Ein Wendiger Infotainer Sebastian Haffner Superstar: Die Verlage Überschwemmen Mit Büchern Von Ihm Und Über Ihn Den Markt
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Kultur HARALD SCHMITT / STERN (L.); BPK (L.) / STERN SCHMITT HARALD Autor Haffner (1983), Haffner-Lebensthema Hitler (auf dem Reichsparteitag 1937), Haffner-Bestseller: Entsorgung der eigenen Fehlurteile ZEITGESCHICHTE Ein wendiger Infotainer Sebastian Haffner Superstar: Die Verlage überschwemmen mit Büchern von ihm und über ihn den Markt. Seine Anhänger halten ihn für einen seriösen Zeitzeugen und politischen Denker. Dabei hat er über wichtige Dinge häufig die Meinung gewechselt – und erweckte damit das Interesse der Geheimdienste. m Ende seines Lebens bedauerte Die Verlage werfen denn auch auf den Haffner-Büchern rund 80000 Exemplare Sebastian Haffner, nicht früher ge- Markt, was sie finden können: allerlei Neu- verkauft. Der Verleger Uwe Soukup, ehema- Astorben zu sein. Alt und krank, zum auflagen oder Nachdrucke, Sammlungen liger Berliner Sozialarbeiter, hat gleich auch Schreiben nicht mehr in der Lage, beklag- von Artikeln, die Haffner für den britischen noch eine Haffner-Biografie geschrieben. te er, dass sein Ruhm verblasse. Kurz vor „Observer“ niederschrieb, oder Biografi- Längst steht der Name Haffner für ein dem Ende konstatierte der gut 90-jährige sches – knapp zwei Dutzend Veröffent- Millionengeschäft. Da wird schon einmal Greis ein wenig verzweifelt: „Ich habe lichungen allein in den letzten 18 Monaten. ein Haffner-Buch einfach umbenannt und mich selbst überlebt.“ Es gibt die Erinnerungen seiner Tochter mit einem neuen Vorwort versehen – flugs Nur drei Jahre nach seinem Tod 1999 Sarah, einer Berliner Malerin, Interviews in lässt es sich abermals verkaufen. Haffners kann davon keine Rede mehr sein. Denn Buchform oder als CD. Wer will, kann Le- Geschichte der Revolution von 1918/19 seit der spektakulären Entdeckung seiner sungen aus Haffners berühmten „Anmer- steht inzwischen unter vier verschiedenen Erinnerungen „Geschichte eines Deut- kungen zu Hitler“, dem wohl bekanntesten Titeln in den Bibliotheken. schen“ im vorletzten Jahr überzieht ein Buch über den „Führer“, lauschen. Dem- Kürzlich beklagte die gediegene „Neue beispielloser Haffner-Boom die Republik. nächst wird er auch wieder im Fernsehen Zürcher Zeitung“ die „mangelnde editori- Ob ZDF-Historiker Guido Knopp oder zu sehen sein. Ein Spielfilm über sein Le- sche Sorgfalt“ beim Umgang mit Haffner- SPD-Innenminister Otto Schily, die libe- ben in Berlin während der Weimarer Re- Texten. Die berühmte „Geschichte eines rale „Zeit“ oder die konservative „Welt“ – publik und der Nazi-Zeit soll gedreht wer- Deutschen“ musste mehrfach nachgebessert der langjährige „Stern“-Kolumnist be- den; ein Dokumentarfilm ist beim Sender werden. Zuerst korrigierte die Deutsche Ver- geistert Leser aller Lager. Über 500 000 Freies Berlin bereits in Arbeit. lagsanstalt das Datum der Niederschrift. Exemplare wurden allein von seinen Er- Der Ein-Mann-Verlag „Berlin 1900“, vor Nicht zu „Beginn des Jahres 1939“ hatte innerungen verkauft, und ein Ende ist nicht Jahren eigens gegründet, um Haffners Alt- Haffner das Manuskript geschrieben, son- abzusehen. werke zu verlegen, hat inzwischen von dern erst nach Beginn des Zweiten Welt- 148 der spiegel 27/2002 lenden Meisterdenker“ stilisierten, wie die „FAZ“ berichtete. Den Grund für Haffners Amüsement bietet sein Werk: Es gibt nur wenige Pu- blizisten, die im Laufe ihres Lebens so oft ihre Meinung gewechselt haben wie er. Mal war er für und mal gegen ein einheitliches Deutschland, mal glühender Antikommu- nist, und mal verklärte er die DDR, mal verehrte und mal verdammte er Preußen. Auch wegen dieser Schwankungen wollte er seine alten Schriften zu Lebzeiten lieber nicht noch einmal veröffentlicht sehen. Haffner durchwanderte gleich mehr- fach das politische Spektrum: Ursprüng- lich ein Konservativer, schlägt er sich in den sechziger Jahren auf die Seite der lin- ken Studentenbewegung und findet spä- ter als historischer Bestsellerautor wieder Beifall bei der Stahlhelmfraktion der Uni- on. Mit der moralischen Auto- rität des Emigranten plädiert Haffner 1978 dafür, Kriegsver- brechen im Zweiten Weltkrieg, wie Partisanenerschießungen und Massaker an Kriegsgefan- genen, nicht zu ahnden, weil dies den Sinn für den „beson- deren Charakter der Hitler- schen Verbrechen“ abstumpfen nach dem „Prinzip der Verjährung“ würde. Kriege seien, erklärt er lapidar, nun einmal unver- kriegs beendete er die Arbeit daran. Dann tiert auf den Markt geworfen, meidlich, „ebenso gut könnte zeigte sich, dass das Manuskript unvollstän- als seien die Worte des Meis- man den Stuhlgang zum Ver- dig abgedruckt worden war – eine Seite fehl- ters sakrosankt. brechen erklären“. te; und kürzlich fand ein Doktorand im Haffner wird gefeiert als ein „Solitär un- Seine eigenen Artikel nannte er „Knall- Nachlass Haffners unbekannte Kapitel der ter Historikern“ („Welt am Sonntag“), „po- frösche“ – laut und Aufsehen erregend „Geschichte eines Deutschen“ – niemand litischer Ästhet“ („taz“), weitsichtiger Pro- mussten sie sein. Sie waren meist elegant hatte sich die Mühe gemacht, vor der Publi- phet und unbestechlicher Analytiker, gar formuliert, brillierten immer wieder mit kation dort nachzusehen. als „Publizist und Mensch ein Vorbild“ überraschenden Einfällen, waren aber zu- Der schlampige Umgang mit dem Erbe (Guido Knopp). gleich gespickt mit Faktenfehlern und ab- ist kein Zufall. Der Haffner-Gemeinde ist Dem Geehrten hätten solche Lobhude- surden Urteilen. längst die kritische Distanz abhanden ge- leien kaum gefallen. Er amüsierte sich ins- Dass er sein Millionenpublikum oftmals kommen. Haffners krude Stellungnahmen geheim über die Reden, die anlässlich sei- in die Irre führte, hat ihn kaum gestört. Er etwa zur DDR werden ignoriert, überhol- nes 80. Geburtstags 1987 gehalten wurden hatte die Chuzpe, historische Bücher, die er te historische Darstellungen unkommen- – und ihn schon damals „zu einem nie feh- im Alter von weit über 50 Jahren veröf- fentlichte, als „Jugendsünden“ abzutun. Für alles, was noch weiter zurücklag, nahm er das „Prinzip der Verjährung“ in An- spruch: Ein Achtzigjähriger könne nicht mehr für das verantwortlich gemacht wer- den, was er als Dreißigjähriger getan habe. „Das sind zwei verschiedene Menschen, obwohl sie denselben Namen tragen.“ Seinen häufigen Wechsel zwischen den politischen Polen hat Haffner, als Raimund Pretzel geboren, später einmal auf seine Jugend in Berlin zurückgeführt. Er besuch- te zuerst das Königstädtische Gymnasium nahe dem Alexanderplatz, viele seiner Klas- senkameraden waren jüdische Deutsche, begabte Söhne von Geschäftsleuten. Unter ihnen, so Haffner, war „ich ziemlich links“. Dann wurde der Vater, ein hoher Be- amter und Schulreformer, versetzt. Der DDR-Staatschef Walter Ulbricht (2. v. r.) bei der Parade zum 1. Mai 1968 in Ost-Berlin Junge wechselte an das Schillergymnasium in Lichterfelde, wo viele Militärs wohnten. „Es ist erschreckend, dass ganz normale und anständige Hier, so Haffner, „wurde ich rechts“. Für Deutsche die Anerkennung Ulbrichts diskutieren.“ die Nazis hatten die Soldatensöhne nichts der spiegel 27/2002 149 Für dieses Buch wählte der geborene Pretzel das berühmte Pseudonym: Haffner nach Mozarts Haffner-Symphonie oder des- sen Haffner-Serenade, weil diese in Groß- britannien beliebt war; Sebastian sollte an deutsche Kultur erinnern und klang nicht jüdisch, wie Haffner betonte – anscheinend wollte er nicht als einer gelten, der vor dem Rassenwahn der Nazis fliehen musste. Das Erstlingswerk begeisterte die Kriti- ker. Der in die USA emigrierte Schriftstel- ler Thomas Mann, den Haffner als „größ- ten lebenden Deutschen“ bezeichnete, BPK revanchierte sich und pries das Buch als Erschießung russischer Zivilisten durch ein Wehrmachtskommando (1942) „vorzügliche Analyse“. Haffner hatte eigentlich nicht Journalist, „Kriege sind nun einmal unvermeidlich – ebenso gut könnte sondern Verwaltungsjurist werden wollen, man den Stuhlgang zum Verbrechen erklären.“ der nebenbei mit Romanen literarischen Ruhm erwarb. Die Mischung aus politi- übrig, für die Weimarer Republik allerdings schichte eines Deutschen“ die Revolu- schem Ehrgeiz und schriftstellerischer Phan- auch nichts. tionäre als „verlegene Biedermänner, tasie sollte sein Markenzeichen werden. Es war dieser Geist aristokratischer Vor- längst alt und bequem geworden in den „Jekyll & Hyde“ war bereits ein typischer nehmheit, der Haffner früh zu den Nazis Gewohnheiten loyaler Opposition; über- Haffner: glänzende psychologisierende Deu- auf Distanz gehen ließ: „Die Person Hitlers aus bedrückt von der unerwartet in ihre tungen über das Verhältnis der Deutschen hat mich angeekelt. Sein wüstes niederes Hände gefallenen Macht und ängstlich dar- zu Hitler. Daneben abstruse Vorhersagen, Österreichertum war mir absolut zum Kot- auf bedacht, sie so bald wie möglich wie- etwa dass eine zweite Nazi-Generation nach zen. Ich bin Berliner, ich bin Preuße. Der der auf gute Art loszuwerden“. Hitlers Niederlage Säuberungen in der ei- miese Wiener ist mir das Letzte, das Al- Haffner warf in dem Manuskript der genen Partei durchführen werde, wie es der lerletzte.“ Der junge Jurist sucht eine Ni- SPD Verrat vor: am Beginn der Weimarer sowjetische Diktator Josef Stalin jüngst ver- sche und findet sie im Feuilleton von Frau- Republik 1918/1919, weil sich die Mehrheit anlasst hatte. Diese Nazis würden sich dann, enzeitschriften des Ullstein-Verlags. Dort, der Sozialdemokraten um Friedrich Ebert prophezeite Haffner, „Bolschewisten“ nen- im 3. Stock, schreibt er unverfängliche Ar- gegen eine blutige Revolution entschied; nen „und weiter herrschen wie bisher“. tikel und hofft insgeheim, dass der Nazi- am Ende