeld, Berlin, und Das einzige, was Journalisten in Ost und als Diskussionsleiter Axel Eggebrecht, Nordwestdeut- West damals verband, »war die Sprache. Denn scher Rundfunk Hamburg. Für den Berliner Rundfunk letzten Endes waren sie in dieser Zeit mehr oder nehmen an der Diskussion teil: Prof. Dr. Steiniger, minder zugelassene Sprachrohre der jeweiligen Wolfgang Harich, Herbert Gessner und Karl-Eduard Besatzungsmacht«,52 oder »Werkzeuge der von Schnitzler. Als Gastgeber eröffnet nun Heinz 53 Schmidt, der Intendant des Berliner Rundfunks, die größeren Auseinandersetzung«. Das Streit- Diskussion. gespräch zwischen NWDR und Berliner Schmidt: Meine Damen und Herren, verehrte Rundfunk »ging aus wie die Kanonade von Gäste! Darf ich Sie alle im Namen des Berliner Valmy: Niemand siegte richtig, die Dinge in Rundfunks in diesem Hause willkommen heißen. Es Sie sprechen hier über die Politik der Besatzungsmächte ... 135

hat selten eine Gelegenheit gegeben, in der ich mit so daß dieses Thema zu bejahen eine politisch legitime großer Freude wie heute eine Diskussion eröffne, die, Verpflichtung jedes Deutschen ist. Sie werden wie wir alle hoffen, in fairer und sauberer Weise zur verzeihen, daß ich als Staatsrechtler der Berliner Klärung von Begriffen, zur Klärung von Fragen Universität auch Wert darauf lege zu sagen, daß ich beitragen wird, die uns heute allen am Herzen liegen. es in juristischem Sinne für legal erachte. Ich gebe also, ohne weitere Worte zu machen, das Lassen wir den Streit in diesem Auditorium dar- Wort weiter an den Leiter dieser Diskussion, Herrn über, ob die Weimarer Verfassung, auf die dieses Axel Eggebrecht. Volksbegehren zurückgreift, die einzige jemals in Eggebrecht: Meine verehrten Anwesenden und Geltung gewesene deutsche demokratische Ver- liebe Hörer, die hier heute recht zahlreich und in zwei fassung, heute noch formal gilt oder nicht. Sicher gilt, Zonen jetzt der Diskussion lauschen können. Sie alle daß, was in den Potsdamer Beschlüssen eindeutig erleben eine Art Premiere. Was sich jetzt hier von sämtlichen alliierten Kontrollmächten in gemein- abspielen wird, das hat es wohl bei Boxkämpfen in samem Interesse von uns allen beschlossen worden den letzten zwei oder drei Jahren schon manchmal ist, die Einheit eines demokratisch umgestalteten gegeben, daß verschiedene Zonen und verschiedene Deutschland zu erzielen und zu erhalten. Zu der Sender sich darüber einig sind und gemeinsam eine Einheit eines demokratischen Staates gehört die Auf- Sendung ausstrahlen, aber Diskussionen wie die rechterhaltung seiner demokratischen Lebensnormen. heutige sind noch niemals gemeinsam gesendet Nicht aufgehoben und daher nach ausdrücklicher worden seit 1945. Ob die Boxer alt oder jung waren, Bestimmung des Kontrollrats rechtszuständig ist jedes das hat dabei nicht so interessiert, es waren immer Gesetz, das hiermit nicht im Widerspruch steht. Ist ziemlich große Radioerfolge. Hoffen wir, daß der somit auch das Gesetz über den Volksentscheid von Streit der Ideen, mögen sie nun alt oder neu sein, die 1921, in dem Volksbegehren mit genau geregelten hier aufeinanderprallen, ebenso interessant wird. Und Formen vorgesehen sind für jeden Deutschen, in dem wenn wir in dem Bild bleiben wollen, dann muß ich als jede Gemeinde, Behörde, verpflichtet ist, die Leiter der Diskussion, also gewissermaßen als Stimmlisten aller wahlberechtigten Deutschen zur Unparteiischer, die hier versammelten, erfahrenen Verfügung zu stellen und öffentliche Eintragungen Kämpen ermahnen, Tiefschläge möglichst zu ver- nicht zu behindern, nicht nur zu gestatten, sondern zu meiden, das heißt also, daß wir in dem fairen Geist, fördern, um festzustellen, ob, wie es in dem den der Intendant Schmidt eben beschworen hat, Paragraphen 43 dieses Gesetzes heißt, ein Zehntel unsere Diskussion miteinander führen wollen. Wir der Stimmberechtigen das Begehren bejaht, womit es werden uns nicht an ein sklavisches Schema, in rechtlichem Sinne zustande gekommen ist und der abwechselnd die eine oder andere Partei und Entscheidung einer demokratisch gewählten Instanz ähnliches, halten, und ich denke, daß wir das Ganze unterbreitet werden muß, das heißt in unserem Falle so locker wie möglich, so improvisiert wie möglich einer zu bildenden deutschen Nationalversammlung. führen und selber schon darauf aufpassen, daß man Dies wollte ich als Thema unserer Debatte zur dem anderen nicht zu lange das Wort abschneidet. Verfügung gestellt haben und darüber, denke ich, Ich werde mir erlauben, 20 Minuten vor Schluß und werden wir nun reihum manches zu sagen [haben]. dann noch einmal fünf Minuten vor Schluß darauf Eggebrecht: Das war Herr Prof. Steiniger vom aufmerksam zu machen, daß die Zeit sich dem Ende Berliner Rundfunk als Vertreter des Berliner nähert, denn erfahrungsgemäß um diese Zeit ist man Rundfunks. Und nun nimmt vielleicht ein Teilnehmer, dann im Thema festgebissen und überlegt sich nicht Herr Troester, vom Nordwestdeutschen Rundfunk das mehr genau, wieviel Zeit man noch zur Verfügung hat. Wort. Vorstellen ist nicht mehr nötig, Gott sei Dank, das Troester: Das Thema Volksbegehren ist an gewis- hat Herr Intendant Schmidt in seiner Ansage eben se Voraussetzungen geknüpft. (Lärm) Zur Durchfüh- schon gemacht. (Lauter, lauter-Rufe) Lauter. Und das rung eines Volksbegehrens gehören demokratische Thema ist allseits bekannt, ich darf jetzt einen der Voraussetzungen. Das Volksbegehren ist, das wird Vertreter des Berliner Rundfunks zunächst bitten, das mir Herr Prof. Steiniger bestätigen, ein demokrati- Thema des Abends zu stellen. sches Instrument. Wie ist es gekommen, daß nicht Steiniger: Meine werten Herren Kollegen vom alle Deutschen zu dieser Frage von vornherein Ja Nordwestdeutschen Rundfunk! Nachdem die von uns gesagt haben? Warum wurden auf vielen Seiten zu einer öffentlichen demokratischen Diskussion über schwerste Bedenken geäußert? Diese Frage stellen, die zu erörternde Lebensfrage des deutschen Volkes führt zu dem eigentlichen Thema des heutigen aufgeforderten fünf Chefredakteure der in den Abends, zu dem Thema der politischen, demokra- Westsektoren Berlins lizensierten Presse diese tisch-politischen Lebensbedingungen in dem Raum, in Aufforderung ausgeschlagen haben, war es für uns dem das Volksbegehren bevorzugt propagandistisch eine ganz besondere Freude, daß Sie den Weg von heute durchgeführt wird. Wir wissen alle, in welcher sich aus hierher gefunden haben und die Aufforde- Form das Volksbegehren in der sowjetischen rung zu einer demokratischen Disputation auf- Besatzungszone aufgezogen worden ist. Es hat in genommen haben. Das Thema dieser Disputation Weimar Ende April eine Funktionärversammlung ge- steht auf den Zetteln des Volksbegehrens, steht an geben, in der, wie aus einer Notiz hervorging, der Wand dieses Saales. Deutschland ist eine (Zwischenruf: Lauter!) in der die gesamte Kraft für die unteilbare demokratische Republik, in der den Durchführung des Volksbegehrens von den Organisa- Ländern ähnliche Rechte zustehen sollen wie sie die tionen der Zone gefordert wurde. Und als Schluß Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August dieses Abends wurde ein Stück aufgeführt »Ein Ge- 1919 enthielt. Das ist das Thema des Volksbegehrens spenst geht um«. und das Ja oder Nein zu diesem Thema ist der Es ist in der Tat so, daß seit dem Anlaufen der einzige, der entscheidende Gegenstand dieser Propaganda in der Zone, und das weiß ich aus vielen unserer heutigen Verhandlung. Wir sind der Ansicht, persönlichen Gesprächen und aus Briefen, eine 136 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

besorgte Stimmung in weitesten Kreisen darüber Terror und Druck in der Ostzone durchgeführt. Jeder herrscht: können wir uns einzeichnen, müssen wir uns muß. Dann aber sind solche Nachrichten, daß sich einzeichnen, sollen wir uns einzeichnen. Ich sehe, nur neun, zehn, 20 Prozent eingetragen haben, sehr Herr Prof. Steiniger, Sie sind da anderer Meinung. Sie hinfällig und unglaubwürdig. Oder aber Sie werden können nachher auf Fragen, auf ganz konkrete sagen, es haben sich nur 20 Prozent eingetragen, nur Fragen, die ich Ihnen stellen werde, vielleicht zehn, dann können Sie nicht mehr sagen, dies sei antworten dazu. In Berlin wurde kurz vor dem unter Druck geschehen. Anlaufen des Volksbegehrens, verbreitet in einer Ver- Nun möchte ich aber nicht [den] Anschein er- sammlung, von einem Mitglied des Ständigen wecken, als gäbe es nicht etwas, was wir ein Produkt Ausschusses des Volksrates gesagt, es kann einmal der Erziehung des deutschen Volkes in den letzten die Stunde kommen, in der jeder froh sein wird, die zwölf Jahren nennen können. Das heißt, ich bin Legitimationskarte für seine Einzeichnung in Händen sicher, daß auch in der Ostzone manche Menschen, zu haben. Und wir wissen, daß in der Zone in jeder die an sich politisch völlig indifferent sind, für das Form versucht wird, die Bevölkerung zur Einzeich- Volksbegehren stimmen werden, weil, wie sie nung zu bewegen. Nicht etwa nur durch Propaganda, glauben, das die Obrigkeit so wünsche. Das aber dagegen habe ich gar nichts, sondern durch den dann als Druck zu bezeichnen, glaube ich, ist deshalb Druck, wenn du dich nicht einzeichnest, wenn du das falsch, weil ich sonst zum Beispiel ein Gegenbeispiel nicht tust, dann hast du Nachteile. Der FDGB hat Ihnen entgegenhalten könnte: Nämlich ich bin doch Rundschreiben verbreitet, in denen es ganz klipp und immerhin, trotz eineinhalbjähriger Abwesenheit, jetzt klar heißt - ich habe solche in Händen - wer sich nicht noch Spezialist für Bayern. Und ich weiß sehr wohl, zum Volksbegehren einzeichnet, wird von der daß dort die Bauern, wenn ein Kanzelredner, ein Spinnstoffversorgung in der nächsten Zeit ausge- katholischer Geistlicher, am Wahltag auf die Kanzel schlossen. (Lärm) Über diese Dinge ist eine steigt und sagt, wählt CDU, diese nicht wagen Diskussion nicht nötig, und ich weiß, daß die Hörer in werden, eine andere Partei zu wählen. Ich glaube, der Ostzone sie wahrscheinlich viel besser kennen als daß beides falsch ist, sowohl in der Ostzone wie in wir hier. Aber ich glaube, wenn man ein Bayern. Das heißt, daß das jene mangelnde Volksbegehren in dieser Form aufzieht, dann ist das Zivilcourage, jene Art von Untertanengeist ist, die wir keine ernsthafte politische Manifestation, sondern gemeinsam, Sie und wir, in ganz Deutschland eine Parodie eines Volksbegehrens. ausrotten sollten. Aber dabei, glaube ich, übersehen Niemand hätte lieber gesehen, wenn wir die viele Westpolitiker und können es sich schon nicht Einheit in Deutschland schon drei Jahre hätten, als mehr vorstellen, daß die Bevölkerung, daß die ich, darüber gibt es gar keinen Streit, und die Frage Menschen wirklich für die Einheit sind, daß dies eine an sich ist töricht, aber in dieser Weise, wie das Selbstverständlichkeit für sie ist, sich einzutragen. Volksbegehren von dem Volksrat für Einheit und Nun möchte ich über etwas anderes sprechen, gerechten Frieden aufgezogen worden ist, meine Herr Tröster, nämlich es gibt auch einen Zwang zur Herren, in dieser Weise geht es eben nicht. Das ist Nicht-Einzeichnung. Einen Zwang, den gerade die das erste, was ich dazu zu sagen habe, und ich Berliner sehr gut kennengelernt haben. Und dieser glaube, ich bin nicht mißverstanden worden, wenn ich Zwang sieht so aus (...) (starker Beifall). die Frage des Themas mit einem Nein beantworte. Eggebrecht: Entschuldigen Sie, eine Sekunde, Das bezieht sich auf das vom Volksrat für Einheit und bitte. Ich bitte herzlich im Interesse der Diskussion auf gerechten Frieden durchgeführte Volksbegehren. Beifallskundgebungen für jede hier laut werdende Eggebrecht: Das war also Herr Troester vom Meinung zu verzichten. Nordwestdeutschen Rundfunk Berlin. Und nun Harich (?): Und Mißfallenskundgebungen! möchte Herr Gessner. Eggebrecht: Mißfallenskundgebungen natürlich Gessner: Ich glaube, ich habe Herrn Troester gleichfalls. nicht falsch verstanden, wenn er seinen Widerspruch Gessner: Ich meine, unter den Zwang zur Nicht- zum Volksbegehren darauf begründet, es werde unter Einzeichnung fallen die Jugendlichen, die man bei- Zwang, unter Druck in der Ostzone durchgeführt. Nun spielsweise nur, weil sie Plakate kleben in Buckow, Herr Troester, ich werde mir erlauben, dazu einmal mit Polizeihunden hetzt. Die Jugendlichen, die man den ›Telegraph‹ zu zitieren, ein Blatt, das Sie nicht durch den französischen Sektor beispielsweise in des Kommunismus verdächtigen können. Nach dem Handschellen führt, nur weil sie Plakate geklebt ›Telegraph‹ vom 29.5. - die Zeitung steht Ihnen zur haben. Die Jugendlichen, die, wie wir jetzt gestern Verfügung - heißt es: »Das Ergebnis des einen Fall gehabt haben, die nur weil sie ein Plakat Volksbegehrens in Potsdam hat auf die SED-Führung geklebt haben für das Volksbegehren, nur weil sie wie eine kalte Dusche gewirkt. Man war nicht wenig Listen bei sich geführt haben, zu einem Jahr erstaunt, daß sich trotz aller Rechenkünste nicht Erziehungsheim für schwererziehbare Jugendliche einmal 20 Prozent aufweisen ließen. Noch eingewiesen werden. niederschmetternder sind die Ergebnisse aus Aber noch etwas: Oberst Howley, der ameri- Brandenburg und Frankfurt/Oder. Das schlechteste kanische Stadtkommandant von Berlin, erwähnte Ergebnis im Ruppiner Kreis wird aus der kleinen Stadt einmal, das Volksbegehren und die Volksbewegung Gransee gemeldet, wo sich nur neun Prozent in die für Einheit und gerechten Frieden habe nur die Listen eingetragen haben.« Unterstützung von drei Prozent. Er sagte es genauer. Ich sehe hier einen sehr deutlichen Widerspruch. Er meinte von einem Prozent Kriminellen, von einem Und ich meine, man sollte sich von Ihrer Seite doch Prozent Verrückten und einem Prozent Kommunisten. nicht auf zwei einander widersprechende propa- Ich sehe darin eine großartige Chance für Sie, die Sie gandistische Linien, sondern auf eine einigen. Ich das Volksbegehren ablehnen. Nämlich, wenn sich das meine, man sollte entweder sagen, von Ihrer Seite so verhält, wie Oberst Howley sagt, dann verstehe ich aus, das Volksbegehren wird unter einem unerhörten nicht, warum man in der amerikanischen Zone, in der Sie sprechen hier über die Politik der Besatzungsmächte ... 137

französischen Zone, das Volksbegehren verbietet. amerikanischen Zone kämpfen sie unter der Warum man solche Prozesse führt, warum man Bedingung, daß es von der Militärregierung verboten Terror gegen Jugendliche anwendet. Bitte lassen Sie ist, sich zu der Einheit Deutschlands, zu der unteil- doch dann einfach in ganz Deutschland ungehindert baren demokratischen Republik zu bekennen. in jeder Zone abstimmen und lassen Sie sich diese Schütz (?): Verzeihen Sie (...). kläglichen drei Prozent einmal blamieren. Wenn Sie Harich: In der sowjetischen Zone sind die das nicht wollen, dann haben Sie Furcht vor dem Entfaltungsbedingungen für die Anhänger des Bekenntnis des deutschen Volkes zur Einheit. Volksbegehrens und der Einheit Deutschlands unge- Eggebrecht: Herr Haberfeld vom Nordwest- heuer günstig, und es gibt Kräfte in den anderen deutschen Rundfunk. Zonen, die das Volksbegehren diskriminieren und Haberfeld: Ja, zunächst halte ich es für notwendig, dabei unfair handeln. Und es gibt in der Ostzone etwas präziser zu werden. Sie sprechen über die Menschen, die die Gegner des Volksbegehrens diskri- Politik (...). (Gemurmel) Ich halte es für nötig, etwas minieren und dabei unfair handeln. Es kommt jetzt präziser zu werden. Sie sprechen hier über die Politik aber nicht darauf an, daß wir uns 20 Beispiele von der Besatzungsmächte. Ich glaube, wir müssen verhafteten Jugendlichen aus dem amerikanischen dieses Thema ausschalten, sonst kommen wir nicht Sektor und 20 Beispiele von etwas bedrohten Leuten zum Kern der Dinge. Nun möchte ich auf das aus der Ostzone gegeneinander an den Kopf werfen - eingehen, was Sie zu Anfang sagten. Sie sprechen das führt zu keinem Resultat - sondern jetzt die von einem Produkt der Erziehung der letzten, oder Diskussion um den Inhalt des Volksbegehrens geht sagen wir der Jahre der nationalsozialistischen um die Frage, sind die Menschen, die dieses Gesetz Regierung in Deutschland. Es gibt ein solches erlassen haben wollen, sachlich im Recht oder nicht? Produkt. Sie haben Recht. Aber daß die SED von Eggebrecht: Herr Schütz vom Nordwestdeutschen diesem Produkt Gebrauch macht, das ist das, was Rundfunk. das Volksbegehren diskreditiert. Wenn Sie von Druck Schütz: Herr Harich, dazu möchte ich erst mal sprechen und den gewissermaßen als das Ergebnis versuchen, etwas richtigzustellen, was Sie eben dieses Produkts der Erziehung kennzeichnen, so hat sagten. (Zwischenruf: Lauter!) Sie sprachen von den das eine gewisse Berechtigung. Damit können Sie zwei Parteien, die sich gegenüberstehen. Den Geg- aber klare Pressionsmaßnahmen der SED und der ihr nern der Einheit Deutschlands und den Anhängern angeschlossenen Organisationen nicht erklären. und Befürwortern der Einheit Deutschlands. Das ist ja Ich möchte Ihnen nur drei ganz kurze Beispiele gar nicht richtig! Es stehen sich gegenüber zwei solcher Pressionen nennen: In Stendal werden Parteien, die beide für die Einheit Deutschlands sind! Personen, die sich nach einer gewissen Zeit nicht (Gemurmel) Die einen sagen, wir machen das auf eingetragen hatten, schriftlich aufgefordert, sich bei dem Weg über ein Volksbegehren und einen Volks- der Kriminalpolizei, Abteilung K 3, zu melden und dort entscheid mit, ich weiß nicht wieviel Paragraphen (...). die Einzeichnung nachzuholen. In Borna werden die Steiniger: (...) einem! Verwandten von Personen, die auf Reisen sind, Schütz: Einem! Und die anderen sagen, welche vorgeladen und müssen sich für ihre abwesenden Einheit? Ein einheitliches demokratisches Deutsch- Verwandten einzeichnen. land! Tja, die Demokratie in den Zonen ist eben ver- Sie sprachen von dem Druck, der auf die Ju- schieden. Und im Westen sagt man, wenn man die gendlichen ausgeübt wird, im Negativen. Dazu muß Einheit Deutschlands auf diese Art und Weise ver- ich sagen, daß der Präsident Wandel von der wirklichen will, daß wir in Deutschland vier Ostzonen, Verwaltung für Volksbildung die Leiter der höheren politisch, das heißt daß die anderen politisch sich der Schulen im sowjetischen Sektor Berlins angewiesen Ostzone anschließen, dann verzichten wir vorläufig hat, in die Beurteilung der Abiturienten aufzunehmen, lieber auf diese sogenannte Einheit. (Zwischenruf: ob sie sich oder ob sie sich nicht in das Pfui!) Es gibt ja andere Wege oder es gäbe andere Volksbegehren eingezeichnet haben. Das sind Wege für das deutsche Volk, das Bekenntnis zur Tatsachen, mit denen Sie also rechnen müssen, die Einheit Deutschlands abzulegen. Die Wahl einer ver- Sie kennen. Und das sind Tatsachen, die diesen fassunggebenden Nationalversammlung zum Bei- Mißkredit so hochgebracht haben, so gesteigert spiel. Tja, die Wahlen zu einer verfassungsgebenden haben, daß Sie zum Beispiel in der britischen Zone, Nationalversammlung müßten, da wir ja eine parla- wo ja das Volksbegehren nicht verboten ist, ein mentarische Demokratie wünschen, müßten durch- Ergebnis haben werden, das Sie vielleicht wundert. geführt werden von allen deutschen Parteien, und Ich möchte noch eine ganz neue Nachricht zwar von allen Parteien in allen Zonen. Die Voraus- hinzufügen, die etwa in dieselbe Linie fällt. Ich habe setzung wäre zum Beispiel die Zulassung der SPD in hier, durch ein Telefongespräch mit dem entsprechen- der Ostzone. Die Voraussetzung wäre Meinungsfrei- den Krankenhaus bestätigt - sie ist unglaubwürdig, heit in der Ostzone. Und ich glaube, meine Herren, deswegen habe ich selber recherchiert - es ist aber wenn diese Voraussetzungen in der Ostzone geschaf- so, daß in einem Krankenhaus im sowjetischen fen wären und ein Volksbegehren dann durchgeführt Sektor Berlins, in der geschlossenen Abteilung für würde, dann bräuchten wir uns nicht gegen- Geisteskranke, Unterschriften gesammelt worden sind überzusitzen. Denn zu einer einheitlichen demokrati- für das Volksbegehren. (Lärm) schen deutschen Republik würden wir uns ebenso Eggebrecht: Das war Herr Haberfeld, jetzt nachdrücklich bekennen, wie Sie es heute zu der Wolfgang Harich von Berlin. Fragestellung des Volksbegehrens des Volksrates Harich: Herr Haberfeld, um dieses Volksbegehren tun. Aber weil wir den Volksrat ablehnen und das, was ist ein Kampf entbrannt - ein Kampf, in dem beide er repräsentiert, deswegen sind wir gegen sein Parteien, die Gegner der Einheit Deutschlands und Volksbegehren. Aber man soll uns nicht unterschie- die Bejaher der Einheit Deutschlands in jeder Zone ben, daß wir gegen die Einheit Deutschlands sind. unter verschiedenen Bedingungen kämpfen. In der 138 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

Eggebrecht: Herrn Schütz möchte jetzt Herbert Blatt hier, was ich vor mir liegen habe - ich glaube für Gessner von Berlin antworten. die Hörer am Lautsprecher muß ich das etwas Gessner: Sie sagten eben Herr Schütz, wir sind, beschreiben - scheint das auch zu bestätigen. Das ist und damit meinten Sie sowohl Ihre Richtung als auch eine Landkarte Deutschlands, auf der die westlichste unsere, alle für die Einheit Deutschlands. Nun, Stadt Aachen ist, die östliche Stadt Frankfurt an der gestatten Sie mir, daß ich davon nicht ganz überzeugt Oder, und die Karte Deutschlands wird mit einer bin. Ich glaube zwar, daß alle anständigen Deutschen Schere zerschnitten und darunter steht: »Nie! selbstverständlich für die Einheit Deutschlands sind. Niemals!« Die Schere ist an der Zonengrenze, eine Ich sehe aber, daß London diesen Wunsch des Grenze zwischen den Westzonen und der Ostzone, deutschen Volkes, die Londoner Empfehlungen meine angesetzt. Ich glaube, wenn man schon ein ich, in krassester Form ignoriert. Ich sehe, daß es in Volksbegehren für die geographische Einheit den westlichen Besatzungszonen maßgebliche Deutschlands veranstaltet und Scheren ansetzt, um Politiker gibt, Politiker, die heute wesentliche zu zeigen, was man will, dann sollte man doch auch in Positionen innehaben, die, denken Sie an die diesen Fällen zeigen, wo bisher schon die Scheren bayrische Verfassung, denken Sie an die Verfassung nicht nur angesetzt wurden, sondern wo sie schon von Rheinland-Pfalz, dieses Bekenntnis zur Einheit beträchtliche Schnitte gemacht haben. Und wenn Sie Deutschlands in keiner Weise ablegen. Denn in die geographische Einheit Deutschlands verstehen Bayern heißt es zum Beispiel in der Präambel der als eine unteilbare demokratische Republik, in der alle Verfassung: Bayern wird einem eventuell noch zu deutschen Gebiete und alle deutschen Städte gründenden deutschen Bundesstaat beitreten. In der enthalten sind, dann vermutlich doch auch deutsche Verfassung von Rheinland-Pfalz heißt es: Darüber Städte (...), nun Breslau, Saarbrücken (...). Und müsse der Gerichtshof, der Verfassungsgerichtshof, vielleicht könnten Sie, nicht auf dem Weg über den entscheiden. (...) Volksrat, aber auf dem Weg über andere Organisa- Ich sehe den Ellwangener Kreis und ich sehe aus tionen, sagen wir die Kominform, in dieser Frage all diesen Dingen, die wir aus den Westzonen täglich etwas tun. und stündlich hören, daß die Einheit Deutschlands in Eggebrecht: Herr Harich. einer absoluten Gefahr steht. Daß wir, das gesamte Harich: Sie haben recht, daß unserer Karte, der deutsche Volk, uns in einer tragischen Situation Karte von Deutschland, furchtbare Schnitte zugefügt befinden. Nun glaube ich, daß unter diesen Umstän- worden sind. Wir haben durch Annexion Schlesien, den es nicht zuletzt um die Form dieser Einheit Pommern, Ostpreußen verloren. Keiner von uns ist Deutschlands gehen kann, sondern daß die wesent- darüber glücklich oder damit einverstanden. Aber als liche Aufgabe des gesamten deutschen Volkes über- Deutsche, die nicht auf die Gegensätze zwischen den haupt darin bestehen muß, überhaupt erst einmal die Besatzungsmächten spekulieren, halten wir uns an Einheit und damit seine nationale Existenz und die das letzte große Dokument, das von allen Besat- nackte nationale Existenz zu sichern. Sie sagten, Sie zungsmächten unterzeichnet worden ist, an die verlangten die Einberufung einer verfassungsgeben- Potsdamer Beschlüsse, die die Unterschrift von den deutschen Nationalversammlung, das heißt Wah- Truman, Atlee und Stalin tragen. In diesen Potsdamer len dafür. Nun, eben dieser Volksrat, den Sie eben Beschlüssen gibt es einen Passus, demzufolge die abgelehnt haben, hat in seiner letzten Sitzung diese endgültige Regelung der deutschen Grenzen einer Wahlen zu einer verfassungsgebenden Nationalver- zukünftigen Friedenskonferenz vorbehalten sein soll. sammlung vorgeschlagen und angeregt. Aber, wie Nun, dieser Passus gibt uns Hoffnung und gibt uns gesagt, wir glauben, daß es zunächst einmal darum eine Chance. Und selbstverständlich wird es die geht, überhaupt die Einheit, überhaupt die Existenz nationale Pflicht einer deutschen Delegation auf einer schlechthin zu sichern und dann über die Formen zu zukünftigen Friedenskonferenz sein, gestützt auf diskutieren. Und es mag sein, daß wir in dieser diesen Passus des Potsdamer Abkommens in der verfassungsgebenden Nationalversammlung vielleicht Grenzfrage im Osten und im Westen eine für das in der Minderheit sein werden, nun gut. Ich persönlich deutsche Volk möglichst günstige Lösung zu erzielen. möchte sagen, daß wir uns vor einer Mehrheit, wie sie Aber ich frage Sie: Was sind die Voraussetzungen für meinetwegen durch Herrn Müller-Jabusch oder durch eine solche Friedenskonferenz? Was nützt es, wenn Herrn Erik Reger, die sich vor dieser Diskussion im die Sowjetunion und Polen den demokratischen Gegensatz zu Ihnen gedrückt haben, keinerlei Angst Politikern der Ostzone 20mal versichern, wir aner- haben. Um es zusammenzufassen: Ich glaube, man kennen nicht die Annektierung des Saargebiets, und kann entweder nur die Londoner Empfehlungen wenn die Politiker Amerikas und Englands den demo- bejahen, dann ist man nicht für die Einheit kratischen Politikern der Westzonen 20mal garan- Deutschlands. Oder aber man ist für die Einheit tieren, wir anerkennen nicht die Oder-Neiße-Linie? Deutschlands, dann muß man die Londoner Davon hat das deutsche Volk gar nichts. Aber wenn Empfehlungen eindeutig ablehnen und für das wir als einheitlicher deutscher Staat durch eine Volksbegehren eintreten. Und es würde mich deutsche Nationalversammlung vertreten werden, und interessieren, wieweit Sie mit den Londoner wenn diese deutsche Nationalversammlung zu einer Empfehlungen übereinstimmen, wieweit Sie an ihnen Friedenskonferenz eine Delegation entsendet, die im Kritik geübt haben bzw. Ihre Zustimmung gegeben Namen ganz Deutschlands spricht, dann sieht die haben. Sache schon anders aus. Eggebrecht: Herr Schütz wollte noch etwas Und wir wollen durch das Volksbegehren die ergänzen. Garantierung der staatlichen Einheit dessen, was uns Schütz: Ja, nur eine Zwischenfrage. Wenn ich Sie zur Zeit von Deutschland geblieben ist, und dann auf recht verstehe, dann verstehen Sie im Augenblick dieser Basis einen Friedensvertrag, bei dem eine unter Einheit Deutschlands als unteilbare demokrati- deutsche Delegation die deutschen Interessen zur sche Republik die geographische Einheit. Und dieses Geltung bringen muß. Nun, ich will noch etwas sagen. Sie sprechen hier über die Politik der Besatzungsmächte ... 139

Ich werde Ihnen jetzt etwas sagen, wo ich weiß, daß Schütz: Und ich muß mich an diese Bedingung ich nicht im Namen aller Anhänger der deutschen halten, sonst trete ich aus der Diskussion aus! (Lärm) Einheit und im Namen aller Anhänger des Eggebrecht: Sämtliche Teilnehmer der Diskussion Volksbegehrens spreche, das ist meine Privatsache. sind dieser Ansicht, wie ich feststelle, und ich bitte die Ich bin gebürtiger Ostpreuße, und Sie können mir Anwesenden nochmals von allen Mißfallens- und glauben, daß ich den Verlust meiner Heimat unge- Beifallskundgebungen für die nächsten letzten 20 heuer schmerzlich bedaure. Aber ich frage mich, Minuten zu verzichten. warum habe ich meine Heimat verloren? Weil der Schmidt: Ja, vielleicht darf ich für den Berliner deutsche Faschismus im Jahre 1939 wegen des Rundfunk mich dieser Bitte anschließen. Das war die polnischen Korridors einen Krieg angefangen hat! Mit Bedingung, unter der wir diese Diskussion öffentlich anderen Worten: Wenn wir rechtzeitig, energisch veranstalten. genug, gegen all die chauvinistischen Schreihälse Troester: Herr Gessner, Sie haben mich gekämpft hätten, die in der Frage des polnischen mißverstanden, ich wollte vorhin noch ein paar Korridors eine wilde Hetze gegen Polen entfaltet Beispiele bringen und in meiner zurückhaltenden Art haben, dann hätten wir heute noch Breslau und bin ich vielleicht nicht ganz klar geworden. Ihren Königsberg und Stettin. Aus dieser geschichtlichen Mißerfolg in Potsdam und einigen anderen Orten Erfahrung, die unser Volk schöne Provinzen im Osten bedaure ich. Es geht hierbei um ganz grundsätzliche und dazu Millionen Tote gekostet hat, sollten wir Fragen der politischen Lebensbedingungen in der gelernt haben. Das heißt, wir sollten versuchen, was Ostzone, nicht nur aus Anlaß des Volksbegehrens - wir können, um auf einer Friedenskonferenz, auf dem aber darüber sprechen wir heute -, und es läßt sich Weg friedlicher Aussprache, friedlicher Verhandlun- gar nicht vermeiden, weil diese beiden Fragen gen eine bessere Grenzziehung zu erreichen. Aber zusammenhängen, daß auch die politische Tätigkeit wir haben die Pflicht, um des Friedens willen, jeden in der Zone hier kurz gestreift wird. Um so mehr als Menschen zu bekämpfen, der aus der Frage der der Volksrat sich zusammensetzt aus den Or- Ostgrenze eine neue chauvinistische Hetze macht ganisationen der Zone, aus der SED, CDU, LDP und und unser Volk gegen Polen hetzt, damit es eines Ta- einigen anderen, FDGB und einigen anderen sons- ges als Kanonenfutter in einen neuen Krieg zieht. tigen Organisationen der sowjetischen Besatzungs- Zweitens: Die Abtrennung dieser Ostgebiete, wie zone. Es ist doch so, daß die politischen Parteien, ist die erfolgt? In Potsdam wurden diese Gebiete soweit sie nicht die SED darstellen, in der Zone nicht unter polnische Verwaltung gestellt und der Autorität die Möglichkeit haben, entsprechend ihrem Partei- des Alliierten Kontrollrates entzogen und dazu haben programm zu arbeiten. Und es ist ja deswegen auch Truman, Atlee und Stalin ihre Unterschrift gegeben. so, daß in der Ostzone die Parteiapparate der CDU Weiter: Die Millionen Deutscher, die daraufhin von und LDP zwangsmäßig zwar auf den Kurs Polen ausgesiedelt wurden, sind ausgesiedelt worden eingeschwenkt sind, die Einzelmitglieder die Politik mit der Zustimmung der englischen und der dieser Parteien aber nicht mitmachen. Sie wissen amerikanischen und französischen und sowjetischen genau [so] gut wie ich, auch wenn die Funktionäre Behörden in Deutschland und auf die einzelnen dieser Parteien unter sich zusammensitzen, daß dann Zonen verteilt worden. Jetzt auf einmal entdecken die eine ganz andere Sprache gesprochen wird als bei Engländer und Amerikaner ihre Sympathie für öffentlichen Kundgebungen. Das ist keine Deutschland und sagen, wir können diese Ostgrenze Demokratie. Unter solchen Umständen kann auch nicht als endgültig anerkennen. Haben diese Men- kein Volksbegehren durchgeführt werden. Denn wenn schen sich damals vorgestellt, daß man die Bevölke- ein Druck, wie er tatsächlich vorhanden ist, ausgeübt rung umsiedeln und dann wieder zurücksiedeln kann? wird, und wenn, ich glaube, Herr Gessner, Ihre Nein! Sondern, sie haben zugesehen, als man uns Ergebnisse in Potsdam und sonstwo werden sich diese Wunde schlug, und haben sich vorgenommen, noch entsprechend geändert haben oder ändern. bei der nächsten besten Gelegenheit, Salz in diese Wenn nachher die berühmten 99, 95, 91 oder 100 Wunden zu streuen. Sie haben sich vorgenommen Prozent herauskommen, wobei es eine Rolle gespielt und sie tun es, den deutschen Chauvinismus durch haben mag, daß Mehrfacheintragungen vorgekom- diese Frage zu reizen, damit sie eines Tages ihn men sind - das ist noch ein Sonderkapitel - dann sollte benutzen können. Mensch, diese Mächte haben doch man eine solche Befragung, die keine Befragung ist, politische Spannungen mit Polen! Polen ist auf dem überhaupt nicht durchführen. Dann hätte es nämlich Wege zum Sozialismus! Polen ist Amerika und genügt, die Einwohnermeldelisten einzureichen. Auch England und ihren Kapitalisten ein Dorn im Auge. Und die notarielle Beurkundung des Volksbegehrens, Herr jetzt wollen sie die Deutschen einspannen, damit wir Prof. Steiniger, das ist doch eine Chimäre! Was sollen uns in ein politisches Abenteuer stürzen. Das wollen denn die Herren Notare beurkunden, die das Ergebnis wir unter gar keinen Umständen! (Beifall) demnächst dem Kontrollrat als ordnungsmäßig Eggebrecht: Ich wollte gerade bitten, ein kleines vorzulegen haben werden? Doch nur das bißchen kürzer zu werden, weil meine berühmten 20 Funktionieren der Zählmaschinen! An die Substanz, Minuten vor Schluß angebrochen sind. Es hat sich an die politische Substanz dieser ganzen jetzt Herr Troester zu Wort gemeldet, nachher möchte Angelegenheit geht es nicht. Peter von Zahn sprechen, vielleicht zwischendurch Ich bin Herrn Harich dankbar, daß er - ich habe es Herr Steiniger. Also die Reihenfolge jetzt Troester, heute zum ersten Mal gehört - sich in der Frage der Herr Steiniger, von Zahn. Oder-Neiße-Linie meiner Auffassung anschließt. Ich Schütz: Ich möchte aber doch noch sagen, Herr bin nicht so gut über die Intentionen der Besatzungs- Schmidt, daß zur Bedingung dieser Diskussion mächte unterrichtet wie Herr Harich, aber ich glaube gehörte, daß kein Beifall geklatscht wird. auch, alle Deutschen sollten keine Gelegenheit Schmidt: Ja, natürlich. vorübergehen lassen, um immer wieder die Forderung nach der Wiederherstellung einer wirklich le- 140 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

bensnotwendigen deutschen Grenze zu erheben. Und genblick nicht mehr, in dem wir ja gerade eine ich glaube, ich entsinne mich jedenfalls nicht, daß die Verdreifachung dieser Zone vorschlagen, das heißt SED in prononcierter Form diese Forderung einmal die Isolierung jeder einzelnen Zone aufheben wollen. erhoben hätte. Ich weiß sogar, daß in der Zone, Nun sagte jemand anders unter Ihnen, es sei doch so, jedenfalls der LDP und der CDU, die Diskussion daß die Grenze auf der einen Seite bei Aachen und dieser Frage untersagt wurde. Unter diesen auf der anderen Seite bei Görlitz-West verläuft. Ich Umständen, und das ist ja die große politische Linie, bin gar nicht mal so sicher, ob das richtig ist. Und ich um die es geht. Es geht nicht um Einzelbeispiele, es möchte vorsichtigerweise eine Zeitung zitieren, deren geht nicht um diese »Kinder«-Volkseintragungen und Mitarbeiter ich nicht bin. Nämlich den ›Abend‹, eine so weiter, sondern die große politische Linie ist doch Zeitung für Berlin, in der Ausgabe vom Freitag, dem vollkommen klar. Und ich liebe es einfach nicht, um 11. Juni. Da heißt es, die Londoner Pläne seien nichts die Dinge herumzureden, die jeder kennt. Es ist doch anderes als die goldene Form einer Annexion, die vollkommen klar, daß in der Zone ein politisch freies dem Sieger die gesamte Wirtschaftsmacht des Leben nicht möglich ist. Wenn ich bei einer Besiegten ausliefere, ohne ihm gleichzeitig die mit Entscheidung mir überlegen muß, ob ich einer territorialen Annexion zwangsläufig zusammen- irgendwelche Nachteile davon habe, dann ist von hängende politische Verantwortung sichtbar zu Demokratie nicht mehr zu reden. Und ich glaube, es übertragen. »Heißt es in einer Stellungnahme der ist eine der besten Formulierungen, was Demokratie SED«, werden Sie sagen, oder der gleichgeschalteten ist, die irgendwo mal publiziert wurde: Demokratie ist, Ost-LDP oder Ost-CDU. Ja, ›Der Abend‹ irrt hier wenn es morgens um 8.00 Uhr klingelt und es ist offenbar. ›Der Abend‹ sagt, heißt es in einer tatsächlich der Bäcker mit den Brötchen. Stellungnahme der Vorsitzenden der westdeutschen Eggebrecht: Herr Steiniger: CDU-Landesverbände. Durch die internationale Steiniger: Eine ganz kurze Sache. Es ist eben Behörde, heißt es weiter im ›Abend‹, für das vom politisch freien Leben in der Zone von Ihnen in Ruhrgebiet würde der letzte Sinn des Marshallplans, einer ironisierenden Weise gesprochen worden. Sie die Gesundung der nationalen Wirtschaft herbeizu- haben taktvollerweise weggelassen, in welcher Zone. führen, vereitelt. Und wir hier, Berliner, die wir im Vierzonenklima Es scheint mir höchst zweifelhaft, in der Tat, bei gedeihen, stehen doch sehr stark unter dem Eindruck, dem, was zur Rechtfertigung der Londoner Beschlüs- daß es recht gut ist, das wegzulassen. Wir waren ja in se in Staaten, die der deutschen Einheit besonders der Lage, gegenseitig uns zu erzählen, nun, wie es zurückhaltend gegenüberstehen, gesagt wird, ob man Schwierigkeiten bei dieser oder jener Besat- noch behaupten kann, daß die deutsche Grenze bei zungsmacht gibt, und ich bin, soweit ich unterrichtet Aachen liefe, wenn die Londoner Empfehlungen bin, nach dem Stande von heute Nachmittag, noch in angenommen würden. Und ich glaube also, daß man der Lage, als Einwohner des amerikanischen Sektors, gut daran tut, die Frage der geographischen Einheit in meinen Sohn aus der FDJ hier im Publikum zu der Tat, wie wir es hier vorgeschlagen haben, auf die begrüßen. Das ist aber nicht so ganz sicher als Tagesordnung jener Friedenskonferenz zu setzen, auf Angehöriger einer Organisation, die sich für ein die hin die Einheit Deutschlands zu gründen unser demokratisches Volksbegehren entschlossen hat. Ich Anliegen ist. Deswegen heißt ja die Organisation, die glaube also, wir sollten uns darauf einigen festzu- wir gegründet haben, Organisation für Einheit und stellen, daß überall ein gewisser Druck auf das tod- gerechten Frieden. Diese Dinge gehören zueinander. kranke deutsche Volk, das vor der Gefahr des Lassen Sie mich zum Ende dessen, was ich zu Verschwindens aus der Geschichte steht, ausgeübt sagen habe, nur noch eines erklären: Sie haben wird, wie das ja auch gar nicht anders nach einem gesagt, daß, und haben mich wahrscheinlich ganz total geführten, total verlorenen Krieg im Zeitalter der besonders in meiner Eigenschaft als Professor Anwesenheit von Besatzungsmächten sein kann. ansprechen wollen, daß doch das Volksbegehren Nun finde ich allerdings, wer einem Todkranken reichlich unkorrekt stattfinde, und daß doch die Arznei gibt, hat in der Tat andere Rechte als der, der Herren Notare Mühe haben würden aufzupassen, ob ihm das Leben außerordentlich erschwert, der ihm nicht irgendwo Provokateure, Uninformierte, wie ich Gift reicht. Und ich finde, daß wir in der Tat eines annehmen darf, sich zwei Mal oder mehrfach Tages vor unseren Nachbarn uns sehr schwer werden eingetragen haben. Das wird sicherlich ein sehr verantworten müssen dafür, daß wir hier überhaupt schwieriges Geschäft sein, der Beruf eines Notars hat darüber diskutieren, ob man in irgendeiner beliebigen ohnehin seine Tücken. Es hätte sehr viel korrektere zulässigen Form dafür sein soll oder vielleicht Formen gegeben. Wenn nämlich sämtliche Besat- dagegen sein könnte, daß es eine unteilbare zungsmächte auf den Druck sämtlicher deutschen deutsche demokratische Republik gibt. Das deutsche Bevölkerungen in sämtlichen Landesteilen darauf Volk ist in Lebensgefahr. bestanden hätten, daß die Rechtsgrundlage einge- Nun sagen Sie, wir wollen aber nicht vier halten worden wäre, daß das Gesetz über den Ostzonen! Das halte ich für eine viel zu günstige Volksentscheid von 1921, das nicht aufgehoben, das Wahlprognose für die SED. Denn glauben Sie denn, gültig ist, daß das angewendet worden wäre. Dann daß bei der ja auf Grundlage eines positiven wäre die korrekteste Garantie gegeben gewesen. Volksbegehrens konsequenterweise notwendigen und Aber vielleicht werden auch Sie, verehrte Herren, deshalb vom Volksrat bejahten Einberufung einer selbst im Blick auf Ihre Heimatgebiete Ihr Erstaunen demokratischen Nationalversammlung eine, wie Sie nicht verhehlen können, wenn es sich darum handelt sagen, Ostzonenmehrheit ganz unbedingt und festzustellen, ob nach diesem Gesetz das Begehren unvermeidlich ist? Wenn Sie dieser Ansicht sind, zustande gekommen ist, ob (...). dann müssen Sie als Demokraten das begrüßen. Eggebrecht: Herr Steiniger, verzeihen Sie (...). Wenn Sie nicht dieser Ansicht sind, dann verstehe ich Steiniger: Ich bin sofort am Ende (...). die Logik ihres Vier-Ostzonen-Arguments in dem Au- Sie sprechen hier über die Politik der Besatzungsmächte ... 141

Eggebrecht: Wir sind nämlich jetzt sehr dicht vorm gesagt, daß die Politik, die der Volkskongreß verfolge, Schluß (...). die Deutschen, die vorgeben, deutsche Interessen zu Steiniger: Oh (...). vertreten, das sind also offenbar wir, immer mehr Eggebrecht: Auf jeder Seite ist noch ein Teil- zwingen werde, sich vor dem eigenen Volk zu nehmer, der noch gar nicht gesprochen hat, obwohl diskreditieren, und er fuhr fort: »Eine solche Politik drei sich zu Wort gemeldet haben. wird letzten Endes und vor allem auch dem letzten Steiniger: Oh. Ich komme zum Ende. Ich sage, anständigen Deutschen klar machen, daß die man wird sich sehr zu wundern haben, wenn es nationale Selbsthilfe das Gebot der Stunde ist.« Und darauf ankommt, ob das erforderliche Zehntel der daß das Volksbegehren den ersten entscheidenden Stimmberechtigten nicht auch dort, wo ein stummer, Schritt auf diesem richtigen Wege darstellt und dann anonymer, aber klarer Druck ausgeübt wird, zusam- notfalls auch der nationale Widerstand zu einem Akt mengekommen ist. Ich glaube, wir sollten lieber uns der Notwehr werden würde. Ich finde diese Formu- freuen, wenn der Tag durch unser demokratisches lierungen, die sich einerseits gegen die Deutschen in Verhalten herbeigeführt wird, an dem sämtliche den Westzonen so eindeutig richten, andererseits Besatzungsmächte sich aus einem demokratischen gegen die Besatzungsmächte, denen ganz unumwun- Deutschland zurückziehen, wie es als einzige der den eine Kolonisierung ganz Deutschlands vorge- Besatzungsmächte die der Sowjetunion bisher in worfen wird, wobei freilich an die Sowjet-AGs in der Erwägung zu ziehen begonnen hat. An diesem Tag Ostzone nicht gedacht wird. Ich glaube, daß diese und nicht eine Stunde früher wird das, was wir Formulierungen so gefährlich sind, daß wir sie uns allenfalls Demokratisierungsversuche nennen können, wohl in Zukunft auf beiden Seiten sparen müßten. aufhören und eine deutsche Demokratie ernstlich zu Eggebrecht: Herr von Schnitzler: leben beginnen. von Schnitzler: Es gäbe eine ganz Menge Dinge, Eggebrecht: Herr von Zahn. die Herr Troester und Herr Schütz gesagt haben, die von Zahn: Herr Harich hat uns vorhin vorgeworfen, meines Erachtens richtig zu stellen wären. Ein paar daß wir die Londoner Empfehlungen billigten. Und er dieser Dinge gehören zu unserem Thema Volks- hat den Kontrast konstruiert, entweder Londoner begehren, ein paar dieser Dinge würde meines Empfehlungen oder Volksbegehren für Einheit und Erachtens nicht dazu gehören und bedeutet nichts gerechten Frieden. Ich glaube nicht, daß es in den anderes als ein Ablenken vom Thema. Allein, ich Westzonen Deutschlands sehr viele Leute gibt, die glaube, wir, denn ich spreche im Namen meiner drei die Londoner Empfehlungen billigen. Wir sind ja auch Kollegen hier, wir würden es begrüßen, wenn wir nicht gefragt worden. Aber, wenn Sie nun sagen, die diese zum Teil nicht mit dem Volksbegehren zusam- Alternative ist das Volksbegehren für Einheit und menhängenden Dinge in künftigen Diskussionen vor gerechten Frieden, dann möchte ich eigentlich mal die dem gleichen Forum und in dem gleichen Kreise Frage stellen, warum haben Sie nicht ein regelmäßig diskutieren könnten. Ich möchte mich als Volksbegehren aufgeworfen, in dem gefordert wird, disziplinierter Rundfunkmann dem Diktat des Sekun- daß sich die Ostzone dem größeren Teil denzeigers, der mir hier zugeschoben ist, und den Deutschlands, der bereits in einer Zweizonen- drohenden Blicken des Diskussionsleiters fügen, und Organisation, die demnächst eine Dreizonen- nur einige wesentliche Punkte behandeln. Organsiation werden wird, zusammengeschlossen ist, Eggebrecht: Herr von Schnitzler, darf ich sagen, warum sich also nicht die Ostzone diesen drei Zonen vielleicht wirklich ganz kurz, denn Sie sind, wenn ich anschließt? Die Bedingungen sind ja gar nicht so das objektiv sagen kann, mit einem Redner im schwierig. Es ist von allen Seiten immer wieder betont Vorsprung. worden, die Tür steht offen, (...) Ich glaube, das wäre von Schnitzler: Gut, ich werde mich bemühen. Sie ein Gegenstand eines Volksbegehrens gewesen, der sagen, die Ostzone soll sich doch einfach der Trizone gerechtfertigter ist als eine Formulierung, die ich anschließen. Ja, meine Herren, was würde das immer ein kleines bißchen verblasen finde. Denn es bedeuten? Wir haben jetzt gerade von den Londoner ist so klar, daß wir alle für Einheit und gerechten Empfehlungen gehört, die hier schon zum Teil Frieden sind, wie etwa, daß wir für Wärme und gute charakterisiert wurden. Wir sind uns doch darüber Ernte sind. Das können Sie ja auch mit einem einig, ich glaube, Herr von Zahn hat es gerade gesagt Volksbegehren nicht gut herbeizaubern. oder Herr Schütz, wir sind nicht gefragt worden. Die Aber darf ich noch auf eine Gefahr hinweisen, die Londoner Empfehlungen sind ein Diktat. Würde sich mir aus Herrn Harichs Worten klar wurde. Er nun die Ostzone der Trizone anschließen, würde das bezichtigt in Sonderheit die Angehörigen der West- nicht bedeuten, daß wir uns ebenfalls diesem zonen eines Chauvinismus, der sich gegen die Polen Londoner Diktat zu unterwerfen hätten? Ich bin der und die Tschechen und (...). Meinung, nein, wir haben gerade festgestellt: Sie Harich: (...) den Chauvinismus gibt es leider auch lehnen eine Einheit auf Grundlage des in Ostdeutschland (...). Volksbegehrens ab, weil Sie befürchten, daß von Zahn: (...) Verzeihen Sie. Gibt es auch. Ich Zustände, wie sie in der Ostzone herrschen, auf ganz begrüße, daß dieses Wort Chauvinismus fiel. Wir sind Deutschland ausgebreitet werden. gegen diesen Chauvinismus genauso wie Sie. Es Wir haben gewisse Bedenken gegen den Ein- fragt sich nur, ob man auf dem Umweg über ein von heitswillen gewisser westdeutscher Politiker, weil wir der SED inszeniertes Volksbegehren einen Chauvi- Bedenken gegen deren Hinterabsichten haben. nismus begründen sollte, der sich von einer Seite der Sehen Sie, das Potsdamer Abkommen war hart, aber Deutschen, nämlich der in der Ostzone, gegen die es hat wirtschaftlich die Einheit, die politische und Deutschen in der Westzone richtet. Am letzten wirtschaftliche Einheit Deutschlands vorgesehen. Es Sonntag hat Herbert Gessner einen Kommentar hat vorgesehen eine, die gemeinsamen Prinzipien der gesprochen über diese Diskussion, die damals ja Verwaltung und hat vorgesehen die Entmachtung der nicht zustande zu kommen drohte, und hat darin bisherigen Kräfte, die die Politik bei uns in 142 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

Deutschland bestimmt haben. Was aber ist denn nun in Wirklichkeit in diesen beiden Zonen geschehen? Die Ostzone hat faktisch die kriegstreiberischen 5 Greta Kuckhoff, 1948 Mitglied des Sekretariats der Kräfte in ihren, in der Ostzone, da sind diese kriegs- Deutschen Wirtschaftskommission in der SBZ. treiberischen Kräfte entmachtet und ausgeschaltet Warum sie nicht an der Gesprächsrunde teilnahm, worden. konnte nicht ermittelt werden. von Zahn: Siehe ›Nationalzeitung‹. 6 von Schnitzler: Wir sehen aber, wir haben am Wolfgang Harich, 1948 als Publizist und Thea- Berliner Rundfunk zur ›Nationalzeitung‹ durchaus terkritiker bei der SMAD-Zeitung ›Tägliche Rund- einige kritische Worte schon geäußert, Herr von Zahn, schau‹ tätig und gleichzeitig Teilnehmer an einem das ist hier durchaus möglich. Aber wenn wir uns die Dozentenlehrgang an der SED-Parteihochschule Westzone ansehen, dann sehen wir, daß da diese in Kleinmachnow. kriegstreiberischen Kräfte nicht ausgeschaltet sind. 7 Herbert Gessner, 1948 Kommentator beim Berli- Wir sehen da Wehrwirtschaftsführer an den wichtig- ner Rundfunk, 1947 von Radio München in die sten Positionen in der Wirtschaft, wir sehen Generäle, SBZ übergewechselt. die die Kriegsgeschichte schreiben, wir sehen da drüben (...). 8 Karl-Eduard von Schnitzler, 1948 Kommentator von Zahn (?): (...) Paulus (...). beim Berliner Rundfunk, 1947 vom NWDR Köln in von Schnitzler: (...) ein guter Zwischenruf (...). die SBZ übergewechselt. (Beifall, Gelächter) Schmidt (?): (...) nicht zuletzt (...) nach Kriegsrecht 9 Diskussion als Vorwand für Propaganda. Ein (...). Briefwechsel ohne Kommentar. In: Der Tages- Harich: (...) Paulus befindet sich in sowjetischer spiegel v. 4.6.1948. Kriegsgefangenschaft, die Generäle, die sich in den 10 Westzonen aufhalten, befinden sich nicht in eng- Vgl. SBZ-Handbuch. München 1991, S. 390f. und lischer oder amerikanischer Kriegsgefangenschaft G. N. Goroschkowa: Die deutsche Volkskongreß- (...). bewegung für Einheit und gerechten Frieden (Beifall) 1947-1949. Berlin 1963. Eggebrecht: Ich habe mich eben mit dem 11 Diskussion (wie Anm. 9). Programmdirektor des Nordwestdeutschen Rund- funks, Herrn Schütz, verständigt, daß wir den Vor- 12 Ebd. schlag machen, das nächste Mal zu einem möglichst baldigen Termin, den wir festsetzen wollen, die 13 Herbert Gessner, Sonntagskommentar vom 6.6. Herren des Berliner Rundfunks zu uns als Gast zu 1948. Deutsches Rundfunkarchiv (DRA) Standort bitten, um unter den selben Bedingungen die Dis- Berlin. Historisches Archiv (HA), Hörfunkbestand kussion über diese und ähnliche Punkte, die längst B 204-02-02/0177. nicht erschöpft sind, fortzusetzen (...). 14 von Schnitzler: Ich glaube, da dürfen Sie Beifall Peter von Zahn: Stimme der ersten Stunde. Er- zulassen (...). innerungen 1913-1951. Stuttgart 1991, S. 329. Eggebrecht: (...) bitte. (Beifall) 15 Schmidt: Ich möchte zum Schluß für den Berliner Äußerungen von Heinz Schmidt. In: Protokoll der Rundfunk erklären, wir nehmen die Einladung an. 1. Tagung des Lektorats Rundfunkgeschichte mit (Beifall) Pionieren des Deutschen Demokratischen Rund- Absage: In einer Übertragung aus dem Großen funks am 25.4.1966, S. 88. DRA Berlin. HA, Hör- Sendesaal des Berliner Rundfunks hörten Sie eine funkbestand. Diskussion zwischen Vertretern des Nordwestdeut- 16 Wsewolod Rosanow, sowjetischer Rundfunk- schen Rundfunks und des Berliner Rundfunks über Kontrolloffizier. das Volksbegehren. 17 Wladimir Mulin, sowjetischer Rundfunk-Kontroll- offizier. Anmerkungen 18 Äußerungen von Wilhelm Girnus in: Protokoll der 2. Tagung der Pioniere der ersten Stunde des 1 Bericht über den Sender Berlin des NWDR, o.J.. Deutschen Demokratischen Rundfunks am 19.10. In: SFB-Akten bei der SFB-Intendanz. Zitiert in: 1966, S. 42. DRA Berlin. HA, Hörfunkbestand. Erik Heinrich: Vom NWDR Berlin zum SFB. 19 Rundfunkpolitik in Berlin 1946-1954. Berlin FU Schmidt (wie Anm. 15), S. 88f. Diss. 1985, S. 53. 20 Vgl. Bruno Goldhammer: Diskussion NWDR - 2 Hans Erwin Haberfeld, 1948 Direktor des NWDR- Berliner Rundfunk, Sendereihe Deutschlands Studios Berlin. Stimme, 11.6.1948. DRA Berlin. HA, Hörfunk- bestand B 204-02-01/0470. 3 Zitiert in: Manfred Overesch: Das besetzte 21 Deutschland 1948-1949. Düsseldorf 1986, S. 442. Neues Deutschland vom 10.6.1948. 22 4 Alfons Steiniger, 1948 Professor für Staatsrecht Schmidt (wie Anm. 15), S. 89. an der Berliner Universität. 23 Ebd.

24 Ebd. Sie sprechen hier über die Politik der Besatzungsmächte ... 143

wenigen Fällen wurde der Wortlaut um in [ ] ge- 25 von Zahn (wie Anm. 14), S. 330. setzte Zusätze ergänzt. 26 Markus Wolf, 1948 unter dem Namen Michael 50 Koch (wie Anm. 43). Storm Kommentator des Berliner Rundfunks. 51 Wolfgang Harich: Keine Schwierigkeiten mit der 27 Girnus (wie Anm. 18), S. 42. Wahrheit. Zur nationalkommunistischen Opposi- tion 1956 in der DDR. Berlin 1993, S. 10f. 28 Aussprache über Deutschlands Einheit. Diskus- sion zwischen Nordwestdeutschem Rundfunk und 52 Äußerung des RIAS-Journalisten Peter Schultze Berliner Rundfunk in der Masurenallee. In: in: Gemeinsame Vergangenheit - getrennte Er- Tägliche Rundschau vom 12.6.1948. innerung. Der Journalismus im ersten Nachkriegs- jahrzehnt. In: Medienhistorische Hearings II. 29 Emil Dovifat, Der NWDR in Berlin 1946 bis 1954. Deutsche Selbst- und Fremdbilder in den Medien Berlin 1970, S. 29. von BRD und DDR. Marl 1994, S. 11f. 30 Goldhammer (wie Anm. 15), S. 89. 53 Äußerung von Egon Bahr auf dem Workshop 31 Aussprache (wie Anm. 28). Medien und Kalter Krieg. In: Heide Riedel (Hrsg.): Mit uns zieht die neue Zeit. 40 Jahre DDR- 32 Rundfunkdiskussion. In: Telegraf vom 12.6.1948. Medien. Berlin 1993, S. 115.

33 Goldhammer (wie Anm. 20). 54 von Zahn (wie Anm. 14), S. 330.

34 Schmidt (wie Anm. 15), S. 91. 55 Ruth Andreas-Friedrich: Schauplatz Berlin. Ta- gebuchaufzeichnungen 1945-1948. Frankfurt am 35 von Zahn (wie Anm. 14), S. 330. Main 1986, S. 315.

36 Schmidt (wie Anm. 15), S. 91. 56 Vgl. SBZ-Handbuch (wie Anm. 10).

37 Dovifat (wie Anm. 29), S. 29. 57 Dovifat (wie Anm. 29).

38 Girnus (wie Anm. 18), S. 42. 58 Koch (wie Anm. 43), S. 52.

39 Goldhammer (wie Anm. 20). 59 von Zahn (wie Anm. 14), S. 330. 40 Aussprache (wie Anm. 32).

41 Freitagabend im Rundfunkhaus. Wer für Deutsch- lands Einheit ist, der muß auch kämpfen! In: Neues Deutschland v. 12.6.1948.

42 Aussprache (wie Anm. 28).

43 Interview mit Thilo Koch am 20.11.1984. Zitiert in: Heinrich (wie Anm. 1), S. 53.

44 Schmidt (wie Anm. 15), S. 90f.

45 von Zahn (wie Anm. 14), S. 330.

46 Karl-Eduard von Schnitzler: Meine Schlösser oder Wie ich mein Vaterland fand. Berlin 1989, S. 226.

47 Erich Richter: Entwicklungsetappen des DDR- Rundfunks. IV. Die Volksbewegung gegen impe- rialistische Spaltungspolitik und der Übergang zur Planwirtschaft (1948). In: Beiträge zur Geschichte des Rundfunks Jg. 5 (1971), H. 1, S. 30.

48 Heinz Schmidt: Funkhaus Masurenallee. Mas- senwirksamkeit und Popularität trotz komplizierter Ausgangsbedingungen inmitten Westberlins. In: Erinnerungen sozialistischer Rundfunkpioniere. Berlin 1975, S. 102f.

49 DRA, Standort Berlin, Schallarchiv: Dok 221-1-1. 58 Min. Eine gekürzte Fassung von 37 Min. ist überliefert in: Norddeutscher Rundfunk, Hamburg, Schallarchiv: D 19 534/1. Die Transkription erfolg- te ohne Korrekturen des nicht immer formvoll- endeten Redeflusses der Diskutanten; in einigen

Miszellen

Erfüllte Pläne - nere Variante, die das vordergründig Kultische die schönsten Geburtstagsgrüße umging, indem der Aspekt der Nützlichkeit von Der DDR-Rundfunk feiert den Aktivitäten zu Ehren der Führer für die ganze Bevölkerung betont wurde. Auf Ulbricht bezogen Geburtstag Walter Ulbrichts wird dies durch das Motto der Geburtstagskam- pagne von 1963 »Uns allen zum Nutzen - Der Geburtstag Walter Ulbrichts - er wurde am Walter Ulbricht zu Ehren« besonders anschau- 30. Juni 1893 in Leipzig geboren - war in der lich. Solche Losungen zur Mobilisierung von hö- DDR ein Datum, das in den Medien je nach poli- heren Arbeitsleistungen wurden zu Kampagnen tischer und innerparteilicher Lage mal mehr mal mit bestimmten zeitlichen Zielen - Parteitage, weniger oder auch überhaupt keine Beachtung Jahrestage, Geburtstage - hochstilisiert und fand. Im April 1945 war Ulbricht nach Berlin zu- permanent durch die Massenmedien vermittelt. rückgekehrt, hatte 1946 maßgebend zur Grün- Wie nebenbei sollte sich dabei auch das Bild ei- dung der SED beigetragen und wurde mit nes innigen Verhältnisses von Parteiführung und sowjetischer Rückendeckung ihr führender Bevölkerung ergeben. Die Inszenierung von Ge- Politiker. Seit 1950 Generalsekretär der SED, burtstagsfeierlichkeiten für den SED-General- war er von 1953 bis 1971 Erster Sekretär des sekretär und Staatsratsvorsitzenden und ihre Zentralkomitees der SED, seit 1949 außerdem Vermittlung durch die Medien sollten so auch stellvertretender Ministerpräsident der DDR. zur Feier jedes einzelnen DDR-Bürgers werden. Nach dem Tod des Präsidenten der DDR, Im Programm des DDR-Rundfunks blieben Wilhelm Pieck, wurde Ulbricht am 12. die Glückwünsche anläßlich des Geburtstags September 1960 zum Vorsitzenden des von Ulbricht meist auf musikalische Grüße be- neugebildeten Staatsrats der DDR bestimmt, schränkt. Lediglich an den runden Geburtstagen der damals zur entscheidenden staatlichen standen spezielle Jubelsendungen zu seinen Leitungsinstanz wurde. Gleichzeitig übernahm Ehren im Programm, in denen doch manches an Ulbricht den Vorsitz im Nationalen die Stalin-Geburtstagsfeiern der ausgehenden Verteidigungsrat. Als Staats- und Parteichef 40er und beginnenden 50er Jahre erinnert.3 vereinigte Ulbricht eine ungewöhnliche Macht- fülle in seiner Hand. Seine Ablösung als Erster

Sekretär der SED am 3. Mai 1971 aus »Alters- * gründen«, wie offiziell verbreitet wurde, hing Von 1945 bis 1952 finden sich keine Hinweise wohl auch mit seiner starrsinnigen Betonung auf ein besonderes Programm zu Ulbrichts eines national geprägten Sozialismus ge- Geburtstag. Als Persönlichkeit des öffentlichen genüber der Sowjetunion zusammen. Verant- Lebens war der führende Funktionär aber den- wortlich gemacht für eine verfehlte Wirtschafts- noch im Programm des Rundfunks nahezu politik, von den eigenen Genossen in die Ecke ständig präsent. Sein 60. Geburtstag am 30. gedrängt und von Moskau fallengelassen, Juni 1953, so hatte es die SED-Führung machte Ulbricht für Erich Honecker Platz. Er geplant, sollte, im Gegensatz zu den verlor den Vorsitz im Nationalen vergangenen Jahren, mit großem Pomp gefeiert Verteidigungsrat und allen politischen Einfluß, werden: mit Staatsakt und einem großen obwohl er, inzwischen erkrankt, bis zu seinem sozialistischen Volksfest. Der Geburtstagsplan Tod Vorsitzender des Staatsrats blieb.1 sah unter anderem die Publikation einer Ulbrichts Führungsstil, seine Alleingänge, Ulbricht-Biographie, für die Johannes R. Becher seine Selbstherrlichkeit sowie der wahrschein- auserkoren war, sowie das Aufstellen einer lich von ihm selbst angeordnete, Kult um seine Ulbricht-Büste vor. Für das ›Neue Deutschland‹ Person stieß auch innerhalb der SED auf Kritik. war eine Festnummer zum Geburtstag ge plant. Selbst Wohlmeinende fühlten sich an die Zeiten Außerdem sollten überall in der DDR Festveran- Stalins erinnert.2 Ulbricht selbst hatte sich zwar staltungen, Schulfeiern und Jugendfeste stattfin- im Zusammenhang mit dem XX. Parteitag der den.4 Doch es kam alles ganz anders: Die in- KPdSU im Februar 1956, der der Abkehr vom nenpolitische Lage verschärfte sich im Frühjahr Stalinismus galt, am 17. März 1956 in seiner 1953, so daß Jubelveranstaltungen nicht mehr Rede auf der (Ost-)Berliner Bezirksdelegierten- opportun schienen; sie eskalierte in den bekann- konferenz der SED der Verdammung des Per- ten Ereignissen um den 17. Juni. Auch aus Mos- sonenkults angeschlossen, 1957 jedoch lebte kau blies nach dem Tod Stalins ein anderer der Personenkult, wie in der UdSSR unter Wind, der den »Personenkult« in Frage stellte. Chruschtschow, in der DDR durch Ulbricht wie- Anfang Juni 1953 ließ die sowjetische Seite der auf. Das Ausmaß der pseudoreligiösen durch Wladimir Semjonow, der am 5. Juni als Verehrung eines Stalin wurde indes nicht er- Hoher Kommissar in Ostberlin eingetroffen war, reicht. Es entwickelte sich vielmehr eine moder-

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Ulbricht nahelegen, er möge seinen 60. restlichen Abend mit einem sowjetischen Geburtstag so feiern wie Lenin seinen 50: im Filmbericht vom sechsten Festival der kleinen Kreis.5 Die geplanten Feierlichkeiten Weltjugend in Moskau 1957 abzurunden. In der zum 30. Juni wurden abgesagt, der Programmzeitschrift selbst wurde lediglich ein Geburtstagsplan eingestampft. Die vorgesehene knapp gehaltener Geburtstagsgruß abge- Biographie ging erst 1958 unter dem Titel: druckt.10 »Walter Ulbricht. Ein deutscher Arbeitersohn« in Von 1959 bis 1962 finden sich nur wenige Druck. Die Glückwunschadresse des Hinweise auf ein gesondertes Geburtstagspro- Zentralkomitees der SED an den Genossen gramm - obwohl Ulbricht nach dem Tod von Ulbricht fiel bescheiden aus; sie erschien am 30. Pieck 1960 zusätzlich das Amt des Staats- Juni im ›Neuen Deutschland‹ zusammen mit oberhauptes der DDR übernommen hatte. einem Foto des Jubilars auf der fünften Seite.6 Radio DDR I sendete in diesen vier Jahren Entsprechend zurückhaltend war auch die jeweils am 30. Juni, meist in einer Länge von 40 Berichterstattung im Rundfunk. Erste Minuten, einen Geburtstagsgruß. 1961 übertrug Glückwünsche erhielt der Jubilar in der Fernseh- der Berliner Rundfunk im Kinderfunk den Beitrag sendung »Gruß der Jugend« am 29. Juni über- »Bei Walter Ulbricht zu Gast«. Ebenfalls im Kin- mittelt. »Es ist«, so die Ansagerin, »das schön- derfunk brachte der Deutschlandsender im Jahr ste Geschenk für unseren Freund und Förderer, darauf seinen Geburtstagsgruß und ließ dafür wenn wir ihm versprechen, daß wir unsere den Kinderchor des Deutschlandsenders ganze junge Kraft für die Verteidigung unseres Ulbricht zum 69. Geburtstag gratulieren. Im geliebten Vaterlands einsetzen«, um dann zu Fernsehen gab es in diesem Zeitraum, außer dem Thema überzuleiten, das die Jugend wohl den üblichen Gratulationen in den tatsächlich interessierte, nämlich die sechsten Nachrichtensendungen, keine gesondert

7 Weltfestspiele in Bukarest. ausgewiesenen Beiträge zum Geburtstag. Der Ablauf des Fernsehprogramms am 30. Juni aber wurde geändert: Ursprünglich sollte * von 20.00 bis 22.00 Uhr ein Dokumentarfilm der DEFA mit dem Titel »Walter Ulbricht« und im Erst 1963, zu Ulbrichts 70. Geburtstag, füllten Anschluß daran »ein festliches Konzert zum 60. sich die Programme mit Glückwünschen, griff Geburtstag Walter Ulbrichts« der Reihe »Musi- der Kult um die Person Ulbrichts stärker um kalische Meisterwerke« ausgestrahlt werden. sich. In diesem Jahr stand Ulbricht im Zenit Statt dessen sahen die Zuschauer die Nach- seiner Macht. Sein Geburtstag wurde als richtensendung »Aktuelle Kamera mit Wetterbe- Festtag der Republik inszeniert. richt«, die DEFA-Wochenschau »Der Augenzeu- Schon am Vortag übertrug der Berliner ge«, »Meister des usbekischen Tanzes« und Rundfunk unter dem Titel »Eins in Wort und zum Abschluß »Bekannte Solisten aus der DDR Tat« eine Sondersendung mit Auszügen aus der musizieren für Sie«.8 Immerhin stand in der Staatsratserklärung und Erzählungen von Bür- »Aktuellen Kamera« die Person Ulbrichts mit ei- gern über den Besuch Walter Ulbrichts in Forst nem Rückblick auf Leben und Werk »dieses und Eichwege. Die Redaktion »Die Frau« des großen Kämpfers für Deutschlands Einheit, Frie- Berliner Rundfunks brachte in »Alexanderplatz. den und Wohlstand« im Mittelpunkt.9 Daneben Eine Sendung für die Berlinerin« Beiträge über gab es an diesem 30. Juni 1953 Gratulationen in die Verleihung der Ehrenbürgerwürde Berlins an den Hörfunk-Nachrichten. Walter Ulbricht sowie die Von 1954 bis 1957 ging der Geburtstag Geburtstagsgeschenke der Berliner. Im Ulbrichts ziemlich unbeachtet vorüber. Erst zum »Kommentar des Tages« verkündete ein 30. Juni 1958, seinem 65. Geburtstag, finden Ingenieur aus dem Transformatorenwerk »Karl sich in der Rundfunkzeitschrift »Unser Rund- Liebknecht« den Radiohörern euphorisch: funk« Hinweise auf vier Geburtstagssendungen. »Können wir uns ein schöneres Geschenk zum An diesem Tag ertönte frühmorgens um 6.05 Geburtstag des Genossen Walter Ulbricht Uhr der »Morgengruß des Deutschlandsenders vorstellen als die Mitteilung an den Staatsratsvorsitzenden: ›Wir haben den Plan er- zum 65. Geburtstag von Walter Ulbricht«, dem 11 sich der des Berliner Rundfunks um 6.45 Uhr füllt!‹« In der Reihe »Gehört-gelesen-mitge- anschloß. Radio DDR übertrug unter dem Titel teilt« des Deutschlandsenders wurde vom Pro- »Walter Ulbricht - Kämpfer und Lehrer« im grammsprecher ein Kapitel aus Johannes R. Rahmen des Schulfunks ein Lebensbild des Bechers Band »Walter Ulbricht - ein deutscher SED-Generalsekretärs. Im Vorabendprogramm Arbeitersohn« verlesen, der 1963 in neuer brachte der Deutschlandsender nochmals eine Auflage erschienen war. 20minütige Sendung zu Ulbrichts Ehren. Am Geburtstag selbst sprach der Ebenso der Deutsche Fernsehfunk, der mit der Vorsitzende des Staatlichen Rundfunkkomitees, Sendung »Ein Leben für die Arbeiterklasse« 15 Gerhart Eisler, der »allen ehrlichen und Minuten lang Ulbricht gratulierte, um dann den sauberen Deutschen«, die ihren 70. Geburtstag feierten und an deren Spitze der »Arbeitersohn

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Walter Ulbricht« stehe, seine herzlichsten Blumenstrauß aus Leuna«. Reporter meldeten Glückwünsche übermittelte.12 Die sich eine Stunde lang in einer »bunten Sendung Gratulationscour eröffnete am Morgen der zur Werkpause«. »Thälmann-Pioniere« aus Sender Leipzig mit dem Beitrag »Leipzig im Leuna, Merseburg und Umgebung fanden sich Leben Walter Ulbrichts«. Radio DDR I übertrug zu einem Konzert ein und grüßten alle im »Kinderradio DDR« die Sendung »Wir Arbeiterinnen und Arbeiter, denen es gelungen gratulieren!« und im Abendprogramm die Sen- war, zum 30. Juni die Planrückstände auf- dung »Zum 70. Geburtstag von Walter Ulbricht«. zuholen. Dieses Erreichen des Plansolls wurde Den selben Titel benutzte auch Radio DDR II für Ulbricht als Geschenk der Belegschaft darge- eine kulturpolitische Sendung am Nachmittag. bracht.15 Mittags folgte in der »Sendung für die Im Deutschlandsender wurde Ulbricht wiederum Landwirtschaft« eine Reportage aus Golzow/Kr. vom Kinderchor beglückwünscht, diesmal unter Seelow, die unter das Motto »Erfüllte Pläne - die dem Motto »Wir lernen gern - wir lernen gut«. schönsten Geburtstagsgrüße« gestellt war. Der Unter dem Titel »Verwurzelt tief in Deines Pressedienst des DFF zitiert die bäuerliche Be- Volkes Grund ...« zeichneten in einer völkerung im Begleittext zur Sendung mit folgen- Sondersendung am Abend Anna Seghers, den Worten: »Das schönste Geburtstagsge- Bruno Apitz, Werner Eggerath, Wieland schenk, das wir unserem Freund Walter Ulbricht Herzfelde, Willi Bredel, Jurij Brézan und Max bereiten können, sind saubere Felder und eine Zimmering aus Erinnerungen, Erlebnisberichten Produktion über den vorgesehenen Plan hin- und Skizzen das Lebensbild einer aus.«16 »revolutionären Persönlichkeit«, die, so die An- Von dieser »Mach mit Bewegung« blieben sage, »ob ihrer seltenen Konsequenz vom Fein- auch die Kleinsten nicht verschont. »Gute Taten de gehaßt, aber vom ganzen Volk geliebt und zum Geburtstag unseres Staatsratsvorsitzenden verehrt wird.«13 Die prominenten Schriftsteller Walter Ulbricht« war das Thema des Abendgru- waren nicht selbst im Studio anwesend, sondern ßes vom Kinderfernsehen an diesem 30. Juni. hatten ihre Beiträge zuvor auf Band gesprochen. Darin wurden die Vier- und Fünfjährigen ange- In der Sendung »Junge Menschen - frohe Wei- halten, ihre gegebenen Versprechen zu halten sen« des Berliner Rundfunks ertönte im und sich mit guten Taten am Wettbewerb zu be- Rahmen des musikalischen Morgengrußes die teiligen, wie etwa »Ulli, Marlies und Anne, die Komposition »Genosse Ulbricht - unser Vorbild« sich vorgenommen haben, das schöne Spiel- von Hans Naumilkat.14 Auf der gleichen Welle zeug im Kindergarten immer gut zu behan- wurden am Nachmittag in der Reihe »Vom deln.«17 Auch die Kinder sollten stets neue und Parkett gesehen« von Sprechern die Erinnerun- bessere Ergebnisse erreichen, wie die Erwach- gen der Schriftstellerin Hedda Zinner, der senen sollten auch sie an der Verpflichtungsbe- Schauspielerin Helene Weigel, des Intendanten wegung teilnehmen. der Komischen Oper Walter Felsenstein und Unter dem Motto »Uns allen zum Nutzen - des Schauspielers Hans-Peter Minetti an ihre Walter Ulbricht zu Ehren« wurde das Vorabend- Begegnungen mit dem Staatsratsvorsitzenden programm mit der Filmbetrachtung »Walter Ul- verlesen, Erinnerungen, die in dem Band »Wal- bricht. Begegnungen und Dokumente zu seinem ter Ulbricht« des Aufbau-Verlags publiziert wor- 70. Geburtstag« beschlossen, in der, so der den waren. In den einzelnen Beiträgen wird die Kommentar, »wir uns auf einige jener Schnitt- Person Ulbrichts recht nüchtern geschildert, es punkte im Wirken Walter Ulbrichts - in der deut- fehlt ihnen jegliche Euphorie. Sicherlich mehr schen Vergangenheit und Gegenwart beschrän- Wirkung hätte erzielt werden können, wenn die ken, aus denen unsere sozialistische Zeit Ge- Schriftsteller und Künstler selbst zu Wort stalt und Kraft gewinnt, noch weit über das Jahr gekommen wären oder zumindest etwas Neues, 2 000 hinaus.«18 Der Blick Ulbrichts ging zu Be- nicht schon Publiziertes vorgetragen worden ginn der 60er Jahre weit in die Zukunft, oder wie wäre. So aber wirkt das ganze recht phantasie- es der Dichter Johannes R. Becher formulierte: los, von den Verantwortlichen ohne große Mühe »Walter Ulbricht ist mit all denen, die das Jahr gemacht. 2 000 erleben werden.«19 Die DDR-Wirtschaft In der Reihe »Menschen und ihr Werk« sollte nach dem Willen Ulbrichts in die Lage ver- wurde ein Bericht über die VEB Leuna-Werke setzt werden, dem wissenschaftlich-technischen »Walter Ulbricht«, einem der größten Betriebe »Welthöchststand« nicht mehr nur der DDR, gesendet. Ein Foto beim Besuch die- nachzulaufen, sondern ihn wenigstens ses Werks - Ulbricht inmitten von Leuna-Arbei- mitzubestimmen. Man konzentrierte sich daher tern - ziert als Titelbild Heft 27 der Zeitschrift ›FF vor allem auf die Zukunftsindustrien. Die dort Funk und Fernsehen der DDR‹. Diesen Besuch investierten Mittel fehlten jedoch bald in anderen im Leuna-Werk griff auch der Deutsche Industriezweigen wie in der Zuliefererindustrie Fernsehfunk auf und begann im und der Konsumgüterproduktion. Der damals »Kinderfernsehen für Kinder von 10 Jahren an« erreichte Lebensstandart geriet in Gefahr. den Gratulationsreigen mit der Sendung »Ein

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Ulbrichts Losung »überholen, ohne einzuholen« der SED, in dem mit Blick auf die Medien fol- wurde bald verspottet.20 gende Positionen vorgesehen waren:25 Auch noch am Tag darauf, dem 1. Juli, fand - Einleitung einer Aktion »Volksabstimmung der Jubilar im Programm Beachtung. Der durch die Tat«, in der »jede Leistung in der Pro- Deutschlandsender stellte im »Literatur-Journal« duktion bei der Verwirklichung der Verpflichtun- Bücher zusammen, die zum 70. Geburtstag Ul- gen zum 70. Geburtstag des Genossen Walter brichts erschienen waren und berichtete über Ulbricht« mit Hilfe des Fernsehens an die die Glückwunschadresse des Deutschen Öffentlichkeit getragen wird. Schriftstellerverbandes sowie über die Eröffnung - Abrechnung der Wettbewerbe und Popula- der Ausstellung »Uns allen zum Nutzen, Walter risierung der neuen Etappe des sozialistischen Ulbricht zu Ehren - Walter Ulbricht und das Wettbewerbs durch Presse, Rundfunk und Fern- Buch« in der Deutschen Staatsbibliothek. Auf sehen. der Berliner Welle sprach für die Hörer in Berlin - Herstellung einer sechssprachigen Sonder- (West) Hans Jacobus21 den Abendkommentar illustrierten »Treffpunkt Berlin« über die mit rührenden Episoden von den Feierlichkeiten Geburtstagsfeierlichkeiten. am Vortag. In den Geschenken der Bürger, so - Herstellung eines Films über den Freund- der Kommentator, konzentrierten sich die schaftsbesuch Nikita Chruschtschows anläßlich Leistungen der Republik, gepaart mit des 70. Geburtags Walter Ulbrichts durch das Herzlichkeit und Stolz, was man sicherlich kaum Dokumentarfilmstudio der DEFA; Titel des begreifen könne, wenn man nicht dabei Films: »Dank dem Freunde«. gewesen sei, und »wenn man in den - Ausstellung einer Auswahl der Geburts- Schreibstuben der Monopolpresse verbiestert tagsgeschenke im Ausstellungszentrum am zusammengezimmerte Haßtraktätchen vorge- Alexanderplatz. setzt bekommt, wie das den Westberlinern tag- Der 30. Juni 1963 blieb den Bürgern der ein, tagaus zugemutet wird.«22 »Aus dem Arbei- DDR somit über einen längeren Zeitraum hin terleben« war der Titel einer Sendung über den präsent. Den Medien fiel im Rahmen dieses abendlichen Festempfang in der Berliner Dyna- »Aktionsplans« die Rolle zu, Öffentlichkeit her- mo-Halle vom 30. Juni, bei dem Max Reimann, zustellen und auf die Menschen mit verschiede- erster Sekretär der KPD, und ein nen Aktionen einzuwirken, damit die dem Jubilar Sozialdemokrat aus Hamburg stellvertretend überreichten Verpflichtungen auch eingelöst »die Wünsche der westdeutschen Bevölkerung« wurden. Die Feierlichkeiten erwecken den An- an Ulbricht hatten überbringen dürfen.23 schein, als ob an Ulbrichts 70. Geburtstag, wenn Im dritten Juliheft von »FF Funk und Fernse- auch im bescheiderem Maße und oftmals wenig hen der DDR« wurde die Gratulationscour noch- originell, das nachgeholt werden sollte, was mals aufgegriffen und über die Glückwünsche zehn Jahre zuvor hatte unterbleiben müssen. berichtet, die Ulbricht als »bewährter Arbeiter- führer, als Steuermann unseres sozialistischen * Staates« entgegengenommen habe. Letztlich aber hätten die Glückwünsche allen gegolten Danach kehrte wieder Ruhe ein. Die Jahre 1964 »für das, was wir bisher beim umfassenden Auf- bis 1966 beschränkten sich im Hörfunk wieder bau des Sozialismus mit unserer Hirne und Hän- auf die vormittäglichen musikalischen Glück- de Arbeit erreichten.«24 wünsche. Während zu Ulbrichts 71. Geburtstag Für sämtliche Reportagen um den 30. Juni immerhin noch Radio DDR I, der Deutschland- herum hätte das Motto gelten können: Wer dem sender und der Berliner Rundfunk Glück- Parteiführer gratuliert, klopft sich selbst auf die wünsche übertrugen, blieb dies in den beiden Schulter. Die Verpflichtungsbewegung hatte an darauffolgenden Jahren auf den Deutschland- einem Tag wie diesem Hochkonjunktur. Die sender beschränkt. Erst 1968, zu Ulbrichts 75. breite Berichterstattung über solch vielerlei Geburtstag, sendete der Berliner Rundfunk Produktionsverpflichtungen oder wieder musikalische Grüße. Im ersten Pro- Hervorhebungen von Produktionssteigerungen gramm von Radio DDR wurden bereits am 29. in einzelnen Betrieben, nicht nur zu bestimmten Juni unter dem Titel »Ein Leben im Dienst der Anlässen gang und gäbe in der DDR, wirkte Arbeiterklasse«, Begegnungen mit Walter zwar häufig ermüdend, sie nahm jedoch die Ulbricht übertragen. Mit Bezug auf diese Berufswelt des DDR-Bürgers ernst, wenn auch Sendung druckte »FF Funk und Fernsehen der nur, um ihn zur Planerfüllung zu ermuntern, und DDR« einen Beitrag, in dem aus »der Fülle gaben ihm die Möglichkeit, die Leistung seines seiner wegweisenden Darlegungen zur Arbeit Betriebes und damit schließlich seine eigene und Aufgabe von Funk und Fernsehen im ver- Arbeit in der Öffentlichkeit gewürdigt zu sehen. gangenen Jahrzehnt« einzelne Passagen vor- Mit einem »Aktionsplan« zur Auswertung von gestellt wurden und Ulbricht den Lesern als Ulbrichts 70. Geburtstags befaßte sich im Juli Mann der Medien geschildert wird: »Er hört und die Agitationskommission des Zentralkomitees sieht die Programme unserer Sender - aktiv, in- teressiert, kritisch. Er spricht selbst vor Mikrofon

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und Kamera - schlicht, klug, überzeugend. Und verbreitete Version30, ungekürzt fortgesetzt. In er bekundet von der Tribüne bedeutender politi- der Hauptausgabe der »Aktuellen Kamera« scher und kultureller Ereignisse stets aufs neue erfuhren die Zuschauer die Nachricht vom Tode seine enge Verbundenheit mit den Massenme- Walter Ulbrichts. Es war ein Punkt von dien - anerkennend, beratend, fordernd.«26 insgesamt 21 Nachrichtenabschnitten. Das Die restlichen Jahre seines Lebens, von Nachrichtenmagazin »« versah 1969 bis 1973, blieb Ulbricht indes von den seine Titelgeschichte zum Tode Ulbrichts mit Medien weitgehend unbeachtet. 1971 setzte, wo der Headline »Ulbricht: Am Ende ein Hauch von immer möglich, die öffentliche Demontage Tragik« und traf dabei die Feststellung, daß Ulbrichts ein. An seinem 78. Geburtstag zeigte Ulbricht keine Lücke hinterlasse, sei doch der ihn das Fernsehen in seinem Wohnsitz in SED- und DDR-Gründer schon lange vor Wandlitz bei der Entgegennahme der seinem Tod ein machtloser Mann gewesen.31 In Glückwünsche des Politbüros, sitzend, in der DDR begann das offizielle Trauern erst, Pantoffel und Hausmantel. Ansonsten leisteten nachdem der Festivaltrubel verrauscht war. Am die Medien ihren Beitrag dazu, Ulbricht in der 7. August übertrug das DDR-Fernsehen den Öffentlichkeit in Vergessenheit geraten zu Trauerakt direkt, während dem sich die Partei- lassen. Ulbricht tauchte kaum noch im Rundfunk und Staatsspitze von Ulbricht verabschiedete. auf, die Fernsehkameras sparten ihn fast völlig Die »Aktuelle Kamera« berichtete neben dem aus. Auch sein 80. Geburtstag im Jahre 1973 Staatsakt vor allem über die Kondolenzen aus war kein großes Ereignis mehr, ja es gab nicht aller Welt. einmal mehr die sonst üblichen musikalischen Zu Ulbrichts 90. Geburtstag erschien von Glückwünsche. Berliner Rundfunk, Radio DDR I Heinz Voßke32 eine neue Ulbricht-Biographie, und »Aktuelle Kamera« berichteten über die die am 30. Juni 1983 in Radio DDR II den Hö- Gratulationscour zum 80. Geburtstag von Walter rern im Gespräch mit dem Autor vorgestellt Ulbricht.27 Das Fernsehen zeigte das dis- wurde. Die »Aktuelle Kamera« erinnerte an die- kreditierende Bild des Jubilars, der die Gratula- sem Tag ebenfalls an Ulbricht und übertrug die tion im Staatsratsgebäude sitzend entgegen- Kranzniederlegung zu Ehren des Verstorbenen nahm. Den Zuschauern wurde das Bild eines von der »Gedenkstätte der Sozialisten« in gebrochenen alten Mannes vermittelt. Die Berlin -Friedrichsfelde. Glückwunschadresse des SED-Zentralkomitees im »Neuen Deutschland« glich in Aufmachung * wie Tonart eher einem Nachruf auf das »arbeits- reiche und kampferfüllte Leben eines verdienst- Ein halbes Jahrhundert war Ulbricht kommunisti- vollen Führers der Arbeiterklasse.«28 scher Funktionär, ein Vierteljahrhundert Allein- Stefan Heym beschreibt in seinen Erinnerun- herrscher über SED und DDR. In einem Essay gen mit treffenden Worten zwei Szenen aus den charakterisierte 1966 der Publizist Sebastian letzten Jahren Ulbrichts, in denen sich dessen Haffner den Staatsratsvorsitzenden: »Ulbricht öffentliche Demontage deutlich widerspiegelt. hat, oberflächlich gesehen, kaum eine der Ei- »Unvergeßlich«, so Heym, »die Szene, aufge- genschaften, die ein großer Politiker normaler- zeichnet von der unbestechlichen Kamera am weise aufweist. Er hat kein Charisma, nicht ein- Flugplatz in Schönefeld, da der große Chef aus mal Charme. Er ist, was man kontaktarm nennt; Moskau eintrifft, um den Wachwechsel [von Ul- er ist alles andere als ein hinreißender Redner; bricht zu Honecker] abzusegnen, und der Alte, er sächselt; er ist nicht sprachgewaltig, er hat der noch nicht ganz begriffen, daß seine Zeit weder denkwürdige Worte geprägt noch origi- vorbei ist, als erster auf den Gast zuschreiten nelle Ideen proklamiert; er ist als Persönlichkeit will zum gewohnten Begrüßungskuß auf die nicht besonders eindrucksvoll, und seine private Lebensgeschichte ist nicht besonders aufre- Hängebäckchen und zurückgestoßen wird von 33 den grausamen Ellbogen seiner eignen Kreatu- gend.« Und dennoch habe Ulbricht, so Haffner ren; und kurz darauf die Frontseite des Neuen weiter, sämtliche Krisen und Stürme überstan- Deutschland, das er so lange beherrschte, mit den, die die kommunistische Welt nach dem To- dem Großphoto von der Geburtstagscour, es ist de Stalins erschütterten, und ein halbes sein achtzigster, wie er da placiert ist im Dutzend Rivalen ausmanövriert. Er habe einen Schlafrock, Filzlatschen an den Füßen, und Staat gegründet und ihn konsolidiert. »Er rechts und links von ihm, die Sakkos korrekt ge- wurde«, so Haffners Fazit aus dem Jahr 1973, knöpft, das Politbüro: Gruppenbild mit Ehren- »in den Jahrzehnten seiner Macht mehr greis - welch ein Hohn!«29 respektiert und gefürchtet als verehrt und geliebt, auch von seinen engsten Am 1. August 1973 starb Ulbricht 80jährig in 34 Berlin. Die während dieser Zeit in Ostberlin ab- Mitarbeitern.« gehaltenen zehnten Weltfestspiele der Jugend, Das Bild, das durch die Medien der Öffent- vom 28. Juli bis 5. August, wurden auf seinen lichkeit vermittelt wurde, war ein ganz anderes: Wunsch hin, so zumindest die offiziell Ulbricht wurde präsentiert als »Großer Kämpfer« für Frieden, Einheit und Wohlstand,

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»vom Feinde gehaßt, aber vom ganzen Volk 7 Deutsches Rundfunkarchiv (DRA), Standort Ber- geliebt und verehrt.« Er wurde gepriesen als lin. Historisches Archiv (HA), Archivbestand Fern- Lehrer und Vorbild, Freund und Förderer der sehen: Sendemanuskript »Gruß der Jugend« v. Jugend, als proletarischer Übervater 29.6.1953. schlechthin. Sein Wort galt stets als 8 Ebd.: Sendeleitung, Korr. Wochenprogramm »richtungweisend«, sein Tun stets als 28.6.-4.7.1953. »historisch«. Meist wurden bei der 9 Ebd.: Tagesfahrplan für das Programm sowie Beschreibung Superlative gebraucht und Sendemanuskript »Aktuelle Kamera« v. Metaphern benutzt, die oftmals so überzogen 30.6.1953. waren, daß der angestrebte propagandistische 10 Effekt zur Karikatur wurde. Immer wieder wurde Vgl. Unser Rundfunk Jg. 13 (1958), H. 27, S. 3. versucht, den recht spröde wirkenden Parteichef 11 DRA Berlin. HA, Archvibestand Hörfunk: Sende- »volksnah« zu präsentieren. Fotos zeigen ihn protokolle Berliner Rundfunk Nr. 629: Manuskript, beim Sport, im Gespräch mit Arbeitern vertieft Kommentar des Tages v. 29.6.1963. oder inmitten einer fröhlichen Kinderschar. Die 12 Ebd.: Sendeprotokolle Deutschlandsender Nr. Geburtstagssendungen befaßten sich indes vor 594: Manuskript Eisler v. 30.6.1963. allem mit Ulbrichts Lebenslauf - ein »deutscher 13 Arbeitersohn«, ein »erprobter Kämpfer gegen Ebd.: Sendeprotokolle Deutschlandsender Nr. 596: Laufplan »Verwurzelt tief in Deines Volkes Militarismus und Faschismus«, ein »hervorra- Grund« v. 30.6.1963. gender Staatsmann«. Auffällig ist, daß Berichte 14 über sein Verhältnis zu Kunst, Literatur und Hans Naumilkat, geb. 1919, Komponist und Mu- Musik nahezu völlig fehlen, vielleicht weil sikerzieher; leitete von 1950 bis 1974 die von ihm Ulbricht zu solchen Dingen keine Beziehung und seiner Frau Ilse gegründeten Kinderchöre des Berliner Rundfunks; 1974-1984 Chorleiter der hatte. »Ulbricht«, so formulierte es Carola Stern, Pädagogischen Hochschule Erfurt; Verfasser von »wünschte sich, geliebt, vom Volk verehrt zu Kantaten und Jugendliedern. werden.« Seine Person und Politik hätten sich 15 allerdings besonders wenig für Public Relations DRA Berlin. HA, Archivbestand Fernsehen: JE geeignet.35 Kinderfernsehen A 15: Programmunterlagen nach Sendedaten 1963; Manuskript »Blumenstrauß aus Spätestens ab 1971 unterlag auch Ulbricht Leuna« v. 30.6.1963. jener Persönlichkeitsdemontage, die schon vie- len entmachteten Politikern des ehemaligen 16 Fernsehdienst Jg. 1963, Nr. 27, S. 9. Ostblocks zu Teil geworden war. So wurde 17 Kinderfernsehen: DRA Berlin. HA, Archivbestand etwa, um nur zwei Beispiele zu nennen, die Fernsehen: Manuskript Abendgruß Nr. 1922 v. Standard-Briefmarkenserie mit Ulbrichts Kopf 30.6.1963. nicht mehr neu aufgelegt, das »Walter-Ulbricht- 18 Fernsehdienst Jg. 1963, Nr. 27, S. 8. Stadion« in Ostberlin in »Stadion der Weltjugend« umbenannt. 19 Zit. in: ebd. Jörg-Uwe Fischer, Berlin 20 Vgl. Dietrich Staritz: Zur Geschichte der DDR. In: Werner Weidenfeld, Hartmut Zimmermann 1 Vgl. Wolfgang Kenntemich u.a. (Hrsg.): Das war (Hrsg.): Deutschland-Handbuch. Eine doppelte die DDR. Eine Geschichte des anderen Deutsch- Bilanz 1949-1989, 1989, S. 69-85, hier S. land. Berlin 1993, S. 50-53. 77-80. 2 Vgl. Carola Stern: Ulbricht. Eine politische Biogra- 21 Hans Jacobus, geb. 1923, Publizist; 1938 Emigra- phie. Köln, Berlin 1963, S. 248. tion nach England, 1947 Rückkehr nach Deutsch- 3 Vgl. Thomas Friedrich: »Welch eine Kraft es gab, land, 1949-1953 Chefredakteur beim ›Sport- als Stalin spach«. Personenkult und SED. Berlin Echo‹, anschließend Redakteur und Kommentator 1992; Jörg-Uwe Fischer: Im Zeichen des Perso- beim Berliner Rundfunk, 1976-1985 Chefredakteur nenkults. Stalins Geburtstag im ostdeutschen beim ›Sonntag‹, 1977-1990 Mitglied des Präsi- Rundfunk (1945 - 1956). In: RuG Jg. 21 (1995), S. dialrates und 1986-1990 Vizepräsident des 247-253. Kulturbundes. 22 4 Vgl. Vorlage der Kommission des Politbüros zur DRA Berlin. HA, Archivbestand Hörfunk: Sende- Vorbereitung des 60. Geburtstages Walter Ul- protokolle Berliner Rundfunk Nr. 633: Manuskript brichts. Abgedruckt in: Friedrich (wie Anm. 3), S. v. 1.7.1963. 60ff. 23 Ebd.: Sendeprotokolle Deutschlandsender Nr. 5 Vgl. Stern (wie Anm. 2), S. 14f.; Friedrich (wie 598: Laufplan v. 1.7.1963. Anm. 3), S. 62ff. 24 Gratulation für uns alle. In: FF Funk und Fernse- 6 Vgl. Glückwunsch des Zentralkomitees der SED hen Jg. 18 (1963), H. 29, S. 3. an den Genossen Walter Ulbricht. In: Neues 25 DRA Berlin. HA, Archivbestand Hörfunk: Anwei- Deutschland Nr. 150 v. 30.6.1953, S. 5. sungen und Vorlagen für die Sender 1954-1989, Aktionsplan Agitationskommission vom 11.7.1963 (Abschrift KI).

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26 FF Funk und Fernsehen Jg. 23 (1968), H. 26, S. an. Kasack urteilte später über ihn: 8f. »Kiepenheuer hatte den Glauben an die 27 Vgl. DRA Berlin. HA, Archivbestand Hörfunk: revolutionierende Kraft des Worts und scheute Sendeprotokolle Berliner Rundfunk und Radio kein Experiment«. Die bereits im Manuskript DDR I v. 30.6.1973. Archivbestand Fernsehen: abgeschlossene Dissertation über die Lyrik Korrigierter Plan AK Hauptausgabe v. 30.6.1973. Friedrich Hölderlins wurde nicht mehr einge- 28 Zentralkomitee der SED gratuliert Genossen Wal- reicht, Kasack arbeitete bis 1925 als Lektor und ter Ulbricht. In: Neues Deutschland Nr. 178 v. zweiter Verlagsdirektor bei Kiepenheuer, 1926 30.6.1973, S. 1. und 1927 als Verlagsdirektor bei S. Fischer. 29 »Als ich 30 war, 1926, war keine gute Zeit: Stefan Heym: Nachruf. Berlin 1990, S. 774. Bei der Mut, aus freier Zeit ein eigenes Leben auf- der Szene »Ulbricht im Schlafrock« hat sich Heym um zwei Jahre vertan; es war der 78. Geburtstag zubauen, (...) bewährte sich gering. Ich 1971, das Politbüro des ZK gratulierte Ulbricht in verkaufte mich an den Rundfunk, was die seinem Wandlitzer Wohnsitz. Existenz sicherte«. Nachdem am 28. April 1925 30 unter dem Titel »Lyrik der Gegenwart« Kasacks Vgl. Neues Deutschland Nr. 211 v. 2.8.1973, S. 1. erste Rundfunksendung im Programm der 31 Vgl. Der Spiegel Nr. 32 v. 6.8.1973. Berliner Funkstunde gelaufen war, entdeckte der Autor und Lektor Kasack die Vorzüge des 32 Heinz Voßke, geb. 1929, Historiker und Autor, ehem. Leiter des Zentralen Parteiarchivs im Insti- neuen Mediums. Zunächst noch parallel zu tut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. seiner Tätigkeit in den Verlagen, stellte sich Kasack ab Juli 1927 als - heute sogenannter - 33 Sebastian Haffner: Zur Zeitgeschichte. München »fester Freier« in den Dienst des Rundfunks, 1982, S. 121-125, hier S. 121. den er als großartiges Kulturinstrument begriff. 34 Sebastian Haffner: Der preußische Sachse. In: In mehr als 100 Literatursendungen bis zum Stern H. 27 v. 28.7.1973, S. 122. Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 35 Stern (wie Anm. 2), S. 253. förderte er die Literatur und die Literaten. Viele junge Schriftsteller, darunter beispielsweise Günter Eich und Martin Raschke, erhielten durch Kasack die Möglichkeit, im Rundfunk zu »Der Rundfunk ist der Dichtung lesen (19. 4. 1928 in der Reihe »Jüngste Dichtung«). Seine Sendereihe »Stunde der Le- vieles schuldig« benden« widmete sich u. a. Else Lasker-Schüler Hermann Kasack (1896 - 1966) (7. 2. 1926), Friedrich Koffka und Hermann Un- gar (27. 3. 1927); »Funkporträts« stellten Bert »Der Rundfunk ist (...) der Dichtung vieles Brecht (12. 10. 1932), Thomas Mann (29. 11. schuldig« - diese mäzenatische Feststellung, 1930) und Georg Kaiser (25. 1. 1931) vor; Dis- 1929 von Hermann Kasack auf der Kasseler Ta- kussionsrunden kreisten über die »gesellschaft- gung »Schriftsteller und Rundfunk« formuliert, liche Lage des Schriftstellers« (30. 11. 1929) gilt auch umgekehrt. Denn für den vor 100 Jah- oder - mit Franz Werfel - die »Erfahrungen eines ren am 24. Juli 1896 in Potsdam geborenen Lektors« (17. 3. 1930). Autor Hermann Kasack besaßen beide Versio- Hermann Kasack nutzte den Rundfunk nicht nen ihre Berechtigung. Dichtung und rund- nur in der Form, gedruckte oder für den Druck funkliterarische Vermittlung, Geist und Technik, vorgesehene literarische Arbeiten zu präsentie- poetischer Formwille und publizistische Wirkung ren. Der Potsdamer Homme des lettres war in gehörten für ihn untrennbar zusammen. In Ka- den Anfangsjahren ein unermüdlicher Experi- sacks literarischem Werk beeinflußten sich mentator mit neuen Sendeformen. So lud er bei- diese beiden Seiten auf engste Weise. spielsweise am 2. Dezember 1929 Rudolf Arn- Für den jungen Philosophie-Studenten, der heim, Alfred Döblin, Arnold Zweig und Walter 1915 in Franz Pfemferts Zeitschrift »Aktion« von Hollander ein, ausgehend von einer Zei- sein erstes Gedicht veröffentlichte, der Dramen, tungsnotiz eine Stegreifgeschichte zu erzählen. Prosa, Aufsätze und Theaterberichte schrieb, Live geführte Studiodiskussionen, dialogisch war der Weg zum neuen akustischen Medium aufgelockerte Sendungen über neueste Lyrik- zunächst noch nicht selbstverständlich. Streng themen, literarisch-musikalische Mischsendung- trennte der in Expressionismus-Kreisen verkeh- en - solche heute für einen Literaturredakteur rende Kasack seine »geistige Kunst« ab von selbstverständlichen Präsentationsformen muß- den Gesetzen des Lebens. Sein Schreiben ten damals erst entwickelt werden. Kasack kann diente der eigenen Identitätsfindung; ein eher als »Pionier des aktuellen Literatur-Programms pessimistischer Grundton bestimmte die der Berliner Funk-Stunde« bezeichnet werden, literarischen Arbeiten. Im Oktober 1920 der »die besonderen Möglichkeiten des akusti- allerdings wurde der Verleger Gustav schen Mediums optimal auszuschöpfen« suchte Kiepenheuer auf den Autor aufmerksam und bot (Martina Fromhold). ihm das Lektorat seines Verlages in Potsdam

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1929 verlagerte Kasack als Autor seinen Fehleinschätzung. Kasack sah sich gezwungen, Schwerpunkt auf die »Jugendbühne« des Sen- in die »innere Emigration« zu gehen. Für kaum ders in der Berliner Masurenallee. Er einen Schriftsteller in Deutschland ist diese so bearbeitete - zunächst noch ganz der Ansicht widersprüchliche Bezeichnung zutreffender als vom Rundfunk als einer Bildungsanstalt für Kasack. Er veröffentlichte nur wenig, die verpflichtet - Dramen für die Jugend. Nach Hugh finanziellen Probleme nahmen zu. Die einzelnen Loftings Buch »Dr. Dolittle und seine Tiere« Gedichte kreisen um das wortmagische Bannen schrieb er die 13teilige Hörspielreihe »Dr. eines »ewigen Daseins«; ein Essay behandelt Dolittles Abenteuer« (4. 8. 1929 bis 13. 4. 1930) das »Chinesische« - eine der zentralen und in der Figur von »Tull, dem Kasacksche Chiffren für das Geistige, die Meisterspringer« (23. 11. 1932 bis März 1933) unzerstörbare Ordnung, die Kunst und die schuf Kasack schließlich eine originäre innere Wirklichkeit; der großangelegte Roman Funkgestalt. Mit einem pfeifenden Geräusch von der »Stadt hinter dem Strom« wird bis zur überwindet Bruno Fritz in der clownesken Rolle Hälfte fertiggestellt; die kleine Erzählung »Das des Tull problemlos den Raum, beispielsweise Birkenwäldchen« fungiert 1944 als Kassiber für wenn er in der Folge »Kinderreise mit Tull« den inhaftierten Peter Suhrkamp, in dessen schneller ist als »Der fliegende Hamburger«, Verlag Kasack am 1. April 1941 die Nachfolge Deutschlands neuer »Blitzzug« (Januar 1933). von Oskar Loerke als Cheflektor angetreten Schließlich ist Kasack auf dem Gebiet des hatte. Hörspiels mit einigen wenigen, aber maßgebli- Als Autor fand Kasack zum Rundfunk nur chen Arbeiten vertreten. Sein erstes Originalhör- noch für kurze Zeit zurück. Am sowjetisch kon- spiel »Stimmen im Kampf« (7. 12. 1930) erprob- trollierten Berliner Rundfunk in der Masurenallee te die Technik des inneren Monologs. Das Ten- arbeitete er gelegentlich für einige der von Peter nismatch zwischen Red und Green diente dem Huchel betreuten literarischen Sendereihen. Im Anlaß, die Gedanken der beiden in »einer aku- Vordergrund standen bis zu seinem stischen Zeitlupenaufnahme des seelischen Un- Lebensende am 10. Januar 1966 jetzt zwei terbewußtseins« zu belauschen. In »Eine Stim- Bereiche: erstens die eigene literarische Arbeit; me von Tausend« - wiederum ein Stimmenspiel er veröffentlichte die Romane »Die Stadt hinter - belauscht der Hörer die traumhaften Überle- dem Strom« (1947) und »Das große Netz« gungen und imaginären Dialoge einer Spielfigur (1952) sowie die Gedichtbände »Aus dem vor dem Aufbruch ins Büro am Morgen. Kasacks chinesischen Bilderbuch« (1955) und zeitlebens grundlegender Dualismus zwischen »Wasserzeichen« (1964); zum anderen die einem »eigentlichen Leben« und dem »Alltag«, literaturfördernde Tätigkeit als Herausgeber zwischen der »Seele« und dem »kummervollen (Oskar Loerkes »Tagebücher«, 1956; Peter Fristen der Existenz«, kommt in diesem philoso- Suhrkamps »Reden und Aufsätze«, 1960; phisch aufgeladenen Stück besonders zum Tra- Georg Kulkas »Aufzeichnung und Lyrik«, 1962) gen. Kasacks drittes und letztes Hörspiel mit sowie als Präsident der Darmstädter Akademie dem Titel »Der Ruf« geriet als Arbeitslosenhör- für Sprache und Dichtung (1953-1963). Auf bei- spiel in die rundfunkpolitischen Querelen der den Gebieten nutzte er in Form von Lesungen, Übergangsphase beim Machtantritt der Gesprächen und Preisreden das akustische Nationalsozialisten. Am 12. Dezember 1932 das Medium, denn Kasack war, wie er 1956 in erste Mal unter dem Pseudonym Hermann einem Interview betonte, von der »Wirksamkeit Wilhelm ausgestrahlt und gegenüber dem Ur- des dichterischen Wortes« überzeugt: »Es kann manuskript bereits durch Sendeleiter Richard verzaubern, es kann verwandeln«. Kolb stark verändert, wurde der »Ruf« des ar- Hans-Ulrich Wagner, Wiesbaden beitslosen Martin im Spiel schließlich von Otto- Anläßlich des 100. Geburtstages kann auf zwei heinz Jahn noch einmal entscheidend bearbeitet Publikationen Hermann Kasacks hingewiesen und am 20. März 1933 unter Nennung von werden. Der Suhrkamp-Verlag widmet seinem Kasacks Autorschaft als »Ruf« nach dem neuen »Hausautor« ein schmales Bändchen mit der Reichskanzler Adolf Hitler ausgestrahlt. »Mein 1944 in der Zeitschrift »Die Neue Rundschau« geistiges Eigentum wurde hier sozialisiert«, no- erstmalig erschienenen Erzählung »Das Birken- tierte Kasack in seinem Tagebuch, der den wäldchen«, ergänzt um ein Nachwort des Verle- »symptomatischen Versuch zur Verdummung gers Siegfried Unseld. In der Edition Hentrich ist des Volkes« nicht verhindern konnte. der Titel »Dreizehn Wochen. Tag- und Nacht- Obwohl Hermann Kasack die sich zuspit- blätter« erschienen. Er veröffentlicht das 158 zende Lage im Funkhaus im Tagebuch bereits Seiten starke Konvolut von Notizen, das Kasack zwischen 1930 und 1933 festhielt, glaubte er, zwischen dem 14. April und dem 30. Juni 1945 als Richard Kolb am 29. März 1933 das niederschrieb. Diese bislang unveröffentlichten Sendeverbot aussprach, für nur kurze Zeit Notate entstammen dem umfangreichen Nach- ausweichen zu müssen. Doch der Optimismus laß Hermann Kasacks im Deutschen Litera- von Anfang 1933 erwies sich als turarchiv Marbach am Neckar.

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In Vorträgen, zu denen er oft gebeten wurde, pflegte er eine bittere Bemerkung seines Vaters zu zitieren. »Ich schäme mich, einem Heer an- Ludwig von Hammerstein (1919 - 1996) gehört zu haben, das alle Verbrechen gesehen und zugelassen hat.« In seinem Elternhaus Die letzten Stunden seines Lebens verbrachte habe er kaum etwas Gutes über die Ludwig von Hammerstein im Gespräch mit Men- Nationalsozialisten gehört, berichtete Ludwig schen, die ihm seit vielen Jahren vertraut waren von Hammerstein. - Journalisten aus seiner Stadt. Am Abend des »Man sprach offen, ja feindlich von den ›Nazis‹. 26. Februar 1996 war er einer Einladung des Mein Vater und meine Mutter (eine Tochter des Gene- rals Walter von Lüttwitz) verkehrten auch nur mit Berliner Presseclubs zu einer Diskussion mit Leuten, die ähnlich wie sie dachten. Die Morde vom dem brandenburgischen Kultusminister über die 30. Juni 1934, der Tod des Generals von Schleicher geplante - zu dieser Zeit bereits ungewisse - und seiner Frau, die Behandlung der politischen Länderfusion gefolgt. Auf dem Heimweg vom Gegner und der Juden wirkten auf sie und auf uns Tagungsort - der Katholischen Akademie im Kinder abstoßend. Am 6. September 1939, als ich Bezirk Berlin-Mitte - stürzte der 76jährige noch gar nicht Soldat war, schrieb ich in mein Notiz- Ludwig von Hammerstein auf einer buch den Satz. ›Der ganze Krieg ist als ein Verbre- Bahnhofstreppe und fand einen raschen - chen zu bezeichnen, in dem wir alle untergehen wer- gnädigen - Tod. den.‹ Das war - ich war damals noch nicht 20 Jahre alt - nicht etwa mein Urteil, sondern es war das Fazit Auf dem Familienfriedhof in Steinhorst bei aus dem, was ich in diesen Tagen kurz vor dem Krieg Celle hat er seine letzte Ruhestätte gefunden. gehört hatte, als sich mein Vater, der Generaloberst Ein Gedenkgottesdienst in der alten Kirche von Beck und der Generaloberst Wilhelm Adam unter- Potsdam-Bornstedt vereinte Ende März noch hielten.«1 einmal viele, die ihn als einen couragierten, cha- Nach dem Abitur 1938 hatte sich Ludwig von rakterstarken, gänzlich uneitlen, in vielen Hammerstein - auch wegen einer Augenschwä- schwierigen Kontroversen um vernünftigen Aus- che - zunächst gegen den Soldaten-Beruf ent- gleich bemühten Mann zu schätzen gelernt hat- schieden und eine Tätigkeit im Bergbau ten - beim Norddeutschen Rundfunk (NDR) von gesucht. Erste Erfahrungen in der Arbeitswelt 1961 bis 1974 und danach beim Rundfunk im der Kumpel hatten ihn beeindruckt. Nach amerikanischen Sektors (RIAS) Berlin bis 1984. Kriegsbeginn wurde er Grenadier in einem Mit Ludwig Freiherr von Hammerstein- Infanterieregiment, das kurze Zeit in Frankreich Equord trat einer der letzten noch lebenden eingesetzt wurde, um dann nach Ostpreußen Zeugen des 20. Juli 1944 von der öffentlichen verlegt zu werden: der Angriff gegen die Bühne ab, auf der er für eine umfassende, Sowjetunion stand bevor. gerechte Würdigung aller Strömungen und »Ich habe diesen Feldzug zum Teil mitgemacht, Gruppen des deutschen Widerstandes gegen wurde aber schon 1941 so schwer verwundet, daß ich Hitlers Regime - von den Kommunisten bis zu nicht mehr felddienstfähig war und deshalb nach den Rechtskonservativen - eingetreten war. Berlin zum Studium abkommandiert wurde. So konnte Geboren in Berlin-Charlottenburg am 17. No- ich an der dortigen Technischen Hochschule mein Bergbaustudium fortsetzen, das ich vor dem Kriege vember 1919 als Sohn des Generals Kurt von schon begonnen hatte. Ich hörte damals in Berlin ver- Hammerstein, wuchs er in einer kinderreichen botenerweise die Nachrichten und Kommentare der Familie auf, die früh Militär und Politik, preußi- BBC-London und gerne Radio Beromünster, sches Traditionsverständnis und Einsicht in Be- manchmal auch die Nachrichten von Radio Moskau. dingungen einer von Anfang an gefährdeten Von den Verbrechen und den Toten an der Ostfront parlamentarisch-demokratischen Republik in wußte ich allerdings wenig. Den sogenannten ›Kom- sein alltägliches Blickfeld rückte. Im November missarbefehl‹ z. B. kannte ich 1941 nicht, er wurde 1930 war der Vater als ein politisch erfahrener, den Offizieren meines Regimentes nicht bekanntge- mit Anfang 50 noch zu den Jüngeren zählender geben. Im Herbst 1941 berichtete mir erstmals ein Ka- merad von der grauenvollen Behandlung der russi- Offizier, der das Vertrauen Groeners und Schlei- schen Kriegsgefangenen hinter der Front.«2 chers genoß, Chef der Heeresleitung geworden Im Februar 1943 - im Kessel von Stalingrad - die Familie lebte bis Anfang 1934 in einer war eine ganze Armee aufgrund eines »Führer- Dienstwohnung in jenem Bendler-Block, der am Befehls« umgekommen - fragte ihn Fritz Dietlof 20. Juli 1944 zum Schauplatz des Versuches Graf von der Schulenburg, ob er bereit sei, sich werden sollte, die NS-Tyrannei zu beenden. Die an einer Aktion gegen Hitler zu beteiligen. Ham- Kenntnis der Flure und Treppen des Hauses merstein willigte ein, zu gegebener Zeit als half dem jungen Offizier Ludwig von Ordonnanzoffizier den Verschwörern zu helfen, Hammerstein, zu nächtlicher Stunde aus diesem und begann, nach Gleichgesinnten - vor allem Gebäudekomplex zu entkommen, als das unter jüngeren Offizieren des Potsdamer Scheitern der Rebellion nicht mehr abzuwenden Infanterieregimentes Nr. 9 - Ausschau zu halten: war. »Im Juli 1944 war es dann endlich soweit. Am 11. ergab sich die erste Gelegenheit. Sie wurde nicht

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genutzt, weil Himmler und Göring nicht anwesend rat des Ministeriums leitete. Jakob Kaiser hatte waren und man der Auffassung war, die beiden nach 1945 das Konzept eines »christlichen So- müßten gleich mitsterben. Ich selbst wußte über zialismus« verfochten, das Bemühen um einen Einzelheiten der Planung damals nichts. Zur Sicher- politischen Ausgleich zwischen Ost und West heit wurden immer nur die direkt Betroffenen infor- unterstützt, das Gespräch mit den Sowjets ge- miert. Auch mit den zivilen Verschwörern sprach ich über die politisch-militärische Lage im allgemeinen, sucht, bis sie ihn in ihrem Besatzungsgebiet nicht über Einzelheiten des Staatsstreiches. Dabei kri- mundtot machten. Wie Kaiser sah auch Ham- tisierten wir nicht nur Hitler und seine Leute, sondern merstein die Aufgabe des Ministeriums für ge- stärker noch die Feldmarschälle und Generale, meist samtdeutsche Fragen darin, das sich im Westen keine Anhänger des Regimes, die die Lage kannten deutlich abschwächende Bewußtsein für Nöte, und trotzdem nicht handelten (...) Am 15. Juli waren Ängste und Hoffnungen der Deutschen in der wir zum zweiten Mal alarmiert. Wir saßen zu viert (alle DDR wachzuhalten (so jedenfalls verstand der Offiziere vom I.R. 9) im Hotel Esplanade in Berlin und Verfasser dieses Nachrufs, im Sommer 1955 warteten auf den Abruf. Der Abruf kam wieder nicht. erstsemestriger Bonner Student und Vertreter Wir jungen Leute waren leicht entnervt, obwohl wir ja damals den Tod überall finden konnten, im Felde, im der »Jungen Presse«, der Bundesarbeitsge- Hagel der Fliegerbomben. Nun, wir gingen wieder meinschaft der Schülerzeitungen, seine erste nach Hause. Dann trafen wir uns, um Pistole zu Begegnung mit dem sehr jugendlich wirkenden schießen, weil wir glaubten, man muß mit der Pistole Pressereferenten des Bundesministeriums für flink und gut schießen können bei einem solchen gesamtdeutsche Fragen; auf Tagungen des Ku- Vorhaben. Wir rechneten also damit, daß es nicht ratoriums »Unteilbares Deutschland« hat er ihn 3 ohne Gewalt abgehen würde.« in den folgenden Jahren getroffen). Der erwartete Moment der Entscheidung 1961 wurde Ludwig von Hammerstein stell- kam am Nachmittag des 20. Juli 1944. Aus dem vertretender Intendant des NDR. Hier bewährte Hotel Esplanade in die Bendlerstraße gerufen, sich sein Talent zum Ausgleich kontroverser erhielten Hammerstein und seine Gefährten den Interessen. Daß die Drei-Länder-Anstalt mit Auftrag, SS-Männer zu entwaffnen und ihrem Zentrum in Hamburg gegen -Offiziere, die sich als Hitler- zerstörerische Folgen des Parteien-Proporzes Anhänger zu erkennen gaben, zu arretieren. Als abgeschirmt wurde, war nicht zuletzt sein die Nachricht von Hitlers Überleben bestätigt Verdienst. 1974 wurde Hammerstein - im Ein- wurde und Hitlers Anhänger die Oberhand vernehmen von US-Regierung, gewannen, erkannte Hammerstein, daß er aus Bundesregierung und Berliner Senat - zum dem Bendler-Block fliehen und sich im Intendanten des RIAS Berlins berufen (und Untergrund verbergen mußte. Er fand 1979 in dieser Funktion für weitere fünf Jahre Menschen, die ihm dabei halfen, neun Monate bestätigt). Das war eine für den RIAS glückliche lang mit einem gefälschten Wehrpaß in Entscheidung, denn unter Ludwig von wechselnden Quartieren - in einer Kreuzberger Hammersteins behutsamer Leitung konnte es Drogerie wie in einer Köpenicker Gartenlaube - weiterhin gelingen, eine Radiostation, die im der Gestapo zu entgehen, die nach ihm, dem rechtlichen Sinne ein staatseigener Sender war, »Deserteur und Staatsverbrecher«, fandete. »Im wie eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt zu Gegensatz zu vielen anderen, die erhängt oder führen - ohne massive Eingriffe politischer In- erschossen wurden, habe ich großes Glück ge- stanzen. Das war nicht immer einfach - in einer habt. Trotz des Scheitern, trotz all dieses Leids Zeit, in der die Vereinigten Staaten etwa durch bin ich aber auch heute noch der Überzeugung, ihre Südostasien- und ihre Mittelamerika-Politik 4 daß wir richtig gehandelt haben.« Am 26. April Kritik auf sich zogen und im westlichen Deutsch- 1945 war die Flucht vor den Häschern des na- land auch derbe antiamerikanische Ressenti- tionalsozialistischen Regimes zu Ende, doch ments laut wurden. Die Glaubwürdigkeit des auch die ersten Begegnungen mit Sowjetarmi- RIAS - namentlich bei Hörern in der DDR - hing sten waren nicht ohne Gefährdungen. aber davon ab, daß der Sender nicht als Nach dem Krieg entschloß sich Ludwig von Sprachrohr von Washingtoner oder Bonner Hammerstein, Journalist zu werden. Er arbeitete Interessen erschien, sondern als eine von 1946 bis 1949 in der Redaktion der von den journalistischem Ethos verpflichtete »freie Briten lizensierten Tageszeitung ›Die Welt‹. Im Stimme der freien Welt«, die das pluralistische Kreis der Männer und Frauen, die den Aufstand Spektrum der Meinungen spiegelte. Bei der des Gewissens gegen Hitlers Tyrannei vorberei- juristisch nie eindeutig geklärten Unterscheidung tet hatten, war Hammerstein auch mit dem von Programmhoheit der US-Information- christlichen Gewerkschafter Jakob Kaiser zu- Agency und Programm-Verantwortung des sammengetroffen. Als Kaiser 1949 in Konrad deutschen Intendanten kam es auf ein faires Adenauers erstem Kabinett die Leitung des Verhältnis zwischen den deutschen Mitarbeitern Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen des RIAS, den Redakteuren, Technikern und übernahm, fand er in dem gerade 30jährigen Verwaltungsfachleuten, und dem ameri- Ludwig von Hammerstein einen gleichgesinnten kanischen Aufsichtsgremium an - Ludwig von Mitarbeiter, der zehn Jahr lang das Presserefe-

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Hammerstein hat diese Brücke in der ihm eigen- ren lassen wollte, umso heftiger war Kritik aus en noblen, auch in Krisen und Konflikten unauf- dem konservativen Lager zu vernehmen - ge- geregten Konzilianz gefestigt. Seine im NDR paart mit massiven Interventionen aus Bonn und erworbene, vorzügliche Kenntnis der ARD- München, von denen sich aber die Regierenden Strukturen trug dazu bei, RIAS Berlin mit bera- Bürgermeister Weizsäcker und Diepgen nicht tender Stimme im Ensemble der öffentlich-recht- beirren ließen. Und es war nicht zuletzt das lichen Rundfunkanstalten mitwirken zu lassen kluge Votum Ludwig von Hammersteins, das der und die Vorzüge enger Kooperation mit den Idee zum Durchbruch verhalf, in der Gedenk- Landesrundfunkanstalten und mit dem ZDF nut- stätte Deutscher Widerstand habe letztlich jeder zen zu können. Deutsche in angemessener Weise Erwähnung Als gegen Ende seiner zweiten Amtszeit die zu finden, der Freiheit und Leben im Kampf ge- Ansprüche kommerzieller Sender eine neue Ära gen den braunen Totalitarismus gewagt hatte. des Rundfunks einleiteten, verhehlte das CDU- Als die Mauer fiel und aus Ost-Berlin Schul- Mitglied Ludwig von Hammerstein seine Skepsis klassen mit ihren Lehrern die Gedenkstätte in nicht. Das Rennen um hohe Einschaltquoten der Stauffenbergstraße besuchen konnten, war werde Qualítätsansprüche beschädigen, erklärte nicht zuletzt von ihnen eine positive Reaktion er im Februar 1980 auf einer CDU- auf das in den 80er Jahren realisierte Ausstel- Versammlung in Berlin-Dahlem. »Die politische, lungskonzept zu hören. Wer heute durch die wirtschaftliche und kulturelle Urteilsfähigkeit der Räume der Gedenkstätte in der Bevölkerung wird abnehmen, die Stauffenbergstraße geht, wird in der Regel nicht Kommunikation einer lebendigen Gesellschaft bemerken, daß ihn an diesem historischen Ort gefährdet.« ein Element des geistigen Erbes begleitet, für »Viele der anwesenden CDU-Mitglieder reagierten das sich Ludwig von Hammerstein zeitlebens verärgert auf diese Ausführungen. Vorwürfe gegen verbürgte. Und wenn im Funkhaus des sein Referat (›Herr von Hammerstein, Sie sind doch ehemaligen RIAS - im heutigen CDU-nah. Ich verstehe Ihre Einseitigkeit nicht.‹) und DeutschlandRadio Berlin - Toleranz und Weltof- gegen das nach Meinung einiger sehr ›unausgewo- gene‹ jetzige Fernsehprogramm wies der RIAS- fenheit Programmkriterien sind, dann ist auch Intendant zurück. ›Auffällig sind ja nur die kritischen das ein Teil der Erbschaft dieses Mannes. Programme; und alles andere, mit dem man über- Manfred Rexin, Berlin einstimmt, registriert man gar nicht. Dabei wird das Programm nicht nur von CDU-Anhängern gesehen.‹ 1 Ludwig v. Hammerstein: 20. Juli 1944. In: Michael Er schlug alternativ zu einer privaten Nutzung vor, die Kißener (Hrsg.): Widerstand in Europa. Konstanz neuen Kanäle für Minderheiten - etwa Gastarbeiter- 1995, S. 79f. Programme - bereitzuhalten.«5 2 Ebd. S. 80. Seit den 60er Jahren war Ludwíg von Ham- merstein Mitglied des Kuratoriums der Stiftung 3 Ebd. S. 82f. Hilfswerk 20. Juli 1944 gewesen. Als der von Ri- 4 Ebd. S. 86. chard von Weizsäcker geleitete Berliner Senat 5 in den 80er Jahren beschloß, die Gedenkstätte Tagesspiegel v. 7.2.1980. Deutscher Widerstand im ehemaligen Bendler- Block, in der nun nach dem Grafen Stauffenberg benannten Straße am Rande des Berliner »Der Hörer hat das Wort« Tiergartens erheblich ausweiten und thematisch Eine Sendereihe des NWDR/WDR Köln umfassender gestalten zu lassen, gehörte Lud- (1949 - 1958) wig von Hammerstein zu dem Beirat, der dem Historiker Prof. Peter Steinbach zur Seite stehen »Diese Diskussion, meine Hörer, ist von der Er- sollte. Es galt zunächst, die auf der linken Seite kenntnis ausgegangen, daß man einem Übel am des politischen Spektrums vorhandenen Zweifel allerwenigsten dadurch zu Leibe rücken kann, daß zu widerlegen, der »genius loci« werde dazu man es totschweigt und so tut, als wäre es nicht verführen, die militärische Komponente des vorhanden. Und diese Diskussion sollte mehr als manche andere den Ertrag haben, daß wir zu deutschen Widerstandes - also Vorgeschichte vorurteilslosem Nachdenken über das angeregt und Verlauf des 20. Juli 1944 - übermäßig zu haben, was das Wesen des Anstandes, der betonen und etwa den Widerstand aus der Menschlichkeit und der christlichen Verantwortung Arbeiterbewegung gering zu achten. Je ausmacht.« deutlicher aber Prof. Steinbachs (Hans Otto Wesemann, 20.1.19571) Ausstellungskonzept Gestalt annahm, das in differenzierter Wertung auch den Anteil der Die Sendereihe »Der Hörer hat das Wort« Kommunisten würdigte, die »Rote Kapelle« wurde Anfang 1947 beim NWDR Hamburg zum einzuordnen suchte, dem »Nationalkomitee ersten Mal gesendet2 und nach dem Wechsel Freies Deutschland« und dem »Bund Deutscher des Initiators Hans Otto Wesemann nach Köln Offiziere« in sowjetischen von dort aus ausgestrahlt. Die Hörer wurden ei- Kriegsgefangenenlagern Gerechtigkeit widerfah- nige Wochen vor einem Sendetermin aufgefor-

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dert, zu einem bestimmten Thema schriftlich schwanken konnte. Wesemann legte großen Stellung zu nehmen.3 Aus den eingegangenen Wert auf eine Wiedergabe im Sinne der Briefen verlasen Sprecher einzelne Passagen. eingegangenen Schreiben. Ein Vergleich aller Für die Auswahl dieser Passagen war Hans Akten einer beliebigen Sendung dokumentiert Otto Wesemann verantwortlich. Die diese Sorgfalt. Nur in Ausnahmefällen wich er ausgewählten Zitate sollten den jeweiligen von dieser Arbeitsweise ab. Zum ersten Mal auf Tenor der eingegangen Briefe wiedergeben. Hin Geheiß des Generaldirektors des NWDR Adolf und wieder ergaben sich aus der Flut der Grimme, der die Sendung über politische Streiks Einsendungen auch mehrere Sendungen zu zensierte. Dies hatte eine Kündigungsan- einem Thema. In der Regel blieb es jedoch bei drohung Wesemanns zur Folge.10 Ein weiteres einer Sendung. Mal entschärfte er Aussagen der Hörer zum Antisemitismus, indem er eine Reihe von Aufbau und Aktenbestand Briefen unberücksichtigt ließ.11 Ansonsten spiegelten die ausgesuchten Briefe alle einge- Der Bestand der Reihe reicht von 1949 bis gangenen Meinungen wider. Selbst die Briefe, 1959. (Organisatorisch gehörte sie zur Abteilung die sich zur »Situation der Welt an sich« äußer- Politik und ab Sommer 1955, bedingt durch den ten, wurden den Hörern nicht vorenthalten und Wechsel Wesemanns, zum Ressort Wirtschaft ab 1954 regelmäßig zum 1. April gesendet.12 innerhalb der Abteilung Politik.) Der Erhaltungs- zustand der Akten ist gut, und der Bestand ist Nach einem Studium der Wirtschaftswissen- nahezu komplett. Fehlende Manuskripte können schaften und der Soziologie in München, Berlin über die verfilmten Sendelaufpläne und die Be- und Halle arbeitete Hans Otto Wesemann, stände der Hörfunksendeleitung im Historischen gebürtig am 16. Dezember 1903 in Frankfurt am Archiv des WDR rekonstruiert werden. Einzelne Main, in der sogenannten Enquête-Kommission Manuskriptteile und Zeitungsausschnitte mußten zur Untersuchung der Produktions- und Absatz- aus restauratorischen Gründen fotokopiert wer- bedingungen der deutschen Wirtschaft in Berlin den. Von seiten der Redaktion wurden die Akten (1926-1930). Außerdem war er für die wie folgt gegliedert: Redaktion der Wochenzeitschrift

»Manuskripte und Unterlagen zur Sendung«: ›Wirtschaftsdienst‹ in Hamburg sowie als Diese Akten bestehen aus Sendemanuskripten 4 Pressereferent großer Verbände in Berlin tätig. und der verwendeten Hörerpost. Dann wurde er Redakteur des ›Kurier‹. 1949

»Urmanuskripte«: Von April 1953 an wurden holte ihn Werner Höfer im Auftrag des zusätzliche Manuskripte erstellt und irreführen- Intendanten des NWDR Köln, Hanns Hartmann, derweise unter der Bezeichnung »Urmanuskrip- zum Rundfunk. Hier baute er das Ressort te« gesammelt. Diese Maßnahme geht auf das Wirtschaft auf und kreierte langjährige Sen- zunehmende Interesse der Hörer an Manuskrip- 5 dereihen, z.B. »Soll und Haben« oder den ten der Sendung zurück. »Stammtisch«. Auch für die Sendereihe »Zwi-

»Erledigte Themen«: Die nicht verwendete schen Rhein und Weser« war er von 1950 an Hörerpost wurde ab August 1953 unter diesem 6 tätig. 1953 wurde Wesemann Chefredakteur Titel abgelegt. und Leiter des deutschen Kurzwellendienstes,

»Allgemeine Korrespondenz«: Die Korre- der Deutschen Welle, deren erster Intendant er spondenzakten, die im April 1954 erstmals ab 1961 war. Nach seinem Ausscheiden 1967 angelegt wurden, enthalten diejenige Post, die 7 widmete er sich der »Stiftung Warentest«. Er sich nicht auf die gestellten Themen bezieht . starb 73jährig am 7. November 1976 in Köln.

Konzeption und Redaktion Hilde Stallmach, in Pommern geboren, studierte »Der Hörer hat das Wort« wurde ab 29. Mai nach dem Krieg Germanistik in Hamburg, 1949 aus Köln gesendet9 und zwar sonntags Leipzig und München und arbeitete nach dem von 14.30 bis 15.00 Uhr im ersten Programm, Krieg für den German News Service in Ham- 13 wobei die Sendung an Feiertagen und in den burg. Sie nahm 1947 an einem Lehrgang der Sommermonaten häufig unterblieb. Die Texte NWDR-Rundfunkschule in Hamburg teil und sie- wurden je nach Geschlecht der Briefschreiber delte nach kurzer Tätigkeit als Assistentin von von weiblichen bzw. männlichen Sprechern Axel Eggebrecht nach Köln über. Dort verlesen, woraus nicht selten der Irrtum übernahm sie die »Sendung für den Bergmann« resultierte, die Hörer dürften selbst sprechen. und arbeitete für »Der Hörer hat das Wort«. Die Auswahl der Themen und der verlesenen Neben organisatorischen Arbeiten moderierte Briefstellen besorgte Wesemann, der auch die sie die Sendung selbständig während der Sendung moderierte, gemeinsam mit seiner Urlaubszeiten Wesemanns. War Wesemann Mitarbeiterin Hilde Stallmach. Etwa zehn bis länger als zwei Sendungen abwesend, war sie zwölf Beiträge wurden in einer Sendung wohl auch für die Aus wahl der Themen und 14 verlesen, deren Länge allerdings beträchtlich Briefe verantwortlich. Sie folgte ihm 1953 zur

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Deutschen Welle und übernahm dort eigenver- antwortlich eine Nachfolgesendung von »Der Themen Hörer hat das Wort«. Sie baute die Hauptabtei- lung Öffentlichkeitsarbeit der Deutschen Welle Da die Themenwünsche von den Hörern selbst auf und übernahm 1962 deren Leitung. Im Sep- kamen, umfaßten sie alle Bereiche ihres tägli- tember 1966 folgte sie ihrem Mann Dietrich chen Lebens. Sowohl aktuelles Geschehen als Schwarzkopf nach Hamburg.15 Dort begann sie auch Strukturprobleme von Politik und Gesell- innerhalb der Film- und Fernsehproduktionsge- schaft wurden angesprochen. Bei großer Anteil- sellschaft »Studio Hamburg Atelier GmbH« ein nahme der Hörer konnten im Verlauf einer Sen- Ressort für die nichtkommerzielle Verwertung dung auch neue Fragen zum gleichen Thema von Fernsehproduktionen aufzubauen. entwickelt werden, denen dann wiederum wei- tere Sendungen gewidmet wurden. Das kam re- lativ häufig vor. Medizinische Probleme wurden Zuhörer und Hörerpost bewußt ausgeklammert, ebenso konkrete Pro- Bereits 1949 hatte die Sendereihe eine bleme der Steuergesetzgebung und der Recht- »Fangemeinde«. Viele Hörer schrieben über sprechung. Fragen der Steuerentwicklung und Jahre hinweg regelmäßig Beiträge: Je nach Ver- der Rechtsethik wurden dagegen oft behandelt. anlagung zu allen Themenkomplexen oder zu einzelnen wiederkehrenden Fragestellungen. Staatsbürgerkunde und staatliche Neben den Stammhörern meldeten sich bei ent- Institutionen sprechenden Themen bestimmte Hörergruppen in besonders großer Zahl zu Wort, beispiels- Volksentscheid, Bundestagswahl, Zwang in der weise Schüler in Erziehungs- und Schulfragen. Demokratie oder die grundlegende Frage: »Wel- Einige Sendungen provozierten 600 oder 700 che Staatsform ist die Beste?« sind Themen des Briefe. Im Sommer nahm die Zahl der Briefe zweiten Halbjahres 1949. Diese die politischen soweit ab, daß eine Art Sommerpause Institutionen betreffenden Themen waren in der eingeführt wurde. Anfangszeit recht zahlreich. Etwa ab Mitte der »Sie werden den Brief natürlich nicht verle- 50er Jahre traten sie zugunsten anderer The- sen, obwohl« und die Überzeugung, die eigene menkomplexe in den Hintergrund. Spezielle Fra- Meinung werde von »Tausend« anderen Hörern gen zur Wahlgesetzgebung oder die Eignung geteilt, sind fester Bestandteil zahlreicher Briefe. der Jungwähler standen nun zur Debatte, und nicht selten wurde eine verbindliche Staatsbür- Auch die Ansicht, »die in der letzten Sendung 19 verlesenen Hörerbriefe wirkten äußerst schoc- gerkunde gefordert. Bei diesen Themen griff kierend nicht zuletzt dadurch, daß in der Aus- Wesemann häufig durch längere Kommentare wahl derselben wenig objektiv vorgegangen zu erklärend ein. Relativ früh entwickelte sich aber sein scheint«, gehört quasi zum Repertoire unter den Stammhörern eine »Rubrik« zur vieler Schreiber. Sie wurde jedoch nicht immer Definition und Abgrenzung des Themas am so vorsichtig formuliert. Der Vorwurf der Nestbe- Anfang der Briefe, so daß Wesemann auch auf schmutzung geht dagegen einher mit dem Ruf deren Erläuterungen zurückgreifen konnte. Eine nach Zensur. Oft »vergessen« die Hörer auch, Reihe von Sendungen beschäftigten sich mit daß die Meinung anderer Hörer wiedergegeben den Beamten. Die Diskussion war in der Regel worden ist, sie beschuldigen in der Regel den lebhafter, wenn nicht die abstrakte Behörde Rundfunk. Wie aufmerksam viele Zuhörer die oder deren Effizienz angesprochen wurde, Sendung verfolgten, zeigt eine Postkarte von sondern Menschen mit einer Aufgabe, die nicht Heinz B. aus Bochum, der wettete, daß der selten einen großen Teil ihres Lebens Sprecher eines Briefes identisch sei mit dem ausmachte. So wurde auch der Umgangston der »Winnetou« vom Vortage. Seine Beobachtung Beamten mit den Bürgern angesprochen. Die konnte bestätigt werden.16 Mit zunehmender Betroffenen bzw. Kritisierten wehrten sich Popularität der Sendung beteiligten sich auch vehement gegen die Anschuldigungen der Hörer Verbände und Interessengemeinschaften an der und die vermeintliche Parteilichkeit des Diskussion.17 Das Engagement reichte vom Rundfunks. Die Entrüstung über eine dieser Manuskriptwunsch bis zur versuchten Manipula- Sendungen war z.B. in den Kreisen der Ver- tion. Zu Beginn des Jahres 1952 schrieb Wese- kehrspolizei so groß, daß Wesemann eine Son- mann: dersendung einschob, die man »Der Ver- »Eine neue, nicht gerade förderliche Erscheinung kehrspolizist hat das Wort« überschreiben könn- 20 ist die wachsende Aufmerksamkeit, die Interessenor- te. ganisationen und andere organisierte Kräfte der Sen- dung widmen. In zwei Fällen war eine organisierte Wirtschaft Lieferung von schablonenhaften Höreräußerungen unverkennbar, die es zweckmäßig erscheinen ließ, Dieser Komplex beanspruchte im Lauf der Zeit nachdrücklich auf den Charakter dieser Sendung als die meiste Sendezeit. Die Fragestellungen einer diskutierenden, nicht prokla mierenden Veran- bezogen sich auf nahezu alle Bereiche. Die staltung aufmerksam zu machen.« 18

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Veränderungen im Wirtschaftsleben der Anders als die Komplexe »Staatsbürgerkunde« Nachkriegszeit waren drastisch, und es und »Wirtschaft« diente dieser Bereich weniger verwundert nicht, daß diese ihren Niederschlag der Aufklärung, sondern war ein reines Stim- in den Hörerzuschriften fanden. Eines der mungsbarometer bei emotional stark gefärbten Schlagwörter, die diese Veränderungen Themen wie Euthanasie, Gesetzesinflation oder umreißen, ist »Rationalisierung«. Darunter ist die Moral der Rechtsprechung. Zweimal stand sowohl die Rationalisierung in der Arbeitswelt zu die »Todesstrafe« zur Diskussion, und jedes verstehen als auch die Rationalisierung im Mal reichte eine Sendung nicht aus, die Flut der Alltagsleben. Die Diskussionen, die das Briefe zu bewältigen.23 Die Ängste und Emotio- Arbeitsleben zum Thema hatten, waren in den nen im Zusammenhang mit der Jugendkrimi- ersten Jahren geprägt von der Arbeitslosigkeit. nalität waren so vielfältig, daß das Thema immer Man fühlte sich betrogen von Doppelverdienern, wieder im Verbund mit Themen wie Schule, Politikern und Nutznießern der Handelsspanne. Militär und auch der Programmgestaltung Der Lastenausgleich sollte nach Meinung Vieler aufgegriffen wurde. Die Erziehung der Jugend Abhilfe schaffen. Gewerbefreiheit und Löhne wurde dabei als das Hauptproblem angesehen. wurden ebenso thematisiert wie Arbeitszeit und Auffällig ist, daß die Rate der Jugendkriminalität Schwarzarbeit. Hier zeigte sich meist deutlich von allen als gestiegen empfunden wurde. die Stimmung der Hörer. Kaum einer Daran regte sich kein Zweifel. theoretisierte oder relativierte die Situation, denn meistens waren die Schreiber direkt von den Antisemitismus angesprochenen Problemen betroffen. Im Laufe der Zeit änderten sich die Themen, Facharbei- Der noch herrschende Antisemitismus wird termangel und Gastarbeiter, Lebensstandard erstmalig 1952 angesprochen. Anläßlich einer und Preisstabilität wurden diskutiert. Diese Filmvorführung eines neuen »Veit Harlan-Mach- Entwicklung gipfelte quasi in den Fragen »Geht werks« in Göttingen war es zu Ausschreitungen es uns zu gut?« und »Was ist Luxus?«.21 Daran gegen demonstrierende Studenten gekommen. lassen sich bereits gesellschaftliche Verände- Die Göttinger Professoren unterstützten die rungen ablesen. Eng verbunden mit den Fragen darauf folgenden Protestaktionen, wodurch der Vorfall auch überregional wahrgenommen zum Arbeitsleben, aber dennoch eigenständig, 24 waren die Sendungen, die sich mit dem Einfluß wurde. 1957 stellte eine Hörerin die Frage, ob des Arbeitnehmers auf seine Arbeitswelt be- es noch oder schon wieder Antisemitismus in schäftigten, aber auch Streik, Schlichtung oder Deutschland gäbe. Hier griff Wesemann Streikrecht gehörten zu den wiederkehrenden erstmals deutlich bei der Auswahl der Briefe ein. Themen. Arbeitszeitverkürzungen, Vierzig-Stun- Die erste Sendung hatte dennoch für viele Hörer den-Woche, Ladenschlußzeiten und Tarifbe- eine Schockwirkung. In einem Hamburger schlüsse wurden in neun Jahren 13mal ange- Altersheim für Menschen jüdischen Glaubens sprochen, und manche Thematik wurde an zwei kam es zur Panik, als sie die Haßtiraden einiger Sonntagen behandelt. Hörer vernahmen. Von fast allen Seiten wurde der Vorwurf laut, daß hier Nazipropaganda im Rundfunk ungestraft gesendet werde. Im Remilitarisierung allgemeinen wurde die gestellte Frage von den Es ist erstaunlich, wie bald nach dem Ende des Hörern nicht beantwortet. Mehr als die Hälfte Zweiten Weltkriegs bereits über die aller Zusendungen sind Beispiele für offenen Remilitarisierung auf breiter Basis diskutiert Antisemitismus; hinzukommt Unwissen und wurde. In drei Sendungen im November 194922 Ahnungslosigkeit. Angesichts der unmittelbaren fragten die Hörer, ob man unter Umständen Vergangenheit bietet sich ein katastrophales, wieder Soldat werden müsse. Die letzte kaum fassbares Bild. Wesemann trug den Sendung stand unter dem Motto »Ich will wieder Auswirkungen Rechnung und setzte die Sen- Soldat sein«. Die Meinungen waren allerdings, dung an zwei Sonntagen fort, indem er die Geg- bedingt durch die Nähe zu den ner des Antisemitismus mit langen Passagen zu Kriegsereignissen, noch stark pazifistisch Wort kommen ließ. Die Aufteilung aller drei Sen- geprägt, aber auch militaristische Stimmen dungen entsprach nicht dem Verhältnis der Zahl wurden schon wieder lauter. Über etliche der Briefe, die jeweils eingegangen war. Eine Sendetermine hinweg kristallisierte sich eine Sendung, die der Realität in deutschen Köpfen Sendung mit dem Titel: »Soldatsein - aber ohne entsprochen hätte, wäre in diesem Fall nicht zu Kommiß« heraus. Militärische »Tugenden« verantworten gewesen. erschienen einigen Hörern für die Jugend nach wie vor sinnvoll, häufig als Mittel gegen Kunst Kriminalität oder das »Herumlungern«. Die »Moderne Kunst« wurde nicht selten als be- sonders anstößig empfunden angesichts der Justiz Not von Heimkehrern und Flüchtlingen. Sie

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wurde daher im Anschluß an Sendungen dieses ein Vorwurf zu machen sei, sollte er die Themenbereichs häufig diskutiert. Für alle »Bettensituation auf dem Mars« nicht kennen.27 Liebhaber der reinen deutschen Volks- und der Operettenmusik war die sogenannte »Moderne Fazit Musik« ein rotes Tuch. Gemeinhin wurde damit die klassische Musik des 20. Jahrhunderts Für viele Hörer waren Hans Otto Wesemann bezeichnet: Von Ravel, den ein Hörer als und seine Sendung eine anerkannte Größe. Das monoton, aber harmlos, bezeichnete, über galt auch für private Probleme aller Art. Seine Strawinsky, der die Harmonien persönliche Integrität und das Gefühl, daß er »verhackstückele«, bis zu Schönberg, den ein seine Hörer ernst nehme, gaben dabei den Hörer sogar schon der Körperverletzung Ausschlag. Aber auch innerhalb des Hauses beschuldigte.25 Ein Kasseler Hörer fürchtete um schätzte man die Sendung. Sie wurde geradezu die Milch der Kühe im Euter, die davon sauer zu einem Markenzeichen. Man sah in ihr auch werde, und alleine das Aussehen Schönbergs die Möglichkeit der Hörerbeeinflussung, und sei es nur, um die Flut der Briefe einzudämmen, die zeige schon, daß er nie dazu in der Lage sei, 28 schöne Musik zu komponieren. Der Brief- einzelne Redakteure erreichten. schreiber hatte aber erkannt, daß moderne Mu- Ein Postbedienster zeigte sehr viel Verständ- sik und moderne Kunst sich ähnelten.26 Die nis, als er den Brief mit der Adresse »An den Freunde moderner Musik sahen die Sache rela- lang nicht gehörten gesehen 270 grad funk inse tiv gelassen und verzichteten in der Regel auf Köln-s jek die anderen weiter rauf können doch wütende Gegenangriffe. Die Briefe sind sachlich nichts Hoffe ihr könt es besser werden mal und versuchen, auf erklärendem Wege Einfluß sehen« an den NWDR zustellte. Möglicherweise zu gewinnen. Es wurden vom Rundfunk Einfüh- fühlte sich auch die Post vom letzten Teil der rungen und Erläuterungen gefordert sowie die Adresse angesprochen. Daß der Brief innerhalb Vergabe von Kompositionsaufträgen. Einige des NWDR beim »Hörer« landete, verwundert Gegner der neuen Musik glaubten sich Autorität weniger. Man hätte für die Sendung kein schö- verschaffen zu können, indem sie sich als neres Motto finden können als den oft benutzten Jazzfans zu erkennen gaben oder wissen- Stempel: »Kritik am Staate steht dir zu; doch schaftliche Autoritäten zitierten. Immerhin denk daran der Staat bist du!«. schrieb Willibald L.: »Es gibt auf diesem knub- Die Sendemanuskripte und die dazugehöri- beligen Erdenball nichts Absolutes!« gen Briefe dokumentieren das Alltagsleben der Nachkriegszeit in Deutschland. In ihnen spre- chen die Zeitgenossen unmittelbar über ihre Kurioses Sorgen und Ängste. Sie geben Einblick in Auf reges Interesse stießen auch die Bereiche, die durch Quellen häufig nicht belegt Sendungen zu Wunderheilungen und werden. Die Briefe zum Antisemitismus bieten Okkultismus. Da sie immer vom konkreten einen erschreckenden Einblick in die geistigen Beispiel ausgingen, sind die Zuschriften Folgen des Dritten Reiches, die nur mühsam ausgesprochen kurios. Alle Varianten von verdeckt, sich rasch wieder Bahn brachen. Das Heilern, Sekten und Aberglauben tauchen in Quellenmaterial, das dem Zeithistoriker hier zur den Briefen auf. In einem Brief hieß es, daß die Verfügung steht, ist ungefiltert und gänzlich Lüneburger Heide fest in der Hand des Teufels unbearbeitet und eine Herausforderung für und seiner Spießgesellen sei. Dies stehe in jeden Bearbeiter. krassem Gegensatz zum Bild der Filmindustrie, Daniela Schumacher-Immel, Köln die zwar den Wilderer skizziere und auch schon einmal einen Unglücksfall zugebe, jedoch in 1 Westdeutscher Rundfunk, Köln. Historisches keiner Weise den tatsächlichen Vorgängen Archiv (WDR. HA) Nr. 4516, Sendung v. Rechnung trage. Den himmlischen Heerscharen 20.1.1957. sei Dank, daß es nicht zu einer Katastrophe bei 2 Die Sendung wurde erstmals am 12.1.1947 und den touristisch so geschätzten Volksfesten mit fortan, bis zum Weggang Wesemanns, vierzehn- der Heidekönigin gekommen sei. täglich am Sonntagnachmittag ausgestrahlt. Hinter dem beschwingten Begriff des »Mäpp- 3 Auch die Themen wurden von Hörern gestellt bzw. chen« verbergen sich dagegen die schwersten angeregt. Gedanken, die Hörer je geschrieben haben, so die jenes ostfriesischen Hörers, der gar »mit 4 WDR. HA, Nr. 4489-4521. dem Tod auf Du und Du« über die »Mittelbarkeit 5 WDR. HA, Nr. 4481-4488. des Todes« sinnierte, die eine 6 »stahlkonstruktive Kurvenführung und ein eiser- WDR. HA, Nr. 4522-4555. ner Spielball der Unerbittlichkeit« sei. Aber 7 WDR. HA, Nr. 4470-4480. »auch im Propheten wohnt Heiterkeit« und die 8 WDR. HA, Nr. 4556-4557. erforderliche Weitsicht. Wenn auch niemandem

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9 Der Laufplan für den Tonträgerdienst mit An- und Absage der ersten Sendung liegt im WDR. HA auf Mikrofiche vor. In der Absage wird darauf hinge- wiesen, daß die Zuschriften nun nach Köln gehen sollen. 10 WDR. HA Nr. 4493, Sendung v. 28.8.1950. 11 WDR. HA Nr. 4516 und 4546, Sendungen v. 6.,13.,20.1.1957. 12 Diese Sendungen firmieren dann unter dem Be- griff »Mäppchen« in allen Beständen, z.B. WDR. HA Nr. 4507. 13 Der German News Service ist der Vorläufer der dpa. 14 Zum Aufgabenbereich Hilde Stallmachs gibt es keine erläuternden Dokumente im WDR. HA. Ihre Arbeiten in der Folgezeit lassen jedoch diesen Rückschluß zu. 15 Dietrich Schwarzkopf war Leiter des Bonner Deutschlandfunk-Studios, ab 1966 Fernsehdirek- tor des NDR. 16 WDR. HA Nr. 4473, Brief v. 13.3.1956. 17 Nicht immer wurden die Anregungen und Be- schwerden direkt an die Redaktion gesandt. Man wandte sich auch direkt an den Intendanten Hartmann, z.B. WDR. HA Nr. 5773, Briefe v. 14.- 19.10. 1954. 18 WDR. HA Nr. 49,1x2, Brief v. 25.8.1950. 19 WDR. HA Nr. 4510, Sendung v. 7.5.1955. 20 WDR. HA Nr. 4511, Sendung v. 13.11.1955. 21 WDR. HA Nr. 4517, Sendungen v. 23.6.1957 und 6.11.1957. 22 WDR. HA Nr. 4490, Sendungen v. 13.11., 20.11., 27. 11.1949 . 23 WDR. HA, Sendungen v. 14., 22.8.1949. 24 WDR. HA Nr. 4498, Sendung v. 10.2.1952. 25 WDR. HA Nr. 4492 Sendung v. 7.5.1950. 26 WDR. HA Nr. 4544, o. D. <1950>. 27 WDR. HA Nr. 4507, Sendung v. 4.4. 1954. 28 Brief Nick an Wesemann vom 26.7.1956: »Doctis- sime mögen vonstatten, dass ich Ihnen zwei klei- ne Beispiele jener Hörerbriefe überreiche, die täg- lich an uns geraten, in denen Halbstarke beiderlei Geschlechtes sich erkundigen, auf welche Weise sie Schlagersänger werden können«. WDR. HA Nr. 4474.

Rezensionen

Jean-Noël Jeanneney Letztendlich ist das Buch ein Manifest für eine weitere Une histoire des médias des origines europäische Zusammenarbeit auf der Programm- und à nos jours. der technischen Ebene und für die Erhaltung Paris: Le Seuil 1996, 379 Seiten. öffentlich-rechtlicher Programmanbieter. »Eine Geschichte der Medien...« ist die Jährlich werden die Franzosen über ihre Einstellung überarbeitete Fassung einer am Institut d’études zu den Medien befragt (wobei sie Fragen beantworten politiques de Paris 1991/92 gehaltenen Vorlesung. In müssen wie »Meinen Sie, daß die Journalisten 14 Kapiteln schildert Jeanneney die Geschichte der unabhängig sind ? Daß die Presse, der Hörfunk und Presse und des Rundfunks in Europa und in Amerika: das Fernsehen über die Atomtests, die Bombenan- Die Vor- und Frühgeschichte - von den einfachen schläge gut berichtet haben?«). Die Ergebnisse der Kommunikationsmitteln wie optische und akustische letzten Umfrage sind im Januar 1996 bekanntgege- Zeichen bis zu den ersten Zeitschriften und ben worden: Die Franzosen trauen ihren Medien nicht Zeitungen; den Kampf um die Meinungs- und mehr!1 »Une histoire des médias...«, die einen Über- Pressefreiheit im 18. und 19. Jahrhundert und das blick über die Geschichte der Medien von den Anfän- »heroic age« der Presse um die Wende vom 19. zum gen bis zur Gegenwart bietet, ist also rechtzeitig er- 20. Jahrhundert; die Wandlungen des Hörfunks seit schienen, und sein Autor wurde denn auch mehrfach den 20er Jahren, die des Fernsehens seit dem im Radio und in der Presse zu dieser Vertrauenskrise Zweiten Weltkrieg; die Entwicklung der Presse seit interviewt. 1945. Schließlich beschreibt er die Rolle der Jean-Noël Jeanneney kennt sich im Bereich der audiovisuellen Medien in den internationalen Medien bestens aus: Er war von 1982 bis 1986 Gene- Beziehungen und die künftigen Herausforderungen, raldirektor der staatlichen Hörfunkgesellschaft »Radio auf die sich die Europäer vorbereiten müssen. France« und des Auslandsdienstes »Radio France Da die Darstellung Frankreich in den Mittelpunkt Internationale« und 1992/93 Staatssekretär für Kom- stellt, werden die übrigen Staaten, so auch Deutsch- munikation. In dieser Eigenschaft hat er zur Gründung land, vernachlässigt. So wird beispielsweise im von »arte« beigetragen und das neue (im Januar Kapitel über die Entstehung der Massenpresse die 1995 endlich in Kraft getretene) Gesetz eingebracht, deutsche Situation nur in fünf Zeilen zusammen- das die Abgabe audiovisueller Dokumente an eine gefaßt; dabei werden zwar die Heimatblätter genannt, zentrale Stelle zur Pflicht macht und deswegen den die drei großen Berliner Verlage, der Mosse-, der Rundfunkhistorikern eine unschätzbare Hilfe ist. Als Ullstein- und der Scherlverlag, aber vergessen. Zeithistoriker hat Jeanneney auch die Darüber hinaus haben sich ein paar kleine Irrtümer rundfunkgeschichtliche Forschung bedeutend geför- eingeschlichen: Der Leiter des »Fernsehsenders dert: Seit 1977 leitet er am Institut d’études politiques Paris« Kurt Hinzmann wird Hilzman genannt, der de Paris ein Forschungsseminar über Rundfunk und Sendebeginn des deutschen Nachkriegsfernsehens Geschichte und hat in diesem Rahmen mehrere 1952 mit dem Jahr der Gründung der ARD - 1950 - bemerkenswerte Dissertationen betreut (u.a. über das verwechselt. Dafür besticht Jeanneneys Buch durch Fernsehen unter Charles de Gaulle und über den seine klare Sprache, ist lebendig und anschaulich französischen Rundfunk der 30er Jahre).2 geschrieben und enthält viele aufschlußreiche Anek- Das Buch will zeigen, wie umfassend und lehr- doten. So lädt der Autor zu einem Spaziergang durch reich Mediengeschichte ist, was besonders für Frank- die als Nachrichtenagenturen fungierenden Cafés des reich immer wieder verdeutlicht werden muß, da Me- Palais-Royal in Paris während der Französischen dien- bzw. Rundfunkgeschichte immer noch nicht als Revolution ein, wo es Begegnungen mit Camille vollwertiger Zweig der Geschichtswissenschaft gilt, Desmoulins und Marat gibt. Es handelt sich bei obwohl sie die Beziehungen zwischen den Medien, diesem Werk also um eine aus einer französischen der öffentlichen Meinung und der politischen Macht Perpektive geschriebenen Mediengeschichte, die den analysiert. Der Autor erwähnt in diesem Zusam- französischen Leser dazu ermuntert, über seinen menhang die Nixon-Kennedy-Fernsehdebatte von nationalen Tellerrand hinauszublicken, indem sie 1960, von der lange behauptet wurde, daß sie ein ständig die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede entscheidender Faktor für den Wahlsieg des späteren der französischen Medien im Vergleich mit denen der Präsidenten Kennedy gewesen sei. Und tatsächlich anderen westlichen Länder mit berücksichtigt, die drängt sich dem heutigen Betrachter der Archivbilder aber auch dem deutschen Leser einen guten Einblick noch der Eindruck auf, Kennedys Auftritt sei der in die französische Presse- und Rundfunkgeschichte effektivere gewesen. Studien über die Entwicklung der verschafft. Die Bibliographie verzeichnet zudem die öffentlichen Meinung während des Wahlkampfs haben wichtigsten Arbeiten der neueren Medienforschung aber bewiesen, daß sich die Amerikaner erst lange des Nachbarlandes. nach dem Fernsehduell für Kennedy entschieden Muriel Favre, Frankfurt am Main/Paris haben. Es geht aber auch darum zu zeigen, wie 1 Vgl. Télérama, Nr. 2402 v. 24.1.1996. wichtig Mediengeschichte für den »Citoyen« dieses Jahrhunderts ist: Sie kann ihm helfen, eine gewisse 2 Vgl. Jérôme Bourdon: Histoire de la télévision Naivität zu verlieren (was die Beziehungen der sous de Gaulle. Paris 1990, und Cécile Meadel: Journalisten zum politischen Milieu oder den Histoire de la radio des années trente. Paris 1994. angeblich immer schlechteren Einfluß der Presse und des Fernsehens auf die modernen demokratischen Gesellschaften betrifft) und sich besser mit den DeutschlandRadio Medien von heute und morgen auseinanderzusetzen. RIAS-Documenta.

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Dokumentensammlung 1945 - 1994 zur hat, wird an keiner Stelle näher erläutert. Vielleicht ist Geschichte von RIAS Berlin. aber das Werk lediglich als Arbeitsgrundlage für die Dokumentation und Redaktion: 1994 erschienene Geschichte des RIAS von Herbert Jutta Ursula Kroening. Kundler entstanden.1 Aber muß man dann das inter- o.O. o.J. [Berlin 1996], 785 Seiten. ne Dokumentations-Hilfsmittel publizieren? Sollte dieses Regestenwerk jedoch unabhängig Archivare bzw. Historiker haben mehrere Formen davon erstellt worden sein, dann muß davon ausge- entwickelt, Hinweise auf Quellenmaterialien für gangen werden, daß über dessen Sinn und Zweck potentielle Nutzer aufzubereiten. Es gibt Bestands- trotz opulenter Bestückung mit Vorworten von übersichten, die - provenienzorientiert - erste Ein- Intendant, Programmdirektor und Bereichsleiterin blicke in ein vielzelliges Archiv vermitteln. Bei einem nicht ausreichend nachgedacht wurde. Für diesen stark in Bearbeiterablagen gegliederten Rundfunk- Befund spricht auch, daß die Bearbeiterin in ihrer archiv kann ein vergleichbarer Kurzführer als Einstieg Einleitung nur eine Benutzungsanleitung gibt und auf für die Suche nach einschlägigen Quellen hilfreich die verschiedenen Register hinweist, jedoch kein sein. Eine detailliertere Hinführung zu den Materialien einziges Wort über die Struktur des RIAS-Archivs und eröffnen Repertorien mit einzelnen Titelaufnahmen die Überlieferungslage verliert. Eine derart ausführ- und kurzen Inhaltsangaben von Aktenbänden: Sie liche Beschreibung, abgedruckt für einen größeren gelten als das klassische Findhilfsmittel; gelegentlich Interessentenkreis etwa auch in dieser Zeitschrift, werden sie auch vervielfältigt und regional bzw. hätte, da ein archivischen Ansprüchen genügender überregional verbreitet. Für mittelalterliche Urkunden Gesamtnachweis über das RIAS-Archiv wohl (noch) hat sich die aufwendige und - bezogen auf einen nicht vorliegt, der rundfunkgeschichtlichen Forschung Bestand - vollständige Beschreibung von Einzel- einen größeren Dienst erwiesen als das vorliegende stücken in Form der häufig auch in gedruckten Werk. Auch die Auswahlkriterien des Manuskripts, Fassungen verbreiteten Regesten eingebürgert. Bei das ohne jede Zwischenüberschrift rein chronologisch der modernen (Massen-)Aktenüberlieferung ist eine die - man wird sie wohl so nennen können - derart detaillierte Form der Erschließung nicht mehr »Regesten« aneinanderreiht, werden auch von der vertretbar, in der Regel auch nicht erforderlich. Sach- Bearbeiterin nicht benannt. Kenner der jüngeren thematische Inventare fassen - nach Themen geglie- RIAS-Geschichte weisen im übrigen darauf hin, daß dert - die in einem einzigen Bestand oder auf mehrere wichtige Dokumente fehlen. Bestände und Archive verstreuten Quellen zu So stehen denn viele, meist RIAS-Geschichte spezifischen Sachverhalten mehr oder weniger zusammenfassend dokumentierende Berichte oder vollständig zusammen. Bezogen auf den RIAS wäre Denkschriften zu wichtigen Vorhaben (wobei das ein solches vorstellbar unter dem Aspekt: Quellen zur Fehlen eines Hinweises auf den Umfang ein Manko Geschichte des RIAS in US-amerikanischen Bestän- darstellt) neben einer beträchtlichen Sammlung von den, im RIAS-Archiv, im Bundesarchiv, im Landes- »Quantités negligeables«: Was sollen 30 ausführlich archiv Berlin, im Stasi-Archiv etc. beschriebene Nachweise von Glückwunschschreiben Vorstellbar ist natürlich auch, in mehr oder weni- (davon gibt es doch sicher noch mehr, warum dann ger perfekter Aufmachung einzelne Quellenstücke diese 30?) zum 15jährigen RIAS-Jubiläum? So ist die abzudrucken, also in diesem Fall eine Edition von Postkarte einer Hörerin aus Moabit nachgewiesen, besonders wichtigen Schriftstücken zur Geschichte deren Wert als Quelle dem Rezensenten ebenso des RIAS herauszugeben. Diese aufwendige Präsen- wenig einsichtig ist wie die Dankesschreiben von tation und Verbreitung dürfte für die Vermittlung der RIAS-Hierarchen für Glückwünsche des Regierenden Geschichte einer Rundfunkanstalt kein angemessener Bürgermeisters an den RIAS-Direktor. Weg sein. Statt dessen können - wie in der »RIAS- Hinzuweisen ist auch auf andere Mängel: Soge- Documenta« - auch ausführliche Inhaltsbeschrei- nannte Fremdprovenienzen, so ein Befehl des Militär- bungen von Einzelstücken einem größeren Publikum kommandanten des Kreises Freiberg vom 17. Juni zugänglich gemacht werden. Da es sich in beiden 1953 (S. 197) oder ein den RIAS betreffenden Brief Fällen um eine Auswahl handelt, wird der des Sowjetbotschafters in (Ost-)Berlin an die dortige Herausgeber die Kriterien seiner Auswahl jedoch mit Führung der DDR (S. 249), sind nicht näher be- Blick auf die Gesamtüberlieferung, der er sie schrieben: Auch das wäre unerläßlich gewesen. Die entnommen hat, ausführlich begründen müssen. Nutzung eines für vermutlich für das Schallarchiv oder Was ist nun aber nach diesen Hinweisen die die Bibliothek erarbeiteten EDV-Programms zwingt »RIAS-Documenta«, die als umfangreiches Manu- zur Belegung von Datenfeldern wie »Herausgeber« skript mit Inhaltsangaben zu Dokumenten zur RIAS- als institutionelle Absender (NWDR) oder Titel von Geschichte daherkommt? Es ist eine völlig un- Publikationen (z.B. ›epd‹ oder ›Frankfurter Allgemeine strukturierte rein chronologisch angelegte Sammlung Zeitung‹). Auch dieser Umstand macht deutlich, wie von »Manuskripten, Diskussionspapieren, hausinter- wenig durchdacht das ganze Unternehmen aus nen Aktenvermerken und Korrespondenzen, Pla- archivmethodologischer Sicht gewesen ist. nungsunterlagen, Pressemitteilungen, Programminfor- Edgar Lersch, Stuttgart mationen, Protokollen, Hörerpost, Agenturmeldungen, 1 Verträgen, Tätigkeitsberichten, Notizen, öffentlichen Vgl. Herbert Kundler: RIAS Berlin. Eine Radio- Bekanntmachungen und Zeitungsartikeln aus der Station in einer geteilten Stadt. Berlin 1994. Frühzeit des Senders«. Nach Ausweis der Einleitung Rezension in RuG Jg. 21 (1995), H. 2/3, S. 188f. der Abteilung Dokumentation und Archive »konzen- Der Entstehungszweck ließe sich dann so triert [sie] sich auf die wichtigsten und exponierten zusammenreimen, daß die Bearbeiterin dem Autor Quellen der RIAS-Geschichte sowie exemplarische zugearbeitet und für diesen Zweck eine Belege eines Programmgeschehens.« Was aber im Dokumentensammlung zusammenstellte, auf die einzelnen als »wichtig« bzw. »exponiert« zu gelten dieser nach Bedarf - etwa auch für die vielen Faksimiles in der Buchausgabe - zurückgreifen

Rezensionen 163

konnte. Für diese Vermutung spricht auch die 38). Er will die verschiedenen Einflüsse der amerika- verwandte Signatur D - 235 - K, die möglicher- nischen Buchpolitik auf der einen Seite und das Agie- weise so aufzulösen ist: »Dokumentation - Nr. des ren der deutschen Verlegerpersönlichkeit auf der an- Dokuments - Sammlung Kundler.« Ob für den deren zusammenbringen, um die beispiellose Zweck diese aufwendige Inventarisierung in Form Erfolgsgeschichte des Kurt-Desch-Verlages nachzu- von Einzeldokument-Regesten notwendig war, vollziehen. Dies gelingt dem Verfasser in hervorra- möchte der Rezensent nicht weiter beurteilen. Es gender Weise. Er versteht es, sein reichhaltiges wäre absolut ausreichend gewesen, diese Doku- Quellenmaterial so anzuordnen, daß die sehr diffe- mentation bzw. deren detaillierte Erschließung für renzierten Handlungsmöglichkeiten der Beteiligten in künftige Benutzer im RIAS-Archiv (jetzt größten- ihrer wechselseitigen Abhängigkeit auf den unter- teils beim Deutschen Rundfunkarchiv, Standort schiedlichen Ebenen deutlich werden. Konkret heißt Berlin) als Einstieg in die RIAS-Geschichte zur das, daß neben den hochgesteckten Umerziehungs- Verfügung zu halten. Denn sie erleichtert natürlich zielen der Information Control Division (ICD) die Pra- dem Unkundigen und dem eiligen Rechercheur xis der ICD-Offiziere in Bayern sowie deren persönlich die Suche nach aussagekräftigen Dokumenten. motiviertes Handeln geschildert werden. Oder: Kurt Deschs Biographie, die ihn im Dritten Reich als Werbeleiter (»Propagandachef«) des NSDAP-eigenen Bernd R. Gruschka Gauverlags Bayerische Ostmark in Bayreuth sowie Der gelenkte Buchmarkt. als Geschäftsführer und Mitinhaber des arisierten Die amerikanische Kommunikationspolitik Wiener Zinnen-Verlages beschreibt, ist die eine Seite; in Bayern und der Aufstieg des Verlages die andere die, wie Desch es nach Kriegsende Kurt Desch 1945 bis 1950 (= Archiv für versteht, seine rein parteiinternen Schwierigkeiten, die Geschichte des Buchwesens, Bd. 43). 1937 zum Ausschluß aus der NSDAP führten, sowie Frankfurt am Main: Buchhändler-Vereinigung seinen 1944 mit den Machthabern bewußt 1995, 186 Seiten. herbeigeführten Konfliktkurs so umzudeuten, daß die Intelligence Section Kurt Desch bescheinigt: »Write carefully, Desch is so permanent« lautete - frei »Dynamic restless convinced fighter of fascism; his nach dem in den Ruinenstädten oft zu lesenden Ver- political reliability must be considered 100%«. kehrsschild »Drive carefully, death is so permanent« - »Deschs Karriere, die trotz vielfältiger Gefährdungen ein in Schriftstellerzirkeln der Nachkriegsjahre sehr von der Weimarer Republik über das Dritte Reich bis beliebter Slogan. Er galt einer Verlegerpersönlichkeit, in die Bundesrepublik verlief« (S. 131), stellt den Stoff deren Einfluß in der literarischen Szene kaum zu ent- für eine aufschlußreiche kommunikatorgeschichtliche gehen war. Kurt Desch, 1903 in Thüringen geboren, Fallstudie bereit. hatte am 17. November 1945 die »US-E 101«, die Mit ihrer Hilfe ist es schließlich auch möglich, die Urkunde mit der ersten unbefristeten Verlagslizenz, Interdependenzen zwischen den verschiedenen lite- feierlich überreicht bekommen. Der somit erste rarischen Medien weiter zu verfolgen, wie dies auf der deutsche Verleger in Bayern nutzte seinen Vorsprung 1994 in Marbach stattgefundenen Tagung »Buch, und baute mit der ihm eigenen »Energie, Buchhandel und Rundfunk 1945-1949« in Angriff ge- Beweglichkeit und Hartnäckigkeit« (S. 115) einen der nommen wurde.1 Einige Punkte spricht Gruschka großen deutschen Verlage auf. Das einst im selbst an, etwa wenn er auf den Vertrag zur »Betreu- »Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel« als ung der nichterreichbaren Bühnenverleger« eingeht, »Verlagsimperium« hochgelobte Erfolgsunternehmen der Desch zu einem »Generaltreuhänder« für den hielt bis 1973, als es nach einer Serie von Skandalen süddeutschen Raum machte und es dem Desch- verkauft wurde. Theaterverlag ermöglichte, »beträchtliche Tantiemen« Kurt Desch wurde bislang in buchwissenschaftli- zu verwalten (S. 137). Zwischen den Theaterspiel- chen Arbeiten zwar immer wieder erwähnt - der Ver- plänen und den verlegerischen Aktivitäten Kurt lag selbst steuerte lange Zeit das Image von einer Deschs bestand ein Zusammenhang, der wesentlich »Traumkarriere«, die aus dem Nichts der Stunde Null geprägt war durch »die enge Zusammenarbeit« mit heraus entstanden sei -, aufmerksamen Lesern aber dem Theater Control Officer Captain Gerhard W. van blieben auch die gelegentlichen kritischen Einwände Loon. Doch speziell in München ging die Verzahnung gegen die Legendenbildung nicht verborgen. Eine noch weiter. Über die Ergebnisse von Gruschkas kritische und systematische Untersuchung, die sich Darstellung hinaus läßt sich aufgrund von Analysen auf Verlagsarchivalien, Dichternachlässe und die von des Programmangebots von Radio München konsta- den Amerikanern erbeuteten Personaldossiers aus tieren, daß das Hörspielprogramm des bayerischen dem Dritten Reich stützt, stand indes noch aus: Mit Senders von 1945 bis 1950 auffallend viele »Desch«- Bernd R. Gruschkas 1993 in München angenomme- Autoren wie Ernst Wiechert, Werner Bergengruen, ner Dissertation liegt diese spannend zu lesende und Richard Billinger und Rüdiger Syberberg aufwies. profund aus den Quellen recherchierte Studie nun in Handelte es sich nur um die zufällige Parallelität der Buchform vor. literarischen Präferenzen von Dramaturgen und Gruschkas Arbeit gliedert sich in zwei große Lektoren? Die personellen Überschneidungen zwi- Komplexe. Ein erster Teil widmet sich der »Struktur schen den Mitarbeitern im Verlagshaus in der der amerikanischen Buchpolitik synchron unter dem Romanstraße und dem Bayerischen Rundfunk lassen Aspekt ihres systembildenden Zusammenhanges« (S. begründete Zweifel zu, etwa wenn Friedrich-Carl 38-85); ein zweiter Teil gilt ausführlich dem »Aufstieg Kobbe - von 1945 bis 1949 Lektor im Kurt-Desch- des Verlages Kurt Desch« (S. 85-174). Beide Kom- Verlag - im Juni 1949 die Hörspielabteilung über- plexe sind eng miteinander verzahnt, da es Gruschka nimmt. Einige Jahre später verursacht Kobbe den anhand seines Untersuchungsgegenstandes um eine »Münchner Hörspielskandal«, als die finanziellen »Theorie buchmedialer Kommunikation« geht (S. 5- Absprachen mit Literaten ausgerechnet von dem bei

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Desch unter Vertrag stehenden Lutz Neuhaus filmischen Semiotik nach. Gerade Alfred Döblin ist ein aufgedeckt werden. gutes Beispiel, wie in der Arbeitstechnik eines Bernd R. Gruschkas Darstellung des Kurt-Desch- Schriftstellers, vor allem eben in seiner Sprachgestal- Verlages eröffnet so für das Thema »Rundfunk und tung, Literatur und Medium einander derart beeinflu- Literatur« eine wichtige Perspektive. ßen können, daß die Originalität seines Stils kaum Hans-Ulrich Wagner, Wiesbaden noch erkennbar ist. Das komparatistische Verfahren 1 bei der Auswertung des spezifischen Schreibstils Vgl. den Bericht über die Tagung in RuG Jg. 21 Döblins sowie seiner Filmvorlagen läßt erkennen, wie (1995), H. 1, S. 76ff. innovativ dieser Autor war. Der letzte Teil, der sich mit dem Rundfunk befaßt, geht aus von der »Radiotheorie« Alfred Döblins, die Andrea Melcher eigentlich aber keine sei, der Begriff aber beibehalten Vom Schriftsteller zum Sprachsteller? werde, weil er sich »eingebürgert« (S. 34) habe. Alfred Döblins Auseinandersetzung Diese Prämisse läßt den Medien- und Kommunika- mit Film und Rundfunk (1909 - 1932) tionswissenschaftler schlucken und den Literaturwis- Frankfurt: Peter Lang Verlag 1996, 242 Seiten. senschaftler zweifeln, ob jegliche kritischen Ansätze umsonst waren und sind, Begriffe - nun auch in der Die Darstellung »basiert« auf einer Dissertation. Wissenschaft - lediglich auf ihren Gebrauchs- oder Unklar bleibt allerdings, ob sie dieser Veröffentlichung gar Gewohnheitswert reduziert werden. Was also zugrunde liegt, ob also verändert, ob hinzugefügt oder unter diesem Kapitel angekündigt wird, ist ein wenig ausgelassen wurde und ob einige Mängel dieser Rundfunk- und Programmgeschichte sowie eine Arbeit grundsätzlicher Natur sind oder auf rundfunktypische Programmatik, über die sich Dichter Veröffentlichungsbedingungen zurückgehen. auf einer Tagung in Kassel 1929 gestritten haben. Es handelt sich um eine literaturwissenschaftliche Interessanter ist das Kapitel über »Döblins Rundfunk- Untersuchung über die theoretische und praktische beiträge«. Hier wird immerhin erkennbar, daß Döblin Arbeit Alfred Döblins für die Medien Film und Rund- seinen eigenen Forderungen nicht immer gerecht funk. Nun hat auch die Medienwissenschaft inzwi- werden konnte, eher weil er mit dem Organisati- schen ein Methodenbesteck entwickelt, mit dem Ver- onssystem Rundfunk in Konflikt geriet als mit den änderungen etwa »Vom Schriftsteller zum Sprachstel- Produktionsbedingungen. Der Schriftsteller, der das ler« nachzuvollziehen wären. Leider wird davon kein neue Medium benutzt, um vom Schreiben zum Spre- Gebrauch gemacht. Von der Dominanz der Texte chen zu kommen, der aber bereits schreibend eine kann sich auch diese literaturwissenschaftliche Arbeit gesprochene Sprache bevorzugt, erfährt, daß nicht befreien. Melcher bleibt der Autorität ihrer Sprache in der Unmittelbarkeit anderen Gesetzen Quellen verhaftet. Weder ein quellenkritischer Um- folgt als in der technischen Vermittlung. Die Dimen- gang noch ein gezielter methodisch-analytischer Zu- sion, die in einem solchen Thema steckt, ist zumin- griff schaffen Distanz. Die Unterscheidung zwischen dest im Titel des Buchs eingefangen, wenn auch für Film und Rundfunk ist lediglich eine thematische, die Auflösung des Fragezeichens eine endgültige Zu- keine medientheoretische. Die Absicht der Autorin, sammenfassung fehlt. Zusammenstellung und Interpretation zu liefern, Eine Rundfunkbiographie Alfred Döblins müßte zwingen sie in einen hermeneutischen Zirkel, der den noch genauer recherchiert werden, damit Zusammen- Erkenntniswert dieser Untersuchung leider sehr hänge und persönliche Verbindungen deutlicher schmälert. werden. Die Legenden, die sich um Alfred Döblin Der erste dem Film gewidmete Teil kommt auch in ranken, die seine Bedeutung als Schriftsteller für den dieser Arbeit nicht ohne den obligatorischen filmhi- Rundfunk aufrechterhalten, sind zu überprüfen. storischen Abriß aus, aber die Einteilung der Unter- Immerhin war er mit nicht übermäßig vielen Sen- kapitel in »Filmmusik«, »Film als Kunst«, »Kino als dungen im Programm des Weimarer Rundfunks Flucht«, »Kino in der Stadt«, »Film und Theater« ver- vertreten. Dieses Buch liefert den Werkzusammen- spricht eine Systematik, die auf einen filmtheoreti- hang und kann auf die überlieferten, nun insgesamt schen Ansatz Döblins hinführen könnte. Leider wird veröffentlichten Rundfunkarbeiten verweisen, wofür gerade hier nicht weitergedacht. Das Theoriever- Melcher wichtige Hinweise beibrachte. Andrea ständnis in literaturwissenschaftlichen Untersuchun- Melcher hält ihre Verdienste in diesem Zusammen- gen gerät immer dann ins Schleudern, wenn Text, hang viel zu bescheiden zurück. Sie hat mit dem Medium und Publikum in einer Kommunikationssitua- Nachlaß Döblins in Marbach gearbeitet, hat die tion zusammentreffen. Dabei ist die Autorin dem rich- überlieferten Quellen benutzt und sich so einen tigen Schluß schon sehr nahe. Das Interesse Döblins Einblick verschafft, der in der Döblinliteratur noch konzentriert sich schon früh auf das Publikum, er setzt nicht selbstverständlich ist. Auch die Arbeiten Döblins den Unterhaltungswert des Films hoch an, ar- für die Medien Presse, Film und Rundfunk mußten gumentiert psychologisch und soziologisch. Seine lange auf ihre Anerkennung warten. Eine vollständige Frage ist nicht, »was das Kino mit dem Publikum Auflistung aller originären Rundfunkarbeiten sowie der macht, sondern umgekehrt: was macht das Publikum Präsentation von Döblins Werken im Rundfunk ist mit dem Medium?« (S. 29). Hier liegt der Schlüssel eine wichtige Ergänzung; ein beachtliches Litera- der Döblinschen »Filmtheorie«: Ihn hätte Melcher turverzeichnis läßt ahnen, mit welchem Aufwand konsequenter anwenden müssen, um der Bedeutung diese Untersuchung angedacht wurde. gerecht zu werden, die der Film für Döblin selber wie Es gibt Rezensenten, die grundsätzlich keine für seine Arbeit hatte, und den Stellenwert seiner Dissertationen besprechen. Nicht ganz zu Unrecht, Äußerungen in der zeitgenössischen Diskussion zu denn ihr Zweifel, ob der Autor, die Autorin oder der beurteilen. jeweilige Betreuer und Berater einer akademischen Der Mittelteil »Film und Literatur - Filmische Arbeit in die Verantwortung genommen werden sollte, Schreibweise« geht der Entstehung einer eigenen

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verschafft ein Unbehagen während der Lektüre und zurück.7 Parker wiederum hat keinen Zugang zu mehr noch bei einem abschließenden Urteil. Monica Huchel und ihrem Nachlaß. Mit seinen Sabine Schiller-Lerg, Münster Thesen versucht er immer wieder zu provozieren8 und bietet 1991 unter dem Titel »Peter Huchel als Propagandist«9 die Rekonstruktion eines Hörspiels Hub Nijssen von 1940 an: »Die Greuel von Denshawai«.10 Der heimliche König. Im Nachlaß Dora Huchels, der sich inzwischen in Leben und Werk von Peter Huchel. der John Rylands-University of Manchester befindet, Nijmegen Phil. Diss. 1995, 593 Seiten. entdeckt Parker ein von Huchel kommentiertes Ex- Peter Walther (Hrsg.) emplar von G. B. Shaws »John Bulls andere Insel« Am Tage meines Fortgehens. aus dem S. Fischer Verlag, in dem dessen Reportage Peter Huchel (1903 - 1981). Begleitband zur »Die Greuel von Denshawai« abgedruckt ist. Aus Ausstellung des Brandenburgischen Literaturbüros. diesen Kommentaren, Strichen und Hinweisen auf Frankfurt am Main/Leipzig: Insel Verlag 1996, eine Bearbeitung bemüht sich Parker Huchels 336 Seiten. Konzept eines Hörspiels nachzuvollziehen und äußert die Vermutung, daß auch Huchel sich mit diesem, die Als 1984 die zweibändige Ausgabe der »Gesammel- britische Kolonialpolitik scharf kritisierenden Text an ten Werke« Peter Huchels erschien, enthielt sie auch jener antienglischen Kampagne im ersten Jahr des vier Hörspiele, von denen drei zwischen 1935 und Zweiten Weltkriegs beteiligte, zu der auch Günter 1939 und eines 1959 gesendet worden waren.1 Die Eich und Artur A. Kuhnert Hörspiele beisteuerten. Es Werkausgabe lenkte erneut die Aufmerksamkeit auf scheint ein wunder Punkt der Huchel-Forschung diesen bislang vernachlässigten Teil des Werkes des berührt zu sein - allein die Aufregung um Parkers bedeutenden Lyrikers. Erstmals hatte Hans Dieter Thesen legt diesen Verdacht nahe. Axel Vieregg Schäfer auf Huchels Rundfunkarbeiten aus der Zeit versucht nachzuweisen, daß es ein entsprechendes vor 1945 hingewiesen2 und 14 Titel angeführt. Der Huchel-Hörspiel gar nicht gab, zweifelt das in den Herausgeber der »Gesammelten Werke«, Axel Programmzeitschriften ausgedruckte Sendedatum 23. Vieregg, konnte immerhin 24 Hörspiele nachweisen Januar 1940 an mit dem Hinweis auf ein Hörspiel von 35, an die sich Peter Huchel selbst erinnerte,3 gleichen Titels vom 13. März 1940, bei dem Rudolf von denen wiederum 17 sogar als Typoskript erhalten Kurtz als Autor genannt wird; Kurtz sei für Huchel sind. Bis auf »Das Gesetz« stammen sie ausnahms- eingesprungen, mutmaßt er.11 Aber nachdem eine los aus den Jahren von 1934 bis 1940. Bei der gerin- Wiederholungssendung vom 5. April 1940 wiederum gen Zahl der nunmehr publizierten Texte lag der Huchel als Autor nennt, scheint Viereggs Annahme Verdacht nahe, daß hier ein offenbar nicht widerlegt.12 Allerdings gibt es nach wie vor kein Ma- unerheblicher Teil des Huchelschen Werkes dem nuskript der Sendung. Die Frage nach der Bedeutung Leser vorenthalten werden sollte, der, da er während der Hörspiele für das Gesamtwerk und die Biographie des Dritten Reichs entstanden war, möglicherweise Huchels allerdings stellt sich nun in noch schärferer Hinweise auf eine Verstrickung Huchels in das Form. Und deshalb sind die Erwartungen an die nationalsozialistische System hätte liefern können. Dissertation Hub Nijssens hoch. Der Hinweis Viereggs, Huchel selbst habe diese Auf über 420 Seiten breitet er das Leben Peter Arbeiten als »Brotarbeiten« verstanden »und demzu- Huchels aus und fügt noch einmal auf 100 Seiten er- folge abgelehnt, sie zur literarischen Diskussion zu gänzende Kapitel zu Spezialthemen hinzu sowie ei- stellen«,4 konnte diesen Verdacht nicht beseitigen, nen 70 Seiten umfassenden Anhang. Die Materialfülle zumal sich der Herausgeber offenbar strikt an die ist schier erschlagend, der Detail-Reichtum be- Wünsche seines Autors hielt: »Seine Einschätzung - eindruckend. Bereits in Kapitel 1 begnügt Nijssen sich zumal wir sie teilen - soll respektiert werden.«5 nicht mit einer Beschreibung des Elternhauses, son- Da der weitaus größte Teil der Typoskripte nicht, dern verfolgt Huchels Ahnenreihe bis ins 16. Jahr- wie 1984 angekündigt, im Deutschen Literaturarchiv hundert zurück. Jeder der zehn Umzüge der Eltern - Marbach einsehbar war - er befindet sich nach wie vor von seinem Geburtsjahr 1903 bis 1925 - wird einzeln im Besitz der Huchel-Witwe Monica in Staufen i.Br. -, belegt, er befragt Zeitzeugen nach seinen Aufenthal- verwundert es nicht, daß sich 1986 ein britischer ten bei den Großeltern auf dem Lande, erörtert, Germanist, Stephen Parker, zu Wort meldet und warum er am rechtsradikalen Kapp-Putsch 1920 teil- diesen Verdacht zu untermauern versucht.6 Er weist nahm und nach seiner Verletzung bei den Unruhen im auf einige Ungereimtheiten in biographischen Krankenhaus eine Wandlung zum »pazifistischen Angaben hin, die z.T. von Huchel selbst stammten, Humanisten« vollzog. Es begann, wie Huchel es und stellt die Behauptung auf, er selbst habe selbst einmal nannte, ein Leben »im Zickzack«, das Legendenbildung betrieben, um von Brüchen in seiner Nijssen jedoch gelegentlich »zu begradigen« sich Biographie abzulenken. Denn in der Tat bedürfe es bemüht. Als Student im Berlin der 20er Jahre lernt einer Erklärung, wie ein erfolgreicher Hörspielautor Huchel Alfred Kantorowicz kennen, Ernst und Karola während der Nazi-Zeit bereits im Herbst 1945 eine Bloch (damals noch nicht verheiratet), geht nach nicht minder vielversprechende Karriere im Berliner Freiburg, Wien und Paris, entdeckt die Mystiker und Rundfunk für die sowjetisch besetzte Zone starten bewegt sich im Kreis um den jüdischen Philosophen konnte. Mit Nachdruck verweist Parker auf den Oscar Goldberg. Er zieht in die Künstlerkolonie in Nachlaß seiner ersten Frau, Dora, in Schweden, von Berlin zu seinen linksintellektuellen Freunden, poli- der sich Huchel 1946 endgültig getrennt hatte. Parker tisch engangiert ist er im Gegensatz zu diesen aller- stützt seine Thesen im wesentlichen auf deren dings nicht; Karola Bloch bezeichnet ihn als »unpoli- schriftlich fixierte Erinnerungen sowie Briefe Huchels tisch«. Als Indiz für seine politische Einstellung müs- an sie aus der Zeit vor 1945. Vieregg, der keinen sen seine persönlichen Kontakte, sein Freundeskreis Kontakt zu Dora Huchel hatte, weist Parkers Thesen dienen, da sich entsprechende Selbstaussagen nicht

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finden ließen, weder eindeutig pro-marxistische noch Niveau schrieb. Auch der Hinweis, daß sein Leben anti-nationalsozialistische. Und auch sein Werk aus möglicherweise anders verlaufen wäre, wenn er nicht jener frühen Zeit, seine Veröffentlichungen in diversen für seine erste Frau und die gemeinsame Tochter zu Zeitschriften, vor allem der »Literarischen Welt«, sorgen gehabt hätte - dabei beruft Nijssen sich geben diesbezüglich wenig her.13 wiederum auf seine zweite Frau - ist wenig hilfreich. Erkennbar versucht Nijssen so, den Brücken- Detailreich und präzise dargestellt ist hingegen der schlag zu Huchels »Karriere« nach 1945 zu erleich- Beginn seiner Tätigkeit beim Berliner Rundfunk. Jeder tern, was allerdings die Erklärung seiner Tätigkeit für Schritt des Jahres 1945 - von der Gefangenschaft im den nationalsozialistischen Rundfunk erschwert. Hier Lager Rüdersdorf und von dort ins Funkhaus in der hätte möglicherweise die genauere Beschäftigung mit Masurenallee - wird mit Hilfe von Zeitzeugen einem anderen Freundeskreis hilfreich sein können, rekonstruiert, ohne daß allerdings klar würde, was die der sich aus Autoren rekrutierte, die in Verbindung mit sowjetischen Besatzer so an ihm schätzten, daß sie der Zeitschrift »Die Kolonne« gestanden hatten. Auch ihn gar zum Minister ernennen wollten. Huchel wurde wenn Huchel selbst die Zugehörigkeit zu einem Dramaturg und 1946 Sendeleiter. Nijssen zählt die »Kolonne«-Kreis abstritt und Nijssen ihm darin folgt, Sendungen auf, die er in dieser Zeit betreute: Die waren die Beziehungen jener Autoren/innen enger als »Autorenstunde«, »Das Meisterwerk der Literatur«, bisher angenommen. Nijssen weist selbst nach, daß »Das Gedicht«, den »Theater-, Film- und Huchel, entgegen seinen späteren Aussagen, doch Funkspiegel« und andere Gelegenheitssendungen. selbst Gedichte an »Die Kolonne« geschickt hat, um Als Autor betätigte er sich dabei allerdings nicht. »Das sich an deren Lyrik-Wettbewerb zu beteiligen, den er Gesetz«, zum 10jährigen Jubiläum der DDR- 1932 auch gewann. Nijssen versucht diese Kontakte Gründung 1959, blieb Huchels einziges, nach 1945 zu Günter Eich, Arthur A. Kuhnert, Eberhard Meckel gesendetes Hörspiel, das zudem auf einem bereits u.a. herunterzuspielen, u.a. mit dem Argument, Anfang der 50er Jahre entstandenen Gedicht-Zyklus Huchel habe Martin Raschke, einen Herausgeber der basierte. Nach einer Beförderung zum »Kolonne«, nur einmal gesehen, überhaupt nur »Künstlerischen Direktor« des Berliner Rundfunks, zweimal in der Zeitschrift publiziert und zu Eich ein der ihm lediglich beratende Aufgaben zuwies, im eher distanziertes Verhältnis gehabt. Eich war, wie die Grunde also ein Abschiebeposten war, wurde er 1948 meisten »Kolonne«-Autoren, später ein erfolgreicher Chefredakteur der literarischen Zeitschrift »Sinn und Hörspielautor, der, wie Nijssen betont, sehr gut Form«. verdiente. Gleiches stellt er für Huchel fest und Gegen stetig wachsende Widerstände versuchte versucht gleichzeitig diese Hörspielarbeiten wegzu- er das Niveau der Zeitschrift und ihre Bedeutung als diskutieren, wenn er Huchels Freundin Rosemarie gesamtdeutsches Literaturforum zu halten. Das Heckendorf zitiert, die es als möglich bezeichnet, daß mißlang: 1962 wurde er gezwungen seinen Posten einige Hörspiele nur unter Huchels Namen gesendet, abzugeben und nahezu zehn Jahre isoliert und aber nicht von ihm verfaßt wurden. Tatsächlich arbei- observiert in der DDR zu leben. Seine Gedichte teten in jenen Jahren viele Autoren zusammen. So erschienen nur im Westen; hier gründete sein spä- fragte Eich 1935 bei Huchel an, ob er nicht einen Text terer Ruhm, hier erhielt er Preise und die Anerken- für die November-Ausgabe des Königswusterhäuser nung, die ihm die DDR verweigerte. Erst auf massiven Landboten beisteuern könnte, möglicherweise aus Druck aus dem Westen durfte er 1971 ausreisen und seiner »Herbstkantate«14 - und tatsächlich findet sich ließ sich schließlich in Staufen i.Br. nieder, wo er 1981 dort das Schlußgedicht der Kantate.15 starb. Ein deutsches Nachkriegsschicksal, dem jüngst Diese belegbare Zusammenarbeit erwähnt Nijssen wieder die ihm gebührende Aufmerksamkeit zuteil nicht, dafür weist er allgemein auf die gemeinsame wurde.16 Arbeit mit Georg Zivier (»jüdischer Herkunft«), Hans Nijssens Dissertation endet jedoch nicht mit der Nowak (»mit einer Jüdin verheiratet«) und Walter Darstellung dieses Dichterlebens und seinem Ende, Gutkelch hin. Als Quellen führt er Monica Huchel und er fügt noch etliche Kapitel an, in denen sich Nützli- Rosemarie Heckendorf an, die ihn beide allerdings ches neben Befremdlichem findet. Befremdlich ist die erst Mitte der 40er Jahre kennenlernten, konkrete Abqualifizierung von Dora und Susanne Huchel als Nachweise anhand einzelner Texte fehlen. Im Gegen- Quelle, die schon im Verlauf des Textes mehrfach satz zu der in den vorangegangenen und auch den deutlich wurde, zumal er seine Hauptzeugin, Monica folgenden Kapiteln verfolgten Praxis, die biographi- Huchel, einer entsprechenden Quellenkritik nicht un- schen Daten in Beziehung zu seinem Werk zu setzen terzieht. Und der Vorbehalt subjektiver Färbung von und ausführlich aus diesem zu zitieren, weicht Nijssen Erinnerung und des Irrtums muß wohl in jedem Fall davon ab, wenn es um Huchels Hörspiele geht, und gelten. Das Gebot wissenschaftlicher Quellenkritik verweist statt dessen auf das separierte Kapitel zu muß allgemein sein, es nur auf eine Quelle anzuwen- den Hörspielen. Das aber enthält zwar eine erfreulich den ist zumindest fragwürdig. Gerade Monica Huchel ausführliche Sammlung von Daten. Von den hätte er sie angedeihen lassen müssen, scheint doch Sendedaten, über Inhaltsangaben bis zur Über- ihr Einfluß auf die Entstehung der Arbeit nicht unbe- lieferung eines Typoskripts, fügt auch Kommentare deutend gewesen zu sein, denn offenbar ist ihr ein an, liefert aber keine interpretierende Einordnung in Mitspracherecht bei der Auswahl der Quellen einge- die Gesamtbiographie. Die Herausnahme der Hör- räumt worden. Wie anders läßt sich sonst eine Aus- spiele in ein eigenes Kapitel schreibt so die Heraus- sage wie diese deuten: »Nach einigem Bedenken war nahme der Hörspiele aus dem Gesamtwerk Huchels sie [Monica Huchel] damit einverstanden, daß ich fort. Auch Hub Nijssen unternimmt keinen Versuch, [Hub Nijssen] dort, wo andere Quellen fehlen, den Huchels Verhältnis zum nationalsozialistischen Rund- Nachlaß Doras heranziehen würde.« (S. 429). Be- funk zu klären, inwieweit er auf dessen Vorgaben fremdlich auch das Kapitel: »Einiges zu Stephen reagierte, oder eine Antwort auf die Frage zu finden, Parkers Publikationen.«17 Statt nüchterner Ausein- warum er teilweise derart unter seinem literarischen andersetzung findet sich hier vorwiegend Polemik,

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statt Parkers Thesen zu widerlegen, begnügt Nijssen paganda gewertet werden kann.« (S. 217) Hier geht sich mit mit der pauschalen Behauptung, sie seien sie ohne Not hinter den erreichten Stand der »böswillig«, und einem Hinweis Monica Huchels: Forschung über die Literatur im Nationalsozialismus »Wörtlich sagte Parker Monica Huchel am 4.2.1983, zurück, die über derartige Pauschalisierungen längst er sei angetreten, Huchel zu diskreditieren. (Brief hinaus und zu differenzierteren Urteilen durchaus in Monica Huchel, 26.2.1995).« (S. 433, Anm 30) der Lage ist. Ansonsten besticht der Band, der weit Auch in dem folgenden Kapitel zu den Hörspielen mehr ist als ein Begleiter durch eine Ausstellung ist, setzt sich sein fragwürdiger Umgang mit Quellen fort. durch seine Verbindung von persönlicher Erinnerung Um zu belegen, daß Huchel seine Hörspiele nicht erst und wissenschaftlicher Darstellung, gepaart mit einer nach 1945 als »Brotspiele« betrachtete, sondern be- Fülle faksimilierter Dokumente. Erfreulich auch, daß reits in den 30er Jahren, zitiert er Kürschners Litera- ihm eine Diskette mit Lesungen Peter Huchels, die tur-Kalender, in dem in den Ausgaben 1934 sowie der Südwestfunk aufzeichnete, der alljährlich den 1937/38 diese Literaturgattung neben Huchels Lyrik Peter-Huchel-Preis für Lyrik vergibt, beigegeben ist. nicht erwähnt wurde, sondern erst in den Ausgaben Schade nur, daß auch hier die Möglichkeit einer 1939 und 1943 - da sein erstes Hörspiel erst im De- angemessenen Darstellung seiner Arbeit und zember 1934 urgesendet wurde, ist dieser Befund Biographie während der Nazijahre nicht genutzt nicht weiter erstaunlich - und versucht den Eintrag in wurde. Die nach wie vor offenen Fragen werden wohl Franz Lennartz »Die Dichter unserer Zeit« (1938) erst beantwortet werden können, wenn der gesamte herunterzuspielen, der, wie Lennartz im Vorwort Nachlaß wissenschaftlicher Forschung ungehindert schreibt, auf Angaben der Autoren beruhte, und der zugänglich ist. Huchel in erster Linie als »hoffnungsvolle[n] Vertreter Wolfram Wessels, Mannheim der Funkdichtung« bezeichnete, als »ausgesprochene 1 Funkbegabung«. In Nijssens möglicherweise Die Magd und das Kind (24.8.1935, Reichssender berechtigter Einschätzung, Huchel habe die Berlin), S. 11ff.; Die Herbstkantate (14.10.1935, »Hoffnungen« nicht erfüllt, seine »Funkbegabung« Reichssender Berlin), S. 27ff.; Margarethe Minde sich nicht als tragfähig erwiesen, vermag ich jedoch (22.6.1939, Reichssender Leipzig), S. 41ff.; Das keine Distanzierung des Autors von seinem Werk in Gesetz (Oktober 1959, Radio DDR), S. 103ff. Die jenen Jahren zu erkennen. Im übrigen beantwortet es zum Teil unpräzisen Angaben zu den Sendungen weder die Frage nach der Bedeutung der Hörspiele finden sich in den Anmerkungen der Gesammel- für das Gesamtwerk - selbst wenn Huchel sie als ten Werke. Bd. II: Vermischte Schriften. Frankfurt »Brotspiele« bezeichnete, bliebe ihr Kontext mit dem am Main 1984, S. 409ff. übrigen Werk zu erörtern -, noch die Frage nach dem 2 Hans Dieter Schäfer: Das gespaltene Bewußtsein. Verhältnis ihres Autors zu dem Medium, in dem er sie München/Wien 1981, S. 40. publizierte. Immerhin, das bestätigt sowohl Lennartz 3 als auch die zeitgenössische Kritik, wurde seinen Gesammelte Werke (wie Anm. 1), S. 409. Hörspielen erhebliche Beachtung zuteil. Und immer- 4 Ebd. hin ist er noch 1940, zu einem Zeitpunkt, als Hör- spiele die Ausnahme im Programm darstellten und 5 Ebd. andere Autoren längst keine Möglichkeiten mehr zur 6 Stephen Parker: Collected - Recollected - Uncol- Mitarbeit hatten, mit drei Arbeiten vertreten. lected? Peter Huchels Gesammelte Werke. In: Leider ist der Verdacht nicht von der Hand zu wei- German Life and Letters Vol. 40 (1986), No. 1, S. sen, daß das Selbstbild Huchels, das zudem von 49-70. seiner Witwe mit Macht verteidigt zu werden scheint, noch immer einem nüchternen historischen Blick im 7 Axel Vieregg: The truth about Peter Huchel? In: Wege steht. Das gilt leider auch noch für Heike German Life and Letters Vol. 41 (1988), No. 2, S. Tauchs Aufsatz »Der Hörspielautor Peter Huchel« in 159-183. dem ansonsten vorzüglichen Begleitband zur Pots- 8 damer Ausstellung über Peter Huchel.18 Dabei hätte Visions, Revisions and Divisions. The Critical sie bloß den Zitaten Huchels, die am Ende ihres Legacy of Peter Huchel. In: German Life and Let- Aufsatzes stehen, folgen müssen, in denen vom Preis ters Vol. 41 (1988), No. 2, S. 184-212. The Peter des Verbleibens im Nazi-Deutschland die Rede ist. Huchel Collection of German Literature in the John Die beiden Äußerungen Huchels nach 1945, daß Rylands University Library of Manchester Vol. 72 einerseits »die alles vergiftende politische Tendenz- (1990), No. 2, S. 135-152. Recent Additions to the lüge« sich auch »des Funks und des Hörspiels« Peter Huchel Collection in the John Rylands bemächtigt habe,19 andererseits die Dichter aus ihrer University Library of Manchester Vol. 74 (1992), Verantwortung geflohen seien,20 lassen das proble- No. 2, S. 85-125. »Ein hoffnungsvoller Vertreter matische Verhältnis Huchels zu seiner eigenen der Funkdichtung«: Peter Huchels´s Radio Work Hörspielarbeit während jener Zeit schlaglichtartig in Nazi . In: Ian Wallace: Aliens - aufscheinen. Statt hier anzusetzen, bleibt Tauch Uneingebürgerte. German and Austrian Writers in sogar noch hinter Nijssen zurück, wenn sie bezüglich Exile. Amsterdam 1994, S. 101-134. des Hörspiels »Die Greuel von Denshawai« wider 9 Stephen Parker: Peter Huchel als Propagandist. besseres Wissen behauptet, es sei »unklar, ob dieses Huchels 1940 entstandene Adaption von George Stück überhaupt gesendet wurde«. (S. 214) Ähnlich Bernard Shaws »Die Greuel von Denshawai«. In: fragwürdig ist ihre Äußerung bezüglich des Unterhal- Rundfunk und Fernsehen Jg. 39 (1991), H. 3, S. tungscharakters der meisten seiner Hörspiele, daß es 343-353. fatal sei, daß »alles das, was ein in Deutschland 10 gebliebener Schriftsteller tat - und war es noch so un- Erstmals hatte Glenn R. Cuomo auf dieses Hör- politisch gemeint -, als Zugeständnis an die Nazi-Pro- spiel hingewiesen: Career at the Cost of Com-

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promise: Günter Eichs Life and Work between renden Programme mit den bewährten Inhalten von 1933 - 1945. Amsterdam/Atlanta 1989, S. 63. Unterhaltung-Bildung-Erbauung beschränken will, 11 sondern sich einem Massenangebot an Spartenpro- Axel Vieregg: Der eigenen Fehlbarkeit begegnet. grammen digitalisierter Sender öffnet. Günter Eichs Realitäten 1933-1945. Eggingen Kreimeier sucht vielmehr gerade am Punkte der 1993, S. 72f. Auflösung nach Faktoren für eine Neudefinition des 12 Vgl. Wolfram Wessels: Die tauben Ohren der Ge- Fernsehens. Der Schlüssel zu diesem Buch liegt in schlechter. Peter Huchel und der Rundfunk. SWF dessen letzten Sätzen, in denen der Autor »Fernseh- 2. Programm Hörfunk 16.1.1994. Geschichte« als »Geschichte unserer Gesellschaft« definiert und ihr ein »operierendes Gedächtnis« 13 Vgl. Axel Vieregg: Der frühe Peter Huchel. In: empfiehlt, »das alles Gesendete aufzeichnet und alles Walther(Hrsg.): Am Tage meines Fortgehens... Aufgezeichnete auf jene Bruchstellen untersucht, in Frankfurt am Main/Leipzig 1996, S. 187-211. denen sich die 'Paradigmenwechsel' verbergen: Ein 14 Eich an Huchel, 21.10.1935. Deutsches Litera- Gehirn, das mit sensiblen Scannern ausgestattet ist, turarchiv Marbach: Nachlaß Günter Eich. um das elektronische Bild der Gesellschaft auf seine Verwerfungen und Möglichkeiten abzutasten.« (S. 15 Manuskript (S. 13). Sächsische Landesbibliothek 284f.) Und so betrachtet Kreimeier auch die Technik Dresden: Nachlaß Martin Raschke. mit einem Blick nach vorn, denn: »Es geht nicht darum, die neuen Technologien zu ›verbessern‹, 16 Vgl. »Peter Huchel zum Kennenlernen«. Eine sondern sie kennenzulernen, um genauer bestimmen Ausstellung in Potsdam. In: RuG Jg. 22 (1996), H. zu können, wohin die Reise geht.« (S. 285) 1, S. 66f. Der Bestimmung der Reiseroute des Fernsehens 17 Parker (wie Anm. 6). in die Zukunft widmet sich denn auch dieses Buch. 18 Kreimeier hat es übersichtlich angelegt, in elf Kapi- »Peter Huchel zum Kennenlernen« (wie Anm. 16). teln, von denen acht jeweils durch einen Exkurs er- 19 Gesammelte Werke (wie Anm. 1), S. 256. gänzt werden. Kreimeiers »Lob der Fernsehens« sucht nach In- 20 Gesammelte Werke (wie Anm. 1), S. 264. tegration der unterschiedlichen neueren Ansichten zum Fernsehen, der Autor orientiert sich an aktuellen Programmentwicklungen. Für jeden, der die Fernseh- Klaus Kreimeier programme kontinuierlich verfolgt, ergeben sich so Lob des Fernsehens. direkte Anknüpfungsmomente für das eigene Nach- München/Wien: Carl Hanser Verlag 1995, 296 Seiten. denken. Eigene Fernseherfahrung wird neu reflektiert, Urteile, häufig auch Vorurteile, neu durchdacht. Das Seit fast zwei Jahrzehnten schien des Fernsehen als »Lob« ist nicht blind, es ist immer auch kritisch, Medium für die wissenschaftliche Betrachtung unin- freilich ist dies keine negierende Kritik. Kreimeier teressant geworden zu sein. Lediglich auf das Fern- sucht nach Orientierungspunkten. sehen als Institution, als Objekt der Politik (in der Dabei gilt der kritisch-reflektierende Blick nicht nur Auseinandersetzung um das duale Rundfunksystem dem Faktischen, sondern er greift immer auch vor, und die ökonomischen Faktoren wie Werbung etc.) geht in eine Zukunft, die - wir wissen es - schon bald oder der Jurisprudenz, konzentrierten sich Untersu- Gegenwart sein wird. Das Jahr 2 000 wird immer chungen. Die Programme hingegen waren heftigen wieder ins Auge gefaßt. Die Daten sind zumeist be- publizistischen Debatten ausgesetzt, neue Formen, kannt, die heute bisweilen noch unvorstellbaren Zu- die sich auf veränderte Funktionsbestimmungen zu- kunftsverheißungen werden jedoch nicht furchtsam rückführen ließen wie das Reality TV, auf ethisch-mo- betrachtet - Kreimeier ist kein »Apokalyptiker« -, son- ralische Fragen der Programmausgestaltung wie jene dern auf ihre Ressourcen hin untersucht. Dabei nach der Eskalation von Gewalt auf dem Fern- vermeidet er aber jede Euphorie, ist nicht blind vor sehschirm, wurden diskutiert. den Risiken und Nebenwirkungen, die sich durch die Seit etwa einem Jahr nun scheint das Medium beständige Medieneinwirkung auch in unserer neues Interesse gewonnen zu haben. Es sind vor Gesellschaft möglicherweise einstellen können. allem Autoren, die aus Profession beständig mit dem Kreimeier referiert seine Einsichten nüchtern, reiht Fernsehen und seinen Programmen konfrontiert sind Daten und Fakten, zieht seine Schlüsse. Die Wertung wie Kritiker und Publizisten, die das Medium erneut des Referierten wird zu einem guten Teil dem Leser kritisch reflektieren. Vor zwei Jahren stellte ZEIT- anheimgestellt. Fernsehkritikerin Barbara Sichtermann ihre Beobach- Die Sprache ist sachlich, die Darstellung an- tungen in einem schmalen Bändchen1 vor, nun folgt schaulich. Kreimeier eröffnet jedes Kapitel mit einer Klaus Kreimeier mit einem voluminösen und gut Behauptung zum Fernsehen, die er auf den nachfol- ausgestatteten Hardcover-Band. genden Seiten einer kritischen Untersuchung und Der Titel läßt zunächst eine ironische Absicht Wertung unterzieht. Die Beispiele sind vertraut, die vermuten. Wer sollte wohl ein Medium loben, das Kritik läßt sie in neuem Licht erscheinen. Der Leser eben im Begriffe steht, seine Selbständigkeit aufzu- erinnert sich bei der Lektüre dessen, was der Autor geben und in ein ominöses System, »Multimedia« beschreibt und analysiert. Kreimeier macht auf oft genannt, einzugehen? übersehene Details aufmerksam, bricht damit die Kreimeier jedoch ist solcherlei Ironie offenbar Flüchtigkeit des Fernsehkonsums auf und macht den fremd, und sein Buch ist auch nicht, wie sich weiter Zuschauer in der Tat »sehen«. Eigenheiten des Bild- vermuten ließe, das wohlmeinende Requiem auf das schirmdesigns bekommen damit Gewicht für die Fernsehen, das aus den traditionellen Nähten platzt, Wahrnehmung, die alltäglich aufgenommenen Ne- seine bisherigen Strukturen zu verabschieden ent- bensächlichkeiten werden herausgehoben, gewinnen schlossen ist, das sich nicht länger auf die konkurrie-

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Bedeutung für das Zuschauerverhalten. Beobachtun- Nachkriegsfernsehens (West wie Ost) bis zum Jahr gen an anderen Medien, beispielsweise am Spielfilm, 1993. Den nachfolgenden Schub in der Genreent- werden von Kreimeier eingebracht. So bewirkt das wicklung haben wir alle gerade eben miterlebt und Buch am Rande auch eine Intensivierung unserer folglich noch in bester Erinnerung. Fernsehwahrnehmung und bricht unseren für ge- Das Buch entstand im Rahmen des breit ange- wöhnlich engen Medienhorizont auf. legten DFG-Forschungsbereichs »Ästhetik, Pragmatik Kreimeier beschreibt das aktuelle Fernsehen sehr und Geschichte der Bildschirmmedien« an der genau und setzt seine Thesen dagegen. Die gründen Universität-Gesamthochschule Siegen, dem die ak- sich bei ihm auf die ausgezeichnete Kenntnis des tuelle deutsche Medienforschung bereits eine ganze Diskussionsstandes. Medientheoretische Ansichten, Bibliothek lesenswerter Untersuchungen zum Fern- die den gegenwärtigen Diskurs bestimmen, werden sehen in der Bundesrepublik Deutschland verdankt. eingebracht, geben ein Gerüst, in das Kreimeier sich Die Herausgeberin sucht mit Erfolg und Gewinn intelligent einbringt. Er bedient sich aus dem reichen die unterschiedlichen Forschungsrichtungen - Histo- Fundus unserer ekklektischen Informationsangebote riographie, Theoriebildung und Analyse von Gestal- und aus ihren so unterschiedlichen Quellen. Die zi- tungsweisen - miteinander zu verbinden. Einer einlei- tierten Meinungen gehen auf medien- und kulturkriti- tenden geschichtlichen Zusammenschau von Doris sche Autoritäten (Flusser, Baudrillard, Mc Luhan, Rosenstein und Anja Kreutz »Zur Gattungsgeschichte Benjamin) zurück, aber auch auf flüchtige Zeitungs- der unterhaltenden Fernsehmagazine« folgen in meldungen. Diskussionen, heute schnell initiiert und periodischer Gliederung, die sich an der Programm- bald abgebrochen oder im aktuellen Informations- geschichte des deutschen Fernsehens orientiert, vier ansturm schlicht vergessen, werden von Kreimeier rückschauende und ein vorwärtsweisendes Kapitel, wieder aufgenommen, neu gesichtet und auf dem die sich jeweils anhand weniger Schlüsselbeispiele gegenwärtigen Erkenntnisstand weitergeführt. mit den für die entsprechenden Entwicklungsphasen Eine Botschaft von »fortdauernder Gültigkeit« charakteristischen unterhaltenden Fernsehmagazinen habe ich in diesem »Lob des Fernsehens« nicht ge- beschäftigen. Die Phasen sind jeweils historisch ge- funden, freilich auch nach einigen -zig Seiten Lektüre nau definiert. Die erste umfaßt den Zeitraum von 1953 nicht mehr gesucht. Kreimeier will nicht »ewig Gülti- bis 1963, als die ARD in (West-)Deutschland das ges« über das Fernsehen sagen, dazu ist das Medi- Fernsehmonopol besaß, die zweite die beiden um zu sehr Tagesangelegenheit und in dynamischer »goldenen Jahrzehnte« des öffentlich-rechtlichen Mit- Entwicklung, denn »Fernsehen ›ist‹ nicht, sondern es und Gegeneinanders von ARD und ZDF zwischen geschieht« (S. 9). Er hat an einem wichtigen Punkt, 1963 und 1982, es folgt als dritte Phase, die Frühzeit am Beginn der »Informationsgesellschaft« in den ge- des dualen Systems von 1982 bis 1989, schließlich sellschaftlichen Diskurs über dieses älteste der als vierte die Jahre seit der Wende in der DDR 1989 »Neuen Medien« das Wort genommen. Es liegt beim bis zum Redaktionsschluß des Bandes. Theoretisch- Leser, welche Schlüsse er für sich aus dem geistvol- kritische Überlegungen zum Genre, hier erfreuli- len Vortrag zieht. cherweise von einem Kritiker (Walter Gauer, FERN- Peter Hoff, Berlin SEH-dienst) und zwei Wissenschaftlern vorgetragen, 1 schließen den Texteil ab. Barbara Sichtermann: Fernsehen. Berlin 1994. Die eingangs schon lobend erwähnte Lesbarkeit des Buches leitet sich zum einen aus der generellen Spannung her, mit der wir uns gern in die Geschichte Doris Rosenstein (Hrsg.) des Fernsehens vertiefen. Doris Rosenstein rekon- unter Mitarbeit von Anja Kreutz struiert aus unterschiedlichen Quellen, aus Kritiken Unterhaltende Fernsehmagazine. und aus Protokollnotizen der Kritiker Kurt Wagenführ Zur Geschichte, Theorie und Kritik und Andrea Brunnen-Wagenführ, die seinerzeit live eines Genres 1953 - 1993. (= Studien zur produzierte und gesendete Magazinsendung »Kalai- Kommunikationswissenschaft, Bd. 11). doskop«. Es ist eine kenntnisreich und mit Entdecker- Opladen: Westdeutscher Verlag 1995, 252 Seiten. freude betriebene medienarchäologische Arbeit, wobei die Autorin auf medienkritische Vorbehalte Eine »akademische« Publikation, deren Lektüre dem beispielweise von Gehard Eckert leider nicht weiter Leser Vergnügen bereitet, spannend ist und dabei eingeht. doch auch hohen wissenschaftlichen Ansprüchen Hier zeigt sich eine Schwäche des Buches, die genügt - das ist nicht eben die Regel. Doris Rosen- sich durch alle Beiträge zieht: Weder wird der Begriff stein, assistiert von Anja Kreutz, hat diesen editori- »Unterhaltung« definiert, noch wird die Auseinander- schen Seilakt über klaffendem Abgrund (sich zur Un- setzung um die Unterhaltungsfunktion des Fernse- terhaltung zu äußern, ist noch immer lebensgefährlich hens, die bis heute mit sich verschärfender Heftigkeit für eine seriöse Wissenschaftlerin) mit Glanz be- anhält, beschrieben. Das wäre zu wünschen gewe- standen; das sei schon im Vorfeld bemerkt. Und, nicht sen, denn über die wechselnde Einstellung zur Un- unwichtig: Das Buch hat seinen Gebrauchswert für die terhaltungsfunktion ist die jeweilige gesellschaftliche tägliche Arbeit des Kritikers, da es viel Funktion zu bestimmen, die dem Fernsehen zu unter- Hintergrundwissen bietet. schiedlichen Zeiten beigemessen wurde. Das hat seinen Grund darin, daß die Anzahl der Die nachfolgenden Beispiele bedürfen nicht mehr »unterhaltenden Fernsehmagazine« mit der Quoten- der »Archäologie«, sie liegen in Aufzeichnungen vor, offensive der privaten Programmanbieter sich stark sind häufig genug auch noch in lebendiger Erinne- erhöht hat. Der Wechsel von der Information zum In- rung, an der die Autoren anknüpfen können, und ihre fotainment ist ein radikaler Trend. Die Herausgeberin »Erfinder« und Redakteure sind zudem aussa- und ihre Autoren - neben Wissenschaftlern auch gefreudig. Als Beispiel für frühes Infotainment ist die Fernsehpraktiker und -kritiker - beschränkten sich auf Analyse der Vorabendsendung »drehscheibe« (Susan den Zeitraum von den Gründerjahren des deutschen

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Vollberg) interessant, die Komplexe zu »Bitte unterschiedlicher Eigenproduktionen, die zwischen umblättern« (Doris Rosenstein, Kay-Dietrich Wulffen, 1958 und 1991 in Adlershof produziert und Albert Krogmann) und zur »V.I.P.-Schaukel« und ausgestrahlt wurden, dokumentiert das Bestands- ihren Nachfolgesendungen (Anja Kreutz, Edgar von verzeichnis »Fernsehen für Kinder« des Fernsehens Heeringen, Karin von Faber) vermitteln anschaulich der DDR/DFF. Programmgeschichte. Der dritte Rückblick beschränkt Die Publikation entstand infolge der mit der Über- sich auf »Leo's Magazin« als erste Reaktion auf die nahme der Archive des DDR-Hörfunks und -Fernse- sich herausbildende dual geprägte Fernsehlandschaft hens durch das Deutsche Rundfunkarchiv verbunde- mit dem sie bestimmenden Konkurrenzkampf (Monika nen Aufgabe, den vorhandenen Gesamtbestand zu Quoika, Andreas »Leo« Lukoschik). erschließen. Der gedruckte Katalog verzeichnet erst- Die Phase der Programmentwicklung des mals in alphabetischer Reihenfolge alle 447 von der (bundes-)deutschen Fernsehens, die mit der politi- Abteilung Kinderdramaturgie des Fernsehens betreu- schen Wende 1989 begann und ihren Ausdruck vor ten Produktionen. Die älteste Sendung - »Hähnchen allem in den Veränderungen fand, die sich im Fern- und Hühnchen« - wurde Weihnachten 1958 ausge- sehen der DDR/ Deutschen Fernsehfunk (DFF) voll- strahlt. Mit dem Spielfilm »Ein Engel namens Flint«, zogen, wird kenntnisreich und engagiert am Beispiel der Weihnachten 1991 gesendet wurde, beendete die der Jugendsendung des DFF »Elf99« (Dirk Ziegert) Kinderdramaturgie in Adlershof ihre Arbeit. Im Ver- nachvollzogen. Allerdings muß der Rezensent, selbst zeichnis wurden alle dem Kinderfernsehen zugeord- Ostdeutscher, darauf verweisen, daß die Entwicklung neten Fernsehspiele/-filme einschließlich Literatur- komplizierter und widersprüchlicher verlief, als sie sich verfilmungen, Studiogastspielen, Theaterübernahmen Ziegert aus der Außensicht erschließen konnte. Hier und Kinderrevuen erfaßt. Von jeder Produktion ist künftig Zusammenarbeit angebracht - eine werden Sendetitel, Erstsendedatum, Land und Zeit deutsche Fernsehgeschichte als Teil einer deutschen der Handlung, Annotation, Autor von Buch und Kulturgeschichte in der zweiten Hälfte des 20. Jahr- Szenarium, Regie/Inszenierung, Schauspieler und hundert steht noch aus. ihre Rollen sowie technische Angaben nachgewiesen. In Walter Gauers Schlußwort dominieren die kri- Falls vorhanden, sind auch der Titel und der Autor tischen Töne. In Helmut Heinzes und Christian Filks von literarischen Vorlagen in das Verzeichnis vorausschauenden Thesen »Zur Ästhetik und Theorie aufgenommen. Auf diese Weise kamen insgesamt zeitgenössischer Fernsehunterhaltungsmagazine« - fast 35 000 Eintragungen zustande. beide Autoren hatten sich schon, ebenfalls mit kriti- Umfangreiche Register erhöhen den Wert des schem Grundton, mit den VOX-Unterhaltungsmaga- Verzeichnisses allein schon deshalb, weil sie zielge- zinen der Jahre 1992/93 auseinandergesetzt - wird richtete Recherchen wesentlich erleichtern. Sie be- detailliert und differenziert das Bildschirmdesign stehen aus vier Teilen: Regie/Inszenierung, Buch/ analysiert und auf die Beeinflussung der traditionellen Szenarium, Schauspieler und Chronologie nach dem Fernsehästhetik durch die Computergewöhnung ver- Erstsendedatum. Die ersten drei Register enthalten wiesen. Das ist anregend und provoziert zum Weiter- zu dem jeweiligen Eintrag auch Verweise auf die denken, wenn es auch sehr apodiktisch vorgetragen jeweiligen Sendetitel. wird. Das Bestandsverzeichnis dokumentiert einen klei- Es liegt ein Buch vor, das sicher immer wieder in nen, aber wichtigen Ausschnitt ostdeutscher Fern- die Hand genommen wird, von Praktikern und Kriti- sehgeschichte. Die dezidierte Aufbereitung des Ma- kern zumindest, und keine reale Chance hat, im Bü- terials kann sicher dazu beitragen, daß vor dem Hin- cherregal zu verstauben. tergrund finanzieller Engpässe bei ARD und ZDF Peter Hoff, Berlin diese oder jene Sendung irgendwann wieder auf dem Bildschirm zu sehen ist. Wolfgang Mühl-Benninghaus, Berlin Deutsches Rundfunkarchiv (Hrsg.) Fernsehen für Kinder. Ein Bestandsverzeichnis (= Veröffentlichungen Thomas Beutelschmidt des Deutschen Rundfunkarchivs, Bd. 2). Sozialistische Audiovision. Potsdam: Verlag für Berlin-Brandenburg 1995, Zur Geschichte der Medienkultur in der DDR 356 Seiten. (= Veröffentlichungen des Deutschen Rundfunkarchivs, Bd. 3). In der Tradition des Programms des Deutschen Fern- Potsdam: Verlag für Berlin-Brandenburg 1995, sehfunks (DFF) strahlen bis heute die ostdeutschen 503 Seiten. ARD-Anstalten sowie der NDR allabendlich den Ost- »Sandmann« aus, der inzwischen auch im Westen Was denn an der Audiovision in der DDR der Republik zum Inbegriff für das Kinderfernsehen »sozialistisch« gewesen sei, ließe sich nach der Lek- der DDR wurde. Diese seit dem 22. November 1959 türe - anknüpfend an den Titel dieser von der ARD täglich ausgestrahlte Sendung war nur ein Programm- durch das Deutsche Rundfunkarchiv geförderten Ber- punkt innerhalb einer Vielzahl unterschiedlicher Kin- liner Dissertation - ein wenig ratlos fragen. Ihr Autor dersendungen. Zu den neben dem »Sandmann« am geht der Entwicklung der ostdeutschen Medienkultur meisten rezipierten Programmschienen für Kinder, die mit einer Systematik nach, welche den traditionellen zugleich auch für die gesamte Familie konzipiert war Kommunikationswissenschaftler erst einmal verstört. und an der teilweise herausragende Schauspieler Nicht medial oder chronologisch gliedert er seinen mitwirkten, gehörte der Samstagnachmittag. Hier Gegenstand. Vielmehr favorisiert er »ein Montage- wurden Eigenproduktionen des DFF/DDR-Fernsehens prinzip, das zunächst disparate Aspekte der Medien- oder, in der Regel, aus den sozialistischen Staaten technologien und der kulturellen Sphäre in einen sinn- importierte Spielfilme gezeigt. Die Vielzahl fälligen Dialog miteinander bringt« (S.35). Und so

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geht es in vier umfangreichen Kapiteln um das Ver- cher Unterhaltungselektronik und Videokassetten ständnis von Kultur in der DDR-Gesellschaft, um nach der Währungsunion 1990 eindeutig aus. Form und Technik elektronischer audiovisueller Me- Beutelschmidt hat eine faktenreiche, eine bewun- dien, um kulturelle und technische Einflußfaktoren auf dernswert recherchierte und dokumentierte Ge- die Programmproduktion für Fernsehen und Kino schichte der DDR-Medienkultur vorgelegt. Sie füllt sowie um die theoretischen Anstrengungen von DDR- eine Lücke, welche die ostdeutsche Wissenschaft Wissenschaftlern über die AV-Medien und ihre Be- (aufgrund ideologischer Restriktionen) und die west- deutung für die sozialistische Gesellschaft. deutsche Forschung (aufgrund der Unzugänglichkeit Dieses »Montageprinzip« irritiert - zugleich gestat- des Forschungsgegenstandes »DDR-Medienkultur« tet es überraschende Einsichten. Sowohl auf techni- bis 1990) gemeinsam hinterlassen haben. Fernsehen schem wie auch auf inhaltlichem Terrain war die Au- und Film, Berufsverbände und Kulturpolitik, Amateur- diovision in der DDR einer permanenten Konkurrenz film und Videokunst, Gerätetechnik und wissenschaft- mit jener aus westlichen Staaten ausgesetzt. Techni- liche Debatten werden in nachvollziehbare, bisweilen sche Importe (ob bei Fernsehaufzeichnungsanlagen überraschende Zusammenhänge gestellt. in den 60er Jahren oder bei Videogeräten in den 80er Dabei vermeidet der (West-)Berliner Autor über- Jahren) gestatteten stets nur vorübergehend, den hebliche Abrechnungen, viel wichtiger noch: Er zeigt, Abstand zum »nichtsozialistischen Ausland« zu ver- daß es auf allen behandelten Gebieten einige wenige kürzen. Den Film- und Fernsehinhalten aus dem We- Personen gab, die sich dem vorherrschenden wis- sten begegneten Kulturpolitiker und Wissenschaftler senschaftlichen Denken über Medien und der vor- fast durchgehend ablehnend bis diffamierend. Die herrschenden linientreuen audiovisuellen Produktion prägende Wirkung dieser geistigen Importware auf nicht bedingungslos fügten. Somit leistet die Studie das ostdeutsche Publikum konnten sie freilich nicht einen wichtigen Beitrag zur genauen und differen- verhindern. zierten Erinnerung an die Mediengeschichte der DDR Deutlich wird zudem, wie sehr Kulturpolitik und - egal, ob diese mit dem Begriff »sozialistisch« Wissenschaft in der DDR stets auf den »Ideengehalt« angemessen etikettiert wird. Daß dieser Beitrag aus publizistischer und künstlerischer Werke fixiert waren. (West)Berlin kommt, sagt wohl auch etwas aus über Ob diese der sozialistischen Gesellschaftsordnung die mangelnde Bereitschaft ostdeutscher Wissen- dienlich seien, war der entscheidende Maßstab für die schaftler und AV-Produzenten, sich ihrer medienkul- Beurteilung von Filmen und Fernsehspielen, Ge- turellen Vergangenheit anzunehmen. mälden und Videoclips. Autonome (Medien-)Kunst Rolf Geserick, Leipzig und ästhetische Experimente fanden in dieser offiziel- len Kulturbetrachtung keinen Platz. Die audiovisuelle Gestaltung, insbesondere die durch die Computer- Siegfried Weischenberg technologie auf diesem Gebiet eröffneten Möglichkei- Journalistik. ten, sind nur von wenigen Experten bedacht und von Theorie und Praxis aktueller Medienkommunikation. ganz wenigen Praktikern genutzt worden. Wie schi- Bd. 2: Medientechnik, Medienfunktionen, zophren der Umgang mit Wortinformationen zum ei- Medienakteure. nen und Bildinformationen zum anderen im sozialisti- Opladen: Westdeutscher Verlag 1995, 674 Seiten. schen Journalismus ausfallen mußte, formuliert Beu- telschmidt so: »Einerseits verspürten die Redakteure Mit dem Erscheinen des zweiten Teilbandes von keinerlei Skrupel bei den (...) Verkürzungen, Bre- »Journalistik« - der erste wurde 1992 publizíert1 - liegt chungen oder Verfälschungen von Ereignissen oder nunmehr das geschlossene, mehr als 1 000 Seiten Fakten in ihren Wortbeiträgen. Andererseits werteten umfassende Lehr- und Handbuch des Münsteraner sie paradoxerweise die bewußten Eingriffe in die vi- Kommunikationswissenschaftlers Siegfried suelle Information mit elektronischer Tricktechnik, Weischenberg vor. Fokussierte der Verfasser im er- Animation oder Videografik als tatsächlichen Verlust sten Teilband auf der Basis einer konstruktivistischen der angenommenen ›Beweiskraft‹ und ›Authentizität Systemtheorie allgemeine und institutionelle Rah- des bewegten Realbildes‹« (S. 288). Ein real-so- menbedingungen des Journalismus sowie ethische zialistisches TV-Magazin à la »ZAK« konnte unter und professionelle Standards des journalistischen diesen Umständen ebensowenig entstehen wie Vi- Handelns, so perspektiviert er mit gleichem Ansatz im deoclips, die mit den vom Musikkanal MTV verbreite- zweiten Teilband detailliert Medientechnologien, ten Produkten konkurrenzfähig gewesen wären. Pas- -funktionen und -akteure des Journalismus. send dazu vernachlässigten die Medientheoretiker in Das erste Kapitel, »Medieninstitutionen: Struktur- Ost-Berlin und Leipzig sträflich den wachsenden Ein- kontext des Journalismus«, konzentriert sich vor- fluß technischer Produktionsverfahren auf Kunst und nehmlich auf Zäsuren in der Genese der Produktions- Journalismus. und Distributionstechniken. Die modernen Medien Entgegen allen offiziellen Beteuerungen über den und der moderne Journalismus basieren seit dem 19. wissenschaftlich-technischen Fortschritt war die von Jahrhundert auf technologischen Errungenschaften der SED regierte ostdeutsche Gesellschaft auf die (wie Rotationsdruck, Hörfunk, Fernsehen, Computer). internationale elektronische Kultur mental nicht vorbe- Daraus formierte sich sukzessive eine spezifizierte reitet. Ideologische Borniertheit, technischer Rück- Medienproduktion, -organisation sowie -ökonomie. stand und die volkswirtschaftliche Misere trugen dazu »Die technische Entwicklung hat nicht nur die bei, daß der medienkulturelle und medientechnische Grenzen zwischen den Medien verschwinden lassen, Rückstand der DDR in den 80er Jahren immer deutli- sondern auch die ›Schnittstellen‹ zwischen den Pro- cher zutage trat. Fehlende Spezialeffekte in Filmen duktionstechniken in den einzelnen Medien. Dadurch und biedere Bildgestaltung im Fernsehen sind dafür werden Perspektiven für multi-mediale Produktions- nur zwei Indizien. Zwangsläufig fiel »der Sieg« westli- weisen eröffnet, die auf der Flexibilität der neuen Techniken beruhen. Diese Synergieeffekte werden

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freilich bisher durch Trägheitsmomente konterkariert, Wandels der Gesellschaft sowie der Medien zu die auf gewachsene Organisationsstrukturen und unterliegen scheint: »Die Frage nach der Zukunft der traditionelle Berufsbilder zurückzuführen sind.« (S. journalistischen Arbeit macht erneut das typische Di- 55) Als maßgebliche Koordinaten für die gegenwär- lemma von Sozialverantwortung unter Marktbedin- tige und künftige Medienproduktion fungieren nach gungen im Mediensystem deutlich.« (S. 548) Weischenberg die internationalisierende und globali- Ein Anhang mit einem umfangreichen Literatur- sierende Informatisierung und Kommerzialisierung. verzeichnis und einem differenzierten Personen- so- »Die Erfahrungen und Perspektiven deuten dabei wie Schlagwortregister vervollständigt den Band. nicht unbedingt auf eine Demokratisierung des Infor- Ähnlich wie der erste Teilband von Weischenbergs mationssystems und auf ein Zuschütten vorhandener »Jounalistik« vermag auch der zweite als Handbuch Wissensklüfte.« (S. 83) der aktuellen Medienkommunikation sowie des Das zweite Kapitel, »Medienaussagen: Funktions- modernen Journalismus zu überzeugen. Das kontext des Journalismus«, identifiziert Leistungen konstruktivistisch-systemische Gesamtkonzept ist der Massenkommunikation für die Gesellschaft. durchaus hilfreich, um mittels der Epistemologie des »Solche Leistungen des Journalismus bestehen, all- »radikalen« Konstruktivismus und dem Differenzie- gemein gefaßt, vor allem in der Thematisierung; durch rungsinstrumentarium der funktional-strukturellen Sy- dieses soziale System werden Themen für die stemtheorie die Relevanz und Resonanz des jour- Medienkommunikation zur Verfügung gestellt, die nalistischen Struktur-, Funktions- sowie des Rollen- Neuigkeitswert und Faktizität besitzen, und zwar inso- kontextes sowohl in der Theorie als auch in der Praxis fern, als sie an sozial verbindliche Wirklichkeitsmodel- zu skizzieren. Der Verfasser beweist konzeptuelle le und ihre Referenzmechanismen gebunden sind.« Solidität, indem er sich - letztlich zu Recht - der auto- (S. 97) Als Kriterien für die Selektion, Produktion und poietischen Mode (in der systemtheoretischen Dis- Distribution von Nachrichten nennt Weischenberg kussion) verweigert und in der Konkretisierung seines anthropologische bzw. professionelle Indikatoren, Entwurfs handlungs-, entscheidungs- und sub- journalistische Adressaten sowie Public Relations, jekttheoretische Ansätze miteinbezieht, um dem be- besonders in der Politik. »In pluralistischen Demokra- sonderen Anforderungsprofil der empirischen Sozial- tien gibt es zwischen dem politischen System und bzw. Kommunikationsforschung Rechnung tragen zu dem Mediensystem vielfältige regelnde können. Mit dem vorliegenden zweiten Teilband er- ›Resonanzen‹, die zumeist auf routinisierten Bezie- fahren nun auch einige zentrale Dilemmata des ersten hungen beruhen. Auf der Grundlage von Rollenver- eine hinreichende Explikation. Dieser Sachverhalt trifft knüpfungen, aber auch von gegenseitigen Projektio- in erster Linie zu auf die Präzisierung der Funktionen nen ist so (...) eine symbolische Welt entstanden, in des Systems Journalismus, dessen systeminterne der politisches Handeln oft ganz durch Kommunika- Operationen und Modalitäten sowie auf die Relationen tion ersetzt wird.« (S. 235) Resümierend konstatiert zwischen der soziokulturellen Wirk- der Verfasser zu dem mannigfaltigen Paradigmen- lichkeitskonstruktion und der medialen Wirklichkeits- wechsel in der heterogenen Geschichte der Medien- konstruktion (am Beispiel des Kommunikations-Drei- wirkungsforschung, daß man diesen unterschiedlich ecks aus Politik, Medien und Öffentlichkeit). interpretieren könne: »Dabei bieten sich historische, Das Fazit zu beiden Bänden lautet: Vergleich- medientechnische, forschungsmethodische, wissen- bares - zumal auf der theoretischen Höhe der Zeit - schaftssoziologische und ökonomische Erklärungen liegt in der weitläufigen Fachliteratur der Journalistik an, die zum Teil auf handfeste Interessen verweisen.« gegenwärtig nicht vor; Weischenbergs »Journalistik« (S. 309) erweist sich als Standardwerk der 90er Jahre. Das dritte Kapitel, »Medienakteure: Rollenkontext Christian Filk, Köln/Siegen des Journalismus«, fokussiert wesentlich personelle 1 Konstellationen im publizistischen Betrieb. Gemäß der Vgl. dazu die Rezension von Christian Filk in: Erkenntnistheorie der konstruktivistischen Sy- Mitteilungen StRuG Jg. 20 (1994), H. 4, S. 239f. stemtheorie vertritt Weischenberg die These, daß die Massenmedien bei der Produktion von Medienange- boten »autonom« operieren. Sie generieren eine ei- Richard Münch gene (Medien-)Wirklichkeit mit Hilfe systemspezifi- Dynamik der Kommunikationsgesellschaft. scher Faktoren der Evaluation, Selektion und Kon- Frankfurt am Main: Suhrkamp 1995, 313 Seiten. trolle. Folgerichtig sind für die Analyse des Medien- systems die Charakteristika und (Verhaltens-)Disposi- Der Ausgangspunkt der Überlegungen des Autors - tionen der Agierenden sowie die konventionalisierten »wir scheinen jetzt (...) eine Schwelle des Wachs- und organisatorischen Strukturdeterminanten ihrer tums, der Dichte, der globalen Reichweite und des Handlungen zu berücksichtigen. »Wenn sich dieses Tempos der Kommunikation erreicht zu haben, jen- System von der Umwelt (...) nicht direkt steuern läßt, seits derer die gewachsene Quantität in eine neue ergeben sich daraus direkte Konsequenzen, die eben Qualität umschlägt« (S. 11) - ist keinesfalls neu. Seit nicht auf einen ›Journalismus ohne Individuen‹ mehr als eineinhalb Jahrzehnten befassen sich vor hinauslaufen, sondern eine besondere Verantwortlich- allem Philosophen, Kultur- und Sozialtheoretiker im keit der Medienakteure postulieren.« (S. 375) In Rahmen postmoderner und systemtheoretischer Dis- weiteren Ausführungen betrachtet der Verfasser die kurse mit diesem Problemfeld. Als Ergebnis entstand Tätigkeitsfelder und Berufsrollen des Journalismus’ eine kaum noch zu übersehende Anzahl an Publika- sowie deren Entwicklungsgeschichte, ferner Merk- tionen, in denen mögliche Folgen bzw. Veränderun- male und Einstellungen der Akteure. Am Ende steht gen des gesamten Prozesses beschrieben werden. ein Ausblick auf den künftigen Journalismus Unter diesen Bedingungen ist vor allem nach der (»McDonaldisierung der Medien«), der mehr und Originalität des vorliegenden Ansatzes zu fragen. mehr dem Primat des technischen und ökonomischen Anfang der 90er Jahre publizierte Münch die »Dialektik der Kommunikationsgesellschaft«. In seiner

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neuen Publikation entwickelt der Autor seine Theorie bleibt nicht nur bei allgemeinen Problemstellungen weiter. Auf drei Fragen, die zugleich die Grundlage der beschriebenen Phänomene stehen, sondern seiner Gliederung bilden, versucht er, eine Antwort zu erklärt in sich sehr schlüssig auch einzelne Er- geben: Zunächst beleuchtet er die Rolle sozialer Be- scheinungen gegenwärtiger Kommunikationsbezie- wegungen und moralischer Diskurse im Rahmen der hungen. Zum Widerspruch fordert in diesem Zusam- gegenwärtigen unablässigen Modernisierungsprozes- menhang möglicherweise der hohe Stellenwert her- se. Sodann richtet er sein Augenmerk auf die Dyna- aus, den Münch moralischen Problemen innerhalb der mik der Kommunikationsgesellschaft. Schließlich Politik oder des Rechts zuweist, denn Moral ist für ihn wendet er sich dem besonderen Charakter funktions- neben der Vernunft die entscheidende Kategorie, um spezifischer generalisierender Kommunikationsmedi- auf die Wirklichkeit einwirken zu können. Dabei setzt en zu, wie Politik, Recht, Wissenschaft und Moral. Ein er voraus, daß beide echte Alternativen zur Lösung umfangreicher Anhang mit soziologischen Daten zu aktueller Probleme anbieten können. Unabhängig von den behandelten Problemen ist dem Textteil bei- diesem Einwand zeigt der Autor insgesamt überzeu- gefügt. gend, daß die Kritische Theorie von Habermas inner- Die Fragestellungen als auch der eingangs zitierte halb der Kommunikationswissenschaft wieder stärke- Satz verdeutlichen bereits, daß der Autor mit seinen re Beachtung verdient, als sie in den letzten Jahren Ausführungen in der Traditionslinie der Kritischen erfahren hat. Theorie von Jürgen Habermas steht. Wie dieser be- Wolfgang Mühl-Benninghaus, Berlin ginnt auch Münch mit dem Zeitalter der Aufklärung, um die Defizite der Moderne zu beschreiben. Diese sieht er im Auseinanderfallen von Vernunft und Wirk- Rudolf Scharping (Hrsg.) lichkeit, von modernen und antimodernen Strömun- Demokratische Medien - gen sowie in der Dialektik von Fundamentalismus und der Mensch im Mittelpunkt. Moderne. Als Dialektiker erkennt er in den Gegensät- Für eine humane und soziale zen zwei Seiten eines und desselben Prozesses. Je- Informationsgesellschaft: Dokumentation der der Fortschritt fordert Gegenkräfte heraus, die auf Reden und Podiumsdiskussionen der diesen problematisierend bis ablehnend reagieren. SPD-Medienkonferenz vom 5. Mai 1995. Insofern ist die Moderne für Münch nur beschreibbar Marburg: Schüren Presseverlag 1995, 176 Seiten. in einem permanenten Vergleich des Wirklichen mit dem Möglichen (S. 23). Der in diesem Zustand be- Protagonisten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft gründete Pluralismus von Meinungen innerhalb der sowie Medien geben sich - in der Regel - gern ein Funktionszonen moderner Gesellschaften, wie Politik, Stelldichein, wenn es darum geht, die Voraussetzun- Moral oder Wissenschaft, erfordert den »Ausbau von gen, Entwicklungen, Folgen und Konsequenzen der Verhandlungssystemen in ihren Interpenetrationszo- jüngst vielbemühten ›Informationsgesellschaft‹ zu nen« (S. 32). Nur auf diese Weise, so der Autor, kann erörtern. Dies bewahrheitete sich einmal mehr, als die langfristig die Stabilität der Moderne gesichert wer- Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), die den, die ihrerseits ständig über die eigenen sozialen sich über viele Jahre hinweg schwertat, eine eigene Grenzen hinausgreift und somit permanent neuen An- kommunikationspolitische Marschrute zu beschreiten, feindungen, wie gegenwärtig von seiten der islamisti- am 5. Mai 1995 unter dem Motto »Demokratische schen Fundamentalisten, ausgesetzt ist. Medien - der Mensch im Mittelpunkt« zu einer Medi- Ausgehend von der Notwendigkeit dauerhafter enkonferenz einlud. Der gleichlautende Tagungsband, und stabiler Kommunikationsprozesse für den Erhalt herausgegeben vom Vorsitzenden der SPD- der Moderne untersucht Münch deren Dynamik. Eini- Bundestagsfraktion, Rudolf Scharping, dokumentiert ge Zahlen über den wachsenden Buchmarkt sowie die die Reden und Podiumsdiskussionen der Veranstal- Zunahme an Tageszeitungen belegen die These von tung. der permanent wachsenden Kommunikation in Einleitend stellen Günter Verheugen und Rudolf modernen Gesellschaften. Als Dialektiker sieht Münch Scharping (beide SPD-Bundestagsfraktion) die Ein- hier einerseits einen großen Gewinn für die führung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Menschheit, warnt aber gleichzeitig vor möglichen nach 1945 als »stabilisierende Elemente« für die Mißverständnissen, Störungen und Konfrontationen, Demokratie der Bundesrepublik Deutschland heraus, die zum völligen Zusammenbruch von Kommunikati- weisen auf die große Bedeutung einer künftig freiheit- onsbeziehungen führen. Neben diesem allgemeinen lichen, sozialen und dem Menschen dienstbaren In- sieht der Autor weitere Probleme, die direkt aus der formationsgesellschaft mit kompetenten Mediennut- Dynamik der Kommunikationsgesellschaft erwachsen. zern hin und bekennen sich als Mandatsträger einer Dazu zählen etwa die inflationäre Zunahme der »verantwortungsvollen Kommunikationspolitik« aus- Selbstdarstellung, insbesondere von Politikern, Ver- drücklich dazu, die weitreichenden politischen Rah- änderungen von Wirklichkeitsbildern, aber auch eine menbedingungen für eine solche Medienordnung mit- Zunahme des Spezialistentums, das den notwendigen zugestalten. Die Publizistin und Fersehkritikerin der interdisziplinären Dialog in Wissenschaft, Politik, ›Zeit‹, Barbara Sichtermann, konstatiert eine weithin Wirtschaft usw. behindert. große Anerkennung der »respektablen Leistungen« Münch zeigt schließlich am Beispiel von Recht, des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in den 50er, 60er Politik und Moral, wie diese sich im Rahmen gesell- und 70er Jahren und tritt auch unter den veränderten schaftlicher Kommunikation inhaltlich veränderten, Bedingungen des dualen Fernsehsystems mit der obwohl die Gesetzes- oder Verfassungstexte im all- Konkurrenz von öffentlich-rechtlichen und privat- gemeinen konstant blieben. Obwohl die Mehrzahl der wirtschaftlichen Veranstaltern vehement für eine Si- beschriebenen Sachverhalte nicht neu ist, ist dennoch cherung qualitativer Maßstäbe im Gesamtprogramm eine lesenswerte Monographie entstanden, die auch ein. durch das methodische Vorgehen überzeugt. Münch

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Hansjürgen Rosenbauer, der sich als Vertreter ei- ner öffentlich-rechtlichen Anstalt (ORB) durchaus selbstkritisch zeigt, vertritt die Auffassung, daß in dem Carola Lipp (Hrsg.) Maße wie der private Rundfunk dereguliert wird, der Medien popularer Kultur. öffentlich-rechtliche gestärkt werden muß, um ein Erzählung, Bild und Objekt in der »gesellschaftlich wünschenswertes Gleichgewicht der volkskundlichen Forschung. Kräfte« und Meinungsfreiheit zu erreichen. Am Bei- Frankfurt am Main/New York: Campus Verlag 1995, spiel der Investitionen der Deutschen Telekom AG in 492 Seiten. die technische Medieninfrastruktur verdeutlicht Gerd Tenzer (Telecom), daß sich die Telekommunikation Der Sammelband ist eine Festschrift zum 60. Ge- zu einer zukunftsträchtigen Schlüsselindustrie ent- burtstag des Leiters des Seminars für Volkskunde an wickelt, die zudem ein mannigfaltiges Potential an der Universität Göttingen Rolf Wilhelm Brendnich. Ei- Möglichkeiten für Anbieter und Nutzer darstellt. Ab- nem über sein unmittelbares Fach hinausreichenden schließend resümiert Reinhard Klimmt (SPD-Land- Leserkreis wurde der Jubilar vor allem durch seine tagsfraktion, Saarland) die mit der Multimedia-Gesell- berühmte »Enzyklopädie des Märchens. Handwörter- schaft einhergehenden vielfältigen persönlichen, sozi- buch zur historischen und vergleichenden Erzählfor- alen, kulturellen, politischen und rechtIichen Aus- schung« (Berlin/New York 1977 ff.) und die unter- wirkungen, die es nicht zu unterschätzen gilt. haltsamen Bücher »Die Spinne in der Yucca-Palme. Die beiden Podiumsdiskussionen mit Vertretern Sagenhafte Geschichten von heute«, »Die Maus im aus den am ›Medienprozeß‹ partizipierenden Berei- Jumbo-Jet. Neue sagenhafte Geschichten von heute« chen setzen sich zum einen mit dem Problem bzw. »Das Huhn mit dem Gipsbein. Neueste sagen- ›Medien- und Gesellschaftsveränderung‹ auseinan- hafte Geschichten von heute« (München 1990, 1991, der, zum anderen mit dem ProbIem ›Medienmarkt 1993) bekannt. und -politik‹. Ein Anhang mit Beschlüssen, Entschlie- Der Band, dem eine Auswahlbibliographie Brend- ßungen und Positionspapieren der SPD zur Struktur nichs beigefügt wurde, ist keine der üblichen Fest- des Medienmarktes, zur Debatte um den Rundfunk- schriften, sondern die einzelnen Beiträge sind jeweils staatsvertrag sowie zur Stellung des öffentlich-rechtli- ein Einstieg in verschiedene Themen volkskundlicher chen Rundfunks vervollständigt den Konferenzband. Forschung, ergänzt um umfangreiche bibliographi- Die Beiträge sowie die Diskussionen lassen einige sche Angaben. Auf diese Weise entstand ein breitan- markante Problemkreise der Debatte um die herauf- gelegtes Kompendium internationaler volkskundlicher ziehende ›Informationsgesellschaft‹ erkennen, deren Arbeiten zu drei Themenfeldern: Zur modernen Dualismus - nach wie vor - im antagonistischen Ver- Erzähl- und Liedforschung, zur visuellen Anthropolo- hältnis zwischen der ›Kulturorientierung der Medien‹ gie und zur Erforschung populärer Bildmedien. Das bzw. der ›Wirtschaftsorientierung der Medien‹ zu be- Spektrum der sich mit oralen Erzählformen beschäfti- stehen scheint. Gezeigt wird so ein Diskurshorizont, genden Themen reicht von verschiedenen Varianten der dem Bedingungsgefüge der künftigen Medi- moderner Sagen bis zur Analyse von Beerdigungs- enentwicklung kaum gerecht wird: Die internationali- ansprachen und politischen Witzen in der DDR. sierenden sowie globalisierenden Imperative der Neben deutschsprachigen wird auch das breite Kommunikationstechnologien diktieren sukzessive die Spektrum internationaler Phänomene oraler Erzähl- Strukturen des Medienmarktes der Bundesrepublik bzw. Musikkultur vorgestellt. Israelische und katalani- Deutschland sowie der Europäischen Union - mit der sche Folklore wurde ebenso berücksichtigt wie ver- Folge, daß die Gestaltungsräume des politisch-admi- schiedene Arten des Pfeifens oder des Karaoke in nistrativen Handelns zunehmend bescheidener aus- Deutschland. Den Abschnitt über historische Bildme- fallen. dien und populäre Ikonographie leitet der Aufsatz Zudem ›gehorchen‹ viele der verwandten politi- »Bilder im Kopf - Kindheits-Erinnerungen« von Rudolf schen, wirtschaftlichen, rechtlichen und kulturellen Schenda ein, der vor allem durch mehrere Bücher Klassifikations- oder Evaluationsschemata längst über die Entwicklung der Schreib- und Lesekultur in nicht mehr der Medienrealität, was nahezu den ge- Mitteleuropa bekannt wurde. Die weiteren Aufsätze samten Marktplatz der elektronischen Medien betrifft. spannen den Bogen von Karikaturen über die Popu- So geht es beispielsweise schon gar nicht mehr um larisierung des Gemäldes der Heiligen Familie des einen - wie es die Metapher des ›dualen Systems‹ spanischen Malers Murillo bis zum Bildverleger Lip- suggerieren mag - Ausgleich zwischen den System- schitz, der in Hamburg und London arbeitete. komponenten der öffentlich-rechtlichen Programm- Mit nur vier Beiträgen ist der Abschnitt über die anbietern einerseits und den privatwirtschaftlichen »visuelle Anthropologie: Film und Photographie in der andererseits, sondern darum, wie groß die kulturori- Volkskunde« bedauerlich kurz. Eine Antwort auf die- entierte Nische der Medien (im alten Verständnis) ses Mißverhältnis zwischen den 23 Aufsätzen zur Er- ausfallen und wie sie gestaltet sein wird. Hier gilt es - zähl- und Liedforschung und den wenigen zu den und dies trifft auch Diskutanten der SPD-Medienkon- modernen Bildmedien gibt Edmund Ballhaus. Er ferenz -, die Differenzierungsparameter anhand des problematisiert in seinem Beitrag »Das Dilemma als Status quo auszurichten und sich den Problemen of- Chance. Der kulturwissenschaftliche Film im Prozeß fensiv und nicht resignativ zu stellen. der Feldforschung« ebenso wie Hans-Ulrich Schlumpf Es ist an den politischen Parteien - egal welcher in »Die Entdeckung der Langsamkeit. Gedanken zur demokratischer Provenienz - gelegen, die Kodifikatio- Dramaturgie des Dokumentarfilms« den Einsatz nen des internationalen und globalen Medienmarktes moderner Bildmedien für die volkskundliche an der Schwelle zum neuen Jahrtausend zu konsta- Forschung. In beiden Aufsätzen wird deutlich, daß der tieren und Standardisierungen der Medien(de)regulie- Gebrauch von Filmmaterial innerhalb der Volkskunde rung auf supranationalen Ebenen voranzutreiben. noch relativ am Anfang steht. Insbesondere der Christian Filk, Köln/Siegen letztgenannte Aufsatz einschließlich der ihm

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zugrundeliegenden Literatur zeigt, daß es of- So lauten die Stichwortte etwa zur Filmästhetik: »Gat- fensichtlich Bemühungen gibt, diesen Zustand zu än- tungen«, »Stile«, »Ansprüche«, »Filmsprache«, dern. Anders ist nicht zu erklären, daß sich Schlumpf »Ton«, »Farbe«, »Darstellung«, »Inhalte«, »Bau« und bei seiner Suche nach geeigneten Filmdramaturgien »Zwischentitel«. Unter den jeweiligen Begriffen findet nur auf wenige, teils nicht auf dem neuesten Stand der Leser in knappen, aber dennoch gut verständli- der Wissenschaft befindliche Autoren stützt. Trotz chen Texten alle grundlegenden Informationen zu den dieser Schwäche ist es verdienstvoll, daß er ersten zwei Jahrzehnten der deutschen Filmge- nachdrücklich auf anthropologische Momente der schichte. Insofern trägt dieser Teil des Buches den Filmrezeption aufmerksam macht, da dieser Aspekt Charakter eines ausführlichen Handbuchs. innerhalb dramaturgischer Theorien sehr oft Die Auswahl der auf der linken Seite angeordne- übersehen wird. ten illustrierenden Quellen lassen durch ihre differen- Aus der Sicht der Kommunikations- bzw. Medi- zierte Herkunft die breite Materialbasis des Autors enwissenschaft ist es bedauerlich, daß den in den erkennen. Bedauerlich ist nur, daß Birett seine Büchern Brendnichs erkennbaren Zusammenhängen Zitierweise nicht durchgehalten hat. So zitiert er die zwischen den Inhalten oraler Erzählformen und au- Fachpresse prinzipiell unter Angabe der Ausgaben- diovisueller Medien, wie Film und Fernsehen, nicht nummer, während er diese bei der Tagespresse nicht weiter nachgegangen wurde. Die Autoren beschrän- angibt. Trotz dieser Marginalie ist das Buch jedem zu ken das Erzählen auf die interaktive Handlung, die der empfehlen, der sich relativ schnell in Probleme der kommunikativen Selbstverortung dienen und damit frühen deutschen Filmgeschichte einarbeiten bzw. auch gesellschaftliche Botschaften enthalten. Auf die sich einen Überblick über diese Materie verschaffen Darstellung inhaltlicher Verflechtungen oraler und au- möchte. diovisueller Erzählweisen und -strukturen wurde je- Wolfgang Mühl-Benninghaus, Berlin doch verzichtet. Trotz dieses unübersehbaren Man- gels sind die exemplarischen Studien mit ihren zum Teil sehr kurzweiligen Analysen eine anregende Lek- Lorenz Engell türe, u.a. über Briefe, Flugblätter, Presseerzeugnisse, bewegen beschreiben. Trivialliteratur oder zu einer Ausstellung von Korsetts Theorie zur Filmgeschichte. und Nylonstrümpfen. Jeder, der sich über derartige Weimar: VDG, Verlag und Datenbank für populäre Genres bzw. Produkte informieren möchte, Geisteswissenschaft 1995, 404 Seiten. wird in diesem Band vielfältige Anregungen finden. Wolfgang Mühl-Benninghaus, Berlin Obwohl seit dem ersten Jahrzehnt unseres Jahrhun- derts immer wieder Theorien zum Film entstanden, deutet gegenwärtig die Vielzahl unterschiedlicher Herbert Birett filmwissenschaftlicher Ansätze, deren Forschungser- Lichtspiele. gebnisse vor allem in den letzten beiden Jahrzehnten Das Kino in Deutschland bis 1914. publiziert wurden, darauf hin, daß diese relativ junge München: Q-Verlag 1994, 244 Seiten. Disziplin kaum über die Bestimmung eines eigenen Gegenstandsbereichs hinausgekommen ist. Insofern Das kleinformatige, unauffällige Buch über die Früh- steht die nunmehr in Buchform vorliegende Kölner zeit des deutschen Kinos wurde von einem der besten Habilitationsschrift im Kontext einer breiten theoreti- Kenner der frühen Filmgeschichte herausgegeben. schen Diskussion, deren Ergebnisse gegenwärtig 1980, lange bevor das internationale Interesse an den noch nicht absehbar sind. Anfängen des Films sprunghaft anwuchs, publizierte Das Buch ist in vier Teile gegliedert: »Bruchstück, der Autor eine Dokumentation über das an Hand von Bild, Bewegung. Die Konstruktion einer Vorgeschichte Zensurakten ermittelte Filmangebot in Deutschland des Films im 19. Jahrhundert«, »Von der Erde zum zwischen 1911 und 1920. Dieses voluminöse Buch, Mond, von der großen Oper zur Geburt einer Nation. das inzwischen durch einen weiteren Band, »Das Systembildende Entwicklungslinien des Films 1895- Filmangebot in Deutschland von 1895 bis 1911« er- 1915«, »Weiss, schwarz und rot. Das Sichtbare und gänzt wurde, gehört heute zu einem der unentbehrli- das Unsichtbare bei Griffith und bei Eisenstein« und chen Hilfsmittel zur Erforschung der Anfänge deut- »Die große Erzählung, Hollywood«. Erwartungen des scher Kinematographie. Lesers, neue filmhistorische Fakten zu finden, wie sie Der Aufbau von Biretts neuer Publikation ist auf bisher alle Theorien zur Filmgeschichte enthalten, unkonventionelle Weise durchgehend zweigeteilt. Auf enttäuscht Engell bereits im ersten Abschnitt. Seine der linken Seite mit römischen Ziffern sind ältere und Studien sind »keine Geschichte des Films - die neuere Literatur zum Thema, Zeittafeln, Zitate, ohnehin kaum mehr möglich zu sein scheint -, son- Reproduktionen zeitgenössischer Artikel aus der dern die Suche nach dem Problem, auf das Entste- Fach- und Tagespresse, Statistiken und Bilder sowie hung, Entwicklung und Veränderungen des Films die Quellenangaben abgedruckt. Auf der rechten Seite, Antwort geben könnten« (S. 7). Die These des Autors arabisch numeriert, befinden sich die Texte des beruht auf der Annahme, daß die bisherige Filmge- Autors zu den jeweiligen im Buch behandelten schichtsschreibung »ein Mindestmaß an Vollständig- Problemfeldern. Inhaltlich besteht das Buch aus zwei keit erlangt hat«, so daß es vor allem darauf größeren, mehrfach untergliederten Abschnitten, ankomme, das Material neu zu sichten bzw. denen ein sehr ausführliches Register beigefügt anzuordnen. Die Literaturübersicht von über 20 Seiten wurde. Ein kürzerer, chronologischer, behandelt die im Anhang bestätigen ebenso wie der ausführliche Geschichte des Kinos bis 1914, ein zweiter, sehr viel Anmerkungsapparat hinter jedem Kapitel, daß der längerer, befaßt sich in Längsschnitten z.B. mit »Film- Publikation ein umfangreiches Literaturstudium vor- ästhetik«, »Filmtechnik« und »Filmwirtschaft«. Die angegangen ist. jeweiligen Kapitel sind wiederum mehrfach gegliedert.

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Im Gegensatz zu diesem äußerlichen Schein ver- Montagefilme jenseits formaler Ähnlichkeiten äußerst deutlicht bereits der erste Abschnitt die willkürliche differenziert sind. Materialauswahl, die für das gesamte Buch charakte- Keiner dieser inzwischen ausführlich beschriebe- ristisch ist. Diese kann allein schon deshalb nicht nen Momente wird in der Publikation auch nur im An- überzeugen, weil der Verfasser an keiner Stelle satz gestreift. Hätte sich Engell dieser Mühe unter- erklärt, weshalb er eine Vielzahl insbesondere zogen, wäre ihm nicht entgangen, daß seine im er- neuerer Arbeiten nicht zur Kenntnis genommen hat sten Kapitel genannten Ausgangspunkte für den rus- und er eine Reihe von Phänomenen, die von anderen sischen Film nur marginale Bedeutung haben. Zu den Autoren in ihre Beobachtungen einbezogen werden, wichtigen Momenten für das Verständnis russischer nicht gleichfalls reflektiert. So beschreibt er etwa am Montagetechniken zählt etwa die lange Tradition, die Beispiel Manchester die Struktur einer Industriestadt, die Montagetechnik bereits in der russischen Literatur ohne zu erklären, weshalb er diese und nicht eine der in den verschiedensten Ausformungen seit der Gogol- Städte auswählte, die im engen Zusammenhang mit Erzählung »Die Nase« durchlaufen hat und auf die es der Entwicklung des Films standen, etwa Berlin oder in der russischen Kultur- und Kunstgeschichte immer Paris. In die gleiche Richtung zielt der Rückgriff auf wieder Rückgriffe gibt; erwähnt sei in diesem Zusam- das Phänomen des Warenhauses. An diesem Bei- menhang die ebenfalls in den 20er Jahren entstan- spiel versucht er darzulegen, daß sich die dene Šostakovic-Oper mit dem gleichen Titel. Außer- Wahrnehmung im 19. Jahrhundert veränderte. Ohne dem sind der russische Symbolismus in Literatur und dies näher zu begründen, behauptet er anschließend, Malerei um die Jahrhundertwende ebenso zu berück- daß dieses »Warentheater« die Grundlage für Eisen- sichtigen wie die theoretischen und praktischen Aus- steins Montagekonzeption sei. Unberücksichtigt einandersetzungen um die Schauspielkunst. Nicht bleibt, daß in Deutschland erste Warenhäuser erst um zuletzt verweisen auch einige der Spielfilme von die Jahrhundertwende entstanden, also parallel zur Evgenij Bauer, wie »Tagträume« oder »Nach dem Ausbreitung des neuen Mediums. Demnach kann auf Tode«, daß Montageelemente schon vor 1917 in Deutschland bezogen das Warenhaus nicht als russischen Filmen vorhanden waren. Die Hinweise Voraussetzung für den Film interpretiert werden. In auf die von Engell gegebene Interpretation der Monta- Moskau und Petersburg existierten in den frühen 20er gefilme - sie seien als Negation des Hollywood-Films Jahren nur je ein größeres Warenhaus. Diese unter- zu interpretieren - stammen in der Regel aus den spä- schieden sich zudem im Aufbau grundsätzlich von ten 20er oder den frühen 30er Jahren. In dieser Zeit denen westlicher Prägung. Darüber hinaus gibt es begann die Repressionspolitik Stalins, die sich bereits noch eine Reihe weiterer Einwände. So erklärt die sehr früh auf Kultur und Kunst auswirkte. Monta- einseitige Fixierung auf die Großstadt nicht, weshalb gefilme wurden zwar noch fertiggestellt, allerdings be- vor allem in den ersten Jahren nach der Erfindung reits nicht mehr in Moskau, sondern meist im relativ des Films dieser auch in Dörfern und Kleinstädten mit weit entfernten Kiew. Zur gleichen Zeit begannen viele viel Erfolg debütierte. Dieser Hinweis soll nicht als Künstler, ihre Biographien umzuschreiben, um ihre Negierung der Rolle der Großstadt in den hier zur geistigen Wurzeln unkenntlich zu machen. Jenen Diskussion stehenden Zusammenhängen verstanden Künstlern, denen dies gelang und die zugleich in der werden, sondern auf die für das Buch typische ober- Lage waren, sich den Lebensbedingungen unter der flächliche Darstellung hinweisen. Stalinschen Diktatur anzupassen, blieb der gewalt- Bei der Darstellung der Vorgeschichte des Films, same Tod oder der Gulag erspart. Die Neuinterpreta- die in ihren Einzelheiten noch immer unzureichend er- tion ihrer eigenen Kunstwerke, auch der Montagefil- forscht ist, sind Spekulationen und Einseitigkeiten me, wurde in der Folgezeit allseits akzeptiert. Die all- möglicherweise noch akzeptabel. Sie werden jedoch mähliche Öffnung der russischen Kunst- und Litera- problematisch, wenn Engell seine fragmentarischen turarchive seit Mitte der 80er Jahre hat den hier nur Kenntnisse über Filmentwicklungen zu einem Theo- angedeuteten Zusammenhang von Kunstinterpreta- riegebäude auszubauen versucht. Signifikant läßt sich tion und Stalinschem Terror immer deutlicher zu Tage dieser Vorwurf an einem relativ kurz gehaltenen treten lassen. Die Einwände gegen die von Engell Abschnitt zum russischen Montagefilm festmachen. benutzte Darstellung über die russische Ausgehend von der »Montage der Attraktionen«, die Filmavantgarde hat insofern weiterreichende Eisenstein 1923 schrieb und in der er sich sehr Konsequenzen, als sich die folgende Interpretations- schemenhaft zur Montage im Film äußert, entwickelt kette als wissenschaftlich haltlos erweist. der Autor eine Theorie, deren Kernaussage aus der Leider beschränken sich die Verkürzungen und bereits in den 70er Jahren formulierten These be- Verzerrungen von Filmgeschichte in der Monographie steht, daß der russische Montagefilm als Negation nicht nur auf die genannte Stelle, sondern sind in je- zum Hollywoodfilm zu verstehen sei. Unerwähnt bleibt dem Kapitel nachweisbar. Dies ist auch insofern be- nicht nur, daß Eisenstein mit Walt Disney eng dauerlich, da der vermutlich erstmalige Versuch des befreundet war, sondern auch, daß die weit überwie- Autors, systemtheoretisches Denken auf die Filmge- gende Mehrzahl der russischen Filme der 20er Jahre schichtsschreibung anzuwenden, gescheitert ist. Die in der Tradition des Hollywood-Kinos standen. Sicher Vielzahl von Vereinfachungen und von nicht oder nur paßte die hier wiedergegebene Auffassung in das teilweise berücksichtigten Zusammenhängen lassen antiamerikanische Gedankengut jener Zeit, auf das kein Urteil zu, in welchem Umfang dieses Theoriemo- sich der Verfasser bei der Darstellung der von ihm dell für die Filmgeschichte fruchtbar gemacht werden konstruierten Zusammenhänge ausschließlich stützt. kann. Neuere russische, aber auch englischsprachige Ar- Wolfgang Mühl-Benninghaus, Berlin beiten, die Engell völlig unberücksichtigt läßt, belegen deutlich, daß auf Grund unterschiedlicher kulturhisto- rischer Wurzeln und Aussagen der betreffenden Filme Rainer Gries u.a. (Hrsg.) und der fraglichen Regisseure die russischen »Ins Gehirn der Masse kriechen!«

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Werbung und Mentalitätsgeschichte. schichte. In diesem Orientierungsrahmen bewegen Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft sich dann auch ihre Beiträge. 1995, 220 Seiten. Die neun Aufsätze gliedern sich methodisch in fünf Gruppen. Die Methoden kollektiver Biographie- In einer Gesellschaft, die in den nächsten Jahren in forschung wurden in den Beiträgen über »Sieger stärkerem Maße als bisher ihre Informationen mul- Marke Deutschland: Wie wir Weltmeister wurden« (S. timedial angeboten bekommt und in der die jährlichen 74-91) und in dem erwähnten Beitrag über den Ausgaben für Werbung stetig ansteigen, werden Werbeberater Hans Domizlaff angewandt. Die zweite aufklärende und fragenstellende Publikationen über Gruppe setzt sich mit verschiedenen Werbemitteln Werbung von seiten der historischen und kul- und deren Botschaften auseinander; hier sind es die turhistorischen Wissenschaft immer notwendiger. Um Themen »Geistige Landnahme: Die Shell AG, das so erfreulicher ist es, einen Band zur Hand zu haben, Dritte Reich und die Straßenkarte« (S. 29-44), in dem Forschungsergebnisse über die Alltagskultur »Magische Formeln: ›Mach mal Pause - Keine in Deutschland seit den 20er Jahren publiziert Experimente!‹ Zeitgeschichte im Werbeslogan« (S. werden. 92-105) und »Hymnen des Konsums: Alltag und Mit diesem Buch erscheint eine Publikation, die Mentalität der Nachkriegszeit im Spiegel der sofort ins Auge springt bzw. - in der Sprache der Werbelyrik« (S. 106-124). Der Beitrag »Der Duft des Werbeleute - ein »Eyecatcher« ist. Für das Umschlag- Goldes« (S. 152-172) beschäftigt sich mit dem bild wurde eine grauschwarz gehaltene Fotografie Parfum »Amun«, das als Markenartikel zum Ge- genutzt, die eine hütetragende Men- schichts- und Kulturträger wurde. Spannend zu lesen schenansammlung zeigt. Diese unterhält sich ist die Untersuchung »Public Relations der Stärke: scheinbar angeregt, befindet sich aber sonst in einer Wie man den Bürgern die NATO verkaufte« (S. 125- wartenden Position. Knallgelb sticht im unteren Drittel 151). Hier konnten die Autoren die Strategien und des Covers ein aus aggressiv wirkenden schwarzen Werbemittel politischer Institutionen aufdecken, die Lettern bestehendes Zitat ins Auge, das zu nichts diese der Wirtschaft entlehnten, um ihr Produkt NATO Angenehmem aufruft: »Ins Gehirn der Masse »ins Gehirn der Masse« zu bringen. Die letzten kriechen!«. Im Vergleich dazu wirkt der erklärende beiden Beiträge behandeln den deutsch-deutschen Untertitel weitaus harmloser: Eine weiße Schrift auf Vereinigungsprozeß. Unter dem Slogan einer rotem Hintergrund verrät, welches Thema das Einheits-Anzeige »Opel baut auf Eisenach« (S. 173- Autorenkollektiv behandeln will: »Werbung und 192) wird der Werbekampagne des Automobil- Mentalitätsgeschichte«. konzerns nachgegangen. Zum »Geschmack der Die Marketing-Abteilung des Verlages wird den Heimat« (S. 193-220) äußern sich die Autoren über Inhalt wahrscheinlich nicht gelesen haben, trotzdem die Ost-Produkte nach der Wende. Die trifft sie mit dieser Aufmachung ihres Produktes genau unterschiedlichen Produktlandschaften in Ost und ins Schwarze. Wie aber verhält es sich mit dem Inhalt West werden zum Indiz der mentalen Gegensätze. - ist es etwa eine Mogelpackung? Betrachtet man die Zahlreiche Schwarz-Weiß-Abbildungen ergänzen Textnachweise, so überwiegt die Enttäuschung: Alle den Band, dessen Beiträge stilistisch äußerst Beiträge dieses so ansprechend präsentierten heterogen sind. Doch hätte sich der »lesende Textbandes wurden schon einmal in verschiedenen Konsument« ein besseres Lektorat gewünscht, das Fachzeitschriften und Sammelbänden abgedruckt. glücklicherweise den ansonsten oft störenden Anmer- Alle? Nicht alle, denn die lesenswerte Einleitung, die kungsapparat an das Ende jedes Beitrags gesetzt hat. zu Recht den Titel »Kursorische Überlegungen zu Unverständlich bleibt aber, warum nicht jeder Autor einer Werbegeschichte als Mentalitätsgeschichte« zu, und damit vor seinem Beitrag steht, zumal der trägt, ist brandneu. aufmerksame Leser anhand der Textnachweise den Zu erfahren ist, daß das titelgebende Zitat aus ein oder anderen Verantwortlichen doch herausfinden dem Munde eines Werbeberaters stammt, dem auch kann. Dem Autorenteam ist für die Zukunft zu der Beitrag »Stilgedanken zur Macht: ›Lerne wirken, wünschen, daß es auch weiterhin Aspekte zur ohne zu handeln!‹: Hans Domizlaff, eines Werbe- spannenden Geschichte der Massenbeeinflussung beraters Geschichte« (S. 45-73) gewidmet ist. Weder beiträgt, wobei ihm ein Blick in benachbarte die Kommunikationswissenschaft noch die historische Disziplinen wie etwa der Volkskunde, die sich seit Biographie- oder die Alltagsgeschichtsforschung ihrem Bestehen mit dem Denken und Handeln und haben sich bislang mit dem Thema der wirkungs- somit der mentalen Geschichte der sogenannten mächtigen Berufsgruppe der Werbe-, Public Rela- »kleinen Leute« auskennt, nicht schaden kann. tions- und Propagandafachleute befaßt. Das Autoren- Barbara Muschiol, Ladenburg team will mit seinen Beiträgen den »kollektiven Bewußtseinsbeständen der Verbraucher« auf die Spur kommen. Ihre historische Forschung zielt auf die Stefan Weyhenmeyer Rekonstruktion des Lebensalltags und der Mentalität Integrierte Unternehmensstrukturen in der Menschen und bedient sich daher einer bislang der Telekommunikation und staatliche wenig beachteten Quellenart, den von der Wirtschaft Industriepolitik. produzierten Bilder und Botschaften. Die Autoren (= Wirtschaftsrecht der Internationalen zeigen in der Einleitung auf, aus welchen Telekommunikation, Bd. 22). Perspektiven Werbegeschichte betrachtet werden Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft kann: als Wirtschafts- und Sozialgeschichte, als 1994, 240 Seiten. Kunst- und Kulturgeschichte, als Geschichte des Mas- senkonsums und der Gesellschaftskritik, als Kom- Die Telekommunikationspolitik ist in aller Munde. Li- munikationsgeschichte sowie als Mentalitätsge- beralisierungs- und Privatisierungsmaßnahmen bei der ehemaligen Deutschen Bundespost haben inzwi-

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schen so unübersehbare Auswirkungen für die ternehmen AT&T ein. In mehreren Abschnitten wird VerbraucherInnen gehabt, daß für einen größeren herausgearbeitet, wie die Politik der Federal Kreis von Menschen unmittelbar einsichtig ist, welche Communications Commission zur Entflechtung der Bedeutung ordnungspolitische Maßnahmen im Be- vertikal verflochtenen AT&T geführt hat und daß mit reich der Telekommunikation haben. Auch die erhitz- der Gründung der regionalen Tochtergesellschaften ten Debatten um die Änderung der Telefongebühren Bell Operating Companies und der Trennung zum Jahresbeginn 1996, mit denen sich die deutsche zwischen Monopol- und Wettbewerbsbereich struktu- Telekom auf die Konkurrenz mit privaten Wettbewer- relle Maßnahmen getroffen wurden, die weit über eine bern vorbereiten will, haben ein weiteres zur Weckung Verhaltenskontrolle von Unternehmen hinausreichen des öffentlichen Problembewußtseins beigetragen. und »eine systematische Reduzierung der Mark- Und schließlich ist es die weitverbreitete Multime- teintrittsbarrieren« (S. 107) mit sich brachten. diaeuphorie, die Netz- und Diensteanbieter im Sektor Letzteres in weit geringerem Maße erreicht zu ha- Telekommunikation zum Politikum werden lassen. ben, wirft Weyhenmeyer den europäischen Postver- In einer solchen Situation trifft es sich gut, ein waltungen in Teil drei vor. Obwohl diese in der Regel Buch auf dem Markt zu finden, das historisches und keine eigenen Herstellerfirmen haben, spricht er bei systematisches Wissen über die Zusammenhänge den europäischen Fernmeldekomplexen von »quasi- von Politik, Markt, Telekommunikationsindustrie sowie vertikal integrierten Unternehmen«. Deren Position Netz- und Diensteanbietern liefert, und dies auch am Markt werde von den Regierungen im Hinblick auf noch für den internationalen Bereich. Die Monogra- die Verfolgung industriepolitischer Interessen gestützt, phie von Stefan Weyhenmeyer ist am Hamburger wobei je nach Land Unterschiede darin bestünden, Max-Planck-Institut für Internationales Wirtschafts- inwieweit die wettbewerblichen Interessen hinter der recht entstanden. Wie alle anderen Arbeiten dieses staatlichen Industriepolitik rangieren. Ansonsten wür- Instituts auch, weist sie allerdings einen Zugang auf, den in Europa Maßnahmen der Verhaltenskontrolle der in sich eine eindeutige Festlegung verrät: Hier solchen der strukturellen Veränderungen vorgezogen. wird eine Position vertreten, die - im Gegensatz zu Im Ergebnis dieser nationalen und europäischen In- jeglicher Art von z.B. gemeinwirtschaftlicher Argu- dustriepolitiken im Sektor Telekommunikation werden mentation und Sichtweise - rein wettbewerbsrechtlich nach Auffassung des Autors Marktzugangsbarrieren und wettbewerbspolitisch argumentiert. Mit anderen für neue Anbieter geschaffen oder aufrechterhalten. Worten: Hier wird nach Wegen gesucht, wie die der- Als Ausweichstrategien würden die internationalen zeitige und sehr weitreichende Deregulierungspolitik Wettbewerber daher strategische Allianzen mit den im Telekommunikationssektor eher noch mehr Kraft bisherigen Herstellerfirmen (gemeint sind Hofliferan- und Dynamik entfalten könnte. Dies wird als entschei- ten oder Amtsbaufirmen) eingehen. Beides ist seiner dende Voraussetzung für mehr Wettbewerb angese- Auffassung nach aus wettbewerblichen Gründen ein hen, ohne daß diese Prämisse diskutiert würde. falscher Weg. Die Arbeit schließt mit den Wer also eine Auseinandersetzung über die der- ordnungspolitischen Maßnahmen, die sich bis Anfang zeitigen Prinzipien bundesrepublikanischer Deregulie- der 90er Jahre entwickelt hatten. rungspolitik aus mehr als einer wettbewerbsrecht- Weyhenmeyers detail- und kenntnisreiche Arbeit lichen Sichtweise sucht, wird sie hier nicht finden. Zu muß aus der Sicht der fundamentalen Umbrüche der finden ist jedoch ein sauber recherchiertes sowie hi- Telekommunikationsordnungen in den 80er und 90er storisch und systematisch breit gefächertes Grund- Jahren als eine willkommene und hilfreiche Fund- lagenwissen über die Ordnungspolitik im Tele- grube von historischen Fakten und ihren technischen, kommunikationssektor, und zwar für die wichtigsten industrie- und ordnungspolitischen Hintergründen an- Telekommunikationsmärkte USA, Bundesrepublik gesehen werden. Zugleich beleuchtet sie einen der Deutschland, Frankreich und Großbritannien bis An- wichtigsten Aspekte heutiger internationaler Wirt- fang der 90er Jahre. schaftsbeziehungen für einen begrenzten zeitlichen Das Buch gliedert sich in drei Teile und eine Ausschnitt. Bedauerlich ist für politisch Interessierte zusammenfassende Bewertung der Ergebnisse. Teil die völlig fehlende Auseinandersetzung mit den Prä- eins entfaltet die These, daß es eine internationale missen eines rein wettbewerbsrechtlich orientierten Integrationswelle im Telekommunikationssektor gibt, Ansatzes. Post- und Telekomunikationsunternehmen die sowohl betriebswirtschaftlich wie wettbe- oder öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten erweisen werbspolitisch motiviert sei. Zentral für den Autor ist sich nur dann eindeutig als Unternehmen, deren die Frage, inwieweit in den einzelnen Ländern Monopole um jeden Preis aufgebrochen werden Marktzugangsbarrieren existieren, inwiefern die staat- müssen, wenn sie eindimensional unter wettbewerbli- lichen Ordnungspolitiken diese beeinflussen und auf- chen Gesichtspunkten betrachtet werden. Daß mit rechterhalten und wie hoch das Diskriminierungspo- derartigen Unternehmen auch gemeinwirtschaftliche tential der etablierten Fernmeldeunternehmen gegen Ziele verfolgt werden können, und zwar in einer für die neue Wettbewerber ist. Aus der Sicht einer solchen Allgemeinheit preisgünstigeren Form, und daß es Frage muß jede Art von staatlichem Fernmeldemono- darum gehen muß, einen angemessenen Interessen- pol - wie immer dies begründet sein mag und auf ausgleich zwischen gemeinwirtschaftlichen und indu- welche Bereiche es sich auch erstreckt - als strie- und wettbewerbspolitischen Zielen zu erreichen, ablehnenswert erscheinen. In diesem Sinne werden in bleibt in seiner Betrachtung völlig unberücksichtigt. den nachfolgenden Teilen zwei und drei zuerst die Darin zeigt sich erneut die für unser Land typische Grundlagen der US-amerikanischen Deregulierungs- Spaltung zwischen den Wirtschaftswissenschaften politik aufgezeigt und sodann die europäischen ord- und den Politikwissenschaften. nungspolitischen Strategien untersucht. Aus der Sicht einer Politischen Ökonomie, d.h. Teil zwei führt in großer Breite und Ausführlichkeit einer wirtschaftswissenschaftlichen Betrachtung, die in die Geschichte der US-amerikanischen Deregulie- die politische Interessendimension mitbedenkt, hätten rung rund um das ehemalige Telekommunikationsun- dagegen zumindest im Ansatz weitere Fragen thema-

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tisiert werden müssen: Welchen industriellen Akteu- faßlichen Einführungen in die Geschichte der letzten ren welcher nationalen Volkswirtschaften fallen die beiden Jahrhunderte herrscht ohnehin kein Mangel. Vor- und Nachteile einer solchen Deregulierungspoli- Eine grundlegend andere Konzeption wäre wün- tik zu? Wie wirkt sich die Einforderung uneinge- schenswert gewesen: eine Konzeption, die versucht, schränkten Wettbewerbs in einem hierarchischen Sy- eine Problematisierung, Orientierung und Paradigma- stem Internationaler Arbeitsteilung mit beträchtlichen tisierung des konkreten journalistischen Umgangs mit Abhängigkeiten aus? Wohin führt die Deregulierungs- historischen Wissensbeständen zu leisten. Es bleibt politik für die Verbraucher und wie wirkt sie sich für unverständlich, warum Stöber, trotz oder gerade we- Geschäfts- und Privatkunden aus? Wie lassen sich gen seiner publizistikwissenschaftlichen Kompetenz, mit einer rein wettbewerblichen Ordnungspolitik öko- die - für die journalistische Praxis zentralen - Dilem- logische Probleme (Elektrosmog und Sondermüll der mata außer acht läßt. Somit werden Journalisten wei- informations- und kommunikationstechnischen Ent- terhin darauf warten müssen, bis die hier anfänglich wicklung) bewältigen? Läßt sich ein Ausgleich zwi- geweckten Hoffnungen anderswo eingelöst werden. schen unterschiedlichen Interessenlagen mit dem hier Christian Filk, Köln/Siegen zugrundegelegten wettbewerblichen Instrumentarium, d.h. nach dem rein marktwirtschaftlichen Modell, auch nur näherungsweise herstellen? Wer sich an solchen Gerd R. Ueberschär (Hrsg.) Einschränkungen der vorgetragenen Sichtweise nicht Das Nationalkomitee »Freies Deutschland« stören mag und die Ergebnisse in Kenntnis der und der Bund Deutscher Offiziere. eingeschränkten Sichtweise des Autors betrachtet, Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch wird in dem Buch eine sehr wertvolle Informations- Verlag 1995, 304 Seiten. grundlage finden können. Barbara Mettler-v. Meibom, Essen Es gibt Bücher, die zum richtigen Zeitpunkt erschei- nen. Der vorliegende Sammelband über das »Natio- nalkomitee ›Freies Deutschland‹« (NKFD) und den Rudolf Stöber »Bund Deutscher Offiziere« (BDO), herausgegeben Geschichte. von einem Mitarbeiter des Militärgeschichtlichen For- Eine Einführung (= Reihe Fachwissen für schungsamtes in Freiburg, gehört dazu. Er vereinigt Journalisten). Beiträge von 16 sowohl russischen als auch (west- Opladen: Westdeutscher Verlag 1996, 353 Seiten. und ost)deutschen Autoren über die Geschichte die- ser beiden Zusammenschlüsse von deutschen Exil- Unabdingliche Voraussetzung einer seriösen, kompe- kommunisten und deutschen Kriegsgefangenen, die tenten und kritischen Auseinandersetzung mit Ver- in den Jahren 1943 bis 1945 auf sowjetischem Boden gangenheit, Gegenwart und Zukunft ist das Wissen bestanden. Die unterschiedliche Herkunft der Verfas- um die historische sowie systematische Komplexität ser macht die Lektüre über Vorgänge, über die von zeitlicher Abläufe. Unter der erklärten Maßgabe, die Anfang an kontrovers diskutiert wurde, besonders Wahrnehmung für historische Erkenntnis - insbeson- spannend. Dabei ist nicht die Annäherung der Stand- dere von Journalisten - sensibilisieren zu wollen, re- punkte von Ost und West das Interessante, sondern konstruiert der Berliner Publizistikwissenschaftler Ru- die Beobachtung, was übrigbleibt, wenn ideologische dolf Stöber die historische Genese Deutschlands im Vorgaben wegfallen. Der Sammelband versteht sich 19. und 20. Jahrhundert. als Fortführung einer Veranstaltung, die zum 50. Jah- Die fünf inhaltlichen Kapitel vermitteln detailliert restag der Gründung des NKFD 1993 in Krasnogorsk historische Kenntnisse über die Themengebiete Au- in der Nähe Moskaus stattfand. Dort hatten sich ßenpolitik, Innenpolitik, Demokratie und Rechtsstaat, russische und deutsche Wissenschaftler zusammen- Wirtschaft und Soziales sowie sozioökonomische gefunden, die den veränderten Archivzugang in bzw. -kulturelle Lebenswelten. Jedes Kapitel be- Rußland für die Forschung nutzen. Die vorliegende schreibt qualitative Zäsuren des historischen Ge- Publikation ist für eine breite deutsche Leserschaft ein schehens, vertieft anhand von ausgesuchten Beispie- ausreichender Ersatz für den teils in russisch und teils len wichtige Geschehnisse und gibt abschließend den in deutsch erschienenen, aber schwer zugänglichen kontroversen Forschungsstand zur Bewertung einzel- Tagungsband.1 ner historischer Probleme wieder. Der Band wird Mit dem richtigen Zeitpunkt sind vor allem zwei durch ein sechstes Kapitel von Esther-Beate Körber Umstände gemeint: Das Buch könnte einerseits den vervollständigt, das sich mit theoretischen und metho- Endpunkt einer gerade in den vergangenen Jahren dologischen Fragestellungen der Geschichtswissen- nicht immer sachlich geführten Kontroverse über die schaft beschäftigt. Einschätzung des Nationalkomitees markieren, und Viele Journalisten werden sich nach der Lektüre andererseits eröffnet es durch die Erschließung unbe- des Bandes in ihren Erwartungshaltungen, nämlich kannter Dokumente neue Einsichten in ein schon oft Hilfestellungen für eine veranwortungsvolle Beschäf- erforschtes Thema. Der Einleitungsbeitrag von Peter tigung mit Geschichte an die Hand zu bekommen, Steinbach über den Streit um NKFD und BDO bei der enttäuscht sehen. Zwar vermag Stöber in weiten Tei- Präsentation in der Ausstellung der Gedenkstätte len seiner Arbeit treffend, kenntnisreich und verständ- Deutscher Widerstand in Berlin faßt die unterschiedli- lich einschlägige Befunde der allgemeinen Ge- chen Standpunkte zu dieser Frage zusammen und schichtswissenschaft, sowohl was historiographische ordnet sie den Interessenlagen zu. Ähnlich angelegt als auch was methodologische Aspekte anbelangt, sind die drei Beiträge, die sich mit der Historiographie aufzuarbeiten, jedoch ohne - woran er sich messen über das Nationalkomitee auseinandersetzen. Peter lassen muß - den besonderen Bedingungen, Bedürf- Steinbach und Gerd R. Ueberschär stellen die Ge- nissen und Anforderungen von journalistischen Beru- schichtsschreibung der Bundesrepublik vor, Paul fen Rechnung zu tragen. An hervorragenden, leicht Heider die der Deutschen Demokratischen Republik

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und Alexander Borosnjak die der Sowjetunion bzw. schall Paulus zum Beitritt in den Offiziersbund zu Rußlands. So erhält auch der unkundige Leser einen bewegen, ein weiterer dem Prozeß gegen General ausgezeichneten Überblick über die bisher erschie- von Seydlitz nach dem Zweiten Weltkrieg. Bedauer- nene Literatur. Lediglich die Ausführungen des russi- licherweise werden nicht allen Dokumenten vollstän- schen Kollegen hätte man sich in Teilen etwas aus- dige Archivsignaturen beigegeben. Außerdem ist nicht führlicher gewünscht. davon auszugehen, daß jeder Leser hinter dem Zahlreich sind die Beiträge, die sich mit neuen Kürzel CCHIDK das sogenannte Sonderarchiv in Dokumenten auseinandersetzen. Daß dabei nicht Moskau identifizieren kann. Aber dieser Nachlässig- immer »sensationelle« Funde aus Moskauer Archiven keit macht sich auch Ueberschär schuldig, indem er herhalten müssen, um zu neuen Erkenntnissen zu zwei von ihm abgedruckten Dokumenten eine recht gelangen, zeigen die Ausführungen von Helmut Mül- ungenaue Quellenangabe hinzufügt. ler-Enbergs. Die schon über zehn Jahre veröffentlicht Trotz dieser Mängel, trotz mancher durch die Viel- vorliegenden, bisher aber kaum beachteten Aufzeich- zahl der Autoren bedingten Wiederholungen reprä- nungen von Alfred Kurella2 bieten wichtige Hinweise sentiert die Aufsatzsammlung das, was ein Sammel- auf die Autoren des Gründungsmanifestes und auf die band im Idealfall leisten kann. Er stellt den Schluß- mit dem Komitee verfolgten Intentionen. Zusammen punkt einer von tagespolitischen Interessen überla- mit Dokumenten aus dem Archiv Stiftung der Parteien gerten Diskussion dar, bietet einem unkundigen Leser und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv einen guten Überblick über die vorangegangenen und dem Archiv des Bundesbeauftragten für die Kontroversen und weist auf künftige Forschungsfelder Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes entwickelt hin. Mehr kann man nicht bieten. Müller-Enbergs eine stichhaltige Argumentation. Carola Tischler, Berlin Wertvolle Erkenntnisse sind auch den Beiträgen von 1 Jörg Morré über das Institut 99 - das sogenannte Memoralmuseum Deutscher Antifaschisten »Stadtkomitee« des NKFD - und von Wladimir (Hrsg.): NKSG - 50 let. Sbornik materialov Wsewolodow mit dem Titel »Die propagandistische rossijsko-germanskoj naucno-prakticeskoj konfe- Tätigkeit des NKFD und BDO aus Moskauer Sicht« zu rencii. Moskva/Krasnogorsk 7-9 sentjabrja 1993, entnehmen. Beide beschäftigen sich mit der Krasnogorsk 1994 (dt.: NKFD - 50 Jahre. Einbindung des Nationalkomitees in die Strukturen Sammelband der russisch-deutschen wissen- sowjetischer Institutionen. Die Forschungsergebnisse schaftlich-praktischen Konferenz von Moskau und von Wsewolodow, der sich speziell mit der Zu- Krasnogorsk, 7.-9. September 1993. Krasnogorsk sammenarbeit von Nationalkomitee und der Politi- 1994. Ebenso schwer zugänglich ist der in schen Hauptverwaltung der Roten Armee befaßt, Moskau herausgegebene Dokumentenband: Za weisen zwar auf die hierarchische Struktur hin, zeigen Germaniju - protiv Gitlera! Dokumenty i materialy o aber auch deutlich ein Interdependenzverhältnis. Sein sozdanii i dejatel'nosti Nacional'nogo komiteta Beitrag ist äußerst erhellend und um einiges »Svobodnaja Germanija« i Sojuza nemeckich überzeugender als derjenige von Leonid Babitschen- oficerov, Moskva 1993 (dt.: Für Deutschland - ko, der ebenfalls die Zusammenarbeit von NKFD und gegen Hitler! Dokumente und Materialien über die BDO mit sowjetischen Institutionen zum Gegenstand Gründung und die Tätigkeit des Nationalkomitees hat. Die beiden übrigen Beiträge in diesem Zusam- »Freies Deutschland« und des Bundes Deutscher menhang von Arkadij Krupennikow über die politische Offiziere. Moskau 1993). Dieser Quellenband ver- Lageeinschätzung der beiden Organisationen und ih- einigt die grundlegenden Dokumente des NKFD - re patriotischen Motive für den Kampf gegen Hitler Manifeste, Flugblätter, Berichte - , die in deutscher und von Nikolaj Bernikow über die Propagandaarbeit Sprache schon seit längerem vorliegen, aber zum sowie die Zusammenarbeit mit den Politorganen der ersten Mal einem russischen Publikum dargeboten Roten Armee von 1943 bis 1945 bieten dagegen werden. kaum etwas Neues. 2 Alfred Kurella/Elfriede Cohn-Vossen: Der Traum Mit Spezialthemen setzen sich Heike Bungert von Ps'chu. Ein Ehebriefwechsel im Zweiten Welt- (Anglo-amerikanischen Pläne zur Gründung eines krieg. Berlin 1984. deutschen Komitees als Anwort auf das NKFD), Beate Ihme-Tuchel (Der Arbeitskreis für kirchliche Fragen beim NKFD), Sabine Rosemarie Arnold (Das Leonid Reschin Museum der Deutschen Antifaschisten in Krasno- General zwischen den Fronten. gorsk), Rosemarie Papadopoulos-Killius (Gespräch Walter von Seydlitz in sowjetischer mit den Zeitzeugen Willi Belz, Bernt von Kügelgen Gefangenschaft und Haft 1943 - 1955. und Bernhard Bechler) sowie Heinz Starkulla jr. (Zur Berlin: edition q 1995, 326 Seiten. Überlieferung der Flugblätter des NKFD) auseinander. Sigrid Wegner-Korfes In diesem Zusammenhang ist es erstaunlich, daß die Weimar - Stalingrad - Berlin. intensive Rundfunkarbeit der Mitglieder von NKFD Das Leben des deutschen Generals und BDO mit keinem Wort erwähnt werden. Otto Korfes. Biographie. Den Schluß bilden mehrere Beiträge von Leonid Weiden: Verlag der Nation 1994, 271 Seiten. Reschin und einer von Gerd R. Ueberschär, die vor allem neue Dokumente präsentieren. Eine von Re- Es werden zwei Bücher vorgestellt, die auf den ersten schin zusammengestellte Dokumentenauswahl be- Blick viel miteinander gemein haben. Beide handeln zieht sich auf den Präsidenten des BDO Walther von von deutschen Generalen, die während des Zweiten Seydlitz und seinen Vorschlag, einen Freiwilligenver- Weltkriegs am Kampf gegen die Sowjetunion band aus deutschen Kriegsgefangenen, die auf so- teilnahmen, in Gefangenschaft gerieten und sich dort wjetischer Seite kämpfen sollten, aufzustellen. Ein der Bewegung »Nationalkomitee Freies Deutschland« Aufsatz ist dem Bemühen gewidmet, Generalfeldmar- (NKFD) anschlossen. Sowohl Walter von Seydlitz als

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auch Otto Korfes gehörten zu den Mitbegründern des wenig kann Korfes in der Zwischenkriegszeit seinen »Bundes Deutscher Offiziere« (BDO), Seydlitz wurde Neigungen nachgehen, indem er nach dem Ersten dessen Vorsitzender. Dennoch sind die Bücher sehr Weltkrieg als Offizier ein Studium aufnimmt, um unterschiedlich. später im Reichsarchiv in Potsdam zu arbeiten. Er Leonid Reschin hatte durch seine Tätigkeit als heiratet die Tochter des Reichsarchivpräsidenten Mitglied verschiedener parlamentarischer Kommis- Gudrun Mertz von Quirnheim, deren Bruder Albrecht sionen und als Berater der Rehabilitierungskommis- Mertz von Quirnheim 1944 als Mitverschwörer des sion, die beim russischen Präsidenten angesiedelt ist, Juli-Attentates auf Hitler erschossen wird. Korfes' Zutritt zu Archiven, die nicht jedem zugänglich sind. Weg in den Widerstand gegen den Nationalsozialis- Hierzu gehören vor allem das Archiv des Präsidenten mus führt, wie bei so vielen Mitgliedern des National- und das Archiv des Sicherheitsdienstes in Moskau, komitees, über die Erfahrung Stalingrad. Dieser Weg aber auch das Sonderarchiv und das ehemalige Par- kommt spät und langsam, aber er wird von Korfes teiarchiv. Die beiden letzt genannten Archive sind innerlich vollzogen. Nach seiner Rückkehr aus der zwar prinzipiell für jeden Forscher offen, einige Be- Sowjetunion 1948 wird ihm zunächst die Leitung des stände - und dazu zählen auch die über die deut- Zentralarchivs in Potsdam übertragen, später wird er schen Kriegsgefangenen bzw. über die Kriegszeit - Leiter des Archivwesens der DDR. aber nur zum Teil oder überhaupt nicht zugänglich. Es ist der Autorin vorgeworfen worden, daß ihr als Reschin hat keine Biographie über Seydlitz ge- Tochter die notwendige Distanz zu ihrem Vater fehle. schrieben. Sein Augenmerk richtet er auf die Ge- Aber gerade die intime Kenntnis der persönlichen Le- schichte des BDO, die er vor allem über seinen bensgeschichte macht dieses Buch so wertvoll. Kaum Präsidenten darstellt, da er bei seinen Recherchen jemand hätte so überzeugend und so kenntnisreich auf Dokumente von und über Seydlitz stieß. Aber was über Otto Korfes schreiben können. Gerade auch die er mit diesen Quellen angefangen hat, ist eine - und Schilderung der Familiensituation im Zusammenhang das ist noch gelinde ausgedrückt - Katastrophe. Das mit dem öffentlichen Auftreten von Korfes im »Bund ganze Buch besteht aus einer Aneinanderreihung von Deutscher Offiziere« und besonders die Verfolgung Dokumenten, die mit einigen eigenen Sätzen nach dem Stauffenberg-Attentat beeindrucken den verbunden werden. Kritikwürdig dabei ist, daß für den Leser. Die Tochter schildert das, was notwendig ist, Leser überhaupt nicht erkennbar ist, wann ein um ein Leben zu verstehen. Dokument anfängt und wann es aufhört, ob die häufig Wer etwas über die Funktionsweise der sowjeti- benutzten drei Punkte eine ausgelassene Stelle in der schen Bürokratie erfahren möchte, der kann dem Quelle markieren oder ein - völlig überflüssiges - Buch von Reschin einiges entnehmen.2 Die Biogra- Stilmittel des Autors sind. Wie sich der Verlag dazu phie von Wegner-Korfes über ihren Vater liest der- bereitfinden konnte, ein solches Mischmasch zu jenige mit großem Gewinn, der den Wandel eines veröffentlichen, ist unerklärlich. Sicher sind viele durch und durch konservativ geprägten Menschen zu Hinweise über Seydlitz völlig neu und für die einem Antifaschisten und schließlich überzeugtem Forschung äußerst interessant, so seine Pläne zur Bürger der DDR nachvollziehen möchte. Aufstellung bewaffneter Divisionen aus den Reihen Carola Tischler, Berlin deutscher Kriegsgefangener oder die Gründe für 1 seine Verurteilung zu 25jähriger Haft im Jahre 1950. Vgl. die Rezension des von Gerd R. Ueberschär Dies rechtfertigt jedoch nicht eine solch nachlässige herausgegebenen Bandes: Das Nationalkomitee Verwertung der Erkenntnisse. Daß er mit seinen »Freies Deutschland« und der Bund Deutscher Dokumenten auch gewissenhafter umgehen kann, hat Offiziere. Frankfurt am Main 1995, in diesem Heft der Autor an anderer Stelle bewiesen.1 S. 180f. Anders das Buch von Sigrid Wegner-Korfes über 2 Reschins Schlußsatz, daß das Urteil gegen ihren Vater Otto Korfes. Auch sie zieht eine Unzahl Seydlitz bisher noch nicht aufgehoben wurde, ist von Quellen - Tagebücher, Briefe, Aufzeichnungen, inzwischen überholt. Im April dieses Jahres hat die Schriften und Befragungen von Familienangehörigen russische Generalstaatsanwaltschaft die beiden und Bekannten - zu Rate, geht mit ihnen aber sorg- Generäle der Wehrmacht Walter von Seydlitz und sam um. Aus seiner Zeit in der Sowjetunion bei- Helmut von Pannwitz rehabilitiert. Vgl. Frankfurter spielsweise sind mehr als 45 Reden erhalten geblie- Allgemeine Zeitung v. 8.6.1996. ben, die der Sender »Freies Deutschland« ausstrahl- te; sie werden heute im Bundesarchiv Potsdam aufbe- wahrt. In ihren einleitenden Bemerkungen schildert Michael Ruck die Autorin ihr Bemühen, diese Zeugnisse aus den Bibliographie zum Nationalsozialismus. Jahren 1943 bis 1945 in der DDR zu veröffentlichen. Köln: Bund Verlag 1995, 1 428 Seiten. Sie erschienen nicht, da sie - wie ein Gutachter schrieb - »nicht wenige unrichtige Einschätzungen« Die Zeit des Dritten Reiches gilt als die am besten er- enthielten (S. 9). Aus diesen Manuskripten wird in forschte Epoche der deutschen Geschichte. Davon dem Kapitel über die Tätigkeit im NKFD und BDO zeugt die von Michael Ruck vorgelegte Bibliographie ausführlich zitiert. mit ihren insgesamt 20 298 Einträgen - 10 017 Mono- Wegner-Korfes konzentriert ihren Blick aber nicht graphien, 6 299 Beiträge aus Sammelwerken und allein auf die Arbeit von Otto Korfes im BDO, sondern 3 983 Zeitschriften- und Zeitungsartikel. Sie erschließt beschreibt seinen gesamten Lebensweg. Dieses die vom Kriegsende 1945 bis in den Herbst 1994 er- Leben führt den jungen Pfarrerssohn, dessen schienene deutsch-, englisch- und französischspra- Interessen Literatur und Geschichte sind, 1909 in das chige Literatur zur Vorgeschichte, Herrschaft und Magdeburgische Infanterie-Regiment Nr. 66 und fünf Nachwirkungen des nationalsozialistischen Regimes. Jahre später in den Ersten Weltkrieg. Seine Angesichts der großen Zahl von Veröffentlichungen, militärische Laufbahn ist damit vorgezeichnet. Ein die anläßlich des 50. Jahrestags des Kriegsendes

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erschienen ist, hat der Bibliograph gut daran getan, über die Jahre 1933 bis 1938 (Frankfurt am Main einen Folgeband mit Neuerscheinungen und Nach- 1980) sowie 1939/1940 (Frankfurt am Main 1987) trägen vorzusehen, der, wie er in seiner Einleitung oder das Quelleninventar zum »Schul- und Bildungs- mitteilt, in einigen Jahren erscheinen soll. (S. 29) funk in Deutschland von 1923 bis 1945« (Frankfurt Ruck hat seine Bibliographie nach sachlichen am Main 1976). Gesichtspunkten in Kapitel und bis zu vierstufige Un- Diese Kritik soll die enorme Fleißarbeit von Mi- terkapitel gegliedert und nahezu jeden Abschnitt zu- chael Ruck nicht schmälern, hat er doch der interes- sätzlich durch Zwischenüberschriften wie »Bibliogra- sierten wissenschaftlichen Fachöffentlichkeit ein In- phien«, »Literaturberichte«, »Nachschlagewerke«, strumentarium bereitgestellt, das erst einmal über- »Quellenkunde«, »Gedruckte Quellen«, »Methodi- troffen sein will. sche Probleme«, »Darstellungen«, »Regional/Lokal- Ansgar Diller, Frankfurt am Main studien« strukturiert. So findet sich Literatur zur Or- ganisation der NSDAP, zu Reichstag, Verwaltung und Justiz, zum Unterdrückungsapparat, zu Widerstand, Dirk Matejovski / Friedrich Kittler (Hrsg.) Emigration und Exil, zur Wirtschafts- und Sozialpolitik, Literatur im Informationszeitalter. zur Außenpolitik und zum Zweiten Weltkrieg, zur (= Schriftenreihe des Wissenschaftszentrums Entnazifizierung und den Nachkriegsprozessen. Nordrhein-Westfalen, Bd. 2). Natürlich gibt es auch Abschnitte zur Propaganda und Frankfurt am Main/New York: Campus Verlag 1996, zum Rundfunk, zur Kultur und Kulturpolitik, die wech- 273 Seiten. selseitig aufeinander und außerdem auf die Rubrik »Verschiedene Persönlichkeiten«, speziell auf Die modernen elektronischen Informations- und Goebbels, verweisen. Den Schluß der Bibliographie Kommunikationstechnologien verändern nachhaltig bilden Verzeichnisse mit den Auflösungen der die Wissenspräsentation und -organisation. Diesen ansonsten abgekürzten Zeitschriftentiteln sowie Tatbestand nahm das Wissenschaftszentrum Nord- jeweils ein Autoren-, ein Personen- sowie ein Register rhein-Westfalen zum Anlaß für eine Tagung, deren der Länder, Regionen und Orte. Ergebnisse nunmehr in einem Sammelband vorlie- Zwar hat Ruck nach eigenen Angaben keine Voll- gen. In ihm sind zwölf Beiträge - mehrheitlich von Li- ständigkeit angestrebt, dennoch sei erlaubt exempla- teratur-, Sprach-, Medien- sowie Kommunikationswis- risch auf einige Lücken im Propaganda- bzw. Rund- senschaftlern - zu soziotechnischen, -genetischen funkkapitel aufmerksam zu machen. Die fehlenden und -ästhetischen Aspekten literarischer Vermittlung Darstellungen sollten als Nachträge im angekündigten dokumentiert. Die Verfasser diskutieren ein weites Folgeband Eingang finden, zumal einige von ihnen - Spektrum von theoretischen, historiographischen und obwohl teilweise schon vor Jahrzehnten erschienen - pragmatischen Fragestellungen des sich wandelnden immer noch den neuesten Stand der Forschung Umgangs mit Literatur, Schriftlichkeit und Bildlichkeit widerspiegeln. Gerade unter dem Gesichtspunkt, daß sowie Information überhaupt von der skriptoralen Kul- der Bibliograph einen Mangel an »Studien« beklagt, tur des Mittelalters bis zur audiovisuellen Kultur der »welche längerfristige Entwicklungstrends über die Gegenwart. Dabei identifizieren sie markante Ausdif- politischen Zäsuren von 1933 und 1945 hinweg ferenzierungstendenzen in den Handlungsrollen, an- untersuchen« (S. 28), hätten die rundfunkhistorischen gefangen bei der Textproduktion, über die -distribution Monographien von Thomas Bauer »Deutsche bin hin zur -rezeption. Das Gros der Beiträge, die sich Programmpresse 1923 bis 1941« (München u.a. offensiv den Problemhorizonten literarischen Kom- 1993) und von Frank Biermann »Paul Laven« munizierens im Informationszeitalter stellen, gewährt (Münster 1989) erwähnt werden müssen. Zu Einsichten in die vielschichtigen Transforma- vermissen sind auch die Beiträge von Stefanie tionsprozesse von menschlicher Wahrnehmung, Me- Burandt über den Reichssender Hamburg, von Klaus dientechnologie, Literatur und Gesellschaft. Heimann über den Reichssender Köln sowie Theodor C. F. Venus über den Reichssender Wien in den von Wolf- ram Köhler, Walter Först sowie Oliver Rathkolb und anderen herausgegebenen Sammelbänden zur Ge- schichte des Rundfunks in Norddeutschland (Hanno- ver 1991) bzw. des Westdeutschen Rundfunks (Köln 1974) sowie über Hitlers Propagandisten in Öster- reichs Medien (Salzburg 1988). Auch sollten in einer derartigen Bibliographie weder die Dokumentation Hasso von Wedels »Die Propagandatruppen der deutschen Wehrmacht« (Neckargemünd 1962) noch die Monographie von Bernhard Wittek »Der britische Ätherkrieg gegen das Dritte Reich« (Münster 1962) oder das Buch von Michael Crone »Hilversum unterm Hakenkreuz« (München u.a. 1983) fehlen. Für die Zeit der Emigration ist u.a. der Aufsatz von J. F. Slattery »Thomas Mann und die BBC. Die Bedingungen ihrer Zusammenarbeit 1940 - 1945«, abgedruckt im »Thomas Mann Jahrbuch« (Jg. 5, 1992, S. 142 - 170) zu vermissen. Dankenswerterweise wird zwar das vom Deutschen Rundfunkarchiv herausgegebene Verzeichnis »Tondokumente zur Zeitgeschichte 1939 - 1945« erwähnt, es fehlen aber die Verzeichnisse

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194 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

Stop making sense. Comedy im Hörfunk. [11 Beiträ- ge]. In: Agenda. 1996. H. 22. S. 17-39. Dokumentation der Beiträge der Hörfunkgesprä- che 1995 über Humor und Formen der Comedy im Radio, u.a. Kabarett, Satire, Kurzserien. Rudolf Lang, Köln

Mitteilungen des Studienkreises Rundfunk und Geschichte

27. Jahrestagung des Moderation: Studienkreises in Wien Dr. Walter Klinger, Südwestfunk, Baden-Baden (3. - 5. Oktober 1996) 16.00 Uhr Technik Die 27. Jahrestagung des Studienkreises Rund- funk und Geschichte, veranstaltet in Verbindung Der Aufbau von UKW-Sendernetzen in der Alpenregion in Bayern und mit dem Österreichischen Rundfunk, findet vom Österreich seit etwa 1949 3. bis 5. Oktober 1996 in Wien beim Österreichi- schen Rundfunk (Würzburggasse 30, 1136 Ing. Karl Fischer, Österreichischer Rundfunk, Wien Wien; Sitzung der Fachgruppe Archive und Dipl. Ing. Peter Pfirstinger, Bayerischer Dokumentation: Österreichische Phonothek, Rundfunk, München Annagasse 20) statt. Sie befaßt sich mit der Rundfunkgeschichte Österreichs. Die sieben identisch gebauten Landesstudios des Österreichischen Rundfunks Programm der Jahrestagung: Ing. Gerhard Kasper, Österreichischer Rundfunk, Graz Donnerstag 3. Oktober 1996 Moderation: Fachgruppensitzungen Dipl. Ing. Peter Pfistinger, Bayerischer Rundfunk, München 16.00 Uhr Archive und Dokumentation Über die Eigenständigkeit von AV- 19.00 Kaminabend Archiven und warum sie (nicht) Die medienpolitische Situation in notwendig ist Österreich Dr. Rainer Hubert, Österreichische Andreas Rudas, Generalsekretär des Phonothek, Wien Österreichischen Rundfunks, Wien Moderation: Dr. Viktor Kreuschitz, Staatssekretär im Dr. Edgar Lersch, Süddeutscher Bundeskanzleramt, Wien Rundfunk, Stuttgart Moderation: Prof. Dr. Wolfgang R. Langenbucher, 16.00 Uhr Literatur Universität Wien Schriftsteller und Rundfunk Gespräch mit Friederike Mayröcker Cocktail

Moderation: Prof. Dr. Reinhold Viehoff, Universität Freitag 4. Oktober 1996 Halle-Wittenberg 9.30 Uhr Plenum 16.00 Uhr Musik Rundfunkgeschichte in Österreich Entwicklung der Musik Eine Bestandsaufnahme Programmgestaltung im Radio der Dr. Wolfgang Duchkowitsch, Universität Weimarer Republik Wien Dr. Ludwig Stoffels, Deutsches Rundfunkarchiv, Frankfurt am Main Theoretische Zugänge zur Rundfunkgeschichte. Einzelaspekte der Moderation: Rundfunkgeschichte Österreichs Dr. Wolfgang Sieber, Hessischer Dr. Thomas Steinmaurer, Universität Rundfunk, Frankfurt am Main Salzburg

16.00 Uhr Rezeptionsforschung Diskussion Wie der Einbruch des Mediums 10.30 Uhr Salzburger Festspiele und das Radio Fernsehen Alltag und Lebenswelt der der frühen Jahre Landbevölkerung am Beispiel Anfänge der Zusammenarbeit Mühlviertler Marktgemeinde Prof. Dr. Michael Schmolke, Universität Hellmonsödt in den 50er und 60er Salzburg Jahren umgestaltet hat Mag. Alexandra Draxler, Wien 11.00 Uhr Kaffeepause

196 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

Samstag 5. Oktober 1996 11.30 Uhr Modernes Radio? US-amerikanische Rundfunkpolitik am Beispiel des 9.30 Uhr Plenum Senders Rot-Weiß-Rot in Wien (1945-1955) Wettbewerb als Erfolgsgarantie - eine Mythenkritik Mag. Andreas Ulrich, Wien Mag. Herwig Walitsch, Wien 12.00 Uhr Das Ottakringer Projekt zur Diskussion Rezeptionsforschung - Der Bezirk

als Fernsehmikrokosmos 10.30 Uhr Kaffeepause Mag. Wolfgang Pensold, Wien 11.00 Uhr Podiumsgespräch: Wien als Ort der 12.30 Uhr Diskussion mit den drei Referenten Medienzeitgeschichte Moderation: Teilnehmer: Dr. Peter Dusek, Österreichischer Rundfunk, Wien Gerd Bacher, Generalintendant des Österreichischen Rundfunks a.D., Wien 13.00 Uhr Mittagessen (angefragt) Barbara Coudenhove-Kalergi, Wien 14.30 Uhr Programmanalytische Zugänge zu (angefragt) Fernsehen und Hörfunk in Österreich Prof. Dr. Wolfgang R. Langenbucher, Dr. Fritz Hausjell, Universität Wien Universität Wien Programmanalytische Zugänge zu Prof. Dr. Michael Schmolke, Universität Fernsehen und Hörfunk in Deutschland Salzburg Dr. Edgar Lersch, Süddeutscher Dr. Helmut Zilk, Wien (angefragt) Rundfunk, Stuttgart N.N. ARD-Büro Wien Diskussion Moderation: Dr. Helmut Drück, Berlin Moderation:

Dr. Walter Klingler, Südwestfunk, 13.00 Uhr Ende der Tagung Baden-Baden

15.45 Uhr Kaffeepause

16.00 Uhr Studentisches Fenster Werbung in der Radio Verkehrs AG (RAWAG) 1924 - 1955 Mag. Daniela Lechleitner, Wien Vom Bildungskanal zum Telekiosk. Genese und Entwicklung spezialisierter TV-Programme in Deutschland, Österreich und der Schweiz Stefan Grocholl, Münster Moderation: Dr. Marianne Ravenstein, Universität Münster

18.30 Uhr Abendprogramm

Informationen aus dem Deutschen Rundfunkarchiv

Neu in der Buchreihe des Details der nationalsozialistischen Greuel. Er- Deutschen Rundfunkarchivs gänzt wird die Textedition um eine Übersicht über alle vorhandenen Tondokumente, die dem In den »Veröffentlichungen des Deutschen Genre Berichterstattung zuzurechnen sind, so- Rundfunkarchivs« Frankfurt am Main / Berlin wie um eine Einführung, die dem publizistischen sind weitere Monographien und Dokumentatio- Stellenwert des »Medienereignisses« in Nürn- nen erschienen. Sie befassen sich mit verschie- berg nachzugehen versucht. denen Aspekten der Rundfunkgeschichte sowie Ansgar Diller / Wolfgang Mühl-Benninghaus der audiovisuellen Überlieferung in Deutschland. (Hrsg.): Berichterstattung über den Nürnberger Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher In ihrer aus einer Dissertation an der Universität 1945/46. Edition und Dokumentation Mannheim hervorgegangenen Monographie ausgewählter Rundfunkquellen (= »Rundfunk und Gewerkschaften in der Veröffentlichungen des Deutschen Weimarer Republik und in der frühen Rundfunkarchivs, Bd. 5). Potsdam: Verlag für Nachkriegszeit« befaßt sich Felicitas Merkel mit Berlin-Brandenburg 1996, ca. 300 Seiten. einem von der Rundfunkgeschichtsschreibung Broschiert. bislang wenig beachteten Protagonisten in der Auseinandersetzung um die Demokratisierung Die Monographie »Wirtschaftsgeschichte des des Rundfunks. Schon in den 20er Jahren Rundfunks in der Weimarer Republik« von Karl stritten die Interessenverbände der Christian Führer, Privatdozent für neuere Ge- Arbeiterschaft für ein demokratisches und allen schichte an der Universität Oldenburg, ist aus gesellschaftlichen Gruppen zugängliches einer Auftragsarbeit im Zusammenhang mit dem Medium, versuchten Arbeitnehmern und ihren zeitweiligen Forschungsschwerpunkt des Deut- Organisationen Zugang zum Rundfunk zu schen Rundfunkarchivs am Standort Frankfurt verschaffen und spezielle Arbeitersendungen am Main zur Rundfunkgeschichte der 20er und durchzusetzen. Die Entstehung der spezifischen frühen 30er Jahre hervorgegangen. Ausschlag- Sendeform »Arbeiterfunk« gegen Ende der 20er gebend dafür war, daß es zwar bereits etliche Jahre, ihre inhaltliche Weiterentwicklung, ihre Darstellungen zur regionalen und Verdrängung in den frühem 30ern und die überregionalen Organisations- und politischen Wiederaufnahme der Sendungen nach 1945 Geschichte des Weimarer Rundfunks gab, es bilden den zentralen Gegenstand der material- aber an einer umfassenden reichen Untersuchung. Wirtschaftsgeschichte mangelte. Der Autor Felicitas Merkel: Rundfunk und Gewerk- befaßt sich mit den finanziellen Aspekten, also schaften in der Weimarer Republik und in der der Einnahme- und Ausgabenseite der re- frühen Nachkriegszeit (= Veröffentlichungen des gionalen Rundfunkgesellschaften wie der Deutschen Rundfunkarchivs, Bd. 4). Potsdam: zentralen Reichs-Rundfunk-Gesellschaft, ihren Verlag für Berlin-Brandenburg 1996, 395 Seiten. Verflechtungen untereinander sowie mit Neben- Broschiert. gesellschaften und untersucht den Wirtschafts- faktor Rundfunk in den ersten Aufbaujahren des Im Mittelpunkt der von Ansgar Diller, Leiter des in den 20er Jahren noch neuen Mediums. Historischen Archivs der ARD im Deutschen Karl Christian Führer: Wirtschaftsgeschichte Rundfunkarchiv, Frankfurt am Main, und Wolf- des Rundfunks in der Weimarer Republik (= gang Mühl-Benninghaus, Direktor des Instituts Veröffentlichungen des Deutschen Rundfunkar- für Theaterwissenschaft / Kulturelle Kommunika- chivs, Bd. 6). Potsdam: Verlag für Berlin-Bran- tion an der Humboldt-Universität zu Berlin, her- denburg 1996, ca. 300 Seiten. Broschiert. ausgegebenen Edition und Dokumentation aus- gewählter Rundfunkquellen zur »Berichterstat- Tondokumente und Rundfunksendungen aus tung über den Nürnberger Prozeß gegen die den Archiven der ARD-Rundunkanstalten und Hauptkriegsverbrecher 1945/46« stehen die Be- des Deutschen Rundfunkarchivs zu »Judenver- richte von Eberhard Schütz, die vollständig folgung und jüdischem Leben unter den Bedin- abgedruckt werden. Schütz hielt sich als Korre- gungen der nationalsozialistischen Gewaltherr- spondent des deutschsprachigen Dienstes der schaft« von 1930 bis 1990 weisen drei Bände BBC 1946 in Nürnberg auf und berichtete nach, die in enger Kooperation von Deutschem nahezu täglich und gelegentlich wöchentlich Rundfunkarchiv, Hörfunkkommission der ARD über die vor Gericht zur Sprache gekommenen und Moses-Mendelssohn-Zentrum für europäi-

198 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

sche Studien an der Universität Potsdam ent- deutschsprachigen Dienstes der BBC in London standen sind. Zusammengestellt und bearbeitet übernommen. Schallfolien und -platten sowie wurden die drei Publikationen von Walter Roller Tonbänder, ergänzt um schriftliches unter Mitwirkung von Susanne Höschel (Deut- Begleitmaterial, vor allem Manuskripte, umfaßt sches Rundfunkarchiv Frankfurt am Main-Berlin) die Sammlung, die 1940 beginnt und bis in die sowie Felix Kresing-Wulf unter Mitwirkung von frühen 90er Jahre reicht. In diesem Archiv Eva-Maria Mühlmann (Deutsche Welle Köln). spiegelt sich auch ein Stück deutscher Politik-, Sie lassen sich davon leiten, daß die Zeit- Kultur- und Rundfunkgeschichte von mehr als geschichte sich nicht allein über schriftliche un- 50 Jahren wider. Da die BBC aus Platzgründen gedruckte wie gedruckte Quellen in Archiven den Bestand vernichten wollte, sah es das DRA und Bibliotheken erschließen läßt, sondern auch als besondere kulturpolitische Herausforderung über Ton-, Film- bzw. Fernsehdokumente. Da an, ihn für eine interessierte publizistische wie die hier festgehaltenen Ereignisse vielfach in die wissenschaftliche Öffentlichkeit an seinem Gegenwart hineinwirken, richtet sich der Blick Standort in Frankfurt am Main zu sichern. nicht nur auf die Jahre der nationalsozialisti- Nach einer ersten Sichtung kann vorläufig schen Diktatur, sondern auf die Zeit davor und Bilanz gezogen werden: Danach stammen von besonders danach, als die kritische Auseinan- den etwa 320 bisher bearbeiteten Tonträgern 86 dersetzung mit der Gewaltherrschaft den zeithi- Aufnahmen auf rund 120 Schallplatten, d.h. et- storischen Diskurs bestimmte. was mehr als ein Drittel, aus der Zeit des Zwei- Judenverfolgung und jüdisches Leben unter ten Weltkriegs, die übrigen aus den Jahrzehnten den Bedingungen der nationalsozialistischen danach. Da das Deutsche Rundfunkarchiv für Gewaltherrschaft. Tondokumente und Rund- die Kriegszeit bisher schon über einen beträcht- funksendungen. Bd. 1: 1930 - 1946; Bd. 2: 1947 lichen Bestand von deutschsprachigen Sendun- - 1990; Bd. 3: 1947 - 1990, Register zu Bd. 2 gen der BBC verfügte, ergänzt der nunmehrige und 3 (= Veröffentlichungen des Deutschen Zugang die Überlieferung des DRA zumindest in Rundfunkarchivs, Bde. 7 - 9). Potsdam: Verlag Teilbereichen. So befinden sich unter den über- für Berlin-Brandenburg 1996. Broschiert. nommenen Aufnahmen neben Musikstücken sowie Kommentaren und Berichten zum Kriegs- Das Buch von Susanne Pollert »Film- und Fern- verlauf beispielsweise eine Sendung vom 27. seharchive« versteht sich als ein Beitrag zur Be- Mai 1943, in der eine Anleitung zum Umbau des wahrung und Erschließung der audiovisuellen Volksempfängers auf Kurzwellenbetrieb Quellenüberlieferung in Deutschland. Die Auto- verlesen wurde. Erwähnenswert sind auch die rin, die mit ihrer Untersuchung an der Humboldt- Mitschnitte von Sendungen des nationalsoziali- Universität zu Berlin im Fachbereich Archivwis- stischen Rundfunks, u.a. einer Sondersendung senschaft promovierte, faßt die Erfahrung von des »Zeitspiegels« vom 5. November 1943 an- Film- und Fernseharchiven bei der Archivierung läßlich des 20jährigen Bestehens des bewegt-bildlicher Aufzeichnungen zusammen. Rundfunks in Deutschland. Die Annahme, daß Sie würdigt deren Bemühungen um die archiva- die Tonträger auch weitere Aufnahmen von rische Sicherung sowie Erschließung dieser Thomas Mann mit seinen Ansprachen an zeitgeschichtlich und kulturell bedeutsamen »Deutsche Hörer!«, solche mit Sketchen des Quellengattung und hofft, Historikern und »Gefreiten Hirnschal« bzw. von »Kurt und Willi« Archivaren Erschließungsmethoden, aber auch enthalten könnten, wurde leider enttäuscht. theoretische Grundlagen und terminologische Anders ist der Neuzuwachs für die Zeit nach Voraussetzungen vermitteln zu können. 1945 zu bewerten, da das DRA für diese Jahre Susanne Pollert: Film- und Fernseharchive. kaum über Aufnahmen verfügte. Übernommen Bewahrung und Erschließung audiovisueller wurden beispielsweise drei längere Hörspiel- Quellen in der Bundesrepublik Deutschland (= adaptionen von Romanen englischer Autoren, Veröffentlichungen des Deutschen Rundfunkar- unter anderem Daniel Defoes: Moll Flanders, chivs, Bd. 10). Potsdam: Verlag für Berlin-Bran- aus dem Jahr 1948 und Berichte über Großbri- denburg 1996, 500 Seiten. Broschiert. tannien in der Nachkriegszeit sowie über das AD gesellschaftliche und politische Leben im verei- nigten Königreich während der 50er Jahre. Auf weiteren Tonträgern - erstaunlicherweise bis Archiv des deutschen Dienstes der BBC Ende der 50er Jahre als Schallplatte und nicht als Schenkung im DRA als Tonband - sind Berichte vom Tennisturnier in Wimbledon und von Fußballspielen erhalten, Die Stiftung Deutsches Rundfunkarchiv (DRA) u.a. vom legendären 6:3-Sieg der ungarischen Frankfurt am Main / Berlin hat im Winter Nationalmannschaft über die englische 1995/96 das Archiv der Redaktion des Nationalelf am 26. November 1953 im Londoner

Informationen aus dem DRA 199

Wembley-Stadion (mit einer impressionistischen Probleme ansprechen und die Geschichte der Betrachtung: »England wurde deklassiert wie Rezeption skizzieren. Der Nachweis von Tonträ- selten oder noch nie eine Nationalmannschaft. gern, ungedruckten Manuskripten und Textvari- Englands home record ist gestorben.«). anten sowie von Sekundärliteratur kommt hinzu. Beachtlich sind allerdings auch die Defizite: Es Die zum Teil schwer zugänglichen gedruckten sind offenbar keine Tonaufnahmen zu Materialien - etwa Programmankündigungen weltbewegenden politischen Ereignissen im und Rezensionen - oder bis heute ungedruckte Deutschland der Nachkriegszeit, beispielsweise Archivalien wie die protestierenden Höreranrufe zur Berlin-Blockade oder zur Gründung der zu Eichs »Träume« 1951 sollen ausführlich beiden deutschen Staaten 1949 erhalten. Eine zitiert bzw. eventuell dokumentiert werden. Erklärung dafür könnte darin liegen, daß solche Diese, auf ein Werk-Lexikon zielende, kom- Sendungen live gesprochen und vorher nicht auf mentierte Radiographie kann nicht nur weitere einem Tonträger für die zeitversetzte wissenschaftliche Einzelanalysen anregen, son- Ausstrahlung festgehalten wurden. Eine andere dern als zuverlässige, schnelle Information von darin, daß zwar nicht die Redaktion des Programmplanern und -redakteuren genutzt deutschen Dienstes der BBC darüber verfügt(e), werden, die ein Eich-Hörspiel senden wollen. wohl aber das Zentralarchiv der BBC. Auf dieser Dokumentation und der Material- DRA erhebung aufbauend wird zum ersten Mal eine umfassende monographische Übersicht über den Rundfunkautor Günter Eich entstehen. Sol- Günter Eichs Hörspielschaffen che Versuche, den Schriftsteller Eich in seiner (1930 - 1972) Beziehung zum Medium zu porträtieren, waren DFG-Projekt am Deutschen Rundfunkarchiv bislang auf das Dritte Reich beschränkt und ge- Frankfurt am Main rieten dabei in die zum Teil polemisch geführte Diskussion um Eichs Verhalten während der na- 2 Seit dem 1. Mai 1996 wird am Deutschen tionalsozialistischen Herrschaft. Das DFG-Pro- Rundfunkarchiv Frankfurt am Main mit Förder- jekt zu Günter Eich am Deutschen Rundfunk- mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft archiv wird darüber hinausgehen, da es sich (DFG) eine umfassende Dokumentation und auch auf die äußerst produktiven und erfolg- Analyse des Hörspielschaffens von Günter Eich reichen 50er Jahre erstreckt und eine neue (1905-1972) erarbeitet. Hans-Ulrich Wagner, Sicht des kontrovers diskutierten Spätwerks promovierter Germanist und wissenschaftlicher Eichs eröffnet. Einzelne Aspekte, die gerade in der letzten Zeit in der Eich-Forschung Mitarbeiter, führt diese auf ein Jahr angelegte 3 Untersuchung durch. Das Arbeitsprogramm untersucht wurden, werden dabei integriert. verfolgt zwei Ziele. Es soll eine Radiographie er- Derzeit werden die Sammlungen der Histori- stellt werden, die sämtliche rundfunkliterari- schen Archive bei den ARD-Anstalten sowie die schen Arbeiten von Günter Eich erfassen und Nachlässe von Günter Eich und befreundeter ausführlich kommentieren wird. Parallel dazu Schriftstellerkollegen wie Martin Raschke und werden alle derzeit noch greifbaren Quellen ge- Erhard Göpel ausgewertet. Hinweise auf wei- sichtet. Sie bilden das Ausgangsmaterial für tere, vielleicht in der Forschung bislang noch gar eine monographische Darstellung des nicht beachtete Materialien sind dem Bearbeiter Rundfunkautors Eich. Die Untersuchung ver- des Projekts im Zusammenhang dieses Pro- steht sich als Beitrag zur schrittweisen Aufarbei- jektes selbstverständlich jederzeit willkommen. tung des Themas »Rundfunk und Literatur« in HUW der deutschen Vorkriegs-, Kriegs- und Nach- 1 Günter Eich: Gesammelte Werke in vier Bänden. kriegszeit. Revidierte Ausgabe. Hrsg. v. Axel Vieregg und Durch die zweite, revidierte und ergänzte Karl Karst. Frankfurt am Main 1991. Auflage der »Gesammelten Werke« von Günter 2 Eich aus dem Jahre 1991 schien die Dokumen- Glenn R. Cuomo: Career at the Cost of Compro- mise: Günter Eich’s Life and Work in the Years tation der Hörspielarbeiten bereits weitgehend 1933-1945. Amsterdam/Atlanta 1989; Axel 1 abgeschlossen. Doch neben aktuellen Quellen- Vieregg: Der eigenen Fehlbarkeit begegnet. funden, die diese knapp 150 Hörspielarbeiten Günter Eichs Realitäten 1933-1945. Eggingen umfassende Zusammenstellung um neue, bis- 1993. - Vgl. die Doppelrezension des Verfassers lang unbekannte Titel ergänzen, wird die ge- zu diesen beiden Arbeiten in: Mitteilungen StRuG plante Radiographie mehr als nur Formaldaten 19. Jg. (1993), H. 2, S. 115-118; wiederabgedruckt in dem die »Günter-Eich-Debatte« dokumentie- bieten. Sie wird Aspekte der Entstehungsge- renden Sammelband von Axel Vieregg: »Unsere schichte und des dramaturgisch redaktionellen Sünden sind Maulwürfe«. Die Günter-Eich-De- Prozesses kommentierend darstellen, Fragen batte. Amsterdam / Atlanta 1996, S. 77-83. des Programmplatzes aufzeigen, philologische

200 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

3 Vgl. beispielsweise den Aufsatz von Mira Djordje- vic: Günter Eich zwischen Literatur und Rundfunk. Die schönsten Geschichten aus 1001 Nacht als Funkerzählungen. In: Jahrbuch der Deutschen ARD-Stipendien zur Erforschung Schillergesellschaft Jg. 39 (1995), S. 352-370, der des DDR-Rundfunks kurz vor der Publikation dieser Günter-Eich-Texte erschien. Vgl. Günter Eich: Die schönsten Mär- chen aus 1001 Nacht. Hrsg. v. Karl Karst. Frank- Erneut schreibt die ARD durch das Deutsche furt am Main/Leipzig 1996. Rundfunkarchiv Frankfurt am Main / Berlin zwei Stipendien zur Erforschung der Rundfunkge- schichte der DDR aus. Gefördert werden für das Jahr 1997 die Dissertationen vorzugsweise jün- CD über Olympische Spiele 1936 gerer Wissenschaftler (bis 35 Jahre), die sich mit Aspekten der Programm-, Organisations- Anläßlich der Ausstellung »100 Jahre Olympi- und Technikgeschichte von Hörfunk und sche Spiele. Aus den Sammlungen des Deut- Fernsehen befassen oder deren schen Historischen Museums« vom 4. Juli bis Untersuchungen sich auf mediengeschichtliche 20. August 1996 im Berliner Zeughaus hat das bzw. -politische Fragestellungen beziehen. Die Deutsche Rundfunkarchiv (DRA) in Zusammen- Arbeiten sollen sich - wie bisher schon - auf arbeit mit dem Deutschen Historischen Museum Primärquellen stützen und vorrangig (DHM) eine CD herausgebracht. Unter dem Titel Aktenbestände, Tonträger und Filmmaterialien »XI. Olympische Sommerspiele 1.-16. August des Deutschen Rundfunkarchivs am Standort 1936« in Berlin enthält sie 29 verschiedene Ton- Berlin auswerten. Die Arbeiten an der aufnahmen - neben Sportreportagen des Olym- Dissertation sollten sich bereits in einem fortge- pia-Weltsenders auch Mitschnitte, von denen ei- schrittenen Stadium befinden. nige die propagandistische Bedeutung der Die zwei Stipendien sind mit je DM 1 500,- Spiele für den Nationalsozialismus dokumentie- monatlich dotiert. Bewerbungen, denen eine ren, so Reden von Propagandaminister Joseph Projektskizze, eine Inhaltsübersicht sowie Goebbels und Julius Lippert, dem bereits fertige Teile der Dissertation beiliegen Staatskommissar für Berlin, und - besonders sollen, können bis zum 31. Juli 1996 an den eindrucksvoll - von Rudolf Heß, dem Vorstand des Deutschen Rundfunkarchivs, Dr. Stellvertreter des Führers, der in einer internen Joachim-Felix Leonhard, Postfach 100644, Veranstaltung anläßlich des Nürnberger Partei- 60006 Frankfurt am Main, gerichtet werden. tages der NSDAP im Herbst 1936 - einen Monat DRA nach Beendigung der Olympischen Spiele - eine eindeutig positive, propagandistische Schlußbi- lanz für den Nationalsozialismus zog. Unter den zahlreichen Sportreportagen ragen die Leichtathletikwettbewerbe heraus, von denen insbesondere die längeren Berichte vom 5 000 und vom 10 000 m-Lauf auch heute noch eindrucksvoll die Dramatik der damaligen Wett- kämpfe vermitteln. Daneben sind zwei Interviews zu hören, u.a. mit dem herausragenden Star der Berliner Veranstaltung Jesse Owens. Die Tonaufnahmen hat das DRA zur Verfü- gung gestellt, die zahlreichen instruktiven Fotos des Begleitheftes die Bildagentur Max Schirner, die heute zum Bildarchiv des DHM gehört. Die CD - die erste der von DHM und DRA gemeinsam konzipierten Serie »Stimmen des 20. Jahrhunderts« - kann für DM 9,50 vom Deut- schen Historischen Museum in Berlin bezogen werden. WR