Kultur HARALD SCHMITT / STERN (L.); BPK (L.) / STERN SCHMITT HARALD Autor Haffner (1983), Haffner-Lebensthema Hitler (auf dem Reichsparteitag 1937), Haffner-Bestseller: Entsorgung der eigenen Fehlurteile

ZEITGESCHICHTE Ein wendiger Infotainer Superstar: Die Verlage überschwemmen mit Büchern von ihm und über ihn den Markt. Seine Anhänger halten ihn für einen seriösen Zeitzeugen und politischen Denker. Dabei hat er über wichtige Dinge häufig die Meinung gewechselt – und erweckte damit das Interesse der Geheimdienste.

m Ende seines Lebens bedauerte Die Verlage werfen denn auch auf den Haffner-Büchern rund 80000 Exemplare Sebastian Haffner, nicht früher ge- Markt, was sie finden können: allerlei Neu- verkauft. Der Verleger Uwe Soukup, ehema- Astorben zu sein. Alt und krank, zum auflagen oder Nachdrucke, Sammlungen liger Berliner Sozialarbeiter, hat gleich auch Schreiben nicht mehr in der Lage, beklag- von Artikeln, die Haffner für den britischen noch eine Haffner-Biografie geschrieben. te er, dass sein Ruhm verblasse. Kurz vor „Observer“ niederschrieb, oder Biografi- Längst steht der Name Haffner für ein dem Ende konstatierte der gut 90-jährige sches – knapp zwei Dutzend Veröffent- Millionengeschäft. Da wird schon einmal Greis ein wenig verzweifelt: „Ich habe lichungen allein in den letzten 18 Monaten. ein Haffner-Buch einfach umbenannt und mich selbst überlebt.“ Es gibt die Erinnerungen seiner Tochter mit einem neuen Vorwort versehen – flugs Nur drei Jahre nach seinem Tod 1999 Sarah, einer Berliner Malerin, Interviews in lässt es sich abermals verkaufen. Haffners kann davon keine Rede mehr sein. Denn Buchform oder als CD. Wer will, kann Le- Geschichte der Revolution von 1918/19 seit der spektakulären Entdeckung seiner sungen aus Haffners berühmten „Anmer- steht inzwischen unter vier verschiedenen Erinnerungen „Geschichte eines Deut- kungen zu Hitler“, dem wohl bekanntesten Titeln in den Bibliotheken. schen“ im vorletzten Jahr überzieht ein Buch über den „Führer“, lauschen. Dem- Kürzlich beklagte die gediegene „Neue beispielloser Haffner-Boom die Republik. nächst wird er auch wieder im Fernsehen Zürcher Zeitung“ die „mangelnde editori- Ob ZDF-Historiker Guido Knopp oder zu sehen sein. Ein Spielfilm über sein Le- sche Sorgfalt“ beim Umgang mit Haffner- SPD-Innenminister Otto Schily, die libe- ben in während der Weimarer Re- Texten. Die berühmte „Geschichte eines rale „Zeit“ oder die konservative „Welt“ – publik und der Nazi-Zeit soll gedreht wer- Deutschen“ musste mehrfach nachgebessert der langjährige „Stern“-Kolumnist be- den; ein Dokumentarfilm ist beim Sender werden. Zuerst korrigierte die Deutsche Ver- geistert Leser aller Lager. Über 500 000 Freies Berlin bereits in Arbeit. lagsanstalt das Datum der Niederschrift. Exemplare wurden allein von seinen Er- Der Ein-Mann-Verlag „Berlin 1900“, vor Nicht zu „Beginn des Jahres 1939“ hatte innerungen verkauft, und ein Ende ist nicht Jahren eigens gegründet, um Haffners Alt- Haffner das Manuskript geschrieben, son- abzusehen. werke zu verlegen, hat inzwischen von dern erst nach Beginn des Zweiten Welt-

148 27/2002 lenden Meisterdenker“ stilisierten, wie die „FAZ“ berichtete. Den Grund für Haffners Amüsement bietet sein Werk: Es gibt nur wenige Pu- blizisten, die im Laufe ihres Lebens so oft ihre Meinung gewechselt haben wie er. Mal war er für und mal gegen ein einheitliches Deutschland, mal glühender Antikommu- nist, und mal verklärte er die DDR, mal verehrte und mal verdammte er Preußen. Auch wegen dieser Schwankungen wollte er seine alten Schriften zu Lebzeiten lieber nicht noch einmal veröffentlicht sehen. Haffner durchwanderte gleich mehr- fach das politische Spektrum: Ursprüng- lich ein Konservativer, schlägt er sich in den sechziger Jahren auf die Seite der lin- ken Studentenbewegung und findet spä- ter als historischer Bestsellerautor wieder Beifall bei der Stahlhelmfraktion der Uni- on. Mit der moralischen Auto- rität des Emigranten plädiert Haffner 1978 dafür, Kriegsver- brechen im Zweiten Weltkrieg, wie Partisanenerschießungen und Massaker an Kriegsgefan- genen, nicht zu ahnden, weil dies den Sinn für den „beson- deren Charakter der Hitler- schen Verbrechen“ abstumpfen nach dem „Prinzip der Verjährung“ würde. Kriege seien, erklärt er lapidar, nun einmal unver- kriegs beendete er die Arbeit daran. Dann tiert auf den Markt geworfen, meidlich, „ebenso gut könnte zeigte sich, dass das Manuskript unvollstän- als seien die Worte des Meis- man den Stuhlgang zum Ver- dig abgedruckt worden war – eine Seite fehl- ters sakrosankt. brechen erklären“. te; und kürzlich fand ein Doktorand im Haffner wird gefeiert als ein „Solitär un- Seine eigenen Artikel nannte er „Knall- Nachlass Haffners unbekannte Kapitel der ter Historikern“ („Welt am Sonntag“), „po- frösche“ – laut und Aufsehen erregend „Geschichte eines Deutschen“ – niemand litischer Ästhet“ („taz“), weitsichtiger Pro- mussten sie sein. Sie waren meist elegant hatte sich die Mühe gemacht, vor der Publi- phet und unbestechlicher Analytiker, gar formuliert, brillierten immer wieder mit kation dort nachzusehen. als „Publizist und Mensch ein Vorbild“ überraschenden Einfällen, waren aber zu- Der schlampige Umgang mit dem Erbe (Guido Knopp). gleich gespickt mit Faktenfehlern und ab- ist kein Zufall. Der Haffner-Gemeinde ist Dem Geehrten hätten solche Lobhude- surden Urteilen. längst die kritische Distanz abhanden ge- leien kaum gefallen. Er amüsierte sich ins- Dass er sein Millionenpublikum oftmals kommen. Haffners krude Stellungnahmen geheim über die Reden, die anlässlich sei- in die Irre führte, hat ihn kaum gestört. Er etwa zur DDR werden ignoriert, überhol- nes 80. Geburtstags 1987 gehalten wurden hatte die Chuzpe, historische Bücher, die er te historische Darstellungen unkommen- – und ihn schon damals „zu einem nie feh- im Alter von weit über 50 Jahren veröf- fentlichte, als „Jugendsünden“ abzutun. Für alles, was noch weiter zurücklag, nahm er das „Prinzip der Verjährung“ in An- spruch: Ein Achtzigjähriger könne nicht mehr für das verantwortlich gemacht wer- den, was er als Dreißigjähriger getan habe. „Das sind zwei verschiedene Menschen, obwohl sie denselben Namen tragen.“ Seinen häufigen Wechsel zwischen den politischen Polen hat Haffner, als Raimund Pretzel geboren, später einmal auf seine Jugend in Berlin zurückgeführt. Er besuch- te zuerst das Königstädtische Gymnasium nahe dem , viele seiner Klas- senkameraden waren jüdische Deutsche, begabte Söhne von Geschäftsleuten. Unter ihnen, so Haffner, war „ich ziemlich links“. Dann wurde der Vater, ein hoher Be- amter und Schulreformer, versetzt. Der DDR-Staatschef Walter Ulbricht (2. v. r.) bei der Parade zum 1. Mai 1968 in Ost-Berlin Junge wechselte an das Schillergymnasium in Lichterfelde, wo viele Militärs wohnten. „Es ist erschreckend, dass ganz normale und anständige Hier, so Haffner, „wurde ich rechts“. Für Deutsche die Anerkennung Ulbrichts diskutieren.“ die Nazis hatten die Soldatensöhne nichts

der spiegel 27/2002 149 Für dieses Buch wählte der geborene Pretzel das berühmte Pseudonym: Haffner nach Mozarts Haffner-Symphonie oder des- sen Haffner-Serenade, weil diese in Groß- britannien beliebt war; Sebastian sollte an deutsche Kultur erinnern und klang nicht jüdisch, wie Haffner betonte – anscheinend wollte er nicht als einer gelten, der vor dem Rassenwahn der Nazis fliehen musste. Das Erstlingswerk begeisterte die Kriti- ker. Der in die USA emigrierte Schriftstel- ler Thomas Mann, den Haffner als „größ- ten lebenden Deutschen“ bezeichnete,

BPK revanchierte sich und pries das Buch als Erschießung russischer Zivilisten durch ein Wehrmachtskommando (1942) „vorzügliche Analyse“. Haffner hatte eigentlich nicht Journalist, „Kriege sind nun einmal unvermeidlich – ebenso gut könnte sondern Verwaltungsjurist werden wollen, man den Stuhlgang zum Verbrechen erklären.“ der nebenbei mit Romanen literarischen Ruhm erwarb. Die Mischung aus politi- übrig, für die Weimarer Republik allerdings schichte eines Deutschen“ die Revolu- schem Ehrgeiz und schriftstellerischer Phan- auch nichts. tionäre als „verlegene Biedermänner, tasie sollte sein Markenzeichen werden. Es war dieser Geist aristokratischer Vor- längst alt und bequem geworden in den „Jekyll & Hyde“ war bereits ein typischer nehmheit, der Haffner früh zu den Nazis Gewohnheiten loyaler Opposition; über- Haffner: glänzende psychologisierende Deu- auf Distanz gehen ließ: „Die Person Hitlers aus bedrückt von der unerwartet in ihre tungen über das Verhältnis der Deutschen hat mich angeekelt. Sein wüstes niederes Hände gefallenen Macht und ängstlich dar- zu Hitler. Daneben abstruse Vorhersagen, Österreichertum war mir absolut zum Kot- auf bedacht, sie so bald wie möglich wie- etwa dass eine zweite Nazi-Generation nach zen. Ich bin Berliner, ich bin Preuße. Der der auf gute Art loszuwerden“. Hitlers Niederlage Säuberungen in der ei- miese Wiener ist mir das Letzte, das Al- Haffner warf in dem Manuskript der genen Partei durchführen werde, wie es der lerletzte.“ Der junge Jurist sucht eine Ni- SPD Verrat vor: am Beginn der Weimarer sowjetische Diktator Josef Stalin jüngst ver- sche und findet sie im Feuilleton von Frau- Republik 1918/1919, weil sich die Mehrheit anlasst hatte. Diese Nazis würden sich dann, enzeitschriften des Ullstein-Verlags. Dort, der Sozialdemokraten um prophezeite Haffner, „Bolschewisten“ nen- im 3. Stock, schreibt er unverfängliche Ar- gegen eine blutige Revolution entschied; nen „und weiter herrschen wie bisher“. tikel und hofft insgeheim, dass der Nazi- am Ende der Republik 1933, weil die Par- Flexibel waren Haffners politische Vor- Spuk bald vorbei ist. teiführer sich Hitler nicht mutig genug in stellungen damals schon. Anfang 1940 woll- Doch 1938 erwartet seine Freundin, die den Weg gestellt hätten. Später, in den te er Deutschland in acht Länder aufteilen, aus einer zum Protestantismus konvertier- sechziger Jahren, verstieg sich Haffner zu ein Jahr später schlug er den Briten vor, sie ten jüdischen Familie stammt, ein Kind. der These, die SPD habe versucht, „in Hit- sollten eine Art europäisches Common- Nach den perfiden Rassegesetzen der Na- lers Arsch zu kriechen“. wealth etablieren, mit einer geeinten frei- zis war die Liebesbeziehung strafbar. Das Der Verleger Frederic Warburg war den- en deutschen Republik als Mitglied. Haff- Paar floh nach England. noch so angetan, dass er Haffner wöchent- ner habe sich, beobachtete der Parteivor- Eine kleine Erbschaft ist dort rasch auf- lich einen kleinen Vorschuss zahlte. Dabei stand der Exil-SPD in London im Sommer gebraucht; seine Jurakenntnisse kann Haff- blieb es auch, als der Berliner sich nach dem 1941, „sehr widerspruchsvoll und unklar ner im britischen Rechtssystem nicht an- deutschen Angriff auf Polen 1939 entschloss, mit dem deutschen Problem beschäftigt“. wenden. Zum Glück für die kleine Familie ein anderes Buch zu schreiben, das den Bri- Dahinter stand ein „bisschen Opportunis- lässt sich in den Läden Cambridges groß- ten erklären sollte, wie man den Krieg ge- mus“, wie Haffner in einem nun erstmals zügig auf Pump kaufen. Der 31-Jährige be- winnen kann: „Germany: Jekyll & Hyde“. veröffentlichten Gespräch einräumte, das schließt, ein Buch über Nazi-Deutschland zu schreiben – es soll den Briten den kom- menden Feind erklären. Die so entstandene fragmentarische „Geschichte eines Deutschen“ sorgte kürz- lich in den „Frankfurter Heften“ für eine Kontroverse. , wie Haffner Emigrantin in Großbritannien, wies empört auf die beißende Häme hin, mit der Haff- ner, Sohn aus gut situiertem Beamten- haushalt, über die Weimarer Republik her- gezogen war. Der Bestsellerautor, so Mil- ler, „scheint nicht begriffen zu haben, dass diese Republik gerade einem Menschen seines geistigen und sozialen Zuschnitts die einzigartige Chance bot, nach seinem ei- genen Stil zu leben, und … gleichzeitig En- gagement verlangte“.

Der Schüler Haffner hat 1918 Klassen- DER SPIEGEL kameraden verprügelt, die den Untergang Bau der Mauer in Berlin 1961 des Kaiserreichs und die Novemberrevo- lution bejubelten. Gut 20 Jahre später ver- „Wie ein überzahmer Pudel haben sich die Amerikaner von spottete er von London aus in der „Ge- Chruschtschow den Knochen aus dem Maul nehmen lassen.“

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1989 eine Studentin für ihre Ab- ende über eine halbe Million SS- schlussarbeit mit ihm führte*. Männer einfach hinrichten. Dem Er wollte sich mit „Jekyll & gelernten Juristen Haffner wa- Hyde“ der britischen Propagan- ren solche Äußerungen im ho- da empfehlen und übertrieb hen Alter peinlich: „Es ist mir drastisch die Zahl der Deut- lieb, wenn das vergessen wird.“ schen, die von Emigranten – wie kehrte 1948 aus ihm – gegen Hitler mobilisiert der Armee in die Redaktion werden könnten. zurück und übernahm die Lei- Insgeheim träumte Haffner tung des Blattes – Haffner muss- von einem deutschen Komitee te sich zurücknehmen, auf Dau- als Keimzelle einer Exilregierung er war er dazu nicht bereit. Auch – nach dem Vorbild von Charles politisch lagen sie über Kreuz: de Gaulle, der in London die Astor wollte das -Re- Exil-Franzosen um sich scharte. gime in Südafrika stürzen; der Später hielt er selbst diese Idee Emigrant sah das anders: Den für „größenwahnsinnig“. weißen Südafrikanern drohe, Immerhin gelang es ihm, Leit- „wenn sie zur ewigen Minderheit artikler des neu gegründeten verdammt“ würden, das „Los deutschsprachigen Blatts „Die der Juden in Deutschland“. In Zeitung“ zu werden, das vom der liberalen „Observer“-Re- britischen Informationsministe- daktion in London empfand sich rium finanziert und kontrolliert Haffner zum Schluss als „Rechts- wurde. Gleich in der ersten Aus- außen“. gabe warf Haffner den anderen 1954 zieht er nach Berlin zu- Emigranten vor, weder eine rück. Unter Journalisten genießt „kämpfende“ noch eine „geisti- Haffner rasch Ansehen, in der ge Einheit“ zu sein; wenig später deutschen Öffentlichkeit wird kritisierte er gar das „Versagen der Mann mit der hohen Stim- der innerdeutschen Opposition“. me durch Werner Höfers „In- Dass ein Feuilletonist, der vor ternationalen Frühschoppen“ seiner Emigration nicht zum bekannt: ein Gentleman mit Widerstand zählte, Führungs- Weste und Einstecktuch, der ansprüche stellte und gegen die das Publikum in seinen Bann Widerstandskämpfer daheim zwingt. Er spricht langsam und polemisierte, stieß vor allem den eindringlich, und egal, was er Exil-Sozialdemokraten bitter sagt, es klingt einleuchtend und auf. „Kein Sozialist“, notierte selbstverständlich. damals Walter Auerbach, später Der Habitus überlegener Au- Staatssekretär in Bonn, würde torität verdeckte dabei, dass „mit einem Haffner zusammen- Haffner nur selten zweimal die- arbeiten“. Sozialdemokraten selbe Meinung vertrat. Er trom- beschimpften ihn als einen „po- melte für die Westintegration der litischen Hochstapler“, was er Bundesrepublik und stellte sie selbst später nicht ganz unge- später in Frage. Mal plädierte er rechtfertigt fand. für einen Frieden in Europa auf In einer Charakterisierung Basis der deutschen Teilung, des Autors, die aus unbekann- dann war er strikt dagegen. Auf ten Gründen die polnische Bot- Widersprüche zu früheren Äuße- schaft in London 1943 dem rungen angesprochen, reagierte Foreign Office zukommen ließ, der sonst so charmante Plau- hieß es, Haffner zeige „eine derer ausgesprochen kühl: „Das starke Verworrenheit und ein Haffner als „Observer“-Reporter (1946), mit Familie (1950) interessiert mich nicht.“ Schwanken von einem Extrem Auffällig „starke Verworrenheit“ im Urteil Während der Berlin-Krise in ins andere“. Die Polen erklär- den späten fünfziger Jahren er- ten sich das damit, dass er „weltfremd, Er hält sich an die Ausländer“. In der Re- wirbt sich Haffner den Ruf des britischen nicht bösartig“ sei. daktion in der Londoner Tudor Street kann Berlin-Trommlers. Er kritisiert scharf die 1942 stellt die einflussreiche britische der konservative Haffner mit Linken wie Alliierten, weil sie nur lau gegen den so- Sonntagszeitung „Observer“ Haffner ein. debattieren. Haffner („Ich wjetischen Druck auf den Westteil der Stadt Von sich selbst sagt er, erst dort sei er ein war eine Weile eine Art Faktotum“) schreibt reagieren. Aus Empörung über das eigene politischer Kopf geworden. Angeheuert hat Porträts und Kommentare. 1948 nimmt er Blatt, das die britische Regierungspolitik ihn David Astor, Sohn des Eigentümers. die britische Staatsangehörigkeit an. mitträgt, kündigt Haffner im Juli 1961 beim Astor junior sucht Journalisten. Die meis- Als kürzlich der Transit-Verlag eine „Observer“. Nach dem Mauerbau schimpft ten britischen Kollegen leisten Kriegsdienst; Sammlung von Artikeln aus dem „Obser- er gar auf die Amerikaner, sie seien wie ein Astor bleiben nur, wie Haffner ihn später ver“ herausbrachte, staunte die „Zeit“, die „überzahmer Pudel“, der sich vom Kreml- zitiert, „alte Leute, Frauen und Ausländer. Texte seien „frei von allen Rachegefühlen“ Chef Nikita Chruschtschow „den Knochen gewesen. Aber Haffner konnte auch anders. aus dem Maul nehmen ließ“. * Sebastian Haffner: „Als Engländer maskiert“. Deutsche Um den Nationalsozialismus auszumerzen, Seiner Regierung in London wirft er so- Verlagsanstalt, Stuttgart/München; 118 Seiten; 16,90 Euro. schlug er 1942 vor, man solle nach Kriegs- gar vor, wie einst in München 1938 ge-

der spiegel 27/2002 151 Kultur genüber Hitler in der Sudetenfrage, ge- Verleger am Telefon be- sicht springen.“ Haffner soll mit Kolum- kuscht zu haben. Nie war Haffner so ein schworen, sich auf die Seite der Regierung nen für Aufsehen sorgen. So wird er zum Kalter Krieger wie nach der Errichtung des zu schlagen. Der Text wurde nicht gedruckt. umstrittensten Infotainer Deutschlands. „antifaschistischen Schutzwalls“. Wenige Tage später durfte der Deutsch- In rasantem Tempo räumt er alte Positio- Haffner will unbedingt die Wiederver- Brite in der Sendung „Panorama“ des nen. Vom Kalten Krieg will er beim „Stern“ einigung; er fordert sogar einen „ent- NDR-Fernsehens einen Kommentar spre- nichts mehr wissen. Die Anerkennung Ul- schlossenen Partisanenkrieg“ in der DDR, chen. Der Schlusssatz wurde legendär: brichts – kurz zuvor als „nicht nur schänd- „bis der große Aufstand kommt“, und ein „Wenn die deutsche Öffentlichkeit sich das lichste, sondern auch gedankenloseste und eigenes Atomwaffenpotenzial für die Bun- gefallen lässt, wenn sie nicht nachhaltig auf dümmste“ Politik gescholten – erhebt er desrepublik. Es dauert nicht lange, und Aufklärung dringt, dann adieu Pressefrei- nun zur Maxime; den Schießbefehl der Axel Springer stellt den deutschlandpoliti- heit, adieu Rechtsstaat, adieu Demokra- DDR-Grenztruppen rechtfertigt er 1965 in schen Hardliner für die „Welt“ ein. tie.“ Erstmals hatte eine Fernsehsendung bester SED-Manier mit dem Hinweis auf ei- Haffner schreibt, was von ihm erwartet so entschieden gegen den Angriff auf die nen angeblichen „bundesrepublikanischen wird: über den Schießbefehl, der die Mau- Pressefreiheit Stellung bezogen. Es war ,Schießbefehl‘“; das Töten von Flüchtlingen erwächter „zu potenziellen Mördern“ ma- Haffners größte Stunde. an der Grenze Mord zu nennen, wie er che; über Ulbricht, den er mit Hitler ver- Zuvor hatte er sich über den „schreck- selbst es getan hatte, gilt ihm nun als „übels- gleicht: „Es ist erschreckend, dass ganz lich billigen Antinazismus“ junger Studen- te Demagogie und Hetzpropaganda“. normale und anständige Deutsche die An- ten mokiert, die gegen Ewiggestrige in der Auch sein Engagement für die deutsche erkennung Ulbrichts diskutieren – so wie Republik angingen; er verglich gar „linke Einheit bleibt nur ein vorübergehendes. 1963 will er noch eine eigene Wiederver- einigungspartei gründen. Er sei, erklärt er ein wenig pathetisch, ein „Wiedervereini- ger“. Die Idee von der Parteigründung ver- flüchtigt sich rasch, und von der Wieder- vereinigung will er bald auch nichts mehr wissen. Die deutsche Zweistaatlichkeit sei, schreibt er dann, „ein Segen“. Seine Tochter Sarah ist in den sechziger Jahren eine Berliner Lokalgröße der Stu- dentenrevolte, voller Begeisterung für Ho Tschi-minhs Kampf gegen die USA. Den Vater reißt die junge Frau mit. Als die Ber- liner Polizei während des Schah-Besuchs am 2. Juni 1967 den Studenten Benno Oh- nesorg erschießt, fürchtet er eine Rück- kehr des Dritten Reichs, obwohl gerade Außenminister ist. In „Kon- kret“ schreibt er: „Alles steht schon bereit, nur der Befehl zum Losschlagen steht noch aus. Über dem bereits fertig vorbereiteten neuen Faschis- mus liegt noch ein ganz dünner formaldemo- kratischer Schleier…Es herrscht noch De- mokratie in der Bundesrepublik, so wie am

DER SPIEGEL 21. Juni 1941 an der deutsch-russischen De- Berliner Studenten-Protestdemonstration gegen den Vietnam-Krieg (Februar 1968) markationslinie noch Frieden herrschte.“ Als die Polizisten 1968 den Sturm der „Über dem bereits fertig vorbereiteten neuen Faschismus Studenten auf den Springer-Verlag nieder- liegt noch ein ganz dünner formaldemokratischer Schleier.“ knüppeln, vergleicht er das Vorgehen der Polizei mit der Niederschlagung des War- sie damals gerade im Augenblick der vol- Studenten und junge Literaten, die sich so schauer Ghettoaufstands 1943 durch die SS len Selbstenthüllung Hitlers oft den Beitritt massenhaft über die Sünden ihrer Väter „vor genau 25 Jahren“. zur Partei diskutierten.“ entrüsten“, mit SA-Männern. Nach der Ob der Kolumnist glaubte, was er Damals wohl erwog Haffner, den Ber- SPIEGEL-Affäre behauptete er auf einmal: schrieb, blieb selbst Freunden ein Rätsel. liner Bürgermeister Willy Brandt, der we- es gebe einen „Staat im Staate, weitgehend Von Richard Löwenthal ist überliefert, dass nig später auf Wandel durch Annäherung mit alten Nazis besetzt“. er Haffner für eine Künstlernatur hielt, setzte, wegen Landesverrats anzuzeigen. Es gehört zur Haffner-Legende, dass der dem Politik ein Spielfeld für Phantasie und Brandt hat das später dem Berliner Histo- Publizist nach der SPIEGEL-Affäre nicht Ehrgeiz war. Wollte er also einfach nur den riker Heinrich August Winkler erzählt. mehr für Springer arbeiten wollte. Die Zeitgeist bedienen? Oder war es der Zwang Haffners Linksschwenk begann nach der Wirklichkeit ist banaler. 1963 heuerte er zur Originalität, der ihn immer neue Posi- SPIEGEL-Affäre 1962. Auf Betreiben von zusätzlich beim „Stern“ an; als die „Welt“ tionen einnehmen ließ? Verteidigungsminister Franz Josef Strauß ihn daraufhin vor die Wahl stellte, ent- Unter den Apo-Studenten erwarb sich ließ die Bundesanwaltschaft die Redaktion schied sich Haffner für den „Stern“. Das Haffner ewigen Ruhm mit einer Gene- des SPIEGEL wegen angeblichen Landes- Magazin suchte profilierte politische Jour- ralabrechnung, die er für den „Stern“ über verrats besetzen. Der SPIEGEL hatte unter nalisten; Chefredakteur Henri Nannen die Rolle der SPD in der Revolution 1918/19 dem Titel „Bedingt abwehrbereit“ über das wollte den Musikdampfer „Stern“ in poli- verfasste. Diese, von den Sozialdemokra- Nato-Herbstmanöver „Fallex 62“ berichtet. tisches Fahrwasser steuern. ten initiiert, sei „in Blut erstickt worden Haffner kündigte empört einen Artikel Nannens Devise: „Man muss dem Pu- von ihren eigenen Führern, die sie ver- an. Doch Kanzler Konrad Adenauer hatte blikum jede Woche mit dem Arsch ins Ge- trauensvoll an die Macht getragen hatte“.

152 der spiegel 27/2002 Haffner übernahm die alte Pro- er ging dort auch zur Schule pagandaversion der Komintern: und sprach deshalb akzentfrei „Wer hat uns verraten? Sozial- Deutsch. Karpow war bei der demokraten“ – ein Spruch, der Kapitulation des deutschen ihm zur Regierungsbeteiligung Generalfeldmarschalls Wilhelm der SPD in der Großen Koali- Keitel in Karlshorst am 8. Mai tion 1966 zu passen schien. 1945 dabei; später gehörte er zur Sechs Jahre später urteilt er sowjetischen Anklagebehörde wieder ganz anders. Um bei den beim Nürnberger Prozess. Bundestagswahlen 1972 für Willy In der Bundesrepublik suchte Brandt stimmen zu können, der Geheimdienstler den Kon- nimmt er die deutsche Staatsan- takt zu Journalisten und führte gehörigkeit an. Heute gilt er als sogar für den KGB ein offiziel- einer der publizistischen Wegbe- les SPIEGEL-Gespräch (SPIE- reiter der neuen . GEL 3/1966). KGB-General Sergej In dieser linken Phase inter- Kondraschow, bis 1967 Leiter der essieren sich die Nachrichten- Deutschland-Abteilung der Aus- dienste für Haffner. Denn plötz- landsaufklärung, betont denn lich rühmt er die einst von ihm auch, dass Karpows Kontakt zu verachtete DDR, als sei das Haffner „rein journalistisch“ ge- „Neue Deutschland“ seine Lieb- Haffner am Ku’damm (um 1961)*: Friedenspreis für Breschnew? wesen sei. Natürlich habe Kar- lingslektüre. pow dabei Informationen erhal- Er lobt die „Möglichkeiten beruflicher Haffner, der einstige Emigrant, erklärt ten; auf die Artikel Haffners habe der und sozialer Selbstverwirklichung“ jenseits dies zu „böswilligem Unfug“. Fünf Jahre Dienst jedoch keinen Einfluss gehabt. Ein der Mauer und die Modernisierung des nach der Niederschlagung des Prager Früh- zweiter Artikel Haffners gegen Sacharow ist Strafrechts – da könne sich die Bundesre- lings durch Moskaus Kreml-Chef Leonid nicht erschienen. publik „manches abgucken“, schließlich Breschnew fordert er stattdessen: „Wenn In Erinnerung geblieben ist dem Millio- habe die DDR eine fallende Kriminalitäts- ein Russe den Friedenspreis für 1973 ver- nenpublikum ein anderer Haffner als der rate. Den einst von ihm geschmähten Ul- dient hat, dann nicht Sacharow, sondern Kalte Krieger oder der linke „Stern“-Ko- bricht hält er für einen „Politiker ersten Breschnew“, gemeinsam mit US-Präsident lumnist. Es ist der historische Publizist: ein Ranges“. Richard Nixon und Henry Kissinger. liebenswürdiger, hochgebildeter alter Herr, Von der Stasi wird Haffner durch die Als zwei Jahre später Sacharow dennoch der im Fernsehen und in fesselnden Büchern Abteilung „Desinformation“ der Aus- den Preis erhält, will der KGB die Preis- anregend und mit großem Charme über Bis- landsspionage unter Markus Wolf erfasst. verleihung dadurch diskreditieren, dass er marck, Fontane oder Churchill plaudert. Freilich sagt das nichts darüber aus, ob er behauptet, sie versuche, die Entspannungs- Altersmilde räumte Haffner zuweilen Opfer oder Täter war. politik zu stören. Haffner soll zu einem ein, dass er manches nicht mehr so schrei- Auch der KGB interessiert sich für Haff- erneuten Kommentar in der Sache gewon- ben würde wie früher. Weshalb er seine ner. 1973 hatte Haffner im „Stern“ den wohl nen werden. Meinung so oft und so entscheidend geän- schändlichsten Artikel seiner Laufbahn ver- Der Kontaktmann des KGB zu Haffner dert hat, bleibt allerdings sein Geheimnis öffentlicht: „Der Friede hat Vorfahrt“. Das war der Offizier Wadim Kutschin alias über den Tod hinaus. Vielleicht war sein ge- Nobelpreiskomitee erwog damals, den Oberst Karpow. Kutschins Eltern lebten legentlich hingeworfenes „Sie werden la- Friedensnobelpreis dem vom KGB drang- in den zwanziger Jahren in Deutschland; chen, ich bin ein Opportunist“ durchaus salierten sowjetischen Bürgerrechtler An- ernst gemeint – dann wäre das Rätsel we- drej Sacharow zu verleihen. Ausgerechnet * Mit Tochter Sarah. nigstens zum Teil gelöst. Klaus Wiegrefe